Rede von
Dr.
Jürgen
Warnke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung dankt dem Parlament für die Impulse, die aus dieser Aktuellen Stunde für die zukünftige Ausrichtung deutscher Entwicklungspolitik gegeben werden.
Lassen Sie mich vorweg feststellen: die bisher geleistete Hilfe für Äthiopien ist wirksam geworden. Tausende, Zehntausende von Menschen konnten durch diese Soforthilfe der letzten Wochen vor dem sicheren Tod gerettet werden. Dies war insbesondere möglich, weil wir uns sofort auch in den Transport der in den Häfen lagernden Nahrungsmittel zu den Verteilungszentren einschalten konnten. Ich möchte hier den Soldaten der Luftwaffe, den Männern des Technischen Hilfswerkes, aber auch allen anderen, die heute für die Organisation der Hilfe in Äthiopien von deutscher Seite Dienst tun, den Dank der Bundsregierung aussprechen.
Wenn sämtliche Leistungen zusammengezählt werden, die regulären Hilfsprogramme für Äthiopien, die Sonderhilfsprogramme, die Leistungen, die den deutschen Anteil aus der Nahrungsmittelhilfe der Europäischen Gemeinschaft umfassen, und die Transportleistungen, kommen wir in diesem Jahr, bis jetzt, auf Leistungen der Bundesrepublik Deutschland für Äthiopien in der Größenordnung von hundert Millionen DM.
Aber es ist klar, daß weitere Hilfe nötig ist, daß sie schnell nötig ist.
In den Lagern können heute denen — Frau Kollegin Luuk hat sie hier erwähnt —, die zu Zehntausenden unter freiem Himmel kampieren, 150 Gramm Weizen, in Salzwasser gekocht, auf die Hand ausgeteilt, an täglicher Nahrung gegeben werden. Das entspricht 300 Kalorien — als Ration für einen ganzen Tag. Wenn heute schon die Temperaturen wenig über dem Gefrierpunkt dazu beitragen, daß Lungenentzündungen, Durchfallerkrankungen und sonstige Krankheiten weitere Todesopfer fordern, dann wird dies alles in geradezu unvorstellbarem Maße gesteigert sein, wenn die Regenfälle, auf die Äthiopien wartet, eines Tages am Beginn des kommenden Jahres in der kleinen Regenzeit tatsächlich einsetzen sollten.
Sieben Millionen Menschen sind es, die heute betroffen sind. Die meisten davon leben in Gebieten, die sich außerhalb der Kontrolle der Regierung befinden. Die Bundesregierung läßt keinen Zweifel daran, daß menschliche Hilfe für alle, die in Äthiopien hungern, gleichgültig, auf welcher Seite der Bürgerkriegsparteien sie sich befinden, notwendig ist.
Meine Damen und Herren, wir konzentrieren heute alle verfügbare Kraft auf die Überlebenshilfe für die Hungernden. Aber wir wissen, daß diese Katastrophenhilfe der erste Schritt von dreien ist, dem eine gesicherte Nahrungsmittelhilfe, die nicht mehr Katastrophencharakter hat, hoffentlich bereits im Laufe des ersten Halbjahres 1985 folgt und der sich eine konsequente Politik zur Sicherung der Ernährung aus eigener Kraft anschließen muß. Die Bundesregierung hat nie die langfristige Strukturhilfe für Äthiopien abgebrochen. Es hat eine Zäsur gegeben, und die liegt im Jahre 1976. Seit 1976 wird Äthiopien aus Gründen, die ihre Ursache in dem gegenseitigen Verhältnis von Äthiopien zur Bundesrepublik Deutschland hatten und haben, keine Kapitalhilfe mehr gewährt. Aber, meine Damen und Herren, bevor wir die weitere Zusammenarbeit in der Entwicklungspolitik mit Äthiopien grundsätzlich überdenken, müssen wir uns klar darüber sein, daß die Ursachen der gegenwärtigen Hungerkatastrophe zur Sprache gebracht und geklärt werden müssen.
Afrika hat auch im Sahel, das von der Dürre betroffen ist, grundsätzlich genug Wasser; es hat grundsätzlich genug fruchtbaren Boden, und es hat grundsätzlich genug arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen, um seine Ernährung aus eigener Kraft sicherstellen zu können. Die Rahmenbedingungen dazu müssen ebenso stimmen wie die Hilfsmaßnahmen von seiten außerhalb Afrikas.
Hier ist zu Recht der Bereich Umwelt erwähnt worden. Ich unterschreibe, was das Parlament zum Ausdruck gebracht hat. Ich füge hinzu, die Rahmenbedingungen müssen auch insofern stimmen, als der äthiopische, der afrikanische Bauer ebenso wie der deutsche, der europäische Bauer ein Mindestmaß an materiellem eigenen Anreiz haben muß, wenn er nicht nur für die eigene Existenzerhaltung, sondern auch für den Rest der Bevölkerung Nahrungsmittel produzieren muß, eigenen Anreiz und nicht ideologische Predigten. Das allein wird ihn zur Entfaltung seines schöpferischen Potentials bringen.
Ich habe mit der Regierung Mengistu und ihren Ministern am vergangenen Wochenende diese Rahmenbedingungen zur Sprache gebracht und habe Antworten erhalten, die Hoffnung geben, daß die Regierung in Äthiopien bereit ist, sich in die richtige Richtung zu orientieren. Wir werden diesen Signalen nachgehen und ihnen nachgehen müssen. Aber dort, Herr Kollege Schwenninger, und nicht in Änderungen unserer Lebensweise liegt die ent-
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 7999
Bundesminister Dr. Warnke
scheidende Weichenstellung für die Zukunft Afrikas.
Es ist nicht hier und heute, meine Damen und Herren, der Platz, die Frage der Rüstungspolitik weltweit zu diskutieren.
Aber hier und heute, meine Damen und Herren, schuldet die Sowjetunion der Weltöffentlichkeit — —(Frau Gottwald [GRÜNE]: Endlich einmal
ein Thema!)
— Wenn Sie wenigstens einmal, wenn es um Hungernde in Afrika geht, Ihre Emotionen einen Augenblick zügeln könnten, Frau Abgeordnete Gottwald! — Hier und heute schuldet die Sowjetunion der Weltöffentlichkeit Antwort auf die Frage: Ist es wahr, daß sie für Waffenlieferungen Forderungen in hoher Milliardenhöhe aus Afrika eintreibt im gleichen Zeitpunkt, wo dort die Menschen hungern und Hungers sterben?
Wir werden zusätzlich leisten, und zwar unabhängig davon, wie die Antwort auf diese Frage lautet. Wir werden noch in diesem Monat — das war die Frage, die die Antragsteller für die Aktuelle Stunde an die Bundesregierung gerichtet haben — ein zusätzliches Hilfsprogramm auf den Weg bringen, das sich mit den Schwerpunkten Getreidelieferung, Lieferung von Medikamenten, Lieferung von Transportmitteln und Lieferung von Obdach, von Zelten, auf die Schwèrpunkte der Bedürfnisse in Äthiopien und allerdings auch in übrigen Staaten Afrikas konzentrieren wird. Der Umfang dieses Programms, sofern es noch in diesem Monat in Kraft gesetzt wird, wird von den noch in diesem Monat möglichen Liefermengen abhängen. Wir werden Parlament und Öffentlichkeit unverzüglich darüber unterrichten, sobald dies feststeht.
Zugleich appelliere ich an die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland, in ihrer Spendenbereitschaft fortzufahren und die großen deutschen Organisationen, die in Äthiopien und anderen Ländern Afrikas vorbildliche und wirksame Hilfe leisten, weiterhin zu unterstützen. Vereinte Hilfe von Bürgern und Staat ist notwendig, wenn es gelingen soll, das Leben von Hunderttausenden, ja von Millionen von Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, jetzt zu retten.