Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, in diesen Tagen können drei Mitglieder des Deutschen Bundestages auf eine 30jährige Mitgliedschaft im Bundestag zurückblicken. Frau Kollegin Renger und die Kollegen Dr. Czaja und Dr. Dollinger gehören diesem Parlament seit Beginn der 2. Wahlperiode am 6. Oktober 1953 ununterbrochen an.
Ich spreche dieser Kollegin und diesen Kollegen anläßlich ihrer 30jährigen Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag die herzlichen Glück- und Segenswünsche des Deutschen Bundestages aus. Mit Respekt und Dank denken wir an Ihre Arbeit.
Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN
Kriegsvölkerrechtliche Grundsätze
— Drucksachen 10/163, 10/445 —
b) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN
Kriegsvölkerrechtliche Verträge
— Drucksachen 10/164, 10/445 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b und eine Aussprache von drei Stunden vorgesehen. Wird dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Damit ist so beschlossen.
Wird das Wort zur zusätzlichen Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Dann hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, der Kollege Mertes, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gegenstand der heutigen Aussprache sind Fragen des humanitären Kriegsvölkerrechts, die, soweit ich sehe, das Plenum des Deutschen Bundestages in dieserAusführlichkeit bisher noch nicht beschäftigt haben. Allerdings hatten wir eingehende Beratungen vor der Unterzeichnung der beiden Zusatzprotokolle von 1977 zu dem Genfer Abkommen von 1949 durch die Bundesregierung Ende 1977 im Auswärtigen Ausschuß und im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages.Als erste Fraktion hat die damalige CDU/CSU-Opposition dieses Thema im Rahmen einer Großen Anfrage — „Erhaltung und Festigung des Friedens durch Sicherheit, Rüstungskontrolle, Abrüstung und den Abbau der politischen Spannungsursachen" — vom 23. November 1978 zur Sprache gebracht, desgleichen das Thema Waffenbeschränkungskonferenz der Vereinten Nationen. Die damalige Bundesregierung hat unter dem Datum vom 16. Februar 1979 eine Antwort gegeben, zu der auch die heutige Bundesregierung steht. Ich zitiere die damalige Bundesregierung:Die Bundesrepublik Deutschland hat sich an den bisherigen internationalen Bemühungen um Stärkung und Verbesserung des Völkerrechts bei bewaffneten Konflikten aktiv beteiligt, insbesondere an der „Diplomatischen Konferenz über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts". Das Gebot, nach Kräften zu diesen Bemühungen beizutragen, ergibt sich für die Bundesrepublik Deutschland nicht zuletzt daraus, daß ihr Gebiet im Falle einer militärischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West unausweichlich Kriegsschauplatz werden würde. Das deutsche Volk wäre daher in einem bewaffneten Konflikt zwischen den Bündnissystemen in besonderer Weise von der Vernichtungskraft moderner Waffen bedroht. Ausgangspunkt aller Überlegungen der Bundesregierung war und ist jedoch die Überzeugung,— immer noch Zitat aus dem Jahr 1979 —daß der Humanität in erster Linie durch eine aktive Politik der Erhaltung und Sicherung des Friedens gedient wird. Unverzichtbares Element der friedenserhaltenden Politik der Bundesregierung ist es, die unverminderte Sicherheit zu gewährleisten, die auf der lückenlosen
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1926 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Staatsminister Dr. MertesAbschreckung und der Aufrechterhaltung der Verteidigungsfähigkeit im Rahmen der Bündnisstrategie beruht.Dieses Zitat zeigt: Die heutige steht wie die damalige Bundesregierung zum Primat der Friedenssicherung, zu der doppelten Aufgabe Friedenserhaltung und Friedensgestaltung, zur Absage an jeden politischen Mißbrauch des Kriegsvölkerrechts zu Lasten der verläßlichen Sicherung des Friedens.In der Tat: Das humanitäre Kriegsvölkerrecht ist Recht, das in einem Krieg gilt, der stattfindet. Die politisch-militärische Strategie unseres Bündnisses bewirkt aber, daß ein Ost-West-Krieg gar nicht erst stattfindet. Eine politische oder gar agitatorische Nutzung des Kriegsvölkerrechts, das die Kriegsverhütung behindert und den Krieg wahrscheinlicher macht, wäre eine sinnwidrige und damit verantwortungslose Absurdität.Die Fraktion der GRÜNEN sollte auch wissen, daß die Fraktion der CDU/CSU in den Jahren nach der Unterzeichnung der beiden Zusatzprotokolle mit den Bundesministern des Auswärtigen und der Verteidigung — übrigens auch mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Bonn — eine ausgedehnte Korrespondenz zum Thema dieser Debatte, zum Spannungsverhältnis zwischen humanitärem Kriegsvölkerrecht und politisch-militärischer Friedenssicherung, hatte, wobei ich die kooperative Haltung der damaligen Bundesregierung und die der US-Regierung anerkennend hervorheben möchte.Damals wie heute ging es um den Primat der Friedenssicherung, d. h. der wirksamen — nicht verbalen, der wirksamen — Verhütung eines Krieges, jedes Krieges überhaupt; denn der Begriff „konventioneller Krieg" — da stimme ich mit Heinrich Böll überein — ist in Europa angesichts der Vernichtungsfähigkeit sogenannter herkömmlicher, konventioneller Waffen, bei ihrem heutigen Perfektionsgrad, in Wirklichkeit eine nicht mehr zu vertretende Schönfärberei geworden.Als Gemeinschaft von 15 repräsentativen, parlamentarischen, rechtsstaatlichen Demokratien kommen wir leider — ich sage noch einmal: leider — ohne das militärische Instrumentarium einer glaubwürdigen Sicherung des Friedens nicht aus. Mit dieser Paradoxie müssen wir leider noch leben. Wollten wir ihr etwa im Namen des humanitären Kriegsvölkerrechts oder der Ethik davonlaufen, würde der Friede unsicherer und der Krieg wahrscheinlicher.Die GRÜNEN selbst haben in ihrer Großen Anfrage „Kriegsvölkerrechtliche Verträge" dankenswerterweise auf den Grund für diese Lage hingewiesen: „Die Staaten des Warschauer Pakts" — so sagen die GRÜNEN — „haben totalitäre Regierungen, die von der Bevölkerung weder gewählt noch abgewählt werden können." So die Charakterisierung durch die GRÜNEN in ihrer Großen Anfrage.
— Meine verehrten Kollegen, die Themen „Humanitäres Kriegsvölkerrecht" und „Sicherung des Friedens" sind eine so ernsthafte Angelegenheit daß ich Sie bitte, jede Form der Agitation aus Respekt vor der Bedeutung des Gegenstands zu unterlassen.
Ich wiederhole, was die GRÜNEN gesagt haben „Die Staaten des Warschauer Pakts haben totalitäre Regierungen, die von der Bevölkerung wede] gewählt noch abgewählt werden können." Solche Regierungen — das sage jetzt ich, und das sagt da: Atlantische Bündnis — haben nach aller Erfahrung der Geschichte ein anderes Verhältnis zur Gewalt ein anderes Verhältnis zur Gewaltandrohung, zur Verängstigung schwacher Nachbarn, zu Druck, Er pressung und, wenn ihnen keine glaubwürdige Abschreckung entgegentritt, letzten Endes auch zu Gewaltanwendung und Aggression als demokratische Regierungen.Mit dieser totalitären Realität im Hintergrung der atomaren Frage — ich gebrauche nochmals die zutreffende Vokabel der Fraktion der GRÜNEN in ihrer Großen Anfrage — müssen wir leben. Da: heißt auch, wir müssen mit der Realität leben, dal die Sowjetunion ihre militärische Macht nicht nur als ihr Verteidigungspotential im Falle einer Agres sion von außen betrachtet, sondern auch als Instrument der Repression in ihrem Machtbereich – deshalb gibt es im sowjetischen Machtbereiel keine Friedensdebatte, die auch nur entfernt mit der unseren vergleichbar wäre — und als Instrument zu politischer Einflußexpansion nach außer d. h. als Mittel zur Brechung des politischen Selbst behauptungswillens kleiner Nachbarn durch Ein schüchterung, Druck, Drohung oder gar Erpressung, aus eigenem Überlebensinteresse — aber unterhalb der Schwelle eines Kriegs, der das Risik der Eskalation in einen nuklearen Krieg in sich trii ge. In Moskau regieren keine Selbstmörder, son dern rationale Kalkulatoren. Auch deshalb ist da Risiko eines großen Ost-West-Krieges, in dem da humanitäre Kriegsvölkerrecht zu gelten hätte, fas gleich Null. Aber auch das „fast" ist noch zuviel Jeder zusätzliche Grad verläßlicher Sicherung de Friedens ist willkommen.Zu den Großen Anfragen, die die Fraktion de GRÜNEN in den Bundestagsdrucksachen 10/16 und 10/164 am 16. Juni 1983 gestellt haben, liege Ihnen die Antworten der Bundesregierung vor.Es geht heute um Fragen des Kriegsrechts, aber es geht gleichzeitig um die Verhinderung des Krieges, in dem dieses Recht im Krieg, dieses ius in be lo, gelten würde. Es geht heute nicht um die Frage ob und wann ein Staat Waffengewalt zur Durchsezung seiner Ziele einsetzen darf. Ein Recht zur Kriege, ein ius ad bellum, gibt es heute nid mehr.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1927
Staatsminister Dr. MertesVielmehr gibt es statt dessen eine Verpflichtung zum Frieden, eine obligatio ad pacem. Alle Mitglieder der Vereinten Nationen haben die Verpflichtung, ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so beizulegen, daß der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Alle Staaten haben die Verpflichtung, in ihren internationalen Beziehungen jede Androhung oder gar Anwendung von Gewalt zu unterlassen. Dies sind die im Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze. Sie können insoweit noch über den Kreis der Mitgliedstaaten hinaus universelle gewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen.Dies ist das fundamentale Gewaltverbot des Völkerrechts, dem die Bundesrepublik Deutschland ebenso wie ihre Verbündeten aus tiefster Überzeugung, aber auch auf Grund ihrer Verfassung verpflichtet ist. Dies ist die Magna Charta des Friedens. Dies ist das Fundament des Friedensvölkerrechts. Dies ist die elementare, unaufgebbare Voraussetzung einer internationalen Friedensordnung, die auf der Herrschaft des Rechts gegründet ist, nach der es dann deshalb kein Kriegsvölkerrecht mehr geben müßte. Das Gewaltverbot gilt für jede militärische Gewaltandrohung und Gewaltanwendung, und es gilt für jede Art von Waffe.Lassen Sie mich gleich hinzufügen: Bei allem Verständnis für die anhaltende Diskussion über das angeblich wachsende Kriegsrisiko vermag ich ein solches so lange nicht zu erkennen, als der Westen an seiner klaren Politik der Verhandlungsbereitschaft und der Erhaltung des Gleichgewichts festhält.Meine Zuversicht gründet zum einen auf dem bewährten Schutz durch das Atlantische Bündnis, das in Europa seit annähernd 35 Jahren den Frieden maßgeblich gesichert hat. Des weiteren gründet sie in meiner Erfahrung und Überzeugung, daß die Sowjetunion in Fragen militärischer, vor allem atomarer Macht rational, wenn auch politisch zielgerichtet handelt. Die Strategie der Abschreckung geht von der rationalen Wahrung der Eigeninteressen auch der Sowjetunion aus.Im Falle eines völkerrechtswidrigen bewaffneten Angriffs steht dem Angegriffenen allerdings das naturgegebene Recht zur Selbstverteidigung zu. Das folgt klar aus Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen. Die Selbstaufgabe eines Staates angesichts eines Angriffs ist kein Gebot des Völkerrechts. Das gleiche gilt für die direkte oder indirekte Ankündigung einer solchen Selbstaufgabe, ja, sie wäre geradezu eine Einladung zum Bruch des Friedensvölkerrechts.Zur gemeinsamen Ausübung ihres Selbstverteidigungsrechts haben die Mitgliedstaaten des Nordatlantikpaktvertrages ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung, für die gemeinsame Erhaltung des Friedens und für ihre unteilbare Sicherheit vereinigt. Die Staats- und Regierungschefs unseres Bündnisses haben dieses Ziel am 10. Juni 1982 in Bonn erneut bekräftigt, indem sie erklärten:Keine unserer Waffen wird jemals eingesetzt werden, es sei denn als Antwort auf einen Angriff.Die Verteidigungsplanung des Bündnisses dient dem einzigen Ziel der Abwendung eines solchen Angriffs, also der verläßlichen Friedenserhaltung. Es mag eine traurige Wahrheit sein, aber es bleibt eine Wahrheit, daß unter den gegenwärtigen Gegebenheiten nur die Abschreckung die vollständige Einhaltung des Gewaltverbots, des Kerns des Friedensvölkerrechts, dauernd und wirksam sichert. Es geht — ich wiederhole es — um die vollständige Einhaltung des Gewaltverbots als Kern des Friedensvölkerrechts. Die Bundesregierung sieht keinen Sinn darin, die Frage des Einsatzes bestimmter Waffen mit dem Gewaltverbot zu verbinden und das umfassende Gewaltverbot dadurch zu relativieren, so daß der Eindruck erweckt wird, als ob ein Verstoß gegen das Gewaltverbot in irgendeiner Weise unterschiedlich zu bewerten sei, je nach der Art der Waffen, die ein Angreifer einsetzt.Wenn die Abschreckung versagt, wenn das Gewaltverbot mißachtet wird und der Angegriffene sein Selbstverteidigungsrecht in Anspruch nimmt, wenn es also zum Kriege käme — käme —, würde das Kriegsrecht gelten. Dies ist die ganze Gruppe der gewohnheitsrechtlichen und vertraglichen Normen, die das ius in bello, das Recht in einem Kriege, ausmachen. Damit sind wir beim engeren Gegenstand unserer heutigen Aussprache.Lassen Sie mich zu Anfang einen wesentlichen Grundsatz hervorheben. Die Normen des Kriegsrechts gelten für die Parteien eines bewaffneten Konflikts ungeachtet des Umstandes, wer in dem Konflikt der Angreifer ist und wer sich verteidigt. Die Normen des Kriegsrechts sind ohne jede nachteilige Unterscheidung anzuwenden, die auf Art oder Ursprung des bewaffneten Konflikts oder auf Beweggründen beruht, die von den am Konflikt beteiligten Parteien vertreten oder ihnen zugeschrieben werden, so die Präambel des I. Zusatzprotokolls. Auch eine Partei, die sich verteidigt, hat nicht das Recht, den Friedensbrecher dadurch zu bestrafen, daß sie ihm gegenüber die Normen des Kriegsrechtes nicht einhält. Die Sanktionen gegenüber einem bewaffneten Friedensbruch ergeben sich aus der Charta der Vereinten Nationen und aus dem allgemeinen Völkerrecht. Über solche Sanktionen zu entscheiden ist in erster Linie Sache des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Das ist ein Problemkreis, der vom Kriegsrecht streng zu trennen ist. Das Kriegsrecht gilt, wenn Sie so wollen, in majestätischer Gleichheit für Gerechte und Ungerechte.Ich nenne seine zentralen fünf Punkte:Erstens. Auch wer sich verteidigt, hat kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Angreifers.Zweitens. Auch wer sich verteidigt, darf keine verbotenen Waffen einsetzen.Drittens. Auch wer sich verteidigt, muß jederzeit zwischen militärischen Zielen und zivilen Objekten unterscheiden.Viertens. Auch wer sich verteidigt, darf die Zivilbevölkerung als solche nicht angreifen.
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1928 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Staatsminister Dr. MertesFünftens. Auch wer sich verteidigt, muß seine militärischen Aktionen jederzeit am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen.In den Fragen der GRÜNEN wird versucht, den Nachweis zu führen, daß die Atomwaffe als solche verboten sei oder daß jedenfalls jeder Einsatz dieser Waffe auch in der strategischen Planung verboten sei oder daß der Einsatz der Atomwaffe selbst auf niedrigster Stufe als Mittel zur Wiederherstellung der Abschreckung gegenüber einem konventionell vorgetragenen Angriff verboten sei. Das in diesem Zusammenhang wichtige Thema der Anhebung der Atomschwelle, des nicht vorzeitigen Einsatzes, der sogenannten no early use, will ich hier jetzt nicht vertiefen.Lassen Sie mich mit großem Ernst sagen: Die Atomwaffe ist wohl die entsetzlichste Erfindung der Menschheit. Ihre Vernichtungsfähigkeit überschreitet alle bisher vorstellbaren Schrecken. Kein verantwortungsbewußter Mensch darf diese Tatsache, diesen Qualitätssprung in der Vernichtungsfähigkeit, verkleinern. Einen Wettbewerb menschlicher Sensibilität, meine Damen und Herren von der Fraktion der GRÜNEN, gegenüber diesen schrecklichen Waffen sollte es diesen Qualitätssprung in der Vernichtungsfähigkeit in diesem Hause überhaupt nicht geben. Allen Beschreibungen eines Atomkrieges durch fachkundige Naturwissenschaftler stimmen wir zu. Aber die Atomwaffe ist eine auf uns allen lastende Wirklichkeit. Atomwaffen sind in ihrer physischen Realität Waffen gegen einen potentiellen Gegner. In ihrer politischen Realität können sie Mittel der offensiven Einschüchterung oder auch der defensiven Abschrekkung sein. Das letztere ist ihre Funktion in der Friedenssicherungsstrategie des Nordatlantischen Bündnisses. Das heißt: Als politische Waffe ist es ihre Aufgabe, im Sinne des französichen Wortes für Abschrekkung „dissuasion", also Abratung —, das gleiche Wort verwenden übrigens die Italiener, die Spanier und die Portugiesen, jedem möglichen Gegner den Angriff von vornherein überzeugend auszureden. Atomwaffen sind da, und wir müssen, wenn ich Karl Jaspers zitieren darf, mit der Bombe leben. Angst und Nervosität, moralische Verurteilung und einseitige Abrüstung beseitigen diese schrecklichen Waffen nicht. Ja, es gilt sogar: Sie machen den Frieden unsicherer, weil sie die Förderer einseitiger Aufrüstung und zynischen Gewalteinsatzes im Ergebnis — nicht von der Intention her — ermutigen.Die Bundesregierung wendet sich mit all ihren Verbündeten gegen die Behauptung, die Atomwaffe sei schon heute eine rechtlich verbotene Waffe. Völkerrecht — und dies ist der Gegenstand der Großen Anfragen — gründet sich auf Verträge und Gewohnheitsrecht. Es gibt keinen Vertrag, der die Atomwaffe als Waffe verbietet. Auch der Versuch, bestehende Verträge, etwa das Genfer Protokoll von 1925 über das Verbot der Anwendung von Giftgasen und bakteriologischen Mitteln im Kriege, so auszulegen, daß die Atomwaffen von ihnen erfaßt würden, findet in der Staatenpraxis keine Stütze.Der Atomwaffensperrvertrag, um den wir in diesem Hause leidenschaftlich gerungen haben, teilt die Welt ein in Staaten, die das Recht haben, Atomwaffen zu besitzen, und in Staaten, die sich verpflichtet haben, Atomwaffen nicht herzustellen oder zu erwerben. Im Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, d. h. über die Nichterhöhung der Zahl der Kernwaffenstaaten, legitimiert die internationale Staatengemeinschaft den atomaren Status quo. Denn dieser Vertrag gestattet den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich und China — wenn auch die beiden zuletzt genannten Länder nicht Partei sind — die Herstellung, den Erwerb und den Besitz von Kernwaffen, auch die politische Verfügungsgewalt über diese Waffen .Angesichts des auf uns lastenden politischen OstWest-Antagonismus, der doch im wesentlichen auf gegensätzlichen Vorstellungen von einer dauerhaften Friedensgestaltung — nicht auf Feindbildern oder westlichem Haß — beruht, besteht damit unleugbar das Problem unserer politischen Bedrohung durch die Ziele und Potentiale einer totalitären Kernwaffengroßmacht — ich gebrauche hier wieder das Wort der GRÜNEN —, die gegen uns gerichtet sind, wie die Nachkriegsgeschichte lehrt. Der Atomwaffensperrvertrag ist einfach nicht denkbar vor dem Hintergrund der Behauptung, die Staatenpraxis sei von der Rechtsüberzeugung bestimmt, bei der Atomwaffe als solcher handle es sich um eine schon heute vom Völkerrecht verbotene Waffe.Auch die Verträge über die Schaffung atomwaffenfreier Räume auf dem Meeresboden, in der Antarktis und im Weltraum wären nicht denkbar, wenn es schon heute einen gesicherten und allgemein anerkannten Satz des Gewohnheitsrechts gäbe, wonach die Atomwaffe verboten wäre.Schließlich zeigen die Verträge über die zahlenmäßige Beschränkung dieser Waffen und das politische Ringen um den Abschluß weiterer derartiger Verträge, die Auseinandersetzung darüber, welche Zahl der Waffen von der einen oder anderen Seite zugestanden werden soll und welche zu vernichten sind, daß es ein absolutes Waffenverbot für die Atomwaffe im heutigen Völkerrecht nicht gibt. Ebensowenig gibt es ein absolutes Einsatzverbot.In den Fragen der Fraktion der GRÜNEN klingt auch die Behauptung an, wonach ein Angriff, der sich auf konventionelle Waffen beschränkt, den Einsatz der Atomwaffe zur Verteidigung jedenfalls nicht rechtfertigen würde. Es ist das bekannte Problem der defensiven Option des nuklearen Ersteinsatzes, der bei der Sicherung des Friedens in Europa eine so große Rolle spielt. Dies ist also die Frage, ob ein Angreifer, indem er sich auf konventionelle Mittel beschränkt, den Verteidiger, in diesem Fall den Westen, allein dadurch bei der Auswahl der Mittel zu seiner Selbstverteidigung beschränken kann. Ein solcher Grundsatz ist im Völkerrecht nicht nachweisbar.Es besteht kein vertragliches oder gewohnheitsrechtliches Verbot des Einsatzes von Atomwaffen gegen einen mit nichtnuklearen Mitteln geführten Angriff. Dem liegt die Tatsache zugrunde, daß die abschreckende und defensive Option des Ersteinsatzes in den Augen des Westens — jedenfalls bis
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1929
Staatsminister Dr. Mertesheute — eine unaufgebbare Voraussetzung der Friedenserhaltung in Europa ist. Die Sowjetunion als konventionell weit überlegene Macht ist seit langem bemüht, ein derartiges „Ersteinsatzverbot" durchzusetzen, da es für sie von erheblichem militärischem und damit politischem Vorteil wäre.Die westlichen Staaten sind den entsprechenden östlichen Initiativen entgegengetreten — ich erinnere etwa an die Rede vom Bundeskanzler Helmut Schmidt vor den Vereinten Nationen im Mai 1978 —, da sie das Gewaltverbot relativieren, das Selbstverteidigungsrecht beschränken und damit im Ergebnis die Sicherung des Friedens mindern würden. Für die Herausbildung von Gewohnheitsrecht, das der defensiven Option des atomaren Ersteinsatzes entgegenstehen würde, fehlt es somit an dem nötigen Konsens der betroffenen Staaten.Im übrigen stimme ich Andrej Sacharows Bedingungen für einen amerikanisch-sowjetischen Vertrag gegen jeden Ersteinsatz von Kernwaffen gern zu. Ich zitiere Sacharow:Einstellung der Expansion, Regelung von Konflikten durch Verhandlungen, Schaffung einer Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit, Wiederherstellung und Erhaltung eines Gleichgewichts der konventionellen Waffen — nur unter diesen Bedingungen lassen sich Fortschritte erzielen, wenn man konventionelle und nukleare Waffen abbauen und die Kriegsgefahr reduzieren will.Soweit Sacharow.Andrej Sacharow ist im übrigen Friedensnobelpreisträger. Er ist es geworden, weil er nicht müde wird, auf den unlösbaren Zusammenhang von Friede und Menschenrecht, von Friede und Völkerrecht, von ausgewogener Abrüstung und friedenssicherndem Gleichgewicht hinzuweisen. Übrigens zeigt auch die Verleihung des Friedensnobelpreises an Lech Walesa, wie sehr dem Friedensnobelpreiskomitee an der Wachhaltung des Bewußtseins von Frieden, Menschenwürde und Freiheit gelegen ist.
— Ja, in der Tat.In der Diskussion über die Ersteinsatzoption, die sogenannte first use option, macht sich in jüngster Zeit eine Verwirrung der Begriffe breit. Es wird die Behauptung aufgestellt, daß insbesondere die Mittelstreckenwaffen nur mit dem Ziel nach Europa gebracht würden, einen möglichen Gegner mit einem Erstschlag aus heiterem Himmel vernichtend treffen zu können. Eine solche Erstschlagskapazität steht für das Nordatlantische Bündnis nicht zur Diskussion, sie ist ganz und gar undenkbar. Es geht ausschließlich um die Option des defensiven Erstgebrauchs von Kernwaffen durch das westliche Bündnis zur rechtzeitigen Abwehr, d. h. es geht ausschließlich darum, der Gegenseite durch das vorhandene Verteidigungspotential zu signalisieren, daß ein Angriff sinnlos wäre, da das Bündnis in der Lage wäre, auf einen Angriff mit dem defensiven Erstgebrauch von Kernwaffen zu reagieren.Meine Damen und Herren, ich habe wie viele in diesem Hause von 1933 bis 1939 als junger Mensch erlebt, wie wir die Freiheit verloren und wie wir dann, ab 1939, deshalb auch den Frieden verloren haben. Ich bin nicht mehr bereit, Frieden und Freiheit als ethische Höchstwerte voneinander zu trennen; sie sind unlösbar miteinander verbunden.
Auf Grund unserer geschichtlichen Erfahrung ist Abschreckung rechtzeitiger Widerstand, damit wir nicht wieder in eine Tyrannei abgleiten, in der Widerstand notwendig wäre, den meisten Menschen dann aber nicht mehr möglich ist. Abschreckung ist rechtzeitiger Widerstand!
Die heute in der NATO gültige Strategie der defensiven Erwiderung soll den Gegner also durch eine lückenlose Abschreckung und durch die Konfrontation mit einem unkalkulierbaren Risiko von der Anwendung und Androhung militärischer Gewalt abhalten. Die abschreckende Wirkung dieser Doktrin der abgestuften Antwort beruht auf drei Pfeilern: Erstens auf der politischen Entschlossenheit aller Bündnispartner, aus Verantwortung für den Frieden jeder Form von Aggression — mit welcher Waffe auch immer — und Erpressung gemeinsam zu begegnen. Zweitens auf der Fähigkeit des Bündnisses, auf jeder Aggressionsebene wirksam defensiv reagieren zu können. Drittens auf der Flexibilität, zwischen verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten — konventionell oder nuklear — wählen zu können. Dies ist übrigens das entscheidende Argument gegen das ebenso populäre wie vordergründige overkill-Argument.Oberstes Ziel dieser Strategie ist, wie gesagt, die Verhinderung des Krieges, die konkrete, die verläßliche Sicherung des Friedens gegen jedes Kriegsrisiko, sei es konventioneller, sei es nuklearer Art. Konventionelle Mittel allein reichen unter den gegebenen Umständen für eine Friedenssicherung leider nicht aus. Erst die Verkopplung von konventionellen und nuklearen Mitteln stellt sicher, daß jegliche Aggression oder auch nur Erpressung eines NATO-Staates als erfolglos und damit als sinnlos angesehen werden muß. Diese Verkoppelung schützt vor allem die nichtnuklearen Staaten.In Übereinstimmung mit dem geltenden Friedensvölkerrecht liegt für die Bundesregierung die entscheidende Schwelle daher nicht zwischen konventionellem und nuklearem Krieg, sondern zwischen Krieg und Nichtkrieg, zwischen Krieg und Frieden. Die Bundesregierung lehnt — ich sagte schon warum —, jede Verharmlosung konventioneller Kriegführung ab. Sie befindet sich damit auch in voller Übereinstimmung mit dem Deutschen Roten Kreuz und mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. Sie befürchtet, daß ein Verzicht auf die defensive Option des nuklearen Ersteinsatzes, auf die glaubwürdige Ersteinsatzandrohung also, als Mittel der Verteidigung gegenüber einem konventionell vorgetragenen Angriff den konventionellen Krieg wahrscheinlicher machen, das heißt den Frieden gefährden würde.
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1930 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Staatsminister Dr. MertesDer Verfassungsauftrag der Bundesregierung geht dahin, Schaden vom deutschen Volke zu wenden und das Bundesgebiet vor jedem Angriff und vor jeder Erpressung zu schützen. Der verantwortliche Politiker muß sich fragen, wie er in der konkreten Situation, in der wir stehen, diesem Auftrag genügen will. Das Risiko für jeden potentiellen Angreifer muß so hoch sein, daß für ihn keinerlei Aussicht besteht, irgendeinen Vorteil aus einer Aggression zu ziehen, nach deren Beginn dann das humanitäre Kriegsvölkerrecht zu gelten hätte. Diese Abschreckung bleibt für die voraussehbare Zukunft auf Atomwaffen angewiesen. Wir können es bedauern, und ich tue es, aber es ist so. Ein anderes wirksames Mittel, das an ihre Stelle treten könnte, ist noch nicht in Sicht.Was uns bisher an Alternative geboten wird, ist der Übergang vom Dilemma zur Katastrophe, vom Regen in die Traufe. Diese Strategie der Abschrekkung ist — ethisch gesprochen — das Ergebnis einer Güter- und Risikoabwägung oder, besser gesagt, einer Abwägung zwischen dem geringeren und dem größeren Übel. Die Ethik gebietet in einer solchen Lage die Wahl des geringeren Übels.Ich las dieser Tage folgende Äußerung eines jungen Menschen: „Unter neurotischer Angstlosigkeit ist das Verdrängen des Angsteffektes angesichts einer bekannten äußeren Gefahr zu verstehen. Entscheidend ist hier, daß diese neurotische Angstlosigkeit kollektiv vorhanden ist, wodurch diese Angstabwehr als normale und angemessene Reaktion auf die Gefahr erscheint. Dieses kollektive Verdrängen des Angsteffektes findet seine Ursache in der alles Vorstellungsvermögen überschreitenden Entsetzlichkeit der Gefahr."Ich kann diesem sympathischen jungen Mann, dessen Gefühle ich verstehe, nur sagen, daß die moderne Psychoanalyse feststellt: Neurotisch ist der Mensch, der Paradoxien und Dilemmata nicht ertragen kann, der sich nur auf ein Risiko konzentriert, während gleichzeitig ein zweites vorhanden ist.Viele in unserer öffentlichen Meinung sind heute durch eine Vorstellung behext, als ob wir uns auf einer Straße in Richtung auf einen katastrophalen Abgrund zubewegen, nämlich den Abgrund des nuklearen Krieges. Einer, so heißt es, müsse auf dieser Straße doch einmal Schluß machen. Das ist ja auch der Kerngedanke des Buches von Franz Alt. Diese Situationsbeschreibung, dieses Bild ist falsch. Wir bewegen uns auf einer Straße in die Zukunft, an deren rechter Seite der Abgrund, das Risiko der militärischen Selbstvernichtung
und deren anderer Seite der Abgrund, das Risiko der politischen Selbstunterwerfung lauert. Wer nicht beide Risiken und beide Abgründe sieht oder sehen will, der übersieht nicht die volle Wirklichkeit.
Wir haben nicht das Recht, die Wirklichkeit nur zur Hälfte zu sehen. Ich gestehe selbstverständlich jedem zu, die Augen zu schließen, um einen Teil der Wirklichkeit nicht sehen zu müssen. Aber ein altes Sprichwort sagt: „Niemand ist so blind wie der, der nicht sehen will." Meine Kollegen von der Fraktion DIE GRÜNEN, Sie müssen zur Kenntnis nehmen und sie müssen als Demokraten folgendes respektieren: in diesem Hause sitzen viele Kollegen, ja eine Mehrheit des Deutschen Bundestages, die beide Abgründe nach bestem Wissen und Gewissen sehen, und die fordern, daß wir bei der Wahrung des Friedens beide Abgründe vermeiden. Es ist falsch, es ist eine Behexung der öffentlichen Meinung, zu sagen, wir befänden uns auf einer Straße, die unausweichlich in den nuklearen Abgrund führt.
Niemand hat uns bisher nachgewiesen, daß das, was er bietet, eine stärkere Sicherung des Friedens darstellt als das, was wir zu bieten haben und wollen. Die Alternativen, die uns angeraten werden, verstehe ich psychologisch im übrigen. Aber Verständnis und Einverständnis sind sehr verschiedene Dinge. Das heißt: Wenn ich als verantwortlicher Politiker und Verantwortungsträger nach bestem Wissen und Gewissen zu der Erkenntnis komme, daß wir durch die Übernahme dieser Ratschläge von einer schwierigen Situation in eine Katastrophe geraten, dann muß ich diese gutgemeinten Ratschläge eben ablehnen. Wir haben nicht das Recht, die volle Wirklichkeit der beiden Bedrohungen und der beiden Risiken zu übersehen.Es ist — damit wir uns hier nicht mißverstehen — auch nach meinem besten Wissen und Gewissen ein entsetzliches Übel, das das Nordatlantische Bündnis der Gegenseite für den Fall einer Aggression androht, um auf diese Weise Erpressungen, Aggressionen und Friedensbrüchen vorzubeugen. Aber niemand kann doch übersehen, daß der Verzicht darauf, mit einem solchen Übel nur zu drohen, den Eintritt eines anderen Übels gewiß macht, nämlich das Risiko eines schrecklichen konventionellen Krieges — übrigens mit der Möglichkeit schneller Eskalation — oder aber das der schleichenden oder offenen Selbstunterwerfung Westeuropas mit dem daraus entstehenden Risiko eines großen Ost-WestKrieges. Verehrte Kollegen von der Fraktion DIE GRÜNEN: Ich wundere mich immer, mit welcher Chuzpe Sie sich weigern
— lassen Sie mich doch einmal in Ruhe sprechen —, die eigentliche, nämlich politische Natur der auf uns lastenden Bedrohung zu sehen. Sie, die GRÜNEN, militarisieren die Friedensdebatte, indem Sie über die politischen Hintergründe der Problematik fast überhaupt nichts sagen. Diese einseitige Konzentration auf Waffenfragen, diese Militarisierung der Friedensfrage, ist Ihr eigentlicher Denkfehler. Ich habe von Ihnen noch niemals eine auch nur im entfernten zureichende Beschreibung der politischen Ratio der sowjetischen Aufrüstung
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1931
Staatsminister Dr. Mertesgehört. Das, was mich etwas beruhigt, das ist die Tatsache, daß Sie die Sowjetunion und ihre Verbündeten in Ihrer Großen Anfrage als totalitäre Staaten bezeichnen und damit zu erkennen geben, daß vielleicht auch Sie einmal zugeben werden: das eigentliche Problem besteht in der Verbindung von totalitärer politischer Macht und atomarer Vernichtungsfähigkeit. Die Kombination von beidem ist das Problem.
Glaubwürdige Abschreckung muß durch ausgewogene Abrüstung ergänzt werden. Die Positionen der Bundesregierung hierzu sind bekannt. Mit ihren Verbündeten weiß sie sich selbstverständlich einer Politik der ausgewogenen Rüstungsminderung verpflichtet: Erstens, weil die modernen Massenvernichtungswaffen immer mörderischer werden und im Falle eines kriegerischen Konflikts, den wir verhindern wollen, zu unvorstellbaren Katastrophen führen können. Zweitens, weil die Rüstungsanstrengungen Energien und Kosten verschlingen, die den hunger- und notleidenden Menschen der Dritten Welt erheblich plausibler zur Verfügung stehen könnten. Drittens, weil Rüstungsabbau ein Klima des Vertrauens schafft, das der Friedenssicherung dient. Es ist hier leider nicht die genügende Zeit, die Haltung der Bundesregierung in den verschiedenen Gremien, in denen über Rüstungsstopp, Rüstungsminderung und Abrüstung verhandelt wird, noch einmal im einzelnen darzulegen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt auf einen weiteren Fragenbereich eingehen, der in der Großen Anfrage 10/164 der Fraktion DIE GRÜNEN berührt wird. Es handelt sich um die Genfer Zusatzprotokolle von 1977. Diese Zusatzprotokolle sind von der Diplomatischen Konferenz über die Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts in den Jahren 1974 bis 1977 ausgearbeitet worden. Das I. Zusatzprotokoll regelt die internationalen bewaffneten Konflikte, zu denen nach heutigem Verständnis der Staatengemeinschaft auch die Befreiungskriege gehören. Das II. Zusatzprotokoll betrifft Fragen interner Konflikte. Die Bundesregierung hat an der Ausarbeitung der Zusatzprotokolle in engem Einvernehmen mit ihren Verbündeten aktiv mitgewirkt.Die Bundesrepublik Deutschland hat die Zusatzprotokolle am 23. Dezember 1977 unterzeichnet. Seither sind die Zusatzprotokolle Gegenstand weiterer Beratungen und Abstimmung innerhalb des Nordatlantischen Bündnisses gewesen. Die Bundesregierung hat immer wieder gesagt, daß es für die Bundesrepublik Deutschland, auf deren Territorium die Truppen anderer Bündnispartner zu unserer Sicherheit stationiert sind, besonders darauf ankommt, innerhalb der NATO möglichst zu einheitlichen Interpretationen hinsichtlich der Bestimmungen des I. Zusatzprotokolls zu gelangen.In diesen Konsultationen hat sich innerhalb des Bündnisses ein sehr hohes Maß an Übereinstimmung gezeigt. Die Bundesregierung ist demgemäß in der Lage — und sie hat die feste Absicht —, dem Deutschen Bundestag das Zustimmungsgesetz zu den Zusatzprotokollen noch in dieser Legislaturperiode zuzuleiten. Dies kommt auch in der schriftlichen Antwort der Bundesregierung klar zum Ausdruck.Die Bundesregierung hat stets dafür Verständnis gezeigt, ja es begrüßt, daß insbesondere das Deutsche Rote Kreuz kraft seines humanitären Auftrags seit langem beharrlich für die Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch die Bundesrepublik Deutschland eintritt.Lassen Sie mich wegen der Erwartungen, die sich mit der Ratifizierung der Zusatzprotokolle verbinden, mit einigen Bemerkungen abschließen. Die Bundesregierung unterstützt das humanitäre Ziel, den Schutz der Kriegsopfer im Fall eines bewaffneten Konflikts so weit wie irgend möglich zu stärken.Dies darf jedoch nicht zu Abstrichen an der Sicherung des Friedens im Sinn der strikten Einhaltung des Gewaltverbots führen. Es wäre ganz und gar verderblich, wenn der Eindruck entstünde, daß mit der Ratifizierung der Zusatzprotokolle ein bewaffneter Konflikt in Mitteleuropa irgendwie akzeptabler, kalkulierbarer und damit wahrscheinlicher würde. Auch hier muß eine Güterabwägung stattfinden. Demokratie ist ständige Güterabwägung, und in der Demokratie müssen Mehrheit und Minderheit gegenseitig ein unterschiedliches Ergebnis redlicher und sachkundiger Güter- und Risikoabwägung respektieren. Dabei hat auch keine Minderheit das Recht, ihr Ergebnis als das ethisch allein richtige hinzustellen.Auch die humanitären Ideale des Roten Kreuzes stoßen an die Grenzen, die von den Notwendigkeiten der politischen und militärischen Sicherung des Friedens gesetzt werden. Dies hat das Internationale Komitee vom Roten Kreuz erfahren müssen, als es 1957 der 19. internationalen Rot-Kreuz-Konferenz in Neu-Delhi einen Entwurf von Regeln zur Begrenzung der Gefahren für die Zivilbevölkerung in Kriegszeiten vorlegte. Dieser Text wurde damals kühl aufgenommen, da er praktisch zu einem für viele Staaten unannehmbaren Verbot von Kernwaffen geführt hätte. Die Bemühungen des Internationalen Komitees um eine Fortentwicklung des Genfer Rechts von 1949 erlitten damals einen Rückschlag.Zu Beginn der Genfer Konferenz legte das Internationale Komitee einen neuen Entwurf vor, in dessen Erläuterungen es ausdrücklich feststellte, daß — das ist jetzt sehr wichtig — die Probleme im Zusammenhang mit den atomaren, bakteriologischen und chemischen Waffen bereits Gegenstand von internationalen Vereinbarungen oder von Verhandlungen seien und es daher nicht die Absicht habe, diese Frage aufzugreifen. Die USA und Großbritannien wie auch Frankreich haben demgemäß schon während der Genfer Konferenz erklärt, daß die Kampfführungsbestimmungen des I. Zusatzprotokolls, soweit sie über geltendes Gewohnheitsrecht hinausgehen, sich nur auf konventionelle Waffen beziehen. Auch die Sowjetunion hat auf der Genfer Konferenz der einleitenden Erklärung, die
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1932 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Staatsminister Dr. Mertesdas Internationale Komitee des Roten Kreuzes formuliert hatte, ausdrücklich zugestimmt.Bei der Feststellung, daß die vom I. Zusatzprotokoll eingeführten Regeln, die über geltendes Gewohnheitsrecht hinausgehen, nicht in der Absicht aufgestellt worden sind, den Einsatz von Atomwaffen zu beeinflussen, und diesen nicht regeln und verbieten, handelt es sich um eine Interpretation, die sich aus Vorgeschichte und Verlauf der Genfer Konferenz herleitet und die von der Bundesregierung geteilt wird, weil sie rechtlich zutreffend ist und weil die Bundesregierung der konkreten Erhaltung des Friedens den Vorrang einräumen muß.Über dieses Thema steht die Bundesregierung in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens auch im Gespräch mit dem Deutschen Roten Kreuz, dessen Präsident unser von uns allen geschätzter ehemaliger Kollege im Deutschen Bundestag Botho Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein ist.Das gleiche gilt für unser Verhältnis zum Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, dessen Präsident Alexandre Hay erst kürzlich in Bonn war, wobei der Bundesaußenminister und ich Gelegenheit zu ausführlichen Gesprächen mit Präsident Hay — auch über das humanitäre Kriegsvölkerrecht und über unsere Probleme der Sicherung des Friedens — hatten.Die Bundesregierung will das Zustimmungsverfahren zu den Zusatzprotokollen keineswegs deshalb einleiten, weil sie etwa mit einem Krieg in Mitteleuropa rechnet. Sie vertraut darauf, daß die Strategie der Sicherung des Friedens und unserer Freiheit in Europa, die diesem Kontinent seit nunmehr bald vier Jahrzehnten einen Konflikt erspart hat, auch weiterhin ihre friedenerhaltende und friedenstiftende Kraft behalten wird.Es ist aber eine traurige Realität, daß es in unserer heutigen Welt zahlreiche konventionelle Konflikte gibt, in denen es dringend notwendig ist, das Bewußtsein von der Bedeutung des humanitären Kriegsvölkerrechts zu stärken. Ich möchte hierzu den Generalsekretär der Vereinten Nationen zitieren, der in seinem Bericht an die gerade begonnene Generalversammlung der Vereinten Nationen u. a. folgendes sagt:Die Situation in bezug auf konventionelle Waffen ist eine Quelle steigender Besorgnis. Es ist nötig, sich vor Augen zu halten, daß die vielen Millionen Kriegstoten nach Hiroshima und Nagasaki alle durch konventionelle Waffen umgekommen sind.Deshalb wird die Ratifizierung der Zusatzprotokolle durch die Bundesrepublik Deutschland nicht zuletzt dem Ziel einer weltweiten Stärkung des Bewußtseins von der aktuellen Bedeutung des humanitären Kriegsvölkerrechts dienen.Vergessen wir nicht: Während in Europa seit annähernd vier Jahrzehnten Frieden herrscht, Frieden als Nicht-Krieg, leider noch nicht Frieden als gerechte Ordnung, wurden in anderen Kontinenten über hundert blutige militärische Konflikte ausgetragen. Dies zeigt, wie gefährdet der Friede ungeachtet des Primats des absoluten Gewaltverbots des Friedensvölkerrechts auch heute noch ist.Der Friede, meine Damen und Herren, auf unserem Kontinent ist keine Selbstverständlichkeit, die uns in den Schoß fällt. Zur Erhaltung des Friedens im Sinne eines umfassenden Ausgleichs zwischen den Völkern und Staaten bedarf es vielmehr unser aller Anstrengungen. Friede, das ist nicht nur verläßliche Friedenserhaltung gegen jede Art von Krieg; Friede, das ist auch fortschreitende Friedensgestaltung gemäß den Normen der Menschenrechte und des Völkerrechts. — Ich danke Ihnen.
Das Wort zur Aussprache hat der Abgeordnete Voigt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beiden Protokolle stellen eine bedeutsame Weiterentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts dar. Wir Sozialdemokraten sind deshalb der Meinung, daß der Ratifizierungsvorgang gemäß Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes unverzüglich einzuleiten ist. Wir sind auch der Meinung, daß wir als Deutsche auf Grund unserer eigenen Geschichte eine besondere Verantwortung dafür haben, daß sich dieses Kriegsvölkerrecht weltweit durchsetzt und daß es beachtet wird.Unserer Auffassung nach hat die Bundesregierung einen großen Teil der Fragen unzureichend beantwortet. Einige Fragen sind inhaltlich überhaupt nicht beantwortet worden. Diese Praxis der Bundesregierung stellt nicht nur eine Mißachtung des Parlaments dar, sondern auch derjenigen Bürger, die außerhalb des Parlaments ähnliche Fragen stellen.
Insbesondere die Fragen nach den Folgen eines Einsatzes von atomaren Waffen sind nicht beantwortet worden, und dies ist auch Ausdruck einer politischen Absicht, die Wirkung, die Folgen eines Einsatzes politisch in der Diskussion zu verharmlosen.Die Bundesregierung hat es außerdem versäumt, sich im Zusammenhang mit der Beantwortung der Fragen mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß Nuklearwaffen nicht einfach eine Weiterentwicklung von konventionellen Waffen sind, sondern daß mit ihrer Entwicklung in der Geschichte der Menschheit eine grundsätzliche Veränderung der sicherheitspolitischen Situation und auch der völkerrechtlichen Situation auf lange Sicht eingetreten ist. Erstmals kann die Menschheit sich selber vernichten. Dies ist ein qualitativ neuer Schritt in der Geschichte der Menschheit.Herr Minister Mertes, Sie haben in diesem Zusammenhang den politischen Charakter der Entwicklung der neuen Waffentechnologie Nuklearwaffen nicht analysiert und selber nicht dargelegt. Sie gehen davon aus, daß die Bedrohung mit solchen Waffen und die hinter dieser Drohung stehende Absicht die ausschließliche Gefahr sei. Mei-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1933
Voigt
ner Meinung nach aber ist die Waffe selber bereits eine Gefahr.
Man kann doch nicht davon ausgehen, daß Waffentechnologien etwas Ursprüngliches, Bestandteil einer gottgewollten Schöpfung seien. Sie sind vom Menschen geschaffen. Sie sind Produkt menschlicher Schöpfung. Sie sind deshalb selber schon in ihrer Entwicklung und ihrer Produktion Ausdruck von Politik. Sie sind der verdinglichte Ausdruck zwischenmenschlicher und zwischenstaatlicher Aggressivität.
Aus diesem Grunde muß man auch die Waffen abschaffen und nicht nur die hinter den Waffen stehenden politischen Absichten zurückweisen.Diese politische Dimension der Waffen haben Sie insbesondere im Zusammenhang mit den Nuklearwaffen unterschlagen, weshalb Sie auch zu einer Fehleinschätzung in bezug auf die Schwelle zwischen nuklearen und konventionellen Waffen kommen. Wir teilen Ihre Auffassung, daß die entscheidende Schwelle zwischen Krieg und Frieden liegt, aber wir teilen nicht Ihre Auffassung, daß es keine weitere entscheidende Schwelle zwischen dem Einsatz konventioneller und dem Einsatz nuklearer Waffen gibt. Dies ist ein prinzipieller Schritt, dies ist ein qualitativer Schritt, der nicht verharmlost werden darf. Vom Einsatz konventioneller Waffen zum Einsatz nuklearer Waffen darf es keinen gleitenden Übergang geben. Hier muß es sowohl rechtlich als auch politisch eine scharfe Grenze geben.Weil es diese scharfe Grenze geben muß, hat das auch Konsequenzen für das Kriegsvölkerrecht. Sie selber sagen in Ihrer Rede, es sei Bestandteil des Kriegsvölkerrechts, daß auch bei der Verteidigung zwischen dem Angriff auf militärische Ziele und dem Angriff auf zivile Objekte unterschieden werden muß und daß auch derjenige, der sich verteidigt, nicht die Zivilbevölkerung als solche angreifen darf. Nun ist aber das Paradoxon gerade bei der Entwicklung von Nuklearwaffen, daß eine solche Unterscheidung bei der Anwendung von Nuklearwaffen so gut wie nicht mehr möglich ist. Das heißt: Angesichts der Nuklearwaffen ist das Kriegsvölkerrecht in seiner humanisierenden Absicht selber an eine Grenze gestoßen. Der Einsatz der Nuklearwaffen kann nicht mehr humanisiert werden, weil er selber schon einen inhumanen Akt darstellt.
Der Besitz von Nuklearwaffen ist nur noch als Mittel zu rechtfertigen, um den Einsatz von Nuklearwaffen und von jeglichen Waffen abzuwehren, von ihm abzuschrecken. Hier ist es nicht unsere Aufgabe, uns darauf zu beschränken und zu sagen: Wir müssen mit diesem Paradoxon leben, sondern verantwortliche Politik muß in diesem Zusammenhang heißen: dieses Paradoxon durch friedensgestaltende Politik schrittweise zu überwinden. Wer diese Perspektive nicht hat und nicht Vorschläge dafür entwickelt, handelt meiner Auffassung nach politisch unverantwortlich.Welche Vorschläge gibt es dafür? Es gibt Vorschläge für eine Veränderung der Militärstrategie. Helmut Schmidt hat in den letzten Tagen bei einem Vortrag an der Bundeswehrhochschule in Hamburg gesagt — —
— Das kommt auch noch. — Er sagte — ich zitiere —:Ich wage die Vorhersage, daß die Vorstellung eines Erstgebrauchs nuklearer Waffen gegen einen konventionellen Angriff im Verlauf der 80er Jahre mehr und mehr als unangemessen und sogar als unakzeptabel angesehen werden wird. Wir werden also Mittel benötigen, um feindliche Angriffe je nach deren Art abzuschrecken.Diese Aussage von Helmut Schmidt in bezug auf die Weiterentwicklung der militärischen Strategie weist eine Perspektive auf, die in der Antwort der Bundesregierung vermißt werden muß.Darüber hinaus sind Konsequenzen für die Abrüstungspolitik und die Rüstungskontrollpolitik zu ziehen. Sie haben zwar darauf hingewiesen, aber sie haben daraus keine genügenden Konsequenzen gezogen. Unserer Meinung nach bedeutet das für die jetzt anstehenden Genfer Verhandlungen, daß man einen Vorrang für Verhandlungslösungen auch durch die Art seiner Vorschläge für die Verhandlungen demonstrieren muß. Bundesaußenminister Genscher hat gestern gesagt, was er mit Außenminister Gromyko zu besprechen beabsichtigt.Wir möchten ihm mit auf den Weg geben, daß er dort endlich den Vorschlag macht — und seine Bereitschaft erklärt —, daß der Westen auch dann bereit ist, auf eine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenwaffen zu verzichten, wenn die Sowjetunion ihre Mittelstreckenwaffen, ihre SS 20, drastisch reduziert.Bundesaußenminister Genscher sollte nicht nur die Sowjetunion zur Beweglichkeit auffordern, sondern er sollte auch selber Beweglichkeit zeigen, insbesondere in der Frage der britischen und französischen Systeme. Wenn er die sowjetische Forderung zurückweist, diese Systeme sollten bei den Genfer INF-Verhandlungen gezählt werden, sollte er sagen, wo und wie sie sonst gezählt und berücksichtigt werden sollen. Ohne eine solche verbindliche Erklärung im Rahmen dieser Gespräche — dies muß man sagen — blockiert nicht nur die Sowjetunion durch ihre Forderungen in bezug auf die INF-Verhandlungen, sondern auch Herr Genscher durch seine Sturheit weiterhin die Verhandlungen.Zuletzt sollte Bundesaußenminister Genscher den sowjetischen Außenminister Gromyko bei seinen Gesprächen mit ihm fragen, ob die Sowjetunion im Sinne der Andropow-Vorschläge, in denen sie ja zum Ausdruck gebracht hat, daß sie zur Reduzierung von SS 20 bereit ist, für den Fall einer Ver-
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1934 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Voigt
schiebung des westlichen Stationierungstermins auch bereit ist, die Zahl ihrer SS 20 schrittweise zu verringern. Sollte sie dazu bereit sein, gäbe es nach unserer Auffassung keinen Grund, von westlicher Seite nicht auf eine Verschiebung des Termins einzugehen, um mehr Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Dazu sollten wir dann unsererseits bereit sein.Über diese konkreten Fragen der Genfer Verhandlungen hinaus muß die Entwicklung von Nuklearwaffen angesichts der daraus sich ableitenden wechselseitigen Vernichtungsdrohung aber auch einen anderen politischen Umgang mit dem potentiellen militärischen Gegner zur Konsequenz haben. Die Risiken der Abschreckung sind zu groß, als daß sie dauerhaft zur Friedensbewahrung ausreichen können. Wir können nicht dauerhaft mit diesem Paradoxon leben. Wir können nicht das tun, was Herr Staatsminister Mertes uns hier empfohlen hat, nämlich uns damit abfinden, daß wir damit zu leben haben. Wir müssen dazu beitragen, daß wir durch einen anderen politischen Umgang mit einem potentiellen Gegner dieses Paradoxon überwinden. Das ist das, was wir als Sicherheitspartnerschaft bezeichnen. Übrigens hat die FDP noch im vergangenen Jahr im Göppinger Papier am 27. Februar 1982 selber gesagt — ich zitiere —:Eine Abschreckungsstrategie, die auf der Drohung gegenseitiger Vernichtung beruht und stets das Risiko von Rüstungswettlauf und Instabilität enthält, kann aber dauerhaft Sicherheit nicht garantieren.
Wenn das so ist, muß man in seiner Praxis auch dazu beitragen, daß man diesen Zustand der potentiellen Instabilität und der Verursachung des Rüstungswettlaufes auch durch das System wechselseitiger Abschreckung überwindet.Wir bedauern, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Fragen auf die Problematik der nuklearen Abschreckung überhaupt nicht eingegangen ist, daß sie die Risiken nicht beschrieben hat und keine Perspektive zur Überwindung dieser Risiken dargelegt hat, sondern die Nuklearwaffen so behandelt hat, als seien sie Waffen herkömmlicher Art, daß sie den qualitativen Unterschied zwischen Nuklearwaffen und konventionellen Waffen hier in der Debatte sogar zu verwischen versucht hat. Wer diesen qualitativen Unterschied nicht sieht, der ist auch nicht in der Lage, daraus die notwendigen politischen Konsequenzen, nämlich die Konsequenzen zur Überwindung der Risiken der nuklearen Bedrohung abzuleiten. Wir hoffen, daß die folgenden Redner der CDU/CSU wenigstens versuchen, darauf noch näher einzugehen. Sollten sie das nicht versuchen, werden sie auch in der Debatte über das Kriegsvölkerrecht nicht in der Lage sein, die Kriegsgefahren, die nicht mit dem Kriegsvölkerrecht selber zu beheben sind, und die inhumanen Folgen, die eine Anwendung von modernen Waffensystemen hat, selber mit einer politischen Perspektive zu überwinden. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die 10. Sondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die 1978 zum Thema Abrüstung abgehalten wurde, kam in § 47 ihres Schlußdokuments zu folgender Feststellung:Die Kernwaffen stellen die größte Gefahr für die Menschheit und das Überleben unserer Kulturen dar.Ferner heißt es in dem von der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen und im Jahre 1980 veröffentlichten Bericht einer umfassenden Untersuchung über Kernwaffen, den namhafte Experten aus verschiedenen Ländern erarbeitet haben — ich zitiere —:Die Vorstellung, den Frieden, die Stabilität und das Gleichgewicht in der Welt durch die Fortdauer der Abschreckung bewahren zu können, ist vielleicht der gefährlichste kollektive Irrtum, der heute existiert.Der Bericht fährt fort:Der Bericht hat im einzelnen das massive und tödliche Ausmaß der bereits existierenden Kernwaffen und ihre tägliche Zuwachsrate dargestellt. Er hat die überaus verheerenden Auswirkungen und Folgen beim Einsatz auch nur eines Bruchteils dieser riesigen Vorräte aufgezeigt. Der Bericht hat ferner die sogenannten taktischen Kernwaffen mit ihren zerstörerischen Wirkungen beschrieben und betont, daß schon der Einsatz einer einzigen dieser Waffen zum unmittelbaren und unausweichlichen Beginn eines totalen nuklearen Holocausts werden könnte. Der Bericht hat versucht, die gegenwärtig bestehenden Kontrollsysteme zu erörtern, doch hat er sich nicht von deren vollen Wirksamkeit überzeugen können trotz des hohen Entwicklungsgrades, der diesen Systemen von ihren Besitzern zugeschrieben wird.Der Bericht kommt zu der Feststellung:Solange wir uns darauf verlassen werden, daß das Konzept des Gleichgewichts nuklearer Abschreckung ein Mittel zur Aufrechterhaltung des Friedens ist, solange sind unsere Aussichten für die Zukunft dunkel und bedrohlich und so unsicher wie die brüchigen Annahmen, auf denen sie beruhen.Soweit das Zitat aus diesem Bericht.In der Resolution Nr. 1/653 erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen, daß — ich zitiere —die Anwendung von nuklearen und thermonuklearen Waffen sogar den Rahmen eines Krieges sprengen und der Menschheit sowie der Zivilisation massenhaft Leiden und Zerstörungen zufügen würde und aus diesem Grunde— Herr Mertes, ich fahre in dem Zitat fort —den Normen des Völkerrechts und den Gesetzen der Menschlichkeit widerspricht.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1935
SchilyEs ist an der Zeit, daß der Deutsche Bundestag im Raketenherbst 1983 diese Feststellungen einmal zur Kenntnis nimmt und daraus die notwendigen Konsequenzen zieht, wenn er nicht in die Geschichte als die deutsche Bundesnacht, vielleicht richtiger: als die deutsche Bundesumnachtung eingehen will.
Wir haben der Bundesregierung Mitte Juni dieses Jahres mehrere Große Anfragen vorgelegt, um ihr Gelegenheit zur Überprüfung zu geben, ob ihre Politik mit den Geboten und Verboten des Völker- und Verfassungsrechts in Einklang zu bringen ist. Die Antworten, die die Bundesregierung nach nahezu vier Monaten zustande gebracht hat — ich kann jedem nur empfehlen, das einmal nachzulesen —, sind in ihrer Kärglichkeit, Windigkeit und Völkerrechts- und Verfassungsfremdheit ein schlimmes Dokument nicht nur der Mißachtung des Rechts parlamentarischer Kontrolle, sondern zugleich eines gestörten Verhältnisses zur Friedensstaatlichkeit unserer Verfassung, Herr Staatsminister Mertes.
In aller Schärfe tritt die Weigerung der Bundesregierung, auf die in den Großen Anfragen enthaltenen einzelnen Fragen ernsthaft einzugehen, in der Antwort auf Frage 8.1 zum Thema Vergeltung hervor, Drucksache 10/164: „Kriegsvölkerrechtliche Verträge". Dort war gefragt worden:Inwieweit erachtet die Bundesregierung es als rechtlich vertretbar, daß die von der NATO praktizierte atomare Abschreckung die Zivilbevölkerung der Länder des Warschauer Paktes mit der Vergeltung für politische Fehler ihrer totalitären Regierungen bedroht, obwohl diese Zivilbevölkerung ihre Regierungen weder wählen noch abwählen kann?Herr Mertes, Sie haben das ja offenbar gelesen. Der Sinn der Frage dürfte verständlich sein: Darf die Zivilbevölkerung der Länder des Warschauer Pakts als Geiseln genommen und im sogenannten Ernstfall massenweise umgebracht werden, obwohl die Zivilbevölkerung auf das Verhalten bzw. Fehlverhalten ihrer Regierungen keinen Einfluß ausüben kann?Was antwortet die Bundesregierung? Ich zitiere:Die Strategie des Nordatlantischen Bündnisses ist nicht in einer Weise begrenzt, daß die Regierung— die Regierung! —eines etwaigen Gegners darauf rechnen könnte, vor den Folgen einer bewaffneten Aggression gegen das Nordatlantische Bündnis wegen der inneren Verhältnisse in dem betreffenden Lande geschützt zu sein.Die Regierung kann nicht darauf rechnen, geschützt zu sein!Wir wissen, daß Regierungen auf Regierungen fixiert sind. Es mag sein, daß ihnen deshalb auch nur in den Sinn kommt, ob eine Regierung im Falle eines Atomwaffeneinsatzes Schaden nimmt.
Aber wir, die GRÜNEN, interessieren uns — das sage ich Ihnen, Herr Staatsminister Mertes — weniger für Regierungen als für das Volk. Wir haben nach dem Schicksal von wehrlosen Frauen, Männern, Kindern und Greisen gefragt, die bei einem nuklearen Inferno ermordet werden, und nicht nach dem Schicksal irgendwelcher Regierungen.
Daß eine Regierung eine Frage so gründlich mißverstehen kann, ist entweder ein Zeichen für einen weit fortgeschrittenen Prozeß der politischen Umnachtung oder purer Zynismus.
Hören Sie doch endlich auf, meine Damen und Herren von der CDU, von den „Brüdern und Schwestern im Osten" zu schwätzen, wenn deren Gefährdung durch eine globale atomare Geiselnahme auch mittels einer klaren Fragestellung nicht in Ihr Bewußtsein vordringen kann!Wir haben die Bundesregierung gefragt, ob sie die Feststellung der GRÜNEN bestätigen oder widerlegen kann, daß Atomwaffeneinsätze unterschiedslos in dem Sinne sind, daß sie keine Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Personen zulassen, und erhalten die lakonische Auskunft, daß die Frage der unterschiedslosen Wirkung einer Waffe von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhänge.Meine Herren von der Regierung, was sind denn die konkreten Umstände des Einzelfalls? Wir haben gehört, daß einige von Ihnen es nicht lieben, Akten zu lesen, aber vielleicht läßt Ihnen das Zeit, einmal das „Spiegel"-Buch „Naturwissenschaftler gegen Atomrüstung" in die Hand zu nehmen. Sie könnten dort und in vielen anderen Veröffentlichungen nachlesen, zu welchen verheerenden Auswirkungen jeder, aber auch jeder Atomwaffeneinsatz in dichtbesiedelten Gebieten wie der Bundesrepublik führen würde.Aber vermutlich hat sich die Bundesregierung deshalb um eine klare Antwort gedrückt, weil sie weiß, daß das von der Bundesrepublik unterzeichnete Zusatzprotokoll I von 1977 zu dem Genfer Abkommen vom 12. August 1948 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte in Art. 51 unterschiedslose Angriffe verbietet. Unterschiedslose Angriffe sind u. a. solche, bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften des Protokolls begrenzt werden können und die daher in jedem dieser Fälle militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos treffen können.Daß dies bei atomaren Massenvernichtungsmitteln der Fall ist, ist wohl unbestreitbar.
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1936 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
SchilyVermutlich war es die Kenntnis dieser Vorschriften, die die Bundesregierung über Jahre zögern ließ, das Genfer Abkommen von 1977 zur Ratifizierung vorzulegen. Wir mußten erst vorangehen, um bei Ihnen dieses Abkommen wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Ungerührt und ohne jede Begründung behauptet die Bundesregierung, es bestehe kein vertragliches oder gewohnheitsrechtliches Verbot des Ersteinsatzes von Atomwaffen. Der Einsatz von Atomwaffen wie der Einsatz jeder anderen Waffe sei völkerrechtlich in Ausübung des naturgegebenen Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff entsprechend Art. 51 der UNO-Charta zulässig.Die Bundesregierung behauptet ferner, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kriegsrecht nicht zur Folge hat, daß jeder Einsatz von Atomwaffen oder ihr Einsatz als Mittel der Verteidigung gegenüber einem konventionell geführten Angriff verboten wäre. So sagt sie, jeder einzelne Waffeneinsatz sei vielmehr nach seinen konkreten Umständen — wiederum dieses Wort — zu beurteilen.Aber die Bundesregierung weiß immerhin, wie ihre Antwort auf Frage 7.2 beweist, daß atomare Waffen Massenvernichtungsmittel sind. Massenvernichtungsmittel sind sie nicht nur im Sprachgebrauch der Vereinten Nationen, sondern auch in der Begriffsbestimmung der Anlage I zum Protokoll III der Pariser Verträge vom 23. Oktober 1954 und der Anlage zu § 1 des Ausführungsgesetzes zu Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes, der sogenannten Kriegswaffenliste. Massenvernichtungsmittel bzw. Atomwaffen sind dort definiert als Waffen, deren bestimmungsgemäße Verwendung „Massenzerstörungen, Massenschäden oder Massenvergiftungen hervorrufen können". Seltsamerweise sind Massentötungen nicht ausdrücklich und Massenvergiftungen als letzte aufgeführt.Die Bundesregierung ist entsprechend ihrer Antwort zu den Fragen 11 und 12 der allgemeine Völkerrechtsgrundsatz bekannt, daß Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche, gleich, mit welcher Waffe, stets verboten sind. Der Einsatz atomarer Massenvernichtungsmittel ist aber immer ein Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", Ausgabe vom 19. Januar 1983, hat die französische Atomstreitmacht mit Recht als eine Antistädtewaffe bezeichnet. Sie solle nicht die Waffensysteme und Truppen eines Gegners ausschalten, sie solle den Nerv des feindlichen Landes, seine Führungszentren treffen.
Sie ziele auf Menschenanballungen in Großstädten. Sind das nicht Angriffe gegen die Zivilbevölkerung als solche? Gleiches gilt für alle Atomwaffen.Meine Damen und Herren Kollegen, bedarf es denn wirklich komplizierter juristischer Überlegungen und Verrenkungen, um zu erkennen, daß der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln gegen Millionen Menschen, gegen wehrlose Völker, daß dieHerbeiführung eines atomaren Infernos nicht Recht, nicht Völkerrecht, nicht Verfassungsrecht sein kann?
Wie verdorrt ist denn Ihr Rechtsbewußtsein! Welche Verblendung, welche Besessenheit ist am Werke, daß Sie nicht zu erkennen vermögen,
daß weder die Natur noch irgendeine andere Instanz — um keinen Preis — irgendeinem Menschen das Recht gibt, das unvorstellbare Grauen eines Atomkrieges, das in den gigantischen Arsenalen der Supermächte lauert, in Gang zu setzen! Was heißt Verteidigung, wenn nach der sogenannten Verteidigung Europa für immer verwüstet, seine Völker ermordet und die Geschichte an ihr Ende gelangt sein werden? Oder kalkulieren Sie wie der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, George Bush, der es als Erfolg betrachten würde, wenn deutlich mehr als fünf Prozent der Bevölkerung der Siegermacht überlebten?Was sind das für kriminelle Kalküle? Was suchen Sie nach Verträgen? Glauben Sie, irgendein Stück Papier könnte Sie ermächtigen, mit atomaren Massenvernichtungsmitteln die Völker Europas auszulöschen? Ist Mord nur dann ein Verbrechen, wenn das in einem Strafgesetzbuch in § 211 nachzulesen ist?
— § 211.
Verteidigung hat etwas mit Notwehr zu tun. Ich kann einer Not nur wehren, wenn die Not durch die angewandten Mittel nicht größer wird als zuvor. Ein militärisches Konzept, das die Bereitschaft voraussetzt, im sogenannten Ernstfall das eigene Volk der sicheren Vernichtung auszuliefern und zugleich an fremden Völkern Vergeltung zu üben, hat mit Verteidigung nichts zu tun.Der Einsatz von atomaren Massenvernichtungsmitteln kann daher unter keinen Umständen gerechtfertigt sein, weder unter kapitalistischen noch unter sozialistischen Vorzeichen. Wir bekräftigen die Nürnberger Erklärung, die lautet: Jeder Einsatz sowie jede Androhung des Einsatzes von atomaren, biologischen und chemischen Waffen ist völkerrechtswidrig und verbrecherisch. Ich freue mich, daß diese Erklärung sowohl sowjetische als auch Bürger der Vereinigten Staaten unterzeichnet haben.
Eine Regierung, die diese Prinzipien mißachtet, die atomare Selbstschußanlagen auf dem Territorium der Bundesrepublik installieren lassen will, gibt die Friedensstaatlichkeit in unserer Verfassung auf. Sie liefert sich mindestens fahrlässig den Supermachtinteressen der gegenwärtigen Regierung der Vereinigten Staaten aus. Diese Supermachtinteressen streben nach der Option eines be-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1937
Schilygrenzbaren, verlängerbaren und gewinnbaren Atomkrieges.
Versuchen Sie nicht, Ihr Gewissen mit dem Scheinargument zu beruhigen, die atomare Abschreckung habe 35 Jahre den Frieden gesichert!
Dieser Satz ist, auf die Vergangenheit bezogen, so wenig beweisbar wie sein Gegenteil.Was sagt Carl Friedrich von Weizsäcker? Die Atombomben erfüllen ihren Zweck,— nach Ihrem Verständnis, Herr Staatsminister Mertes —den Frieden und die Freiheit zu schützen, nur, wenn sie nie fallen. Sie erfüllen diesen Zweck aber nicht,— hören Sie das erst mal zu Ende —wenn jedermann weiß, daß sie nie fallen werden. Eben deshalb besteht die Gefahr, daß sie eines Tages wirklich fallen.So sagt Carl Friedrich von Weizsäcker.Sicher ist: Die 35 Jahre Frieden in Europa beweisen nichts für die Zukunft.
Wieviel Jahrzehnte Frieden in Europa mündeten in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges? Unterstellt, die Politik der Abschreckung hätte uns 35 Jahre Frieden in Europa verschafft;
sie wären nichts wert, aber auch gar nichts, Herr Kollege, wenn sie im 36. Jahr im atomaren Holocaust enden.
Wir Deutsche sollten eine Lektion in diesem Jahrhundert wahrlich gelernt haben: daß die Militarisierung des Denkens, daß die Militarisierung der Politik nur ins Unheil führen kann.
Wir müssen daher den Mut zu einer neuen blockfreien Politik aufbringen. Besinnen wir uns auf die politischen Elemente der Sicherheit, setzen wir auf Anfreundung statt auf Abschreckung, verabschieden wir die Blocklogik, und verbünden wir uns mit den Völkern West- und Osteuropas zur Europäisierung Europas, so wie es jüngst der ungarische Schriftsteller György Konrad in einem bemerkenswerten Aufsatz ausgeführt hat: Manche versuchen, uns anzuschwärzen und streuen den Verdacht aus,wir wollten den alten deutschen Nationalstaat neu beleben. Solche Verdächtigungen kommen meist von Gruppierungen, die am liebsten wieder die erste Strophe des Deutschlandliedes anstimmen würden.
Ihnen sei mit den Worten eines bekannten deutschen Schriftstellers gesagt:„Nein, Deutschland steht nicht über allem und ist nicht über allem — niemals. Aber mit allen soll es sein, unser Land. Ja, wir lieben dieses Land ... Es ist ja nicht wahr, daß jene, die sich „national" nennen und nichts sind als bürgerlich-militärisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock noch der Oberstudienrat, noch die Herren und Damen des Stahlhelm allein sind Deutschland.
Wir sind auch noch da.Wir pfeifen auf die Fahnen — aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln — mit dem gleichen Recht, mit genau dem gleichen Recht nehmen wir, die wir hier geboren sind, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel, mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: Es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen — weil wir es lieben. Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir."Diese Worte schrieb Kurt Tucholsky im Jahre 1925. Sie sind ein Vermächtnis für uns. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schäfer .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede des Herrn Kollegen Schily veranlaßt mich natürlich, über den Unterschied zwischen Theorie und Praxis zu sprechen und dazu aufzurufen, solche Horrorvisionen, die Sie hier im Gegensatz zu den Versuchen der Regierung, der sie tragenden Parteien und der Opposition, der SPD, malen, gar nicht erst zustande kommen zu lassen.
Sie haben hier heute das böse Wort von einem „Raketenherbst" gebraucht. Damit betreiben Sie doch genau das, was Sie der Regierung beschwörenderweise vorhalten, nämlich verständliche und auch für uns sehr ernst zu nehmende Emotionen zu wecken, die Sie dann gegen diesen Staat und gegen diese Regierung hochpeitschen, um damit zu einem
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1938 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Schäfer
inneren Unfrieden zu kommen, der die Situation mit Sicherheit nicht verbessern wird, Herr Schily.
Sie haben hier für „Bundestag" das Wort „Bundesnacht" gebraucht. Gut, das ist ein ganz nettes Wortspiel. Ich kann dazu aber nur sagen: Wir haben uns hier seit Jahren bemüht, in der Friedenspolitik weiterzukommen. Gerade Ihr Kollege Vogt — er ist heute morgen zufällig nicht da — war noch vorgestern mit uns in Moskau und vor drei Wochen mit uns in Washington. Er war dort genau wie wir — die Kollegen aus der SPD, der CDU/CSU und der FDP — bemüht, Wege zu finden, um von der atomaren Rüstung wegzukommen. Herr Schily, Sie können doch nicht so tun, als ginge es hier allein um die Verantwortung des Westens oder dieser Bundesregierung oder der früheren Bundesregierung, die ja für den NATO-Doppelbeschluß verantwortlich zeichnet, und als hätten wir zu dieser Verschlimmerung der Lage beigetragen.Sie können sich auch nicht allein auf Protokolle, Zusatzprotokolle oder irgendwelche Erklärungen irgendwelcher Personen berufen. Das tun Sie mit Vorliebe in Ihrem Grünen Buch; ich habe es mir gestern abend zu Gemüte geführt. Darin zitieren Sie immer Colin S. Gray. Zitieren Sie doch um Himmels willen auch einmal andere Amerikaner, die ganz andere Auffassungen vertreten! Und trennen Sie doch bitte einmal zwischen Rhetorik in den Vereinigten Staaten und den Realitäten! Da muß man doch wirklich zu dem Ergebnis kommen, daß die Aussagen unterschiedlich zu bewerten sind. Ich gebe Ihnen gegenüber allerdings zu, daß manchmal unsinnige Reden geführt worden sind, auch in den Vereinigten Staaten. Ich identifiziere mich auch nicht mit jedem Wort des Präsidenten Reagan. Aber Sie müssen doch auch die Praxis sehen, die Bemühungen dieses Landes, mit der Sowjetunion zu Ergebnissen zu kommen.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Herr Kollege, meinen Sie, daß die Persönlichkeiten aus Australien, Kanada, Pakistan, Schweden und vielen anderen Ländern, die die UNO-Studie zu Kernwaffen als Experten unterschrieben haben, „irgendwelche Personen" sind?
Ich habe mich mit den Worten „irgendwelche Personen" auf andere Äußerungen bezogen sowie auf das Sammelsurium von Zitaten, das man von Ihnen gewohnt ist, wenn es darum geht, Ihre eigenen Thesen zu untermauern. Ich denke an Ihr Grünes Buch.Ich meine aber auch: Berichte, Protokolle und Visionen, die hier beschworen werden, helfen nicht weiter. Wir müssen doch zu Ergebnissen kommen. Wir müssen praktische Politik machen. Um die geht es hier. Es genügt nicht, sich in Abstrakta zu verlieren, wie Sie das in Ihrer Rede wieder getan haben. Das führt einfach nicht weiter!Wir stimmen darin überein — Herr Schily, da gibt es doch keinen Gegensatz, und davon brauchen Sie uns doch nicht zu überzeugen —, daß ein Atomkrieg etwas so Grauenhaftes ist, daß man sich ihn nicht denken kann
und daß am Ende von Abrüstungsbemühungen nach Möglichkeit das Ergebnis „keine Atomwaffen mehr" stehen muß. Aber Sie können doch nicht sagen, bei uns findet das alles nicht statt, und bei den anderen nehmen wir halt zur Kenntnis, daß es irgendwie weitergeht. So geht keine Politik!So müssen wir uns leidenschaftlich dagegen verwahren, daß wir so hingestellt werden, als würden wir mit dem overkill leben wollen, als machte das alles uns gar nichts aus, als wäre das alles für uns nur vordergründige Politik. Dabei bemühen wir uns— auch Ihre Leute, Herr Schily — jeden Tag darum, zu Ergebnissen zu kommen.
— Die UNO-Studie, auch wenn sie in ihrer Deutlichkeit, mit der sie die Folgen eines atomaren Krieges aufzeigt, noch so richtig ist, beendet doch damit nicht die Debatte darüber, wie wir — worum es in der praktischen Politik geht — von der atomaren Rüstung wegkommen. Herr Schily, ich versuche doch nur, Ihnen deutlich zu machen, daß angesichts des Unterschiedes zwischen den hehren Forderungen, von der atomaren Rüstung wegzukommen, und dem weiten Weg, den es dorthin noch zu gehen gilt, hier einfach auch praktische Momente erörtert werden müssen, denn zu Ergebnissen kommen wir nicht durch das Beschwören furchtbarer Horrorvisionen, sondern wir können nur durch praktische Politik etwas erreichen.Darf ich dazu einiges sagen: Herr Ponomarjow, der Gesprächspartner, mit dem wir in den letzten Tagen in Moskau verhandelten, sagt z. B. zu Recht, er verstünde eigentlich nicht, weshalb Länder zunächst Atomraketen aufstellten, um dann anzukündigen, sie wollten sie anschließend wieder abbauen. Ich habe ihm dann die Frage gestellt: Herr Ponomarjow, trifft das z. B. nicht gerade für die SS 20 zu, die Sie aufgestellt haben und von denen Sie jetzt sagen, Sie wollten sie allmählich reduzieren? Die Frage bleibt doch: Warum wurden sie denn aufgestellt?
Das ist doch die entscheidende Frage, auf die wir bis zur Stunde keine Antwort haben. Ich würde sogar so weit gehen, zu unterstellen, daß diese Raketen nicht aufgestellt wurden, um einen atomaren Krieg zu führen, sondern aufgestellt worden sind, um politisch Wirkungen zu erzeugen. Diese Wirkungen haben sie schon erzeugt, was auch in Ihrer Rede, Herr Schily, heute wieder deutlich geworden ist.Wir tun ständig so, als würde erst die noch nicht erfolgte Aufstellung von Pershing-Raketen dazu
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führen, daß sich die Lage in Europa dramatisch verschlechtert. Aber sie hat sich in den letzten Jahren durch eine ungeheure sowjetische Rüstung verschlechtert! Jetzt geht es darum, in Genf zu erreichen, daß einfach eine vernünftige, sinnvolle und auf möglichst niedrigem Niveau stattfindende Reduzierung der Waffen erfolgen kann.Da können Sie, Herr Voigt, Herrn Genscher auch nicht Sturheit vorwerfen. Sie wissen genausogut wie ich, daß ja nicht Herr Genscher die Genfer Verhandlungen zu führen hat. Das ist eine Sache der beiden Supermächte. Wie es ausgeht, hängt nicht allein von der Bundesrepublik Deutschland ab.
— Herr Voigt, es ist für Sie sehr leicht, Mitverantwortung zu tragen. Ich hätte es bei dieser Debatte z. B. begrüßt, wenn der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hiergewesen wäre.
Ich gehe — zumindest im Blick auf den 21. November — davon aus, daß die Reden, die Sie auch heute morgen wieder zitiert haben und die sehr beachtenswert sind, auch einmal im Deutschen Bundestag gehalten werden, damit überzeugend zum Ausdruck gebracht wird, was sich denn eigentlich in der Zeit vom NATO-Doppelbeschluß bis heute so sehr geändert hat, daß Sie Ihre Position jetzt so dramatisch verändern können.
Ich meine, das sollte Herr Schmidt durchaus im Deutschen Bundestag sagen, denn er ist und bleibt einer der Hauptmatadoren dieses NATO-Doppelbeschlusses, und es geht nicht an, daß man Reden immer nur draußen vor erlauchten Gremien und in wichtigen Akademien hält. Das sollte vielleicht auch wieder einmal im Deutschen Bundestag geschehen, und wir freuen uns auf eine Wiederbegegnung mit Helmut Schmidt, wenn er hier noch einmal Stellung nimmt. Das ist gar nicht zynisch, sondern sehr ehrlich gemeint.
— Das finde ich sehr erfreulich; wir verstehen uns ja im allgemeinen auch recht gut. Ich kann es ihm aber auch selbst noch einmal sagen; wir warten mit Neugier.Meine Damen und Herren, der Bundestagsunterausschuß für Abrüstung hat — das darf ich hier vielleicht noch einmal deutlich machen — in den letzten Wochen in Washington und in Moskau — in Gegenwart auch von Vertretern der Fraktion DIE GRÜNEN, die sich an den Diskussionen rege beteiligt haben — versucht, unseren Standpunkt noch einmal zu verdeutlichen. Dabei ist es uns nicht darum gegangen, in der Sowjetunion eine abweichende Haltung, eine feindliche Haltung einzunehmen. Vielmehr war dort, Herr Schily, ganz deutlich das Bemühen beider Seiten und aller Fraktionen zu spüren, miteinander vernünftig zu leben. Wir haben deutlich gemacht, daß wir es für die nächsten Jahre für ganz wichtig halten, daß die begonnene Ostpolitik und der Dialog nicht kaputtgemacht werden, daß der Dialog nicht an Raketen scheitern darf. Das ist uns völlig klar, und da stimmen wir alle völlig überein.Nur, solange die Sowjetunion — wie bis zur Stunde — Vorschläge macht, die in der Praxis darauf hinauslaufen, daß diese Republik vom amerikanischen Schutz abgekoppelt würde, solange können wir diesen Vorschlägen einfach nicht zustimmen.
Ich sage Ihnen noch einmal: Das ist eigentlich die bedrohliche Situation, vor der wir stehen.Wir unterschätzen gelegentlich auch die amerikanischen Reaktionen. Wir unterschätzen in den Vereinigten Staaten die wachsende Unlust: „Bundesgenossen, die uns noch vor vier Jahren überredet haben zu einem NATO-Doppelbeschluß, kommen nunmehr an und machen uns Vorwürfe, daß wir konsequent bleiben." — Das können Sie den Vereinigten Staaten einfach nicht vorwerfen.
Herr Kollege Schäfer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt? — Bitte schön, Herr Kollege Voigt.
Herr Kollege Schäfer, nachdem Sie jetzt in Ihren Gesprächen in Moskau Erfahrungen haben sammeln können und nachdem es um die Frage nicht einer Kündigung des NATODoppelbeschlusses, sondern darum geht, was man mit ihm macht
und wie man auf dieser Grundlage zur Abrüstung kommt, wollte ich Sie fragen, ob Sie auf Grund Ihrer Gespräche der Meinung sind, daß nach einem Beginn der Stationierung westlicher Raketen die Chancen für einen befriedigenden Kompromiß wachsen oder ob Sie mit mir übereinstimmen, daß die Chancen für einen befriedigenden Kompromiß, der eine drastische sowjetische Reduzierung vorsieht, so daß der Westen auf eine Stationierung verzichten kann, dann sinken.
Bei unseren Gesprächen in Moskau ist natürlich von sowjetischer Seite gesagt worden, falls hier stationiert wird, werde es Gegenmaßnahmen geben. Das ist ganz klar. Es ist aber auch nicht gesagt worden — ich darf das hier ausdrücklich feststellen —, daß dann alle Verhandlungen abgebrochen werden, sondern es ist von einer Unterbrechung von Verhandlungen die Rede gewesen. Alle Gespräche, die wir am Rande in Moskau führen konnten, deuten darauf hin, daß auch
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die Sowjetunion interessiert daran ist, daß die Gespräche weitergehen. — Bitte schön.
Eine Sekunde, — —
Es ist nicht konkret angedeutet worden, daß die Sowjetunion für den Fall, daß die Genfer Verhandlungen verlängert oder vertagt werden, zu größeren Zugeständnissen bereit wäre. Die alte Formel wurde wiederholt: Wir können sofort sämtliche Mittel- und Kurzstreckenwaffen vernichten und liquidieren; dazu sind wir bereit, wenn der Westen das ebenfalls tut. — Sie wissen aber genauso wie ich, Herr Voigt, daß das nicht das Problem der Überlegenheit der Sowjetunion und das der Sicherheit der westlichen Staaten in Europa — bei der konventionellen Überlegenheit der Sowjetunion — löst. Hier liegt doch der Hase im Pfeffer. Hier müssen wir der Sowjetunion sagen, daß das natürlich zu kurz gedacht ist.
Meine Damen und Herren, ich darf auf die heutige Debatte zurückkommen. Ich bin sehr froh, daß die Bundesregierung in einer sehr ausgeglichenen Rede, Herr Kollege Mertes, deutlich gemacht hat, daß ihr nicht daran liegt, angesichts der Auseinandersetzungen, die sich jetzt wieder in Bremerhaven und sonstwo abspielen, sozusagen Öl ins Feuer zu gießen. Im Gegenteil, ich glaube, die Reaktion der Bundesregierung und der sie tragenden Parteien wird Gelassenheit bleiben müssen. Ich bitte aber, uns nicht vorzuwerfen, daß diese Gelassenheit so etwas wie Verantwortungslosigkeit wäre, Herr Schily. Ich meine nur, wer jetzt in diesem Augenblick versucht, Emotionen hochzupeitschen, wer jetzt diese Debatte ins Emotionale treibt, nutzt nicht der Sache und nutzt auch nicht den Ergebnissen, die wir alle erwarten.
Ich habe der sowjetischen Führung bei unseren Gesprächen gesagt, es gebe einen sehr interessanten Unterschied, wenn man nach Washington und wenn man nach Moskau fahre. In den USA sei deutlich ein Optimismus erkennbar gewesen, daß es zu Ergebnissen kommen werde. Ich habe keine Veranlassung, an diesem Optimismus zu zweifeln, auch weil ich die innenpolitische Situation in den USA etwas kenne. Ein Präsident, der im nächsten Jahr wiedergewählt werden will, wird auch Erfolge auf dem Sektor der Abrüstung vorweisen müssen.
Herr Kollege Schäfer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fischer?
Das ist dann aber die letzte. Ich bin schon sehr großzügig. Bitte schön.
Herr Kollege Schäfer, würden Sie die Verfassung eines solch lächerlichen Pamphlets aus Bundesmitteln auch als Aufpeitschen von Emotionen bezeichnen, oder meinen
Sie, daß das zur Versachlichung der Debatte beiträgt?
Ich kenne das Papier nicht. Ich darf Sie bitten, es mir einmal herüberzureichen. Ich bin gern bereit, im Anschluß an die Debatte dazu Stellung zu nehmen. Ich finde nicht alle Papiere, die wir veröffentlichen, immer sehr gut. Herr Staatsminister Mertes, ich meine, wir haben noch ein bißchen Nachholbedarf, daß man vielleicht, was Informationen betrifft, einiges der deutschen Bevölkerung noch etwas faßbarer mitteilt, denn sehr viele Leute verstehen eben die komplizierte Sprache der Militärs nicht, wie sie sich manchmal in unseren Bulletins niederschlägt.
— Das ist ein ausgesprochenes gutes Faltblatt? Graf Huyn, ich werde es sofort lesen.Meine Damen und Herren, Herr Genscher wird am Wochenende mit Gromyko zusammentreffen. Wir glauben, daß das noch einmal ein Versuch sein wird, zu beschwören, daß wir in Genf zu Lösungen kommen müssen. Wer jetzt so tut, als wäre am 15. November bereits alles beendet, als gäbe es keine Chance mehr, danach weiter zu sprechen, verschlimmert die Situation. Noch einmal: Auch hier brauchen wir Gelassenheit, Nüchternheit. Wir müssen der Sowjetunion deutlich machen, daß ihr nicht daran liegen kann, die Zeit vom Beginn einer Aufstellung am 16. November bis zu einer endgültigen Aufstellung — das sind mehr als fünf Jahre —, ungenutzt verstreichen zu lassen, sondern daß ihr daran liegen muß, die Gespräche fortzusetzen und zu Ergebnissen zu kommen, die auch für uns, für Westeuropa tragfähig sind. Denn am Ende der Genfer Verhandlungen müssen Ergebnisse stehen, mit denen beide Weltmächte, aber auch die Europäer einverstanden sind.Solche Vorschläge liegen eben bis zur Stunde nicht vor. Ich habe es als sehr enttäuschend empfunden, daß die sowjetische Seite auf die letzten Vorschläge des amerikanischen Präsidenten innerhalb von 24 Stunden mit „Njet" geantwortet hat, obwohl Elemente darin enthalten waren, die einer kritischen Überlegung für einige Tage mehr auch in der Sowjetunion wert gewesen wären. Ich bedaure das und kann nur hoffen, daß es gelingen wird, in einer so aufgeregten Zeit von Angst und der Erregung von Angst, wie sie heute in einigen Reden in der Debatte durchklangen, wegzukommen und zu einer nüchternen und klaren Politik zu kommen, die — ungeachtet der Grauenhaftigkeit all der Visionen eines Atomkrieges — weiß, daß diese Waffen im Augenblick noch notwendig sind — auf beiden Seiten —, daß wir aber langfristig alle miteinander daran arbeiten müssen, daß sie verschwinden.Herr Schily, Sie haben diverse bedeutende Persönlichkeiten — ich meine jetzt deutsche — zitiert. Ich darf daher vielleicht mit einem Zitat eines bekannten deutschen Schriftstellers dieses Jahrhunderts, Gottfried Benn, enden, der einmal gesagt hat — auf die Literatur bezogen; ich darf es auf die Politik übertragen —, das Gegenteil von gut sei nicht
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schlecht, sondern gutgemeint. Vielleicht an Ihre Adresse — glauben Sie bitte nicht, das sei Zynismus —: Wir kommen nicht weiter, indem wir nur gute Absichten bekanntgeben,
sondern wir brauchen auch praktische Vorschläge der Politik. Und die sind Sie uns heute völlig schuldig geblieben. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolbow.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich dem Kollegen Schäfer insoweit entgegenkommen, als ich ihm quasi ohne Geschäftsauftrag versichern kann, daß der, den Sie angesprochen haben, zu den Punkten Stellung nehmen wird, für die er früher die Verantwortung getragen hat.
— Auch dort. Sie werden sehen, wie die Sozialdemokraten in Verantwortung für dieses Land auch diese Frage beantworten werden.Die SPD-Bundestagsfraktion, meine sehr verehrten Damen und Herren, begrüßt, daß im Bundestag nach vielen Jahren wieder eine grundsätzliche Debatte über Fragen des Völkerrechts geführt wird. Dies ist durch die Ausführungen meines Kollegen Voigt deutlich geworden. Angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Diskussion, die in der Öffentlichkeit stattfindet, ist es gut, daß dieses Parlament diese Problematik erörtert. Ich muß zugestehen, Herr Kollege Schily, daß ich Ihre Rede als bedenkenswert empfunden habe, daß ich über diese Rede auch noch einmal nachdenken werde. Ich meine, daß auf Grund dessen, was mit der Großen Anfrage gewollt ist, die Diskussion in unserem Lande zu der Problematik, die entstanden ist, sicherlich fortgesetzt werden muß.Ich möchte — weil Sie gefragt haben — in diesem Zusammenhang erwähnen, daß es in der Zeit von 1970 bis 1983 — fast unbemerkt vom öffentlichen Interesse — Fortschritte im Völkerrecht und besonders im Kriegsvölkerrecht gegeben hat. In einer unvollständigen Aufzählung erwähne ich das kürzlich verabschiedete Gesetz über das Verbot der militärischen und sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken, das Gesetz über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer Waffen sowie ihre Vernichtung, das bereits vielfach angesprochene, zur Ratifikation anstehende Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte und das sogenannte VN-Waffenübereinkommen vom Oktober 1980, das — im Gegensatz zu der Ratifikationszusage für das Zusatzprotokoll zu den Genfer Vereinbarungen durch die Bundesregierung noch für diese Legislaturperiode — nicht mit einer Terminierung für die Ratifikation versehen ist. Und, Herr Staatsminister, es wäre gut, wenn auch hier etwas auf den Weg gebracht würde.Nach meinem Dafürhalten ist in den Anfragen der GRÜNEN und noch mehr in den Antworten der Bundesregierung ein wichtiger völkerrechtlicher und politischer Punkt nicht zur Geltung gekommen. Ich meine den Begriff der Aggression.Zunächst stelle ich fest, daß es leider keinen Begriff gibt, der das Gegenteil von Aggression ausdrückt, es sei denn, man definiert, daß es sich um die Verteidigung handelt. Gerade in der heutigen öffentlichen Diskussion wird mit den Worten „Angreifen" und „Verteidigen" ein Durcheinander erzeugt, das langsam unerträglich wird.Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, liebe Kolleginnen und Kollegen, mißt alles, was in diesem Zusammenhang an geltender Strategie und an Überlegungen für neue Strategien besteht oder überdacht wird, allein an der Wirksamkeit der Kriegsverhütung. Damit wird aus unserer Sicht die Debatte über geltendes Kriegsvölkerrecht zur Debatte über die Verantwortung für Kriegsverhütungsrecht. Wir wollen uns nur verteidigen, wenn wir angegriffen werden, und hoffen daher, daß die geltenden Bestimmungen der kriegsvölkerrechtlichen Grundsätze und der kriegsvölkerrechtlichen Verträge im Sinn unseres Verständnisses völkerrechtliche — völkerrechtliche! — Kriegsverhütung bewirken können.Ich bitte Sie, mir zuzuhören, wenn ich zur Verdeutlichung meines Standpunktes, den ich eben auszudrücken versucht habe, ein Erlebnis als Beispiel erwähne. Am Rand der 31. Pugwash-Konferenz vom Herbst 1981 in Kanada, also vor der UNODeklaration der Sowjetunion, die den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen in sich schloß, wurde Herr Arbatow, sicher ein wichtiger sowjetischer Regierungsberater, zur tatsächlichen Position der UdSSR hinsichtlich des nuklearen Ersteinsatzes befragt. Er wies zunächst darauf hin, daß es in der Diplomatie nicht üblich sei, sich festzulegen, was man in hypothetischen Situationen machen würde. Auch, so sagte er, die Sowjetunion würde sich nicht festlegen, was sie tun würde, wenn sie auf Leben oder Tod mit übermächtigen konventionellen Kräften angegriffen werden sollte. Die UdSSR habe nicht gesagt, so Arbatow, daß sie dann Kernwaffen einsetzen würde. Sie habe aber auch nicht gesagt, daß sie keine Kernwaffen benutzen würde. Ich frage Sie, ob das nicht die Anwendung der geltenden NATO-Doktrin im umgekehrten Sinn darstellt?Nebenbei sei angefügt, daß zwei wichtige Punkte zur Frage des Ersteinsatzes von Nuklearwaffen für die NATO und den Warschauer Pakt — darüber ist gesprochen worden — gleich gelten. Ich möchte das noch einmal festhalten. Wenn eine oder beide Seiten per Deklaration auf einen Ersteinsatz verzichten würden, so ist dies keinesfalls für die jeweils andere Seite nachprüfbar. Damit ist der Ersteinsatzverzicht der Sowjetunion so lange unglaubwür-
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Kolbowdig, als sie nichts oder nur wenig an ihren nuklearen Streitkräften ändert.
Dies würde genauso für die NATO zutreffen, wenn sie erklären würde, daß sie ja auf den Ersteinsatz verzichtet.Man mag entgegenhalten, daß es bei Nuklearwaffen vielleicht eine Unterscheidung zwischen solchen gebe, die zum Ersteinsatz geeignet sind, und solchen, die nicht zum Ersteinsatz geeignet sind. Tatsache ist jedoch — und hier wird mir, glaube ich, in diesem Hause jeder zustimmen, der sich mit der Problematik beschäftigt hat —, daß es diese Unterscheidung nicht gibt.Aber zurück zum Begriff der Aggression, weil ich den für sehr wichtig halte: Ich möchte mich auf das beziehen, was der Berliner Professor Ernst Fraenkel zur Entwicklung des Begriffes der Aggression in dem Buch „Internationale Beziehungen" niedergeschrieben hat. Er verweist darauf, daß es in der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts nur die Unterscheidung zwischen einem gerechten oder ungerechten Krieg gegeben hat und daß es dann im Völkerrecht des 19. und 20. Jahrhunderts auf Grund des positivistischen und antinaturrechtlichen Völkerrechts diese Differenzierung nicht mehr gab und eine völlige Indifferenz entstand, nach der ein Angriffskrieg ebenso legal war wie ein Verteidigungskrieg. Die Völkerbundssatzung beinhaltete nicht die Ächtung des Krieges. Erst die UNO-Charta hat hier eine Änderung herbeigeführt. Was Sie, Herr Kollege Schily, zu Resolutionen und Beschlußfassungen der UNO gesagt haben, das sollte auch uns hier in diesem Hause Auftrag sein.
Das, was unter der Beschreibung der Ziele und Grundsätze niedergeschrieben ist, das, was im Kapitel über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten gefordert wird, ist nach meinem Dafürhalten ein wesentlicher Fortschritt des Völkerrechts. Aber in einer Debatte über die UNO-Charta, die wohl das erste und wichtigste Dokument des Völkerrechts ist, sozusagen das Grundgesetz aller Nationen, darf der Hinweis auf Art. 51 dieser UNO-Charta nicht fehlen. Diese — und das ist, meine ich, sehr wichtig — völkerrechtliche Bestimmung gibt den Staaten das Recht auf Selbstverteidigung, wenn ein bewaffneter Angriff, also eine Aggression, vorliegt und alle sonstigen Bemühungen der Vereinten Nationen im Sinne der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten fehlgeschlagen sind.
Daraus ergibt sich die zentrale Bedeutung des Begriffes der Aggression, den ich verdeutlichen wollte und der eben nicht mit den Begriffen Angriff und Verteidigung verwechselt werden darf, die einzig und ausschließlich im taktischen und operationellen Bereich der Führung von Streitkräften ihren Platz haben.Ich glaube, daß es im Sinne der Verbesserung der Diskussion bei uns wichtig wäre, wenn wir alle zusammen die Gelegenheit nähmen, einmal das zu studieren, was die UNO in ihrer Resolution vom 14. Dezember 1974 als Definition des Begriffs Aggression festgelegt hat. Wenn dazu noch käme, meine Damen und Herren, daß die entsprechenden Kapitel der UNO-Charta zur Kenntnis genommen werden würden und in der Diskussion entsprechend allseits gewürdigt werden könnten, dann hätte ich persönlich keinerlei Sorgen, daß unsere sicherheitspolitische Debatte in ein Stadium geraten könnte, wo gerade grundlegende Dinge, wie das von mir so bezeichnete Grundgesetz der Nationen, nicht beachtet werden würden.Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, einige Ausführungen zu Fragen der atomaren Strategie im Zusammenhang mit der Völkerrechtsproblematik sowie ganz kurz zu dem sehr wichtigen Zusatzprotokoll von 1977 zu den Genfer Rot-KreuzAbkommen von 1949. Ich halte dies für einen interessanten Streitpunkt in der Auseinandersetzung mit der Bundesregierung im Zusammenhang mit der Beantwortung der Großen Anfragen, die wir heute beraten. Ich stelle zunächst die Frage, ob dieses Zusatzprotokoll von 1977 auch den Bereich der Kernwaffen einschließt oder nicht. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes hat von Anfang an die Position vertreten, daß diese — Sie haben den Präsidenten erwähnt — nur für konventionelle Waffen gelten würde. Auch die Vereinigten Staaten von Amerika sowie Großbritannien haben dies erklärt. Die Völkerrechtler, Herr Professor Ipsen, oder auch, um die andere Seite zu zitieren, der Ostberliner Völkerrechtler Professor Graefrath, sind dagegen anderer Meinung — wie sicherlich nicht nur wenige Parlamentarier in diesem Hause.Ich möchte nicht verschweigen, daß ich keinen Angriff — ob mit konventionellen oder mit nuklearen Waffen — gegen die Zivilbevölkerung, auch nicht in Form von Repressalien, für vertretbar halte.
Dies ist im übrigen auch die Meinung, die im Wort der Deutschen Bischofskonferenz vom 18. April 1983 vertreten wird. Dort heißt es — man kann sich keines besseren Zitates als eines Zitats der Vertreter des Glaubens bedienen —:Es kann kein Zweifel bestehen: Der Einsatz von Atomwaffen oder anderen Massenvernichtungsmitteln zur Zerstörung von Bevölkerungszentren oder anderen, vorwiegend zivilen Zielen ist durch nichts zu rechtfertigen. Der Vernichtungskrieg ist niemals ein Ausweg, er ist niemals erlaubt.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily? — Herr Kollege Schily.
Herr Kollege, hängt es mit der Streitfrage — die Sie ja richtig gekennzeichnet haben —, ob dieses Abkommen Anwendung auf atomare Waffen findet, zusammen, daß die frühere sozialliberale Regierung das Ratifizierungsverfahren für das Abkommen nicht in die Wege geleitet hat?
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Herr Kollege Schily, ich komme im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden knappen Zeit noch darauf zurück. Indem ich darauf hinwies, wie lange es gedauert hat, wollte ich darauf aufmerksam machen, daß hier in der Tat auch Verzögerungen waren.
Um jetzt gleich auf Ihre Frage einzugehen: Mehr als sechs Jahre — das meinte ich, Herr Kollege — sind seit der Unterzeichnung der Zusatzprotokolle zu den Genfer Rot-Kreuz-Abkommen vergangen. Sie haben darüber gesprochen, Herr Staatsminister. Sie haben zugesagt, daß es im Laufe der Legislaturperiode vorgelegt wird. Wenn Sie sagen: im Laufe der Legislaturperiode, drückt uns das. Ich weiß aber auch, daß wir in der Zeit, als wir Regierungsverantwortung hatten, auf Grund der Sachzwänge in der Diskussion mit den Partnern zur Verzögerung beitragen mußten, wobei ich „mußten" unterstreiche.
Der Antrag der Fraktion der SPD auf der Drucksache 10/419 vom 28. September 1983 versucht, die notwendige Klarheit zu schaffen, die wir brauchen. Ich verweise auf das, was Diskussionsredner richtigerweise im Zusammenhang mit der Notwendigkeit, die Zusatzprotokolle zu unterzeichnen, gesagt haben.
Lassen Sie mich zum Schluß den Wunsch äußern, daß nicht nur Anstrengungen unternommen werden, das Kriegsvölkerrecht zu verbessern, sei es das sogenannte Haager Recht, das die Kampfführungsgrundsätze beinhaltet, oder das Genfer Recht, welches den Schutz der Zivilbevölkerung betrifft.
Ich darf Sie darauf hinweisen, Herr Abgeordneter, daß Sie noch fünf Minuten Redezeit haben.
Danke schön.
Der Dank gebührt Ihrer Fraktion.
Der Dank gebührt immer dem Präsidenten.
Immer denen, die den Antrag stellen, und noch Redezeit übrig haben.
Es ist mindestens ebenso wichtig — das habe ich schon gesagt —, die Weiterentwicklung des Kriegsverhütungsrechts in den Vereinten Nationen erreichen zu können. Wir sind uns alle bewußt, daß starres Recht nicht den Ansprüchen der politischen Wirklichkeit entspricht. Recht wird nur empfunden, wenn es gleichzeitig dem subjektiven Empfinden der Gerechtigkeit entspricht, wenn es frei ist von Zwang, Drohung, Einschüchterung und Vergleichbarem.
Lassen Sie mich an dieser Stelle darauf hinweisen, daß der Völkerrechtler Professor Friedrich Berber in seinem Werk über das Völkerrecht im Kapitel über den „friedlichen Wandel" — neudeutsch heißt das peaceful change — ausgeführt hat, daß die Entwicklung — ich zitiere — „objektiver, universell akzeptierter materieller Prinzipien, so z. B. die Umwandlung der Menschenrechtsdeklaration in echtes, verbindliches Recht, geschaffen werden muß". Damit, so sagt er, „wären die Grundlagen eines materiellen Grundgesetzes der Staatengemeinschaft gelegt, auf deren Basis das Problem des peaceful change, dessen Ausbau zu den drängendsten Anliegen des Kriegsverhütungsrechtes, dessen Vernachlässigung zu den Hauptursachen des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges gehört, zu einer wirksamen und segensreichen Institution des Völkerrechts ausgebaut werden könnte". Ich glaube, daß die heutige, auf Zeit angelegte Debatte in diesem Hause dazu beitragen kann, und möchte denen Respekt zollen, die sie veranlaßt haben. — Ich danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Großen Anfragen des Abgeordneten Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN zu den kriegsvölkerrechtlichen Grundsätzen und zu den kriegsvölkerrechtlichen Verträgen präzis und korrekt beantwortet. Staatsminister Dr. Mertes hat in seinem ebenso kundigen wie argumentativen Beitrag die völkerrechtlichen Zusammenhänge und die damit verknüpften politischen und abrüstungspolitischen Notwendigkeiten dargelegt. Für beides darf ich mich namens der Fraktion der CDU/CSU bedanken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Wort des Dankes möchte ich auch an die Adresse des Kollegen Schäfer für seine sehr besonnenen Darlegungen sagen. Und es muß in diesem Hause auch möglich sein, an die Adresse eines Oppositionskollegen, nämlich an die Adresse des soeben vom Rednerpult abgetretenen Kollegen Kolbow, für eine kenntnisreiche und klare Darstellung der Thematik danke zu sagen.
Herr Kollege Kolbow, ich wünschte, diese Ihre Kenntnisse und diese Ihre Auffassungen würden auch von jenen SPD-Landesverbänden geteilt,
die sich in den letzten Wochen so flott negativ zum NATO-Doppelbeschluß geäußert haben.
Angesichts der Formulierungen der beiden Anfragen und auch ihrer vorhin durch Herrn Schily erfolgten Begründung bedurfte es allerdings großer Naivität, auch nur einen Augenblick zu glauben, die GRÜNEN interessierten sich ernsthaft für die Antworten.
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Diese beiden Großen Anfragen sind Teil einer Strategie, die die Bürger in unserem Land das Fürchten lehren soll,
allerdings nicht etwa das Fürchten vor dem gigantischen Droh- und Erpressungspotential der Sowjetunion, sondern vor unseren eigenen Freunden.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Ich möchte im Moment darauf verzichten.Dazu bedarf es zunächst einmal der Schaffung einer abstrakten Kriegsangst.
In den beiden Anfragen kommt 37mal das Wort „Krieg" vor.
Ebenso oft werden als mögliche Kriegsführende — und zwar hauptsächlich auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland — unsere Verbündeten genannt. Die Begriffe „Warschauer Pakt" und „unsere östlichen Nachbarländer" werden nur je einmal erwähnt, und zwar als durch die westliche Abschreckungsmacht bedroht.
Auch die Sowjetunion selbst kommt nur einmal in den Anfragen vor, nämlich in einer Aufzählung der Atommächte.Meine Damen und Herren, nicht zu Unrecht hat der vor über zehn Jahren in den Westen geflüchtete russische Historiker Professor Woslenskij gestern in einem Zeitungskommentar an das Lenin-Wort erinnert, daß es in der Politik nicht so wichtig sei, wer gewisse Ansichten, Vorschläge und Maßnahmen vertrete; wichtig sei, wem sie nützten. Wem diese Anfragen mit ihren unglaublichen Unterstellungen angeblich voraussehbarer Verletzungen kriegsvölkerrechtlicher Grundsätze und Verträge durch unsere Verbündeten aber objektiv nützen, liegt auf der Hand: der Sowjetunion.
Mein Kollege Mertes hat schlüssig und überzeugend ausgeführt, daß das Nordatlantische Verteidigungsbündnis ein Bündnis der Kriegsverhinderung durch glaubhafte Verteidigungsbereitschaft ist. Es ist ein Bündnis zur Bewahrung des Friedens, zur Bewahrung der Freiheit, zur Bewahrung der Menschenrechte. In seinem Wirkungskreis hat es diese Aufgabe bislang erfüllt. Und diese Aufgabenstellung deckt sich sowohl mit dem Grundgesetz derBundesrepublik Deutschland als auch mit allen völkerrechtlichen Normen.
Vor dem Hintergrund der antiamerikanischen und antiwestlichen Unterstellungen in den beiden Großen Anfragen möchte ich den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE GRÜNEN mit großem Ernst folgende Tatsachen zu erwägen geben. Zwischen parlamentarischen Demokratien hat es noch nie einen Krieg gegeben. Zwischen kommunistischen Staaten dagegen gab es immer wieder Kriege:
offene wie den Krieg zwischen Vietnam und Kambodscha oder China und Vietnam in Kambodscha oder den Überfall der Sowjetunion auf Afghanistan,
das zu diesem Zeitpunkt eine kommunistische Regierung hatte. Und selbst wenn die blutigen Unterdrückungskampagnen
in Ungarn und der CSSR der Welt als brüderliche Beistandsakte verkauft wurden, handelte es sich doch schlicht und einfach um militärische Interventionen, also um Krieg.Die parlamentarische Demokratie mit all ihren Schwächen und Unzulänglichkeiten hat sich j eden-falls als jene Regierungsform erwiesen, die nicht nur den Bürgern des jeweiligen Staates ein Optimum an Rechten gewährt, sondern die auch ein Maximum an Friedensfähigkeit besitzt.
Wenn ich in der Großen Anfrage über kriegsvölkerrechtliche Verträge unter Punkt 1.2 lese — um zunächst dieses eine Beispiel herauszugreifen —,
daß Atomwaffen nach Art. 23 d der Haager Landkriegsordnung von 1907 allein deshalb völkerrechtlich verboten seien, weil sie kein Pardon gäben, dann frage ich, ob die sowjetischen Kampfhubschrauber in den Bergen Afghanistans den fliehenden Frauen, Kindern und Greisen Pardon geben.
Ich möchte fragen, ob die Infanteriegewehre Pardon gegeben haben, mit denen unzählige Südvietnamesen oder Kambodschaner — wohlgemerkt: nach Friedensschluß — füsiliert worden sind.
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Ich möchte auch fragen, ob die Bombe Pardon gegeben hat, mit der vor wenigen Tagen vier südkoreanische Kabinettsmitglieder und 21 weitere Personen in Rangun getötet wurden. Und ich könnte fragen, ob die sowjetische MIG Pardon gab, als sie 269 unschuldige Passagiere eines Verkehrsflugzeugs abschoß.
— Herr Fischer, auch wenn Sie noch so schreien, können Sie nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie bei der Debatte über Ihre eigenen Anfragen heute im Bundestag nur mit einem winzigen Häufchen vertreten sind.
DIE GRÜNEN versuchen — so jedenfalls die Tendenz Ihrer beiden Anfragen —, ein völkerrechtliches Verbot des Atomwaffeneinsatzes selbst im Verteidigungsfall zu konstruieren. Sie kommen damit objektiv dem sowjetischen Bestreben entgegen, konventionelle Waffen zu verharmlosen. Im Zweiten Weltkrieg sind aber rund 50 Millionen Menschen mit konventionellen Waffen getötet worden.
Herr Abgeordneter Klein, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily zu?
Danke, nein.Diese Waffen sind in der Zwischenzeit zu noch bedeutenderer Vernichtungskraft weiterentwickelt und zur Tötung von ungezählten Millionen in etwa 140 konventionellen Kriegen seit 1945 eingesetzt worden.Für das Nordatlantische Bündnis und damit auch für die Bundesrepublik Deutschland gilt indes das völkerrechtliche Verbot jeder Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt. Insbesondere gilt für uns, daß wir nie als erste zur Waffe — gleichgültig, welcher Art — greifen werden.Die CDU/CSU-Fraktion ermutigt die Bundesregierung, in ihren bisherigen Anstrengungen um Verbesserungen des Kriegsvölkerrechts fortzufahren. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Ankündigung der Bundesregierung, das Zusatzprotokoll I von 1977 zum Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Bevölkerung gegen Massenvernichtungswaffen noch in dieser Wahlperiode dem Deutschen Bundestag zur Ratifizierung zuzuleiten. Die CDU/CSU-Fraktion teilt die Auffassung der Bundesregierung, an einem Verbot des Ersteinsatzes aller Waffen — nicht nur der Atomwaffen — festzuhalten, um so jegliche Art von Krieg zu verhindern.Unter dem Vorwand besorgter Anfragen an die Bundesregierung haben die GRÜNEN ein Kriegsszenario auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland entworfen und die Formel „Kann die Bundesregierung bestätigen oder widerlegen ..." grausames, menschenverachtendes, völkerrechtswidriges Verhalten der Amerikaner und der NATO verpackt. In dem Bestreben, die westliche Abschreckung moralisch abzuqualifizieren, was wiederum objektiv auf eine Hinnahme sowjetischer Überlegenheit hinausläuft, bezeichnen sie allerdings die Regierung der Staaten des Warschauer Pakts als totalitäre Regierungen, die von den jeweiligen Bevölkerungen weder gewählt noch abgewählt werden könnten. Das ist zutreffend. Aber ebenso zutreffend ist, daß die sowjetischen Machthaber, von deren Willen auch alle anderen Regierungen des Warschauer Pakts abhängen, bis heute in keinem Fall ein ernsthaftes Risiko bei ihren militärischen Aktionen eingegangen sind. Sie haben Gewalt nur dann und dort angewendet, wo sie mit größter Sicherheit eine Reaktion des Westens nicht zu befürchten brauchten. Sie haben Gewaltanwendung unterlassen, wo sie, wie das Beispiel Westeuropas zeigt, mit westlichen Gegenmaßnahmen rechnen mußten.Der Wert, den die Sowjetunion militärischer Macht beimißt, erklärt sich aber nicht nur aus ihrem zweifellos tatsächlich vorhandenen übersteigerten Sicherheitsbedürfnis; dies hat auch zwei weitere wichtige Gründe. Erstens nutzt sie militärische Macht auch aus der Erfahrung heraus, daß der Marxismus-Leninismus in der Geschichte jeweils nur dort die Oberhand gewinnen konnte, wo Waffengewalt zu seinen Gunsten eingesetzt wurde. Zweitens setzt sie systematisch auf die Einschüchterungskraft ihres Militärpotentials. Dabei kann sie sich auf bewußte oder unbewußte Helfer im Westen verlassen.
Empfinden Sie sich, meine Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, als solche bewußten oder unbewußten Helfer der Sowjetunion, oder sehen Sie sich als Sprecher des Teils vor allem der jüngeren Generation, der sich auf der Suche nach ethischen Bezugspunkten, nach Sinngehalten des Lebens von der älteren Generation unverstanden und von den anonymen Zwängen einer hochtechnisierten Umwelt abgestoßen fühlt?
Ist das erste der Fall, üben bei Ihnen die ehemaligen K-Gruppen-Mitglieder und Berufsdemonstranten den entscheidenden Einfluß aus, dann erklären Sie das hier einmal in aller Offenheit. Sie genießen j a Immunität. Dann können wir uns, ohne viel drumherum zu reden, mit Ihnen darüber auseinandersetzen.
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1946 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Klein
Dann brauchen Sie zur Beförderung Ihres Standpunkts nicht erst solche vernebelnden Großen Anfragen einzubringen.
Herr Abgeordneter Klein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?
Ist aber das zweite der Fall, dann lassen Sie uns über diese weiß Gott ernst zu nehmenden Fragen zivilisiert, ohne Gift und ohne gegenseitige Verdächtigungen diskutieren.
Glauben Sie mir: Je nüchterner und vernünftiger Sie Ihre Auffassung dabei vortragen,
desto fruchtbarer wird die Diskussion, auch im Interesse derer, die zu vertreten Sie glauben und die uns nicht gleichgültig sind.
Der Frieden in der Welt, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht nur ein Thema für eine bestimmte Gruppe. Frieden darf man nicht bloß fordern, man muß ihn auch halten. Friedfertigkeit ist nicht glaubhaft, wenn sie aggressiv — und sei es nur verbal aggressiv — vorgetragen wird.
Die heutige Debatte, meine Damen und Herren, steht in engem Zusammenhang mit dem NATODoppelbeschluß. Da sich das humanitäre Kriegsvölkerrecht auf den Kriegsfall bezieht, soll damit offensichtlich eine akute Kriegsgefahr suggeriert werden. Aber beide Teile dieses Beschlusses, der Verhandlungsteil wie der Nachrüstungsteil, zielen auf die Verhinderung eines Krieges. Die Philosophie der Abschreckung enthält keine Drohelemente. Sie will ausschließlich den potentiellen Gegner davon überzeugen, in einer riskanten Situation nicht zu militärischen Machtmitteln zu greifen, sondern aus schierem Eigeninteresse den Frieden zu wählen. Das aber setzt ein Gleichgewicht der Kräfte voraus.
Herr Abgeordneter, es hat sich erneut jemand für eine Zwischenfrage gemeldet.
Danke, nein.
Würden Sie dann vielleicht eine generelle Mitteilung machen?
Da Sie mich ohnehin jedes Mal fragen müssen, will ich keine generelle Entscheidung treffen.
Daß die Kernspaltung mit ihrer ungeheuren Zerstörungskraft zum ersten Mal in das Bewußtsein der Menschheit getreten ist, bleibt eine geschichtliche Tatsache, die auch ihre friedliche Nutzung psychologisch schwer belastet. Die nuklearwissenschaftlichen Erkenntnisse sind aber nicht auszulöschen. Die Atomwaffen als zugegebenermaßen furchtbarer Teil der internationalen Gleichgewichtsstruktur sind nur mühsam zu verringern. Gleichwohl gibt es für uns keine Alternative zu diesem mühsamen Weg, den Bundeskanzler Kohl auf die Formel gebracht hat: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Ich füge zur Verdeutlichung hinzu: mit immer weniger Waffen auf beiden Seiten.
Der Verhandlungsteil des NATO-Doppelbeschlusses war der wohlgemeinte historische Versuch, die sowjetische Vorrüstung nicht automatisch mit amerikanischer Nachrüstung zu beantworten, sondern im Falle einer ausgehandelten Abrüstung der SS-20-Systeme auf die Stationierung entsprechender amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa zu verzichten,
ein einmaliges Angebot, um den Teufelskreis des Wettrüstens zu durchbrechen, um neben partieller Rüstungsbegrenzung und Rüstungskontrolle den Einstieg in wirkliche Abrüstung zu finden.Vielleicht aber haben die Initiatoren dieses Beschlußteils die Psyche der Sowjetführung falsch eingeschätzt.
Bis zur Stunde jedenfalls verhält sich Moskau bei den INF-Verhandlungen so, als ob ihm das ehrliche westliche Interesse an einem Verhandlungsergebnis als bloßes Zeichen ausnutzbarer Schwäche erschiene. Blockiert die UdSSR die Genfer Verhandlungen trotz großem amerikanischen Entgegenkommen jedoch weiterhin, so werden jeden Skeptiker recht bekommen, die ein sowjetisches Einlenken erst für den Fall vorausgesagt haben, daß der Westen mit der Stationierung beginnt.Selbstverständlich birgt der Verhandlungsbeschluß für den Westen den Nachteil, daß er es mit zwei Verhandlungspartnern zu tun hat: einmal mit der Sowjetunion und zum anderen mit jenen Teilen der eigenen öffentlichen und veröffentlichten Meinung, die aus den unterschiedlichsten Gründen die sowjetische Überlegenheit über Westeuropa und den schließlichen Rückzug der Amerikaner hinzunehmen bereit sind, vereinzelt sogar wünschen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1947
Klein
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß jede antiamerikanische Bekundung, wie etwa auch der propagandistische Fragenkatalog der GRÜNEN, die Sowjets in ihrer Blockadepolitik in Genf bestärkt. Je mehr ihnen das irrige Gefühl vermittelt wird, sie könnten einen Verzicht auf westliche Nachrüstung zum Nulltarif erhalten, desto geringer werden die Chancen für die allseits und im Grunde wohl auch von den Sowjets selbst gewünschte Abrüstung oder, um realistisch zu sein, Rüstungsverminderung.Die Politik dieser Bundesregierung wie die aller früheren Bundesregierungen ist darauf gerichtet, im Zusammenwirken mit unseren Verbündeten die Völker Europas davor zu bewahren, noch jemals das Kriegsvölkerrecht in Anspruch nehmen zu müssen. Bis heute war diese Politik erfolgreich, sie hat uns Frieden und Freiheit bewahrt, ein Ergebnis des Gleichgewichts der Kräfte. Wer das in Frage stellt, die eigene Abschreckungsbereitschaft beispielsweise dadurch unglaubwürdig zu machen versucht, daß er das Bündnis, insbesondere mit unserer atomaren Schutzmacht USA, aufzukündigen trachtet, der setzt Freiheit und Frieden aufs Spiel. Das aber will die überwältigende Mehrheit der Deutschen nicht.In unserem Land kann jeder seine Meinung äußern, auch wenn sie noch so abstrus oder noch so naiv ist. Nur eines muß klar sein: Die politischen Entscheidungen fallen in diesem frei gewählten Deutschen Bundestag und nicht auf der Straße.
Bei allem Respekt vor Minderheiten, nicht sie, sondern die Mehrheit bestimmt letzten Endes. Eine Mehrheit links von der Mitte, wie sie Willy Brandt erträumt, gibt es ausweislich des Wahlergebnisses vom 6. März 1983 nicht.
Erlauben Sie mir die Voraussage: Dort, an der Seite der GRÜNEN, also weitab vom Godesberger Programm und von dem von einem SPD-Bundeskanzler mit herbeigeführten NATO-Doppelbeschluß, wird die SPD auch in Zukunft keine Mehrheit unter den Deutschen finden.
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Ihre Opposition, die Sie teilweise um der Opposition willen führen, Ihre Rückkehr zur Ohne-mich-Politik der 50er Jahre, Ihr antiamerikanischer Eppler-Bahr-Lafontaine-Kurs
wird Sie zwangsläufig in die Isolation führen. Gegenüber Ihren französischen und italienischen Genossen, die klar zur gemeinsamen Bündnispolitik stehen, sind Sie es schon. Weder profilscheues Lavieren des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Vogel noch dialektisches Parlieren seines Stellvertreters Professor Ehmke können verschleiern, daß Sie drauf und dran sind, die 16jährige Regierungsarbeit Ihrer eigenen Partei zu verspielen. Die peinlichenSpektakel-Auftritte der GRÜNEN im In- und Ausland hätten sich längst leergelaufen, gäben ihnen nicht große Teile der SPD Rückhalt und Resonanz, so daß eine Minderheit links der Mitte den traurigen Ruhm für sich in Anspruch nehmen kann, gegenüber den Deutschen zum erstenmal seit Kriegsende im Westen wieder Befürchtungen, im Osten Mißtrauen und in der übrigen Welt Irritationen zu wecken.
Herr Abgeordneter Klein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Nein danke.Gott sei Dank kann sich diese Bundesregierung im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin auf eine zuverlässige Mehrheit innerhalb und außerhalb dieses Hohen Hauses stützen.
Ziehen Sie, meine Damen und Herren auf der Linken, keine falschen Schlüsse aus irgendwelchen Schlichtbefragungen!Die Friedensbewegung — das sind alle Deutschen. Freilich, über den besten Weg zur Erhaltung und Gestaltung des Friedens können wir hier miteinander streiten. Die CDU/CSU-Fraktion hat auch in ihren Oppositionsjahren oft genug unter Beweis gestellt, daß sie Argumenten zugänglich ist. Das gilt für sie in der Regierungsverantwortung erst recht.Der Bundeskanzler hat der Opposition wiederholt Zusammenarbeit in so schicksalsschweren Fragen wie der Friedenssicherung angeboten. Allerdings wird sich meine Fraktion auf keinen Weg drängen lassen, der die Freiheit unseres Volkes gefährdet. Sie sieht in der Art und Weise, wie die Fraktion der GRÜNEN nur nach kriegsvölkerrechtlichen Grundsätzen und Verträgen fragt, um unsere Verbündeten zu schmähen und den Menschen Kriegsangst einzujagen, kein geeignetes Mittel, den Willen zu Frieden in Freiheit zu stärken.
Da alle mit einem Zitat geschlossen haben, erlauben Sie mir, mit dem Zitat eines Dichters zu schließen, der zwar in Bayern geboren wurde, aber keineswegs CSU-verdächtig ist, nämlich von Bertolt Brecht.
Es ist ein Zitat, das von den GRÜNEN immer wieder verkürzt und verzerrt mißbraucht wird. Es heißt im vollen Wortlaut:
Stell dir vor, es kommt Krieg und keiner geht hin. Dann kommt der Krieg zu euch. Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, und läßt andere kämpfen für seine Sache, der muß sich vorsehen. Denn wer den Kampf nicht geteilt hat, der wird teilen die Niederlage. Nicht einmal den Kampf vermeidet, wer den Kampf
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1948 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Klein
vermeiden will. Denn es wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Fischer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, auf die unqualifizierten Äußerungen des Kollegen Klein über meine Partei und einige meiner Parteifreunde einzugehen. Ich habe auch nicht die Absicht, darüber zu spekulieren, wie künftige Wahlen ausgehen werden. Nur, die Wahlergebnisse von Hessen und Bremen sollten Ihnen eigentlich etwas zu denken geben.
Ich will mich, meine sehr geehrten Damen und Herren, einem Aspekt dieses Themas zuwenden, der heute noch nicht angesprochen worden ist.In der öffentlichen Diskussion über die Stationierung von Atomraketen in unserem Land gewinnt — die Debatte bestätigt das — die Frage ihrer Legalität zunehmend an Bedeutung. Damit stellt sich auch für uns hier im Parlament — wie bei anderer Gelegenheit früher ebenfalls — die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Recht.In der Debatte über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Stationierung von Atomraketen in unserem Land hat Horst Ehmke kürzlich gesagt:
Die Weltgeschichte ist kein Amtsgericht. Er hat damit gemeint, daß auf eine politische Frage die Politik die Antwort geben müsse und die Verantwortung in diesem Fall nicht auf das Bundesverfassungsgericht abwälzen dürfe. Dem, meine Damen und Herren, kann man eigentlich nur beipflichten.Nur allzu häufig können wir beobachten, daß sich die Politik hinter den sonst nicht sonderlich geliebten Juristen versteckt, wenn eine politische Entscheidung Mut erfordert.Andererseits muß jedoch denen mit Entschiedenheit entgegengetreten werden, die da meinen, bei politischen Entscheidungen hätten rechtliche Aspekte außen vor zu bleiben. Wenn, wie kürzlich im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages geschehen, ein von mir besonders geschätzter Kollege aus den Reihen der FDP-Fraktion meint, eine Debatte über die rechtliche Zulässigkeit der Stationierung neuer Atomraketen sei verfehlt, weil dies allein ein nach politischen Kriterien zu beurteilender Vorgang sei, so muß dem widersprochen werden. Politische Entscheidungen des Parlaments müssen ihre Grenze am geltenden Recht finden, an den Vorschriften der Verfassung, aber auch an den allgemeinen Regeln des Völkerrechts und am Völkervertragsrecht, weil auch diese Rechtsnormen nicht zur Disposition einer Parlamentsmehrheit stehen.Aus diesem Grunde begrüßt die SPD-Fraktion die Initiative der Fraktion DIE GRÜNEN, die die heutige Debatte ausgelöst hat.
— Natürlich, und Sie werden auch hören, weshalb. Mit der Beantwortung der beiden Großen Anfragen wurde der Bundesregierung nämlich die Möglichkeit eingeräumt, die rechtlichen Grenzen politischer Entscheidungsfreiheit in der Stationierungsfrage abzustecken.Die Bundesregierung hat diese Chance leider nicht genutzt.
Sie hat es versäumt, eine fundierte Grundlage für diese Diskussion zu legen. Teilweise sind Antworten ausgeblieben, teilweise sind die Antworten oberflächlich und, was noch schlimmer ist, so verschwommen, daß sie das Entstehen neuer Mißverständnisse begünstigen.
Statt Substanz gab es Leerformeln, statt — wie Herr Kollege Klein meinte — Präzision Allgemeinplätze, statt Klarheit zusätzliche Verwirrung.
— Ich werde das gleich tun.Auch Herr Staatsminister Mertes hat heute vormittag zwar zu Recht von den hehren Prinzipien des humanitären Völkerrechts gesprochen, ist aber auf konkrete Fragen konkrete Antworten schuldig geblieben.
Er hat es wiederum beim Allgemeinen bewenden lassen, und dies, meine Damen und Herren, noch in Lateinisch, Französisch und Englisch. Lassen Sie mich dazu nur eines einfügen: Im Gerichtsverfassungsgesetz gibt es eine Vorschrift, die besagt, daß die Gerichtssprache Deutsch ist. Ich glaube, es wäre gut, wenn sich das Parlament einmal darauf besönne, daß hier nicht nur für die Abgeordneten, sondern vor allem für diejenigen, die uns draußen zuhören, auch Deutsch und weniger Englisch und Lateinisch geredet werden soll.
Meine Damen und Herren, ich verhehle allerdings nicht, daß auch die Fragesteller durch die Art der Fragestellung und vor allem durch die in einigen Fragen erkennbaren — auch von uns nicht zu akzeptierenden — Tendenzen zu dieser enttäuschenden Beantwortung durch die Bundesregierung beigetragen haben könnten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1949
Herr Abgeordneter Fischer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mertes in deutscher Sprache?
Ja.
Herr Kollege, in deutscher Sprache: Sind Sie mit mir der Meinung, daß man darüber diskutieren können muß, ob in einem Bündnis von Völkern mit verschiedenen Sprachen der Ausdruck „Abschreckung" der Engländer oder der Ausdruck „Abratung", „dissuasion", der bessere ist, und können wir uns vielleicht einmal überlegen, ob wir nicht die Übersetzung des besseren französischen Wortes für die deutsche Sprache wählen sollten?
Aber Herr Kollege Mertes, die Frage ist doch die, ob diejenigen, an die wir als Parlamentarier uns wenden, dies auch verstehen können. Daß Sie das verstehen, daß andere, die mit diesen Fragen befaßt sind, das verstehen und daß auch diejenigen, die einmal ein Latinum gemacht haben, „officium ad pacem" verstehen können, ist ja klar.
Es geht uns doch darum, daß wir uns auch denjenigen, die wir ansprechen, verständlich machen.
Herr Mertes möchte gern noch eine Zwischenfrage stellen.
Ich bitte um Entschuldigung; ich habe nur 10 Minuten.Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, soweit in diesen Fragen der NATO völkerrechtswidriges Verhalten oder gar eine Angriffsstrategie unterstellt wird, vermögen wir — das sage ich ganz deutlich — Ihre Auffassung nicht zu teilen. Die NATO ist und bleibt für uns ein Verteidigungsbündnis freiheitlicher Staaten, und daran ändern auch einige in der Öffentlichkeit bekanntgewordene wenig hilfreiche Äußerungen aus der US-Administration nichts. Sie stellen nicht die für die NATO verbindliche Strategie dar. Wer trotzdem so tut, als wären solche vereinzelten Äußerungen für das NATO-Bündnis verbindlich, sagt eben, wie ich meine, nicht die Wahrheit.Um so mehr bedauern wir es, daß die Bundesregierung mit teilweise oberflächlichen und verschwommenen Antworten auch noch Wasser auf die Mühlen einer solchen politischen Strategie lenkt. Ich will unsere Kritik an den Antworten verdeutlichen, muß mich jedoch aus Zeitgründen auf drei Beispiele beschränken:
Sicherlich trifft die Feststellung der Bundesregierung zu, daß weder das geltende Völkervertragsrecht noch das Völkergewohnheitsrecht ein absolutes Verbot der Anwendung atomarer Waffen kennen. Gleichwohl ist diese Antwort auf die zentrale Frage der Fraktion der GRÜNEN nach der generellen Legalität des Einsatzes von Atomwaffen unzureichend, ja, wie ich meine, sogar falsch. Denn auch der Einsatz von Atomwaffen muß sich an den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln über die Kampfmethoden messen lassen. Diese Regeln können nicht nur zu einer Beschränkung der Zulässigkeit des Einsatzes solcher Waffen führen, sondern gar zu ihrer Unzulässigkeit. Ich denke insbesondere an das kriegsvölkerrechtlich allgemein anerkannte Gebot der Verhältnismäßigkeit, das besagt, daß bei jedem Waffeneinsatz die Zivilbevölkerung so weit wie möglich zu schonen ist.Ich räume durchaus ein, daß die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf Massenvernichtungswaffen deshalb Schwierigkeiten bereitet, weil die ungeheure Wirkung dieser Waffen das menschliche Vorstellungsvermögen sprengt und bei der Auslegung dieses Rechtsgrundsatzes möglicherweise neue Maßstäbe erforderlich macht. Gleichwohl muß man sich diesem Problem stellen. Die Bundesregierung hat dies nicht getan.Von ihr hätte erwartet werden müssen, daß sie, statt Allgemeinplätze wiederzugeben, sich differenziert mit den in der Völkerrechtswissenschaft diskutierten Fragen auseinandersetzt, inwieweit ein Atomwaffeneinsatz überhaupt noch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist und inwieweit es angesichts der furchtbaren Wirkungen dieser Waffen praktisch möglich ist, Angriffe auf militärische Ziele zu begrenzen.Das breit diskutierte völkerrechtliche Problem — darauf hat Herr Kollege Schily zu Recht hingewiesen — der unterschiedlosen Wirkung von Atomwaffen wird in der Antwort der Bundesregierung geradezu provozierend oberflächlich behandelt.
Dabei müßten gerade wir Deutsche ein existentielles Interesse an der Klärung dieser Frage haben. Denn falls es tatsächlich zum atomaren Schlagabtausch kommen sollte, was wir mit allen Mitteln verhindern müssen, ist unser Gebiet doch sicherlich eines der atomaren Schlachtfelder.Doch damit nicht genug. Die Bundesregierung schießt mit ihrer oberflächlichen Argumentation auch noch Eigentore. Ich denke dabei an die Begründung, mit der sie ein völkerrechtliches Ersteinsatzverbot von Atomwaffen ablehnt. Diese Erwägungen sind widersprüchlich, mißverständlich und letztlich sogar gefährlich.
Die Bundesregierung lehnt ein völkerrechtliches Ersteinsatzverbot mit dem Argument ab, ein solches Verbot würde das in der UN-Charta verankerte umfassende Gewaltverbot relativieren. Auch Herr Staatsminister Mertes hat heute morgen wieder da-
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1950 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Fischer
von gesprochen. Diese merkwürdige Begründung fordert doch folgende Fragen geradezu heraus:
Wie steht es eigentlich mit den schon bestehenden vertraglichen Verboten des Einsatzes bestimmter Waffen, z. B. der chemischen oder der biologischen? Relativieren etwa diese konkreten Einsatzverbote auch das allgemeine Gewaltverbot der UN-Charta? Ist es deshalb ein politisch bedauerlicher Fehler, daß die Bundesrepublik an diese Verträge gebunden ist? Heißt das etwa, daß die Bundesrepublik eine Vertragspolitik ablehnt, die zum Ziel hat, die Zulässigkeit des Einsatzes von besonders gefährlichen Waffen, z. B. Atomwaffen, vertraglich zu begrenzen, weil dies das allgemeine Gewaltverbot der UN-Charta relativieren würde?Wir Sozialdemokraten stellen hierzu eindeutig fest: Wir sind für eine solche Vertragspolitik. Sie ist wesentlicher Bestandteil unserer Sicherheitspolitik. Wir sind bisher davon ausgegangen, daß dies für alle politischen Kräfte des Bundestages gilt. Denn nur durch solche Verträge wird zumindest eines erreicht: Es entsteht das Minimum an Vertrauen, das unerläßlich ist, um in Krisenzeiten die Gefahr von Fehlreaktionen zu reduzieren. Wer — wie die Bundesregierung — eine solche Vertragspolitik durch mißverständliche Antworten in Frage stellt, muß wissen, daß er die psychologischen Grundlagen unserer Verteidigungspolitik in der Bevölkerung damit langfristig gefährdet.Ich will aus Zeitgründen hier zusammenfassen: Die Bundesregierung hat mit ihren Antworten ihre Hausaufgaben, wie der Herr Bundeskanzler zu sagen pflegt, nicht gemacht.
Die Antworten sind nicht nur verschwommen und oberflächlich, sondern sie sind auch geeignet, politischen Fehlentwicklungen Vorschub zu leisten. Die Bundesregierung hat dem Parlament und den Menschen, die auf klare Antworten warten, mit dieser Antwort Steine statt Brot gegeben. — Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen den Großen Anfragen der Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag und der Antwort der Bundesregierung auf diese Anfragen besteht ein grundsätzlicher innerer Widerspruch, ein Widerspruch, der um so deutlicher wird, wenn man sich Ihre Rede, Herr Kollege Schily, im Gegensatz zu dem vorstellt, was Staatsminister Mertes hier heute morgen ausgeführt hat. Ihre Anfragen, Ihre Ausführungen gehen grundsätzlich von Überlegungen der Kriegführungsstrategie aus, während Sie völlig übersehen oder negieren, daß der Politik dieser Bundesregierung — übrigens auch der vorigen Bundesregierung — Überlegungen zugrunde liegen, die der Kriegsverhütungsstrategie zuzurechnen sind.
Dies tun wir j a gerade, Herr Kollege Schily, weil uns alles das, was Sie hier heute über die Furchtbarkeit eines atomaren Krieges noch einmal ausgeführt haben, bewußt und bekannt ist — eine Darstellung, die von Ihrer Seite übrigens durch eine Darstellung der Furchtbarkeit auch eines konventionellen Krieges mit heutigen Mitteln hätte ergänzt werden müssen.
Herr Abgeordneter Ronneburger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schily?
Ja, bitte sehr.
Herr Kollege Ronneburger, sind Sie sich dessen bewußt, daß das, was Sie als Kriegsverhinderungsstrategie bezeichnen, dadurch gewährleistet werden soll, daß Sie eine Kriegführungsstrategie entwickeln?
Nein, ich bestreite dies, Herr Kollege Schily, und werde Ihnen das mit meinen nächsten Sätzen auch nachweisen. Wir werden — Sie gestatten, daß ich Ihre Frage in meinen weiteren Ausführungen beantworte — in zwei Punkten sicherlich einig sein: im Ernstnehmen der Sorgen um die Erhaltung des Friedens, die in unserem Lande — und nicht nur in unserem Lande — zweifellos vorhanden sind, und über einen Satz von Franz Alt, der gesagt hat: Einer muß anfangen, aufzuhören.
— Ich erwartete Ihr Kopfnicken und kann nur befriedigt feststellen, daß es kommt. Franz Alt ist übrigens ein Mann, vor dessen konsequenter Haltung ich eine große Hochachtung habe, auch wenn ich seine Überzeugungen durchaus nicht in allen Punkten zu teilen vermag.Aber wenn wir sagen, einer muß anfangen, auf zuhören, Herr Kollege Schily, dann wird es doch wohl einmal Zeit, den NATO-Doppelbeschluß auf seinen eigentlichen Inhalt zu untersuchen. Wie war es denn bis 1979? Es gab — völlig unbestritten in der Welt — eine Automatik der Rüstung und Gegenrüstung. Dieser NATO-Doppelbeschluß ist der erste ernsthafte Versuch, mit dem Aufhören anzufangen.
Sechseinhalb Jahre lang, meine Damen und Herren, hat der Westen gewartet, ehe er sich zu einer ernsthaften Reaktion auf die Aufstellung der SS 20 auf Grund des Doppelbeschlusses möglicherweise herbeifinden muß — nicht deshalb, weil er mehr Waffen will, sondern weil endlich einmal erreicht werden muß, daß die Rüstungsspirale nicht nur angehalten, sondern durch Abbau bereits vorhande-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1951
Ronneburgernen Rüstungspotentials endlich auch einmal zurückgedreht und der Friede damit sicherer gemacht wird. Sie sprechen, Herr Kollege Schily, von einer Geiselnahme der Bevölkerung der Warschauer-Pakt-Staaten durch die NATO.
Wie fühlen Sie sich eigentlich angesichts — —
— Ja, aber warum reden Sie dann nicht davon, daß auch wir letzten Endes Geiseln sind
aus der Sicht der Sowjetunion angesichts der Aufstellung dieser Unzahl von SS 20 mit ihren über 1 000 Sprengköpfen,
von denen zumindest etwa 750 auf Westeuropa gerichtet sind?
Wenn wir das alles im Auge haben, kann ich Ihnen nur sagen: Ich und die Kollegen meiner Fraktion sind für den Doppelbeschluß nicht nur, weil wir die Abrüstung auf diesem Mittelstreckenwaffengebiet wollen, sondern wir sind auch für den Doppelbeschluß, weil wir dieses Modell gegen automatische Rüstung und Nachrüstung endlich einmal auch auf andere Gebiete der Rüstung angewendet sehen und in seiner Wirksamkeit erhalten wollen, damit wir endlich einmal weniger Waffen haben.
Unterstellen Sie doch bitte nicht uns in der Koalition — oder in der alten Koalition —, wir wollten mehr Raketen, wir wollten Atomwaffen möglicherweise einsetzen. Wir wollen Frieden und wir wollen weniger Waffen. Und wir stimmen sicher auch überein, wenn ich Ihnen sage: Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen. Ja! Das ist richtig. Aber es ist zuwenig. Wir müssen dafür sorgen, daß Spannungen abgebaut werden und daß Kriegsgefahr nicht nur auf deutschem Boden verhindert wird, sondern weltweit.
Und der Bundesaußenminister, dem Sie, Herr Kollege Voigt, heute Sturheit vorgeworfen haben, wird morgen in Wien — und dies als eine Folge langer Gespräche — sich abermals bemühen, Spannungen abzubauen und damit den Frieden in der Welt sicherer zu machen. Das ist unsere Tendenz.Und deswegen sage ich noch einmal: Wir sollten aufhören, in Kriegführungsstrategien zu denken,
sondern sollten gemeinsam darüber nachdenken, wie wir den Krieg verhindern.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Todenhöfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zuerst auf einige Ausführungen des Kollegen Voigt eingehen.
Herr Kollege Voigt, ich finde es richtig und gut, wenn sich sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete bei Ihrer Entscheidung über den NATODoppelbeschluß in diesem Herbst auf ihr Gewissen und auf Art. 38 des Grundgesetzes berufen. Ich finde es allerdings schlecht, wenn Politiker ihr Gewissen in dieser Frage erst nach einer verlorenen Wahl entdecken.
Die SPD argumentiert, die Geschäftsgrundlage des NATO-Doppelbeschlusses — der für uns ein Fahrplan zur Abrüstung und zur Kriegsverhinderung ist —
sei entfallen. Herr Voigt, Herr Ehmke, wann ist denn die Geschäftsgrundlage entfallen? Bis zum 1. Oktober 1982 ist die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung doch voll konsultiert worden. Sie hat jeder einzelnen Verhandlungsposition in Genf bis aufs Komma zugestimmt. Deswegen kann die Geschäftsgrundlage doch erst nach dem 1. Oktober 1982 entfallen sein. Und jetzt frage ich Sie, Herr Ehmke: Wann, wo und wie ist nach dem 1. Oktober 1982 die Geschäftsgrundlage des NATO-Doppelbeschlusses entfallen?
Nicht die Geschäftsgrundlage des NATO-Doppelbeschlusses hat sich geändert, sondern die SPD hat sich geändert und ihre Abrüstungspolitik hat sich geändert.
Sie haben Ihre Abrüstungspolitik der Parteitaktik untergeordnet. Und dies ist unser Vorwurf an Sie.
Herr Abgeordneter Dr. Todenhöfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Voigt?
Angesichts der Zeitproblematik, die sich ergeben hat und die Sie kennen, möchte ich jetzt keine Zwischenfrage beantworten.
Der Westen hat in den Fragen der Abrüstung und des NATO-Doppelbeschlusses große Kompromißbereitschaft von Anfang an, auch damals unter der SPD-geführten Regierung, erkennen lassen. Schon der NATO-Doppelbeschluß in sich selbst war ein Kompromiß, ein revolutionärer Kompromiß: Die Bereitschaft, nicht erst aufzustellen, sondern erst zu verhandeln, also nicht, wie die Russen das im-
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1952 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Dr. Todenhöfermer gemacht haben, auf vorhandene Raketen einfach andere Raketen zu stellen,
sondern den Umfang der Stationierung von einem Verhandlungsergebnis in Genf abhängig zu machen.Zweitens. Der NATO-Doppelbeschluß führt auch nicht zu mehr Waffen, wie immer wieder gesagt wird. Er führt zu weniger Waffen.
Falls es zu der vollen Stationierung kommt, werden für die 572 Gefechtsköpfe 1 572 Gefechtsköpfe abgebaut — 1 000 sind bereits abgebaut.Ich möchte an dieser Stelle auf eines sehr deutlich hinweisen: Die neue deutsche Bundesregierung hat wesentlich dazu beigetragen, daß die NATO noch in diesem Monat ein Drittel ihrer nuklearen Gefechtsfeldwaffen, d. h. über 1 500 zusätzliche nukleare Gefechtsköpfe, einseitig abziehen und vernichten wird.
Im Ergebnis werden also, selbst wenn es zur vollen Stationierung kommt, für jeden Pershing-II- und für jeden Cruise-Missile-Gefechtskopf mindestens fünf Gefechtsköpfe abgezogen. Ich frage Sie, Herr Schily: Was soll die Bundesregierung noch mehr machen?
Wir tun das, was Bundeskanzler Kohl gesagt hat: Frieden schaffen mit weniger Waffen, und wir weisen das auch mit Zahlen nach — was die frühere Bundesregierung in diesem Falle offenbar nicht geschafft hat.
Die Null-Lösung war ein weiterer Kompromiß, weil der Westen mit der Null-Lösung auf eine wichtige militärische Option verzichtet hat, die für ihn auf Grund des geographisch weit getrennten Bündnisgebietes viel wichtiger ist als für die Sowjetunion die SS 20, die die Sowjets nie für ihre Verteidigung gebraucht haben.Auch unser Angebot für eine Zwischenlösung war ein weiterer weitgehender Kompromißvorschlag, in dem Paul Nitze den Sowjets angeboten hat, daß man sich auf ein Gleichgewicht zwischen 50 und 450 einigen könne. Er hat damit den Sowjets die Möglichkeit gegeben, die Größenordnung herauszusuchen, die ihren Sicherheitsinteressen am ehesten entgegenkommt.Und das neueste, letzte Verhandlungsangebot des Westens, meine Damen und Herren, in dem vorgeschlagen wird, daß in Westeuropa kein Gegengewicht gegen die in Asien stationierten SS 20 aufgestellt wird, ist ein noch weitergehender Kompromißvorschlag, weil auch die SS 20 in Nowossibirsk und in Barnaul unser Land, die Bundesrepublik Deutschland, unmittelbar bedrohen.Wir haben also große Kompromißbereitschaft gezeigt. Und die Unterstellung, die Haltung dieser Bundesregierung sei stur, ist nicht nur unfair, sie ist auch objektiv unrichtig. Jetzt ist die Sowjetunion am Zug, Flexibilität zu zeigen. Jetzt muß die Sowjetunion ihre starre Haltung aufgeben. Sie muß insbesondere ihre Blockade in der Frage der Einbeziehung der britischen und französischen Systeme aufgeben, mit der sie versucht — das ist doch die eigentliche Strategie der Sowjetunion —, uns vom Nuklearschutz der Vereinigten Staaten abzukoppeln
und gleichzeitig ihr SS-20-Monopol gegenüber Westeuropa und vor allen Dingen gegenüber unserem Land zu behalten.
Wir werden keine Lösung akzeptieren, die der Sowjetunion ein SS-20-Monopol gegenüber unserem Lande läßt.Meine Damen und Herren, daß das Drittstaatenargument ein vorgeschobenes Argument ist, läßt sich leicht beweisen. Ich will das hier im Deutschen Bundestag jetzt auch einmal mit aller Deutlichkeit tun. Am 1. Juli 1980 hat der damalige Bundeskanzler Schmidt in Moskau — —
Wir, Herr Schily, denken in Kategorien der Kriegsverhinderung — deswegen ringen wir um Abrüstung —, während Sie in Kategorien der Kriegführung denken und deswegen am Ende zu viel schlimmeren Folgen kommen werden als wir.
Am 1. Juli 1980 hat der damalige Bundeskanzler Schmidt in Moskau Generalsekretär Breschnew im Zusammenhang mit den geplanten INF-Verhandlungen gefragt — —
Herr Abgeordneter Todenhöfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schily?
Nein, ich habe vorhin eine generelle Aussage dazu gemacht.Schmidt hat Breschnew am 1. Juli 1980 folgendes gefragt — ich zitiere wörtlich —:Als Beispiel nennen Sie, Herr Generalsekretär, die forward based systems. Sie nennen nicht die französischen, englischen und chinesischen Mittelstreckenwaffen. Heißt das, daß diese die strategische Situation nicht berühren?Soweit die Frage von Helmut Schmidt. Darauf hat Außenminister Gromyko wörtlich geantwortet — ich zitiere —:
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1953
Dr. TodenhöferEs geht nur um die amerikanischen forward based systems. Die britischen, französischen und chinesischen Waffen werden nicht einbezogen.Meine Damen und Herren, das ist die historische Wahrheit, und es wird Zeit, daß die deutsche Öffentlichkeit diese Wahrheit auch erfährt.Wir bieten der Sowjetunion nach wie vor die weltweite Null-Lösung an. Wir bieten der Sowjetunion nach wie vor ein faires und gerechtes Zwischenergebnis an, das sich vor allem an folgenden Kriterien messen lassen muß:Erstens: Weltweit gleiche Rechte und gleiche Obergrenzen für die USA und die Sowjetunion.Zweitens: Nichtanrechenbarkeit der interkontinentalstrategischen Systeme Frankreichs und Großbritanniens bei den bilateralen Mittelstreckenverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion.Drittens: Beibehaltung des Waffenmixes Pershing II und Cruise Missiles.Viertens: Keine Schwächung der konventionellen Kampfkraft und Sicherstellung der Verifizierbarkeit.Fünftens — das möchte ich mit ganz besonderer Deutlichkeit sagen —: Fristgerechte Verwirklichung des NATO-Doppelbeschlusses, d. h. kein Moratorium, kein Aufschub der Stationierung, falls es in Genf zu keinem Verhandlungsergebnis kommt, um das wir ringen, um das diese Bundesregierung ringt und um das die Amerikaner ringen.Meine Damen und Herren, wer den Frieden will, der muß auch bereit sein mitzuhelfen, die Ursachen der Spannungen in dieser Welt abzubauen. Abrüstung allein — so wichtig sie ist — kann die Konflikte dieser Welt nicht lösen. Sie beseitigt nicht die Unterdrückung in Osteuropa, und sie beseitigt nicht die Besetzung Afghanistans. Während wir hier debattieren, sterben in Afghanistan — das muß in einer Debatte über Völkerrecht auch gesagt werden — wehrlose Menschen durch die Rote Armee.
Durchschnittlich sterben 100 unschuldige Zivilpersonen in Afghanistan pro Woche durch sowjetische Bombenangriffe. 10 000 Menschen fliehen zur Zeit pro Woche aus Afghanistan in die Flüchtlingslager nach Pakistan und Iran. 700 000 afghanische Zivilpersonen sind getötet worden. 4,5 Millionen Afghanen sind nach Pakistan und nach Iran geflohen. —Herr Schily, ich frage Sie: Wo bleibt denn eigentlich der laute, echte, richtige, ehrliche Protest der deutschen Linken gegen den völkerrechtswidrigen Krieg der Sowjetunion in Afghanistan? Wo bleibt er denn?
Und wo bleibt der tägliche Protest der deutschen Fernsehmedien gegen diesen erbarmungslosen Krieg der Sowjetunion? Stellen Sie sich doch einmal vor, was auf den deutschen Straßen los wäreund auf den deutschen Fernsehkanälen, wenn die USA diesen Krieg in Afghanistan führen würden.
Herr Schily, das ist doch eine unerträgliche doppelte Moral, die die deutsche Linke einschließlich linker Medien hier an den Tag legt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Ich habe das generell — —Vizepräsident Westphal: Herr Abgeordneter, Sie haben eben selbst Herrn Schily gefragt. Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Schily?
Herr Schily, ich habe noch genau drei Minuten Redezeit. Ich möchte meine Rede zu Ende führen.Meine Damen und Herren, wenn die Sowjetunion ihren Friedenswillen unter Beweis stellen will — deswegen sind wir diese Woche ja nach Moskau gegangen —, dann muß sie diesen Krieg in Afghanistan beenden, und dann muß sie endlich zu wirklicher Abrüstung bereit sein. Mit bloßer Abrüstungsrhetorik wie in den letzten Jahren lassen sich die Probleme dieser Welt nicht lösen.Lassen Sie mich eine abschließende für mich ganz zentrale Bemerkung machen. Ich will damit das unterstreichen, was Staatsminister Mertes, was mein Kollege Jonny Klein, was Herr Schäfer und was Herr Ronneburger gesagt haben. Die Demokratie, in der wir leben, hat nicht nur das Recht, sich zu verteidigen, sie hat auch die Pflicht, sich zu verteidigen. Wir haben eine ausschließlich defensive Strategie. Die NATO hat noch niemanden angegriffen, und die NATO wird auch niemanden angreifen. Das wiederhole ich in aller Klarheit. Unsere Verteidigungsstrategie entspricht dem Völkerrecht.Ich sage Ihnen für meine Fraktion: Die CDU/CSU wird nie einer Verteidigungsstrategie zustimmen, die nicht mit den Regeln des Völkerechts in Einklang steht. Die Unterstellung, die in der Großen Anfrage zum Ausdruck kommt, die NATO-Strategie der flexiblen Reaktion widerspreche den Regeln des Völkerrechts, ist eine unglaubliche Beleidigung all derer — all der Christlichen Demokraten, all der Sozialdemokraten und all der Freien Demokraten —, die in den letzten Jahrzehnten an der Erarbeitung dieser Verteidigungsstrategie der NATO mitgearbeitet haben.
Meine Damen und Herren, wir haben das Völkerrecht nicht verletzt. Wir werden das Völkerrecht nicht verletzen. Wir wollen in unserem Lande und für unser Land den Frieden. Aber wir wollen für
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1954 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Dr. Todenhöferunser Land auch in Zukunft die Freiheit bewahren. — Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, zu diesem Tagesordnungspunkt liegen weitere Wortmeldungen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.Ich rufe den Zusatzpunkt zur Tagesordnung auf:Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes— Drucksache 10/470 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
RechtsausschußHaushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GOMeine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf nimmt in seiner Begründung auf den Bericht des Präsidenten des Deutschen Bundestages nach § 30 des Abgeordnetengesetzes Bezug. Der Bericht, der bereits als Drucksache 10/464 verteilt wurde, ist Ihnen vorsorglich noch einmal auf die Pulte gelegt worden. Hierzu wird zunächst der Präsident des Deutschen Bundestages sprechen. Für die Aussprache, die danach folgt, ist interfraktionell eine Runde vereinbart worden. — Ich höre keinen Widerspruch. Sie sind damit einverstanden.Dann hat der Herr Präsident des Deutschen Bundestages das Wort.Dr. Barzel, Präsident des Deutschen Bundestages: Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Rechte gibt es nach der Regel unseres freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats nur in fester Verbindung zu Pflichten. Diesen muß man entsprechen, ob sie gelegen sind oder nicht, ob sie angenehm oder eher ärgerlich sind. Zu den gesetzlichen Pflichten gehört, in diesem Herbst amtlich und öffentich einen Bericht über die Angemessenheit der Entschädigung der Abgeordneten vorzulegen.Der Bericht, der im Benehmen mit dem Ältestenrat erstattet ist, liegt Ihnen und der Öffentlichkeit vor. Ich habe ihn auch vor der Bundespressekonferenz erörtert. Wir haben nichts zu verstecken und keine Diskussion zu scheuen. Ich habe darauf verzichtet, erneut eine Sachverständigenkommission zu bemühen. Was die Kommission 1976 erarbeitet hat, ist nach wie vor aktuell. So berichte ich unmittelbar. Ich verantworte das auch so wie wir alle später unsere Entscheidung.Wir müssen in eigener Sache einsehbar und öffentlich handeln, weil dies allein dem Gesetzgeber zukommt. Es gibt keinen anderen. Seit sieben Jahren hat es keine Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung gegeben. In der gleichen Zeit sind Kaufkraftverluste von ca. 30 % und ansonsten Einkommenszuwächse von durchschnittlich ca. 40 % zu verzeichnen. Das Statistische Bundesamt weist aus, daß die Durchschnittslöhne der Arbeiter in der Industrie von 1977 bis April 1983 um 45 % gestiegen sind, im gleichen Zeitraum die durchschnittlichen Gehälter der Angestellten in Industrie und Handel um 45,2 %. Die Bezüge im öffentlichen Dienst sind in dieser Zeit um 34 v. H. gestiegen, und die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung wurden inzwischen um 38,7 % erhöht. Wären die Abgeordnetenentschädigungen in diesen sieben Jahren vergleichbar um eine mittlere Rate, also um etwa 40 v. H., erhöht worden, so betrügen sie heute 10 500 DM steuerpflichtig je Monat. Allein die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben in diesen Jahren weder einen Ausgleich für die Kaufkraftverluste noch — wie die anderen Bevölkerungsgruppen — eine Anhebung ihrer Entschädigung erhalten.Die Maßstäbe zur Beurteilung der Frage, ob die Entschädigung angemessen ist, stehen mir nicht zur freien Auswahl. Das Grundgesetz selbst und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 1975 bestimmen verbindlich diese Maßstäbe. Daran habe ich mich zu halten.Die Entschädigung soll angemessen sein, die Unabhängigkeit der Abgeordneten sichern, der mit dem Amt verbundenen Verantwortung entsprechen, die mit dem Amt verbundene Belastung berücksichtigen und dem diesem Amt im Verfassungsgefüge zukommenden Rang gerecht weden. Der Anspruch auf eine solche Entschädigung gehört zur verfassungsrechtlich geschützten und geforderten Substanz des Mandats. Diesem Anspruch zu entsprechen und seine Substanz zu sichern ist ein Gebot der Verfassung. Es richtet sich auch an den Gesetzgeber und bindet ihn.Die Entschädigung muß dazu beitragen, daß dem Deutschen Bundestag Persönlichkeiten angehören, die bereit und fähig sind, diese Arbeit zu leisten und dieser Verantwortung gerecht zu werden. Die Qualität unseres freiheitlichen Rechtsstaates und der deutschen Politik hängt auch ab von der Qualität seines Parlaments, also seiner Abgeordneten. Die Höhe der steuerpflichtigen Entschädigung darf niemanden hindern und soll niemanden anreizen, ein Mandat zu erstreben.Die Wählerinnen und Wähler haben einen Anspruch auf qualifizierte Kandidaten und Abgeordnete. Ohne angemessene Entschädigung der Gewählten wird das nicht zu erreichen sein. Auch Parlament, Demokratie und Freiheit gibt es nicht umsonst.Die Entschädigung hat auch historisch immer Einfluß auf die Zusammensetzung des Parlaments gehabt. Die parlamentarische Demokratie ist darauf angewiesen, daß für alle Gruppen der Bevölkerung gleichermaßen die reale Möglichkeit besteht, die unerläßliche öffentliche Aufgabe der Volksvertretung nach bestem Wissen und Gewissen wahrzunehmen.Ich habe deshalb wegen des Zusammenhangs mit dem Verfassungsgefüge noch eine Zahl zu nennen. Im Jahr 1976 entsprach die Entschädigung der Abgeordneten 53 v. H. des Amtsgehalts eines Bundesministers. Sie ist im Jahr 1983 auf knapp 42 v. H.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1955
Präsident Dr. Barzeldieses Amtsgehalts abgesunken. Das entspricht, wie ich meine, nicht der Stellung des Bundestages und seiner Abgeordneten im Verfassungsgefüge. Die Lage des Kontrollorgans darf sich auch materiell im Verhältnis zum kontrollierten Organ nicht weiter verschlechtern.Bei alledem ist zu berücksichtigen, daß die Arbeitslosigkeit andauert, die Sozialhilfe zunehmend in Anspruch genommen werden muß sowie die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland durch eine Reihe von Maßnahmen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen Einschränkungen ihrer Nettoeinkommen hinnehmen mußten und müssen. Im steuerlichen Bereich wurden einige Abzugsmöglichkeiten, Freibeträge und Pauschalen vermindert und von bestimmten Einkommensgrenzen an eine Investitionshilfeabgabe eingeführt. Im sozialen Bereich sind bei den gesetzlichen Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherungen, bei Kindergeld, Ausbildungsförderung, Wohngeld und Sozialhilfe den Bürgerinnen und Bürgern Belastungen auferlegt worden. Diese Maßnahmen zehren nicht die in den letzten sieben Jahren erreichten Steigerungen bei Löhnen, Gehältern, Besoldung und Renten auf.Natürlich machen sich die Kaufkraftverluste auch bei der Aufbringung der mandatsbedingten Kosten bemerkbar, der Amtsausstattung nach dem Gesetz. Auch dazu wird im Bericht, auf den ich verweise, die Entwicklung erläutert.Die mir nach § 30 des Abgeordnetengesetzes obliegende Prüfung ergibt — wie die ausführliche schriftliche Darlegung erweist —, daß die Entschädigung gemäß Art. 48 Abs. 3 des Grundgesetzes nach den Maßstäben des Grundgesetzes, des Abgeordnetengesetzes und des Urteils des Bundesverfassungsgerichts derzeit nicht angemessen ist. Der Gesetzgeber sollte, so empfehle ich in der Drucksache, diesen mit den Geboten der Verfassung nicht mehr im Einklang stehenden Zustand durch eine maßvolle, im Hinblick auf die soziale, wirtschaftliche und finanzielle Lage der Bürgerinnen und Bürger angemessene Erhöhung der Entschädigung ändern.Ich empfehle Ihnen zugleich, auf den großen Nachschlag, der sich aus dem Zahlenwerk des Berichts leicht errechnen läßt, zu verzichten.Die Bürgerinnen und Bürger bitte ich, gerecht und fair zu urteilen und dabei zu bedenken: Unser Staat ist der freieste unserer Geschichte und ist um soziale Gerechtigkeit bemüht. Wir haben Frieden und Freiheit durch diese parlamentarische Demokratie. Wir alle, so frage ich als Bürger die Mitbürgerinnen und Bürger, haben uns auch zu fragen: Was ist uns wert, was uns wert ist?Wir hier, meine Kolleginnen und Kollegen, haben uns, wie ich zu Beginn dieses 10. Deutschen Bundestages betont habe, selbst zu fragen und uns auch anspruchsvoll messen zu lassen. Wir haben, sagte ich damals, hier und da mehr Rechte als andere, weil wir mehr Pflichten haben. Wir erstreben keine gespreizte, verordnete Würde, sondern die natürliche Achtung, die aus unserer Arbeit erwächst und aus der Art, wie wir sie leisten.Achtung durch Arbeit und Leistung — nichts anderes erstrebt auch dieser Deutsche Bundestag. Unser Volk arbeitet auch so. Es ist fair und wird Verständnis für diese Entscheidung haben.
Nach dieser Erklärung des Präsidenten des Deutschen Bundestags eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat als erster Herr Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich zunächst Ihnen, Herr Bundestagspräsident, unseren Dank aussprechen für den Bericht, den Sie gemäß § 30 des Abgeordnetengesetzes gegeben haben. Ihr Bericht bildet eine gute Grundlage für eine sachbezogene Erörterung der mit der Entschädigung für die Bundestagsabgeordneten verbundenen Probleme auch in der Öffentlichkeit. Er enthält auch in der Anlage viele Argumente, Materialien und Gesichtspunkte, die uns helfen, eine angemessene Entscheidung zu treffen.Ich bitte alle Bürgerinnen und Bürger, diesen Bericht unvoreingenommen und kritisch zur Kenntnis zu nehmen. Ihr Bericht, Herr Präsident, weist nach, daß die Entschädigung für die Bundestagsabgeordneten nach den Maßstäben des Grundgesetzes und nach den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 5. November 1975 aufgestellt hat, nicht mehr angemessen ist. Die Tatsache, daß seit der Neuregelung des Abgeordnetengesetzes im Jahre 1976 die Entschädigung für die Bundestagsabgeordneten nicht mehr angepaßt worden ist, hat zu einer erheblichen Verschlechterung der Einkommen der Abgeordneten geführt.Ich will noch einmal unterstreichen, daß für diesen Zeitraum die durchschnittliche Preissteigerungsrate bei 30 % liegt. Ich will noch einmal unterstreichen, was auch in dem Bericht des Präsidenten nachzulesen ist, daß in diesem Zeitraum etwa die Bruttoverdienste der Arbeiter und Angestellten um 45 % gestiegen sind, daß im öffentlichen Dienst die Bezüge um 34 % gestiegen sind, daß die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung in diesem Zeitraum um 38 % gestiegen sind
und daß auch die Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz in diesem Zeitraum um fast 30 % gestiegen sind.Meine Damen und Herren, wir wissen alle, daß wir diese Diskussion heute in einer Zeit führen müssen, in der wir unseren Mitbürgern als Folge der Krise von Wirtschaft und Staatsfinanzen Einsparungen und Einschränkungen zumuten müssen.Aber ich will zu dieser Spardiskussion, auf die auch der Präsident eben hingewiesen hat, sagen: Es
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1956 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Dr. Schäublegeht da in aller Regel um die Frage, daß in den kommenden Jahren Einkommenszuwächse niedriger ausfallen müssen oder im Extremfall auch einmal ein Jahr lang nicht stattfinden. Aber daß es einen absoluten Stillstand der Einkommen während sieben Jahren gegeben hat, ist einmalig. Der Bericht des Präsidenten weist aus, daß keine andere Gruppe von Einkommensbeziehern von einem solchen absoluten Stillstand über sieben Jahre betroffen ist.Aus alledem, meine Damen und Herren, folgt die Notwendigkeit, daß die Entschädigung auch für die Bundestagsabgeordneten in regelmäßigen Abständen angepaßt werden muß. Deswegen legt Ihnen meine Fraktion zusammen mit den Fraktionen von SPD und FDP den Gesetzentwurf in der Drucksache 10/470 vor, mit dem wir die Konsequenzen aus dem Bericht des Bundestagspräsidenten ziehen wollen.Ich habe darauf hingewiesen, in welcher wirtschaftlichen Lage wir dies tun müssen. Wir müssen sparen, um die Wirtschaftskrise zu überwinden und um die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Wir Bundestagsabgeordneten können und wollen uns nicht von der Notwendigkeit, Maß zu halten, bescheiden zu bleiben, die notwendigen Einsparungen nicht nur bei anderen zu suchen, sondern selbst mitzutragen, nicht abkoppeln.Deswegen, meine Damen und Herren, ist es nicht möglich, an Einkommensanpassungen nachzuholen, was in diesen sieben Jahren versäumt worden ist. Aber es ist notwendig, daß wir für die Zukunft wieder zu einer maßvollen Anpassung kommen. Wir müssen den sieben Jahre währenden Stillstand beenden.
— Wenn Sie mich noch ein bißchen reizen, sage ich etwas zu Ihrem Parlamentsverständnis, Frau Kollegin, und vielleicht auch dazu, daß die Demokratie immer dann Schaden genommen hat, wenn man versucht hat, Parlamente und Abgeordnete verächtlich zu machen, und daß diejenigen, die darauf achten, daß das Parlament seinen Rang bewahrt und daß die Abgeordneten ihre Selbstachtung bewahren, für die Stärkung der Demokratie etwas tun, was Sie vielleicht erst noch lernen müssen.
Das Wichtigste in dem Gesetzentwurf, den wir Ihnen vorschlagen
— ich verstehe gar nicht, warum Sie schreien, ehe wir sachlich darüber debattieren; daran liegt Ihnen nichts —, ist, daß wir die Formel der Berichtspflicht des Präsidenten im Abgeordnetengesetz so aktualisieren wollen, daß wir wieder zu einer regelmäßigen Anpassung kommen. Wir wollen aber zugleichdaran festhalten, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, daß es nämlich dieser Bundestag selbst ist, der bei jeder Anpassung der Diäten entscheiden muß. Es gibt keine Automatik in der Anpassung der Diäten, sondern es ist die freie und souveräne Entscheidung des Bundestags, die Diäten anzupassen.Wir müssen dabei in Kauf nehmen, meine Damen und Herren, daß wir quasi in eigener Sache entscheiden. Niemandem fällt das leicht. Aber nach Recht und Verfassung kann uns niemand die Pflicht abnehmen, in eigener Sache zu entscheiden. Diese Pflicht nach der Verfassung bedeutet eben auch, meine Damen und Herren, daß wir entscheiden müssen.Wir haben bei der Entscheidung über die Angemessenheit der Abgeordnetenentschädigung auch an den Rang des Verfassungsorgans Bundestag zu denken. Der Bericht des Bundestagspräsidenten sagt — er sagt dies zu Recht —, daß der Bundestag das Herz unseres freiheitlichen und sozialen Rechtsstaates ist. Meine Damen und Herren, dies muß sich auch bei der jetzt zu treffenden Entscheidung wiederfinden. Wir müssen bei dieser Entscheidung auch unserer Verantwortung für die Qualität der Arbeit des Bundestages und auch für die Qualität seiner Abgeordneten gerecht werden. Meine Damen und Herren, es muß auch in Zukunft nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich für qualifizierte Angehörige aller Berufsgruppen zumutbar erscheinen, sich für die Arbeit als Bundestagsabgeordnete zur Verfügung zu stellen.
Wenn man die Medien — Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen — in den letzten Tagen verfolgt hat, könnte man meinen, die Frage der Entschädigung der Abgeordneten sei die wichtigste Frage der Nation. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein.
Keiner von uns hält die Frage der Diäten für eine Frage von besonderer Bedeutung. Wir haben viel wichtigere Fragen zu entscheiden.
Wir haben viel wichtigere Entscheidungen zu treffen.
Wenn dies so ist, dann heißt es aber auch, daß wir bei der Frage der Angemessenheit der Entschädigung dem Rechnung tragen müssen, daß die Abgeordneten unabhängig bleiben, nicht nur äußerlich in dem Sinne, daß sie nicht von anderen Einkünften abhängig werden,
sondern auch im Sinne der inneren Freiheit und Unabhängigkeit, daß die Abgeordneten frei bleiben von Sorgen für ihre Familie, daß sie die schwere Arbeit und die Belastungen einer Achtzig- und Neunzig-Stunden-Woche, wie das auch im Urteil des
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1957
Dr. SchäubleBundesverfassungsgerichts nachgewiesen ist, auch gegenüber ihren Familien verantworten können.
Das gehört zur Frage der Angemessenheit der Entschädigung für Abgeordnete.
Meine verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, wenn Sie Ihre Aufgabe als gewählte Abgeordnete dieses Deutschen Bundestages endlich einmal ernst nehmen würden, dann würden Sie bei so sachlich vorgetragenen Überlegungen nicht einfach schreien, sondern Sie würden sich vielleicht wirklich einmal darum kümmern, welch schwere Arbeitsbelastung mit dem Auftrag der Bürger an jeden einzelnen von uns verbunden ist. Wir stellen uns diesem Auftrag, aber wir haben dabei auch die Verantwortung gegenüber den Kollegen, gegenüber den Familien der Kollegen in Rechnung zu stellen.
Meine Damen und Herren, unter Würdigung all dieser Umstände bleibt der von den Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP vorgelegte Gesetzentwurf an der unteren Grenze dessen, was im Sinne einer angemessenen Entschädigung jetzt an Anpassung notwendig ist. Niemand, der sich in diesem Hause ein bißchen umhört, kann darüber hinwegsehen, daß viele Kollegen mit guten Gründen mit dem, was hier vorgeschlagen wird, nicht zufrieden sind, daß sie sagen: Das ist eigentlich vor all dem Hintergrund, der im Bericht des Präsidenten dargelegt ist, zu wenig.Wir werden in den Ausschußberatungen alle Anregungen sorgfältig zu prüfen haben. Wir werden abzuwägen haben, ob es möglich ist, einen besseren Weg zu finden, aber wir müssen diese Abwägungen natürlich auch vor dem Hintergund der wirtschaftlichen und finanziellen Gesamtsituation treffen, in der sich unser Land befindet und von der unsere Bürger betroffen sind.Wir müssen und wir werden all unsere Gesichtspunkte und Argumente vor unseren Mitbürgern offen vertreten. Wir werden uns nicht verstecken. Wir werden nicht in Hinterzimmern entscheiden und beraten,
sondern wir werden in aller Öffentlichkeit und in aller Offenheit unsere Argumente darlegen.Meine Damen und Herren, ich bin zuversichtlich — Herr Präsident, Ihr Bericht hat dazu sehr viel beigetragen —, daß wir bei einer angemessenen Entscheidung, die wir jetzt zu treffen haben, das Verständnis einer zu Recht kritischen und sensiblen Öffentlichkeit finden werden. Ich glaube, die große Mehrzahl unserer Bürger weiß, daß eine freiheitliche Demokratie ein funktionsfähiges Parlament erfordert, daß ein funktionsfähiges Parlament unabhängige Abgeordnete voraussetzt und daß dies im Interesse der Freiheit unserer Bürger notwendig ist.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoss.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich möchte zunächst Herrn Schäuble sagen, daß es kein besonderes Verdienst ist, hier zu sagen, daß in aller Offenheit über die Frage der Diäten gesprochen wird. Es ist im Gesetz festgelegt, daß hier in aller Offenheit darüber gesprochen wird. Das ist geradezu Ihre Pflicht, und damit können Sie sich nicht schmücken.
Die Argumente für die Erhöhung sind vorgetragen. Es mutet seltsam an und ist nahezu unbegreiflich, daß Parteien, die sich über Haushaltsfragen, über andere politische Fragen heftigste Auseinandersetzungen liefern und auch über die Frage streiten, ob es angebracht ist, den Sozialabbau voranzutreiben oder nicht, sich plötzlich zu einer gemeinsamen Aktion zusammenfinden. Wir GRÜNEN können nur feststellen: Wir haben es im Moment mit einer großen Koalition für die Diätenerhöhung zu tun.
Die GRÜNEN widersprechen mit aller Entschiedenheit einer Erhöhung der Diäten, nicht nur weil wir sie für völlig unnötig halten, sondern auch weil das Ansehen der parlamentarischen Demokratie, weil das Ansehen der Abgeordneten in der Bevölkerung gemindert wird
— Sie brauchen gar nicht so zu schreien, Sie können ruhig auch mal anhören, was die GRÜNEN hier zu sagen haben —,
weil sie eine Tendenz verstärkt, die bei den Bürgern ohnehin vorhanden ist, daß die da oben doch machen, was sie wollen, sie machen sowieso alles so, und weil teilweise die Bürger anfangen zu resignieren. Vielleicht wollen Sie das so, und vielleicht fühlen Sie sich so sicher, daß Sie in einer Zeit strengen Sozialabbaus diese Frage hier aufwerfen, weil Ihnen die 5%, die die GRÜNEN hier in den Bundestag hineingebracht haben, zu gering sind, und weil Sie meinen, Sie können Ihre Politik so, wie Sie es sehen, durchführen.Die Hauptargumente, die für die Diätenerhöhung vorgetragen wurden, sind, daß seit 1976 nicht mehr erhöht wurde, obwohl alles teurer geworden ist, zweitens daß die Bezahlung der Abgeordneten gegenüber der Besoldung vergleichbarer Beamter zurückgefallen ist.Der Herr Präsident hat schon darauf hingewiesen, mit wem er die Abgeordneten vergleicht. Ich möchte nur noch die Zahlen hinzufügen, die er auf-
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Hosszuführen vergessen hat. Z. B. wird der Status der Abgeordneten mit demjenigen von Bürgermeistern, Oberstadtdirektoren oder Landräten verglichen, die heute schon 9 000 bis 13 000 DM verdienen.
Die Bezahlung von Abgeordneten wird mit dem Gehalt eines Ministers verglichen, das heute 18 000 DM beträgt, was umgerechnet etwa 200 000 DM im Jahr ausmacht.
Es wird geklagt, die Entschädigung der Abgeordneten sei seit 1976, gemessen an einem Ministergehalt, von 53 auf 42 % gefallen. Wenn man das hört, schreit es geradezu nach Beseitigung dieser Ungerechtigkeit, und dementsprechend wird hier der Antrag vorgetragen.
Es gibt dabei einige Probleme. Das Hauptproblem ist, mit wem sich Abgeordnete vergleichen lassen müssen.
Mit Ministerialdirektoren, mit Ministern oder, wie wir meinen, mit dem durchschnittlichen Einkommen der Bürger der Bundesrepublik Deutschland?
Wie sollen Abgeordnete ihre Funktion wahrnehmen und die Regierung kontrollieren, wenn sie mit den Oberen auf- und davonziehen, was die Gelder anlangt, und wenn sie sich materiell an die Gehälter der Minister binden und sich immer mehr von der Masse der Wähler, von der Bevölkerung, vom Volk abtrennen und entfernen?
Ich habe verschiedene Briefe bekommen. Da beklagt sich z. B. ein Herr Georg Schöneich und fragt, ob diese Herren überhaupt wüßten, daß die 320 DM, die sie sich zubilligen wollten, die Summe sei, die dem Regelsatz der Sozialhilfe von 338 DM entspreche, ob sie überhaupt wüßten, wovon sie redeten und was sie täten.Nach all meinen Erfahrungen ist es so wie auch im Bereich der Gewerkschaft. Dort vergleichen sich die Spitzenfunktionäre, die 8 000 bis 10 000 DM verdienen, nicht mehr mit den Arbeitern und Angestellten, sondern mit den Managern der Industrie, mit denen sie am Verhandlungstisch sitzen.
Das erklärt auch, warum sich bei der SPD eine Mentalität breitmacht, bei der sich nur einige wenige innerhalb der SPD-Fraktion gegen eine Diätenerhöhung gewehrt haben. Das erklärt mir auch, weshalb die SPD in diesem Fall in trauter Koalition mit CDU/CSU und FDP für die Diätenerhöhung eintritt.Darin kommt zum Ausdruck, daß sich in unserer Gesellschaft eine „HABEN"-Mentalität breitmacht.Es gilt nur der etwas, der viel Geld und Besitz hat. Geld und Besitz sind zum Statussymbol geworden. Es ist die Frage, ob es nicht Aufgabe des Parlaments und der Abgeordneten ist, in einer Zeit äußerster Bedrohung unserer Gesellschaft, sowohl was die Frage anlangt, die heute morgen hier diskutiert worden ist, als auch das Problem des Geldes im allgemeinen, dieser Geld- und Besitzmentalität durch eigenes anderes Verhalten entgegenzuwirken.
Ich habe einen Satz gefunden, der von den Greenpeace-Leuten öfter gezeigt wird. Er heißt:Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluß vergiftet, der letzte Fisch gefangen, werdet ihr feststellen, daß man Geld nicht essen kann.
Damit soll nicht gesagt sein, daß die Abgeordneten kein Einkommen haben sollten, mit dem sie leben können, mit dem sie ihre Aufwendungen ausgleichen können. Dem rede ich nicht das Wort. Aber es ist ein Unterschied, ob der Bedarf der Abgeordneten, den auch jeder Bürger draußen gerecht findet, abgedeckt wird oder ob die Gelder dazu benutzt werden, zusätzlich Besitz anzuhäufen und eine Kapital- und Besitzmentalität zu befriedigen.
Damit hängt auch die Frage der Unabhängigkeit zusammen. Der Herr Präsident hat Art. 48 des Grundgesetzes zitiert, in dem es heißt:Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.Das wirft die Frage auf, ob die Unabhängigkeit der Abgeordneten um so größer wird, je mehr Geld diese bekommen.
Das wirft die Frage auf, ob die Selbstachtung von Abgeordneten mit der Höhe des Geldes, das sie bekommen, zusammenhängt.
Ich glaube, daß gerade die aktuellen Beispiele, die wir gegenwärtig diskutieren — ich will sie jetzt gar nicht näher bezeichnen — und mit denen sich auch ein Untersuchungsausschuß zu beschäftigen hat, das Gegenteil aufzeigen, nämlich daß gerade diejenigen in diesem Kreise, in diesem Hause, die sozusagen nicht zu den Hinterbänklern gehören, in Finanzgeschichten, Finanzmanipulationen und Spendenangelegenheiten verwickelt sind.
Es ist schon symptomatisch, daß von den ganzen Sparmaßnahmen, die getroffen werden, keine die Mitglieder dieses Hauses trifft.
Die Maßnahmen treffen nur andere Leute. Mit welcher moralischen Motivation wollen Sie denn Ihre
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1959
HossDiätenerhöhung begründen, wenn Sie zugleich das Arbeitslosengeld um 7,35 % für Ledige und Verheiratete ohne Kinder kürzen?
Welche Motivation haben Sie denn, wenn Sie den Zuschuß zur Rentenversicherung für in Behindertenwerkstätten tätige Menschen um 22 % kürzen? Wie wollen Sie das denn begründen?
Wie wollen Sie die Kürzung des Mutterschaftsgeldes rechtfertigen? Diese Leistung wird von vier auf drei Monate und von einer Höhe von sage und schreibe täglich 25 DM auf 20 DM gekürzt.
Wissen die Abgeordneten, die die Summen, um die es jetzt geht, kassieren, eigentlich, was es bedeutet, mit so geringen Beträgen auszukommen?
Oder gehen wir an die andere Seite heran, an die Privilegien, die sich die Abgeordneten im Verlaufe der letzten Legislaturperioden geschaffen haben. Ich denke an die zusätzliche Rentenversicherung, die jeder Abgeordnete bekommt, wenn er mehr als sechs Jahre diesem Parlament angehört, ohne daß er auch nur einen Pfennig Beitrag dafür zahlt.
Nach sechs Jahren Zugehörigkeit zu diesem Parlament ist den Abgeordneten eine Rente von 1 875 DM sicher, nach sechzehn Jahren Zugehörigkeit eine solche von 5 625 DM. Eine Summe, die hier nach sechs Jahren erreicht wird, nämlich 1 800 DM, erreichen die wenigsten Arbeiter nach einer Tätigkeit von 45 Jahren im Betrieb.
Diese Relationen müssen hier einmal ganz deutlich angesprochen werden, damit klar wird, mit wem die Abgeordneten sich zu vergleichen haben und mit wem nicht.Ich kann es den Bürgern draußen nicht verübeln, sondern kann sie nur darin unterstützen, daß dann, wenn Sie diesem Antrag folgen, das Wort angebracht ist, daß wir es hier mit einem Selbstbedienungsladen zu tun haben,
aus dem sich jeder so bedient, wie er es für richtig hält.Wir können das nach den acht Monaten, die wir hier sind, beurteilen.
Wir haben die Erfahrung, wie wir mit dem Geld, das uns zur Verfügung steht, auskommen.
Die Höhe der Diäten
— das ist unsere Feststellung! — und der Gesamtumfang der Privilegien rechtfertigen eine Erhöhung und dazu noch eine ins Auge gefaßte jährliche Anpassung der Diäten, eine sogenannte Dynamisierung der Entschädigung, nicht.Die GRÜNEN haben eine eigene Diätenordnung entwickelt, und wir kommen damit gut klar. Das wollen wir den Bürgern draußen einmal sagen.
Wir haben eine eigene Diätenordnung entwickelt, weil wir uns, nachdem wir nach Bonn gekommen sind, nicht so verhalten wollen wie Sie, weil wir eine andere Mentalität, eine andere Einstellung — das sage ich auch und besonders den Kollegen der SPDFraktion — zum Besitz, zum Kapital entwickeln wollen.
— Sie brauchen mich gar nicht so zu unterbrechen! Ich merke, es gefällt Ihnen nicht, daß wir eine Diätenordnung haben, bei der wir mit 1 950 DM für einen Ledigen
plus 500 DM für jede zu versorgende Person — wir haben das acht Monate durchprobiert, und es geht sehr gut — plus eine Aufwandsentschädigung für Zweitwohnsitz in Bonn und für sonstige Tätigkeiten von 1 500 DM auskommen.
Wir führen jeden Monat durchschnittlich 4 500 DM— nachdem alle Steuern und Abzüge bezahlt sind, z. B. die Sozialversicherung — an einen Ökofonds ab, aus dem wir Dinge finanzieren, die mit ökologischen, mit alternativen Fragen im Zusammenhang stehen.
Diese acht Monate berechtigen uns auch zu sagen, daß nicht nur die Diätenerhöhung ungerechtfertigt ist, sondern die Diäten auch zu hoch sind. Wir verzichten darauf, einen speziellen Antrag in dieser Richtung zu stellen.
Ich möchte Ihnen aber, weil Sie so rufen, sagen, daß bei allen Aufrechnungen, die man in den Zeitungen findet, wo die Abgeordneten begründen, wie wenig sie mit dem Geld, das sie hier kriegen, auskommen, immer ein massiver Posten steht: daß man zwischen 500 und 2 000 DM an die Partei abführt.
Das zeigt, daß die Diäten — und der Meinung sind wir auch — zu hoch sind, weil in den Diäten ein Betrag zur versteckten Parteienfinanzierung enthalten ist. Ich glaube, man muß diese Dinge tren-
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1960 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983
Hossnen. Die Diätenangelegenheit ist eine Sache, die Parteienfinanzierung ist eine andere Sache.
Das Fazit: Die GRÜNEN lehnen eine Erhöhung der Diäten ab. Wir erheben insbesondere schärfsten Protest dagegen, daß solche Gesetze im Schnellschußverfahren, sozusagen als Freitagsgesetze hier eingebracht werden wie das Parteienfinanzierungsgesetz vor einigen Monaten oder jetzt das Diätenerhöhungsgesetz. Wir sagen: In einer Zeit, in der der kleine Mann den Gürtel enger schnallen soll, dürfen die Einkünfte der Volksvertreter nicht noch ansteigen. Deswegen sprechen wir dafür und fordern alle. auf, obwohl sie dem wahrscheinlich nicht nachkommen werden, der Überweisung dieses Gesetzentwurfes an die Ausschüsse nicht zuzustimmen, weil über diese Sache genügend geredet ist. — Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Parlament hat sich mit dieser Frage schon seit langem intensiv beschäftigt. Es hat das erstemal 1974 einen Beschluß gefaßt, daß die Diäten der Besteuerung unterworfen werden. Danach hat es sich mehrfach mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 1975 auseinandergesetzt, in dem die grundsätzliche Rechtsstellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages formuliert und beschrieben worden ist. Diese Position ist in zwei Anmerkungen zu umreißen: einmal eine angemessene, seine Unabhängigkeit sichernde Entschädigung nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes, zum zweiten, daraus folgend, die finanzielle Unabhängigkeit, die die Voraussetzung für die Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts darstellt.Herr Kollege Hoss, das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Frage sehr ausführlich auseinandergesetzt und hat diese Position entsprechend festgehalten. Das Bundesverfassungsgericht hat drei Kriterien genannt, die einen Hinweis für den Bundestag geben sollen, der in eigener Sache und in eigener Verantwortung seine Entschädigungsfrage regeln muß — in der Vergangenheit, heute und auch in Zukunft. Wir werden kein entlastendes Gremium finden oder bilden können, wir werden das selbst tun müssen. Ich möchte ein Wort des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt abwandeln. Er hat einmal von dieser Stelle aus gesagt, es dürfe auch etwas Freude bei der Arbeit im Parlament sein. Ich füge dem hinzu: Auch das Palament darf etwas Selbstbewußtsein in eigener Angelegenheit zeigen.
Die drei Kriterien sind die mit dem Amt verbundene Belastung, die mit dem Amt verbundene Verantwortung und die Position, die der Abgeordnete im gesamten Verfassungsgefüge einnimmt. Ich darf in diesem Zusammenhang für meine Fraktion dem Herrn Bundestagspräsidenten danken, daß er uns in sorgfältiger, abgewogener, aber auch zur Aktivität auffordernder Weise seinen Bericht vorgelegt hat. Er hat festgestellt: Die Entschädigung ist nicht mehr angemessen, und der Gesetzgeber, wir, sind aufgefordert, für eine angemessene Entschädigung zu sorgen.Ich meine, es ist eine bescheidene, j a sehr bescheidene Anpassung, die wir im Augenblick vornehmen. Sie haben den Bericht vorliegen, Sie haben den Gesetzentwurf vorliegen. Wenn Sie beides lesen, stellen Sie fest, daß sich die Einkommen der Abgeordneten, und zwar im Gegensatz zu allen anderen Berufsgruppen, die wir angeführt haben — wir haben hier sehr wohl auch den Durchschnitt im sozialen Bereich mit herangezogen —, seit 1976 um mehr als 40 % vermindert haben.Herr Kollege Hoss, nun zu der Art und Weise, wie Sie die Rechnung hier aufgemacht haben. Ich unterstelle hier einmal, daß Sie, so wie Sie vorgetragen haben, Puritanismus als Tugend bezeichnen würden. Rousseau würde in diesem Zusammenhang angemerkt haben: „Was man Tugend nennt, ist oft nur die Unfähigkeit, Freude zu empfinden."
Das zeichnet Ihre Beiträge — angefangen bei der Außenpolitik bis zur Innenpolitik und auch zu dem Punkt, mit dem wir uns heute beschäftigen — ja leider durchgehend aus.Sie haben gesagt: 1 950 DM für jeden Abgeordneten, 500 DM für jeden Unterhaltsberechtigten — netto natürlich; steuerfrei müssen Sie hinzufügen. Das ist eine Position, bei der ich mich natürlich versucht sehen könnte, wenn es nur um das Geld ginge, mich den GRÜNEN anzuschließen,
weil ich mich dann besserstehen würde als bei der jetzigen Diätenregelung und bei der Regelung, die wir vor uns haben.
Aber Sie brauchen kein Erschrecken zu zeigen, meine Kollegen von den GRÜNEN, es gibt wirklich andere, weitaus wichtigere Dinge — über das Geld hinaus —, die eine zustimmende Betrachtung Ihrer politischen Vorstellungen unmöglich machen. Es gibt eine Menge Kollegen in diesem Hause — ich bin vorhin von zwei Kollegen aus meiner Fraktion angesprochen worden —, die sich nach Ihrer Berechnung sehr viel besserstehen würden. Wer sich das im einzelnen ansieht, kann das nachvollziehen. Es scheint mir wirklich eine Menge Kollegen zu geben — wie gesagt, Rousseau würde bei den GRÜNEN von Heuchelei sprechen —, die sich in dieser Lage befinden.Nun zu den Renten der Bundestagsabgeordneten: Es gibt keinen vergleichbaren Bereich — weder die Arbeiterrentenversicherung noch die Angestelltenversicherung noch die Beamtenpensionen —, in dem den Hinterbliebenen und Rentenbeziehern seit 1976 nicht eine Anhebung gewährt worden wäre. Im
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1961
Wolfgramm
Büro des Bundestagspräsidenten befinden sich eine Menge von Schreiben, in denen auf diesen Umstand hingewiesen wird. Auch hier hat der Deutsche Bundestag eine Fürsorgepflicht.
Herr Kollege Hoss, können Sie mir eine Berufsgruppe nennen — seien es Arbeiter, seien es Angestellte, wer auch immer von den aktiv Tätigen —, die in dieser Zeit einen gleichen Einkommensverlust hat hinnehmen müssen, die mehr als 40 % eingebüßt hat? Im übrigen, meine Kollegen, machen Sie es sich bitte nicht so leicht wie der Kollege Schily gestern in einem Rundfunkinterview beim WDR — ich sehe ihn hier leider nicht, aber Sie werden es ihm ausrichten können —, in dem er gesagt hat, daß es für ihn ausreiche.Damit kommen wir zu einem weiteren Punkt: Es ist nicht jedermann in diesem Hause gegeben, zusätzliche Einkünfte zu haben.
Es ist nicht jede Berufsgruppe in der Lage, allein auf Grund ihrer Berufsbezogenheit, nebenher ein Anwaltsbüro zu unterhalten. Ich vermute fast, ich unterstelle, daß diese zusätzlichen Einkünfte weder in die Berechnung Ihrer Nachrücker noch in den Öko-Fonds hineinfließen.
Herr Kollege Wolfgramm, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoss?
Mit Vergnügen, Herr Kollege.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben mich gefragt, ob ich eine Berufsgruppe nennen kann, die — wie die Abgeordneten — keine Lohnerhöhung bekommen hat.
Darum geht's ja gar nicht.
Es wird ja nicht bestritten, daß die Abgeordneten seit 1976 keine Erhöhung gekriegt haben.
Herr Kollege Hoss, Sie müssen eine Frage stellen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage lautet jetzt: Sind Sie mit mir der Meinung, daß es erstens darum geht, die Höhe des jetzigen Abgeordnetengehalts und der Entschädigung zum Ausgangspunkt der Betrachtung zu machen, und daß es zweitens um die Frage geht: Mit wem vergleichen sich die Abgeordneten: mit denen, die über uns sind, oder mit den Bürgern mit durchschnittlichem Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Kollege, die Regelung von 1976 ist von einem unabhängigen Beirat empfohlen worden. Der Bundestag hat selbstverständlich seine Rechte wahrgenommen und hat sich unabhängig damit befaßt und beschlossen. Aber seine Vorstellungen beruhen auf den Ergebnissen einer unabhängigen Kommission, weil damals auf Grund des Diäten-Urteils des Bundesverfassungsgerichts die ganze Problematik der Rechtstellung der Abgeordneten aufgerissen worden ist.Zu Ihrem zweiten Teil sage ich Ihnen, daß unser Entwurf vorsieht, die durchschnittlichen BruttoStundenverdienste der Arbeiter in der Industrie, der Angestellten in Industrie und Handel, die Höhe der Dienst- und Versorgungsbezüge im öffentlichen Dienst, der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung, des durchschnittlichen Arbeitslosenentgelts, der durchschnittlichen Arbeitslosenhilfe und der Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz entsprechend bei den Steigerungen einzubeziehen. Ich meine, das ist eine ausgewogene, alle Bereiche berücksichtigende Position. Und die finde ich richtig. Und die vertrete ich.
Ich mache eine Anmerkung zu dem uns vorliegenden Gesetzentwurf. Ich bin der Meinung, daß wir ihn sorgfältig und intensiv beraten müssen. Er wird im Geschäftsordnungsausschuß und mitberatend im Rechtsausschuß und im Haushaltsausschuß behandelt.Aber ich weise doch darauf hin, daß das Bundesverfassungsgericht jede Indexierung ausgeschlossen hat. Ich meine, wenn wir nach diesen Kriterien verfahren, müssen wir überlegen, ob wir diese von mir soeben zitierten Positionen nicht besser in die Begründung, ja noch besser in einen Anhang bringen, damit wir uns auch da auf gesichertem Boden bewegen.
Dies ermöglicht manchen Kollegen, die verfassungsrechtliche Bedenken haben, dann die volle Zustimmung.Es muß deutlich werden und bleiben, daß das Parlament hier völlig in eigener Verantwortung, in eigener Entscheidung handelt und daß es sich hier nur um eine Stütze, um eine statistische Position handelt, wie wir sie auch im Bericht des Bundestagspräsidenten vorfinden.Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, die Anhebung ist jetzt überfällig. Sie macht auch all denen, die sich vielleicht in der Öffentlichkeit, bei der Presse vorgestellt haben, daß im Nachholbereich ein 13. Monatsgehalt, ein Anteil, eine Indexierung zum Ministergehalt vorgesehen seien, deutlich, daß dies alles nicht der Fall ist.
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Wolfgramm
Aber wir müssen auch dafür Sorge tragen, daß wir eine regelmäßige Anpassung vornehmen. Es darf nicht so sein, wie es in der Vergangenheit gehandhabt worden ist.Im übrigen möchte ich Ihre Zeit jetzt nicht länger in Anspruch nehmen. Ich zitiere jetzt aus der 22. Sitzung des Reichstags vom Mittwoch, 17. Januar 1906, in der sich der Reichstag ebenfalls mit der Frage der Diäten auseinandergesetzt hat. Der Abgeordnete Bassermann hat damals u. a. ausgeführt:Die Parlamentsverhandlungen sind an und für sich doch recht anstrengender Natur. Und daß jemand wegen einer Vergütung, wie sie das Reich bei Einführung von Diäten gewähren würde, nun seinerseits einen besonderen Genuß darin finden wird, möglichst lange in Berlin zu sitzen, womöglich noch über die lange Zeit hinaus, die an und für sich bereits die Sessionen jetzt angenommen haben, das halte ich für durchaus unwahrscheinlich.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Becker .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt der Bericht des Präsidenten des Deutschen Bundestages vor. In diesem Bericht ist sehr präzise und umfassend dargestellt, was uns bei unserer Arbeit begleitet. Deswegen spreche ich namens der SPDBundestagsfraktion dem Herrn Präsidenten ganz herzlichen Dank aus, nicht etwa wegen seines Vorschlages, zu erhöhen.Meine Damen und Herren, die Mitglieder des Deutschen Bundestages erledigen ihre politische Arbeit, die ihnen für die jeweilige Wahlperiode durch Wählermandat übertragen worden ist, im wesentlichen zu gleichen Teilen in Bonn und im Wahlkreis. Das sagen schon unsere Sitzungswochen aus. Das geschieht mit unterschiedlichen Kostenfaktoren, hier mit einer Arbeitsausstattung; im Wahlkreis treten ganz andere Kostenfaktoren für die Ausstattung von Wahlbüros in Erscheinung. Darüber hinaus werden Aufgaben in der Bundesrepublik, und zwar im gesamten Gebiet der Bundesrepublik und im Ausland wahrgenommen.Für diese politische Arbeit wird den Abgeordneten nach dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages vom 18. Februar 1977 die steuerpflichtige Entschädigung von 7 500 DM und eine steuerfreie Kostenpauschale von 4 500 DM für Amtsausstattung gewährt. Neben der Entschädigung und neben der Kostenpauschale kann der Abgeordnete für die Einstellung von Mitarbeitern in Bonn und im Wahlkreis einen Betrag von rund 5 000 DM in Anspruch nehmen, der aber ausschließlich für diesen Zweck zu verwenden ist. Das heißt, es dürfen aus diesem Betrag nur Mitarbeiter bezahlt werden. Ich sage das deswegen noch einmal, weil auch hier häufig ein völlig falscher Eindruck entsteht, nämlich der, daß Abgeordnete die Restbeträge, die entstehen, wenn sie keine Mitarbeiter beschäftigen, für sich verwenden könnten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausstattung der Büros in Bonn und die im Bundestag zur Verfügung stehende Technik fehlt im Wahlkreis — ich sagte das schon — völlig. Es bleibt den Abgeordneten überlassen, in eigener Initiative und mit eigenen Mitteln ein entsprechendes Büro einzurichten.Die Höhe der Entschädigung, die Kostenpauschale und die Gestaltung unserer Arbeitsmöglichkeiten spielen seit Jahren in den Gesprächen und Diskussionen in der Öffentlichkeit eine erhebliche Rolle. Da muß man etwas korrigieren, Herr Kollege Hoss, was Sie hier eben dargestellt haben, es zumindest präzisieren. Sie sagten, wenn ein Abgeordneter sechs Jahre im Parlament gewesen sei, stehe ihm eine Altersentschädigung zu. Aber fügen Sie doch bitte hinzu: mit dem 63. Lebensjahr.
Sonst könnte der Eindruck entstehen, daß man sie sofort nach dem Ausscheiden bekomme.
Ich will noch etwas sagen — deswegen habe ich die Zahl 63 genannt —: Die durchschnittliche Verweildauer der Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament beträgt acht Jahre. Diese Pauschale kommt dann mit dem 63. Lebensjahr zum Tragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal sagen, daß wir uns, nachdem seit 1977 bis heute eine Erhöhung der Pauschale und der Entschädigung nicht stattgefunden hat, sicherlich auch einmal über die Qualität unserer Arbeit unterhalten müssen. Wenn wir über diese Qualität sprechen, meine ich, muß zum Ausdruck gebracht werden: Wenn wir uns in der Welt umsehen, finden wir Parlamente, die viel besser ausgestattet sind als das unsere, um ihre politische Arbeit tun zu können. Das, was wir bisher gemacht haben, war maßvoll, war aber nicht dem neuesten Stand von Technik und Organisation angepaßt.Der vorliegende Gesetzentwurf weist nun den Weg in die Zukunft. Entschädigung und Kostenpauschale sollen auf Vorschlag des Präsidenten des Deutschen Bundestages vom Parlament jährlich zum 1. Juli überprüft werden. Im Gesetzentwurf sind dazu die Verfahrenswege aufgezeigt. Für die Entschädigung soll die allgemeine Einkommensentwicklung zugrunde gelegt werden. Meine Damen und Herren, es kann sicherlich darüber nachgedacht werden, ob es noch ein besseres System als das gibt, was wir jetzt in unseren Gesetzentwurf eingefügt haben. Vielleicht kann mit Hilfe des Statistischen Bundesamtes auch die Entwicklung des
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Becker
Volkseinkommens je Einwohner eine Orientierungsgröße sein. Wir werden sicher noch Gelegenheit haben, uns darüber im Ausschuß im einzelnen auseinanderzusetzen.Zur Anhebung der Kostenpauschale möchte ich noch einmal klar herausstellen: Wir meinen, man sollte überlegen, ob wir nicht die Anteile in der Kostenpauschale anheben sollten, die unmittelbar mit unserem Mandat zusammenhängen. Ich weiß, daß das nicht ganz einfach ist, aber wenn diese Kostenpauschale für politische Arbeit gegeben wird, dann müßten wir auch hier differenzieren, und wir müßten eine Orientierungsgröße herauszufinden versuchen, die gerade diesem Anliegen entspricht.Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch eine Bemerkung zu dem Diskussionsbeitrag des Kollegen Hoss. Sehr viele Menschen in diesem Lande kennen die finanzielle Belastung der Bundestagsabgeordneten eben nicht. Da geht es nicht nur darum, ob man einen Parteibeitrag oder einen Fraktionsbeitrag bezahlt, sondern in den Wahlkreisen gibt es eine Vielzahl von Verbänden und Vereinen — vom Sport über die breite Wirtschaft bis hin zu Gewerkschaften —, die sich doch selbstverständlich an ihre Abgeordneten wenden und um Beiträge bitten. Man kann wirklich darüber streiten, ob das zu der politischen Einwirkungsmöglichkeit gehört. Wo spielt sich unser Leben ab? Doch in den Vereinen und in den Verbänden. Sollen die Abgeordneten außen vor bleiben, oder sollen sie hier voll mitwirken? Wenn sie mitwirken, dann werden sie mehr als andere Bürger zur Kasse gebeten.
Bei dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf haben wir auch noch eine andere Variante zu beachten. Ist es denn mit der bisherigen Regelung der Kostenpauschale tatsächlich möglich, das zu erreichen, was wir alle wollen, nämlich Bürgernähe so herzustellen, wie wir uns das vorstellen? Oder muß man nicht schon überlegen, ob die Fahrt mit dem Pkw zu diesem oder jenem Ortsteil oder in dieses oder jenes Gebiet — das gilt vor allen Dingen für den ländlichen Raum — noch so ohne weiteres finanzierbar ist?
Wir wollen die Bürgernähe verstärken.Wir haben uns über die Arbeitsmöglichkeiten hier im Hause unterhalten und sind dabei zu der Auffassung gekommen, daß wir auch hier Verbesserungen durchführen können. Ich bin dem Herrn Präsidenten sehr dankbar, daß er in einem persönlichen Gespräch gesagt hat, daß er uns bei dieser Arbeit unterstützt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat gestern einige Arbeitsgruppen gebildet, die sich sehr eingehend mit diesem Thema beschäftigen werden. Ich habe gar keine Bedenken, daß wir — in Kontakt mit der CDU/CSU, der FDP oder auch den GRÜNEN — sofort mit dieser Tätigkeit beginnen können.Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung zu der Vergleichsmöglichkeit machen. Ist eigentlich wirklich so falsch, wenn wir uns — was die Bezahlung von Abgeordneten angeht, die doch ein bestimmtes Wahlgebiet zentral betreuen — mit Oberbürgermeistern in Städten oder mit Landräten vergleichen? Denn auch die haben ein im wesentlichen abgegrenztes Gebiet zu verwalten. Können wir hier nicht Maßstäbe finden, die dafür sprechen, auch Abgeordnete hier mit einzugruppieren?Man kann den Bogen weiter zu Journalisten, die uns begleiten, oder zur Wirtschaft spannen. Das ist doch auch ein Maßstab, den wir für die Beurteilung unserer Arbeit heranziehen müssen, denn die Arbeit der Journalisten und der Wirtschaftsfachleute wird doch von uns nicht geringer eingeschätzt. Und wir bitten sie, daß sie auch unsere Arbeit nicht geringer einschätzen.
Ich möchte zum Schluß noch einmal sagen, daß hinsichtlich des Gesetzentwurfs, den wir hier heute in erster Lesung beraten, genügend Zeit bleibt, um die Kritik und die vielen Einwände, die noch kommen werden, ausreichend würdigen zu können. Wenn wir den Gesetzentwurf — es ist ja erst die erste Lesung — auf dem Tisch haben, dann können wir uns mit den Einzelheiten beschäftigen. Hier hat keiner eine ganz besondere Eile. Wir wollen, daß wir ab jetzt darüber reden können, wie wir das endgültig regeln.Im übrigen bin ich der Meinung, daß wir uns jetzt in bezug auf die Entschädigung und in bezug auf die Erhöhung insgesamt maßvoll verhalten. Diese Erhöhung ist jedoch unbedingt erforderlich, um ein leistungsfähiges Parlament zu haben. Wir haben dabei die wirtschaftliche und soziale Lage vieler Menschen in unserem Lande doch überhaupt nicht vergessen. Wir glauben, daß sie bei nüchterner Prüfung unserer Vorschläge nach dem Stopp der Bezüge seit 1977 unserem Vorhaben zustimmen werden.Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt der Überweisung an die Ausschüsse zu. — Herzlichen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/470 zur federführenden Beratung dem Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, zur Mitberatung dem Rechtsausschuß sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung dem Haushaltsausschuß zu überweisen. Da eine Fraktion erklärt hat, sie wolle diesem Überweisungsvorschlag nicht zustimmen, lasse ich abstimmen. Diejenigen, die für die Überweisung an die genannten Ausschüsse sind, bitte ich um das Handzeichen. —
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Vizepräsident WestphalDanke schön. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? —Dann ist mit Mehrheit so beschlossen.Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. Oktober 1983, 13 Uhr ein.Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.Die Sitzung ist geschlossen.