Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir verlängern die Dauer der Gewährung des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose. Das ist die beste und wichtigste Nachricht des Tages.
Meine Damen und Herren, ich habe sehr viel Verständnis für die Beschwerden des Ausschusses, unter welchem großen Zeitdruck gearbeitet werden mußte. Ich möchte mich noch ausdrücklich für die Bereitschaft bedanken, dieses Gesetz noch vor Weihnachten unter Dach und Fach zu bringen. Es geht ja nicht um uns, es geht nicht um Regierung und Opposition, sondern es geht um Arbeitslose und Rentner. Wir dürfen nie vergessen, für was wir hier Politik machen.
Ich wollte ausdrücklich Dank sagen. Daß wir unter großem Zeitdruck arbeiten müssen, das hängt auch mit dem großen Problemdruck zusammen, unter dem diese Regierung steht. Deshalb weise ich in aller Gelassenheit und mit großer Entschiedenheit den Vorwurf der Unfähigkeit der Mitarbeiter des Arbeitsministeriums zurück.
Die arbeiten bis an die Grenze der Erschöpfung wegen der Probleme, die Sie uns hinterlassen haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Lage der älteren Arbeitslosen nur wenige Bemerkungen machen. 400 000 Arbeitslose sind über 50 Jahre alt. Also jeder fünfte Arbeitslose ist ein Arbeitsloser über 50 Jahre. 30 % jener Arbeitslosen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, kommen aus dem Kreis derjenigen, die über 50 Jahre alt sind. Wenn wir uns also den Fünfzigj ährigen und Älteren zuwenden, deren Arbeitslosigkeit im Durchschnitt doppelt so lange dauert wie die Arbeitslosigkeit der Zwanzigjährigen, dann machen wir eine gezielte Sozialpolitik. Wir wenden uns denjenigen zu, die die Hilfe am meisten brauchen. Das ist — wie ich zugebe — nicht die Sozialpolitik mit der Gießkanne.
Es gibt auch die sachliche Begründung, nämlich daß der Ältere, im Normalfall der Fünfzigjährige, auch länger Beitrag gezahlt hat als der Zwanzigjährige. Es entspricht wiederum meinen Solidaritätsvorstellungen, daß derjenige, der länger in die Solidarkasse gezahlt hat, auch einen Anspruch darauf hat, länger aus der Solidarkasse unterstützt zu werden.
Ich denke, daß wir den Älteren auch deshalb helfen sollten, weil ein Umsteigen in die Arbeitslosenhilfe ja nicht nur Einkommensverlust, sondern auch den Verlust von Anrechnungszeiten bedeutet. Denken Sie daran, daß sich möglicherweise ein älterer Arbeitnehmer ein Zweifamilienhaus sauer von seinem Lohn abgespart und auf Urlaubsfahrten verzichtet hat. Sollten wir ihn nicht so weit es geht vor der Arbeitslosenhilfe bewahren? Sollten wir demjenigen, der treu und brav seinen Beitrag geleistet hat, nicht unterstützend unter die Arme greifen? Sie sehen, das ist keine Sozialpolitik aus Lehrbüchern, sondern das ist eine Sozialpolitik, die ihre Anregungen aus dem Leben erhält.
Wir entschärfen erstens die Arbeitslosenhilfe, wir entlasten zweitens auch die Sozialhilfe und drittens ist das auch eine Geste gegenüber den älteren Mitbürgern.
Lassen Sie mich auch zur Rückseite der Medaille, zur Sperrzeitverlängerung Stellung nehmen. Auch das stelle ich unter das Gebot der Solidarität. Bei über zwei Millionen Arbeitslosen müssen diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, sorgsam mit ihrer Kündigung umgehen. Ich denke, sie sollten erst kündigen, wenn sie einen neuen Arbeitsplatz in der
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Bundesminister Dr. Blüm
Hand haben. Die können sich die Arbeitsplatzsuche doch nicht aus der Solidarkasse bezahlen lassen.
Wir verlängern die Sperrzeiten — die ja nichts Neues sind —, wenn ohne „wichtigen Grund" gekündigt wird. Sie sehen, es ist ein Gebot der Solidarität derjenigen, die Arbeit haben, darauf Rücksicht zu nehmen, daß die Bundesanstalt für Arbeit ihr Geld für wichtigere Sachen braucht, als für die Arbeitsplatzsuche derjenigen, die schon Arbeit haben.
Als wir hier vor zwei Jahren vor Ihnen standen, hatten wir bei der Bundesanstalt für Arbeit ein Defizit in Höhe von 13 Milliarden DM. Halten Sie es nicht für ein Wunder, daß wir uns schon wieder über die Verwendung von Überschüssen streiten können? Vor zwei Jahren hätte uns das auch niemand zugetraut. Wir haben diesen Erfolg nicht — wie Sie unterstellen — dadurch erreicht, daß wir die Arbeitsmarktinstrumente der Bundesanstalt zertrümmert hätten. Wir haben die Zahl der ABM-Maßnahmen verdreifacht; die Ausgaben für Umschulung und Fortbildung sind um 20 % höher. Das, was Sie gestern auf Ihrem Kongreß gefordert haben, ABM-Maßnahmen zu verlängern, die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld für die älteren Arbeitslosen zu verlängern sowie Arbeitsmarktinstrumente zu verbessern, haben wir gemacht. Während Sie noch am Bestellschein herumbasteln, haben wir schon den Lieferschein zugestellt.
Sagen Sie doch mal Herrn Lafontaine, daß er nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Er hat Verspätung; was er gestern gefordert hat, haben wir längst gemacht.
Heute werden wir die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für die Älteren — ich hoffe, mit Ihrer Hilfe — beschließen.
Lassen Sie mich auch etwas in aller Kürze zur „neuen Armut" sagen. Sicherlich, Arbeitslosigkeit ist Mangel. Das Schicksal der Arbeitslosigkeit bedeutet nicht nur materielle Einbuße; das weiß ich auch. Aber ein Horrorgemälde vom Elend zu entwerfen, das Katastrophenbild einer Massenarmut zu zeigen, das läßt Ihre eigenen Früchte, nämlich am Ausbau des Sozialstaates mitgewirkt zu haben, verfaulen. Damit demontieren Sie sich selber. Gott sei Dank haben wir einen Sozialstaat, der das Elend, das in der Dritten Welt herrscht, bei uns vermeidet. Deshalb sollten Sie mit dem Wort sparsam umgehen.
Wer das so inflationär verwendet, der handelt zynisch gegenüber denjenigen, denen es in der Dritten Welt wirklich elend geht.
Wissen Sie, wenn ich im Buch des Deutschen Gewerkschaftsbundes die „neue Armut" dargestellt sehe und beispielsweise einen Oliver D. — so ist er dort benannt — klagen höre, daß er seiner Freundin keine Geschenke mehr kaufen kann: Ich gönne ja jedem, daß er seiner Freundin Geschenke kauft, ich mache das auch gern
— Freundinnen und Freunden —, jeder verteilt gern Geschenke. Nur, meine Damen und Herren: Der Sozialstaat ist dafür nicht zuständig. Der Sozialstaat ist nicht für die Geschenkverteilung zuständig.
Wenn Sie das zulassen, dann werden die Arbeitnehmer, die morgens treu und brav zur Arbeit gehen, von uns fordern, daß wir ihnen ihr ganzes Einkommen schenken. Warum sollen sie überhaupt noch arbeiten, wenn ihnen über Beiträge alles weggenommen wird?
Ich komme zum zweiten Punkt: Rentenpolitik. Lieber, verehrter Kollege Glombig, der Streik mit seinem Lohnabschluß hat der Rentenversicherung natürlich viel Geld gekostet. Ein Prozentpunkt mehr Lohn macht 7 Milliarden DM Einnahmen in den Rentenkassen aus. Wissen Sie, was wir ihnen jetzt durch 0,2 Prozentpunkte beschaffen? 1,4 Milliarden DM! Hätte die IG Metall eine vernünftigere Tarifpolitik gemacht, bräuchten wir jetzt nicht nachzuschieben. Sie haben gesagt, Sie wüßten es seit einem halben Jahr. Ich habe vor einem halben Jahr nicht gewußt, daß die Tarifpolitik in dieser Sackgasse landet, in der sie die IG Metall hat landen lassen. Woher soll ich das wissen? Ich hätte meiner Gewerkschaft Besseres zugetraut.
Lassen Sie mich zu der Frage: „offen und ehrlich" Stellung nehmen. Die Bundesanstalt hat Geld übrig. Also senken wir dort die Beiträge. Der Rentenversicherung fehlt Geld. Also erhöhen wir dort die Beiträge. Was ist eigentlich besser, offener und ehrlicher, als das Geld immer dort einzusetzen, wo es gebraucht wird, und den Beitrag dort zu senken, wo Überschuß ist? Ich halte das für viel offener und ehrlicher, als hinter dem Rücken der Beitragszahler die Finanzströme von der einen Anstalt zur anderen zu schieben; das letztere verstehe ich als Versteckspiel.
Der Kollege Heyenn hat zuerst die Aggressionsplatte gespielt und dann die Hand zum Konsens ausgestreckt. Lassen wir einmal den ganzen Pulverdampf weg. Ich kann nur sagen: Je mehr Übereinstimmung wir in der Rentenversicherung erzielen, desto besser ist es. Es geht nicht um parteipolitische Profilierung. Wir werden Ihr Konzept Punkt für Punkt prüfen. Wo Übereinstimmung ist, werden wir sie nicht hintanstellen. Wo keine Übereinstimmung ist, werden wir den Dissens deutlich machen.
Eines müssen Sie mir noch verraten, damit ich es besser verstehe. Das Ganze soll 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte mehr kosten. Dieses Betriebsgeheimnis müssen Sie mir noch offenbaren, vielleicht noch in dieser Debatte. eine 70 %ige Teilhaberente kostet uns 2,5 Milliarden DM mehr, das Babyjahr, wie Sie es wollen, 5 bis 6 Milliarden DM, die Rente nach Mindesteinkommen je nach Ausgestaltung 1 bis 1,5
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) Milliarden DM. Das alles schaffen Sie mit 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten. Sie werden mindestens das Zehnfache dafür benötigen, selbst wenn Sie noch Einnahmen beschaffen wollen, es sei denn, Sie würden bei der Bundesanstalt für Arbeit Löcher aufreißen und das Problem verschieben. Das ist die himmlische Rechenkunst, lieber Kollege Glombig. Das erinnert mich an Schulmeisterlein Wuz bei Jean Paul. Der war immer so selig, wenn er seine Buchhaltung betrachtet hat. Er hat allerdings immer nur die Ausgaben gezählt, nie die Einnahmen. Damit kann ich jede Rechnung schönschreiben.
Ich bleibe dabei: Wir müssen den Rentnern ehrlich und offen gegenübertreten. Rentner sind erwachsene Menschen. Sie dürfen nicht behandelt werden, als müßten sie mit schönen Liedern in den Schlaf gesungen werden. Es gehört zur Ehrlichkeit zu sagen: Die Rentenbäume wachsen nicht in den Himmel. Aber kein Rentner braucht Angst zu haben, wir wollten ihm etwas wegnehmen. Allerdings jene Steigerungsraten, die aus den Zeiten bekannt sind, als es noch mehr Beitragszahler und weniger Arbeitslose gab, gibt es leider nicht. Das muß man ihnen sagen, weil ich glaube, es gehört zur Ehrlichkeit.
Lassen Sie mich noch ganz kurz etwas zur Liquiditätsfrage sagen. Die Rentenversicherung — lieber Kollege Heyenn, das müssen Sie doch in Ihre Gesamtdarstellung aufnehmen — hat fast 7 Milliarden DM Vermögen als Rücklage. Bei 275 Millionen DM, die für Stunden geliehen worden sind, „Rente auf Pump" zu sagen, kann ich nicht akzeptieren. Herr Heyenn, wenn Ihre Regierung uns ähnlich viel Rücklage zurückgelassen hätte und nur für ein paar Stunden einige Millionen Kredit aufgenommen hätte, hätten wir Ihnen ein Denkmal gebaut. Ich hätte Ihnen nie einen Vorwurf gemacht.
Seien Sie also mit dem großen Wort „Pump" etwas vorsichtig. Das macht Angst, zu der die Rentner keinen Grund haben.
Ich wiederhole an dieser Stelle: Die Renten sind sicher. Ich werde das immer und immer wiederholen. Die Bundesregierung nimmt ihre Bundesgarantie ernst, was Sie daran sehen, daß wir auch die Liquiditätssicherung aus den Wagnissen der Ungeregeltheit herausgenommen und für das nächste Jahr sichergestellt haben.
Meine Damen und Herren, ich denke, heute abend ist nicht die Gelegenheit, eine große Rentendebatte zu führen. Ich hoffe, wir führen sie einmal in aller Ausführlichkeit und nicht in Zehnminutenbeiträgen, mit dem Willen — das erkläre ich noch einmal — zur Übereinstimmung dort, wo sich die Übereinstimmung herstellen läßt, allerdings auch nicht mit der Furcht, die Unterschiede deutlich zu machen, wo Unterschiede deutlich gemacht werden müssen. Unser Konzept ist meiner Ansicht nach ein Konzept der sozialen Ausgewogenheit: Beitragserhöhungen auf der einen Seite, Beitragssenkungen auf der anderen Seite — also ein Gleichgewicht —, Leistungsverbesserungen für ältere Arbeitslose auf der einen Seite, Einsparungen — bei Sperrzeiten — auf der anderen Seite und ein Beitrag für sichere Renten. Das ist unsere wichtigste Aufgabe in der Rentenpolitik.