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ID1002900400

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    7. Schily.: 1
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    Plenarprotokoll 10/29 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 29. Sitzung Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 Inhalt: Glückwünsche zur 30jährigen Mitgliedschaft der Abgeordneten Frau Renger, Dr. Czaja und Dr. Dollinger im Deutschen Bundestag 1925 A Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN Kriegsvölkerrechtliche Grundsätze — Drucksachen 10/163, 10/445 — in Verbindung mit Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Schily und der Fraktion DIE GRÜNEN Kriegsvölkerrechtliche Verträge — Drucksachen 10/164, 10/445 — Dr. Mertes, Staatsminister AA 1925 B Voigt (Frankfurt) SPD 1932 C Schily GRÜNE 1934 C Schäfer (Mainz) FDP 1937 D Kolbow SPD 1941 A Klein (München) CDU/CSU 1943 C Fischer (Osthofen) SPD 1948 A Ronneburger FDP 1950 B Dr. Todenhöfer CDU/CSU 1951 C Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes und des Europaabgeordnetengesetzes — Drucksache 10/470 — Dr. Barzel, Präsident 1954 B Dr. Schäuble CDU/CSU 1955 C Hoss GRÜNE 1957 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 1960 A Becker (Nienberge) SPD 1962 B Nächste Sitzung 1964 A Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 1965* A Anlage 2 Amtliche Mitteilung 1965* C Anlage 3 Aufwendungen für die Aufklärung der deutschen Bevölkerung über das Wettrüsten und die Gefahren eines Atomkriegs sowie über die „in der Friedensbewegung lauernden Gefahren" MdlAnfr 24 07.10.83 Drs 10/457 Dr. Schöfberger SPD SchrAntw StSekr Boenisch BPA . . . . 1965* D Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 29. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Oktober 1983 1925 29. Sitzung Bonn, den 14. Oktober 1983 Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Ahrens * 14. 10. Frau Dr. Bard 14. 10. Biehle 14. 10. Bindig 14. 10. Conradi 14. 10. Duve 14. 10. Engelsberger 14. 10. Ertl 14. 10. Frau Fuchs (Köln) 14. 10. Frau Geiger 14. 10. Gobrecht ** 14. 10. Dr. Hackel 14. 10. Frau Dr. Hamm-Brücher 14. 10. Handlos 14. 10. Herterich 14. 10. Heyenn 14. 10. Frau Dr. Hickel 14. 10. Frau Huber 14. 10. Huonker 14. 10. Ibrügger 14. 10. Jansen 14. 10. Jung (Düsseldorf) 14. 10. Dr. Klein (Göttingen) 14. 10. Klein (München) ** 14. 10. Dr. Köhler (Duisburg) 14. 10. Kroll-Schlüter 14. 10. Lennartz 14. 10. Menzel 14. 10. Dr. Meyer zu Bentrup 14. 10. Milz 14. 10. Möllemann 14. 10. Dr. Müller * 14. 10. Müller (Wadern) 14. 10. Frau Dr. Neumeister 14. 10. Offergeld 14. 10. Dr. Pinger 14. 10. Poß 14. 10. Reents 14. 10. Reuschenbach 14. 10. Roth (Gießen) 14. 10. Dr. Scheer 14. 10. Schemken 14. 10. Schmidt (Hamburg) 14. 10. Frau Schmidt (Nürnberg) 14. 10. Schröer (Mülheim) 14. 10. Dr. Soell ** 14. 10. Spranger 14. 10. Dr. Stark (Nürtingen) 14. 10. Dr. Stercken ** 14. 10. Dr. Stoltenberg 14. 10. Stücklen 14. 10. Tietjen 14. 10. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an der 70. Konferenz der Interparlamentarischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Frau Traupe 14. 10. Verheugen 14. 10. Voigt (Sonthofen) 14. 10. Frau Dr. Wex 14. 10. Dr. Wittmann 14. 10. Wissmann 14. 10. Dr. Zimmermann 14. 10. Zink 14. 10. Anlage 2 Amtliche Mitteilung Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat dem Bundestagspräsidenten mit Schreiben vom 27. September 1983 eine Vorlage betreffend Unterrichtung des Deutschen Bundestages über den Stand der Arbeiten zur Lösung der Zweitanmelderproblematik übermittelt. Der Ältestenrat hat in seiner Sitzung am 13. Oktober 1983 beschlossen, diese Vorlage dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zuzuleiten. Sie wird nicht als Bundestagsdrucksache gedruckt und verteilt. Anlage 3 Antwort des Staatssekretärs Boenisch auf die Frage des Abgeordneten Dr. Schöfberger (SPD) (Drucksache 10/ 457 Frage 24): Wieviel Geld hat die Bundesregierung bislang ausgegeben, um im Anschluß an die UN-Resolution vom 30. Juni 1978 die deutsche Bevölkerung über das weltweite Wettrüsten und die damit verbundenen Gefahren eines Atomkrieges aufzuklären, und wieviel will die Bundesregierung demgegenüber aufwenden, um die deutsche Bevölkerung vor den „in der Friedensbewegung lauernden Gefahren" aufzuklären und zu warnen? Im Haushaltsplan und damit auch in den Planungen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sind Mittel für eine Aufklärung der deutschen Bevölkerung über das weltweite Wettrüsten und die damit verbundenen Gefahren eines Atomkrieges nicht ausgewiesen. Die Bundesregierung erfüllt vielmehr laufend ihre Pflicht, über alle Probleme der äußeren Sicherheit zu unterrichten. Zum zweiten Teil Ihrer Frage: In der Planung der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung sind ebenfalls keine Aufwendungen vorgesehen, um die deutsche Bevölkerung vor den - ich zitiere Ihre Worte - „in der Friedensbewegung lauernden Gefahren" aufzuklären und zu warnen. Vielmehr ist es unsere Aufgabe, über Sicherheitspolitik zu informieren. Insgesamt wurden für sicherheitspolitische Öffentlichkeitsarbeit seit Mai 1983 rd. 1,6 Millionen DM aus dem Ansatz 1983 von den Ressorts ausgegeben.
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    Rede von Karsten D. Voigt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die beiden Protokolle stellen eine bedeutsame Weiterentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts dar. Wir Sozialdemokraten sind deshalb der Meinung, daß der Ratifizierungsvorgang gemäß Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes unverzüglich einzuleiten ist. Wir sind auch der Meinung, daß wir als Deutsche auf Grund unserer eigenen Geschichte eine besondere Verantwortung dafür haben, daß sich dieses Kriegsvölkerrecht weltweit durchsetzt und daß es beachtet wird.
    Unserer Auffassung nach hat die Bundesregierung einen großen Teil der Fragen unzureichend beantwortet. Einige Fragen sind inhaltlich überhaupt nicht beantwortet worden. Diese Praxis der Bundesregierung stellt nicht nur eine Mißachtung des Parlaments dar, sondern auch derjenigen Bürger, die außerhalb des Parlaments ähnliche Fragen stellen.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Insbesondere die Fragen nach den Folgen eines Einsatzes von atomaren Waffen sind nicht beantwortet worden, und dies ist auch Ausdruck einer politischen Absicht, die Wirkung, die Folgen eines Einsatzes politisch in der Diskussion zu verharmlosen.
    Die Bundesregierung hat es außerdem versäumt, sich im Zusammenhang mit der Beantwortung der Fragen mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß Nuklearwaffen nicht einfach eine Weiterentwicklung von konventionellen Waffen sind, sondern daß mit ihrer Entwicklung in der Geschichte der Menschheit eine grundsätzliche Veränderung der sicherheitspolitischen Situation und auch der völkerrechtlichen Situation auf lange Sicht eingetreten ist. Erstmals kann die Menschheit sich selber vernichten. Dies ist ein qualitativ neuer Schritt in der Geschichte der Menschheit.
    Herr Minister Mertes, Sie haben in diesem Zusammenhang den politischen Charakter der Entwicklung der neuen Waffentechnologie Nuklearwaffen nicht analysiert und selber nicht dargelegt. Sie gehen davon aus, daß die Bedrohung mit solchen Waffen und die hinter dieser Drohung stehende Absicht die ausschließliche Gefahr sei. Mei-



    Voigt (Frankfurt)

    ner Meinung nach aber ist die Waffe selber bereits eine Gefahr.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Man kann doch nicht davon ausgehen, daß Waffentechnologien etwas Ursprüngliches, Bestandteil einer gottgewollten Schöpfung seien. Sie sind vom Menschen geschaffen. Sie sind Produkt menschlicher Schöpfung. Sie sind deshalb selber schon in ihrer Entwicklung und ihrer Produktion Ausdruck von Politik. Sie sind der verdinglichte Ausdruck zwischenmenschlicher und zwischenstaatlicher Aggressivität.

    (Zustimmung des Abg. Schily [GRÜNE] — Staatsminister Dr. Mertes: Aber sie sind da!)

    Aus diesem Grunde muß man auch die Waffen abschaffen und nicht nur die hinter den Waffen stehenden politischen Absichten zurückweisen.
    Diese politische Dimension der Waffen haben Sie insbesondere im Zusammenhang mit den Nuklearwaffen unterschlagen, weshalb Sie auch zu einer Fehleinschätzung in bezug auf die Schwelle zwischen nuklearen und konventionellen Waffen kommen. Wir teilen Ihre Auffassung, daß die entscheidende Schwelle zwischen Krieg und Frieden liegt, aber wir teilen nicht Ihre Auffassung, daß es keine weitere entscheidende Schwelle zwischen dem Einsatz konventioneller und dem Einsatz nuklearer Waffen gibt. Dies ist ein prinzipieller Schritt, dies ist ein qualitativer Schritt, der nicht verharmlost werden darf. Vom Einsatz konventioneller Waffen zum Einsatz nuklearer Waffen darf es keinen gleitenden Übergang geben. Hier muß es sowohl rechtlich als auch politisch eine scharfe Grenze geben.
    Weil es diese scharfe Grenze geben muß, hat das auch Konsequenzen für das Kriegsvölkerrecht. Sie selber sagen in Ihrer Rede, es sei Bestandteil des Kriegsvölkerrechts, daß auch bei der Verteidigung zwischen dem Angriff auf militärische Ziele und dem Angriff auf zivile Objekte unterschieden werden muß und daß auch derjenige, der sich verteidigt, nicht die Zivilbevölkerung als solche angreifen darf. Nun ist aber das Paradoxon gerade bei der Entwicklung von Nuklearwaffen, daß eine solche Unterscheidung bei der Anwendung von Nuklearwaffen so gut wie nicht mehr möglich ist. Das heißt: Angesichts der Nuklearwaffen ist das Kriegsvölkerrecht in seiner humanisierenden Absicht selber an eine Grenze gestoßen. Der Einsatz der Nuklearwaffen kann nicht mehr humanisiert werden, weil er selber schon einen inhumanen Akt darstellt.

    (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

    Der Besitz von Nuklearwaffen ist nur noch als Mittel zu rechtfertigen, um den Einsatz von Nuklearwaffen und von jeglichen Waffen abzuwehren, von ihm abzuschrecken. Hier ist es nicht unsere Aufgabe, uns darauf zu beschränken und zu sagen: Wir müssen mit diesem Paradoxon leben, sondern verantwortliche Politik muß in diesem Zusammenhang heißen: dieses Paradoxon durch friedensgestaltende Politik schrittweise zu überwinden. Wer diese Perspektive nicht hat und nicht Vorschläge dafür entwickelt, handelt meiner Auffassung nach politisch unverantwortlich.
    Welche Vorschläge gibt es dafür? Es gibt Vorschläge für eine Veränderung der Militärstrategie. Helmut Schmidt hat in den letzten Tagen bei einem Vortrag an der Bundeswehrhochschule in Hamburg gesagt — —

    (Schily [GRÜNE]: Wie wäre es, wenn er es einmal im Bundestag sagte?)

    — Das kommt auch noch. — Er sagte — ich zitiere —:
    Ich wage die Vorhersage, daß die Vorstellung eines Erstgebrauchs nuklearer Waffen gegen einen konventionellen Angriff im Verlauf der 80er Jahre mehr und mehr als unangemessen und sogar als unakzeptabel angesehen werden wird. Wir werden also Mittel benötigen, um feindliche Angriffe je nach deren Art abzuschrecken.
    Diese Aussage von Helmut Schmidt in bezug auf die Weiterentwicklung der militärischen Strategie weist eine Perspektive auf, die in der Antwort der Bundesregierung vermißt werden muß.
    Darüber hinaus sind Konsequenzen für die Abrüstungspolitik und die Rüstungskontrollpolitik zu ziehen. Sie haben zwar darauf hingewiesen, aber sie haben daraus keine genügenden Konsequenzen gezogen. Unserer Meinung nach bedeutet das für die jetzt anstehenden Genfer Verhandlungen, daß man einen Vorrang für Verhandlungslösungen auch durch die Art seiner Vorschläge für die Verhandlungen demonstrieren muß. Bundesaußenminister Genscher hat gestern gesagt, was er mit Außenminister Gromyko zu besprechen beabsichtigt.
    Wir möchten ihm mit auf den Weg geben, daß er dort endlich den Vorschlag macht — und seine Bereitschaft erklärt —, daß der Westen auch dann bereit ist, auf eine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenwaffen zu verzichten, wenn die Sowjetunion ihre Mittelstreckenwaffen, ihre SS 20, drastisch reduziert.
    Bundesaußenminister Genscher sollte nicht nur die Sowjetunion zur Beweglichkeit auffordern, sondern er sollte auch selber Beweglichkeit zeigen, insbesondere in der Frage der britischen und französischen Systeme. Wenn er die sowjetische Forderung zurückweist, diese Systeme sollten bei den Genfer INF-Verhandlungen gezählt werden, sollte er sagen, wo und wie sie sonst gezählt und berücksichtigt werden sollen. Ohne eine solche verbindliche Erklärung im Rahmen dieser Gespräche — dies muß man sagen — blockiert nicht nur die Sowjetunion durch ihre Forderungen in bezug auf die INF-Verhandlungen, sondern auch Herr Genscher durch seine Sturheit weiterhin die Verhandlungen.
    Zuletzt sollte Bundesaußenminister Genscher den sowjetischen Außenminister Gromyko bei seinen Gesprächen mit ihm fragen, ob die Sowjetunion im Sinne der Andropow-Vorschläge, in denen sie ja zum Ausdruck gebracht hat, daß sie zur Reduzierung von SS 20 bereit ist, für den Fall einer Ver-



    Voigt (Frankfurt)

    schiebung des westlichen Stationierungstermins auch bereit ist, die Zahl ihrer SS 20 schrittweise zu verringern. Sollte sie dazu bereit sein, gäbe es nach unserer Auffassung keinen Grund, von westlicher Seite nicht auf eine Verschiebung des Termins einzugehen, um mehr Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Dazu sollten wir dann unsererseits bereit sein.
    Über diese konkreten Fragen der Genfer Verhandlungen hinaus muß die Entwicklung von Nuklearwaffen angesichts der daraus sich ableitenden wechselseitigen Vernichtungsdrohung aber auch einen anderen politischen Umgang mit dem potentiellen militärischen Gegner zur Konsequenz haben. Die Risiken der Abschreckung sind zu groß, als daß sie dauerhaft zur Friedensbewahrung ausreichen können. Wir können nicht dauerhaft mit diesem Paradoxon leben. Wir können nicht das tun, was Herr Staatsminister Mertes uns hier empfohlen hat, nämlich uns damit abfinden, daß wir damit zu leben haben. Wir müssen dazu beitragen, daß wir durch einen anderen politischen Umgang mit einem potentiellen Gegner dieses Paradoxon überwinden. Das ist das, was wir als Sicherheitspartnerschaft bezeichnen. Übrigens hat die FDP noch im vergangenen Jahr im Göppinger Papier am 27. Februar 1982 selber gesagt — ich zitiere —:
    Eine Abschreckungsstrategie, die auf der Drohung gegenseitiger Vernichtung beruht und stets das Risiko von Rüstungswettlauf und Instabilität enthält, kann aber dauerhaft Sicherheit nicht garantieren.

    (Beifall des Abg. Dr. Hirsch [FDP])

    Wenn das so ist, muß man in seiner Praxis auch dazu beitragen, daß man diesen Zustand der potentiellen Instabilität und der Verursachung des Rüstungswettlaufes auch durch das System wechselseitiger Abschreckung überwindet.
    Wir bedauern, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Fragen auf die Problematik der nuklearen Abschreckung überhaupt nicht eingegangen ist, daß sie die Risiken nicht beschrieben hat und keine Perspektive zur Überwindung dieser Risiken dargelegt hat, sondern die Nuklearwaffen so behandelt hat, als seien sie Waffen herkömmlicher Art, daß sie den qualitativen Unterschied zwischen Nuklearwaffen und konventionellen Waffen hier in der Debatte sogar zu verwischen versucht hat. Wer diesen qualitativen Unterschied nicht sieht, der ist auch nicht in der Lage, daraus die notwendigen politischen Konsequenzen, nämlich die Konsequenzen zur Überwindung der Risiken der nuklearen Bedrohung abzuleiten. Wir hoffen, daß die folgenden Redner der CDU/CSU wenigstens versuchen, darauf noch näher einzugehen. Sollten sie das nicht versuchen, werden sie auch in der Debatte über das Kriegsvölkerrecht nicht in der Lage sein, die Kriegsgefahren, die nicht mit dem Kriegsvölkerrecht selber zu beheben sind, und die inhumanen Folgen, die eine Anwendung von modernen Waffensystemen hat, selber mit einer politischen Perspektive zu überwinden. — Vielen Dank.

    (Beifall bei der SPD)



Rede von Dr. Rainer Barzel
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Otto Schily


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die 10. Sondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die 1978 zum Thema Abrüstung abgehalten wurde, kam in § 47 ihres Schlußdokuments zu folgender Feststellung:
    Die Kernwaffen stellen die größte Gefahr für die Menschheit und das Überleben unserer Kulturen dar.
    Ferner heißt es in dem von der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Auftrag gegebenen und im Jahre 1980 veröffentlichten Bericht einer umfassenden Untersuchung über Kernwaffen, den namhafte Experten aus verschiedenen Ländern erarbeitet haben — ich zitiere —:
    Die Vorstellung, den Frieden, die Stabilität und das Gleichgewicht in der Welt durch die Fortdauer der Abschreckung bewahren zu können, ist vielleicht der gefährlichste kollektive Irrtum, der heute existiert.
    Der Bericht fährt fort:
    Der Bericht hat im einzelnen das massive und tödliche Ausmaß der bereits existierenden Kernwaffen und ihre tägliche Zuwachsrate dargestellt. Er hat die überaus verheerenden Auswirkungen und Folgen beim Einsatz auch nur eines Bruchteils dieser riesigen Vorräte aufgezeigt. Der Bericht hat ferner die sogenannten taktischen Kernwaffen mit ihren zerstörerischen Wirkungen beschrieben und betont, daß schon der Einsatz einer einzigen dieser Waffen zum unmittelbaren und unausweichlichen Beginn eines totalen nuklearen Holocausts werden könnte. Der Bericht hat versucht, die gegenwärtig bestehenden Kontrollsysteme zu erörtern, doch hat er sich nicht von deren vollen Wirksamkeit überzeugen können trotz des hohen Entwicklungsgrades, der diesen Systemen von ihren Besitzern zugeschrieben wird.
    Der Bericht kommt zu der Feststellung:
    Solange wir uns darauf verlassen werden, daß das Konzept des Gleichgewichts nuklearer Abschreckung ein Mittel zur Aufrechterhaltung des Friedens ist, solange sind unsere Aussichten für die Zukunft dunkel und bedrohlich und so unsicher wie die brüchigen Annahmen, auf denen sie beruhen.
    Soweit das Zitat aus diesem Bericht.
    In der Resolution Nr. 1/653 erklärte die Generalversammlung der Vereinten Nationen, daß — ich zitiere —
    die Anwendung von nuklearen und thermonuklearen Waffen sogar den Rahmen eines Krieges sprengen und der Menschheit sowie der Zivilisation massenhaft Leiden und Zerstörungen zufügen würde und aus diesem Grunde
    — Herr Mertes, ich fahre in dem Zitat fort —
    den Normen des Völkerrechts und den Gesetzen der Menschlichkeit widerspricht.



    Schily
    Es ist an der Zeit, daß der Deutsche Bundestag im Raketenherbst 1983 diese Feststellungen einmal zur Kenntnis nimmt und daraus die notwendigen Konsequenzen zieht, wenn er nicht in die Geschichte als die deutsche Bundesnacht, vielleicht richtiger: als die deutsche Bundesumnachtung eingehen will.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wir haben der Bundesregierung Mitte Juni dieses Jahres mehrere Große Anfragen vorgelegt, um ihr Gelegenheit zur Überprüfung zu geben, ob ihre Politik mit den Geboten und Verboten des Völker- und Verfassungsrechts in Einklang zu bringen ist. Die Antworten, die die Bundesregierung nach nahezu vier Monaten zustande gebracht hat — ich kann jedem nur empfehlen, das einmal nachzulesen —, sind in ihrer Kärglichkeit, Windigkeit und Völkerrechts- und Verfassungsfremdheit ein schlimmes Dokument nicht nur der Mißachtung des Rechts parlamentarischer Kontrolle, sondern zugleich eines gestörten Verhältnisses zur Friedensstaatlichkeit unserer Verfassung, Herr Staatsminister Mertes.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit!)

    In aller Schärfe tritt die Weigerung der Bundesregierung, auf die in den Großen Anfragen enthaltenen einzelnen Fragen ernsthaft einzugehen, in der Antwort auf Frage 8.1 zum Thema Vergeltung hervor, Drucksache 10/164: „Kriegsvölkerrechtliche Verträge". Dort war gefragt worden:
    Inwieweit erachtet die Bundesregierung es als rechtlich vertretbar, daß die von der NATO praktizierte atomare Abschreckung die Zivilbevölkerung der Länder des Warschauer Paktes mit der Vergeltung für politische Fehler ihrer totalitären Regierungen bedroht, obwohl diese Zivilbevölkerung ihre Regierungen weder wählen noch abwählen kann?
    Herr Mertes, Sie haben das ja offenbar gelesen. Der Sinn der Frage dürfte verständlich sein: Darf die Zivilbevölkerung der Länder des Warschauer Pakts als Geiseln genommen und im sogenannten Ernstfall massenweise umgebracht werden, obwohl die Zivilbevölkerung auf das Verhalten bzw. Fehlverhalten ihrer Regierungen keinen Einfluß ausüben kann?
    Was antwortet die Bundesregierung? Ich zitiere:
    Die Strategie des Nordatlantischen Bündnisses ist nicht in einer Weise begrenzt, daß die Regierung
    — die Regierung! —
    eines etwaigen Gegners darauf rechnen könnte, vor den Folgen einer bewaffneten Aggression gegen das Nordatlantische Bündnis wegen der inneren Verhältnisse in dem betreffenden Lande geschützt zu sein.
    Die Regierung kann nicht darauf rechnen, geschützt zu sein!
    Wir wissen, daß Regierungen auf Regierungen fixiert sind. Es mag sein, daß ihnen deshalb auch nur in den Sinn kommt, ob eine Regierung im Falle eines Atomwaffeneinsatzes Schaden nimmt.

    (Dr. Czaja [CDU/CSU]: Eine Diktatur!)

    Aber wir, die GRÜNEN, interessieren uns — das sage ich Ihnen, Herr Staatsminister Mertes — weniger für Regierungen als für das Volk. Wir haben nach dem Schicksal von wehrlosen Frauen, Männern, Kindern und Greisen gefragt, die bei einem nuklearen Inferno ermordet werden, und nicht nach dem Schicksal irgendwelcher Regierungen.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Daß eine Regierung eine Frage so gründlich mißverstehen kann, ist entweder ein Zeichen für einen weit fortgeschrittenen Prozeß der politischen Umnachtung oder purer Zynismus.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Tut Ihnen das Wort „totalitär" leid?)

    Hören Sie doch endlich auf, meine Damen und Herren von der CDU, von den „Brüdern und Schwestern im Osten" zu schwätzen, wenn deren Gefährdung durch eine globale atomare Geiselnahme auch mittels einer klaren Fragestellung nicht in Ihr Bewußtsein vordringen kann!
    Wir haben die Bundesregierung gefragt, ob sie die Feststellung der GRÜNEN bestätigen oder widerlegen kann, daß Atomwaffeneinsätze unterschiedslos in dem Sinne sind, daß sie keine Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Personen zulassen, und erhalten die lakonische Auskunft, daß die Frage der unterschiedslosen Wirkung einer Waffe von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhänge.
    Meine Herren von der Regierung, was sind denn die konkreten Umstände des Einzelfalls? Wir haben gehört, daß einige von Ihnen es nicht lieben, Akten zu lesen, aber vielleicht läßt Ihnen das Zeit, einmal das „Spiegel"-Buch „Naturwissenschaftler gegen Atomrüstung" in die Hand zu nehmen. Sie könnten dort und in vielen anderen Veröffentlichungen nachlesen, zu welchen verheerenden Auswirkungen jeder, aber auch jeder Atomwaffeneinsatz in dichtbesiedelten Gebieten wie der Bundesrepublik führen würde.
    Aber vermutlich hat sich die Bundesregierung deshalb um eine klare Antwort gedrückt, weil sie weiß, daß das von der Bundesrepublik unterzeichnete Zusatzprotokoll I von 1977 zu dem Genfer Abkommen vom 12. August 1948 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte in Art. 51 unterschiedslose Angriffe verbietet. Unterschiedslose Angriffe sind u. a. solche, bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften des Protokolls begrenzt werden können und die daher in jedem dieser Fälle militärische Ziele und Zivilpersonen oder zivile Objekte unterschiedslos treffen können.
    Daß dies bei atomaren Massenvernichtungsmitteln der Fall ist, ist wohl unbestreitbar.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wollen Sie überhaupt verteidigen?)




    Schily
    Vermutlich war es die Kenntnis dieser Vorschriften, die die Bundesregierung über Jahre zögern ließ, das Genfer Abkommen von 1977 zur Ratifizierung vorzulegen. Wir mußten erst vorangehen, um bei Ihnen dieses Abkommen wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Ungerührt und ohne jede Begründung behauptet die Bundesregierung, es bestehe kein vertragliches oder gewohnheitsrechtliches Verbot des Ersteinsatzes von Atomwaffen. Der Einsatz von Atomwaffen wie der Einsatz jeder anderen Waffe sei völkerrechtlich in Ausübung des naturgegebenen Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff entsprechend Art. 51 der UNO-Charta zulässig.
    Die Bundesregierung behauptet ferner, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kriegsrecht nicht zur Folge hat, daß jeder Einsatz von Atomwaffen oder ihr Einsatz als Mittel der Verteidigung gegenüber einem konventionell geführten Angriff verboten wäre. So sagt sie, jeder einzelne Waffeneinsatz sei vielmehr nach seinen konkreten Umständen — wiederum dieses Wort — zu beurteilen.
    Aber die Bundesregierung weiß immerhin, wie ihre Antwort auf Frage 7.2 beweist, daß atomare Waffen Massenvernichtungsmittel sind. Massenvernichtungsmittel sind sie nicht nur im Sprachgebrauch der Vereinten Nationen, sondern auch in der Begriffsbestimmung der Anlage I zum Protokoll III der Pariser Verträge vom 23. Oktober 1954 und der Anlage zu § 1 des Ausführungsgesetzes zu Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes, der sogenannten Kriegswaffenliste. Massenvernichtungsmittel bzw. Atomwaffen sind dort definiert als Waffen, deren bestimmungsgemäße Verwendung „Massenzerstörungen, Massenschäden oder Massenvergiftungen hervorrufen können". Seltsamerweise sind Massentötungen nicht ausdrücklich und Massenvergiftungen als letzte aufgeführt.
    Die Bundesregierung ist entsprechend ihrer Antwort zu den Fragen 11 und 12 der allgemeine Völkerrechtsgrundsatz bekannt, daß Angriffe auf die Zivilbevölkerung als solche, gleich, mit welcher Waffe, stets verboten sind. Der Einsatz atomarer Massenvernichtungsmittel ist aber immer ein Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung", Ausgabe vom 19. Januar 1983, hat die französische Atomstreitmacht mit Recht als eine Antistädtewaffe bezeichnet. Sie solle nicht die Waffensysteme und Truppen eines Gegners ausschalten, sie solle den Nerv des feindlichen Landes, seine Führungszentren treffen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie soll den Krieg verhindern!)

    Sie ziele auf Menschenanballungen in Großstädten. Sind das nicht Angriffe gegen die Zivilbevölkerung als solche? Gleiches gilt für alle Atomwaffen.
    Meine Damen und Herren Kollegen, bedarf es denn wirklich komplizierter juristischer Überlegungen und Verrenkungen, um zu erkennen, daß der Einsatz von Massenvernichtungsmitteln gegen Millionen Menschen, gegen wehrlose Völker, daß die
    Herbeiführung eines atomaren Infernos nicht Recht, nicht Völkerrecht, nicht Verfassungsrecht sein kann?

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Wie verdorrt ist denn Ihr Rechtsbewußtsein! Welche Verblendung, welche Besessenheit ist am Werke, daß Sie nicht zu erkennen vermögen,

    (Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Was reden Sie denn?)

    daß weder die Natur noch irgendeine andere Instanz — um keinen Preis — irgendeinem Menschen das Recht gibt, das unvorstellbare Grauen eines Atomkrieges, das in den gigantischen Arsenalen der Supermächte lauert, in Gang zu setzen! Was heißt Verteidigung, wenn nach der sogenannten Verteidigung Europa für immer verwüstet, seine Völker ermordet und die Geschichte an ihr Ende gelangt sein werden? Oder kalkulieren Sie wie der Vizepräsident der Vereinigten Staaten, George Bush, der es als Erfolg betrachten würde, wenn deutlich mehr als fünf Prozent der Bevölkerung der Siegermacht überlebten?
    Was sind das für kriminelle Kalküle? Was suchen Sie nach Verträgen? Glauben Sie, irgendein Stück Papier könnte Sie ermächtigen, mit atomaren Massenvernichtungsmitteln die Völker Europas auszulöschen? Ist Mord nur dann ein Verbrechen, wenn das in einem Strafgesetzbuch in § 211 nachzulesen ist?

    (Dr. Czaja [CDU/CSU]: § 218!)

    — § 211.

    (Dr. Czaja [CDU/CSU]: § 218!)

    Verteidigung hat etwas mit Notwehr zu tun. Ich kann einer Not nur wehren, wenn die Not durch die angewandten Mittel nicht größer wird als zuvor. Ein militärisches Konzept, das die Bereitschaft voraussetzt, im sogenannten Ernstfall das eigene Volk der sicheren Vernichtung auszuliefern und zugleich an fremden Völkern Vergeltung zu üben, hat mit Verteidigung nichts zu tun.
    Der Einsatz von atomaren Massenvernichtungsmitteln kann daher unter keinen Umständen gerechtfertigt sein, weder unter kapitalistischen noch unter sozialistischen Vorzeichen. Wir bekräftigen die Nürnberger Erklärung, die lautet: Jeder Einsatz sowie jede Androhung des Einsatzes von atomaren, biologischen und chemischen Waffen ist völkerrechtswidrig und verbrecherisch. Ich freue mich, daß diese Erklärung sowohl sowjetische als auch Bürger der Vereinigten Staaten unterzeichnet haben.

    (Beifall bei den GRÜNEN)

    Eine Regierung, die diese Prinzipien mißachtet, die atomare Selbstschußanlagen auf dem Territorium der Bundesrepublik installieren lassen will, gibt die Friedensstaatlichkeit in unserer Verfassung auf. Sie liefert sich mindestens fahrlässig den Supermachtinteressen der gegenwärtigen Regierung der Vereinigten Staaten aus. Diese Supermachtinteressen streben nach der Option eines be-



    Schily
    grenzbaren, verlängerbaren und gewinnbaren Atomkrieges.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Sie glauben doch selbst nicht, was Sie sagen! — Fischer [Frankfurt] [GRÜNE]: Das können Sie nachlesen!)

    Versuchen Sie nicht, Ihr Gewissen mit dem Scheinargument zu beruhigen, die atomare Abschreckung habe 35 Jahre den Frieden gesichert!

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Tatsache!)

    Dieser Satz ist, auf die Vergangenheit bezogen, so wenig beweisbar wie sein Gegenteil.
    Was sagt Carl Friedrich von Weizsäcker? Die Atombomben erfüllen ihren Zweck,
    — nach Ihrem Verständnis, Herr Staatsminister Mertes —
    den Frieden und die Freiheit zu schützen, nur, wenn sie nie fallen. Sie erfüllen diesen Zweck aber nicht,
    — hören Sie das erst mal zu Ende —
    wenn jedermann weiß, daß sie nie fallen werden. Eben deshalb besteht die Gefahr, daß sie eines Tages wirklich fallen.
    So sagt Carl Friedrich von Weizsäcker.
    Sicher ist: Die 35 Jahre Frieden in Europa beweisen nichts für die Zukunft.

    (Zustimmung der Abg. Frau Dr. Vollmar [GRÜNE])

    Wieviel Jahrzehnte Frieden in Europa mündeten in die Katastrophe des Ersten Weltkrieges? Unterstellt, die Politik der Abschreckung hätte uns 35 Jahre Frieden in Europa verschafft;

    (Zuruf von der CDU/CSU: Ist das nicht so?)

    sie wären nichts wert, aber auch gar nichts, Herr Kollege, wenn sie im 36. Jahr im atomaren Holocaust enden.

    (Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Sie bauen doch einen Popanz auf!)

    Wir Deutsche sollten eine Lektion in diesem Jahrhundert wahrlich gelernt haben: daß die Militarisierung des Denkens, daß die Militarisierung der Politik nur ins Unheil führen kann.

    (Bohl [CDU/CSU]: Die Militarisierung des Denkens betreibt Ihr!)

    Wir müssen daher den Mut zu einer neuen blockfreien Politik aufbringen. Besinnen wir uns auf die politischen Elemente der Sicherheit, setzen wir auf Anfreundung statt auf Abschreckung, verabschieden wir die Blocklogik, und verbünden wir uns mit den Völkern West- und Osteuropas zur Europäisierung Europas, so wie es jüngst der ungarische Schriftsteller György Konrad in einem bemerkenswerten Aufsatz ausgeführt hat: Manche versuchen, uns anzuschwärzen und streuen den Verdacht aus,
    wir wollten den alten deutschen Nationalstaat neu beleben. Solche Verdächtigungen kommen meist von Gruppierungen, die am liebsten wieder die erste Strophe des Deutschlandliedes anstimmen würden.

    (Dr. Hennig [CDU/CSU]: Sie singen ja noch nicht mal die dritte! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

    Ihnen sei mit den Worten eines bekannten deutschen Schriftstellers gesagt:
    „Nein, Deutschland steht nicht über allem und ist nicht über allem — niemals. Aber mit allen soll es sein, unser Land. Ja, wir lieben dieses Land ... Es ist ja nicht wahr, daß jene, die sich „national" nennen und nichts sind als bürgerlich-militärisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock noch der Oberstudienrat, noch die Herren und Damen des Stahlhelm allein sind Deutschland.

    (Klein [München] [CDU/CSU]: Inzwischen ist der Oberstudienrat bei den GRÜNEN!)

    Wir sind auch noch da.
    Wir pfeifen auf die Fahnen — aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln — mit dem gleichen Recht, mit genau dem gleichen Recht nehmen wir, die wir hier geboren sind, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel, mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: Es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen — weil wir es lieben. Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir."
    Diese Worte schrieb Kurt Tucholsky im Jahre 1925. Sie sind ein Vermächtnis für uns. — Ich danke Ihnen.

    (Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)