Rede von
Dr.
Wolfgang
Ehmke
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GRÜNE)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie macht sich als Schlußwort immer gut, Herr Kollege Lippold. Wenn Sie sich aber am Anfang Ihrer Rede darüber beklagen, daß die frühere Bundesregierung 13 Jahre lang nichts für den Umweltschutz getan habe, dann möchte ich Ihnen vor Augen halten, daß es uns in der umweltpolitischen Diskussion relativ wenig nützt, wenn wir immer auf die Fehler in der Vergangenheit starren.
Die frühere Untätigkeit einer SPD-Regierung kann doch wohl keine Entschuldigung dafür sein, daß Sie heute untätig sind.
Ich möchte jetzt an einem Beispiel, nämlich dem Beispiel des Tempolimits, darauf hinweisen, wie untätig die Regierung in dieser Sache ist. Wie ich schon am 4. Oktober dieses Jahres an dieser Stelle ausgeführt habe, lehnen wir den von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Großversuch zum Tempolimit grundsätzlich ab.
Dieser Versuch ist ein überflüssiges Ablenkungsmanöver, denn die wichtigsten Daten für die geplanten Versuche sind schon jetzt hinreichend bekannt. Das für den Großversuch geplante Vermessen von 350 Fahrzeugen dauert weit länger als ein Jahr, wenn man den Versuch richtig durchführen will, und bringt keine wesentlichen Änderungen der Schadstoffabschätzungen. Auch beim Großversuch muß die Schadstoffabgabe im wesentlichen auf den Prüfstand; sie muß ermittelt und über Kilometerleistung, Straßenart und Fahrverhalten auf alle Pkw hochgerechnet werden.
Ein zweites Ziel des Großversuchs, die Erfassung der Dynamik des Verkehrsflusses, wird nur zu einer Erhöhung der ohnehin schon errechneten Schadstoffminderungen führen; denn unbestreitbar verläuft der Verkehrsfluß bei einem Tempolimit harmonischer, also mit weniger Beschleunigungsund Abbremsvorgängen.
Meine Damen und Herren, es macht einfach keinen Sinn, die Emissionsminderung auf die Tonne genau feststellen zu wollen. Deshalb trügt der Eindruck wohl nicht, daß der Bundesinnenminister das Forschen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag als Alibi für unterlassene Entscheidungen gebrauchen will.
Aber auch eine unterlassene Entscheidung stellt eine Entscheidung dar; in diesem Fall gegen den Wald und gegen unsere Gesundheit. Durch die un-
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terlassene Entscheidung sind schon rund 300 000 Tonnen Stickoxide unnötig emittiert worden. Das ist z. B. das Vierfache des Wertes, um den die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen über die Schadstoffminderungen durch ein Tempolimit noch auseinanderliegen.
Als geradezu beschämend und gleichzeitig entlarvend muß die Absicht des Herrn Zimmermann beurteilt werden, in den Projektbeirat zum Großversuch zwar jene Verbände mit einzuberufen, nämlich die Industrie- und Automobilverbände, die ein ureigenes Interesse am Nichtzustandekommen des Tempolimits schon immer lauthals verkündet haben, nicht aber zumindest auch Vertreter der Umweltschutzverbände zu beteiligen. So ist der Verband der Automobilindustrie, auch wenn der Kollege Broll im Innenausschuß immer anderer Meinung ist, durch manipulierte, unwissenschaftliche Angaben aufgefallen. Hier wird wahrhaftig der Bock zum Gärtner gemacht, meine Damen und Herren.
Wenn nicht zumindest die Umweltschutzverbände mitbeteiligt werden, dann können wir diesen Großversuch schon heute für einseitig und deshalb für gescheitert erklären, noch ehe er überhaupt begonnen hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem anderen Punkt unserer Tagesordnung kommen,
nämlich zu dem „Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens". Allein die Bezeichnung dieses Gesetzentwurfes zeigt, worum es der Bundesregierung mit diesem Entwurf geht. Ich will jetzt nicht von der Verschiebung des Einführungstermins von 1986 auf 1989 oder 1988 reden, sondern nur daran erinnern, daß wir schon mehrfach deutlich gemacht haben, daß diese Verschiebung angesichts des raschen Fortschreitens des Waldsterbens unverantwortlich ist. Es ist zu begrüßen, daß Sie unsere Anregung aufgenommen haben und nicht mehr vom umweltfreundlichen Pkw, den es ja nach wie vor nicht gibt, sondern korrekterweise nur noch vom schadstoffarmen Pkw reden. Aber — und jetzt kommt das große Aber — Ziel der Bundesregierung ist nach wie vor die Förderung des Pkw-Verkehrs durch eine zusätzliche Subvention, die dazu beitragen soll, daß auch in Zukunft der dann zwar schadstoffärmere, aber trotzdem nach wie vor umweltfeindliche Autoverkehr weiterhin steigt.
Das ist doch das eigentliche Hauptziel der Bundesregierung. Wenn es der Bundesregierung in erster Linie tatsächlich darum gehen würde, die Umwelt zu entlasten, dann hätte sie nicht diesen Gesetzentwurf zur Subventionierung eines nicht ganz so umweltfeindlichen Pkws vorlegen sollen, sondern einen Gesetzentwurf zur Förderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel. Ich muß Sie von der Bundesregierung deshalb fragen: Wo bleibt Ihr Gesetzentwurf zur Förderung des umweltfreundlichen Fahrradverkehrs?
— Ja, da lachen Sie; das ist bezeichnend. —
Wo bleibt Ihr Gesetzentwurf zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs? Wann kommt endlich Ihr Gesetzentwurf zur Förderung der umweltfreundlichen Bundesbahn?
Wir werden darauf wohl vergeblich warten müssen, da Sie, wie man sieht, weder die Einsicht noch den Willen haben, diese umweltfreundlichen Verkehrsmittel zu fördern, obwohl mein Kollege Drabiniok im Verkehrsausschuß entsprechende realisierbare Vorschläge gemacht hat und vielleicht auch nachher noch machen wird.
Das, was Sie mit Ihrer Verkehrspolitik bei den tatsächlich umweltfreundlichen Verkehrsmitteln fördern, läßt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Angebotsverminderung, Leistungseinschränkung, Fahrplanausdünnung, Streckenstillegung und Fahrpreiserhöhung. Das sind die Dinge, die Sie vorhaben.
Die Benutzer der wirklich umweltfreundlichen Verkehrsmittel werden also durch Ihre Verkehrspolitik weder begünstigt noch gefördert noch belohnt, sondern statt dessen für ihr umweltfreundliches Verhalten auch noch bestraft.
Meine Damen und Herren, wir fordern eine sinnvolle, rationale Verkehrspolitik, die darauf ausgerichtet ist, Umwelt- und Lebensqualität endlich spürbar zu verbessern. Grundlage dafür ist der Aufbau eines flächendeckenden, leistungsfähigen und attraktiven öffentlichen Verkehrssystems, damit für den großen Teil der Autofahrer, die auf Grund fehlender bzw. unzureichender öffentlicher Verkehrsangebote, insbesondere auf dem Lande, oder auf Grund mangelnden Einkommens heute auf das Auto angewiesen sind, überhaupt erst einmal die Möglichkeit geschaffen wird, entweder ganz oder öfter als heute auch ohne Auto auszukommen.
Parallel zu diesem Ausbau der öffentlichen Verkehrssysteme sollte die schrittweise Einführung des Verursacherprinzips auch im Straßenverkehr realisiert werden. Die Autofahrer sollen zumindest die Kosten und Schäden, die sie verursachen, auch
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selber zahlen und nicht auf die Allgemeinheit abwälzen. Deshalb schlagen wir die Einführung einer emissionsabhängigen Schadstoffabgabe für Kraftfahrzeuge vor, die die heutige Kraftfahrzeugsteuer ersetzen könnte, eine emissionsbezogene Kraftfahrzeugsteuer, die sich nicht mehr an dem unsinnigen Wert Hubraum, sondern an den Emissionswerten für Abgase, Lärm und Benzinverbrauch orientiert, also eine kombinierte Umwelt- und Ressourcensteuer.
Eine solche Regelung hätte gegenüber der von der Bundesregierung beabsichtigten Subventionierung des schadstoffärmeren Kraftfahrzeuges folgende Vorteile: Mit einer solchen Schadstoffabgabe würde nicht nur ein Kostenunterschied zwischen schadstoffärmeren und schadstoffreichen Kraftfahrzeugen geschaffen — das ist nämlich nur ein Teil des Verursacherprinzips, Herr Minister Stoltenberg —, sondern zusätzlich auch ein Kostenunterschied zwischen den mehr lärmerzeugenden und den weniger lärmerzeugenden Kraftfahrzeugen sowie den großen und weniger großen Energieverschwendern. Dies würde die Nachfrage nach solchen Pkw-Modellen, die besonders viel Lärm verursachen, größere Schadstoffmengen an die Umwelt abgeben und besonders viel Benzin verbrauchen, wohl zwangsläufig sinken lassen. Darin wäre natürlich auch ein gewisser Vorteil für die Katalysator-autos enthalten. Eine solche Schadstoffabgabe sollte sich an den durch die genannten Kraftfahrzeugemissionen verursachten Gesamtfolgekosten orientieren und wäre damit keine Subvention, sondern die Anwendung des Verursacherprinzips,
das durch die schrittweise Umwälzung der sonstigen gesellschaftlichen Folgekosten des Kraftfahrzeugverkehrs auf die Mineralölsteuer schließlich komplettiert werden sollte.
Die konsequente Anwendung dieses Verursacherprinzips würde zudem sicherstellen, daß in erster Linie ein Anreiz zur Benutzung der bei Berücksichtigung aller gesellschaftlichen Folgekosten wirtschaftlicheren Verkehrsmittel Fahrrad, Bahn und Bus geschaffen wird, und erst in zweiter Linie ein Anreiz zum Kauf schadstoffärmerer, leiserer und spritsparender Kraftfahrzeuge für diejenigen, die nach wie vor auf das Fahren eines eigenen Autos nicht verzichten wollen bzw. nicht verzichten können.
Der besonderen Situation des ländlichen Raumes muß dabei Rechnung getragen werden.
Meine Damen und Herren, einen entsprechenden Antrag für die Neuregelung der Besteuerung des Kraftfahrzeugverkehrs werden wir in nächster Zukunft in den Bundestag einbringen.
Hinsichtlich der Durchsetzbarkeit unserer Vorstellungen haben wir nach unseren bisherigen Erfahrungen in diesem Hause kein Illusionen. Es ist klar, daß die Straßenbau- und Automobillobby es mit ihrer geballten Macht ganz einfach nicht zulassen wird, daß die Bundesregierung oder dieses Parlament den Abbau der Subventionen für den Kraftfahrzeugverkehr vorantreibt, zumal Teile dieser Straßenverkehrslobby in ihren Fraktionen festverankert sind und ihre Willensbildung maßgebend bestimmen.
Es ist uns ebenso bewußt, daß unsere Vorstellungen bei einem nicht geringen Teil der Bundesbürger derzeit noch vollkommen unpopulär sind. Wir meinen jedoch, daß es nicht unsere Aufgabe ist, in erster Linie populäre Vorstellungen zu vertreten, sondern Vorstellungen, die sich auch und vor allem an den Notwendigkeiten der Umwelt- und Zukunftsvorsorge orientieren, die Probleme beim Namen nennen und ungeschminkt die erforderlichen Konsequenzen und Lösungswege aufzeigen.
Wenn wir schon diese undankbare und — das möchte ich hinzufügen — ungedankte Aufgabe übernehmen, so tragen Sie doch wenigstens dazu bei, daß die Verkehrsdebatten von Emotionen und Zweckideologie befreit werden.
Meine Damen und Herren, es wird in diesem Bereich immer sehr viel von Freiheit gesprochen. Die Freiheit ist immer auch die Freiheit des anderen. Die freie Fahrt für freie Bürger — die Freiheit der Autofahrer — findet dort ihre Grenze, wo andere Menschen dadurch in ihrem Freiheitsraum unzumutbar eingeschränkt werden. Diese Grenze ist bereits heute erreicht.