Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich eines Ereignisses gedenken, das vor 25 Jahren in den Vereinigten Staaten seinen Ausgang nahm. Vor 25 Jahren wurde von den Vereinigten Staaten von Amerika die Organisation CARE gegründet, in der sich amerikanische und kanadische Bürger zu einer spontanen und privaten Hilfsaktion zur Linderung von Not und Leid in Europa zusammenfanden. Das ist heute vor 25 Jahren geschehen. Gerade wir in der Bundesrepublik haben wahrlich Anlaß, mit großer Dankbarkeit daran zu erinnern, daß uns damals und in den folgenden Jahren Spendenpakete in einem Wert von annähernd 85 Millionen Dollar erreichten. Der Gesamtwert der Hilfeleistungen der Organisation, die von 1946 bis heute insgesamt 73 Ländern zugute kamen, erreicht einen Wert von 1250 Millionen Dollar. Der Deutsche Bundestag dankt den damaligen Initiatoren und den Trägern der CARE-Organisation für die hervorragenden Verdienste, die sich CARE nach dem Kriege in Deutschland erworben hat und heute in mehreren Kontinenten, besonders in Lateinamerika, in Asien, Afrika und im Nahen Osten, erwirbt.
Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat mit Schreiben vom 11. Mai 1971 um nachträgliche Überweisung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zu der Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten in der Fassung der Beschlüsse des federführenden Innenausschusses — Drucksachen 11/1658, VI/2142 — gemäß § 96 der Geschäftsordnung gebeten. — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Tagesordnung. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Sammelübersicht 21 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen
— Drucksache VI/2141 —
Ich darf zunächst den Berichterstattern danken.
Wird das Wort gewünscht? — Bitte schön, Herr Kollege Hussing!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt die Drucksache VI/2141 mit einer Übersicht über Petitionen vor, die am 27. November 1970 und am 29. April 1971 verhandelt worden sind. Das Hohe Haus ist wieder gebeten, nach dem Antrag des Petitionsausschusses der vorgeschlagenen Erledigung von Petitionen zuzustimmen. Zwei Petitionen sollen der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen werden, neun Petitionen sollen der Bundesregierung als Material überwiesen werden, 74 Petitionen sollen nach Prüfung der Sach- und Rechtslage als erledigt angesehen werden, eine Petition soll als ungeeignet zur Beratung im Bundestag erklärt werden.Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, wie bei der Vorlage von Sammelübersichten in vorangegangenen Sitzungen des Deutschen Bundestages mit wenigen Sätzen auf eine Petition einzugehen, die einen Wunsch vieler Bürger zum Inhalt hat. Beweis ist die Vorlage einer größeren Zahl von Petitionen, die eine neuerliche Verwendung der Bundesregierung reklamieren und die Aufmerksamkeit des Deutschen Bundestages erbitten. Es handelt sich hier um eine Eingabe, die das bisher ungelöste Problem des Transfers von Sparguthaben in der DDR zum Inhalt hat. Die Petentin im vorliegenden Fall besitzt Reichsmarkspareinlagen in der DDR bzw. hierfür nach der Währungsumstellung in der DDR ausgegebene Anteile an der Altguthaben-Ablösungsanleihe. In anderen Petitionen handelt es sich um nach der Währungsumstellung neu begründete Sparguthaben und sonstige auf Geldzahlung gerichtete Forderungen Privater. Seit Ablauf des Jahres 1957 erfolgen keine Zinszahlungen bzw. Zinsgutschriften mehr auf diese Anteile aus der Altguthabenablösungsanleihe. Nach der derzeitigen Sachlage können solche Forderungen nur realisiert werden, wenn der Berechtigte seinen Wohnsitz in der DDR nimmt. Auf diese Sache richtete sich bereits eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Strauß und Genossen, Drucksache VI/1097, auf die mit Antwort vom 12. August 1970 der Bundesminister für Wirtschaft mitteilte, daß die Deutsche Bundesbank im Einvernehmen mit der Bundesregierung durch Schreiben vom 22. Juni 1970 an die Staatsbank der DDR erneut ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Verhandlungen über den nicht kommerziellen Zah-
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Hussinglungsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bekundet habe. Schon am 3. Januar 1969 war in gleicher Sache an die Staatsbank der DDR ein Schreiben gerichtet worden. In der Zwischenzeit hat sich der Kollege Breidbach dieser Fragen angenommen. Etwaige Verhandlungen sollten den Austausch von Zahlungen auch auf dem nicht kommerziellen Bereich wie Sparguthaben und Erbschaftsregulierungen zum Inhalt haben. Das Verhandlungsangebot der Deutschen Bundesbank wurde nicht angenommen.Das Problem hat seinen Umfang behalten. Denn nur ein Teil der angesprochenen Fälle ist einer befriedigenden Lösung zugeführt worden durch die Einbeziehung der Zonenschäden in die Lastenausgleichsregelung durch das 21. Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes und die Verbesserung dieser Regelung durch das 23. Gesetz zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes. Darum wird von dieser Stelle an den Minister für innerdeutsche Beziehungen der Wunsch gerichtet, darauf hinzuwirken, daß die Regelung des angesprochenen Fragenkomplexes bei den innerdeutschen Gesprächen mit dem Ziel einer baldigen Regelung angesprochen wird. Viele Bürger beklagen den Zustand, daß die Bundesregierung bereitwillig Forderungen der DDR entspricht und sich bereitwillig Leistungsausgleichen stellt, ohne Entsprechendes zu erhalten. Verhandlungen würden ein Zeichen setzen für diejenigen, die berechtigte Forderungen haben, und Bürgerunmut mindern helfen.Ich danke Ihnen und bitte Sie, den in der Sammelübersicht 21 enthaltenen Anträgen zu Petitionen zuzustimmen.
Sie kennen den Antrag des Ausschusses, dieser Sammelübersicht 21 zuzustimmen. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr den Punkt 4 der Tagesordnung auf:
a) Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Sicherheitspolitik der Bundesregierung
— Drucksachen VI/1779, VI/ 1977 —
b) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen VI/ 1931, VI/1977 —
c) Beratung des Schriftlichen Berichts des Verteidigungsausschusses über den Jahresbericht 1970 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
— Drucksachen VI/ 1942, VI/2168 —Berichterstatter: Abgeordneter Rommerskirchen
d) Beratung des Mündlichen Berichts des Verteidigungsausschusses über das
Weißbuch 1970 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr
— Drucksachen VI/765, VI/2167 — Berichterstatter: Abgeordneter Jung
Zunächst danke ich den Berichterstattern für die Berichte zu c) und d). Im Ältestenrat ist Verständigung dahin erzielt worden, daß wir die Debatten über die Punkte 4 a) bis d) miteinander verbinden und daß der erste Sprecher der Sprecher der Fraktion der CDU/CSU sein wird.
Das Wort hat Herr Adorno. Für ihn hat seine Fraktion eine Redezeit von 45 Minuten beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Sicherheitspolitik gehören die Verteidigungspolitik und die Entspannungspolitik gleichermaßen. Dies gilt für das Atlantische Bündnis nicht erst seit dem Bericht des belgischen Minister Harmel von 1967. Beide, die Verteidigungspolitik wie die Entspannungspolitik, dienen der Erhaltung unserer Freiheit und der Sicherung des Friedens. Diese Politik der Sicherung des Friedens in Freiheit aber kann auch künftig nur erfolgreich betrieben werden, wenn sie einerseits die dauernde, also nicht nur temporäre Übereinstimmung mit Bleichgelagerten Interessen starker Partner sucht und wenn sie andererseits geduldig, also nicht hektisch, gelassen, aber nicht riskant, den Ausgleich mit den widerstrebenden Interessen der Regierungen Osteuropas anstrebt. Ergebnis der einen Seite dieser Politik ist die Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und die Partnerschaft in der NATO mit ihrem starken Rückhalt. Das Bemühen nach der anderen Seite ist die mühselige und bisher leider wenig honorierte Suche nach Entspannung, vor allem mit der Sowjetunion.Dazu ein offenes Wort. Mir scheint, daß im öffentlichen Bewußtsein das Verhältnis von Sicherheit und Entspannung manchmal auf den Kopf gestellt wird. Man trifft häufig auf ein eigentümlich übersteigertes Sicherheitsgefühl, das aus einer schon als gegeben empfundenen Entspannung entstehen mag. Es ist sicher verständlich, wenn die Menschen dazu neigen, das Bemühen um Entspannung gleichzusetzen mit schon eingetretener Entspannung. Aber ein sol; cher Trugschluß ist äußerst gefährlich.
Denn die Entspannungspolitik ist kein Ersatz für die Verteidigungspolitik, sondern deren sinnvolle Ergänzung — aber auch nur dann, wenn die Sicherheit gegeben ist und gewährleistet bleibt. Nicht am Wunschdenken, sondern nur an den Fakten darf sich unsere Sicherheitspolitik orientieren.
Daraus, meine Damen und Herren, ergibt sich, daß Friedenspolitik heute, aller Voraussicht nach auch morgen und unter Umständen auch übermorgen, nur dann wirksam, d. h. mit Aussicht auf Ergebnisse betrieben werden kann, wenn dabei die Sicherheit militärisch garantiert bleibt.
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AdornoNun nimmt die Bundesregierung für sich in Anspruch, mit ihrer Politik den Frieden sicherer zu machen. Was heißt, den Frieden sicherer machen? Da die Macht als geballte Willenskraft großer Staaten oder Staatengruppen in unserer Welt, zu ungeheuren Energien gesteigert, unter gegenläufigen Wirkungsabsichten existent ist, gibt es unterschiedliche Auffassungen vom Frieden. Sie bestimmen das Handeln der Großen. Sie sind — und dies ist das tragische Weltproblem — in Moskau anders als in Washington, in Peking anders als in den Regierungszentren der Länder der Dritten Welt. Angesichts eines hochgerüsteten Gegners, der nicht daran denkt, sein militärisches Potential einzufrieren oder gar abzubauen, haben wir doch nur die Wahl, uns entweder im Rahmen des Bündnisses zu behaupten, indem wir mithelfen, das Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten und Zug um Zug zu sichern, oder uns der Gefahr der politischen Erpressung auszuliefern.
Beides, meine Damen und Herren, macht den Frieden, wenn Sie so wollen, „sicherer". Nur stellt sich uns die Frage, welchen Frieden wir erstreben; ob wir uns einsetzen wollen für den Frieden, der sich auf die Freiheit gründet, oder ob wir mehr und mehr bereit sind, hinzunehmen den erstarrten Frieden einer durch eine allmächtige Staatsideologie beherrschten Welt, das Endziel des äußerst expansiven und dynamischen Sowjetimperiums. Wenn wir das erstere wollen, den Frieden in Freiheit — und wir gehen noch immer davon aus, daß dies der gemeinsame Wille dieses Hohen Hauses ist —, dann müssen wir uns auch gemeinsam gegen alle Machtinteressen wenden, die sich gegen die Freiheit richten, sei es mit Mitteln politischer Erpressung, sei es mit militärischen Mitteln jeglicher Art. Dann dürfen wir allerdings nicht durch Vorleistungen, durch einseitiges Entgegenkommen, durch voreilige Abrüstung oder auch nur durch gefährliche Gleichgültigkeit die eigene Position einem Gegner gegenüber schwächen, der sein Arsenal laufend vermehrt, seine Waffen ständig schärft und auch dazu fähig ist, diese Waffen einzusetzen, von der Maschinenpistole bis zur Interkontinentalrakete.Die letzte NATO-Konferenz betonte die steigende militärische Kraft der Sowjetunion und unterstrich die Notwendigkeit, die westlichen Verteidigungsanstrengungen zu erhöhen.Vier Hauptmerkmale kennzeichnen diese steigende militärische Kraft der Sowjetunion:Erstens. In Osteuropa stehen über 160 Divisionen zur Verfügung, davon im europäischen Vorfeld des Warschauer Paktes mindestens 60, die sofort antreten können. General Goodpaster hat gerade jetzt wieder darauf hingewiesen, daß der Warschauer Pakt in der Kernregion über doppelt soviel Divisionen verfügt wie die NATO.
Die 5 sowjetischen Divisionen in der Tschechoslowakei sind inzwischen von Besatzungsdivisionen in Kampftruppen der ersten Welle umgewandelt worden. Hier ist also nach 1968 ein neuer Stoßkeilvon 5 Elitedivisionen aufgebaut worden, obwohl die Anwesenheit dieser Divisionen in der Tschechoslowakei sowohl ihrer Stärke als auch ihrer Zahl nach heute nicht einmal mehr aus Besatzungsgründen als notwendig betrachtet werden kann. Sie werden in unmittelbarer Grenznähe gehalten. Gleichzeitig wurde das sowjetische Versorgungsnetz innerhalb der Tschechoslowakei aus dem ukrainischen Raum vorgetrieben bis nach Karlsbad, Pilsen, Eger und Budweis. Dieser weit in das NATO-Gebiet vorstoßende überdimensionale und strategisch ausgebaute Brückenkopf des Warschauer Paktes bedroht jetzt auch Süddeutschland unmittelbar.Weiter muß erwähnt werden:die laufende Modernisierung der Bewaffnung der Warschauer-Pakt-Armeen,die forcierte Ausrüstung ihrer Einheiten mit amphibischen Fahrzeugen — ein eindeutiges Mittel des Angriffs —,die Abhaltung großer Übungen zur Schulung der Führungsstäbe und der Kampftruppen,die Vereinheitlichung des schweren Rüstungsmaterials und der Ausbau der gemeinsamen Logistik.Zweitens. Der Einbruch der roten Flotte ins Mittelmeer ist ein entscheidendes Datum dieses Jahrhunderts und ein irreversibler Vorgang. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß Moskau im Zuge der permanenten Nahostkrise alle Anstrengungen unternimmt, sich entlang der nordafrikanischen Küste alle strategisch wichtigen Positionen zu sichern, um damit den Süden des NATO-Verteidigungsbereichs auszuflankieren. Wer die weiten, offenen und schwer zu verteidigenden Küsten Südeuropas von Spanien über Italien, Jugoslawien, Griechenland bis hin zur Türkei betrachtet, sieht die Gefahr, der die NATO hier in zunehmendem Maße ausgesetzt ist, ganz abgesehen von der Gefährdung der Handelsbeziehungen und Ölzufuhren in und aus diesem Raum.Das gleiche gilt für die Bedrohung der nördlichen Flanke der NATO im Ostsee- und vor allem im Nordmeerraum, die allerdings unserer Öffentlichkeit im Gegensatz zur Bedrohung aus dem Mittelmeer noch kaum bewußt ist, obwohl die sowjetische Nordmeerflotte sowohl ihrer Größe als auch ihrer Schlagkraft nach die stärkste Flotte der UdSSR ist. Diese Zangenbewegung aus dem Nordmeer und aus dem Mittelmeer kann für das freie Europa tödlich werden, wenn wir nicht auf der Hut sind.Drittens. Die Jahrhunderte währenden und niemals, auch durch keine noch so großen Rückschläge aufgegebenen Bemühungen der Russen, neben einer kontinentalen Weltmacht eine maritime Streitmacht von Weltgeltung aufzubauen, sind jetzt von Erfolg gekrönt worden. Der alte russische Traum von der „Weltmacht auf den Meeren" ist Wirklichkeit geworden. Die großen Seemanöver „Okean" des vergangenen Jahres auf allen Meeren bewiesen eindeutig, daß die Sowjetunion heute die zweitgrößte Seemacht der Welt ist. Und sie weiß auch ihre maritimen Fähigkeiten und Mittel politisch
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Adornound strategisch einzusetzen. Dieser altemberaubende Expansionsdrang in alle maritimen Bereiche ist faszinierend und alarmierend zugleich. Es sichert dem Kreml weltweite Operationsfreiheit, macht ihn überall aktions- und interventionsfähig. Dieser Dynamik liegen Umfassungspläne zugrunde, die sich nicht nur gegen Europa richten, sondern gegen die gesamte westliche Welt und ihre lebenswichtigen Versorgungswege. Es ist ein Konzept gewaltigen Ausmaßes, das in seiner Bedeutung das nukleare Brust-an-Brust-Rennen der beiden Supermächte wahrscheinlich noch übertrifft.Viertens. Auf dem Gebiet der strategischen Nuklearrüstung ist die Gleichstellung der Sowjetunion mit den USA praktisch vollzogen. Auf Teilgebieten beginnen die Sowjets die Amerikaner bereits zu überholen. Um einen solchen Vorsprung Moskaus zu verhindern, z. B. bei seinen Anstrengungen, die Fähigkeit des Gegners zum second strike, zum wirksamen Vergeltungsschlag zu vernichten, muß sich Washington auf dem Gebiet der strategischen Waffen wieder stärker engagieren. Die zwangsläufige Folge davon wird sein, daß die amerikanische Regierung ihre Ausgaben bei den konventionellen Waffen kürzen muß; denn den Zwängen der Innenpolitik in den Vereinigten Staaten muß Präsident Nixon auch bei den Verteidigungsausgaben seines Landes Rechnung tragen.Dies, meine Damen und Herren, sind Fakten, die beweisen, daß die Sowjetunion atomar, mit ihren Flottenverbänden an den Flanken der NATO und auf den Weltmeeren sowie mit der Phalanx des Warschauer Paktes nach wie vor die Ausdehnung ihres Machtbereiches anstrebt. Der amerikanische Verteidigungsminister Laird wies deshalb kürzlich darauf hin, daß kaum Anzeichen für eine Bereitschaft Moskaus zur Abrüstung und Entspannung bestehen, sondern daß vielmehr die militärische Bedrohung durch den Kreml ständig wächst.Der deutsche Verteidigungsminister kam in seiner Analyse der militärischen Lage der NATO, die er vor einem halben Jahr in einer gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses gab, zur gleichen Beurteilung der Situation und nannte dabei ebenfalls eine Reihe dieser Fakten, die zur Störung des Gleichgewichts und damit zur Bedrohung des Bündnisses führen werden.Nun bedeutet es nach manchen Erfahrungen in der Vergangenheit schon etwas, meine Damen und Herren, wenn der Verteidigungsminister mit der Opposition in der Analyse der militärischen Lage weitgehend übereinstimmt. Leider läßt die Beantwortung der Großen Anfrage der CDU/CSU die gleiche eindeutige Diagnose vermissen, die Ihre Ausführungen, Herr Minister, in der vorhin erwähnten Ausschußsitzung kennzeichneten. Zu viel ist hier die Rede von „die Bundesregierung stellt fest, sie hofft, sie weiß, sie prüft, sie orientiert sich", zu wenig aber sagt die Bundesregierung, was sie will und was sie tut.
Sie bleibt die Antwort auf viele Fragen schuldig.Woran liegt dies? Liegt dies etwa daran, daß die Bundesregierung bei ihrer Antwort zu unterschiedliche Auffassungen in ihren eigenen Reihen und innerhalb der Koalition über die wahren Absichten der Sowjetunion berücksichtigen mußte?
Dann wäre es Ihnen, Herr Kollege Schmidt, leider nicht gelungen, die Bundesregierung, Ihre eigene Fraktion und die Ihres Koalitionspartners von der Genauigkeit ihrer Analyse, der Analyse des dafür in erster Linie zuständigen und verantwortlichen Ministers nachhaltig zu überzeugen.Oder liegt es daran, daß die Bundesregierung befürchtet, daß sie aus einer solchen Analyse andere Schlußfolgerungen ziehen muß, als sie bis jetzt zu ziehen bereit war?
Beides, meine Damen und Herren, wäre verhängnisvoll. Denn nach unserer Überzeugung muß die Bundesregierung auf Grund der erkennbaren Absichten der Sowjetunion offenbar darlegen, daß diese mit einer global angelegten Strategie unverändert ihre imperialen Ziele verfolgt. Die gesamten militärischen, wirtschaftlichen, ideologischen und politischen Maßnahmen des Warschauer Pakts sind darauf ausgerichtet, und es ist reines Wunschdenken, daß gewisse ideologische und wirtschaftliche Risse innerhalb dieses Bereichs das gemeinsame Handeln behindern. Das beste Beispiel hierfür lieferte die Tschechoslowakei im Jahre 1968.Wenn sich die Sowjetunion zur Entspannungsbereitschaft und zu einer ausgewogenen Truppenreduzierung bekennen wollte, dann, meine Damen und Herren, böte der Abzug der vorhin erwähnten fünf Divisionen aus der Tschechoslowakei oder wenigstens eines Teils derselben ein Beispiel ihres guten Willens. Es wäre dies doch ein Anfang und ein spektakuläres Ereignis für die Völker Europas.
So aber müßte die Bundesregierung angesichts der weiter wachsenden Stärke des Warschauer Pakts zu dem naheliegenden Schluß kommen, daß die Sowjetunion keinerlei Rücksicht auf die Entspannungsbemühungen der deutschen Politik nimmt, sondern unbeirrbar ihre militärischen, politischen und wirtschaftlichen Positionen ausbaut, um ein eindeutiges Übergewicht zu gewinnen.In diesem Zusammenhang müssen auch Pläne wie z. B. die Einberufung einer sogenannten „Europäischen Sicherheitskonferenz" oder auch die SALT-Gespräche mit äußerster Zurückhaltung beurteilt werden. Wer gibt uns die Gewähr, daß die Sowjets all dies nicht nur als Zeitgewinn werten, um hinter der Fassade von Verhandlungen den kontinuierlichen Ausbau ihrer Streitmacht weiterhin ungestört vollziehen zu können?
Und selbst wenn die SALT-Gespräche zu einemErfolg führen sollten, die konventionelle Überlegenheit der Sowjets bleibt, ja, sie tritt dann nur noch
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Adornostärker in Erscheinung und gewinnt in dem Maße, in dem es gelingt, die nukleare Parität auch nur annähernd zu sichern, nicht nur militärisch, sondern auch politisch an Bedeutung. Sie wird zu einem Instrument der politischen Erpressung.Wenig, sehr wenig davon enthält die magere Antwort der Bundesregierung. Und dies trotz der alarmierenden Analyse, die der Verteidigungsminister ich unterstreiche dies noch einmal — in der gemeinsamen Sitzung des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses gegeben hat. Es liegt doch auf der Hand, daß der Minister diese Lagebeurteilung auch dem Kabinett nicht vorenthalten hat.Wenn es möglich wäre, an der Stirnseite dieses Plenarsaales eine große Weltkarte anzubringen, auf der die militärischen Positionen der Supermächte eingetragen und laufend ergänzt würden, dann hätte dieses Hohe Haus das wirkliche Ausmaß unserer Bedrohung stets vor Augen, und dann könnten wir uns auch manche Debatte ersparen.
-- Herr Kollege Wehner, ich gehe gern zu, daß Sie das nicht immer gern hören, was wir in diesen wichtigen Fragen der Verteidigung des Landes zu sagen haben.
— Niemand nimmt sich hier wichtiger, als er ist, sicherlich auch nicht Sie, Herr Kollege Wehner; aber Sie sollten die Fragen der Verteidigung wichtig nehmen.
Meine Damen und Herren! Die Verteidigung unserer Sicherheit und unserer Freiheit ist Aufgabe und Last aller Bürger, und zwar schon im Frieden. Da wir gemeinsam den Krieg verhindern wollen, ohne dabei unsere Freiheit und unsere Sicherheit aufs Spiel zu setzen, müssen wir auch gemeinsam schon im Frieden Tag für Tag unseren Willen zur Verteidigung, die Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr und unsere Fähigkeit zu lückenloser und glaubwürdiger Abschreckung unter Beweis stellen. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß jedes Nachlassen unserer Anstrengungen eine gefährliche Vorleistung darstellt, die das Risiko für den potentiellen Gegner mehr und mehr berechenbar macht. Die Grenze, die es hier im Interesse unserer Sicherheit geben muß, ist nach unserer Überzeugung bereits erreicht. Jede Verringerung der Kampfkraft unserer Bundeswehr sowohl im personellen wie im materiellen Bereich stellt die Vorne-Verteidigung nicht nur in Frage, sondern gibt sie auf.Ich erinnere hier z. B. an die immer spürbarer werdende Jäger-Lücke. Wir wissen, daß der Verteidigungsminister eine Grundsatzentscheidung darüber gefällt hat, die Luftwaffe der Bundeswehr mit amerikanischen Kampfmaschinen des Typs Phantom auszurüsten und diese als „LuftüberlegenheitsJäger" und als Jagdbomber einzusetzen. Der Verteidigungsausschuß soll in Kürze mit einer entsprechenden Vorlage befaßt werden. Wir sehen dem mit Interesse entgegen. Denn militärische Operationen im freien Raum bedingen einen erhöhten Luftschutz. Was Luftüberlegenheit des Gegners bedeutet, wissen wir aus den Erfahrungen in Monte Cassino, bei der Invasion und bei der deutschen Ardennen-Offensive.Wann will das Verteidigungsministerium die aktive Luftverteidigung des Heeres bessern? Als Stichwort nenne ich hier nur die veralteten 40-mmFla-Batterien. Ist die Luftwaffe in der Lage, durchgebrochene Panzer zu bekämpfen? Wie verhält es sich mit dem Ausbau der Luftbeweglichkeit des Heeres? Moderne Armeen belastet zunehmend der hohe Grad der Motorisierung auf der Erde. Um die operative Beweglichkeit der Reserveverbände zu erhöhen -- ein besonderes Erfordernis der Verteidigungsstrategie —, muß die dritte Dimension genutzt werden. Was ist mit dem Kampfhubschrauber? Wann werden die erforderlichen Aufklärungsmittel zur Verfügung stehen, damit die Artillerie auch auf weite Entfernungen nicht blind ist?Aus der Marinekonzeption wurden die Fregatten gestrichen. Ich möchte jetzt nicht untersuchen, welche Argumente von der Marineleitung jahrelang ins Treffen geführt wurden, um das Fregatten-Programm durchzusetzen. Die Devise lautete alles in allem, ohne Fregatten sei eine Verteidigung in der Ostsee nicht möglich. Nun soll es auf einmal ohne Fregatten gehen. Aber wo bleibt dann das Ersatzprogramm? Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, daß sich in der Nordsee angesichts der wachsenden sowjetischen Seestreitkräfte die Lage verschärft hat. Der Verteidigungsausschuß wird mit großen Beschaffungsvorhaben der Marine befaßt, ohne die neue Konzeption der Marine zu kennen: ein unhaltbarer Zustand!
Das sind nur wenige Fragen aus dem Rüstungsbereich. Sie wecken Zweifel daran, daß auf längere Sicht die Kampfkraft der Bundeswehr ausreicht. Was wird morgen und übermorgen sein? Sie Sicherung der Kampfkraft der Bundeswehr muß im Verteidigungsetat und in der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung von Jahr zu Jahr ihren Niederschlag finden. Sonst ist die Abschreckung keine Abschreckung mehr.Lassen Sie mich dies näher erläutern. In allen Bereichen des Haushalts bleibt das Geld sinnvoll angelegt, auch wenn in den verschiedenen Einzelplänen nicht die ganze Summe zur Verfügung gestellt werden kann, die erforderlich wäre, um alle Wünsche zu befriedigen, um alle Vorhaben durchzuführen. Der Verteidigungsbereich macht hier eine Ausnahme. Wenn wir im Verteidigungsetat weniger Geld einstellen, als für die Erhaltung der Abschrekkung notwendig ist, und dieser Vorgang sich mehrmals wiederholt, dann ist die Grenze bald erreicht, von der an die Abschreckung ihre Glaubwürdigkeit verliert und daher das ganze Geld mehr oder weniger unnütz ausgegeben wird.
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AdornoDas Geld ist in diesem Fall nicht mehr sinnvoll angelegt.Von diesem gefährlichen Zeitpunkt sind wir nicht mehr weit entfernt. Nach der Finanzplanung der Bundesregierung sinkt der Anteil des Verteidigungshaushalts am Bundeshaushalt infolge geringer werdender Zuwachsraten von Jahr zu Jahr. Er beträgt 1970 noch 22,3 %, 1971 21,9 %, 1972 20,9 %, 1973 19,6 % und 1974 nur noch 18,7 %.
Und dies trotz Kostenexplosion in der Rüstung.
Das NATO-Dokument AD 70, Herr Kollege Wienand, stellt fest, daß die Verteidigungsausgaben der europäischen Staaten seit 1964 real um den gleichen Satz von 4 % sanken, um den die Sowjetunion jährlich ihre Ausgaben real gesteigert hat.
Die sich aus dieser Differenz ergebende Verschiebung des militärischen Gleichgewichts zugunsten Moskaus gefährdet in erster Linie unser Land.Zur Personallage der Bundeswehr muß leider gesagt werden, daß mindestens im Heer keine wesentliche Verbesserung und wesentliche Entspannung eingetreten ist, wenn es auch einzelnen Verbänden gelang, ihren Unteroffiziersbestand zu verbessern. Drückend bleibt das Fehl beim Offiziersnachwuchs des Heeres. Die Truppe ist mit Recht der Auffassung, daß sich die Personalprobleme nicht allein mit Geld oder sozialen Maßnahmen lösen lassen, sondern vor allem durch ein eindeutiges und klares Bekenntnis der gesamten Gesellschaft, und zwar aller ihrer Gruppierungen, zur Landesverteidigung und damit zur Bundeswehr.Wir wollen die Situation unvoreingenommen betrachten. Dann erkennen wir sehr schnell den Kern des eigentlichen Problems. Nicht Mangel an sozialen Leistungen, nicht fehlende Aufstiegschancen, nicht die Auffassung, daß der Beruf des Soldaten weniger interessant sei als andere Berufe, bringen die Bundeswehr in erster Linie in Personalnot. Ich möchte die eigentlichen Schwierigkeiten und Ursachen hier ganz deutlich aussprechen: Das indifferente Verhältnis unserer Gesellschaft zum Staat,
die Gleichgültigkeit gegenüber den Belangen unserer Freiheit,
die Wunschvorstellung, die Welt besser zu sehen, als sie ist, übersteigertes materielles Interesse auf der einen, mangelnde Opferbereitschaft auf der anderen Seite und der Verlust an natürlicher Autorität in weiten Bereichen unserer Gesellschaft. Dazu kommt, daß es immer noch keine bessere Wehrgerechtigkeit gibt, sowie unser Unvermögen, das von Jahr zu Jahr größer werdende Problem der Kriegsdienstverweigerung für alle befriedigend zu lösen. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf:Haben unsere Kriegsdienstverweigerer nicht ein brillantes Argument zur Hand, seitdem diese Bundesregierung ihre Entspannungspolitik auf die angeblich so friedlichen Absichten der Sowjets gegründet hat?
Meine Damen und Herren, das sind sicher nicht nur unsere Probleme. Sie stellen sich auch anderswo, vor allem dort, wo die Freiheit des Individuums verbrieftes Recht ist. Aber vielleicht sollten uns diese Fragen stärker beschäftigen, um bessere Lösungen nicht von vornherein auszuschließen. Denn in einem solchen Klima kann die Bereitschaft, dem Allgemeinwohl durch Verteidigung zu dienen, nur spärlich wachsen.
Die jungen Wehrpflichtigen sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Paradoxerweise hämmert diese Gesellschaft einerseits der Bundeswehr unentwegt ein, sie habe keine Sonderstellung zu beanspruchen, und erwartet andererseits vom Soldaten beispielhaftes Verhalten und herausragende Leistungen, kurz, den Staatsbürger in Uniform. Die Bundeswehr kann jedoch in 18 Monaten Ausbildung nicht aufholen, was 18 Jahre lang vorher bei der Erziehung zum Staatsbürger die für die Bildung und Ausbildung junger Menschen verantwortlichen Kräfte der Gesellschaft versäumt haben.
Denn es fehlt nur allzuoft an der notwendigen und rechtzeitigen Erziehung zur Solidarität und zum Engagement für das Allgemeinwohl, also an der Entwicklung jener Eigenschaften, die den Staatsbürger letztlich charakterisieren. Darüber müssen wir, wenn wir die Verteidigungsbereitschaft der breiten Schichten stärken wollen, ebenso nachdenken wie über die Schwierigkeiten und Belastungen in jener Zeit, als wir darangingen, gegen große Widerstände Streitkräfte zur Landesverteidigung wiederaufzubauen. In diesem Gesamtkomplex haben die Distanz und oft genug auch die Abstinenz, deren sich vor allem der „zivil orientierte Intellektuelle" in Wehrfragen befleißigt, ihre Wurzeln.
Wir brauchen dagegen in den Fragen der Landesverteidigung eine weitgehende politische Übereinstimmung aller Schichten unseres Volkes. Das Parlament und die tragenden politischen Kräfte unseres Staates müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Konflikte zwischen politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen über viele Probleme des öffentlichen Lebens sind sicher nützlich und auch notwendig. Nur in den großen nationalen Anliegen — und dazu zählt insbesondere die Landesverteidigung — muß es mehr Konsens als Konflikt, mehr Engagement als Abstinenz geben. Dann wird bei uns das Verständnis für die notwendige Verteidigung unseres Staates wachsen und damit das Ansehen unserer Bundeswehr ebenso wie ihre den Frieden sichernde Wirkung.
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AdornoSchließlich sind jene nicht zu übersehen, die die Bundeswehr zum Außenseiter der Gesellschaft stempeln, sie in Frage stellen oder sogar von ihr erwarten, daß sie sich als Institution selbst in Frage stellt. In Frage stellen kann sich und seine Ideologie vielleicht der Philosoph, niemals aber der Soldat in unserer gefährdeten Welt. Sonst gingen der Philosoph und jene mit ihm der Freiheit verlustig, die es ihnen erst erlaubt, diese Freiheit und alles, was sie gewährleistet, zu verunsichern.
Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat am 9. Februar dieses Jahres in einer Rede vor der Georgetown University in Washington erklärt — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:Ich kann Sie versichern, daß es in der Bundesrepublik keine verantwortliche Partei, Gruppe oder Persönlichkeit gibt, die derart destruktiven Vorstellungen folgen würde.Meinen Sie nicht, Herr Minister, daß dies angesichts der zahlreichen erklärten Gegner einer ausgewogenen Sicherheitspolitik eine allzu optimistische Beurteilung der inneren Verhältnisse unseres Landes ist? Diese Gegner versammeln sich in radikalen Gruppen, vornehmlich auch in Schulen und nicht zuletzt in den Massenmedien. Sie agieren im Schutz der allgemeinen Meinungsfreiheit auf allen publizistischen Gebieten, in den Informationsbereichen genauso wie in den künstlerischen Bereichen, gegen die Verteidigung dieses Staates und damit auch gegen die Bundeswehr.Hier sind auch Regierung und Regierungskoalition aufgefordert, ihren ganzen Einfluß geltend zu machen, daß sich unqualifizierte und verleumderische Aussagen gegen Staat und Soldat unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit nicht weiter ausbreiten. Ihnen muß Einhalt geboten werden.
Unser Grundgesetz garantiert allen die Freiheit, nur nicht den Gegnern der Freiheit.In diesem Zusammenhang muß auch darauf hingewiesen werden, daß die Passivität gegenüber den zunehmenden antiamerikanischen Umtrieben ein gefährliches Ausmaß angenommen hat.
Daraus erwächst eine erhebliche Gefahr für die äußere Sicherheit unseres Staates; denn die VorneVerteidigung ist nur mit Hilfe der verbündeten Streitkräfte, vor allem der amerikanischen, garantiert.Der Antiamerikanismus wird vor allem durch linksradikale Gruppierungen mit einer Intensität wie noch zu keinem Zeitpunkt in der deutschen Nachkriegsgeschichte betrieben.
Hier sind Kräfte im Rahmen einer globalen Strategieam Werk, die sich die Vertreibung der Amerikaneraus Europa als Ziel gesetzt haben. Wenn sie sichdurchsetzen, ist die Freiheit unseres Kontinents verspielt.Es reicht nicht aus, nur auf die ungeschmälerte Präsenz der Vereinigten Staaten in Europa zu drängen. Es muß auch wirksam gegen die antiamerikanischen Umtriebe eingeschritten werden.Ich möchte noch ein Wort zur Unabhängigkeit des Urteils der militärischen Führung in allen militärischen Fragen sagen. Der militärische Führer kann in einem demokratischen Staat dem Politiker seinen militärischen Rat unabhängig von der Regierungskonstellation und erst recht ohne Rücksicht auf parteipolitische Zweckmäßigkeiten geben.
Meine eigenen Erfahrungen in diesem Bereich aus jüngster Zeit stimmen mich skeptisch. Ich will das kurz begründen.Bei der Verwirklichung der Wehrgerechtigkeit spielt bekanntlich die Frage nach der Dauer des Grundwehrdienstes eine wesentliche Rolle. Im Sommer 1968 schlug eine aus Mitgliedern aller drei im Bundestag vertretenen Fraktionen bestehende Kornmission unter meinem Vorsitz vor, den Grundwehrdienst bis zu drei Monaten zu verkürzen, wenn bestimmte personelle Voraussetzungen erfüllt seien. Von der militärischen Führung wurden damals erhebliche Bedenken angemeldet und vor allem die schädliche Auswirkung einer solcher Verkürzung auf die NATO beredt geschildert.Vor wenigen Wochen hat nun die Wehrstrukturkommission der jetzigen Bundesregierung ebenfalls vorgeschlagen, den Grundwehrdienst zu verkürzen von 18 Monaten auf 16 Monate, und zwar aus den gleichen Gründen wie wir damals. Es sollen nämlich mehr Wehrpflichtige eingezogen werden können, um die Wehrgerechtigkeit zu verbessern. Natürlich war auch unser Vorschlag in ein Paket mit ergänzenden personellen und materiellen Empfehlungen eingefügt. In den Schlußbemerkungen hatten wir ausdrücklich darauf hingewiesen, daß der Lösungsvorschlag ein Gesamtkonzept darstellt, das nicht in Teile zerlegt werden kann, da sonst das Problem der Wehrgerechtigkeit nicht befriedigend zu lösen ist.
Die beiden Kommissionsvorschläge sind auf weite Strecken fast deckungsgleich. Ja, es ist heute nicht einmal mehr tabu, im Kabinett und in der Öffentlichkeit über die Einführung einer Wehrabgabe ernsthaft zu diskutieren. Niemanden wird es daher überraschen, daß die Mitglieder der ersten Kommission sich bestätigt finden.Wie man hört, hat sich die militärische Führungsspitze mit diesem Vorschlag einer Verkürzung der Wehrdienstdauer jetzt plötzlich abgefunden, obwohl sich seit dem Sommer 1968 die militärische Bedrohung durch den Warschauer Pakt sicher nicht verringert hat, noch die Situation innerhalb der NATO, noch die Personallage in der Bundeswehr sich wesentlich verändert haben. Angesichts dieses merkwürdigen spontanen Wandels fällt es mir nicht gerade leicht, auf die Unbeirrbarkeit des Denkens
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Adornound Urteilens der militärischen Führung unbedingt zu vertrauen. Diese Unbeirrbarkeit des Denkens und Urteilens der militärischen Führung wäre aber so wichtig; denn jeder Verteidigungsminister ist auf den fachmännischen, nur von der Sache her bestimmten Rat seiner militärischen Berater in hohem Maße angewiesen. Es wäre schlecht, wenn das Motto gelten und zur Richtschnur des Handelns werden sollte: Paßt euch der gegebenen Situation an!
Unverzichtbar bleibt, daß aus der Einsicht in das Notwendige auch das Notwendige gefordert wird. Dies ist, wie mir scheint, ein Gebot der Loyalität. Zur Loyalität gehört aber auch, daß kein politischer Druck auf den militärischen Sachverstand ausgeübt wird.Meine Damen und Herren! In dieser gefährdeten Welt müssen wir, wollen wir uns nicht selbst aufgeben, die Sicherheitsfragen auch künftig sehr ernst nehmen. Es ist die Pflicht der Regierung, die Notwendigkeiten der Sicherheitspolitik darzulegen. Die Öffentlichkeit muß wieder und wieder hören, daß Sicherheit auch morgen und übermorgen unverzichtbar ist.Die Auseinandersetzungen um die Macht sind so alt wie die Weltgeschichte. Das läßt mich ohne Zögern Thukydides zitieren.
Er hat gesagt: „Recht und Gerechtigkeit bestehen nur zwischen Gleichstarken. Sonst machen die ' Starken, was sie wollen, und die Schwachen erleiden, was sie müssen."
Meine Damen und Herren! Wenn wir weder unter politischen Druck noch in Abhängigkeit geraten wollen, müssen wir bereit sein, die personellen und materiellen Lasten, die unsere Sicherheit erfordert, auf uns zu nehmen. Die Verantwortung für die Zukunft können wir nur gemeinsam tragen.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Buchstaller. Für ihn hat die SPD-Fraktion 40 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der SPD und der FDP haben die Große Anfrage Drucksache VI/1779 hauptsächlich eingebracht, um der Bundesregierung, vor allem dem Bundesverteidigungsminister, Gelegenheit zu geben, zu aktuellen Fragen der Sicherheitspolitik Stellung zu nehmen. Parlament und Öffentlichkeit haben, gerade was die äußere Sicherheit anbetrifft, Anspruch auf eine umfassende Sachinformation sowohl über die Verteidigungs- und Bündnispolitik als auch im besonderen über die Lage der Bundeswehr.Bei der Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen geht es vor allen Dingen um eine Stellungnahme zuden Fragen erstens nach dem Einfluß von Umstrukturierungsmaßnahmen im Verteidigungsbereich auf die Kampfkraft der Bundeswehr; zweitens nach der Steigerung der Effektivität der Bundeswehr, insbesondere der Verbesserung ihres inneren Gefüges; dittens nach den Zielsetzungen von bereits realisierten strukturellen Veränderungen innerhalb der Bundeswehr; viertens nach der Zielverfolgung und Situationsanalsyse in der Zusammenarbeit mit anderen NATO-Staaten und dem Bündnis.Zum zweiten haben uns, sehr verehrte Damen und Herren, auch verschiedene Behauptungen und Darstellungen zu verteidigungspolitischen Problemen in der Öffentlichkeit und auch Äußerungen von Oppositionssprechern Veranlassung gegeben, dafür zu sorgen, daß diese Fragen im Parlament und vor der Öffentlichkeit ihre Beantwortung durch die Bundesregierung erfahren. Meinungs- und Beurteilungsverschiedenheiten sind selbstverständlich auch im sicherheitspolitischen Bereich eine demokratische und parlamentarische Notwendigkeit. Aber mit einem ständigen Krisengerede wird weder ein Beitrag zur Stärkung der Verteidigungskraft noch zur Bewältigung der Probleme der Bundeswehr geleistet.
Im Gegenteil führt das zur Verunsicherung der Gesellschaft, der NATO-Verbündeten und nicht zuletzt der Bundeswehr selbst. Hier sind Klarstellungen in und vor aller Öffentlichkeit notwendig. Verteidigungsminister Helmut Schmidt ist seit seiner Amtsübernahme beharrlich, ständig und erfolgreich bestrebt, aufgestaute oder vertagte Schwierigkeiten innerhalb der Bundeswehr und im Grenzbereich so optimal wie möglich zu lösen. Alle diese verwirklichten, eingeleiteten oder in Angriff genommenen Maßnahmen dienen dem Sicherheitsbedürfnis unserer Gesellschaft.Drittens. Seit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Willy Brandt am 28. Oktober 1969
haben sich neues sicherheitspolitische Perspektiven ergeben.
Sie manifestieren sich im Weißbuch 1970 und in den Kommuniqués der NATO-Ministerratstagungen von Rom und Brüssel im Jahre 1970. Das Weißbuch zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr stellt das sicherheitspolitische Programm der Bundesregierung für die nächsten Jahre dar. Diese umfassenden Reformvorhaben können selbstverständlich nur Zug um Zug realisiert werden. Ihr Ziel ist es, die Streitkräfte effektiver zu gestalten. Im Kommuniqué über die Ministertagung des Nordatlantikrates in Rom vom 27. Mai 1970 heißt es zur Lage in Mitteleuropa:Mit Unterstützung und Verständnis ihrer Verbündeten hat die Bundesrepublik Deutschland Gespräche mit der Sowjetunion, Polen und der DDR aufgenommen, um die Lage in Mitteleuropa zu verbessern. Die Bündnispartner erachten dies als ermutigend.
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BuchstallerDies alles, meine Damen und Herren, sind Faktoren, die die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik beeinflußt haben und die man nicht unberücksichtigt lassen kann und nicht unberücksichtigt lassen darf. Im Bereich des Bündnisses sind die Entscheidungen über den Verbleib ausreichender amerikanischer Streitkräfte auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland und über ein europäisches Verstärkungsprogramm zur NATO-Verteidigung von stabilisierender Bedeutung. So wird beispielsweise in der strategischen NATO-Studie „AD-70" das europäische Verstärkungsprogramm begrüßt und als zusätzliche Stabilisierung in bestimmten Fachgebieten der NATO charakterisiert.Im Rahmen der Bundeswehr sollen die 124 angekündigten und zum größten Teil schon realisierten Maßnahmen aus dem Weißbuch 70 zur inneren Konsolidierung der Streitkräfte und zu vermehrter Integration in die Gesellschaft beitragen. Angesichts der Vielzahl anstehender Aufgaben müssen diese Bemühungen als ein Prozeß aufgefaßt werden, der selbstverständlich seine Zeit braucht.Eine nüchterne Bilanzierung im Bündnis und in der Bundeswehr führt zu dem Ergebnis, daß die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der verbündeten Nachbarn verbessert worden ist. Bei allem Sinn für sachlich ausgetragene Meinungsunterschiede mit Teilen der Öffentlichkeit und der Opposition kann meines Erachtens diese in sich ausgewogene Sicherheitsbilanz nicht bestritten werden.
In sachlicher, d. h. positiver und auch kritischer, Darstellung müssen Öffentlichkeit, Soldaten und Bündnispartner wissen, wie es um die Bundeswehr, die Verteidigungsanstrengungen und die Verteidigungskonzeption der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich bestellt ist.Diesem Verlangen nach Information ist die Bundesregierung mit ihrer Antwort auf die Großen Anfragen der SPD- und der FDP-Fraktion sowie der CDU/CSU-Fraktion nachgekommen. Mit dieser Beantwortung wird u. a. für die NATO-Politik folgendes klargestellt.Erstens. Unsere nationale Sicherheitspolitik gründet sich auf die vom NATO-Bündnis entwickelten Prinzipien einer gemeinsamen Sicherheitspolitik. Dazu gehören nicht nur die Strategie der flexiblen Reaktion und das Prinzip der Vorne-Verteidigung, sondern auch die Kernfeststellung des auch von meinem Vorredner zitierten „Harmel-Berichts" vom Dezember 1967, in dem es heißt:Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar. Wir werden auch weiterhin daran festhalten, daß politische Entspannungsbemühungen nur auf der Basis eines militärischen Gleichgewichts zwischen Ost und West in dauerhafte und wirksame Regelungen münden können.Zweitens. Das Kräfteverhältnis in Europa zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt wird im wesentlichen durch die strategische Ausgewogenheit der verfügbaren Kräfte bestimmt. Dieser stabile Zustand in Mitteleuropa beruht nicht nur, Herr Adorno, auf einem Kopf-und-Kopf-Zählen oder auf dem Abzählen von Raketen oder dem Abzählen von Panzern.
Es kommt vor allem darauf an, die Situation der einzelnen Länder entsprechend einzuschätzen und ins Gewicht zu bringen.
Diese tatsächlichen und potentiellen Kräfte gilt es mit in die Beurteilung der Gesamtsituation einzubeziehen. Der Schluß, der ja auch in den Ausführungen von Herrn Adorno nicht bestritten wurde, lautet: In Mitteleuropa funktioniert das Prinzip der gegenseitigen, glaubwürdigen Abschreckung, das der Bundesrepublik und ihren Nachbarn in Ost und West bereits seit 26 Jahren zumindest den negativen Frieden, d. h. die Verhinderung eines Krieges, garantiert hat. Aber auch die ersten, wenn auch zaghaften Ansätze zu einem positiven Frieden in Europa, d. h. die Überwindung möglicher kriegerischer Aggressionen durch kooperative Maßnahmen z. B. der Krisenbeilegung deuten sich an. In diesem Zusammenhang wird das Konferenzobjekt über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa gründlich zu prüfen sein. Der NATO-Plan, der beiderseitige und ausgewogene Truppenverminderungen in Mitteleuropa vorsieht, liegt zur Prüfung auch dem Warschauer Pakt vor.Drittens. Die in die Zukunft gerichtete Studie der NATO, der sogenannte AD-70-Bericht, weist auf die Tatsache hin und das muß auch meinerseits festgestellt werden , daß die Möglichkeit einer weiteren Steigerung sowjetischen Militärpotentials gegeben ist.
Hierbei handelt es sich um sachliche Feststellungen und um eine ungeschminkte Lageschilderung. Die daraus zu ziehenden Konsequenzen der NATO halten sich im Rahmen der als ausreichend zu bezeichnenden Maßnahmen. Diese sollen weder zur Schwächung noch zur provokativen Stärkung der NATO, sondern zur Aufrechterhaltung des Gegengewichts führen, ohne das — und das unterstreiche ich, Kollege Adorno - eine wirksame Abschreckung nicht denkbar ist.Das europäische Verstärkungsprogramm zur NATO-Verteidigung, das ja letztlich durch einen starken Einfluß auch der Bundesrepublik zustande kam, setzt 3,6 Milliarden DM im Zeitraum von fünf Jahren für zusätzliche Leistungen fest. Die Bundesrepublik Deutschland trägt dabei mit 1,7 Milliarden DM den Löwenanteil. Diese Maßnahmen führen unter anderem zu einer Situation in Europa, in der der Frieden sicherer wird, ohne daß der Abbau von Konfrontationen erschwert oder verzögert wird.Viertens. Die rein defensive Aufgabenstellung der NATO, mithin auch der Bundeswehr, machen stän-
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Buchstallerdige Wachsamkeit erforderlich. Die Lage im Mittelmeerraum, auf den Nordmeeren und an der Nordflanke der NATO wird eingehend verfolgt, und es werden mögliche notwendige Konsequenzen zeit- und situationsgemäß gezogen. Die Rolle der Bundesrepublik im NATO-Bündnis wird infolgedessen auch weiterhin von den Zeitgedanken bestimmt, die der Herrn Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung entwickelte. Darin heißt es unter anderem:Wir werden . . . in und gegenüber dem Bündnis die bisherige Politik fortsetzen und erwarten dies auch von unseren Bündnispartnern und von ihren Beiträgen zur gemeinsamen Sicherheitspolitik und zu den vereinbarten gemeinsamen Sicherheitsanstrengungen.Zur Lage in der Bundeswehr stellt die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage unter anderem folgende Aspekte deutlich heraus.Erstens. Durch Umschichtungen im Einzelplan 14 des Bundeshaushalts zugunsten von Fürsorgemaßnahmen für Soldaten und durch Umdisponierungen in der Rüstungsplanung wurden neue Ausgangspositionen geschaffen, um die Kampfkraft der Bundeswehr zu erhalten und auszubauen. Grundlage dieser Aktivitäten bilden die im Weißbuch 1970 angekündigten Maßnahmen, deren Realisierung in den Streitkräften bereits Erfolge in Richtung auf eine Konsolidierung durch stetiges Abtragen von Mißständen und Einführung neuer Maßnahmen zeitigen. Wie bereits erwähnt, wird es sich hierbei um einen längeren Prozeß handeln, der zum einen Versäumtes nachzuholen hat und zum anderen ständige Anpassung an Neuerungen verlangt. Diese Doppelbelastung muß anerkannt werden, wenn Aufwand und Erfolg von Reformen innerhalb der Bundeswehr gegeneinander aufgewogen werden.Zweitens. Eine Effektivitätssteigerung der Bundeswehr hängt im wesentlichen von der inneren Verfassung der Streitkräfte ab. Diese wird hauptsächlich durch bestimmende Faktoren wie Personalwesen, Bildung und Ausbildung, optimale Gleichbehandlung aller Wehrpflichtigen und Truppenfürsorge beeinflußt. In allen genannten Bereichen zeichnen sich Besserungen ab, die auf Grund von eingeleiteten Maßnahmen der Bundesregierung oder des Verteidigungsministers auf eine Festigung des inneren Gefüges der Bundeswehr Einfluß nehmen. Eine Beschleunigung dieses Vorgangs wird dann eintreten, wenn alle Kommissionsberichte vorliegen und die sorgfältig geprüften Vorschläge innerhalb der Streitkräfte wirksam und ins Bewußtsein der Öffentlichkeit aufgenommen werden.Drittens. Durch Einführung überschaubarer und dem Stand der Technik entsprechender Führungs-, Organisations- sowie Koordinierungsmethoden wurde dem Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums mehr Transparenz verliehen und die Straffung von Verantwortlichkeiten gewährleistet. So wurde z. B. der Rüstungsbereich im vergleichbaren Stil eines Großgruppenmanagements neu geordnet, um u. a. auch die Kosten-NutzenRelation optimal im Interesse sowohl der erforderlichen Rüstungsanstrengungen als auch im Interesse der Steuerzahler gestalten zu können. Mit Hilfe derNeuordnung im Bereich der Führung konzentrieren sich im Ministerium auf Grund der vorgenommenen Arbeitsteilung die Aufgaben von Führung, Lenkung, Planung und Kontrolle. Diese im internationalen Rahmen übliche Regelung wird sich auch bald in der Bundeswehr durch rationalere Entscheidungen auswirken.So weit in groben Zügen die schriftliche Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktionen von SPD und FDP durch die Bundesregierung.In der Regierungserklärung zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik am 26. März 1971 wurde diese Antwort noch ergänzt und unterstrichen. Verteidigungsminister Helmut Schmidt hob beispielsweise hervor, daß der Bundeswehr von seiten der Gesellschaft in den letzten eineinhalb Jahren mehr Verständnis und Anteilnahme entgegengebracht worden ist, und zwar durch den verstärkten Ausbau der für eine Demokratie unerläßlichen Prinzipien der Durchsichtigkeit und Öffentlichkeit. Durch Meinungsumfragen konnte die Tatsache untermauert werden, daß die Einordnung von Bundeswehr und Soldaten in die Gesellschaft weitestgehend gelungen ist. Ferner betonte er, daß die verhärtete Personalknappheit im vergangenen Jahr entspannt werden konnte.Lassen Sie mich, gerade auch weil mein Vorredner auf die Personalsituation eingegangen ist, die Feststellungen des Ministers dazu wiederholen, weil sie deutlich zeigen, daß zumindest die Tendenz besteht, die Personalmisere allmählich überwinden zu können. Diese Feststellungen finden in folgenden Bemerkungen ihren Ausdruck.Erstens. An längerdienenden Mannschaften fehlten zu Beginn des vorigen Jahres 3 500 Soldaten. Zum Jahresende wurde die Sollzahl um 6 500 überschritten.Zweitens. Die Zahl der Zeitunteroffiziere ist im Laufe des Jahres 1970 von 81 600 auf 87 700 gestiegen. Damit wurde der Fehlbestand von rund 25 000 Unteroffizieren in einem Jahr um ein Viertel verringert.Drittens. Die Bereitschaft von Unteroffizieren, sich auf vier oder acht Jahre zu verpflichten, ist gestiegen. 1969 waren es 4600, 1970 dagegen 6700 Unteroffiziere.Viertens. Die Soll-Zahl für Berufsunteroffiziere wurde um 8200 Stellen überschritten.Fünftens. Auch bei den Berufsoffizieranwärtern hat sich die Personallage etwas gebessert. Im vergangenen Jahr konnten 260 Berufsoffizieranwärter mehr gewonnen werden als im Jahr zuvor.Außerdem — das soll nur am Rande erwähnt werden — werden durch die neuen Dienstzeitvoraussetzungen demnächst rund 700 Zeitoffiziere mit einer Verpflichtungszeit von drei bis vier Jahren zum Leutnant befördert, und es konnten Anfang dieses Jahres 1700 Soldaten, die sich zu einer zweijährigen Dienstzeit verpflichteten, Leutnant werden.Ubrigens ist interessant, daß z. B. beim Technischen Dienst in der Luftwaffe, der mit einer Aka-
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Buchstallerdemieausbildung verbunden ist, die Zahl der Offizierbewerber am höchsten liegt. Das scheint mir eine Bestätigung dafür zu sein, daß die Tendenz der Ausbildungs- und Bildungskommission richtig ist.
Das alles ändert jedoch nichts daran, daß die Personallage in der Bundeswehr angespannt bleibt. Wer allerdings in diesem Zusammenhang von einer Krise spricht, muß zur Kenntnis nehmen, daß der Tiefstand in den vergangenen Jahren lag und daß die Maßnahmen, die jetzt zur Beseitigung der Schwierigkeiten eingeleitet wurden, erst langsam zu wirken beginnen.
— Aber, Herr Kollege Rommerskirchen, ich glaube, Sie geben mir recht, daß es auch für die Truppe gut ist, einmal diese positiven Zahlen zu nennen — sie brauchen zu keinem Überschwang zu führen —,
damit sich deutlich abzeichnet, daß die Bemühungen ihren Niederschlag finden.
Ein Problem, das uns alle bedrückt, ist die ständig steigende Zahl von Wehrdienstverweigerern. Verteidigungsminister Helmut Schmidt und auch der Herr Bundeskanzler wiesen in der Debatte am 26. März 1971 mit großem Nachdruck auf dieses Problem hin. Ich teile diese Sorgen.Es wird deshalb notwendig sein, die in Angriff genommene Novellierung des § 1 des Gesetzes über den Zivilen Ersatzdienst umgehend vorzunehmen, um die Ersatzdienstpflichtigen auch über den sozialen Bereich hinaus verpflichten zu können.Um der Wehrgerechtigkeit willen, aber auch um der allgemeinen Gerechtigkeit willen ist es vonnöten, daß umgehend mit der Tatsache Schluß gemacht wird, daß drei von vier Ersatzdienstpflichtigen wegen fehlender Einsatzplätze damit rechnen können, sich jeglicher Dienstleistung für unsere Gesellschaft entziehen zu können.Meines Erachtens besteht ein enger Kontakt zwischen diesen beiden Problemen, dem Problem Bundeswehr—Wehrdienstverweigerung und dem Mangel an politischer Bildung eines Großteils der nachwachsenden Generation. Schulen, Elternhaus, Gewerkschaften und Arbeitgeber sind aufgerufen, neben der Vermittlung notwendiger Sachkenntnisse im Beruf und über politische Institutionen auch die politische Verhaltensweise der heranwachsenden Generation im Sinne des vom Grundgesetz bestimmten Menschenbildes zu beeinflussen.Der Brief des Herrn Bundeskanzlers an den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, in dem er die Bitte ausspricht, dem Thema der Landesverteidigung im Sozial- und im Gemeinschaftskundeunterricht die notwendige Beachtung zu schenken, sollte so bald wie möglich praktische Auswirkungen zeigen.
— Herr Kollege Haehser, er ist aber inzwischen gefunden worden.Auch die in diesem Zusammenhang vom Bundeskanzler geforderte Zusammenarbeit der Universitäts- und Forschungsstätten mit der Bundeswehr sollte nicht allzulange auf eine positive Reaktion warten lassen.Lassen Sie mich in Verbindung mit dem von mir zuletzt genannten Punkt der politischen Bildung einige wenige Bemerkungen zum Schlagwort von der Politisierung der Streitkräfte machen. Ohne Zweifel gibt es in unserer Gesellschaft, vor allen Dingen aber innerhalb der jungen Generation einen Trend zu größerem politischen Engagement. Gleichzeitig zeigt sich im politischen Bereich eine immer klarer, teilweise leider aber auch härter werdende Polarisierung. Das hat auch seine Auswirkungen auf die Bundeswehr. Sie dagegen abschirmen zu wollen, ist unsinnig. Aber gerade deshalb sollte die Behandlung von Fragen der Sicherheits- und Bündnispolitik und von Schwierigkeiten der Soldaten und der Bundeswehr im ganzen die Grenze sachlicher Auseinandersetzung nicht verletzen. Ich halte es für gut, daß Verteidigungsminister Helmut Schmidt in der Regierungserklärung zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung in dieser Hinsicht auf seinen Amtsvorgänger Dr. Schröder Bezug genommen und unterstrichen hat, daß Sicherheits-, Verteidigungs- und Bündnispolitik auf eine möglichst breite politische Grundlage gestellt werden sollten. Von manchen Äußerungen einiger Oppositionspolitiker auch von Ihrer Rede in der gleichen Debatte, Herr Kollege Dr. Zimmermann — kann nicht behauptet werden, daß sie von der gleichen Absicht getragen gewesen seien.Ich meine, es ist gut, daß in der schriftlichen Antwort der Regierung und in der Rede des Verteidigungsministers in der Debatte am 26. März der Versuch gemacht wurde, für die parlamentarische Auseinandersetzung um Fragen der Sicherheit, der Verteidigung und des Bündnisses einen sachlichen Rahmen zu setzen. Die gemeinsame Verantwortung des Parlaments und der ihm angehörenden Parteien für die äußere Sicherheit verträgt keine verzerrende Polemik. Die Probleme können nur bewältigt werden, wenn die Auseinandersetzungen sachlich und konstruktiv geführt werden. Dieser Vorgang verlangt keineswegs ein Verwischen des eigenen politischen Standorts. Für eine Sachdiskussion und den eventuell zu erringenden Kompromiß ist es allerdings erforderlich, daß die Meinungsunterschiede und Alternativen klar herausgestellt werden. Statt mit Polemik und Negation sollte die Opposition mit mehr Alternativen aufwarten. Das möchte ich hier deutlich an die Adresse der Opposition sagen. Hoffentlich wird dazu in der heutigen Debatte ein Ansatz gefunden.
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BuchstallerMeine Damen und Herren, lassen Sie mich die Gesichtspunkte zusammenfassen, die sich aus der Erklärung und der schriftlichen Antwort der Bundesregierung ergeben.Erstens. Die Bundesrepublik steht politisch und militärisch fest im NATO-Bündnis.Zweitens. Militärische Sicherheitspolitik und Entspannungsbemühungen sind zwei Seiten einer und derselben Medaille.Drittens. Die Bundesrepublik leistet mit dem personellen und materiellen Umfang, d. h. mit dem Ausbildungsstand und der Rüstung der Bundeswehr, einen angemessenen Beitrag zu der vom NATO-Bündnis praktizierten Strategie des abschreckenden Gegengewichts.Viertens. Die Bundeswehr hält hinsichtlich des Ausbildungsstandes, der Ausrüstung und auch der Verteidigungsbereitschaft jedem Vergleich mit jedem der europäischen Bündnispartner stand.Fünftens. Die personelle Überforderung und die damit seit Bestehen der Bundeswehr gegebenen Schwierigkeiten sind klar erkannt. Maßnahmen zur Milderung und Behebung dieser Probleme sind eingeleitet. Dazu gehören die Maßnahmen aus dem Weißbuch ebenso wie die noch ausstehenden Entscheidungen im Rahmen der Empfehlungen der Bildungskommission, der Wehrstrukturkommission und der Personalstrukturkommission.Ich glaube, meine Damen und Herren, feststellen zu dürfen, daß unter der Verantwortung dieser Bundesregierung und von Verteidigungsminister Helmut Schmidt außerordentlich Vieles und Positives im Verteidigungsbereich für unsere Sicherheit und die Soldaten geleistet wurde.
Das — und das möchte ich nicht unerwähnt lassen ist auch ein Verdienst der militärischen und zivilen Mitarbeiter des Ministeriums und eine große Leistung der militärischen Führer und Unterführer in der Truppe. Bei jeder Kritik sollte zumindest dieser großen Leistung, auch der großen Leistung Hunderttausender von Wehrpflichtigen, der gebührende Respekt nicht versagt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung. Für ihn hat seine Fraktion, die Fraktion der FDP, 30 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Anläßlich der sicherheitspolitischen Beratungen am 4. Februar dieses Jahres und anläßlich der Grundsatzerklärungen der Regierung sowie der Fraktionen dieses Hauses am 26. März dieses Jahres haben wir eine ganze Reihe von sicherheits- und verteidigungspolitischen Problemen, die in diesen beiden Großen Anfragen angesprochen sind, bereits ausführlich diskutiert. Um möglichst Wiederholungen zu vermeiden, darf ich deshalb ausdrücklich die Aussagen in diesen beiden Debatten mit einbeziehen in die heutige Debatte und sie neben der Antwort der Regierung zu diesen beiden Großen Anfragen als Grundlage der heutigen Debatte ansehen.Heute, so hoffe ich, werden wir in eine Sach- und Detaildebatte eintreten können, um daraus dann gemeinsame politische Entscheidungen vorzubereiten, die für die Sicherheitspolitik in den nächsten beiden Jahrzehnten von entscheidender Bedeutung sein werden. Material, so meine ich, haben wir genügend im Weißbuch, in den Berichten der verschiedenen Kommissionen, im Wehrbeauftragtenbericht. in der NATO-Studie AD 70 und in vielen anderen uns vorliegenden Stellungnahmen der Regierung wie auch der Fraktionen.Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, zunächst auf die außen- und bündnispolitische Seite unserer Sicherheitspolitik eingehen. Ich habe bereits in den beiden vorerwähnten Debatten ausführlich zu dem Ost-West-Käfteverhältnis Stellung genommen und die Meinung meiner Fraktion dazu vorgetragen. Herr Kollege Adorno, Sie haben dazu auch gesprochen, nur meine ich, daß die Darstellung, die Sie gegeben haben, natürlich durch ständige Wiederholung nicht besser wird, denn das haben wir ja nun schon verschiedentlich gehört und auch in Ihren Informationen zur Verteidigungspolitik nachgelesen. Ich meine, daß Sie als ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär, wenn Sie z. B. sagen, daß im Osten doppelt so viele Divisionen stehen wie im Westen, doch wissen müßten, daß Division nicht gleich Division ist. Ich glaube, daß ist hier schon wiederholt gesagt worden. Man kann natürlich daraus die Frage herleiten, welche Division effektiver ist, und hier meine ich, daß Sie sich in Ihrer Fraktion wohl auch schon Gedanken darüber gemacht haben, wenn ich die Presseverlautbarungen über das laute Denken von Herrn Klepsch richtig beurteile. Und wenn Sie hier sagen, daß die Konferenz über europäische Sicherheit oder die SALT-Gespräche ja von den Sowjets eigentlich nur als Zeitgewinn angesehen würden, um ihre eigene Position zu stärken, dann meine ich, Herr Kollege Adorno, so viel Mißtrauen sollte man nicht von vornherein in Verhandlungen einführen; denn sonst wird man natürlich nie zu einem guten Ergebnis kommen.
- Ich meine auch, Herr Kollege Marx, wir solltenda etwas mehr Vertrauen in unsere Bündnispartner, nämlich die Vereinigten Staaten, haben, die sicher in diesen Verhandlungen und Gesprächen nicht mutwillig irgendwelche Positionen aufs Spiel setzen werden.Ich möchte für meine Fraktion noch einmal bekräftigen, daß wir voll mit der Situationsanalyse des NATO-Bündnisses übereinstimmen, wie sie durch die Bundesregierung in dieser Antwort zu den beiden Großen Anfragen der Fraktionen gegeben wird. Hier ist festzustellen, daß als ein wesentlicher Punkt die Einbettung der Bundesrepublik Deutschland in die NATO und damit die Aufrechterhaltung dieses Bündnisses für die Glaubwürdigkeit der Abschreckung und damit auch zur Verhütung des Krieges unerläßlich ist. Die Bundesregie-
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Jungrung hat dies durch den Kanzler, durch den Außenminister und durch den Verteidigungsminister wiederholt und unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.Schon deshalb, meine Damen und Herren, ist die Verdächtigung des Fraktionsvorsitzenden der CDU/ CSU, des Herrn Barzel, absurd und diffamierend, der in den „Informationen zur Verteidigungspolitik" schreibt: „Die diese Regierung tragenden Parteien müßten sich endlich auch in ihrer Gesamtheit zur Bundeswehr bekennen."
Dies, meine Damen und Herren, ist bezeichnend für den politischen Stil der Opposition. Wenn schon der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Opposition nur noch zu völlig substanzlosen Aussagen in der Sache fähig ist, wie dieser Artikel beweist, und diese Substanzlosigkeit durch allzu billige Polemik glaubt überspielen zu können, rdann sollten ihm seine sachverständigeren Freunde klarmachen, daß man mit solchen verteidigungspolitischen Äußerungen sicher nicht der Sache der Sicherheitspolitik und der Bundeswehr dient, sondern sich bestenfalls der Lächerlichkeit preisgibt.
Für die Freien Demokraten weise ich deshalb diese Verdächtigung mit Entschiedenheit zurück. Denn wir haben uns schon immer zu dieser Bundeswehr als einem integralen Bestandteil unserer Demokratie bekannt, und meines Wissens gab es auch in der Vergangenheit bei uns keine Äußerungen in dem Sinne, daß man etwa stolz gewesen sei, nie Soldat gewesen zu sein, oder ähnliche Äußerungen, die eine solche Verdächtigung auch nur in etwa rechtfertigen würden.
— Die Ansichten der Jungdemokraten kenne ich ebenso wie die Ansichten der Jugendorganisationen anderer Parteien. Im übrigen kann man das nicht pauschalieren, Herr Kollege Rommerskirchen.Mit Recht weist die Antwort auf den engen Zusammenhang zwischen Ost- und Sicherheitspolitik hin. In der Debatte am 4. Februar meines Wissens — habe ich dazu sehr ausführlich Stellung genommen, wobei es ja auch zu einem sehr regen Frage-und-Antwort-Spiel kam.Daß diese Entspannungspolitik — im Gegensatz zu den Unkenrufen der Opposition — von den Bündnispartnern voll gebilligt wird, darf ich nur mit zwei kurzen Zitaten belegen. Ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten aus dem Schlußkommuniqué der NATO-Ministertagung vom 3. und 4. Dezember 1970, wo es heißt:Sie— also die Minister —begrüßten diese Ostverträge als Beiträge zur Minderung der Spannungen in Europa und als wichtige Elemente des Modus vivendi, den die Bundesrepublik Deutschland mit ihren östlichen Nachbarn herstellen will.Und in den Empfehlungen der Nordatlantischen Versammlung wurde bekräftigt:Die Versammlung bekräftigt ihr Einverständnis mit der Erklärung, durch die der Nordatlantikrat auf seiner Tagung in Rom im Mai 1970 die Bemühungen Bundeskanzler Brandts und seiner Regierung, bessere Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten herzustellen, unterstützte, und bringt ihre Überzeugung zum Ausdruck, daß diese Bemühungen auf die politische und militärische Solidarität der Staaten des atlantischen Bündnisses gegründet sein müssen.Dies sollte die Opposition nun endlich zur Kenntnis nehmen und akzeptieren,Wenn Sie, Herr Kollege Marx, vermutlich anschließend mit dem „aber die Prawda, aber die Isvestija sagt so und so . . ." kommen,
dann, meine Damen und Herren, müßte es, so meine ich, um so mehr unsere gemeinsame Aufgabe sein, deutlich zu machen, daß diese Bundeswehr vor allem eine Friedensfunktion hat, daß sie Voraussetzung und Garant für eine Entspannung ist.
Gewiß — und hier komme ich auf den Zwischenruf von Herrn Kollegen Rommerskirchen noch einmal zurück — gibt es draußen in allen Gruppierungen und Parteiungen auch Tagträumer, die umgekehrt mit der utopischen Vorstellung argumentieren, durch eine einseitige Abschaffung des Militärs könnte der ewige Friede ausbrechen. Aber denen, meine Damen und Herren von der Opposition, müssen wir halt auch gemeinsam klarmachen, daß z. B. mit dem Abschaffen der Feuerwehr noch lange nicht sichergestellt ist, daß kein Feuer mehr ausbricht.
Wir, die Freien Demokraten, haben unsere Forderungen in einem langfristig angelegten liberalen Wehrkonzept niedergelegt — ich darf hier noch einmal auf die ausführliche Begründung in der Debatte am 26. März dieses Jahres verweisen —, in dem diese Friedensfunktion der Bundeswehr als Garant für die Entspannung realisiert wird.In diesem Zusammenhang möchte ich auch sagen, daß die Überlegungen, die innerhalb der NATO zur NATO-Reform angestellt werden, doch mehr als nur rein militärische Aufgaben sind. Die FDP begrüßt insbesondere die Konsequenz, die in der Antwort der Bundesregierung aus dem strategischen NATO-Konzept der Flexible Response und der VorneVerteidigung in Verbindung mit den erhöhten so-
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Jungwjetischen Verteidigungsanstrengungen deutlich wird, nämlich die stärkere Betonung der konventionellen Komponente der Verteidigung für den europäischen Bereich. Dies entspricht unseren Vorstellungen, die in der NATO ein integriertes Bündnis mit Arbeitsteilung sehen, das auf vollem gegenseitigem Vertrauen basiert. Die Freien Demokraten haben dies immer wieder zum Ausdruck gebracht. Die FDP hat deshalb auch am 26. März dieses abgerundete, in sich geschlossene Konzept vorgelegt, um die Effektivität der Bundeswehr und damit die Effektivität des Bündnisses auf der notwendigen Stufe zu halten und zu verbessern.Ich brauche darauf nicht mehr im einzelnen einzugehen, denn inzwischen hat dieses konkrete Konzept dazu geführt, daß von verschiedenen Seiten -ich verweise auf Äußerungen sowohl des Kollegen Wienand als auch des Kollegen Dr. Klepsch -Überlegungen angestellt wurden, wie man die Effektivität erhalten und eventuell verbessern und wie man personelle Schwierigkeiten der Bundeswehr möglicherweise beheben kann. Vielleicht ist es das Verdienst von Herrn Klepsch — er wird sicher nachher noch dazu Stellung nehmen —, daß die Tabus der Opposition durch den Vorschlag abgebaut werden, eine von jeweils drei Brigaden zum Skelett abmagern zu lassen. Wenn sich die Bundesregierung, so hoffe ich, zukünftig Überlegungen zuwenden sollte, die den Abbau des personellen Präsenzfetischismus zum Gegenstand haben, wird es wohl seitens der Opposition nur noch Kooperation geben.Das Nachdenken zur Erhöhung der Effektivität der NATO gibt es also nicht nur bei der FDP, aber auch nicht nur bei uns in der Bundesrepublik. Auch in den anderen Staaten des Bündnisses, bei unseren Partnern, auch in den Vereinigten Staaten werden Überlegungen angestellt, die zu einer Änderung der Wehrkonzeption führen. Wir werden nicht um diese Diskussionen, die in den Vereinigten Staaten heute schon laufen, über Abschaffung der Wehrpflicht und die künftige Einführung einer Freiwilligenarmee herumkommen. Wir werden auch bei uns in der Bundesrepublik diese Diskussion führen müssen. Herr Minister Schmidt hat in verschiedenen Verlautbarungen auch schon dazu Stellung genommen.Die Ergebnisse dieser Diskussion werden u. a. an dem Grad der Wehrgerechtigkeit gemessen werden, die damit zu verwirklichen ist. Die FDP hat, wie ich schon sagte, in einer langfristigen Konzeption eigene Vorstellungen und Vorschläge unterbreitet. Da diese natürlich nicht von heute auf morgen zu verwirklichen sind, begrüßen wir alle Schritte, die dahin führen — z. B. die Vorschläge der Mommer-Kommission —, als wertvolle Grundlage unserer anstehenden Entscheidungen. Hier, Herr Kollege Adorno, darf ich natürlich den Bericht der sogenannten Adorno-Kommission mit einbeziehen, der uns ebenfalls eine wertvolle Grundlage für die künftigen Überlegungen zur Herbeiführung der Wehrgerechtigkeit ist.Aber eines möchte ich hier doch richtigstellen. Sie haben nach der damaligen Enttäuschung mit Recht gesagt, daß Sie und Ihre Kollegen in diesem kleinen Ausschuß sich nachträglich bestätigt fühlen. Nurmöchte ich die konkrete Frage an Sie richten, wenn Sie dies nun schon hier beklagen: Wer hat denn diese Ihre Vorschläge vereitelt? Ich darf feststellen, daß sie in der Zeit der Großen Koalition von Ihrer Fraktion und wohl der Koalitionsfraktion beiseite gelegt wurden. Denn wir, die Freien Demokraten, haben damals erklärt, daß wir dieses Paket mit einer kleinen Änderung annehmen und voll unterstützen. Das haben wir öffentlich erklärt. Wir haben damit ein Beispiel gegeben, wie man konstruktive Opposition betreibt, neben vielen anderen Beispielen, indem wir Gesetzentwürfe usw. vorgelegt haben, was wir derzeit bei Ihnen vermissen. Wir haben seinerzeit auch zur Wehrersatzabgabe — —
— Vielen Dank, Herr Kollege Adorno.
— Aha; das ist auch eine gute Ausrede, Herr Stahlberg.
Bei einer so übergroßen Koalition hätte ich allerdings erwartet, daß man Vorschläge innerhalb eines Jahres durchsetzen kann, wenn sie von beiden gemeinsam getragen werden.
Wir stellen hier ausdrücklich noch einmal fest— Herr Kollege Adorno, Sie haben das schon bestätigt daß wir diesen Vorschlägen zugestimmthaben, mit einer kleinen Änderung, weil nämlich Ihre Berechnungen bei der Wehrersatzabgabe ergeben haben, daß ein so hoher Überschuß entstehen würde, daß wir sagen konnten, der damalige Prozentsatz sollte eventuell halbiert werden. Wir sind auch bereit, Herr Kollege Adorno, diese Frage im Zusammenhang mit der Herbeiführung der Wehrgerechtigkeit weiterhin zu diskutieren. Wir sind dazu bereit, und das wissen Sie: Wir werden unseren Teil dazu beitragen, diese Wehrgerechtigkeit herbeizuführen, und das möglichst rasch.Eine maximale Wehrgerechtigkeit ist auch Voraussetzung der von uns immer wieder geforderten noch stärkeren Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft. Ich verwende diesen Begriff bewußt, weil er draußen immer wieder verwendet wird, obgleich ich der Meinung bin, daß er insoweit falsch ist, als die Bundeswehr, geschaffen von dieser parlamentarischen, freiheitlichen Demokratie, nicht erst in diese Gesellschaft integriert werden muß, sondern daß sie von vornherein ein integraler Bestandteil dieser Gesellschaft ist.
Aber der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht diese Forderung auch wieder erhoben, und zur Verdeutlichung muß man ihn wohl so zitieren. Die Integration kann eben nicht nur seitens der Bundeswehr— z. B. durch die Aufstellung eines Ausbildungs- und Bildungskonzeptes, das Parallelen zwischen dem
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Jungzivilen und dem militärischen Bereich aufzeichnet — betrieben werden, sondern auch die Gesellschaft muß sich der Bundeswehr öffnen. Hierzu gehört der Abbau von Vorurteilen durch Information und Aufklärung auch im pädagogischen Bereich. Dies sage ich insbesondere an die Adresse der Kultusminister der Länder. Wir haben hier wiederholt gefordert, daß Sorge dafür getragen wird, daß dem jungen Staatsbürger bewußt wird, daß man in einer freiheitlichen Demokratie nicht nur Rechte über Rechte für sich in Anspruch nehmen kann, sondern daß man auch Pflichten gegenüber einer solchen Demokratie hat.Hier, so meine ich, würde natürlich eine höhere Konzentration der Zuständigkeiten im Bildungsbereich bei der Bundesregierung dazu beitragen, daß von da aus eine bessere Information und Aufklärung betrieben werden kann. Der Wehrbeauftragte hat mit vollem Recht in seinem Bericht auf diese Probleme hingewiesen.Diese Information muß aber gleichzeitig eine kritische Diskussion ermöglichen; denn nur dadurch wird eine Versachlichung der Atmosphäre möglich, und der Abbau von Aggressionen und Aversionen wird erst dadurch erfolgen können.Die sachliche Diskussion ist ferner eine unerläßliche Voraussetzung, um den Wehrwillen zu steigern. Hier darf ich unter dem Stichwort „soziale Verteidigung" Bundeskanzler Brandt zitieren, der sagte:Wir müssen mit Sorge die innere Abwendung eines Teiles der heranwachsenden Generation von den Pflichten sehen, die ihnen von Staat und Gesellschaft abverlangt werden.Dem ist voll zuzustimmen. In diesem Zusammenhang ist die vom Verteidigungsminister an den Tag gelegte Diskussionsfreudigkeit, wie sie bei der Bestandsaufnahme, bei der Hauptmannstagung usw. zum Ausdruck kam, ausdrücklich zu begrüßen.Auf andere Bereiche, die in diesem Zusammenhang stehen und im Bericht des Wehrbeauftragten erwähnt werden, wie Bildung, Innere Führung oder die personelle Situation der Bundeswehr, werden meine Kollegen Krall und Ollesch noch näher eingehen.Ich möchte, um meine Zeit einzuhalten, nur noch einige Worte zur Opposition sagen, zu dem Dilemma der CDU/CSU, das durch Widersprüchlichkeit und damit, meine Damen und Herren, leider auch Konzeptionslosigkeit bis in die Führung der Fraktion gekennzeichnet ist. Stellen Sie bitte die Aussagen von Herrn Barzel und Herrn Wörner einander gegenüber, um den Beweis für diese Behauptung vor sich zu haben.Ferner fehlen — das ist immer wieder gesagt worden — Alternativen. Das wird auch in der parteiinternen Diskussion zugegeben. Die Aussagen von Herrn Ernesti und die kritische Stellungnahme dazu werde ich im Anschluß, wenn der Herr Präsident es genehmigt, zitieren.
Für die Verschleierung dieses Dilemmas durch falsche und verzerrende Information der Öffentlichkeit und der Bundeswehr gibt es genügend Beispiele aus der „Information zur Verteidigungspolitik". So nennt sich dieses Informationsheft, das Sie in die Bundeswehr schicken und aus dem man eine ganze Reihe von Aussagen durchaus in diesem Hause kritisch bewerten und behandeln könnte.Ich meine auch, hier wird deutlich, daß die CDU/ CDU-Fraktion wie gestern auch in der Wirtschafts- und Währungsdebatte von einzelnen Sprechern der Regierungsfraktion zum Ausdruck gebracht wurde, des kurzfristigen Erfolges wegen oftmals die Bedeutung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik für uns alle, die in diesem Hause gemeinsam versammelt sind, vergißt. Um das nochmals zu unterstreichen, darf ich mit Genehmigung des Präsidenten zitieren:Nach dem zweistündigen Vortrag von Herrn Ernesti über die innere Situation der Bundeswehr fand ein junger Hauptmann die Ausführungen des Parteifreundes nicht befriedigend. Er fragte den Abgeordneten, der ausgiebig Kritik an der oberen militärischen und politischen Führung der Bundeswehr geübt hatte, nach seinen Alternativen und hörte von Herrn Ernesti, daß die Opposition solche fertigen Alternativen nicht haben kann, weil sie nicht den Apparat und die Unterlagen hat wie die Regierung.Nun, Herr Kollege Ernesti, ich muß allen Ernstes fragen: Was haben Sie denn in den 20 Jahren mit dem Apparat gemacht, in dem Sie selbst tätig waren? Ist das nicht eine allzu billige Ausrede, wenn man keine Alternativen und Vorschläge hat?
Meine Damen und Herren, ich will das nicht auf die Spitze treiben, ich will das nicht sehr verschärfen, sondern ich will Sie damit nur auffordern, daß Sie in der heutigen Debatte zu den konkreten Vorschlägen, die gemacht sind, auch einmal sagen: Dies nicht, dies so und dies anders. Herr Kollege Junghans hat während der Währungsdebatte gestern gesagt: „Wir erwarten von Ihnen Antworten, damit diese Diskussion endlich so geführt werden kann, wie dies dem Ernst der Lage entspricht." Meine Damen und Herren, dies gilt auch für die heutige Verteidigungsdebatte; ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Marx . Für ihn hat die Fraktion der CDU/CSU 40 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
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7058 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. Marx
Beide vorliegenden Großen Anfragen und die Antwort der Bundesregierung beschäftigen sich mit dein gesamten Bereich der Verteidigungspolitik. Der erste Teil unserer Anfrage konzentriert sich auf die außen- und verteidigungspolitischen Grundlagen und Einschätzungen.Wenn wir den Vertretern der Bundesregierung bei den Begründungen ihrer Sicherheitspolitik in der gegebenen Antwort und anderswo zuhören, so stoßen wir immer wieder auf die Behauptung, daß seit dem Bericht des belgischen Außenministers Harmel vom Dezember 1967 durch eine erstmalige enge Verbindung der Komponenten Sicherheit und Entspannung eine neue Phase der Politik begonnen hat. Die Bundesregierung spricht sich selbst das Verdienst zu, die bei Harmel erarbeitete These, nämlich daß Sicherheit und Entspannung die beiden Säulen der NATO-Politik seien, in ihrer Politik konsequent zu verwirklichen, und der Herr Verteidigungsminister sagt an vielen Stellen, jetzt erst würde der Handlungsspielraum der Bundesregierung voll ausgenutzt. Nun, wir werden sehen, wer hier was ausnutzt und wer Ihier wen dabei benutzt.
Ich will mich zunächst mit den genannten Behauptungen, mit ihrem Inhalt, mit den Hintergründen und mit den Widersprüchen beschäftigen. Ich frage, ob es tatsächlich eine neue Erkenntnis ist, daß man vom gesicherten Bündnis aus Verständigung und Entspannung suchen solle. Lassen Sie mich hierbei, meine Damen und Herren, an eine Rede erinnern, die Paul Henry Spaak bei der NATO-Ministerkonferenz am 16. Dezember 1957 gehalten hat. Er erklärte dort — ich zitiere —:daß wir dieses Bündnis gewollt haben, weil die Ereignisse dies geboten. Und wenn ich sage, die Ereignisse, wäre es genauer, wenn ich sagte, die unheilvolle Politik eines großen Landes.
Und Paul Henry Spaak fährt fort:
Nach Beendigung des zweiten Weltkrieges haben wir an die Abrüstung geglaubt. Die stärksten unter uns haben ihre Truppen unter das erlaubte Maß an Sicherheit demobilisiert. Wir haben an die Vereinten Nationen geglaubt, und allein die systematische Sabotage der Bemühungen des Sicherheitsrats durch die UdSSR hat unsere Hoffnungen untergraben. Wir haben nicht allein. an die friedliche Koexistenz, sondern auch an eine mögliche Freundschaft mit der kommunistischen Welt geglaubt, und es bedurfte einer systematisch feindseligen und herausfordernd aggressiven Politik dieser Welt, um uns unserer Leichtgläubigkeit und auch der uns drohenden Gefahr bewußt zu werden.Und er fährt fort:Wir haben uns verbündet, um einer sowjetischen Politik entgegenzutreten, in der sich der Umsturz im Innern und der Druck nach außen vereinigt, einer Politik, die es den Kommunisten ermöglichte, in Europa die Herrschaft anzutreten, gegen den sehr deutlichen Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung.
Wenn ich das, meine Damen und Herren, heute zitiere, so wird, wie ich denke, in diesem Saal niemand sagen können, diese Darstellung sei unrichtig, und keiner wird behaupten, es handle sich um einen Text, der damals gültig war, heute aber, in jener Ara, in der angeblich „der Trend in der ganzen Welt auf Entspannung" ausgerichtet ist, nicht mehr stimme. Leider, meine Damen und Herren, hat sich die sowjetische Politik eben nicht fundamental geändert. Sie hat sich ausgeweitet zur globalen Strategie. Jeden Tag kann jeder, der seine Augen und Ohren benutzen will, es lesen und hören. Herr Kollege Jung ich weiß nicht, wo er ist; es ist offenbar üblich, zu reden und dann wegzugehen.
— Ich möchte gern Herrn Kollegen Jung, weil er mich vorhin ansprach und sagte, man müsse befürchten, daß man da wieder die Prawda zitiert habe, sagen: Es wäre gut, wenn mancher Kenntnis nähme
von dem, was dort wirklich geschrieben wird. Ich sage: Jeder, der seine Augen und Ohren benutzen will, er kann es lesen und er kann es hören, was die sowjetischen Führer, was die Partei, was die Gruppe der Marschälle und Generäle, der Ideologen und der Planer von sich und ihrem Staate verstehen.
— In Ihren Augen, Herr Schmidt , in deren Augen und nach deren Willen ist die Sowjetunion keine „Status-quo-Macht", wie es das Weißbuch 1970 verharmlosend sagt. Sie ist nicht nur auf, wie es dort heißt, „Bewahrung und Konsolidierung" aus, sie treibt nicht nur, wie es auch dort heißt, „konservative Machtpolitik", sondern sie handelt nach den Gesetzen einer selbstbewußten Weltmacht und auch gegründet auf eine Heilslehre, der die Sowjetarmee dynamisch, auf den Klassenkampf im Weltmaßstab zugeordnete Dimensionen verleiht.
Ich will, meine Damen und Herren, auch aus einer Rede Konrad Adenauers, und zwar aus dem gleichen Jahr und bei der gleichen Konferenz im Jahre 1957, eine Anmerkung in Ihrer aller Gedächtnis zurückrufen. Er sagte dort:Diese Allianz ist nicht nur ein militärisches Verteidigungsbündnis. Sie ist eine Gemeinschaft, deren Hauptaufgabe darin besteht, konstruktive Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der Völker zu schaffen und alle Möglichkeiten auszuschließen, die zu militärischen Konflikten führen könnten.— Und Adenauer fährt fort, und ich muß das in Ihre Erinnerung zurückrufen —
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Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7059
Dr. Marx
In diesem Sinne wird sie in ihren Bestrebungen nicht nachlassen, das Verhältnis zum Ostblock zu entspannen,
um auf diesem Wege die Spaltung der Welt zu überwinden.
Dies ist eine Willenserklärung des damaligen Bundeskanzlers Adenauer, eine von vielen,
in der die Entspannung als ein Ziel seiner Politik, unserer Politik und der Politik der Allianz, bezeichnet wurde. Also Wachsamkeit, Sicherheit und Entspannung schon lange vor dem Harmel-Bericht.
Herr Haase , ich könnte billigerweise jetzt die Gegenfrage stellen: Was sind eigentlich die bisher vorliegenden Ergebnisse dieser Politik? Ich komme nachher darauf zurück. Lassen Sie uns dann miteinander wetteifern.Ich möchte auch noch einmal in die Debatte einführen, daß in dem Kommuniqué der NATO-Tagung im Jahre 1965 einige Sätze stehen, die unser Land betreffen und die alle immer noch wahr und immer noch richtig und ich sage: leider durch nichtsüberholt sind. Es heißt dort — ich zitiere -.widersetzt sich die Sowjetunion nach wie vor jeder Lösung der zwischen Ost und West stehenden fundamentalen Streitfragen. Eine derartige Lösung, die die legitimen Interessen aller Beteiligten wahren muß, ist und bleibt eines der wesentlichen Ziele des Bündnisses.Es wird dann hinzugefügt:Der Rat stellt mit Bedauern fest, daß bei der Überwindung der Teilung Deutschlands keine Fortschritte erzielt worden sind.Dann heißt es:Der Rat bekräftigt erneut, daß eine gerechte und friedliche Lösung der Deutschlandfrage nur auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes erreicht werden kann. Der Rat bestätigt darüber hinaus, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die einzige frei und rechtmäßig gebildete deutsche Regierung ist und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle, wo dies noch einmal zitiert ist, festhalten, daß damals unsere Alliierten der damaligen Bundesregierung im Zusammenhang auch mit Art. 7 des Deutschlandvertrages noch ausdrücklich bestätigten, daß sie für das ganze Volk spreche. Die gegenwärtige Regierung hat unserer Einschätzung nach ohne Not und ausdrücklich in diplomatischenNoten an ihre eigenen Verbündeten mitgeteilt, daß sie dies nicht mehr tut. Aber niemand wird begreifen, daß man dies als einen Akt der Entspannung bezeichnen könnte. Im übrigen, wenn Sie das Reden und Treiben der DDR in der Dritten Welt im Augenblick beobachten, werden Sie sich eher vom Gegenteil überzeugen.Herr Minister Schmidt, Sie und manche Ihrer Freunde gebrauchen gern das Bild von den beiden Säulen. Sie sagen: Sicherheit und Entspannung sind zwei gleichwertige Säulen.
— Ich werde mich gleich dazu eingehend äußern.
— Ich nehme an, daß wir gelernt haben, ein bißchen höflicher miteinander umzugehen.
- Danke schön, Herr Kollege.Ich fahre fort, und zwar sozusagen als unmittelbare Antwort auf die Frage, ob ich dies bestreite: ja, ich bestreite ausdrücklich, daß diese beiden Säulen gleichwertig seien. Um im Bild zu bleiben, möchte ich gerne darauf hinweisen, daß die tragende Säule, die fundamentale Säule, die Sicherheitspolitik sein soll, auf die dann aufgesetzt werden kann— nur dann wird es funktionieren, nur dann wird es das ganze Gebäude tragen —, diejenige Säule, die man Entspannungspolitik nennt.
— Das Bild habe ich aufgenommen, Herr Haase, weil es andere so gesagt haben. — Herr Mattick!
Herr Dr. Marx, wollen Sie mit dieser Feststellung behaupten, daß diese Bundesregierung darauf aus ist, die Verteidigungskraft der Partner und der Bundesrepublik zugunsten der Ostpolitik abzubauen? Diese Behauptung wäre doch völlig falsch. Sie müssen sich doch in dieser Frage bestimmt korrigieren. Die Bundesregierung baut ihre Politik darauf auf — ich frage Sie, ob Sie daran zweifeln , daß 'das Verteidigungsbündnis die Voraussetzung dafür ist, eine gelungene Ostpolitik zu betreiben.
Herr Mattick, wir sollten, wenn es geht, miteinander reden und nicht den Versuch machen, absichtsvoll aneinander vorbeizureden. Ich habe gesagt: die Behauptung, daß beide Säulen gleichwertig sind, wird von mir bestritten, weil nach meiner Ansicht die entscheidende Säule, auf der nur eine sinnvolle Entspannung aufgebaut werden kann, diejenige der Sicherheitspolitik ist.
Zweitens. Meine Damen und Herren, es ist sicherunstreitig, daß die Bewahrung der Freiheit und die
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7060 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. Marx
Verhinderung des Krieges immer schon das Konzept der NATO bestimmten und daher auch von allen bisherigen Verteidigungsministern der Bundesregierung so verstanden wurden.Die Berufung auf den Harmel-Bericht können wir in der CDU nur so verstehen, daß Sicherheit Freiheit und Entspannung Frieden meint. Denn Sicherheit — Kollege Wienand hat in einer Rede darauf hingewiesen —, soweit es sie überhaupt geben kann, bewahrt die Freiheit, und Entspannung soll der Festigung des Friedens dienen. Insoweit ist das eine klare Linie. Ich sehe keinen Bruch und nicht neue Fundamente der NATO-Politik. Aber wir denken nicht daran, uns mit dem bloßen Postulat dessen, was im Dezember 1967 gesagt worden ist, zufriedenzugeben, auch nicht mit den bloßen Postulaten, die wir in der „AD-70" finden. Denn unserer Überzeugung nach genügen Diagnosen nicht; man muß auch an der Therapie arbeiten.Wir fragen daher nach den Möglichkeiten der Verwirklichung der Gedanken, die da niedergelegt sind, und wir fragen auch nach dem konkreten Inhalt der verwendeten Begriffe. Dazu zwei Punkte. Erstens. In dem Harmel-Bericht steht wörtlich:Der Weg zu Frieden und Stabilität beruht vor allem auf dem konstruktiven Einsatz der Allianz im Interesse der Entspannung.Wir müssen darüber sprechen und möchten gerne wissen, was dies nun eigentlich im klaren Text heißt. Fehlt da nicht der elementare Hinweis, daß alle Bemühungen um Entspannung so lange unfruchtbar bleiben müssen, als die andere Seite nicht ihrerseits auch bereit ist, alles zu tun, damit die Ursachen der Spannung beseitigt werden und jene tatsächliche Entspannung, die diesen Namen verdient, erreicht wird? Und ich meine: muß nicht auch deutlicher gemacht werden, daß der hier genannte Einsatz der Allianz für die Entspannung nur dann wahrhaft „konstruktiv" sein kann, wenn der Warschauer Pakt sich ähnlich oder, sagen wir, vergleichbar verhält, was die Qualität seiner wirklichen und dann auch meßbaren und nachprüfbaren und kontrollierbaren Entspannungsbemühungen anlangt?Zweitens. Der Harmel-Bericht geht von einer historischen Stunde aus — ich glaube, man muß dies ins Gedächtnis zurückrufen —, nämlich von den Jahren 1966/1967. also einer Stunde, die mehr durch die Hoffnungen des Westens auf Entspannung als durch die vom Osten geschaffenen Tatsachen beschrieben wurde. Es kann doch niemand, der sich einen Sinn für historische Realitäten und den historischen Zusammenhang bewahrt hat, an den damaligen Befürchtungen vorbeisehen, die NATO werde bald zerfallen. Im Zusammenhang mit dem Austritt Frankreichs aus der Integration der NATO einerseits und einer immer mehr um sich greifenden Verharmlosung der sowjetischen Absichten andererseits war die NATO damals vor die Frage ihrer eigenen weiteren Existenz gestellt. Die amerikanische Aufmerksamkeit hatte sich ganz entschieden Südostasien zugewandt, und man muß hinzufügen: in Europa blühten manche Illusionen.Als dann im Sommer 1968 die Außenminister, und zwar die Außenminister damals ohne die Verteidigungsminister, in der isländischen Hauptstadt zusammenkamen, wurde das sogenannte „Signal von Reykjavik" formuliert. Das geschah zu einer Zeit, da kein aufmerksamer Zeitgenosse über die sich häufenden Meldungen von aufeinanderfolgenden Warschauer-Pakt-Manövern, von erheblichen Truppenbewegungen im Südteil der DDR, in Südpolen und in den westlichen Teilen der Sowjetunion mehr hinwegsehen konnte. Man schlage nur einmal noch die Zeitungsseiten vom frühen und hohen Sommer 1968 auf, um nachzulesen, daß damals die östliche Bedrohung nur noch in den Hirnen kalter Krieger existierte, daß sie eigentlich geschwunden war, daß das heranwachsende Heer der Technokraten, wie man sagte, ja ganz allgemein das angestiegene Bildungsniveau in der Sowjetunion militärische Einsätze ganz und gar unwahrscheinlich machten. Schwinde aber die Bedrohung, so hieß es, so könne auch das gegen sie aufgebaute Verteidigungsinstrument reduziert werden.Wir erleben doch jetzt gerade, auch in den letzten Landtagswahlen, das Wiederaufkommen dieser Diskussion. Während die Regierung auf der einen Seite sagt, ihre Ostpolitik beruhe auf der Bündnispolitik, behauptet sie auf der anderen Seite, daß durch das, was oft fälschlicherweise Gewaltverzichtsvertrag genannt wird, der Friede sicherer gemacht wird. Aber alle wissen doch selbst, daß junge Menschen vor allem, die die erste Formel für Propaganda halten und der zweiten vertrauen, offen fragen, wieso man eigentlich dann, wenn man den Gewaltverzicht festgelegt habe und sich damit fundamental entschlossen habe, keine Bedrohung mehr in Europa von beiden Seiten schaffen zu lassen, wenn also der Friede gesichert sei, noch eine Armee brauche. Viele haben in den Diskussionen es waren auch Soldaten dabei — gefragt: Warum denn eigentlich jetzt noch Verteidigung? Sie haben gesagt: Uns bedroht doch niemand, das ist doch schriftlich niedergelegt; gebt daher für eure Bundeswehr nicht so viel Geld aus, reduziert das alles kräftig und verteilt das Geld für nützlichere Dinge.Meine Damen und Herren und Herr Kollege Wienand, ich erinnere mich noch sehr lebhaft an eine Reihe früherer Unterhaltungen und Diskussionen, auch daran, daß Sie selbst die, wie ich sage, ominöse und sehr bezeichnende Formel vom „Einfrieren" der NATO, vom „Einfrieren" der Bundeswehr gebraucht haben, eine Formel, die aus der damaligen Zeit stammt. Ich füge hinzu: Als jene Debatte im schönsten Gange war, brachen plötzlich — jedenfalls für viele plötzlich und unerwartet — und gar nicht in das eifrig gepflegte Bild passend, die von den Sowjets befohlenen Armeen der Warschauer Paktstaaten in die brüderliche tschechoslowakische sozialistische Republik ein.Die Vorwände für diesen Angriff, die man konstruierte, waren nichts weiter als peinliche Lügen.Der Vorgang selbst war ein Verbrechen.Er war der Bruch vieler Abkommen. Es war eine zynische Interpretation der sowjetischen Versiche-
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rung, sich an Art. 2 der UN-Charta zu halten, jenen Artikel, den beide UN-Mitglieder, Sowjetunion und CSSR, feierlich beschworen hatten, jenen Artikel, der aber für die unglücklichen Tschechen und Slowaken kein Schutz vor Okkupation war
und heute noch immer kein Schutz vor permanenter Unterwerfung unter den sowjetischen Willen ist.
Ich füge sozusagen nur in Klammern hinzu, meine Damen und Herren, daß unsere Bundesregierung im Zusammenhang mit ihren zahllosen Erklärungen über Sinn und Inhalt des deutsch-sowjetischen Vertrags gerade von diesem Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen behauptet, er begründe im Verhältnis der Sowjetunion zu uns ein neues, ein verläßliches, ein dauerhaftes, ein friedliches, ein gewaltfreies Verhältnis und er überdecke auch die Interventionsklauseln 53 und 107.
Herr Minister Schmidt, Sie haben in Ihrer Bad Pyrmonter Rede vom 3. Mai dieses Jahres gesagt —das verdient seiner Dürftigkeit wegen festgehalten zu werden —, Sicherheit und Entspannung seien seit dem Harmel-Bericht — ich zitiere „die gemeinsame Strategie des Bündnisses", und Sie haben hinzugefügt — ich zitiere wieder —: „Sie hat ein gutes Jahr" — nämlich diese Strategie —, „nachdem sie formuliert wurde, einen erheblichen Rückschlag erlitten durch den Einmarsch der Sowjetunion und anderer Staaten des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei." Unmittelbar danach fahren Sie fort: „Sie hat sich aber nachher wieder durchgesetzt."
So einfach, meine Damen und Herren, ist das. Ich muß dazu fragen: Ignoriert man in dieser Weise furchtbare Erfahrungen?
Werden so die handgreiflichsten Lehren der allerjüngsten Geschichte in den lauen Wind der Entspannung geschlagen?
Herr Minister Schmidt, ich möchte gerne wissen: Was bedeutet im Kontext dieser Erfahrungen nun der Begriff „Entspannung" ? Das sollte deutlich gemacht werden, weil hier offenbar eine der wirklichen kontroversen Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und uns besteht. Der Überfall, meine Damen und Herren, auf die CSSR, war für unsere Begriffe ein bösartiger Beitrag zur Spannung. Und die ihm folgende und den Angriff rechtfertigende BreschnewDoktrin - verzeihen Sie das Bild — ist sozusagen der ideologische Deckel auf jenen „Ostblocktopf", in dessen Innern, wie jedermann weiß, viele Kräfte gären und sich regen.
Damals, meine Damen und Herren — das ist noch gar nicht so lange her , hat man gesagt, daß jederVersuch — daran haben wir doch alle mitgewirkt, weil wir alle wollten, daß die Möglichkeiten einer Entspannung in Europa weitergebracht, weitergetrieben werden und positive Antworten erhalten — eines „Brückenschlags" nichts anderes sei als eine „perfide imperialistische Unterwanderung". Man hat die Formel erfunden, in der Bundesrepublik Deutschland pflegten die politischen Kräfte, und zwar alle, wir alle waren gemeint, eine „friedliche Aggression"— man höre die Worte: eine „friedliche Aggression" —, der man den entschlossenen Willen des Warschauer Pakts entgegenstellen müsse. Das war— niemand soll sich täuschen, niemand kann das wegdiskutieren — die Antwort auf unsere ehrlichen Versuche, Beiträge zu einer dauerhaften Entspannung zu leisten.Leider muß man aus diesem Ereignis lernen, daß die Sowjetunion offenbar das, was wir in der Sprache des Westens als Ausgleich verstehen — wir, die wir in der liberalen Luft des Westens herangewachsen sind —, gar nicht will. Ja, ich muß vermuten, daß sie es wahrscheinlich nicht einmal durchhalten könnte. Sie gibt zwar vor, den Ausgleich zu wollen, wie sie auch behauptet, die Abrüstung zu fördern; aber die ideologische Grundlage des proletarischen Internationalismus — das sagt er jeden Tag — ist nicht Ausgleich, sondern Revolution. Ausgleich gibt es nur dort, wo Toleranz, wo Kompromiß, wo die Bereitschaft zum Ausbalancieren verschiedener Interessen und Kräfte gesucht und angewandt werden. Aber alle diese Begriffe — Toleranz und Kompromisse — kommen in der Sprache des Leninismus gar nicht vor. Was seit dem Sommer 1968 in jenem Bereich geschehen ist, der ostwärts von uns liegt, ist die Wiedergewinnung der Blockdisziplin, die Bewahrung und der Ausbau der hierarchischen Bündnisstrukturen, die konsequente Stärkung des Warschauer Paktes und das gründliche Abschirmen oder, wie man jetzt sagt, das „Abgrenzen" gegenüber dein freien Europa.
Wer dies alles nicht glaubt, Herr Jung,
dem würde ich empfehlen, noch einmal jenen Warschauer Brief der Fünf nachzulesen, der damals an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der CSSR unter Führung von Dubcek und Smrkovsky geschickt wurde. Das würde manchem das Gedächtnis klären und den Verstand schärfen.Wer selbst an dieses Dokument der Drohung nicht glaubt oder es nicht begreift, der möge sich dann den militärischen Realitäten zuwenden. Herr Adorno hat worhin darauf hingewiesen, daß fünf bis sechs sowjetische Kampfdivisionen, Teile anderer Einheiten, Stäbe, Luftwaffeneinheiten, tiefgestaffelte Verbindungslinien bis weit in den ukrainischen Raum hinein heute zusätzlich an unserer Grenze stehen.
In der AD 70 wird — Herr Buchstaller, auch das ist ein bißchen anders — nicht von der „Möglichkeit" gesprochen, daß der Warschauer Pakt stärker werden könnte, sondern es wird ganz eindeutig
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Dr. Marx
darauf hingewiesen, daß er permanent seine Kräfte verstärkt. Der Warschauer Pakt ist überall stärker geworden und sagt selbst, daß seine Positionen auf den Höhen der Sudeten und im Moldau-Becken ihm eine günstigere Ausgangsstellung verschafft und zusätzlich neue Vorteile vermittelt haben. Herr Kollege Adorno hat schon darauf hingewiesen, daß die Sowjetunion im Zusammenhang mit ihren dort gemachten Erfahrungen offenbar ihr ganzes logistisches System und ihre Infrastruktur ausgebaut und verbessert hat.Herr Kollege Wienand, Sie haben in Ihrer Rede vom 28. Januar hier in diesem Hause den Versuch gemacht — jedenfalls haben wir das so verstanden —, eine neue Verteidigungskonzeption zu entwerfen. Ich habe Ihnen damals kurz geantwortet und bezweifelt, ob Ihr Gedankengebäude diesen Namen verdient. Heute, da ich mich mit einigen Ihrer Darlegungen auseinandersetzen will, muß ich für die CDU/CSU sagen, daß dieses von Ihnen vorgetragene Konzept von uns nicht geteilt wird, sondern als unhaltbar zurückgewiesen werden muß.
Aber noch einige andere Überlegungen, bevor ich mich mit Ihren Thesen und mit Ihrer eigenwilligen Interpretation des Harmel-Berichts auseinandersetze: Die CDU/CSU, die lange Jahre hindurch viele Kräfte auf den Aufbau des Bündnisses, auf seine politischen, psychologischen und militärischen Aspekte konzentriert hat, will die Freiheit und die demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland durch unser gemeinsames Mitwirken in einem funktionierenden, den militärischen Notwendigkeiten genügenden Bündnis gesichert wissen. Sie anerkennt die Notwendigkeit, den Beitrag der europäischen Mitglieder zur Modernisierung der Allianz und verschiedener ihrer Verteidigungsinstrumente zu steigern und dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.Die CDU/CSU versteht das Wirken des Bündnisses in der gegenwärtigen Phase in der Organisation der Verteidigungsfähigkeit, der Aufrechterhaltung des Abschreckungsinstruments und damit in der Verhinderung kriegerischer Verwicklungen. Um es noch einmal deutlich zu machen, wiederhole ich, was wir alle wissen: Dieses Bündnis hat für uns ausschließlich defensiven Charakter. Seine Existenz und Fähigkeit unterstützen die Bemühungen der verbündeten Regierungen, durch realistische Politik gegenüber der Sowjetunion und den anderen im Warschauer Pakt zusammengeschlossenen Staaten tragfähige Vereinbarungen zustande zu bringen, um auf diese Weise den Frieden zu stabilisieren.Nun zu Ihren Thesen, Herr Wienand. Diese Thesen klingen in weiten Bereichen doch anders als das, was Verteidigungsminister Schmidt sagt.
Ihre Behauptung, Herr Wienand, die Bundesregierung habe ein in sich geschlossenes Konzept, das sich am konkretesten in den 20 Kasseler Punkten niedergeschlagen hätte, erscheint heute — angesichts der Tatsachen --- doch als eine ironische Floskel. Im übrigen kenne ich keinen Alliierten, der jemals die von ihnen oft behauptete Zustimmung zu diesen 20 Punkten gegeben hätte. Ich glaube vielmehr, daß diese 20 Punkte die Fundamente der bisherigen Politik und — das füge ich hinzu — auch Sinn und Inhalt des Deutschlandvertrages aushöhlen, ohne auch nur einen wirklich meßbaren Hauch der Annäherung, des Verständnisses und der Erleichterung für die Menschen erreicht zu haben.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wienand hat auf die Entwicklungen in der Waffentechnik und auf die dadurch erzwungenen tiefgreifenden Änderungen sowohl im theoretischen als auch im praktischen Gehalt der Sicherheitspolitik hingewiesen. Ich glaube, darüber brauchen wir nicht lange miteinander zu streiten. Der Kürze der Zeit wegen sage ich nur folgendes.Erstens. Schon in den Jahren 1956 und 1957 und in den nachfolgenden Jahren immer wieder, haben z. B. die Kollegen Blank und Strauß, die man hier so gerne und oft mißverstanden hat, auf die umwälzenden Wirkungen der waffentechnischen Entwicklung und auf die Bedeutung, die sie für die politischen Überlegungen von uns allen hat, hingewiesen. Das, was Sie sagten, Herr Wienand, war also nicht neu.Zweitens. Herr Wienand, wenn Sie nachher sprechen, können Sie vielleicht helfen, uns den folgenden Satz von Ihnen zu verdeutlichen.
— Herr Horn, es wäre wunderbar, wenn gerade ein Mann wie Sie und viele Ihrer Gesinnungsgenossen das, was ich jetzt gesagt habe, übernehmen könnten. Das wäre ein großartiger Fortschritt.
Herr Wienand, ich bitte um Aufklärung, wie der folgende Satz von Ihnen zu verstehen ist — ich zittiere —:„Solange die beiderseitige Vergeltungsfähigkeit unverwundbar bleibt und sämtliche Schutzvorkehrungen des Gegners durchdringt, liegt die eigene Sicherheit mit in der Hand des potentiellen Gegners."Daß die eigene Sicherheit auch und gerade von dem Willen und von den Handlungen des Gegners abhängt, ist jedem evident, der sich mit geschichtlichen Erfahrungen oder der sich heute langsam zum Modethema herausbildenden Konfliktforschung beschäftigt.Auch Ihre dritte These, Herr Wienand, entbehrt meiner Überzeugung nach der Originalität, auch wenn sie im Zusammenhang mit einer sozialdemokratischen Verteidigungsphilosophie vorgetragen wird. Natürlich ist Sicherheit nicht nur durch Streitkräfte aufrechtzuerhalten. Wer von uns hätte dies auch jemals behauptet? Wer nämlich die eminentDeutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7063Dr. Marx
wichtigen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, aber auch psychologischen Faktoren nicht sehen, einschätzen und einsetzen wollte, wer sich eben nur auf militärische Kräfte verließe, hätte mit solcherart Politik bald Bankrott gemacht. Ich hoffe — vorhin fiel die Bemerkung, man solle nicht, nur die einzelnen Gefechtsköpfe zählen , daß wir darin alle übereinstimmen. Man sollte aber auch die Köpfe zählen. Man soll das eine tun und das andere nicht lassen.Herr Kollege Wienand, was nun aber zu einem entschiedenen Widerspruch herausfordert, ist die in Ihrer Rede immer wieder durchscheinende Gleichsetzung von Bündnis hier und Bündnis dort. Empfinden Sie eigentlich nicht selbst, daß diese simple Darlegung unzutreffend ist? Wollen Sie denn nicht den in der Tiefe der Geschichte, in den moralischen und politischen Komponenten begründeten Unterschied zwischen NATO und Warschauer Pakt sehen? Was heißt denn die wertfreie Formel, daß es eine Wandlung gebe „von der Strategie gegen das andere Bündnis zu einer Strategie gegen den Krieg"? Was heißt das nun für unser Verständnis vom Verteidigungsauftrag der NATO? Um es deutlich zu machen: für die CDU/CSU und alle früheren Bundesregierungen war und ist die NATO ein qualitativ vom Warschauer Pakt tief unterschiedenes Verteidigungsinstrument.
Meine Damen und Herren, „Strategie gegen den Krieg" war in diesem Verständnis auch immer Strategie gegen alle Versuche der Aggression und gegen das, was sich im Warschauer Pakt niederschlägt. Der Warschauer Pakt war für uns nie etwas anderes als der auf eine Reihe anderer territorialer Bereiche ausgedehnte verlängerte Arm des sowjetischen Generalstabs. Nur von dorther konnte und kann Drohung mit Gewalt und Gewaltanwendung, cl. h. also Krieg, erwartet werden.„Kriegsverhinderungsstrategie" ist daher keine neue, etwa erst seit 1967 oder erst seit der Stunde Null unserer Geschichte, nämlich seit es diese Bundesregierung gibt, beschlossene Sache, sondern zumindest seit 1955 die Grundlage unserer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Irrtümer darüber hat es früher — wenn ich das recht sehe — nicht gegeben, und ich wünsche sehr, daß sie jetzt nicht geschaffen werden durch ungerechte Vermengung und Gleichsetzung.Herr Kollege Wienand, Sie haben unter Bemühung des Weißbuchs 1970 die Formel geprägt, es sei Ziel der Bundesregierung ich zitiere wieder , „zusätzliche Sicherheit durch Spannungsabbau" zu erreichen. Wenn wir offen sprechen und wenn wir hier offen diskutieren wollen, so wäre ich dankbar, wenn Sie auf folgende Fragen, die ich sicher nicht überraschend stelle, die sich aus der Natur der Sache ergeben, antworten würden.Erste Frage: Wer eigentlich hat Spannung in Europa geschaffen, etwa wir, etwa die Bundeswehr, etwa die NATO? Zweite Frage: Liegen die oftmals genannten und jetzt durch die sowjetische Propaganda verdeckten Spannungsursachen nicht vielmehr in der sowjetischen Teilungs- und rigorosen Machtpolitik mitten in Europa, mitten in Deutschland und in Berlin? So jedenfalls haben das früher alle NATO-Kommuniqués gesagt, und ich erinnere an die letzten von Rom und an das vom Dezember letzten Jahres.
Und die dritte Frage: Wo, Herr Kollege Wienand,ist denn nun eigentlich Spannung wirklich meßbarund für uns alle wäre das sehr wichtig zu hören — abgebaut worden?
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns eine Antwort geben würden, und zwar reklamiere ich das deshalb so nachdrücklich, weil die Bundesregierung in der vor uns liegenden Antwort auf unsere Große Anfrage mit keinem Wort auf dieses Problem eingegangen ist, das wir in der Frage 6 angesprochen hatten. Ich wiederhole unsere Frage 6. Sie lautet:Hat die Bundesregierung Erkenntnisse und Anhaltspunkte darüber gewonnen, daß die Sowjetunion konkrete, dauerhafte und den Frieden sichernde Entspannung vor allem in Europa will? Wenn ja, welche? Hat die Sowjetunion die Angebote der NATO, in Gespräche über ausgewogene Truppenreduzierung in Europa einzutreten, bisher ermutigend beantwortet?Zum ersten Teil der Frage möchte ich meinen, daß die Bundesregierung offenbar keinen Anhaltspunkt für Entspannungstaten — der Ton liegt auf Taten der Sowjetunion gewonnen hat, sonst hätte sie uns dies sicher wortreich vorgeführt.Was die auf beiden Seiten hier im Abschnitt Europa Mitte ausgewogene Truppenverminderung anbelangt, meine Damen und Herren, so hat die Bundesregierung zugegeben, daß der Warschauer Pakt bisher lediglich -- ich zitiere „die Möglichkeit einer Diskussion" der Verminderung ausländischer Streitkräfte auf dem Gebiet europäischer Staaten erwähnt habe. So also ist das mit dem Spannungsabbau. Man muß da schon genau zuhören, um zu begreifen, daß es den Sowjets offenbar vor allem darum geht, im Zusammenhang mit dem, was wir ihre Westpolitik nennen, die Amerikaner hinausdrängen und den Verteidigungswillen, die Verteidigungsfähigkeit der westlichen Europäer zu senken und zu mindern.Meine Damen und Herren, auch das von der Sowjetunion seit vielen Jahren propagierte Ziel einer Europäischen Sicherheitskonferenz oder, wie andere sagen, einer Konferenz über europäische Sicherheit wird in diesem Hause bisher keine einheitliche Meinung finden. Ich weiß, daß man sich auch in der Regierung nicht ganz einig ist, und ich glaube, daß die verehrten Herren Kollegen Wehner und Schmidt durch eine Reihe von Äußerungen zu diesem Problem deutlich gemacht haben, wie weit die Spanne der Beurteilung dieses sowjetischen Vorschlages auch auf der linken Seite dieses Hauses ist.
Jedermann aber, der sich zu diesem Projekt wirklich äußert, — und ich denke dabei etwa an denPunkt 10 des Bahr-Papiers — sollte zu begreifen
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7064 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. Marx
versuchen, was dieser oft und oft vorgetragene Vorschlag im sowjetischen Kalkül und im Rahmen der dortigen Desintegrationspolitik dem Westen gegenüber bedeutet.In den Dokumenten der Regierung und bei Redetexten von Politikern der sie tragenden Parteien finden wir oft und meist ohne jede Reflexion die Behauptung, daß unsere Sicherheitspolitik u. a. auf dem Gleichgewicht zwischen Ost und West beruhe. Sie, Herr Minister Schmidt, sind dabei eigentlich eine Ausnahme; denn Ihre differenzierenden und abwägenden Anmerkungen zum Problem Gleichgewicht, u. a. in einer Bundestagsrede vom 28. Januar dieses Jahres, finden unsere Zustimmung. Aber wir müssen auch registrieren, daß Sie mit Ihren Überlegungen oft verhüllten Widerspruch von Ihrer eigenen Fraktion und von vielen Ihrer Parteifreunde draußen im Lande finden.Ich muß an dieser Stelle, meine Damen und Herren, die ernste Sorge der CDU/CSU ausdrücken über die rasch voranschreitende Verschiebung der militärischen Gewichte zugunsten der Sowjetunion und des von ihr straff geführten Lagers. Sowohl konventionell als auch im nuklearen Bereich steht uns in Europa eine enorm überlegene östliche Streitmacht gegenüber. Dieses Mißverhältnis, das seit vielen Jahren, man kann sagen: durch die ganze NATO-Zeit hindurch, besteht, konnte durch die Überlegenheit der USA bisher ausgeglichen werden. Nun aber schlagen — Herr Adorno hat es vorhin zitiert sogar der amerikanische Verteidigungsminister, Herr Laird, und der Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte, Goodpaster, Alarm, weil die Rüstung der Sowjets in beschleunigtem Tempo weitergeht und weil aus dem Gleichgewicht, das der amerikanischen Überlegenheit folgte, eine Unterlegenheit werden kann. Die Schale der Waage neigt sich zugunsten der sowjetischen Seite. Ich sage das vorsichtig, obwohl nun eigentlich alle erkennen müßten, daß die Sowjets die Produktion etwa ihrer SS 9, ihrer orbitalen Raketensysteme, ihrer U-Boot-Raketen und mancher anderer Arten mittelweit und sehr weit tragender Waffen ständig vorangetrieben haben. Laird hat bereits im Frühjahr 1970 gemahnt, daß die USA alsbald in eine zweitrangige strategische Position zurückfallen könnten. Heute muß er mitteilen, daß die sowjetische Raketenrüstung, offenbar mit dem Ziel, die amerikanische second strike capability zu vernichten und damit das Gleichgewicht endgültig zu sowjetischen Gunsten zu verändern, bereits mehr als 400 Exemplare der Interkontinentalwaffen über die Kapazität der USA hinaus installiert hat.Herr Kollege Adorno hat auf die Flotte hingewiesen, auf jene starke Flotte, die jetzt die Kraft Nr. 2 auf den Weltmeeren ist. Ich erinnere daran, daß die Befehle, diese Flotte zu konstruieren und zu bauen, genau zu der Zeit gegeben worden sind, da Chruschtschow den „Geist von Camp David" kreierte und bei Abrüstungsreden laut ausrief: „Schickt alle Soldaten nach Hause, werft alle Waffen ins Meer!"Und, Herr Kollege Wienand, lassen Sie mich noch hinzufügen: Ich finde es grotesk, wenn Sie wörtlich sagen, NATO und Warschauer Pakt hätten seit ihrem Bestehen durch Kriegsverhinderung ein Optimum an Sicherheit für Deutschland geliefert. Wir haben es bei dem, was Sie sagen, mit einer politischen Aussage zu tun, die man ernst nehmen muß, auch deshalb, weil ihr eine völlige Verkennung der Realitäten, eine völlige Verkennung von Ursache und Wirkung und von der Priorität der Werte innewohnt. Äußerungen dieser Art machen die Auseinandersetzung schwer, sie machen sie fast unmöglich, weil es da offenbar keine gemeinsame Sprache mehr gibt. Im übrigen, wie kann man die törichte, ich sage: die schädliche, die verkehrte, ja die empörende These aufstellen, daß die Furcht vor dem „Bonner Revisionismus" ein Grund für das sei, was man, wörtlich zitiert, die „Abkapselung der Osteuropäer" nennt. Wenn man das hört, dann ahnt man plötzlich die ins Irrationale und ins Gespenstische abgleitenden Hintergründe, die offenbar dieser Art von Ostpolitik als Nährboden dienen.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Herr Kollege Wienand hat davon gesprochen, daß die deutsche Gefahr in den Augen der anderen ein ständiger Vorwand für die Steigerung der osteuropäischen Verteidigungsetats gewesen sei, und daß die NATO-Staaten im Gegenzug dann selbst zu Steigerungen veranlaßt worden seien.
Welch krause Logik!
Aber, meine Damen und Herren, was soll man sagen, wenn man dann quasi als ein sozialdemokratisches Heilmittel hört, die Bundesrepublik Deutschland müsse sich jetzt als ein „territorial saturierter Staat" verstehen? Da ist von Deutschland, von der Teilung, von unserem fortdauernden Willen, wieder ein Land zu werden, keine Rede mehr. Man sagt, diese Frage müsse „entschärft" werden, denn man könne unseren Verbündeten nicht zumuten, mit einer territorial unbefriedigten Bundesrepublik Deutschland zusammenzuarbeiten. Hier ist die Logik wirklich zum Wechselbalg des Skurrilen gemacht worden.
Was soll das heißen, daß sich die Bundesrepublik jetzt als „territorial saturiert" verstehen müsse? Sollte dies nachträglich eine Begründung für jene liefern, die immerfort, wohl wissend, was sie damit tun, uns vorgeworfen haben, wir seien auf territoriale Eroberungen hinaus?
Wenn hier, Herr Kollege Buchstaller, davon gesprochen wird, daß es notwendig sei ich stimme dem zu —, in den Grundfragen und Grundüberlegungen eine gemeinsame Meinung zu bilden, dann sage ich Ihnen ganz offen: auf der Grundlage einer solchen Philosophie wird das von seiten der CDU/ CSU ganz unmöglich sein.
Zum Schluß, meine Damen und Herren. Wenn wir die weltpolitische Szenerie betrachten und vor allem nach der Entwicklung in Europa fragen und wenn wir dabei auch die Nord- und Südflanke dieses
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Dr. Marx
Kontinents nicht vergessen, gibt es unserer Einschätzung nach leider, sage ich, nur wenige Anzeichen für das, was man Entspannung nennt. Im Gegenteil, vielen freundlichen Worten, Versicherungen, Hoffnungen steht eine Wirklichkeit gegenüber, die uns veranlassen muß, das Maß unserer Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit nicht zu mindern und das Bündnis, von dem unsere äußere Freiheit abhängt, zu stärken und zu festigen.Die CDU/CSU will, ich wiederhole, wirkliche Entspannung, nicht deren Scheinbild. Die CDU/CSU will wirkliche Sicherheit, nicht deren Scheinbild.Unser Wunsch ist es, daß sich die Bundesregierung von ihren Fehleinschätzungen befreit, daß sich bei ihr Wirklichkeitssinn, Augenmaß und auch eine gehörige Dosis Skepsis gegenüber manchem, was es als Euphorie und Illussionen gibt, durchsetzen:Unser Wunsch ist es, daß Ihnen, Herr Kollege Schmidt, der Sie in mancher Rede hier in diesem Saal nicht nur Zeugnis Ihres demagogischen und dialektischen Talents,
sondern oft auch Ihrer realistischen Einschätzung der außen- und verteidigungspolitischen Situation abgelegt haben, gelingen möge, jene Fesseln, die sie sowohl in der Regierung als auch in Ihrer eigenen Partei und Fraktion an den notwendigen Schlußfolgerungen hindern, abstreifen; denn ein Verteidigungsminister trägt ein hohes Maß an Verantwortung, wir alle tragen unseren Teil an Verantwortung. Die Geschichte, mit dem Blick auf das so oft besprochene und magische Jahr 2000, wird uns daran messen, ob es uns gelingt, dieses neue Jahrhundert in Frieden und Sicherheit zu erreichen.
Das Wort hat der Abgeordnete Wienand.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man einmal rein hypothetisch und um der Diskussion willen alles das unterstellte und akzeptierte, was der Kollege Dr. Marx gesagt hat, und sich dann die Frage stellt, welche Antwort er auf diese Analyse, die er hier vorgetragen hat, und auf diese Lagebeurteilung zu geben hat, dann muß man sagen: Fehlanzeige, es sei denn, es gäbe nur drei Worte: Rüsten, aufrüsten und noch einmal rüsten.
Das mag das Konzept der vergangenen 20 Jahre gewesen sein — mit dem bekannten Ergebnis —,
das dann zu dieser Lagebeurteilung und Analyse des Kollegen Marx geführt hat.
Ich möchte als zweites feststellen, daß es weder ein Mitglied dieser Regierung noch ein Mitglied der Koalitionsparteien gibt, das einseitig einer militärischen Schwächung des Bündnisses oder der Bundeswehr im Rahmen des Bündnisses das Wort geredet hat, im Gegenteil; jeder hat, ohne daß hier etwas hineininterpretiert werden kann, abgestimmt und in Übereinstimmung, ständig und sich wiederholend ausgeführt, daß die Bündnispolitik eine Voraussetzung für jede andere Politik darstellt und daß das in einem Kontext gesehen werden muß.
Wenn man nun immer wieder bei dem anfängt, was von Spaak ohne Frage richtig gesagt worden ist, und wenn man dann nicht berücksichtigt, daß von 1957 bis 1971 oder, konkreter, von 1957 bis 1968/69, bis die NATO in der Kontinuität dieser Entwicklung, die wir mit vollzogen haben, andere Beschlüsse faßte, dies auch auf Grund einer technologischen Entwicklung gerade auf dem Gebiet der Waffentechnik zu sehen ist, die Mitte und Anfang der fünfziger Jahre nicht zu sehen war und die demnach auch von Spaak nicht berücksichtigt werden konnte, dann wird nicht aus der Darstellung des Herrn Kollegen Dr. Marx Logik, sondern aus dem, was heute der Verteidigungsminister und die Bundesregierung mit den Koalitionsfraktionen im Einvernehmen mit dem Bündnis, also mit der NATO, vertreten.
Das, meine Damen und Herren, ist doch die Ausgangsposition. Wenn man diese Ausgangsposition so sieht und wenn man dann das Bemühen anderer berückstichtigt, von dieser realen Situation auszugehen, und einmal versucht, diesen Denkvorgang mit zu vollziehen, ohne in dem Denken der psychologischen Kriegsführung der fünfziger Jahre stehenzubleiben, dann, glaube ich, kann man nicht zu solchen Fehlurteilen und Mißdeutungen kommen, wie sie hier von meinem Herrn Vorredner vorgetragen worden sind.
Hier ist gesagt worden — das möchte ich als ein typisches Beispiel dieser Art der Behandlung anführen , ich hätte in einer Rede am 28. Januar — oder jedenfalls habe man das so verstanden — eine neue Verteidigungskonzeption vorgetragen. Ich möchte demgegenüber darauf hinweisen, daß ich nie für die Sozialdemokraten, nie für mich, nie für diese Regierung in Anspruch genommen habe, daß wir eine neue Verteidigungskonzeption entwickelt und vorzutragen hätten, sondern daß wir .mit ein treibendes Element innerhalb der NATO zu diesen neuen Aussagen gewesen sind.
Das sollte zur Kenntnis genommen werden und nicht in einer einseitigen Interpretation hier verlagert werden.
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7066 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
WienandUnd noch etwas in diesem Zusammenhang. Wenn ich mich recht erinnere, diskutierten wir am 28. Januar über den Bericht zur Lage der Nation. Ich habe damals etwas aufgegriffen, was kurz zuvor in einer zugegebenermaßen polemischen Art der ehemalige Bundeskanzler Herr Dr. Kiesinger im süddeutschen Raum zu den Fragen der Ostpolitik gesagt hatte. Weil er dort ausgeführt hatte, wir hätten keine Konzeption, das sei alles konzeptionslos und das sei deshalb so gefährlich und so verhängnisvoll, weil wir da den Russen das Handwerk noch zusätzlich betrieben und erleichterten, habe ich von der Konzeption der Bundesregierung, ausgehend von dem, was in der NATO konzipiert worden ist, als Ostpolitik dieser Regierung gesprochen und habe in diesem Kontext die 20 Punkte von Kassel genannt und nicht in dem, in den sie der Kollege Dr. Marx heute gestellt hat. Man muß auch dies berücksichtigen, wenn man hier fair und ehrlich miteinander diskutieren und umgehen will.Herr Kollege Dr. Marx hat eine Reihe von Fragen an mich gerichtet, auf die ich nachher in meinen Ausführungen im einzelnen eingehen werde. Ich möchte vorab sagen, daß mein Kollege und Freund Hermann Schmidt auf die Kräfteverhältnisse hier und drüben im einzelnen eingehen wird. Lassen Sie mich auch für die Behandlung hier wie sie heute anscheinend Mode zu werden beginnt - nur eines sagen: Wenn man Zahlen dieses Jahres herausgreift, dann sollte man, wenn man die Öffentlichkeit einwandfrei und objektiv informieren will, auch sagen, was vorhergehende Verteidigungsminister und Finanzminister — der einmal Verteidigungsminister war — im Rahmen der Debatte über die mittelfristige Finanzpolitik zu den Endzahlen der Entwicklung des Verteidigungshaushaltes gesagt haben. Freunde von mir werden im einzelnen darauf eingehen. Dann sollte man nicht nur sagen, welche Reduzierungen im Rahmen der NATO und welche Steigerungen im Rahmen des Warschauer Paktes in diesem Jahr vorgenommen werden, sondern die absoluten Zahlen nennen.
Dann bekommt man etwa ein Bild von der Gewichtung, und dann trägt man nicht zur Verunsicherung, sondern zu einer Lagebeurteilung draußen bei, die den Leuten auf Grund klarer Informationen die Möglichkeit gibt, sich objektiv mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Nur so trägt man nicht zur Verunsicherung, sondern zu einer richtigen Lagebeurteilung bei.
Nun, meine Damen und Herren, die Antwort der Bundesregierung auf die Großen Anfragen zur Sicherheitspolitik schließt mit der Feststellung, die Wirksamkeit der Bundeswehr im Rahmen des Bündnisses ermögliche den Versuch einer Normalisierung und Versöhnung mit dem Osten. Herr Kollege Dr. Marx, ich wiederhole: den Versuch einer Normalisierung und Versöhnung mit dem Osten. Diese richtige Feststellung könnte weiter — oder wird gar von bestimmter Seite zur sicherheitspolitischen Verunsicherung benutzt werden, sofern wir sie hier nicht sachkundig und freimütig erörtern.Um sachkundig zu diskutieren, sollten wir von der gemeinsamen Erklärung der NATO-Verteidigungsminister ausgehen. Sie haben sich auf der Brüsseler Nordatlantikratstagung im Dezember 1970 darauf geeinigt, daß sich — ich zitiere Ziffer 3 ihrer Erklärung wörtlich —die NATO zur Gewährleistung der Sicherheit in den 70er Jahren auch weiterhin auf Verteidigung und Entspannung stützenwird.Verteidigungsprobleme so heißt es weiter —dürfen nicht isoliert gesehen, sondern müssen im umfassenden Zusammenhang der grundlegenden Zielsetzung der Allianz, der Gewährleistung der Sicherheit ihrer Mitglieder, betrachtet werden. Zwischen der Aufrechterhaltung einer ausreichenden Defensivkraft und der Aushandlung von Regelungen, die die Sicherheit der Mitgliedstaaten berühren, besteht ein enger Zusammenhang.Allein mit dieser Ziffer 3, die ich wörtlich zitiert habe, habe ich schon die meisten Ihrer rethorisch an mich gestellten Fragen auf Grund der etwas schief akzentuierten — von Ihnen schief akzentuierten - Rede vom 28. 1. dieses Jahres durch die Stellungnahme des Ministerrats der NATO beantwortet. Die Politik einer Normalisierung — so möchte ich jetzt sagen — und Versöhnung mit kommunistisch regierten Staaten wird erneut die Fragen aufwerfen, die hier gestellt werden und die ich jetzt auch rethorisch für die weitere Diskussion stellen möchte: Ist denn die Bundesrepublik vom expansiven Bolschewismus nicht mehr bedroht? Ist folglich ihre weitere Mitgliedschaft in der NATO überflüssig, und hat denn die Bundeswehr keine Feinde mehr und mithin keine weitere Daseinsberechtigung? Daß dies leider keine hypothetischen oder theoretischen Fragen sind, weiß jeder — ich unterstreiche das —, der die Lage richtig sieht und beurteilt, und das weiß auch jeder, der im Dialog mit Bundeswehrsoldaten steht. Die Studie von Hauptleuten einer Heeresdivision und ihre Interviews sind ein Ausdruck dafür. Ich möchte das jetzt nicht qualifizieren, sondern in diesen Zusammenhang gestellt wissen.Den Politikern wird trotz unmißverständlicher NATO-Beschlüsse vorgeworfen — ich zitiere —, „durch unklare Aussagen dem Bundeswehrauftrag seine Glaubhaftigkeit zu entziehen". Politiker hätten schuld — ich zitiere wieder — an der Unsicherheit auf allen Führungsebenen bis zum Gruppenführer, und deshalb seien schließlich Politiker selbst die Verursacher des Mißtrauens in Teilen der Offizierskorps.Diese massiven Vorwürfe gegen Politiker werden von der CDU/CSU auf Sozialdemokraten gelenkt und beschränkt, Herr Kollege Dr. Heck. Die Bundesgeschäftsstelle der CDU unterstützt diese Kopflosigkeit, um nicht zu sagen, Hirnlosigkeit nach Kräften, damit aus der vorgeblichen und beschränk-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7067
Wienandten Verunsicherung eine tasächliche und allgemeineUnsicherheit werden möge, und das ist bedauerlich.
Die CDU mag es für richtig halten, Flugblätter ihrer Bundesgeschäftsstelle gezielt an Soldaten zu verteilen, in denen mitgeteilt wird: „Die CDU steht heute erst recht. zur Bundeswehr und deren ursprünglichen Aufgaben." Als ob sich dieser Auftrag geändert hätte, nämlich durch Bereitstellung eines kampftüchtigen Abschreckungspotentials zur Friedenssicherung im Bündnisrahmen beizutragen. Ich habe das vorher in der Kontinuität dargestellt gesehen von dem Kollegen Dr. Marx und heute morgen von Herrn Adorno.Dies bleibt -- und das weiß die Opposition ebensogut wie wir -- der Zweck der Bundeswehr, auch wenn die Mittel zu diesem Zweck seit 1967 vielfältiger sind, als dies in den fünfziger Jahren der Fall war. Was der Opposition im Grunde wohl nicht paßt, ist, daß das sicherheitspolitische Instrumentarium Bundeswehr seit 1969 von einer Bundesregierung politisch geführt wird, in der die CDU/CSU nicht vertreten ist. Dadurch sieht sie - ichzitiere wörtlich „den Selbstzweck der Bundeswehr in Frage gestellt".
Das, meine Damen und Herren, ist in der Tat ein bezeichnender Satz für das Staats- und Wehrverständnis gewisser CDU-Politiker. Ich möchte damit nicht alle angesprochen haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön!
Herr Kollege Wienand, würden Sie mir nicht bestätigen, daß die Nichtanwesenheit dieser Bundesregierung, die auf der Regierungsbank nur durch einige Staatssekretäre vertreten ist, bezeichnend ist für das Interesse an dieser Sicherheitsdebatte in diesem Bundestag? Ich möchte sagen, daß es beschämend ist!
Sehen Sie, verehrter Herr Kollege, wir sollten uns allmählich abgewöhnen, durch die Demonstration von sitzenden Hintern irgend etwas bekunden zu wollen.
Sozialdemokraten haben den Streitkräften nie einen Selbstzweck zugebilligt, und wir werden uns hüten, dies in Zukunft zu tun.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Reddemann?
Bitte schön, Herr Kollege Reddemann!
Herr Kollege Wienand, wollen Sie denn Ihren Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner dementieren, der es als beschämend empfand, daß bei einer der letzten Debatten so wenige Abgeordnete anwesend waren?
Nein, keineswegs, ich bin genau dieser Meinung. Nur, wenn man glaubt, man könnte in Permanenz alle hierhalten, und wenn man als Opposition glaubt, man könnte in Permanenz die Regierung dauernd auf diesen Stühlen halten, dann will man damit erreichen, daß sie von anderen wichtigen Regierungsaufgaben abgehalten wird, damit man das wieder ins Land hineintragen kann.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgbacher?
Bitte sehr, Herr Kollege Burgbacher!
Herr Kollege, glauben Sie, daß der Vergleich von Regierungsmitgliedern mit sitzenden Hintern der Koalition entspricht?
Nein, keineswegs. Ich wollte damit nur klarmachen — und Herr Professor Burgbacher als einer, der sich auf Methodik und Didaktik versteht, gibt mir Gelegenheit, dies zu erläutern , daß wir früher bei solchen Debatten mit Zwang die anderen Regierungen hierhinholen mußten, und wenn sie da saßen, von ihnen Akten aufgearbeitet wurden und der Debatte kaum gefolgt wurde.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt ?
Lieber Herr Kollege, würden Sie so liebenswürdig sein, zu Nutzen des vorletzten Zwischenfragers der CDU/CSU-Fraktion mir durch freundliches Kopfnicken zu bestätigen, daß Sie finden, die Regierung sei in diesem Saal angemessen vertreten?
Herr Kollege Wienand, würden Sie nicht doch der Auffassung sein, daß, gerade weil Sie an zurückliegende Zeiten appellieren, wo Sie sehr nachdrücklich gefordert haben, daß möglichst alle führenden Persönlichkeiten der Regierung bei jeder solchen Debatte anwesend sind und sehr nachdrücklich alle Zwangsmittel des
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7068 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. KlepschParlaments dafür angewandt haben, es etwas beschämend ist, wenn Sie es heute angemessen finden, daß der zuständige Ressortminister als einziger Minister anwesend ist?
Herr Kollege Klepsch, ich habe daran gedacht, daß wir gelegentlich früher durch die von Ihnen angesprochenen parlamentarischen Zwangsmittel selbst die verantwortlichen Ressortminister heranholen mußten, die hier jetzt anwesend sind.Sozialdemokraten haben den Streitkräften nie einen Selbstzweck zugebilligt, und wir werden uns hüten, dies in Zukunft zu tun. Für uns bleibt die Bundeswehr ein Mittel der Abschreckung gegen äußere Drohung und Aggression und damit ein Instrument — neben anderen — zur Sicherung des Friedens bzw. zu seiner Wiederherstellung. Kriegsverhinderung bleibt in den 70er Jahren und auch in weiterer Zukunft, Herr Kollege Dr. Marx, Auftrag der Bundeswehr im Bündnis, insgesamt gesehen. Sie kann diese Funktion, wie wir alle wissen, nur im Bündnis erfüllen. Dieses Bündnis bedient sich, wie wir gleichfalls alle wissen, zum Zweck der Friedenserhaltung und Gestaltung seit 1967 zusätzlicher Mittel. Die NATO hat dem Warschauer Pakt Verhandlungen über beiderseitige und gleichgewichtige Streitkräfteverringerung angeboten, und sie unterstützt die Gespräche zur Begrenzung strategischer Waffen. Sie stellt seit dem Harmel-Bericht Abschreckungsanstrengungen und Entspannungsbemühungen gleichermaßen in den Dienst der Friedenssicherung. Zweck dieser Bemühungen ist es, den Frieden sicherer zu machen. Streitkräfte allein haben dies dauerhaft nie vermocht, und sie werden diese Aufgabe in absehbarer Zeit und Zukunft allein auch nicht erfüllen können, wenn wir die waffentechnologische Entwicklung sehen und ihr freien Lauf lassen. Deswegen müssen wir, meine Damen und Herren — und noch scheint es mir nicht zu spät zu sein —, zu sicherheitspolitischen Absprachen ohne Illusionen mit den Staaten des Warschauer Paktes kommen.Europa ist gegenwärtig nicht unmittelbar durch Krieg bedroht. Dem ausgeglichenen Gesamtpotential beider Pakte und der noch gesicherten Fähigkeit der Führungsmächte beider Pakte zum tödlichen Vergeltungsschlag ist dies zuzuschreiben. Damit dürfte eine Ihrer gestellten Fragen beantwortet sein. Dieses sicherheitspolitische Gleichgewicht droht verlorenzugehen, wenn die waffentechnische Eskalation nicht durch beiderseitige politische Vernunft gesteuert wird. In diesem technisch möglichen Verlust des Gleichgewichts sollten wir die Bedrohung der Bundesrepublik, zugleich aber auch die Bedrohung aller Bündnispartner und ihrer Nachbarn erkennen. Damit wäre die nächste Frage beantwortet, inwieweit die Bundesrepublik belastet sein könnte, wenn sie allein — in einer Darstellung, die überspitzt — eine Politik, die nicht im Kontext der NATO läge, betreiben und damit die anderen verunsichern oder gar mit einbeziehen würde. Das ist das, was damit zum Ausdruck gebracht werden soll. Für unseriös halte ich daher die Mehrzahl der Darstellungen zumThema: Was uns bedroht. Wer sich auf die Darstellung des militärischen Gesamtpotentials des Warschauer Paktes beschränkt und die Bedrohlichkeit dieses Waffenarsenals durch weltpolitische kommunistische Zielsetzungen aus der Zeit Lenins unterstreicht, stellt die eigentliche Bedohung der Bundesrepublik und ihrer Verbündeten zwar demonstrativ richtig, aber doch wieder unzulänglich dar; denn er übersieht die eigentliche Bedrohung. Mag sich auch der welterobernde Anspruch der Kommunisten bis heute verbal nicht geändert haben, seine politische Durchsetzbarkeit mit militärischen Mitteln hat sich in den letzten Jahren grundlegend geändert. Deshalb gibt es auch für kommunistische Staaten de facto keine Alternative zur friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Staats- und Gesellschaftssysteme. Deshalb beschränken sie sich auf konservierende Besitzstandswahrung oder das, was der Kollege Adorno, aber auch Sie, Herr Kollege Dr. Marx, als den Status quo in Ihrer Politik bezeichnet haben.Die heute bereitstehenden Militärpotentiale zwingen — oder könnte man ein anderes Wort finden? — in ihrer gesteigerten Kampfkraft, Reichweite und Vergeltungskraft beide Seiten, erst recht aber die andere Seite, zur politischen Rationalität. Sie zwingen dazu, politische Interessen beiderseits durch kühle Berechnung statt durch ideologische Wunschträume zu bestimmen. Zu solchen mit militärischer Macht nicht durchsetzbaren Wunschträumen gehört nach meiner Meinung die politische Weltherrschaft nicht weniger als eine von der Geißel des Kommunismus befreite Welt. Das Potential der NATO läßt einen politisch erfolgversprechenden Gebrauch des osteuropäischen Militärpotentials gegenüber uns und unseren Verbündeten nicht zu. Die Bundesrepublik ist so lange nicht ernsthaft bedroht, wie ein stabiles Kräfteverhältnis aufrechterhalten werden kann. Wir werden mit dafür sorgen, daß dieses stabile Kräfteverhältnis aufrechterhalten bleibt, bis andere sichere Modelle gefunden worden sind im Einvernehmen mit denen, mit denen wir im Bündnis sind.
Die Bedrohung aller Partner setzt ein, wenn es den vereinten Abschreckungsbemühungen der NATO nicht mehr gelingt, unter Beweis zu stellen, daß jegliches militärisches Vorgehen gegen das Bündnis politisch sinnlos ist. Ein Bündnis, dem es gelingt, mit dem Gegenbündnis eine beiderseitige, gleichwertige Verringerung der Streitkräfte und eine Begrenzung der strategischen Rüstung vertraglich zu vereinbaren, wird diese Aufgabe auch in Zukunft erfüllen.Gelingt der Bundesregierung der angestrebte Ausgleich mit dem Osten, dann ermöglicht unsere Entspannungspolitik, längerfristig gesehen, ein gleiches Maß an Sicherheit zu geringeren Preisen. Anderenfalls droht uns ein geringeres Maß an Sicherheit bei höheren Verteidigungslasten. Entspannung und Versöhnung mit dem Osten sind daher lebenswichtig, um eine Kriegsbedrohung der Bundesrepublik, die immer zugleich eine Kriegsbedrohung unserer Verbündeten wäre, auch künftig zu vermeiden. Denn der Krieg ist der Feind aller, ist der
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WienandFeind auch der Bundeswehrsoldaten. Ich sage nicht sosehr: der Soldaten in der Uniform eines anderen Staates oder eines anderen Paktes.Gegen den Ausbruch des Krieges, gegen seine zeitliche und räumliche Ausdehnung und gegen seine Intensivierung ist die Bundeswehr angetreten; zumindest wurde sie in dieser Absicht konzipiert. Im ersten Jahresbericht der Dienststelle Blank, abgedruckt im Tätigkeitsbericht der Bundesregierung für das Jahr 1952, heißt es, wie ich denke, unmißverständlich — ich zitiere —:Der Verteidigungsgedanke dient der Erhaltung des Friedens und der Verteidigung der Freiheit gegenüber jeder Bedrohung.Wer also heute mit einigen Einheitsführern der Bundeswehr meint, der Auftrag des Soldaten werde gedanklich in Richtungen gedrängt, für die man ursprünglich nicht angetreten sei, der lese in den Berichten und Protokollen der 50er Jahre nach. Friedenserhaltung sollte von Anfang an das Motiv westdeutscher Sicherheitspolitik sein, Kriegsverhinderung durch Abschreckung das Ziel militärischer Dienstleistungen, Kriegsverhinderung durch Entspannung das Ziel außenpolitischer Verhandlungen.Dazu benötigen Bundeswehrsoldaten kein personalisiertes Feindbild, wohl aber ein differenziertes und wirklichkeitsnahes Kriegsbild, wie es hier teilweise dargestellt worden ist. Sie müssen wissen, welche militärischen Möglichkeiten den Streitkräften des Warschauer Pakts zur Verfügung stehen und wie man ihnen im Rahmen des Bündnisses am zweckmäßigsten begegnet. Das geschickte militärische Reagierenkönnen auf die Möglichkeiten der anderen Seite gehört zur täglichen Arbeit vieler Soldaten. Hier könnten — da stimme ich ausdrücklich Herrn Wörner zu sehr viel deutlichere und realistischere Leistungsforderungen für alle Soldaten aufgestellt werden, wenn wir hier zu einer einheitlichen Sprache finden könnten.Natürlich wird jedes militärische Befehlsschema weiterhin Angaben über den Feind enthalten müssen. Diese funktionalen Daten über das Verhalten der anderen Seite in angenommenen Konflikt- oder Kriegslagen dienen jedoch ausschließlich dem unverzichtbaren Training des eigenen Gegenverhaltens. Genaueste Kenntnis dieser Daten und aller Variationsmöglichkeiten ist unverzichtbar für Streitkräfte zur Friedenssicherung. Allerdings ist Friedenssicherung als Ziel aller militärischen Anstrengungen bis heute noch nicht geistiges Gemeingut aller, die sich an dieser Diskussion zu beteiligen hätten, wie Denkschriften aus jüngster Zeit leider befürchten lassen. Kürzlich haben Einheitsführer in einem Interview in einem weitverbreiteten Nachrichtenmagazin ihre Schwierigkeiten im immer noch sogenannten Feindunterricht bekundet. Angesichts unserer erweiterten und mit den NATO-Partnern abgestimmten Sicherheitspolitik fällt es ihnen wohl schwer, Fragen nach der weiteren Notwendigkeit der Bundeswehr und ihrer ständigen Präsenz zu beantworten. Kompaniechefs der Bundeswehr fragen: Wie sollen wir die Antwort formulieren, wenn wir nicht von einer klaren Zielweisung oder Marschrichtung ausgehen, die wir erhalten müssen?Deshalb erneut mein Vorschlag: Regierung und alle im Parlament vertretenen Parteien sollten gemeinsam unseren Soldaten klarmachen, warum und wofür sie in den Bündnisstreitkräften dienen, welcher sicherheitspolitischen Instrumente sich das Bündnis bedient, welche Gesellschaft und welchen Staat sie verteidigen. Bei zunehmend kritisch reservierten, teilweise uneinsichtigen Rekruten muß diese Aufgabe mit neuen Ideen, tatkräftigen Initiativen und unkonventionelleren Mitteln als bisher bewältigt werden. Wir brauchen Staatsbürger, die sich auch als Soldaten nicht durch Entspannungsbemühungen verunsichern lassen, sondern diese als Ergänzung und Unterstützung ihrer eigenen Dienstleistung in der Bundeswehr verstehen. Wir brauchen Soldaten, die wissen, daß der Aufrechterhaltung und Erhöhung unserer Sicherheit Abschreckungsanstrengungen wie Entspannungsbemühungen, aber auch Verhandlungen zur Rüstungsbeschränkung dienen, Soldaten, die mit dem Kriegsbild vertraut sind, auf ein Feindbild jedoch verzichten können.Es muß uns gelingen, den Krieg als gemeinsamen Gegner der Allianz und damit als die eigentliche Bedrohung der Bundesrepublik ins Bewußtsein zu rücken. Zur Abwehr dieser Bedrohung dient die Bundeswehr. Das muß ihr auch bewußt gemacht werden, und viele in der Bundeswehr wissen dies. Der 6. Deutsche Bundestag könnte auch heute und hier einen konstruktiven Beitrag zur Bewältigung dieser Aufgabe leisten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Abelein.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einiges zu den Ausführungen meines Vorredners sagen. Die Aufforderung, daß alle Parteien gemeinsam den Soldaten ihre Aufgabe der Friedenssicherung klarmachen sollten, bedeutet für uns nichts Neues. Anders haben wir die Aufgabe der Bundeswehr nie verstanden. Das war eigentlich der Inhalt unserer Verteidigungspolitik während nahezu 20 Jahren.
Diese Aufforderung, die so gern an uns gerichtet wird, die wir aber immer nur als eine Bestätigung dessen, was wir stets getan haben, auffassen, hätte sicher nicht primär an uns gerichtet zu werden brauchen. Denn das war uns eigentlich immer klar.
Ich komme nun zur Entspannungspolitik. Jeder hier in diesem Hause bejaht die Ziele der Entspannungspolitik. Auch unsere Verteidigungspolitik ist unter dem Vorzeichen der Entspannungspolitik zu sehen. Wir haben militärische Anstrengungen nie in einem anderen Zusammenhang gesehen als der Friedenssicherung. Indessen möchte
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Dr. Abeleinich hier vor gefährlichen Verwirrungen warnen, nämlich daß Entspannungspolitik mit Verträgen militärische Anstregnungen ersetzen könnte.
Wir alle müssen — das erkennen wir bei einer Gegenüberstellung des Kräftepotentials der NATO und des Warschauer Pakts zumindest im mitteleuropäischen Bereich, der uns unmittelbar angeht von einer deutlichen Übermacht der sowjetischen Seite ausgehen. Herr Wienand, für mich — in diesem Punkt unterscheiden wir uns sehr gründlich voneinander -- ist der imperialistische Anspruch der Sowjets kein rein verbaler Anspruch. Im übrigen zeigt ein kurzer, gar nicht einmal intensiver Rundblick über das Geschehen in dem uns nahen Bereich, etwa im Nahen Osten und in Israel,
daß die Bemühungen der Sowjets keineswegs nur verbaler Natur sind, sondern daß dahinter unter Umständen ernstere Bedrohungen stecken.Da ich davon ausgehe, daß das Kräfteverhältnis im mitteleuropäischen Bereich sehr ungünstig für uns aussieht, würde ich es für einen gefährlichen Irrtum halten, wenn man glaubte, durch Verträge und sonstige Entspannungsbemühungen im Rahmen von internationalen Verhandlungen, sosehr wir die Zielsetzung solcher Bemühungen schätzen, entsprechende Verteidigungsanstrengungen ersetzen zu können. Das sind zwei völlig verschiedene Ebenen. Eine Verminderung der Verteidigungsanstrengungen eventuell auch finanzieller Art ist nur dann möglich, wenn auch die Gegenseite eine entsprechende Bereitschaft erkennen läßt.Nun möchte ich zu meinem eigentlichen Thema, nämlich der Europäischen Sicherheitskonferenz, kommen, ein aktuelles, kein neues Thema. Wir kennen es seit Beginn der 50er Jahre. Die Sowjetunion hat schon mehrere Male die Schaffung eines kollektiven Sicherheitsinstruments in Europa vorgeschlagen. Meines Erachtens ist es notwendig, soweit dies in der Kürze der Zeit überhaupt möglich ist, sich den historischen Ablauf in gedrängter Form vor Augen zu führen. Die Haltung der Sowjetunion in diesem Punkt hat sich — das scheint mir ein wichtiger Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang zu sein im Laufe der Jahre inhaltlich, zumindest aber verbal, geändert. Dennoch sind einige Konstanten geblieben.Einer Beurteilung dieser Situation muß man vier Hauptkriterien zugrunde legen: 1. die Frage nach der Aufrechterhaltung oder der Veränderung des bestehenden Systems der militärisch-politischen Bündnisse, 2. die Frage nach der Stellung der beiden Supermächte USA und UdSSR, 3. die Frage nach der - das steht in Zusammenhang mit der Frage Nr. 2 — militärischen Präsenz der beiden Supermächte und 4. die Frage nach der Stellung Deutschlands in diesem System.In der ersten Phase bis Ende der 60er Jahre hatte die Sowjetunion die gesamteuropäische Sicherheitskonferenz hauptsächlich als ein Instrument gegendie Bundesrepublik verstanden. Es war ein Instrument gegen die Bundesrepublik mit der eindeutigen Zielsetzung der Auflösung der NATO, wobei die Sowjetunion in der ersten Phase zumindest verbal die formelle Auflösung des Warschauer Paktes als eine Gegenleistung angeboten hat. Davon ist merkwürdigerweise in den letzten Jahren nicht mehr die Rede. Vermutlich haben die Erfahrungen, die die Sowjetunion vor und nach den tschechoslowakischen Ereignissen gemacht hat, es ihr unratsam erscheinen lassen, noch weiterhin eine Auflösung des Warschauer Paktes anzubieten.
- Auch im Hauptdokument für die kommunistischen Parteien der Moskauer Konferenz wird als Gegenleistung eine entsprechende Reduzierung auf dem Gebiet der Truppen in den beiden Pakten und eine Auflösung des Warschauer Paktes nicht angeboten. Im übrigen gibt es gegenwärtig eine Reihe von Vorgängen, etwa die SALT-Konferenz, die die Ernsthaftigkeit entsprechender Äußerungen dann glaubhaft machen müßten.Die Vorschläge, die etwa seit Oktober 1969 von der östlichen Seite gemacht werden, reduzieren sich auf einen Verzicht auf Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung und auf eine Erweiterung der Beziehungen auf dem Gebiet des Handels, der Wirtschaft und der Kultur. Es zeigt sich, daß die sowjetische Seite auf dem Gebiet, das uns eigentlich interessiert, nämlich auf dem Gebiet der Abrüstung und der, militärischen Entspannung, überhaupt keine akzeptablen Vorschläge mehr gemacht hat. Anscheinend steht bei ihr im Augenblick die stabilisierende Wirkung ihres Militärbündnisses im Vordergrund. Östliche Kommentatoren bezeichnen gegenwärtig die Forderung nach entsprechender Abrüstung auf der östlichen Seite und nach der Auflösung des Warschauer Paktes als Störaktion gegen eine solche Konferenz.Niemand hat etwas gegen das Thema „Gewaltverzicht" und seine Behandlung in einer Sicherheitskonferenz. Aber unter „Gewaltverzicht" verstehen wir nicht nur einen Gewaltverzicht zwischen Staaten der verschiedenen Blöcke, sondern wir meinen damit auch einen Gewaltverzicht gegenüber Staaten innerhalb der einzelnen Blöcke.
Das ist etwas, was wir von der Sowjetunion ebenfalls fordern müssen. Die tschechoslowakischen Ereignisse des Jahres 1968 scheinen mir ein sehr warnendes Beispiel zu sein.Es wäre unvorsichtig, zu glauben, die Entspannungsbemühungen der Sowjets seien stets von den gleichen Vorstellungen und Zielen getragen wie auf unserer Seite. Breschnew meinte z. B. in Karlsbad, daß ein Abbau der Spannungen eine notwendige Voraussetzung sei, um die europäische Politik in eine günstigere Richtung zu lenken. Man sieht aber gleich, was bei ihni dahintersteckt; denn er analysiert die Nachkriegszeit so, daß unter den Bedingungen nachlassender internationaler Spannungen der Zeiger des politischen Barometers nach links
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7071
Dr. Abeleinwandert, woraus sich zumindest für den vorsichtigen Leser solcher Zeilen ergibt, daß eine durchaus offensive Absicht hinter den Entspannungsvorschlägen auf der Seite der Sowjetunion steht. Man sollte das nicht unbemerkt vorübergehen lassen.
Hinzu kommt, daß im sowjetischen Lager ausdrücklich betont wird, daß Spannungsminderungen in keiner Weise etwa damit gleichzusetzen seien, daß die kommunistische Bewegung von ihrem Ziel einer revolutionären Umwälzung Westeuropas hin zum Sozialismus im sowjetischen Sinne abgehe. Das sind zweifellos Ziele und entsprechende Vorschläge, die den unseren diametral entgegengesetzt sind.Interessant ist auch die Rolle Deutschlands in dem Konzept der europäischen Sicherheit. Hier hat die Sowjetunion, die gegenwärtig immer davon spricht, daß keine Vorbedingungen gestellt werden dürften, bisher ständig eine ganze Reihe von Vorbedingungen gestellt, nämlich die Unverletzlichkeit der Grenzen, die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie, der Grenzen zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, ferner den Verzicht der Bundesrepublik auf den Alleinvertretungsanspruch und auf Atomwaffen.
Im übrigen sind das Dinge, über die wir heute gar nicht mehr zu diskutieren brauchen, denn diese Vorbedingungen sind bereits weitgehend erfüllt worden. Weil mir die Zeit fehlt, möchte ich mich nicht näher dazu äußern.Ein Punkt wird jedoch — auch jüngst wieder hervorgehoben, nämlich daß auch die Anerkennung der Tatsache, daß West-Berlin nicht zu Westdeutschland gehöre, Thema einer solchen Sicherheitskonferenz sein müsse.
Es gilt, gegenüber eventuellen Partnern auf einer solchen Sicherheitskonferenz deutlich klarzumachen, daß für uns, was die Zugehörigkeit West-Berlins zur Bundesrepublik angeht, nach wie vor eine echte Vorbedingung besteht, ohne deren Erfüllung wir in Gespräche über eine Sicherheitskonferenz nicht eintreten.Wir haben mit Befriedigung gehört, daß die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Großen Anfragen erklärt hat, daß eine befriedigende BerlinRegelung auch für sie eine Vorbedingung für eine solche Sicherheitskonferenz sei. Es wäre allerdings noch zu klären, was man unter einer befriedigenden Berlin-Regelung verseht. Das ist ein Thema für sich. Ich will in aller Kürze nur folgendes dazu sagen. Dazu gehört eine entsprechende vertragliche Sicherung der Zufahrtswege. Dazu gehört die Garantie der Zugehörigkeit West-Berlins zur Bundesrepublik, die gerade von der Sowjetunion bestritten wird. Dazu gehört die Freizügigkeit innerhalb Berlins. Ich stehe nicht an, auch wenn das heute unmodern geworden ist, zu äußern, daß — es wird jetzt ja immer von Normalisierung gesprochen — eine mitten durch eine Großstadt verlaufende Mauer und ständige Schüsse an dieser Mauer mir als etwas höchst Unnormales auf dieser Welt erscheinen.
Die Vermutung liegt nahe, daß hinter den Vorschlägen der Sowjetunion und ihrer Gefolgsstaaten die Absicht steht, über eine solche Sicherheitskonferenz zunächst den Status quo zu stabilisieren und dann mittels einer offensiven Koexistenzstrategie im gewünschten Sinne zu ändern. Diese Vorstellungen haben wir im Zusammenhang mit einem gesamteuropäischen Sicherheitssystem gerade nicht.Noch ein kurzes Wort zu der Rolle der beiden Supermächte. Es gibt bestimmte Definitionen der Sowjetunion im Zusammenhang mit dem Begriff „Sicherheit". Es ist übrigens immer angebracht, was die Angebote zu solchen Verträgen angeht, auf den völlig verschiedenen Begriffsinhalt in der sowjetischen Terminologie hinzuweisen.
So definiert die Sowjetunion den Begriff „europäische Sicherheit" als Schutz der europäischen Staaten gegen Übergriffe von außereuropäischer Seite. Das ist eine sehr einfache Rechnung. Da die USA zu den außereuropäischen Staaten gehören, wären damit Übergriffe von seiten der USA gemeint. Ein Schutz gegenüber der Sowjetunion wäre dagegen nicht mit inbegriffen.
Ausgehend von meinen einleitenden Bemerkungen meine ich — auch wenn wir unser Sicherheitsbedürfnis nicht personalisieren wollen; darüber ließe sich im übrigen diskutieren , daß das Schutzbedürfnis gegenüber der Sowjetunion im Augenblick größer ist als das gegenüber den USA. Die Stellung der USA bleibt in der Diskussion über das gesamteuropäische Sicherheitssystem völlig ungeklärt. Wir stellen uns ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem nicht in der Form eines Hegemonialsystems der Sowjetunion vor. Im übrigen ist dies die Grundkonzeption der Europapolitik der Sowjetunion, die sich auch in den Ausführungen des Herrn Suslow gezeigt hat, die er kürzlich vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gemacht hat, wo er auch sagte, wie schön es wohl wäre, ein Europa vom Atlantik bis hinter den Ural zu schaffen — wohlgemerkt ohne die Amerikaner! —, und auf die Frage, ob das dann nicht eine Hegemonieposition der Sowjetunion zur Folge hätte, nur sehr ausweichend antwortete. Aber das steckt letztlich hinter der Konzeption. Das zeigt die historische Entwicklung seit Beginn der 50er Jahre bis in unsere Zeit in der Diskussion über diese Konferenz sehr genau.Lassen Sie mich zusammenfassend noch einmal sagen: Erstens. In den Zusammenhang einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz gehört die Frage der gegenseitigen Truppenreduzierung mit einem entsprechenden Kontrollsystem, ein Problem, dem bis zuletzt die Sowjetunion immer ausgewichen ist. Das muß begleitend zu den übrigen Entspannungsbemühungen hinzukommen. Solange entsprechende Garantien mit entsprechenden Kon-
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7072 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. Abeleintrollmaßnahmen nicht vereinbar sind, wird auch die Chance nicht gekommen sein, zu Verminderungen unserer Verteidigungsanstrengungen mit gewissen finanziellen Konsequenzen zu kommen.Zweitens. In der gegenwärtigen Situation darf eine gesamteuropäische Sicherheitskonferenz nicht zu einer Beeinträchtigung des europäischen Gleichgewichts führen mit der Konsequenz einer sowjetischen Hegemonialstellung.Drittens. Auch wir sehen eine befriedigende Berlin-Regelung als eine wesentliche Voraussetzung an, ehe wir in die Diskussion über eine europäische Sicherheitskonferenz eintreten können.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein verehrter Herr Vorredner hat hier wieder einmal wie auch die Kollegen aus seiner Fraktion den Versuch gemacht, wenigstens im Nebensatz dieser Regierung zu unterstellen, daß sie gegebenenfalls die Verteidigungsanstrengungen verringern könnte, d. h. auch die finanziellen Anstrengungen. Das ist zwar nicht so deutlich gesagt worden, aber das ist ja die Methode, ohne fundierte Nachweise Behauptungen in den Raum zu stellen nach dem Motto: „Wenn ich werfe, bleibt wohl etwas hängen."
-- Ja, Herr Marx, ich komme noch auf Sie. Sie brauchen sich jetzt noch nicht zu melden. Das können sie nachher tun.Ich habe gerade diese Frage — mein Kollege Wienand hat das auch angekündigt — einmal untersucht und darf Ihnen folgendes sagen: Das Stockholmer internationale Institut für Friedensforschung stellt für 1970 ein Absinken aller Rüstungskosten auf der Erde um etwa 2 %, gemessen am Realkostenwert, fest. Dabei ist feststellbar, daß sich die beiden Großmächte, die UdSSR und die USA, auf Kosten ihrer Verbündeten ganz leicht entlastet haben. Während die Rüstungskosten der USA rund 80 Milliarden Dollar betragen, werden die der UdSSR auf rund 50 Milliarden Dollar geschätzt; offiziell sind im Etat 42 Milliarden Dollar angegeben. Diesem Trend hat sich die Bundesrepublik 1970 entzogen. Während 1968 die Ausgabekurve noch nach unten ging, ist jetzt wieder ein Ansteigen zu beobachten. Nach diesem Institut kehrt die Bundesrepublik Deutschland wieder zu den alten Steigerungsraten vor 1966 zurück. Diese Fakten sind einer ganzseitigen Darstellung des katholischen Bistumsblattes „Glaube und Leben" vom 21. März 1971 entnommen, die den Titel trägt „Signal der Hoffnung".Ich meine, es ist so, daß man — und ich kann das für mich sagen — eben keinen sowjetischen, aber auch keinen amerikanischen Komplex haben darf, um sachlich an diese ganzen Fragen heranzugehen und festzustellen: was ist und was kann für die Zukunft werden? Wir sind keine Befehlsempfänger, weder nach der einen noch nach der anderen Seite. Wir haben die vitalen Interessen dieses unseres Volkes zu vertreten. Ich erinnere daran — Kollegen, die dabei waren, sind ja hier im Raum —, als wir im vergangenen Jahr in Den Haag im NATO-Parlament, im Militärausschuß über wichtige Fragen diskutierten, mit welcher Härte wir auch da ganz bestimmten Wünschen unserer amerikanischen Freunde entgegengetreten sind. Ich habe das Gefühl gehabt, daß uns das nicht übelgenommen wurde, sondern daß man auch dort Verständnis dafür aufbrachte. Deswegen, verehrter Herr Adorno, verstehe ich nicht ganz, daß Sie beklagen, es seien antiamerikanische Umtriebe hier zu sehen. Umtriebe, die nicht der Regierung der Vereinigten Staaten passen, sind in Amerika sehr zahlreich zu beobachten. Dieses Parlament allein hat die Politik zu machen, und wenn die eine oder die andere Gruppe draußen gegen die eine oder andere Erscheinung in dieser Welt demonstriert, dann muß das nicht gleich reglementiert werden, sondern wir sind als Demokraten dazu da, auch das zu ertragen und durch Überzeugung vielleicht eine andere Form zu finden.Der Minister hat vor einiger Zeit einmal in einem Interview zu der Frage: sind die Fronten hier in Mitteleuropa eingefroren?, gesagt: In Mitteleuropa zu Lande und in der Luft läßt sich keine kategorische Zunahme der sowjetischen Rüstung registrieren; es ist ein normaler Erneuerungs- und Modernisierungsprozeß, der auch bei anderen Armeen, nämlich auf unserer Seite, vorhanden ist. Das muß man natürlich untersuchen. Hier hat Herr Adorno heute morgen von der doppelten Zahl von Divisionen gesprochen, die auf der anderen Seite ständen. Er hat nur zu sagen vergessen, daß die Kopfstärken der Divisionen des Warschauer Paktes völlig verschieden sind von denen der NATO. Er hat auch nicht gesagt, wie wir die Kampfkraft einschätzen sollten, ob wir nicht differenzieren sollten, auch die Kampfkraft der Länder einmal zu untersuchen, die, wie z. B. die Tschechoslowakei, von ihren eigenen Verbündeten überfallen worden sind.Es ist auch hier immer wieder der Versuch gemacht worden, die Bedrohung nur auf uns, auf diese Bundesrepublik und auch auf die Bundeswehr, zu projizieren. Das stimmt doch nicht; denn wir sind in einem Bündnis, und wir glauben auch, daß wir dieses Bündnis für uns voll und ganz als Sicherheit ansehen können. Natürlich gibt es Differenzierungen auch in der Stärke. Nur, unser Bündnis ist ein Verteidigungsbündnis, und in diesem Verteidigungsbündnis sind etwas andere Voraussetzungen, wenn wir unterstellen, daß auf der anderen Seite expansiv an eine gegebenenfalls einmal festzustellende oder festzulegende Angreifersituation gedacht werden kann. Daß wir uns davor hüten sollten, etwas zu bagatellisieren, etwas zu leicht zu nehmen, ist ganz klar. Ich will auch hier nur mit einem Satz sagen: Die Situation im Mittelmeer ist nicht so einfach, wie sie hier dargestellt worden ist. Die NATO operiert aus der inneren Linie. Natürlich ist für die Zukunft noch einiges zu tun. Aber ich meine, daß wir auch hier die Realitäten sehen sollten.
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Schmidt
Hier darf ich einmal auf eine Nachricht in der „Welt" vom 11. Mai 1971 hinweisen, in der gesagt wird: Bei der Verteilung der Gesamtausgaben in den beiden großen Militärblöcken, also der NATO und dem Warschauer Pakt, ergibt sich folgendes Bild: 1970 gab die NATO 103 Milliarden, der Warschauer Pakt 71 Milliarden aus. Das ist ein Unterschied von 32 Milliarden oder 32 000 Millionen DM, die bei uns zur Verbesserung der Lage, der Abwehrbereitschaft mehr ausgegeben worden sind. Das ist genau das, was hier gesehen werden muß, daß in dieser Sicht natürlich eine erhebliche Differenzierung da ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, danke! Ich habe ja nur 10 Minuten Redezeit. — Darüber hinaus darf ich auch auf die „Welt am Sonntag" hinweisen, in der ja im Vergleich der Gesamt-NATO — wobei ich selbstverständlich zugebe, daß man auf den inneren Kern in Europa sehen muß — ganz klar dargelegt ist, daß es wirklich völlig falsch ist, in dieser Hoffnungslosigkeit, in der es manchmal dargestellt wird, über diese Fragen zu sprechen.
Wir haben hier heute morgen, was mir sehr wichtig zu sein scheint, auch über die Frage der Wehrdienstverweigerung gesprochen. In allem Ernst möchte ich sagen, daß ich selbst sehr oft Diskussionen mit jungen Soldaten und mit meinem Sohn, der jetzt die Bundeswehr nach Ableistung seiner Wehrpflicht verlassen hat, über die Möglichkeit und Erfolge einer solchen Verteidigung habe. Wenn ich dann hier höre, daß diese Diskussion manchmal sogar — auch an anderer Stelle — in Panikmache übergeht, daß von Stärkeverhältnissen gesprochen wird, als wenn es überhaupt keinen Zweck hätte, sich zu verteidigen, dann muß ich Ihnen sagen, Sie können sich doch gar nicht wundern, daß der eine oder andere junge Mann sagt: Das hat für mich gar keinen Zweck, ich werde dann eben in die Wehrdienstverweigerung gehen.
Meine Damen und Herren, ich bitte, das mit zu berücksichtigen. Ich weiß, daß es Ihnen nicht paßt, wenn ich so etwas sage; aber es ist nun einmal so.
Ich meine, wenn wir uns hier in Fragen der Verteidigung und der finanziellen Leistungen dieser Bundesregierung im Rahmen unseres Bündnisses betrachten, dann können wir nur sagen, daß wir uns sehen lassen können und daß das von unseren Partnern auch anerkannt wird. Bei allen Tagungen der NATO ist das zum Ausdruck gekommen; es ist anerkannt worden, daß die Bundesrepublik einen Teil dieser NATO geschaffen hat, der sich sehen lassen kann, und daß darüber hinaus auch die zukünftige Stellung in unserem Bündnis eine ausgezeichnete ist. Ich bin fest davon überzeugt, daß das, hier an dieser Stelle ausgesprochen, auch für die Öffentlichkeit eine Beruhigung ist; denn ihr wird ja
immer wieder vorgegaukelt, als wenn wir uns mit dieser Bundeswehr völlig allein verteidigen müßten, als wenn die Last nur auf dieser Bundeswehr läge. Sie liegt auf dem ganzen Bündnis, und es besteht alle Ursache, anzunehmen, daß Gefahren nicht zum Tragen kommen.
Das Wort hat der Wehrbeauftragte. Das Begehren, ihm das Wort zu geben, ist von allen Fraktionen und damit hinreichend unterstützt.Bitte schön, Herr Wehrbeauftragter!Schultz, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst darf ich mich dafür bedanken, daß Sie mir die Gelegenheit geben, einige Bemerkungen zu meinem Jahresbericht zu machen. Wenn der Wehrbeauftragte in Fragen seines Verfassungsauftrages das Wort nimmt, muß er immer zwei Aspekte dieses Auftrages sehen. Er ist einmal Ihr Hilfsorgan, Hilfsorgan des Parlaments für die Kontrolle der Streitkräfte, und er ist gleichzeitig eine Art parlamentarischer „Schutzpatron" der Soldaten, ohne daß die eine Aufgabe von der anderen immer säuberlich zu trennen wäre.Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren dieses Hohen Hauses, in der Rolle des Sachwalters für die Soldaten dafür zu danken, daß Sie sich mit den Problemen der Bundeswehr in dieser Breite heute auseinandersetzen und schon im März auseinandergesetzt haben. Ich spreche dabei nicht so sehr für die Institution Bundeswehr als für den einzelnen Soldaten, dessen Sorgen und Nöte Sie zu den Ihren machen. Ich weiß aus den vielen Truppenbesuchen, die ich im vergangenen Jahr abgestattet habe, wie stark sich das Interesse der Soldaten auf dieses Hohe Haus konzentriert, wenn Fragen der Landesverteidigung und des inneren Zustandes der Bundeswehr auf der Tagesordnung stehen.Ich möchte Ihnen auch danken, daß Sie den Jahresbericht 1970 im Verteidigungsausschuß in aller Ausführlichkeit diskutiert haben und daß Sie so schnell an die Beratung herangegangen sind. Hier hat sich eine Tradition, die mit der Beratung der Jahresberichte 1968 und 1969 begonnen hat, erfreulicherweise sehr gut fortgesetzt.Ich darf nun auf einige Probleme hinweisen, die mir noch des Erwähnens wert scheinen, und vielleicht auf einige Unterschiede zu Auffassungen draußen, die zu dem Jahresbericht geäußert worden sind, hinweisen.Einigen Pressekommentaren zum Jahresbericht 1970 konnte ich entnehmen, daß das Thema „Haar- und Barttracht der Soldaten" zu breit dargestellt worden sei. Es hieß in diesem Zusammenhang gelegentlich auch, der Bericht sei insgesamt allzu juristisch formuliert. Ich will mich natürlich jetzt nicht mit Kommentaren der Presse zu meinem Bericht auseinandersetzen. Aber ich darf mir viel-
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7074 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Schultz, Wehrbeauftragterleicht den Hinweis erlauben, das es nach meinem Dafürhalten dort, wo es sich um die Grundrechte des einzelnen handelt, gar nicht juristisch exakt genug zugehen kann.Der Bundesminister der Verteidigung hat in seiner Erklärung am 26. März hier vor diesem Hause diese Ausführungen über Haar- und Barttracht, die zugegebenermaßen verhältnismäßig langatmig gewesen sind, in die Rubrik „Heiteres aus der Truppe" eingeordnet. Ich kann diese Auffassung im Hinblick auf den Arbeitsanfall, den gerade dieses Problem im Berichtsjahr 1970 in meinem Amt verursacht hat, nicht ganz teilen. Es haben sich im Berichtsjahr 1970 über 500 Soldaten in dieser Frage an den Wehrbeauftragten gewandt. Der Bundesminister der Verteidigung hat mit zwei fernschriftlich ergangenen Weisungen im Februar und März dieses Jahres versucht, dieses Problem zu lösen. Der Jahresbericht hatte daraufhin der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Neuregelung geeignet sei, in der Truppe nunmehr die erforderliche Rechtssicherheit herbeizuführen. Leider hat sich diese Hoffnung zumindest bis jetzt noch nicht erfüllt. Denn in Fragen Haar- und Barttracht haben wir im laufenden Berichtsjahr, also in jetzt etwas mehr als einem Vierteljahr, schon wieder 100 Eingaben in meinem Amt zu verzeichnen.Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat in der Sitzung am 26. März, als er sich mit diesem heiteren Problem auseinandersetzte, unter anderem schließlich gesagt — ich darf zitieren -.„Und wer auf diesem Gebiet die persönliche Gestaltungsfreiheit junger Menschen unnötig einengen wollte, der würde überflüssigen Konfliktstoff schaffen."Diese Auffassung teile ich hundertprozentig. Aber ich muß sagen, daß diese Auffassung zumindest noch nicht hinreichend die Auffassung der Führer aller Grade geworden ist. Es kommt auch nach meiner Meinung sehr viel mehr darauf an, die Ausführung des Dienstes zu kontrollieren und sich auf einen möglichst hohen Ausbildungsstand an der Waffe zu konzentrieren, als formale Fragen in den Vordergrund zu stellen. Ich würde allerdings trotzdem empfehlen, daß sich Fü S 1 dieses Problems intern doch noch einmal annimmt und einen weitgehenden Konsensus mit den Gefühlen der Truppe herstellt. Das Problem ist zugegebenermaßen banal. Aber es stellt immer noch einen Unruheherd dar, dessen man sich entledigen sollte; vielleicht dadurch — und nun trage ich vielleicht auch etwas zur Heiterkeit bei , daß wir Älteren, wie mir ein stellvertretender Divisionskommandeur vorschlug, Zöpfe tragen und uns einen Kaiser-FranzJoseph-Bart wachsen lassen sollten.Ein weiteres Problem, dessen Untersuchung sich der Bundesminister der Verteidigung nunmehr angenommen hat, ist die grundsätzliche Frage nach der Integrationsfähigkeit der bewaffneten Macht in die Struktur einer entwickelten Industriegesellschaft. In unmittelbarem Zusammenhang damit steht die alte Frage nach den Konturen eines soldatischen Berufsbildes in der Mitte oder gegen Ende deszwanzigsten Jahrhunderts. Ich sage mit Freude, daß die Diskussion darüber wieder in Gang gekommen ist und daß sie nunmehr, wie ich hoffe, ohne den ideologischen Ballast geführt wird, der ihr dadurch beigefügt wird, indem man die Leute, die der einen Meinung sind, in die berühmte Gruppe der Reformer einteilt und die anderen, die anderer Meinung sind, mit dem Schlagwort „Traditionalisten" belegt. Das wird nämlich der Sachfrage nicht gerecht. Es kommt darauf an, daß eine klärende wissenschaftliche Untersuchung dieser Gesamtproblematik stattfindet, weil die Untersuchung dieser Frage natürlich auf alle übrigen Maßnahmen ihren Ausfluß haben wird, Maßnahmen, die z. B. in der Personalstrukturkommission, in der Bildungskommission und welche Einrichtungen zur Untersuchung von Fragen der zukünftigen Wehrstruktur noch eingesetzt worden sind, erörtert und beraten werden. Ich darf darauf verweisen, daß Herr Abgeordneter Adorno dieses Problem schon angeschnitten und, wie ich glaube, mit Recht gesagt hat, man könne natürlich nicht auf der einen Seite den Soldatenberuf als einen Beruf wie jeden anderen bezeichnen, gleichzeitig aber besondere, von der übrigen Gesellschaft abweichende Forderungen an den Soldaten — sei es in der Dienstzeit, der Dienstausübung, sei es im Erscheinungsbild daran knüpfen. Diese beiden Gegensätze miteinander zu verbinden ist nicht möglich. Man muß sich für das eine oder das andere entscheiden. Wir haben uns für das „andere" entschieden, nämlich Einordnung des Soldaten in die Gesellschaft. Deshalb müssen wir auch die Konsequenzen daraus ziehen.Herr Abgeordneter Jung meinte, daß die Bundeswehr schon als demokratische Institution in unseren Staat integriert sei. Dem stimme ich zu. Es geht hier mehr oder weniger darum, wie einzelne Sachprobleme wie z. B. die Frage der beruflichen Weiterarbeit nach dem Soldatendienst in der Gesellschaft geregelt oder gelöst werden können.Ich habe in meinem Bericht auch darüber gesprochen — diese Frage ist hier schon angeschnitten worden , daß das Bewußtsein, gegenüber der Allgemeinheit auch Pflichten zu besitzen, bei der heranwachsenden Generation nicht immer hinreichend ausgeprägt ist. Ich meine, daß aber auch die mittlere Generation und auch meine eigene inzwischen gelernt haben, Wünsche und Forderungen an den Staat zu stellen, ohne sich zu fragen: Was muß ich eigentlich dazu tun, daß dieses Gemeinwesen blühe und gedeihe? Es handelt sich hierbei natürlich nicht um ein Sonderproblem der Bundeswehr, sondern das ist ein Phänomen unserer Gegenwart, und die Menschen in der Bundeswehr sind nicht anders als die Menschen in unserem Staat.Ich glaube aber, daß dieses Problem gerade im Hinblick auf die staatsbürgerliche Unterrichtung der Soldaten und solcher, die es werden sollen, besondere Beachtung finden muß. Ich teile durchaus die Auffassung, die hier schon geäußert worden ist, daß nämlich die Anstrengungen der Bundeswehr, im Rahmen staatsbürgerlicher Unterrichtung den Staatsbürger in Uniform wirklich ernst zu nehmen, Stückwerk bleiben müssen, wenn nicht auch Elternhaus
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7075
Schultz, Wehrbeauftragterund Schule eine Aufgabe darin sehen, über Probleme der Landesverteidigung zu unterrichten, und diese Aufgabe besser als bisher erfüllen. Ich meine, daß gerade junge Menschen ein Anrecht darauf haben, über diese Probleme informiert nicht manipuliert, aber informiert -- zu werden.Ich kann mir nicht vorstellen, daß innerhalb der Bundeswehr die Führer aller Grade diesem hohen Anspruch, Innere Führung zu praktizieren, gerecht werden können, wenn sie sich nicht nur mit den Schwierigkeiten, die durch Infrastruktur, Material und dergleichen entstehen, auseinandersetzen müssen, das heißt, wenn sie weitgehend darauf angewiesen sind, auch heute noch immer nur zu improvisieren, und auf der anderen Seite auf Wehrpflichtige treffen, die den Problemen der Landesverteidigung indifferent gegenüberstehen und noch nicht einmal etwas davon gehört haben. Dann zu führen, dann auszubilden, das übersteigt die Kräfte des einzelnen mit Sicherheit.Ich habe deswegen auch mit Freude von der Initiative des Herrn Bundeskanzlers Kenntnis genommen; Herr Abgeordneter Buchstaller hat darauf schon hingewiesen. Ich darf Sie alle bitten, meine Damen und Herren in diesem Hohen Hause, zum Gelingen dieser Initiative — des Briefes an die Ministerpräsidenten in Sachen staatsbürgerliche Unterrichtung in Schulen — das Ihre beizutragen. Das kann weniger vom Hohen Hause ausgehen als von den Landtagen und den Landesverbänden. Sie sind alle dort irgendwie verankert. Ich würde also meinen, daß im Sozialkunde- und Gemeinschaftskundeunterricht auch die Bundeswehr und Probleme der Landesverteidigung Gegenstand des Unterrichts sein sollten.Zum Problembereich Innere Führung enthält der Jahresbericht den Vorschlag, eine allgemeine militärische Führungslehre unter pädagogischem Aspekt zu entwickeln. Hier hat der Bundesminister der Verteidigung in der schon erwähnten Sitzung am 26. März gesagt, daß „Innere Führung nicht vornehmlich eine Sache der theoretischen, sondern der praktischen Pädagogik sei, und daß man die Praxis der Inneren Führung" besser von seinen unmittelbaren Vorgesetzten als aus Büchern lerne. Sicher ist dieser Auffassung zuzustimmen. Aber ich glaube, daß sie nicht die ganze Breite des Problems voll abdeckt. Ich freue mich, daß die Anregung des Jahresberichtes 1970 und auch früherer Jahresberichte, eine allgemeine militärische Führungslehre unter pädagogischem Aspekt zu entwickeln, nun doch in die Wirklichkeit umgesetzt wird. Ich bin natürlich auch nicht der Meinung, daß man in diesen Fragen theologisieren und dogmatisieren sollte. Aber es handelt sich dabei um einen Wechselprozeß von Erfahrung und theoretischem Wissen, der im pädagogischen Bereich ausgetauscht werden muß. Der Vorschlag meines Vorgängers und auch mein Vorschlag lassen Raum für beides, sowohl für die lernbare theoretische Darlegung der Inneren Führung, die dem Bewußtsein aller Soldaten zugänglich ist, als auch für das praktische Beispiel im Führungsverhalten des unmittelbaren Vorgesetzten.Im übrigen hat kein Wehrbeauftragter bisher behauptet, daß er einen Monopolanspruch auf die Auslegung des Begriffs Innere Führung besitze, sondern alle haben ihre Darlegungen immer als Vorschläge und Denkanstöße verstanden wissen wollen und in diesem Bemühen auch die Anerkennung dieses Hohen Hauses gefunden.Ich fühle mich in dem, was wir hier geschrieben haben, ohne daß das vorher abgesprochen worden ist, auch durch ein Vorwort bestätigt, das Graf Kielmansegg zu einem jetzt erscheinenden Buch „Bundeswehr in der Demokratie" geschrieben hat, der gerade auch hier ein Fehl festgestellt hat, das nunmehr ausgeglichen werden soll.Ein weiteres Problem noch: Der Bundesminister der Verteidigung hat im Weißbuch 1970 und bei anderen Gelegenheiten auf die Notwendigkeit von Diskussion und Dialog in den Streitkräften ausdrücklich hingewiesen. Diese Erklärungen sind auf sehr fruchtbaren Boden gefallen. Es ist eine starke Diskussion innerhalb der Truppe in Gang gekommen. Der Soldat jeden Dienstgrads hat das Bedürfnis und den Willen, seine Probleme im breiten Ausmaß mit den Vorgesetzten zu diskutieren. Diskussion und Dialog sind, wie ich glaube, mehr als bloße Meinungsfreiheit, sondern sie bedeuten, daß man sich auch mit vorgetragenen Sachverhalten auseinandersetzt, daß man nicht nur angehört wird, sondern daß man, insbesondere wenn man anderer Meinung ist als die Vorgesetzten, dann auch eine begründete Antwort haben will, warum dies oder jenes nicht geht oder warum diese oder jene Lösung, die man vorschlägt, nicht möglich ist. Es kommt wohl darauf an, daß diese Bereitschaft, nicht nur zu sagen, das geht nicht, sondern zu sagen, warum dieses oder jenes nicht geht, oder vielleicht sogar etwas aufzugreifen, was einem vorgetragen wird, insbesondere in der mittleren Führungsebene verstärkt wird und daß auch gelehrt wird, daß man heute nur mehr führen kann, wenn man zur Diskussion bereit ist. Hier scheint mir noch ein gewisses Fehl an Verhalten vorzuliegen. Den Sachverhalt, daß Führung ohne Diskussion, ohne Information heute schlechterdings nicht mehr zu machen ist, haben viele Vorgesetzte noch nicht erkannt. Wenn dem nicht so wäre, könnte man mancherorts nicht von einer Vertrauenskrise zwischen Vorgesetzten und Untergebenen sprechen oder zumindest Anzeichen dafür feststellen. Damit ist selbstverständlich auch eine verstärkte Anforderung an das Ministerium selber gestellt. Auch das Ministerium muß heute vielleicht zu mehr Dingen Stellung beziehen als es das früher notwendig gehabt hat.In diese Darstellung möchte ich eigentlich auch das aufgefaßt wissen, was ich bezüglich der Unterrichtung über Aktionen, die in der Truppe stattgefunden haben, geschrieben habe. In dem Bericht des Ausschusses — Drucksache VI/2168 zu dem Jahresbericht des Wehrbeauftragten wird gesagt:„Der Wehrbeauftragte verlangt Erteilung eindeutiger Richtlinien und Weisungen an die Truppe im Falle der Agitation von radikalen Kräften."Der Bundesminister der Verteidigung hält es für sehr schwierig, im vorhinein abstrakte Weisungen für alle möglichen Eventualitäten zu erteilen.
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7076 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Schultz, WehrbeauftragterDa stimme ich ihm zu; das ist natürlich nicht möglich. Aber worum es mir geht, ist, daß solche Aktionen — angesprochen war hier die Aktion „Soldat 70" — in ihren Hintergründen ausgeleuchtet und auch wieder mit entsprechenden Stellungnahmen versehen von der Führung aus an die Truppe weitergegeben werden, um die Möglichkeit und die Gelegenheit für das Bestehen einer Diskussion, insbesondere für die Führer aller Grade, zu schaffen. Das war das, was ich meinte und was vielleicht in dem grammatikalischen Deutsch des Berichtes nicht so gut ausgedrückt war.Dart ich abschließend noch einmal in die Rolle des Sachwalters der Soldaten hinüberwechseln. Ich hatte schon am Anfang gebeten, daß Sie den vorgeschlagenen Abhilfe- und Verbesserungsmaßnahmen des Jahresberichts Ihre Zustimmung nicht versagen, und ich bin mir dabei der Tatsache bewußt, daß die Verwirklichung dieser Vorschläge auch neue finanzielle Anstrengungen erforderlich macht. Kritiker der Bundeswehr und politische Gegner der Verteidigungsanstrengungen in diesem Land sollten darauf hingewiesen werden, daß sich auch andere Staaten ihre äußere Sicherheit vieles kosten lassen. Das neutrale Schweden, das sogar ein Ministeramt für Atom- und Abrüstungsfragen geschaffen hat, gab im vergangenen Jahr 183 Dollar pro Kopf der Bevölkerung für Verteidigung aus. Gemessen an der Bevölkerungszahl waren das die vierthöchsten Verteidigungsausgaben der Welt. Höhere gab es nur bei den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und in Israel. Ich meine, daß dieser Tatbestand uns alle nachdenklich stimmen muß, und daß bei aller Friedensliebe unsere nördlichen Nachbarn sich darüber klar zu sein scheinen, daß es auch für ein neutrales Land in der derzeitigen weltpolitischen Situation ohne eine wirksame Verteidigungsorganisation keine Sicherheit gibt. Gerade diesen Sachverhalt sollten wir uns vor Augen halten, wenn Diskussionen darüber geführt werden, was die Bundeswehr kostet. Ich spreche auch noch eine Banalität aus, wenn ich sage: Die Sicherheit hat ihren Preis, und daran führt uns kein Weg vorbei.
Wir danken dem Herrn Wehrbeauftragten. Nunmehr treten wir in die Mittagspause ein. Das Haus tritt um 14 Uhr wieder zur Fragestunde zusammen, um 15 Uhr zur Fortsetzung der Debatte. Es sind noch 16 Redner gegemeldet.
Ich unterbreche die Sitzung.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 5 der heutigen Tagesordnung — zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes — von der Tagesordnung dieser Woche abgesetzt werden. Ist
das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Dann treten wir ein in die Fragestunde
— Drucksache VI/2166 —
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Herold zur Verfügung. Die Frage 1 ist von Herrn Abgeordneten Dr. Mende eingebracht.
Wie beurteilt die Bundesregierung die in den Losungen zum 1. Mai 1971 vom Zentralorgan der SED aufgestellte Forderung: „Vollständige Abgrenzung von der imperialistischen BRD für die Herstellung normaler diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und BRD entsprechend den Regeln des Völkerrechts!" im Hinblick auf die Begegnungen von Erfurt und Kassel und die Gespräche der Staatssekretäre Bahr und Kohl?
Herr Staatssekretär!
Herr Präsident, ich darf die Frage wie folgt beantworten. In dieser 41. von insgesamt 45 Losungen der SED zum 1. Mai 1971 wird nichts gesagt, was nicht seit einem halben Jahr zum ständigen Repertoire der SED-Propaganda gehört. Daß sich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR „unvermeidlich ein objektiver Prozeß der Abgrenzung und nicht der Annäherung vollzog und vollzieht", hat zum ersten Mal Stoph am 7. Oktober 1970 in einer Rede aus Anlaß des 21. Jahrestages der DDR ausgesprochen. Seitdem ist das Bestreben der SED unverkennbar, in jede programmatische Aussage zur Deutschlandpolitik den Begriff der Abgrenzung einzufügen.Auf dem 14. Plenum des Zentralkomitees der SED, das vom 9. bis zum 11. Dezember 1970 tagte, gab Honecker dazu die parteiamtliche Interpretation:Friedliche Koexistenz zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und unversöhnlicher ideologischer Kampf gegen die bürgerliche Ideologie in all ihren Spielarten schließen einander nicht nur nicht aus, sondern bilden eine Einheit. Mehr noch: Ideologische Festigkeit und kompromißloser Kampf gegen die imperialistische Ideologie, gegen den Sozialdemokratismus sind eine wesentliche Voraussetzung für eine aktive Politik der friedlichen Koexistenz.Am 3. Mai 1971 erklärte Honecker, nunmehr Erster Sekretär des ZK der SED, in seinem Bericht über den XXIV. Parteitag der KPdSU vor dem 16. Plenum des Zentralkomitees:Indem der XXIV. Parteitag der KPdSU den grundsätzlichen Kurs sozialistischer Europapolitik mit aller Entschiedenheit bekräftigte, bestätigte er zugleich die Richtigkeit und die Notwendigkeit des von der 14. Tagung des Zentralkomitees unserer Partei dargelegten Prozesses, die sozialistische Deutsche Demokratische Republik vollständig von der imperialistischen BRD abzugrenzen. Das entspricht voll und ganz der Notwendigkeit, Beziehungen der friedlichen Koexistenz zwischen der DDR und der BRD
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Parlamentarischer Staatssekretär Herold— also zwischen Staaten verschiedener Gesellschaftsordnungen — herzustellen. Wie es nicht anders sein kann, verbinden unsere Partei und die Regierung der DDR zu jedem Zeitpunkt die entschiedene Zurückweisung jeglicher annexionistischer, revanchistischer Bestrebungen mit einer aktiven, konstruktiven Politik der friedlichen Koexistenz.Was folgt aus diesen Äußerungen? Im Sinne der Terminologie der SED bedeuten die Einführung und der ständige Gebrauch des Begriffs „Abgrenzung" nichts anderes als das dringende Bestreben, das ideologische Gebäude ihrer Politik in einer Zeit zu sichern, in der die DDR-Regierung Gesprächskontakte mit der Bundesregierung unterhält. Die Formel von der Abgrenzung ist daher von der DDR her verständlich. Sie widerlegt aber nicht die Richtigkeit der Bemühungen der Bundesregierung, zu einer Besserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland zu kommen.Andererseits wird die von der SED im gleichen Zuge zur Schau getragene ideologische Aggressivität von der Bundesregierung nicht mit Gleichgültigkeit hingenommen. Der Bundeskanzler hat mehrmals unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß aus unseren Bemühungen um eine Regelung der Verhältnisse in Deutschland nicht geschlossen werden könne, wir billigten die politisch-ideologischen oder gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR. So erklärte er anläßlich des Berichts der Bundesregierung — —
— Ich glaube, die Frage rechtfertigt — —
Herr Kollege, bitte, überlassen Sie die Entscheidung dem amtierenden Präsidenten.
Ich darf das Zitat des Herrn Bundeskanzlers wiederholen:
Es kann weder ideologisch noch gesellschaftlich eine Vermischung der Gegensätze, noch kann es eine Verniedlichung der Meinungsunterschiede geben; das gilt — leider gerade für die beiden Staaten in Deutschland, die so verschiedenen Systemen angehören. Aber auch diese beiden Staaten müßten ein friedliches Nebeneinander erreichen können, bei dem keiner den anderen bevormundet, sondern beide untereinander und nach außen ein Beispiel geben, daß friedliche Zusammenarbeit auch zwischen so unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Systemen möglich ist. Nation ist eine Frage von Bewußtsein und Willen.
Herr Kollege Mende, eine Zusatzfrage?
Zieht die Bundesregierung aus dieser Verhärtung der Haltung der DDR für ihre Taktik und Strategie die Konsequenzen, d. h. stellt sie den Maximalforderungen der DDR ihrerseits die Maximalforderungen und Positionen der freiheitlichen Gesellschaftsordnung gegenüber, oder glaubt die Bundesregierung, daß weiterhin die Methode des schrittweisen Nachgebens erfolgreicher sein wird?
Herr Kollege Dr. Mende, ich darf darauf antworten: erstens kenne ich kein Beispiel des schrittweisen Zurückgehens, vielmehr hat der deutsche Bundeskanzler in Kassel die 20 Punkte eindeutig auf den Tisch gelegt, und das ist Grundlage unserer Verhandlungen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Ist beispielsweise die Entwicklung in der Flaggenfrage nicht ein schrittweises Zurückgehen hinter die 20 Jahre lang von allen drei Parteien des Deutschen Bundestages eingenommene Position?
Ich möchte sagen: nein. Sie wissen genau, was das Olympische Komitee beschlossen hat und was uns anläßlich der Olympiade bevorsteht. Die Bundesregierung sah keinen Anlaß, diese Dinge weiter offenzuhalten. Sie mußten geklärt werden und sind im Interesse aller Sportler erledigt worden.
Ich rufe die nächste Frage — des Abgeordneten Dr. Schneider — auf:
Hält die Bundesregierung mit Rücksicht auf jüngste Festnahmen und Bestrafungen von Bürgern der Bundesrepublik Deutsdiland in der DDR die für Reisen in den anderen Teil Deutschlands getroffenen Aufklärungsmaßnahmen für ausreichend und, wenn nein, welche zusätzlichen Reisehilfen gedenkt sie vorzusehen?
Herr Staatssekretär, bitte!
Ich darf die Frage des Herrn Kollegen Schneider wie folgt beantworten. Im Hinblick auf die Unklarheiten über die in der DDR geltenden Bestimmungen für eine Reise in oder durch die DDR bemüht sich die Bundesregierung, die Bevölkerung über die Modalitäten einer solchen Reise sachlich und immer wieder zu informieren. Diesem Zweck dient insbesondere ein Merkblatt, das seit mehreren Jahren von meinem Hause herausgegeben und in Neuauflagen jeweils auf den neuesten Stand der Erkenntnisse gebracht und an alle Reisebüros im Bundesgebiet sowie Einzelanfragende verteilt wird. Seit dem Jahre 1967 sind über eine halbe Million Exemplare abgegeben worden. Eine Neuauflage in Höhe von 100 000 Stück wird bereits vorbereitet. Sämt-
Parlamentarischer Staatssekretär Herold
liche Reisebüros werden also laufend mit diesen Merkblättern versorgt. Außerdem erteilen die Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben, die unserem Haus ja untersteht, sowie mein Haus selbst eine große Anzahl telefonischer oder schriftlicher Auskünfte auf Einzelanfragen aus der Bevölkerung. Auch der Berliner Senat widmet sich dieser Aufklärungsarbeit.
In den verschiedensten Zusammenhängen werden immer wieder die Probleme einer Reise in oder durch die DDR durch Presse, Funk und Fernsehen aufgeworfen. Selbstverständlich erhalten auch diese Institutionen von unserem Hause immer wieder die Informationen, die sie benötigen. Eine weitergehende Aufklärung der Bevölkerung, als sie bereits jetzt geschieht, hält die Bundesregierung nicht für notwendig.
Bei dieser Gelegenheit gestatten Sie mir noch ein Wort zu den jüngsten Festnahmen im innerdeutschen Reiseverkehr, die zum Teil in der Presse eine starke Beachtung gefunden haben. Nach den Erkenntnissen der Bundesregierung, die auf einer — soweit dies überhaupt möglich ist — sorgfältigen Nachprüfung aller Einzelfälle beruhen, bedeuten die jüngsten Festnahmen kein Indiz dafür, daß das Sicherheitsrisiko bei einer Reise in oder durch die DDR größer geworden ist als bisher. Ohne auf Einzelheiten eingehen zu wollen, darf ich dem am stärksten interessierten Personenkreis, nämlich den Flüchtlingen, erneut sagen, daß ehemalige Bewohner der DDR bei einer Reise auf dem Landweg nach Berlin, bei einem Tagesbesuch Ost-Berlins von WestBerlin aus oder bei einer Reise in die DDR in der Regel nur dann gefährdet sind, wenn sie entweder nach dem 13. August 1961, also nach dem Bau der Berliner Mauer, geflüchtet sind oder wenn sie aus einem anderen Grund als dem der Flucht von den DDR-Behörden gesucht werden. Einige Zahlen mögen das soeben Gesagte verdeutlichen.
Im Jahre 1970 wurden bei einer Reise in oder durch die DDR insgesamt 120 Westdeutsche und Westberliner festgenommen. Die Zahl der Westdeutschen und Westberliner, die den Landweg nach Berlin in beiden Richtungen benutzt haben, betrug mehr als 7 Millionen; ferner sind etwa 1,2 Millionen Bewohner der Bundesrepublik Deutschland in die DDR gereist. Die Zahl der Westdeutschen, die von West-Berlin mit Tagesaufenthaltsgenehmigungen nach Ost-Berlin gegangen sind, ist nicht genau bekannt. Schätzungsweise dürfte es ungefähr 1 Million gewesen sein. Selbstverständlich sind in all diesen Zahlen auch die mehrfach Reisenden enthalten.
Während der ersten drei Monate des Jahres 1971 haben etwa 1,1 Millionen Westdeutsche und Westberliner den Landweg nach Berlin in beiden Richtungen benutzt; außerdem sind mehr als 150 000 Westdeutsche in die DDR gereist. Während dieses Zeitraums wurden von den DDR-Behörden 31 Westdeutsche und Westberliner festgenommen.
Ich wiederhole meine eingangs getroffene Feststellung, daß sich aus den bisherigen Festnahmen im innerdeutschen Reiseverkehr während des Jahres
1971 keine Rückschlüsse auf eine Vergrößerung des Sicherheitsrisikos ziehen lassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege?
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, den Betroffenen einen finanziellen Ausgleich für die nach unserem Rechtsempfinden ungerechtfertigt hohen Strafen zu gewähren?
Sehr geehrter Herr Kollege Schneider, ich möchte dieses Thema nicht hier im Plenum des Bundestages behandeln. Wenn Härtefälle vorliegen, ist die Bundesregierung bisher immer bereit gewesen, nach einer Möglichkeit zu suchen, eine Entschädigung zu leisten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, meine Frage im zuständigen Ausschuß ausführlicher zu beantworten?
Gern!
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Haack.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß auch die Festnahmen in der jüngsten Zeit nicht auf mangelnde Information, sondern auf die Tatsache zurückzuführen sind, daß sich manche Bürger in der Bundesrepublik nicht rechtzeitig über die Gefahren informiert haben, die mit einer Reise in die DDR verbunden sind, obwohl solche Informationen reichlich gegeben werden?
Ich kann das zum Teil bestätigen. Reisen in die DDR werden oft in Unkenntnis der Vorschriften und mangelhafter Vorbereitung angetreten.
Damit, Herr Staatssekretär, sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen beantwortet. Ich danke Ihnen.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Es liegen hierzu zwei Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. Früh vor. Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwortung ist Herr Bundesminister Dr. Eppler anwesend. Herr Minister, wollen Sie die Fragen im
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Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenEinvernehmen mit dem Fragesteller gemeinsam beantworten, oder sollen sie gesondert beantwortet werden?
Ich möchte sie gesondert beantworten.
Sie wollen sie gesondert beantworten. Dann rufe ich zunächst die Frage 3 auf:
Auf Grund welchen Zahlenmaterials kommt Herr Bundesminister Dr. Eppler im Bulletin der Bundesregierung vom 2. März 1971 zu der Aussage, daß Aussiedlerhöfe in BadenWürttemberg, die vor fünf Jahren übergeben wurden, heute unrentabel sind?
Bitte schön!
Herr Kollege, die Bemerkung in meinem Artikel vom 2. März 1971 im Bulletin beruhte auf Erfahrungen, die ich im Wahlkreis CalwFreudenstadt-Horb gemacht habe. Ich will Ihnen hier nur ein Beispiel nennen.
In der Stadt Wildberg im Schwarzwald wurden 1965, 66 9 Betriebe ausgesiedelt. Die durchschnittliche Größe dieser Aussiedlungshöfe lag bei etwa 13 ha. Von diesen 9 Höfen sind heute noch 3 Vollerwerbsbetriebe. Von den übrigen 6 ausgesiedelten Höfen haben zwei Betriebsinhaber eine Halbtagsbeschäftigung bei der Stadt Wildberg als Waldarbeiter angenommen, einer der Bauern betreibt im Lohnbetrieb die Fäkalienabfuhr der Stadt Wildberg, ein weiterer lebt heute hauptsächlich von einer Schäferei, die inzwischen auf Grund der rasch gewachsenen Zahl türkischer Gastarbeiter rentabel geworden ist, bei einem der Betriebe ist eine Reitschule die Haupterwerbsquelle; über die Aufgabe des sechsten Betriebs wird in den nächsten Tagen verhandelt.
Zusatzfragen, Herr Abgeordneter?
Herr Bundesminister, wäre es nach diesem eindrucksvollen Beispiel, das Sie aus Ihrem Wahlkreis angeführt haben, nicht sinnvoll gewesen, wenn Sie Ihren Ausführungen hinzugefügt hätten: im Kreis Calw, anstatt allgemein mit Ihrer Aussage die Aussiedlung, die gerade in BadenWürttemberg eine entscheidende Bedeutung gewonnen hat, in Frage zu stellen?
Herr Kollege Früh, vielleicht ist Ihnen bekannt, daß die ländliche Heimvolkshochschule in Hohenbuch schon 1968 auf Regionalebene festgestellt hat, daß 80 % aller Aussiedlungsbetriebe zu Zuerwerbsbetrieben herabgesunken sind, weil sie zu klein angelegt waren.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wenn Sie auch auf private Erhebungen Bezug nehmen, so ist Ihnen doch hoffentlich auch eine andere Zahl bekannt, nämlich daß in Baden-Württemberg — dabei wollen Sie bitte immer von den Größenverhältnissen der dortigen Struktur ausgehen — die durchschnittliche Betriebsgröße der ausgesiedelten Betriebe - nach Angaben des Ministeriums in Stuttgart - im Jahre der Aussiedlung 11,2 ha und im
Jahre 1969/70 23 ha betrugen und daß die Zahl der Großvieheinheiten zum Zeitpunkt der Aussiedlung 11,6 und 1969/70 28 Stück Großvieh betrugen? Ich darf in diesem Zusammenhang noch folgende Frage anschließen: Glauben Sie, daß — ausgehend von dem Strukturbild Baden-Württembergs — eine raschere Strukturverbesserung überhaupt möglich ist?
Herr Kollege, ich hatte in meinem Aufsatz im Bulletin folgendes gesagt:
Wenn im Staatsanzeiger von Baden-Württemberg Zwergschulen zum Verkauf angeboten werden, die in den 60er Jahren mit Staatszuschüssen gebaut wurden, wenn Aussiedlerhöfe, die vor fünf Jahren übergeben wurden, heute unrentabel geworden sind, dann wird der Zeithorizont sichtbar, unter dem damals gehandelt wurde.
Ich glaube, Herr Kollege, gerade die Tatsache, daß trotz Aufstockung der Aussiedlerhöfe, die wir ja beide begrüßen, so viele haben aufgeben müssen, zeigt doch, daß diese Bemerkung richtig war.
Herr Kollege, Sie haben keine Zusatzfrage mehr.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Früh auf:
Ist Herr Bundesminister Dr. Eppler bereit, seine negative Beurteilung der Aussiedlung an der ebenfalls von ihm zitierten Aussage eines Kommunalpolitikers aus einer Großstadt zu messen, daß „er hei jedem Schulbau Angst habe, er könne sich in fünf oder zehn Jahren als Fehlinvestition erweisen"?
Herr Kollege, ich habe die Aussiedlung als Instrument der Agrarpolitik nicht negativ beurteilt. Ich habe festgestellt, daß Investitionsentscheidungen, die ohne klares Konzept und unter einem zu engen Zeithorizont gefällt werden, das Geld des Steuerzahlers vergeuden. Das gilt auch für die oft noch neuen Zwergschulen, die heute zum Verkauf ausgeschrieben werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wenn Sie sagen „ohne klares Konzept und unter einem zu engen Zeithorizont", frage ich Sie: Würden Sie nicht zugeben, daß die Leute, die die Aussiedlungen
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Dr. Frühdamals vorgeschlagen haben und die Entscheidung zu treffen hatten, ob die Bauern aussiedeln sollten oder nicht, selbst bei aller Computerberatung nicht erwarten konnten, daß sich das Kosten-Ertrags-Verhältnis in der Landwirtschaft so rasch und so nachhaltig zu Lasten der Bauern verändern wird, wie das in den jüngsten Jahren geschehen ist?
Herr Kollege Früh, angenommen, es hätte sich etwas weniger rasch verändert — die Veränderung wäre vielleicht fünf Jahre später erfolgt , dann wäre die Investition dennoch falsch gewesen. Das war damals schon abzusehen. Das habe ich nämlich damals schon gesagt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, es ist doch sicherlich auch Ihnen bekannt, daß ein — hier speziell bäuerlicher — Betrieb nicht deshalb rentabel ist, weil er groß ist, sondern er wird größer, weil er rentabel ist. Könnten aus dieser Konsequenz nicht doch einige Folgerungen für die Agrarpolitik gezogen werden?
Ich bin nicht Bundesminister für Landwirtschaft, der Konsequenzen zu ziehen hätte, sondern ich habe eine Feststellung gemacht, bei der ich bleibe und die, wie ich jetzt festgestellt habe, sogar noch wesentlich richtiger war, als ich zu dem Zeitpunkt, als ich sie gemacht habe, glaubte.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Schneider aus dem Geschäftsbereich ides Bundesministers der Justiz wird vom Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen beantwortet.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung der eingebrachten Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Logemann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Ehnes auf:
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen in den Niederlanden aus Mitteln des Entwicklungs- und Sanierungsfonds Beihilfen zu den Erzeugerkosten für bestimmte Arten von Grünfutter gewährt werden, wenn Verpflichtungen zum Ausbau und zur Grünfuttertrocknung eingegangen werden?
Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Ehnes, der Entwicklungs- und Sanierungsfonds für die Landwirtschaft in den Niederlanden gewährt für den fünfjährigen Anbau von Grünfutter auf mindestens 5 ha einzelner Erzeuger oder Zusammenschlüsse einen degressiven Zuschuß, wenn das Grünfutter an eine von einem Erzeuger kooperativ abhängende Trocknungsanlage geliefert wird. Die Beihilfe wird für Anträge gewährt, die vor dem 1. März 1971 eingegangen sein müssen. Die niederländische Maßnahme ist am 1. Dezember 1970 in Kraft getreten. Die Beihilfenregelung gilt mit Rücksicht auf den Gesamtbetrag der zur Verfügung stehenden Mittel — 5 Millionen holländische Gulden für maximal 4000 ha.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist diese Beihilferegelung in Brüssel mit Zustimmung der Bundesregierung beschlossen worden?
Soviel ich weiß, nicht. In der Antwort auf Ihre zweite Frage gehe ich noch weiter auf Ihre Argumente ein.
Dann rufe ich die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Ehnes auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß diese Maßnahme einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil darstellt, der noch dadurch eine Verschärfung erfährt, daß die Heizölpreise in diesem Mitgliedstaat niedriger sind als in der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Staatssekretär!
In Übereinstimmung mit den übrigen Mitgliedstaaten, ausgenommen die Niederlande, sieht die Bundesregierung in ,dieser Maßnahme eine wettbewerbsverzerrende Beihilfe zu den Produktionskosten, insbesondere bei der Produktion von Milch und Fleisch. In diesem Zusammenhang sind jedoch die Heizölpreise ohne ausschlaggebende Bedeutung, denn im Vergleichszeitraum Ende 1970/ Anfang 1971 haben die Preise für leichtes Heizöl in beiden Ländern etwa das gleiche Niveau gehabt. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaft hat eine kurzfristige Entscheidung gemäß Art. 92 und 93 des EWG-Vertrages zugesagt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung im Ministerrat gegen eine solche Maßnahme, wie sie in Holland ergriffen wird, interveniert, oder ist die Bundesregierung bereit, in Deutschland eine entsprechende Maßnahme zu ergreifen?
Ich glaube, daß ich zum Ausdruck gebracht habe, daß wir zu den Ländern in der EWG
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Parlamentarischer Staatssekretär Logemanngehören, die schon in Ihrem Sinne interveniert haben. Wir sehen in der in Holland getroffenen Maßnahme eine wettbewerbsverzerrende Beihilfe zu den Produktionskosten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Röhner.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung dann, wenn die Intervention, von der Sie eben sprachen, keinen Erfolg haben sollte, bereit, in dem gleichen Bereich adäquate Maßnahmen zugunsten der deutschen Landwirtschaft zu ergreifen?
Ich muß erst das Ergebnis der Verhandlungen abwarten. Ich kann dazu heute keine konkreten Aussagen machen. Das wäre ein Eingriff in ein laufendes Verfahren. Wir hoffen ja, daß die Niederländer auf Grund des gemeinsamen Vorgehes von fünf Partnerländern einlenken und die wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen abbauen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Früh.
Herr Staatssekretär, wäre es Ihnen, falls die Holländer von ihrer Regelung nicht abgehen, im Ministerium hilfreich, wenn von unseren Trocknungsanlagen Beweismaterial dafür geliefert werden könnte, daß sie gerade in jüngster Zeit enorme Kostensteigerungen auf Grund des gestiegenen Heizölpreises zu verzeichnen hatten?
Das wäre durchaus hilfreich. Wir überprüfen ja, ob hier Wettbewerbsverzerrungen auf Grund unterschiedlicher Kosten in der Bundesrepublik und in den Niederlanden gegeben sind.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bittelmann.
Herr Staatssekretär, meine Frage schließt sich an die Frage an, die eben Herr Früh gestellt hat. Ist Ihnen bekannt, daß die Preise für schweres Heizöl, das ja in den landwirtschaftlichen Trocknungsanlagen verwandt wird, innerhalb der letzten 18 Monate von 68 DM auf 115 DM je Tonne gestiegen sind und daß die Trocknungsanlagen in ihrer Rentabilität dadurch sehr zurückgeworfen worden sind?
Herr Kollege Bittelmann, das ist in unserem Hause und auch mir durchaus bekannt.
Wir kennen diese Entwicklung. Ich gehe nachher im Zusammenhang mit einer weiteren Frage, die zu den Heizölkosten gestellt worden ist, noch auf dieses Thema ein. Ich möchte hier auch auf eine Antwort verweisen, die ich kürzlich schon auf eine Frage des Kollegen Gallus gegeben habe. Dieses Problem ist uns also durchaus bekannt.
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Kiechle auf, die sich ebenfalls mit Maßnahmen der niederländischen Regierung befaßt:
Ist es richtig, daß die holländische Regierung besondere Überbrückungsmaßnahmen beschlossen hat, die zum Ziel haben, Liquiditätsschwierigkeiten einzelner Obsterzeugerbetriebe zu beheben?
Herr Präsident, darf ich, da die Fragen im Zusammenhang stehen, beide Fragen zusammen beantworten?
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 50 des Herrn Abgeordnete Kiechle auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich bei der EWG-Kommission für eine Klärung dieser Sachverhalte einzusetzen und gegebenenfalls auf ein Verbot der Maßnahmen zu dringen?
Bitte!
Die niederländische Regierung gewährleistet im Rahmen eines allgemeinen Sozialhilfegesetzes jedem Bürger ein bestimmtes Existenzminimum. Diese Regelung ermöglicht es u. a., selbständigen Betriebsinhabern, deren Betriebe in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, befristet aus Mitteln des Staates und der Kommunen verbürgte Überbrückungkredite zu gewähren. Das Darlehen wird erst nach vorheriger völliger Ausschöpfung aller, auch privaten, Kreditmöglichkeiten bereitgestellt. Der Begünstigte hat den Kredit mit jährlich 10 % zu tilgen und die normalen Bankzinsen zu zahlen. Die Zinsen des ersten Jahres werden vom Staat übernommen. Mit Rücksicht auf die Notlage des Obstbaus hat die niederländische Regierung bestimmte Sonderdurchführungsregelungen für diesen Bereich erlassen. Antragsmöglichkeiten bestehen nur für lebensfähige Betriebe. Etwa 2700 Obtbaubetriebe sind antragsberechtigt. Davon haben 1969/70 ca. 500 Betriebe Hilfen erhalten. Der verbürgte Kredit beträgt im Durchschnitt 40 000 Gulden. 1969/ 70 ist die erste Rückzahlungsrate des Kredits in einen verlorenen Zuschuß umgewandelt worden.
Diese Überbrückungsmaßnahmen wurden nicht nur in den entsprechenden Gremien bei den Kommissionen der Europäischen Gemeinschaften erörtert, sondern sie waren auch Gegenstand einer eingehenden Aussprache in Den Haag im Februar 1971 zwischen Vertretern meines Hauses und des Bundesausschusses Obst und Gemüse einerseits und den verantwortlichen niederländischen Herren andererseits. Da es sich bei den niederländischen Maß-
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
nahmen um eine horizontale Förderung handelt, die sich gleichmäßig auf alle, auch gewerblich-mittelständische Existenzen erstreckt und sozial angelegt und motiviert ist, haben weder die Bundesregierung noch die Kommission Veranlassung, dagegen vorzugehen. Die Bundesregierung hat andererseits aber aus der augenblicklichen wirtschaftlichen Lage der Obstbauwirtschaft die erforderlichen Konsequenzen gezogen, indem sie den deutschen Obstbau von der gesamten Zinslast für zinsverbilligte Kredite für die Jahre 1970/71 freizustellen beabsichtigt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Kiechle : Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß eine -- wenn auch unter sozialer Firmierung gewährte — Unterstützung dieser Art letzten Endes doch eine sehr beträchtliche Subventionierung niederländischer Obstbaubetriebe darstellt?
Ich kann Ihnen nur sagen, daß gerade dieses Problem sehr eingehend auch zwischen den von mir genannten Gremien beraten und geprüft worden ist und daß man hier zu der Auffassung gekommen ist, daß dies eine allgemeine Maßnahme sei, die nicht gegen Regelungen des Gemeinsamen Marktes oder Vorstellungen der Kommission verstößt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ritz.
Herr Staatssekretär, würde Ihre Antwort bedeuten, daß es unter Umständen auch in der Bundesrepublik mit entsprechender sozialer Motivation möglich wäre, speziellen Betrieben auf diese Weise zu helfen, indem man ein Darlehen in einen verlorenen Zuschuß umwandelt?
Ich glaube, daß es auch dieses Problem schon gegeben hat. Wenn ich an die Situation der letzten Zeit denke, war es doch auch so, daß gerade in gefährdeten Bereichen der Landwirtschaft - z. B. bei Aussiedlungsbetrieben, wenn sie sich an die Verteilung der 480 Millionen DM erinnern -
auch hier besondere Maßnahmen eingeleitet worden sind.
Damit sind die beiden Fragen beantwortet.
Ich rufe die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Rainer auf:
Trifft es zu, daß den Gartenbaubetrieben in den Niederlanden staatliche Hilfe gewährt wird, wenn sie Kredite für die Beschaffung von Heizöl aufnehmen?
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Wollen Sie auch hier die Fragen gemeinsam beantworten oder lieber getrennt?
Ich könnte sie getrennt beantworten.
Bitte schön!
Es trifft zu, daß den niederländischen Gartenbaubetrieben staatliche Hilfe gewährt wird, wenn sie Kredite für die Beschaffung von schwerem Heizöl aufnehmen. Die Hilfe besteht in Übernahme der Zinsen für Kredite in Höhe der Kostendifferenz zwischen dem Heizölpreis und dem in den Niederlanden niedrigen Erdgaspreis.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, welche Kredite würde die Bundesregierung gewähren, wenn niedrige Gartenbaupreise einträten?
Darauf kann ich Ihnen jetzt keine konkrete Antwort geben; denn das holländische Problem stellt sich bei uns nicht in der gleichen Relation.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß sich jetzt auf Grund der Antworten, die Sie auf die Fragen 47 bis 51 geben mußten, herauskristallisiert, daß die Niederländer offensichtlich auch außerhalb der EWG-Regelungen ein sehr wirksames System für ihre Gartenbau- und Obstbaubetriebe anwenden?
Herr Kollege Kiechle, ich habe vorhin schon auf die Antwort verwiesen, die ich neulich auf eine Frage des Kollegen Gallus gegeben habe. Die Situation in den Niederlanden ist folgende. Erstens wird bei der Umstellung der Heizungsanlagen von 01- auf Erdgasheizung ein Zuschuß gewährt. Zweitens werden die Zinsen erstattet, wenn die Heizung noch nicht auf das in Holland billigere Erdgas umgestellt werden konnte und Kredite in Höhe der entstandenen Kostendifferenz aufgenommen wurden. Der zinslose Kredit macht bisher 9,15 Gulden je Tonne schweres Heizöl aus und soll auf 13,15 Gulden erhöht worden sein. Drittens wird eine 75prozentige Rückerstattung der Verbrauchsteuer für Heizöl gewährt. Die Rückerstattung beträgt 10,50 Gulden je Tonne schweres Heizöl.
Damit ich mich nun wirklich bemüht habe, alles ausführlich darzustellen, darf ich weiter auf ein Schreiben des Herrn Staatssekretärs Dr. Griesau
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
vom 1. März 1971 — ebenfalls an den Kollegen Gallus — in diesem Zusammenhang verweisen.
Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ehnes.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Antworten entnehmen, daß die Bundesregierung wirklich alles tun wird, um diesen Wettbewerbsunterschied zu beseitigen, zumal gerade die Niederlande durch die Aufwertungsentscheidung im Jahre 1969 noch einen weiteren Wettbewerbsvorteil haben?
Die Bundesregierung wird immer sehr genau prüfen, wieweit echte Wettbewerbsverzerrungen sichtbar werden. Wir haben dann zu überlegen, mit welchen Mitteln wir hier einen Ausgleich erzielen können. Das hängt doch immer wieder jeweils von den haushaltsmäßigen Möglichkeiten ab, die wir bei diesen Maßnahmen mit einplanen müssen.
Ich rufe die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Rainer auf:
Ist es richtig, daß die anfallenden "Linsen von der öffentlichen Hand getragen werden?
Die Frage 52, Herr Präsident?
Das ist die Frage 52. Sie haben vorhin auf meine Frage erklärt, daß Sie die beiden Fragen getrennt beantworten wollten.
.Ja.
Die Zinsen werden erstattet, wenn die Gartenbaubetriebe ihre Heizung noch nicht auf das billige Erdgas umstellen konnten und Kredite in Höhe der Kostendifferenz aufgenommen haben.
Ich hatte diese Frage soeben schon mit dem Hinweis auf die Antwort an den Kollegen Gallus beanwortet.
. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg.
Herr Staatssekretär, nach Ihren Antworten auf die Fragen 47 bis 52 darf ich fragen: Ist die Bundesregierung bereit, uns eine Zusammenstellung der Förderungsmaßnahmen der holländischen Regierung für ihre Landwirtschaft zu geben und zu überprüfen und
auch dem Hause mitzuteilen, welche entsprechenden Maßnahmen in der Bundesrepublik ergriffen werden können?
Herr Kollege, das würde eine sehr, sehr umfangreiche Arbeit werden. Ich darf aber darauf hinweisen, daß bei den letzten Beratungen im Ministerrat mit vereinbart worden ist, daß die Wettbewerbsungleichheiten festgestellt werden sollen und ein entsprechender Katalog aufgestellt werden roll. Vielleicht wäre darin auch das enthalten, was Sie fiber Holland wissen möchten.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Röhner auf:
Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Vorlage einer Regelung über die Gewährung von Zuschüssen an Landwirte für den Aufbau einer neuen selbständigen Existenz?
Herr Kollege Röhner, wegen des Sachzusammenhangs möchte ich gern beide Fragen zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe ferner die Frage 54 des Abgeordneten Röhner auf:
Zu welchem Zeitpunkt wird die Bundesregierung eine Regelung für die Gewährung von Zuschüssen zur Sicherung der späteren Altersversorgung dieser selbständig Erwerbstätigen vorlegen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Die Bundesregierung hat eine Regelung über die Gewährung von Zuschüssen für den Aufbau einer neuen selbständigen Existenz aus zwei Gründen bisher noch nicht vorgelegt.
In den vorbereitenden Besprechungen mit den Ländern sind rechtliche Bedenken gegen die Zuständigkeit des Bundes aufgetaucht. Darüber hinaus haben die Länder für eine Beibehaltung der Landabgabeprämie an Stelle der Zuschüsse zum Aufbau einer selbständigen Existenz plädiert.
Zum anderen ließ es die Diskussion um die von der Opposition angestrebte Öffnung der Rentenversicherung für alle Selbständigen geraten erscheinen, zunächst abzuwarten. Hier bietet sich nämlich die Möglichkeit, auch denjenigen Landwirten, die eine neue selbständige Existenz ergreifen, einen Zuschuß zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung zu gewähren und damit unmittelbar zur Alterssicherung dieses Personenkreises beizutragen. Die Bundesregierung wird ihre Vorschläge hierzu vorlegen, sobald die Frage der Rentenversicherung für Selbständige geklärt ist.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Röhner.
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7084 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Herr Staatssekretär, ist die rechtliche Seite dieses Problems nicht schon zu einem Zeitpunkt von der Bundesregierung überprüft worden, als die gleiche Bundesregierung gerade diese Maßnahme als einen besonderen Teil ihres sozialen Ergänzungsprogramms im Herbst 1970 herausgestellt und veröffentlicht hat?
Herr Kollege, ich glaube, das ist damals durchaus mit berücksichtigt worden. Ich darf aber auch hier auf die Einstellung der einzelnen Länder zu diesem Problem hinweisen und darauf, daß doch die Frage einer Öffnung der Rentenversicherung in letzter Zeit immer aktueller geworden ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Röhner.
,Herr Staatssekretär, wenn das bekannt war und berücksichtigt worden ist, wie konnte dann trotzdem die Bundesregierung in den Haushaltsplan 1971, und zwar bei Einzelplan 10 Kap. 02 Tit. 656 54, genau fixierte Beträge für Zuschüsse zur Sicherung der späteren Altersversorgung des selbständig Erwerbstätigen einsetzen?
Herr Kollege, ich möchte dazu sagen, wir haben diese Mittel vorsorglich eingesetzt. Ich habe nicht gesagt, daß wir diese Mittel nicht ausgeben wollen, sondern daß wir sehr überlegen, wie die Entwicklung bezüglich der Öffnung der Rentenversicherung weitergehen wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nach diesen Antworten muß ich Ihnen konkret die Frage stellen: Gedenkt die Bundesregierung, das Haushaltsgesetz 1971 in diesen Positionen zu vollziehen und dafür die notwendigen Vorarbeiten durchzuführen und die Richtlinien endlich zu erlassen oder nicht?
Die Bundesregierung wird sehr genau prüfen, wie weit die Entwicklung ist ich habe das eben betont --, und dann entsprechende Vorlagen dazu machen. Mehr kann ich Ihnen heute nicht sagen.
Ich rufe die nächsten Fragen des Herrn Abgeordneten Schröder auf.
— Herr Kollege, ich wäre wirklich sehr dankbar, wenn sich Kollegen, die Zusatzfragen haben, rechtzeitig erkennbar meldeten. Herr von Thadden, ich genehmige die Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, besteht nicht die Gefahr, daß die für diese Positionen eingestellten Haushaltsmittel am Ende des Haushaltsjahres verfallen, wenn die Richtlinien nicht oder zu spät erlassen werden?
Ich glaube, die Mittel werden nicht verfallen. Wir haben eine sehr aufmerksame Opposition, die wird hier schon rechtzeitig aufpassen.
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Herausgeber der Verbraucherkorrespondenz über die „enormen Rationalisierungsreserven" der Landwirtschaft zu unterrichten und gleichzeitig auf das verzerrte Kosten-Preis-Gefüge gerade gut geführter und struktrell gesunder Betriebe hinzuweisen?
Herr Kollege, Ihre Anfrage bezieht sich zunächst auf die Ausführungen in der „Verbraucherpolitischen Korrespondenz" vom 23. Februar 1971, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände. Meine Antwort auf Ihre Frage lautet, daß die Bundesregierung nicht nur bereit ist, die Herausgeber der „Verbraucherpolitischen Korrespondenz" über die Verhältnisse in der Landwirtschaft zu unterrichten, sondern daß auch ein laufender Gedankenaustausch über die von der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände vertretenen Auffassungen besteht. In ständigen Kontaktgesprächen zwischen der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände und den verantwortlichen Herren im BML werden auf verschiedenen Ebenen freimütig alle Fragen der Landwirtschaft und der Verbaucher erörtert. Gerade in den letzten Gesprächen über die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Landwirtschaft im laufenden Wirtschaftsjahr, die sich im übrigen auch auf die Situation am Schweinemarkt bezogen, waren sich die Teilnehmer darüber einig, daß es in der heutigen Situation gilt, Mißverständnisse auszuräumen und die Verbraucher über die schwierige Lage der Landwirtschaft aufzuklären.
Keine Zusatzfragen? Danke.Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Schröder auf:Kann die Bundesregierung der von der Verbraucherkorrespondenz verbreiteten Meinung entgegentreten, daß nach Sanierung der ländlichen Räume enorme Finanzmittel frei werden, um notwendige Reformen in anderen Bereichen durchführen zu können, die Landwirtschaft also als finanzieller Bremsklotz für anderweitige Reformen dargestellt wird?Bitte, Herr Staatssekretär!
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7085
Herr Kollege Schröder, Sie fragen, ob die Bundesregierung der Meinung entgegentreten kann, daß nach Sanierung der ländlichen Räume Finanzmittel für notwendige Reformen in anderen Bereichen frei werden. Sie beziehen sich offensichtlich auf den Aufsatz „Agrarpolitik im Nebel" in der „Verbraucherkorrespondenz" vom 9. März 1971. Hierzu gilt das gleiche, was ich soeben bezüglich des Gedankenaustauschs mit der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände ausgeführt habe. Darüber hinaus ist es nicht beabsichtigt und auch nicht möglich, die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände etwa in der Richtung zu beeinflussen, daß sie ihre Veröffentlichungen mit den agrar- und ernährungspolitischen Zielsetzungen der Bundesregierung in Einklang bringt. Die Bundesregierung kann lediglich versuchen, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Erzeugern und Verbrauchern Mißverständnisse auszuräumen, das gegenseitige Verständnis aller am Wirtschaftsgeschehen Teilnehmenden zu fördern und deren gleichlaufende Interessen zu betonen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, da Sie auch bei dieser Frage wieder von dem Gedankenaustausch zwischen den Verbraucherverbänden und Ihrem Hause sprechen, drängt sich da nicht die Vermutung auf, daß dieser Gedankenaustausch bisher keine großen Früchte getragen hat? Sonst wären doch solche Artikel nicht mehr möglich und denkbar.
Herr Kollege Schröder, ich darf Ihnen sagen, daß wir wirklich einen sehr intensiven Gedankenaustausch pflegen, wie ich es eben schon dargestellt habe. Allerdings wird dieser Gedankenaustausch nie so weit gehen können, daß wir damit unsere Zielvorstellungen der Agrarpolitik in die Meinung der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände umformen können.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard.
Herr Staatssekretär, würden Sie bei dem Meinungsaustausch mit den Verbraucherverbänden vielleicht auch die Änderung des Preis-Kosten-Verhältnisses in der Bundesrepublik und in den anderen Partnerländern durch die Aufwertung bzw. die Abwertung im Jahre 1969 zur Sprache bringen und darauf hinweisen, daß sich dieses Preis-Kosten-Verhältnis sehr stark zuungunsten der deutschen Landwirtschaft verschoben hat?
L
Herr Kollege Dr. Reinhard, darüber haben oftmals Gespräche stattgefunden. Dieses Problem ist Gegenstand der Beratungen gewesen. Ich möchte nicht so weit gehen, zu sagen, daß sich die Lage der deutschen Landwirtschaft infolge der D-Mark-Aufwertung 1969 schwieriger gestaltet habe. Das müßte man sehr genau untersuchen. Es wird in nächster Zeit sogar einen Bericht dazu geben.
Aber im übrigen wird dieses Problem laufend erörtert. Ich halte es auch für dringend notwendig, daß wir uns bemühen, mit den Verbraucherkreisen engste Verbindung aufzunehmen. Ich halte es für dringend notwendig, daß mehr Aufklärung als bisher z. B. über die Entwicklung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise und der Verbraucherpreise gebracht wird.
Ich lasse keine weitere Zusatzfrage dazu mehr zu.
Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Dr. Eyrich auf. — Ist der Herr Abgeordnete im Saal? — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann werden diese und die nächste Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Eyrich schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Susset auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung, daß schlechte Betriebsstrukturen, ungünstige Standorte und Bodenverhältnisse, Fehlinvestitionen und unzureichende Qualifikation der Betriebsleiter die Hauptursache dafür sind, daß ein Teil der Landwirtschaft an dem allgemeinen Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik Deutschland nicht voll teilnimmt, wie es in der Verbraucherkorrespondenz vom 9. März 1971 dargestellt ist?
Bitte schön!
Herr Kollege Susset, schlechte Betriebsstrukturen, ungünstige Standorte und Bodenverhältnisse, Fehlinvestitionen und eine den steigenden Anforderungen nicht immer adäquate Qualifikation der Betriebsleiter tragen nach Ansicht der Bundesregierung sicher auch dazu bei, daß ein Teil der landwirtschaftlichen Betriebe an ,dem allgemeinen Wirtschaftswachstum nicht voll teilnimmt. Die Bundesregierung ist daher bestrebt, durch eine konsequente Weiterentwicklung der Maßnahmen zur Förderung des Strukturwandels, durch die Forderung nach einer sorgfältigen Investitionsplanung und -kontrolle im Rahmen der Investitionsförderung und durch Verbesserung des Bildungs- und Ausbildungsangebots im ländlichen Raum für diesen Teil der landwirtschaftlichen Bevölkerung günstigere Voraussetzungen für eine Teilnahme an dem allgemeinen wirtschaftlichen Wachstum zu schaffen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zu bestätigen, daß es bei einem Minus der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise, wie es heute
7086 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12, Mai 1971
Susset
vom Staatsministerium Baden-Württemberg festgestellt wird, von 9,4 % im letzten Jahr und bei einer Steigerung der Produktionsmittelpreise von 10 bis 18 % auch bei bester Qualifikation der Betriebsleiter nicht möglich ist, einen Ausgleich in dem Sinne zu erzielen, wie es in diesem Artikel zum Ausdruck kommt?
Herr Kollege, dazu kann ich nur sagen, daß gerade der Bereich, den Sie ansprechen, nämlich die gut- und beststrukturierten Betriebe, im Augenblick mit unsere Hauptsorge darstellt, weil wir gerade in den Betrieben, in denen von der Struktur und der Rationalisierung her alles getan wird, eine Entwicklung in Richtung roter Zahlen beobachten, die die Bundesregierung verhüten will. Die dazu getroffenen Maßnahmen sind Ihnen bekannt. Ich darf an die zusätzliche Verteilung der 480 Millionen DM erinnern.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es Ihnen möglich — beispielsweise über das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung oder über andere Ihnen zugängliche Publikationsmittel — dafür zu sorgen, daß in der Öffentlichkeit deutlich wird, daß die Landbewirtschaftung an ungünstigen Standorten nicht nur der Landwirtschaft wegen aufrechterhalten wird, sondern daß damit auch ein Beitrag zur Erhaltung unserer Kulturlandschaft geleistet wird, wie es der Herr Bundeskanzler anläßlich der Abschlußkundgebung zum Europäischen Naturschutzjahr deutlich zum Ausdruck brachte.
Herr Kollege, wir versuchen ständig, solche Veröffentlichungen in die Presse zu bringen; es geschieht auch laufend. Wenn Sie die Mitteilungen des BML lesen, erkennen Sie, daß wir wirklich sehr stark tätig sind. Darf ich hinzufügen, daß es uns ein besonderes Anliegen ist, deutlich zu machen, daß die sogenannte innere Disparität der Landwirtschaft in Vorgängen oder Entwicklungen, die Sie schon angezeigt haben, durchaus plausible Ursachen hat. Es ist vergessen worden, dabei die Marktferne zu erwähnen. Das alles versuchen wir ständig aufklärend in die Bevölkerung hineinzubringen.
Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Susset auf:
Teilt die Bundesregierung die Meinung, daß der ganze Agraretat einschließlich der EWG-Zahlungen und sonstiger nicht auf den Betrieb bezogenen Maßnahmen durch globale Umrechnung auf den Einzelbetrieb (12 000 DM) so verzerrt und irreführend in der Öffentlichkeit dargestellt werden kann (wie es in der Verbraucherkorrespondenz vom 9. März 1971 geschehen ist)?
Die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß die Allgemeinheit mit Aufwendungen für den landwirtschaftlichen Betrieb in Höhe von 12 000 DM jährlich belastet wird. Diese Darstellung der „Verbraucherkorrespondenz" vom 9. März 1971 läßt wesentliche Tatsachen unberücksichtigt. Die Haushalte des Bundes und der Länder sind nach dem sogenannten Ressortprinzip aufgestellt, d. h. der Einzelplan 10 des Bundeshaushalts, der Agraretat, enthält alle Einnahmen und Ausgaben, die in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten fallen. Von den hier veranschlagten Ausgaben kommt jedoch nur ein Teil den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben zugute. Zum Beispiel werden erhebliche Beträge für überbetriebliche Strukturmaßnahmen und damit für die Wirtschaftskraft und die Lebensverhältnisse in den ländlichen Regionen aufgewendet. Außerdem tragen sie in erheblichem Maße zur Erhaltung der Kulturlandschaft bei. Diese Mittel kommen letztlich der Allgemeinheit zugute.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir hier bestätigen, daß die in den 12 000 DM pro Betrieb enthaltenen Leistungen besonders, was Zahlungen für die EWG anbelangt — in erster Linie Mittel sind, die mehr als Beiträge zur europäischen Integration — die von uns allen gewollt ist — angesehen werden müssen, als daß es Zahlungen für die deutsche Landwirtschaft sind?
Ja; ich möchte aber doch dabei zu bedenken geben wenn Sie an die EWG-Zahlungen erinnern —, daß diese EWG-Zahlungen wiederum dem deutschen Markt und dem deutschen Verbraucher zugute kommen zum Teil.
Sie haben als Fragesteller die Möglichkeit einer weiteren Zusatzfrage.
Sind Sie ferner bereit, zu bestätigen, daß Soziallasten, wie sie auch in diesem Artikel angesprochen werden, nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für viele andere Berufszweige entstehen und daß der Steuerzahler deshalb nicht nur für Sozialleistungen für die Landwirtschaft in Anspruch genommen wird, sondern auch für andere Berufsgruppen?
Durchaus. Auch das ist in der letzten Zeit immer wieder geschehen; aber vielleicht können wir hier noch verstärkt wirken.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kiechle.
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Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7087
Herr Staatssekretär, wären Sie so freundlich zu veranlassen, daß die „Verbraucherkorrespondenz" berichtigte Zahlen veröffentlicht, nachdem sie die falschen und irreführenden veröffentlicht hat?
Herr Kollege, sicher wird die „Verbraucherkorrespondenz" das erfahren, was in der Fragestunde des Bundestages gesagt wurde. Ich nehme an, daß darauf reagiert werden wird.
Herr Kollege, Sie haben auch die Möglichkeit, durch einen umfangreichen Schriftwechsel, durch Leserzuschriften und ähnliches das Verhältnis mit der heute oft zitierten „Verbraucherkorrespondenz" zu beleben.
Ich rufe die letzte Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, die Frage Nr. 61 des Abgeordneten Dr. Hauser , auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die während ihrer Regierungszeit eingetretene Baukostensteigerung durch Verbesserung der Förderkonditionen im einzelbetrieblichen Förderungsprogramm gebührend zu berücksichtigen, oder hält sie nach wie vor an der Aussage fest, die gegenwärtige Situation würde keine Änderung der Richtlinien erfordern ?
Herr Kollege Dr. Hauser, die Richtlinien für die Förderung von einzelbetrieblichen Investitionen in der Land- und Forstwirtschaft vom 1. Januar 1971 sehen gegenüber denjenigen vom 8. Dezember 1968 für den einzelnen Antragsteller besondere finanzielle Verbesserungen vor. Bei Aussiedlungen und Althofsanierungen soll ein um 20 % höherer Betrag an zinsgünstigen öffentlichen Darlehen gewährt werden, so daß sich der Höchstbetrag an öffentlichen Darlehen um 20 000 DM bei Aussiedlungen, bei baulichen Maßnahmen im Altgehöft im Normalfall um 10 000 DM erhöht. In Grünlandbetrieben kann bei Althofsanierung sogar ein um 30 000 DM höheres öffentliches Darlehen in Anspruch genommen werden als bisher. Daneben sind auch die Mittel für die Erschließungsbeihilfe, Altstellengarantie und die Zinsverbilligung erhöht. Eine Erhöhung darüber hinaus wird gegenwärtig nicht für erforderlich gehalten.
Um in denjenigen Fällen, die sich zur Zeit in der Durchführung befinden, die Finanzierung zu erleichtern und an das einzelbetriebliche Förderungsprogramm anzupassen, hat die Bundesregierung beschlossen, bei Aussiedlungen bzw. Althofsanierungen, die 1970 bzw. 1971 nach den Richtlinien vom 8. Dezember 1966 bewilligt wurden oder werden, die öffentlichen Darlehen auf Antrag um bis zu 20 % zu erhöhen. Zu diesem Zweck stehen 50 Millionen DM aus Kap. 1003 zur Verfügung. Der Haushaltsausschuß hat hierzu in seiner Sitzung am 6. Mai 1971 die nach § 5 Abs. 4 des Haushaltsgesetzes erforderliche Zustimmung erteilt, so daß den Bundesländern die Einzelheiten der Vergabe nunmehr mitgeteilt werden.
Eine Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicher bekannt, daß auch das neue Förderprogramm ganz allgemein als nicht ausreichend angesehen wird und das Baukostensteigerungen bis zu 30 % eingetreten sind. In meinem Heimatland Baden-Württemberg weisen jüngste Buchführungsergebnisse eine Disparität bis zu 50 % aus. Ist es darum nicht notwendig, auch die Konditionen im Förderprogramm beschleunigt neu zu fassen, um nicht gerade die betroffenen Landwirtschaftsbezirke sträflich zum Stiefkind unserer deutschen Bundesrepublik zu machen?
Uns sind die erhöhten Baukosten durchaus bekannt. Ich habe aber auch darauf hingewiesen, daß wir unsere Förderungsmittel erhöht haben. Ich wiederhole, daß in Grünlandbetrieben eine erhebliche Erhöhung vorgenommen worden ist. Das Bundesdarlehen ist jetzt gegenüber früher um 60 % höher. Wir sind hier von 50 000 auf 80 000 DM Darlehen gegangen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Früh.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie in Ihrer Antwort ausdrücklich noch einmal auf die besseren Bedingungen für Aussiedlungen eingegangen sind, frage ich Sie: Welche Vorstellungen von der Größe her gesehen hat die Bundesregierung heute von Aussiedlungen, um nach fünf Jahren — nach Herrn Bundesminister Eppler - nicht auch in die Lage zu kommen, nach dem Sinn oder Unsinn Ihrer Investitionen gefragt zu werden?
Herr Kollege Dr. Früh, ich habe Verständnis, daß Sie das Sie sehr interessierende Problem noch mit einer weiteren Frage aufnehmen wollen. Aber es steht leider nicht mehr in dem notwendigen unmittelbaren Zusammenhang mit der hier eingereichten Frage.Damit, Herr Staatssekretär, sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet. Ich danke Ihnen und rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.Die Fragen 14, 15 und 16 werden auf Wunsch der Fragestellter schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die nächste Frage ist von Herrn Abgeordneten Mursch eingebracht. Der Herr Abgeordnete ist im Saal.Wie wäre gegenwärtig — unter Berücksichtigung der Bundestags- und Landtagswahlen seit dem 28. September 1969 — die Zusammensetzung der Bundesversammlung?Bitte schön!
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7088 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Herr Kollege Mursch, die Bundesversammlung ist keine ständige Einrichtung. Vielmehr werden Ort und Zeit ihres Zusammentritts nach § 1 des Gesetzes über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung vom 25. April 1959 zum Präsidenten des Bundestages bestimmt. Die Frage ist demnach nur so zu verstehen, daß Auskunft über die Zusammensetzung einer auf den gegenwärtigen Zeitpunkt bezogenen fiktiven Bundesversammlung gewünscht wird. Danach ergibt sich zum jetzigen Zeitpunkt folgende Sitzverteilung: CDU/CSU 511 Sitze, SPD 463 Sitze, FDP 54 Sitze, NPD 6 Sitze, Sonstige 2 Sitze.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Auf Grund welcher Kompetenzen und welcher Überlegungen hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, an dem jetzt konstituierten „Gemeinsamen Ausschuß für Kulturarbeit" mitzuwirken?
Herr Kollege Dr. Meinecke, der Bund hat unbestritten im kulturellen Bereich eine ungeschriebene Kompetenz aus der Natur der Sache, Aufgaben zu fördern, die im bundesstaatlichen Gesamtverband ihrem Wesen nach dem Bund eigentümlich sind, weil sie Belange der gesamtstaatlichen Repräsentation angehen. Auf diese Befugnis ist verfassungsrechtlich die Mitwirkung der Bundesregierung in dem Gemeinsamen Ausschuß gegründet.
Die Bundesregierung hat sich bei dem Entschluß zur Mitwirkung im Gemeinsamen Ausschuß von folgenden sachlichen Überlegungen leiten lassen: Die organisierte Zusammenarbeit zwischen den kommunalen Spitzenverbänden, den Ländern und dem Bund eröffnet die Möglichkeit, die vielfältigen kulturellen Bemühungen in der Bundesrepublik wirksamer zu gestalten und auch für die Bildungspolitik mehr als bisher nutzbar zu machen. Ebenso wird dadurch den kulturellen Bestrebungen des Auswärtigen Amtes im Ausland zusätzliche Unterstützung zuteil.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, die Gründung dieses Gemeinsamen Ausschusses ist von der Öffentlichkeit bemerkenswert wenig beachtet worden. Die Zeitungskommentare waren eher kritisch und zurückhaltend als positiv. Wie können Sie diese mangelhafte Öffentlichkeitswirksamkeit dieser Einrichtung erklären, und was gedenken Sie dagegen zu tun?
Herr Kollege Dr. Meinecke, ich bin als Vertreter der Bundesregierung bei der Konstituierung dieses Ausschusses dabei gewesen.
Der Ausschuß hat, da er mit einem sachlichen Arbeitsprogramm erst einmal anfangen und seine nächste Sitzung im September dieses Jahres durchführen will und da er bis dahin eine Fülle von sachlichen Basisunterlagen für seine Arbeit erstellen muß, von sich aus erst einmal großen Wert darauf gelegt, in einer nüchternen Bestandsanalyse seine Arbeit zu beginnen, ohne daß er mit großem Aplomb an die Öffentlichkeit getreten ist.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist gewährleistet, daß unabhängig von der notwendigen Bestandsanalyse und dann den Zielvorstellungen im gesellschaftlichen Bereich beim Aufbau kultureller Einrichtungen auch einmal überlegt wird, welche Funktion und welcher Rollen- und Stellenwert kulturellen Einrichtungen in einer sich sehr rasch wandelnden Gesellschaft in bezug auf Freizeit, Städtebauentwicklung usw. überhaupt zukommen, so daß man die Zielvorstellungen später auf diese modernen Gesichtspunkte abstellen kann?
Ich glaube sicher, daß man davon ausgehen kann, denn die erste Diskussion im Ausschuß hat gezeigt, daß die dort anwesenden Vertreter der Länder, der kommunalen Spitzenverbände und des Bundes großen Wert darauf gelegt haben, sich mit einer progressiven Arbeitsmethode dort zu engagieren.
Die nächste Frage ist von Herrn Abgeordneten Storm eingebracht. Ich sehe den Herrn Abgeordneten nicht. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg auf:
Kann die Bundesregierung mitteilen, welche Gesamtauflage mit welchen Titeln die Tageszeitungen der „KonzentrationGmbH" besitzen und welcher Anteil davon in der Amtszeit der derzeitigen Bundesregierung erworben wurde?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege Dr. SchulzeVorberg, die Bundesregierung beabsichtigt, in den Entwurf eines Bundespresserechtsrahmengesetzes eine Verpflichtung zur Veröffentlichung von Besitz- und Beteiligungsverhältnissen an Verlagsunternehmen aufzunehmen. Ein entsprechender Modellentwurf der Länderinnenminister liegt bereits vor. Vor dem Wirksamwerden einer derartigen Regelung stehen der Bundesregierung für die Beobachtung von Auflagenzahlen und Eigentumsverhältnissen an Verlagsunternehmen keine anderen Quellen zur Verfügung als die von privater Seite veröffentlichten. Über die „Konzentration-GmbH" ist zuletzt im Schlußbericht der Pressekommission vom 14. Juni 1968 — Bundestagsdrucksache V/3122 — berichtet worden. Neuere Daten sind mir nicht bekannt.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7089
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich demnach unterstellen, daß der Bundesregierung z. B. nicht bekannt ist, daß die „Konzentration-GmbH" noch kürzlich in Hannover wieder einen Titel aufgekauft hat?
Das mag im einzelnen der Fall gewesen sein. Aber im Pressewesen gibt es ständige Veränderungen in allen Bereichen, so daß wir daraus nicht schließen können, daß sich hier nur diese eine Veränderung ergeben hätte.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe Frage 21 des Herrn Abgeordneten Wagner auf:
Wurden mit dem Sofortprogramm der Bundesregierung zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung, von dem nach einer Presseverlautbarung des Bundesinnenministeriums vorn 3 Mai 1971 alle Einzelvorhaben bereits angelaufen und eine Reihe von Programmpunkten bereits erledigt sind, schon konkrete Erfolge in bezug auf die Verbrechensbekämpfung erzielt?
Herr Kollege Wagner, Ziel des Sofortprogramms der Bundesregierung zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung ist es, das Bundeskriminalamt in den nächsten Jahren zu einer leistungsfähigen und den modernen Erfordernissen entsprechenden Zentrale für die Verbrechensbekämpfung auszubauen und damit insbesondere sicherzustellen, daß es seinen gesetzlichen Auftrag als Nachrichtensammel- und -auswertungsstelle insbesondere für die Länderpolizeien, besser als bisher erfüllen kann. Wesentlicher Bestandteil des Programms ist daher die Verbesserung der personellen und materiellen Ausstattung des Bundeskriminalamtes. Obwohl seit Verabschiedung des Sofortprogramms erst ein halbes Jahr vergangen ist, lassen sich bereits jetzt erste positive Auswirkungen feststellen.
Als Folge der angelaufenen Personalvermehrung und der Vervollkommnung der Kommunikationsmittel ist die Auskunftsfähigkeit des Bundeskriminalamtes gegenüber den Polizeien der Länder verbessert worden. Der Kommunikationsfluß ist insbesondere durch den inzwischen abgeschlossenen Aufbau des Bildübertragungsnetzes zwischen dem Bundeskriminalamt und den Ländern schneller geworden. Fingerabdrücke, Lichtbilder, Beweismittel und sonstige Unterlagen über tatverdächtige Personen werden in immer größerer Zahl den Ländern in kürzester Zeit zur Verfügung gestellt. Allein in der Zeit vom 1. Januar bis Anfang März dieses Jahres konnten dadurch 610 Personen identifiziert werden, darunter 82 mit falschem Namen, was ein Beispiel für Erfolge in der Verbrechensbekämpfung ist. Durch die Einrichtung einer besonderen Organisationseinheit und durch Einrichtung eines besonderen Meldedienstes hat das Bundeskriminalamt seine Tätigkeit als Nachrichtensammel- und -auswertungsstelle auch auf die politisch motivierte Ausländerkriminalität ausgeweitet.
Unmittelbare Erfolge des Bundeskriminalamtes in der Verbrechensaufklärung lassen sich für die Fälle nachweisen, in denen das Bundeskriminalamt exekutive Strafverfolgungsmaßnahmen selbst wahrgenommen hat. Als Beispiele seien genannt die Aufdeckung eines Münzverbrechens, bei dem mehr als 2 Millionen DM Falschgeld hergestellt worden waren, Ende des vergangenen Jahres und erst kürzlich die Zerschlagung einer großen internationalen Bande mit Schwerpunkt im Frankfurter Raum. Sie hat eine Vielzahl von Pelz- und Juweliergeschäftseinbrüchen verübt und steht im Verdacht, ebenfalls Falschgeld hergestellt und verteilt sowie illegalen Waffenhandel betrieben und Kraftfahrzeuge ins Ausland verschoben zu haben. In diesem Verfahren konnten bisher 38 Personen festgenommen werden.
Diese Ergebnisse sind um so bemerkenswerter, als sie mit einer erst im Aufbau befindlichen Ermittlungsgruppe mit einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Beamten erzielt werden konnten. Sie lassen hoffen, daß sich der weitere Ausbau des Bundeskriminalamtes, der ein mehrjähriges Programm umfaßt, zunehmend günstig auch auf die Verbrechensbekämpfung auswirken und damit das mit dem Sofortprogramm erstrebte Ziel erreicht wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind bei der Verwirklichung dieses Sofortprogramms irgendwelche Schwierigkeiten aufgetreten?
Die Schwierigkeiten, fachlich qualifiziertes Personal für diese Aufgabenstellung zu bekommen, kennen Sie aus der ständigen Betreuung im Innenausschuß seit Jahren. Zusätzliche andere Schwierigkeiten sind im Moment nicht feststellbar.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist die Fragestunde abgelaufen.
Meine Damen und Herren, wir setzen die Debatte zur Sicherheitspolitik, Punkt 4 a bis d der heutigen Tagesordnung, mit der Wortmeldung des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch fort. Seine Fraktion hat eine Redezeit von 25 Minuten angemeldet. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich den Vormittagsausführungen des Kollegen Wienand zunächst noch kurz einige Bemerkungen anfügen. Zunächst möchte ich es bedauern, daß er die sehr konkreten Fragen, die der Kollege Marx ihm gestellt hat, in keiner Weise hier beantwortet hat. Ich rufe sie noch einmal in Ihre Erinnerung. Herr Kollege Marx hat ihn hier gefragt, wer denn nun nach Meinung des Kollegen Wienand eigentlich die Spannungen hier in Europa geschaffen habe, etwa wir durch die Bun-
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7090 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. Klepschdeswehr und unseren Eintritt in die NATO oder sogar die NATO selber? Er hat ihn weiter gefragt: Liegen die oftmals genannten und jetzt durch die Ostpolitik versteckten Spannungsursachen nicht vielmehr in der sowjetischen Teilungs- und rigorosen Machtpolitik mitten in Europa, mitten in Deutschland und in Berlin? Er hat ihn drittens gefragt: Wo, Herr Kollege Wienand, ist denn nun eigentlich Spannung abgebaut worden? Wir hätten es für gut gehalten, wenn der Kollege Wienand auf diese konkreten Fragen hier geantwortet hätte.Statt dessen hat er sich vor allem über zwei Fragenkomplexe verbreitet, zu denen es sich lohnt, eine kurze Bemerkung zu machen. Er hat einmal davon gesprochen, daß sich die Doktrin der friedlichen Koexistenz auf konservative Besitzstandswahrung beschränke. Ich glaube, daß wir es hier mit einem fundamentalen Mißverständnis hinsichtlich der Doktrin der friedlichen Koexistenz beim Kollegen Wienand zu tun haben. Er sieht die Sache statisch. Die Kommunisten haben sie zu allen Zeiten und ebenso heute ganz klar und präzis als ein dynamisches Prinzip verstanden, das sich unter drei Grundgesichtspunkten vollzieht. Einmal werden die Machtpositionen des sozialistischen Lagers, insbesondere der Sowjetunion, in der Zeit der friedlichen Koexistenz fortgesetzt ausgebaut - darüber haben die Kollegen Adorno und Marx heute morgen anschaulich berichtet -, während nach der Doktrin der friedlichen Koexistenz das gegenüberstehende sogenannte kapitalistische Lager einen dauernden Abbauprozeß durchlaufe. Zweitens wüßten die Kräfte der proletarischen Einheitsfront in dieser Zeit sich immer größeren Raum in den nicht kommunistisch beherrschten Ländern zu verschaffen mit dem Ziel des Übergangs von Land zu Land aus dem sogenannten kapitalistischen Lager in das sogenannte sozialistische Lager. Drittens beschleunige der Raum der Entwicklungsländer in dieser Phase diesen Prozeß. Das ist von Anfang an die Doktrin der friedlichen Koexistenz ihrem Inhalt nach gewesen und ist es ihrer Praxis nach auch heute. Es ist ganz sicher ein dynamisches Prinzip, das auch dynamisch gehandhabt wird, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben.
Ein zweiter Punkt! Der hat uns nun nicht mehr gewundert nach dem, was wir in den letzten Tagen in diesem Haus erlebt haben. Herr Kollege Wienand sprach davon, daß wir die Krise in der Bundeswehr oder in der Verteidigungspolitik herbeizureden suchten.
Das besagt, daß wir dadurch, daß wir als Opposition im Deutschen Bundestag darauf hinweisen, welche Probleme uns jeweils besonders beschäftigen müssen und welche kritischen Anmerkungen vorzutragen sind — wobei wir durchaus der Auffassung sind, daß Verteidigungspolitik eine gemeinsame Aufgabe für uns ist —, daß wir also, wenn wir unsere Aufgabe als Opposition wahrnehmen, gewissermaßen die Dinge in Umordnung bringen. Ein so fundamentales Mißverständnis von den Aufgaben der Opposition in der parlamentarischen Demokratie muß uns um so mehr verwundern, als auch der Herr Bundeskanzler und andere in den letzten Tagen die kritischen Ausführungen der Opposition jeweils zur Politik der Regierung mit demselben Mißverständnis begleitet haben.
— Herr Würtz, das ist ja so. Der Kollege Wienand— Sie können es im Protokoll nachlesen — hat ja so geredet. Wir denken nicht daran, irgendeine Krise herbeizureden. Im Gegenteil, unser aller Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, daß der Verteidigungsauftrag von uns gemeinsam so abgedeckt wird, daß die notwendige Abschreckung, der notwendige Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Sicherheit des Bündnisses der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft erbracht wird.Ich darf mich einigen Bemerkungen zu dem Fragenkomplex zuwenden, den wir heute erörtern. Ich möchte zunächst sagen, daß wir dabei sind, die Komponenten der Strategie der NATO, ob „flexible response" oder erst recht bei realistischer Abschreckung, neu zu überdenken. Ich hatte diese Frage schon bei meinem letzten Beitrag in diesem Hause aufgeworfen. Für jedermann ist heute sichtbar, dal3 der Einsatz sogenannter taktischer und sauberer Atomwaffen in Mitteleuropa immer problematischer wird. Ich darf in diesem Zusammenhang nur auf die sogenannte Lawrence-Studie verweisen. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, General Trettner, hat unter Bezugnahme auf eben diese Studie ausgeführt, der Einsatz taktischer Nuklearwaffen würde unter Berücksichtigung des derzeitigen konventionellen Kräfteverhältnisses einen Angreifer insofern in eine günstige Lage versetzen, als sich dabei „die konventionellen Verbände der vorderen Welle in rasender Geschwindigkeit verzehren" und der Westen über weniger Reserven verfügt. Aber man muß auch ein anderes Argument des Generals Trettner würdigen. Er argumentiert nicht nur militärisch, sondern trägt auch vor, daß der Einsatz taktischer Nuklearwaffen überwiegend aus politischen und psychologischen Gründen abzulehnen sei, da sie das dichtbesiedelte Land— unser Land — zur Wüste machen und der Bevölkerung unzumutbare Verluste auferlegen würden. Es dürfte sinnvoll sein, einen Kommentar unserer Partner in der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft zur Lawrence-Studie einzuholen.Aber welche Bedeutung mißt dann die Bundesregierung den konventionellen Kräften des Bündnisses und vor allem der Bundeswehr bei? Was versteht sie unter realistischer Abschreckung? In der Antwort auf die Große Anfrage vermissen wir leider eine präzise Auskunft bzw. überhaupt eine Auskunft zu dieser Frage.
Der Kollege Wienand hat hier die Frage aufgeworfen, ob nicht durch eine Reduzierung der Zahl
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7091
Dr. Klepschder Divisionen -- er sprach von acht statt zwölf — die Probleme der Personallage unserer Armee bewältigt werden könnten. Dazu halte ich für meine Fraktion, die CDU/CSU, folgendes fest.Erstens. Es ist die vordringliche Aufgabe, die Kampfkraft und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr im Rahmen des Bündnisses, ,das für die Gewährleistung unserer Sicherheit unabdingbar ist, zu erhalten und zu vermehren.Zweitens. Die Personallage in der Bundeswehr ist besorgniserregend. Die Beseitigung dieser Situation ist eine gemeinsame Aufgabe. Bei der gegenwärtigen Struktur unserer Einheiten ist dies ein außerordentlich schwieriges und komplexes Problem. Die Bundeswehr hat einen Personalstand von höchstens 500 000 Mann. Damit können, wie die Erfahrung gezeigt hat, zwölf Divisionen in ihrer gegenwärtigen Struktur neben den anderen Erfordernissen nicht voll aufgefüllt werden. Wie die von der Bundesregierung eingesetzte Wehrstrukturkommission in ihrem Bericht vom Februar feststellt, hat das Heer der Bundeswehr mit seinen 314 000 Mann ohnehin eine Aufgabe zu bewältigen, die in anderen Armeen nur mit 400 000 Mann geleistet werden kann.Drittens. Wenn die anhaltend problematische Personallage eine entscheidende Ursache der gegenwärtigen Schwierigkeiten ist, sehen wir unsere Aufgabe darin, die Bundesregierung bei der Lösung dieses Problems nachhaltig zu unterstützen.
Wir wissen, daß das nicht von heute auf morgen geht. Dies hängt nicht nur von der Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel ab. Es hängt auch davon ab, inwieweit es uns gelingt, Auftrag und Aufgabe der Bundeswehr wieder in der ganzen Gesellschaft glaubwürdig werden zu lassen.
Um in dieser Zeit der Bundeswehr eine konsolidierende Entlastung zu gewähren, stellt die CDU/ CSU einen Notbehelf, wie wir ausdrücklich erklären, zur Diskussion. Die Bundesregierung sollte prüfen, Herr Minister, ob nicht die zwölf Divisionen in jeweils zwei voll aufgefüllte und eine Kaderbrigade gegliedert werden könnten. Dabei ist es unser Ziel, die Personallage in den aufgefüllten Brigaden entscheidend zu verbessern und zu entspannen und die Kaderbrigaden nur so lange bestehen zu lassen, bis sich die personelle Situation im Hinblick auf längerdienende Soldaten insgesamt entsprechend entschärft hat. Dieser Notbehelf setzt also voraus: Für die Kaderbrigaden muß die materielle Ausstattung mit Waffen und Gerät voll erhalten bleiben. Ihre potentielle Feuerkraft darf nicht eingeschränkt werden. Bei einer Verbesserung der Personallage muß dies Zug um Zug der Auffüllung der Kaderbrigaden zugute kommen. Die Allianz muß dieser organisatorischen Regelung zustimmen. Auch heute kommt es unseres Erachtens nicht in Betracht, an den beiden Eckpositionen, 500 000 Mann und zwölf Divisionen, zu rütteln.In diesem Zusammenhang frage ich die Regierung und insbesondere den Herrn Minister der Verteidigung nach den Ergebnissen, die die von Minister Schröder eingesetzte Kommission zur Straffung und Organisation der Streitkräfte erarbeiten sollte. Welche Straffungen sind inzwischen durchgeführt worden? Ist schon geprüft worden, welche Stabsebene oder welche Stabsebenen entfallen und wo Einsparungen im logistischen Bereich, der meines Erachtens ohnehin erheblich übersetzt ist, vorgenommen werden könnten? Kann nicht hierdurch der personelle Engpaß erheblich gemildert werden? Das freizusetzende Personal müßte doch dazu beitragen.Wir machen uns ernste Sorgen über die Entwicklung, die die Verteidigungsstreitmacht der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Bündnisses in den kommenden Jahren nehmen wird. Wir stehen dabei vor der Tatsache der Kostenexplosion; das wurde auch heute morgen schon von Ihnen berührt. Die inflationäre Entwicklung fordert unabdingbar, den Verteidigungshaushalt zu erhöhen. Die von der Regierung genannten bisherigen Zuschlagsraten der mittelfristigen Finanzplanung sind wie vieles dem Trümmerhaufen der Wirtschaftspolitik dieser Regierung zuzurechnen.
— Das ist doch klar, wenn Sie mit einer inflationären Rate von bis zu 5 % rechnen und nur 4 % Steigerungen für den Verteidigungshaushalt in der mittelfristigen Finanzplanung vorsehen, ergibt sich das ganz zwangsläufig.
— Das ist die reine und lautere Wahrheit.
Daran sollten Sie sich gewöhnen.Aber der Verteidigungsminister hatte ja recht, als er Mitte März in Essen feststellte, daß solche Genossen aus der Partei hinausgeschmissen werden müßten, die Forderungen erheben, die nicht realisierbar sind. Das ist eine Frage, die wir auch heute im Zusammenhang mit der Durchleuchtung der Probleme auf dem Verteidigungshaushaltssektor erörtern müssen.Wir können nicht glauben, daß Helmut Schmidt bei seinem Wort vor dem Parteirat der SPD bleibt — ich zitiere —:Ich habe gleichwohl nicht die Absicht, für den Verteidigungshaushalt auch nur eine Million oder 1 % mehr zu verlangen, als in der mittelfristigen Finanzplanung drinsteht.Das ergibt die Lage, die sich aus der Entwicklung des Bundeshaushaltes überhaupt ergeben hat, wie ich glaube.Aber uns macht zusätzlich Sorge, daß die Regierung in den zurückliegenden eineinhalb Jahren eine Vielzahl von zusätzlichen Programmen und Versprechungen verkündet hat, die eine Fülle von Erwartungen in der Öffentlichkeit und in der Truppe ausgelöst haben, Erwartungen, die sich auf eine ganze Reihe von Sektoren beziehen und die nicht nur mit außerordentlichen organisatorischen, juristischen und ge-
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Dr. Klepschsetzgeberischen Maßnahmen verbunden sein müssen, sondern die darüber hinaus beträchtliche finanzielle Mehraufwendungen erforderlich machen.Wenn der Verteidigungsminister in vielen seiner Erklärungen die 80er Jahre oder gar das Ende dieses Jahrhunderts anvisiert und dabei ein realistisches Bild der anhaltenden oder steigenden Bedrohung durch die Weltmacht Sowjetunion abgibt, so kann er sich nicht damit glaubwürdig entschuldigen, daß er nicht zu erklären in der Lage sei, wie die Rüstungsplanung im einzelnen und in der mittelfristigen Finanzplanung im besonderen für die nächsten vier Jahre aussehen soll. Von ihm erwarten wir eine Antwort auf die von uns in der Großen Anfrage gestellten Fragen.Die Bundesregierung hat sich ausgeschwiegen. Wir müssen uns die Frage stellen, warum sie das getan hat. Wir haben den Eindruck, daß sie zuerst einmal — wie auf so vielen anderen Gebieten — eine Bestandsaufnahme ihrer Ankündigungen machen muß, um dann festzustellen, wieviel diese Versprechungen kosten, und um dann weiter festzustellen, welche davon gestreckt, welche davon gekürzt, welche davon gesperrt und welche gestrichen werden müssen und so nur Theaterdonner bleiben.Frühzeitig haben wir darauf hingewiesen, welche Rückwirkungen die Umschichtung als Dauererscheinung auf den Rüstungshaushalt bei steigenden Personalkostenanteilen haben muß, und davor gewarnt. Bereits jetzt zeichnet sich dieses Dilemma auf dem Rüstungssektor deutlich ab. Nicht zuletzt deswegen ist wohl die dringend erforderliche Fortschreibung des Rüstungsplanes nicht erfolgt. Kann man heute noch angesichts dieser Entwicklung unsere Sorge in den Wind schlagen, daß uns ein Veralten unserer Ausrüstung droht? Gerade eine sozial voll zufriedengestellte Armee würde die Diskrepanz zwischen Auftrag und den durch die Ausstattung bedingten Möglichkeiten als unerträglich empfinden müssen.Wir hören nur unausgewogene partielle Aussagen. So müssen wir uns fragen, wie bei der immer schmaler werdenden Finanzdecke ein brauchbares Marinekonzept finanziert werden soll, ein Marinekonzept, das sich auch auf die Nordsee erstreckt. Was soll aus dem vom Bundestag einmütig gebilligten Großprojekt MRCA werden, das für die Kampfkraft und Einsatzstärke der gesamten Bundeswehr von so entscheidender Bedeutung ist? Wie soll schließlich die Lücke in der Luftabwehr und wie die Fülle von Beschaffungsprogrammen, die für das Heer notwendig sind, von uns bewältigt werden? Das Heer soll ja nach den Aussagen des Ministers wie des Bündnisses in Bewegung und Feuerkraft verstärkt werden. Werden die Sowjets nicht vermehrt die Gelegenheit erhalten, die drohende Zunahme der militärischen Asymmetrie in Europa politisch voll auszunutzen? Und wo und wann haben sie solche Gelegenheiten nicht genutzt?
Schon im Jahre 1970 wurde 1 Milliarde DM aus dem Haushalt gestrichen. Eine beklagenswerte Sache. Eine ähnliche Situation droht auch für dasJahr 1971. Das muß auch im Zusammenhang mit den Umschichtungsmaßnahmen gesehen werden, die den Haushalt künftig offenbar als Dauererscheinung begleiten und belasten. Sie bedeuten eine einschneidende Reduzierung des für den Rüstungsbereich vorgesehenen Finanzvolumens — und das ungeachtet der sich vollziehenden Kostenexplosion auf den Gebieten der Materialerhaltung, Reparatur, Ersatzteilbeschaffung und dergleichen mehr.Die Regierung wird sich auch fragen müssen, ob es der richtige Weg ist, mit großer Publizität Projekte — ich nenne hier nur die Vorschläge der Wehrstrukturkommission zu Fragen der Wehrgerechtigkeit und die von der sogenannten EllweinKommission erarbeiteten Modelle für Bildung und Ausbildung — in die öffentliche Diskussion zu bringen, ohne vorher die Verwirklichung und die Kostenfrage ausreichend geklärt zu haben. In beiden Fällen ist es doch so, daß überhaupt keine detaillierte Übersicht über die einmaligen Aufwendungen vorhanden ist. In dem einen Fall, dem ich mich nun zuwenden will, nämlich im Fall der Vorschläge der Wehrstrukturkommission sind erfreulicherweise wenigstens die laufenden Kosten schätzungsweise ermittelt worden. Nach den berichtigten Erhebungen dürften sie heute bei jährlich 600 Millionen DM liegen. Ich weise aber darauf hin, daß die einmaligen Kosten, die ich mit rund einer dreiviertel Milliarde DM veranschlagen würde, dabei nicht in Rechnung gestellt sind, Mittel, die dem Verteidigungshaushalt zusätzlich unbedingt zugeführt werden müßten. Ich frage mich, ob eine so aufwendige Maßnahme wie diese wirklich dazu beitragen wird, das angestrebte und vom Minister verkündete Ziel, nämlich die Heranziehung aller und somit die Wehrgerechtigkeit zu erreichen. Offenbar wird zunächst die Heranziehung von eingeschränkt Tauglichen die Personallage weiter belasten. Ist denn aber mit den Vorschlägen der Kommission zur Wehrgerechtigkeit die Lösung des Problems der Wehrgerechtigkeit für alle, die verkündet wird, verbunden? Man muß auf diese Frage leider mit Nein antworten. Allenfalls wird sich der Prozentsatz der Herangezogenen ändern. Rechtfertigt diese begrenzte Zielsetzung den Aufwand an Mitteln, an organisatorischen Veränderungen, an Kampfkrafteinbuße?
Ich muß hier auf den Adorno-Bericht zurückkommen. Die jetzigen Vorschläge führen hinter den AdornoBericht zurück. Wenn es uns darum zu tun ist, wirklich eine Lösung dieses Problems, so gut wir es immer vermögen, zu finden, müssen wir das ganze Paket so nehmen, wie es der Kollege Adorno heute morgen so einleuchtend gesagt hat.Die Regierung hat eine Fülle von Erwartungen geweckt, die schwer verwirklichbar und finanziell nicht abgesichert sind und die daher zu neuen 'Spannungen führen müssen. Auch der Verteidigungsminister hat sich, wie die übrigen Regierungsmitglieder, in einem Netz selbstgestrickter Ankündigungen gefangen. Wir empfehlen ihm, eine Bestandsaufnahme aller Versprechungen zu machen und dann Prioritäten zu setzen. Er sollte vor allem
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Dr. Klepschklarstellen, was in dieser Legislaturperiode noch bewältigt werden kann. Dabei darf er aber auch nicht aus dem Auge verlieren, daß die fortlaufende Umrüstung und Weiterentwicklung der Ausrüstung unserer Streitkräfte auch über das Jahr 1973 hinaus eine vorrangige Aufgabe bleibt, die nur durch eine entsprechende Disposition von Mitteln bewältigt werden kann. Auch die schwierige Tagessituation — gerade auf dem Rüstungssektor darf nicht zu einem Verhalten führen, das man mit dem Wort „Nach uns die Sintflut!" umschreiben könnte. Wir hoffen sehr, daß wir den Herrn Minister dabei unterstützen können, daß es nicht zu einem solchen Verhalten kommt.Meine Damen und Herren, es ist ganz sicher außerordentlich schwierig, in der Fülle der Probleme dann einen Überblick über die finanziellen Möglichkeiten zu behalten, wenn fortgesetzt organisatorische Veränderungen, zusätzliche Projekte und Maßnahmen in die Diskussion eingeführt werden. Selbstverständlich gibt es auch bei uns niemanden, der nicht zur Kenntnis nähme, daß die allgemeine Entwicklung, die die Haushaltssituation dieser Regierung in erster Linie dank der von ihr zu vertretenden Politik genommen hat, ihre Auswirkungen auch auf den Verteidigungssektor hat. Um so mehr werden wir es uns angelegen sein lassen — und das möchte ich hier ausdrücklich sagen —, der Regierung und dem Minister bei den Aufgaben, die in dieser Legislaturperiode noch bewältigt werden müssen, so wie bisher — und ich darf an dieser Stelle einmal ausdrücklich sagen, daß wir allen hier zur Vorlage gekommenen Entwürfen unsere Zustimmung nicht versagt haben — unsere Stimmen leihen werden, um gemeinsam die Verteidigungsbereitschaft der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft mit zu gewährleisten und dafür Sorge zu tragen, daß die Bundesrepublik Deutschland weiter in Frieden und Freiheit leben kann.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein paar Bemerkungen machen dürfen zu den Ausführungen des Herrn Wehrbeauftragten. Ich habe, für die Bundesregierung sprechend, schon in der letzten Debatte, die sich mit Fragen der Bundeswehr beschäftigte, dem Herrn Wehrbeauftragten Dank gesagt; ich muß das heute nicht wiederholen.Er hat heute vormittag ein paar Bemerkungen, wie auch schon schriftlich geschehen war, zu der kriegsentscheidenden Frage der Haartracht und der Barttracht gemacht und gemeint, dies sei ein Unruheherd in der Truppe. Da bin ich aber sehr dankbar, daß es ein so harmloser Unruheherd ist. Die Truppe muß ab und zu einmal einen Unruheherd haben, sonst weiß sie nicht, woran sie sich mit ihrer Unruhe aufhängen soll.
Ich kann dieses Thema nicht noch ein zweites Mal ernsthaft behandeln, das habe ich vor fünf Wochen hier schon getan. Aber um es ein bißchen zu persiflieren mit einem ganz kleinen Quäntchen Ernsthaftigkeit darin: wissen Sie, wenn ältere Soldaten, ältere Offiziere oder ältere zivile Bürger, die sich in der Denk- und Gefühlseinstellung mit älteren Offizieren einig wissen, meinen, wir sollten doch eigentlich den jungen Leuten auferlegen, kurze Haare zu tragen, die könnten sich doch schließlich an irgendwelche Vorschriften dieser Art halten, das wäre doch für die Disziplin und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr sehr gut, wenn wir das gegenüber Wehrpflichtigen könnten, dann könnten wir das ja auch gegenüber älteren Offizieren. Dann bin ich dafür, daß wir auch älteren Offizieren Vorschriften über ihre Haartracht machen, aber nicht so, wie diese gern ihr Haar tragen möchten, sondern so, wie ich das anordne: lange Haare, lange Koteletten.
Dann hätten wir ja auch das Recht dazu, denen vorzuschreiben, wie Herr Schulz beispielsweise Koteletten zu tragen; ich finde das ganz nett. Dann würde der Effekt eintreten, daß ein großer Teil der Wehrpflichtigen sich die Haare ganz kurz schneidet und keinen Bart mehr trägt aus Protest gegen die Modeauffassung der Alten. Was soils denn? Kann man denn wirklich nicht ein bißchen Humor walten lassen?Im übrigen hat Herr Schulz natürlich recht, wenn er darauf hinweist — so hat er sich ausgedrückt, meine ich; ich habe es mir aufgeschrieben, als er sprach —, daß mancherorts das Vertrauen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen nicht ausreiche, daß Diskussion notwendig sei und daß man auch den Untergebenen erklären müsse, warum eine Lage so ist und nicht anders und warum ein Vorschlag nicht akzeptiert werden kann oder warum erst im nächsten Jahr.Dies möchte ich nun sehr ernsthaft vertiefen. Ich habe mir hier ein paar Truppenzustandsberichte von Hauptleuten, auch von etwas höheren militärischen Vorgesetzten mitgebracht, und wenn Sie erlauben, Herr Präsident, möchte ich Ihnen ein bißchen daraus zitieren. Manche werden sehr betroffen fragen, was das denn wohl soll, daß der Verteidigungsminister das öffentlich vorliest, aber ich habe eine Absicht dabei. Ich zitiere hier auszugsweise aus einem sehr sorgfältigen Beitrag zu einem Truppenzustandsbericht von einem Kompaniechef. Es ist ein langes Papier, ich zitiere Auszüge:Die Mannschaften fragen grundsätzlich nach der Ernsthaftigkeit des Bemühens, mit dem die Führung der Truppe die Voraussetzungen der echten Einsatzbereitschaft schafft. Wiederholt ist mir deutlich geworden, daß die Mannschaften von den sichtbaren Schwächen und Schwierigkeiten in ihrem Verband Rückschlüsse ziehen auf die Verteidigungsbereitschaft der gesamten Bundeswehr und auf die
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Bundesminister SchmidtEhrlichkeit der politischen Führung, der Truppedas Beste zur Erfüllung ihres Auftrags zu geben.Oder an anderer Stelle:In meiner Kompanie sind von zwölf Gruppenführern nur fünf Unteroffiziere. Von diesen fünf scheiden zwei im Laufe dieses Jahres aus. Die sieben anderen Gruppenführer stellen sich mit Gefreiten ohne U-Lehrgang bzw. mit zwei durchgefallenen Unteroffiziersanwärtern.Die notwendigerweise mangelnde Kenntnis der unausgebildeten Gruppenführer, die daraus entspringende Unsicherheit, das mangelnde Geschick im Umgang mit schwierigen Aufgaben wirken sich nachteilig auf den inneren Zusammenhalt der Gruppen aus, und die Gruppen werden oft nicht durch ihren Gruppenführer geführt, sondern die Gruppenführer werden durch ihre Gruppen geduldet.Oder an einer anderen Stelle:Es erscheint nicht als Vorzug und Auszeichnung, eine Gruppe führen zu dürfen, sondern als bittere Pflicht. Der gute Wille und die Mühe derer, die sich dieser Pflicht in der Kompanie zu unterziehen haben, ist hoch anzuerkennen. Aber Ausbildungsstand und Einsatzbereitschaft der Kompanie müssen bei dieser Personallage unter dem geforderten Minimum bleiben.Oder an einer anderen Stelle:All dies hat unter den Unteroffizieren zu einem tiefen Mißbehagen, zu Unbefriedigung und Unlust geführt. Die Bereitschaft, sich weiter zu verpflichten, ist auf ein Minimum gesunken. Der Unteroffizier sieht seine aufopferungsvolle Tätigkeit vom Staat her unterbewertet.Oder an anderer Stelle:Die Ernsthaftigkeit der Bemühung der Führung, wirklich verteidigen zu wollen, ist in letzter Zeit mehrfach in Frage gestellt worden. Jeder Unteroffizier weiß, wenn seine Gruppe, sein Zug, seine Kompanie einsatzbereit ist, und wenn er diese Vorstellung mit der Wirklichkeit in seiner Einheit vergleicht und mit der Bedrohung, so wird man die Berechtigung dieser Frage nicht bezweifeln.Oder wieder ein anderer Zustandsbericht:Die Ausbildung, Erziehung einer hochtechnisierten Truppe erfordert besondere pädagogische und psychologische Vorbildung. Die Ausbildung zum Offizier schafft in dieser Hinsicht keine ausreichenden Voraussetzungen. Die Anstrengungen der politischen Führung, ein schlagkräftiges militärisches Instrument zu schaffen, sind nicht intensiv. Der Offizier steht auf verlorenem Posten.Wollen Sie noch mehr hören? Dieses stammt — raten Sie, aus welchem Jahr! — Aus dem Jahre 1963!Jetzt lese rich Ihnen einen Truppenzustandsbericht von heute vor:Beklagt wird die mangelnde Information in dieser Zeit, das klärende Gespräch mit älteren Vorgesetzten, die den jungen Offizier auch bei dem Versuch einer geistigen Standortfindung weitgehend allein lassen. Weitere Ursachen des Vertrauensschwundes werden im politischen Bereich gesehen: sehr begrenztes Interesse des Politikers an der Bundeswehr und das Gefühl, daß die politische Führung den Auftrag an die Bundeswehr selbst nie so ganz ernst genommen hat und in ihr mehr ein außenpolitisches als ein Instrument der Landesverteidigung sieht. Im weitesten Sinne wird gezweifelt am Verteidigungswillen und am Veranwortungsbewußtsein der politischen Führung.Ich habe Sie irregeführt, meine Damen und Herren; das stammt nicht von heute, sondern von 1966. Es ist aus einem Vortrag eines älteren Stabsoffiziers, der in einer Offizierstagung die Meinung seiner Hauptleute vorträgt.Oder ich gebe Ihnen einen weiteren Truppenbestandsbericht:Ein Blick über die Kasernenmauer enthüllt erschütternde Zustände. Dem Fundament, auf dem die Streitkräfte errichtet wurden, mangelt es an Tragfähigkeit. Der Staatsbürger in Uniform ist ein Wunschbild geblieben, das Konzept Innere Führung durch die Wirklichkeit widerlegt worden.Und ähnlich markig-kernig geht es weiter. — Dies letztere ist nun, wie ich zugebe, ein besonderer Trick von mir. Das ist kein Truppenzustandsbericht, auch kein amtliches Papier. Alle anderen sind aus den Akten des Bundesverteidigungsministeriums entnommen, und ich könnte viele vorführen. Dieses ist nicht aus den Akten entnommen, sondern aus der Literatur; es stammt aus dem weiß Gott nicht lesenswerten Buch eines Herrn von Studnitz „Rettet die Bundeswehr" ; aber es kennzeichnet, was viele damals, 1966, über die Armee gedacht haben. Denn er hatte es ja nicht aus Eigenem, das war ihm ja so von Soldaten gesagt worden.Nun kommt ein amtliches Papier. Das ist eine Geheimsache; aber da sie schon zwei Jahre alt ist, erkläre ich sie hiermit für offen und lese sie vor. Man kann sie gut vorlesen; denn was darinsteht, ist überholt, es trifft nicht mehr zu. Es ist eine Geheimvorlage des Führungsstabes des Heeres vom 10. Februar 1969 an die damalige politische Leitung. Da waren Sie noch im Amt, Herr Adorno, da waren sie noch Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Sie haben es wahrscheinlich damals auf dem Tisch gehabt. Darin heißt es:Seit Bestehen der Bundeswehr war der Zustand des Heeres noch nie so kritisch wie an dieser Jahreswende 1968/69. Er gibt zu ernster Sorge Anlaß.Bemerkenswert die nachstehende Festellung des II. Korps:— Ich zitiere wörtlich —:Die Resignation vor allem im Unteroffizier- undOffizierkorps hat zugenommen. Die nun schon
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Bundesminister Schmidtseit langer Zeit in vielfacher Form von den verschiedensten Organen geübte ständige Kritik am Zustand der Bundeswehr findet in der Truppe zunehmend Glauben.— Das ist für Sie geschrieben, Herr Klepsch; das haben die Leute bei Fü H damals vorausgesehen, daß es notwendig wäre, eine solche Warnung auszusprechen. —Erklärende Worte über die tatsächlichen Zusammenhänge dürfen in ihrer Überzeugungskraft und Wirkung nicht überschätzt werden. Glaubt man an einem Tag irgendein Offizierkorps wieder etwas aufgerichtet und in seinem Zweifel abgefangen zu haben, so schlägt am nächsten Tag der Bericht eines „Militärexperten" alles wieder zusammen.Das ist alles wörtlich aus einer Geheimvorlage des Führungsstabes des Heeres. Ich kann nicht alle Einzelheiten vorlesen. Der wichtigste Satz kommt jetzt:Das Heer wird dieser Situation bei der sich abzeichnenden Verschärfung nicht mehr aus eigener Kraft Herr werden können. Es ist auch auf Maßnahmen der Leitung des Hauses und der politischen Führung angewiesen.Sie werden mir glauben, daß ich nicht übertreibe, wenn ich sage, ich kann Ihnen zwei Stunden lang aus den Akten des Verteidigungsministeriums solche amtlichen Berichte vorlesen.Ich tue das nicht, um zu sagen, daß diejenigen, die heute Sorgen haben und heute Klagen haben, und l daß die Abgeordneten, die sich zu Sprechern heutiger Sorgen und Klagen machen, willentlich übertreiben, ich tue das nur, um Ihnen deutlich zu machen, daß einige bitte ihre Sprache mäßigen sollten, wenn sie über die heutige Bundeswehr sprechen.
Ich komme nachher auf das Thema zurück. Die Lage der Kampftruppen und die Lage im Unteroffizierkorps war damals schwierig, und sie ist heute schwierig. Ich bitte mir nur eines herzlich aus, daß jemand, der wie Herr Dr. Klepsch oder wie Herr Dr. Marx in den frühen 60er Jahren beruflich mit der Bundeswehr zu tun gehabt hat, in der Bundeswehr gearbeitet hat bei Dr. Marx und seiner Diktion hört man heute noch heraus, daß er damals Hilfsreferent für psychologische Kampfführung war —,
daß Herren, die damals beruflich damit zu tun hatten und also Bescheid wissen, Herr Dr. Marx, nicht so tun, als ob die Geburtsfehler der Bundeswehr — als solche will ich sie bezeichnen — im Jahre 1969 oder 1970 entstanden seien. Es ist der Geburtsfehler, auf der einen Seite zwölf Divisionen mit den zugehörigen Verbänden aufstellen und dafür nur in einem so kleinen Umfang Soldaten zur Verfügung stellen zu wollen. Dieser Geburtsfehler hat von Anfang an alle Verbände, insbesondere desHeeres, unter die Notwendigkeit der abgestuften Präsenz gestellt. Das heißt, kein Verband konnte zu irgendeiner Zeit wirklich voll aufgefüllt sein, weder mit Mannschaften noch mit Unteroffizieren. Dieses ist die eigentliche Krux der Ausbildungssituation in den Verbänden des Heeres.Nun will ich auf der anderen Seite solche Truppenzustandsberichte und auch die Berichte der Hauptleute, die sich jetzt geäußert haben — die Leutnante voriges Jahr, demnächst vielleicht die Oberstleutnante —, nicht überbewerten. Ich habe neulich mit großem Gewinn eine Rede des Generalinspekteurs gelesen, die er im Siegerland, ich glaube, in Siegen, gehalten hat. Es ist ihm eine entzückende Lesefrucht zugefallen, die er dort verwendet hat. Er hat nämlich aus dem Vortrag eines Oberstleutnants zur Disposition Hartmann, gehalten in Erfurt vor der Akademie Gemeinnütziger Wissenschaften im Jahre 1858, zitiert, und was dieser Oberstleutnant zur Disposition Hartmann damals sagte, trifft heute, 113 Jahre später, immer noch:Das preußische Heerwesen ist eine kollektive Individualität von sehr starker Erregbarkeit.
Übrigens hatte der Vortrag damals - das hat aucheine gewisse Aktualität — die Überschrift: „Junge Generale und alte Soldaten". Heute könnte man es umkehren, aber ich will es lassen. Da hätte man einen aktuellen Aufhänger für neue Beschwerden, die Sie bisher noch nicht vorgetragen haben.
Da aber noch weitere 14 Redner auf der Liste stehen, wird das wohl noch kommen.
— Ich habe nichts dagegen, wenn Sie stören.
— Ich habe nichts dagegen.Ich habe in diesem Jahr erst eine der Hauptleutetagungen gehabt. Das war vor zirka 14 Tagen in Koblenz; es kommen zwei weitere nach. Ich habe auch voriges Jahr viele Tagungen mit Hauptleuten, Leutnants, Unteroffizieren, Kommandeuren und Generalen veranstaltet. Ich bin wirklich der Meinung, daß Diskussion hilft, daß das Aussprechen der Probleme, auch das Aussprechen der Sorgen durch die Truppe und die Truppenvorgesetzten hilft. Eine Tagung habe ich in diesem Jahr erst gehabt, und ich habe den Teilnehmern die Wahrheit gesagt. Die Wahrheit ist, daß wir aus der außenpolitischen Situation heraus im Jahre 1971 weder vier Divisionen skelettieren können noch neun Brigaden; beides ist übrigens nur eine verschiedene façon de parler, es würde auf dasselbe hinauslaufen.Dies erscheint mir sowohl vis-à-vis Moskau als auch vis-à-vis eigenem Bündnis und eigenen Verbündeten heute genauso wenig, heute noch weniger möglich, als es 1967 möglich war, als der damalige Verteidigungsminister Schröder vornehmlich aus
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Bundesminister Schmidtfinanzwirtschaftlichen Gründen zusätzlich auchaus anderen, aber vornehmlich aus haushaltswirtschaftlichen Gründen — ähnliche Erwägungen der damaligen Bundesregierung antrug und damit kein Gehör fand. Das war vor der Tschechenkrise, und nicht während einer Hängepartie, einer bisher noch nicht endgültig, erfolgreich erledigten Phase von Verhandlungen in Moskau, über Berlin etc. Wenn das 1967 in der Großen Koalition von den beiden damaligen Partnern abgelehnt wurde, so wird man auf Vorschläge, wie sie heute ventiliert werden, sagen müssen: im Grunde sehr zu überlegen, muß geprüft werden, kann aber nicht 1971 gemacht werden.Dies habe ich auch den Hauptleuten in Koblenz gesagt. Ich fand da sehr viel Aufgeschlossenheit. Ich habe ihnen gesagt: Ich kann euch nichts versprechen, außer daß es noch schwieriger wird. Ich erwarte allerdings auch von euch, daß ihr mit den Schwierigkeiten fertig werdet. Wozu seid ihr denn eigentlich jung, und wozu habt ihr denn diese Pflicht auf euch genommen? — Andere sind gefragt worden: Habt ihr eigentlich gar keine Lust mehr zum Beruf? — Nein, war die Antwort, so ist es auch nicht; Spaß macht es schon.Es ist halt so wie mit den Landwirten und mit den Handwerkern: Ein bißchen Klagen gehört neuerdings überall dazu. Es muß auch sein; siehe den Oberstleutnant Hartmann: kollektive Erregbarkeit.Ich will das nicht gering achten; ich will die Sorgen der Truppe um Gottes willen nicht gering achten. Ich arbeite seit eineinhalb Jahren sehr daran die Möglichkeiten eines Ministeriums oder einer Regierung oder einer Leitung eines Ministeriums, in eineinhalb Jahren viel von dem zu ändern, was in 15 Jahren entstanden ist, sind begrenzt —, der Truppe das Leben zu erleichtern. Aber ich warne davor, die Truppe glauben zu machen — ich hüte mich davor —, daß man ihre Lage wesentlich und schnell verändern kann.Lassen Sie mich etwas zur Diskussion sagen, weil im Laufe der letzten Wochen — auch da nehme ich auf Herrn Schultz Bezug — einige Bemerkungen zur Diskussion in der Armee gemacht worden sind. Es gibt Leute, die Diskussion mißverstehen und die meinen, da sei das Prinzip von Gehorchen und Befehlen durchbrochen. Das ist ein großer Irrtum.Ich habe zunächst einmal einen unverdächtigen Zeugen vor mir, einen von mir geschätzten Spitzenbeamten der Bundesrepublik, der sich im Augenblick im Wartestand befindet, Karl Carstens. Vor wenigen Tagen ist ein Buch erschienen, in dem der ehemalige Staatssekretär des Auswärtigen Amts, später des Verteidigungsministeriums, schließlich des Bundeskanzleramts die Summe seiner Erfahrungen als einer der höchsten politischen Beamten zieht; und da er auch ein Jahr lang Staatssekretär im Verteidigungsministerium war, steht ihm durchaus ein Urteil auch auf diesem Sachgebiet zu. Er führt aus, daß der Verteidigungsminister es bei der Bewältigung seiner Führungsaufgaben leichter habe als die anderen Minister, weil er durch Befehls- und Kommandogewalt höchster Vorgesetzter aller Soldaten sei.Jedenfalls so lange Frieden ist — und das ist ja so lange, wie wir leben, weil wir die richtige Sicherheitspolitik machen , ist er der höchste Vorgesetzte. Insofern habe er es leichter als die anderen Minister.Aber auch der Verteidigungsminister wird gut daran tun,sagt Carstens —seine Weisungen und Befehle durch eine vorangehende Diskussion mit den Adressaten vorzubereiten. Noch weniger als andere Minister kann er den gesamten, teilweise technisch höchst komplizierten Bereich seiner Verantwortung selbst überschauen und sich auf Grund eigener Kenntnis ein Urteil bilden.Dann geht es weiter: Er bedarf der Beratung. Carstens kommt dann ein paar Seiten später noch einmal zu diesem Diskussionthema zurück und sagt dort:Auch in der Bundeswehr ist die Diskussion ein wichtiges Führungsinstrument. Gewiß verlangt kein staatlicher Bereich mehr Disziplin und mehr Gehorsam gegenüber einem erteilten Befehl als die Streitkräfte. Trotzdem bin ich überzeugt, daß die Diskussion mit den Befehlsadressaten vor der Erteilung des Befehls auch hier sinnvoll ist, sicherlich nicht in jedem Einzelfall, aber doch generell in dem Sinne, daß das Verständnis der Soldaten für die Befehle, die sie erwarten, allgemein im Wege einer Diskussion mit ihnen geweckt wird.Ich weiß, daß dieses vielfach geschieht. Es sollte meiner Meinung nach aber noch in viel stärkerem Maße als allgemeines Prinzip durchgesetzt werden. Die Anwendung dieses Grundsatzes setzt hohe Eigenschaft der militärischen Vorgesetzten voraus. Ich kann nur sagen: In der Tat! Natürlich ist das nicht nur für hohe Vorgesetzte, sondern auch für Truppenführer, für Truppenvorgesetzte, schwierig und muß gelernt werden. Natürlich werden einige zunächst über die Stränge schlagen und haben es auch schon getan, nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den vorigen. Dagegen muß man mäßigend eingreifen, muß ihnen die Grenzen und die Spielregeln zeigen. Im Weißbuch 1970 hieß es: Der Gehorsam gegenüber dem Grundgesetz und gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung, der Gehorsam gegenüber den Gesetzen, die auf dem Grundgesetz beruhen, der Gehorsam gegenüber Befehlen, die auf dieser Basis gegeben worden sind, kann nicht zur Diskussion stehen. Ich hatte Veranlassung, einigen Herren der Bundeswehr in freundschaftlicher Form in Erinnerung zu rufen, daß die Berufspflichten des Vorgesetzten und die Berufspflichten des Soldaten im deutschen Soldatengesetz normiert sind. Es ist schon 15 oder 16 Jahre alt, aber sehr aktuell. Der Paragraph über die Notwendigkeit der Zurückhaltung bei Äußerungen innerhalb und außerhalb des Dienstes, die dadurch gegeben ist, daß die Vorgesetzten das Vertrauen wahren müssen, das in sie gesetzt wird, könnte von heute sein. Dasselbe gilt für die Vorschrift von der Kameradschaft. Ich habe dazu gesagt: Sie gilt auch für die Kameradschaft von
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Bundesminister Schmidtunten nach oben und gilt auch für die Kameradschaft von oben nach unten, nicht nur für die unter Gleichgestellten. Es gilt auch für die Vorschriften über Verschwiegenheit über dienstlich bekanntgewordene Angelegenheiten. Manches von dem, was im Parlament vorgetragen wird, beruht darauf, daß sich nicht alle Informanten diesem Paragraphen entsprechend verhalten. Vom Paragraphen über die politische Betätigung will ich gar nicht sprechen. Ich habe mit Vergnügen gesehen, daß Herr Wörner - soeben war er noch anwesend —
sich neulich öffentlich zu diesen Diskussionen geäußert hat. Ich komme auf die Erklärungen Herrn Wörners noch ein zweites Mal zurück; er hat sich auch zweimal geäußert. Einmal hat er gesagt — wenn das richtig ist —, unter einer CDU/CSU-Regierung — wir sprechen von bestimmten Hauptleuten einer bestimmten Division — wäre das nicht ohne disziplinarische Maßnahmen abgegangen. So soll er es gesagt haben. Ich bin sehr vorsichtig; denn die Zeitungszitate dürften zu 80 % aller Fälle nicht stimmen. Ob er es so oder anders gesagt hat, bleibe dahingestellt. Jedenfalls hat Herr Wörner die Tendenz zum Ausdruck gebracht: Eigentlich sind die ein bißchen zu weit gegangen! So verstehe ich Sie.
Wenn Sie die Liebenswürdigkeit haben, mich zu zitieren, dann darf ich bestätigen, daß es wörtlich von mir so gesagt worden ist und vor folgendem Hintergrund: Ich habe zunächst unterstrichen, daß die Diskussion in einer Truppe unentbehrlich ist. Ich habe aber auch klargemacht, daß in einer Armee nicht zugelassen werden kann, daß jemand — wer auch immer, seien es Hauptleute, Feldwebel oder Generale das Recht hat, in so massiver Weise nach außen die politische oder militärische Führung zu attackieren. Ich habe also klargemacht, daß das auf die Dauer nicht gehen kann, und zwar von keinem und gegenüber keinem Soldaten. Das war der Sinn meiner Aussage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich danke Ihnen sehr, Herr Wörner, für die Klarstellung. Ich stimme in jeder Beziehung mit Ihnen überein, was die Beurteilung angeht. Nur in dem einen Punkt war ich der Meinung das ist der einzige kleine Unterschied —: disziplinar einzugreifen, das war noch nicht notwendig. Man hätte es gekonnt; ein scharfer Vorgesetzter hätte es gekonnt. Sie wissen, daß Disziplinarmaßnahmen der Opportunität unterliegen, anders als das Strafrecht. Wenn jemand nicht begreift, wo die Paragraphen des Soldatengesetzes auch für ihn Grenzen setzen, würde ich nicht zögern, disziplinar einzugreifen. Aber hier sah ich keine Notwendigkeit. Es handelte sich im Grunde um engagierte Leute, die echte Sorgen haben.
Da sind wir beide völlig einig. Auch die Hauptleute vor fünf Jahren — die damals Hauptleute und Kompaniechefs bei den Panzergrenadieren waren — betrifft das. Das geht aus den Truppenzustandsberichten der letzten Jahre hervor, die ich andeutungsweise zitiert habe. Ich glaube, daß wir beide, Herr Wörner, das ähnlich beurteilen.Ich bin auch mit zwei anderen Bemerkungen aus Ihrer Feder, die ich in einer anderen Zeitung gelesen habe — sie sind allerdings mit Ihrem Namen gezeichnet, und es bedarf keiner Klarstellung —, nur zu sehr einverstanden. Herr Wörner sagt in einem Aufsatz in einer Münchener Zeitung, nicht daß man zuviel, sondern daß man zuwenig von den Soldaten fordere, sei die Schwäche dieser Armee. Ich halte das für richtig. Ich gehöre nicht zu denen, die bei jeder Gelegenheit betonen: Ihr seid überfordert, ihr Armen, ihr müßt gestreichelt werden! Ich gehöre zu denen, die sagen: Jawohl, ich weiß, daß es hart ist, und es wird so bleiben! Die Bundesrepublik Deutschland kann von euch verlangen, daß ihr eure Pflichten erfüllt, so gut es geht!Ich bin auch dankbar, daß Herr Wörner sagt, wir hätten keine Wehrkrise. Er hat sich mit Herrn Wienand auseinandergesetzt. Es gibt eine gewisse latente Bereitschaft der öffentlichen Meinung, Herr Dr. Klepsch, und die spiegelt sich im Laufe der letzten 15, 16 Jahre — ich gehöre dem Bundestag nun auch seit 1953, mit Unterbrechungen an in diesem Hause wider; eine gewisse latente Neigung, bei irgendwelchen Gelegenheiten von Krisen in der Bundeswehr zu sprechen. Es hat auch schon mal echte Krisen für die ganze Bundeswehr gegeben. Ich will sie in Erinnerung rufen, damit Sie alle wissen, wieviel Bundeswehrkrisen wir in den Zeitungen schon erlebt haben und ob es sich lohnt, neue noch dazuzufügen.Das fing an mit dem Iller-Unglück. Sie erinnern sich an Nagold und den armen Gefreiten Schallwig.
— Ich bringe die Namen durcheinander. Das ist aber egal. Wir meinen denselben.Dann kam die Spiegel-Krise, in die der damalige Bundesminister der Verteidigung verwickelt wurde, mit schweren Wirkungen in der Truppe. Dann kam in der Luftwaffe der Höhepunkt der StarfighterUnfälle in den Jahren 1965/1966. Die Sache mit dem Gewerkschaftserlaß. Der Rücktritt der Generale Panitzki und Trettner. Der Konflikt des damaligen Verteidigungsministers mit dem damaligen Bundeskanzler erstens über die Frage: Soll man das Heer verkleinern? Zweitens über die Frage: Hat der Bundeskanzler das Recht, hinter dem Rücken des Verteidigungsministers Generale zum Rapport zu bestellen? Dann kam die Heeresdenkschrift. Die war schon verfaßt und zu den Akten geschrieben, ehe ich ins Amt kam; aber mir wurde sie liebenswürdigerweise angelastet. Jetzt haben wir wieder so einen kleinen Anlaß. Ich frage mich wirklich, ob wir hier unter uns nicht ein bißchen gelassener über die meisten solchen Anlässe miteinander reden sollten, zumal wir ja beglückenderweise wissen, daß im Grunde die Bundeswehr von der weit überwiegenden Mehrheit der Gesellschaft gut getragen ist. Gar kein Zweifel!
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7098 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Bundesminister Schmidt— Das ist eine schlechte Stelle, um Beifall nur von zwei Fraktionen zu bekommen. Wenn schon, müßte man an dieser Stelle Beifall von allen drei Seiten bekommen, meine Damen und Herren. Aber ich denke, daß Sie einverstanden sind. Die Bundeswehr ist im Grunde gut getragen. Wir sollten nicht unsererseits, wenngleich ich viel Sinn für polemische Schärfen in solch einer Debatte habe — wenn sie sonst nicht tief geht, soll sie wenigstens scharf sein —, die Sache nun nach außen dramatischer darstellen, als sie ist.Herr Klepsch, ich sprach von Schärfe, weil Sie Ihren guten Vorsätzen in einem Punkt nicht gerecht geworden sind. Was Sie da aus einer Essener Zeitung zitiert haben, ist ein Falschzitat, eine böse Fälschung, und ich hoffe, daß das nicht ein Rückfall in einen Debattenstil gewesen ist, von dem ich den Eindruck habe, daß Sie ihn hinter sich lassen wollten.
Herr Minister, sollte es ein Falschzitat sein, obwohl ich es der Zeitung entnommen habe — der Zeitung „Die Welt" ,
dann will ich es gern ebenso zu Grabe tragen wie die Falschzitate, die Sie selber hier vorgetragen haben; denn Sie waren es, der hier falsche Zitate hatte. Aber lassen wir es dabei. Ich nehme das zu Kenntnis und erkläre meine damit zusammenhängenden Erklärungen als gegenstandslos.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bedanke mich herzlich. Natürlich würde ich auch gern Falschzitate zurücknehmen, wenn ich noch welche offenhätte. Aber ich glaube, ich habe keine mehr offen, Herr Klepsch.
Aber da Sie die Quelle genannt haben, aus der das Zitat stammt, möchte ich etwas hinzufügen. Ich sagte vorhin: wenn wir Politiker in den Zeitungen zitiert werden, ist das zu 80 % nicht akkurat. Bei „Der Welt" würde ich sagen: 90 %.
Herr Kollege Jung — ich muß versuchen, allen Debattenbeiträgen, soweit sie gewichtige Probleme ansprachen, gerecht zu werden — hat ein bißchen in die Zukunft geschaut und über die mögliche Entwicklung der Wehrstruktur gesprochen. Auch Herr Klepsch ist darauf noch einmal etwas eingegangen. Der Bundeskanzler und ich sind uns einig, daß spätestens bis Ende nächsten Jahres, Herr Klepsch, der Anteil der tatsächlich einzuziehenden Wehrpflichtigen auf 75 % erhöht wird. Wie Sie mit Recht bemerkt haben, ist das eine Frage des Geldes. Aber ich bin nicht verpflichtet, Ihnen in diesem Augenblick Kabinettsentscheidungen, die, wie Sie wissen, auf den August des kommenden Sommers terminiert sind, hier aus der Westentasche vorwegzunehmen. Die mittelfristige Finanzplanung und der Haushalt 1972 werden im Kabinett Ende August verabschiedet. Dann wird man sehen, in welchem Rahmen man dies machen kann. Aber spätestens Ende 1972 wird dieses Endwerk Gesetz. Das gilt auch — es tut mir leid, vielleicht jemanden enttäuschen zu müssen — für den Beginn - das wirdschon früher liegen der Modernisierung des Bildungs- und Ausbildungswesens in der Armee. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Und was Sie sich von Hunderten von Millionen haben erzählen lassen, das sind, wie das immer in Riesenbürokratien so geschieht, von irgendwelchen Hilfsreferenten aufgeschriebene Zahlen. Nehmen Sie es bitte nicht ernst.Ich habe in anderthalb Jahren einen ganz schönen Überblick über den Verteidigungshaushalt bekommen. Ich weiß, was er kann, ich weiß, was er nicht kann. Ich weiß, daß er an der Grenze ist. Ich gebe mir wirklich Mühe, keine Million unnütz auszugeben. Ich möchte mir nicht nachweisen lassen, Herr Klepsch, was z. B. meinem Amtsvorgänger nachgewiesen worden ist. Herr Adorno hat es so beklagt, daß der Verteidigungshaushalt in Zukunft in seinen relativen Anteilen heruntergehen würde. Sehen Sie sich einmal an, wie das von 1967 auf 1968 unter Ihrer Verantwortung war.
Und der Finanzminister war Herr Strauß. Wir leiden auf dem Hardtberg heute noch darunter, daß Herr Strauß Finanzminister war und alle möglichen Projekte unterbrochen hat. Fragen Sie mal die Referenten und Hilfsreferenten. Das wissen die viel besser als ich.
— Ich komme gerne auf Ihre Bemerkung, Herr Adorno. Sehen Sie, Sie haben zunächst gesagt, an der Stirnwand des Bundestagsplenums müßte doch eine große Tafel hängen, auf der man die Bedrohung ablesen könnte. Nun will ich Ihnen in allem Ernst sagen: Ich bin stolz darauf, die tatsächliche militärische und strategische Lage in Mitteleuropa im „Weißbuch 1970 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr" von Amts wegen klarer und detaillierter dargestellt zu haben — soweit man das kann, und das ist nicht bloß ein Rechenexempel —, als sie jemals vorher von Amts wegen in der Bundesrepublik dargestellt worden ist,
und zwar mit aller intellektuellen Redlichkeit, die mir zu Gebote stand. Es mögen Irrtümer in objektiver Weise drin sein. Aber ich habe es mit aller Redlichkeit so klar dargestellt, wie man es auf der Grundlage aller militärischen Urteile, die in der NATO erarbeitet worden sind, darstellen kann. Sie brauchen es nicht als Landkarte aufzuhängen. Sie müssen nur in Ihrem Büro das Weißbuch in Ihrem Rücken haben und ab und zu einmal lesen, was da steht.
— Es hat vorher nur ein Weißbuch gegeben, das war verdienstvollerweise das von Herrn Kollegen Schröder. Da ist natürlich auch über die Bedrohung geschrieben worden, aber lange nicht so detalliert, und
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Bundesminister Schmidtdie Zahlen fehlen. Mein Gedächtnis trügt mich nicht. Vergleichen Sie beides miteinander. Ich bin durchaus auf den Fortschritt stolz, den wir gemacht haben, und ich werfe Herrn Schröder um Gotteswillen nichts vor; es war ja das erste Mal, daß die Bundesregierung unter seiner Federführung ein Verteidigungsweißbuch gemacht hat. Meines war das zweite, und im Herbst kommt das dritte. Das wird noch besser werden.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Adorno?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja.
Herr Kollege Schmidt, dann frage ich Sie: Wenn Sie der erste gewesen sein wollen, der die Bedrohung richtig dargestellt hat, warum haben Sie dann früher bei der Verabschiedung des Verteidigungsetats sich der Stimme enthalten oder sogar meistens den Verteidigungsetat sogar abgelehnt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Adorno, das war nicht ganz auf der Höhe.
Wir haben natürlich bisweilen beim Verteidigungshaushalt mit Stimmenthaltung votiert, und zwar aus demselben Grunde, aus dem Sie es das letzte Mal mir gegenüber gemacht haben, weil Sie nicht genug politisches Vertrauen hatten. Das hatten wir Ihnen gegenüber früher auch nicht. Das war der Grund.
Im übrigen sage ich noch einmal. Ich beanspruche nicht, als erster die Bedrohung richtig dargestellt zu haben. Ich beanspruche, als erster von Amts wegen sie so ausführlich und sorgfältig in einem amtlichen Dokument dargestellt zu haben, das nicht nur Ihnen, sondern das jedem Kompaniechef von Dienst wegen auf den Tisch geliefert worden ist.Nun zu Ihren Haushaltsfragen. Sie haben die Frage gestellt: Was ist mit der Luftbeweglichkeit des Heeres? Lieber Herr Adorno, Sie wissen, daß Sie die Frage der Anschaffung von Transporthubschraubern für das Heer lange vor sich hergeschoben haben und daß ich sie entschieden habe. Daß es noch ein paar Jahre dauert, bis sie wirklich kommen --- bedingt durch Lieferfristen und Produktionsfristen , wissen Sie auch. Aber die Kaufentscheidung haben Sie aus guten Gründen, wie ich glauben will, offengelassen, mir hinterlassen. Ich habe sie getroffen, nach langer, sorgfältiger Überlegung. Aber das ist nun wirklich kein Gegenstand, den Sie im Ton der rhetorischen Frage an mich hier auf den Tisch packen können. Sie haben das Problem ungelöst gelassen. Wir haben es entschieden. Ob die Entscheidung richtig und weise war, wird man in sechs oder acht Jahren wissen. Aber dies ist nicht eine Sache, die Sie hier, für die Tribüne oder für die Öffentlichkeit, mir heute vorhalten können.Ais nächstes haben Sie gefragt was mit der Flugabwehr für die kämpfende Truppe des Heeres sei. Das ist doch keine Sache, die Sie mich fragen dürfen. Sie müßten doch eigentlich wissen, daß ich Ihnen folgendes zu antworten habe: Unter der vorhergehenden Leitung des Verteidigungsministeriums sind nebeneinander für insgesamt 200 Millionen DM zwei Fla-Panzer entwickelt worden, obwohl man wußte, daß man nur einen davon würde brauchen können. Ich habe diese Doppelentwicklung beendet und habe mich für einen entschieden. Sie haben die Entscheidung offengelassen und mir hinterlassen.
Herr Adorno, ich bin bereit, es einzusehen, wenn ich Fehler gemacht habe. Aber Sie können hier doch nicht ausgerechnet die Probleme auf den Tisch packen, die Sie ungelöst hinterlassen haben.
— Jawohl, ich gebe Ihnen recht. Natürlich werde ich Probleme hinterlassen. Nur werde ich mich hüten, anderthalb Jahre später dem Nachfolger zu sagen: die Probleme hast du nicht gelöst.
Sie haben zwei andere Beispiele angeführt. Sie haben sich darüber beklagt, daß das Fregattenprojekt gestrichen worden sei, ohne daß schon eine neue Marinekonzeption vorliege. Ich entnehme daraus, daß Sie im Grunde glauben, wir brauchten ein neues Marinekonzept. Das ist eine der Lieblingsideen des Kollegen van Delden.
— Auch von mir. Ich habe es auch angekündigt. Nur, ich kann es nicht aus dem Handgelenk machen. Ich habe im Laufe der letzten mehr als zwölf Monate mich vielfach damit beschäftigt. Jetzt beschäftigen sich wieder welche damit. Die alte Marinekonzeption stammte von 1962. Daß wir gemeinsam erkennen -Herr van Delden, Sie, ich und andere —, daß sie überholt ist und so nicht mehr gilt, das ist der erste Schritt. Der zweite ist, daß man sagt: Dann müssen wir eine neue machen. Sie machen dann gleich einen dritten Schritt und fragen: Wo ist die neue? So schnell geht es nicht.Daß wir allerdings bei jeder Marinekonzeption Schnellboote brauchen, daran gibt es doch wohl überhaupt keinen Zweifel. Ob die neue Marinekonzeption aber so sehr für die Nordsee gelten kann, wie es Herr Klepsch vorhin angedeutet hat, das wollen wir erst einmal abwarten. Das weiß man nicht. Dazu gehören auch noch Gespräche mit anderen NATO-Partnern und NATO-Befehlshabern. Das ist nicht nur eine deutsche Frage.
- Es ist ganz sicher, daß man die Schnellboote inder Ostsee einsetzen will, muß und wird. Wenn wir
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Bundesminister Schmidtaußerdem in der Nordsee Schnellboote brauchen, können sie vielleicht schwerer sein. Doch ich will mich hier nicht in maritime technische Einzelheiten verfangen. Aber Sie wissen, oder Herr van Delden weiß — er wird das durch eine mit Fragezeichen versehenen Zwischenfrage dennoch positiv bestätigen —, daß nichts so notwendig ist wie der Ersatz der verrottenden Schnellboote bei der Marine.
Herr Minister, würden Sie mir zustimmen, wenn ich Ihnen sage, daß unsere Sorge bei der Beschaffung der Schnellboote einzig und allein dahin geht, daß wir durch diese Beschaffung, die ja enorme Summen verschlingen wird, unter Umständen die Entscheidung präjudizieren, d. h. daß wir, wenn die Nordsee mehr Gewicht bekommt, nicht mehr die Mittel dafür zur Verfügung haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Präjudizierungen liegen in jeder Entscheidung. Nur, diese Schnellboote sind gut für Israel im Mittelmeer. Also können sie für uns nicht unbedingt schlecht sein.
- Ach so, Sie reden von den zehn, ich rede von
den 20. Sind wir im Grunde einverstanden?
Meine Damen und Herren, jetzt merkt man, was diese Debatte eigentlich darstellt. Sie stellt eine vergrößerte Ausschußberatung dar.
Sie haben viele Probleme angeschnitten. Grundsätzliche Probleme waren nicht vorzutragen, aber Sie wollten nun einmal die Fülle Ihrer Experten hier in Erscheinung treten lassen und haben eine Debatte verlangt.
Wenn man dann aber auf die Einzelheiten eingehen muß, stellt sich heraus, daß es so technisch und spezifisch wird, daß es eigentlich in den Ausschuß gehört.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte sehr!
Herr Minister, darf ich Sie daran erinnern, daß diese Debatte durch eine Große Anfrage der Regierungskoalition ausgelöst worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das brauchen Sie nicht in meine Erinnerung zu rufen.Ich erinnere mich nämlich außerdem, daß Sie in einer überaus wirkungsvollen Rede damals auf mich geantwortet haben, ebenso Herr Zimmermann. Es war ja eigentlich doch alles gesagt, was von Ihrer Seite zu erwarten war.Sie haben heute gefragt, Herr Klepsch, was mit dem MRCA wird. Diese Frage haben Sie heute aufgeworfen. Aus dem Ausschuß, wo man sorgfältig arbeitet, wissen Sie, daß die nächste Entscheidung über das MRCA nach dem 1. Juli zu treffen sein wird, weil dann nach dem Vertrag, den wir mit den Italienern und Engländern haben, ein sogenannter Meilenstein erreicht ist, an dem die drei Vertragspartner erneut prüfen müssen, ob und wie sie weitermachen wollen. Sie wissen das, Sie nicken sogar mit dem Kopf. Wie können Sie mich dann heute vor dem 1. Juli im Bundestag fragen, was ich tun will?
Ich verstehe das nicht. Das ist doch in Wirklichkeit auch nur aus dem unterschwelligen Gefühl heraus gesagt — ich will Ihnen keine schlechte Absicht unterstellen —, mit solchen rhetorischen Fragen irgendwo draußen in der Truppe vielleicht doch die Resonanz hervorzurufen: Der da oben im Augenblick jetzt gerade redet, versteht nicht genug von seiner Sache. Sie wissen, daß eine Entscheidung, eine Teilentscheidung über das MRCA erst nach dem genannten Meilenstein stattfinden kann. So wie ich die englische Rolls-Royce-Situation beurteile, wird es noch ein bißchen später werden als der 1. Juli. Vorher wäre jede andere Äußerung von meiner Seite aus abwegig.Nun hat Herr Adorno aber auch Haushaltszahlen vorgelesen, cl. h. Sie haben relative Haushaltszahlen vorgelesen. Sie haben die bis zum August geltende mittelfristige Finanzplanung als Unterlage benutzt und haben gesagt, was in 1971, 1972 und 1973 der Anteil des Einzelplans 14 am Gesamthaushalt sein wird. Der sinkt. Das hat Ihre Sorgen herausgefordert. Ich verstehe Ihre Sorgen. Es kommt natürlich darauf an, wie schnell er sinkt. Je nachdem werden die Sorgen größer oder kleiner sein.
— Ja, richtig, Herr Adorno. Nur kann man das auch im zeitlichen Zusammenhang sehen. Ich habe natürlich auch die Zahlen für die Haushalte, für die Sie verantwortlich waren, hier. Ich darf Ihnen sagen, daß der Anteil des Verteidigungshaushalts am Gesamthaushalt der Bundesrepublik Deutschland seit 1963 jedes Jahr gesunken ist. Dies ist eine Entwicklung, die die Bundesrepublik Deutschland durchgemacht hat. Wir haben sie nicht unterbrochen. Wir haben sie aus guten Gründen fortgesetzt. Es ist eine Entwicklung, die übrigens den ganzen Westen betrifft, mit Ausnahme gewisser Schwankungen in Amerika, die mit dem Kriege in Südostasien zusammenhängen. 1963 hat der Verteidigungsetat 32,7 % am Gesamthaushalt des Bundes ausgemacht, 1964 waren es 29,6 %, im Jahr 1965 27,1 % und so weiter, im Jahre 1969 — da waren Sie noch voll
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Bundesminister Schmidtverantwortlich — 23,4 % im Jahre 1970 — dafür bin ich verantwortlich - 22,8 %. So ist das ständig abgesunken. Sie haben recht, es wird auch in Zukunft weiter sinken.Es ist meine Überzeugung und es ist, was wichtiger ist, die Überzeugung der diese Bundesregierung tragenden Koalition, daß zwar der Verteidigungshaushalt wachsen muß, aber im Verhältnis zum Gesamthaushalt unterproportional wachsen muß.
Das geht auch, und muß auch gehen. Sie haben es ja sechs Jahre lang auch so gehalten. Also können Sie sich doch jetzt nicht im Prinzip uns gegenüber darüber beklagen, zumal Herr Barzel gestern an die Bundesregierung appelliert hat, sie solle weniger Geld von Staats wegen ausgeben, sie solle eine sparsame Haushaltsführung betreiben. Genau fünf Wochen vorher hat Herr Zimmermann schwerste Vorwürfe erhoben, daß wir nicht genug Geld für die Verteidigung ausgäben. Heute klang es doch wieder so. Was Sie gesagt haben was Herr Klepsch gesagt hat —, wirft für mich die Frage an die Adresse von Herrn Dr. Barzel auf, ob bei Ihren gestrigen Erklärungen, Herr Kollege, der Verteidigungshaushalt ausgenommen sein sollte oder ob Sie diese Ausnahme nicht etwa vergessen haben, weil Sie sie nämlich in Wirklichkeit auch nicht machen wollten, und ob Ihre Erklärung nicht wirklich so genommen werden muß, wie sie zu verstehen war: der Bundeshaushalt. Wenn es für den Bundeshaushalt insgesamt gilt, muß jeder sich Mühe geben, auch die Verteidiger müssen sich Mühe geben, sparsam mit dem Gelde zu wirtschaften und in konjunkturellen Situationen wie dieser dem deutschen Markt so wenig wie möglich Geld zuzuführen. Ich glaube, da sind wir einig. Wenn das richtig ist, dann wäre es gut, wenn die Verteidigungsexperten der gleichen Fraktion nicht am selben Tage oder am nächsten Tage Vorwürfe an meine Adresse richteten, ich gäbe zu wenig Geld aus.
- Das scheint Ihren Widerspruch oder Ihren Unwillen hervorzurufen. Dann lassen Sie mal HerrnBarzel anworten; der ist ja angesprochen, nicht Sie!
Sicher kann Herr Barzel antworten, wenn er will; nur daß man von anderen Antworten entgegennimmt als von dem, den man gefragt hat, das werden Sie nicht erwarten.
Jetzt kommt eine Frage an Sie, Herr Adorno, bei der ich an Ihre Fairneß appellieren muß. Sie haben im Laufe Ihrer Ausführungen gesagt, daß das militärische Urteil in allen militärischen Fragen unabhängig sein müsse. Da stimmen wir überein. Sie haben sich auf persönliche Erfahrungen bezogen, die Sie als Vorsitzender jener gemischten Kommission gemacht haben, an der auch Freie Demokraten undSozialdemokraten beteiligt waren und wo auch militärischer Sachverstand gehört wurde. Sie haben in einer zwar vorsichtig abwägenden Ausdrucksweise, aber dem Sinne nach doch zum Ausdruck gebracht, Sie hätten ein bißchen das Gefühl, damals — heute vor zwei Jahren — sei die militärische Führung gegenüber einer Verkürzung des Grundwehrdienstes in der Form des gleitenden Grundwehrdienstes ablehnender gewesen als heute gegenüber einer anderen Kommission unter einem anderen Vorsitz. So ungefähr haben Sie es gesagt; ich glaube, Ihre Ausführungen nicht verbogen wiedergegeben zu haben.Dazu möchte ich Ihnen eines sagen. Ich weiß nicht, wie ausführlich die damalige Kommission die militärische Führung gehört hat. Die jetzige regierungsunabhängige Wehrstruktur-Kommission, in der auch Ihre Partei durch einige Ihrer Freunde und Kollegen vertreten ist, hat das sehr ausführlich getan. Ich habe nicht den Eindruck und nirgendwo das Gefühl, weder bei diesen beiden Kommissionen noch in meiner eigenen täglichen Arbeit, daß die militärische Führung, sei sie personifiziert in der Gestalt des Generalinspekteurs de Maizière oder personifiziert in der Gestalt des Luftwaffeninspekteurs — bisher Steinhoff, jetzt Rall — oder personifiziert in der Gestalt des Heeres- oder des Marineinspekteurs, aus Gründen der Opportunität etwas nicht sagte, das sie meint. Allerdings weiß ich aus eigener Beobachtung — das werden Sie auch aus Ihrer Beobachtung wissen —, daß zum gleichen Zeitpunkt zwei verschiedene militärische Führer über ein und dieselbe Sache zwei verschiedene Meinungen haben können, erst recht, wenn sie verschiedenen Teilstreitkräften angehören. Sie wissen genau wie ich aus eigener Erfahrung, daß man im Laufe von zwei Jahren seine Meinung ändern kann, nicht nur als politischer, sondern auch als militärischer Führer.
- Das gibt es auch, wenn sich die Lage nicht ändert.Hier hat sich die Lage etwas geändert. Aber nun kommt das, was Sie eigentlich überzeugen müßte: Die militärische Führung ist vom Sinn einer Verkürzung des Wehrdienstes von 16 auf 15 Monate auch nicht überzeugt. Ich brauche das nicht zu verheimlichen. Ich sage Ihnen nur, daß ich das allerdings für notwendig halte. Damit komme ich zu den Themata, auf die ich vorhin schon zu sprechen kommen wollte, als vom Kollegen Jung die Rede war.Schauen Sie, die amerikanische Regierung kündigt an, daß sie im Jahre 1973 die Wehrpflicht auf Null gebracht haben werde. Ich bitte Sie, sich einmal vorzustellen, welche Wirkung es bei der europäischen Jugend in Norwegen, Dänemark, Schweden, Holland, Deutschland und Frankreich haben wird, wenn die Vormacht des Bündnisses sagt: Die Wehrpflicht brauchen wir nicht mehr; wir sind ein reiches Land, wir können unsere Freiwilligen, unsere Längerdienenden hoch bezahlen, wir machen das nur noch mit Längerdienenden oder gar mit Berufssoldaten. Das führt doch dazu, daß unsere Jugend hier in Europa sagt: Wir wollen auch nicht dienen; wir
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7102 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Bundesminister Schmidtwollen sowieso nicht dienen, und jetzt schon gar nicht mehr.
— Gut! Wir stimmen in der Besorgnis überein. Wir stimmen wahrscheinlich auch darin überein, daß, solange es noch nicht zu beiderseitigen ausgewogenen Rüstungsverminderungen in Ost und West, um die wir mit der anderen Seite ringen, gekommen ist und solange sich die enormen sowjetischen und anderen Truppenmassen im östlichen Teil Deutschlands und im östlichen Teil Europas befinden Herr Marx hat uns das sehr plastisch geschildert; wir wußten das vorher gar nicht so genau —,
hier im Westen Europas ein ausreichendes Gegengewicht nur auf der Basis von Wehrpflichtarmeen gehalten werden wird. Wenn wir also schon die Wehrpflicht beibehalten müssen, dann muß sie auch gerecht sein; darin sind wir uns beide völlig einig.Ich habe in den letzten Wochen mit großer Sorgfalt die Ergebnisse der seinerzeit von Ihnen geleiteten Kommission erneut unter die Lupe genommen. Sie enthalten viele Gedanken, die heute aktueller sind als damals, einschließlich desjenigen, den Adelbert Weinstein heute in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" abgehandelt hat; ich meine den Gedanken einer Besteuerung derjenigen, die nicht dienen. Das Grundproblem bleibt, nämlich daß wir 12 Divisionen oder 33 Brigaden und die dazugehörige Zahl von Bataillonen nicht vollmachen können. Wir können sie beim gegenwärtigen Stand von 460 000 Soldaten weder mit Unteroffizieren noch mit Mannschaften ganz auffüllen. Infolgedessen arbeiten wir mit abgestufter Präsenz. Kein Verband ist wirklich vollzählig. Das ist militärisch insofern zu verantworten, als wir auf einem Boden stehen, wo die Menschen 40 km oder vielleicht nur 10 km entfernt wohnen und arbeiten und bei Alarmzuständen notfalls innerhalb von 48 oder 72 Stunden herangeholt werden können. Was die äußere Sicherheit angeht, so ist die abgestufte Präsenz gut zu vertreten. Was jedoch die Ausbildungsrhythmen in der Truppe angeht, so ist und war dies immer sehr schwer zu vertreten; siehe die Berichte von 1963 und 1959. Das war immer schwer und wird immer schwer sein. Und es wird noch viel schwerer: Wenn auf diese Weise sagen wir — nur wie bisher 60 % der jungen Männer wirklich zum Wehrdienst herangezogen werden, dann wird das eines Tages kaputtgehen. Ich bin tief überzeugt, daß man, solange nicht beiderseitige Rüstungsverminderungen zustande kommen, in Westeuropa nicht auf die Wehrpflicht verzichten kann. Um sie zu erhalten, muß. sie so gerecht wie möglich gemacht werden. Dazu gehört, soviel wie möglich junge Leute einzuziehen, d. h. zwangsläufig, sie kürzer als bisher einzuziehen, weil ich eben die Armee nicht vergrößern kann. Das sind einfache Rechenkunststücke.
— Herr Adorno, Sie haben vor zwei Jahren für Ihre Vorschläge Unterstützung aus allen drei Fraktionen erhalten, aber nicht die einhellige Unterstützung aus allen drei Fraktionen. Bitte ersparen Sie mir die Peinlichkeit, Ihnen in Erinnerung rufen zu müssen, daß Ihr eigener damaliger Verteidigungsminister diesen Vorschlag nicht voll akzeptiert hat. Das ist doch nicht an der damaligen SPD, FDP oder CDU/ CSU gescheitert, sondern es gab geteilte Meinungen über das ganze Spektrum des Hauses einschließlich Ihres eigenen Ministers. Ich sage Ihnen ehrlich: wir prüfen das erneut.. Vielleicht kommen wir zu anderen Ergebnissen. Jedenfalls muß die Wehrpflicht gerechter gemacht werden.Aber man muß auch folgendes wissen. Erstens. Die Jahrgänge steigen. Die Stärke der Geburtsjahrgänge wird in den nächsten Jahren größer. Zweitens. Die Geräte werden immer komplizierter. Schon der sogenannte Kampfpanzer 70, den wir aus finanziellen, aber auch aus Ausbildungsgründen gestrichen haben, weil er zu kompliziert wurde, war ein Kampffahrzeug — er war gemeinsam mit Amerikanern in der Entwicklung, ist aber nie wirklich in Serienbau gegangen , von dem jedermann wußte: mit Wehrpflichtigen kann man ihn kaum noch bedienen.Der Fla-Panzer, der jetzt bestellt wird, ist ein Fahrzeug, das wir mit Wehrpflichtigen besetzt nicht mehr kämpfen lassen. Das wirft die folgenden Probleme auf. Erstens. Eine Reihe von modernen Wafsensystemen können schon aus Gründen der Handhabung kaum mit kurz dienenden Wehrpflichtigen besetzt werden, sondern wir brauchen länger dienende Soldaten dafür. Zweitens. Die Sachen sind so teuer, daß Sie eine Riesenarmee mit 460 000 Mann mit solchen Waffen gar nicht ausstatten können.
— Lieber Herr Barzel, Sie haben eine ganztägige Debatte gewollt. Sie haben 13 Redner angemeldet. Sie müssen nun ertragen, daß ich auf die sachlichen Punkte, die vorgebracht worden sind, auch sachlich und detailliert antworte.
- Ich will keine Schärfen in die Debatte hinein-bringen. Wenn Ihnen das Wort mißfallen hat, danntut es mir leid. Dann will ich es gern zurücknehmen.
Dann nehme ich es nicht zurück. Dann trifft es auf Sie ganz genau zu.
Nur, Herr Kollege Barzel, Sie müssen mir eines zugestehen. Eine große Zahl von Themen ist von Ihren Sprechern heute morgen angeschnitten wor-Bundesminister Schmidtden. Jedes Thema in zwei, drei Sätzen; dann wurde zu einem anderen übergegangen. Ich nehme mir die Freiheit, das, was Sie angesprochen haben, ernst zu nehmen und mich damit auseinanderzusetzen.
Deswegen haben Sie die Möglichkeit, entweder weiterhin zuzuhören und sich zu ärgern, oder zuzuhören und nachzudenken, oder nicht zuzuhören und hinauszugehen. Das sind die drei Möglichkeiten, die Sie haben.
— Welches ist die vierte?
— Da müssen Sie noch einen Augenblick warten, Herr Barzel.
Am Ende dieses Jahrzehnts werden die beiden Entwicklungen, von denen ich sprach — die Notwendigkeit einerseits, weiterhin wehrpflichtige Soldaten zu haben, die Unmöglichkeit, mit ihnen die komplizierten Waffen zu bedienen, und die Unmöglichkeit andererseits, für alle Wehrpflichtigen diese komplizierten Waffen kaufen und finanzieren zu können —, vorhersehbarerweise dazu führen, daß wir eine Wehrstruktur kriegen, die auf der einen Seite Ähnlichkeit hat — sagen wir — mit der Wehrpflicht à la Schweiz, à la Schweden: relativ kurz, relativ einfache Waffen und daneben gleichzeitig präsente Verbände von länger dienenden Soldaten, die jederzeit einsatzbereit sind. Das wird so kommen. Dahin werden wir uns entwickeln, und dafür gibt es eine unabhängige Kommission, die im Augenblick die Wege dahin ermittelt.Wenn wir dahin kommen werden, z. B. zur Wehrpflicht à la Schweiz oder à la Schweden, weiß jeder, daß ich für die Ausbildung an simplen Waffen nicht 16, 15 oder 12 Monate brauche. Irgendwann im Laufe der nächsten zehn Jahre wird also die Grundwehrdienstdauer für diesen Teil geringer werden. Das heißt übrigens nicht, daß das Geld, das man insgesamt braucht, weniger wird. Denn einen länger dienenden Kanonier, Gefreiten und Obergefreiten muß ich hoch bezahlen.
Der Mann soll ja länger dienen, nicht um Feldwebel zu werden, sondern um die Waffen oder um den Panzer zu bedienen. Den muß ich hoch bezahlen. Nicht, daß da Illusionen aufkommen, daß das sehr viel billiger wird! So gibt es also auch in Zukunft Umstrukturierungen im Heer. Ich habe die Fusion mit der Territorialverteidigung von Ihnen übernommen. Die neue Heeresstruktur fand ich fix und fertig auf dem Papier vor. Ich habe sie nicht mehr geändert. Ich habe die viele Unruhe in Kauf genommen. Was wir jetzt machen müssen, wird erneut Unruhe schaffen. Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten zu helfen, aber es gibt keine grundsätzliche Möglichkeit, der Truppe diese Unruhe abzunehmen. Die Hauptsache bleibt, daß Bundestag und Bundesregierung und das richtet sich an die Adre se aller — bei allem, was sie tun, von der Fürsorge für den Mann und von der Fürsorge für die Truppe getragen bleiben und daß sie bei allem, was sie beschließen, überlegen, ob die Fürsorge ausreichend berücksichtigt ist.Herr Buchstaller hat vorhin - Herr Kollege, ichbin übrigens dankbar, daß Sie mein Bemühen um Kontinuität gegenüber meinem Amtsvorgänger und gegenüber dem, was die vorige Regierung auf dem Gebiete der Verteidigung getan hat, in Erinnerung gerufen haben längere Ausführungen über die Unteroffizierslage gemacht. Sie haben auch dargetan, daß der Trend nach oben geht. Ich bin dafür dankbar. Angesichts einer Reihe von Bemerkungen, die einzelne Sprecher der CDU nicht hier im Bundestag, sondern draußen — zu diesem Thema machten, möchte ich Ihnen doch ein paar Zahlen nennen, damit Sie sie zur Kenntnis nehmen und die Dinge in Zukunft richtig dargestellt werden. Dank einer Reihe von Bemühungen, die der Bundestag, aber auch die Regierung und der Verteidigungsminister angestrengt haben, hat die Bundeswehr am Ende des Jahres 1970 so viel Unteroffiziere gehabt wie noch niemals vorher. Nun hören Sie also endlich auf, so zu reden, als ob ich, was den Personalstand angeht, für eine Unteroffizierskrise verantwortlich sei!
Die Zahl der Unteroffiziere hat sich im Jahre 1970 um 8000 erhöht, die der Z-2-Unteroffiziere um 2700. Ich spreche gar nicht davon, daß über 8000 inzwischen in den Berufsförderungsdienst übergewechselt sind und hier nicht mehr mitzählen. Wenn jetzt jemand sagt: Das sind aber noch sehr junge Leute; sie sind in ihrem Beruf noch nicht so gut wie die alten, die ausgeschieden sind!, kann ich nur sagen: da hast du recht. Ich kann aber keine alten einstellen. Ich muß unten anfangen. Ich kann die entstandene Lücke erst wieder in mehrjähriger Arbeit ausfüllen. Ich will Ihnen im übrigen sagen, daß das Fehl an Unteroffizieren in der gesamten Bundeswehr am Ende des Jahres 1970 12,8 % betrug. Am Ende des Jahres 1969 fehlten dagegen 22 %, 1968 20 %, 1967 21 %. In der Mitte des vorigen Jahrzehnts beliefen sich die Fehlquoten auf 28 %, 29 %, 27 %, 32 %. Ich möchte das nur in Ihre Erinnerung rufen, damit Herr Ernesti draußen nicht dauernd so reden muß, als ob wir für eine besondere Kalamität auf dem Felde der Unteroffiziere verantwortlich seien.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Adorno?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aber gerne!
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7104 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Herr Kollege Schmidt, Sie haben vorhin darauf hingewiesen, daß Sie einige Probleme von uns übernommen haben. Stimmen Sie mit mir darin überein, daß die Verbesserung der Lage der Unteroffiziere, die sich Ende 1970 abzeichnete, natürlich darauf zurückzuführen ist, daß unter unserer Verantwortung eine Reihe von Gesetzen verabschiedet worden ist,
die die Ausgangslage für die Unteroffiziere wesentlich verbessert hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Adorno, auch wenn es manchen Zwischenrufer vielleicht verwundert: Ich stimme mit Ihnen darin überein, ich möchte diese Übereinstimmung aber präzisieren. Ich sagte eben — Sie haben es vielleicht überhört; daher wiederhole ich es noch einmal —, daß diese Verbesserung der Lage auf eine Reihe von Maßnahmen zurückzuführen ist, die das ganze Haus ich nenne hier nur die Wiedereinführung der Prämien für Z-2-Soldaten, diese Prämien waren im Jahr 1967, in Ihrer Zeit also, leichtfertig aufgegeben worden , die Bundesregierung und ich selber beschlossen haben. Sie waren also auch mit gemeint. So habe ich mich ausgedrückt. Ich würde nie abstreiten, daß Sie daran beteiligt waren.Ich wehre mich aber dagegen, daß einzelne draußen nun hingehen und in Eichholz — oder wo es gewesen sein mag — so reden, als ob die Unteroffizierslage noch nie so schlecht wie heute war. Das ist einfach unwahr. Dies sage ich ganz sachlich und ohne jede Polemik.Zu den Ausführungen von Herrn Marx brauche ich nicht viel zu sagen.
Herr Marx, alle die Antworten, die Sie brauchen, habe ich Ihnen vor einem Vierteljahr gegeben. Ich habe die CDU/CSU hier vor einem Vierteljahr in der Debatte über die Lage ,der Nation aufgefordert,
zu erklären, daß sie mit der Erklärung des Ministerrats des nordatlantischen Bündnisses vom Dezember und mit der Studie „Allied Defences in the Nineteen-seventies" genau wie die Bundesregierung und die beiden die Bundesregierung tragenden Parteien voll einiggehen. Wenn Sie das täten, bräuchten wir über all diese Dinge nicht mehr zu streiten, sondern dann hätten wir sehr ausführliche Positionspapiere, in denen nicht nur 15 Staaten des westlichen Bündnisses, sondern, man staune, sogar Opposition und Regierung in Klein-Bonn übereinstimmen.
Aber dies schien Ihnen damals gefährlich, und da haben Sie gesagt: nein, das wollen wir nicht, das müssen wir in den Ausschuß überweisen. Da liegt es seit drei Monaten. Bitte, tun Sie im Ausschuß Ihre Arbeit, bringen Sie es wieder hierher zur Abstimmung, damit endlich die deutsche Öffentlichkeit sieht, daß in den allermeisten Fragen der auswärtigen Politik wie der äußeren Sicherheit in Wirklichkeit der Konsensus, von dem eingangs seines Vortrags heute morgen Herr Adorno sprach, viel größer ist, als manch ein Eintagsredner die Öffentlichkeit glauben machen möchte!
Das gilt dann auch für die Ausführungen, die Herr Kollege Abelein über den sowjetischen Vorschlag einer internationalen Konferenz über die Sicherheit Europas gemacht hat. Auch dazu finden Sie in jenen Beschlüssen ausreichende Darlegungen. Die Bundesregierung erklärt zum wiederholten Male, daß ,diese beiden Papiere ihre Politik darstellen. Nach ausdrücklicher Feststellung im Kabinett kann ich das hier noch einmal wiederholen. Sie haben nun wirklich die Wahl, ob Sie anders darüber denken wollen als die Regierungen von England, Frankreich, Amerika und als die Regierung der Bundesrepublik. Nur finde ich, daß Sie sich endlich einmal im Plenum dieses Parlaments zu diesem gemeinsamen Positionspapier äußern sollten und nicht zu irgendwelchen Buhmännern, die Sie mit Heißluft hier irgendwo in den Raum zaubern und die nachmittags ,um halb fünf schon wieder weg sind.
In Wirklichkeit — und das gilt für Herrn Klepsch, für Herrn Adorno, für Herrn Wörner, für Herrn Barzel, für Herrn Zimmermann, für alle Herren, die hier bei einer Verteidigungsdebatte auf der ersten Bank sitzen wissen Sie, meine Herren, genauso wie diejenigen, die bei einer Verteidigungsdebatte auf den ersten Bänken bei uns Sozialdemokraten oder bei der FDP sitzen, und wie die Fraktionsführer dieser beiden Regierungsfraktionen, daß die gegenwärtige Bundesregierung ein großes Maß an Mühe aufwendet, um die äußere und die innere Sicherheitspolitik unseres Landes fortzuentwickeln. Im Grunde wissen Sie auch, daß Sie so viel Alternativen nicht anzubieten haben. Sie brauchen nicht erst den General a. D. Karst, der Ihnen in Ihrem Monatsblatt bescheinigt hat, daß Sie kein eigenes Wehrprogramm haben. Ich würde das an Ihrer Stelle ruhig so hinnehmen. Es ist nämlich gar nicht notwendig, daß Sie ein eigenes Programm haben, denn dieser Staat insgesamt hat eine Vorstellung von seiner äußeren Sicherheit, an der Sie viele Jahre mitgewirkt haben. Jetzt müssen Sie einmal ein paar Jahre lang ertragen ich hoffe, noch ein paar mehr als bis 1973 —, daß zwei andere Parteien die Feder führen und die Befehle geben. Da ist es nun einmal Ihre Rolle, zu kritisieren; das gestehe ich zu. Nur halten Sie Maß, und wenn Sie in die Einzelheiten gehen, dann wappnen Sie sich so, daß Sie sich nicht hinterher peinlich berührt finden, wenn jemand wirklich die Einzelheiten nennt.Schauen Sie, da gibt es eine gemeinsame Bemühung, daß alle drei Fraktionen und ich habe das Gefühl, es kommt zustande — in einer gemeinsamen Äußerung, mit der Unterschrift aller drei Seiten, den Wehrpflichtigen gegenüber bekunden, warum diese Pflicht notwendig ist. Ich bin sicher, daß wir das wirklich zustande bringen, da wir vieles zusammen zustande gebracht haben. Daß nicht alles so
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Bundesminister Schmidtgehen kann, wie die Opposition es gerne möchte, und daß sie dann hinterher immer noch etwas zu kritisieren haben muß, ist ihre Funktion. Herr Klepsch muß uns da nicht belehren. Wir haben sehr lange Opposition gemacht. Wir wissen, wie sich das „anfühlt", und fühlen Ihnen das nach. Das verstehe ich alles. Aber übertreiben Sie es nicht so, als ob in Wirklichkeit hier ein tiefer Graben sei.
— Sie werden mir zugestehen, daß ich mir, Herr Kollege, anderthalb Jahre lang große Mühe gegeben habe, die Bundeswehr nicht meinerseits zum Streitgegenstand einer von mir bedauerten, immer stärker polemisch-polarisierenden Diskussion in diesem Hause werden zu lassen. Ich gebe mir auch heute Mühe, und ich bitte Sie, mich darin ernst zu nehmen. Ich kann mich auch einmal falsch ausdrücken, das mag sein; dann bin ich geneigt, mich zu korrigieren. Wenn allerdings jemand sagt, ich sei ein Seicher, dann tue ich es doch nicht. Das muß er sich dann selber zuschreiben.Im Grunde ist dem Staat nicht gedient, und es ist dem Vertrauen unseres Volkes in die Kontinuität der Regierenden -- seien sie Christdemokraten oder Freie Demokraten oder Sozialdemokraten und der äußeren Sicherheit, für die sie dem Volk verantwortlich sind, nicht gedient, wenn wir hier Streit führen über an den Haaren herbeigezogene Probleme; ich will sie nicht noch einmal nennen. Dem Staat ist gedient, wenn wir das, was sachlich ausgestritten werden muß, wirklich ausstreiten, sofern es in das Plenum des Bundestages gehört, im übrigen aber im Ausschuß. Und Sie wissen ja auch, daß Sie mit der heutigen Debatte Fehler gemacht haben. Vielleicht machen Sie das nächste Mal die Anlage etwas anders.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmidt, Sie haben soeben gesagt, hier würden Fragen erörtert, die eigentlich nicht in dieses Haus gehörten. Ich möchte Ihnen sagen: Sie haben eine Frage oder zwei Fragen an mich gestellt offensichtlich aus Verzweiflung, weil Sie sie in Ihrem Kabinett nicht beantwortet bekommen haben.
Ich werde Ihnen hier die Antwort geben, um die Sie baten. Ich möchte aber vorher sagen, Herr Kollege Schmidt: Ich habe leider nur einen Teil Ihrer Rede hören können. Ich will es sehr höflich machen: Ich habe Sie schon in kollegialerem Ton hier und anderswo diskutieren gehört.
Und ich möchte sagen: Ich kann sehr gut verstehen,wenn Sie sich mit einer Frage aus der gestrigen Debatte noch in die heutige hier hereinschleichen, wasIhr gutes Recht ist; denn es muß Sie, Herr Kollege Schmidt, gestern wirklich gejuckt haben, bei einer Frage schweigend auf der Regierungsbank zu sitzen, die Sie doch sehr interessiert, zumal sich Ihr Herr Nachfolger im Fraktionsvorsitz bisher ja nur durch schriftliche Polemik an dieser wirtschaftspolitischen Debatte beteiligt hat. Ein Wort hat er hier dazu noch nicht gesagt. Das muß Ihnen weh getan haben, und deshalb wollten Sie heute ein paar volkswirtschaftliche Sätze loswerden. Das kann ich verstehen.
Ich will, Herr Kollege Schmidt, jetzt meinem Verständnis für Ihre Frage Ausdruck geben. Denn offensichtlich — so habe ich Sie verstanden — ist diese Anmerkung des Verteidigungsministers in dieser Debatte doch eine Flucht in dieses Haus, um aus der Opposition in der internen Haushaltsberatung und mittelfristigen Finanzplanung innerhalb der Bundesregierung Hilfe zu bekommen.
Das ist doch offensichtlich die Lage. Nun: Hilfestellung in Sachen gemeinsamer Verantwortung für die Sicherheit können Sie von dieser Opposition jeden Tag und auch dann haben, wenn Sie sie in Ihrem Kabinett nicht haben, Herr Kollege Schmidt.
Damit erkläre ich Ihnen in dieser Frage hier folgendes sehr deutlich: Noch weiß kein Mensch in diesem Hause, noch wissen nicht einmal — wenn das stimmt, was das Presseamt der Bundesregierung mitteilt — die Mitglieder der Bundesregierung, wo und an welchen Stellen konkret Zurückstellungen von Geldern oder Einsparungen erfolgen sollen, -und schon wird die Opposition gefragt. Ich verstehe diese Frage trotzdem, und da Sie, Herr Kollege Schmidt offensichtlich innerhalb der Bundesregierung dafür waren, alle solche Fragen nur durch Richtlinien zu entscheiden, möchte ich Ihnen auch die Antwort auf diese Frage jetzt in dieser Richtlinienform geben.Wir meinen in der Tat, daß ein Antiinflationsprogramm, das diesen Titel verdient, ohne alle Tabus sein muß. Das haben wir gestern auch in der außenwirtschaftlichen Frage deutlich gemacht. Da müssen Sie, was Ihren Haushalt betrifft, und das werden Sie sicherlich ohnehin in den Kabinettsberatungen zur Geltung bringen, natürlich den Unterschied machen zwischen außenwirtschaftlich wichtigen Ausgaben — und da haben Sie gerade einige getan, und das war ohne Frage hinsichtlich der Verhandlungen mit den USA ganz gut — und binnenwirtschaftlichen Ausgaben. Da haben Sie eine Differenzierung. Und bei den binnenwirtschaftlichen Ausgaben wiederum — würde ich Ihnen sagen, und dies ist die Meinung, die wir dazu vertreten — muß natürlich die Priorität Verteidigung darin ihren Ausdruck finden, daß alles das fortfinanziert werden muß, was zur Effizienz der militärischen Abschreckung unerläßlich ist.
Das ist die Priorität, und das ist der entscheidende Gesichtspunkt.
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7106 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. BarzelWenn Sie von mir aber vielleicht hören wollten, Ihr ganzer Haushalt sei ein Tabu, diese Erklärung kann ich Ihnen nicht abgeben. Ich muß so differenzieren, wie wir es hier gesagt haben. Da kann es sehr wohl sein meine Kollegen haben Ihnen doch Fragen gestellt, die eben nicht von Ihnen beantwortet worden sind, Herr Kollege Schmidt, Fragen nach dem, was notwendig ist —, daß im Interesse militärischer Abschreckungseffizienz im Bündnis in manchen Bereichen m e h r notwendig ist. Aber hier fehlt eben die Prioritätenliste und die Differenzierung durch die Regierung. — Ich denke, ich habe nun diese Frage beantwortet.Sie spüren in Ihrem Haushalt, Herr Kollege Schmidt, sicher ganz besonders — wie auch der Kollege Leber —, daß Sie immer mehr in die Lage kommen, mit mehr Geld weniger erreichen zu können. Das ist das Problem. Das Problem Ihres Haushalts ist deshalb: Stellen Sie die Kaufkraft wieder her, kümmern Sie sich um reale Stabilität, dann wird es auch in Ihrem Haushalt besser gehen.
Meine Damen und Herren, da der Kollege Schmidt eine zweite Frage gestellt hat, will ich sie auch eben beantworten. Es ist nicht ganz fair, dieses NATO-Dokument so, wie Sie das hier eben behandelt haben, in die Debatte zu bringen. Sie wissen sehr gut, warum Sie dieses NATO-Dokument in einer plötzlichen Entschließung der Koalitionsfraktionen hier zur Abstimmung zu stellen versuchten. Da ging es Ihnen nicht um den militärpolitischen und den strategischen Teil, zu dem wir in dem Augenblick, als Sie ihn hier einbrachten, ja gesagt haben. Das kann doch gar nicht fraglich sein. Warum liegt das in den Ausschüssen fest, vor allen Dingen, wie ich glaube — ich bin im Augenblick überfragt —, im Auswärtigen Ausschuß? Es ist mein Eindruck, Herr Kollege Mattick, daß es dort liegt. Warum liegt es dort? Weil dies doch aus Ihrer Sicht der Versuch war, uns wegen des einen Satzes, der zu den Ostverträgen im Kommuniqué steht, hier irgendwelche Schwierigkeiten zu machen.
Deshalb haben wir Ihnen damals gesagt: Wir stimmen dem Kommuniqué mit Ausnahme dieses Satzes zu. Über diesen Satz — hören Sie zu, Herr Kollege Mattick, es ist jetzt eine außenpolitische Frage — wird man dann anders urteilen können, wenn die Bundesregierung die Informationen, die die Verträge betreffen, auf den Tisch legt.
— Eine Sekunde, Herr Tamblé, überlegen Sie sich den Zuruf, ob er Ihnen nachher nicht — wie gestern — vielleicht leid tut. In dem Kommuniqué werden die Verträge als „Modus vivendi" bezeichnet. Die Sowjetunion, die DDR und Polen bezeichnen sie als endgültige Regelung. Dieser Dissens muß aufgeklärt werden, bevor über diese Frage im Ausschuß verantwortlich votiert werden kann.
Ihnen ist doch nicht unbekannt geblieben, daß diese Fraktion, für die ich hier spreche, für Gewaltverzicht ist, daß sie bereit ist, einen Modus vivendi mit der Sowjetunion, mit der DDR, mit Polen zu finden, daß sie sich aber weigert, endgültige Regelungen jetzt vorzunehmen.
Das gehört in den Ausschuß, und allein an dieser Frage hängt diese Sache. Deshalb würde ich Sie sehr herzlich bitten, Herr Kollege Schmidt: den Popanz bitte weg! Der strategische und militärpolitische Teil dieser Resolution findet unsere Zustimmung, wie wir beim Einbringen dieser Erklärung zum zweitenmal gesagt hatten, denn wir hatten das NATO-Kommuniqué bereits in der ersten Rede vor, wie ich glaube, unserer Dezember-Debatte begrüßt: mit diesem einen Vorbehalt.Das war die Antwort auf die beiden Fragen, die Sie uns gestellt haben. Ich danke dem Herrn Präsidenten, daß er mich zwischendurch drangenommen hat
- drangelassen hat; wie immer Sie mögen, meineDamen und Herren —, und würde es dankbar begrüßen, wenn die Debatte in den anderen Teilen nach der langen Rede des Herrn Ministers den ursprünglich vorgesehenen Fortgang nehmen könnte.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Barzel wird wissen, daß Bundesminister das Recht haben, trotz der Appelle, die an sie gerichtet werden, zu sprechen.Sie haben ein bißchen abgelenkt von der Frage, die Ihnen gestellt war, Herr Barzel.
Meine Frage haben Sie für Ihre Person deutlich und klar beantwortet: ohne alle Tabus; auch der Verteidigungshaushalt kann nicht tabu sein, wenn konjunkturelle Gründe es erfordern. Das ist eine klare Antwort. Das hatte ich unterstellt. Das ist auch meine Meinung, und so habe ich auch im vorigen Jahr schon gehandelt. Ich bin zwar heute dafür angeklagt worden, daß ich im vorigen Jahr aus konjunkturellen Gründen 1080 Millionen DM zur Verfügung gestellt habe; dessen hat mich einer Ihrer Sprecher angeklagt. Aber ich nehme Ihr Wort wichtiger als das des Anklägers von heute früh. Ich stimme Ihnen in diesem Punkte zu.Nur müssen Sie sich dann wirklich fragen, ob es angeht, daß im selben Augenblick — und das nun schon seit Wochen — andere Leute Ihrer Fraktion für ein anderes Publikum — Sie haben für den konjunkturpolitischen Teil der öffentlichen Meinung gesprochen, die da aufmerksam ist —, für einen anderen Teil der öffentlichen Meinung, so
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Bundesminister Schmidttun, als oh wir in den „Jahren des Heils" 1970 und 1971 eine Reihe von Beschaffungsprojekten vergammeln ließen, weil wir das Geld dafür nicht hätten oder nicht aufbringen wollten. Dies müssen Sie nun in Ihrem eigenen Klub einmal bereden.Es ist richtig, wenn Sie sagen, binnenwirtschaftliche Ausgaben wirken in einer konjunkturellen Situation wie dieser anders als außenwirtschaftliche. Deswegen habe ich mich das ganze letzte Jahr bemüht, Beschaffungsvorhaben ins Ausland zu vergeben, nach Amerika, nach Frankreich. Was bin ich deswegen von Ihrem Nachbarn, von mir aus gesehen zur Rechten, gescholten worden! Was bin ich noch hier in dieser Debatte des Bundestages gescholten worden, weil für die eigene Industrie nicht genug getan werde! Sie müssen sich bitte eine in sich geschlossene Argumentationskette zurechtlegen.
Es darf nicht der eine so reden und der andere so.Ich bin der Meinung, die Herr Barzel heute hier ausgedrückt hat: In der gegenwärtigen konjunkturellen Lage muß man versuchen, das, was unabweisbar nötig ist, zu tun und, wenn möglich, im Ausland zu tun. Aber dann müssen Sie bitte auch dafür sorgen, daß andere Sprecher Ihrer Fraktion bei anderer Gelegenheit, aber auch hier in diesem Hause heute, dieselbe Tonart -
— Sie wollen eine Zwischenfrage stellen? — Bitte schön.
Herr Kollege Schmidt, würden Sie darauf verzichten, hier jetzt etwas darzutun und etwas in meine Auffassung hineinzuinterpretieren, was nicht drin war? Ich habe deutlich gemacht, dal3 a) die Differenzierung notwendig ist und b) die Priorität. Und ich habe hinzugefügt, daß nichts unterlassen werden darf, was im Interesse der Effizienz militärischer Abschreckung notwendig ist; das könne in einzelnen Bereichen auch eine Mehrausgabe sein. Dies war meine Aussage. Die bitte ich nicht zu verfälschen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wollte — Herr Barzel, wenn Sie einen Augenblick in Ruhe zuhören — ja gar nicht verfälschen. Ich wollte Ihnen ja zustimmen. Ich habe nur beklagt, daß die anderen anders reden als Sie.
— Aber sicher! Aber selbstverständlich!
Ich habe Ihnen doch zugestimmt: ohne alle Tabus, und das, was notwendig ist, was unabweisbar ist, muß wirklich gemacht werden, aber möglichst außenwirtschaftlich und nicht binnenwirtschaftlich. Dasist alles vernünftig, wie meistens, wenn Sie ohne Emotionen reden, Herr Barzel.
Aber Sie waren eben schon am Rande der Emotion.Ich muß mich nun in diesem Zusammenhang gegen etwas anderes wehren dürfen. Das klang schon bei anderen Sprechern heute morgen ein bißchen an. Bei Ihnen war das soeben sehr deutlich: Sie müßten den armen Verteidigungsminister in Schutz nehmen vor seinen eigenen Genossen und Kollegen. Dies ist einfach zu billig.
Wissen Sie, diese Fraktion, der ich nun viele Jahre angehört habe und die mich seit vielen Jahren kennt, der einiges an mir mißfällt und die anderes ganz gern mag, hat das selber wissen müssen, wen sie da zum Verteidigungsminister machte. Denn der hat über dieses Thema seit zehn Jahren geredet und geschrieben und über seine Meinungen Auskunft gegeben, und die haben sich nicht geändert. Es ist nicht in Ordnung, wenn Sie so tun, als ob es hier in Wirklichkeit Meinungsverschiedenheiten gebe. Aber das wird auch nicht gesagt, weil Sie uns damit hier beeindrucken wollen oder mir wirklich helfen wollen, wie Sie es vorgeben zu tun, sondern in Wirklichkeit wollen Sie mir einen Tort antun und wollen gern, daß das draußen in den Zeitungen gedruckt werde. Mit Hilfe hat das wirklich nichts zu tun, Herr Barzel.Nun drittens noch einmal zu den NATO-Papieren. Aus was für Gründen auch immer, Herr Barzel, und sei es wegen des von Ihnen eben zitierten einen Satzes, dem Sie damals nicht zugestimmt haben es ist mehr als ein Satz, es sind zwei Absätze zur deutschen Ostpolitik; ich habe sie genau im Kopf, denn ich habe sie mit ausgearbeitet —, sei es also wegen dieser beiden Absätze, also aus was für Gründen auch immer Sie das damals ablehnten, — ich würde froh sein, Sie würden nachträglich endlich zum Beschluß kommen. Denn dann bräuchten weder Herr Marx noch Herr Abelein die großen Reden über die Sicherheitskonferenz und über die Bedrohung zu halten. Das steht da nämlich alles drin.
— Nein, Herr Rommerskirchen, wenn Sie etwas Neues bringen, dann ist das großartig, dann wird es eine interessante Debatte. Nur, was die Regierung erklärt hat, muß man lesen. Man darf nicht sagen: Wir denken nicht daran, es zu akzeptieren, weil es den einen Satz enthält, den wir nicht billigen können. Nehmen Sie die Erklärung zur Kenntnis; setzen Sie Ihren Namen darunter; machen Sie meinetwegen den Vorbehalt: bis auf diesen einen Absatz. Aber verschonen Sie uns mit Anklagen über angeblich nicht getroffene Feststellungen, die nunmehr seit fünf Kalendermonaten vorliegen. — Ich sehe, daß Herr Barzel mir nicht mehr zuhört. Ich
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7108 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Bundesminister Schmidtwill ihn verschonen und nicht noch einmal an seine Aufmerksamkeit appellieren.
Jetzt hat er das Papier vor sich. Geben Sie mir recht, daß es mehr als ein Satz ist?
— Das war kein Trick!
- Das war kein Trick. Herr Barzel, es waren zwei Papiere: 1. das Schlußkommuniqué der Ministertagung des NATO-Rats und 2. die AD 70. Die AD 70 enthält überhaupt nichts über die Ostpolitik; sie handelt nur von strategischen Problemen. Die sollten Sie auch billigen; das haben Sie aber auch nicht getan. Weshalb nicht? Sie haben es, nicht getan, weil man Sie dann auf denselben Wortlaut festnageln könnte, den die Bundesregierung vertritt und den Sie nicht vertreten wollen. Sonst erklären Sie doch jetzt, daß Sie diesem Wortlaut zustimmen. Dann brauchte Herr Marx seine Reden nicht mehr zu halten; dann brauchte er nur zu sagen: Wir haben ja beide demselben Papier zugestimmt!
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bußmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit anderthalb Jahren — das heißt praktisch: seit dem Amtsantritt dieses Verteidigungsministers — hören wir von der Opposition Kassandrarufe über die Zukunft unserer Verteidigung, über die Notwendigkeit größerer Verteidigungsanstrengungen, insbesondere höherer Mittel. Die Frage, wo diese Mittel herkommen sollen, ist noch nie beantwortet worden; denn in Haushaltsberatungen und allgemeinen wirtschaftspolitischen Debatten wird eher ein allgemeines Sparprogramm vorgetragen.Das ist genau die Problematik, die soeben in der Debatte zwischen dem Minister und dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion eine Rolle spielte. Ich finde es, auf Dauer gesehen, weder erträglich noch redlich, daß auf dieser Platte immer und immer weitergespielt wird. Viele Schwierigkeiten der Vergangenheit beruhen zum großen Teil darauf, daß in den vergangenen sechs Jahren — in der Periode, die im Dokument AD 70 genannt wird — der Verteidigungshaushalt zur Reservekasse von Regierungen gemacht wurde, in denen nicht die Sozialdemokraten oder die Freien Demokraten die Verantwortung für den Verteidigungshaushalt trugen. Der Verteidigungsminister hat soeben die nackten Zahlen genannt. Man könnte das sehr viel genauer und besser in Zahlen illustrieren. Vielleicht darf man den Damen und Herren der CDU/CSU-Fraktion ins Gedächtnis zurückrufen —
ich möchte Sie bitten, zuzuhören , welche Situationwir z. B. auf dem Sektor der Verteidigungsfinanzierung im Herbst 1966 vorfanden, als auch eine allgemeine Finanz- und Wirtschaftskrise eingetreten war. Damals — Herr Zimmermann, darf ich Sie vielleicht an das Jahr 1966 erinnern gab es auch eine längerfristige Planung für die Bundeswehr, die sogar in Zahlen -- in groben Zahlen — ausgedrückt war und die weitgehend Grundlage der sogenannten Bravo-Planung der NATO war. Damals waren für die Bundeswehr für die kommenden fünf Jahre nicht weniger als immerhin 124 Milliarden DM vorgesehen. Sie kennen die schwierige finanzielle und wirtschaftliche Situation vom Ende 1966. Schon Finanzminister Schmücker sorgte dafür, daß diese Summe mittelfristig — ohne daß es eine mittelfristige Finanzplanung gab — um 113 Millionen gekürzt wurde. Mit diesen 113 Millionen kamen Sie damals in die Verhandlungen zur Großen Koalition, und während dieser Verhandlungen über die Bildung der Großen Koalition und bei der Vorbereitung der ersten mittelfristigen Finanzplanung wurde der Gesamtplafond der Verteidigung für die Jahre 1967 bis 1971 auf 96,4 Milliarden von ursprünglich 124 Milliarden heruntergesetzt. Das sind hübsche Zahlen, die illustrieren, wie man unter Umständen, wenn es finanzpolitisch notwendig wird, die Strategie der knappen Mittel auch auf den Verteidigungshaushalt anwenden muß. Ich mache Ihnen daraus gar keinen Vorwurf. Nur, wenn Sie damals, und dann in den Folgejahren, zum guten Teil das Kapitel Verteidigung genommen haben, um zu ausgeglichenen Haushalten zu kommen und die Zuwachsrate des Bundeshaushalts möglichst gering zu halten, dann können Sie nicht unmittelbar nach Antritt einer neuen Regierung fordern, daß jetzt vieles von dem nachgeholt wird. Herr Marx, beim letztenmal haben Sie korrekt und richtig das Dokument AD 70 genannt und darauf verwiesen, daß dort stehe, in den Jahren 1964 bis 1970 - oder 1968 — seien im Ostblock die durchschnittlichen Rüstungskosten pro Jahr um 6 % gestiegen. Das ist völlig richtig.
— Oder einer Ihrer Kollegen hat es gesagt. — Allerdings war genau diese Entwicklung in der Periode nicht zu verzeichnen, in der Sie die politische Verantwortung trugen und in der der verantwortliche Finanzminister, Herr Strauß, mit den damaligen Schwierigkeiten fertig zu werden hatte. Diese Komplexität der finanzpolitischen Schwierigkeiten muß man sich ins Gedächtnis zurückrufen, wenn man heute darüber diskutiert.Ich habe hier ein Interview des damaligen Finanzministers in der „Welt" vom 18. Juli 1967, sicherlich zu mehr als 10 % richtig. Die Überschrift lautet: „Strauß wird deutlich: Höherer Wehretat ohne mich!" Es ist hochinteressant, welche Äußerungen er dort von sich gibt. Er sagt: Der Bundesverteidigungsminister muß sagen, wo er die 2 Milliarden — die waren damals strittig — hernehmen will, die er haben möchte. Welcher andere Etat soll um diese 2 Milliarden gekürzt werden? Da er nicht zu finden ist, müssen wir einen anderen Finanzminister suchen,Dr. Bußmannder kraft eines göttlichen Wunders aus zwei mal zwei fünf machen kann.Ich habe bisher von Ihnen noch nicht erfahren, daß es bei Ihnen jemanden gibt, der kraft göttlichen Wunders die Rechenmethoden Adam Rieses so verändert hat, daß Sie aus zwei mal zwei fünf machen können. Das kann auch dieser Finanzminister nicht, und wir stehen vor den gleichen finanziellen Schwierigkeiten, die damals eine Rolle gespielt haben und die in Zukunft eine Rolle spielen werden; denn natürlich ist es auch ein militärisches Gesetz, neben der Komplexität des Oberstleutnants zur Disposition, daß das Militär in seinen Forderungen, ausgerichtet nach dem Potential einer anderen Seite, immer über den Möglichkeiten des Etats liegt. Das gilt für die preußisch-deutsche Militärgeschichte und für die königlich-bayerische. Darüber braucht man nicht zu reden.
— Es ist richtig, es kommt darauf an, was man mit dem Geld anfangen kann. Darüber hat Herr Strauß damals ausführlich gesprochen.
— Moment! Darüber hat er ausführlich gesprochen, indem er sagte, Voraussetzung für eine sinnvollere Verwendung von Mitteln in der Zukunft wird sein, daß eine neue Verteidigungskonzeption entwickelt wird. Er fügte dann hinzu: „Mehrere hundert Millionen jährlich könnten nach meiner Ansicht durch eine Straffung der militärischen Organisation und durch den Abbau finanzieller Vergünstigungen eingespart werden." Allerdings meint auch er, die Umrüstung gehe nicht so schnell, wie das Verteidigungsministerium es wünscht. Man müsse auch auf manchen technischen Perfektionismus verzichten.Genau das, was der letzte Verteidigungsminister begonnen hat, versucht dieser Minister fortzusetzen. Dieser Verteidigungsminister hat heute erwähnt, daß er bei der Heeresreform, bei der Strukturänderung des Heeres oder bei der TerrOrg. auf das zurückgegriffen hat, was vorlag, bzw. daß er das fortgesetzt hat, was unter Ihrer Ägide bereits eingeleitet worden war. Wir versuchen, das hier auch mit der sinnvolleren Verwendung der Mittel fortzusetzen, allerdings noch sehr viel entschiedener, als Sie es damals in den Bindungen, in denen Sie sich befanden, tun konnten.Minister Schmidt hat mit dieser großen Bestandsaufnahme angefangen, die im Grunde nichts anderes war als zunächst einmal die Eröffnung der Abschlußbilanz Ihrer Regierungszeit, um auf Grund der dann neu errechneten Zahlen zu beginnen und um dann Rationalisierungsmaßnahmen einzuleiten, die in der Regel mehr als anderthalb Jahre brauchen und bei denen es um eine Legislaturperiode oder, soweit es sich um wesentliche Strukturveränderungen wie um die heute angedeute Teilung der Armee in Milizarmee und Kernarmee handelt, um mehrere Legislaturperioden geht.Dieses Programm wird aber — Herr Klepsch, da brauchen wir keine erneute Bestandsaufnahme -durchgeführt werden. Wenn Sie das Weißbuch genau lesen, werden Sie auch dort zwischen Maßnahmen kurzfristiger, mittelfristiger und langfristiger Art unterscheiden können. Manche haben es mißverstanden. Die müssen es nur genau lesen. Dieses Programm wird eingehalten werden.Auf den anderen Gebieten sind uns sorgfältige Untersuchungen lieber als über den Daumen gepeilte Kurzprogramme. Deshalb bin ich im Grunde dankbar, daß die Personalstrukturkommission sich etwas mehr Mühe macht, um es genauer auszurechnen. Ich bin dankbar, daß die Bildungskommission, parierend auf dem ersten Vorschlag, dem sogenannten Ellwein-Papier, für die Zukunft quantifiziert und konkretisiert Vorschläge vorlegen wird, bei denen ich der Überzeugung bin, daß auf diesem Teilbereich das Ganze jedenfalls nicht teurer werden wird.Wir werden das mal durchforsten müssen. Wir werden allerdings auch manches von dem durchforsten müssen, was uns von den Militärs als Tabu hingestellt wird. Wenn wir über acht oder zwölf Divisionen oder über die Stillegung von Brigaden reden, müssen wir in der nächsten Debatte im Ausschuß und dort ist der Ort etwa auch mal fragen, wieviel neue Einheiten denn eigentlich in den letzten fünf, sechs oder acht Jahren zusätzlich zu den 33 Brigaden geschaffen worden sind und woher die Personalkader für diese Einheiten gekommen sind. Wir müssen fragen, ob in diesen letzten zehn Jahren neue Einheiten mit Personal geschaffen wurden, das man aus bestehenden Einheiten herausziehen mußte, um so deren Schwierigkeiten noch zu vergrößern. Das gehört auch dazu.Wir werden im einzelnen prüfen müssen, wie es mit den materiellen Anforderungen der Teilstreitkräfte ist, inwieweit das haltbar sein wird. Ich bin dankbar dafür, daß wir mit sinnvollen und sachlich bezogenen Diskussionen über die Ausrüstung unserer Bundeswehr begonnen haben. Denn unser politisches Urteil spielt auch eine wesentliche Rolle, nicht nur das, was uns von militärischer Seite nur unter militärischen Gesichtspunkten vorgeschlagen wird. All das wird zu berücksichtigen sein, und wir werden das berücksichtigen.Nur, Sie müssen sich einfach daran gewöhnen, von dem hohen Roß herunterzukommen, das hier dauernd geritten wird, indem uns unterstellt wird, diese Regierung betriebe eine Sicherheitspolitik, die auf Grund mangelnder Mittel, die zur Verfügung stehen, auf die Dauer zu einer Überalterung der Bundeswehr führt, die auf die Dauer auch ungeeignet sein wird, den Auftrag dieser Bundeswehr auf Grund des materiellen Unterbaus zu erfüllen. Davon müssen Sie herunter. Sie müssen uns dann klipp und klar sagen, auf welche Weise die finanziellen Grundvoraussetzungen verändert werden sollen, und zwar auf wessen Kosten.Man braucht nicht im Haushalts- oder Finanzausschuß zu sein, um der Bevölkerung oder den Kollegen oder den Hörern zu sagen, welche Kosten und welche Kostenbeiträge dann wohl in Frage
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7110 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. Bußmannkämen. Dann müssen Sie mit uns die Frage nach den Steuern beantworten, die eventuell notwendig sind, oder die Frage nach den Einsparungen in anderen Etats, die Minister Strauß 1967 so brüsk gegegenüber Minister Schröder abgelehnt hat. Wir werden im Haushaltsausschuß, Herr Kollege Haase, uns auch Gedanken machen müssen, wobei wir uns— dessen bin ich mir ganz sicher — nicht davon abhalten lassen, nach wie vor in die sachliche Prüfung einzutreten und all das, was uns sachlich unberechtigt erscheint, zu streichen, auch wenn damit der Gesamtplafond um einiges gesenkt wird. Oder man soll uns vernünftige Vorschläge zur Verlagerung machen. Damit sind wir immer einverstanden; denn die Notwendigkeit dieser Ausgaben sehen wir ja durchaus ein.Eine letzte Bemerkung zu einem Problem, das vom Kollegen Marx angeschnitten wurde und auf das dann die Kollegen Klepsch und Wienand eingegangen sind. Herr Kollege Wienand spricht in diesem Hause seit vielen Jahren in außenpolitischen und verteidigungspolitischen Beiträgen über die Probleme der Entspannungspolitik. Er versucht seit vielen Jahren zusammen mit vielen anderen Kollegen klarzumachen, warum die Sozialdemokraten— und nicht nur die Sozialdemokraten — zu der Aussage kommen, daß die Sowjetunion heute in ihrer praktischen Politik im wesentlichen eine Status-quo-Macht geworden ist. Man muß dazu etwas ausholen.
— Natürlich glaube ich das, und das ist auch so. Diese Aussage ist auch gar nicht originell. Wir beanspruchen auch gar keine Urheberrechte dafür.
— Herr Minister Schmidt hat darüber in der Verganzenheit auch lange Ausführungen gemacht. Aber, Herr Wörner, es wäre ganz nett, wenn Sie zunächst einmal hörten, was hier zu sagen ist, ehe Sie selber das sagen haben wollen.Schon unter Präsident Kennedy ist jedenfalls in die meisten Länder der westlichen Welt die Erkenntnis eingezogen, daß in der weltpolitischen Situation, die wir uns angewöhnt haben, atomares Patt zu nennen, nämlich unter dem Druck der Tatsache, daß auf beiden Seiten Gegenschlagkräfte mit ungeheuren nuklearen Vernichtungskapazitäten vorhanden sind, die in einem ersten Schlag von einem Angreifer nicht vernichtet werden können, daß unter den Gesetzen des atomaren Patt, unter den Gesetzen des Gleichgewichts des Schreckens jede außenpolitische Bewegungsstrategie von Großmächten de facto in dieser Welt unmöglich geworden ist. Seitdem ist der Hegemonialbereich — so kann man ihn auch nennen — der Großmächte in dieser Weltweitgehend abgesteckt worden mit weißen Zonen dazwischen.
Ein Übergreifen in diesen Hegemonialbereich wird wahrscheinlich von beiden Seiten als Casus belli verstanden, der dann zur eigenen Vernichtung führt. Eine außenpolitische Bewegungsstrategie erzeugt in dem Augenblick, da man selbst angreift, den eigenen Tod durch den unvermeidlichen Gegenschlag des Angegriffenen. Unter diesen Bedingungen haben sich die Großmächte de facto zu Statusquo-Mächten entwickelt, die in ihrer außenpolitischen Bewegungsfreiheit weitgehend gebunden sind, wenn es auch natürlich noch Grenzbereiche gibt, wo diese außenpolitische Bewegungsfreiheit größer erscheinen mag. Dem Ganzen widerspricht z. B. nicht die Intervention in der Tschechoslowakei oder die Intervention durch sowjetische Truppen in Ungarn seinerzeit. Die Erhaltung des eigenen Machtbereichs — —
Ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.
Die Erhaltung des eigenen Machtbereichs gehört durchaus in dieses Verhalten einer Status-quo-Macht.
— Bitte schön!
Sie haben Ihre Redezeit bereits überschritten. Da kann ich keine Frage mehr zulassen. Sie müssen zum Schluß kommen, Herr Abgeordneter. Es sind nur 15 Minuten Redezeit für Sie angemeldet.
Das tut mir leid. Aber das Wort des gestrengen Herrn Präsidenten — —
— Ich stimme Herrn Marx zu. Ich hoffe, Herr Marx — das richte ich an alle Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion —, daß wir diese Diskussion demnächst in den Ausschüssen, wenn wir einmal nicht die Probleme der unmittelbaren Materialbeschaffung haben, diskutieren können, und zwar in der Ausführlichkeit, die das Thema verdient.
Das Wort hat der Abgeordnete Ernesti.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die große Schau des Ministers ist vorüber. Wir hatten sie erwartet.
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Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7111
Ernesti— Die Feststellung darf man wohl noch treffen. Wir kennen diese Auftritte. Sie werden draußen ja wohl auch entsprechend gewürdigt.
Wir kennen auch die Image-Schrift Nr. 2 des Ministers, wo verkündet worden ist: „Wo Minister Schmidt hinschlägt, wächst kein Gras mehr".
Dafür haben wir heute wieder ein Musterbeispiel bekommen.Aber ich darf vielleicht noch einmal darauf zurückkommen, daß er von den Geburtsschwierigkeiten beim Aufbau der Armee gesprochen hat. Dazu gehört auch sicherlich die Bewußtseinslage damals, die er nicht erwähnt hat,
die von Kräften mitbestimmt war, die den Wehrgedanken schwer belastet haben
und heute so tun, als hätten sie die NATO mit gewollt und mit geschaffen.
Das mußte ich nachholen, um wirklich die Geburtsschwierigkeiten der Bundeswehr hier noch einmal herauszustellen.Wir waren uns darüber einig, daß wir jetzt eine Runde über die innere Situation der Bundeswehr einleiten wollten. Da der Herr Minister so freundlich war, hier bereits Zustandsberichte aus den vergangenen Jahren zu zitieren, bin ich natürlich bereit, ihm zuzugestehen, daß die krisenhafte Situation — nicht die Krise, sondern die krisenhafte Stimmung in der Bundeswehr, die zugenommen hat — zweifellos nicht nur auf seine Amtszeit zurückgeht, sondern daß es ein langer Prozeß gewesen ist. Aber wir lassen es uns als Opposition nicht nehmen, den gegenwärtigen Bundesminister der Verteidigung darauf anzusprechen. Denn wir haben auch unserem eigenen Minister damals unsere Sorgen und Nöte vorgetragen. Wir werden auch diesem Minister unsere Sorgen und Nöte vortragen und das Bild so schildern, wie wir es sehen.
Im Jahresbericht des Wehrbeauftragten steht — ich darf zitieren :Die Truppe ist nach meinen Beobachtungen zum großen Teil davon überzeugt, daß Anregungen, Vorschläge und Initiativen, die auf dem Dienstweg der politischen und militärischen Führung zugeleitet werden, ihre Adressaten nicht erreichen.Und weiter: Gleiches gelte für Erfahrungsberichte,in denen auf die häufige Diskrepanz zwischen gegebenem Auftrag und den zur Verfügung gestelltenMitteln für die Durchführung hingewiesen werde.Es heißt:Ich habe deshalb gerade in dieser Hinsicht vielfach Resignation in der Truppe feststellen müssen.Herr Wehrbeauftragter — er ist inzwischen ja wohlseit Mittag abwesend, was ich nicht für sonderlichglücklich halte, wenn wir seinen Bericht beraten —,
Rede von: Unbekanntinfo_outline
vielleicht befehlen Sie für einen bestimmten Zeitraum, daß alle Berichte und Vorschläge der Truppe im Original der oberen Führung vorgelegt werden und daß die Zwischenvorgesetzten nur das Recht haben, eine Stellungnahme dazu abzugeben, ein Umformulieren ihnen aber untersagt wird. Vielleicht könnte hierdurch das Mißtrauen in der Truppe abgebaut werden.
Auch die Sprache der Truppe käme einmal wieder in das Bewußtsein der höheren Führung. Denn mir scheint, sowohl die politische wie die militärische Führung sprechen inzwischen eine so andere Sprache als die Offiziere der unteren Führungsebene, daß kaum noch eine Verständigung möglich ist.
Man kann nicht einmal sagen, daß die für die Mehrzahl unverständliche Sprache der höheren militärischen Führung oder der politischen Führung Falsches sagt. Nein. Sie redet nur an der immer mühsamer werdenden Wirklichkeit des Truppenalltags vorbei. Allerdings müßte dann sichergestellt sein, daß diese Berichte auch gelesen werden. Wir haben ja jüngst ein Beispiel im Verteidigungsausschuß erlebt. Als der Parlamentarische Staatssekretär mit uns den Bericht des Wehrbeauftragten diskutieren wollte, der bereits zwei Monate auf dem Tisch lag, mußte er zugeben, daß er ihn bis zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht gelesen hatte. Deswegen diese Bemerkung; sie mußte gemacht werden.Aber auch Sie, Herr Minister, können durch eindeutige Erklärungen mit dazu beitragen, daß das Mißtrauen abgebaut wird. In Koblenz hörten wir von Ihnen in der Hauptmannstagung — trotz vieler vorausgegangener Verharmlosungen über die Lage in der Bundeswehr —, daß die inneren Schwierigkeiten noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hätten und in den nächsten Jahren weiter zunehmen würden und daß die politische und militärische Führung der Truppe schweren Belastungen ausgesetzt werde. In der Bundestagsrede im März hier in diesem Hause haben Sie erklärt:Nur wer in althergebrachten militärischen Vorstellungen befangen geblieben sein sollte, kann
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7112 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Ernestisich zu pessimistischen Urteilen über die Bundeswehr und ihre Soldaten verleiten lassen.
Es ist zu begrüßen und zu hoffen, daß sich bei dem Herrn Minister die von uns seit langem herausgestellten schweren Sorgen um die innere Situation in der Bundeswehr in seiner eigenen Lagebeurteilung endlich niederschlagen und daß nach einer neueren Bestandsaufnahme nunmehr energische Maßnahmen zur Verbesserung dieser mißlichen Lage ergriffen werden. Mit „Weißbuch"-Maßnahmen und -Ankündigungen allein ist der Bundeswehr nicht geholfen. Sie können bei der Lösung der anstehenden Probleme, die teilweise auch der Wehrbeauftragte in seinem Bericht angesprochen hat, auf unsere Unterstützung rechnen. Nur müssen Sie sich endlich entschließen, damit aufzuhören, immer wieder verschiedene Versionen zu geben, und damit einen persönlichen Beitrag leisten, dem Vorgang der weiteren Verunsicherung in der Truppe ein Ende zu bereiten.Wir sehen die unmittelbaren Ursachen, die zu der krisenhaften Stimmung — ich sage nicht zu der Krise, sondern zu der krisenhaften Stimmung — in der Bundeswehr geführt haben, erstens in einem gewissen Schwund des Vertrauens zur politischen und militärischen Führung, zweitens in der schwierigen und sich weiter verschlechternden Personallage — ich komme darauf nachher noch einmal zurück —, drittens in der nachlassenden Disziplin und in einem Autoritätsschwund, viertens in der weiter anhaltenden politischen Polarisierung, fünftens in einer um sich greifenden Resignation, sechstens in dem ständigen Versuch, um jeden Preis, d. h. auch unter Preisgabe der Funktionsfähigkeit, das Militärische an das Zivile anzugleichen, und siebentens in der Enttäuschung, die durch das Ausbleiben der groß angekündigten „Weißbuch"-Maßnahmen, auf wesentlichen Gebieten aber unerfüllt gebliebenen Versprechungen entstanden ist.Nicht erst der Wehrbeauftragte, meine Damen und Herren, hat im Zusammenhang mit seinem letzten Jahresbericht die Kluft zwischen Truppe und militärischem Führungsapparat bemängelt. Das Schlagwort von der „verwalteten Armee" geht seit Jahren um und konnte auch nicht durch die neuartige Schau vielfältiger Tagungen abgebaut werden. Unmittelbare Aussprache und Aufforderungen zur Diskussion helfen nicht, wenn bei gegenteiliger Auffassung plötzlich nach Disziplin und „geistig straffer Führung" gerufen wird.
Wenn man die politische Polarisierung durch Maßnahmen in die Armee hineinträgt, kann man es denen, die sich dagegen wehren, nicht vorwerfen, wenn sie sich öffentlich zu diesen Vorgängen äußern.
— Sie wollen Beispiele, ich weiß. Natürlich werde ich Ihnen welche nennen. Dazu gehört wieder einmal der Erlaß vom 17. Juni, der auch im Bericht des Wehrbeauftragten kritisiert worden ist. Ich erinnere auch an die personellen Veränderungen unter Berücksichtigung politischer Überzeugungen. Herr Kollege Pawelczyk hat das doch in die Welt gesetzt und die Truppe mit seiner Äußerung beunruhigt, Ein weiteres Beispiel sind die Einladungen zu Parteiveranstaltungen mit der Verlockung, dem Bundesminister der Verteidigung vorgestellt zu werden.
Denken Sie auch an den Satz vom Befolgen „sozialdemokratischer Befehle", die Versendung der „Sozialdemokratischen Sicherheitspolitik" an Dienststellen der Bundeswehr und die einseitige Unterrichtung durch „Bundeswehr aktuell" ! Ich komme darauf noch einmal zurück.Sich kameradschaftlich und loyal zu verhalten, ist nicht nur eine berechtigte Forderung von oben nach unten, sondern verpflichtet zu gleichem Verhalten auch in umgekehrter Richtung. Sonst ist das ein schlechter Führungsstil.
Verbale Erklärungen allein werden uns nicht weiterhelfen. Wie sagten Sie, Herr Minister, am 26. März hier in diesem Hause: „Auch Minister können Disziplin nicht verlangen, wenn sie selbst nicht Disziplin wahren sollten"? Selbstverständlich einverstanden! Aber nun schreiten Sie auch zur Tat!
Oder wie sollen es die Soldaten verstehen, wenn Sie die Vorgesetzten auffordern, nun endlich den Befehl zu befolgen und die Untergebenen mit „Herr" anzureden, während Sie im Dienst Ihre Staatssekretäre in Anwesenheit von Soldaten und Beamten duzen,
mit Vornamen anreden
und die Staatssekretäre Ihnen gegenüber ebenso verfahren?
Oder was soll der Brief Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs an mich, in dem ich darauf aufmerksam gemacht werde
— ich verstehe Ihre Beunruhigung - —
Meine Damen und Herren, ich darf Sie um etwas Ruhe bitten. Auch dieses Problem wird sich in der Diskussion lösen lassen.
Was soll denn der Brief des Parlamentarischen Staatssekretärs an mich, in dem ich darauf aufmerksam gemacht werde, daß ein Offizier den Informationsdienst der CDU, den er persönlich bekommen hatte, dienstlich in Umlauf gesetzt habe? Natürlich bin ich der Meinung, daß das ein Verstoß gegen das Soldatengesetz ist. Aber dann können Sie auch nicht zulassen, daß der Bundesvorstand ,der SPD Ihren „Verteidigungspoliti-
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Ernestischen Dienst" an Dienststellen der Bundeswehr verschickt und ihm damit dienstlichen Charakter verleiht. Die Truppe versteht diese Doppelbödigkeit nicht. Oder wenn Sie alle Abgeordneten auffordern, vor Wahlkämpfen in den Ländern Zurückhaltung bei Truppenbesuchen zu üben, selbst aber während des letzten Wahlkampfes in Schleswig-Holstein nach einer Wahlveranstaltung im gleichen Ort mit neun Ihrer Freunde in eine Kaserne gehen, um dort zu feiern, ist es eben nicht überzeugend, wenn Sie einen solchen Appell an uns richten.
In diesem Zusammenhang darf ich dem Herrn Wehrbeauftragten folgendes sagen. Wenn man sich die Statistik auf der letzten Seite seines Berichts ansieht, wird man auch nicht den Verdacht los, daß seine Truppenbesuche zu bestimmten Zeiten in ganz bestimmten Gebieten durchgeführt worden sind.
Das können Sie ja im Bericht nachlesen.
Nun lassen Sie mich einige Bemerkungen zu der nachlassenden Disziplin in der Truppe machen. Der nachlassenden Disziplin in Verbindung mit einer Autoritätskrise wird meines Erachtens nicht energisch genug von oben entgegengetreten. Die Sucht, das Militärische an das Zivile anzugleichen, verwirrt die Gemüter. Das kann man der Truppe nicht übelnehmen.Während das Weißbuch unmißverständlich fordert — darin stimmen wir überein —, daßwenn der Frieden doch von einem Angreifer gebrochen werden sollte, unsere Soldaten fähig und bereit sein müssen, nach dem Willen der politischen Führung zu kämpfen, wobei die Tapferkeit und Disziplin von ihnen nicht weniger gefordert werden als in vergangenen Jahren,beklagt dagegen der im Dienst befindliche Inspekteur des Heeres in einem Bericht, daßdie Autoritätskrise als Zeiterscheinung in die Truppe zurückschlägt und insbesondere das untere Führungskorps belastet. Die wirklichkeitsfremde Forderung nach einer nur aus Persönlichkeit erwachsenden Autorität der Vorgesetzten muß in der Armee zwangsläufig viele Offiziere und Unteroffiziere in eine schwierige Lage bringen. Unsicherheit und Resignation, Vertrotzung und Übergriffe, nicht selten Ungehorsam sind die Folgen. Disziplin und Geist des Heeres sind selbst da gefährdert, wo die Führer in der Truppe die Möglichkeiten, die Gesetze und Dienstvorschriften voll auszuschöpfen verstehen.Diese Berichte werden gerade im .Jahre 1970 durch ein erschreckendes Ansteigen der besonderen Vorkommnisse in der Truppe untermauert: eigenmächtige Abwesenheit, Fahnenflucht, Dienstpflichtverletzungen gegen Vorgesetzte mit tätlichen Angriffen. All das können Sie in der Statistik nachlesen. Der Grund dafür ist doch wohl mangelndesoldatische Erziehung und mangelnde Erfahrung in der Vorgesetztenfunktion.Jetzt komme ich auf den Punkt: Die Zahl der Unteroffiziere hat natürlich in ihrer Amtszeit zugenommen. Das habe ich nie geleugnet. Ich habe aber immer herausgestellt, daß mit der Beförderung zum Unteroffizier bereits nach 12 Monaten die Zahl steigt, die Qualität aber fällt. Wenn Sie ehrlich sind und einmal die Unteroffiziere mit dem Status Z 2 und die Unteroffiziere im Wehrpflichtigenstatus abziehen, müssen Sie doch zugeben, daß sich die Unteroffizierlage sogar verschlechtert hat. Nichts anderes habe ich behauptet.
Daher sollten Sie meiner Ansicht nach der Disziplin in der Truppe mehr Aufmerksamkeit schenken.Der Minister verfügt über den Disziplinarbericht und über eine Disziplinarstatistik. Es würde dieses Haus sehr interessieren — wenn es ihm unangenehm ist, die Zahl zu nennen, kann er das im Verteidigungsausschuß tun —, wie viele Disziplinarstrafen im Jahre 1970 in dieser Armee verhängt werden mußten. Hier könnte das Hohe Haus allerdings auch durch eine schnelle Verabschiedung der Änderung der Wehrdisziplinarordnung mithelfen, damit die Kompaniechefs eine Handhabe bekommen, sich besser durchzusetzen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Haase?
Bitte sehr!
Herr Kollege, weil Sie gerade von Disziplinarfällen sprechen, frage ich Sie: Ist es zutreffend, daß sich 1970 die Zahl auf etwa 90 000 beläuft?
Ich kann diese Zahl nicht bestätigen. Ich habe dem Herrn Minister den Vorschlag gemacht, uns die Zahl hier oder im Ausschuß zu nennen.
Ich glaube, in seinem Jahresbericht hat der Wehrbeauftragte noch einmal klar und mit Recht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf hingewiesen, daß die Grundrechte als Verkörperung einer objektiven Wertordnung anzusehen sind, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung das politische und gesellschaftliche Zusammenleben in einer freiheitlichdemokratischen Gesellschaft bestimmt. Danach ist der Bürger der Bundesrepublik kein isoliertes Individuum, sondern gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsgebunden, und er sollte sich in vielfältiger Weise dieser Gesellschaft verbunden wissen.
Natürlich ist - wie inzwischen durch die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers sowie durch die Rede des Verteidigungsministers vor diesem Hohen Hause bestätigt worden ist — bei der heranwachsenden Generation das Bewußtsein, gegenüber der Allgemeinheit auch Pflichten zu besitzen, nicht
Ernesti
immer hinreichend ausgeprägt. Aber ich glaube, das schließt auf der anderen Seite nicht aus, sie da zu fordern, wo sie fehlen, und unter dem Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht, die dem demokratischen Staatsverständnis entspricht, auf Einhaltung von allgemein anerkannten Regeln zu bestehen. Diese schließt auch alle mit der notwendigen Uniformierung zusammenhängenden Forderungen ein. Es ist daher nur zu verständlich, wenn sich aus dieser Armee im Zuge des Versuches, das Militärische an das Zivile anzugleichen, starke Gruppen verantwortlicher Offiziere melden, die gegen die vielschichtigen Bemühungen eines modischen gesellschaftspolitischen Experimentalismus Stellung beziehen und Bedenken anmelden gegen die Forderung einer geistig-politischen wie in Lebensstil und -gebaren geradezu uniformen Anpassung an die Gesellschaft ohne Rücksicht auf die Funktionsfähigkeit von Streitkräften.
Ich möchte noch ein Wort zur Informationspolitik sagen. Sicher ist das „Mitteilungsblatt für den Soldaten" — jetzt „Bundeswehr aktuell" — ein geeignetes Blatt, um der Bundeswehr die Auffassung der Führung mitzuteilen. Dabei sollte es aber auch bleiben. Dieses Haus hat niemals Geld für eine politische Meinungszeitung bewilligt. Dieses ,,Mitteilungsblatt für den Soldaten" jetzt „Bundeswehr aktuell" — sollte sich wirklich darauf beschränken, die Truppe aus der Truppe heraus zu informieren, und darauf verzichten, der Bundeswehr einseitig gefärbte politische Berichte über Vorgänge außerhalb der Bundeswehr mitzuteilen.
Ich komme zum Schluß.
— Weil meine Zeit abgelaufen ist. Sonst könnte es noch unangenehm für Sie werden.
In unserem Volk wird viel von Frieden gesprochen. Das ist sicherlich gut so. Genauso häufig müßten wir aber auch von der Freiheit sprechen. Die Soldaten und gerade die Unterführer haben das Gefühl, daß ihre Aufgabe, Recht und Freiheit zu verteidigen, nicht genügend ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gebracht wird. Die Aufgabe der Bundeswehr ist es, die Freiheit als Voraussetzung für den Frieden zu verteidigen. Wir sollten der Bevölkerung klarmachen, daß es uns um Frieden in Freiheit geht. Bringen wir alle gemeinsam unserem Volk wieder bei, daß der Friede nur erhalten werden kann, wenn wir alle gemeinsam bereit sind, die Freiheit zu verteidigen. Dann wird die Glaubwürdigkeit der Abschreckung — darum geht es uns — größer und die innere Situation der Bundeswehr besser.
Das Wort hat der Abgeordnete Pawelczyk.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ernesti, ich möchte Ihnen einleitend etwas vortragen, was nach meiner Meinung auch den Stil und den Inhalt der Aussagen, die Sie hier gemacht haben, qualifiziert. Auf einer Tagung der Politischen Akademie Eichholz sollen Sie am 3. Mai zum Thema „Die innere Situation der Bundeswehr" u. a. folgendes ausgeführt haben:
Die letzten Fernschreiben des Generalinspekteurs und des Inspekteurs des Heeres zur Denkschrift der Unnaer Hauptleute an die Truppe ließen seiner Meinung nach eindeutig die Handschrift des Ministers erkennen. Sie seien wahrscheinlich von Armin Halle konzipiert und dann von beiden Generalen nur unterschrieben worden. Es zeuge von wenig Rückgrat der früheren Soldaten, ein Fernschreiben, das von der politischen Führung verfaßt sei, einfach zu unterzeichnen, so daß sich die Politiker den Rücken freihalten könnten.
Die weiteren Klammerbemerkungen, die sich auf Beifalls- bzw. Mißfallensäußerungen beziehen, will ich mir jetzt ersparen.
Herr Abgeordneter Pawelczyk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ernesti?
Bitte schön!
Herr Kollege Pawelczyk, vielleicht können wir das jetzt gleich ausräumen. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich die Äußerungen des Sprechers, Herrn Halle, wiedergegeben habe, der selbst gesagt hat, diese Fernschreiben trügen eindeutig die Handschrift des Ministers.
Nein, das ist mir so nicht bekannt, und nach einer Rücksprache, die ich gehalten habe, trifft das so auch nicht zu. Ich habe mit der Qualifizierung dieser Art von Beiträgen, das innere Gefüge der Bundeswehr zu festigen, zugleich auch zu anderen Beiträgen dieser Art, die Sie hier gebracht haben, Stellung genommen. Solche Beiträge sind nicht neu. Es handelt sich mindestens um den zehnten Aufguß.Kommen wir zur Debatte und damit zu den Fragen, die hier eigentlich anstehen, wenn wir über die Probleme der Bundeswehr reden. Sie haben heute viel von der Bedrohung und von den Leistungen, die wir für die Verteidigung erbringen müssen, gesprochen. Es gab kaum einen Beitrag, in dem Sie es unterlassen haben, unterschwellig immer wieder darauf hinzuweisen, daß eine große Partei, nämlich unsere Sozialdemokratische Partei, es, was diese Beitragsleistung angeht, an der nötigen Ernsthaftigkeit fehlen lasse. Mir scheint, daß das keine gute Voraussetzung ist, um gemeinsam die Lösung der Probleme anzupacken. Aber ich denke, Sie werden heute — vor allen Dingen bei den Beiträgen des Vormittags — endgültig gemerkt haben, daß damit nichts mehr zu ernten ist.Wir wenden uns den Problemen der Bundeswehr zu, und ich glaube, wir können hier heute nicht darüber sprechen, ohne auch die März-Debatte mit
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Pawelczykeinzubeziehen. Ich finde es interessant, daß wir es mit zwei ganz verschiedenen Arten von Reden zu tun hatten. Da war zum einen die Rede des Herrn Zimmermann und zum anderen die Rede des Herrn Kollegen Wörner. Beide mit einer völlig verschiedenen Grundeinstellung: während Herr Kollege Dr. Wörner bereit war und ganz ausdrücklich angeboten hat, an der Lösung schwieriger Fragen für die Bundeswehr mitzuarbeiten, sind Sie, Herr Kollege Zimmermann, einen völlig anderen Weg gegangen.
Getreu der Devise „Gut ist, was der Bundeswehr in ihrem Gefüge schadet, wenn man nur die Ergebnisse der Regierung anhängen kann", haben Sie Ihr Konzept bis auf ganz wenige Ausnahmen durchgehalten. Wir alle sind darauf angewiesen, daß unser Schutzinstrument, die Bundeswehr, intakt gehalten bzw. intakt gebracht wird. Man sollte Ihnen eigentlich in dieser Debatte nicht noch einmal wieder sagen müssen, was die Regierung x-fach betont hat, daß die stabile, intakte und einsatzfähige Bundeswehr die Grundvoraussetzung für unsere Außenpolitik, speziell für unsere Ostpolitik ist. Sie ziehen das ständig in Zweifel.Wenn wir an die Lösung von Problemen herangehen wollen, die sich uns gemeinsam stellen, muß ich Sie noch einmal auf das verweisen, was wir an Problemen von Ihnen übernommen haben. Ich sage das ohne Vorwurf. Es wird natürlich in diesem Ressort und in anderen fortlaufend neue Probleme geben. Ich stimme Herrn Zimmermann zu, wenn er sagt, daß die Studie der Hauptleute letzten Endes die Auffassung der Studie über die innere Lage des Heeres wiedergibt, eigentlich eine Fortsetzung ist und lediglich drei neue Argumente enthält. Diese sogenannte „Schnez-Studie" ist ungewollt die Bilanz des Heeres geworden, die Bilanz für eine 14jährige Verantwortung, die Sie getragen haben. Lesen Sie sich die Studie genau durch! Sie ist zu einem Zeitpunkt abgefaßt worden, zu dem Sie noch die Verantwortung trugen. Ich möchte davor warnen, zu glauben, daß man mit dem, was in der Hauptmann-Studie steht, politisches Spiel treiben kann. Hier ist Kritik geübt worden an inneren Zuständen in der Bundeswehr. Hier ist zunächst einmal die politische Leistung des Hauses überhaupt nicht angesprochen, und wir sollten nicht leichtfertig mit Problemen innerhalb der militärischen Hierarchie umgehen, wenn wir wollen, daß dieses Instrument stabil bleibt.Ich bin der Meinung, daß wir darüber streiten können und auch streiten müssen, ob der Wehretat richtig aufgeteilt ist, ob der Offizier der Bundeswehr als Voraussetzung zu seiner Berufsausübung ein Studium braucht, ob aus Gründen der Wehrgerechtigkeit die Wehrdienstzeit verkürzt werden kann oder nicht. Dies ist richtig und muß qualitativ ausgetragen werden. Aber Sie sollten in Zukunft aufhören, unterschwellig andere Argumente hier mit einzubauen, die letzten Endes nur darauf ausgehen, in der Öffentlichkeit Zweifel darüber hervorzurufen, ob wir es überhaupt mit dem Verteidigungsbeitrag ernst meinten.Einige Beispiele: Herr Kollege Wörner hat in der März-Rede ausgeführt, daß es den Offizier allgemeiner Verwendungsbreite nicht mehr gehen kann. Dieses Ziel anzusteuern sei falsch, und ich füge für mich hinzu: es war an sich immer falsch. Ich will das hier gar nicht kritisieren. Es war nach meiner Meinung ein falscher Ansatz. Wenn wir darin einig sind und auf Vorarbeiten und Erkenntnissen und Erfahrung der anderen Minister aufbauen, dann liegt doch nichts näher, als in einer Kommissionsarbeit, an der Fachleute der verschiedenen Bereiche beteiligt sind, das Problem von Grund auf einer Klärung zuzuführen. Wenn der Verteidigungsminister den Herrn Dr. Ellwein einsetzt, dann wird er sich doch von der Qualifikation des Herrn Ellwein überzeugt haben. Ich kann nicht verstehen, warum Herr Kollege Klepsch glaubt, im Januar in der „Welt" sagen zu müssen, daß dieser Herr Ellwein ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie habe, und ich kann es weiterhin nicht verstehen, wenn Herr Zimmermann — —
Einen Augenblick! Ich bin mir jetzt nicht klar, wer von den beiden Herren zuerst fragen will, und vor allem auch nicht, ob Herr Pawelczyk überhaupt eine Frage annimmt.
Zunächst war ich noch mitten im Satz; das sagte ich zu Herrn Dr. Klepsch. —
Das ist das eine. Das zweite ist und da war ich
mitten im Satz , daß Herr Kollege Zimmermann in
seiner Rede davon spricht, daß die Bundeswehr dabei sei -- und jetzt wörtlich —, nur mehr demjenigen, der in die Bundeswehr hineingeht, einen Übergang zu seinem eigenen eigentlichen zivilen Beruf zu geben. Wer weiß besser als Sie, Herr Kollege Zimmermann, daß wir auf eine große Zahl von langdienenden Zeitsoldaten angewiesen sind? Wieso treiben Sie in einer so schwierigen Lage der Bundeswehr dieses polemische Spiel? Wieso sind Sie nicht bereit, zuzugeben, daß qualifiziertes Personal für die Bundeswehr nur bei attraktiven Angeboten zu bekommen ist? Halten Sie es nicht für selbstverständlich, daß die jungen Menschen, die wir für die Bundeswehr brauchen und werben müssen, innerhalb der Bundeswehr auch die Voraussetzung für ihre berufliche Tätigkeit danach bekommen müssen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In erster Linie ist der Mann Soldat und muß daher alle Fähigkeiten haben, die zur Erfüllung des militärischen Auftrages nötig sind. Ich bin der Meinung, wenn Sie nicht bereit sind, auf das einzugehen, was die Regierung hier verbindlich aussagt, dann gibt es wenig Voraussetzungen und wenig Möglichkeiten, die Grundprobleme gemeinsam zu lösen. Nehmen Sie doch diese Aussagen zur Kenntnis, die die Verant-
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Pawelczykwortlichen in diesem Ministerium machen, sie sind authentisch.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wörner.
Herr Kollege Pawelczyk, glauben Sie nicht, daß es einer ehrlich gemeinten Diskussion nützlicher wäre, wenn Sie die Fronten nicht verdrehten? Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir, in Übereinstimmung mit vielen Militärs und mit vielen Fachleuten außermilitärischer Art, das Ellwein-Konzept zwar heftig kritisiert haben, aber sicher nicht deswegen, weil es vorn Berufsbild des Offiziers allgemeiner Verwendungsbreite abginge?
Herr Kollege Wörner, die heftige Kritik ist doch zu einem Zeitpunkt angesetzt worden, zu dem die Opposition offenbar überhaupt noch nicht kritikfähig war. Soll ich Ihnen das noch einmal chronologisch vorführen? Ich glaube, Sie waren nicht in der Ausschußsitzung anwesend.
Wenige Tage nach dieser Kritik in der Öffentlichkeit hat Herr Klepsch in der Ausschußsitzung doch zum Ausdruck gebracht, daß Sie außerstande seien, ein Urteil abzugeben, obwohl Sie davor öffentlich erklärt haben: schließlich brauchen wir kein Ausbildungs- und Bildungskonzept für die Abschaffung der Armee. Was soll diese Unterstellung? Wer hat eine Kommission zu diesem Zweck eingesetzt? Und Tage danach im Ausschuß, in Anwesenheit des Herrn Ellwein, der angeblich dieser Demokratie so fernsteht, bei der der Minister, der ihn eingesetzt hat, anwesend war, erklärten Sie sich außerstande, sich überhaupt durch bohrende Fragen Klarheit über Ihre Sorgen — ich muß nach dem Ablauf sagen: vermeintlicher Sorgen — geben zu lassen.
- Nein, er weiß genau, was er wollte.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klepsch.
Herr Kollege Pawelczyk, wären Sie bereit, einzuräumen, daß in der betreffenden Ausschußsitzung offensichtlich alle Kollegen - außer mir, weil ich das Vorausexemplar des
Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU besaß -, Sie
eingeschlossen, erklärten, sie seien nicht in der Lage, die Diskussion sachgerecht zu führen, daß wir deshalb vorgeschlagen haben, diese Diskussion nach eingehender Prüfung in den Fraktionen im Monat März, in der nächsten zur Verfügung stehenden Ausschußsitzung zu diskutieren, und daß es dann auf den Wunsch der Regierung und Ihrer Fraktion zu dieser Diskussion und eingehenden Erörterung, nachdem die Willensbildung erfolgt war, bis heute nicht gekommen ist, mit der Begründung, daß es sich
nur um eirie Kladde gehandelt habe? Und sind Sie bereit, einzuräumen, daß keiner der Punkte, die ich in der „Welt am Sonntag" als erste Kritik angeführt habe, bis zum heutigen Tage in Frage gestellt worden ist, sondern daß diese Punkte allgemein geteilt werden, auch von der Kommission selber.
Herr Dr. Klepsch, reden wir nicht darum herum! Es geht hier darum, daß wir gemeinsam versuchen wollen oder versuchen sollten, die inneren Schwierigkeiten der Bundeswehr auszuräumen. Dazu gehört die Lösung der Ausbildungs- und Bildungsfragen.
Am ersten Diskussionsentwurf wird eine Kritik geübt, die unterschwellig Zweifel setzt, die durch nichts zu beweisen sind. Dies ist keine gemeinsame Politik in Grundfragen, dieses erfolgt — und das habe ich einleitend zu Ihnen gesagt — getreu der Devise, alles zu tun, was trennen und auseinandertreiben kann. Polemik überall dort anzusetzen, wo Sie glauben, eine Möglichkeit zu finden, wo Sie glauben, den emotionellen Boden vorzufinden. Das ist der tatsächliche Sachverhalt.
Wenn Sie sich mit diesen Fragen befaßt hätten, wüßten Sie, daß allein in den 14 Jahren, die es das Heer gibt, bis auf zwei Jahre jedes Jahr das Konzept der Offiziersausbildung geändert werden mußte. Natürlich müssen wir über die Fragen, wenn sie auf dem Tisch liegen, grundlegend diskutieren. Was soll denn diese vorausgehende Polemik, was soll diese Unterstellung, daß dies eine Kommission sei, die den Zweck habe, die Bundeswehr abzuschaffen?
— Der Minister braucht das nicht zurückzunehmen, weil er es nicht gesagt hat.
Der Auftrag der Kommission ist völlig klar.
Der andere Punkt betrifft die Fragen der Wehrgerechtigkeit. Sie fragen uns: Wo ist denn nun eigentlich die Lösung? Wieso sind noch nicht alle Tauglichen eingezogen, entweder zur Bundeswehr oder zum Ersatzdienst? Sie wissen, daß in 18 Monaten die Lösung nicht zu erreichen ist. Sie wissen, daß ein Ersatzdienstbeauftragter eingesetzt ist. Sie wissen, daß wir als erste an die Lösung dieser Probleme herangehen. Sie wissen, daß eine Vorarbeit durch die Kommission des Herrn Adorno 1968 vorgenommen wurde. Wir wissen aber, daß jemand 18 Jahre alt werden muß, bevor er eingezogen werden kann. Dies ist ein Problem, das Sie auf sich haben zukommen lassen, und zwar mit allen Schwierigkeiten, die wir jetzt öffentlich auszutragen haben.
Die Forderungen, die man von Ihrer Seite hört, der Bundeswehr durch zusätzliche Gesetze eine Schutzzone zu geben, die Forderung, notfalls mit Anordnung oder Befehl Jugendoffiziere in Schulen hineinzubringen, offenbar gegen den Willen von Lehrern und Schülern, sind doch keine Lösung. Sie leisten der Bundeswehr damit einen Bärendienst.
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Pawelczyk
Wir alle sind der Auffassung, daß in den Schulen neben Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik auch die der Außen- und Sicherheitspolitik erörtert werden müssen. Wir sind aber auch der Meinung, daß die Diskussion angenommen werden muß. Das geht nur, indem wir uns alle gemeinsam an dieser Aufgabe beteiligen. Zur gemeinsamen Beteiligung gehört, daß wir uns gegenseitig zubilligen, daß wir das Optimale für die Bundeswehr leisten wollen.
In einem Punkt nehme ich an, besteht Übereinstimmung, und das ist die Frage der Lösung der Probleme der Kriegsdienstverweigerer. Natürlich muß man sich fragen, ob das, was Art. 4 Abs. 3 GG meint, auch heute in dieser Weise praktiziert wird. Art. 4 Abs. 3 GG meint im Kern, daß das unüberwindliche Gewissen geschützt werden soll. Nichts anderes ist gemeint: das unüberwindliche Gewissen desjenigen, der nicht in Aktion zu treten vermag. Wir sind uns wohl darüber einig, daß sich die Frage der Gewissensnot im Kriege auch den Soldaten stellt. Wir sollten gemeinsam dafür eintreten, daß in anderen Fällen, nämlich in Fällen der politischen Motivierung, keine Unterstützung gegeben wird.
Sie sollten nicht so tun, wie Sie es in der letzten Debatte getan haben, als ob es unstrittig sei, daß der Beitrag zur Sicherheit des eigenen Landes ausschließlich durch eine Armee geleistet werden könne. Sie und ich gehen nicht auseinander in der Auffassung, daß nur die Armee, daß nur das Gleichgewicht der militärischen Kräfte uns den Schutz gewährleisten kann. Aber in einer freien Gesellschaft muß doch wohl akzeptiert sein, daß die Debatte auch von der anderen Position geführt wird, nämlich von denjenigen, die glauben, daß mit Mitteln des gewaltfreien Widerstandes oder der sozialen Verteidigung, wie sie es nennen, die Lösung verantwortungsbewußter gestaltet werden kann. Beides muß ausgetragen werden. Meine Auffassung habe ich hier bereits vorausgeschickt.
Hier ist die Aussage des Herrn Barzel völlig überflüssig. Herr Jung hat vorhin bereits davon gesprochen. Herr Barzel sagte wörtlich: „Die diese Regierung tragenden Parteien müssen sich endlich in ihrer Gesamtheit zur Bundeswehr bekennen." Was heißt das eigentlich? Soll hier ein einstimmiger Beschluß herbeigeführt werden? Geschieht das in Ihrer Partei so auf Parteitagen, daß einstimmige Beschlüsse zu verschiedenen Problemen abgerufen werden? Oder halten Sie es nicht für besser, daß Probleme ausgetragen werden. Und gehen Sie nicht davon aus, daß in einer Volkspartei die gesamte Spannweite des Problems ausgetragen werden muß?
Dies alles sind Einzelpunkte zum Gesamtproblem. Sie wollen in Zweifel ziehen. Ich bin der Meinung, wir sollten diese Kontroverse abschließen. Bescheinigen wir uns gegenseitig, daß wir alle ernsthaft darum bemüht sind, zu einem stabilen Gleichgewicht beizutragen, und lassen wir die unterschwelligen Argumente! Die Zweifel, die eingepflanzt werden, sind es, die dafür sorgen, daß die Einsatzbereitschaft
der Bundeswehr gemindert wird. Daran sind wir alle nicht interessiert.
Das Wort hat der Abgeordnete Krall. Für ihn sind 30 Minuten angemeldet. — Wenn Sie weniger sprechen wollen, Herr Abgeordneter, steht Ihnen das völlig frei.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin mir der Bedeutung und der Notwendigkeit der Diskussion über die Probleme der äußeren Sicherheit unseres Staates in diesem Hause heute voll bewußt. Es ist wichtig, den Bürger und insbesondere den Soldaten wissen zu lassen, wie Regierung, Opposition und Parlament die sicherheitspolitische Lage der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Bündnisses beurteilen.Gestatten Sie mir aber bitte, daß ich mich in meinem Beitrag im wesentlichen mit der inneren Situation der Truppe befasse. Ich hätte das, Herr Kollege Ernesti, auch von Ihnen erwartet. Denn ich glaube, die Soldaten erwarten von uns, daß wir uns diesen Fragen hier an dieser Stelle einmal stellen. Es genügt nicht, wenn Sie von Resignation in der Truppe sprechen. Ich würde dann erwarten, daß Sie auch die echte Problematik, wie sie sich in der Truppe darstellt, darlegen. Ich versuche das jedenfalls aus meiner Sicht zu tun.Ich möchte zunächst feststellen, daß erfreulicherweise über die Frage der derzeitigen Wehrstruktur und damit der Wehrpflichtarmee in diesem Hause keine unterschiedlichen Auffassungen bestehen. Ich begrüße das auch für meine Fraktion. Herr Kollege Jung hat sich kürzlich an dieser Stelle über die Möglichkeit langfristiger Wehrstrukturen ausgelassen. Hierzu möchte ich nicht noch einmal im einzelnen eingehen. Wir haben uns heute mit den Problemen zu befassen, die uns auf den Nägeln brennen, speziell unseren Soldaten.Daher möchte ich im Zusammenhang mit der Wehrpflichtarmee noch einmal kurz die Frage der Wehrgerechtigkeit eingehen. Die jahrelangen Bemühungen, einen Erfolg zu erringen, sind bisher gescheitert. Ich habe mit großem Interesse die Ergebnisse der Adorno-Kommission gelesen, und meine Fraktion hat sich seinerzeit voll hinter diese Ergebnisse gestellt.
Daß seinerzeit in bezug auf eine größere Wehrgerechtigkeit nichts geschehen ist, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben weder meine Fraktion noch unsere Kollegen von der SPD-Fraktion zu vertreten.
- Ich glaube, Sie waren dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, aber Ihr Minister hat seinerzeit nicht mitgespielt.
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Krall— Bitte, sagen Sie, was geschehen ist. -Diese Regierung ist jedenfalls entschlossen, zu handeln. Sie wird die Ergebnisse der von ihr eingesetzten Kommission und die Vorschläge nach den erforderlichen Beratungen prüfen und dann die Entscheidung, wie der Minister ausführte, im Weißbuch 1971 veröffentlichen.Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vergessen wir doch nicht, daß es nach wie vor in diesem Lande heißt: Die Dummen dienen, und die Klugen verdienen! Das sind Floskeln; aber sie tragen einen ernsten Wahrheitskern in sich. Wen wundert es da, daß die Zahl der Wehrdienstverweigerer ständig wächst, zumal ihre Chancen, nicht zum zivilen Dienst oder zum Ersatzdienst einberufen zu werden, nach wie vor riesengroß sind? Es ist erschütternd, feststellen zu müssen, daß auch in der heutigen Zeit beispielsweise von einer Abiturklasse, die 20 Absolventen hat, nur zwei zum Wehrdienst einberufen werden. Ich sehe also in dem Problem der Wehrgerechtigkeit das Problem Nr. 1, dem wir uns zwingend widmen müssen. Hier müssen endlich Entscheidungen getroffen werden.Ihnen sind die Ergebnisse der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission bekannt. Wir haben sie teils beraten. Beispielsweise würde sich — das hat Herr Minister heute schon anklingen lassen — bei einer Reduzierung der Wehrpflicht auf 15 bzw. 16 Monate die Zahl der Einzuberufenen von 60 auf 75 % steigern. Natürlich reicht das nicht aus. Wir brauchen weitere flankierende Maßnahmen, von denen heute morgen auch der Kollege Adorno sprach.Mir scheint es aber notwendig zu sein, eine sehr viel weitergehende Frage erneut zur Diskussion zu stellen. Das ist die Frage einer allgemeinen Verteidigungs- bzw. Dienstpflicht — eine sehr alte Forderung meiner Fraktion. Ich bin mir der Schwierigkeiten durchaus bewußt. Ich sehe sie sehr klar. Die Aufgabe, die erforderlichen Plätze für einen vergleichbaren Dienst einzurichten, ist sehr schwierig.Es bleibt eine weitere Überlegung, und zwar die der Wehrabgabe. Man sollte sie eventuell noch einmal aufgreifen oder als Alternative überlegen, die Wehrpflichtigen nach ihrem Ausscheiden steuerlich wesentlich besser zu stellen bzw. ihnen einen angemessenen Ausgleich für den an der Gemeinschaft geleisteten Dienst zu gewähren.Wir alle werden diese Fragen in unsere Überlegungen einbeziehen und in naher Zukunft entscheiden müssen. Das erwarten die Soldaten der Bundeswehr, ob Wehrpflichtige, Zeit- oder Berufssoldaten, von ihren Volksvertretern. Mit Reden und Erklärungen allein ist der Armee heute nicht mehr gedient.Lassen Sie mich jetzt einige Ausführungen zur Situation der Berufs- und Zeitoffiziere machen. Die häufig zitierte Unruhe unter diesem Personenkreis hat vielerlei Ursachen. Der Mangel an Offizieren und Unteroffizieren, besonders bei den Kampftruppen, führt zu Erschwernissen in der Ausbildung.Das ist allen hier im Hause hinreichend bekannt. Der Herr Minister hat bei der Hauptmannstagung in Koblenz erklärt, das die Bundeswehr noch lange Zeit mit der Lücke leben muß. Er hat deutlich gemacht, daß nur ganz allmählich ein Abbau des Fehls möglich ist, und er hat ebenso deutlich gemacht, daß wir trotzdem Leistungen fordern müssen. Ich möchte mich aber speziell mit den vielen kleinen Erschwernissen befassen, die den Dienst in den Kompanien und Bataillonen stark beeinflussen.Ich denke an die tägliche Dienststärke, die manchmal nur 50, höchstens 75 % der eigentilchen IstStärke beträgt. In diesem Zusammenhang bin ich dankbar, auf die Äußerungen des Kollegen Wienand verweisen zu können, die er in der Wessel-Runde gemacht hat, als er erklärte, sich für eine Art Schüleretat einzusetzen. Ich nehme an, daß er damit meint, den flexiblen Umfang der Bundeswehr von 6 000 auf 20 000 Mann zu erhöhen. Mit dieser Maßnahme würden wir der Truppe helfen, ihre Schwierigkeiten besser zu meistern. Wir müßten demnach die Ist-Stärken um etwa 10 % über den Friedensstand erweitern. Dann wäre ein sinnvoller Dienst und Ausbildungsdienst möglich.Gestatten Sie mir, daß ich auf Grund meiner eigenen Erfahrung einige gezielte Ausführungen mache. Es gibt eine Reihe von Schwierigkeiten und Ärgernissen dadurch, daß bestimmte Funktionen in den Kompanien und Bataillonen nicht ihrer Aufgabe entsprechend dotiert sind. Das gleiche Problem klang bei der Tagung der Hauptleute in Koblenz an. Ich unterstreiche aus meiner eigenen Erfahrung die Bedeutung dieser Zustände. In einer Kompanie sind beispielsweise der Versorgungssowie der Waffen- und Geräteunteroffizier als Unteroffiziere dotiert. Sie finden in der Kompanie kaum einen Unteroffizier, der diese Funktion übernimmt, so daß der Kompaniechef gezwungen ist, einen Wehrpflichtigen an diese Posten zu setzen. Dadurch entsteht zwangsläufig ein ständiger Wechsel in der Verantwortung, und der Kompaniechef steht ständig in der Sorge, daß Waffen, Geräte usw. in Verlust geraten können.Diese vielleicht für Sie kleinlich erscheinenden Dinge tragen aber dazu bei, daß sich die Truppe die Frage stellt: „Warum werden diese Forderungen, die seit Jahren bekannt sind, nicht realisiert?" Es ist kein Wunder, daß die Truppe kein Verständnis dafür hat, daß ihre Sorgen bei der Führung nicht erkannt werden. Dadurch entsteht ab und zu ein Zweifel am Durchsetzungsvermögen der militärischen Führung gegenüber dem zivilen Bereich des Bundesverteidigungsministeriums oder vielleicht auch der politischen Führung.Ein weiterer Punkt, der mir bei Truppenbesuchen auffiel, ist die Häufigkeit von Übungen. Es erscheint mir notwendig zu prüfen, ob es sinnvoll ist, wenn ein Grenadierbataillon innerhalb eines halben Jahres mit sechs großen Übungsvorhaben mit einer Gesamtdauer von 60 bis 70 Tagen belastet wird; eingeschlossen je Übung mindestens zwei Wochenenden. Freizeitausgleich im erforderlichen Maße ist nicht möglich. Daher stellt sich die Frage der 'Mehr-
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Krallarbeitsentschädigung. Hierzu bedarf es allerdings einer Änderung des Soldatengesetzes, das derzeit eine wöchentlich festgesetzte Dienstzeit nicht beinhaltet.Aber das sind nicht allein die Sorgen, die dort aufgetreten sind. Wichtiger ist die Sorge der Soldaten um ihre Familien, die sie unter diesen Umständen sehr häufig gerade an Wochenenden allein lassen müssen. Das trägt sicher nicht zur Integration der Familie bei. Ich bin mir bewußt, daß das teilweise sein muß. Es fehlen eben die erforderlichen Standortübungsplätze, auf denen auch Gefechtsübungen durchgeführt werden können. Ich wäre dankbar, wenn man gerade in diesem Fall nachginge, um einen besseren Weg zu finden.Eine Erleichterung des Dienstes für die Truppe wird auch dann eintreten, wenn das Auswahlverfahren der Offiziere für die Generalstabsausbildung zeitlich gekürzt wird. Das bisherige einjährige Auswahlverfahren hat sehr starke Belastungen für die Truppe mit sich gebracht. Ich erinnere mich an meine Kommandeurszeit, als sich seinerzeit drei meiner Chefs in dieser Ausbildung befanden. Das konnte zwangsläufig nicht ohne negative Folgen für die Truppe bleiben. Daher bin ich dem Inspekteur des Heeres sehr dankbar, daß er in Koblenz erklärt hat, daß die Auswahlkriterien künftig geändert werden.Hierbei muß allerdings meines Erachtens die Möglichkeit der Hereinnahme in die Ausbildung für Spätberufene gegeben werden. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zum Abbau gewisser Spannungen zwischen den Generalstabsoffizieren und den Offizieren des Truppendienstes, die sich oft benachteiligt fühlen.Dann noch etwas zur Verjüngung der Bundeswehr. Die seitens der politischen und militärischen Führung beabsichtigte Verjüngung im Offizierscorps begrüße ich grundsätzlich. Dies darf jedoch nicht auf Kosten solcher hoch qualifizierter Offiziere bestimmter Jahrgänge gehen, die noch vor wenigen Jahren zu jung waren, um in eine höherwertige Verantwortung gestellt zu werden. Sollten sich Härten nicht vermeiden lassen, ist es Sache der zuständigen Vorgesetzten, dem Betroffenen ungeschminkt die Wahrheit mitzuteilen und ihm zu eröffnen, wo er steht. Nur so kann das Vertrauen zwischen der unteren und der oberen Ebene erhalten bleiben. Hier liegt bei der Personalabteilung des Bundesverteidigungsministeriums eine schwere Verantwortung.Auch die Besoldungspolitik hat ihre Auswirkungen auf die Personallage in der Bundeswehr. Die Besoldungsgesetzgebung der letzten Jahre hat unbestreitbar strukturelle Verbesserungen der Besoldung auch für Soldaten gebracht. Das wird von den Soldaten dankbar anerkannt. Allerdings enthält diese Gesetzgebung objektiv auch eine Reihe von Nachteilen für die Soldaten, und das, obwohl alle vom Verteidigungsminister vorgeschlagenen Maßnahmen auf dem Gebiet der Besoldung gemäß Weißbuch 1970 voll in das Erste Besoldungsvereinheitlichungs- und Neuregelungsgesetz eingeflossen sind.Ich darf hier einige Beispiele der Benachteiligung aufführen. Seit 1967 haben wir Verzahnungsämter in den Besoldungsgruppen A 5, A 9 und A 13 fürBeamte. Soldaten sind nicht beteiligt.. Seit 1967 haben wir eine fortwährende Verbesserung des Stellenschlüssels für Beamte. Soldaten sind nicht beteiligt. Seit 1968 haben wir strukturelle Überleitungen für Beamte. Soldaten sind nicht beteiligt. Ab 1. Juli 1971 gibt es Mehrarbeitsentschädigung für Beamte, für Soldaten nicht. Mir ist bekannt, daß diese Frage vom Bundesverteidigungsministerium geprüft wird. Ich begrüße das.Wir haben Technikerzulagen von monatlich 87 DM für den mittleren technischen Dienst der Beamten. Unteroffiziere sind nicht beteiligt. Zur Frage der Technikerzulage für Unteroffiziere habe ich mich im Verteidigungsausschuß ausführlich geäußert. Heute hierzu nur noch so viel: Die Technikerzulage wird nach dem Besoldungsgesetz unter anderem an Vermessungsassistenten und Fernmeldeassistenten gezahlt. Genau die gleichen Funktionen, nämlich die des Vermessungs-Unteroffiziers und des FernmeldeUnteroffiziers, haben wir in der Bundeswehr. Diese Unteroffiziere haben allerdings kein Verständnis dafür, daß sie bei gleicher Tätigkeit von dieser Zulage, die immerhin 87 DM ausmacht, ausgeklammert sind. Ich schließe mich dem voll an.Ich kann hier aber, glaube ich, einige hoffnungsvolle Ausführungen machen. Die von mir aufgezeigte Problematik und Diskrepanz in der Besoldung zwischen Beamten und Soldaten ist nämlich von den Mitgliedern der Kleinen Besoldungskommission klar erkannt worden. Wir sind uns einig in dem Ziel — das kann ich zumindest für meine Kollegen aus der SPD-Fraktion erklären; ich hoffe, daß auch die Kollegen der CDU/CSU-Fraktion dem zustimmen —, diese Ungerechtigkeiten stufenweise abzubauen. Hierzu bietet sich eine günstige Gelegenheit im Zusammenhang mit der am 1. Juli 1972 vorgesehenen strukturellen Verbesserung der Beamtenbesoldung.Meine Damen und Herren, mit der Ankündigung von unterstützenden Maßnahmen für unsere Soldaten werden bei ihnen Hoffnungen geweckt. Wir alle in diesem Hohen Hause sind aufgerufen, zu verhindern, daß diese Hoffnungen in Enttäuschungen oder gar in tiefe Resignation umschlagen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, zu reden. Aber Herr Ernesti hat es dann doch fertiggebracht mich hier ans Rednerpodium zu bringen. Herr Kollege Ernesti, können wir erst einmal ein Mißverständnis vom Tisch bringen? Es stimmt zwar — das haben mir nach der Ausschußsitzung auch meine Kollegen aus meiner Fraktion gesagt —, daß ich zweimal gesagt habe, ich hätte den Bericht des Wehrbeauftragten nicht gelesen. Gemeint habe
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7120 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Parlamentarischer Staatssekretär Berkhanich ein ganz anderes Papier. Sie wissen auch, von welchem Papier ich rede.
- Ja, das kein Papier war. Ich glaube, jetzt sind wirdarüber klar. Der Vorsitzende des Ausschusses wird Ihnen gerne bescheinigen, daß ich ihm meinen Bericht gezeigt habe und gezeigt habe, daß ich darin gearbeitet habe. Aber es lohnt sich "nicht, noch darüber zu reden. Das ist dann wohl für alle Zeiten zwischen uns bereinigt.Nun darf ich zu den mich etwas mehr bedrückenden Feststellungen kommen, die Sie hier getroffen haben. Ich will aber nicht den ganzen Katalog vornehmen. Dazu wird im Ausschuß Gelegenheit sein. Es stimmt natürlich, daß die größere Zahl der Unteroffiziere jüngere Unteroffiziere sind. Das ist unbestritten. Aber Sie müssen wissen, daß von den rund 125 000 Unteroffizieren des vergangenen Jahres rund 11 500 Z-2-Soldaten und W 18er waren. Von den insgesamt 125 000 haben sich aber 3,62 % weiter verpflichtet. — Ich nenne Ihnen das noch einmal genauer, Herr Stahlberg. Es lohnt ja nicht jetzt mit so schnell aufgearbeiteten Zahlen. Hinterher fehlt ein Zehntelprozent. Dann wird mir das wieder vorgehalten. Ich nenne Ihnen das noch einmal genauer. Ich will jetzt nur einmal klarmachen, wie die Position ist. Ein erheblicher Teil dieser 3,62 % kommt natürlich aus den jüngeren Soldaten. Der Erfolg ist also nicht so sehr, daß wir Unteroffiziere haben, die nach 12 Monaten befördert sind, sondern der Erfolg ist, daß sich von diesen Unteroffizieren welche weiter verpflichten. Ich will hiermit schließen; denn wir werden ja im Zusammenhang mit der Lage in den Kampftruppen noch darüber sprechen.Nun sehe ich den Kollegen Haase nicht. Das macht mir direkt Kummer; denn auch er ist ein Anlaß, daß ich ans Rednerpodium gekommen bin. Die Zahl der Disziplinarstrafen, die er genannt hat, war ja so bedrohend. Ich will Ihnen die Zahlen gerne nennen. 1970 gab es tatsächlich rund 95 000 Disziplinarstrafen; 94 700 hat man hier schnell zusammengestellt. Aber man muß natürlich wissen, daß es im Jahre 1969 ebenfalls rund 91 000 Disziplinarstrafen gab. Der Anstieg ist gar nicht so erschreckend. Wenn man dann noch sieht, daß die Zahl der bestraften Soldaten in beiden Fällen etwas über 64 000 lag, dann erkennt man, daß die höhere Zahl der Strafen auf Doppel-, Dreifach- und Mehrfachbestrafungen beruht. Eine große Zahl der einfachen Disziplinarstrafen ist auch dabei, auch eine große Zahl von gewissen Disziplinarstrafen, die beim Kommiß - wenn ich es einmal so sagen darf — nahezu unvermeidlich sind und bei einigen Soldaten zum guten Ton gehören. Die Lage ist dann nicht so beängstigend, wie sie hier dargestellt wurde.Ich will das gar nicht verniedlichen. Ich will mich oder Sie nur fragen, ob wir nicht einmal darüber nachdenken müssen, ob die Disziplinarstrafe überhaupt das geeignete Mittel ist. Denn mittlerweile zeigt uns die Statistik, daß nun auch mehr als 12 000, nahezu 13 000 förmliche Anerkennungen ausgesprochen worden sind. Ich frage mich, ob wir nicht vondem Instrument der förmlichen Anerkennung, von dem Instrument der Belobigung mehr Gebrauch machen sollten, ob das nicht nützlicher wäre.Nun kommt also wohl der ernsteste Punkt, den Sie hier vorgebracht haben. Dies ist also die Geschichte, daß die Sozialdemokratische Partei, der ich ja angehöre, Werbematerial in die Truppe schickt. Sehen Sie, ich habe das schnell einmal überprüfen lassen. Da schreibt eine Heeresoffziersschule:Um künftig die Wirklichkeitsbezogenheit des Studienprozesses verbessern zu können, wäre die Heeresoffiziersschule für die Übersendung von Informationsmaterial dankbar.Das schreibt sie an die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Abteilung Offentlichkeitsarbeit, und ich hoffe, sie hat das auch an die anderen Parteien geschrieben. Natürlich hat die Sozialdemokratische Partei, dieser Bitte folgend, Material übersandt. Aber daraus kann man noch nicht einen Dienstweg machen. Das ist doch eine Sache, die wirklich nicht zusammenpaßt.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ernesti? — Bitte sehr!
Dafür habe ich ja unterbrochen.
Herr Kollege Berkhan, ich glaube, so können wir es nicht abtun. Ich kann Ihnen eine Reihe von Anschriften vorlegen, also Originalumschlägen, wo Dienststellen der Bundeswehr dieser Dienst zugeschickt worden ist, obschon er nicht von ihnen beantragt, gewünscht oder gefordert worden ist.
Herr Kollege Ernesti, dann bitte ich wirklich, mir das Material zuzustellen. Sie wissen ganz genau, daß ich Manns genug bin, solche Dinge, sofern ich meine, daß das Soldatengesetz oder die Gleichheit verletzt sind, abzustellen. Dies wäre ja nicht das erste Mal, daß wir so gehandelt haben. Nur, meine ich, ist das nicht das geeignete Forum, das im Plenum zu machen. Das hebt nämlich meistens Leute auf Böcke, von denen sie dann so ungern heruntergehen. Das haben wir bisher anders gemacht, auch in den vergangenen Jahren anders gemacht, und mir ist das angenehmer. Ich jedenfalls bin nicht dafür, daß eine Gruppe bevorzugt wird. Sie müssen mir dann sagen, was Sie gemeint haben.Sie haben in der letzten Ausschußsitzung und hier wieder beanstandet, wie sehr „Bundeswehr aktuell", früher die „Mitteilungen für Soldaten", einseitig informiere. Erst einmal will ich Sie wissen lassen, daß die Redaktion unter der Regierungszeit des Ministers von Hassel am 1. Juli 1965 eingesetzt worden ist. Diese Redaktion hat seit Gründung nicht gewechselt. Es sind die gleichen Herren und Damen,
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Parlamentarischer Staatssekretär Berkhandie dort arbeiten. Da ist keiner dazugekommen und keiner weggekommen. Von diesen Herren habe ich mir jetzt einen Bericht geben lassen, oder, von dem Chef dieser Redaktion habe ich mir einen Bericht geben lassen. Ich möchte ihn nicht verlesen, weil das ein bißchen kränkend wäre für Amtsvorgänger, aber ich bin gern bereit, Sie das einmal lesen zu lassen. Ich habe mir von dieser Redaktion eine Dokumentation machen lassen. Da hat man nun eine Kennzeichnung Null. Unter Null sind dann alle diese Beispiele der Vergangenheit ohne Erwähnung der Opposition und Berichte über Besuche der Abgeordneten bei der Truppe. Das haben Sie beanstandet, das sei also auch nicht in Ordnung, das sei nicht gut genug, jetzt werde die Opposition erwähnt, und was Sie mir alles zusammengestellt haben. Ich würde Sie jedenfalls bitten, einmal einen Besuch bei dieser Redaktion zu machen und mit der Redaktion selbst darüber zu reden. Ich habe mich auf Grund der Unterlagen, die mir die Herren vorgelegt haben, davon überzeugen können, daß dieses Mitteilungsblättchen ich möchte auch die Soldaten und Mitarbeiter nicht kränken, die dort arbeiten — aber nun wirklich den Vorwurf der Einseitigkeit nicht verdient. In der einen oder anderen Nummer ist d e r mal zu groß gefeiert worden und dann d e r mal zu groß gefeiert worden. Einmal ist da sehr gefeiert worden, daß Herr Klepsch und Herr Ernesti in den Bundestag kamen, und was das für verdienstvolle Leute seien. Soll ich das also Ihnen vorlesen? Das war allerdings 1965. Jetzt ist vielleicht auch wieder einmal so etwas passiert. Aber in der ) Grundlinie versuchen diese Redakteure dort, ihrer Redaktionspflicht und ihrer Journalistenpflicht nachzukommen. Ich jedenfalls bin bereit, dafür einzutreten, sofern Sie Berichtigungen oder Erwiderungen wollen, schreiben Sie! Wir werden dann dafür sorgen, daß es in der gebührenden Kürze und Schlagfertigkeit in dieses Blättchen hineinkommt.
Das Wort hat der Abgeordnete Stahlberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst einmal, Herr Staatssekretär, auf das eingehen, was Sie hinsichtlich der Zahlen bei den Unteroffizieren gesagt haben. Ich hoffe, es ist auch bekannt, daß wir sicherlich mehr als 7 % Längerdienende brauchen, wenn wir nur diejenigen ersetzen wollen, die demnächst ausscheiden und nicht bereit sind, länger als zwei Jahre zu dienen, weil die in ihnen geweckten Hoffnungen durch das Ministerium bisher nicht erfüllt worden sind. Damit bin ich schon beim Thema.Ich weiß nicht, warum im Laufe des Tages so viel Kritisches an die Adresse der Opposition gesagt worden ist. Hat je eine Regierung eine solche Opposition gehabt, eine Opposition, die von vornherein erklärt hat, daß sie mit den Maßnahmen, die dieser Minister zu Anfang ergriffen hat, voll einverstanden sei? Damals haben unsere Sprecher zum Ausdruck gebracht, daß wir mit einer kritischen Bestandsaufnahme durchaus einverstanden seien. Als das Ergebnis dieser Bestandsaufnahme vorlag, haben wir uns vertrösten lassen und uns bereit erklärt, in bezug auf Initiativen zugunsten der Bundeswehr Zurückhaltung zu üben. Wir haben uns damit einverstanden erklärt, die Ergebnisse des Weißbuches abzuwarten. Dann wurde das Weißbuch auf den Tisch gelegt. Was haben wir bei seiner Einbringung in diesem Parlament erklärt? Herr Dr. Klepsch hat damals gesagt: Wir teilen nicht nur die Meinung einer breiten Öffentlichkeit und die Meinung von Journalisten, daß dieses Weißbuch es wert ist, gelesen zu werden, sondern wir werden jeden einzelnen Vorschlag genau prüfen. Er hat für die gesamte Fraktion erklärt, man könne davon ausgehen, daß wir den Initiativen, die daraus erwachsen würden, zustimmen würden.Was hat der Herr Verteidigungsminister hier im Parlament zu dem Weißbuch gesagt? Ich muß es noch einmal in Ihrer aller Erinnerung zurückrufen. Er sagte am 2. Juni 1970:Diese Regierung, die sich mit der Sicherheitspolitik von Amts wegen gerade sieben Monate hat beschäftigen können, verpflichtet sich, dem Parlament alsbald nach der Sommerpause die Gesetzentwürfe vorzulegen, die zur Verwirklichung des im Weißbuch angekündigten Programms notwendig sind. Es ist der Wunsch und die Erwartung der Soldaten — und ich halte es für möglich —, daß die Masse dieser Gesetze bis Ostern nächsten Jahres durch den Gesetzgebungsgang hindurch ist, durch Bundestag und Bundesrat. Was die Bundesregierung dazu tun kann, wird sie tun, damit dieser Termin eingehalten wird. Ich möchte meine Ausführungen mit dem Appell an die Damen und Herren des Hohen Hauses beschließen, die Erwartungen unserer Soldaten insoweit nicht zu enttäuschen.
Das waren auch die Worte des Kollegen Krall von der FDP. — Nach dem, was der Kollege Krall von der FDP hier zum besten gegeben hat, muß ich sagen:
er hat so getan, als ob er an der Willensbildung innerhalb der Koalition überhaupt nicht beteiligt gewesen sei. Im Grunde genommen war das, was er gesagt hat, mehr als Kritik. Einen Teil dessen, was er freundlicherweise vorgetragen hat, kann ich von vornherein schon aussparen, weil wir mit ihm, z. B. was die Besoldungssituation angeht, vollkommen übereinstimmen.Wir haben also die Ankündigungen von Minister Schmidt gehört, und auch viele Soldaten haben sie innerhalb und außerhalb des Parlaments gehört. Wir haben die Terminierung und all das, was das Weißbuch materiell enthielt, hinsichtlich der Schnelligkeit der Durchführung und des Umfangs von vornherein mit Skepsis aufgenommen. Wie begründet unsere Skepsis war, hat sich nach der parlamentarischen Sommerpause gezeigt, als wir die angekündigten Gesetzentwürfe eben nicht in unseren Fächern fanden.
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7122 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
StahlbergStatt dessen fanden wir anderes Material, das der Regierung in gewisser Weise polemisch auf diesem Sektor weiterhelfen sollte. Dieses Material ersetzt aber keine Gesetzentwürfe.
Nun stehen wir inzwischen drei Wochen vor Pfingsten; Ostern ist schon etwas länger vorbei.
Noch immer fehlen die Grundlagen für die entscheidenden Zusagen, die der Minister gemacht hat. Natürlich hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Dinge herunterzuspielen und so zu tun, als ob der Minister logischerweise nie Zusagen habe machen können und auch gar nicht habe machen wollen; denn schließlich gehöre er der Exekutive an. Statt dessen müsse das Parlament ihm zuarbeiten, die Vorschläge müßten also von dort kommen.
Ich frage mich aber, was die betreffenden Ausschüsse denn eigentlich behandeln sollen, wenn nicht das, was im Weißbuch steht. Wir haben zugesagt, daß wir das tun wollten. Was sollen wir eigentlich in den Ausschüssen behandeln, wenn von der Regierung keine Gesetzentwürfe vorgelegt werden? Man muß doch endlich einmal zur Kenntnis nehmen, daß alle Gesetzentwürfe, die, weil die Regierung sie nicht vorgelegt hat, eine so schleppende Behandlung erfahren haben, auch nach unserem Wollen längst vom Parlament hatten verabschiedet werden können. Aber man hat entscheidende Blokkierungen eingelegt und gesagt, man solle doch auf die Vorschläge der Regierung warten.
Ich muß ganz klar sagen: der Minister konnte die politische Wirkung, die seine Aussage vor einem Jahr im Parlament gehabt hat, nicht verkannt haben. Die Soldaten haben sich darauf verlassen, und er muß zur Kenntnis nehmen, daß er in der Truppe bei allen Soldaten, auch bei denen, die der CDU/CSU angehören, einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Man hat auf diesen Minister gehofft. Ich will gerne zugeben, daß er insofern zu diesem Zeitpunkt für die Bundeswehr geradezu der „Traumminister" war.
Die Erwartungen, die alle Soldaten an ihn gestellt haben, sind inzwischen keineswegs erfüllt worden. Der Minister ist es gewesen — nicht das Parlament, nicht die Fraktionen —, der eine zeitliche Terminierung bzw. Fixierung der Dinge vorgenommen hat. So haben die Soldaten diese verbindliche Aussage akzeptiert.Die Wirkung kann also mit Hinweisen formaler Art keinesfalls abgeschwächt werden. Das soll meine erste klare Feststellung sein, nachdem der Minister gemeint hat, wir hätten bisher an Dingen herumkritisiert, die eigentlich im Ausschuß zu behandeln seien. Nun, das haben andere im Laufe des Tages auch getan. Dennoch sollte man zu dieser gravierenden Feststellung kommen: der Zeitplan, der im Weißbuch 1970 enthalten ist — das Weißbuch 1970 ist heute noch einmal groß gelobt. worden -, den der Minister hier bestätigt und unterstrichen hat, ist nicht eingehalten worden.
Wenn ich dann den Sachberichten und den Erfolgsmeldungen nachgehe, die waren im Laufe der Zeit alle auf die Tendenz ausgerichtet: Nun wartet doch ab, das Jahr ist doch noch gar nicht um, bis das neue Weißbuch herauskommt, werden wir das schon alles erledigt haben.
Denn die Zahlen überschlugen sich ja von Monat zu Monat in turbulenter Weise. Zuerst hieß es: Das ist vom Tisch des Ministers. Das hörte sich gut an. Ich will das gar nicht so persiflieren, daß etwas, was er vorn Tisch herunterstreicht, in den Papierkorb fällt, somit also auch vom Tisch ist.
Das will ich ihm keineswegs unterstellen. Aber dennoch muß man feststellen, daß man schon gar nicht mehr differenzierte, welche Maßnahmen wirklich erledigt waren und welche nicht.Die letzte Meldung in dieser Richtung Iautete eindeutig: Von 124 Maßnahmen sind 90 — das war der Terminus endgültig entschieden, und 13 Vorschläge befinden sich im Parlament.
- Das sind die Zahlen vom 22. April 1971. Herr Kollege Buchstaller, ich darf Sie dahingehend beruhigen, wir sind hier nämlich nicht im Ausschuß, sondern im Plenum. Dieses Mal hatte ich mich auf die Debatte vorbereiten können, während das im Ausschuß, wenn ich in Rage bin, schon einmal etwas anders sein kann. Ich hoffe, Sie haben das endgültig begraben.
Diese Zahlen besagen überhaupt nichts. Wir sollten zu der Feststellung kommen, daß sie vor allen Dingen nichts über die Qualität der angeblich erledigten Dinge aussagen. Sicherlich kann nur die Quantität gemeint sein. Ich freue mich darüber, daß das auch der Kollege Krall in gewisser Weise bestätigt hat.
Ich darf noch einmal kurz auf ganz wenige Punkte eingehen. Was wird nun nach dem sogenannten Erfolgskatalog als erledigt angesehen? Da heißt es hinsichtlich der Hauptfeldwebelstellen, die nach A 9 kommen sollen, daß diese zukünftig in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen müssen. Wir alle haben natürlich damit gerechnet, daß die Regierung die Initiative ergreift und dafür sorgt, daß hinsichtlich dieser Frage in ausreichender Zahl die Verzahnungsämter geschaffen werden. Das ist nicht der Fall gewesen, sondern man hat sich mit 10 % begnügt und erklärt, diese Maßnahme sei erledigt. Das heißt, das soll ausreichend sein. Das sind dann 1630 Hauptfeldwebelstellen, die nach A 9 kommen. Es ist aber keineswegs die Situation wie im Bereich der Beamten erreicht worden. Im Bereich der Beamten sind auf
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Stahlbergdieser Leiste viel mehr Verzahnungsämter vorhanden. 1630 Stellen sind keinesfalls eine befriedigende Lösung. Diese Lösung stellt keine Hilfe für qualifizierte Hauptfeldwebel dar, die möglicherweise wegen ihrer Leistungen bereits mit 28 Jahren diesen Dienstgrad erreicht haben und dann nicht mehr befördert werden können.Ich wende mich den Abschnitten 112 und 114 des Weißbuches zu. Dort ist von einer Sofortmaßnahme, von der Schaffung von 9000 Stellen die Rede. Ich will über den Leidensweg der Schaffung dieser 9000 Stellen hier keine längeren Erörterungen mehr anstellen. Es ist leider nicht in erster Linie das Verdienst der Koalition gewesen, daß diese 9000 Stellen endlich geschaffen worden sind. Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß diese Stellen den wesentlichen Zweck haben sollten, den Beförderungsstau abzubauen. Ich frage mich aber: Wo wird der Beförderungsstau abgebaut, wenn der Stelleninhaber befördert wird, ich aber keine Stelle habe, um den nächsten einen Dienstgrad höherzubringen? Auch dieses Anliegen wird auf Grund dieser Maßnahme als erledigt betrachtet.Ich möchte nicht all das, was der Kollege Krall hier angeführt hat, im Zusammenhang mit der Neuordnung der Besoldung noch einmal ansprechen. Ich möchte nur folgendes noch einmal deutlich machen. Natürlich kann man mit Recht sagen: Wo waren die Kommissionsmitglieder der CDU/CSU, die die Neuordnung der Besoldung besorgen sollten? Wie haben Sie sich um diesen Bereich gekümmert? Ich kann dazu nur feststellen — das haben mir die Kollegen noch einmal ganz klar gesagt —, daß es von seiten des Verteidigungsministeriums in dieser Unterkommission keine Initiativen und Vorschläge gegeben hat und daß daher auch keine Initiativen eingeleitet werden konnten.
Das ist die klare Antwort auf diese Frage.
— Herr Kollege Krall, sehen Sie sich doch einmal die Bilanzen an. Dann werden Sie feststellen, was wir vor zehn Jahren alles gemacht haben. In der letzten Legislaturperiode haben wir von 65 Gesetzentwürfen 56 durchgesetzt. Auf diese Bilanz kann dieser Minister schon längst nicht mehr kommen.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen, nämlich die Zulage für abgelegene Standorte. Dazu wird erklärt, dieses Problem sei als erledigt anzusehen, weil es inzwischen einen stufenweisen Abbau des Ortszuschlages gegeben habe. Damit ist aber das Problem der auf den Inseln diensttuenden Soldaten keinesfalls erledigt.Das vielleicht Prekärste bei der ganzen Geschichte ist das im Weißbuch so groß angekündigte und eingehend behandelte Sozialpaket. „Fürsorge" und „Betreuung" waren die großen Schlagworte. Hier ist dann -- der Herr Minister hat das mündlich nocheinmal unterstrichen — auch von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen gesprochen worden. Wir stellen fest, nach einem Jahr gibt es ein paar Fürsorgerinnen und ein paar Sozialberater mehr. Selbstverständlich begrüßen wir auch eine solche Maßnahme. Aber zu der angekündigten Zusammenfassung all dieser Dinge ist es bisher nicht gekommen. Heute habe ich in der „Welt" auf Seite 7 gelesen, daß es dazu aber demnächst durch Umorganisierung im Ministerium kommen soll.
Ich möchte global nur noch folgendes sagen. Was ist aus den Vorschlägen, die von allen Fraktionen gemacht worden sind und die in der kritischen Bestandsaufnahme ihren Niederschlag gefunden haben, geworden? Wie will man den weiteren Mieterhöhungen, die auf die Soldaten zukommen, begegnen? Wie will man ständig steigende Heizkosten abdecken? Über dieses Problem haben wir zuletzt noch gesprochen. Wie will man die Globalanmietung durchsetzen?
Herr Kollege, Ihre Redezeit läuft langsam ab.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß und sage ganz deutlich: schon nach einem Jahr ist für die Bundeswehr aus dem Traumminister ein Minister geworden, der ihre Erwartungen in keiner Weise erfüllt hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Haase .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal eine persönliche Bemerkung zu dem letzten Satz, den Herr Kollege Stahlberg gemacht hat. Ich glaube, Herr Stahlberg, wir verfälschen die Aufgabe des Parlaments, wenn wir uns anheischig machen, hier im Parlament eine Erklärung für die Bundeswehr abzugeben.Eine andere Vorbemerkung ist folgende. Es ist hier im Laufe der Debatte sehr oft das mangelnde Interesse der Soldaten, insbesondere der Wehrpflichtigen Soldaten, an der Verteidigungspolitik festgestellt worden, das mangelnde Engagement als bewußter Staatsbürger in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ich glaube, wir sollten es uns nicht so einfach machen, daß wir nur immer sagen, hier muß mehr geschehen im vormilitärischen Bereich, im Rahmen der Erziehung, der Aufklärung, der staatsbürgerlichen Bildung. Ich meine, Herr Kollege Adorno hat es sich heute morgen etwas zu leicht gemacht, als er meinte, wir hätten 18 Jahre vorher den jungen Menschen das notwendige staatsbürgerliche Rüstzeug mit auf den Weg zu geben. Ich weiß nicht, ob es richtig ist — wenn ich hier so sagen darf —, den Kindern schon mit der Muttermilch staatsbürgerliches Bewußtsein einzugeben.
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Haase
Das muß, glaube ich, etwas realistischer und etwas nüchterner gesehen werden.
Ich war überrascht und erfreut über einige Bemerkungen der Kollegen Dr. Marx und Dr. Abelein. Herr Kollege Dr. Marx, Sie sprachen von der Erfahrung, die Sie gemacht haben, daß die Frage nach dem Warum und Wofür für den Soldaten immer deutlicher gestellt wird.
— Gut! Sie haben zunächst einmal die Feststellung gemacht, daß die Frage nach dem Wofür und nach dem Warum und Wofür bei den Soldaten immer und lauter erhoben wird.
Herr Kollege Dr. Abelein hat sogar in seinen Ausführungen gemeint, es sei natürlich, daß Entspannungspolitik Bestandteil der Friedenspolitik zusammen mit der Sicherheitspolitik ist und daß zur Entspannungspolitik notwendigerweise auch eventuell einmal die Konsequenz — das wäre ja ein Erfolg einer solchen Politik — der gegenseitigen, gleichgewichtigen Abrüstung mit allen Folgen gehört.Ich habe daraus persönlich geschlossen, daß die Kollegen Dr. Marx und insbesondere Dr. Abelein damit doch langsam zu begreifen scheinen, was seinerzeit der Herr Bundespräsident Dr. Heinemann mit seiner Aussage gemeint hat, die in der Bundeswehr und auch außerhalb der Bundeswehr sehr stark kritisiert worden ist.
— Ich will es nicht erörtern, ich will es nur anführen. Ich war über diese Äußerung Ihrerseits, Herr Kollege Marx, erstaunt. Wir haben ja gemeinsame Erfahrung auch aus einer anderen Zeit, als wir zusammen im Fahnenjunkerzug in Mainz unseren Dienst taten; solange kennen wir uns
und wissen, daß wir uns von den Erscheinungsbildern dieser Zeit abgewandt und uns den gesellschaftspolitischen Erscheinungsbildern einer neuen Zeit mit dem Engagement in zwei verschiedenen demokratischen Parteien zugewandt haben und uns gefreut haben, uns trotz politischer Meinungsunterschiede hier im Deutschen Bundestag wieder zu treffen.Ich will einige Bemerkungen zur Personalsituation machen und dazu auch noch einmal kurz auf das zurückblenden, was Herr Kollege Stahlberg anfangs sagte. Herr Kollege Stahlberg, Sie haben gesagt, Sie seien mit den Maßnahmen der kritischen Bestandsaufnahme einverstanden gewesen. — Wo ist denn Herr Kollege Stahlberg? Ich sehe ihn im Moment nicht mehr. — Ich darf also sagen, daß dies ein gutes offenes Bekenntnis ist und sich ganz anders anhört, als wenn der Kollege Ernesti von einer Schau vielfältiger Tagungen spricht. Ich habe es sehr bedauert, Herr Kollege Ernesti, daß Sie diese Feststellung hier getroffen haben, denn wenn der Kollege Stahlberg aus Ihrer eigenen Fraktion erklärt, daß er mit den Maßnahmen der vielschichtigen Bestandsaufnahme einverstanden war, wenn auch die Ergebnisse dieser Bestandsaufnahme von seiner politischen Position her anders beurteilt werden, dann ist es einfach ein Stück parlamentarischer Demokratie, daß in differenzierten Beurteilungen solche Ergebnisse ihren Niederschlag finden.
— Doch, hier war ein Widerspruch in der Terminologie.
Ich bin dabei, einen Widerspruch darzustellen, und wäre froh, wenn dieser Widerspruch ausgeräumt werden könnte.Ich will einige Bemerkungen im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Zeit zu der Personalsituation in der Bundeswehr machen.Der Herr Verteidigungsminister hat heute in seiner Rede Schriftstücke zitiert, die aus einer Zeit stammen, die weit vor der Übernahme des Amtes durch ihn liegt, aus den Jahren 1959 und 1963 —, und in denen die ersten sichtbaren Anzeichen dargestellt wurden, daß das personelle Problem oder das personelle Dilemma der Bundeswehr langsam deutlicher wurde und daß man Überlegungen anstellen mußte, diese Entwicklung aufzuhalten und zu einer vernünftigen Entwicklung zu kommen, die uns dagegen absichert, daß wir permanent in bestimmten Zeitabständen jeweils wieder vor gleiche oder ähnlich gelagerte Probleme gestellt werden.Ich darf hier einen Zeugen aus dieser Zeit zitieren. Herr Bundestagspräsident, Sie werden es mir nicht verübeln. Sie haben 1963 das Amt des Verteidigungsministers übernommen, und eine der ersten politischen Erklärungen, die Sie damals nach einer Bestandsaufnahme Ihrer Art abgaben, war die, daß man nunmehr eine Phase der Konsolidierung einführen müsse. Wir alle, die wir damals dabei waren, wissen doch genau, wie sich dieser Verteidigungsminister in dieser Phase der Konsolidierung abgequält hat, die Dinge in den Griff zu bekommen und einer vernünftigen Lösung zuzuführen.
Und es hat ja Zeiten gegeben, wo von der damaligen sozialdemokratischen Opposition konkrete Vorschläge in Einzelbereichen gemacht wurden, bei denen es dann eine lange Zeit in Anspruch genommen hat, bis sie zum mindesten partiell verwirklicht wurden. Ich darf daran erinnern, daß bereits seit 1964/65 ein Papier der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion und des Sicherheitsbeirats beim Parteivorstand meiner Partei vorgelegen hat, in dem in etwa neue Wege in der Laufbahngestaltung, wie wir sie jetzt mit einem ersten Anfang durch die Einführung der Laufbahn
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Haase
des militärfachlichen Dienstes beschritten haben, aufgezeigt wurden.
— Ich will doch nur sagen: Wir haben damals dieses Konzept vorgelegt und waren bemüht, mit Ihnen gemeinsam das durchzusetzen, weil wir die Notwendigkeit der Durchsetzung dieser Konzeption erkannt hatten. Es hat eine lange Zeit gedauert, und ich glaube, Herr Kollege Stahlberg und Sie, Herr Kollege Ernesti, waren an dem Gespräch auf der Hardthöhe, damals noch bei Herrn Minister Schröder und Herrn Staatssekretär Carstens, beteiligt, als wir uns über das Problem interfraktionell mit den zuständigen Stellen des Ministeriums, auch mit der politischen Führung unterhalten haben. Es hat dann immer noch eine lange Zeit gedauert, bis die ominöse Feldmeister-Konzeption und Wehrinspektor-Konzeption vom Tisch war und endlich eine moderne Konzeption zu einem ersten Durchbruch durch überlieferte Laufbahnstrukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind, im Jahre 1969 mit der Einführung dieser Laufbahn erreicht worden ist.Ich will eine kurze Bemerkung zu dem Problem des Beförderungsstaues machen. Der Kollege Krall hat hier gesagt, es habe noch nicht zu einer Verzahnung geführt. Es gibt die Verzahnung, wenn auch nur im Umfang von 10 % der Stellen oder der Dienstgrade der Hauptfeldwebel. Die glatte Durchstufung, die wir auch schon 1955 in unserem Konzept hatten, von der A 5 bis in die A 9 zum Hauptfeldwebel ist angestrebt, kann aber erst Zug um Zug verwirklicht werden, wenn die übrigen Dienstposten A 9 und A 10 der Stabs- und Oberstabsfeldwebel dadurch in Wegfall gekommen sind, daß dieser Personenkreis entweder ausgeschieden ist oder mit und ohne Dienstposten oder Planstelle in die Laufbahn des militärfachlichen Dienstes übergewechselt ist. Wir sind zu 10 % gekommen. Wir haben aber zu gleicher Zeit im Rahmen des Haushalts 5 000 Stellenanhebungen vorgenommen, und wir haben in der letzten Phase der Beratung in Übereinstimmung mit dem Innenausschuß sicherstellen können, daß bei der Berechnung der 10 % auch diese 5 000 zusätzlichen Hauptfeldwebelstellen zugrunde gelegt werden. Sonst wäre die Zahl noch niedriger gewesen.Eine abschließende Bemerkung dazu. Wir sind uns im klaren darüber, daß ein sichtbarer Beförderungsstau zunächst nur mit Ad-hoc-Maßnahmen durchbrochen oder überwunden werden kann. Es wird mit Sicherheit in der Folgezeit auf anderen Ebenen ähnliche Erscheinungen geben, bis es gelungen ist, in dieser Armee einen Stellenkegel zu finden — das wird nicht ganz einfach sein —, der dann, wenn die ältere kriegsgediente Generation ausgelaufen ist, der neuen in sich geschlossenen Generation, die in dieser Armee Dienst tut, ihrer Altersstruktur gemäß ist. Dann werden wir sicherlich im Rahmen der Besoldung, im Rahmen der Dienstpostenbewertung und im Rahmen der Planstellen im Haushalt neue Überlegungen anstellen, wie das dann in einen vernünftigen Guß gebracht werden kann. Dazu gehört dann auch ein neues Verhältnis derZahl der Berufssoldaten zur Zahl der Zeitsoldaten, dazu gehören die Überlegungen, einen neuen Status für Zeit- oder Berufssoldaten mit besonderer Dienstzeit einzuführen, B 20 oder B 25 oder Z 20 oder Z 25 oder wie wir es im Augenblick in der Diskussion noch nennen mögen. Alle diese Dinge liegen noch vor uns, und alle diese Dinge werden den Verteidigungsminister veranlassen, seine Bestandsaufnahme permanent fortzuführen,
permanent sein Weißbuch fortzuschreiben, weil wir zu einer Lösung aller Probleme nicht in kurzer Zeit kommen werden. Die Bundeswehr ist eine lebendige Armee, sie untersteht bestimmten politischen Konstellationen, die sich jeweils verändern können und die auch zu Veränderungen in diesen Überlegungen führen können.Ich möchte den Verteidigungsminister für die sozialdemokratische Fraktion in aller Offenheit ermuntern, bei seinem Bemühen darum, diese Armee sinnvoll in diese Gesellschaft einzubetten, nicht aufzugeben und sich um Gottes willen nicht durch konservative oder auch reaktionäre Kritik aus unserer Gesellschaft — wo gibt es die nicht; die gibt es auch in der Armee — in die Defensive drängen zu lassen, sondern seinen Weg konsequent weiterzugehen. Unsere Unterstützung ist ihm gewiß.
Das Wort hat der Abgeordneter Damm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde diese Debatte ist wesentlich besser, als Helmut Schmidt uns und der Öffentlichkeit hat weismachen wollen, als er vorhin von der Aneinanderreihung seichter Bemerkungen gesprochen hat.
Deswegen möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die bis jetzt hier ausgehalten haben, und auch bei denen, von denen wir wissen, daß sie in großer Zahl an den Lautsprechern sitzen und gleichzeitig andere Arbeiten erledigen,
wobei ich außerdem sicher bin, daß der große Teil derjenigen, die hier nicht sein können, sicher wichtige Gründe hat, nicht hier zu sein, ebenso wie unser Verteidigungsminister selbst. Ich bin aber ebenso sicher, daß er das, was hier jetzt noch gesagt wird, entweder selbst am Lautsprecher mithört oder daß es ihm so übermittelt werden wird, daß er daraus seinen Nutzen ziehen kann. Ich meine nämlich, daß die Debatte deswegen gut ist, weil hier in vielfälti-
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Dammger Weise die Redner aufeinander eingegangen sind. Ich will das zu einem Teil auch tun und will z. B. sagen, daß der Hinweis des Verteidigungsministers, das sei hier eigentlich eine erweiterte Ausschußberatung, schnell eine Widerlegung gefunden hat, als er sich nämlich in das Metier einließ, wie im Ausschuß zu argumentieren. Da mußte er sich belehren lassen, daß die Schnellboote, von denen er sprach, gar nicht die Schnellboote waren, die wir vorige Woche im Ausschuß behandelt haben.
Das Thema Schnellboote bringt mich dazu, folgendes zu sagen. Dieser Minister hat vor kurzem diesem Parlament mehrfach gesagt, daß er eine Hinterlassenschaft von unausgegorenen Beschaffungsvorlagen vorgefunden habe. Was wir in der vorigen Woche im Verteidigungsausschuß an Darstellung der Notwendigkeit der Schnellbootbeschaffung erlebt haben, war nun alles andere als ausgegoren; kein Wunder, daß sich bei der Abstimmung fast die Hälfte des Verteidigungsausschusses der Stimme enthalten mußte.
Fast die Hälfte sind wir. Das ist so, Herr Kollege.Hier ist immer wieder der Versuch gemacht worden, nicht zuletzt von Helmut Schmidt selbst, den Eindruck zu erwecken, als ob wir Kritik um jeden Preis üben wollten, aber in Wirklichkeit keinen Grund hätten und nun lediglich kleinkariert daherredeten. Wir haben seit heute morgen und auch schon an früheren Tagen mehrfach versucht, Ihnen deutlich zu machen, daß z. B. zwischen dem, was der Minister sagt, und dem, was Kollegen von Ihnen sagen, Herr Wienand beispielsweise oder heute auch Herr Dr. Bußmann, eben nicht nur in Nuancen Unterschiede sind, sondern zum Teil beträchtliche Unterschiede. Wenn Herr Bußmann heute gesagt hat, die Sowjetunion sei eine Status-quo-Macht, dann ist das etwas anderes als das, was in dem NATO-Papier steht, auf das sich Helmut Schmidt heute wieder mit so großer Verve berufen hat und von dem er verlangt, daß wir ihm zustimmen, und dem wir in diesen Partien auch zustimmen. Nur hat Herr Bußmann, der offensichtlich für seine Fraktion gesprochen hat, wahrscheinlich eine andere Auffassung als sein Minister und auch als wir. Denn es ist unstrittig, daß in dem NATO-Papier AD 70 unter Nr. 5 im ersten Absatz steht:Andererseits können die Bündnispartner bestimmte beunruhigende Merkmale in der internationalen Situation nicht ignorieren. Die bisher vorliegenden Anzeichen legen den Schluß nahe, daß die Sowjetunion in der Absicht, ihren politischen Einfluß auszudehen und zu stärken, ihre Beziehungen zu anderen Staaten auf der Grundlage von Vorstellungen handhabt, von denen einige der Entspannung nicht dienlich sind.Eine solche Beobachtung paßt einfach nicht auf eine Macht, die angeblich saturiert ist und keinerlei Ausdehnungsabsichten hat. Sie müssen es schon hinnehmen, daß wir auf diese Widersprüche hinweisen, weil sie nämlich geeignet sind, meine Damen undHerren von der SPD, die Glaubwürdigkeit Ihrer verteidigungspolitischen Aussage in Zweifel zu ziehen.Helmut Schmidt hat über das Geld gesprochen und gemeint, wir sollten uns doch nicht so aufregen; es gebe ähnliche Vorgänge bei uns. Es ist unstrittig, daß wir in der mittelfristigen Finanzplanung 1967 beträchtliche Summen aus der Planung haben herausstreichen müssen, im übrigen nicht etwa nur in harmonischer Eintracht innerhalb der eigenen Fraktion. Es hat dort heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben.
Aber da stellt sich doch zunächst einmal die Frage: Wie viele solcher Aderlässe kann die Bundeswehr eigentlich vertragen? Zweitens stellt sich doch die Frage: War nicht eigentlich zu dieser Zeit die SPD mit in der Regierungsverantwortung? Schmidt kann doch nicht so tun, als ob das nur eine Sache des Finanzministers und des Verteidigungsministers gewesen sei. Was hat denn der Außenminister damals zu dieser Frage gesagt? Hat er sich etwa dafür eingesetzt, daß das nicht geschehe?
Nein, meine Damen und Herren, so billig kann er nicht davonkommen, so sehr er berechtigt ist zu kritisieren, daß damals wesentliche Planziele nicht in dem Maße mehr haben angesteuert werden können, wie es vorgesehen war.
— Ich kann Sie leider nicht verstehen, Herr Pawelczyk.Außerdem muß sich Helmut Schmidt doch einmal zu der Frage äußern, wie sich eigentlich 5 % Preissteigerung in seinem Haushalt auswirkt. Bei 20 Milliarden ist das nach Adam Riese eine Milliarde, die einfach perdu ist dadurch, daß die Preise um diesen Prozentsatz steigen. Es ist eben richtig, wenn Herr Barzel darauf hinweist, daß er da ansetzen müsse, wenn er das notwendige Geld für seinen Haushalt zusammenhaben wolle.Es ehrt Herrn Pawelczyk natürlich, wenn er sagt, wir sollten uns gegenseitig bescheinigen, daß wir doch nur das Beste wollten. Aber dann, Herr Pawelczyk, sollten Sie nicht gleichzeitig hier von diesem Podium aus sagen, wir hätten nach der Devise gehandelt: Gut ist, was der Bundeswehr schadet, wenn es nur der Regierung anzuhängen ist. Herr Pawelczyk, genauso haben Sie es gesagt, und so haben Sie es natürlich auch gemeint. Sie können nicht das eine und das andere haben, daß wir uns nämlich wechselseitig den besten Willen bescheinigen und uns andererseits eine solche Sache unter die Weste jubeln.
Wir haben eine Situation vor uns, die sich z. B. aufdem Sektor der Kriegsdienstverweigerung in Zahlenausdrückt, die für dieses Jahr auf 35 000, 40 000
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Dammoder 45 000 geschätzt werden und diese Schätzungen wahrscheinlich auch erreichen werden. Diese Situation bringt mich dazu, zu sagen: Diese Bundeswehr und diese Gesellschaft haben ein gestörtes Verhältnis zueinander.Der Bundeskanzler hat dies in der letzten verteidigungspolitischen Debatte am 26. März zum Anlaß genommen, etwas zum Thema „Bundeswehr und Schule" zu sagen, und ich habe mit Interesse festgestellt, daß Herr Pawelczyk dem, was der Herr Bundeskanzler vor sechs Wochen hier gesagt hat, widersprochen hat.
— Aber sicher! Nun ist das nicht unzulässig. Selbstverständlich ist das in Ordnung; es ist möglich, zulässig und legitim. Die Frage ist nur, ob es sachlich richtig ist. Ich meine, Herr Pawelczyk, daß in diesem Falle der Kanzler recht hatte, als er in dem Brief vom 19. November vergangenen Jahres an den Präsidenten der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder unter anderem geschrieben hat — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten wörtlich —:Verantwortliches, kritisches Denken, zu dem die Schulen die jungen Menschen befähigen sollen, darf aber nicht übersehen, daß der Verzicht auf ein Mindestmaß an Verteidigungsvorkehrungen Frieden und Freiheit gefährdet.Ich hätte nicht „Mindestmaß an Verteidigungsvorkehrungen" gesagt, sondern es etwas anders ausgedrückt; aber in der Tendenz ist es richtig. Vor diesem Hintergrund weist der Kanzler darauf hin, daß Jugendoffiziere bereitstünden, um in die Schule zu gehen und in der Diskussion mit Schülern diese Notwendigkeit dazulegen.
- Ich gebe Ihnen sofort Gelegenheit zu Ihrer Zwischenfrage, Herr Pawelczyk; ich will nur vorher das Zitat aus diesem Brief zu Ende führen. Der Kanzler sagt dann — wieder wörtlich —:Einige Länder haben auf dem Erlaßwege die Arbeit der Jugendoffiziere und Jugendunteroffiziere ermöglicht und erleichtert. Ich— immer noch wörtliches Zitat des Bundeskanzlers —würde es begrüßen, wenn auch die anderen Länder diesen Beispielen folgen würden.
Der Bundeskanzler hätte es sich viel leichter machen können. Er hätte lediglich an drei Länder zu schreiben brauchen, und da hätte er sogar als Parteivorsitzender schreiben können. Alle drei Länder, die keinen Erlaß der Art, wie der Bundeskanzler ihn wünscht, haben, werden nämlich seit Jahren von Ihrer Partei regiert.
— Hessen, Bremen und Hamburg.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Pawelczyk? — Bitte!
Sind Sie bereit, zuzugeben, daß die Hamburger Schulbehörde in einer Information den Schulen anempfohlen hat, Jugendoffiziere in die Schulen zu lassen, und in diesen Erlaß sogar Namen, Adressen und Telefonnummern der Betreffenden hineingenommen hat? Sind Sie weiterhin bereit, zuzugeben, daß ich in meinem Beitrag lediglich gesagt habe, daß ich der Auffassung bin, daß wir der Bundeswehr keinen guten Dienst erweisen, wenn wir gegen den Willen der Schulen Jugendoffiziere per Anordnung in die Schule hineinzwingen?
Herr Pawelczyk, ich bin durchaus bereit, Ihnen zuzugestehen, daß die hamburgische Schulbehörde am 8. März 1971
eine Information an die Hamburger Schulen gegeben hat. Sie liegt im Wortlaut vor mir. Sie ist nämlich der Ausfluß eines Briefwechsels, den ich seit dem 9. Februar dieses Jahres mit dem Schulsenator führe.
Es handelt sich um eine Information der hamburgischen Schulbehörde an ihre Schulen, in der sie davon spricht, daß die Bundeswehr informieren wolle. Es heißt darin wörtlich: „Die Bundeswehr will informieren . . ." Dann wird darin gesagt, daß es Jugendoffiziere gebe und worüber sie zu informieren willens und bereit seien. Und dann wird lediglich gesagt: Interessenten können sich wenden an Leutnant Soundso, dort und dort. Das ist alles, und das ist nach meiner und — wenn ich unbescheidenerweise hinzufügen darf — auch nach des Bundeskanzlers Meinung zu wenig, Herr Pawelczyk. Ich habe z. B. den Jugendoffizier, der hier genannt ist, letzte Woche gefragt: „Wieviel haben sich denn seit Anfang März, seit dieser Information an alle Schulen bei Ihnen gemeldet?" Antwort: „Niemand"!Der Zustand ist gar nicht neu. Natürlich ist es immer schon möglich gewesen, daß Offiziere, Soldaten in die Schulen kamen. Das war aber dann immer ein Arrangement, das der einzelne Lehrer oder die Schule mit der Bundeswehr traf oder die Bundeswehr mit der einzelnen Schule. In vielen Fällen spielte sich das aber so ab — das habe ich dem Hamburger Schulsenator geschrieben —: Der Jugendoffizier, der natürlich das Bestreben hat, z. B. in alle Gymnasien zu kommen, muß im Grunde bei dem Direktor antichambrieren und darum bitten, daß er hinein darf. Dann sagt der Direktor: „Wenn es nach mir ginge, sofort. Aber ich habe so viel Ärger schon mit meinen Lehrern, insbesondere in der Frage Bundeswehr und Wehrpflicht, und auch mit Schülern. Sie tun mir den größten Gefallen, wenn Sie darauf nicht bestehen." Was soll der Jugendoffizier anders machen, als zu sagen: „Na ja, ich komme vielleicht in einem halben Jahr wieder"?
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DammDas ist die reale Situation.
Fragen Sie den Jugendoffizier, der dort jetzt hauptamtlich tätig ist; er wird es Ihnen bestätigen. Ich habe mich ja deswegen Anfang Februar an den Hamburger Schulsenator gewendet, weil mich die Jugendoffiziere der 6. Division, die alle beieinander waren, als ich die 6. Division besuchte, darum gebeten hatten. Nun sagt der hamburgische Schulsenator Schulz, der künftige Erste Bürgermeister, in seinem letzten Brief vom 6. Mai an mich, und das will ich besonders zitieren:Sie wissen, daß es zwischen uns über die Bedeutung der Bundeswehr keine Meinungsverschiedenheiten gibt.Da stimme ich ihm zu. Ich kenne ihn lange genug, um das in aller Klarheit zu unterstreichen. Aber er sagte, er sei gegen einen Erlaß und gegen Zwang und meinte wie Sie, das dürfte man der Bundeswehr nicht antun.Meine Damen und Herren, wenn die Situation noch so wäre wie vor zehn Jahre, als es eigentlich eine Selbstverständlichkeit war, daß auch Abiturienten ihrer Wehrpflicht genügten, dann könnte man diesen liberalen Standpunkt weiter einnehmen. Die Situation ist aber beängstigend geworden.
40 000 Wehrdienstverweigerer in diesem Jahr -niemand widerspricht dieser Schätzung — ist eine beängstigende Zahl.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Pawelczyk?
Sind Sie bereit, ihre Auffassung zu korrigieren, wenn ich Ihnen sage, daß derselbe Jugendoffizier von mir eingeladen worden ist, sich an einem Seminar mit 40 Lehrern, an dem auch andere Bundeswehroffiziere teilnahmen, in seiner Eigenschaft als Jugendoffizier zu beteiligen — die Lehrer waren aus der genannten Zahl Hamburger Schulen —, und daß er nach einer Zusage ohne Entschuldigung weggeblieben ist? Die Folge der Debatte und dieser gemeinsamen Aktion war, daß in diesen Schulen Gespräche stattfinden. Das ist ein Beweis dafür, daß diese Problem ohne Anordnung, die nicht hilft, sondern neue Spannungen bringt, viel eher zu lösen ist.
Ich bin nicht bereit, das zuzugestehen, weil ich finde, daß es in Ordnung ist, einen moralischen Vorwurf gegen einen Mann zu erheben, der sich hier nicht verteidigen kann
und von dem wir nicht wissen, warum er seinerzeit nicht zu Ihnen gekommen ist.
Meine Damen und Herren, wenn dieser Staat ein Wehrpflichtgesetz macht, dann, meine ich, sollte er Manns genug sein, eine staatliche Institution, nämlich die Schule, auf dem Wege eines Erlasses zu veranlassen, ein Minimum an Information über eine so notwendige Institution wie die Bundeswehr zu geben.
Das genau hat auch der Bundeskanzler gemeint, und darüber sollten wir in diesem Hause miteinander gar nicht streiten müssen. Denn, meine Damen und Herren, ich bin mir völlig darüber klar, daß wir durch Erlasse dieser Art, auch wenn sie in allen Klassen praktiziert werden würden, das Problem weiß Gott gar nicht lösen würden. Wir würden lediglich ein wenig dazu beitragen, daß die Information und die Einsicht über die Notwendigkeit der Bundeswehr größer würde. Mehr nicht.
Denn es gibt natürlich noch eine Fülle weiterer Erzieher, offener und heimlicher, die auf den jungen Menschen einwirken. Die Frage geht an uns alle. In erster Linie muß sich aber die hauptverantwortliche Regierung fragen, was sie denn außerhalb des Bereichs der Schule tut, um die Glaubwürdigkeit ihrer Verteidigungsanstrengungen überall deutlich zu machen und nicht Widersprüche über ihre verteidigungspolitischen Absichten aufkommen zu lassen. Ich finde, daß diese Regierung sich leider nicht auf allen Gebieten so verhalten hat, daß sie nicht hätte mißverstanden werden können. Ich hätte mir z. B. gewünscht, daß das Karlsruher Urteil über das Plakat „Geh' zur Bundeswehr, lern schlachten", das ein Baby auf einem Bajonett aufgespießt zeigt, von dieser Bundesregierung gescholten oder mindestens kritisiert worden wäre. Die Gerichte sind zwar unabhängig, aber in ihren Urteilen sind sie nicht der Kritik entzogen.
Meine Damen und Herren, ich möchte schließen, indem ich darauf verweise, daß gestern in einer namhaften deutschen Zeitung der Satz gestanden hat: „Die Politik rosiger Gefälligkeiten nach allen Seiten verwirrt unser Staatswesen." Leider habe ich den Eindruck, daß das ein wenig auch für den Bereich Gültigkeit hat, über den wir heute gesprochen haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich ein paar Ausführungen zu zwei Fragen machen, zu einer Frage aus der Großen Anfrage der Koalition und zu einer aus der Großen Anfrage der Opposition.
Wie Sie wissen und wie aus der Antwort der Bundesregierung zum Ausdruck kommt, hatte der Bundeskanzler am 28. September 1969 eine organisatorische Straffung der militärischen Führungsstäbe und im Rüstungsbereich angekündigt. Diese Neugliederung im Verteidigungsbereich wurde inzwischen vorgelegt. Der Verteidigungsminister hat dabei die Konsequenzen aus den Feststellungen gezogen, die seine Partei auf ihrem Karlsruher Parteitag 1964 gemacht hatte.
Damals stellte meine Partei fest, daß die erkennbaren Schwächen unserer Streitkräfte vornehmlich
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Neumann
auf drei Gebieten lägen, in der militärischen Organisation, im inneren Gefüge und in der Auswahl und Beschaffung der Waffensysteme. Wir Sozialdemokraten waren 1964 der Meinung, daß die militärische Organisation zu kompliziert, zu kopflastig und zu schwerfällig sei. Eine der Ursachen dieser Lage war für uns das Verteidigungsministerium selbst. Darauf komme ich später noch zu sprechen.
Die früher beklagte fehlende Verantwortlichkeit ist nunmehr durch den Organisationserlaß vom 21. März dieses Jahres geregelt. Danach trägt nunmehr der Generalinspekteur dem Minister gegenüber die Verantwortung für die Entwicklung und Realisierung der militärischen Konzeption und Planung. Der Führungsstab der Streitkräfte ist dabei der dem Generalinspekteur unmittelbar zugeordnete Arbeitsstab. Der stellvertretende Generalinspekteur, die Inspekteure der Teilstreitkräfte, der Inspekteur des Sanitäts- und Gesundheitswesens wurden truppendienstliche Vorgesetzte mit Disziplinargewalt.
Wir begrüßen, daß durch diese Entscheidung die Inspekteure mehr Verantwortung für die ihnen unterstellten Streitkräfte erhalten haben. Ich glaube, daß damit ein entscheidendes Problem gelöst werden kann, das der heutige Verteidigungsminister im April 1969 auf dem wehrpolitischen Forum meiner Partei in Bad Honnef sehr hart angesprochen hatte. In Zukunft werden nicht mehr alle möglichen Stellen gleichzeitig in die Truppe hineinregieren. Es wird jeweils von einer Stelle aus, vom jeweiligen Inspekteur, befohlen.
Ebenfalls auf der Tagung in Bad Honnef hat der I heutige Verteidigungsminister erklärt — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten :
Ich meine, daß der Bundeswehrführungsstab organisiert werden muß nach den allgemeinen Grundsätzen militärischer Führungsorganisationen innerhalb unserer Allianz wie auch innerhalb des Warschauer Paktes.
Das ist mit dem Organisationserlaß vom März erreicht worden. Heute sind die Führungsstäbe der Streitkräfte nach international üblichen militärischen Grundsätzen umgegliedert und der Struktur der NATO-Kommandobehörden angeglichen und arbeiten nach den allgemeinen, auf Erfahrung beruhenden Prinzipien militärischer Führungsstäbe. Die Inspekteure sind jetzt allein dafür zuständig, daß die erarbeiteten Entscheidungen in einer Weise in die Truppe gelangen, die den militärischen Führungsmethoden und Erfahrungen entspricht.
Die Kollegen dieses Hauses, die schon länger dem Bundestag angehören, werden sich vielleicht noch erinnern, daß anläßlich der Untersuchung über den sogenannten Gewerkschaftserlaß sichtbar wurde, daß z. B. allein rund 60 zivile Beamte aus anderen Hauptabteilungen das Recht und die Pflicht hatten, über Fernschreiber bis in die Bataillone hinein Weisungen zu erteilen. Das war für die Truppe eine unerträgliche Situation. Der Herr Verteidigungsminister hat verfügt, daß nunmehr Erlasse aus seinem Hause, die die innere Führung und Ausbildungsangelegenheiten betreffen, nur von dem entsprechenden Führungsstab ergehen können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
übertriebene perfektionistische Forderungen, Wandel der Konzepte bis in die Fertigungsphase hinein, haushalts- und konjunkturpolitische Eingriffe, unzureichende Verträge, ungenügende Werkarbeit bei der Industrie, Schwerfälligkeit des Zusammenspiels aller an der Entwicklung und Beschaffung Beteiligten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Beibehaltung des bundeswehreinheitlichen Materialbedarfsdeckung und der nach technischen Fachbereichen gegliederten Organisation, weiterer Ausbau der projektorientierten Organisationselemente für Schwerpunktprogramme, konsequente Fortsetzung der Delegation von Aufgaben, Verantwortung und Zuständigkeiten vom Ministerium auf den nachgeordneten Bereich, volle Mitwirkung der Soldaten bei grundlegenden Entscheidungen, Vergabe komplexer Waffensysteme an General- oder Hauptauftragnehmer.Wie aus der Antwort der Bundesregierung zu entnehmen ist, beschränkt sich das Ministerium, in dem die bisherigen zwei Abteilungen Wehrtechnik und Verteidigungswirtschaft zu einer einheitlichen Rüstungsabteilung zusammengefaßt wurden, im Rüstungsbereich auf Planung, Lenkung und Kontrolle. Die frühere Aufteilung in zwei getrennte Abteilungen berücksichtigte nicht ausreichend die funktionellen Zusammenhänge zwischen technischen und wirtschaftlichen Aspekten. Durch die Zusammenlegung soll dieser Mangel beseitigt werden. Wie aus der Antwort der Regierung zu entnehmen ist, übernimmt das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung Aufgaben, die bisher im Ministerium wahrgenommen wurden.Wie aus der Antwort der Regierung weiter zu entnehmen ist, ordnen neue Rahmenbestimmungen das Verfahren für Entwicklung und Beschaffung bei der Aufstellung von Waffensystemen von der Planung bis zur Einführung in die Truppe. Dieses Verfahren soll Risiken vermeiden. Die Bedarfsträger, d. h. die Streitkräfte, sollen eine verstärkte Verantwortung erhalten. Das Ziel ist, zu einem besseren Verfahren bei Entwicklung und Beschaffung zu
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Neumannkommen, zu einem Verfahren, das weniger Zeit erfordert, das technische Risiken sorgfältig erwägt, das eventuelle Folgen eines Rückschlags sorgfältig prüft und das Kompromisse zwischen militärischer Forderung und endgültigem Gerät von Beginn an ermöglicht.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
1. Ist die Forderung ausreichend definiert, stichhaltig und notwendig?
2. Lassen sich die zur Erfüllung der Forderung notwendigen Leistungen mit der vorhandenen Technologie zum vorgesehenen Zeitpunkt erreichen?
3. Stehen die zu erwartenden Kosten des Projekts in einer vernünftigen Relation zu dem mit dem Projekt verfolgten Ziel? Für meine politischen Freunde möchte ich die Regierung ermuntern, sich eng an diese Fragen zu halten, weil wir meinen, daß dann sicherlich die Mängel verhindert werden können, die bei der kritischen Bestandsaufnahme und später festgestellt würden.
Noch ein paar Sätze zur Organisation des Ministeriums selbst. Wer sich das Organisationsschema des Bundesministeriums der Verteidigung ansieht, wird feststellen, daß sich dieses Schema von der üblichen Darstellung behördlicher Verantwortungspyramiden unterscheidet. Das Schema soll die Arbeit des Ministeriums wirkungsvoller machen. Straffe Organisation bei Teamarbeit auf allen Ebenen, eindeutigere Verantwortlichkeit, wirksameres Management im Rüstungsbereich sind wichtige Elemente der neuen Organisation. Meine Fraktion begrüßt diese Änderungen, die den Zweck haben, die Aufgaben des Ministeriums auf Führung, Lenkung, Planung und Kontrolle zu konzentrieren.
Mein Kollege Würtz sollte zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten sprechen. Auf Grund einer Vereinbarung werden Herr Kollege Würtz und andere nicht mehr sprechen. Erlauben Sie mir daher, daß ich als letzter Sprecher meiner Fraktion dem Herrn Wehrbeauftragten für seinen Jahresbericht 1970 Dank sage. Dieser Bericht gibt einen umfassenden Überblick über den inneren Zustand der Bundeswehr. Gleichzeitig enthält er wertvolle Anregungen für die Arbeit ,dieses Hauses. Dafür noch einmal recht herzlichen Dank!
Das Wort hat der Abgeordnete Zimmermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich mit den letzten Worten des Kollegen Neumann beginnen. Es ist zuerst ein bißchen Unruhe im Saal aufgekommen, weil der Wehrbeauftragte nicht mehr anwesend war. Die Obleute der Fraktionen, das möchte ich hier sagen, waren davon verständigt, daß er heute abend eine dienstliche Verpflichtung hat, und waren damit einverstanden, daß er sie wahrnimmt. Das war auch der
Grund, warum ihm vor der Mittagspause das Wort erteilt worden ist. Ich sage das, weil es vielleicht nicht allen Kollegen hier im Hause bekannt war und ist. Auch meine Fraktion nimmt Anlaß, dem Wehrbeauftragten für seinen Bericht ausdrücklich zu dan ken.
Der Herr Verteidigungsminister hat heute vormittag erklärt, es seien Fehler bei der Anlage der Debatte von meiner Fraktion gemacht worden, und man solle das beim nächstenmal anders machen. Hier muß ich doch noch einmal auf den Gang der Dinge zurückkommen. Wir hatten ja eine Debatte im März, und diese Märzdebatte, so war vorgesehen, sollte eine Antwort auf die beiden Großen Anfragen, die vorlagen, geben. Aber auf einmal war das keine Debatte über die beiden Großen Anfragen, sondern der Herr Verteidigungsminister gab eine Regierungserklärung ab, und zwar zu einem ganz anderen Thema und Sachverhalt als zu den beiden Großen Anfragen, eine Regierungserklärung, von der — ich sagte das schon einmal im März an dieser Stelle — nicht einmal seine engsten Mitarbeiter etwas wußten, oder: wenn sie es gewußt haben sollten, so haben sie es jedenfalls für sich behalten. Das ist der Grund, warum diese Debatte längst hätte stattfinden können, aber nicht stattgefunden hat, und veranlaßt war nicht etwa durch die Große Anfrage meiner Fraktion
— die kam erst nachher —, sondern durch die Große Anfrage der Regierungskoalition.
Ich überlasse es also dem Herrn Verteidigungsminister, wer hier Fehler bei der Anlage der Debatte gemacht hat.
Darf ich dann ein paar Anmerkungen zunächst zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Wienand machen. Er begann mit dem auf meinen Kollegen Marx gemünzten Satz: „Rüsten, rüsten, aufrüsten, die letzten 20 Jahre."
Wer so primitiv die Verteidigungspolitik der letzten 20 Jahre kennzeichnet, der zeigt — und das hat auch seine nachfolgende Rede bewiesen —, daß er eigentlich der Alte geblieben ist. Der Kollege Wienand ist sich ganz treu geblieben
in seinen Auffassungen, die er auch heute wieder von sich gegeben hat.
Wenn die Frage nach der Rüstung erlaubt ist, dann darf man wohl auch fragen: Wer hat denn eigentlich die letzten 20 Jahre mehr gerüstet? Wer hat denn eine pausenlose Erhöhung der Kampfkraft zustande gebracht? Wer drängt jetzt das erstemal maritim in den Atlantik, nachdem er das Mittelmeer schon ausreichend präsentiert? Wer schafft sich laufend neue Basen im Nahen Osten und in
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7131
Dr. Zimmermann
Afrika? Wer hat die Amerikaner auf dem Sektor der nuklearen Raketen überholt?
Wer hat auf dem Sektor der U-Boote die Vereinigten Staaten fast eingeholt? Wer hat die stärkste konventionelle Kampfkraft in Mitteleuropa? Sie mögen die Divisionen hin und her zählen. Selbstverständlich weiß jeder — jedenfalls wissen Sie es, die Sie noch hier sitzen —, daß die Umfangsstärke der westeuropäischen und amerikanischen Divisionen größer ist als die der Sowjetunion. Nehmen Sie jedoch die Anzahl der Divisionen, so ergibt sich, daß die konventionelle Überlegenheit der Sowjetunion doppelt so groß ist, und in der dritten Linie sogar mehr als das.
Wer dann noch sagt — das hat nicht nur Herr Bußmann, sondern auch Herr Wienand getan —, kommunistische Staaten hätten keine Alternative zur friedlichen Koexistenz und zum Status quo, der verkennt fundamental, wie die Lage in Mitteleuropa heute wirklich ist.
Wer so etwas erklärt, der sagt das genaue Gegenteil dessen, was im letzten NATO-Kommuniqué, das auch der Herr Verteidigungsminister angesprochen hat, festgehalten ist. Das genaue Gegenteil davon haben immerhin zwei nicht ganz unbedeutende Sprecher der SPD-Fraktion gesagt. Ich stelle deshalb fest, daß ein tiefgreifender Unterschied in der Tendenz der Aussagen, der Handschrift und im Sprachgebrauch zwischen dem Verteidigungsminister und anderen Kollegen von der SPD-Fraktion besteht.
- Nein, das meine nicht nur ich, sondern das meint
auch weitgehend meine Fraktion.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?
Bitte!
Herr Kollege Dr. Zimmermann, aus Gründen der Redlichkeit möchte ich das, was Herr Kollege Wienand dazu gesagt hat, wörtlich zitieren. Vielleicht kommen Sie dann zu der Auffassung, daß Sie seine Darstellung in einen falschen Zusammenhang gestellt haben. Er hat erklärt:
Mag sich auch der welterobernde Anspruch der Kommunisten bis heute verbal nicht geändert haben; seine politische Durchsetzbarkeit mit militärischen Mitteln hat sich grundlegend verändert.
Sie müssen doch zugeben, daß der Kollege Wienand die Effizienz der Verteidigung durch das Bündnis nicht nur eindeutig bejaht, sondern auch für gegeben hält.
Ihre Interpretation der Ausführungen des Kollegen Wienand teile ich nicht, Herr Kollege Horn. Den Satz, den ich zitiert habe, haben Sie nicht zitiert, sondern Sie haben einen anderen Satz davor zitiert. Da mir die gesamte Rede nicht vorliegt, kann ich zu diesem Satz nicht Stellung nehmen. Ich habe den Satz, den ich zitiert habe, mitgeschrieben, und er war der Kern der Aussage des Kollegen Wienand.
Noch ein Wort zum Kollegen Schmidt . Er hat Zahlenvergleiche gebracht und gesagt: Das Volumen der Militärhaushalte der NATO-Länder beträgt 100 Milliarden, das der Staaten des Warschauer Pakts 73 Milliarden. Er hat den Bericht eines Stockholmer Instituts zitiert, in dem es heißt: Der Verteidigungshaushalt der UdSSR beträgt 42, höchstens 50 Milliarden. Meine Damen und Herren, alle diese Zahlen sind schlicht falsch.
Sie können auf Grund der Haushalte der Warschauer Paktstaaten oder des Haushalts der UdSSR überhaupt keine Rechnung aufmachen.
Für die Mig 23 müßten Sie z. B. in der Sowjetunion, vorsichtig geschätzt, 10 Millionen Dollar pro Stück ansetzen. Wenn Sie so bei sämtlichem Kriegsgerät, bei allen Waffen, verfahren — der nukleare Bereich ist aus dem Militärhaushalt der Sowjetunion ohnehin vollkommen ausgeklammert —, kommen Sie zu ganz anderen Zahlen, nämlich zu Zahlen, die wesentlich höher sind als bei der NATO.
Also bitte keinen Zweckillusionismus mit Zahlen!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Bußmann?
Dr. Zimmermann: : Ja.
Herr Kollege Zimmermann, würden Sie so freundlich sein, den Bericht des amerikanischen Abrüstungsamtes zur Kenntnis zu nehmen, von dem am letzten Dienstag auf der ersten Seite der „Welt" Auszüge zitiert wurden. Darin heißt es, daß im letzten Jahr im Bereich der NATO 103 Milliarden Dollar und im Ostblock 72 Milliarden Dollar für Rüstungsausgaben aufgewendet worden sind.
Ich will jetzt gar nicht auf Zitate abheben. Der Herr Verteidigungsminister hat hier sehr interessante Prozentsätze genannt, wobei er verschiedene Zeitungen ein bißchen klassifiziert hat. Aber, Herr Kollege Buß-
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7132 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971
Dr. Zimmermannmann, Sie wissen natürlich auch, daß Abrüstungsämter jeglicher Art, gleichgültig, in welchem Land, selbstverständlich immer ganz bestimmte und für sie selbst auch durchaus richtige Tendenzen im Auge haben, wenn sie dieses oder jenes veröffentlichen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Marx?
Bitte sehr!.
Herr Kollege Zimmermann, um dieses Spiel zu beenden: Wären Sie bereit, dafür zu sorgen, ,daß im Verteidigungsausschuß die notwendigen Materialien besorgt werden, um möglichst verläßliche und klare Zahlen erstens über die Rütsungszunahmen im Bereich der NATO und zweitens über die Rüstungszunahmen im Bereich des Warschauer Paktes zu haben, so daß wir dann von Tatsachen reden und nicht von Spekulationen, die auch noch falsch sind, wenn sie in seriösen Zeitungen wiedergegeben werden?
Ich werde das gerne tun, Herr Kollege Marx, und falls der Bundesnachrichtendienst in seiner gegenwärtigen Konsistenz dazu noch in der Lage sein sollte, würde mich das besonders freuen.
Der Verteidigungsminister sprach vorher von Truppenzustandsberichten. Er machte das sehr hübsch. Er zitierte zunächst und sagte dann die Jahreszahlen. Der gewünschte Effekt ist damit natürlich erreicht worden. Er hat nur eines unterlassen, nämlich zu erwähnen, daß das lauter Zitate aus der Truppe waren. Es waren keine Zitate aus der Umwelt.
Er hätte auch aus der Politik und aus dem, was damals — 1957, 1963, 1964, 1967, 1968 usw. — im Lande schallte, zitieren sollen. Da wären Zitate, die ich mir jetzt in dieser späten Stunde erspare, auch ganz hilfreich gewesen, wie denn damals die Umwelt der Bundeswehr ausgesehen hat.
Wenn hier gesagt worden ist, Geburtsfehler der Bundeswehr seien daran schuld, daß sie auch heute noch an abgestufter Präsenz leide und daß gar nichts anderes möglich sei, frage ich nur: Wie war denn die Geburt der Bundeswehr? Unter welchen Umständen hat sie stattgefunden? Wie lange und wie leidenschaftlich haben wir gefochten, bis die Geburt erfolgte?
Wie leidenschaftlich, wie hektisch, wie grandios und wie durchgängig war der Widerstand?
— Ja, das muß man aber. Wenn man Truppenzustandsberichte von vor 10 und 15 Jahren zitiert, muß man die Umwelt kennzeichnen, in der sie zustande gekommen sind.
Herr Minister Schmidt, Sie machen es sich zu einfach, wenn Sie so salopp und in der bei Ihnen gewohnten Bescheidenheit sagen: Ein bißchen Klagen muß ja sein, und wenn Sie dann hinzusetzen: Ich will es aber nicht gering achten. Reden wir denn wirklich nicht mehr vom Haar- und Barterlaß, den Sie am Anfang Ihrer Ausführungen so hübsch persifliert haben? Ich sagte vor sechs Wochen, das ist nur eines der vielen Symptome, von denen einfach zu viele zusammengekommen sind. Das sind nicht die üblichen Sorgen der Truppe, die älter als eineinhalb Jahre sind - das ist gar keine Frage -, sondern es ist die jetzige Verfassung der Truppe überhaupt, die sich auf Grund dieser Summierung von Kleinigkeiten und größeren Fehlern insgesamt schlecht fühlt.
Es ist nicht richtig, Herr Minister Schmidt, einfach zu sagen, die Bundeswehr wird von der weit überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung getragen. Hier müssen wir leider ein bißchen differenzieren. Ich mache das jetzt einmal, indem ich die Altersgruppen unter 21 Jahren und von 21 bis 29 Jahre zitiere. Von dieser Altersgruppe zusammengenommen finden 37,5 % die Bundeswehr eher sympathisch und 7 % eher unsympathisch. Aber auf die Frage, wie sie sie finden, sagen „weder noch" oder „kein Interesse" 55,5 %. Sehen Sie, diese Zahl gibt mehr her, weil sie nämlich zeigt, wie groß die Gleichgültigkeit der jungen Leute von 18 bis 30 Jahre der Bundeswehr gegenüber ist, daß sich 55,5% überhaupt nicht zu ihr äußern, sie als vollkommen gleichgültig empfinden, kein Interesse für sie haben.
Das muß uns alle zusammen besorgt machen. Was die Älteren angeht, sind die Zahlen anders. Es wird richtig sein, daß sie bei den über 30jährigen von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung getragen wird. Aber daß sie von dem jüngeren Teil der Bevölkerung nicht in der gleichen Weise getragen wird, muß für uns Anlaß sein, gegenzuhalten und das nicht nur verbal zu beklagen.
Es wäre sehr schön, wenn bis Ende des nächsten Jahres 75 % der Wehrpflichtigen eingezogen werden könnten. Wenn ich mir aber die Zahl der Wehrdienstverweigerer im Jahre 1971 ansehe und die Progression von 1970 auf 1971 entsprechend von 1971 auf 1972 projiziere, muß ich sagen, daß es außerordentlich schwierig sein wird, einen solchen Prozentsatz zu erreichen. Eine Fortsetzung der gegenwärtigen Entwicklung würde uns aller Sorgen
Dr. Zimmermann
darüber entheben, wie viele junge Männer aus den in Frage kommenden Jahrgängen überhaupt noch eingezogen werden können und verteidigungsfähig sind. Deswegen ist die Lösung der Frage des Ersatzdienstes — der Verteidigungsausschuß wird sich als mitberatender Ausschuß bald mit dem entsprechenden Entwurf befassen das Problem Nr. 1.
Ich sage heute hier für meine Fraktion: Wir glauben nicht, daß der vorliegende Regierungsentwurf dieses Problem befriedigend löst.
Herr Minister Schmidt hat meinem Kollegen D r. Marx heute ein paar Worte gewidmet. Das ist auch so eine neue Übung, daß der Herr Minister jetzt abwechselnd Kollegen meiner Fraktion persönlich qualifiziert.
Zunächst war es Herr Klepsch und jetzt Herr Marx, der übrigens nicht Hilfsreferent, sondern Referent im Bundesverteidigungsministerium war. Ich glaube, man kann hier zum Vergleich sagen: Jeder General war ja auch einmal Gefreiter. Das sollte auch hier gelten.
Wenn hier gesagt wurde, man merke meinem Kollegen Marx noch heute an, was für ein Referat er damals verwaltet habe, so ist das eine Klassifizierung, die genauso plump ist wie diese — , dies könnte ich dann nämlich auch sagen : Man merkt es dem Herrn Minister an, daß er einmal Juso-Vorsitzender gewesen ist. Was soll denn diese Art von Klassifizierung und Qualifizierung?
Am Schluß wurde gesagt - dem stimme ich zu —,
in Wirklichkeit wüßten diejenigen, die bei dieser Debatte in den ersten Reihen sitzen, doch alle, daß wir beim Kritisieren Maß zu halten hätten; es gebe doch keinen breiten Graben. Herr Minister Schmidt, meine Damen und Herren, wann hat es in Verteidigungsfragen jemals eine Opposition wie diese gegeben, die bei keinem Beschaffungsvorhaben in den letzten anderthalb Jahren ihre Zustimmung verweigert hat und die sich in der letzten Woche das erste Mal aus ganz bestimmten Gründen mit einer Stimmenthaltung begnügen mußte? Wann hat es in diesem Hause in Verteidigungsfragen jemals eine Opposition gegeben, die so nahtlos die Verteidigung dieses Landes und den Platz im Bündnis bejaht hat?
Denken Sie bitte an Ihre eigene Zeit in der Opposition zurück, und vergleichen Sie die Kooperationsbereitschaft und die konstruktive Mitarbeit, die meine Fraktion in diesen Fragen auch in Ihrer Regierungszeit geboten hat und auch weiter bieten wird, mit der der Opposition in früheren Zeiten!
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir haben noch über zwei Vorlagen abzustimmen, und zwar zunächst über die Vorlage unter Punkt 4 c der Tagesordnung. Den Antrag des Ausschusses finden Sie in Drucksache VI/2168. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Keine. Enthaltungen? Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir haben dann unter Tagesordnungspunkt 4 d über den Antrag des Ausschusses — Drucksache VI/2167 — abzustimmen, daß das Weißbuch 1970 zur Kenntnis genommen wird. Wer zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir sind damit am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich 'berufe die nächste Sitzung auf morgen, Donnerstag, den 13. Mai 1971, 14 Uhr ein. Ich mache darauf aufmerksam, daß der Bundeskanzler mich unterrichtet hat, daß um 15 Uhr im Anschluß an die Fragestunde eine Regierungserklärung zu den Verhandlungen in Brüssel abgegeben wird. Ich bitte Sie, sich darauf einzustellen.
Die Sitzung ist geschlossen.