Rede von
Konrad
Gilges
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Kollege Sauer, Sie haben uns in der ersten Lesung aufgefordert, dieses Thema
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984 8003
Gilges
nicht polemisch zu behandeln. Ich bin etwas erstaunt über die Art, in der Sie die Sache angegangen sind. Sie haben sich hier als Zauberlehrling präsentiert. Ich hatte gedacht, Sie wollten auf Ihren Meister, Herrn Geißler, warten, der das machen wird. Ich glaube, eine sachliche Auseinandersetzung wäre angebrachter gewesen als so viel Polemik, insbesondere gegen uns Sozialdemokraten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens. Wir begrüßen, daß nun die zweite und dritte Lesung dieses Gesetzes zur Neuregelung des Jugendschutzes in der Offentlichkeit stattfindet und daß dieses Gesetz am 1. April 1985 in Kraft tritt. Es wurde Zeit, daß das Gesetz in der Fassung von 1951 und 1957 geändert wurde, und zwar insbesondere in zwei wesentlichen Punkten.
Der erste wesentliche Punkt ist die Einführung des Verursacherprinzips. Es war in der Vergangenheit ein unhaltbarer Zustand, daß viele Kinder und Jugendliche und ihre Eltern in die Mühlen der Gesetzgebung geraten sind, daß Jugendschutzakten über Zwölfjährige angelegt wurden. Jeder, der das einmal miterlebt hat — ich habe es in meinen Kinderjahren miterlebt —, weiß, was das für das Elternhaus, was das für die Kinder bedeutet. Wir finden es deshalb sehr begrüßenswert, daß der unhaltbare Zustand aufgehoben wird. Kinder und Jugendliche werden in Zukunft nicht mehr mit dem Jugendamt konfrontiert, sie müssen sich nicht mehr mit dem Jugendamt auseinandersetzen. Sie sind aus diesem Gesetz heraus in dem Sinne, daß sie nicht mehr straffällig sind bzw. nicht mehr von Erziehungsmaßnahmen betroffen werden.
Zweiter Punkt. Wir begrüßen es, daß der unhaltbare Zustand, der in der Vergangenheit galt, beseitigt ist, daß die Verursacher, die Gaststättenbesitzer, die Diskothekeninhaber, die Verleiher von Zombis-, von Kannibalen-Videos mit nur geringen Strafen getroffen wurden. Dieser schwache Ordnungsrahmen im Gesetz war eigentlich mehr eine Aufforderung als eine Bedrohung. Deshalb stimmen wir dem neugefaßten § 1 zu, insbesondere auch deswegen, weil § 12 ersatzlos gestrichen ist. Es gab dann noch Zweifel bei Jugendverbänden, Wohlfahrtsorganisationen und interessierten Vereinigungen, daß doch noch die Möglichkeit bestehe, Jugendliche und Kinder über Umwege in das Gesetz mit einzubeziehen.
Der vorgelegte Entwurf bringt nun eine eindeutige Klärung, und wir meinen, daß es notwendig war, diese eindeutige Klärung herzustellen.
Wir begrüßen insbesondere, daß es eine Verschärfung des Sanktionskatalogs gibt. Die Belegung von Ordnungswidrigkeiten ist auf Grund unseres Antrages auf 30 000 DM erhöht worden. Wir hatten 50 000 DM gewünscht. Wir mußten uns vom Bundesjustizministerium erläutern lassen, daß das nicht möglich war. Aber es ist ein schärferes Schwert. Wir gehen davon aus, daß die Ordnungsbehörden und die Gerichte diesen verschärften Katalog anwenden werden gegen alle Geschäftemacher, gegen alle diejenigen, die mit der Gefährdung von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren insbesondere im Bereich der Videobranche, im Bereich von Gaststätten usw. große Verdienste gemacht haben. Wir begrüßen es auch, daß es in Zukunft möglich ist, über diesen Bereich der Grenze von 30 000 DM durch Vermögenseinzug und Gewinneinzug den Geschäftemachern das Handwerk zu legen.
Drittens. Es gibt zur Zeit eine neue Diskussion, wie wir meinen, von interessierter Seite, die uns weismachen will, daß der Videoboom vorbei ist, daß die pornographischen bestialischen Greuelfilme à la Zombie, à la Kannibalen und in Folterart auf dem Markt nicht mehr so gefragt sind. Das stimmt nicht. Nach wie vor sind die besorgten Zuschriften, die wir von Eltern, Kirchengemeinden, Jugendämtern, Verbänden erhalten, ein Zeichen dafür, daß die Gefährdung für Erziehung, für den Charakter, für die persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen durch diese Filme gegeben ist. Daß das zurückgedrängt worden ist, ist nur der Hartnäckigkeit der Bundesprüfstelle zu verdanken, die die Flut in den letzten Jahren eingegrenzt hat.
Wir müssen der Bundesprüfstelle dafür danken.
Ich sagte schon, wegen der verheerenden Auswirkungen auf die persönliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen haben wir diese Problematik schon früh erkannt. Und, Herr Sauer, es ist ausgemachter Unsinn, wenn Sie mir erlauben, daß ich das so sage, was Sie uns vorgeworfen haben. Wir sind die ersten gewesen, die schon am 24. November 1982 mit einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung auf das Problem der Brutalvideos aufmerksam gemacht haben. Da haben Sie überhaupt noch nicht an dieser Diskussion teilgenommen.
Und wir waren es, die vor über einem Jahr, Herr Sauer, durch eine fraktionsinterne Anhörung mit Sachverständigen das Problem öffentlich erörtert haben.
Deswegen ist Ihre Behauptung schlicht und einfach unsinnig.
Wir begrüßen die jetzige Regelung, weil sie ohne Zweifel ein Schritt nach vorn ist. Aber es bleiben trotzdem Zweifel. Es bleiben Zweifel in zweierlei Hinsicht.
Wir haben zum einen Zweifel an der Vorkontrolle und der Alterseinstufung, hier insbesondere an dem Instrument der FSK. Die Vergangenheit hat gezeigt, daß viele Film-Videos von der FSK freigegeben wurden, die anschließend auf Antrag von Jugendämtern durch die Bundesprüfstelle auf die Liste der jugendgefährdenden Videos gesetzt wurden.
8004 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 108. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 6. Dezember 1984
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Zum anderen hat die FSK ihre Bewährungsprobe erst noch zu bestehen. Wir werden da genau aufpassen. Wir werden genau aufpassen, ob sie diese Bewährungsprobe besteht.
Wir sind nach wie vor der Meinung, daß die Doppelspurigkeit zwischen FSK und Bundesprüfstelle erhalten bleiben sollte. Wir haben dazu auch einen Antrag vorgelegt. Wir bedauern es, daß Sie sich unserem Antrag nicht anschließen konnten. Letztlich haben wir unsere Zweifel an der Neufassung des strafrechtlichen Teils. Der Kollege Uwe Lambinus wird dazu noch Näheres sagen.
Trotz all der Diskussionen über Brutalvideos und ihre Schäden meinen wir Sozialdemokraten aber, daß der jetzt angebotene Schutz nur ein begrenzter Schutz ist. Unser Kollege Müller hat schon in der ersten Lesung darauf hingewiesen, daß das Medienbewußtsein in dieser Republik gefördert werden muß. Die Diskussionen der letzten Tage — nicht zuletzt auch die gestrige Aktuelle Stunde hier im Hause — über Kabelfernsehen und darüber, was diesbezüglich auf uns zukommt, tragen nicht dazu bei, das Medienbewußtsein zu schärfen und Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen abzuwenden. Hier scheint mir eine doppelte Moral vorzuliegen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum vierten Punkt. Wir begrüßen die Regelungen der §§ 3, 4 und 5, die sich mit dem Gaststättenaufenthalt, dem Aufenthalt bei Tanzveranstaltungen und in Diskotheken und mit dem Verkauf von Alkohol an Kinder und Jugendliche, insbesondere aber mit dem Automatenverkauf beschäftigen. Wir sind mit diesen Regelungen einverstanden. Wir hoffen, daß das Vorschußvertrauen zu den Aufstellern von Innenautomaten gerechtfertigt ist. Wir werden das überprüfen und genau beobachten.
Herr Sauer, lassen Sie mich Ihnen sagen: Dieses Gesetz ist ein Beitrag gegen Kinder- und Jugendalkoholismus, aber es ist — erlauben Sie mir, daß ich es so sage — nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Jugenddroge Nummer eins, Alkohol. Die Bundesregierung und wir sind verpflichtet, noch viel mehr dazu beizutragen, daß der Jugendalkoholismus zurückgedrängt wird.
Fünftens. Wir Sozialdemokraten begrüßen die Regelung in § 8 über die elektronischen Bildschirm- und Unterhaltungsgeräte. In Zukunft soll es unmöglich sein, diese Geräte auf öffentlichen Verkehrsflächen aufzustellen.
Sechstens. Wir bedauern, daß der § 9 so gefaßt worden ist, wie er jetzt vorliegt. In dieser Vorschrift ist das Verbot von Rauchen in der Öffentlichkeit für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren festgelegt. Wir hätten uns eine vernünftigere Regelung vorgestellt. Wir haben dazu ja auch einen Antrag vorgelegt. Wir hätten gewünscht, daß es ein Verkaufsverbot gegeben hätte, das es unmöglich macht, das Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren einen unkontrollierten Zugang zu Rauchwaren haben. Ich hoffe, daß das Angebot, das Sie hier gemacht haben, auch ernstgemeint ist.
Siebtens. Wir bedauern des weiteren, daß wir keine Regelung über die Frage von Werbung mit Kindern und für Kinder zustande bringen konnten. Ich habe schon in der ersten Lesung ausgeführt, daß wir das nach wie vor für eine schwierige Angelegenheit halten und glauben, daß Kinder in eine Konsumsteuerung hineingeführt werden, die wir für sehr schlimm halten.
Achtens. Wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt. Ich weise insbesondere auf Ziffer 4 hin, wo noch auf viele einzelne Fragen eingegangen wird. Ich will das hier nicht weiter ausführen, weil ich nicht mehr allzuviel Zeit habe.
Lassen Sie mich zum Schluß sagen: Wir begrüßen dieses Jugendschutzgesetz, sagen aber gleichzeitig, daß es nicht die Aufklärung von Kindern und Jugendlichen ersetzen kann. Es kann nicht die vorbeugende Arbeit der Jugendämter ersetzen. Es kann Gefährdungen und Schädigungen nicht verhindern. Nur eine positive Jugendhilfe wird helfen können.