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ID0612201000

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 122. Sitzung Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 Inhalt: Würdigung des 25jährigen Bestehens der Organisation CARE von Hassel, Präsident . . . . . . 7043 A Nachträgliche Überweisung eines Gesetzentwurfs 7043 B Sammelübersicht 21 des Petitionsausschusses über Anträge von Ausschüssen des Bundestages zu Petitionen (Drucksache 1/1/2141) Hussing (CDU/CSU) . . . . . . 7043 C Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Sicherheitspolitik der Bundesregierung (Drucksache VI/ 1779, VI/ 1977) in Verbindung mit Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen VI/1931, VI/1977), mit Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses über den Jahresbericht 1970 des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (Drucksachen VI/1942, VI/2168) und mit Mündlicher Bericht des Verteidigungsausschusses über das Weißbuch 1970 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bundeswehr (Drucksachen VI/765, VI/2167) Adorno (CDU/CSU) . . . . . . . 7044 C Buchstaller (SPD) . . . . . . 7050 B Jung (FDP) 7054 B Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 7057 D Wienand (SPD) . . . . . . . . 7065 B Dr. Abelein (CDU/CSU) . . . . . 7069 D Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . . 7072 A Schultz, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . 7073 C Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . . 7089 D Schmidt, Bundesminister . 7093 B, 7106 D Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . . 7105 B Dr. Bußmann (SPD) . . . . . . . 7108 B Ernesti (CDU/CSU) . . . . . . . 7110 D Pawelczyk (SPD) 7114 D Krall (FDP) 7117 C Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär 7119 D Stahlberg (CDU/CSU) 7121 B Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . 7123 D Damm (CDU/CSU) . . . . . . 7125 D Neumann (SPD) 7128 D Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . 7130 B II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 Absetzung eines Punktes von der Tagesordnung . . . . . 7076 B Fragestunde (Drucksache VI/2166) Frage des Abg. Dr. Mende (CDU/CSU) : Forderung der SED nach Abgrenzung der DDR von der Bundesrepublik Deutschland Herold, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 7076 D, 7077 B, C Dr. Mende (CDU/CSU) . . . . . 7077 C Frage des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Merkblatt über Reisen in die DDR Herold, Parlamentarischer Staatssekretär . . . 7077 D, 7078 C, D Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 7078 C Dr. Haack (SPD) . . . . . . . . 7078 D Frage des Abg. Dr. Früh (CDU/CSU) : Äußerung des Bundesministers Dr. Eppler betreffend Aussiedlerhöfe in Baden-Württemberg Dr. Eppler, Bundesminister . , 7079 A, B, C Dr. Früh (CDU/CSU) . . . . . 7079 B, C Frage des Abg. Dr. Früh (CDU/CSU) : Beurteilung der Aussiedlung durch den Bundesminister Dr. Eppler Dr. Eppler, Bundesminister 7079 D, 7080 A Dr. Früh (CDU/CSU) . . 7079 D, 7080 A Fragen des Abg. Ehnes (CDU/CSU) : Pressemeldungen über Beihilfen für den Anbau von Grünfutter in den Niederlanden Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär . 7080 B, C, D, 7081 A, B Ehnes (CDU/CSU) 7080 C, D Röhner (CDU/CSU) . . . . . . 7081 A Dr. Früh (CDU/CSU) . . . . . 7081 B Bittelmann (CDU/CSU) . . . . 7081 B Fragen des Abg. Kiechle (CDU/CSU) : Überbrückungsmaßnahmen für niederländische Obsterzeugerbetriebe Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär . . 7081 C, D, 7082 A, B Kiechle (CDU/CSU) . . . . . . , 7082 A Dr. Ritz (CDU/CSU) . . . . . . . 7082 B Fragen des Abg. Rainer (CDU/CSU) : Gewährung staatlicher Hilfe an niederländische Gartenbaubetriebe bei Aufnahme von Krediten für die Beschaffung von Heizöl Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär . 7082 C, D, 7083 A, B, C Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . 7082 C Kiechle (CDU/CSU) . . . . . . . 7082 D Ehnes (CDU/CSU) . . . . . . . 7083 A Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . . 7083 B Fragen des Abg. Röhner (CDU/CSU) : Gewährung von Zuschüssen an Landwirte für den Aufbau einer neuen Existenz Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär . 7083 C, D, 7084 A, B, C Röhner (CDU/CSU) 7084 A, B von Thadden (CDU/CSU) . . . . 7084 C Fragen der Abg. Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU) und Susset (CDU/CSU) : Ausführungen in der „Verbraucherpolitischen Korrespondenz" über die Verhältnisse in der Landwirtschaft Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär . . 7084 C, 7085 A, B, D, 7086 A, B, D, 7087 A Schröder (Wilhelminenhof) (CDU/CSU) 7085 A Dr. Reinhard (CDU/CSU) . . . . 7085 B Susset (CDU/CSU) . 7085 D, 7086 A, C, D Biechele (CDU/CSU) . . . . . . 7087 A Frage des Abg. Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) : Förderung von einzelbetrieblichen Investitionen in der Land- und Forstwirtschaft Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär 7087 B, C Dr. Hauser (Sasbach) (CDU/CSU) . 7087 C Dr. Früh (CDU/CSU) 7087 D Frage des Abg. Mursch (Soltau-Harburg) (CDU/CSU) : Zusammensetzung der Bundesversammlung unter Berücksichtigung der Bundestags- und Landtagswahlen seit dem 28. September 1969 Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . . . 7088 A Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 III Frage des Abg. Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) : Mitwirkung der Bundesregierung in dem „Gemeinsamen Ausschuß für Kulturarbeit" Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . . 7088 A, B, C Dr. Meinecke (Hamburg) (SPD) . 7088 B, C Frage des Abg. Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) : Besitz- und Beteiligungsverhältnisse der „Konzentration-GmbH" Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 7088 D Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 7089 A Frage des Abg. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU): Sofortprogramm der Bundesregierung zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär 7089 A, D Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . 7089 C Nächste Sitzung 7133 D Anlagen Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 7135 A Anlage 2 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Eyrich (CDU/CSU) betr. Einkommen in der Landwirtschaft . 7135 D Anlage 3 Schriftliche Antwort auf die Mündliche Frage des Abg. Dr. Eyrich (CDU/CSU) betr. Möglichkeiten eines kostenorientierten Wirtschaftens für landwirtschaftliche Unternehmer . . . . . . . . . 7136 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7043 122. Sitzung Bonn, den 12. Mai 1971 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Ahrens ** 15. 5. Alber ** 15. 5. Amrehn ** 15. 5. Bals ** 15. 5. Bauer (Würzburg) ** 15. 5. Berger 12. 5. Dr. Birrenbach 14. 5. Blumenfeld ** 15. 5. Frau von Bothmer 14. 5. Dasch 15. 5. Frau Dr. Diemer-Nicolaus ** 15. 5. Dr. Dittrich * 14. 5. Draeger ** 15. 5. Dr. Enders ** 15. 5. Faller * 13. 5. Fellermaier 21. 5. Fritsch ** 15. 5. Dr. Fuchs 14. 5. Dr. Furler ** 15. 5. Geldner 31. 5. Gerlach (Emsland) 14. 5. Freiherr von und zu Guttenberg 15. 5. Dr. Hallstein 13. 5. Frau Herklotz ** 15. 5. Dr. Hermesdorf (Schleiden) ** 15. 5. Hösl ** 15. 5. Dr. Jungmann 14. 5. Kahn-Ackermann ** 15. 5. Dr. Kempfler ** 15. 5. Frau Klee ** 15. 5. Dr. Klepsch ** 15. 5. Dr. Kley 15. 5. Dr. Kliesing (Honnef) ** 15. 5. Dr. Koch * 14. 5. Lemmrich ** 15. 5. Lenze (Attendorn) ** 15. 5. Dr. Löhr * 15. 5. Maucher 26. 6. Meister * 12. 5. Memmel * 14. 5. Michels 12. 5. Müller (Aachen-Land) * 14. 5. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Versammlung des Europarates Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Müller (München) ** 15. 5. Frau Dr. Orth * 14. 5. Pöhler ** 15. 5. Dr. Reinhard 14. 5. Frau Renger 15. 5. Richarts * 14. 5. Richter ** 15. 5. Riedel (Frankfurt) * 14. 5. Dr. Rinderspacher ** 15. 5. Rollmann 18. 5. Roser ** 15. 5. Dr. Schmid (Frankfurt) ** 15. 5. Dr. Schmidt (Gellersen) 14. 5. Schmidt (Würgendorf) ** 15. 5. Dr. Schmücker ** 15. 5. Dr. Schulz (Berlin) ** 15. 5. Sieglerschmidt ** 12. 5. Dr. Siemer 14. 5. Simon 14. 5. Stein (Honrath) 15. 5. Dr. Stoltenberg 14. 5. Struve 12. 5. Frau Dr. Walz ** 15. 5. Dr. von Weizsäcker 14. 5. Wende 15. 5. Wienand ** 15. 5. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Logemann vom 12. Mai 1971 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Eyrich (CDU/CSU) (Drucksache VI/2166 Frage A 57) : Hält die Bundesregierung angesichts des in wenigen Wochen abgeschlossenen Wirtschaftsjahrs 1970/71 ihre Aussage immer noch aufrecht, daß die Landwirtschaft annähernd das Einkommensniveau des zurückliegenden Wirtschaftsjahrs 1969'70 erreichen wird (Drucksache VI/1861)? Die Bundesregierung hält an ihrer Auffassung fest, daß in der Landwirtschaft das Einkommen je Vollarbeitskraft im Wirtschaftsjahr 1970/71 das Niveau des Vorjahres annähernd erreichen wird. In dieser Auffassung wird sie dadurch bestärkt, daß durch die Brüsseler Preisbeschlüsse vom 25. März 1971, die bei der Vorschätzung für den Agrarbericht 1971 seinerzeit noch nicht bekannt waren, zum Ende des Wirtschaftsjahres 1970/71 noch ein positiver Einkommenseffekt zu erwarten ist. Anlage 3 Schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Logemann vom 12. Mai 1971 auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Dr. Eyrich (CDU/CSU) (Drucksache VI/2166 Frage A 58) : Bleibt die Bundesregierung im Hinblick auf den sich beschleunigenden Preisauftrieb bei ihrer Äußerung, daß die Landwirtschaft durch eine zeitliche Streckung der Investitionen und durch Verlageiungen innerhalb der Aufwandstruktur dem für sie unerträglichen Kostenanstieg entgegenwirken kann? Die Bundesregierung bleibt grundsätzlich bei ihrer Auffassung. Sie stützt sich dabei auf die unveränderte Annahme, daß die landwirtschaftlichen Unternehmer unter den gegenwärtigen schwierigen Bedingungen alle Möglichkeiten kostenorientierten Wirtschaftens ausschöpfen und im übrigen durch die die EG-Agrarpreisbeschlüsse ergänzenden nationalen Maßnahmen in Höhe von 480 Millionen DM, deren Akzent auf Entlastung der Kostenseite liegt, eine Hilfe erfahren.
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!



    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    Beide vorliegenden Großen Anfragen und die Antwort der Bundesregierung beschäftigen sich mit dein gesamten Bereich der Verteidigungspolitik. Der erste Teil unserer Anfrage konzentriert sich auf die außen- und verteidigungspolitischen Grundlagen und Einschätzungen.
    Wenn wir den Vertretern der Bundesregierung bei den Begründungen ihrer Sicherheitspolitik in der gegebenen Antwort und anderswo zuhören, so stoßen wir immer wieder auf die Behauptung, daß seit dem Bericht des belgischen Außenministers Harmel vom Dezember 1967 durch eine erstmalige enge Verbindung der Komponenten Sicherheit und Entspannung eine neue Phase der Politik begonnen hat. Die Bundesregierung spricht sich selbst das Verdienst zu, die bei Harmel erarbeitete These, nämlich daß Sicherheit und Entspannung die beiden Säulen der NATO-Politik seien, in ihrer Politik konsequent zu verwirklichen, und der Herr Verteidigungsminister sagt an vielen Stellen, jetzt erst würde der Handlungsspielraum der Bundesregierung voll ausgenutzt. Nun, wir werden sehen, wer hier was ausnutzt und wer Ihier wen dabei benutzt.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)

    Ich will mich zunächst mit den genannten Behauptungen, mit ihrem Inhalt, mit den Hintergründen und mit den Widersprüchen beschäftigen. Ich frage, ob es tatsächlich eine neue Erkenntnis ist, daß man vom gesicherten Bündnis aus Verständigung und Entspannung suchen solle. Lassen Sie mich hierbei, meine Damen und Herren, an eine Rede erinnern, die Paul Henry Spaak bei der NATO-Ministerkonferenz am 16. Dezember 1957 gehalten hat. Er erklärte dort — ich zitiere —:
    daß wir dieses Bündnis gewollt haben, weil die Ereignisse dies geboten. Und wenn ich sage, die Ereignisse, wäre es genauer, wenn ich sagte, die unheilvolle Politik eines großen Landes.

    (Abg: Dr. Klepsch: Hört! Hört!) Und Paul Henry Spaak fährt fort:

    Nach Beendigung des zweiten Weltkrieges haben wir an die Abrüstung geglaubt. Die stärksten unter uns haben ihre Truppen unter das erlaubte Maß an Sicherheit demobilisiert. Wir haben an die Vereinten Nationen geglaubt, und allein die systematische Sabotage der Bemühungen des Sicherheitsrats durch die UdSSR hat unsere Hoffnungen untergraben. Wir haben nicht allein. an die friedliche Koexistenz, sondern auch an eine mögliche Freundschaft mit der kommunistischen Welt geglaubt, und es bedurfte einer systematisch feindseligen und herausfordernd aggressiven Politik dieser Welt, um uns unserer Leichtgläubigkeit und auch der uns drohenden Gefahr bewußt zu werden.
    Und er fährt fort:
    Wir haben uns verbündet, um einer sowjetischen Politik entgegenzutreten, in der sich der Umsturz im Innern und der Druck nach außen vereinigt, einer Politik, die es den Kommunisten ermöglichte, in Europa die Herrschaft anzutreten, gegen den sehr deutlichen Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

    Wenn ich das, meine Damen und Herren, heute zitiere, so wird, wie ich denke, in diesem Saal niemand sagen können, diese Darstellung sei unrichtig, und keiner wird behaupten, es handle sich um einen Text, der damals gültig war, heute aber, in jener Ara, in der angeblich „der Trend in der ganzen Welt auf Entspannung" ausgerichtet ist, nicht mehr stimme. Leider, meine Damen und Herren, hat sich die sowjetische Politik eben nicht fundamental geändert. Sie hat sich ausgeweitet zur globalen Strategie. Jeden Tag kann jeder, der seine Augen und Ohren benutzen will, es lesen und hören. Herr Kollege Jung ich weiß nicht, wo er ist; es ist offenbar üblich, zu reden und dann wegzugehen.

    (Abg. Dr. Klepsch: Er ist erschöpft!)

    — Ich möchte gern Herrn Kollegen Jung, weil er mich vorhin ansprach und sagte, man müsse befürchten, daß man da wieder die Prawda zitiert habe, sagen: Es wäre gut, wenn mancher Kenntnis nähme

    (Zuruf von der FDP: Da ist er schon wieder! — Abg. Mischnick: Sie gehen auch manchmal raus!)

    von dem, was dort wirklich geschrieben wird. Ich sage: Jeder, der seine Augen und Ohren benutzen will, er kann es lesen und er kann es hören, was die sowjetischen Führer, was die Partei, was die Gruppe der Marschälle und Generäle, der Ideologen und der Planer von sich und ihrem Staate verstehen.

    (Abg. Schmidt [Würgendorf] : Manche haben zu lange Ohren!)

    — In Ihren Augen, Herr Schmidt (Würgendorf), in deren Augen und nach deren Willen ist die Sowjetunion keine „Status-quo-Macht", wie es das Weißbuch 1970 verharmlosend sagt. Sie ist nicht nur auf, wie es dort heißt, „Bewahrung und Konsolidierung" aus, sie treibt nicht nur, wie es auch dort heißt, „konservative Machtpolitik", sondern sie handelt nach den Gesetzen einer selbstbewußten Weltmacht und auch gegründet auf eine Heilslehre, der die Sowjetarmee dynamisch, auf den Klassenkampf im Weltmaßstab zugeordnete Dimensionen verleiht.

    (Zustimmung bei der CDU/CSU.)

    Ich will, meine Damen und Herren, auch aus einer Rede Konrad Adenauers, und zwar aus dem gleichen Jahr und bei der gleichen Konferenz im Jahre 1957, eine Anmerkung in Ihrer aller Gedächtnis zurückrufen. Er sagte dort:
    Diese Allianz ist nicht nur ein militärisches Verteidigungsbündnis. Sie ist eine Gemeinschaft, deren Hauptaufgabe darin besteht, konstruktive Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben der Völker zu schaffen und alle Möglichkeiten auszuschließen, die zu militärischen Konflikten führen könnten.
    — Und Adenauer fährt fort, und ich muß das in Ihre Erinnerung zurückrufen —



    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    In diesem Sinne wird sie in ihren Bestrebungen nicht nachlassen, das Verhältnis zum Ostblock zu entspannen,

    (Abg. Dr. Schmidt [Wuppertal] : Sehr gut!)

    um auf diesem Wege die Spaltung der Welt zu überwinden.

    (Beifall bei der CDU/CSU. Zuruf von der CDU/CSU: Das soll sich der Herr Wienand merken!)

    Dies ist eine Willenserklärung des damaligen Bundeskanzlers Adenauer, eine von vielen,

    (Abg. Dr. Klepsch: 1957!)

    in der die Entspannung als ein Ziel seiner Politik, unserer Politik und der Politik der Allianz, bezeichnet wurde. Also Wachsamkeit, Sicherheit und Entspannung schon lange vor dem Harmel-Bericht.

    (Abg. Haase [Kellinghusen] : Was ist geschehen?)

    Herr Haase (Kellinghusen), ich könnte billigerweise jetzt die Gegenfrage stellen: Was sind eigentlich die bisher vorliegenden Ergebnisse dieser Politik? Ich komme nachher darauf zurück. Lassen Sie uns dann miteinander wetteifern.
    Ich möchte auch noch einmal in die Debatte einführen, daß in dem Kommuniqué der NATO-Tagung im Jahre 1965 einige Sätze stehen, die unser Land betreffen und die alle immer noch wahr und immer noch richtig und ich sage: leider durch nichts
    überholt sind. Es heißt dort — ich zitiere -.
    widersetzt sich die Sowjetunion nach wie vor jeder Lösung der zwischen Ost und West stehenden fundamentalen Streitfragen. Eine derartige Lösung, die die legitimen Interessen aller Beteiligten wahren muß, ist und bleibt eines der wesentlichen Ziele des Bündnisses.
    Es wird dann hinzugefügt:
    Der Rat stellt mit Bedauern fest, daß bei der Überwindung der Teilung Deutschlands keine Fortschritte erzielt worden sind.
    Dann heißt es:
    Der Rat bekräftigt erneut, daß eine gerechte und friedliche Lösung der Deutschlandfrage nur auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes erreicht werden kann. Der Rat bestätigt darüber hinaus, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die einzige frei und rechtmäßig gebildete deutsche Regierung ist und daher berechtigt ist, für Deutschland als Vertreterin des deutschen Volkes in internationalen Angelegenheiten zu sprechen.
    Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle, wo dies noch einmal zitiert ist, festhalten, daß damals unsere Alliierten der damaligen Bundesregierung im Zusammenhang auch mit Art. 7 des Deutschlandvertrages noch ausdrücklich bestätigten, daß sie für das ganze Volk spreche. Die gegenwärtige Regierung hat unserer Einschätzung nach ohne Not und ausdrücklich in diplomatischen
    Noten an ihre eigenen Verbündeten mitgeteilt, daß sie dies nicht mehr tut. Aber niemand wird begreifen, daß man dies als einen Akt der Entspannung bezeichnen könnte. Im übrigen, wenn Sie das Reden und Treiben der DDR in der Dritten Welt im Augenblick beobachten, werden Sie sich eher vom Gegenteil überzeugen.
    Herr Minister Schmidt, Sie und manche Ihrer Freunde gebrauchen gern das Bild von den beiden Säulen. Sie sagen: Sicherheit und Entspannung sind zwei gleichwertige Säulen.

    (Zuruf von der SPD: Sind Sie anderer Auffassung?)

    — Ich werde mich gleich dazu eingehend äußern.

    (Zuruf: Papier ist geduldig! Zuruf von der SPD: Das war nicht von mir!)

    — Ich nehme an, daß wir gelernt haben, ein bißchen höflicher miteinander umzugehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Denen fällt nichts anderes ein!)

    - Danke schön, Herr Kollege.
    Ich fahre fort, und zwar sozusagen als unmittelbare Antwort auf die Frage, ob ich dies bestreite: ja, ich bestreite ausdrücklich, daß diese beiden Säulen gleichwertig seien. Um im Bild zu bleiben, möchte ich gerne darauf hinweisen, daß die tragende Säule, die fundamentale Säule, die Sicherheitspolitik sein soll, auf die dann aufgesetzt werden kann
    — nur dann wird es funktionieren, nur dann wird es das ganze Gebäude tragen —, diejenige Säule, die man Entspannungspolitik nennt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des Abg. Haase [Kellinghusen].)

    — Das Bild habe ich aufgenommen, Herr Haase, weil es andere so gesagt haben. — Herr Mattick!


Rede von Kurt Mattick
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Dr. Marx, wollen Sie mit dieser Feststellung behaupten, daß diese Bundesregierung darauf aus ist, die Verteidigungskraft der Partner und der Bundesrepublik zugunsten der Ostpolitik abzubauen? Diese Behauptung wäre doch völlig falsch. Sie müssen sich doch in dieser Frage bestimmt korrigieren. Die Bundesregierung baut ihre Politik darauf auf — ich frage Sie, ob Sie daran zweifeln , daß 'das Verteidigungsbündnis die Voraussetzung dafür ist, eine gelungene Ostpolitik zu betreiben.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Werner Marx


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Mattick, wir sollten, wenn es geht, miteinander reden und nicht den Versuch machen, absichtsvoll aneinander vorbeizureden. Ich habe gesagt: die Behauptung, daß beide Säulen gleichwertig sind, wird von mir bestritten, weil nach meiner Ansicht die entscheidende Säule, auf der nur eine sinnvolle Entspannung aufgebaut werden kann, diejenige der Sicherheitspolitik ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zweitens. Meine Damen und Herren, es ist sicher
    unstreitig, daß die Bewahrung der Freiheit und die



    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    Verhinderung des Krieges immer schon das Konzept der NATO bestimmten und daher auch von allen bisherigen Verteidigungsministern der Bundesregierung so verstanden wurden.
    Die Berufung auf den Harmel-Bericht können wir in der CDU nur so verstehen, daß Sicherheit Freiheit und Entspannung Frieden meint. Denn Sicherheit — Kollege Wienand hat in einer Rede darauf hingewiesen —, soweit es sie überhaupt geben kann, bewahrt die Freiheit, und Entspannung soll der Festigung des Friedens dienen. Insoweit ist das eine klare Linie. Ich sehe keinen Bruch und nicht neue Fundamente der NATO-Politik. Aber wir denken nicht daran, uns mit dem bloßen Postulat dessen, was im Dezember 1967 gesagt worden ist, zufriedenzugeben, auch nicht mit den bloßen Postulaten, die wir in der „AD-70" finden. Denn unserer Überzeugung nach genügen Diagnosen nicht; man muß auch an der Therapie arbeiten.
    Wir fragen daher nach den Möglichkeiten der Verwirklichung der Gedanken, die da niedergelegt sind, und wir fragen auch nach dem konkreten Inhalt der verwendeten Begriffe. Dazu zwei Punkte. Erstens. In dem Harmel-Bericht steht wörtlich:
    Der Weg zu Frieden und Stabilität beruht vor allem auf dem konstruktiven Einsatz der Allianz im Interesse der Entspannung.
    Wir müssen darüber sprechen und möchten gerne wissen, was dies nun eigentlich im klaren Text heißt. Fehlt da nicht der elementare Hinweis, daß alle Bemühungen um Entspannung so lange unfruchtbar bleiben müssen, als die andere Seite nicht ihrerseits auch bereit ist, alles zu tun, damit die Ursachen der Spannung beseitigt werden und jene tatsächliche Entspannung, die diesen Namen verdient, erreicht wird? Und ich meine: muß nicht auch deutlicher gemacht werden, daß der hier genannte Einsatz der Allianz für die Entspannung nur dann wahrhaft „konstruktiv" sein kann, wenn der Warschauer Pakt sich ähnlich oder, sagen wir, vergleichbar verhält, was die Qualität seiner wirklichen und dann auch meßbaren und nachprüfbaren und kontrollierbaren Entspannungsbemühungen anlangt?
    Zweitens. Der Harmel-Bericht geht von einer historischen Stunde aus — ich glaube, man muß dies ins Gedächtnis zurückrufen —, nämlich von den Jahren 1966/1967. also einer Stunde, die mehr durch die Hoffnungen des Westens auf Entspannung als durch die vom Osten geschaffenen Tatsachen beschrieben wurde. Es kann doch niemand, der sich einen Sinn für historische Realitäten und den historischen Zusammenhang bewahrt hat, an den damaligen Befürchtungen vorbeisehen, die NATO werde bald zerfallen. Im Zusammenhang mit dem Austritt Frankreichs aus der Integration der NATO einerseits und einer immer mehr um sich greifenden Verharmlosung der sowjetischen Absichten andererseits war die NATO damals vor die Frage ihrer eigenen weiteren Existenz gestellt. Die amerikanische Aufmerksamkeit hatte sich ganz entschieden Südostasien zugewandt, und man muß hinzufügen: in Europa blühten manche Illusionen.
    Als dann im Sommer 1968 die Außenminister, und zwar die Außenminister damals ohne die Verteidigungsminister, in der isländischen Hauptstadt zusammenkamen, wurde das sogenannte „Signal von Reykjavik" formuliert. Das geschah zu einer Zeit, da kein aufmerksamer Zeitgenosse über die sich häufenden Meldungen von aufeinanderfolgenden Warschauer-Pakt-Manövern, von erheblichen Truppenbewegungen im Südteil der DDR, in Südpolen und in den westlichen Teilen der Sowjetunion mehr hinwegsehen konnte. Man schlage nur einmal noch die Zeitungsseiten vom frühen und hohen Sommer 1968 auf, um nachzulesen, daß damals die östliche Bedrohung nur noch in den Hirnen kalter Krieger existierte, daß sie eigentlich geschwunden war, daß das heranwachsende Heer der Technokraten, wie man sagte, ja ganz allgemein das angestiegene Bildungsniveau in der Sowjetunion militärische Einsätze ganz und gar unwahrscheinlich machten. Schwinde aber die Bedrohung, so hieß es, so könne auch das gegen sie aufgebaute Verteidigungsinstrument reduziert werden.
    Wir erleben doch jetzt gerade, auch in den letzten Landtagswahlen, das Wiederaufkommen dieser Diskussion. Während die Regierung auf der einen Seite sagt, ihre Ostpolitik beruhe auf der Bündnispolitik, behauptet sie auf der anderen Seite, daß durch das, was oft fälschlicherweise Gewaltverzichtsvertrag genannt wird, der Friede sicherer gemacht wird. Aber alle wissen doch selbst, daß junge Menschen vor allem, die die erste Formel für Propaganda halten und der zweiten vertrauen, offen fragen, wieso man eigentlich dann, wenn man den Gewaltverzicht festgelegt habe und sich damit fundamental entschlossen habe, keine Bedrohung mehr in Europa von beiden Seiten schaffen zu lassen, wenn also der Friede gesichert sei, noch eine Armee brauche. Viele haben in den Diskussionen es waren auch Soldaten dabei — gefragt: Warum denn eigentlich jetzt noch Verteidigung? Sie haben gesagt: Uns bedroht doch niemand, das ist doch schriftlich niedergelegt; gebt daher für eure Bundeswehr nicht so viel Geld aus, reduziert das alles kräftig und verteilt das Geld für nützlichere Dinge.
    Meine Damen und Herren und Herr Kollege Wienand, ich erinnere mich noch sehr lebhaft an eine Reihe früherer Unterhaltungen und Diskussionen, auch daran, daß Sie selbst die, wie ich sage, ominöse und sehr bezeichnende Formel vom „Einfrieren" der NATO, vom „Einfrieren" der Bundeswehr gebraucht haben, eine Formel, die aus der damaligen Zeit stammt. Ich füge hinzu: Als jene Debatte im schönsten Gange war, brachen plötzlich — jedenfalls für viele plötzlich und unerwartet — und gar nicht in das eifrig gepflegte Bild passend, die von den Sowjets befohlenen Armeen der Warschauer Paktstaaten in die brüderliche tschechoslowakische sozialistische Republik ein.
    Die Vorwände für diesen Angriff, die man konstruierte, waren nichts weiter als peinliche Lügen.
    Der Vorgang selbst war ein Verbrechen.
    Er war der Bruch vieler Abkommen. Es war eine zynische Interpretation der sowjetischen Versiche-



    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    rung, sich an Art. 2 der UN-Charta zu halten, jenen Artikel, den beide UN-Mitglieder, Sowjetunion und CSSR, feierlich beschworen hatten, jenen Artikel, der aber für die unglücklichen Tschechen und Slowaken kein Schutz vor Okkupation war

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

    und heute noch immer kein Schutz vor permanenter Unterwerfung unter den sowjetischen Willen ist.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Baron von Wrangel: Sehr richtig! — Abg. Dr. Hammans: Sehr wahr!)

    Ich füge sozusagen nur in Klammern hinzu, meine Damen und Herren, daß unsere Bundesregierung im Zusammenhang mit ihren zahllosen Erklärungen über Sinn und Inhalt des deutsch-sowjetischen Vertrags gerade von diesem Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen behauptet, er begründe im Verhältnis der Sowjetunion zu uns ein neues, ein verläßliches, ein dauerhaftes, ein friedliches, ein gewaltfreies Verhältnis und er überdecke auch die Interventionsklauseln 53 und 107.

    (Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!)

    Herr Minister Schmidt, Sie haben in Ihrer Bad Pyrmonter Rede vom 3. Mai dieses Jahres gesagt —das verdient seiner Dürftigkeit wegen festgehalten zu werden —, Sicherheit und Entspannung seien seit dem Harmel-Bericht — ich zitiere „die gemeinsame Strategie des Bündnisses", und Sie haben hinzugefügt — ich zitiere wieder —: „Sie hat ein gutes Jahr" — nämlich diese Strategie —, „nachdem sie formuliert wurde, einen erheblichen Rückschlag erlitten durch den Einmarsch der Sowjetunion und anderer Staaten des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei." Unmittelbar danach fahren Sie fort: „Sie hat sich aber nachher wieder durchgesetzt."

    (Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!)

    So einfach, meine Damen und Herren, ist das. Ich muß dazu fragen: Ignoriert man in dieser Weise furchtbare Erfahrungen?

    (Abg. Baron von Wrangel: Natürlich!)

    Werden so die handgreiflichsten Lehren der allerjüngsten Geschichte in den lauen Wind der Entspannung geschlagen?

    (Abg. Haase [Kassel] : Sehr richtig!)

    Herr Minister Schmidt, ich möchte gerne wissen: Was bedeutet im Kontext dieser Erfahrungen nun der Begriff „Entspannung" ? Das sollte deutlich gemacht werden, weil hier offenbar eine der wirklichen kontroversen Auseinandersetzungen zwischen Ihnen und uns besteht. Der Überfall, meine Damen und Herren, auf die CSSR, war für unsere Begriffe ein bösartiger Beitrag zur Spannung. Und die ihm folgende und den Angriff rechtfertigende BreschnewDoktrin - verzeihen Sie das Bild — ist sozusagen der ideologische Deckel auf jenen „Ostblocktopf", in dessen Innern, wie jedermann weiß, viele Kräfte gären und sich regen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Damals, meine Damen und Herren — das ist noch gar nicht so lange her , hat man gesagt, daß jeder
    Versuch — daran haben wir doch alle mitgewirkt, weil wir alle wollten, daß die Möglichkeiten einer Entspannung in Europa weitergebracht, weitergetrieben werden und positive Antworten erhalten — eines „Brückenschlags" nichts anderes sei als eine „perfide imperialistische Unterwanderung". Man hat die Formel erfunden, in der Bundesrepublik Deutschland pflegten die politischen Kräfte, und zwar alle, wir alle waren gemeint, eine „friedliche Aggression"
    — man höre die Worte: eine „friedliche Aggression" —, der man den entschlossenen Willen des Warschauer Pakts entgegenstellen müsse. Das war
    — niemand soll sich täuschen, niemand kann das wegdiskutieren — die Antwort auf unsere ehrlichen Versuche, Beiträge zu einer dauerhaften Entspannung zu leisten.
    Leider muß man aus diesem Ereignis lernen, daß die Sowjetunion offenbar das, was wir in der Sprache des Westens als Ausgleich verstehen — wir, die wir in der liberalen Luft des Westens herangewachsen sind —, gar nicht will. Ja, ich muß vermuten, daß sie es wahrscheinlich nicht einmal durchhalten könnte. Sie gibt zwar vor, den Ausgleich zu wollen, wie sie auch behauptet, die Abrüstung zu fördern; aber die ideologische Grundlage des proletarischen Internationalismus — das sagt er jeden Tag — ist nicht Ausgleich, sondern Revolution. Ausgleich gibt es nur dort, wo Toleranz, wo Kompromiß, wo die Bereitschaft zum Ausbalancieren verschiedener Interessen und Kräfte gesucht und angewandt werden. Aber alle diese Begriffe — Toleranz und Kompromisse — kommen in der Sprache des Leninismus gar nicht vor. Was seit dem Sommer 1968 in jenem Bereich geschehen ist, der ostwärts von uns liegt, ist die Wiedergewinnung der Blockdisziplin, die Bewahrung und der Ausbau der hierarchischen Bündnisstrukturen, die konsequente Stärkung des Warschauer Paktes und das gründliche Abschirmen oder, wie man jetzt sagt, das „Abgrenzen" gegenüber dein freien Europa.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)

    Wer dies alles nicht glaubt, Herr Jung,

    (Abg. Dr. Klepsch: Der lernt es nicht mehr!)

    dem würde ich empfehlen, noch einmal jenen Warschauer Brief der Fünf nachzulesen, der damals an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der CSSR unter Führung von Dubcek und Smrkovsky geschickt wurde. Das würde manchem das Gedächtnis klären und den Verstand schärfen.
    Wer selbst an dieses Dokument der Drohung nicht glaubt oder es nicht begreift, der möge sich dann den militärischen Realitäten zuwenden. Herr Adorno hat worhin darauf hingewiesen, daß fünf bis sechs sowjetische Kampfdivisionen, Teile anderer Einheiten, Stäbe, Luftwaffeneinheiten, tiefgestaffelte Verbindungslinien bis weit in den ukrainischen Raum hinein heute zusätzlich an unserer Grenze stehen.

    (Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)

    In der AD 70 wird — Herr Buchstaller, auch das ist ein bißchen anders — nicht von der „Möglichkeit" gesprochen, daß der Warschauer Pakt stärker werden könnte, sondern es wird ganz eindeutig



    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    darauf hingewiesen, daß er permanent seine Kräfte verstärkt. Der Warschauer Pakt ist überall stärker geworden und sagt selbst, daß seine Positionen auf den Höhen der Sudeten und im Moldau-Becken ihm eine günstigere Ausgangsstellung verschafft und zusätzlich neue Vorteile vermittelt haben. Herr Kollege Adorno hat schon darauf hingewiesen, daß die Sowjetunion im Zusammenhang mit ihren dort gemachten Erfahrungen offenbar ihr ganzes logistisches System und ihre Infrastruktur ausgebaut und verbessert hat.
    Herr Kollege Wienand, Sie haben in Ihrer Rede vom 28. Januar hier in diesem Hause den Versuch gemacht — jedenfalls haben wir das so verstanden —, eine neue Verteidigungskonzeption zu entwerfen. Ich habe Ihnen damals kurz geantwortet und bezweifelt, ob Ihr Gedankengebäude diesen Namen verdient. Heute, da ich mich mit einigen Ihrer Darlegungen auseinandersetzen will, muß ich für die CDU/CSU sagen, daß dieses von Ihnen vorgetragene Konzept von uns nicht geteilt wird, sondern als unhaltbar zurückgewiesen werden muß.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Aber noch einige andere Überlegungen, bevor ich mich mit Ihren Thesen und mit Ihrer eigenwilligen Interpretation des Harmel-Berichts auseinandersetze: Die CDU/CSU, die lange Jahre hindurch viele Kräfte auf den Aufbau des Bündnisses, auf seine politischen, psychologischen und militärischen Aspekte konzentriert hat, will die Freiheit und die demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland durch unser gemeinsames Mitwirken in einem funktionierenden, den militärischen Notwendigkeiten genügenden Bündnis gesichert wissen. Sie anerkennt die Notwendigkeit, den Beitrag der europäischen Mitglieder zur Modernisierung der Allianz und verschiedener ihrer Verteidigungsinstrumente zu steigern und dafür auch die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen.
    Die CDU/CSU versteht das Wirken des Bündnisses in der gegenwärtigen Phase in der Organisation der Verteidigungsfähigkeit, der Aufrechterhaltung des Abschreckungsinstruments und damit in der Verhinderung kriegerischer Verwicklungen. Um es noch einmal deutlich zu machen, wiederhole ich, was wir alle wissen: Dieses Bündnis hat für uns ausschließlich defensiven Charakter. Seine Existenz und Fähigkeit unterstützen die Bemühungen der verbündeten Regierungen, durch realistische Politik gegenüber der Sowjetunion und den anderen im Warschauer Pakt zusammengeschlossenen Staaten tragfähige Vereinbarungen zustande zu bringen, um auf diese Weise den Frieden zu stabilisieren.
    Nun zu Ihren Thesen, Herr Wienand. Diese Thesen klingen in weiten Bereichen doch anders als das, was Verteidigungsminister Schmidt sagt.

    (Abg. Dr. Klepsch: Das ist ganz sicher so!)

    Ihre Behauptung, Herr Wienand, die Bundesregierung habe ein in sich geschlossenes Konzept, das sich am konkretesten in den 20 Kasseler Punkten niedergeschlagen hätte, erscheint heute — angesichts der Tatsachen --- doch als eine ironische Floskel. Im übrigen kenne ich keinen Alliierten, der jemals die von ihnen oft behauptete Zustimmung zu diesen 20 Punkten gegeben hätte. Ich glaube vielmehr, daß diese 20 Punkte die Fundamente der bisherigen Politik und — das füge ich hinzu — auch Sinn und Inhalt des Deutschlandvertrages aushöhlen, ohne auch nur einen wirklich meßbaren Hauch der Annäherung, des Verständnisses und der Erleichterung für die Menschen erreicht zu haben.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, Herr Kollege Wienand hat auf die Entwicklungen in der Waffentechnik und auf die dadurch erzwungenen tiefgreifenden Änderungen sowohl im theoretischen als auch im praktischen Gehalt der Sicherheitspolitik hingewiesen. Ich glaube, darüber brauchen wir nicht lange miteinander zu streiten. Der Kürze der Zeit wegen sage ich nur folgendes.
    Erstens. Schon in den Jahren 1956 und 1957 und in den nachfolgenden Jahren immer wieder, haben z. B. die Kollegen Blank und Strauß, die man hier so gerne und oft mißverstanden hat, auf die umwälzenden Wirkungen der waffentechnischen Entwicklung und auf die Bedeutung, die sie für die politischen Überlegungen von uns allen hat, hingewiesen. Das, was Sie sagten, Herr Wienand, war also nicht neu.
    Zweitens. Herr Wienand, wenn Sie nachher sprechen, können Sie vielleicht helfen, uns den folgenden Satz von Ihnen zu verdeutlichen.

    (Abg. Horn: Was Sie sagen, ist sicherlich auch nicht neu!)

    — Herr Horn, es wäre wunderbar, wenn gerade ein Mann wie Sie und viele Ihrer Gesinnungsgenossen das, was ich jetzt gesagt habe, übernehmen könnten. Das wäre ein großartiger Fortschritt.

    (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Klepsch: Das wird auf dem nächsten Bezirksparteitag Hessen-Süd gemacht!)

    Herr Wienand, ich bitte um Aufklärung, wie der folgende Satz von Ihnen zu verstehen ist — ich zittiere —:
    „Solange die beiderseitige Vergeltungsfähigkeit unverwundbar bleibt und sämtliche Schutzvorkehrungen des Gegners durchdringt, liegt die eigene Sicherheit mit in der Hand des potentiellen Gegners."
    Daß die eigene Sicherheit auch und gerade von dem Willen und von den Handlungen des Gegners abhängt, ist jedem evident, der sich mit geschichtlichen Erfahrungen oder der sich heute langsam zum Modethema herausbildenden Konfliktforschung beschäftigt.
    Auch Ihre dritte These, Herr Wienand, entbehrt meiner Überzeugung nach der Originalität, auch wenn sie im Zusammenhang mit einer sozialdemokratischen Verteidigungsphilosophie vorgetragen wird. Natürlich ist Sicherheit nicht nur durch Streitkräfte aufrechtzuerhalten. Wer von uns hätte dies auch jemals behauptet? Wer nämlich die eminent
    Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 122. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 12. Mai 1971 7063
    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    wichtigen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, aber auch psychologischen Faktoren nicht sehen, einschätzen und einsetzen wollte, wer sich eben nur auf militärische Kräfte verließe, hätte mit solcherart Politik bald Bankrott gemacht. Ich hoffe — vorhin fiel die Bemerkung, man solle nicht, nur die einzelnen Gefechtsköpfe zählen , daß wir darin alle übereinstimmen. Man sollte aber auch die Köpfe zählen. Man soll das eine tun und das andere nicht lassen.
    Herr Kollege Wienand, was nun aber zu einem entschiedenen Widerspruch herausfordert, ist die in Ihrer Rede immer wieder durchscheinende Gleichsetzung von Bündnis hier und Bündnis dort. Empfinden Sie eigentlich nicht selbst, daß diese simple Darlegung unzutreffend ist? Wollen Sie denn nicht den in der Tiefe der Geschichte, in den moralischen und politischen Komponenten begründeten Unterschied zwischen NATO und Warschauer Pakt sehen? Was heißt denn die wertfreie Formel, daß es eine Wandlung gebe „von der Strategie gegen das andere Bündnis zu einer Strategie gegen den Krieg"? Was heißt das nun für unser Verständnis vom Verteidigungsauftrag der NATO? Um es deutlich zu machen: für die CDU/CSU und alle früheren Bundesregierungen war und ist die NATO ein qualitativ vom Warschauer Pakt tief unterschiedenes Verteidigungsinstrument.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, „Strategie gegen den Krieg" war in diesem Verständnis auch immer Strategie gegen alle Versuche der Aggression und gegen das, was sich im Warschauer Pakt niederschlägt. Der Warschauer Pakt war für uns nie etwas anderes als der auf eine Reihe anderer territorialer Bereiche ausgedehnte verlängerte Arm des sowjetischen Generalstabs. Nur von dorther konnte und kann Drohung mit Gewalt und Gewaltanwendung, cl. h. also Krieg, erwartet werden.
    „Kriegsverhinderungsstrategie" ist daher keine neue, etwa erst seit 1967 oder erst seit der Stunde Null unserer Geschichte, nämlich seit es diese Bundesregierung gibt, beschlossene Sache, sondern zumindest seit 1955 die Grundlage unserer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Irrtümer darüber hat es früher — wenn ich das recht sehe — nicht gegeben, und ich wünsche sehr, daß sie jetzt nicht geschaffen werden durch ungerechte Vermengung und Gleichsetzung.
    Herr Kollege Wienand, Sie haben unter Bemühung des Weißbuchs 1970 die Formel geprägt, es sei Ziel der Bundesregierung ich zitiere wieder , „zusätzliche Sicherheit durch Spannungsabbau" zu erreichen. Wenn wir offen sprechen und wenn wir hier offen diskutieren wollen, so wäre ich dankbar, wenn Sie auf folgende Fragen, die ich sicher nicht überraschend stelle, die sich aus der Natur der Sache ergeben, antworten würden.
    Erste Frage: Wer eigentlich hat Spannung in Europa geschaffen, etwa wir, etwa die Bundeswehr, etwa die NATO? Zweite Frage: Liegen die oftmals genannten und jetzt durch die sowjetische Propaganda verdeckten Spannungsursachen nicht vielmehr in der sowjetischen Teilungs- und rigorosen Machtpolitik mitten in Europa, mitten in Deutschland und in Berlin? So jedenfalls haben das früher alle NATO-Kommuniqués gesagt, und ich erinnere an die letzten von Rom und an das vom Dezember letzten Jahres.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Und die dritte Frage: Wo, Herr Kollege Wienand,
    ist denn nun eigentlich Spannung wirklich meßbar
    und für uns alle wäre das sehr wichtig zu hören — abgebaut worden?

    (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

    Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie uns eine Antwort geben würden, und zwar reklamiere ich das deshalb so nachdrücklich, weil die Bundesregierung in der vor uns liegenden Antwort auf unsere Große Anfrage mit keinem Wort auf dieses Problem eingegangen ist, das wir in der Frage 6 angesprochen hatten. Ich wiederhole unsere Frage 6. Sie lautet:
    Hat die Bundesregierung Erkenntnisse und Anhaltspunkte darüber gewonnen, daß die Sowjetunion konkrete, dauerhafte und den Frieden sichernde Entspannung vor allem in Europa will? Wenn ja, welche? Hat die Sowjetunion die Angebote der NATO, in Gespräche über ausgewogene Truppenreduzierung in Europa einzutreten, bisher ermutigend beantwortet?
    Zum ersten Teil der Frage möchte ich meinen, daß die Bundesregierung offenbar keinen Anhaltspunkt für Entspannungstaten — der Ton liegt auf Taten der Sowjetunion gewonnen hat, sonst hätte sie uns dies sicher wortreich vorgeführt.
    Was die auf beiden Seiten hier im Abschnitt Europa Mitte ausgewogene Truppenverminderung anbelangt, meine Damen und Herren, so hat die Bundesregierung zugegeben, daß der Warschauer Pakt bisher lediglich -- ich zitiere „die Möglichkeit einer Diskussion" der Verminderung ausländischer Streitkräfte auf dem Gebiet europäischer Staaten erwähnt habe. So also ist das mit dem Spannungsabbau. Man muß da schon genau zuhören, um zu begreifen, daß es den Sowjets offenbar vor allem darum geht, im Zusammenhang mit dem, was wir ihre Westpolitik nennen, die Amerikaner hinausdrängen und den Verteidigungswillen, die Verteidigungsfähigkeit der westlichen Europäer zu senken und zu mindern.
    Meine Damen und Herren, auch das von der Sowjetunion seit vielen Jahren propagierte Ziel einer Europäischen Sicherheitskonferenz oder, wie andere sagen, einer Konferenz über europäische Sicherheit wird in diesem Hause bisher keine einheitliche Meinung finden. Ich weiß, daß man sich auch in der Regierung nicht ganz einig ist, und ich glaube, daß die verehrten Herren Kollegen Wehner und Schmidt durch eine Reihe von Äußerungen zu diesem Problem deutlich gemacht haben, wie weit die Spanne der Beurteilung dieses sowjetischen Vorschlages auch auf der linken Seite dieses Hauses ist.

    (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)

    Jedermann aber, der sich zu diesem Projekt wirklich äußert, — und ich denke dabei etwa an den
    Punkt 10 des Bahr-Papiers — sollte zu begreifen



    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    versuchen, was dieser oft und oft vorgetragene Vorschlag im sowjetischen Kalkül und im Rahmen der dortigen Desintegrationspolitik dem Westen gegenüber bedeutet.
    In den Dokumenten der Regierung und bei Redetexten von Politikern der sie tragenden Parteien finden wir oft und meist ohne jede Reflexion die Behauptung, daß unsere Sicherheitspolitik u. a. auf dem Gleichgewicht zwischen Ost und West beruhe. Sie, Herr Minister Schmidt, sind dabei eigentlich eine Ausnahme; denn Ihre differenzierenden und abwägenden Anmerkungen zum Problem Gleichgewicht, u. a. in einer Bundestagsrede vom 28. Januar dieses Jahres, finden unsere Zustimmung. Aber wir müssen auch registrieren, daß Sie mit Ihren Überlegungen oft verhüllten Widerspruch von Ihrer eigenen Fraktion und von vielen Ihrer Parteifreunde draußen im Lande finden.
    Ich muß an dieser Stelle, meine Damen und Herren, die ernste Sorge der CDU/CSU ausdrücken über die rasch voranschreitende Verschiebung der militärischen Gewichte zugunsten der Sowjetunion und des von ihr straff geführten Lagers. Sowohl konventionell als auch im nuklearen Bereich steht uns in Europa eine enorm überlegene östliche Streitmacht gegenüber. Dieses Mißverhältnis, das seit vielen Jahren, man kann sagen: durch die ganze NATO-Zeit hindurch, besteht, konnte durch die Überlegenheit der USA bisher ausgeglichen werden. Nun aber schlagen — Herr Adorno hat es vorhin zitiert sogar der amerikanische Verteidigungsminister, Herr Laird, und der Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte, Goodpaster, Alarm, weil die Rüstung der Sowjets in beschleunigtem Tempo weitergeht und weil aus dem Gleichgewicht, das der amerikanischen Überlegenheit folgte, eine Unterlegenheit werden kann. Die Schale der Waage neigt sich zugunsten der sowjetischen Seite. Ich sage das vorsichtig, obwohl nun eigentlich alle erkennen müßten, daß die Sowjets die Produktion etwa ihrer SS 9, ihrer orbitalen Raketensysteme, ihrer U-Boot-Raketen und mancher anderer Arten mittelweit und sehr weit tragender Waffen ständig vorangetrieben haben. Laird hat bereits im Frühjahr 1970 gemahnt, daß die USA alsbald in eine zweitrangige strategische Position zurückfallen könnten. Heute muß er mitteilen, daß die sowjetische Raketenrüstung, offenbar mit dem Ziel, die amerikanische second strike capability zu vernichten und damit das Gleichgewicht endgültig zu sowjetischen Gunsten zu verändern, bereits mehr als 400 Exemplare der Interkontinentalwaffen über die Kapazität der USA hinaus installiert hat.
    Herr Kollege Adorno hat auf die Flotte hingewiesen, auf jene starke Flotte, die jetzt die Kraft Nr. 2 auf den Weltmeeren ist. Ich erinnere daran, daß die Befehle, diese Flotte zu konstruieren und zu bauen, genau zu der Zeit gegeben worden sind, da Chruschtschow den „Geist von Camp David" kreierte und bei Abrüstungsreden laut ausrief: „Schickt alle Soldaten nach Hause, werft alle Waffen ins Meer!"
    Und, Herr Kollege Wienand, lassen Sie mich noch hinzufügen: Ich finde es grotesk, wenn Sie wörtlich sagen, NATO und Warschauer Pakt hätten seit ihrem Bestehen durch Kriegsverhinderung ein Optimum an Sicherheit für Deutschland geliefert. Wir haben es bei dem, was Sie sagen, mit einer politischen Aussage zu tun, die man ernst nehmen muß, auch deshalb, weil ihr eine völlige Verkennung der Realitäten, eine völlige Verkennung von Ursache und Wirkung und von der Priorität der Werte innewohnt. Äußerungen dieser Art machen die Auseinandersetzung schwer, sie machen sie fast unmöglich, weil es da offenbar keine gemeinsame Sprache mehr gibt. Im übrigen, wie kann man die törichte, ich sage: die schädliche, die verkehrte, ja die empörende These aufstellen, daß die Furcht vor dem „Bonner Revisionismus" ein Grund für das sei, was man, wörtlich zitiert, die „Abkapselung der Osteuropäer" nennt. Wenn man das hört, dann ahnt man plötzlich die ins Irrationale und ins Gespenstische abgleitenden Hintergründe, die offenbar dieser Art von Ostpolitik als Nährboden dienen.
    Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Herr Kollege Wienand hat davon gesprochen, daß die deutsche Gefahr in den Augen der anderen ein ständiger Vorwand für die Steigerung der osteuropäischen Verteidigungsetats gewesen sei, und daß die NATO-Staaten im Gegenzug dann selbst zu Steigerungen veranlaßt worden seien.

    (Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!) Welch krause Logik!

    Aber, meine Damen und Herren, was soll man sagen, wenn man dann quasi als ein sozialdemokratisches Heilmittel hört, die Bundesrepublik Deutschland müsse sich jetzt als ein „territorial saturierter Staat" verstehen? Da ist von Deutschland, von der Teilung, von unserem fortdauernden Willen, wieder ein Land zu werden, keine Rede mehr. Man sagt, diese Frage müsse „entschärft" werden, denn man könne unseren Verbündeten nicht zumuten, mit einer territorial unbefriedigten Bundesrepublik Deutschland zusammenzuarbeiten. Hier ist die Logik wirklich zum Wechselbalg des Skurrilen gemacht worden.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Was soll das heißen, daß sich die Bundesrepublik jetzt als „territorial saturiert" verstehen müsse? Sollte dies nachträglich eine Begründung für jene liefern, die immerfort, wohl wissend, was sie damit tun, uns vorgeworfen haben, wir seien auf territoriale Eroberungen hinaus?

    (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)

    Wenn hier, Herr Kollege Buchstaller, davon gesprochen wird, daß es notwendig sei ich stimme dem zu —, in den Grundfragen und Grundüberlegungen eine gemeinsame Meinung zu bilden, dann sage ich Ihnen ganz offen: auf der Grundlage einer solchen Philosophie wird das von seiten der CDU/ CSU ganz unmöglich sein.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Zum Schluß, meine Damen und Herren. Wenn wir die weltpolitische Szenerie betrachten und vor allem nach der Entwicklung in Europa fragen und wenn wir dabei auch die Nord- und Südflanke dieses



    Dr. Marx (Kaiserslautern)

    Kontinents nicht vergessen, gibt es unserer Einschätzung nach leider, sage ich, nur wenige Anzeichen für das, was man Entspannung nennt. Im Gegenteil, vielen freundlichen Worten, Versicherungen, Hoffnungen steht eine Wirklichkeit gegenüber, die uns veranlassen muß, das Maß unserer Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit nicht zu mindern und das Bündnis, von dem unsere äußere Freiheit abhängt, zu stärken und zu festigen.
    Die CDU/CSU will, ich wiederhole, wirkliche Entspannung, nicht deren Scheinbild. Die CDU/CSU will wirkliche Sicherheit, nicht deren Scheinbild.
    Unser Wunsch ist es, daß sich die Bundesregierung von ihren Fehleinschätzungen befreit, daß sich bei ihr Wirklichkeitssinn, Augenmaß und auch eine gehörige Dosis Skepsis gegenüber manchem, was es als Euphorie und Illussionen gibt, durchsetzen:
    Unser Wunsch ist es, daß Ihnen, Herr Kollege Schmidt, der Sie in mancher Rede hier in diesem Saal nicht nur Zeugnis Ihres demagogischen und dialektischen Talents,

    (Zurufe von der SPD)

    sondern oft auch Ihrer realistischen Einschätzung der außen- und verteidigungspolitischen Situation abgelegt haben, gelingen möge, jene Fesseln, die sie sowohl in der Regierung als auch in Ihrer eigenen Partei und Fraktion an den notwendigen Schlußfolgerungen hindern, abstreifen; denn ein Verteidigungsminister trägt ein hohes Maß an Verantwortung, wir alle tragen unseren Teil an Verantwortung. Die Geschichte, mit dem Blick auf das so oft besprochene und magische Jahr 2000, wird uns daran messen, ob es uns gelingt, dieses neue Jahrhundert in Frieden und Sicherheit zu erreichen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)