Protokoll:
5022

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 5

  • date_rangeSitzungsnummer: 22

  • date_rangeDatum: 17. Februar 1966

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:53 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 22. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1966 Inhalt: Erweiterung der Tagesordnung 903 A Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschafts- und Mittelstandsfragen über die Zwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 (Drucksachen V/270, V/318) 903 A Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschafts- und Mittelstandsfragen über die Verordnung über Änderung von Zollkontingenten für das Kalenderjahr 1965 (Drucksachen V/269, V/319) . . . 903 B Fragestunde (Drucksachen V/301, V/303) Fragen des Abg. Bartsch: Genehmigung der Tariferhöhungen der Deutschen Bundesbahn und ihre Folgen Dr. Seiermann, Staatssekretär . . 903 C Bartsch (SPD) 904 A Fellermaier (SPD) 904 B Brück (Holz) (SPD) 904 C Westphal (SPD) 904 D Strohmayr (SPD) 905 A Börner (SPD) 905 C Fragen des Abg. Schonhofen: Ausbau der B 482 zwischen Lande und Neesen (Lkr Minden) — Ortsdurchfahrt der B 482 in Leteln (Lkr Minden) — Ausbau der Bundesstraßen im Bereich der Landkreise Lübbecke und Minden 905 C Frage des Abg. Dr. Apel: Margentarifsystem im Güterverkehr — Einführung von Referenztarifen Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 906 A Dr. Apel (SPD) . . . . . . . . 906 A Frage des Abg. Dr. Apel: Vertiefung der Unterelbe auf 12 m Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 906 C Dr. Apel (SPD) . . . . . . . . 906 C Frage des Abg. Dröscher: Zusammenlegung der Bahnhöfe Bingen und Bingerbrück Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 906 D Fragen des Abg. Felder: Telefon- und Schreibdienst in den FD-und TEE-Zügen Dr. Seiermann, Staatssekretär . . . 907 A Felder (SPD) . . . . . . . . . 907 B Dr. Kempfler (CDU/CSU) . . . . 907 C Fragen des Abg. Löbbert: Auswirkungen von Zechenstillegungen Schmücker, Bundesminister . . . . 908 A Löbbert (SPD) . . . . . . . . 908 C II Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Februar 1966 Fragen des Abg. Faller: Strompreise in Baden-Württemberg bei Verwendung von 50 % Steinkohle bei der Stromerzeugung 909 A Frage des Abg. Schlager: Nichtbeteiligung des Deutschen Beamtenbundes am Wirtschafts- und Verbraucherausschuß des WarentestInstituts Schmücker, Bundesminister . . . 909 C Wagner (CDU/CSU) 909 D Frage des Abg. Reichmann: Mehrkosten durch Einführung der Vierzigstundenwoche Schmücker, Bundesminister . . . . 910 A Reichmann (FDP) . . . . 910 B, 911 A Dr. Rinderspacher (SPD) 910 C Logemann (FDP) 910 D Frage des Abg. Dr. Eppler: Gutschrift von Postanweisungen auf Postscheckkonten 911 A Fragen des Abg. Hofmann (Kronach) : Empfang von Rundfunk- und Fernsehsendungen im Zonenrandgebiet Stücklen, Bundesminister . . . . 911 B Hofmann (Kronach) (SPD) . . . . 911 D Fragen des Abg. Hörmann (Freiburg) : Fahrbare Sendeanlagen zum Ausgleich fehlender stationärer Sender Stücklen, Bundesminister . . . . 911 D Hörmann (Freiburg) (SPD) . . . . 912 A Frage des Abg. Strohmayr: Briefporto-Erhöhung Stücklen, Bundesminister . . . 912 B Strohmayr (SPD) 912 B Cramer (SPD) 912 D Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 913 A Dr. Müller (München) (SPD) . • 913 C Büttner (SPD) 914 A Dr. Besold (CDU/CSU) . . 914 A, 915 A Killat (SPD) 914 B Kahn-Ackermann (SPD) . . . . 915 A Ott (CDU/CSU) 915 B Fragen der Abg. Frau Herklotz: Unterschiedliche Fahrpreise bei der Kraftpost und bei Buslinien privater Unternehmen Stücklen, Bundesminister 915 C, 916 A Frau Herklotz (SPD) 915 D Fragen des Abg. Kuntscher: Übernahme privater Verkehrsgesellschaften durch die Deutsche Bundespost Stücklen, Bundesminister . . . 916 B Kuntscher (CDU/CSU) 916 C Frage des Abg. Dr. Schmidt (Gellersen) : Rückwirkende Nachforderung erhöhter Fernsprechgrundgebühren Stücklen, Bundesminister . . . . 916 D Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . . 917 A Fortsetzung der Beratung des Zweiten Jahresgutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Gutachten (Drucksachen V/123, V/127) Dr. Luda (CDU/CSU) 917 C Frau Dr. Krips (SPD) 924 C Opitz (FDP) 927 A Dr. Dr. h. c. Erhard, Bundeskanzler 928 C Fritz (Welzheim) (CDU/CSU) . . . 935 D Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller (SPD) 937 B Dr. Staratzke (FDP) 941 C Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . 944 B Dr. Dahlgrün, Bundesminister . . 945 B Dr. Schiller (SPD) 947 C Schoettle, Vizepräsident 952 C Dr. Starke (Franken) (FDP) . . . 952 D Budde (CDU/CSU) 956 B Dr. Arndt (Berlin) (SPD) 960 A Dr. Friderichs (FDP) 964 B Dr. Dehler, Vizepräsident . . . 968 C Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke (CDU/CSU) 968 C Kurlbaum (SPD) 972 B Schmücker, Bundesminister . . . 974 C Nächste Sitzung 979 Anlagen 981 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Februar 1966 903 22. Sitzung Bonn, den 17. Februar 1966 Stenographischer Bericht Beginn: 9.00 Uhr
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    Anlage 1 Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Dr. Aigner * 18. 2. Frau Albertz 18. 2. Dr. Arndt (Berlin/Köln) 18. 2. Bading 7. 3. Dr. Barzel 19. 2. Bauer (Wasserburg) 18.2. Prinz von Bayern 23. 2. Dr. Becher (Pullach) 18. 2. Frau Berger-Heise 18. 2. Benda 4. 3. Berkhan 12. 3. Berlin 18. 2. Frau Brauksiepe 17. 2. Burger 10. 4. Dichgans * 17. 2. Dr. Dittrich * 18. 2. Dröscher * 17. 2. Eisenmann 18. 2. Frau Dr. Elsner * 18. 2. Dr. Eppler 12. 3. Erler 4. 3. Faller 6. 3. Figgen 28. 2. Flämig ** 18. 2. Fritz (Wiesbaden) 31. 3. Gibbert 18. 2. Graaff 18. 2. Hamacher 18. 2. Dr. h. c. Jaksch 18. 2. Josten 19. 2. Frau Kalinke 18. 2. Kiep 18. 2. Klein 5. 3. Frau Krappe 28. 2. Kriedemann * 18. 2. Dr. Lenz (Bergstraße) 18. 2. Liedtke 8. 3. Dr. Löhr 18. 2. Michels 19. 2. Dr. Miessner 12. 3. Missbach 18. 2. Dr. Morgenstern 18. 2. Müller (Aachen-Land) * 18. 2. Pöhler 18. 2. Frau Renger 18. 2. Dr. Ritgen 18. 2. Russe (Bochum) 18. 2. Frau Schroeder (Detmold) 18. 2. Schultz 17. 2. Dr.-Ing. Seebohm 11. 3. Spitzmüller 18. 2. Struve 18. 2. Urban 18. 2. Dr. Wilhelmi 18. 2. * Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beratenden Versammlung des Europarats Anlagen zum Stenographischen Bericht Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Wullenhaupt 17. 2. Zerbe 5. 3. Zoglmann 17. 2. b) Urlaubsanträge Frhr. von und zu Guttenberg 5. 3. Dr. Schulz (Berlin) 11. 3. Anlage 2 Schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Bucher vom 16. Februar 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Jacobi (Köln) (Drucksache V/251 Fragen XIV/1 und XIV/2) : Worauf stützt sich die Feststellung des Bundeswohnungsbauministers vom 24. Januar 1966 anläßlich der Internationalen Möbelmesse in Köln, daß das Wohnungsdefizit „zur Zeit nur noch 200 000 Wohnungen" beträgt? Hat die Bundesregierung eine Vorstellung über die ungefähre Anzahl der Kündigungen von Wohnungsmietverhältnissen, die im Zuge der Abbaugesetzgebung erfolgt sind? Zur Frage XIV/1: Bei den von mir genannten 200 000 Wohnungen handelt es sich um eine Vorschätzung des rechnerischen Wohnungsdefizits für Ende 1965. Die Ergebnisse der amtlichen Berechnungen können erst bekanntgegeben werden, wenn die kreisweisen Wohnungsbestands- und Bevölkerungszahlen für den 31. Dezember 1965 vorliegen und die Defizitberechnungen aufgrund der Abbaugesetzgebung in den einzelnen Bundesländern durchgeführt worden sind. Zur Frage XIV/2: Über die Kündigungen in den „weißen Kreisen" gibt es keine amtlichen Erhebungen. Die Zahl der Kündigungen hat schon deshalb keinen entscheidenden Aussagewert, weil keineswegs feststeht, ob eine Kündigung in jedem Falle zum Verlust der Wohnung führt. Häufig einigen sich die Mietvertragsparteien - gegebenenfalls nach einer Änderung der Verrtagsbedingungen - über eine Fortsetzung des Mietverhältnisses. In vielen Fällen widersprechen die Mieter der Kündigung und erreichen durch gerichtliche Entscheidung eine Verlängerung des Mietverhältnisses oder eine vergleichsweise Regelung. Ein gewisses Indiz für die Wohnungsmarktsituation könnte allenfalls die Zahl der Räumungsklagen sein, obwohl auch hier noch ein Prozeßabschluß durch Vergleich erfahrungsgemäß eine große Rolle spielt und die Gerichte darüber hinaus Härten durch die Zubilligung von Räumungsfristen bis zu einem Jahr ausschließen können. Eine Aussage darüber, in wie vielen Fällen Räumungsklagen in den „weißen Kreisen" zum Verlust der Wohnung geführt haben, kann zur Zeit noch nicht gemacht werden. Das wird erst im Frühjahr 1966 möglich sein, wenn die Berichte der Landesjustizverwaltungen über die Räumungsklagen 982 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Februar 1966 und deren Erledigung ausgewertet sind. Die Landesjustizverwaltungen berichten für die Dauer von 3 Jahren halbjährlich; der erste Berichtszeitraum umfaßte die Zeit vom 1. 1. bis zum 30. 6. 1965. Eine Gegenüberstellung mit der Zahl der Räumungsklagen und deren Erledigung im zweiten Halbjahr 1965 wird erstmalig eine Aussage darüber zulassen, in welchem Ausmaß die Kündigungen von Vermietern in den „weißen Kreisen" zur Beendigung von Mietverhältnissen über Wohnraum geführt haben. Bereits früher haben die Landesjustizverwaltungen Erhebungen über die Zahl der Mietaufhebungs- und Räumungsklagen in den bereits seit dem 1. 11. 1963 „weißen Kreisen" in der Zeit vom 1. 11. 1962 bis zum 30. 4. 1963 (also vor der erstmaligen Mietpreisfreigabe) und die entsprechende Zahl im Zeitraum vom 1. 11. 1964 bis zum 30. 4. 1965 durchgeführt. Die Ergebnisse ihrer Erhebungen haben mir die Justizverwaltungen von 6 Ländern zugänglich gemacht. Für die Beurteilung der Auswirkungen des Abbaues der Wohnungszwangswirtschaft hat diese Erhebung jedoch nur einen bedingten Aussagewert, weil in ihr die alten, aufgrund des Mieterschutzgesetzes noch anhängigen Mietaufhebungsklagen, nicht ausgeklammert waren und deshalb die Zahl der auf Kündigungen beruhenden Räumungsklagen nicht erkennbar ist. Immerhin läßt sich aber aus dieser Gegenüberstellung ersehen, daß von einer ins Gewicht fallenden Zunahme der Räumungsklagen nicht die Rede sein kann, gerade weil ein Teil dieser Klagen noch auf die Zeit zurückgeht, in der der Kreis „schwarz" war. Diese Gegenüberstellung ist in der Anlage beigefügt. Räumungsklagen in den weißen Kreisen Räumungsklagen Räumungsklagen Zunahme Bemerkungen in der Zeit in der Zeit Abnahme vom 1. 11. 1962 vom 1. 11. 1962 bis 30.4. 1963 bis 30.4. 1963 Baden-Württemberg 1 977 2 220 + 12,3 % Geringe Zunahmen in Gebieten mit kleinstädtischländlichem Charakter, stärkere Zunahme in größeren und mittelgroßen Städten Bayern 2 080 2 272 + 9,2 % Im OLG-Bezirk Nürnberg ist eine Abnahme festzustellen. Nicht unerheblich ist die Zunahme in Fremdenverkehrs- und Kurorten (z. B. Immenstadt, Sonthofen, Bad Kissingen) Niedersachsen 766 857 +11,9 % Die Entwicklung ist in den einzelnen Gerichtsbezirken sehr unterschiedlich. Die stärkste Zunahme hat Helmstedt (24 : 59), die stärkste Abnahme haben Wolfenbüttel (93 : 75) und Delmenhorst (104 : 86). Nordrhein-Westfalen 6 412 7 730 +20,56 % Erheblich ist die Zunahme in folgenden Städten: Solingen (152 : 387) Hattingen (68 : 137) Witten (84 : 147) Schwelm (127 : 197) Wattenscheid (111 : 171) Hamm (68 : 103) Gladbeck (84 : 123) Recklinghausen (278 : 406) Herford (109 : 151) Hagen (245 : 333) Gelsenkirchen (499 : 647) Dortmund (826 : 935) Rheinland-Pfalz 1 562 1 788 + 14,5 % Im OLG-Bezirk Koblenz ist die Zunahme gering (858 : 886), stärker ist sie im OLG-Bezirk Zweibrücken (704 : 902). Saarland 704 552 —21,6 % Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 22. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 17. Februar 1966 983 Anlage 3 Schriftliche Antwort des Bundesministers Scheel vom 16. Februar 1966 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Diebäcker (Drucksache V/251 Frage XVII/5) : Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die ärztliche Versorgung der Deutschen in Afghanistan, insbesondere in der Hauptstadt Kabul - es handelt sich um rd. 800 Deutsche, darunter viele Frauen und Kinder — sicherzustellen, vor allem angesichts der Tatsache, daß es sich hier um ein Land handelt, dessen Bewohner im starken Maße von Infektionskrankheiten wie Pocken, Typhus, Cholera und ansteckender Gelbsucht heimgesucht werden? Die Bundesregierung beabsichtigt, es einem deutschen Arzt durch geeignete Bundeshilfen zu ermöglichen, eine ärztliche Praxis in Kabul zur ärztlichen Versorgung der dortigen Deutschen und auf entsprechenden Wunsch der WHO hin auch der dortigen UNO-Angehörigen aufzunehmen. Dem Arzt soll zu diesem Zwecke auf Bundeskosten eine komplette Praxisausstattung gegen eine angemessene Miete zur Verfügung gestellt werden. Er soll auch einen Pauschalvertrag zur Behandlung der in Kabul helfenden Angehörigen des Deutschen Entwicklungsdienstes erhalten. Die Bundesregierung beabsichtigt weiter, die Umbaukosten für ein geeignetes Gebäude für die Praxis nebst einem kleinen Krankenrevier zu übernehmen. Die erforderlichen Maßnahmen zur Entsendung des Arztes sind in die Wege geleitet. Das Vorhaben hat sich verzögert, weil erst jetzt über das Petitum des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und anderer Bundesressorts innerhalb der Bundesregierung Übereinstimmung erzielt werden konnte.
Gesamtes Protokol
Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502200000
Die Sitzung ist eröffnet.
Die heutige Tagesordnung soll ergänzt werden um die in der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. — Es erhebt sich kein Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung der Tagesordnung ist damit beschlossen.
Da es sich um dringliche Zollvorlagen handelt, schlage ich vor, die beiden Berichte sofort aufzurufen. — Es besteht Einverständnis.
Ich rufe also auf:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen (15. Ausschuß) über die von der Bundesregierung beschlossene
Zwanzigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1966 (Zollkontingente 1966 — gewerbliche Waren) '
— Drucksachen V/270, V/318 — Berichterstatter: Abgeordneter Lange
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Mittelstandsfragen (15. Ausschuß) über die von der Bundesregierung beschlossene
Verordnung über Änderung von Zollkontingenten für das Kalenderjahr 1965
— Drucksachen V/269, V/319 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Preiß
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? — Das ist offenbar nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldung. Ich schließe die Aussprache.
Ich komme zur Abstimmung über die Ausschußanträge auf den Drucksachen V/318 und V/319. Wer zustimmen will, gebe ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Ausschußanträge sind angenommen.
Ich komme zur
Fragestunde
— Drucksachen V/301, V/303 —
Ich rufe auf aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr die Frage IV/13 des Abgeordneten Bartsch:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung beschlossen hat, sämtlichen Tariferhöhungen der Deutschen Bundesbahn stattzugeben mit der Wirkung, daß die bisherige Fahrpreisermäßigung für erholungsbedürftige Kinder von 75 auf 50 0/o herabgesetzt wird?
Herr Staatssekretär, bitte!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502200100
Frau Präsidentin, ich bitte damit einverstanden zu sein, daß ich die drei Fragen des Herrn Abgeordneten gemeinsam beantworte, da sie in engem Sachzusammenhang stehen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502200200
Ist der Fragesteller einverstanden? — Dann rufe ich auch die Fragen IV/14 und IV/15 des Abgeordneten Bartsch auf:
Hat die Bundesregierung geprüft, welche Auswirkungen der in Frage IV/13 genannte Beschluß auf die Bestrebungen zahlreicher öffentlicher und halböffentlicher Stellen — hierunter das Hilfswerk Berlin — wie auch karitativer Verbände um eine Kindererholungsfürsorge haben muß?
Hat die Bundesregierung Überlegungen zum Ausgleich der in Frage IV/13 erwähnten einschneidenden Maßnahme, die sich zum Nachteil dringender sozialer Vorsorge auswirken muß, angestellt, bzw. ist sie bereit, ausgleichende Maßnahmen zu treffen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502200300
Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß die Deutsche Bundesbahn mit Zustimmung der Bundesregierung bei Beförderung erholungsbedürftiger Kinder den Entsendestellen künftig statt 87,5 und 75 % jetzt Ermäßigungen von 75 und 50 % gewährt. Da es sich überwiegend um Kinder unter zehn Jahren handelt, von denen je zwei auf eine ermäßigte Karte fahren, wird die Ermäßigung in den meisten Fällen 75 % betragen. Nach den Berechnungen der Bundesbahn werden die Kosten dieses Verkehrszweiges gegenwärtig nur zu 16 % gedeckt. Auch in Zukunft wird kaum ein Drittel der Aufwendungen aus den Fahrgeldern bestritten werden können.
Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß die Entsendung erholungsbedürftiger Kinder durch die unvermeidliche Tarifanhebung beeinträchtigt wird. Sollten trotz der fortbestehenden sehr erheblichen tariflichen Vergünstigungen in Einzelfällen Schwierig-



Staatssekretär Dr. Seiermann
keiten auftreten, so sind die Behörden der Länder zu finanzieller Unterstützung berufen, da die Verschickung erholungsbedürftiger Kinder in ihre ausschließliche Zuständigkeit fällt und sie oder die Organisationen, die als Entsendestellen in Frage kommen, auch zum allergrößten Teil die Kosten tragen. Aus Mitteln des Bundeshaushalts, insbesondere des Bundesjugendplanes, können Zuschüsse für diese Zwecke leider nicht gewährt werden; ebensowenig kann der Deutschen Bundesbahn eine noch weitgehende Unterstützung zugemutet werden. Eine Sonderregelung für die Berliner Kinder zu treffen ist eine Aufgabe, die den dafür zuständigen Stellen, aber nicht der Deutschen Bundesbahn obliegt.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502200400
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bartsch.

Willy Bartsch (SPD):
Rede ID: ID0502200500
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung nicht doch der Meinung, daß durch diese Maßnahmee manches Projekt in sozialer Hinsicht in Frage gestellt sein könnte?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502200600
Wir sind nicht dieser Meinung, Herr Abgeordneter.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502200700
Eine weitere Zusatzfrage.

Willy Bartsch (SPD):
Rede ID: ID0502200800
Herr Staatssekretär, habe ich richtig verstanden, daß der soziale Ausgleich, dessen Notwendigkeit von der Bundesregierung doch wenigstens teilweise bejaht wird, statt bisher, sei es auch indirekt, von der Bundesregierung, nunmehr von den Ländern getragen werden soll?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502200900
Ja, das ist klar, Herr Abgeordneter. Aber Sie wissen ja, daß wir durch die außergewöhnlich schwierige Lage der Bundesbahn gezwungen sind, alle möglichen Maßnahmen, sei es der Rationalisierung, sei es der Tarifüberprüfung, treffen zu lassen. In diesem Zusammenhang, glaube ich, sollte man der Bundesbahn in Zukunft nicht mehr zumuten, als was wir ihr ohnedies zumuten, nämlich zwei Drittel der Kosten selbst zu tragen und nur ein Drittel an den Fahrkartenlöser abzugeben.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502201000
Eine weitere Zusatzfrage.

Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0502201100
Herr Staatssekretär, können Sie mir sagen, wie in den anderen Partnerstaaten der EWG diese Dinge gehandhabt werden und in welchem Umfang dort Fahrpreisermäßigungen für erholungsbedürftige Kinder eingesetzt sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502201200

(bei der Beurteilung dieser Angelegenheit nicht die eine Tarifstelle, die für Kinder, Jugendliche, Sozialzwecke usw. gewährt wird, herausgreifen oder aus ihr Schlüsse ziehen. Allgemein wird anerkannt, daß die Deutsche Bundesbahn auch nach dieser Tariferhöhung mit ihren sozialen Ermäßigungen immer noch an der Spitze der europäischen Bahnen steht. Herr Abgeordneter Fellermaier, eine zweite Frage. Herr Staatssekretär, würden Sie dem Verkehrsausschuß bei Gelegenheit einmal eine umfassende — wenn notwendig: schriftliche — Darstellung über diese Sozialtarife in den EWG-Staaten geben? Ich bin dazu gern bereit. Zusatzfrage Herr Abgeordneter Brück. Herr Staatssekretär, haben Sie statistische Unterlagen für Ihre Behauptung, daß es sich in der Mehrzahl um Kinder unter 10 Jahren handelt? Ich vermute, daß diese Behauptung, die auf einen Bericht der Deutschen Bundesbahn zurückgeht, nicht ,aus der Luft gegriffen ist, sondern sich auf statistische Unterlagen stützt, jedenfalls aber auf Rückfragen bei den zuständigen Stellen. Noch eine weitere Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, klingen Ihre Angaben, daß nur 16 % der Kosten gedeckt worden sind und jetzt 32 % gedeckt werden, nicht etwas seltsam angesichts der Tatsache, daß die Kinder zumeist in vollbesetzten Kindersonderzügen fahren und private Omnisbusunternehmen zu den neuen Preisen wieder konkurrenzfähig sind? Das ist eine Frage, die natürlich zu denken Anlaß gibt und die nicht nur hier auftritt, sondern auch bei der Beurteilung der Personentarife der Bundesbahn insgesamt. Sie wird geprüft werden. Herr Abgeordneter Westphal, bitte! Herr Staatssekretär, Sie sagen einerseits, daß der Bundesjugendplan für die übernahme der Lasten, die durch den Abbau dieser Sozialtarife entstehen, nicht in Frage komme. Andererseits sagen Sie, daß sich die zuständigen Stellen um die Abnahme der Lasten für die Berliner Westphal Kinder kümmern sollten. Welche zuständigen Stellen auf der Bundesebene .gilbt es denn für diesen Zweck? Herr Abgeordneter, ich habe vorhin bereits mitgeteilt, daß für diese Fragen ausschließlich die Länder zuständig sind. Zweite Zusatzfrage. Würden Sie meinen, daß nun die Länder die neu entstehenden besonderen Lasten für die Berliner Kinder unter sich aufzuteilen haben? Die Länder und die karitativen Einrichtungen, die sich dieser Aufgabe widmen. Herr Abgeordneter Strohmayr, erste Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in Italien die Fahrpreisermäßigung von 75 % vom 1. bis zum 16. Lebensjahr Gültigkeit hat? Herr Abgeordneter, wir dürfen die Verhältnisse bei den italienischen Staatsbahnen, die unmittelbare Staatsbetriebe sind und ihre Tarife zu Lasten der Staatskasse machen, unmöglich zum Vergleich mit unserer Bundesbahn heranziehen, die nach dem Gesetz verpflichtet ist, ihre Unkosten zu decken. Zweite Zusatzfrage. Herr Staatssekretär, wer soll nun bei der Kinder-Ferienaktion die Differenz der Fahrkosten tragen? (Zuruf von der Mitte: Das hat er doch gesagt!)

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502201300
Ludwig Fellermaier (SPD):
Rede ID: ID0502201400
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502201500
Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502201600
Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0502201700
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502201800
Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502201900
Alwin Brück (SPD):
Rede ID: ID0502202000
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502202100
Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502202200
Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0502202300



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502202400
Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502202500
Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0502202600
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502202700
Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502202800
Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0502202900
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502203000
Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502203100
Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0502203200
Bis jetzt ist es doch so, daß die Finanzierung ausgewogen ist und die Fahrkosten ein wesentlicher Bestandteil der Kindererholung sind. Wenn nun eine Erhöhung erfolgen soll, wer soll dann die Differenz tragen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502203300
Diejenigen, die für die Durchführung dieser Aufgabe zuständig sind. Der Bund ist es nicht, die Bundesbahn auch nicht.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0502203400
Das würde also bedeuten, daß — —

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502203500
Feststellungen sind nicht zugelassen.
Herr Abgeordneter Börner, erste Zusatzfrage.

Holger Börner (SPD):
Rede ID: ID0502203600
Herr Staatssekretär, sind im Rahmen der Bundesregierung Überlegungen im Gange, diese Lasten wenigstens zu einem Teil vom Ressort für Familien- und Jugendfragen übernehmen zu lassen und in Zukunft dort zu etatisieren?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502203700
Diese Frage ist im Einvernehmen mit dem zuständigen Ministerium geprüft worden, das aber diese Möglichkeit verneint hat.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502203800
Damit ist diese Frage erledigt.
Ich rufe die Fragen IV/16, IV/17 und IV/18 des Abgeordneten Schonhofen auf:
Wann ist mit dem verkehrsgerechten Ausbau des restlichen Teilabschnittes der Bundesstraße 482 zwischen den Gemeinden Lande und Neesen im Landkreis Minden zu rechnen?
Ist die Bundesregierung bereit, die Ortsdurchfahrt der Bundes. straße 482 in der Gemeinde Leteln, Kreis Minden, wegen ihres verkehrsgefährdenden Zustandes und zur Entflechtung des starken Straßenverkehrs in der Gemeinde Leteln als Vorort- und Stadtrandgemeinde vorweg mit Radwegen versehen zu lassen, wie es von dieser Gemeinde seit Jahren bei den zuständigen Stellen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe beantragt wird?
Welche Maßnahmen sind von der Bundesregierung getroffen worden, um die Planungsarbeiten für den Ausbau der Bundesstraßen im Bereich der Landkreise Lübbecke und Minden baldmöglichst beenden und in das Stadium der praktischen Bauausführung eintreten zu können?
Herr Abgeordneter Schonhofen hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Dr. Seiermann vom 16. Februar 1966 lautet:
. Zu den Fragen 16 und 17:
Die winklige und nicht ausbaufähige B 482 soll zwischen Lande und Neesen durch eine 14 km lange Neubaustrecke ersetzt werden. Da nur durch eine solche größere Maßnahme die Verkehrsverhältnisse auf dem rechten Weserufer im Bereich Minden grundlegend verbessert werden können, ist die Bundesregierung vorrangig an dem Bau dieser Umgehungsstraße interessiert. Der Verwirklichung dieser Maßnahme muß zunächst die entwurfsverfahrens- und grunderwerbsmäßige Vorbereitung durch die Auftragsverwaltung, hier der Landschaftsverband Westfalen in Münster, vorausgehen. Bei der schwierigen Haushaltslage des Bundes, die auch zu empfindlichen Abstrichen bei den Straßenbaumitteln geführt hat, muß bei den Ausgaben ein strenger Maßstab angelegt werden. Für die B 482 wird daher der Bund in der Zwischenzeit bis zum Bau der Umgehungsstraße seine Bemühungen auf eine verkehrsgerechte Unterhaltung des alten Straßenzuges richten. Von größeren Investitionen, wie sie die Anlage von Radwegen in Ortsdurchfahrten erfordern würde, dürfte Abstand zu nehmen sein, da sonst die Gefahr besteht, daß die grundlegende verkehrliche Neuordnung zeitlich hinausgeschoben werden könnte.
Zu Frage 18:
Die Durchführung von Baumaßnahmen an Bundesstraßen ist hinsichtlich Umfang und Termingestaltung abhängig von den verfügbaren Haushaltsmitteln. Auf der Grundlage der zu erwartenden Straßenbaumittel wird in Zusammenarbeit mit den Auftragsverwaltungen, hier der Landschaftsverband Westfalen in Münster, die gem. Artikel 90 des Grundgesetzes im Auftrage des Bundes die Verwaltung der Bundesfernstraßen besorgen, die Einzelverplanung der größeren Maßnahmen in Vierjahresplänen vorgenommen. Entsprechend diesem langfristigen Programm bereitet die Auftragsverwaltung in ständigem Kontakt mit dem Bundesminister für Verkehr die Bauvorhaben zeitgerecht vor. Insoweit bedarf es keiner weiteren Maßnahmen seitens der Bundesregierung, um die Planungsarbeiten für anstehende Baumaßnahmen zum Abschluß zu bringen.
Ich rufe die Frage IV/19 des Herrn Abgeordneten Dr. Apel auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Vorlage der EWG-Kommission für eine Verordnung des Rats über die Einführung eines Margentarifsystems im Güterverkehr der Eisenbahnen, des Straßenverkehrs und der Binnenschiffahrt — Drucksache V/30 — hinsichtlich der Einführung von Referenztarifen für die Binnenschiffahrt mit einer oberen und einer unteren Grenze (Artikel 2) dem Auftrag entspricht, den der Ministerrat der EWG der EWG-Kommission am 22. Juni 1965 erteilt hat?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502203900
Die Vorlage der EWG-Kommission steht hinsichtlich der Einführung von Referenztarifen für die Binnenschiffahrt mit einer oberen und einer unteren Grenze — Art. 2 — grundsätzlich nicht in Widerspruch zu den tarifpolitischen Grundsätzen, die der Ministerrat der EWG mit seinem Beschluß vom 22. Juni 1965 festgelegt hat. Jedoch wird erst die Behandlung der Angelegenheit im Ministerrat ergeben, ob auch die anderen Regierungen diese Auffassung vertreten. Sollte eine dieser Regierungen abweichender Meinung sein, muß eine Lösung gesucht werden, der alle sechs Regierungen ihre Zustimmung geben können. Daher ist die Meinung der Bundesregierung in dieser Frage im Augenblick nicht entscheidend, noch kann die Bundesregierung sich in solchen Fragen vorher eindeutig festlegen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502204000
Erste Zusatzfrage!

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0502204100
Herr Staatssekretär, können Sie mir eine Auskunft geben, wie die Bundesregierung Art. 10 des gleichen Vorschlags dieser Verordnung ansieht, der ja die Möglichkeit gibt, zumindest für eine gewisse Zeit anstelle der Referenztarife obligatorische Margentarife zu setzen, wenn mißbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht oder ruinöse Konkurrenz festgestellt wird?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502204200
Herr Abgeordneter, soweit die Kommission mit dem Vorschlag des Art. 10 über die Grenzen des Auftrags des Ministerrats hinausgeht, bestehen auch nach Meinung der Bundesregierung Bedenken grundsätzlicher Art. In materieller Hinsicht könnte eine solche Regelung vor allem von den Verkehrsträgern wahrscheinlich nicht zu beanstanden sein.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502204300
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0502204400
Darf ich Ihre Antwort so interpretieren, daß die Bundesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die natürlich in der EWG begrenzt sind, im Interesse der Binnenschiffahrt, aber auch der konkurrierenden Verkehrsträger versuchen wird, die Regelung, die von der EWG-Kommission vorgeschlagen ist, durchzusetzen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502204500
Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis dafür, daß ich in diesem Kreise keine Erklärungen abgeben werde, die die deutsche Verhandlungsdelegation im Ministerrat binden würden.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502204600
Ich rufe die Frage IV/20 des Herrn Abgeordneten Dr. Apel auf:
Schließt sich die Bundesregierung der Meinung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg an, daß die Vertiefung der Unterelbe auf 12 m in den nächsten drei, spätestens vier Jahren abgeschlossen werden muß, sollen nicht Vertiefungen im Bereich des Hafengebietes, die die Hansestadt durchführt, für den Seeverkehr Hamburgs wirkungslos bleiben und zusätzliche Kosten für das Baggerprogramm der Elbevertiefung entstehen?
Zur Beantwortung, Herr Staatssekretär bitte.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502204700
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung erkennt die Notwendigkeit eines schnellen Ausbaues der Elbe unterhalb Hamburg, also sowohl der Außen- wie der Unterelbe, auf 12 m unter Seekartennull an. Sie muß jedoch die Durchführung dieser Maßnahmen von den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten des Bundes abhängig machen, zumal entsprechende berechtigte Forderungen auch für Ems, Jade, Weser und Trave bestehen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502204800
Eine Zusatzfrage.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0502204900
Darf ich Ihre Antwort so interpretieren, daß Sie zumindest ab 1967 versuchen werden, im Rahmen der finanziellen Gegebenheiten dieses Jahres die Mittel für die Vertiefung der Unterelbe zu verstärken und hier mehr Initiative zu entwickeln?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502205000
Ich glaube nicht, daß es bisher an dieser Initiative gefehlt hat, Herr Abgeordneter. Sie dürfen versichert sein, daß es das Bestreben meines Ministers und unseres Hauses sein wird, dieses von uns beiden angestrebte Ziel so schnell wie möglich zu erreichen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502205100
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Hans Apel (SPD):
Rede ID: ID0502205200
Sind Sie mit mir der Meinung, daß es sich bei der Vertiefung der Unterelbe wie der anderen Flußmündungen in Norddeutschland nicht nur um regionale Probleme handelt, sondern um die Notwendigkeit, die norddeutschen Seehäfen im Rahmen des Wettbewerbs mit den Rheinmündungshäfen besserzustellen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502205300
Darüber besteht gar kein Zweifel, Herr Abgeordneter.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502205400
Wir kommen zur Frage IV/21 des Herrn Abgeordneten Dröscher:
Welche Fortschritte sind in der vom letzten Deutschen Bundestag beschlossenen Zusammenlegung der Bahnhöfe Bingen und Bingerbrück inzwischen erreicht?
Frau Herklotz übernimmt die Frage. Bitte schön, Herr Staatssekretär!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502205500

(bereits vier Lösungsvorschläge ausgearbeitet und erste Informationsgespräche mit den Beteiligten darüber geführt. Keine Zusatzfrage? — Dann ist die Frage damit erledigt. — Herr Schmidt, haben Sie sich gemeldet? (Abg. Schmidt [Hamburg]: Frau Präsidentin, nachdem Sie inzwischen fortgefahren sind, verzichte ich auf meine Zusatzfrage!)




Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502205600
— Ich möchte Sie nicht unterbrochen haben; es war nicht ganz deutlich.
Dann rufe ich die Frage IV/22 des Abgeordneten Felder auf:
Ist dem Bundesverkehrsminister die Absicht der Deutschen Bundesbahn bekannt, den Telefon- und Schreibdienst in FD- und TEE-Zügen weitgehend einzuschränken?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502205700
Frau Präsidentin, wenn der Herr Abgeordnete einverstanden ist, möchte ich seine zwei Fragen wegen des Sachzusammenhangs zusammenbeantworten.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502205800
Einverstanden. Ich rufe also auch die Frage IV/23 auf:
Hält der Bundesverkehrsminister die in Frage IV/22 genannte Maßnahme im Hinblick auf den erforderlichen Kundendienst in den modernen FD-Zügen unserer Bundesbahn nicht für unzweckmäßig?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502205900
Herr Abgeordneter, die Deutsche Bundesbahn mißt dem Angebot, in ihren Reisezügen schriftliche Arbeiten in den Schreibabteilen erledigen und über den Zugpostfunk Ferngespräche führen .zu können, ein großes kundendienstliches Gewicht bei. In den Fällen aber, in denen nach ihren Feststellungen dieser Dienst fast nicht in Anspruch genommen wird, muß sie ihn aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus aufgeben.
Die Benutzung der Schreibabteile, die überwiegend von Geschäftsreisenden in Anspruch genommen werden, ist am Wochenende besonders schwach. In Anpassung daran beabsichtigt die Deutsche Bundesbahn, zum Sommerfahrplan 1966 diesen Dienst am Wochenende einzuschränken, d. h. nicht mehr alle Züge, die bisher mit diesem Dienst ausgestattet sind, am Wochenende damit zu versehen.
Beim Zugpostfunk dagegen ist eine ständig steigende Inanspruchnahme festzustellen. Die Bundesbahn bemüht sich daher, dieses Angebot zu vermehren.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502206000
Eine erste Zusatzfrage, bitte!

Josef Felder (SPD):
Rede ID: ID0502206100
Herr Staatssekretär, ist demnach die Einschränkung nur für die Samstage geplant oder auch, wie es in meinen Informationen heißt, am Montag und eventuell am Freitag? Ist es nicht so, daß nach den allgemeinen Feststellungen die Züge nur zu 70 °/o besetzt sind und daß, wenn wirklich eine volle Besetzung eintritt, jederzeit das Schreibabteil aufgehoben werden kann?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502206200
Herr Abgeordneter, nach den
Unterlagen, die ich von der Deutschen Bundesbahn bekommen habe, ist nur beabsichtigt, zum Sommerfahrplan den Schreibabteildienst bei bestimmten Zügen am Wochenende einzuschränken.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502206300
Eine zweite Zusatzfrage.

Josef Felder (SPD):
Rede ID: ID0502206400
Herr Staatssekretär, nach meinen Informationen haben die Sekretärinnen, die durch diese Einschränkung betroffen werden und die seit 10 bis 14 Jahren bei der Bundesbahn Dienst tun, bei ihrer Rückversetzung in die Verwaltung einen monatlichen Verdienstausfall von mindestens 200 DM; könnte nicht bei der Bundesbahn dahin interveniert werden, daß bei eventueller Einschränkung am Samstag ein laufender Jour-Dienst eingerichtet wird, so daß sich die Maßnahme auf alle Sekretärinnen gleichmäßig auswirkt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502206500
Herr Abgeordneter, Sie werden verstehen, daß ich diese Frage hier nicht beantworten kann. Ich will aber gerne die Deutsche Bundesbahn bitten, sie zu prüfen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502206600
Eine weitere Zusatzfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Kempfler.

Dr. Friedrich Kempfler (CSU):
Rede ID: ID0502206700
Herr Staatssekretär, könnten Sie nicht der Hauptverwaltung der Bundesbahn klarmachen, daß durch den ständigen langsamen Ablauf des Schreib- und Telefondienstes gerade die besten Kunden, nämlich die viel und weit reisenden, verärgert werden und daß sich darunter nicht nur Geschäftsreisende, sondern auch viele Abgeordnete befinden, die oft bis zu 17 Stunden in F-Zügen verbringen müssen, auch am Wochenende?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502206800
Herr Abgeordneter, ob ich das der Bundesbahn klarmachen kann, weiß ich nicht. Ich bin aber gern bereit, ihr Ihre Bemerkungen besonders zur Kenntnis zu bringen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502206900
Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Friedrich Kempfler (CSU):
Rede ID: ID0502207000
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, oder kann die Hauptverwaltung der Bundesbahn sich vorstellen, daß man zwar die Schreibabteile abbauen kann, aber nicht den Telefondienst? Beide Dienste sind doch eng miteinander verquickt.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502207100
Ich glaube nicht, daß die Bundesbahn beabsichtigt, den Telefondienst abzubauen. Ich habe ja ausdrücklich gesagt, daß sie sogar bemüht ist, diesen Telefondienst weiter auszubauen.

Dr. Friedrich Kempfler (CSU):
Rede ID: ID0502207200
Ich bin wohl nicht verstanden worden. Ich meine: Wenn der Telefondienst aufrechterhalten wird, muß man wegen der



Dr. Kempfler
Bedienung des Telefondienstes auch die Schreibabteile bestehen lassen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502207300
Ich werde die Frage prüfen lassen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502207400
Damit sind wir am Ende der Fragen aus diesem Geschäftsbereich. Ich danke dem Herrn Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe die Frage XII/1 des Abgeordneten Löbbert auf:
Welche energiepolitischen Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung einzuleiten, nachdem auch nach Abschluß der Anmeldefrist zur Stillegung von Bergwerksbetrieben weitere nichtangemeldete, moderne Schachtanlagen geschlossen werden, uni volkswirtschaftliche Verluste zu verhindern (in die Zeche Grat Bismarck in Gelsenkirchen, deren Stillegung zum 30. September 1966 beschlossen wurde, sind seit 1952 200 Millionen DM investiert worden) und den im Bergbau Beschäftigten das Gefühl für eine soziale und wirtschaftliche Sicherheit zu geben?
Ist Herr Abgeordneter Löbbert im Saale? — Ja. Bitte, Herr Minister!

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502207500
Frau Präsidentin, ich möchte darum bitten, daß im Anschluß an die Beantwortung dieser Frage auch die für Freitag vorgesehenen Fragen aus meinem Geschäftsbereich aufgerufen werden.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502207600
Einverstanden.

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502207700
Herr Kollege, bevor ich im einzelnen auf Ihre Frage eingehe, gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Für diese Fragestunde mußte ich mich auf zwei Fragestellungen vorbereiten. Ihre Frage, Herr Abgeordneter Löbbert, zielt der Tendenz nach darauf ab, weitere energiepolitische Maßnahmen zur Absatzstabilisierung für den Steinkohlenbergbau zu verlangen. Zur gleichen Zeit liegen mir Fragen Ihres Fraktionskollegen Faller vor, die sich der Tendenz nach gerade gegen eine derartige Absatzstabilisierung, für die in erster Linie die Elektrizitätswirtschaft in Betracht kommt, wenden. Dieses Beispiel macht deutlich, wie gegensätzlich die Interessenlage in der Bundesrepublik und in den einzelnen Gebieten ist, und diese Gegensätzlichkeit gilt es bei den nächsten Anstrengungen zu überbrücken.
Nun zu Ihrer Frage. Angesichts der Absatzentwicklung des Steinkohlenbergbaus ist es unvermeidbar geworden, die Förderung des Steinkohlenbergbaus der veränderten Absatzlage anzupassen. Hierüber besteht Einvernehmen zwischen der Bundesregierung, der Landesregierung Nordrhein-Westfalens und dem Steinkohlenbergbau.
Angesichts der derzeitigen Lage des Energiemarktes habe ich bereits Ende 1965 die Vorlage eines energiepolitischen Programms angekündigt, das die Konsolidierung im Steinkohlenbergbau zum Ziele hat. Die vorbereitenden Arbeiten für dieses Programm laufen zur Zeit, so daß heute noch keine Einzelheiten eines derartigen Programms bekanntgegeben werden können. Bei der Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Energiepolitik wird Gelegenheit zu einer eingehenden Aussprache über das Gesamtproblem sein.
Im Rahmen ihrer Energiepolitik hat die Bundesregierung dem Schicksal des vom Strukturwandel betroffenen Bergmanns stets ihre besondere Aufmerksamkeit gewidmet und, so meine ich, auch dafür gesorgt, daß soziale Härten für den Bergmann vermieden und sein sozialer Status gewahrt blieben. Besonders hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Anpassungshilfen, die den Betroffenen von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Hohen Behörde gewährt werden, um Übergangsschwierigkeiten auszuräumen. Diese Hilfen werden selbstverständlich auch im Falle der Zeche Graf Bismarck zur Verfügung stehen.
Herr Kollege, ich darf Ihnen darüber hinaus mitteilen, daß ich heute mittag eine Abordnung dieser Zeche empfangen und dann auch mit der Belegschaft unmittelbar Gedanken darüber austauschen werde, was zu tun ist.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502207800
Herr Abgeordneter Löbbert zu einer Zusatzfrage.

Josef Löbbert (SPD):
Rede ID: ID0502207900
Herr Minister, die Energiekonzeption der Bundesregierung hat dem Bergbau einen Absatz von 140 Millionen t Jahresförderung eingeräumt. Stimmt eine Pressemeldung der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" vom 12. Februar dieses Jahres, wonach die Bundesregierung im Einverständnis mit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen von dieser Absatzquote abgegangen ist?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502208000
Herr Kollege, ich habe immer davor gewarnt, eine feste Absatzquote als Garantie anzusehen. Eine solche „Garantie" habe ich nie gegeben. Ich bin auch heute der Meinung, daß wir einen höchstmöglichen Absatz anstreben sollten, und dazu müssen wir gewisse Absatzsicherungen durchführen. Ich habe Ihnen vorhin ein sehr umstrittenes Beispiel genannt. Ich wäre Ihnen aber sehr dankbar, wenn Sie sich damit zufriedengeben könnten, daß wir in der energiepolitischen Debatte, die in etwa drei Wochen stattfinden wird, die Einzelheiten besprechen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502208100
Eine zweite Zusatzfrage.

Josef Löbbert (SPD):
Rede ID: ID0502208200
Herr Minister, nachdem trotz Feierschichten im Jahre 1965 — zugegeben: sie wurden bezahlt — nur 126 Millionen t Steinkohle abgesetzt werden konnten, zur Zeit aber zusätzlich noch 16 Millionen t auf Halden liegen, möchte ich Sie doch fragen: Welche Zukunftschancen räumen Sie ,dem Steinkohlenbergbau noch ein?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502208300
Herr Kollege, ich bin der Meinung, daß sich der Stein-



Bundesminister Schmücker
kohlenbergbau stärker den Absatzmöglichkeiten anpassen muß. Wenn er das tut, hat er eine gute Zukunft. Er ist unverzichtbar im Sinne einer sicheren, aber auch im Sinne einer langfristig billigen Energieversorgung, weil man nur dann am internationalen Markt auftreten kann, wenn man selbst etwas in der Hand hat.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502208400
Eine weitere Zusatzfrage.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502208500
Herr Minister, beabsichtigt die Bundesregierung, das Gesetz über die Regulierung von Bergschäden zu überarbeiten, um es in eine Form zu bringen, die den Gemeinden die Ansiedlung neuer Industrien erleichtert?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502208600
Dieses Gebiet gehört mit zu den Problemen, die wir in der energiepolitischen Debatte behandeln werden. Ich werde dann darauf näher eingehen. Heute kann ich Ihnen noch keine Einzelheiten sagen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502208700
Ich rufe die Fragen XII/3, XII/4 und XII/5 des Herrn Abgeordneten Faller auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die baden-württembergische Elektrizitätswirtschaft befürchtet, die Strompreise würden sich um 10 bis 15 %erhöhen, falls der Plan des Bundeswirtschaftsministers verwirklicht werden sollte, als Primärenergie bei der Stromerzeugung 50 % Steinkohle zu verwenden?
Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß durch die Erhöhung der Strompreise die Wettbewerbssituation im badischen Grenzland weiter verschlechtert werden würde, da die französische „Electricité de France" der elsässischen Wirtschaft schon heute weitaus günstigere Strompreise einräumt?
Trifft es zu, daß die freie Wahl der Primärenergie in BadenWürttemberg zu einer Senkung der Gestehungskosten für Strom bis zu 30 % führen könnte?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Schmücker vom 16. Februar 1966
lautet:
Es ist richtig, daß im Bundesministerium für Wirtschaft geprüft wird, ob und auf welche Weise es möglich ist, den Steinkohleneinsatz in der Elektrizitätswirtschaft zu stabilisieren und ob dafür ergänzende Maßnahmen zu dem Gesetz zur Förderung der Verwendung von Steinkohle in Kraftwerken notwendig sind. Die Untersuchungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen, so daß heute nicht gesagt werden kann, welche Wege im einzelnen beschritten werden können. Die Bundesregierung wird ihre Auffassung hierzu voraussichtlich Mitte März bei der Beantwortung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU und FDP zur Kohlesituation (Drucksache V/201) vor dem Deutschen Bundestag darlegen.
Auf Ihre Fragen möchte ich heute folgendes antworten:
1. In Baden-Württemberg wurde 1965 der Strombedarf von rd. 17 Mrd. kWh gedeckt durch
eigene Erzeugung aus
Wasserkraft mit 20 %
Steinkohle mit 44 %
Öl mit 9 %
Strombezug 27 %
In öffentlichen Kraftwerken in Baden-Württemberg wurden 1965 insgesamt 1,5 Mrd. kWh durch Einsatz von Öl erzeugt. Die Verwendung von Öl an Stelle von Steinkohle ermöglicht um etwa 15 % niedrigere Stromerzeugungskosten. Da der Anteil der Stromerzeugung aus Öl in Baden-Württemberg 9 % beträgt, entspricht dies einer Verringerung der Stromerzeugungskosten um etwa 1,5 % für das Gesamtstromangebot dieses Landes. In Baden-Württemberg beträgt der Strompreis im Mittel rd. 10 Pf/kWh; je kWh beträgt die Differenz daher etwa 0,15 Pf.
2. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Strompreise in Baden-Württemberg, obwohl sie zu den niedrigsten im Bundesgebiet gehören, z. T. höher liegen als im benachbarten Frankreich. Bei den Kosten der Stromerzeugung und- -verteilung bestehen zwischen Deutschland und Frankreich wesentliche Unterschiede. Die französische Stromerzeugung beruht zu 40 % auf billiger Wasserkraft. Der Anteil der Wasserkraft an der deutschen Stromerzeugung beträgt nur etwa 15 %. Außerdem erhält die Electricité de France — die Eigentum des
Staates ist — Staatszuschüsse und zinsermäßigte Kredite zur Finanzierung ihrer Investitionen. Die deutschen Stromerzeuger hingegen sind auf die normalen Kapitalbedingungen angewiesen.
3. Eine Senkung der durchschnittlichen Gestehungskosten um 30 % ließe sich kurzfristig nicht bewirken. Auch bei Einsatz der momentan absolut billigsten zur Verfügung stehenden Einsatzenergie in neuen Kraftwerken würde der relative Preisvorteil sich nur langsam auf das Gesamtniveau der Stromerzeugungskosten auswirken können. Im übrigen entfallen von den Gesamtkosten der Stromabgabe nur etwa 0/s auf die Stromerzeugung und etwa 2/7 auf die Verteilung. Auf den Strompreis für den Verbraucher wirkt sich daher eine Senkung der reinen Erzeugungskosten nur in beschränktem Maße aus.
Ich rufe dann die Frage IV/1 des Herrn Abgeordneten Schlager aus Drucksache V/303 auf:
Aus welchen Gründen ist der Deutsche Beamtenbund als zweitgrößte selbständige gewerkschaftliche Organisation der Bundesrepublik nicht im Wirtschafts- und Verbraucherausschuß des Warentest-Instituts vertreten?
Ist der Abgeordnete Schlager im Saal? — Die Frage wird vom Herrn Abgeordneten Wagner übernommen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502208800
In der Absicht der Bundesregierung wie auch wohl des Deutschen Beamtenbundes lag es, die Verbraucher' und die Wirtschaft an der Arbeit der Stiftung Warentest zu beteiligen. Die in § 12 Abs. 2 der Stiftungssatzung vorgesehene paritätische Zusammensetzung des Wirtschafts- und Verbraucherausschusses wird nach meiner Auffassung diesem Anliegen gerecht.
Bei der Auswahl der Verbrauchervertreter stand das Bestreben im Vordergrund, die Verbraucher selbst, wie sie insbesondere in den Verbraucher-und Hausfrauenverbänden zusammengefaßt sind, zu berücksichtigen. Die Vertretung anderer Organisationen, bei denen die Wahrung von verbraucherpolitischen Belangen nur ein Teilgebiet ihrer Aufgaben ist, mußte schon aus Gründen der Straffung der Ausschußarbeit und der verlangten Parität begrenzt werden. Bei der Begründung des Satzungsentwurfes im Wirtschaftsausschuß des Bundestages hielt die Mehrheit dieses Ausschusses die vorgeschlagene Zusammensetzung des Wirtschafts- und Verbraucherausschusses für ausreichend, um dem Anspruch der Verbraucher und der Wirtschaft auf Beteiligung zu entsprechen. Das Hohe Haus hat am 2. Dezember 1964 anläßlich der Haushaltsberatungen entsprechend dem Bericht des Wirtschaftsausschusses einstimmig der Errichtung der Stiftung Warentest in der vorgesehenen Form zugestimmt.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502208900
Eine Zusatzfrage.

Dr. Leo Wagner (CSU):
Rede ID: ID0502209000
Herr Minister, ist die Bundesregierung bereit zu prüfen, ob die Satzung nicht doch in dem Sinne abgeändert werden könnte, daß auch dem Deutschen Beamtenbund eine entsprechende Möglichkeit zur Mitarbeit in dem Wirtschafts- und Verbraucherausschuß geboten wird?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502209100
Herr Kollege, nachdem die Stiftung Warentest auf einstimmigen Beschluß des Bundestages als Stiftung des privaten Rechts errichtet wurde, ist sie nunmehr selbständig. Satzungsänderungen können nach § 18



Bundesminister Schmücker
Abs. 1 der Stiftungssatzung nur auf Beschluß des Vorstandes mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Vorstandsmitglieder beschlossen werden. Solche Beschlüsse bedürfen vor ihrer Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde lediglich der Zustimmung der Stifterin. Angesichts dieser Rechtslage und meiner vorigen Ausführungen glaube ich kaum, daß ich eine Möglichkeit habe. Aber man kann natürlich im Gespräch einiges versuchen. Ich will das tun.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502209200
Ich rufe die Frage IV/2 des Abgeordneten Reichmann auf:
Welche Mehrkosten würden durch die Einführung der Vierzigstundenwoche für die rund 27 Millionen Erwerbstätigen in der Bundesrepublik jährlich entstehen?
Bitte, Herr Bundesminister, zur Beantwortung!

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502209300
Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes im Oktober 1964 betrug die tarifliche Arbeitszeit in der gewerblichen Wirtschaft im Durchschnitt 42,3 Wochenstunden für Arbeiter und 43,4 Wochenstunden für Angestellte. In vielen Wirtschaftsbereichen liegt auf Grund der angespannten Arbeitsmarktlage die effektive Arbeitszeit jedoch darüber; zum Teil zwei bis drei Stunden.
Die volkswirtschaftlichen Kosten dieser Arbeitszeitverkürzung können theoretisch kaum quantifiziert werden, da sie nicht isoliert von anderen Veränderungen betrachtet werden können. So sind die Auswirkungen von Arbeitszeitverkürzungen von Betrieb zu Betrieb und von Branche zu Branche äußerst verschieden, wobei auch noch die jeweilige konjunkturelle Situation berücksichtigt werden müßte. Außerdem spielt der Zeitraum, innerhalb dessen Arbeitszeitverkürzungen realisiert werden, bei derartigen Überlegungen eine Rolle. Aus all diesen Gründen läßt sich eine zahlenmäßige Vorstellung über die Kosten einer Einführung der 40-Stunden-Woche nicht geben.
Die 40-Stunden-Woche könnte nur allmählich eingeführt werden. Die Arbeitszeitverkürzung in den einzelnen Bereichen müßte sich also — wie schon in der Vergangenheit — über einen längeren Zeitraum erstrecken. Eine Übertragung betriebswirtschaftlicher Kosten auf die gesamte Volkswirtschaft ist nicht sinnvoll.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502209400
Eine Zusatzfrage.

Martin Reichmann (FDP):
Rede ID: ID0502209500
Herr Minister, wie würden Sie die Einführung der 40-Stunden-Woche im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Gesamtstabilität und auf die Wettbewerbslage in der Außenwirtschaft beurteilen?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502209600
Ich habe bereits gestern darauf hingewiesen, daß ich zur Zeit Arbeitszeitverkürzungen für sehr bedenklich halte und der Meinung bin, daß man solche Maßnahmen nur über einen sehr langen Zeitraum planen könne. Bei diesem Standpunkt bleibe ich.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502209700
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher.

Dr. Fritz Rinderspacher (SPD):
Rede ID: ID0502209800
Herr Bundesminister, sind Sie — über Ihre bisherige Antwort hinaus — bereit, hier und jetzt zu bestätigen, daß die Frage der Arbeitszeitverkürzung nicht nur eine Frage der Mehrkosten ist, sondern daß nichtkostenmäßige Wirkungen der Arbeitszeitverkürzung in Vergangenheit, in Gegenwart und in der Zukunft durchaus mögliche kostensteigernde Wirkungen bei weitem aufgehoben haben und weiter aufheben werden und daß Arbeitszeitverkürzungen in den meisten Fällen durch Rationalisierungsmaßnahmen aufgefangen wurden und damit einen bedeutenden volks- und betriebswirtschaftlichen Effekt erzielten?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502209900
Herr Kollege, es war eine Menge von Fragen, die Sie gestellt haben. Ich glaube nicht, daß man allgemein sagen kann, durch Rationalisierungserfolge sei alles aufzufangen. Ich brauche nur nach rechts zu meinem Kollegen Stücklen zu schauen; er kann Ihnen das Gegenteil dartun. Ich bestätige sehr gern, daß die Wirkung äußerst unterschiedlich ist. Ich bin ein wenig verwundert darüber, daß man generell über eine einheitliche Arbeitszeit spricht, denn es kommt doch sehr darauf an, welche Arbeit man verrichtet. Es gibt Arbeiten, für die eine 40-Stunden-Woche schon erheblich zuviel ist; es gibt aber auch solche, die durchaus einige Stunden mehr vertragen. Ich finde, die Nivellierung auf einen Punkt hin ist ein wenig schädlich und wird der Differenziertheit der deutschen Wirtschaft nicht gerecht.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Ich will auch Ihre nächste Frage beantworten. Ich bin sehr wohl der Meinung, daß die Arbeitszeit in sehr engem Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der Arbeitnehmer, überhaupt aller Berufstätigen steht. Das muß natürlich berücksichtigt werden.

(Abg. Dr. Rinderspacher: Ich bin für diese Antwort 'dankbar!)


Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502210000
Es hat sich Herr Logemann zu einer Zusatzfrage gemeldet.

Fritz Logemann (FDP):
Rede ID: ID0502210100
Herr Minister, gehen Arbeitszeitverkürzungen bei der Bundespost und bei der Bundesbahn nicht oftmals auf Kosten des Kundendienstes?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502210200
Nun, vielleicht auch. Ich habe vorhin gesagt, daß sie nur in den Bereichen zu verkraften sind, in denen die Rationalisierung — wie das Wort schon sagt — die Auswirkungen auffängt. Natürlich sind hier besondere Schwierigkeiten gegeben; es wäre sehr gut, wenn man darauf etwas mehr Rücksicht nehmen würde.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502210300
Herr Abgeordneter Reichmann.




Martin Reichmann (FDP):
Rede ID: ID0502210400
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß die Arbeitszeitverkürzung ein Faktor der Instabilität und auch der Beeinträchtigung der Produktivität ist?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502210500
Ich würde das nicht generell sagen, sondern es mit der jeweiligen Lage abstimmen. In der heutigen Situation würde ich Ihnen recht geben.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502210600
Ich danke dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft für die Beantwortung der Fragen und rufe nunmehr den Geschäftsbereich ,des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf, und zwar die Frage V/1 des Herrn Abgeordneten Dr. Eppler:
Könnte es den Geschäftsbetrieb der Deutschen Bundespost vereinfachen, wenn Postbenutzer sich damit einverstanden erklärten, daß alle für sie eingehenden Postanweisungen nicht in bar ausgezahlt, sondern einem Postscheckkonto gutgeschrieben würden?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Stücklen vom 16. Februar 1966 lautet:
Das vorgeschlagene Verfahren entspricht den Bestimmungen des § 4 Postscheckordnung. Es wird bereits seit Jahrzehnten von weiten Kreisen der Bevölkerung angewandt und trägt erheblich zur Entlastung der Geldzustellung bei.
Dieser § 4 lautet:
Der Postscheckkunde kann bei der Postanstalt, durch die er seine Postsendungen erhält, beantragen, daß alle für ihn eingehenden oder auch einzelne bereits eingegangene Post- und Zahlungsanweisungen seinem Postscheckkonto gutgeschrieben werden.
Ich rufe die Frage V/2 des Herrn Abgeordneten Hofmann (Kronach) auf:
Trifft die Feststellung des Ausschusses für gesamtdeutsche und Berliner Fragen im Schriftlichen Bericht vom 25. Juni 1965 — Drucksache IV/3668 — noch zu, in dem es heißt: „Der Empfang von Rundfunk- und Fernsehsendungen ist im Zonenrandgebiet noch ungenügend. Auch aus politischen Gründen muß hier beschleunigt Abhilfe geschaffen werden"?
Ist ,der Herr Abgeordnete im Saal? — Bitte sehr, Herr Bundesminister, zur Beantwortung.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502210700
Frau Präsidentin, ich bitte damit einverstanden zu sein, daß ich die Fragen, die im Zusammenhang stehen, auch zusammen beantworte.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502210800
Ist der Herr Fragesteller einverstanden? — Ich bin es ebenfalls. Die Fragen V/3 und V/4 des Herrn Abgeordneten Hofmann (Kronach) sind damit auch aufgerufen:
Was beabsichtigt die Bundesregierung, in absehbarer Zeit vordringlich zu tun, damit das 2. Fernsehprogramm am Zonenrand (Raum Frankenwald—Rennsteig) zu empfangen ist?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Bayerische Rundfunk auf dem Hohen Bogen den Platz für die Apparate bereitgestellt und die Antennen errichtet hat und darauf wartet, daß die Deutsche Bundespost die technischen Einrichtungen installiert?
Bitte, Herr Bundesminister!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502210900
Die Deutsche Bundespost hat zur Versorgung des Zonenrandgebietes mit dem 2. Fernsehprogramm inzwischen drei weitere Fernsehsender — Rhön, Hoher Bogen und Hohes Lohr — in Betrieb genommen. Damit werden zusätzlich 350 000 Einwohner des Zonenrandgebietes mit dem 2. Fernsehprogramm versorgt.
Zur zweiten Frage. Die Deutsche Bundespost hat außer den bereits für die Versorgung des Zonenrandgebietes in Betrieb befindlichen 21 Fernsehsendeanlagen vier weitere Fernsehsendeanlagen — Lübeck, Egge-Gebirge, Hoher Meißner und Rim-berg — im Aufbau, deren Inbetriebnahme noch für 1966 angestrebt wird. Außerdem ist für 15 FernsehFrequenzumsetzeranlagen die Planung abgeschlossen. Sofern die für den Aufbau dieser Anlagen erforderlichen Investitionsmittel noch rechtzeitig für 1966 bereitgestellt werden können, kann auch die Inbetriebnahme noch in diesem Jahr erfolgen. Im Raum Frankenwald—Rennsteig handelt es sich hierbei um die Fernseh-Frequenzumsetzeranlagen Ludwigstadt, Langenau, Pressig und Tettau. Nach Inbetriebnahme der genannten Anlagen wird die zu erreichende Versorgung im Zonenrandgebiet auf 89 % geschätzt.
Zur dritten Frage. Am Standort Hoher Bogen hat die Deutsche Bundespost bereits einen Fernsehsender einschließlich Antennenanlagen sowie die technischen Einrichtungen für die Modulationszuführung für Bild und Ton zur Ausstrahlung des 2. Fernsehprogramms aufgebaut und am 4. November 1965 in Betrieb genommen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502211000
Herr Abgeordneter Hofmann, erste Zusatzfrage.

Karl Hofmann (SPD):
Rede ID: ID0502211100
Herr Minister, können Sie mir bitte sagen, wann die Sender bzw. Umsetzer im Raum Frankenwald—Rennsteig in Betrieb genommen oder aufgestellt werden können? Ist noch in diesem Jahr damit zu rechnen?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502211200
Ich habe Ihnen heute alle Planungen mitgeteilt. Wenn es sich um einen Sender oder eine Frequenzumsetzeranlage handelt, der bzw. die bei uns noch nicht soweit geplant ist, daß ich Auskunft geben kann, dann schreiben Sie mir bitte noch einen Brief, und ich lasse auch das untersuchen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502211300
Ich rufe die Frage V/5 des Herrn Abgeordneten Hörmann auf:
Wie viele fahrbare Sendeanlagen hat die Deutsche Bundespost zur Ausstrahlung von Fernsehsendungen in Auftrag gegeben, um das vorübergehende Fehlen stationärer Sender auszugleichen?
Bitte, Herr Bundesminister!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502211400
Frau Präsidentin, darf ich auch diese drei Fragen zusammenfassend beantworten?

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502211500
Bitte sehr. Ich bin einverstanden, der Fragesteller auch.
Dann rufe ich noch die Fragen V/6 und V/7 des Herrn Abgeordneten Hörmann auf:
Wo sollen die fahrbaren Sendeanlagen nach ihrer Lieferung vordringlich eingesetzt werden?
Ist sichergestellt, daß durch den Einsatz der beweglichen Anlagen die Schaffung stationärer Sender nicht verzögert wird?




Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502211600
Die Deutsche Bundespost hat vier . bewegbare Fernsehsender in Auftrag gegeben. Die bewegbaren Fernsehsender sollen erstens dort eingesetzt werden, wo vorhandene Sender über längere Zeit ausfallen, zweitens dort, wo an vorhandenen Sendern Überholungsarbeiten oder Änderungen vorgenommen werden, und drittens dort, wo bei neuen Sendeanlagen die Hoch-, Stahl- und Antennenaufbauten so weit fortgeschritten sind, daß die Fertigstellung der Sendeanlage etwa in drei bis vier Monaten erwartet werden kann. Hierbei werden die Standorte im Zonenrandgebiet bevorzugt berücksichtigt.
Zur dritten Frage: Der Aufbau von neuen Fernsehsendeanlagen wird durch den Einsatz von bewegbaren Fernsehsendern in keiner Weise verzögert.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502211700
Erste Zusatzfrage.

Hans Hörmann (SPD):
Rede ID: ID0502211800
Herr Minister, können Sie mir bitte sagen, ob im Raum Oberbaden der Einsatz einer solchen beweglichen Anlage geplant ist?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502211900
Das kann ich nicht sagen. Wenn aber die Fälle zutreffen, die ich in meiner Antwort zur zweiten Frage aufgeführt habe, ja; wenn sie nicht zutreffen, nein.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502212000
Ich rufe die Frage V/8 des Herrn Abgeordneten Strohmayr auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die angekündigte Briefporto-Erhöhung im Hinblick auf die Darstellung des Regierungssprechers Staatssekretär von Hase im Sommer 1964, wonach die Deutsche Bundespost das Briefporto (im Gegensatz zu den Telefongebühren) wegen der Bedeutung des Briefes als eines der letzten Kommunikationsmittel mit Mitteldeutschland nicht habe erhöhen können?
Bitte, Herr Bundesminister!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502212100
Der Postverkehr mit der sowjetischen Besatzungszone ist innerdeutscher Verkehr. Dies hat zur Folge, daß Gebührenerhöhungen im Postverkehr innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zwangsläufig auch für den Verkehr in die sowjetische Besatzungszone gelten. Die Bundesregierung hat nicht zuletzt im Hinblick auf den Briefverkehr mit der sowjetischen Besatzungszone alles unternommen, die Briefgebühr so lange wie möglich unverändert zu lassen. Trotz der nunmehr nicht mehr zu umgehenden Erhöhung der Briefgebühr darf angenommen werden, daß dadurch der Briefverkehr mit der sowjetischen Besatzungszone nicht beeinträchtigt wird.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502212200
Erste Zusatzfrage.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0502212300
Herr Bundesminister, warum gab der Herr Bundespressechef von Hase seinerzeit eine solche Erklärung ab, obwohl der Bundesregierung klar war, daß eine Portoerhöhung schon mit Rücksicht auf das Defizit auf dem Sektor Briefpostbeförderung und mit Rücksicht auf das Porto in den anderen EWG-Ländern notwendig wird?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502212400
Herr Abgeordneter, ich habe ausgeführt, daß es das Bestreben der Bundesregierung war, die Briefgebühr solange wie möglich stabil zu halten, und für die Stabilhaltung dieses Tarifes gibt es eine ganze Reihe von Begründungen. Eine dieser Begründungen war auch die, die Sie zitiert haben und die Herr Staatssekretär von Hase von sich gegeben haben soll.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502212500
Zweite Zusatzfrage.

Alois Strohmayr (SPD):
Rede ID: ID0502212600
Herr Bundesminister, darf ich Sie fragen, war die Erklärung durch Herrn von Hase vor der Wahl aus wahltaktischen Gründen notwendig und die. Erhöhung des Portos nach der Wahl zum 1. 4. 1966 aber aus wirtschaftlichen Gründen zwingend erforderlich?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502212700
Herr Abgeordneter, ich glaube, daß Fragen aus dem Frühjahr oder dem Sommer des Jahres 1964 keine Auswirkung auf die Wahlen am 19. September 1965 gehabt haben.

(Beifall in der Mitte.)

Herr Abgeordneter Strohmayr, ich darf mit Nachdruck betonen, daß die Erhöhung der Posttarife, die im Augenblick im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost in Vorbereitung ist, nicht eine Auswirkung nach den Wahlen ist; vielmehr hat der Bundestag 1964 beschlossen, eine Kommission zu bilden, die einen Bericht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Deutschen Bundespost vorzulegen habe. Dieser Bericht ist nun Anfang des Jahres vorgelegt worden. Auf Grund dieses Berichtes sind Maßnahmen zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Deutschen Bundespost notwendig. Die Vorschläge, die von dieser Kommission gemacht und die in dem Bericht niedergelegt worden sind, bieten eine wesentliche Grundlage für die Durchführung der Gebührenerhöhungen ab 1. April 1966.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502212800
Herr Abgeordneter Cramer, eine Zusatzfrage.

Johann Cramer (SPD):
Rede ID: ID0502212900
Herr Bundesminister, haben Sie die bisher von Ihnen geäußerten Bedenken zurückgestellt, wonach die nicht mehr einheitlichen Gebühren im Verkehr mit der SBZ zu einseitigen politischen Maßnahmen der SBZ führen könnten?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502213000
Herr Abgeordneter Cramer, ich glaube mich mit dem Vorsitzenden und den Mitgliedern des Gesamtdeutschen Ausschusses weitgehend einig, wenn ich der Meinung bin, daß sich



Bundesminister Stücklen
solche Fragen nicht unbedingt dazu eignen, in der Öffentlichkeit erörtert zu werden.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502213100
Zweite Zusatzfrage.

Johann Cramer (SPD):
Rede ID: ID0502213200
Sind Sie bereit, Herr Minister, im Postausschuß des Bundestages dazu Stellung zu nehmen, wenn ich die Frage dort wiederhole?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502213300
Selbstverständlich.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502213400
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen, erste Zusatzfrage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0502213500
Herr Minister, ist Ihnen noch in Erinnerung, daß der Sprecher der Bundesregierung im Frühsommer 1965 vor den Wahlen eine Gebührenerhöhung für 1966 ausdrücklich verneint hat, und darf ich Sie weiter fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Koalition den Bericht genau für die Zeit nach den Wahlen 1965 angefordert hat?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502213600
Herr Abgeordneter SchmittVockenhausen, ich darf dazu konkret zwei Dinge sagen. Erstens weiß ich nicht, wann, wo und ob Herr Staatssekretär von Hase eine solche Erklärung abgegeben hat, wie Sie sie mir in Ihrer Frage dargestellt haben. Zweitens darf ich feststellen, daß die Bundesregierung bei den Sachverständigen nicht ein Gutachten für einen bestimmten Termin angefordert hat, sondern daß dieses Gutachten auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses dieses Hauses angefordert wurde, und daß ich es war, Herr Schmitt, der immer wieder gedrängt hat, diesen Bericht möglichst rasch auf den Tisch des Hauses zu bekommen. Denn ich war mir bewußt, den Bericht einer unabhängigen Kommission niemals scheuen zu brauchen. Ich hoffe, Sie haben diesen Bericht gelesen und stimmen mir in dieser Bernerkung zu.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502213700
Zweite Zusatzfrage.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0502213800
Herr Minister, sind Sie sich bewußt, daß nicht die Antwort, die Sie gegeben haben, zur Erörterung steht, sondern daß es um das Verhalten der Bundesregierung in ihren konkreten Auskünften an die Offentlichkeit und um den Termin geht, der ausgesucht worden ist, um das Gutachten vorzulegen?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502213900
Herr Abgeordneter, ich wiederhole noch einmal: Erstens sind mir die Ausführungen des Herrn von Hase nicht bekannt. Zweitens möchte ich sagen, daß weder der Ressortminister noch die Bundesregierung insgesamt der Kommission einen Terminvorschlag oder die Auflage gemacht haben, diese Vorlage dürfe nicht vor den Wahlen kommen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502214000
Eine Zusatzfrage von Herrn Abgeordneten Dr. Müller (München) .

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0502214100
Herr Minister, sind Sie auch der Meinung, daß dieselbe Eile, die bei der Erhöhung der Gebühren jetzt zu sehen ist, vielleicht auch auf einem anderen Gebiet, nämlich dem der Rationalisierung oder dem Vorschlag der Auflösung des Bundespostministeriums angebracht sein könnte?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502214200
Herr Abgeordneter Müller, erstens weise ich den Vorwurf mit Nachdruck zurück, daß die Bundespost nicht mit derselben Beschleunigung die Rationalisierung betreiben würde. Zweitens werden Sie, wenn Sie den Bericht gelesen haben, feststellen, daß in ihm auch konkrete Vorschläge über die Organisationsform und über die Führung des Unternehmens „Deutsche Bundespost" gemacht worden sind. Wenn Sie glauben, daß diese Vorschläge realisiert werden können, so bewundere ich Ihren Optimismus, und zwar deshalb, weil es wahrscheinlich keine Regierung und keinen Bundestag gibt, die bereit wären, dieses Unternehmen „Deutsche Bundespost" völlig aus der Kontrolle der Politik zu entlassen. Ich glaube, daß diese Frage doch sehr ernst zu prüfen ist und daher nicht vorgezogen werden kann. Denn damit habe ich noch keine einzige Mark mehr in der Kasse. Ich bestreite sogar, daß der dann vorgesehene Generaldirektor oder Vorstandsvorsitzer der Deutschen Bundespost mit dem Gehalt zufrieden sein wird, das heute ein Bundesminister hat.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502214300
Herr Abgeordneter Dr. Müller (München), zweite Zusatzfrage.

Dr. Günther Müller (CSU):
Rede ID: ID0502214400
Herr Minister, wann ist damit zu rechnen, daß die Vorschläge für eine Zusammenlegung von zentralen Ämtern verwirklicht werden?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502214500
Vorschläge für die Zusammenlegung von Ämtern sind nicht vorhanden mit Ausnahme der HWKW in Bamberg, die aufgelöst werden soll und der Ämter im Postscheck- und Postsparkassendienst. Ich unterstelle, daß Sie das im. Augenblick von mir nicht verlangen.
Das zweite, woran in diesem Zusammenhang zu denken ist, ist eine Neuorganisation der Oberpostdirektionen getrennt nach Postdirektionen und Fernmeldedirektionen. Dieses Problem wird bei uns geprüft. Auch diese Neuorganisation bringt uns aber voraussichtlich keine Ersparnis. Deshalb sind diese organisatorischen Änderungen nicht geeignet, entscheidend zur Stabilisierung der Bundespost beizutragen.




Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502214600
Herr Abgeordneter Büttner, erste Zusatzfrage.

Fritz Büttner (SPD):
Rede ID: ID0502214700
Herr Bundesminister, anscheinend haben Sie die Presseverlautbarungen des Herrn von Hase nicht gelesen. Wäre es dann aber nicht Verpflichtung Ihrer Mitarbeiter gewesen, Ihnen die widersprüchlichen Aussagen vorzulegen, damit Sie das, was Herr von Hase gesagt hat, dementieren konnten?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502214800
Herr Abgeordneter, ich habe auf die mir vorgetragene Äußerung des Herrn Staatssekretärs von Hase, konkret geantwortet. Während dieser Fragestunde sind erneut angebliche Äußerungen des Herrn Staatssekretärs von Hase vorgetragen worden Es ist auch einem technisch versierten Minister beim besten Willen nicht möglich, seinen Apparat während einer Fragestunde auch noch zur Prüfung der Frage einzusetzen, ob diese Äußerungen gemacht worden sind oder nicht.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502214900
Herr Abgeordneter Besold, erste Zustzfrage.

Dr. Anton Besold (CSU):
Rede ID: ID0502215000
Herr Bundesminister, darf ich unter Bezugnahme auf die Frage des Herrn Müller wegen der Eilbedürftigkeit der Rationalisierung in der Bundespost an Sie die Frage stellen, ob nicht der heutige Stand der Bundespost in bezug auf Mechanisierung, Rationalisierung, Einrichtung mit elektronischen Geräten usw. im Weltmaßstab mit den Einrichtungen der modernsten Staaten der Welt verglichen werden kann.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502215100
Es ist ohne Zweifel so, Herr Abgeordneter, die Deutsche Bundespost gehört zu den modernsten Postverwaltungen der Welt. Zwar werden die Postverwaltungen in der Regel im eigenen Lande schlechter beurteilt als von draußen, weil man keine Vergleichsmöglichkeiten hat oder weil der Prophet im eigenen Lande nichts gilt — all diese Dinge spielen hier eine Rolle, vielleicht auch noch andere Überlegungen —; aber ein Vertreter der größten Postverwaltung, die wir haben, der Generalpostmeister Day aus den Vereinigten Staaten von Amerika, hat vor einigen Jahren festgestellt, daß nach seiner Kenntnis die Deutsche Bundespost die modernste und leistungsfähigste Postverwaltung ist, die wir in der Welt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502215200
Herr Abgeordneter Killat, erste Frage.

Arthur Killat (SPD):
Rede ID: ID0502215300
Herr Bundesminister, wollen Sie uns glauben lassen, daß die verantwortlichen Stellen oder Beamten Ihres Hauses über die defizitäre Kostenlage bei der Post erst durch das Gutachten unterrichtet worden sind?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502215400
Nein. Für mich war das Gutachten nichts Neues und für meine Mitarbeiter im Ministerium und an allen maßgeblichen Stellen der Post, die sich seit Jahren damit beschäftigen, auch nicht. Es' war nur eine Bestätigung dessen, was ich seit Jahren gesagt habe. Aber wir brauchen anscheinend eine unabhängige Kommission, um das hier mit Nachdruck vortragen zu können.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502215500
Herr Abgeordneter Killat, zweite Frage.

Arthur Killat (SPD):
Rede ID: ID0502215600
Herr Bundesminister, war es nicht so, daß bei der Debatte um die sogenannte TelefonAffäre die gesamte Kostenlast bekannt war und daß die Bundesregierung im Hinblick auf diese Kostensituation die Gebührenerhöhungen schon vorgesehen, nur erst für die Zeit nach den Wahlen eingeplant hatte?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502215700
Nein, das trifft nicht zu. Aber über die Fernsprechgebührenerhöhung haben wir uns ja doch im Jahre 1964 so ausführlich unterhalten, daß wir das im Jahre 1966 nicht noch einmal wiederholen müssen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502215800
Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann, erste Zusatzfrage.

Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0502215900
Herr Minister, können Sie mir erklären, wieso die Entwicklung der deutschen Bundespost zur, wie Sie soeben gesagt haben, modernsten Postverwaltung der Welt eine ständige Verschlechterung ihres Kundendienstes mit sich gebracht hat?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502216000
Herr Abgeordneter, erstens bitte ich doch, mich hier exakt zu zitieren. Nicht ich habe das behauptet, sondern der Postmaster General der Vereinigten Staaten von Amerika, Mr. Edward Day. .Nicht ich! So vermessen bin ich nicht, von mir aus das zu behaupten. Das sollen andere kontrollieren.
Zweitens möchte ich sagen: mit dem Schlagwort von der Verschlechterung des Dienstes bei der Deutschen Bundespost können Sie nicht bestehen, Herr Abgeordneter. Ich bin gern bereit, den Beweis anzutreten, daß die Laufzeiten der normalen Post noch nie so ,gut waren wie heute. Ich möchte das mit Nachdruck deshalb feststellen, weil darin von meiner Seite aus gesehen auch ein Lob für die über vierhunderttausend bei der Deutschen Bundespost Beschäftigten mit beinhaltet ist, und ich spreche das gern in der Öffentlichkeit aus.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte mit Nachdruck sagen, daß ich die Verallgemeinerung einfach nicht akzeptieren kann und nicht bereit bin zu akzeptieren.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502216100
Zweite Zusatzfrage.




Georg Kahn-Ackermann (SPD):
Rede ID: ID0502216200
Herr Minister, wollen Sie bestreiten, daß in den letzten Jahren eine 'eklatante Verschlechterung in der Zustellungsdauer eingetreten ist, und wollen Sie mit Ihrer Behauptung etwa unterstellen, ,daß ein Mitglied dieses Hauses in seiner Behauptung, es dauere heute länger, beispielsweise Briefe nach Bonn über 600 km weg oder z. B. nur in 50 km Umkreis von München zu bekommen, eine Unwahrheit darstelle?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502216300
Das ist keine Unwahrheit, es ist eine Verallgemeinerung, Herr Abgeordneter, die ich nicht gelten lasse. Ich bestreite keinesfalls, daß da, wo Menschen am Werk sind, auch Fehler gemacht werden und daß auch Laufzeiten herauskommen, die auch mir nicht sympathisch sind. Aber das kann man doch nicht verallgemeinern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502216400
Herr Abgeordneter Besold.

Dr. Anton Besold (CSU):
Rede ID: ID0502216500
Herr Bundesminister, in bezug auf die Frage betreffend Bedienung der Postkunden, die soeben gestellt wurde: Ist Ihnen bekannt, daß z. B. in Amerika verschiedentlich die Zeitungen so ausgetragen werden, daß sie einfach vom Auto vor 'das Haus geworfen werden — ob es regnet oder nicht —, während bei uns die Zeitungen ins Haus zugestellt werden?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502216600
Herr Abgeordneter, Sie haben einen Teil unserer Dienstzweige herausgegriffen. Das trifft nicht nur auf diesen Dienstzweig zu, sondern auch auf eine ganze Reihe von anderen.
Ich möchte nur nochmals mit Nachdruck betonen, daß die Deutsche Bundespost durch die Einführung des Nachtflugnetzes eine Beförderungsgeschwindigkeit erreicht hat, die früher eben mit normalen Verbindungen über Straße und Schiene nicht möglich war.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502216700
Herr Abgeordneter Ott.

Anton Ott (CSU):
Rede ID: ID0502216800
Herr Bundesminister, würden Sie im Anschluß an die Frage des Herrn Kollegen Kahn-Ackermann noch sagen, wieviel Postsendungen Sie pro Tag befördern?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502216900
Pro Tag sind es 30 Millionen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502217000
Ich rufe die Frage V/9 der Abgeordneten Frau Herklotz auf:
Beabsichtigt die Deutsche Bundespost bei Anhebung ihrer Kraftpost-Fahrpreise auf 8,5 Pfennig pro km ab 1. März 1966 auch die Erhöhung der Fahrpreise auf den Linien und Teilstrecken, die parallel zu den Buslinien privater Unternehmer verlaufen?
Herr Bundesminister, bitte.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502217100
Frau Präsidentin, gestatten Sie, daß ich die drei Fragen, die im Zusammenhang gestellt worden sind, zusammen beantworte?

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502217200
Ist die Fragestellerin damit einverstanden?

(Abg. Frau Herklotz: Herr Minister, wäre es nicht ratsam, nur die Fragen 9 und 10 zusammenzufassen?)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502217300
Ja.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502217400
Ich rufe auch die Frage V/10 der Abgeordneten Frau Herklotz auf:
Wird die Deutsche Bundespost ihre Fahrgäste weiterhin in zwei Klassen einteilen, d. h. in solche, die längs einer Kraftpostlinie wohnen, deren Konzessionsrecht die Deutsche Bundespost allein besitzt, und solche, die an Strecken wohnen, die den Buslinien privater Unternehmen parallel verlaufen und die deshalb in vielen Fällen Fahrpreisvorteile genießen?
Bitte, Herr Bundesminister.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502217500
Vom 1. März 1966 an wird die Kilometergebühr von 8,5 Pfennig grundsätzlich auf allen Linien gelten, d. h. also auch in Verkehrsbeziehungen, die durch andere Verkehrsträger mitbedient werden. Die Post kann jedoch — ebenso wie die Bahn — nach § 9 Abs. 1 der Postreisegebührenordnung von den Gebühren abweichen, wenn die verkehrswirtschaftlichen Verhältnisse dies erfordern, z. B. wenn durch ein Unterbieten der Fahrpreise von seiten eines anderen Verkehrsträgers eine nicht vertretbare Abwanderung von Fahrgästen und damit eine Aushöhlung der Postlinie eintreten würde. In solchen Fällen kann die Post den Fahrgästen dieselben Fahrpreisvorteile bieten wie der andere Unternehmer.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502217600
Erste Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Herklotz.

Luise Herklotz (SPD):
Rede ID: ID0502217700
Herr Minister, halten Sie die verschiedene Gebührenregelung für die Kunden der Kraftpost für gerechtfertigt und gerecht?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502217800
Unter der Voraussetzung, die ich hier aufgeführt habe, ja!

Luise Herklotz (SPD):
Rede ID: ID0502217900
Sind Sie bereit, Herr Minister, einmal die Möglichkeit zu prüfen, die Fahrpreise auf den Linien und Teilstrecken, die von der Bundespost allein befahren werden, im Interesse der Fahrgäste den Fahrpreisen der anderen genannten Linien anzupassen?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502218000
Frau Kollegin, wenn Sie mich auffordern, etwas zu prüfen, sage ich immer ja.

(Heiterkeit.)

Ich werde das selbstverständlich prüfen.




Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502218100
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage V/11 der Abgeordneten Frau Herklotz auf:
Warum betreibt die Deutsche Bundespost auch dort StadtVorortverkehr, wo städtische Verkehrsbetriebe oder private Unternehmen diese Verkehrsaufgaben bereits wahrnehmen, und erhöht damit nicht nur ihr eigenes Defizit, sondern auch das Defizit der übrigen beteiligten Verkehrsträger?
Bitte, Herr Minister!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502218200
Die Deutsche Bundespost betreibt fast ausschließlich solche Omnibuslinien, die über die politischen Grenzen einer Stadt hinausreichen. Dabei ist es selbstverständlich, daß sie Bedienungsverbote zugunsten eines anderen Unternehmers beachtet., Ebenso selbstverständlich ist es aber auch, daß sie den Verkehr auf ihren Linien, gegebenenfalls auch innerhalb eines Stadtbereichs, bedient, ja zu bedienen verpflichtet ist, wenn ihr ein Bedienungsverbot nicht auferlegt worden ist. Die Entscheidung darüber, ob eine solche Auflage für die Fahrgäste zumutbar ist oder nicht, trifft die zuständige Genehmigungsbehörde. Die Deutsche Bundespost ist der Auffassung, daß solche Bedienungsverbote den Interessen der Fahrgäste zuwiderlaufen und deshalb grundsätzlich abzulehnen sind.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502218300
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage V/12 des Abgeordneten Kuntscher auf:
War die Deutsche Bundespost im Jahre 1951 bei Übernahme eines privaten Omnibusbetriebes, der in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben wurde, gesetzlich oder intern verpflichtet, die Liquidation der übernommenen GmbH nach Inkrafttreten des Kaufvertrages unverzüglich in die Wege zu leiten?
Bitte, Herr Minister!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502218400
Frau Präsidentin, ich würde bitten, die drei Fragen gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502218500
Ist der Fragesteller einverstanden?

(Abg. Kuntscher: Es paßt zwar nicht ganz, aber es soll so sein! — Minister Stücklen: Herr Abgeordneter, es paßt sehr gut!)

Ich rufe also gleichzeitig auch die Fragen V/13 und V/14 des Herrn Abgeordneten Kuntscher auf:
Warum hat die Deutsche Bundespost in den in Frage V/12 erwähnten Fällen bis zum Jahre 1952 ausnahmslos alle übernommenen privaten Verkehrsgesellschaften unverzüglich nach Ankauf liquidiert?
Entspricht es verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Vorschriften über die Deutsche Bundespost, daß diese unter dem Namen einer privaten GmbH Personenbeförderungen im In-und Ausland betreibt, obwohl dadurch in der Offentlichkeit ein irreführender Eindruck hinsichtlich des eigentlichen Verkehrsträgers entsteht?
Bitte, Herr Minister!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502218600
Zur ersten Frage. Die Deutsche Bundespost war und ist weder durch Gesetz noch durch interne Vorschriften verpflichtet, bei Übernahme eines privaten Omnibusbetriebes oder an-1 derer Gesellschaften privaten Rechts, die vordem in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben wurden, nach Inkrafttreten des Kaufvertrages unverzüglich die Liquidation der Gesellschaft in die Wege zu leiten.
Zur zweiten Frage. Die Deutsche Bundespost hat seit Kriegsende nur eine private Verkehrsgesellschaft übernommen. Dabei handelte es sich um eine GmbH. Diese Gesellschaft wird in ihrer alten Rechtsform weiterbetrieben; ihre Liquidation ist nicht vorgesehen. Soweit die Deutsche Bundespost gelegentlich ihr angebotene private Omnibuslinien und in Verbindung damit in wenigen Fällen auch einzelne Fahrzeuge, Gebäude oder ähnliches übernommen hat, stellte sich die Frage der Liquidation bisher deshalb nicht, weil die veräußernden Gesellschaften von ihren Besitzern in allen Fällen weitergeführt worden sind.
Zur dritten Frage. Die Fortsetzung einer erworbenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter ihrem alten Namen entspricht den Bestimmungen des GmbH-Gesetzes. Für die Deutsche Bundespost bestehen diesbezüglich keine einschränkenden Vorschriften. Eine Irreführung der Öffentlichkeit brauchte der Gesetzgeber nicht zu befürchten, weil er sichergestellt hat, daß sich jedermann an Hand des Handelsregisters über die Rechtsverhältnisse einer GmbH genau unterrichten kann.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502218700
Zusatzfragen? — Bitte, Herr Abgeordneter Kuntscher!

Ernst Kuntscher (CDU):
Rede ID: ID0502218800
Herr Minister, wenn aber der ehemalige Inhaber nicht damit einverstanden ist, daß unter seinem Namen der Betrieb von der Deutschen Bundespost weitergeführt wird, — wie stellt sich dann die Deutsche Bundespost dazu?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502218900
Wir stellen uns auf den Boden des Rechtes, und soweit nicht Sonderregelungen im Postgesetz, Postverwaltungsgesetz usw. verankert sind, gilt das Recht und das Gesetz auch für die Deutsche Bundespost. Der frühere Eigentümer dieser Linie hat den Weg eingeschlagen, den er als Staatsbürger immer einschlagen kann Er ist an die Verwaltungsgerichtsbarkeit gegangen. Er ist nicht zum Zuge gekommen. Damit ist die Frage für uns, zumindest wenn nicht neue Gesichtspunkte auftauchen, erledigt.

Dr. Maria Probst (CSU):
Rede ID: ID0502219000
Ich rufe auf die Frage V/15 des Abgeordneten Dr. Schmidt (Gellersen) :
Hält die Bundesregierung eine im Dezember 1965 ausgesprochene rückwirkende Nachforderung (für die Zeit vom 1. April 1963 bis 31. Oktober 1965) erhöhter Fernsprechgrundgebühren für Rechtens, ohne daß den Fernsprechteilnehmern in den Jahren 1963, 1964 bis Ende Oktober 1965 eine Mitteilung über die infolge erhöhter Teilnehmerzahl eintretende Gebührenerhöhung in irgendeiner Form gemacht worden ist?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502219100
Die Nachforderung von Fernsprechgrundgebühren in den angesprochenen Fällen ist Rechtens. Die Deutsche Bundespost hat nur die



Bundesminister Stücklen
ihr nach den rechtsverbindlichen Bestimmungen der Fernsprechordnung zustehenden richtigen Gebühren als Gegenwert für ihre bereits erbrachten Leistungen nachgefordert, die lediglich durch menschliches Versehen nicht sofort geltend gemacht worden waren.

(V o r sitz : Vizepräsident Dr. Schmid.)

Die betroffenen Teilnehmer sind einzeln schriftlich über die Ursache der Nachforderung, die diesbezüglichen Bestimmungen der Fernsprechordnung und ihrer Gebührenvorschriften unterrichtet worden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502219200
Zusatzfrage.

Dr. R. Martin Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0502219300
Herr Minister, die Nachforderung bezieht sich auf zweieinhalb Jahre. Ist nach § 13 der Fernsprechordnung eine derartige rückwirkende Forderung überhaupt möglich?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502219400
Der § 13 der Fernsprechgebührenordnung ist ganz eindeutig, und nur der § 13 ist die Grundlage für unsere Forderung.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502219500
Zusatzfrage.

Dr. R. Martin Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0502219600
Herr Minister, gehört es zu den Aufgaben der Fernsprechteilnehmer, sich laufend über die Zahl der Teilnehmer im Fernsprechnetz seines Ortes zu orientieren, um die Post bei Anlaß darauf hinzuweisen, daß höhere Gebühren fällig werden?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0502219700
Nein, das ist nicht Aufgabe des Fernsprechteilnehmers.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Wessen Aufgabe dann?)

— Aufgabe der zuständigen Dienststelle der Deutschen Bundespost, hier des zuständigen Fernmeldeamtes.

(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] meldet sich zu einer weiteren Zusatzfrage.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502219800
Sie haben keine Frage mehr. Die Fragestunde ist zu Ende.
Wir treten ein in die
Fortsetzung der Beratung des Zweiten Jahresgutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sowie der Stellungnahme der Bundesregierung zu dem Zweiten Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
— Drucksachen V/123, V/127 —Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Luda.

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502219900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gutachtergesetz, auf Grund dessen der Sachverständigenrat tätig geworden ist, basiert auf einem Initiativantrag, den die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP im Jahre 1962 hier im Deutschen Bundestag eingebracht haben. Diesem Initiativantrag haben dann alle Parteien dieses Hohen Hauses zugestimmt, und daraufhin ist der Sachverständigenrat tätig geworden. Ich möchte heute, nachdem wir auf eine zweijährige Erfahrung mit dieser Institution des Sachverständigenrates zurückblicken können, ausdrücklich feststellen, daß die Fraktion der CDU/CSU es nach wie vor als eine sehr richtige Maßnahme ansieht, daß dieses Gutachtergesetz verabschiedet worden ist, und daß sie wie in der Vergangenheit so auch in Zukunft gern mit den Gutachten, die dieser Sachverständigenrat erstattet hat und erstatten wird, zur Ausgestaltung unserer Wirtschaftspolitik arbeiten wird. Zuständig aber für die Formulierung und die Durchführung dieser Wirtschaftspolitik sind selbstverständlich allein diese Bundesregierung und dieser Deutsche Bundestag. Ich glaube, darüber herrscht in allen Fraktionen dieses Hauses Einigkeit.
Als wir vor mehr als zwei Jahren dieses Gutachtergesetz einstimmig verabschiedeten, gingen alle davon aus, daß der Hauptzweck dieses Gesetzes darin bestehe, durch Schaffung des Sachverständigenrates zu einer Versachlichung der öffentlichen Lohn-Preis-Diskussion beizutragen. Das Ziel der Versachlichung ist, glaube ich, weitgehend erreicht. Die Resonanz, die die beiden Gutachten bisher in der Offentlichkeit, in der Presse, aber auch bei den zuständigen Verbänden und Parlamenten gefunden haben, hat gezeigt, daß alle bereit sind, im Geiste der Sachlichkeit über die Dinge zu sprechen, die darin angeklungen sind und die zu regeln uns aufgegeben worden ist.
Nicht zu diesem Geist der Versachlichung hat aber einiges gepaßt, was Herr Kollege Schiller gestern in der Debatte vor uns ausgebreitet hat. Herr Kollege Schiller, ich bin sehr dankbar für manches, was Sie gesagt haben, und bin gern bereit, es zu unterstreichen. Es gibt darüber hinaus sogar einzelne Punkte, sehr geehrter Herr Kollege, bei denen ich mich sehr gefreut habe, daß Sie sie so gesagt haben, und ich werde darauf nachher noch zurückkommen. Sie haben sich darüber hinaus aber veranlaßt gefühlt, der Bundesregierung politische Zechprellerei, Heuchelei und eine Politik des doppelten Bodens vorzuwerfen. Dazu muß ich Ihnen sagen: das paßt gar nicht in unser Konzept, eine Versachlichung der Lohn-Preis-Diskussion zu erreichen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Die in diesen Entgleisungen, Herr Kollege Schiller — ich darf das hier einmal so bezeichnen —, enthaltenen sachlichen Anwürfe muß ich auch von der Sache her ganz entschieden als unzutreffend zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Gemeinsames Ziel aller drei Parteien des Deutschen
Bundestages bei der Verabschiedung des Gutachter-



Dr. Luda
gesetzes war es, eine Versachlichung der LohnPreis-Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit zu erreichen.
Herr Kollege Leber — er kommt gerade —, ich habe oftmals in diesem Hause mit großem Interesse und manchmal auch mit einigem Vergnügen Reden gehört, die Sie in der Ihnen eigenen dynamischen, humorvollen und schlagfertigen Art gehalten haben. Leider hat der Herr Kollege Leber aber gestern bei seinen Ausführungen manchmal in einem polemischen und aggressiven Ton zu den wichtigen Fragen des Gutachtens Stellung genommen. Meine Damen und Herren, der einfache Mann auf der Straße, der sich um seine Spargroschen sorgt, erwartet von dieser Debatte hier einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung. Sie geben ihm aber mit einem solchen polemischen Ton Steine statt Brot.

(Beifall in der Mitte. — Zuruf des Abg. Leber.)

— Herr Kollege Leber, einer meiner Kollegen, der gewerkschaftlich tätig ist, wird zu Ihren Ausführungen im einzelnen noch Stellung nehmen.
Einen Punkt darf ich aber vielleicht herausgreifen. Sie haben gesagt, Herr Erhard habe noch nie auf seiten der Arbeitnehmer gestanden. Ich will einmal in aller Ruhe dazu ein Wort sagen. Ich glaube, dann verständigen wir uns besser. Sehr geehrter Herr Kollege Leber, darf ich Sie um die Freundlichkeit bitten, einmal den Wirtschaftsbericht der Bundesregierung für das Jahr 1963 nachzulesen. Dieser Wirtschaftsbericht stammte nicht von einem neutralen Gremium, sondern von dieser Bundesregierung unter Ludwig Erhard. Darin wird ausdrücklich das bescheinigt, was das Gutachtergremium auch jetzt den Gewerkschaften in Deutschland bescheinigt hat, daß sie nämlich im zurückliegenden Jahr eine maßvolle Lohnpolitik betrieben hätten.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Und dann sagen Sie, Herr Kollege Leber, Herr Erhard habe schon immer gegen die Arbeitnehmer gestanden. Meine Damen und Herren, ich weise das als eine unsachliche Verleumdung zurück.

(Beifall in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie, daß ich jetzt im wesentlichen zu den Grundsatzausführungen des Herrn Kollegen Schiller Stellung nehme, die er gestern gemacht hat und die ich überwiegend positiv beurteile.

(Abg. Killat: Darauf können wir verzichten!)

Herr Kollege Schiller hat einen Akzent gesetzt, indem er sagte, durch das Sachverständigengutachten seien die wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die die SPD in diesem Hause und voriges Jahr auch in der Offentlichkeit vertreten habe, voll bestätigt worden. Nun, das war die These des Herrn Kollegen Schiller. Ich setze ihr meine These entgegen: Das Sachverständigengutachten — wenn man es ganz. liest — zeigt, daß keine einzige der im vorigen Jahr in diesem Hohen Hause und in der Offentlichkeit von der SPD zur Stabilisierung vorgeschlagenen Maßnahmen
von den Sachverständigen bestätigt oder übernommen worden ist. Ich beweise Ihnen das.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch bei der SPD.)

— Herr Kollege Schiller, Sie haben immer, auch gestern wieder, über die Notwendigkeit einer mittelfristigen Wirtschaftspolitik in den verschiedensten Formulierungen gesprochen. Ich bin der Meinung, wir müßten einmal die beiderseitigen Ansichten, die zu dem Thema mittelfristige Wirtschaftspolitik in diesem Hause bestehen, ganz klar erörtern. Es gibt einen Bereich in diesem Zusammenhang, wo wir mit Herrn Schiller und mit der SPD einig sind. Es gibt einen anderen Bereich, wo das Gegenteil der Fall ist. Das möchte ich jetzt einmal ganz kurz herausarbeiten.
Wie Herr Kollege Schiller seine mittelfristige Wirtschaftspolitik im Endeffekt meint, hat er sehr klar und prägnant in dem Acht-Punkte-Vorschlag formuliert, den er in der Debatte über die Regierungserklärung am 30. November und 1. Dezember vorigen Jahres vorgetragen hat. Da heißt es — ich darf wörtlich zitieren —:
Eine mittelfristige volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit Projektion und ein mittelfristiger balancierter Finanzplan müssen der Bevölkerung Aufschluß über die kommenden Aufgaben und Belastungen geben.
Das ist das erste Zitat. Das zweite Zitat — S. 132 des Protokolls der 7. Sitzung — lautet: ,,... der Bevölkerung für die kommenden vier Jahre klare quantitative ökonomische Ziele setzen." Das ist die These von Herrn Kollegen Schiller.
Ich komme zuerst zu dem Bereich, in dem wir übereinstimmen. Es soll einmal ganz klar gesagt werden: die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung bejahen wir und die wollten wir ja durch Verabschiedung des Gutachtergesetzes erreichen. Die Sachverständigen haben uns jetzt schon zum zweitenmal eine solche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in vorzüglicher Ausarbeitung vorgelegt. Insofern sind wir einig. Die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes und der Bundesbank geben uns in ähnlicher Weise das Material, das wir benötigen. Das alles kommt von sehr sachverständiger und objektiver, d. h. neutraler Seite.
Was nun die mittelfristige Finanzplanung betrifft, so wissen Sie — Herr Minister Schmücker hat das gestern hier ausgeführt —, daß wir auch insoweit mit Ihnen einig gehen. Ich bitte Sie, den Finanzbericht des Bundesfinanzministeriums aus dem vorigen Jahr nachzulesen, der ja schon das Jahr 1967 mit umfaßt. Das soll ja in bezug auf die Planung der öffentlichen Finanzwirtschaft künftig noch weiter ausgebaut werden.
Meine Damen und Herren, ich bin immer noch in dem unstreitigen Bereich. Es gibt ja auch schon seit geraumer Zeit einen EWG-Ausschuß für mittelfristige Wirtschaftspolitik. Wer ist sein Vorsitzender? Unser Staatssekretär Langer aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist da Vorsitzender. Der Entwurf für das erste Programm wird demnächst verabschiedet und veröffentlicht werden.



Dr. Luda
Jetzt wird es, glaube ich, interessant, meine sehr geehrten Damen und Herren: Was ist die Absicht dieses Ausschusses der EWG für mittelfristige Wirtschaftspolitik? Nun, alle sechs Partnerstaaten — Herr Kollege Schiller, das ist wichtig — haben eindeutig festgelegt, daß bei dieser mittelfristigen Wirtschaftspolitik, die im Prinzip natürlich nötig und daher durchzuführen ist, niemals an die Festsetzung fester Ziele gedacht werden kann. Es ist immer nur gedacht an die Aufzeichnung erkennbarer ökonomischer Tendenzen. Mehr kann man nicht tun. Vollzugsverbindliche Quantifizierungen sind nicht möglich und deshalb von allen sechs EWG-Partnern abgelehnt worden. Ein Maßnahmenkalendarium mittelfristiger Art ist nicht möglich und ist deshalb von den sechs Partnerstaaten abgelehnt worden.
Hier kommen wir in den streitigen Bereich. Hier kommen wir in den Bereich, wo auch ich, Herr Kollege Schiller, Ihren Ausführungen widersprechen muß. Am 29. November haben Sie gesagt — ich muß es nochmals zitieren —: ,,... der Bevölkerung für vier Jahre klare quantitative ökonomische Ziele setzen". Das ist das Gegenteil dessen, was die sechs Partnerstaaten in Brüssel für möglich halten, und das haben sie deshalb abgelehnt.
Meine Damen und Herren, was sagt denn nun der Sachverständigenrat zu der Möglichkeit oder vielleicht gar Notwendigkeit einer derartigen Quantifizierung für einen Zeitraum von vier Jahren? Nun, ich verweise auf das erste Jahresgutachten; da heißt es in Ziffer 217 — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Entgegen manchen Vorstellungen, die da und dort bestehen mögen, kann man nicht erwarten, daß irgend jemand, auch nicht ein Gremium, in der Lage ist, die künftige wirtschaftliche Entwicklung vorherzusehen. Was wir
— die Sachverständigen —
verantworten können, ist sehr viel weniger ...
Und etwas später heißt es zu der Prognose, die das Gutachten anstellt — ich zitiere wieder —:
Sie ist eine Projektion, der wir zwar eine größere Wahrscheinlichkeit beimessen als allen anderen, alber sie braucht noch nicht einmal eine hohe Wahrscheinlichkeit zu besitzen.
Das ist die Auffassung des Sachverständigenrates. Sie steht in ganz klarem Widerspruch zu der Forderung des Herrn Kollegen Schiller, auf vier Jahre hinaus der Bevölkerung klare quantitative ökonomische Ziele zu setzen.
Der Prognosezeitraum des ersten Jahresgutachtens, meine Damen und Herren von der SPD, hat sich wegen dieser berechtigten Skepsis des Sachverständigenrats wohlweislich nicht auf vier Jahre, sondern auf nur sechs Monate erstreckt. Trotzdem stellen dieselben Sachverständigen jetzt in dem zweiten Jahresgutachten zu der damals formulierten wirtschaftlichen Prognose in den Ziffern 99 und 100 fest, daß keine der wesentlichen quantitativen Prognosen des Vorjahres eingetreten ist, obwohl sie sich, wie gesagt, nur auf sechs Monate erstreckt haben.
Das Jahresgutachten 1965 hat die Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer quantitativen Prognose in die Zukunft hinein in Ziffer 161 ausdrücklich wiederholt. Die Sachverständigen sprechen von der Unmöglichkeit einer Prognose.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502220000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502220100
Bitte!

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502220200
Herr Professor Schiller zu einer Zwischenfrage.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502220300
Herr Kollege Luda, ist Ihnen nicht klargeworden, daß ein fundamentaler Unterschied besteht zwischen der politischen Zielsetzung durch eine Regierung auf der einen Seite und der Prognose durch ein Institut auf der anderen Seite? Zweite Frage: Kann die Tatsache, daß eine Prognose nicht bestätigt wird, nicht darin begründet sein, daß die Regierung für ihre Politik keine Ziele gesetzt hat?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502220400
Herr Kollege Schiller, über die Möglichkeit, in der Politik oder in der Wissenschaft klare quantitative Vorhersagen abzugeben, werde ich Ihnen jetzt noch einiges vortragen. Daraus werden Sie ersehen, daß auch für den Bereich der Politik eine Unmöglichkeit besteht, derartige Vorhersagen zu machen und danach zu arbeiten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502220500
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502220600
Bitte!

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502220700
Halten Sie es für unmöglich, Herr Kollege Luda, in der Politik für eine Legislaturperiode Ziele zu setzen?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502220800
Herr Kollege Schiller, Tendenzen aufzeigen, die auf den Fakten der Vergangenheit basieren, das kann man und das muß man tun. Darüber hinaus quantitative Vorhersagen zu treffen, ist bestenfalls für einen Zeitraum von 6 oder 12 Monaten möglich, nicht aber darüber hinaus.
Das Jahresgutachten 1965 sagt in Ziffer 162 — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —:
Anders als vor einem Jahr wagen wir diesmal eine Vorausschau auf ein volles Jahr.
Die Prognose auf ein ganzes Jahr ist also nach Auffassung der Sachverständigen ein Wagnis. Und da will Herr Kollege Schiller Prognosen und Datensetzungen für vier Jahre verlangen!
Was sagt zu diesem Komplex der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium? Ich verweise auf sein Gutachten vom 23. Oktober 1954, wo er für den Bereich der Politik wörtlich folgendes ausgeführt hat — das ist jetzt die Antwort, Herr Kollege Schiller —:



Dr. Luda
Selbstverständlich geben noch so sorgfältige Ermittlungen und Schätzungen der Größen einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung abgelaufener oder künftiger Perioden immer nur Aufschluß darüber, was gewesen ist oder im Bereich des Möglichen liegt, können aber nichts darüber aussagen, welche Ziele man sich setzt oder anstreben soll.
Das ist ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats, gegeben und veröffentlicht für die Arbeit in der Bundesregierung und im Deutschen Bundestag. Unter Ziffer 16 desselben Gutachtens heißt es:
Es wäre abwegig und mit dem Wesen einer Marktwirtschaft unvereinbar, eine solche Hypothese als das Ziel der gesamten Wirtschaftspolitik zu betrachten.
Das ist die Antwort des Wissenschaftlichen Beirats auf Ihre Frage, Herr Kollege Schiller. Die Wissenschaft hat sich natürlich seit eh und je auch mit dieser hochinteressanten und wichtigen Frage befaßt. Ich zitiere Vershoven:
Die Wirtschaft ist kein Mechanismus, sondern ein Organismus.
Schmölders sagt:
Diese Funktionen ließen sich nur dann für die Prognose fruchtbar machen, wenn sich gerade im Bereich dieser Größen echte Verhaltenskonstanten feststellen ließen, was jedoch noch erst zu beweisen wäre.
Sie wissen, daß Professor Hahn jegliche Möglichkeit einer Prognostizierung für den Bereich der Wirtschaftspolitik abgelehnt hat, und Keynes, aus dessen Richtung Herr Kollege Schiller ja weitgehend kommt, hat geschrieben:
Die lange Sicht ist ein schlechter Führer in bezug auf die aktuellen Probleme. Auf lange Sicht gesehen sind wir alle tot.

(Abg. Dr. Schiller: Sehr richtig!)

Das hat Keynes gesagt, und das ist, glaube ich, der heutige Stand der Wissenschaft.
Wenn man nun diese Versuche, klare ökonomische quantitative Zielsetzungen für die Bevölkerung der Politik aufzuerlegen, in Vergleich setzt zu einem Buch, das Professor Fucks aus Aachen kürzlich herausgebracht hat, dann fällt einem doch eine ganz frappante Parallele auf. Ich zitiere hier unseren Kollegen Schmidt (Hamburg), der im „Spiegel" vom 17. Januar 1966 zu derartigen wissenschaftlichen Methoden folgendes ausgeführt hat:
Fucksens Formel ist unglaublich einfach: Man multipliziere die Kubikwurzel der Bevölkerungszahl eines Staates mit seiner Stahl- und Energieproduktion und, schwuppdiwupp, man hat die Machtzahl jedes Staates ausgerechnet. Jetzt nehme man die Machtzahl der USA als Maßstab, setze sie gleich tausend und, schwuppdiwupp, nun weiß man auf 1/10 Promille genau, wie mächtig jeder andere Staat ist.
Am Schluß heißt es dann:
Weltpolitik läßt sich eben nicht mit algebraischen Faustformeln einfangen, sie ist unendlich viel komplizierter.
Meine Damen und Herren, Weltpolitik ist unendlich viel komplizierter, aber die Wirtschaftspolitik nicht minder.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502220900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte!

Hermann Haage (SPD):
Rede ID: ID0502221000
Herr Kollege Luda, Sie haben aus dem Jahre 1954 zitiert. Sind Sie der Meinung, daß es sich dabei um den neuesten Stand der Wissenschaft auf diesem Gebiet handelt?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502221100
Der Wissenschaftliche Beirat hat auch in der Folgezeit sich mehrfach mit diesem Problem befaßt, und er ist nie von der damals dokumentierten Auffassung abgewichen.
Nun, meine Damen und Herren, das ist die Methode von Herrn Fucks und der Kommentar unseres Kollegen Schmidt (Hamburg) dazu. Was ist jetzt die Methode unseres Kollegen Schiller bei gleichartigen Problemen? Ich darf nochmals auf die Rede zurückkommen, die er selbst gestern zitiert hat, nämlich auf seine Rede vom 29. November 1965 hier in diesem Hohen Hause. Damals hat er eine hypothetische Regierungserklärung abgegeben, sozusagen als Traumkanzler,

(Heiterkeit in der Mitte) und er hat wörtlich folgendes gesagt:

Trotz der erschwerten Umstände hält es die
— hypothetische —
Bundesregierung für möglich, in den kommenden vier Jahren das reale Bruttosozialprodukt jährlich um 5 % zu steigern. Ebenfalls ist es, glaube ich, möglich, in den kommenden vier Jahren den Produktivitätsfortschritt von 5,5 %
— bis auf die Stelle hinter dem Komma ist alles klar! —
fortzusetzen.
Aber jetzt kommt's:
Soweit dieser Produktivitätsfortschritt in seinem Prozentsatz die Zuwachsrate des Bruttosozialprodukts übersteigt, sind dann auch in der kommenden Periode
— fünf Jahre! —
Verminderungen der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden möglich.
Da kann ich nur sagen: schwuppdiwupp!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

A la Professor Fucks in Aachen tritt hier der Rechenschieber des Herrn Kollegen Schiller an die Stelle des Zauberstabes altdeutscher Märchen. So kann man keine Wirtschaftspolitik machen.

(Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)




Dr. Luda
Jetzt die weitere Frage: Wem soll diese Datensetzung, von der Herr Kollege Schiller hier gesprochen hat, dienen? Da hat er zwei verschiedene Adressaten genannt, einmal — in Ziffer 8 — die Tarifparteien. Gut, insoweit bin ich — mit den Einschränkungen, .die ich vorgetragen habe — einverstanden. Die Tarifparteien müssen Material haben. Das haben sie ja auch durch dieses Gutachten bekommen. Aber in Ziffer 3 Ihres AchtPunkte-Plans, auf den Sie sich ja gestern noch einmal berufen haben, heißt es: „der Bevölkerung klare quantitative ökonomische Ziele setzen". Ja, wie kann denn das gedacht sein? Den Gewerkschaften, den Sozialpartnern, — das habe ich verstanden, darüber kann man sprechen. Aber jetzt „der Bevölkerung", — wie kann das denn gedacht sein?
Da kann ich mir nur folgendes denken — von den Vorstellungen des Herrn Schiller —: da ist er hier nun Wirtschaftsminister, sagen wir mal, und da hält er die Rede, die er hier schon einmal hypothetisch gehalten hat, diese „Regierungserklärung". Das Volk hört das am Lautsprecher draußen. Da ist ein Herr Müller in Hamburg, von Beruf Postbote bei der Post in Hamburg. Der hört das, wie der Wirtschaftsminister Schiller ihm sagt: In den nächsten vier Jahren ist mit einem Produktivitätszuwachs von, na sagen wir, 20 oder 25 % zu rechnen. Daraufhin sagt sich der Herr Müller: „Aha, darauf habe ich schon lange gewartet, ab morgen verhalte ich mich antizyklisch, ab morgen arbeite ich auf der Post nur noch streng nach Dienstvorschrift." Das sind doch offenbar Ihre Vorstellungen, Herr Kollege Schiller.

(Lachen bei der SPD. — Abg. Wehner: Der kleine Moritz! — Weitere Zurufe.)

Sie wollen doch der Bevölkerung klare ökonomische quantitative Ziele setzen.
Oder nehmen wir mal etwas anderes.

(Unruhe bei der SPD.)

Am andern Tag liest das eine Frau Meier in München in der Zeitung. Sie sitzt am Küchentisch. Sie liest einen Artikel „Mittelfristige Wirtschaftspolitik" von Professor Schiller aus Hamburg. Sie liest es, denn als Hausfrau ist sie ja an der Wirtschaftswissenschaft dringend interessiert. Da stellt sie nun fest, daß nach dieser Prognose von Herrn Wirtschaftsminister Schiller in den nächsten vier Jahren die Masseneinkommen um, na sagen wir mal, 25 % real steigen werden. Was tut die Frau Meier? Sie nimmt Papier und Bleistift. Das Einkommen ihres Mannes zählt zu den Masseneinkommen. Sie fängt an zu rechnen, und dann springt sie auf vom Küchentisch, ruft „Heureka" — das heißt auf deutsch „Ich hab's" —,

(Lachen und Zurufe von der SPD)

fällt ihrem Mann um den Hals und sagt: „Morgen
gehen wir hin, morgen kaufen wir ein KarmannGhia-Sportkabriolet mit zweijähriger Finanzierung!"

(Beifall bei der CDU/CSU. — Glocke des Präsidenten.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502221200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502221300
Herr Kollege Luda, haben Sie nicht in Erinnerung, daß die CDU im Wahlkampf versprochen hat, das noch viel schneller zu machen?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502221400
Herr Kollege Leber, ich möchte Ihnen einmal folgendes sagen. Man muß unterscheiden zwischen Zielvorstellungen politischer Art, die man hat, und der Möglichkeit klarer quantitativer Vorausschau. Das ist ein Unterschied.
Der Herr Kollege Schiller hat im Wahlkampf den bekannten Dreistufenplan bekanntgegeben. Das ist nicht der Vorschlag einer wirtschaftspolitischen Maßnahme, sondern das ist eine Zielvorstellung. Wir sind auch dafür, daß möglichst bald die Preise reduziert werden können. Es kommt aber darauf an, geeignete Maßnahmen vorzuschlagen. Und von den Maßnahmen, die die SPD vorgeschlagen hat, ist im Gutachten keine einzige übernommen worden. Das ist der Tatbestand.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502221500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Arthur Killat (SPD):
Rede ID: ID0502221600
Herr Kollege Dr. Luda, verwechseln Sie bei dem Beitrag in den letzten drei Minuten nicht die Bühne oder die Tribüne hier mit der, die Sie heute nachmittag in der Weiberfastnacht betreten wollen?

(Lebhafte Buh-Rufe von der CDU/CSU. — Gegenrufe von der SPD. — Unruhe.)


Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502221700
Da möchte ich auf einige Äußerungen verweisen, die Herr Kollege Schiller gestern abend hier von sich gegeben hat; ich will das gar nicht erst zitieren.
Meine Damen und Herren, diese mittelfristige Wirtschaftspolitik", das ist ein Schauspiel von Schiller, das leicht zur Tragikomödie werden kann. Ich glaube, diese beiden Beispiele beweisen es.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die SPD ist noch immer in der Versuchung gewesen — und sie ist es bis auf den heutigen Tag —, verplanen zu wollen, was wir erst in der Zukunft erwirtschaften müssen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Sie sind ein Quatschkopf, weiter gar nichts! — Weitere Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten. — Herr Abgeordneter, Herr Professor Schiller möchte Sie etwas fragen. Herr Präsident, ich bin von Herrn Wehner „Quatschkopf" genannt worden. Ich bin nicht damit einverstanden, daß so etwas hier passiert. Das habe ich nicht gehört. Herr Abgeordneter Wehner, bekennen Sie sich dazu? Aber mit Vergnügen! (Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Dr. Mommer: Das habe ich auch gesagt! — Zuruf von der CDU/CSU: Wehner raus!)

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502221800
Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502221900



Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502222000
Herbert Wehner (SPD):
Rede ID: ID0502222100

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502222200
Herr Abgeordneter Wehner, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.

(Abg. Windelen: Er hat sich nur vorgestellt!)


Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502222300
Wir kennen ihn, Herr Windelen. — Bitte schön!

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502222400
Herr Kollege Luda, erste Frage: Sie haben meinen Namen soeben ein bißchen ironisiert.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wir sagen ja auch nicht „Luder" zu ihm!)

Herr Kollege Luda, ist das nicht der letzte Stand der Diskussion, einen Namen zu verballhornen, ist das nicht das letzte Niveau?

(Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Humor!)

Das zweite, was ich Sie zur Sache fragen wollte: Sie haben ausdrücklich den Dreistufenplan der SPD zur Preisrückführung gebilligt. Haben Sie damit nicht zugegeben, daß quantitative Zielvorstellungen mit einem solchen Dreistufenplan verbunden sind?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502222500
Herr Kollege Schiller, jetzt sage ich es Ihnen noch deutlicher, als ich es soeben schon gesagt habe: dieser Dreistufenplan, den Sie im vorigen Jahr verkündet haben, ist eine Wunschvorstellung, die sehr positiv einzuschätzen ist. Es ist aber kein Maßnahmenvorschlag. Nur konkrete Maßnahmen können dazu führen, daß die Preise möglichst bald reduziert werden.

(Beifall in der Mitte.)

Was die Möglichkeiten einer Verballhornung von Familiennamen betrifft: gestern fiel hier .der Name Russe; was da der Kollege Wehner im Sinne der Verballhornung dazwischengerufen hat, werden Sie wahrscheinlich noch wissen. Ich weise solche Argumente zurück.
Ich kann diesen Punkt zusammenfassen, indem ich sage: Die Prophezeiungen wollen wir den Propheten überlassen; uns genügt die Vorsorge des soliden Hausvaters, so wie Ludwig Erhard sie seit rund 18 Jahren zum Segen aller Menschen in der Bundesrepublik bewirkt hat.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU. — Gelächter und Zurufe von der SPD.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Fazit lautet: Der Sachverständigenrat und das Gutachten lehnen diese klaren quantitativen ökonomischen Zielsetzungen für die Bevölkerung für vier Jahre ganz klar ab. Die SPD ist darin von diesem Gutachten nicht bestätigt, sondern widerlegt worden.
Herr Kollege Schiller hat gestern den Bundeswirtschaftsausschuß der CDU zitiert und hat gesagt, in seiner letzten Resolution habe dieser einen Sachverständigenrat zur Begutachtung der Steuerreform vorgeschlagen. Herr Kollege Schiller hat gesagt, man könne, wenn man immer wieder vorschlage, Sachverständigenräte einzusetzen, auch des Guten zuviel tun. Nun, da bitte ich Sie, Herr Kollege Schiller, sich einmal an folgendes zu erinnern. Sie haben unmittelbar vor den Bundestagswahlen — am 14. September — in Bonn eine Pressekonferenz abgehalten und dort vorgeschlagen, folgende Institutionen und Gutachterräte zur Stabilisierung und zur Lösung der konjunkturpolitischen Probleme bei uns neu zu schaffen: 1. einen Konjunkturrat, bestehend aus Bundeswirtschaftsminister, Bundesfinanzminister, Bundesbankpräsident und den Vorsitzenden der Landesfinanzminister und der Landeswirtschaftsministerkonferenzen, 2. eine Forschungskommission für Konjunkturbeobachtung, vertreten durch den Sachverständigenrat, die wissenschaftlichen Beiräte bei beiden Ministerien, die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Institute und das Statistische Bundesamt, und 3. im Bundeswirtschaftsministerium neue Unterabteilungen für Konjunkturpolitik zusätzlich zu denen, die ohnehin dort schon bestehen; außerdem Auftrag an das Statistische Bundesamt, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung auszubauen usw. Da werfen Sie dem Bundeswirtschaftsausschuß der CDU vor, daß er des Guten zuviel tue. Wenn einer auf diesem Gebiet des Guten zuviel tut, dann traditionell die SPD.
Das ist dieser fatale Hang zur Institutionalisierung und zur Bürokratisierung. Wenn wir diesem Hang nachgäben, würde das die Auflösung alles Politischen in reine Rechtsbeziehungen bedeuten.

(Beifall in der Mitte.)

Siehe oben Vershofen: die Wirtschaft ist kein Mechanismus, sondern ein Organismus. Dazu, Herr Kollege Schiller, folgendes frappante Beispiel. Die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hat im Jahre 1956 im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf eingebracht, dessen offizieller Titel lautet: „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines stetigen Wachstums in der Gesamtwirtschaft". Nun, meine Damen und Herren, die Koalitionsparteien haben damals diesen Antrag abgelehnt, und deshalb ist er hier zu Fall gekommen. Frage: Haben wir aus diesem Grunde, weil wir damals den Antrag abgelehnt haben, in der Zeit von 1956 bis 1965 zuwenig Wachstum in unserer Volkswirtschaft gehabt? Meine Damen und Herren, jetzt gucken wir uns doch bitte einmal die Zahlen an. In der Zeit von 1956 bis einschließlich 1964 hat das reale Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten von Nordamerika plus 3,3 % betragen, in Italien plus 3,5 %, in den Niederlanden plus 4,4 %, in Frankreich plus 4,9 % und in der Bundesrepublik plus 6,3 % — ohne Gesetz der SPD! Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Ist das nichts?

(Beifall in der Mitte.)

Das zeigt die Manie, das pulsierende Leben in
Gesetze, Paragraphen, Institutionen und Vorausberechnungen einfangen zu wollen. Unser beispiel-



Dr. Luda
haftes Wirtschaftswachstum war deshalb möglich, meine Damen und Herren, weil Ludwig Erhard diese Reglementierung und Bürokratisierung der Wirtschaft verhindert hat. Und wenn die SPD jetzt versuchen sollte, die Schraube auf diesem Gebiet wieder zurückdrehen zu wollen, so sage ich Ihnen: Wir werden die soziale Marktwirtschaft mit Klauen und Zähnen dagegen verteidigen.

(Beifall in der Mitte. — Abg. Wehner: Vor allem mit Klauen!)

Die SPD hat dann wiederum ihren Vorschlag in bezug auf die Umsatzsteuer gemacht. Ich wollte dazu Stellung nehmen, aber die Zeit reicht jetzt nicht mehr. Ich darf aber auf folgendes hinweisen. Der SPD-Vorsitzende Brandt hat am Sonntag vor acht Tagen in der „Welt am Sonntag" ein Interview gegeben, das ich sehr begrüßt habe. Es erstreckt sich in weiten Stellen auf die Frage des Stabilisierungsprogramms, und Herr Brandt hat in sehr konstruktiver Weise in seinen vier Punkten dazu Stellung genommen.
Meine Damen und Herren, Brandt hat an erster Stelle eine Beschränkung der öffentlichen Ausgaben auf die Zuwachsrate von 6 % verlangt, und er hat in diesem Zusammenhang von dieser Bundesregierung Führungskunst gefordert. Zum Thema Führungskunst muß ich Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, jetzt abschließend doch noch einige Worte sagen. Herr Brandt hat sich also zu der Koppelung der Wachstumsrate in den Haushalten an die Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts bekannt. Er hat sich dazu bekannt. Ja, welche Vorgeschichte hat denn diese Koppelung, meine Damen und Herren? Sie resultiert doch aus einer Forderung des Bundeskanzlers Erhard, die er im Jahre 1963 erhoben und durchgesetzt hat. Wie hat damals die SPD darauf reagiert? Ich zitiere Herrn Kollegen Kurlbaum aus der Sitzung vom 25. 6. 1964. Da heißt es:
Wenn man hier aber versucht, den Eindruck zu erwecken, mit einer Fixierung eines öffentlichen Haushalts auf eine bestimmte Ziffer würde konjunkturpolitisch irgend etwas Wesentliches erreicht, ist das eine Irreführung der öffentlichen Meinung.
Das hat damals der Herr Kollege Kurlbaum gesagt. Und wenn er damals schon den Zitatenschatz von dem Literatenkabinett des Herrn Schiller gehabt hätte, hätte er hinzugefügt: Da gibt es nur ein Nein!
Herr Kollege Möller hat sich in derselben Sitzung in ähnlicher Weise geäußert. Ich zitiere:
Wir möchten an dieser Stelle die Bundesregierung fragen, wie sie sich grundsätzlich die Lösung der immer dringender werdenden Gemeinschaftsaufgaben vorstellt, wenn auch jetzt der Schwerpunkt konjunkturpolitischer Maßnahmen bei der Ausgabenwirtschaft der öffentlichen Hand gesehen wird. Ich finde es nicht gut, daß das immer mit dem Hinweis auf die sogenannten öffentlichen Hände erfolgt.
Das waren die Auffassungen, die die SPD damals durch ihre prominentesten und fähigsten Sprecher hier im Bundestag vorgetragen hat.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502222600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502222700
Ich möchte jetzt diesen Zusammenhang nicht zerreißen. Nachher, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Möller fand es nicht gut, eine solche Koppelung durchzuführen, aber der Sachverständigenrat fand es nicht nur gut, sondern hielt es darüber hinaus für notwendig und für die erste Voraussetzung, und er spricht in diesem Zusammenhang von der Preisführerschaft der öffentlichen Hände. Das hat damals Bundeskanzler Erhard als erster gefordert und hier politisch durchgesetzt. Damals haben Sie es bekämpft, heute erkennt es Herr Brandt an, und gestern hat es auch Herr Kollege Schiller in seiner Rede ausdrücklich anerkannt. Meine Damen und Herren, da kann ich nur sagen: Junge, ich habe Leute sich ändern sehen, Junge, das war wunderschön!

(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502222800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502222900
Ich möchte jetzt diesen Zusammenhang nicht zerreißen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502223000
Ihre Zwischenfrage ist abgelehnt, Herr Abgeordneter Kurlbaum.

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502223100
Das war der entscheidende Maßstab, meine Damen und Herren. Das war die volkswirtschaftlich erforderliche Datensetzung. Wir müssen dem Bundeskanzler Erhard danken, daß er als erster diesen Weg gewiesen und politisch durchgesetzt hat.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir sind dankbar dafür, daß so hervorragende Sachverständige zwei Jahre danach diese Maßnahme als gut und richtig bestätigt haben.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502223200
Herr Abgeordneter, Sie werden um eine Zwischenfrage gebeten.

Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502223300
Ich möchte diesen Zusammenhang nicht unterbrechen, Herr Präsident.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502223400
Sie lehnen sie ab? Dr. Luda (CDU/CSU) : Ich lehne sie ab.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502223500
Herr Abgeordneter Kurlbaum, Ihr Antrag auf Zwischenfrage ist abgelehnt.




Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502223600
Das ist Führungskunst, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Anhaltende Heiterkeit im ganzen Hause. — Zurufe von der SPD. — Glocke des Präsidenten.)

Herr Bundeskanzler Erhard, ich erlaube mir, Ihnen zu sagen: Das sind die besten Pädagogen, die anderen Leuten etwas beibringen, ohne daß die es selbst merken.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Puderzucker ist das!)

Der Herr Bundeskanzler hat ja wirtschaftspolitisch nicht viel Ahnung, aber ab und zu gelingt ihm doch ein Volltreffer.
Ziffer 5 der ersten Maßnahme einer sozialdemokratischen Bundesregierung, so wie Sie sie am 14. September verkündet haben, Herr Abgeordneter Schiller, besagt wörtlich: „Überprüfung aller Pläne, öffentlich beeinflußte Preise zu erhöhen." Zusätzlich heißt es wörtlich: „Wir werden die öffentlich beeinflußten Preise und Tarife an den kurzen Zügel nehmen." In diesem Zusammenhang stelle ich nochmals dankbar fest, daß Herr Brandt in dem Interview in der „Welt am Sonntag" ausdrücklich gesagt hat, die Preise bei Bahn und Post müssen erhöht werden, soweit sie keine kostendeckenden Preise sind. Ich bin dankbar, daß auch Herr Kollege Schiller gestern dasselbe gesagt hat. Ich meinerseits sage auch in diesem Zusammenhang: Junge, ich habe Leute sich ändern gesehen, das war wunderschön; denn für die SPD ist es eine Revolution, heute so etwas zu sagen, was wir schon seit eh und je gesagt haben.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Plünnenhändler nennt man das bei uns!)

Ich möchte abschließen und zu den Preisprognosen, die Herr Kollege Schiller am Schluß hier vorgetragen hat, doch noch das eine sagen. Wir müssen den Ernst der Lage auf dem Gebiet der Konjunkturpolitik anerkennen

(Zuruf von der SPD: Na also!)

und dürfen nicht versuchen, da irgend etwas zu bagatellisieren. Aber wir wenden uns auch gegen Versuche einer Dramatisierung. Herr Kollege Schiller hat im Wahlkampf — und das nehme ich Ihnen übel, Herr Kollege Schiller — den Leuten erzählt, wir hätten 1965 einen Preisaufstieg von 5'°/o in den Lebenshaltungskosten. Meine Damen und Herren, mit solcher Rederei kann wahrlich die Währung gefährdet werden; denn das hat ja den Tatsachen in keiner Weise entsprochen. Ich gehe jetzt von der Kaufkraft des Lohnes aus: Für ein Kilo halbes Mischbrot mußte im Jahre 1949 23 Minuten gearbeitet werden, 1964 nur noch 16 Minuten. Ich gehe jetzt vom Volkswagen aus: dafür mußte im Jahre 1949 3946 Stunden gearbeitet werden und vor zwei Jahren nur noch 1072 Stunden. Also wenn auch die Preise in teilweise unerträglicher Art gestiegen sind, müssen wir doch feststellen, der Wohlstand ist gleichwohl gewachsen, und zwar viel mehr als die Preise. Das zu sagen ist, glaube ich, wichtig.
Ich schließe ab und sage Ihnen nochmals, in keinem Punkte hat das Sachverständigengutachten den Maßnahmenkatalog der SPD bestätigt. Ich bin deshalb nach wie vor der Auffassung, daß diejenigen, die mit den Bergen von Problemen der Jahre 1948 bis 1955 fertiggeworden sind, am ehesten berufen sind, mit den Hügeln der heutigen Probleme auch in Zukunft fertig zu werden.

(Beifall in der Mitte.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502223700
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Krips.

Dr. Ursula Krips (SPD):
Rede ID: ID0502223800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es steht einer weiblichen Abgeordneten sehr schlecht an, wenn sie hier Zensuren erteilt. Das möchte ich mir ersparen.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502223900
Es besteht Gleichberechtigung der Geschlechter, Frau Abgeordnete.

(Heiterkeit.)


Dr. Ursula Krips (SPD):
Rede ID: ID0502224000
Es war meine persönliche Meinung, Herr Präsident, und deshalb möchte ich es unterlassen.
Der Herr Kollege Luda hat sehr schnell gesprochen;

(Zuruf von der SPD: Vorschnell!)

aber es war mir trotzdem möglich, seinen Ausführungen zu folgen. Ich möchte aus seinem Distelstrauß nur einiges herausnehmen. Es wäre mir lieber gewesen, er hätte uns hier auch einmal seine eigene Meinung dargelegt, statt nur und dazu nicht immer richtig, meistens nicht richtig, den Kollegen Professor Schiller zu zitieren. Außerdem bin ich mir darüber im Zweifel, ob er dem Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums, Herrn Dr. Langer, einen Dienst erwiesen hat, als er über die mittelfristige Wirtschaftspolitik sprach. Da Herr Luda so oft in den Ministerien zu Gast ist, würde ich ihm doch empfehlen, sich im Wirtschaftsministerium, das diese Dinge vertreten muß und vertritt, mit diesen Problemen etwas näher zu beschäftigen.

(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Zensuren! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Herr Staatssekretär Langer und seine Mitarbeiter dürften es jetzt etwas schwer haben, zu beweisen, daß man quantitative Vorausschätzungen z. B. nicht machen kann. Aber ich möchte meinen Kollegen, die nach mir sprechen, in diesem Punkte nicht vorgreifen.
Sie haben vorgeschlagen, wir sollten die Polemik hier etwas herauslassen. Genau deshalb habe ich mich eigentlich zu Wort gemeldet. Wenn ich nicht sowieso vorgehabt hätte, hier zu reden, hätten mich die Sprecher der Koalition veranlaßt, mich zu Wort zu melden. Denn während dieser Debatte bin ich zu der Ansicht gekommen, daß die Koalition hier Dinge beweisen will, die man überhaupt nicht beweisen kann, oder daß sie die Dinge, die ihr unangenehm sind, aus der Debatte herausläßt.



Frau Dr. Krips
In diesem Zusammenhang möchte ich Ihren Vorschlag aufgreifen, daß wir uns wirklich einmal mit der Versachlichung der Lohn- und Preisdiskussion beschäftigen. Ich möchte hier nur einen ganz kleinen Beitrag zur Frage der Geldwertstabilität leisten. Wer die Konjunkturentwicklung der Nachkriegszeit aufmerksam verfolgt, so wie es die wirtschaftswissenschaftlichen Institute z. B. getan haben, dem ist klar, daß alle boomartigen Auftriebstendenzen in der Nachkriegszeit und auch die Preissteigerungen zunächst von der Investitionsnachfrage ausgegangen sind. Erst daran anschließend hat sich die erhöhte Verbrauchernachfrage ergeben. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat zur Preisentwicklung ausgeführt:
Der beträchtliche Preisanstieg im Ernährungsbereich war im Jahre 1965 zum großen Teil das Ergebnis außerordentlicher Verhältnisse.
Als Ergänzung würde ich ihm doch empfehlen — Herr Kollege Luda hat selbst gesagt, die Monatsberichte der Deutschen Bundesbank seien absolut neutral —, sich hier einmal die entsprechenden Passagen des letzten Monatsberichts — das steht auf Seite 43 — vorzunehmen. Hier wird von den Einfuhren gesprochen; und da heißt es, die Einfuhren aus wichtigen Lieferländern hätten
noch stärker zunehmen können, wenn die mit der EWG-Marktregelung verbundenen Einfuhrhemmnisse rechtzeitig aus dem Weg geräumt worden wären. Die sogenannte Zusatzabschöpfung bei der Einfuhr aus Drittländern wurde erst Mitte Oktober aufgehoben, als die inländischen Erzeugerpreise für Schweine den Vorjahrsstand um mehr als 28 % übertrafen, und die generelle Senkung der Abschöpfungsbeträge trat sogar erst Ende Dezember in Kraft.
— Dasselbe gilt für die Eier. —
Auch hier kam die generelle Senkung der Abschöpfungsbeträge durch die EWG (für die es einer früheren deutschen Initiative bedurft hätte) viel zu spät, um den Preisanstieg in Schranken zu halten.
Das stammt nicht von mir, das steht in dem Monatsbericht der Bundesbank, und ich könnte diesen Katalog hier noch fortsetzen.

(Abg. Brese: Böse Landwirtschaft!)

Ich möchte Herrn Bundeswirtschaftsminister Schmücker gleich vorgreifen. Er wird mir nämlich erwidern, die Prozedur im EWG-Raum sei so langwierig, daß man dagegen nicht kurzfristig genug etwas tun könne. Aber wir haben doch schon zu lange Erfahrungen in der EWG, als daß man sich nicht beizeiten bemühen könnte, an diesen langen Abschöpfungsprozeduren einmal etwas zu ändern.
Ich will hier aber eigentlich nicht auf einzelne Preisfragen eingehen, sondern möchte mich so, wie es das Sachverständigengutachten getan hat, mit der Preisentwicklung im Rahmen der Entwicklung des Sozialprodukts auseinandersetzen, mich also einmal um die einzelnen Aggregate innerhalb dieses Sozialprodukts kümmern.
Da interessiert mich vor allem die Ziffer 18 der Stellungnahme der Bundesregierung. Die Sozialdemokraten hatten das Ziel, Preisstabilität innerhalb einer Legislaturperiode zu erreichen, und zwar durch Verringerung der Preiszuwächse von 3 auf 2 und auf 1 %. Dieses Programm ist im Wahlkampf von der Regierungskoalition immer als unsolide bezeichnet worden. Ich möchte doch noch einmal sehr deutlich sagen, daß dieses Programm im Sachverständigengutachten seine Bestätigung gefunden hat. Denn die Sachverständigen sind der Meinung, daß ein Rückgang des Preisanstiegs in zwei Jahresraten von 3 auf 1 % möglich sei. Es handelt sich hier also nicht nur um eine Wunschvorstellung des Kollegen Professor Schiller. Und wenn ich vielleicht auf den Diskussionsbeitrag des Kollegen Dr. Pohle eingehen darf: ich bin der Meinung, diese Sachverständigen sind so autonom, daß sie sich bestimmt nicht aus politischen Gründen für ein derartiges Programm entschlossen haben, sondern einfach deshalb, weil auch sie der Meinung waren, daß dieses Programm wirtschaftspolitisch vernünftig ist. Und daß es wirtschaftspolitisch vernünftiger ist als die Ziffer 18 der Stellungnahme der Bundesregierung, das möchte ich Ihnen jetzt beweisen.
Die Sozialdemokratische Partei hielt ihr eigenes Preisprogramm für ehrgeizig, aber für durchaus realisierbar. Aus der Ziffer 18 der Stellungnahme der Bundesregierung kann ich entnehmen, daß die Regierung bei ihren Plänen noch ehrgeiziger ist. Nur handelt es sich hier um eine Ubersteigerung, die völlig unrealistisch ist. Die Bundesregierung lehnt es nämlich ab, einen Preisanstieg zu antizipieren. Da kommen eigentlich schon ein paar Widersprüche. Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat uns gestern erklärt, daß er statt Ziffern als Leitlinien lieber allgemeine Richtlinien gesetzt haben möchte. Er hat uns dann im Verlauf seiner Ausführungen hier erzählt, daß die Preisentwicklung bei normalen Witterungsverhältnissen etwas günstiger ausfallen dürfte als angenommen. Einer seiner hohen Ministerialbeamten hat in Hamburg erklärt, die reale Wachstumsrate schrumpfe, die Zeit der großen Expansion sei vorbei, andererseits sei aber die Preissteigerung noch nicht zu Ende.
Ich bin der Meinung, daß wir den Antizipationseffekt bereits haben, daß der gar nicht mehr hervorgerufen werden kann. Mein Kollege Schiller hat in seiner vornehmen, zurückhaltenden Art

(Heiterkeit und Oh-Rufe bei den Regierungsparteien)

— lassen Sie mich ruhig einmal zu Ende kommen!
— gesagt, das Jahr 1966 stehe noch aus. Ich möchte hier ein bißchen konkreter werden, was die Preisentwicklung 1966 angeht, und die Regierung etwas eindringlicher befragen.
Die Bundesregierung möchte unter der Preisrate des Sachverständigenrates für 1966 bleiben. Das bedeutet ein bewußtes Einschwenken in Richtung auf eine Deflationspolitik. Wenn Sie das bestreiten wollen, bitte ich Sie, vorher die Statistiken des Statistischen Bundesamtes, die ja ebenfalls vorhin als neutral bezeichnet worden sind, genau zu über-



Frau Dr. Krips
prüfen und auszuwerten. Wenn man schon bei einer Lohnrunde davon spricht, daß man nicht vom Jahresdurchschnitt 1965 ausgehen könne, sondern vom Dezember-Stand ausgehen müsse, dann gilt dies um so mehr bei der Preisbetrachtung.
Ich meine, jetzt sollten wir auch einmal ein wenig rechnen. Selbst wenn man unterstellen wollte, daß seit dem Jahresanfang keine zusätzlichen Preiserhöhungen mehr erfolgen werden, dann ergibt der Jahresdurchschnitt 1965 gegenüber 1966 bei den industriellen Erzeugerpreisen einen Preisanstieg von 0,8 %. — Ich brauche Ihnen die Indexzahlen hier wohl nicht vorzutragen; Sie können sie in den Veröffentlichungen des Statisfischen Bundesamtes nachlesen. — Bei den reinen Investitionsgütern wären es etwa 0,7 %, bei den reinen Verbrauchsgütern 0,8 % und bei den Wohngebäuden etwa 1 % Preisanstieg.
Der Geldwert ist nicht exakt erfaßbar; aber die Geldentwertung ist daran meßbar, ob und in welchem Umfange sich der einzelne Mitbürger mit seinen Ersparnissen seinen Lebensabend gestalten kann. Das Ansparen eines Autos ist für sich kein Indiz für den Geldwert; hier kann er unter Umständen sogar Preissenkungen mit einkalkulieren. Entscheidend für jeden Verbraucher ist aber der Warenkorb, dessen Inhalt sich im Preisindex für die Lebenshaltung widerspiegelt, und unter den soeben genannten Annahmen — wenn also keine zusätzlichen Preissteigerungen erfolgen — beträgt der Preisanstieg im Jahresdurchschnitt bei den Verbraucherpreisen mindestens 1,7 %. Ich war jetzt noch so nett, die neuen Januarzahlen nicht in die Berechnung einzubeziehen. Ich habe es aber soeben einmal durchgerechnet, und dann ergibt sich bei den Verbraucherpreisen bereits jetzt, Januar-Stand gegenüber Jahresdurchschnitt 1965, eine Preissteigerungsrate von über 2 %.
Ich möchte an dieser Stelle sofort den Einwand entkräften, bei diesen Verbraucherpreisen spielten autonome Sonderfaktoren eine Rolle, und Ihnen auch die letzte Illusion rauben. Denn auch der Preisindex für die Einzelhandelspreise, der also die Mieten und die Verkehrstarife unberücksichtigt läßt, steigt unter der soeben genannten Prämisse auf 1,6 %. Das wäre dann also der solide Hausvater, Herr Bundeskanzler Erhard.
Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang noch einmal die Preissteigerungsraten der letzten vier Legislaturperioden ins Gedächtnis zurückrufen: 1,2 %, 5,2 %, 7,2 % und dann in der vierten Legislaturperiode 11,9 %. Sie brauchen die Zahlen nicht zu überprüfen; das hat das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung bereits vor der Wahl getan.
Aus diesen Zwangsläufigkeiten, die sich aus der Statistik ergeben, — damit hier kein Mißverständnis entsteht: das sind also einfache Fortschreibungen, das hat nichts mit einer Globalsteuerung oder Globalvorausschätzung zu tun, sondern ist einfach eine statistische Fortschreibung mit dem Rechenschieber — aus diesen Zwangsläufigkeiten, die nichts mit Lohnrunden zu tun haben, ergeben sich dann bereits jetzt mindestens 2 % Preissteigerung für das Jahr 1966. Wie die Bundesregierung bei dieser Sachlage zur Preisstabilität innerhalb eines Jahres gelangen will, ist mir allerdings unbegreiflich.

(Beifall bei der SPD.)

Da mein Kollege Schiller ebenfalls rechnen kann, hat er deshalb gesagt: wir brauchen einen längeren Zeitraum, und ich halte das für durchaus solider als die Ziffer 18 in der Stellungnahme der Bundesregierung.
Sicherlich kann man politisch darüber streiten, ob nicht eine Entzerrung im Gefüge der politischen Preise erforderlich ist, wobei die Wahl des richtigen Zeitpunktes nicht ,von untergeordneter Bedeutung sein dürfte. Aber wenn man einen derartigen Entschluß faßt, dann läßt sich die Entzerrung einer mehr als zehnjährigen Politik nicht in einem Jahr erreichen, ganz davon abgesehen, daß sie kaum dann möglich .sein dürfte, wenn durch die Konjunkturauftriebstendenzen die Preise sowieso hoch sind und uns nun auch noch Erhöhungen der Posttarife und der Frachtsätze lbeschert werden; Herr Bundesminister Stücklen hat uns das ja heute früh in der Fragestunde noch bestätigt. Vielleicht wird uns dann die Bundesregierung, die uns am 1. Januar 1965 im Boom eine Steuersenkung brachte, womöglich im 'wirtschaftlichen Tiefpunkt der nächsten Jahre Steuererhöhungen diktieren.
Wir sind deshalb der Meinung, daß unser eigenes Preisstabilisierungsprogramm über vier Jahre oder das der Sachverständigen mit einer Verteilung der Preisraten über einen Zweijahreszeitraum besser sind als bloße Angaben der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD.)

Ich bin durchaus der Meinung, daß wir diese Fragen in Hearings hier im Wirtschaftsausschuß — oder wo auch immer — etwas näher beleuchten sollten, auch mit dem vielgeschmähten Rechenschieber.
Es gibt manche, die in dieser Situation der Preis-und Geldwertlabilität der Bundesregierung und ihrem Kanzler zurufen: „Landgraf, werde hart!" Aber ich glaube, diese Härte hat nur dann einen Sinn, wenn der Erkenntnis begangener Fehler eine realistische Einschätzung unserer Lage vorausgeht. Ich glaube, dazu war die Fortschreibung dieser einfachen Statistik vielleicht ein Beitrag. Denn um mit Friedrich Rückert zu sprechen:
Das sind die Weisen,
die durch Irrtum zur Wahrheit reisen. Die bei dem Irrtum verharren,
das sind die Narren.
Es bleibt mir deshalb zum Schluß nur übrig, der Bundesregierung zu wünschen, daß sie diesen Weg zur Weisheit findet.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502224100
Das Wort hat der Abgeordnete Opitz.




Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0502224200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Dichgans hat gestern zur Geschäftsordnung hier einige Worte gesagt, die mich stark beeindruckt haben, weil ich in dieser Frage mit Herrn Kollegen Dichgans weitgehend übereinstimme. Wenn es auch zu keinem Beschluß gekommen ist, will ich mich doch freiwillig bemühen, dem Vorschlag des Herrn Kollegen Dichgans zu folgen und nicht länger als eine Viertelstunde zu sprechen, vor allen Dingen deshalb, weil ich nicht mitschuldig werden möchte, daß gegebenenfalls am Ende irgendein Mitglied dieses Hauses infolge Weiberfastnacht Schaden an Leib oder gar an der Seele nimmt.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502224300
Damit haben Sie zwei Minuten Ihrer Viertelstunde schon verbraucht.

Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0502224400
Bitte schön, Herr Präsident, hatten Sie etwas dagegen?
Die Bundesregierung schreibt in ihrer Stellungnahme zum zweiten Jahresgutachten, der Sachverständigenrat habe in anerkennenswerter Weise versucht, die oft verwickelten Zusammenhänge des wirtschaftlichen Geschehens und den Einfluß wirtschaftspolitischer Maßnahmen auf den gesamtwirtschaftlichen Ablauf zu klären. Ich glaube, diese Stellungnahme kann von allen Mitgliedern dieses Hauses unterstrichen werden.
Für uns alle stellt sich aber außerdem die Frage, ob wir alle auftretenden Probleme nur gesamtwirtschaftlich sehen dürfen oder ob es nicht unsere Aufgabe ist, festzustellen, wo und wodurch sich für ganze Wirtschaftszweige nachteilige Entwicklungen abzeichnen. Die Bundesregierung stellt fest, daß die Aufgabe des Staates zum großen Teil eine Umverteilung von Einkommen sei. Ich glaube, es gehört auch zu den Aufgaben des Staates, die durch die wirtschaftspolitische Entwicklung unverschuldet — ich betone ausdrücklich: unverschuldet! — in eine schlechte, bedenkliche Situation geratene lohnintensive und mittelständische Wirtschaft zu erhalten. Ich glaube, daß das eine eminent wichtige Aufgabe zur Erhaltung unseres individuellen Lebenszuschnitts in der Bundesrepublik ist. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, und es ist wohl auch nicht alles gut, was an wirtschaftlicher Entwicklung und wirtschaftlicher Vorstellung von jenseits des Ozeans zu uns herüberkommt. Manchmal fürchte ich, daß wir mit deutscher Gründlichkeit wirtschaftspolitische Fehlentwicklungen nachholen wollen, die andere Länder schon längst erkannt haben.
Wie aus dem Gutachten auf Seite 66 hervorgeht, hat sich der Anteil der unselbständig Tätigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen von 1950 bis 1964 von rund 68 auf 80 % erhöht. Also haben selbständig Tätige ihre Selbständigkeit dementsprechend aufgegeben oder aufgeben müssen. Ich glaube, wir sollten einmal überlegen, ob das Leben wirklich noch so lebenswert ist, wenn z. B. eines Tages kein Mensch mehr bereit sein wird, einem anderen Menschen gegenüber Dienstleistungen zu erbringen, und ob dann wirklich das Freizeitproblem richtig gelöst ist, wenn wir die Wochenenden vielleicht dazu benutzen müssen, die nötigsten Aufgaben und Arbeiten in der Familie, vom Haarschneiden angefangen bis zum Schlossern und Schreinern, zu erledigen, unter dem Motto: Schloß kaputt, eine neue Tür kaufen. Wenn die Steigerungsergebnisse je Arbeitsstunde in den ausgewählten Industriegruppen — vergleiche Seite 61 des Gutachtens — schon einen Unterschied von +4,8 bis +15,7 % im Jahre ausweisen, dann ist, glaube ich, schon allein daraus ersichtlich, wie unterschiedlich sich die Lohnkosten und die damit verbundenen Soziallasten auf die verschiedenen Wirtschaftszweige auswirken und auswirken müssen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich spreche mich damit nicht gegen begründete Lohnsteigerungen aus. Ich will nur aufzeigen, daß sich die Wettbewerbssituation der lohnintensiven und mittelständischen Wirtschaft durch jede Lohnsteigerung und die damit verbundenen Steigerungen der Soziallasten zwangsläufig verschlechtern muß. Darüber hinaus muß die lohnintensive Wirtschaft in zunehmendem Maße die Soziallasten der Wirtschaft übernehmen und tragen, die durch Rationalisierung und Mechanisierung in der Lage ist, die Zahl ihrer Beschäftigten enorm zu senken. Das heißt, sie muß die Kosten für Sozialaltlasten erwirtschaften, die sie gar nicht verursacht hat, d. h. sie muß Sozialhilfe für die Wirtschaft leisten, die sich sowieso schon in einem immer stärker werdenden Trend zur Konzentration befindet. Hier liegt, glaube ich, ein Problem vor uns, das sicherlich noch in keinem Staat zufriedenstellend gelöst ist.
Wir sollten uns aber nicht durch eine Reihe überkommener Praktiken, durch eine Reihe überkommener Vorstellungen davon abhalten lassen, ernsthaft nach einer neuen Bemessungsgrundlage für die Soziallasten zu suchen.

(Beifall bei der FDP.)

Die jetzige Form der Aufbringung ist für einen Teil der Wirtschaft einfach nicht mehr tragbar. Sie wird die Konzentrationstendenz ohne weiteres weiter begünstigen. Ich glaube, auch aus Gründen der Sozialpolitik selbst wäre es gut, wenn man zu einer neuen Sozialbemessungsgrundlage käme, um die Fragen der Sozialpolitik aus einem politischen Druck herauszubekommen. Es ist einfach Unsinn, wenn man von Zeit zu Zeit glaubt, immer wieder feststellen zu müssen, das Handwerk oder die mittelständischen Kreise seien sozialreaktionär. Sie sind nicht sozialreaktionär, sondern sie sind in diesen Fragen einfach an der Grenze des Möglichen angekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Wer hat sie denn dahin gebracht?)

Wir müssen uns ernsthaft überlegen, welche neue Form und welche neuen Möglichkeit wir finden können. Ich wäre dankbar, wenn Sie uns dabei behilflich sein könnten. Ich bedaure allerdings auch im Zusammenhang mit der Konzentration, daß wir bisher noch nicht die Möglichkeit hatten, die vorliegende Konzentrationsenquete zu diskutieren und aus ihr die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.



Opitz
Wenn zur Zeit 75 % aller deutschen Betriebe weniger als 50 Arbeitskräfte beschäftigen und am Gesamtvolumen der Wirtschaft in der Bundesrepublik nur noch mit rund 10 % beteiligt sind, dann sollte uns auch das bei der Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung erheblich interessieren, und zwar im Hinblick auf unsere deutsche Situation, aber auch im Hinblick auf Europa und auf eine europäische Entwicklung.
Fast in einem Kausalzusammenhang mit der Frage der Löhne und Sozialleistungen steht für die lohnintensive Wirtschaft die Frage der Arbeitszeit oder die Frage der Arbeitszeitverkürzung. Alles, was für die Löhne, und alles, was für die Sozialleistungen gilt, gilt auch hier im Hinblick auf die lohnintensive Wirtschaft. Ich glaube, keiner hat die Diskussion um eine Stunde Mehrarbeit mehr begrüßt als gerade die lohnintensive Wirtschaft.
Wir sollten fernab von aller Polemik in aller Ruhe und Sachlichkeit noch einmal prüfen, ob nicht doch durch eine Lohnsteuerbefreiung der Überstunden auf freiwilliger Basis die Möglichkeit besteht, dieser Wirtschaft und vor allen Dingen auch weiten Kreisen der Arbeitnehmer eine Chance anzubieten, die für alle Beteiligten auch gesamtwirtschaftlich von Vorteil wäre.

(Beifall bei der FDP.)

Das gleiche gilt natürlich auch für die Frage der Teilzeitarbeit. Auch hier wird es nötig, durch großzügige Möglichkeiten auf Steuer- und sozialpolitischer Ebene einen Anreiz zu Mehrarbeit zu schaffen. Ich bin nach wie vor der Meinung — es ist heute hier wiederholt von Wohlstand gesprochen worden —, daß die Erhaltung und Erweiterung des Wohlstandes nur durch mehr Arbeit und nicht durch weniger Arbeit zu erreichen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Matthöfer: Wie steht es mit der Volksgesundheit?)

— Ich habe Sie gerade gebeten, wir sollten diese Frage fernab von aller Polemik diskutieren. Ihre Frage ist von einer derartig polemischen Art, daß ich es ablehne, sie überhaupt zu beantworten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502224500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rudolf Opitz (FDP):
Rede ID: ID0502224600
Nein.
Wir sollten uns mit der Frage der Eigenkapitalbildung in mittleren und kleinen Betrieben befassen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Sosehr ich die vielen Kreditprogramme und Kredithilfen begrüße, glaube ich, daß es besser wäre, diesen Betrieben die Möglichkeit zur Eigenkapitalbildung zu verschaffen, statt ihnen dann, wenn es vielleicht schon zu spät ist, Kredite anzubieten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Wir sollten die Fragen der Abschreibungen neu überprüfen und sie der technischen Entwicklung anpassen, auf daß nicht Steuer bezahlt wird auf eventuelle Scheingewinne, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind. Wir sollten und wir müssen bei der Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Lage dafür Sorge tragen, daß nicht ein Teil unserer Wirtschaft in eine immer schlechter werdende Wettbewerbsssituation gerät.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502224700
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502224800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich zu dem Sachverständigengutachten Stellung nehme, dann schicke ich die Anerkennung der Leistung und meinen Dank für diese Arbeit voraus. Das kann mich aber nicht hindern, auch kritische Worte dazu zu sagen. Ich nehme nicht an, daß Herr Kollege Schiller als Professor der Nationalökonomie in diesem Gutachten eine Offenbarung erblickt. Denn ich glaube, daß jeder, der über diese Dinge nachdachte, sich mit der Problematik, wie sie dort dargestellt wurde, auseinandergesetzt hat. Bei aller Anerkennung der Notwendigkeit, die Situation kritisch zu würdigen, bin ich doch nicht bereit, denen zu folgen, die fast den Eindruck erwecken wollen, als hätten wir es hier mit einer Art von Heiliger Schrift zu tun, die für uns absolut verbindlich sei. Derart große Töne sind nicht angebracht. Das Gutachten scheint mir auch keinen Anlaß zu bieten, von einer Herausforderung zu sprechen.
Wenn Kollege Schiller dann exemplifiziert, es bleibe alles beim alten, so möchte ich ihm sagen: nein, es bleibt eben nicht alles beim alten. Wie oft habe ich in diesem Hause verkündet, daß es notwendig ist, sich umzustellen auf eine neue Zeit, auf neue Entwicklungen!

(Beifall in der Mitte.)

Sehr viel richtiger ist es, die Mahnung auszusprechen: Bilden Sie sich nicht ein, daß alles beim alten bleibe!

(Abg. Matthöfer: Auch in der CDU nicht! — Abg. Seuffert: Das kann man wohl sagen!)

Meine Damen und Herren, nirgends bleibt alles beim alten.

(Zuruf von der SPD: Eben, eben!)

In der Rede von Professor Schiller wird eine Stelle des Gutachtens zitiert: „Ein neuer Kurs für Wirtschaftspolitik wird eingeschlagen", im wesentlichen eine „konzertierte Aktion" aller wichtigen Wirtschaftsgruppen unter eindeutiger Führung der Bundesregierung. — Meine Damen und Herren! Das ist zu schön, um wahr zu sein. Denn ich habe bisher die Erfahrung gemacht, daß, wer nicht sehen, auch nicht hören hören will. Ich möchte zudem wissen, welche Reaktion es hervorrufen würde, wenn sich die Bundesregierung tatsächlich die Führung für die Gesamtwirtschaft anmaßen wollte.

(Abg. Seuffert: Große Überraschung!)




Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
Hier sind Probleme angesprochen, die bisher mit Recht als unantastbar gegolten haben, z. B. die Tarifautonomie.

(Abg. Wehner: Sehr typisch, daß Sie damit anfangen!)

An Orientierungshilfen, die gefordert werden, hat es wirklich nicht gefehlt. Wer sich objektiv und ohne egoistische Eigenbrötelei mit der Problematik der Leistungskraft der Volkswirtschaft auseinandersetzen wollte, der konnte nicht sagen, daß es ihm an Material gefehlt hätte, sich objektiv und sachlich zu orientieren.
Es ist auch nicht richtig, wenn hier gesagt wurde, daß irgend jemand, sei es die Regierung, seien es die Koalitionsparteien, die Verantwortung für die Geldwertstabilität den Gewerkschaften zuschieben wolle; es ist dabei vom „Schwarzen Peter" gesprochen worden. Das hat niemand behauptet! Aber es trifft auch umgekehrt nicht zu, daß etwa immer nur Preissteigerungen der Anlaß für Forderungen der Gewerkschaften gewesen seien. Hier handelt es sich um ein Sowohl-Als-auch, um eine Wechselwirkung, bei der die Kausalität nicht zu fixieren ist. Ich weise indessen die Unterstellung zurück, daß wir den Schwarzen Peter für die Geldwertverdünnung ausschließlich den Gewerkschaften zuschieben wollten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502224900
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502225000
Jawohl.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502225100
Herr Abgeordneter Matthöfer zu einer Zwischenfrage.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0502225200
Herr Bundeskanzler, glauben Sie nicht, daß auch bei Preisstabilität die Löhne jährlich steigen müssen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502225300
Das sind doch wirklich olle Kamellen! Natürlich, bei Preisstabilität können die Löhne etwa in dem Umfang des erreichten Produktivitätszuwachses steigen. Diese Weisheit haben wir uns doch schon an den Schuhsohlen abgelaufen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Herr Kollege Schiller, ich hätte gewünscht, daß Sie diese sachliche Aussprache nicht mit Sottisen würzen. Ich halte es für unter Ihrem Rang als Wissenschaftler, abgeleierte Walzen aufzulegen, die heute nur noch von den allerbilligsten Journalisten gebraucht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Was soll dieses Gerede von der „Entschlußlosigkeit dieser Regierung"?

(Zurufe von der SPD.)

Hat diese Regierung etwa nicht gehandelt, als es Zeit gewesen ist?

(Sehr gut! in der Mitte.)

Hinzu kommt noch die bemerkenswerte Aussage: Mit den „Ladenhütern" von 1948 und 1949 könne man nicht weiter operieren. Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie diese „alten Ladenhüter" in Ihrem Godesberger Programm der staunenden Offentlichkeit als Nouveauté angeboten haben.

(Erneuter Beifall bei den Regierungsparteien.)

Diese „alten Ladenhüter" sind auch heute noch — natürlich nicht in der Erstarrung — die Grundlagen unserer Politik.

(Abg. Wehner: Ein tolles Niveau! — Weitere Zurufe von der SPD und Gegenrufe von der Mitte.)

Dann ist von den' „Schattenkämpfen" um die mittelfristige Wirtschaftspolitik in Straßburg und in Brüssel gesprochen worden. Ich meine, Herr Kollege Schiller, daß wir in dieser Frage — es geht um die sogenannte Planifikation — im Grunde genommen gar nicht so weit auseinander lagen. Jedenfalls aber entsinne ich mich noch der belebten Aussprache in Straßburg und des Freudentaumels der Abgeordneten der SPD, als dort die Planifikation als neue Heilslehre verherrlicht wurde.

(Ach-Rufe von der SPD.)

Davon spricht heute niemand mehr. Weder in Brüssel noch in Paris wird noch von Planifikation gesprochen. Das alles ist tot, hat sich totgelaufen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Wer hat Ihnen denn das erzählt? Das sind Ammenmärchen! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Im übrigen gibt es ja charakteristische Beispiele. Ich wundere mich nur darüber, daß daraus keine Nutzanwendungen gezogen werden, ich meine in der Weise, wie sie Kollege Luda angesprochen hat. Wir haben beispielsweise einen Wissenschaftsplan über die Errichtung von Hochschulen aufgestellt. Darin war vereinbart, die Bundesregierung solle die Hälfte der Kosten beisteuern. Da waren Beträge von 200 bis 250 Millionen für die Bundesregierung im Spiel. Wer würde heute noch in Erkenntnis dessen, was notwendig ist, in mittelfristiger oder in langfristiger Planung von 200 Millionen oder von 250 Millionen, verdoppelt also von 400 Millionen oder von 500 Millionen sprechen? Die Wirklichkeit ist einfach über uns, d. h. über die Planung, hinweggegangen. Die Notwendigkeiten waren stärker als alle Planzahlen und alle Planvorstellungen, und so wird es in aller Zukunft bleiben, es sei denn, daß wir von einer freien Gesellschaftsordnung wieder zum Zwang übergehen wollten.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Interessant war ja, zu hören, daß die Anträge der SPD — das war mir entfallen — zur schrittweisen Zurückdrängung der Inflation auch den Plan beinhalteten, die Preissteigerungsrate von 3 % in drei Jahren auf 0 % zurückzuführen. Woher bezogen Sie eigentlich diese Weisheit? Waren Sie denn vorher von dem Gutachten unterrichtet, oder ist das Gut-



Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
achten Ihnen gefolgt? Das ist eine so merkwürdige Übereinstimmung in der Aussage,

(Sehr richtig! in der Mitte)

daß diese Fragestellung wohl berechtigt ist.

(Abg. Matthöfer: Ist es merkwürdig, daß jemand mit Wissenschaftlern übereinstimmt?)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502225400
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte, Herr Abgeordneter Schmidt.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0502225500
Herr Bundeskanzler, können Sie sich nicht vorstellen, daß sowohl auf seiten der Gutachter als auch auf seiten der Sozialdemokratischen Partei nichts anderes am Werk gewesen ist als Sachverstand?

(Beifall bei der SPD. — Lachen in der Mitte.)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502225600
Das ist keine Antwort auf meine Aussage. Ich stellte ja nur den Zufall fest.

(Zurufe von der SPD.)

Im übrigen: Sie spielen hier die Tugendbolde und sagen, was Sie alles getan haben, um für die Stabilisierung zu sorgen und die Preissteigerungen zurückzudämmen; Sie sprechen aber mit keinem Wort von den Anträgen, die Sie gleichzeitig eingereicht haben, um die Ausgaben der öffentlichen Haushalte noch weiter zu steigern.

(Beifall in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

— Ich kann mich mit Ihnen sachlich über das unterhalten, was Sie zur Konjunkturpolitik und zum konjunkturpolitischen Programm sagen. Natürlich gibt es da nicht nur e i n Rezept; es gibt kein alleinseligmachendes Mittel. Die Konjunktur hat nicht nur nach einer Seite hin zu wirken, sondern nach beiden Seiten, je nach der Situation. Wir stehen auch nicht allein in der Welt, und schon deshalb wissen wir, daß wir uns nicht auf irgendeine erstarrte Vorstellung festlegen dürfen.

(Zustimmung rechts.)

Unsere eigenen Entscheidungen werden von der inneren Entwicklung, aber — bei offenen Märkten und immer engerer Bindung zwischen .den Volkswirtschaften — nicht minder auch von außen bestimmt.

(Zustimmung in der Mitte.)

Ich kann Ihnen z. B. sagen, daß bei meiner Reise nach Paris die Frage eine Rolle gespielt hat, was etwa der Wechsel oder die Umbildung in der Regierung in bezug auf eine Änderung der französischen Wirtschaftspolitik bedeuten könne. Ich würde einen Kurswechsel beklagen, denn in dem Augenblick, da wir mit allen Mitteln bemüht sind, die Wirtschaft fester in den Griff zu bekommen und die Stabilität zu sichern, wollen wir vom Ausland her keine vermeintliche Entlastung erfahren. Dieser Hinweis zeigt, wie sehr wir uns nicht nur im eigenen Raum bewegen, sondern wie wesentlich unsere konjunkturpolitischen Entscheidungen auch von außen in unserer nationalen Volkswirtschaft wirksam werden. Es wird also nicht nur e i n Rezept geben, sondern es werden viele Mittel zur Anwendung kommen müssen.
Aber das war der Teil Ihrer Abhandlung, zu dem ich nichts Besonderes zu sagen, ja, eine Zustimmung zu geben habe.
Es war darum auch falsch, daß Sie den Kollegen Schmücker kritisierten, weil er hier nur ein GesamtTableau vorgezeigt hat. Mehr konnte er nicht tun, denn man kann nicht jedes konjunkturpolitische Mittel und Instrument ausleuchten, weil man bei jedem dazu in einem eigenen Vortrag sagen müßte, in welcher Situation und unter welchen Gegebenheiten , dieses oder jenes Instrument anwendbar wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Aber ich glaube, in dieser Sache sind wir uns einig.
Wo die Dinge problematisch werden und wo unsere Meinungen auseinandergehen, das ist die Frage der einkalkulierten Inflationsrate.

(Sehr richtig! bei der FDP.)

Ich habe mich auch in dem Interview in der „Welt am Sonntag", das hier zitiert wurde, zunächst einmal an die Zahl des Sachverständigengutachtens gehalten — nämlich Produktivitätszuwachs von 4 % — und dazu gesagt — —

(Abg. Leber: Also doch! Das ist gestern hier bestritten worden!)

— Moment! Ich habe dazu gesagt, daß mir der Abbau der Preissteigerungen — stufenweise in drei Jahren — eine problematische Angelegenheit zu sein scheint. Es ist mir zu mechanistisch gedacht, anzunehmen, man könnte diesen Prozeß zeitlich exakt fixieren und festlegen, was notwendig wäre, um von einer Preissteigerung von 3 % auf 2 % auf 1 % und 0 % zu kommen. Diese Rechnung wird niemals aufgehen, denn sie wird von tausend Elementen gestört werden; das kann ich Ihnen sagen. In dem Ziel aber, die Preisstabilität zu sichern, die Preise nicht weiter ausufern zu lassen, sind wir uns einig. Aber Sie werden mir doch nicht sagen wollen, wenn ich weniger weit zu gehen bereit bin- als Sie, wenn ich nicht der Meinung bin, daß wir 4 % plus 2 % anerkennen müßten, daß ,das dann ein echter Gegensatz zwischen uns sei. Meine Aussage lautet vielmehr dahin, daß wir gar nicht schnell genug und gar nicht energisch genug ,auf die Stabilität hinarbeiten können

(Beifall bei der CDU/CSU)

und uns dabei nicht in Fristen bewegen sollten.
Im übrigen hat dieser Gedanke etwas sehr Gefährliches. Da ist z. B. eine Vorstellung aufgekommen, man solle den Zins gliedern, einmal in das Entgelt für die Kapitalleihe und dann noch einen Entwertungsfaktor dazuschlagen. Ich möchte die Volkswirtschaft sehen, die damit operieren könnte, ohne



Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
mit solchen Prinzipien nicht geradezu in die Inflation hineinzulaufen. Das ist doch selbstverständlich.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich gebe Ihnen zu, daß die Konjunktur auch von der Angebot- und Nachfrageseite her beeinflußt werden kann

(Glocke des Präsidenten)

und daß sie einer strukturpolitischen Ergänzung bedarf. Da gibt es — —

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502225700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502225800
Herr Bundeskanzler, geben Sie also zu, daß Sie in diesem entscheidenden Punkte den Stufenplan, den der Rat vorgeschlagen hat, ablehnen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502225900
Ich möchte noch schneller, als es der Stufenplan will, aus der inflationären Entwicklung herauskommen.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD.)


Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502226000
Herr Bundeskanzler, können Sie ungefähr den Zeitablauf andeuten —

(Zurufe von der Mitte)

darf ich meine Frage zu Ende bringen —, in dem Sie von augenblicklich 4,2 % auf eine Preissteigerungsrate von 0 % kommen wollen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502226100
Nein, Herr Kollege Schiller, die Frage kann ich so nicht beantworten, denn in diesen Kategorien denke ich nicht; sie sind mir zu planwirtschaftlich, zu mechanistisch.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502226200
Eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0502226300
Herr Bundeskanzler, ohne Sie auf Jahre festlegen zu wollen: Können Sie wenigstens sagen, daß Sie die Preissteigerungsrate im Laufe dieser Legislaturperiode, für die Sie im Augenblick ins Amt berufen sind, auf 1 % herunterdrücken können?

(Zuruf von der CDU/CSU: Wenn Sie keine Anträge auf Mehrausgaben stellen!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502226400
Das ist die gleiche Frage. Die kann ich nur mit den gleichen Worten beantworten.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502226500
Eine zweite Zwischenfrage.

(Hamburg Ich komme noch dazu, wenn ich von der Führerschaft der öffentlichen Haushalte hinsichtlich der Preisstabilität spreche; Ihre Frage wird beantwortet werden. Es war, Herr Kollege Schiller, in Ihren Ausführungen vom Sparförderungsprogramm die Rede. Sie leisteten dazu eine Aussage, die ich vielleicht mißverstanden habe, und ich möchte sie nicht fehlinterpretieren. Sie meinten, die Bundesregierung sei damit auf dem falschen Wege. Man sollte in dieser Hinsicht die Einkommen mit hoher Konsumquote begünstigen. Darf ich einmal fragen, was das für Einkommen sind: Sind das die hohen Einkommen schlechthin, oder sind es die niederen oder mittleren Einkommen, von denen verhältnismäßig viel konsumiert wird? Das können Sie doch gar nicht erfassen. Es ist unmöglich zu sagen: ich begünstige diese Art von Einkommen. Dabei muß man doch die ganze Breite der Einkommenstreuung und die sehr differenzierte Höhe der Einkommen berücksichtigen. Nach welchen Maßstäben wollen Sie entscheiden, ob ein Einkommen eine höhere oder niedrigere Konsumquote hat? Der Begriff ist mir zu schillernd, um es ganz deutlich zu sagen; damit kann ich nichts anfangen. Wenn ich Wirtschaftspolitik treiben will, dann kann ich nicht sagen, die Einkommen mit zu hoher — — (Abg. Wehner: Sie bleiben mit solchen Geschichten derselbe wie im Wahlkampf! Diese Art, die Sie sich von Ihrem Gehirntrust beibringen lassen, am Namen herumzumachen! Herr Kanzler, das ist unter Ihrem Niveau!)

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502226600
Herr Kollege Wehner, wenn in dieser Debatte kabarettistische Einlagen geleistet worden sind, dann nicht von mir; das ist vorher gemacht worden.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Wehner: Jetzt haben Sie es nachgeholt!)

Ich möchte jedenfalls mehr darüber hören, welches die Einkommen mit hoher Konsumquote sind, die eine Sparförderung verdienen.
Dann geht es weiter: Stabilisierungsaktion ohne Stagnation. Ja, meine Damen und Herren, das will auch ich; davon können Sie überzeugt sein. Ich glaube aber nicht, daß das ein Bekenntnis zu einem quantitativen Ziel voraussetzt. Jeder Volkswirt kennt die Schwierigkeit: Ausweitung einer Volkswirtschaft, Steigerung des Wachstums, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Preisstabilität. Die Dinge werden noch neuralgischer, wenn Sie die dritte Komponente, das außenwirtschaftliche Gleichgewicht mit in Rechnung stellen. Ich bin schon der Meinung, daß die Stabilisierungsaktion ohne Stagnation vor sich gehen soll. Aber wenn das nicht nur so dahingesprochen sein soll, beinhaltet es eine Fülle schwerwiegender Probleme. Man



Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
sollte hier nicht den Eindruck erwecken, als ob man durch eine bloße Aussage schon etwas heilen könnte.

(Beifall in der Mitte.)

Jedenfalls haben wir an diese Dinge auch gedacht.

(Zuruf von der SPD: Gedacht!)

Das Kernstück — ich sage es noch einmal — ist bei Ihnen also der stufenweise Abbau der Preissteigerungen. Dazu sagten Sie, die Antwort stehe aus, die Regierung solle sich dazu äußern, ob sie zu dem stufenweisen Abbau der Preissteigerungen bereit sei. Ich sage ganz deutlich; die Regierung ist bereit, alles zu tun, um zu einem Abbau der nach aufwärts gerichteten Preistendenz beizutragen, aber die Regierung ist nicht bereit, den Vorschlag des Sachverständigengutachtens als das alleinige Mittel hierzu anzuerkennen.
Der Rat sagt — und damit komme ich auf Ihren Einwand —, daß der Staat Vorleistungen erbringen und mit gutem Beispiel vorangehen müsse. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden; aber ich glaube, damit sind wir alle angesprochen.
Darf ich aber noch etwas sagen. Es bestehen meines Erachtens grundlegende Unterschiede in der Ausgabengebarung der öffentlichen Haushalte und der Einkommensverwendung der Privaten. Das gilt für Bund, Länder und Gemeinden gleichermaßen, und zwar unabhängig davon, ob rouge oder noir, wie Sie das gestern so schön bezeichnet haben. Das ist eine Frage, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben. Die Ausgaben des öffentlichen Haushalts betreffen ja nicht nur, möchte ich sagen, die eigenen Ausgaben, die Finanzausgaben des Staates. Sie setzen sich zusammen aus Einkommensumlagerungen und schließlich auch aus der Notwendigkeit zu Investitionen. Das wird sich gerade im Hinblick auf die Gemeinschaftsausgaben in Zukunft noch sehr viel deutlicher ausprägen. Ich kann also die Ausgaben der öffentlichen Haushalte und die Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht ohne weiteres als etwas qualitativ Gleichwertiges in Verbindung setzen mit den Einkommensanforderungen und den Ausgaben der Privaten in unserer Volkswirtschaft, gleich, ob es sich um Unternehmer, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer handelt. Das sind grundlegende Unterschiede. Sie können es bei Ihren Kollegen in den Ländern und in den Kommunen erfahren, wie sehr unterschiedlich die Dinge sind, — was nicht besagt, daß wir kein gutes Beispiel zu geben hätten. Im Gegenteil soll uns die Anklage eine ständige Mahnung sein, wenn diese gravierenden Unterschiede auch nicht zu verkennen sind. Ich glaube, daß Ihre ganze Fragestellung nach der Sexte oder der Quart an dem Problem vorbeigeht. Unsere ganze Diskussion hat sich meines Erachtens zu sehr auf diese Fragestellung zugespitzt, so als ob es nur diese beiden Lösungen gebe, die 6 oder die 4. Das ist doch blanker Unsinn, um es einmal deutlich zu sagen. Das sind Beispiele, das sind Modelle, die gesetzt worden sind, aber das ist doch nicht die lebendige Wirklichkeit. Wollen Sie etwa den Gewerkschaften sagen: Sie stehen vor der Entscheidung „6 oder 4"? Oder soll ich eine solche Empfehlung geben? Ich denke nicht daran, abgesehen davon, daß ich überhaupt keine Empfehlung gebe; denn ich möchte die Freiheit der Tarifpartner erhalten.

(Beifall in der Mitte. — Abg. Leber: Sind Sie sich bewußt, daß Sie schon eingegriffen haben, wenn Sie überhaupt eine Zahl nennen, wie das geschehen ist? Das wird doch so aufgefaßt!)

Die einzig richtige Zahl, die man mit Sicherheit benennen kann — und nicht einmal das in absoluter Weise —, ist der voraussichtliche Produktivitätszuwachs im Jahre 1966.

(Abg. Leber: Ist das der alleinige Maßstab für alles übrige?)

— Nein, das ist nicht der alleinige Maßstab. Das weiß ich auch genau.

(Abg. Leber: Warum nennen Sie ihn dann?)

Immerhin hat auch das Sachverständigengutachten im Grunde genommen den Produktivitätszuwachs als Maßstab gesetzt

(Abg. Leber: Als einen Maßstab unter anderen!)

und die Quote des Rückgangs der Preissteigerung doch nur als ein zusätzliches Element betrachtet. Ich habe noch in keinem wissenschaftlichen Gutachten so deutlich gelesen, daß der eigentliche Maßstab der Einkommenssteigerung der Produktivitätszuwachs sei. Im übrigen ist es eine blanke Illusion, anzunehmen, daß man nun alle Ausgaben — seien es die Ausgaben der öffentlichen Hand, seien es die privaten Investitionen oder die öffentlicher Art oder der Konsum — auf eine gemeinsame rechnerische Formel bringen könnte. Das ist auch etwas, was mich an diesem Gutachten stört, daß so getan wird, als ob man von der Aussage ausgehen könnte, im Jahre 1965 waren die Dinge ausgewogen, und so möge es bleiben. Ich sage Ihnen, es ist in einer freien Wirtschaft völlig ausgeschlossen, die Investitionen offizieller oder privater Art, die Gewinne oder die Löhne oder die Preise in einem ganz bestimmten Verhältnis zueinander halten zu wollen. Das ist mit der Wirklichkeit einfach nicht in Einklang zu bringen.
Meine Damen und Herren, Sie wissen alle, wie ernst die Dinge sind. Ich gehe wirklich ungern auf die hier angeschlagenen polemischen Töne ein. Aber ich kann doch nicht anders als Antwort geben, um den Schaum wegzuwischen, um auf die Wirklichkeit unseres Lebens zu kommen.
Wir werden also, wie Sie so schön sagen, unser Spiel machen, und ich kann Sie nicht hindern, Ihr Spielchen weiter zu treiben. Aber wir sollten uns dabei verständigen wollen und, ich glaube, auch verständigen können. Keine Aussage, die ich hier geleistet habe, ist unversöhnlich gemeint, sondern es ist die Antwort, die ich zu geben habe. Die Frage, ob ich jetzt etwa à la baisse spekuliere, à la baisse eingestellt sei, kommt mir, muß ich sagen, etwas grotesk vor. Ausgerechnet ich, der ich die deutsche Wirtschaft fast mit Gewalt in die Expansion hineingetrieben habe, solange die Bedingungen, die Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Welt-



Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
markt, in der Ausschöpfung neu entstandener Kapazitäten, moderner Techniken gegeben waren, ich und
à la baisse — das ist ein Widerspruch in sich selbst.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber wenn Sie fragen, ob ich denn auch die Stabilisierung zur Deflation treiben möchte, dann sage ich Ihnen, daß ich das bestimmt nicht beabsichtige. Ich bin aber auch nicht der Meinung — um jetzt wieder in Ziffern zu sprechen —, mit 6 % gäbe es keine Deflation und mit 4 % müsse es unter allen Umständen eine Deflation geben. Wie wollen Sie denn das beweisen? Schauen Sie doch zum Beispiel nach Großbritannien und fragen Sie den britischen Premierminister Wilson, ob er bereit ist, 4 % oder 6 % zu geben. Der wird so wenig wie möglich geben wollen, um die Stabilität zu erhalten, — und das ist eine richtige Politik. Die sollten auch wir treiben und nicht mit „heiligen" Zahlen operieren. Wenn ich also gefragt werde, ob ich die Stabilisierungspolitik bis zur Deflation hin treiben wollte, dann lautet die Antwort: Das ist vollendeter Unsinn. Schon die Fragestellung ist vollendeter Unsinn, weil sie voraussetzt: eine bestimmte Zahl verbürgt die Stabilität, hier beginnt die Inflation, doch dort beginnt die Deflation. So liegen die Dinge nun wirklich nicht. Ich bin auch nicht der Meinung, daß man aus Angst vor einer Rezession glaubt, man müsse vorsorglich oder gar unter allen Umständen einen inflationistischen Kurs steuern. Hierbei geht es schon um eine Art Gratwanderung; d. h. es gilt, das gesunde Mittelmaß zu halten und das Instrumentarium der Konjunktur- und der Wirtschaftspolitik so anzuwenden, daß man auf alle Ereignisse, auf alle Wendungen und Wandlungen im nationalen Raum, seien sie wirtschafts- oder gesellschaftspolitischer Art, oder auf das, was von außen an uns herankommt, möglichst schnell und reagibel anworten kann. Das ist die Kunst der Wirtschaftspolitik, das ist die Regierungskunst und die Führungskunst, und nicht die Festlegung auf schematische magische Zahlen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber ich kenne ja dieses sozialistische Trauma vom Wachstumsfanatismus. Auch ich möchte Wachsturn haben, gesundes Wachstum, Expansion so weit
als möglich, aber immer unter Einhaltung der besagten Grenze. Aber Wachstum um des Wachstums willen, ohne Rücksicht auf das, was daraus folgt, lehne ich mit aller Entschiedenheit ab. Um es klar zu sagen: Wenn ich die Möglichkeit hätte, für das Jahr 1966 die Politik so zu steuern, daß wir weniger Wachstum, aber mehr Stabilität haben, dann wäre mir das sehr viel lieber als mehr Wachstum bei steigenden Preisen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.) Dann kommt in dem Gutachten:

Die im Jahre 1965 erreichte Relation zwischen
Lohn und Gewinn ... soll gehalten werden.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502226700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502226800
Ich habe darauf geantwortet. — Aber Sie brauchen z. B. nur die Statistik über das Steueraufkommen der verschiedensten Kategorien zu Hand zu nehmen. Betrachten Sie die Schwankungen in der Investitionstätigkeit, in den Kapitalaufnahmen im Ausland, dann werden Sie ganz deutlich finden, daß man solche Relationen einfach nicht starr halten kann. Man kann sie sich vorstellen als ein erstrebenswertes Ziel. Natürlich folgt jede Wirtschaftspolitik bestimmten Vorstellungen, aber nicht im Sinne einer erstarrten Festlegung auf irgendwelche feststehenden Zahlen oder Begriffe.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502226900
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502227000
Ja, bitte!

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0502227100
Herr Bundeskanzler, Sie haben in Ihrem vorvorletzten Satz im Konjunktiv gesprochen und haben gesagt: Wenn ich die Möglichkeit hätte, im Jahre 1966 eine Wirtschaftspolitik zu machen, die die Stabilität gegenüber dem Wachstum vorzöge, dann würde ich Stabilität vorziehen. — Ich wollte Sie gern fragen: Haben Sie die Möglichkeit nicht? Warum sprechen Sie im Konjunktiv? Welche Möglichkeiten fehlen Ihnen und bei welchen beklagen Sie, daß sie Ihnen fehlen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502227200
Herr Kollege Schmidt, die Fragestellung ist mir wieder zu exakt.

(Lachen des Abg. Schmidt [Hamburg]. — Abg. Wehner: Das wird ein goldenes Wort bleiben! — Lachen und Zurufe von der SPD.)

— Seien Sie vorsichtig! Ich habe gesagt: keine Wirtschaftspolitik, kein Wirtschaftsminister, kein Regierungschef hat die Entwicklung so fest in der Hand, daß er mit Sicherheit sagen könnte: So und so werden die Dinge ablaufen. Aber er kann sie beeinflussen. Und ich kann Ihnen jedenfalls sagen, daß, wenn ich je nach Ablauf der wirtschaftlichen Ereignisse vor der Entscheidung stehe, zwischen diesen beiden Thesen — mehr Wachstum oder mehr Stabilität — zu wählen, dann entscheide ich mich für mehr Stabilität.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502227300
Eine zweite Zwischenfrage.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0502227400
Herr Bundeskanzler, wirklich, weil mir daran liegt, herauszufinden, warum Sie im Konjunktiv sprechen: Darf ich Ihre Antwort so verstehen — —

(Abg. Moersch: Das war Konditional, das war gar nicht Konjunktiv! — Heiterkeit.)

— Ich hoffe, daß der Bundeskanzler diese Ihre fei-
nen Unterschiede begreift, Herr Moersch. Vielleicht



Schmidt (Hamburg)

war das aber wieder zu exakt, was Sie dazwischengerufen haben.

(Heiterkeit und Zurufe von der SPD.)

Darf ich Ihre Antwort so verstehen, Herr Bundeskanzler, daß der Chef der deutschen Bundesregierung vor dem Bundestage erklärt, daß er nicht alle die Möglichkeiten zur Verfügung hat, die er meint benutzen zu müssen, um seine Wirtschaftspolitik zu führen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502227500
Entschuldigen Sie, hier werden mir Dinge unterstellt, die nicht stimmen. Ich habe gesagt, ich habe nicht alle Daten in der Hand, die möglicherweise den. Ablauf der Wirtschaft beeinflussen werden.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Je nach dem Ablauf der Wirtschaft habe ich sehr wohl die Möglichkeit, das Gute und das Rechte zu tun.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Darf ich hier aber auf eine Groteske hinweisen, die da auch vorkommt. Da heißt es — bitte hören Sie gut zu! —:
Wer für 4 % eintritt, plädiert für die Rückdrehung der Einkommenverteilung und Verschlechterung des Lohnanteils.
Dieser Satz verdient festgehalten zu werden; denn er ist geradezu ein klassischer Unsinn. Ich sage es hier mit aller Deutlichkeit. Wie kann man überhaupt so etwas behaupten? Haben alle die Länder, die in ihrer Lohnerhöhung bei gleicher Produktivität und unter gleichen Produktionsbedingungen unter 4 % blieben, etwa eine asoziale Politik getrieben mit dem Zweck, den Lohnanteil zurückzudrehen oder die Einkommenverteilung ungerecht zu gestalten? Das können Sie doch bei Gott im Himmel nicht sagen. Es besteht doch keine unmittelbar zwingende kausale Beziehung zwischen der Lohnerhöhung und dem Anteil des Arbeitnehmers am Sozialprodukt. Da sind noch viele andere Faktoren wirksam.

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502227600
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0502227700
Herr Bundeskanzler, wenn Sie unterstellen, daß in einem Jahr überhaupt keine Preissteigerung stattfindet, die Produktivität um 4 % zunimmt, dann dürfen Sie annehmen, daß eine 4 %ige Lohnsteigerung im Ergebnis eine gleiche Lohnquote herbeiführt. Da hätten Sie recht. Wenn Sie aber unterstellen müssen, was Sie ja wohl tun, nehme ich an — —

(Zuruf von der CDU/CSU: Frage!)

— Man wird ja eine Frage etwas ausführlicher stellen müssen, damit auch Sie es verstehen, meine Herren Kollegen.

(Heiterkeit bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Arroganz ist das! — Weitere Zurufe.)

— Ich nehme an, ich habe noch das Wort, Herr Präsident.

(Abg. Dr. Burgbacher: Zur Frage, nicht zur Rede! — Weitere Zurufe. — Zuruf von der CDU/CSU: Der Karneval beginnt doch erst am Montag!)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502227800
Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort zu Ihrer Fragestellung; aber ich bitte Sie, zu fragen.

Helmut Schmidt (SPD):
Rede ID: ID0502227900
Würden Sie einräumen, Herr Bundeskanzler, daß, wenn Sie aber gleichwohl in einem solchen Jahr eine Preissteigerung haben, die Beschränkung der Lohnsteigerung auf die bloße Produktivitätszuwachsrate im Ergebnis zwangsläufig — auch ohne Rechenschieber — zu einer Verminderung der Lohnquote führt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502228000
Ich möchte Sie mit Ihren eigenen Waffen schlagen. Wenn Sie nämlich sagen, bei 6 % werden die Preiserhöhungen nur 2 % ausmachen — was ich nicht glaube —, dann kann ich nach Adam Riese mit gleicher Berechtigung sagen: dann würden bei 4 °/o die Preissteigerungen Null sein. Das entspricht der Logik! Aber beides ist nicht richtig, behaupte ich, weil dabei eben Elemente ins Spiel kommen können, die wir heute noch gar nicht wägen und messen können. Ich wollte darauf zurückkommen: Hier zu unterstellen oder überhaupt anzunehmen — es ist gar keine Unterstellung mir gegenüber —, daß es, wenn wir mit 4 % Kostensteigerung durchkämen, dann auch wieder theoretisch möglich wäre, alle Einkommen, alle Investitionen und alle Staatsausgaben und zuletzt auch alle Preise stabil bzw. in einem gleichen Zuwachs zu halten, wage ich aus diesen Gründen nicht. Aber eines wage ich zu behaupten: das nämlich, daß wir jedenfalls mit 4 % mehr Chancen hätten, die Preisstabilität sicherzustellen, als es mit 6 % der Fall ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zuruf von der SPD: Und damit zu einer Senkung der Lohnquote!)

Der Glaube z. B., daß eine Erhöhung des Haushalts um 1 % auch eine Preissteigerung von 1 % bedeutete, ist unhaltbar.

(Abg. Dr. Burgbacher: Sehr richtig!)

Die Bundesregierung allein verantwortlich zu machen — nein, die öffentliche Hand im ganzen, sage ich —, das ist viel zu einseitig. Die öffentlichen Haushalte insgesamt mögen zwischen 130 und 140 Milliarden DM betragen. Die Lohn- und Gehaltssumme beträgt allein 200 Milliarden DM, und dazu kommen die Gewinne, die Renten und anderes mehr. Da ausgerechnet und allein auf die Ausgaben der öffentlichen Hand abzustellen und zu sagen: Das sind sozusagen die Erst- oder gar Alleinschuldigen, so billig kann man es sich nicht machen!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)





Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502228100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schiller? — Herr Abgeordneter Schiller!

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502228200
Herr Bundeskanzler, Sie haben soeben gesagt, bei 4 % wäre die Chance der Preisstabilisierung größer. Ich frage Sie: Warum haben Sie dann Ihren eigenen Bundeshaushalt mit einer Zuwachsrate — nach Ihrer Rechnung — von 5 % versehen? Warum sind Sie nicht auf 4 % gegangen?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502228300
Herr Kollege Schiller, wenn Ihre verehrte Partei uns bei den Haushaltsberatungen dazu hilft, die Steigerung von 5 auf 4 °/o zu bringen, und wenn Sie genau sagen wollen, was Sie dann zu kürzen beabsichtigen, dann bin ich damit einverstanden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Hier gilt doch die schon früher gemachte Aussage, daß wir — die öffentliche Hand insgesamt — in der Ausgabenwirtschaft eben vor andere Grundsätze gestellt sind, unter anderen Bedingungen stehen, als das für den Bezug und die Verausgabung des Einkommens der Privaten der Fall ist.

(Abg. Dr. Schiller: Darf ich noch eine Zusatzfrage stellen?)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502228400
Noch eine Zusatzfrage.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502228500
Herr Bundeskanzler, halten Sie es für Führungskunst, daß die Regierung in diesem entscheidenden Punkt des Haushaltsvoranschlages bei einem höheren Satz verbleibt und die eigentlich richtige Zahl — nach Ihrer Meinung richtige Zahl, nicht nach meiner Meinung — dem Parlament überläßt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502228600
Ich kann Ihnen nur wieder die gleiche Antwort geben. Ich würde jedenfalls der Regierung angesichts der Vorlage und der Verabschiedung des Haushaltssicherungsgesetzes und der weiteren Kürzung des Haushalts 1966 nicht vorwerfen, daß sie nicht nach ihren Kräften und ihrem Vermögen das getan habe, was notwendig ist. Wenn Sie mehr tun wollen, dann werden Sie wahrscheinlich an weitere Gesetze herangehen müssen, und dann walten Sie bitte Ihres Amtes.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Aber zum Schluß, meine Damen und Herren! Ich glaube, die Diskussion ist bei allem Bemühen um Objektivität und Durchleuchtung der Wahrheit zum Teil doch auf eine- schiefe Bahn geraten, indem sie sich eben an starren Vorstellungen festgebissen hat. Wir leben in einer Zeit, in der es, glaube ich, not tut, nachzudenken und vielleicht auch umzudenken — das scheint mir die eigentliche Aufgabe zu sein —, nicht mit Zahlen zu jonglieren. Denn wenn wir die Aufgaben der neuen Zeit erkennen, die so mannigfach gestellt sind — wenn ich nur an das schon erwähnte Beispiel von Wissenschaft und Forschung denke und an all das, was uns andere Gemeinschaftsaufgaben des Gesundheitswesens und anderes mehr abverlangen; die Reihe ließe sich ja beliebig verlängern —, dann werden wir zu der Überzeugung kommen müssen, daß die derzeitigen Formen der Einkommensverteilung nicht mehr ausreichen, um diesen Anliegen gerecht zu werden. Das ist die eigentliche Aufgabe. Wenn sich die Tarifpartner darüber unterhalten, wieviel möglich oder wieviel zweckmäßig oder wieviel durchsetzbar ist, dann scheint mir das in dieser Stunde falsch zu sein. Es gibt auch keine absolute Aussage etwa von Wirtschaftszweig zu Wirtschaftszweig, von Berufsstand zu Berufsstand, 6 % seien richtig oder 4 % seien richtig. Richtig ist im Interesse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und nicht zuletzt des Staates, das zu tun, was notwendig ist, um uns auf der Höhe der Leistung und der Wettbewerbskraft zu halten. Das ist der einzige Maßstab, den ich gelten lasse, und keine magische Zahl. Hier geht es nicht um Rechenformeln. Das Umdenken ist glaube ich, das, was uns die neue Zeit abverlangt, nicht mehr in den Kategorien der letzten fünfzehn Jahre zu denken, man könne jetzt nur mit einer Änderung der Zahlen die gesteckten Ziele erreichen; das wird nicht der Fall sein. Wir müssen alle gemeinsam nachdenken, was wir zu tun haben, um jenen Aufgaben gerecht zu werden, von denen wir soviel sprechen und von denen noch zu wenig sichtbar geworden ist.
Nachdem heute schon mit Zitaten geendet worden ist, möchte ich höflich sein und möchte auch mit Ihren Worten, Kollege Schiller, schließen: „Junge, ich habe heute sich viel ändern sehen." Ich auch, — vor allen Dingen in Ihren Reihen selbst, und das scheint mir ein hoffnungsvolles Zeichen zu sein.

(Anhaltender, lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0502228700
Das Wort hat der Abgeordnete Fritz (Welzheim).

Friedrich Fritz (CDU):
Rede ID: ID0502228800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich nur kurz zu einem Punkt das Wort ergreifen. Herr Kollege Leber hat gestern abend die Frage gestellt, ob wohl die Preissteigerungen bei den Lebensmitteln zu 50 % im Dezember auf Tariferhöhungen bei den Landarbeiterlöhnen zurückzuführen seien. Das erweckt den Anschein, als ob die ganzen Preissteigerungen, die da waren, immer der Landwirtschaft in die Tasche geflossen wären oder als ob sie der Hauptschuldige wäre.
Zuvor aber noch ein Wort! Herr Leber, Sie sagten zum Schluß noch — Herr Kollege Luda hat es schon angesprochen —, der Herr Erhard sei nie für den Arbeitnehmer gewesen. Ich weiß, daß er von jeher gesagt hat, daß man das Masseneinkommen steigern müsse, wenn man eine florierende Wirtschaft haben wolle, und daß jeder nicht nur so viel Geld habe, wie er brauche, um sein Leben zu fristen. Ich habe gehört, daß dann noch gerufen wurde: Die Gewinne schmälern! Ich meine auch, daß nicht einer die Schuld auf den anderen schieben darf, wenn man jetzt auf der Höhe der Leistung ist, sondern

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Fritz (Welzheim)

ich meine, man sollte von einem anderen nicht mehr verlangen, als man selbst zu tun bereit ist. Dann wird man wahrscheinlich zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.
Ich möchte hier keine Landwirtschaftsdebatte auslösen, möchte Sie aber, meine Damen und Herren, mit ein paar Dingen vertraut machen. Ich bitte, darüber nachzudenken. Wenn der deutsche Bauer heute den Lebensmittelmarkt ansieht, muß er feststellen, daß sich da in den letzten Jahren ganz erhebliche Änderungen vollzogen haben. Die Warenbewegung, die Vermarktung und die Ansprüche der Hausfrau sind nämlich anders geworden. Heute wandert praktisch kein Nahrungsmittel mehr vom Bauernhof direkt zum Verbraucher, sondern alle Nahrungsmittel wandern über eine Bearbeitung, über den Handel.

(Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)

Wir stellen weiterhin fest, daß eine qualitativ höherwertige Nahrung verzehrt wird, d. h. nicht mehr so viel Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Mehl usw., sondern mehr Fleisch, Eier, Südfrüchte usw. Dann müssen wir noch feststellen, daß diese Lebensmittel vorbereitet, zubereitet, verpackt, küchenfertig, bratfertig, portionsweise da sind, Milch in Dosen, Wurst in Dosen, Gemüse in Dosen, Kartoffeln als Mehle usw.
Das sind alles Dienstleistungen, die früher die Hausfrau zu Hause selbst gemacht hat, die sie heute vom Markt abgenommen bekommt. Diese
Dienstleistungen müssen nach industriellen Gesichtspunkten bezahlt werden. Das ist der Unterschied. Wenn die Leute nicht mehr verdienten, könnten sie diese Dienstleistungen nicht von anderen erledigen lassen.
Das Ergebnis, das dabei herauskommt, ist, daß der Bauer mehr und mehr Rohstofflieferant wird und nur einen Teil der Verbraucherpreise für sich einheimsen kann. Ich darf Ihnen ein paar Beispiele nennen, wenn ich auch nicht dafür bin, daß man allzu viele Zahlen nimmt.
Zum Beispiel ist der Weizenpreis von 1954 bis jetzt von 100 auf 105 gestiegen, der Brotpreis von 100 auf 157. Bei Gemüsekonserven, die nun häufig hergestellt werden, beträgt der Rohstoffeinsatz, am Großhandelspreis ab Fabrik gemessen, noch 26 %, die Verpackung macht 26 % aus, und darauf liegen noch 21 % Personalkosten.
Ich will Ihnen noch ein ganz krasses Beispiel sagen. Wenn Sie heute Apfelsaft trinken wollen, bekommen Sie die 0,2-1-Karaffe in der Gaststätte zwischen 80 Pfennig und 1,20 DM. Der Bauer ist daran mit 5 Pfennig beteiligt. Alles andere liegt dazwischen. Beim Verkauf einer Literflasche von 80 bis 95 Pfennig im Laden ist der Bauer mit 24 Pfennig beteiligt.
Meine Damen und Herren, damit will ich nicht etwa gegen die Verarbeiter und gegen die Lebensmittelindustrie etwas sagen, sondern ich will Ihnen nur zeigen, daß die Verarbeitung, die Verpackung und die Weiterführung eben Geld kosten.
In den letzten zwei Monaten herrschte große Aufregung, weil Eier so teuer waren. Heute kosten sie ab Hof, soweit sie an eine Sammelstelle gegeben werden, in der Größe B, also zwischen 55 und 60 g, noch 13,5 Pfennig. Im Laden bekommen Sie sie verpackt in der Regel für 21,5 Pfennig. In den letzten zwei Monaten des vergangenen Jahres betrug der Preis für dieselbe Größe 31,5 Pfennig, Sie hatten also 10 Pfennig mehr zu bezahlen. Wenn wir nun errechnen, daß in der Regel nicht mehr als 300 Eier im Jahr pro Kopf verzehrt werden, dann wären es in diesem Zeitraum etwa 50 bis 60 Eiergewesen, und das hätte eine Mehrausgabe von 5 bis 6 DM ausgemacht. Dabei hat man so getan, als ob die Welt einfallen würde. Das kommt daher, daß der Verbraucher bei den Lebensmitteln, die er täglich braucht, preisbewußt ist. Er weiß noch, was er gestern dafür bezahlt hat. Wenn Sie nach einem halben Jahr ein Paar Schuhe kaufen, wird Ihnen ,das nicht mehr so geläufig sein.
Weiter wird gesagt, daß das Fleisch teuer ist. Das ist richtig. Die Lebendpreise für Schweine betrugen von Januar bis März 1964 zwischen 3,30 DM und 2,60 DM; sie lagen von Januar bis März 1965 zwischen 1,64 ubnd 2,50 DM, uns sie liegen heuer zwischen 3,08 und 3,16 DM.
Ich will Ihnen dazu aber noch etwas anderes sagen, damit es nicht so aussieht, als könne man heute nicht mehr billig leben oder billig einkaufen. Ich bin den Dingen nachgegangen und habe festgestellt, daß Sie für 100 Gramm Schweinsfilet je nachdem, wo Sie es kaufen, zwischen 1,10 und 1,80 DM zahlen müssen. Das sind also 11 bis 18 DM das Kilo. Ich habe aber gleichzeitig festgestellt, daß Schweinsfüße das Pfund für 50 Pfennig zu haben sind. Wenn die Hausfrau die Sülze nicht mehr selber machen will, sondern sie lieber für 85 Pfennige je 100 Gramm im Laden kauft, ,dann kann man die höheren Kosten nicht den Erzeugern zuschieben.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Die Rinderpreise sind — nebenbei bemerkt — rückläufig. Sie liegen unter dem Vorjahr, bei Bullen im Augenblick zwischen 24 und 26 DM, bei Rindern zwischen 8 und 17 DM, bei Kühen zwischen 14 und 20 DM. Das ist der eine Teil.
Lassen Sie mich nun aber noch ein paar Worte zur Art der Vermarktung heute sagen. Wenn Sie durch die Lebensmittelgeschäfte gehen, finden Sie, wie schon gesagt, vieles in Freiwahlläden verpackt. Das kommt sicher auch daher, daß wegen des Personalmangels für dort niemand mehr zu finden ist. Die Sachen sind portionsweise verpackt, sie sind leicht abzurechnen. Meist braucht man auch kein Leergut mehr abzurechnen. Es kommt noch dazu, daß mindestens 80'0/o der Läden in sogenannten Ketten zusammengeschlossen sind, ganz gleich, wie sie nun heißen, ob CENTRO, Vivo, Rewe, ob Edeka oder GEG. Damit stellt sich dem Erzeuger, ich möchte sagen, dem, der Nahrungsmittel verarbeitet, auch eine Konzentration der Nachfrage gegenüber. Häufig wird von dort her schon etwas auf den Preis eingewirkt. Interessanterweise steht in dem Gutachten, daß — gemessen an der Gesamtzahl — ir



Fritz (Weltheim)

der Landwirtschaft noch 11,4 % der Beschäftigten tätig sind, daß sie aber nur 5,6 % des Bruttoinlandsprodukts erbringen, während die Nahrungs- und Genußmittelindustrie mit 6,2 % der Beschäftigten 11,6 % des Bruttosozialprodukts liefert.
Die Rohstoffgrundlage ist häufig die heimische Landwirtschaft. Das Schaubild 15 im Sachverständigengutachten zeigt, daß die Lebensmitteleinfuhren im Jahr 1965 am teuersten waren. Danach müßten wir doch eigentlich zu dem Ergebnis kommen, daß auch der Verbraucher ohne eine genügende Eigenproduktion nicht ausreichend mit preislich günstigen Erzeugnissen versorgt werden kann.

(Beifall in der Mitte.)

In dem Augenblick, in dem das Auslandsangebot knapp ist, wird auch von dort her mehr verlangt. Das haben wir schon wiederholt festgestellt.
Die Klärung der Frage, ob man die Dinge durch vermehrte Einfuhren verbilligen könnte, überlassen wir wohl am besten der künftigen Agrardebatte, die im Zusammenhang mit der Beratung über den Grünen Plan geführt werden wird. ich wollte Sie nur bitten, darüber nachzudenken, daß der Bauer nur einen kleinen Teil bekommt und daß er Zulieferer der Nahrungs- und Genußmittelindustrie ist. Wir wollen gar nicht davon reden, daß der Zigarettenverbrauch seit 1949 von 500 auf 2500 Stück pro Kopf im letzten Jahr angestiegen ist. Davon spricht niemand; auch ich will das nicht anführen. Ich glaube aber, daß es nur geht, wenn wir allen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Dann werden wir auch feststellen, daß wir ohne unsere heimische Landwirtschaft nicht zurechtkommen können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502228900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Möller.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0502229000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als der Herr Bundeskanzler das Wort nahm, habe ich gedacht: nun endlich, nun endlich hören wir von dem Regierungschef, wie die Bundesregierung auf Grund der Erkenntnisse des Sachverständigengutachtens mit der labilen Situation fertig zu werden gedenkt, nun endlich wird der Bundeskanzler, der ja zur Zeit von einer Welle der Entscheidungsfreudigkeit getragen wird, zu den Prognosen des Sachverständigengutachtens, zu den Schlußfolgerungen, die Herr Kollege Professor Schiller für die sozialdemokratische Opposition gezogen hat, nicht nur wertend Stellung nehmen, sondern darüber hinaus das aktuelle Programm entwickeln, das Gegenstand einer weiteren Debatte und der Entscheidung des Deutschen Bundestages sein sollte. Der Herr Bundeskanzler hat erklärt: Das Gutachten ist keine Offenbarung. Ich will mit diesem biblischen Ausdruck nicht rechten, aber daß damit eine Qualifizierung verbunden war, wird niemand in diesem Hohen Hause bestreiten wollen.
Um sich mit dieser Qualifizierung auseinandersetzen zu können, muß man fragen: Wer hat diese Sachverständigen berufen? Sie sind berufen worden von der Bundesregierung. Ich kann mir vorstellen, daß die Bundesregierung sehr sorgfältig geprüft hat, wen sie mit diesem Vertrauen und mit diesem Auftrag auszustatten bereit ist. Ich meine, eine Bundesregierung, die nach einer beachtlichen Theorie — nicht unbedingt nach der Praxis — über allen Parteien stehen sollte, müßte sich insbesondere dann sehr positiv mit einem Gutachten auseinandersetzen, wenn die von ihr mit dieser Gutachtenerstattung beauftragten Sachverständigen kritische, sehr kritische Anmerkungen machen. Es ist ja schließlich nicht die Opposition, die das tut. Was die Opposition Ihnen seit Jahren vorträgt, findet nicht Ihr williges Ohr, weil es nicht in Ihr Konzept paßt. Wenn maßgebende Tageszeitungen und andere Stellen sich mit der Politik der Bundesregierung im Zusammenhang mit der jetzigen Situation auseiandersetzen, tun Sie das auch mit einer Handbewegung ab, weil Ihnen das nicht in Ihr Konzept paßt und weil Sie glauben, Sie und Ihre Männer seien einfach tabu, ganz gleich, wie die politische und wirtschaftliche Entwicklung verläuft, ganz gleich, inwieweit wir von Stabilität zur Labilität kommen. Da muß ich doch schon fragen, Herr Bundeskanzler: Wem wollen Sie bei der Beurteilung dieser wirtschafts- und konjunkturpolitischen Situation überhaupt Beachtung schenken? Welcher Rat, Herr Bundeskanzler, ist eigentlich für Sie — ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken — mindestens ein Orientierungspunkt?
Sie haben gesagt: Jeder hat sich schon mit der Problematik all der Fragen beschäftigt, die in diesem Gutachten stehen. Das ist richtig. Das genügt aber ganz sicher nicht für eine Bundesregierung, die sich nicht nur mit der Problematik zu beschäftigen hat, sondern die daraus Konsequenzen ziehen muß und die diese Konsequenzen in den Vordergrund neuer Betrachtungen zu stellen hat.
Meine Damen und Herren, wenn man so die Repräsentanten der Bundesregierung und die Repräsentanten der Koalition gestern und heute hört, kann man nur sagen: „Kein Engel so rein." Es sieht beinahe so aus, als ob die sozialdemokratische Opposition seit 1949 die Bundesregierung in der Bundesrepublik Deutschland gestellt und die jetzige Regierung mit ihrer Koalition sich nun mit den Ergebnissen dieser Arbeit auseinanderzusetzen hätte.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

So aber ist das doch nun wirklich nicht.
Wenn gestern gesagt worden ist, der Herr Bundeskanzler habe der „Welt" kein Interview gegeben, sondern mit einem Redaktionsmitglied der „Welt" ein Gespräch geführt, so will ich mich doch auf Teile dieses Gesprächs, zumindest in dem ausschlaggebenden Punkt, beziehen dürfen, vor allem auf das, was wörtlich zitiert worden ist. Man muß das wissen, weil das nämlich eine Präambel zu sein hat in dieser Auseinandersetzung oder, wenn Sie wollen, bei diesen Überlegungen, wie wir das Sachverständigengutachten zu werten haben und welche Schlußfolgerungen wir allesamt zu ziehen bereit



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
sind. Was sagt der Herr Bundeskanzler auf die Frage des Redaktionsmitgliedes der „Welt": „Was können wir tun"? Die Zeitung schreibt:
Der Kanzler sagt ohne Zögern:
— und nun kommt ein wörtliches Zitat —„Wir werden jedenfalls den Problemen nicht länger aus dem Wege gehen."
„Den Problemen nicht länger aus dem Wege gehen" : wenn Worte einen Sinn haben, ist man ihnen also bisher aus dem Wege gegangen und will das nicht länger tun.

(Sehr richtig! bei der SPD.) Und es geht weiter:

„Meine schwere Aufgabe war es doch,
— und das richtet sich wahrscheinlich gegen die Kabinette Adenauer mit dem Bundeswirtschaftsminister Erhard —
mit manchen Problemen fertig zu werden, die wir
— Bundeskanzler, Bundesregierung, Koalition —
über lange Jahre sozusagen vor uns hergeschoben haben."

(Abg. Dr. Schäfer: Hört! Hört!)

Meine Damen und Herren, was wollen Sie eigentlich noch mehr? Was sagt dazu Herr Luda?

(Zuruf von der SPD: Nichts! — Zuruf von der CDU/CSU: Der war zufrieden!)

Er hat in seinen Ausführungen solche Vorbelastungen vollkommen übersehen.
Ich darf einen Spannungsbogen zu dieser Anklage oder Selbstbezichtigung herstellen und noch folgendes aus der Unterredung zitieren:
Von dirigistischen Maßnahmen hält Ludwig Erhard auch heute nichts.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Das haben wir gemerkt!)

— Herr Schwörer, wie können Sie nur! Sie haben sich doch mit mir einmal über eine dirigistische Maßnahme, die die Bundesregierung zu verantworten hat und die Herr Kollege Luda in diesem Hause begründet hat, unterhalten. Oder halten Sie die Kuponsteuer nicht für eine dirigistische Maßnahme? Sie machen dirigistische Maßnahmen da, wo grober Unfug herauskommt, und der Herr Bundeskanzler tut einfach einiges, was ihm unbequem ist, mit der Behauptung dirigistischer Maßnahmen ab.
Herr Bundeskanzler, zitieren Sie doch in diesem Zusammenhang bitte nicht das Godesberger Programm. Wir können darüber heute nicht eingehender sprechen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir einmal in einer Fernsehunterhaltung über dieses Godesberger Programm und über Ihre Behauptung öffentlich diskutieren, daß die SPD dabei von Ihnen abgeschrieben habe. Das hätte nämlich zur Folge, daß wir Sie auf wesentliche Teile dieses Godesberger Programms festlegen könnten; — wenn wir es abgeschrieben hätten. Und dann, Herr Bundeskanzler, kämen Sie — vielleicht nicht als Bundeskanzler, der ja über den Parteien stehen soll, aber in Ihrer neuen Funktion, die auf Sie zukommt —

(Heiterkeit bei der SPD) in erhebliche Schwierigkeiten.


(Beifall bei der SPD.) Hier hat also die „Welt" berichtet:

Von dirigistischen Maßnahmen hält Ludwig Erhard auch heute nichts. Er sieht im Geist die Kette der Maßnahmen vor sich, die geschmiedet werden müßte, wenn einmal der Anfang gemacht würde.
Das ist, wie ich zugebe, eine journalistische Formulierung. Aber, Herr Bundeskanzler, nehmen Sie es uns, die wir im Verhältnis zur Bundesregierung die Brosamen aufsammeln müssen, die von des Reichen Tisch fallen, nicht übel, wenn wir bei Gelegenheit einer solchen Debatte von Ihnen erwarten, daß Sie nun nicht nur im Geist — um mit dem Journalisten zu reden —, sondern praktisch vorführen, das und das sei nach Ihrer Auffassung zu tun. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, Herr Bundeskanzler, wenn ich insoweit enttäuscht bin.
Ich hatte mir gesagt, als Sie das Wort bekamen: jetzt hören wir endlich vom Bundeskanzler, was mit dem Gemeinschaftswerk los ist. Ich wurde enttäuscht. Das gilt auch für die Diskussion über die Wissenschaftsförderung. Sie konnten an dem Tag nicht dasein — wird akzeptiert. Sie konnten gestern nicht dasein — wird akzeptiert. Sie sind heute da — wird freudig begrüßt. Da können Sie uns doch endlich sagen, was nun mit dem Gemeinschaftswerk los ist.

(Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard: Die Reform der Finanzverfassung!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502229100
Wie sollen beim Gemeinschaftswerk die Finanzen in Ordnung gebracht werden? — Wenn Sie mir jetzt einwerfen, das hänge mit der Finanzreform zusammen, so ist mir natürlich einiges bekannt; denn das Gutachtergremium hatte, bevor Sie diese Erklärung auf dem Düsseldorfer Parteitag der CDU abgaben, bereits den Teil des Gutachtens formuliert, der sich mit Gemeinschaftsaufgaben beschäftigte. Diese Zusammenhänge waren mir also völlig klar. Ich meine nur, daß wir sehr aktuelle Entscheidungen, die heute und morgen getroffen werden müssen, nicht im Hinblick auf die Finanzreform zurückstellen sollten. Die Finanzreform wird eine Reihe von Jahren beanspruchen. Es wird eine Weile dauern, bis wir mit den Gesetzen zurande kommen. Wir haben Ihnen, Herr Bundeskanzler, unsere positive Mitwirkung an diesem Reformwerk zugesagt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Die Mitwirkung an diesem Reformwerk kann für keine Partei und für keine Fraktion vom parlamentarischen Standort abhängig sein;

(erneuter Beifall in der Mitte)

ob Koalition oder Opposition, es kommt auf das
Werk an, es kommt auf das Ziel an. Wir alle haben
hier im Bundestag oder in den Länderparlamenten



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
oder in den Gemeindevertretungen viel zu lange darunter gelitten, daß das Verfassungsrecht auf dem Gebiete der Finanzordnung nicht mit der Verfassungswirklichkeit in Übereinstimmung gebracht werden konnte. Sicherlich sind manche beklagenswerte Ergebnisse der Finanz- und Haushaltspolitik gerade darauf zurückzuführen. Hier eine Änderung zu schaffen, ist eine Aufgabe, zu der wir alle aufgerufen sind, und keine Partei, Herr Bundeskanzler, wird es dabei leicht haben. Jede Partei wird sich mit den drei Ebenen, Bund, Ländern und Gemeinden, auseinanderzusetzen haben. Mögen wir alle so viel Energie und Objektivität aufbringen, daß es gelingt, uns früh genug zu einer gemeinsamen Arbeitsbasis zusammenzufinden. Deshalb hat das Präsidium der SPD in der vorigen Woche, wie Sie wissen, in der ersten Stellungnahme die Bundesregierung aufgefordert, mit den Fraktionen des Bundestages und mit den Ländern einen Arbeits- und Zeitplan zu vereinbaren. Das wollte ich feststellen, um klarzumachen, wie positiv wir zu dem beabsichtigten Reformwerk stehen. Ich möchte aber auch um Verständnis bitten, wenn wir sagen, daß wir uns, unabhängig von dieser in den nächsten Jahren zu lösenden Aufgabe, an nichts vorbeidrücken dürfen, was wir heute und morgen in diesem Deutschen Bundestag zu tun haben.
Der Herr Bundeskanzler hat gesagt, die Wirklichkeit sei stärker als alle Planzahlen. Darum geht es doch nicht. Daß wir beispielsweise im Jahre 1950 bei den Steuern nur eine Gesamtsteuereinnahme von annähernd 19 Milliarden DM, daß wir aber im Jahre 1964 eine Gesamtsteuereinnahme von 100 Milliarden DM hatten, das hat doch nichts damit zu tun, daß man sich bei einer so dynamischen Steuerentwicklung auch auf der Ausgabenseite zu Vorstellungen durchringen muß, die eben der dynamischen Entwicklung gerecht werden, wobei wir natürlich rollierende Planungen haben müssen, wobei sich natürlich solche Planungen immer wieder auf Grund von Erkenntnissen und Zahlen erneuern müssen, die sich aus der jeweiligen besonderen wirtschafts-oder konjunkturpolitischen Situation ergeben.
Was mich am meisten enttäuscht hat, ja was mich mit einigem Kummer erfüllt — Herr Bundeskanzler, so etwas gibt es noch in der Politik, auch gegenüber den anderen, und ich meine, Sie sind ja bei den anderen als Bundeskanzler der erste und wichtigste Repräsentant —, das ist Ihre Bemerkung, es sei Ihnen entfallen, daß das sozialdemokratische Regierungsprogramm, das wir im Wahlkampf 1965 vertreten haben, daß dieses sehr ehrgeizige Programm die Forderung enthalte, bis zum Jahre 1969 den Preisauftrieb auf 1 % herunterzudrücken. Sie haben gesagt — bitte lesen Sie es im Stenogramm nach —, es sei Ihnen entfallen. Sicher, es kann einem das eine oder andere entfallen. Das ist menschlich. — Bitte sehr, Herr Bundeskanzler!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502229200
Nein. Ich habe gesagt, es sei mir aufgefallen, daß Ihre Programmierung bis 1969 auch in den Ziffern 3 bis 0 % genau übereinstimmt mit dem Sachverständigengutachten.

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0502229300
Herr Bundeskanzler, ich glaube, Sie haben beides gesagt. Sie haben zunächst gesagt — sehen Sie sich das Stenogramm an —: es sei Ihnen entfallen, und nachher ist Ihnen aufgefallen, daß das so zusammenhängt. Daß es Ihnen aber erst jetzt aufgefallen ist, bedeutet, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister Sie nicht ausreichend orientiert. Denn bei einer Fragestunde hier im Deutschen Bundestag, die sich damit beschäftigte — „Liegt das Gutachten der Sachverständigen vor, warum ist bei der Debatte zur Regierungserklärung nicht auf dieses Gutachten zurückgegriffen worden?" —, haben meine Fraktionskollegen einige Frage gestellt. Ich habe den Herrn Bundeswirtschaftsminister sinngemäß gefragt — ich bitte zu entschuldigen, daß ich nicht wörtlich zitieren kann —: Herr Bundeswirtschaftsminister, ist Ihnen bekannt, daß die Sachverständigen vor Erstellung ihres Sachverständigengutachtens bei mir rückgefragt haben, ob die SPD bereit wäre, ihnen das Material, das diesem finanzwirtschaftlichen Teil des sozialdemokratischen Regierungsprogramms zugrunde lag, zur Verfügung zu stellen? Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat mit Nein geantwortet. Mindestens von diesem Tage an, Herr Bundeskanzler, war also dieser Tatbestand bekannt. Aber ich meine, in diesem Wahlkampf des vorigen Jahres stand doch die Frage der Preisstabilität im Vordergrund.

(Abg. Dr. Schäfer: Das interessiert ihn nicht!)

Wir haben weder vergessen, Herr Bundeskanzler, daß Sie in Hessen erklärt haben, wenn die Sozialdemokraten über eine ernste finanzpolitische Lage in der Bundesrepublik sprächen, dann — meine Damen und Herren, so haben Sie die Wähler aufgefordert — „nehmen Sie das nicht ernst, nehmen Sie das heiter!" Wir haben nicht einmal solche Äußerungen von Ihnen vergessen. Wie können Sie einen Kernpunkt des Regierungsprogramms Ihrer Opposition vergessen, mit dem Sie sich doch im Wahlkampf und in späteren Monaten auseinanderzusetzen hatten? Wir haben also weder eine solche Erklärung vergessen noch das Inserat der CDU, das ankündigte, daß die Arbeitnehmer im Jahre 1975 einen Stundenlohn von 7,84 DM und eine 35-Stunden-Woche haben würden. So etwas kann man nicht vergessen. Das bleibt in der politischen Auseinandersetzung im Gedächtnis haften

(Sehr richtig! bei der SPD)

und muß von Zeit zu Zeit wieder in den Brennpunkt der Betrachtung hineingerückt werden.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Der Herr Bundeskanzler hat dann davon gesprochen — —(Abg. Lemmrich: Aber richtig Stellung
nehmen!)
— Sie sind mir nicht wichtig genug im Moment; entschuldigen Sie, daß ich beim Herrn Bundeskanzler bleibe. Das könnten Sie vielleicht respektieren.

(Zurufe von der CDU/CSU.)




Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
Der Herr Bundeskanzler hat davon gesprochen, er kenne von der SPD nur ausgabewirksame Anträge.

(Zurufe von der Mitte.)

Er hat das auf die Vergangenheit bezogen. Er hat damit sicherlich nicht die 180 Millionen DM gemeint, die jetzt für die Wissenschaftsförderung neu zur Diskussion stehen. Da scheint sich ja allmählich eine Wandlung zu vollziehen, jedenfalls nach dem, was sich aus der Befragung der Präsidenten der wissenschaftlichen Institutionen bei der FDP ergeben hat. Da scheint also ein Einbruch gelungen zu sein. Der Vernunft ist eine Bahn geschlagen worden. Ich möchte sagen, das steht aber jetzt nicht zur Diskussion. Wir werden uns wahrscheinlich so oder so über vernünftige Deckungsvorschläge für die Unterbringung dieser 180 Millionen DM einigen können.
Mein Kollege Schiller hat schon erklärt, daß diese zunächst von der Bundesregierung gesetzte Obergrenze des Haushaltsvolumens von uns respektiert wird. Dabei müssen Sie allerdings berücksichtigen, daß die Mitglieder meiner Fraktion, von den Mitgliedern des Haushaltsausschusses abgesehen, erst heute vormittag die Haushaltspläne auf den Tisch gelegt bekommen haben. Es konnte also noch keine intensive Beratung dieser Haushaltspläne erfolgen. Ich bitte das zu respektieren. Ich meine, wir sind uns aber in beiden wichtigen Grundsätzen einig.
Ich unterstreiche auch den Hinweis des Herrn Bundeswirtschaftsministers in seiner gestrigen Rede, man könne vielleicht über einige hundert Millionen Kürzung reden. Das geht nach meiner Meinung bei der derzeitigen konjunkturpolitischen Lage sogar zu weit. Das nur nebenbei. Ganz sicherlich können wir uns im Augenblick nicht über Milliarden einigen. Sie haben gesagt, dann würde ein solches Verhalten zu einer „Bruchlandung" führen. Ich bin völlig Ihrer Meinung. Ich glaube also, daß wir hier eine gemeinsame Operationsbasis finden können.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie auf ausgabenwirksame Anträge der sozialdemokratischen Fraktion in der Vergangenheit anspielen, dann darf ich doch festhalten, daß wir am 26. Februar 1965 wesentliche Teile dieses Antragsprogramms auf Grund unserer Erkenntnisse über die finanzpolitische Lage revidiert haben. Wir haben während der ganzen Debatten Buch darüber geführt, wie es unter Berücksichtigung der Belastungen weitergehen soll. Sie haben sich erst auf dem Wirtschaftstag der CDU/CSU im Juli 1965 zu der Erklärung veranlaßt gesehen, daß Sie nunmehr dem Bundesfinanzministerium Anweisung gegeben hätten, eine genaue Bilanz aufzustellen und Ihnen diese Bilanz vorzulegen.
Sie haben, meine Damen und Herren, doch nun tatsächlich die volle Verantwortung für diese Situation. Das ergibt sich eben aus den Mehrheitsverhältnissen. Das ist für Sie die unangenehme Seite der Tatsache, daß Sie die Mehrheit in diesem Hause haben. Aber es gibt im Leben — wem sage ich das? — nicht nur Angenehmes. Sie können nicht nur die Annehmlichkeiten des warmen Regierungsbettes und dieser Koalition 16 Jahre haben, sondern Sie bekommen auch die rauhe Föhnluft,

(Zuruf in der Mitte: Rauhe Föhnluft gibt es nicht!)

die Krankheitserscheinungen hervorrufende Föhnluft zu spüren; sie besteht darin, daß die Mehrheit die Verantwortung für das zu tragen hat, was sich in diesem Deutschen Bundestag abspielt.
Ich möchte die Ausführungen, die zu machen ich mir zum finanzpolitischen Teil des Sachverständigengutachtens vorgenommen hatte, im Hinblick auf die vorgeschrittene Zeit bis zur Etatsdebatte zurückstellen. Ich möchte nur noch, damit sich Herr Kollege Luda nicht ganz verlassen vorkommt, darauf aufmerksam machen, daß es nicht richtig ist, wenn Sie, Herr Kollege Luda, sagen, die Sachverständigen hätten keine einzige der bisher von der SPD vorgeschlagenen Maßnahmen in ihr Gutachten übernommen.

(Abg. Dr. Luda: Haben Sie eine?)

— Herr Kollege Luda, das stimmt nicht. Wenn Sie sich beispielsweise die wichtigsten Teile der Finanzpolitik — darauf muß ich in der Etatdebatte eingehen, weil wir heute dazu die Zeit nicht haben — einmal vornehmen, werden Sie feststellen, daß die Darstellung im Sachverständigengutachten in jeder Weise mit den Vorstellungen der Sozialdemokratischen Partei und ihrer Bundestagsfraktion übereinstimmt.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502229400
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Luda?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0502229500
Da ich mich nicht so verhalte wie Herr Kollege Luda, ja.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Manfred Luda (CDU):
Rede ID: ID0502229600
Herr Kollege Möller, sind Sie bereit, anzuerkennen, daß ich gesagt habe, daß kein einziger Vorschlag aus dem Maßnahmenkatalog der SPD in dem Stabilisierungsprogramm des Gutachtens übernommen worden ist — in dem Stabilisierungsprogramm, darüber hinaus enthält das Gutachten auf 200 Seiten natürlich noch sehr viele andere Ausführungen —?

Dr. Alex Möller (SPD):
Rede ID: ID0502229700
Ja, zu dem Stabilisierungsprogramm gehört aber zweifellos eine den jeweiligen konjunkturpolitischen Verhältnissen entsprechende Finanz- und Haushaltspolitik, und darum geht es ja. Wenn Sie zugehört haben, was vorhin der Herr Bundeskanzler ausgeführt hat, werden Sie wissen, daß er mit Nachdruck auf diesen Teil des Stabilisierungsprogramms hinwies, allerdings mit der richtigen zusätzlichen Erklärung, daß das allein selbstverständlich nicht genüge. Ich wollte Sie aber, Herr Kollege Luda, auch im Hinblick auf einiges, was sich in Ihrer Fraktion tut, doch darauf aufmerksam machen, daß es richtig wäre, wenn Sie sich einmal mit dem ganzen Abschnitt des Sachverständigengutachtens unter der Überschrift „Kapitalmarkt", Ziffern 130 bis 138, beschäftigten. Vergleichen Sie das, was da ausgeführt



Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller
worden ist — insbesondere soweit die Kuponsteuer in Frage kommt —, mit Ihren Ausführungen im vorigen Jahr hier im Deutschen Bundestag und mit den Ausführungen des Sprechers der Opposition. Dann werden Sie sich mit dem Wort trösten müssen: „Und er ging hinaus und weinte bitterlich".

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich schließen. Es gibt keine vernünftige Verteidigung einer Inflationsrate, wenn die These von der Preisstabilität nicht nur ein Lippenbekenntnis sein soll. Aber es gibt auch keine aus der Gesamtrechnung zwangsläufig ableitbare Formel, daß 1 '0/o Mehrausgaben auch eine l%ige Preissteigerung nach sich zieht. Ich möchte mich hier der Stellungnahme der Bundesregierung in Abschnitt V unter Ziffer 19 und der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers anschließen.
Erfolg oder Mißerfolg eines Unternehmens finden ihren sichtbaren Ausdruck in der Bilanz über das abgelaufene Geschäftsjahr. Die Bilanz der Wirtschaftspolitik für 1965 hat uns ein Milliardendefizit beim Bundeshaushalt und eine Preissteigerungsrate beim Preisindex für die Lebenshaltung von Januar bis Dezember von 3,4 v. H. gegenüber 2,3 v. H. im Jahre 1964 beschert. Die Bundesregierung und wir alle sollten daher für die Anregungen dankbar sein, die der Sachverständigenrat für die Wiederherstellung der Preisstabilität in zwei Jahresraten gibt. Der Sachverständigenrat hat eine gemeinsame Aktion gefordert. Bundeswirtschaftsminister Schmücker bejahte diese Forderung und fügte hinzu: „Wir können die vielfältigen und vielschichtigen Probleme nur bewältigen, wenn wir nach allen Seiten hin das offene Gespräch suchen." Wenn damit auch die Opposition gemeint ist — was man ja nicht unbedingt wissen kann —, so möchte ich erklären, daß wir zu Gesprächen, aber, wie diese Debatte bewiesen hat, auch zu Handlungen bereit sind, die dem Ziele einer Stabilisierung ohne Stagnation dienen.
Der Herr Bundeskanzler hat am Schluß seiner Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 zitiert:
Denn der Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist,
Der vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter.
Aber wer fest auf dem Sinne beharrt, der bildet die Welt sich.
Das Sachverständigengutachten zieht in Ziffer 160 folgende. Schlußfolgerungen:
Es scheint somit, daß es eines Umdenkens auch im Bereich der öffentlichen Finanzwirtschaft bedarf, wenn Geldwertstabilität in der Tat oberstes Gebot der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sein soll.
Es kommt also jetzt, meine Damen und Herren, darauf an, dieses Umdenken zu vollziehen, um dann fest zu den neuen Erkenntnissen zu stehen, wenn uns die Stabilisierung ohne Stagnation gelingen soll.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502229800
Meine Damen und Herren! Bevor ich dem nächsten Redner das Wort
erteile, möchte ich das Haus darüber informieren, daß vereinbart ist, ohne Mittagspause durchzutagen. Ich knüpfe an diese Mitteilung die Hoffnung — ich weiß nicht, ob sie unbescheiden ist —, daß wir das Ende bis gegen 14 Uhr sehen können. Voraussetzung ist natürlich, daß alle Beteiligten an diesem für alle noch anwesenden Abgeordneten sicher segensreichen Ergebnis mitwirken.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Staratzke.

Dr. Hans-Werner Staratzke (FDP):
Rede ID: ID0502229900
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich den Wunsch hatte, einen kleinen Beitrag zur Versachlichung zu leisten. Ich bin aber durch die Diskussion, die sich hier über die Frage von Plänen, Planungen, von quantitativen Zielsetzungen ergeben hat, animiert worden, Ihnen einmal ein Beispiel vorzutragen, zu welchen Ergebnissen es führen kann, wenn man sehr weitgehende Pläne macht und Schätzungen vornimmt, die einfach nicht vorauszusehen sind.
Im Zusammenhang mit notwendigen Informationen ist mir der Sozialplan für Deutschland in die Hände gefallen, der auf Anregung des Vorstands der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Jahre 1957 vorgelegt worden ist, an dem sehr prominente Herren beteiligt waren — wie Herr Bruno Gleitze, Herr Ludwig Preller und Herr Ernst Schellenberg — und in dem unter anderem eine Ziffer zu finden ist, die sich nicht auf einen wirtschaftlichen Tatbestand bezieht, sondern auf etwas noch sehr viel Ernsteres, nämlich auf die Kriegsopferrenten, die in der heutigen Zeit zu zahlen wären. In diesen Plänen werden zum Beispiel die Aufwendungen für Kriegsopferrenten im Jahre 1966 auf etwa 2,8 Milliarden DM geschätzt. Diese Leistungen liegen heute — wir haben es gerade nachgeprüft — bei 4,8 Milliarden DM, das heißt also, sie haben sich nahezu verdoppelt; im Jahre 1965 sind übrigens 5,2 Milliarden DM ausgegeben worden. Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie man mit langfristigen oder hier mittelfristigen Plänen zu total falschen Ergebnissen kommt.
Gestatten Sie mir nun drei grundsätzliche Vorbemerkungen zu dem Gutachten selbst,

(Abg. Wehner: Vorbemerkungen!)

damit wir wieder in die sachliche Diskussion hineinkommen.

(Abg. Wehner: Ja endlich!)

Der Sachverständigenrat hat als erstes alle Gruppen des wirtschaftlichen Lebens und unserer Gesellschaft zu einer gemeinsamen und gleichzeitigen —wie er es nennt — konzertierten Aktion aufgerufen.
Zweitens — das scheint mir besonders wichtig zu sein, weil man darüber nicht immer einig ist — ist das Gutachten keineswegs überholt, selbst wenn sich die Daten aus einer Dynamik heraus geändert haben, sondern es sollte langfristig angesehen werden, und wir sollten sehr viel aus diesem Gutachten schöpfen und lernen.
Drittens: Ich teile die optimistische Auffassung der Sachverständigen, daß nämlich die Geldwertstabilisierung auch ohne deflatorische Begleiterscheinun-



Dr. Staratzke
gen erreichbar ist, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte systematisch auf dieses Ziel hingelenkt werden. Dazu — ich glaube, da ist sich dieses Haus einig — bedarf es einer Abstimmung — ich sage ausdrücklich: einer Abstimmung — der Verhaltensweisen und eines Mindestmaßes an konjunkturpolitischen Instrumenten, nicht aber quantitativer Zielsetzungen, nicht Planungen mittel- oder langfristiger Art.
Weiterhin kann nicht genug betont werden, daß die Stabilisierung des Geldwertes bei einem angemessenen und, ich betone, bei einem möglichst stetigen Wachstum der Wirtschaft erfolgen muß und nicht Stagnation, Deflation oder Rezession zur Folge haben darf. Denn nur eine. wachsende Wirtschaft kann die vielen politischen und sozialpolitischen Anforderungen, die bei uns an das Sozialprodukt gestellt werden, erfüllen. Ich betone noch einmal: die Voraussetzung für die Verwirklichung dieses Ziels ist die Gleichmäßigkeit des stabilitätsorientierten Verhaltens aller Gruppen, die im Wirtschaftsablauf Verantwortung tragen.
Diese Feststellung und gleichzeitig Aufforderung ist nach meiner Meinung besonders wichtig, weil sie endlich das bisherige unerfreuliche SchwarzePeter-Spiel zur Frage der Schuld an der Preisentwicklung beenden könnte.

(Beifall bei der FDP.)

Gestern und heute ist unendlich viel gesprochen worden über die Haushaltsmaßnahmen, über den Staat als Wellenbrecher, es ist unendlich viel gesprochen über die monetären Maßnahmen, und über das Verhalten der Sozialpartner ist ebenfalls genügend ausgesagt worden. Weniger angesprochen worden ist etwas, auf das ich hier besonders hinweisen möchte, nämlich daß die Stabilisierungspolitik außenwirtschaftlich abgesichert werden muß. Meine Damen und Herren, die Preissteigerungen des Jahres 1965 sind großenteils die Folge der importierten Inflation, die sich aus dem Jahre 1964 in Frankreich und in Italien ergeben hat. Ich glaube, man sollte auf diesen Punkt der Außenwirtschaft noch ein besonderes Augenmerk lenken. Ich möchte also zu diesen außenwirtschaftlichen Fragen und zu der Investitionstätigkeit etwas sagen, die nach meiner Meinung, zumindest soweit sie die privatwirtschaftlichen Investitionen berührt, zuwenig diskutiert worden ist.
Zu den außenwirtschaftlichen Fragen! Wir sollten nicht pessimistisch deuten, wir sollten nicht optimistisch denken, wir sollten realistisch und nüchtern die Lage betrachten und daraus unsere Folgerungen ziehen. Die internationale Stellung einer Volkswirtschaft hängt wesentlich davon ab, ob sie zu den Gläubigern oder den Schuldnern der Weltwirtschaft gehört. Bis 1964 zählte die Bundesrepublik zu den Gläubigernationen, und ich meine, sie verdankt auch dieser Tatsache in vieler Hinsicht ihre politische Wiedereingliederung in die freie Welt. Wäre sie zu einem Schuldnerdasein gezwungen gewesen, so hätte sich dieser Prozeß sicher nicht mit so sichtbaren Erfolgen durchgesetzt.
Nun ensteht bei allen denjenigen, die sich in der Wirtschaft befinden und die Export treiben müssen, die Sorge, es könnte eine Umkehr kommen; ich sage ausdrücklich: die Sorge. Wir sollten in diesen Fragen nicht immer in die Vergangenheit schauen, sondern wir sollten die Zukunft betrachten. Wir könnten nach dem letzten Jahr auf einen Weg geraten, auf dem wir in diese Schuldnerposition gegenüber den anderen Ländern der Welt kämen. Zwar hat die Handelsbilanz im letzten Jahr noch einen geringfügigen Überschuß erbracht. Er reicht aber eben nicht aus, um die internationalen Zahlungsverpflichtungen damit zu erfüllen. Es mußte also auf den Devisenbestand zurückgegriffen werden, und zwar, wie ich meine, sehr heftig. Bereits gegenwärtig benötigt die Bundesrepublik zur Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen und zur Bezahlung ihrer Dienstleistungen, die sie vom Ausland in Anspruch nimmt, nach den Schätzungen mindestens einen Handelsbilanzüberschuß von ca. 6 Milliarden DM pro Jahr. Dieser notwendige Betrag, dieser Überschuß wird zweifellos in den nächsten Jahren weiter steigen müssen; warum und weshalb, hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft gestern bereits dargelegt.
Wenn wir aber unserem bisherigen wirtschaftspolitischen Erfolgsrezept treu bleiben wollen — und etwas anderes kommt für die Freien Demokraten nicht in Frage —, müssen wir das Außenhandelsproblem von der Kostenseite her betrachten; denn Löhne sind eben nicht nur Einkommen, sondern auch Kosten. In einem internationalen Währungssystem mit festen Wechselkursrelationen schwächt eine wesentliche Kostenerhöhung die internationale Wettbewerbsstellung der Volkswirtschaft, und sie bewirkt einen Rückgang der Exporte und eine gleichzeitige Zunahme der Importe über das Maß hinaus, das mit Rücksicht auf den notwendigen Außenhandelsüberschuß geboten ist. Deshalb sind die notwendigen Erfolge der Stabilisierungspolitik, über die wir hier gestern und heute gesprochen haben, zugleich auch der Schlüssel für die Wiederherstellung der außenwirtschaftlichen Position der deutschen Wirtschaft.
Der Sachverständigenrat hat eine Reihe von Zahlen veröffentlicht, die mir sehr zum Nachdenken Anlaß geben. Ich darf — mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten — einige dieser Zahlen nennen.
Der Sachverständigenrat hat festgestellt, daß sich die Lohnkosten je Produkteinheit in der verarbeitenden Industrie seit 1960 in der Bundesrepublik Deutschland um 18 % erhöht haben, in Belgien um 14 °/o, in Frankreich um 12 %, in Großbritannien um 10 0/o, während sie in den Vereinigten Staaten in diesem Zeitraum um 3 % gesunken sind. Nur in Italien sind — aus den bekannten Gründen — die Lohnkosten stärker als in der Bundesrepublik gestiegen. Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, in welchem Maße der Kosten- und Preisvorsprung, den die deutsche Wirtschaft in den gesamten, fünfziger Jahren aufwies, in den letzten Jahren verlorengegangen ist. Das ist unsere Sorge, auf die wir aufmerksam machen wollen.
Zum zweiten Punkt, zur Investitionstätigkeit, wegen der Kürze der Zeit nur folgendes. Im Sachver-



Dr. Staratzke
ständigengutachten ist zu den Investitionen viel gesagt worden. Man darf auch wohl annehmen, daß die Sachverständigen die Bedeutung der Investitionstätigkeit für das wirtschaftliche Wachstum voll anerkennen. Es dürfte ihnen daher auch wohl ferngelegen haben, Einschränkungen der Investitionstätigkeit zu fordern, die sich eventuell mit den Erfordernissen einer wachsenden Wirtschaft nicht vertragen. Um so mehr überraschen die Methoden, die zur Investitionsdämpfung vorgeschlagen sind; und hier setzt eine berechtigte Kritik an.
Zunächst einmal ist festzustellen — es ist bereits in den Ausführungen von Vorrednern angeklungen —, daß die Investitionsentwicklung im Jahre 1966, nicht zuletzt bedingt durch die Kosten-Erlössituation des letzten Jahres, in wesentlich engeren Grenzen liegen wird, als geschätzt wurde. Man spricht heute von 5 bis 5,5 %, während die Sachverständigen noch eine Rate von 8 % angenommen haben.
Abgesehen davon aber scheint es meinen Fraktionsfreunden und mir verfehlt zu sein, die privatwirtschaftlichen Investitionen im Zeitalter des technischen Fortschritts und bei einem fast permanenten Arbeitskräftemangel an eine bestimmte Zuwachsrate binden zu wollen. Es sei `dabei auf die Erfahrungen in anderen Industrienationen hingewiesen, daß nämlich zur Realisierung des von uns gewünschten Wirtschaftswachstums eine überproportional steigende Investition erforderlich ist. Dies gilt um so mehr, als — wie ich schon ausführte — die nun einmal knappe menschliche Arbeitskraft ganz wesentlich durch Investitionskapital ersetzt werden muß.
Jeder Praktiker weiß nun, daß das Investitionsgeschehen in der Zeit des technischen Fortschritts und der Automation nicht etwa in homöopathischen Dosen zu verwirklichen ist. Die Umwälzungen und Neuerungen von heute sind so groß, daß die Investitionsplanungen langfristig angelegt sein müssen und daß den Unternehmen in vielen Fällen nur die Entscheidung bleibt, ihr Vorhaben zu verwirklichen und zu vollenden oder den gesamten Investitionsplan von vornherein aufzugeben. Ich möchte deshalb auch an dieser Stelle eine Anmerkung machen, die vielleicht nicht ganz im Sinne der Bundesregierung ist, die aber als Anregung ausgesprochen werden soll: Ich weiß nicht, ob es richtig ist und ob es der Weisheit letzter Schluß ist, die Abschreibungen zum konjunkturpolitischen Instrument zu machen. Hier ist noch einmal das Argument der Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit anzuführen. Wenn überall im Ausland steuerliche Abschreibungen nicht nur im Zeitablauf und im Umfang dem tatsächlichen Kapitalverzehr entsprechen, sondern oft weit darüber hinausreichen, dann darf das Modernisieren und Investieren unserer Wirtschaft nicht bestraft werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wir glauben also, daß sich die Investitionstätigkeit zum mindesten in diesem Jahr verringern wird. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß eine globale Steuerung insbesondere der privatwirtschaftlichen Investitionen einen Rückfall in Praktiken bedeuten würde, die wir nicht mögen. Ich meine, daß eine Steuerung der Investitionen im Rahmen der Kreditpolitik, wie sie betrieben wird, notwendig und richtig ist, wenn es natürlich auch — das soll auch einmal ausgesprochen werden — bei dieser Kreditpolitik Auswirkungen gibt, die man lieber vermeiden möchte. Denn leider ist es so, daß Kreditrestriktionen diejenigen Wirtschaftsbereiche am härtesten treffen, deren Existenz und deren gedeihliche Fortentwicklung von der regelmäßigen Kreditversorgung besonders abhängen.

(Beifall bei der FDP.)

Das gilt insbesondere für den gesamten Mittelstand.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu einem letzten Punkt, der, glaube ich, in der Debatte überhaupt noch nicht angesprochen worden ist, einiges ausführen: das ist der Strukturwandel. Ich meine, hier sollte eine Klarstellung erfolgen. Die Feststellung, daß die Produktivität, die Leistungssteigerung unserer Wirtschaft und damit ihre Widerstandsfähigkeit gegen Preiserhöhungstendenzen durch strukturelle Maßnahmen in einer Volkswirtschaft gestärkt werden kann, ist ohne weiteres zu akzeptieren. Vielfach wird jedoch, so meine ich, die Auffassung vertreten, der Strukturwandel solle möglichst zugunsten derjenigen Wirtschaftsbereiche vonstatten gehen, deren Ertragslage besonders günstig ist, mit anderen Worten: es solle Aufgabe der Strukturpolitik sein, die rentablen Wirtschaftsbereiche auf Kosten der weniger rentablen zu begünstigen. Nun ist die Rentabilität eines Unternehmens eine außerordentlich wichtige Meßziffer für den Leistungsvergleich mit seinen Konkurrenten auf einem Wettbewerbsmarkt. Sie ist zunächst ein privatwirtschaftliches, ein betriebswirtschaftliches Leistungskriterium. Für die Volkswirtschaft insgesamt gelten nach meiner Meinung aber andere Maßstäbe. Ob die Wirtschafts- und Industriestruktur eines Landes optimal ist, hängt ganz wesentlich davon ab, wie hoch ihre volkswirtschaftliche Produktivität ist. Zwar gibt es zwischen der Produktivität eines Wirtschaftszweiges und der Rentabilität seiner Unternehmen Zusammenhänge, aber leider sind die produktivsten Wirtschaftszweige nicht zugleich die rentabelsten. Inwieweit das eine oder das andere zutrifft, hängt nämlich ganz davon ab, wie intensiv der Wettbewerb - den wir bejahen — für die einzelnen Wirtschaftsbereiche ist. Da wir aber den Wettbewerb bejahen - ich betone das noch einmal —, müssen wir auch in Kauf nehmen, daß er das Leistungsgefälle unserer Wirtschaft bestimmt. Daraus ergibt sich, daß eine Strukturpolitik, die sich zum Ziel macht, Wirtschaftsbereiche zu begünstigen, die besonders rentabel sind, und andere, weniger rentable zu diskreditieren, zu schädlichen Ergebnissen führen würde.
Ich betone diesen Punkt deshalb, meine Damen und Herren, weil die Gutachter sich in dieser Hinsicht nicht hinreichend deutlich ausgesprochen haben. Sie sprechen nämlich von der Wanderung der Produktionsfaktoren in Richtung ihrer höchsten Erträge, ohne den Ertragsbegriff im Sinne der volks-



Dr. Staratzke
wirtschaftlichen Produktivität und nicht der privatwirtschaftlichen Rentabilität zu präzisieren.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Stabilisierungspolitik muß im ganzen gemacht werden und ohne quantitative Rechnungen und Zielsetzungen. Dafür aber so schnell wie möglich. Wir brauchen dazu ein konjunkturpolitisches Mindestinstrumentarium, und wir brauchen ein Programm — wenn Sie so wollen — von Maßnahmen, die aber auch variabel sein müssen. Selbstverständlich werden immer Widerstände gegen diese Stabilisierungspolitik sein; denn jede Medaille hat auch eine Kehrseite. Sie verspricht daher nur Erfolg, wenn sie in gleicher Zeit in gleiche Richtung mit möglichst allgemeiner Wirkung zielt.
Zweitens. Die gegenwärtigen Verhältnisse auf dem außerwirtschaftlichen Gebiet — so deutete ich an- — zeigen, wie notwendig die langfristige Sicherung des erforderlichen Außenhandelsüberschusses ist. Der Anstoß für eine dauerhafte Besserstellung der deutschen Wirtschaft im Außenhandel muß von den Kosten her kommen. Diese aber hängen entscheidend und in zunehmendem Maße von unserer Lohnentwicklung ab.
Drittens. Die Investitionstätigkeit eignet sich aus vielerlei Gründen wenig zur konjunkturpolitischen Beeinflussung, so ist unsere Meinung. Nicht nur die längerfristigen Gesichtspunkte des wirtschaftlichen Wachstums und der Produktivität, sondern die erheblichen kurzfristigen Schwankungen dieser Investitionstätigkeit verhindern ihre konjunkturelle Beeinflussung.
Viertens das, was ich zum Strukturwandel ausführte. Der Strukturwandel, dem eine dynamische Wirtschaft ständig ausgesetzt ist, enthält Produktivitätsreserven. Die Strukturpolitik kann aber nur dann sinnvolle Ergebnisse bringen, wenn sie sich von Maßstäben der volkswirtschaftlichen Produktivität leiten läßt.

(Beifall bei den Regierungnsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502230000
Das Wort hat der Abgeordnete Müller (Berlin).

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0502230100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich einige Ausführungen über das vierte Kapitel „Wachstum und Strukturwandel" machen. Hier gibt es sehr wertvolle Feststellungen und Anregungen der Gutachter im Hinblick auf die weitere Entwicklung, Feststellungen und Anregungen, die in der Debatte überhaupt nicht beachtet wurden, die aber Beachtung verdienen. Ich will wegen der vorgerückten Zeit darauf verzichten, darüber noch Ausführungen zu machen. Ich hoffe, bei späteren Gelegenheiten in dem einen oder anderen Fall darauf zurückkommen zu können.
Nun sind aber im Verlauf der Debatte Äußerungen gefallen, die nicht unwidersprochen bleiben können. Ich möchte mich darauf beschränken, dazu einige Bermerkungen zu machen; auf alles will ich also nicht eingehen. Es ist schade, daß Herr Kollege
Leber im Augenblick nicht hier ist. Ungeachtet dessen möchte ich folgendes sagen. Herr Kollege Leber hat gestern unter dem Beifall seiner Fraktion darauf hingewiesen, daß die Bundesrepublik Deutschland in der zurückliegenden Zeit im Vergleich mit anderen vergleichbaren Industriestaaten die wenigsten Arbeitskämpfe zu verzeichnen hatte. Eigentlich danken wir für diese Bestätigung. Das ist nämlich nach unserer Meinung das Ergebnis der von uns vertretenen Auffassung von der Sozialpartnerschaft,

(Sehr richtig! in der Mitte)

die vor Jahren noch — und zwar nicht nur von einigen Gewerkschaftsführern, sondern auch von Sozialdemokraten — als „Sozialromantik" hingestellt worden ist. Ich möchte hier nur feststellen, daß die Sozialpartnerschaft, die sich durchaus bewährt hat und die heute Ihre Anerkennung findet, keine Erfindung der SPD, sondern unser Ideengut ist, das jetzt erst durch Sie seine Bestätigung findet.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Leider gibt es aber auch heute noch gewerkschaftliche Äußerungen, in denen die Tarifautonomie und die Sozialpartnerschaft als Verdummung der Arbeiterschaft hingestellt werden. Damit meine ich nicht unseren Kollegen Leber, sondern einige, die Ihnen sicherlich zu gut bekannt sind, wenn Sie die Gewerkschaftspresse daraufhin einmal untersuchen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

Herr Kollege Leber glaubte auch gestern feststellen zu müssen, daß die Bundesregierung und die Koalitionsparteien den Gewerkschaften die Schuld an den Preissteigerungen in die Schuhe schieben wollten. Dem muß entschieden widersprochen werden. Was von seiten der Bundesregierung dazu zu sagen war und zu sagen ist, hat der Herr Bundeskanzler hier selber ausgeführt. Was soll aber jene von dem Herrn Kollegen Leber in diesem Zusammenhang geäußerte Warnung davor, Mißtrauen gegen Arbeitnehmer und Gewerkschaften zu säen, da dies eines Tages in ein Mißtrauen gegen den demokratischen Staat umschlagen könnte? Das ist eine gefährliche These, die von uns zurückgewiesen werden muß, weil sie einfach der Erfahrung widerspricht und weil sie durch die Vergangenheit längst Lügen gestraft worden ist. Es gibt nämlich keine stärkeren Verfechter beispielsweise der Tarifautonomie — unter solchem Aspekt muß man sie nur sehen — als gerade die Mehrheitsfraktion, die CDU/CSU. Das können Sie nicht in Zweifel ziehen, und das kann diese Fraktion nicht in Zweifel ziehen lassen, denn sie war stets davon überzeugt, daß die deutschen Arbeiter und Angestellten mündig, vollgültige und verantwortungsbewußte Staatsbürger sind. Bisher ist jeder Versuch, eine Zwangsschlichtung einzuführen, an der Haltung dieser Mehrheitsfraktion, nämlich der CDU/CSU-Fraktion, gescheitert. Daraus können Sie schlüssig folgern, daß wir großes Vertrauen zu den Sozialpartnern haben und daß wir keineswegs etwa einer solchen These das Wort reden können, daß hier Mißtrauen gesät würde.

(Beifall bei der CDU/CSU.)




Müller (Berlin)

Im übrigen sind die Arbeitnehmer, auch die organisierten Arbeitnehmer, häufig vernünftiger und stehen diesem Staat positiver gegenüber als — ich möchte auch hier den Kollegen Leber ausnehmen — mancher Gewerkschaftsfunktionär. Das sage ich aus meiner eigenen Erfahrung.

(Beifall in der Mitte. — Zurufe von der SPD.)

Lassen Sie mich zum Schluß noch eine persönliche Bemerkung zu den Ausführungen des Kollegen Leber machen. Sollte seine Bemerkung, wir sollten uns mehr dafür einsetzen, daß tarifvertragliche Vereinbarungen über vermögenswirksame Leistungen abgeschlossen werden, etwa so verstanden werden, daß wir engere und vielleicht bessere Beziehungen zu den Arbeitgeberverbänden hätten, dann darf ich von dieser Stelle aus feststellen, daß wir sowohl den Gewerkschaften als auch den Arbeitgeberverbänden gegenüber unabhängig sind und versuchen, zu allen gute Beziehungen zu pflegen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Das ist nämlich der echte Sinn einer Sozialpartnerschaft. Wir haben mit Absicht ein 312-DM-Gesetz geschaffen, das es gerade den Sozialpartnern überlassen soll, diese Frage besser als in der Vergangenheit zu lösen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502230200
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.

(Zuruf des Abg. Wehner.)


Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0502230300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wehner, werden Sie doch nicht gleich nervös, wenn ich komme.

(Abg. Wehner: So gemütlich! Ich habe gebeten, man sollte Ihre Fraktion vom Mittagstisch hereinbitten! Ich wollte Ihnen einen Gefallen tun! — Gegenrufe von der CDU/CSU: Ihre auch!)

— Herr Kollege Wehner, Ihre auch.

(Abg. Wehner: Ich wollte Ihnen etwas Nettes tun! Aber Sie sind so gereizt!)

— Ich bin gar nicht gereizt. Wenn man sich reizen läßt, schadet man seiner Gesundheit, und dagegen bin ich absolut.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Möller hat wegen der vorgeschrittenen Zeit dankenswerterweise auf finanzpolitische Ausführungen verzichtet. Ich tue es ebenfalls

(Hört! Hört! bei der SPD)

und schließe mich dem Wunsch von Herrn Dr. Möller an. Wir können über diese Probleme in der übernächsten Woche bei der Beratung des Haushaltsplanentwurfs 1966 besser sprechen.
Ich muß aber in ein paar Fällen leider Gottes wieder Zahlenangaben korrigieren. Nicht daß die Zahlen nachweislich falsch sind, sie lassen sich, wie es auch in Debatten der letzten Zeit gewesen ist, nur nicht vergleichen. Ich greife die erste heraus. Herr
Kollege Schiller hat die Angabe meines Kollegen Schmücker bezweifelt, daß das Haushaltsdefizit sich im Jahre 1965 auf rund 700 Millionen DM belaufe. Er hat dem ein Kassendefizit gegenübergestellt, das die Bundesbank im Monatsbericht Januar mit 2,3 Milliarden DM beziffert hat. Herr Kollege Schiller, es tut mir aufrichtig leid, daß Ihnen als Professor der Nationalökonomie der Fehler unterläuft, die Fußnote nicht zu lesen.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)

Die beiden Zahlen sind wirklich nicht vergleichbar; das sollten Sie einsehen und sollten das bei passender Gelegenheit hier auch bekennen. Bei den 700 Millionen DM, die Herr Schmücker genannt hat, handelt es sich um das echte Defizit des Jahres 1965, das nach der Haushaltsordnung in zwei Jahren, spätestens also im Jahre 1967, abgedeckt werden muß. Dagegen müssen Sie die 2,3 Milliarden DM, die die Bundesbank genannt hat — sie weist in einer Fußnote ausdrücklich darauf hin;

(Abg. Dr. Burgbacher: Hört! Hört!)

deshalb berührt mich das so sehr, daß Sie das nicht erkannt haben —, rein monetär sehen. In diesen 2,3 Milliarden DM sind nicht die am Kapitalmarkt aufgenommenen Mittel des Bundes enthalten. Dagegen sind die 750 Millionen DM Schuldbuchverschreibungen an die Rentenversicherungsträger einbezogen worden. Daß die beiden Zahlen nicht vergleichbar sind, Herr Kollege Schiller, scheint mir eine so große Selbstverständlichkeit zu sein, daß ich nicht mehr begreife, daß Sie hier in der Debatte den Eindruck vermitteln wollten, der Kollege Schmücker habe sich mit 700 Millionen DM gegenüber 2,3 Milliarden DM verrechnet.
Zu den verbesserten mehrjährigen Haushaltsübersichten darf ich nur feststellen, Herr Kollege Schiller, daß wir im Finanzbericht 1964 angefangen haben, eine mittelfristige Vorausplanung vorzulegen. Sie waren alle sehr damit einverstanden. Wir werden im Finanzbericht 1965, der Ihnen mit dem Haushaltsplan zugeleitet werden wird, eine Vorausübersicht bis 1970 — als fortentwickelter Versuch — vorlegen, über die wir uns dann unterhalten können.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502230400
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0502230500
Aber bitte!

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502230600
Bitte, Herr Abgeordneter!

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502230700
Herr Bundesfinanzminister, haben Sie nicht auch gelesen, daß in dem Bericht der Bundesbank im Januar-Heft die Anmerkung sich zwar auf den Teil des Kassendefizits bezieht, daß es aber in bezug auf das Gesamtdefizit eindeutig dort folgendermaßen heißt?
Unter Einschluß der Schulbuchforderungen, mit
denen Zuschüsse des Haushalts an die gesetzliche Rentenversicherung finanziert wurden, er-



Dr. Schiller
gab sich 1965 ein Defizit von 2,3 Milliarden DM,
das um 11/4 Milliarden höher war als 1964.

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0502230800
Herr Kollege Schiller, ich glaube, es ist wirklich nicht die Zeit — —

(Lachen bei der SPD. — Abg. Wehner: Wenn Sie das sagen!)

— Einen Moment, Herr Wehner, so nicht!

(Abg. Wehner: Wenn Sie sowas sagen, können Sie doch wohl Zeit haben! Wir haben auch Zeit!)

— Das ist großartig, Herr Wehner; Sie haben sonst nicht so viel Zeit.

(Abg. Wehner: Lassen Sie doch diese Bemerkungen! Die stehen Ihnen gar nicht zu!)

Das Defizit des Bundeshaushalts 1965, Herr Kollege Schiller, beträgt 724 oder 726 Millionen DM. Ich habe die Zahl im Moment nicht im Kopf. Sie wird Ihnen mit der Gesamtabrechnung des Jahres 1965 gedruckt vorgelegt werden. Sie wissen ja, daß Sie diese Abrechnung des Haushalts nach einiger Zeit erhalten. Ich glaube, wir sollten die Frage des Kassendefizits von 2,3 Milliarden DM bei der Bundesbank hier nicht weiter erörtern. Das geht nun wahrhaftigen Gotts nicht. Daß das, was Herr Schmücker genannt hat, nicht vergleichbar ist mit dem, was die Bundesbank im Januar-Bericht gesagt hat, ist doch ganz klar.
Noch eine Bemerkung zu der mittelfristigen Vorausschau. Eine Gesamtvorausschau, ein öffentlicher Gesamthaushalt ist selbstverständlich nur möglich, wenn zwischen Bund, Ländern und Gemeinden Übereinstimmung über ein Schema, über ein einheitliches Erhebungsformular geschaffen worden ist. Ich kann Ihnen erfreulicherweise mitteilen, daß im Verhältnis Bund—Länder ein Arbeitskreis damit beschäftigt ist, diese Unterlagen zu schaffen. Zusätzlich müssen aber noch 25 000 Gemeinden oder mindestens eine repräsentative Zahl von großen, mittleren und kleinen Gemeinden einbezogen werden. Das sind Arbeiten, die mit der Finanzreform zusammenhängen, die die Bundesregierung tatkräftig gefördert hat. Trotz all Ihrer düsteren Prognosen liegt das Gutachten inzwischen vor und wird Ihnen in aller Kürze zugestellt werden können. Übrigens nutzt mir die Zusammenfassung der Bedarfsanmeldungen aller öffentlichen Haushalte gar nichts, wenn nicht die Abstimmung der Ausgabeanforderungen mit den finanzwirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Möglichkeiten, d. h. die Festlegung von Prioritäten, hinzukommt.
Nun muß ich mich, so leid es mir tut, einem Zwischenruf oder einer Zwischenfrage des Kollegen Schmidt (Hamburg) zuwenden. Er ist zwar leider nicht da, aber ich möchte die Erwiderung gern im Protokoll haben. Herr Kollege Schmidt, der ja auch Diplomvolkswirt ist, hat während der Rede des Herrn Bundeskanzlers auf eine „Inflationsrate" bei den Steuerschätzungen hingewiesen. Ich weiß, daß in populären Auslassungen dazu häufig der Gedanke geäußert wird, der Staat könne sich über die
Inflationsrate bei den Steuereingängen besonders freuen. Ich habe dazu zu sagen, daß ich den in dem Zwischenruf des Herrn Kollegen Schmidt liegenden Vorwurf nicht verstehe. Auch in dem Sachverständigengutachten findet sich eigenartigerweise der Vorwurf, die Bundesregierung berücksichtige in ihrer Haushaltsgestaltung einen Inflationszuschlag, wenn sie die Steigerung des nominellen Sozialprodukts zugrunde lege; auf diese Weise werde den Preissteigerungstendenzen Vorschub geleistet. Meine Damen und Herren, es ist unrealistisch, die Steuern auf der Basis des realen Wachstums des Bruttosozialprodukts zu schätzen. Dann würde dem Bundesfinanzminister, wie das früher immer geschehen ist, der Vorwurf gemacht werden, er habe bewußt druntergehalten. Die Steuerschätzung, an der neuerdings die Länder beteiligt sind, wie Sie wissen, an der auch die Bundesbank beteiligt ist, an der unabhängige Sachverständige beteiligt sind, erfolgt in keiner Weise so, daß eine Inflationsrate einkalkuliert wird. Aber die zu erwartenden Einnahmen müssen nach der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 110 Abs. 1 des Grundgesetzes und nach § 9 der Reichshaushaltsordnung so geschätzt werden, daß die voraussichtlichen Einnahmen möglichst mit dem Ist in der Waage gehalten werden. Deshalb kann eine solche wirklichkeitsgetreue Vorausschätzung der Steuern nur auf der Basis des zu erwartenden nominellen Wirtschaftswachstums erfolgen, und zwar mit Abwägungen auf 1 3/4 Jahr im voraus und auf die manchmal über ein Jahr zurückliegenden Veranlagungszeiträume. Aber der Vorwurf, daß dabei eine Inflationsrate geschätzt wird, ist eine Unterstellung, die nicht richtig ist. Selbst bei völligem Stillstand der Preise würden sich, wenn Sie die reale Wachstumsrate nehmen, die im Laufe des vorangegangenen Jahres eingetretenen Veränderungen erstmals in rund 12 Monaten auswirken. Das können Sie gar nicht vermeiden.
Ich möchte nur feststellen, daß es für die konjunkturgerechte Haushaltsgestaltung gar nicht auf die reale Steuerschätzung ankommt, die Herr Kollege Schmidt mit entsprechend niedrigeren Ausgabeansätzen verlangt hat. Allein ausschlaggebend ist, daß die erzielten Einnahmen, wie hoch sie auch immer sein mögen, einer konjunkturgerechten Verwendung zugeführt werden. Darauf allein kommt es an. Sie müssen also z. B. zur Tilgung von Schulden benutzt werden. — Bitte, Herr Kollege!

Arthur Killat (SPD):
Rede ID: ID0502230900
Herr Minister, halten Sie es für unrealistisch, wenn die Tarifpartner in ihren Verhandlungen auf Ihre Einschätzungsquote Bezug nehmen und dieselbe Zuwachsrate mit in Ansatz bringen?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0502231000
Nein, das halte ich nicht für richtig, weil das ebenfalls zwei Dinge sind, die miteinander nichts zu tun haben. Die Schätzung der Steuereinnahmen des Staates und die darauf aufbauenden Ausgaben eines Haushaltsplans sind etwas ganz anderes als das Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Tarifparteien. Ich darf Ihnen, Herr Kollege, z. B. sagen — leider wird es dadurch etwas länger —: wenn ich der Forderung des Grundgesetzes nachkomme und den

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Bundesminister Dr. Dahlgrün
Haushalt möglichst frühzeitig einbringe, wie das bekanntlich im Jahre 1964 für 1965 geschehen ist, dann beträgt die Differenz fast zwei Jahre; denn ich fange im März/April 64 an, und der Endtermin des Haushalts ist der 31. Dezember 1965. Ich muß alle Faktoren, die auf die Steuern einwirken, vorausschätzen. Aus diesen Gründen darf ich Ihnen sagen, Herr Kollege: wenn ich mit 1 % Verschätzung im Schnitt gearbeitet habe — Sie können das in den Abrechnungen nachlesen —, so ist das ein sehr befriedigendes Ergebnis der Steuerschätzungen. Das hat mit einer Inflationsrate auch nicht das geringste zu tun. — Bitte!

Arthur Killat (SPD):
Rede ID: ID0502231100
Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, Sie setzen eine, wie Sie es nennen, „Inflationsrate" an? Ich würde es — —

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0502231200
Nein, das stammt nicht von mir. Ich richte mich nach der Diktion von Herrn Kollegen Schmidt.

Arthur Killat (SPD):
Rede ID: ID0502231300
Sie setzen eine Quote der Kaufkraftverteuerung in Ansatz und operieren mit nominalen Werten. Ist Ihnen nicht geläufig, daß auch die Lohnempfänger und ihre Vertreter in solchen Fragen nicht anders als mit nominalen Werten rechnen können?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0502231400
Herr Kollege, das ist eine falsche Fragestellung. Der Lohnempfänger hat das, was er in seinem Lohnoder Gehaltszeitraum bekommt, auf der Hand. Wenn ich meine Steuereinnahmen schätze, muß ich, wie ich Ihnen soeben an Hand der Daten gesagt habe, fast zwei Jahre im voraus schätzen.
Nun als Schlußpunkt zu der Bemerkung des Herrn Kollegen Schiller zur Sparförderung. Er hat süffisanterweise von einem Alleingang des Bundesfinanzministers gesprochen. Herr Kollege Schiller, von einem Alleingang kann gar keine Rede sein. Ich befinde mich hier im Gang mit allen Fraktionen dieses Hohen Hauses, das einstimmig im vorigen Bundestag in einer Entschließung die Bundesregierung aufgefordert hat, alsbald Vorschläge zur Neuordnung zur Sparförderung vorzulegen. Da ich Aufträge des Hohen Hauses ernst nehme, beschäftigen wir uns damit. Es sind bisher noch keine endgültigen Ergebnisse erzielt worden. Wir streiten uns noch über verschiedene Punkte. Wir sind noch beim Rechnen, wie sich das gehört, beim sorgfältigen Rechnen. Von einem Alleingang, wie das Herr Kollege Schiller darzustellen beliebte, kann, wie gesagt, keine Rede sein. Das Hohe Haus hat selber diese Überprüfung verlangt, mit der wir beschäftigt sind. Im übrigen darf ich Sie, Herr Kollege Schiller, darauf hinweisen, daß wir schon mit dem Steueränderungsgesetz 1964 dem Hohen Hause Vorschläge für eine Harmonisierung der Sparförderung gemacht haben. Da haben Sie schon etwas in der Hand. Ich habe schon damals gesagt: das ist ein Vorschlag zur Harmonisierung. Der ist nicht mit der Behauptung verbunden, daß es der alleinige und allerbeste Vorschlag wäre. Ich habe einen Vorschlag gemacht, über den man hätte diskutieren können, wozu man aber leider aus Zeitmangel nicht gekommen ist.
Nun zu Herrn Dr. Möller; ich will jetzt wegen der vorgeschrittenen Zeit schließen. Sie haben gesagt, diese Debatte habe bewiesen, daß die SPD zum Handeln bereit sei. Ich hoffe das sehr. Aber wie Sie notieren, was wir machen, so werden wir notieren, was Sie machen. Wir wollen hinterher sehen, wer sich — wie Sie es ausgedrückt haben — drumherumdrückt. Drumherumdrücken, Herr Kollege Möller, den Vorwurf kann ich Ihnen nicht ersparen: das sind Sie gewesen, insbesondere beim Haushaltssicherungsgesetz, wo Sie vorher sehr lautstark Maßnahmen, härteste Maßnahmen, noch härtere Maßnahmen verlangt haben, und als es hier zur Abstimmung kam, war die SPD nicht mehr da.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502231500
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schiller.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502231600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen dem Herrn Bundeskanzler sehr dankbar sein,
daß er heute in diesem Hohen Hause das Wort genommen hat und daß er uns klaren Wein eingeschenkt hat. Der Bundeskanzler — und das passiert selten bei ihm — hat uns heute Klarheit vermittelt. Das Gutachten ist in seinem Kernstück, dem Stufenplan zur Rückführung der Preissteigerungsrate, von dieser Bundesregierung am heutigen Tage ad acta gelegt worden; es ist abgelehnt worden.

(Beifall bei der SPD.)

Es war eine Marc-Antonius-Rede: „Brutus — die Sachverständigen — ist ein ehrenwerter Mann; aber im übrigen lehnen wir das Gutachten ab." So ist es also. Es war für das Gutachten ein Staatsbegräbnis erster Klasse, höchster Protokollstufe, vom Bundeskanzleramt veranstaltet. Wir können nicht mehr sagen, daß diese Bundesregierung noch auf dem Boden des Gutachtens steht.
Das ist nun auch eine Frage der Führungskunst in Ihren eigenen politischen Reihen. Herr Luda hat uns am gleichen Vormittag etwas ganz anderes gesagt. Er hat doch immerhin den Stufenplan gebilligt und sogar sehr viel Wert darauf gelegt, den tiefen Abgrund zwischen dem Sachverständigengutachten und — nicht der CDU, sondern der SPD aufzureißen. Jetzt haben wir es anders gehört, nämlich vom Bundeskanzler an demselben Vormittag.
Hier bin ich bei dem zweiten Punkt, den ich zu diesem Thema sagen muß. Es wurde gesagt, es bestünde da eine gewisse intellektuelle Nachbarschaft zwischen dem Gutachten und dem Konzept des Stufenplanes der SPD. So wie das von dem Herrn Bundeskanzler vorgebracht wurde, war das kein gutes Wort. Ich muß den Rat in seiner Unabhängigkeit in aller Form in Schutz nehmen.

(Beifall bei der SPD.)

Es hat da überhaupt keine Verbindung gegeben,
weder in der einen noch in der anderen Richtung.
Aber es gibt eine allgemeine Verbindung, und das



Dr. Schiller
ist die moderne Ökonomie. Es gibt eine Generation jüngerer moderner Ökonomen, die in gleichen Richtungen denken und die die gleichen Vorstellungen haben; das ist das Verbindende gewesen und nichts anderes. Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können; aber es ist so.

(Zuruf von der Mitte: Das können wir nicht!)

— Können Sie nicht; natürlich, das habe ich mir gedacht. Sie können sich nur eine andere Ebene des Meinungszusammenklangs vorstellen. Daß es eine moderne wirtschaftspolitische Debatte in den Fachzeitschriften gibt und daß die Frage der Allmählichkeit der Zurückführung der Preissteigerung ein allgemeines Problem ist und daß man von da her sachverständig eine Rahmenplanung machen kann, ist Ihnen allerdings unbegreiflich. Nun habe ich wohl auch diese Frage richtiggestellt und komme wieder auf den Herrn Bundeskanzler zurück.
In einem dritten Punkt hat uns der Herr Bundeskanzler jedoch völlig im Unklaren gelassen: Was soll eigentlich mit der Preissteigerungsrate von 4,2 %, die wir gerade im Januar dieses Jahres erreicht haben, geschehen? Er ist mehrmals gefragt worden, ob er einen Zeithorizont, irgendwelche zeitlichen Vorstellungen, habe, etwa den für einen Bundeskanzler in einer parlamentarischen Demokratie gegebenen Zeithorizont einer Legislaturperiode. Er hat alles offengelassen. Es kann im Laufe dieser vier Jahre so weitergehen, es kann auch anders werden.

(Abg. Dr. Burgbacher: Nein, das hat er nicht gesagt!)

— So ist geantwortet worden.

(Abg. Dr. Elbrächter: So schnell wie möglich!)

— So schnell wie möglich! Aber wir haben gefragt: wie schnell denn, in diesem Jahr, im nächsten Jahr oder im Rahmen der Legislaturperiode?

(Abg. Dr. Burgbacher: Das bleibt Genies wie Ihnen vorbehalten!)

Da ist eine große Spannweite offengeblieben, und dieser Punkt ist nicht geklärt. Das ist doch eine wichtige Sache. Die Bevölkerung draußen hat — das wissen wir alle — gewisse Preiserwartungen, sie rechnet mit gewissen Entwicklungen. Deswegen haben wir die Regierung um ein Wort gebeten: Sehen Sie eine Möglichkeit? Welches sind Ihre Vorstellungen, in den nächsten Jahren auch quantitativ von der hohen Preissteigerungsrate herunterzukommen?

(Abg. Dr. Burgbacher: Schnellstens!) — Was heißt schnellstens?


(Abg. Dr. Burgbacher: Schnellstens heißt, das Mögliche am schnellsten!)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502231700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hermann Schwörer (CDU):
Rede ID: ID0502231800
Herr Professor Schiller, können Sie uns sagen, welche Quote der so wichtige Faktor der Entscheidung der Tarifparteien in den nächsten Jahren bei der Entscheidung dieser Frage einnehmen wird?

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502231900
Da stehen wir vollkommen auf dem Boden des Gutachtens, dessen Leitlinien wir unterstützen und die sich auch auf diesen Bereich der Wirtschaft beziehen. Das ist genau in den 8 Punkten, die ich gestern in der Debatte präzise als unsere Stellungnahme gegeben habe, gesagt worden.

(Abg. Lemmrich: In Ihrer Antwort gehen Sie um das Problem herum!)

— Nein, das ist genau in meiner Antwort enthalten. Ich habe wörtlich gesagt, wir stehen in einem ersten Stadium, in einem Versuchsstadium, in dem die Tarifparteien zusammen mit den Schlichtern versuchen, zum erstenmal gesamtwirtschaftliche Orientierungshilfen anzuwenden. Ist das nicht deutlich genug? Und ich habe gesagt; wir sollten von diesem Hause aus alles dazu tun, daß dieses Bestreben unterstützt wird.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502232000
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Bitte, Herr Abgeordneter Elbrächter!

Dr. Alexander Elbrächter (CDU):
Rede ID: ID0502232100
Herr Kollege Schiller, können Sie uns sagen, was Sie konkret tun werden, wenn die Sozialpartner zu einer höheren Lohnfindung kommen, als sie das Gutachten anführt? Geben Sie nicht zu, daß der Herr Bundeskanzler gesagt hat, er werde alles tun, um die Lohnsteigerungen in dem Rahmen der jetzt gegebenen Produktivität zu halten? Welche Zwangsmöglichkeiten sehen Sie denn, um dahin zu kommen? Das ist doch die entscheidende Frage.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502232200
Ich sehe überhaupt keine Zwangsmöglichkeit. Wenn eine Zwangsmöglichkeit nötig wäre, so wäre das der Bankrott der Wirtschaftspolitik, die dorthin geführt hat.

(Zustimmung bei der SPD.)

Ich sehe dagegen nur präventive Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik. Um .das klar zu sagen: Die wichtigste ist, daß man Mitte und Maß hält und auf die 6,5 % geht. Mit 4 %, die hier verkündet sind, führt man nämlich die Desavouierung der Orientierungshilfen herbei. Ich habe manchmal das Gefühl, auf dieser Bank und auf anderen Bänken möchte man es, um dann den Sündenbock zu haben, wenn die Sache schiefgegangen ist.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Elbrächter: Eine böse Unterstellung!)

Die einzige Zahl, die aus diesem zahlenscheuen Bundeskanzler herauszuholen war, waren doch die 4 %. Das ist der reale Zuwachs des Sozialprodukts mit Preissteigerungsrate Null. Das stimmt doch! Und damit sehen Sie doch, was das für die Tarifverhandlungen bedeutet, wenn von höchster Warte ein selbst ernannter Kanzler-Schlichter 4 % als Marge genannt hat.

(Abg. Lemmrich: Sie geben trotzdem keine Antwort!)

— Ich gebe genau die Antwort, die ich in meinen
8 Punkten gegeben habe, daß wir nämlich alles



Dr. Schiller
dazu tun, damit jene Orientierungshilfen des Gutachtens in diesem Jahr, so gut es geht, noch beach-tel werden. Das nenne ich präventive Politik!

(Abg. Lemmrich: Dann sind wir uns ja einig! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU.)

Aber Zwangsmaßnahmen gibt es gar nicht, kommt überhaupt nicht in die Tüte! Wer will denn das? Aber eine anständige Politik vorher ist nötig. Was erreichen Sie mit Ihrer Politik? Sie haben das doch kaputt gemacht; mit den 4 % weichen Sie doch gerade von den Orientierungshilfen entscheidend ab.
Was sollen denn die Leute draußen bei den Tarifverhandlungen sagen, wenn von höchster Warte das Sachverständigengutachten diskreditiert wird und damit seine magnetische Kraft, die es bis heute noch hatte, einbüßt? Das ist doch die Situation, und das nenne ich schlechte Politik.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502232300
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502232400
Bitte, Herr Kollege!

Dr. Hermann Schwörer (CDU):
Rede ID: ID0502232500
Herr Professor Schiller, nach den neuesten Erkenntnissen ist der Zuwachs des Bruttosozialprodukts nicht 4, sondern 31/2 % für das nächste Jahr,

(Abg. Dr. Burgbacher: Für dieses Jahr!)

und Sie sagen, Sie wollten 6,5 % mehr. Ich darf Sie fragen, wie vereinbaren Sie dies mit dem Sachverständigengutachten?

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502232600
Aber lieber Herr Kollege, ich habe mehrfach gesagt, wir wollen hier nicht um 0,5 % streiten. Ich habe auch von 6 % geredet. Ich habe mehrfach gesagt — und so ist doch das Konzept des Sachverständigenrats auch auszulegen —, wir sollten „in der Nachbarschaft der Leitlinien" bleiben. Das wissen Sie doch ganz genau. Wer kann von uns aus denn 6,5 auf Punkt und Komma fixieren? Niemand kann das.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— In der Nachbarschaft der Leitlinie zu bleiben; dazu sollten wir alles tun. Aber 4 % ist nicht mehr Nachbarschaft, sondern das ist ein qualitativ vollkommen anderes Konzept. Das heißt nämlich, daß ab heute die Preissteigerungen Null sind, und das sind sie nicht.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich darf meinen Gedankengang jetzt fortsetzen; ich bin sonst sehr für solche Zwischenfragen. Ich möchte aber meine Ausführungen erst mal einen Moment fortführen.
Ich habe schon gesagt, daß wir in den acht Punkten sehr präzise unsere Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten dargelegt haben. Wir haben zum Stufenplan ja gesagt. Ich hätte nicht gewagt, anzunehmen, daß ich als isolierten Alliierten Herrn Luda dabei haben würde; denn auch er hat zum Stufenplan der abfallenden Preissteigerungsrate ja gesagt, im Gegensatz zu seinem Bundeskanzler, im Gegensatz zu dem großen, schönen Teppich, den er seinem Bundeskanzler zuletzt aufgerollt hat.
Meine Damen und Herren, was ist nun konkret, nachdem wir Rede und Antwort gestanden haben? Wir sind ja dauernd von Ihnen gefragt worden und haben, wie der Briefkasten in der Zeitung, Antwort geben, bis zum Haushaltsvolumen hin. Wir ha ben Ihnen klar unsere Meinung gesagt, Dr. Möller und ich, wie wir zu dem Haushaltsvolumen stehen. Bei Ihrer eigenen Regierung und bei Ihnen hier weiß ich immer noch nicht, wie Sie zu dem Haushaltsvolumen von 69,15 Milliarden stehen. Sie haben Ihren eigenen Entwurf so im Nebel, im Dämmer gelassen, ob man nicht noch ein bißchen daruntergehen könnte. Sie haben von Ihrer Seite keine klare Auskunft gegeben. Das ist doch ein entscheidender Punkt. Wir haben es getan, und das sollten Sie auch einmal anerkennen.
Das Zweite: Wenn wir fragen: Was tun Sie denn nun für die Herbeiführung der Geldwertstabilität, nachdem wir also 4,2 % erreicht haben?, dann berufen Sie sich einmal auf das Haushaltsvolumen. Bei diesem Haushaltsvolumen selber wissen wir noch nicht, woran wir mit Ihnen sind. Die Zahl ist offen gelassen. Der Bundeskanzler selber hat ja seinen eigenen Entwurf, der seine Unterschrift trägt, wiederum selber mit einem Diskont versehen, indem er gesagt hat: Wenn Ihr also ändern wollt, dann könnt ihr ändern. Ich habe es bisher in langer parlamentarischer Tätigkeit so gelernt, daß sich die Regierung im Sinne ihrer Führungsaufgabe über das wichtigste Dokument der Regierungstätigkeit in einem Jahr schlüssig wird, nämlich über den Haushaltsplan, und diesen Haushaltsplan in Summa und in Aufgliederung im Parlament vertritt. Das ist nicht geschehen.

(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU.)

Im Gegenteil, es ist gesagt worden: „Gehen Sie doch darunter!"
Das Dritte, was Sie anführen, ist der Dialog. Ich habe Herrn Bundeswirtschaftsminister Schmücker ermuntert, daß er den Dialog mit den Tarifparteien führt. Aber ich habe heute feststellen müssen, dieser Dialog muß, wenn es eine Richtlinienentscheidung des Kanzlers ist, in Zukunft ohne Orientierungshilfen geführt werden; denn der Kanzler hat sich eindeutig gegen quantitative Orientierungshilfen ausgesprochen.
Nun habe ich bei Ihnen immer noch ein bißchen Hoffnung auf Grund Ihrer gestrigen Antwort. Als ich Sie sehr spitz, präzise und exakt — das Wort liebt der Bundeskanzler nicht, aber trotzdem bemühen wir uns in dieser Richtung — nach den 4 % des Bundeskanzlers gefragt habe, da haben Sie geantwortet: Das ist für mich keine Leitlinie. Ich hoffe also, daß Sie auch in Zukunft in diesem Sinne noch ein bißchen „larger" verfahren. Aber das ist offen.



Dr. Schiller
Dann kommt als Viertes ständig von Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungsmehrheit, das Haushaltssicherungsgesetz. Ich habe selber von der Opposition aus mehrmals gesagt, wir sollten — und das sollten Sie auch einmal würdigen — den Schnee vom letzten Jahr vergessen. Aber wenn Sie nun immer wieder vom Haushaltssicherungsgesetz als dieser Ihrer Maßnahme anfangen, dann muß ich Ihnen sagen: dieses Haushaltssicherungsgesetz, was war es denn politisch und ökonomisch? Es war weiter nichts als der Ersatz, der „Malzkaffee" für den Art. 113, den anzuwenden Ihre Regierung nicht in der Lage war.

(Beifall bei der SPD.)

Es war der Malzkaffee dafür, daß Ihre Regierung nicht in der Lage war, im Sommer 1965 vor das Parlament zu treten und einen Rahmenplan vorzulegen und den Abgeordneten zu sagen: Ihr bewilligt zuviel. Das ist nicht geschehen. Draußen im Lande hat man geredet, hier ist der quantitative Rahmenplan für 1965 nicht gegeben worden.

(Zurufe von den Regierungsparteien.)

Und was hat die Regierung in der ganzen Zeit gemacht? Natürlich hat sie viel zu tun gehabt. Sie hat nämlich alle Hände voll zu tun gehabt, Geld auszugeben. Die Bundesausgaben ohne Bewilligung des Parlaments — denn die Bewilligungen im Sommer sind ja noch nicht in cash, in Kasse, umgesetzt worden; da stimmen wir alle überein — liefen über 11 % hinaus, und wir sind für das ganze Jahr 1965 — das haben wir nun von der Bundesbank bescheinigt bekommen — auf 10% gekommen.
Meine Damen und Herren, und was haben Sie eigentlich mit dem Haushaltssicherungsgesetz erreicht? Sie haben schwierige Sachen — das ist sehr unangenehm zu hören — vor sich hergeschoben für das kommende Jahr, und es geht in der deutschen Öffentlichkeit schon von dieser und jener Seite erneut los: „Wir brauchen am Ende des Jahres wieder ein Haushaltssicherungsgesetz."
Finden Sie das schön — ich frage Sie ganz spitz —, daß diese Regierung in die deutsche Wirtschaftsgeschichte eingehen wird als die Regierung der Geldwertunstabilität und als die Regierung, die jedes Jahr ein Haushaltssicherungsgesetz vorlegt, in dem das, was im Laufe des Jahres beschlossen worden ist, mangels Vorausschau doch am Ende storniert werden muß? So wollen Sie, und das ist Ihr Mittel, zur Herbeiführung der Geldwertstabilität kommen!
Nun komme ich zu Herrn L u d a. Herr Luda hat hier sehr viel über mittelfristige Rahmenplanung und über mittelfristige Wirtschaftspolitik gesagt, und der Herr Bundeskanzler war in diesen Punkten mit Herrn Luda einer Meinung. Sie sind also dagegen. Ich kann nur sagen: sorgen Sie für mehr Führungskunst in Ihrer Partei. Ab gestern kann ja nun der Zukunftsstaat dort in Ihrer Partei beginnen, nun kann die Führungskunst dort Einzug halten. Das, was der Bundeswirtschaftsausschuß der CDU Anfang Februar gesagt hat, war ein großes Plädoyer — ich habe daraus mit Freude zitiert und ich bin fröhlich darüber — für die mittelfristige Wirtschaftspolitik.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Was gilt nun bei Ihnen? Gilt das, was der Bundeskanzler sagt und was Herr Luda sagt, oder gilt das, was weithin sichtbar als moderne Wirtschaftspolitik vom Wirtschaftsausschuß des Bundesvorstandes der CDU verkündet wird?

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Es gilt, was Herr Luda sagt!)

— Es gilt, was Herr Luda sagt.

(Heiterkeit.)

Nicht immer, vor allen Dingen, wenn Herr Luda nicht den Unterschied zwischen Politik und Wissenschaft erkennt. Herr Luda, da empfehle ich Ihnen einmal Max Weber, der in diesem Hause schon öfter zitiert worden ist, zu lesen. Dann werden Sie den Unterschied von Wissenschaft und Politik begreifen. Ziele aufstellen ist Sache der Politik, auch quantitative Ziele, damit nämlich in diesem Fall die Preiserwartungen der Bevölkerung in einem guten Sinne beeinflußt werden. Nach dem, was heute gesagt worden ist, könnte man beinahe befürchten, daß die deutsche Bevölkerung in ihren Preiserwartungen sich darauf einstellt, es bleibt bei den 4,2 %. Wir hatten es uns anders vorgestellt. Politische Ziele werden durch eine Regierung gesetzt. Vorauschauen, das ist ganz was anderes, Gesamtrechnungen für vier Jahre — das alles wird durch ein wissenschaftliches Gremium gemacht. Diesen Unterschied wollte ich Ihnen ein bißchen klarmachen. Ich hoffe, dieser Unterschied ist Ihnen nun klar geworden. Mir kam es auf Führung an. Unser Verlangen gegenüber der Bundesregierung war in diesem Falle, daß sie Ziele setzt.
In einem Punkt muß ich Sie berichtigen. Sie sprachen davon, ich hätte im Wahlkampf — Herr Luda, das hat mich sehr erstaunt, daß Sie das behaupten — mit 5 % Preisindex für die Lebenshaltung operiert. Ich muß Sie darüber aufklären — ich dachte, Sie wüßten das —: Es gibt zwei amtliche Preisindizes für die Lebenshaltung in der Bundesrepublik Deutschland, die beide vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden bearbeitet und veröffentlicht werden. Bei dem einen handelt es sich um den Preisindex für einen Normalhaushalt von vier Personen. Das ist der Preisindex, den ich heute dauernd zitiert habe. Er steht jetzt auf 4,2 %. Daneben muß man auch mal gelegentlich — gestern haben wir das nicht gemacht — an den anderen amtlichen Preisindex erinnern.

(Abg. Wehner: Sehr wahr!)

Dieser andere Preisindex stellt die Lebenshaltungskosten für einen Zweipersonenhaushalt von Sozialhilfe- und Rentenempfängern dar. Dieser Preisindex hat das ganze Jahr 1965 über bis hinein in den Januar 1966 über dem anderen Index gelegen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Da kann man auch diesen zweiten Index einmal erwähnen; und der war mit den 5 % gemeint.



Dr. Schiller
Das war eine kleine Nachhilfe; ich glaube, zu der haben Sie nichts mehr zu sagen.
Herr Luda hat hier von dem Buch von Fucks „Formeln zur Macht" gesprochen, hat dessen weitreichende langfristige Entwicklungsberechnungen angedeutet und die Kritik meines Freundes Helmut. Schmidt zitiert. Ich bin voll und ganz der Meinung von Helmut Schmidt. Das sind langfristige, in Äonen gehende Vorausberechnungen. Was haben Sie getan? Wir hier in diesem Hause sprechen von einem zwei- oder dreijährigen Stufenplan oder von einer Legislaturperiode. Sie haben „schwuppdiwupp" die langfristigen Perspektiven des Herrn Fucks auf diese zeitlich begrenzten Perspektiven von zwei, drei oder vier Jahren einer mittelfristigen Wirtschaftspolitik angewendet. Das ist Ihre Art zu argumentieren.
Herr Luda, Sie haben erwähnt, daß der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium 1954 seine Skepsis gegenüber der wissenschaftlichen Vorausschau ausgedrückt hat. Sie hätten dabei erwähnen müssen — ich stehe diesem Beirat nicht sehr fern —, daß er in demselben Gutachten, also schon 1954, für Alternativrechnungen in die Zukunft hinein als Instrument der Politik plädiert hat. Sie müssen mir zugeben: seit dem Jahre 1954, seit jenem Petitum, haben wir jetzt mit dem Sachverständigengutachten dieser unabhängigen Leute zum erstenmal die gewünschte Alternativrechnung bekommen.
Ein Zweites. Sie haben bei Ihrer Analyse der Vergangenheit, des Jahres 1954, geflissentlich — ich nehme an, nicht ohne Absicht, Herr Luda — zu erwähnen vergessen, daß der Wissenschaftliche Beirat heuer, in diesem Jahre 1966, ein Gutachten gemacht hat. Da spricht er nicht von wissenschaftlicher Vorausschau, sondern da erwähnt er etwas anders; und das will ich zitieren. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium spricht — im Jahre 1966 — wörtlich von einem „fortgesetzten Versagen der Wirtschaftspolitik"; und damit meint er nicht ein fernes Land, die Äußere Mongolei, er meint Preußen-Deutschland, Herr Luda. Herr Luda, ich gebe Ihnen einen Rat: Machen Sie Ihren Shop mit Altwaren dicht, gehen Sie einmal zu einer Handlung mit neuen Produkten über!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Seien Sie einmal dynamischer Unternehmer und bringen Sie wirklich neue Erzeugnisse auf den Markt! Dann würden Sie sogar etwas beitragen zur Belebung der Konkurrenz, zur Preiskonkurrenz nach unten.
Und da sage ich Ihnen ein Weiteres: Herr Luda, Sie wollen mich ausgerechnet immer in den Panzer der Zentralverwaltungswirtschaft pressen. Ich kann Ihnen sagen: In Sachen der Marktwirtschaft wäre ich jeden Tag — selbst heute, obwohl es mir heute nachmittag schwer fiele — bereit, Sie, Herr Luda, mit liberalem 01 zu salben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Sind Sie 1950 bei der SPD gewesen? Da hätten Sie salben können, Herr Professor, da haben Sie nicht gesalbt!)

— Ich war bei der SPD.

(Zuruf von der CDU/CSU) : Ja, aber gesalbst haben Sie nicht!)

— Und wie habe ich gesalbt! Ich bin in dieser SPD von 1946 bis heute einer derjenigen gewesen — mit Heinrich Deist und Veit und Alex Möller —, die dieses Konzept der Marktwirtschaft und der Kombination mit Globalsteuerung in dieser großen Partei aus einer Minderheitsmeinung zu einer Mehrheitsmeinung gemacht haben. Das ist unser Weg gewesen.

(Zurufe von der CDU/CSU.)

So wenig, wie Sie anscheinend wissen, daß ich schon im Jahre 1950 in der SPD war — das wissen Sie eben nicht —, so sehr möchten Sie natürlich, daß diese SPD auf immer und ewig im Speisekammergesetz der Bizone von 1948 eingesalzen würde. Das ist Ihre Hoffnung; aber die ist vorbei.

(Große Heiterkeit und Beifall bei der SPD. — Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)

Wenn Sie nun sagen: Godesberg — meine Damen und Herren von der CDU, Sie machen doch auch Anstrengungen, Konzepte zu finden für, wie Sie sagen, — —

(Zuruf von der CDU/CSU.)

— Sie reden schon vorher. Sind Sie denn ein Hellseher? Das hätte ich gerade Ihnen nicht zugetraut.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Sie selber versuchen doch, Konzepte zu finden für die Marktwirtschaft zweiter Phase.

(Abg. Dr. Burgbacher: Ja, wir sind immer eine Phase voraus, Sie sind immer eine hinterher!)

— Wir haben schon vor Ihnen in Karlsruhe von dem zweiten Abschnitt unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung gesprochen; aber Sie haben das nicht gelesen.

(Zuruf des Abg. Dr. Burgbacher.)

— Herr Kollege Burgbacher, übernehmen Sie sich nicht! Sie bleiben doch sonst immer auf dem Teppich.

(Abg. Dr. Burgbacher: Sie stellen sich ja hier vor als Vater der Marktwirtschaft!)

— Die Marktwirtschaft ist kein Monopol der CDU.

(Abg. Dr. Burgbacher: Aber wir haben die Marktwirtschaft eingeführt, als Sie sie bekämpften!)

— Herr Burgbacher, da sind wir wieder beim Speisekammergesetz von 1948. Wie lange wollen Sie an dem verschimmelten Knochen noch herumnagen?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Es ist ja gefährlich für Sie, da Sie in einem cultural
lag, in einem Abstand hinter der tatsächlichen Ent-



Dr. Schiller
wicklung, diese SPD immer noch so sehen, als ob sie sich im Jahre 1948 befände.

(Widerspruch des Abg. Dr. Burgbacher.)

Das ist Ihre große Schwäche. Ich warne Sie! Seien Sie vorsichtig!

(Heiterkeit bei der SPD.)

Die Überrundung ist schon da; in Sachen Wettbewerb, in Sachen Marktwirtschaft sind Sie schon
links überholt. Sie haben es nur noch nicht gemerkt.

(Beifall bei der SPD.)

Um nun auf dieses Gutachten zurückzukommen: Das Gutachten ist heute — das ist gar kein Zweifel — durch den Herrn Bundeskanzler beerdigt worden. Der Stufenplan war des Pudels Kern! Die ganze Prognose II ist abgelehnt. Natürlich, wenn Sie auf Prognose I gehen — Mecklenburgische Staatsverfassung: es geschieht nichts, es bleibt alles beim alten, die Preise gehen weiter nach oben —, dann hätten Sie das Gutachten — allerdings in einem ganz anderem Sinne — angenommen. Das Gutachten hat Ihnen doch eine Doppelaufgabe gestellt.
Aber, meine Damen und Herren, kommen wir auf den anderen Kern des Gutachtens! Es schlägt eine konzertierte Aktion aller beteiligten Wirtschaftsgruppen unter eindeutiger Führung der Bundesregierung vor. Nach dem, was wir heute vernommen haben — ich höre bei der Regierung aus allem nur das Nein —, muß ich sagen: Es ist gut, daß diese Bundesregierung nicht die Führung in einer solchen konzertierten Aktion angenommen hat. Denn das hat mich an etwas erinnert — ich will jetzt ein Bild gebrauchen -: In einigen Städten und so auch in der Freien und Hansestadt Hamburg gibt es Lokale mit dem Namen „Zillertal". Da gibt es eine große Kapelle, und da kann jeder, auch ein Kabinettsmitglied, hingehen und seinen Jugendtraum realisieren und für 5 oder 10 DM — je nach Preissteigerungsrate — aufs Podium steigen und dirigieren. In diese Lage wäre diese Bundesregierung bei jener Einstellung gekommen:

(Beifall bei der SPD)

ein Dirigent ohne Partitur, ohne Takt, manchmal auch ohne Taktgefühl — aber das lassen wir, das hat damit nichts zu tun —, ein Dirigent, der in dem Moment, wo das Orchester mit 4,2 % aus dem Takt gekommen ist, immer noch weiterdirigiert, und zwar im alten Tempo, weil sein Staatssekretär vergessen hat, es ihm zu sagen.

(Große Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Sehr taktvoll! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

Nun kann ich nur sagen: Das heutige Eingeständnis war gut für den Dirigenten, schlecht für das Orchester, für die deutsche Gesamtwirtschaft. Sie bräuchte jemanden, der Maßstäbe setzt und der die konzertierte Aktion anführt. Heute war das nicht der Fall.
Aber, meine Damen und Herren, einen anderen Nutzen ziehen wir aus der ganzen Geschichte, aus diesem Staatsbegräbnis erster Klasse — höchste Protokollstufe — für dieses Gutachten: Allen ist
bekanntgeworden, worum es geht. Die 4,2 % sind bekannt, die Möglichkeiten sind dargelegt. Diesmal — und das sage ich Ihnen von der Mehrheitspartei, von der Koalition — kann niemand sagen, der oder der oder der habe nichts davon gewußt. Am Ende des Jahres wird Kassensturz gemacht,

(Abg. Haase [Kassel] : Auch bei Ihnen!)

und dann wird gemessen, gemessen an Prognose I und an Prognose II. Dann gilt nur die Meßlatte, da gelten die reinen Zahlen, und die werden bleiben. Die deutsche Bevölkerung ist, glaube ich, auch durch diese Debatte — und diese Debatte ist dem Gutachten zu verdanken — nicht nur wissenschaftsbewußt, sondern auch preisbewußt geworden. Ich glaube, in diesem Jahr wird Monat für Monat verglichen werden: Wohin geht die Reise nun, was werden wir am Ende des Jahres erreichen? Tritt die Prognose I oder die Prognose II ein? Dann müssen Sie antreten!

(Abg. Haase [Kassel] : Sie auch!)

Das kommt so wahr wie das Amen in der Kirche.

(Anhaltender, lebhafter Beifall bei der SDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502232700
Meine Damen und Herren, ehe ich dem nächsten Redner das Wort erteile: Es sind nach einem flüchtigen Überblick vorläufig noch sieben Redner vorgemerkt. — Ich höre gerade, daß soeben die achte Wortmeldung kam. Es ist vorauszusehen, daß die Sitzung noch recht lange dauern wird. Infolgedessen muß festgestellt werden, daß die Ausschüsse, die für heute nachmittag einberufen worden sind — ich weiß nicht, ob ich damit hinter der Wirklichkeit zurückbleibe —, nicht vor 15 Uhr zusammentreten können. Es ist mir bereits mitgeteilt worden, daß die vorgesehene Sitzung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ausfallen soll. Ich sage das, damit sich die Ausschußvorsitzenden nach der Lage im Plenum orientieren können.
Jetzt hat der Abgeordnete Dr. Starke das Wort.

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502232800
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist notwendig, auch im Namen der Freien Demokraten noch einiges zu dem zu sagen, was jetzt in der letzten Runde von Herrn Schiller vorgetragen worden ist.
Zunächst möchte ich für die Freien Demokraten erklären, daß wir die heutigen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers ganz anders und positiv sehen, jedenfalls anders als die Opposition. Zu den Hinweisen auf die marktwirtschaftlichen Tendenzen in der SPD möchten wir ausdrücklich feststellen, daß — wie der Herr Kollege Burgbacher hier schon gesagt hat — eines feststeht: Seinerzeit ist die marktwirtschaftliche Politik in Gestalt der sozialen Marktwirtschaft von unserer Koalition eingeführt worden, und es sind damit ungewöhnlich große Erfolge erzielt worden. Auf diese Erfolge hat sich eines Tages die Opposition eingestellt und hat gesagt: wir machen das auch so mit. Das heißt aber noch lange nicht, daß sie nun weiß, wie man diese



Dr. Starke (Franken)

Politik besser fortsetzt. Wir werden unseren Weg, den wir in der Koalition zusammen gegangen sind und ,der bisher zu guten Erfolgen geführt hat, weiter gehen. Die Auffassungen, die Sie äußern, sind für uns lange kein Beweis dafür, daß das, was Sie sagen, unbedingt und selbstverständlich richtig ist. Insbesondere dann nicht, wenn Sie das ohne besondere Begründung und in apodiktischer Aussageform — soviel Prozent und soviel Prozent — vorbringen.
Wir, wissen sehr gut, in welchen Schwierigkeiten wir sind. Ich erinnere aber an ein Wort, das der Bundeskanzler heute gesagt hat, daß nämlich niemand glauben solle, insbesondere jene nicht, die noch nicht auf höchst schwierigen Ämtern hier in Bonn gesessen haben, die Bundesregierung habe wirklich alle Elemente in der Hand, die den Lauf der Entwicklung mit beeinflussen, so daß man absolute Zahlenwerte setzen könnte. Ich gebe Ihnen zu, daß das aus der Perspektive der Opposition bedeutend leichter ist.
Nun möchte ich etwas zu dem Gutachten sagen. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß wir nicht der Meinung sind, daß dieses Gutachten heute beerdigt worden ist; denn es wäre ja merkwürdig, wenn ein Gutachten deshalb beerdigt würde, weil bestimmte Dinge, die der einen oder anderen Partei in diesem Hause besonders gefallen, von einer anderen Gruppe abgelehnt werden. Das ist das gute Recht eines jeden, der an dieser Diskussion teilnimmt. Ich habe bereits gestern gesagt, daß es keine Ablehnung oder — wie es Herr Kollege Schiller heute ausdrückte — Diskreditierung des Gutachtens bedeutet, wenn man in einer Reihe von Punkten nicht bis zum letzten mit dem Gutachten übereinstimmt. Wenn sich jemand auf den Standpunkt stellen will, daß solche Gutachten deshalb gemacht würden, damit sich die Regierung an jede Einzelheit sklavisch hält, wenn sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, daß sie es diskreditiert, dann wäre es bald notwendig, einmal über das, was mit dem Gesetz beabsichtigt war, zu diskutieren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Wenn es in diesem Hohen Hause — und ich sage mit voller Absicht: in diesem Hohen Hause — einmal soweit kommen sollte, daß nur noch der von der Opposition als Dirigent anerkannt wird, der das nachvollzieht, was in dem Gutachten steht, dann wären wir allerdings bei der weiteren politischen Entwicklung schlecht dran.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Gestatten Sie mir, das einmal ganz konkret auszudrücken.
Ich möchte einmal eines der Elemente nennen, die der Herr Bundeskanzler hier ins Auge faßte, die man nicht beherrscht, so daß man die Entwicklung nicht exakt auf Stellen hinter dem Komma festlegen kann. Ein solches Element ist z. B. das Verhalten der Opposition in diesem Hause.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das ist ein solches Element, welches man nicht in der Hand hat.
Ich möchte noch einmal auf etwas zurückkommen, was Sie auch gestern gesagt haben und was mir Sorge macht. Ich bitte auch unsere Freunde aus der Koalition, das nicht nur mit aller Deutlichkeit zu sehen, sondern auch hier zu sagen. Die Art und Weise, wie die Opposition mit dem Gutachten in diesem Hohen Hause in die Tarifverhandlungen, die zur Zeit laufen, hineinspricht, gefährdet die Autonomie der Tarifpartner auf das höchste. Wir sollten doch daran festhalten, daß alle Parteien dieses Hohen Hauses diese Autonomie gutheißen als eine Grundlage unseres freiheitlichen Daseins.
Ich halte nichts von so großen Worten wie „Desavouierung" von Orientierungshilfen. Orientierungshilfen sind Zahlen und Aussagen, die ich prüfe und. anhand deren ich mir meine Meinung bilde, so wie es auch die Bundesregierung für ihre Führungsaufgabe tut.
Ich muß noch etwas richtigstellen. Und das tue ich, um die Zeit nicht allzu sehr in Anspruch zu nehmen, stellvertretend auch für den Herrn Bundesfinanzminister. Herr Kollege Schiller ist jetzt nicht da, aber Herr Kollege Möller sitzt noch hier; der weiß das.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist typisch! Er hält die Reden und ist dann weg! — Abg. Wehner: Reden Sie doch nicht solchen Stuß! Seien Sie doch vorsichtiger! Es kann doch wohl ein Mensch mal herausgehen, oder? Dann machen Sie daraus Urteile! Das steht Ihnen gar nicht zu! Das ist eine Unart! — Gegenrufe von der CDU/CSU und der FDP.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502232900
Warum so viel Aufregung? Lassen wir den Redner fortfahren!

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502233000
Ich bin ja kein Richter; aber da ich nicht weiß, warum Herr Schiller draußen ist, hat es ja auch keinen Zweck, daß Sie ihm das vorhalten.

(Abg. Wehner: Und dann lassen Sie ruhig solche Unflätigkeiten zu? — Weitere Zurufe links und Gegenrufe von der Mitte und rechts.)

— Entschuldigen Sie, Herr Kollege Wehner, Sie vergreifen sich ja immer etwas in der Erregung. Ich habe überhaupt nichts gesagt. Ich habe nur gesagt: Herr Kollege Schiller ist nicht hier. Um zu rügen, was andere sagen, dazu bin ich nicht da an diesem Pult, dafür haben wir einen Präsidenten. Ich weiß auch nicht, ob Ihre Kritik berechtigt ist.

(Anhaltende Unruhe.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502233100
Ich bitte fortzufahren.

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502233200
Ich habe also mitzuteilen, daß Herr Kollege Möller als Finanzexperte der SPD und der Herr Bundesfinanzminister davon ausgingen, daß der Haushalt nicht besprochen wird, weil er ja am 2. und 3. März behandelt wird. Es war deshalb — das muß ich nun sagen, auch wenn Herr Kollege Schiller draußen ist; es hilft nun einmal



Dr. Starke (Franken)

nichts — nicht richtig von der Opposition insgesamt, daß Herr Kollege Schiller hier aufgetreten ist, nachdem Herr Möller und Herr Dahlgrün gesprochen hatten, und gesagt hat, der Haushalt bleibe im Nebel. Der Haushalt sollte eben heute wegen der ersten Lesung am 2. und 3. März nicht im einzelnen erörtert werden. Da ist natürlich gar keine Rede von Nebel, sondern die Bundesregierung hat den Haushalt beschlossen und legt ihn vor. Ich mache gar kein Hehl daraus, genauso wenig wie unser Koalitionspartner: es gibt eine Fülle von Gedanken, wie man an diesem Haushalt im Laufe der Beratungen noch einiges verbessern kann. Warum ist das etwas Schlechtes? Ich erinnere mich, daß ich selbst einmal hier als Finanzminister gestanden und gesagt habe: Ich fordere das Hohe Haus auf, daran noch so viel zu verbessern, wie es eben kann. Das ist doch eine edle Aufgabe für das Parlament.
Wenn man aber schon über den Haushalt und die 69,1 Millionen DM spricht, möchte ich doch auch darauf hinweisen, daß hierin noch Elemente stabilisierender Natur sind, die aber heute nicht erörtert werden sollten. Ich nenne z. B. die Tilgung der Nachkriegswirtschaftshilfe von 500 Millionen DM. Zweitens war darin die Beseitigung des Defizits von 1965 mit 200 Millionen DM enthalten. Das hat der Bundesrat herausgestrichen. Das waren bedeutende stabilisierende Elemente. Das alles muß man doch bedenken, wenn man schon über den Haushalt spricht. Man darf doch nicht in dieser mir nicht gefallenden Art von Herrn Schiller so ganz allgemeine Urteile hier abgeben, ohne auf irgendwelche Einzelheiten einzugehen.
Nun komme ich zu dem Punkt, der mir noch am meisten mit am Herzen liegt. Ich komme noch einmal zu dem Haushaltssicherungsgesetz zurück und fordere die Opposition auf, sich dazu zu äußern. Es ist doch nicht richtig, zu einem solchen Gesetz, das uns schwergefallen ist, wo wir Dinge rückgängig gemacht haben — wenn ich mich einmal so ausdrücken darf —, die die Opposition mit beschlossen hat, zu sagen, das sei Schnee vom letzten Jahr. Das ist ein Politikum von heute und noch von morgen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich würde es begrüßen, wenn Herr Kollege Schiller noch einmal hier heraufginge und dazu Stellung nähme.

(Abg. Wehner: Es waren doch Ihre Wahl- Beschenke, die Sie damit gemacht haben!)

— Herr Kollege Wehner, das läßt sich doch nicht mehr feststellen, weil Sie das mit beschlossen haben. Wer will denn feststellen, ob das Wahlgeschenke sein sollten oder aus welchen anderen Gründen das beschlossen wurde? Ich würde mich freuen, wenn Herr Kollege Schiller dazu Stellung nähme.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502233300
Er ist da. Darf er eine Frage an Sie stellen?

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502233400
Er muß doch hören, was ich gesagt habe.

(Abg. Dr. Schiller: Ich habe alles gehört, was Sie gesagt haben!)

Also, es wäre gut, wenn wir von Herrn Kollegen Schiller eine klare Antwort auf die Frage bekämen. Sind Sie der Meinung, daß die konjunkturelle Situation so gestaltet ist oder sich unterdessen so entwickelt hat, daß das Haushaltssicherungsgesetz falsch war, daß man es also besser nicht beschlossen hätte? Oder sind Sie der Meinung, daß es richtig war? Wenn es aber richtig war, warum haben Sie dann nicht zugestimmt? Oder warum haben Sie nicht einen Alternativvorschlag mit Änderungen in entsprechender Höhe vorgelegt?

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502233500
Jetzt möchte Professor Schiller seinerseits eine Frage an Sie richten.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502233600
Ich muß jetzt einmal versuchen, eine Antwort in eine Frage zu verwandeln, weil mich Kollege Starke etwas gefragt hat. Herr Kollege Starke, haben Sie bei der Aussprache über die Regierungserklärung nicht gehört, wie ich — und wohl auch einige andere Redner von uns — gesagt habe, das Haushaltssicherungsgesetz hätten Sie im Sommer 1965 einbringen sollen, entweder als Gesetz oder als Anwendung des Art. 113?

(Beifall bei der SPD.)

Ich möchte dazu fragen: Hatten Sie im Sommer 1965 die Mehrheit im Deutschen Bundestag?
Ich darf jetzt aber die Frage stellen, Herr Kollege Starke, deretwegen ich mich gemeldet habe. Sie haben vorhin — wenn ich das richtig über Lautsprecher verstanden habe — gerügt, daß ich zur Unzeit — —

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502233700
Nein, das war nicht ich, das war ein anderer. Ich habe gesagt, Sie seien nicht da, und andere haben dann Bemerkungen dazu gemacht.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502233800
Lassen Sie mich doch ausreden! Sie haben doch gesagt, daß ich vom Haushaltsvolumen geredet habe, und Sie haben gesagt: zur Unzeit.

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502233900
Nein, Herr Kollege Schiller. Wir können uns doch nicht mit Ihnen unterhalten, wenn Sie nicht im Saal sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502234000
Darf ich Sie etwas fragen? Dr. Starke (Franken) (FDP) : Ja.

(Abg. Wehner: Seien Sie doch nicht so aufgeregt!)


Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502234100
Herr Kollege Starke, wir hören doch alle nicht Stimmen aus der Luft und wollen doch auf dem Teppich bleiben. Ich wollte Sie nur fragen: Haben Sie nicht selber vernommen, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister mich gefragt hat, die Opposition gefragt hat, was wir von den 69,15 Milliarden halten? Das ist gestern geschehen. Ich



Dr. Schiller
freue mich, daß Herr Dahlgrün dazu nickt; das ist also richtig. Wir haben darauf eine klare Antwort vom konjunkturpolitischen Standpunkt aus gegeben. Das ist alles.

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502234200
Meine sehr verehrten Damen und Herren, um diese Schwierigkeiten zu überbrücken, möchte ich noch einmal sagen — ich lasse das nicht auf mir sitzen —: Ich habe eine ganz harmlose Bemerkung im Anschluß an einen Blick von mir auf die Linke des Hauses gemacht, die Bemerkung, daß Herr Schiller leider nicht da sei, weil ich zu seinen Äußerungen etwas sagen wollte. Die Bemerkung, daß Sie zur Unzeit draußen seien, kam nicht von mir.
Lassen Sie mich also noch einmal sagen: Für mich war es eine Bemerkung zum Haushalt, und darauf gehe ich nicht ein. In puncto Haushaltssicherungsgesetz ist leider wieder alles offengeblieben, weil es eben nicht so ist, daß damals die Mehrheit des Hauses die vorangehenden Gesetze beschlossen hat, sondern die SPD hat sie mit beschlossen. Sie wollten also wohl sagen, daß ein im Sommer 1965 vorliegendes Haushaltssicherungsgesetz nicht die Zustimmung der SPD gefunden hätte; anders kann ich es nicht verstehen.

(Zuruf von der SPD: Farbe bekennen!)

— Warum eigentlich nicht Farbe bekennen? Deswegen sage ich es ja. Wir haben Farbe bekannt. Das war gar nicht so einfach.
Der Herr Bundeskanzler hat mit Recht gesagt, daß der Glaube falsch sei, das Nennen einer Prozentzahl hier würde draußen etwas ändern. Aber das, was wir schweren Herzens mit dem Haushaltssicherungsgesetz gemacht haben, das hat etwas eingeleitet, und das ist mehr, als quantitative Ziele in diesem Hause nennen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Denn das sind die Realitäten, mit denen wir uns befaßt haben. Ich bin auch nicht der Meinung, daß wir — wir alle, die wir hier gesprochen haben, sind ziemlich lange im Parlament — in diesem Ton wie Professoren zu Studenten reden sollten. Wir sollten damit aufhören und nicht glauben, daß hier mit Nachhilfen gearbeitet werden müßte. Wenn hier jemand steht, der seit langen Jahren im Parlament ist und nicht das ganze professorale Handwerkszeug vor uns ausbreitet, sondern nach Prüfung der Dinge vorher dann seine politische Meinung äußert, so heißt das noch lange nicht, daß er vom Kollegen Schiller eine Nachhilfestunde braucht.

(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zurufe von der SPD. — Abg. Wehner: Was wollen Sie denn? Sie strafen dauernd die Leute ab, und jetzt regen Sie sich auf, wenn. einer überlegen ist! — Oh-Rufe in der Mitte. — Abg. Wehner: Sicher ist das so! Das ist eine Heuchelei von Ihnen! — Anhaltender Widerspruch in der Mitte.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502234300
Herr Kollege Wehner, ich bitte doch — —

Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502234400
Über das Stadium, daß ich professoral all diese Hilfsüberlegungen unterbreite, die man vorher zu Hause angestellt hat, um dann hier die Schlußfolgerungen zu bringen, bin ich hinaus. Ich sage Ihnen ganz offen: hier ist keine Universität, sondern ein Parlament.

(Lachen bei der SPD. — Abg. Wehner: Das merkt man!)

— Nun, das werden Sie im weiteren Verlauf noch merken.

(Abg. Dr. Mommer: Der Schiller ist Ihnen wohl in die Knochen gefahren! — Abg. Haase [Kassel] : Wer brüllt denn hier am lautesten?! — Weitere Zurufe.)

— Nein, das sind keine Komplexe.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502234500
Darf ich eine Frage stellen. 'Herr Kollege Starke, können Sie sich vorstellen, daß ich mir Ihre Äußerungen zu Hause wirklich nicht vorstellen konnte?

(Beifall bei der SPD. — Oh-Rufe von der Mitte. — Anhaltende Unruhe.)


Dr. Heinz Starke (CSU):
Rede ID: ID0502234600
Sie werden doch nicht glauben, Herr Kollege Schiller, daß diese Frage einer Antwort bedarf.

(Sehr gut! in der Mitte.)

Wenn Sie schon vom Teppich sprechen, müssen wir natürlich beide draufbleiben.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Nun lassen Sie mich noch einmal etwas bekennen, und das sage ich Ihnen ganz offen: Ich halte es nach wie vor für falsch, daß eine Bundesregierung ihre politische Aufgabe darin sieht, Prozentzahlen über die wirtschaftliche Entwicklung bis auf Stellen hinter dem Komma verantwortlich nach außen festzustellen. Es genügt, wenn sie in einem Gutachten genannt werden und wir das für unsere politischen Entschlüsse als Orientierungshilfen benützen.

(Zustimmung in der Mitte.)

Ich sage Ihnen für meine Freunde, für die Freien Demokraten, noch einmal: es ist für unsere Begriffe niemandem gedient, insbesondere nicht unserer Bevölkerung, wenn hier gefordert wird, alle derartigen quantitativen Ziele mit Stellen hinter dem Komma in diesem Hause als Aussage festzuhalten.
Warum ist das so gefährlich? Der Herr Bundeskanzler hat vor wenigen Jahren zum Weltspartag einmal gesagt — ich zitiere jetzt ganz frei aus dem Kopf —: In einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, in der der Konsument freie Entscheidungen trifft ebenso wie der Unternehmer mit seinen Investitionen, bleibt für Schwerpunkte, die der Staat setzt, ein Spielraum übrig, den man sehr sorgsam abgrenzen muß. Heute hat der Bundeskanzler ergänzend zu diesem Wort sagen wollen, daß immer dort, wo mit staatlichen Planifikationen usw. ge-



Dr. Starke (Franken)

arbeitet wird, dieser Spielraum überschätzt worden ist mit der Folge, daß die volkswirtschaftlichen Kräfte insgesamt überzogen worden sind. Diese Erkenntnis ist ein Grund dafür, daß wir so sorgfältig abwägen, inwieweit man quantitative Ziele nennen soll. Ich habe in einer Reihe von Ländern um uns herum immer wieder beobachtet, wie sich dort die Bürokratie in den Ministerien bemüht, den Wirtschaftsablauf und das historische Geschehen in dem Zeitraum, für den man solche quantitativen Ziele genannt hat, nun mit allen Mitteln so zu beeinflussen, daß diese Ziele erreicht werden. Und das sind nicht immer nur Ziele in puncto Preisstabilisierung, sondern das sind ja auch andere Ziele, etwa im Hinblick auf das Wachstum, und wenn sich diese Dinge dann gegenseitig stoßen, dann ist meistens der Geldwert zu kurz gekommen. Das sind unsere Sorgen und Bedenken. Deshalb möchte ich noch einmal sagen: in dem Satz des Bundeskanzlers, den wir hier wiederholen: „Ab heute und sofort so schnell wie möglich dem größten Ziel und Hauptziel der Stabilität zustreben", ist mehr Politik als darin, einen Prozentsatz zu nennen und diesen hier immer zu wiederholen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich das als Schlußsatz sagen, und das ist mir sehr wichtig: ich habe in meinen Ausführungen im Dezember nach Herrn Kollegen Schiller gesagt, man mache mir das einmal vor — nämlich eine Einkommenspolitik, von der Sie sagten, sie müsse sich harmonisch in eine Gesamtrahmenplanung einfügen —, machen Sie mir das einmal vor: ohne Zwang! Deshalb sage ich Ihnen, diese Voraussagen quantitativer Art — mit Stellen hinter dem Komma — verleiten uns alle dazu, eines Tages nicht mehr zu sagen „zwingen ohne Zwang", sondern wirklich zu zwingen. Und das wäre das Ende unserer freiheitlichen Entwicklung.

(Anhaltender Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502234700
Das Wort hat der Abgeordnete Budde.

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502234800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Schiller, Sie haben gerade sehr bemerkenswerte Ausführungen über die Entstehungsgeschichte der Marktwirtschaft im Nachkriegsdeutschland gemacht. Im Jahre 1948 studierte ich an der Universität Nationalökonomie. Da waren mir zwei sozialistische Professoren bekannt, die sich damals um den Durchbruch zur Marktwirtschaft bemühten, Professor Schiller und Professor Ortlieb. Ihnen sei persönlich zugebilligt, daß Sie es mit Erfolg vollzogen haben. Aber Sie können doch nicht sagen, Herr Professor, daß das damals Gemeingut Ihrer Partei gewesen sei. Sie haben vorhin von einem time-lag gesprochen. Dieser time-lag ist bei Ihnen mit zehn Jahren Wirklichkeit geworden. Vielleicht sind Sie in der Lage, uns über die Restbestände in Ihrer Partei aufzuklären, die es bis heute noch nicht begriffen haben, Herr Professor.

(Beifall bei den Regierungsparteien.).

Der Herr Kollege Luda ist in einer Zwischenfrage angesprochen worden, ob er diese Tribüne nicht verwechselt habe. Nun, ich möchte diese Frage an Herrn Kollegen Leber richten. Gestern abend ist in diesem Hause der peinliche Eindruck entstanden, Herr Kollege Leber, daß in der Tat diese Tribüne verwechselt worden ist, allerdings nicht mit Weiberfastnacht, wie heute morgen gesagt worden ist, sondern mit einer Wahlversammlung, und zwar in einem grandiosen Konglomerat von Wahrheit, Halbwahrheit, Übertreibung, Vereinfachung und Einseitigkeit.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich kann Ihnen bei aller Sympathie für Ihre Person
und bei aller Sympathie für Ihre Arbeit diesen Vorwurf nicht ersparen. Denn auch ich spreche als ein
Mann der Arbeiterbewegung.

(Abg. Leber: Wo sind Sie denn in der Arbeiterbewegung?)

— Das sage ich Ihnen nachher persönlich. — Ich möchte hier feststellen, daß es in diesem Hause bei keiner Partei einen Monopolanspruch für die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen gibt.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Mir ist so der Eindruck gekommen, Herr Kollege Leber, als wenn es sich dabei so etwas um aufgestauten Nachholbedarf gehandelt hat. Denn im Wahlkampf habe ich von Ihrer Seite und von der Seite Ihrer Parteifreunde diese Töne nicht gehört.

(Abg. Leber: Da hätten Sie die Zeitung lesen müssen!)

Da haben Sie solche Reden auf dem Altar der „Volkspartei" geopfert.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU/ CSU.)

Ich habe in der Zeit des Wahlkampfes ein interessantes Gespräch geführt, und zwar nach einer Konferenz des Ständigen Ausschusses christlich-sozialer Arbeitnehmerkongresse. Da hat mir ein Redakteur einer Industriegewerkschaft gesagt: „Das, was die Christlich-Sozialen heute programmatisch vertreten können und vertreten" — er hatte einige einschlägige Dokumente vor sich liegen —, „das können wir in der nächsten Zeit des Wahlkampfes nicht sagen und nicht schreiben". Er hat gesagt: Das werde ich mir jetzt einmal rot anstreichen und sowohl meinem Gewerkschaftsvorstand wie meinem Parteivorstand zur Kenntnis geben. — Sehen Sie, das sind die Leibschmerzen.

(Abg. Wehner: Provinzerlebnisse!)

— Es handelt sich um den Redakteur der Zeitung einer großen Industriegewerkschaft. Das sind die Kompromisse, die man auf dem Weg zur Volkspartei schließen muß. Übrigens, meine Herren, das ist das Geschäft, das die Unionsparteien von der Pike auf gelernt haben; in den Mantel müssen Sie erst hineinwachsen.

(Zustimmung in der Mitte.)

Der Herr Kollege Leber hat gestern abend in seiner Rede die Frage nach dem Urheberrecht bei dem



Budde
Problemkreis Vermögensbildung und 312-DM-Gesetz gestellt. Herr Kollege Leber, Sie haben ein historisches Verdienst, in Ihrer Gewerkschaft und mit Ihrer Gewerkschaft diese Aktivität entwickelt und diesen Erfolg erzielt zu haben.

(Abg. Leber: „Und es gegen den Willen dieser Regierung durchgesetzt zu haben", müssen Sie dazu sagen!)

Ich stehe nicht an, Ihnen dieses historische Verdienst an dieser Stelle zuzuerkennen. Aber wenn vom Urheberrecht die Rede ist, Herr Kollege Leber, dann kann ich Ihnen nur sagen: Sie sind auf einen fahrenden Zug aufgesprungen, der im Jahre 1950 abgefahren ist.

(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Leber: Was habt ihr von euren eigenen schönen Gedanken realisiert? Gar nichts! In der eigenen Partei hat man sie euch abgelehnt!)

Damals haben christlich-soziale Politiker das Startzeichen zur Eigentumsbildung in diesem Lande gegeben. Das ist von Ihnen damals noch nicht erkannt worden, damals war der Prozeß des Umlernens bei Ihnen noch nicht soweit gediehen.

(Sehr richtig! in der Mitte.)

In dieser Debatte ist ein Abschnitt des Jahresgutachtens noch nicht zur Sprache gekommen, nämlich der Abschnitt „Ausbildung, berufliche Mobilität und wirtschaftliches Wachstum." Gestatten Sie mir zu diesem Problemkreis einige ganz kurze Hinweise.
Die wichtigsten Quellen des künftigen wirtschaftlichen Wachstums sind Ausbildungsstand und berufliche Qualifikation der tätigen Menschen. Darum gibt es in einer Zeit, da Bildung und Ausbildung zu den entscheidenden Kriterien sogar im internationalen Wettlauf der politischen Systeme geworden sind, keine bessere Investition als die in Bildung.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502234900
Herr Kollege Budde, ,Sie sind jetzt zu Ihrem eigentlichen Thema gekommen. Ich nehme an, Sie haben, jetzt mit mir abgeschlossen. Vermute ich da richtig?

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502235000
Da bin ich nicht ganz sicher.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502235100
Ich wollte Sie nämlich bitten, mir zu beweisen, daß Sie mit Recht vorhin behaupten konnten, meine Rede von gestern abend wäre ein Konglomerat von Halbwahrheiten und Unwahrheiten gewesen.

(Lebhafter Widerspruch in der Mitte.)

— Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unwahrheiten.

(Erneuter Widerspruch in der Mitte. — Zuruf von der Mitte: „Unwahrheiten" hat er nicht gesagt!)

— Entschuldigen Sie, dann wollen wir abwarten. Halbwahrheiten und Unwahrheiten.

(Fortgesetzte Zurufe von der Mitte: Nein!) — Dann habe ich falsch gehört. Aber die Halbwahrheiten würden mich auch interessieren. Bitte nennen Sie sie mir mal. Dann habe ich Gelegenheit, mir mein Urteil über Sie zu bilden.


Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502235200
Ich darf zunächst bemerken, Herr Kollege Leber, daß ich nie mit Ihnen abgeschlossen haben werde. Das würde ich als persönlichen Verlust betrachten. Im übrigen darf ich Ihnen die genaue Fassung dieses Satzes wiederholen: „Es handelte sich um ein grandioses Konglomerat von Wahrheit, Halbwahrheit, Übertreibung, Vereinseitigung und Vereinfachung." — Einig? Gut?

(Abg. Leber: Das ist kein Beweis dafür! Jetzt müssen Sie es begründen! Wo sind die Halbwahrheiten, wo die Verdrehungen, wo die Übertreibungen?)

— Beispielsweise ist es mehr als eine Halbwahrheit, es geht über die Halbwahrheit im negativen Sinne hinaus, es berührt die absolute Unwahrhaftigkeit — aber das wollte ich Ihnen ersparen —, wenn Sie gesagt haben, der Bundeskanzler habe bisher stets auf der Seite der Arbeitgeber gestanden. — Ein Punkt!

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502235300
Herr Kollege Budde, wollen Sie mir eine wichtige und wesentliche Frage nennen, die zur Entscheidung anstand — es geht jetzt nicht um Urteile postnumerando, ob die Gewerkschaften vernünftig waren oder nicht — und die in einer großen Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen dieses Landes im Streit war, bei der der Bundeskanzler auf der Seite der Arbeitnehmer war und das auch offen erklärt hat? Ich nenne Ihnen einige Punkte, um Ihnen zu helfen: Rentenreform! War der Herr Bundeskanzler auf der Seite der Arbeitnehmer oder der Verneiner der dynamischen Rente? Mitbestimmungsrecht! Wo war Erhard und wie lautete seine Erklärung? Alle großen Auseinandersetzungen bis in die jüngste Zeit! Sie können auch den nächsten Punkt nehmen, den Sie angeschnitten haben: Wo stand Herr Erhard in Sachen Vermögensbildung zugunsten der Arbeitnehmer? Sie hatten ihn doch in die Paulskirche eingeladen und werden wissen, was er Ihnen gesagt oder nicht gesagt hat. Bitte, nennen Sie mir eine wesentliche Frage!

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502235400
Herr Kollege Leber, all diese fortschrittlichen, im besten Sinne des Wortes fortschrittlichen Gesetze, die Sie gerade aufgeführt haben, sind hier in diesem Hause mit den Stimmen der Unionsparteien verabschiedet worden.

(Abg. Leber: Ich habe nicht von den Unionsparteien gesprochen, sondern davon, wo Herr Erhard gestanden hat!)

— Zu den Koalitionsparteien gehört Herr Erhard!

(Zurufe von der SPD. — Abg. Leber: Das ist doch keine Antwort! — Weitere Zurufe von der SPD.)




Budde
— Herr Kollege Leber, wenn Sie wüßten, mit welcher Sympathie ich Ihre Arbeit verfolge

(Abg. Leber: Für Ihre Sympathie kann ich mir überhaupt nichts kaufen! Es kommt darauf an, ob ich die Wahrheit sage oder nicht!)

und wie ich für Ihre Arbeit eingetreten bin; das nur am Rande.

(Abg. Dr. Schäfer: Ersparen Sie sich doch Ihre Unanständigkeiten! — Zurufe von der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502235500
Herr Abgeordneter Müller (Berlin) möchte eine Zwischenfrage stellen.

Johannes Müller (CDU):
Rede ID: ID0502235600
Herr Kollege Budde, ich möchte nur diese Frage an Sie. richten: War das 312-DM-Gesetz, ,das doch sicherlich zugunsten der Arbeitnehmer eingebracht worden ist und über ,das auch in diesem Hause entschieden worden ist, nicht eine Kabinettsvorlage?

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502235700
Beispielsweise.

(Anhaltende Zurufe von links und Gegenrufe von der Mitte.)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502235800
Darf ich Sie fragen, Herr Kollege Budde, ob Ihnen bekannt ist, daß das 312-MarkGesetz solange vom Bundeskanzler torpediert worden ist, bis er wußte, daß er in seiner Fraktion mit seiner Haltung nicht mehr durchkam und die öffentliche Meinung völlig gegen ihn stand? Das hat er mir persönlich gesagt, wenn Sie das wissen wollen.

(Anhaltende Zurufe.)


Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502235900
Herr Kollege Leber, Sie haben vorhin die Behauptung aufgestellt, der Bundeskanzler habe gegen diese Gesetze gestimmt. Sie wissen genau, daß diese Behauptung nicht stichhaltig ist.
Ich darf meine Ausführungen fortführen. Ich stehe trotzdem für jede weitere Frage gern zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, zu den Entscheidungen im menschlichen Leben, die in tragischer Weise zu früh und darum auch zu unvorbereitet und zu zufällig fallen, gehört die für die ganze Existenz des Menschen folgenschwere 'Berufswahl, die von ca. 50 % unserer Jugendlichen im Alter von 14 bis 15 Jahren getroffen werden muß. Hinzu kommt in der Regel der seelische Schock, den der Übergang in die zweckrationale Arbeitswelt beim Jugendlichen, ja man ist fast geneigt zu sagen, beim Kind auslöst. Ich möchte hier sagen, der Vierzehnjährige ist nicht berufsreif — zumindest heute nicht mehr. Darüber kann auch der Prozeß der Wachstumsbeschleunigung nicht hinwegtäuschen. Weder geistig noch seelisch, nicht einmal körperlich, ist er dem im Grunde kindfeindlichen Milieu der heutigen Arbeitswelt gewachsen. Hier, meine Damen und Herren, stellt sich die große gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Verlängerung der Vollzeitschulpflicht. Auch das sind Konsequenzen aus dem zweiten Jahresgutachten, die in dieser Debatte nicht untergehen sollten, damit sich der Deutsche Bundestag nicht den Vorwurf machen zu lassen braucht, er habe nur in Prozentsätzen, nur in Quantitäten ein Gutachten behandelt, das mehr enthält als nur Äußerungen über Inflationsraten.
Die neunjährige Pflichtschulzeit kann nur ein erster, wenn auch wichtiger Schritt dahin sein. Hinzukommen müssen verstärkter Ausbau von Realschulen, von Ausbau- und Förderstufen, Vermeidung vorzeitig abgebrochener Bildungswege durch größere Durchlässigkeit unseres Schulsystems und vor allem energische Anstrengungen auf dem Neuland von Bildungswerbung und Bildungsberatung. Sie vor allem könnten dazu beitragen, Leerlauf, Fehlentscheidungen und Reibungsverluste zu vermeiden. Wenn es nicht gelingt, den prozentualen Anteil der über 15jährigen Vollzeitschüler, der in der Bundesrepublik trotz aller inzwischen erreichten Fortschritte immer noch unter dem Stand vergleichbarer Industrienationen liegt, zu steigern, dann wird es wohl kaum möglich sein, die gegenwärtige Quote von ca. 5 % Hochschulabsolventen aus einem Geburtenjahrgang zu überschreiten. Diese 5% aber sind eine magische Grenze, die durchbrochen werden müßte, wenn keine verhängnisvollen Engpässe in den leitenden, planenden und dispositiven Berufen auftreten sollen. Eine entsprechende Überlegung gilt für den Sektor. der Berufsausbildung im engeren Sinne. Hier gilt es, zunächst den traditionellen Begriff „Beruf" in einer neuen, zeitgerechten I dynamischen Betrachtung zu sehen.

(Abg. Wehner: Wollen Sie diese Konserve nicht zu Protokoll geben?)

— Sehen Sie, Herr Wehner, darin unterscheiden wir uns. Sie betrachten diesen Punkt des Jahresgutachtens als Konserve.

(Abg. Dr. Schäfer: Nein, aber Ihre vorbereitete Rede!)

Das gibt einen sehr interessanten Aufschluß über Ihre Einschätzung zu wesentlichen Passagen dieses Gutachtens.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502236000
Herr Abgeordneter Budde hält hier seine erste Rede. Ich glaube, man sollte ihm mit etwas mehr Nachsicht begegnen, als es eben von Herrn Kollegen Wehner geschehen ist.

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502236100
Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich halte meine erste Rede im Parlament; das als Einschränkung.

(Abg. Dr. Luda: In solchen Sachen weiß der Herr Wehner nichts!)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502236200
Herr Abgeordneter Budde, der Herr Abgeordnete Ravens möchte eine Zwischenfrage stellen.




Karl Ravens (SPD):
Rede ID: ID0502236300
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß durch Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion im 4. Deutschen Bundestag die Bundesregierung aufgefordert worden ist, ein umfassendes Berufsausbildungsgesetz vorzulegen, dieser Aufforderung aber bis heute nicht nachgekommen ist?

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502236400
Das ist mir bekannt, Herr Abgeordneter. Ich komme gleich darauf zu sprechen.
Ein statistischer Berufsbegriff, der im Verständnis einer vergangenen Gesellschaftsepoche den einmal erwählten und erlernten Beruf als Lebensberuf wertet, entspricht weithin nicht mehr den gewandelten Verhältnissen. Zirka 80 % der Jugendlichen, die heute einen Beruf erlernen, haben ihren Lebensberuf bis zum 25. Lebensjahr bereits gewechselt. Jungen Menschen, die heute in der Ausbildung stehen, kann vorhergesagt werden, daß sie im Durchschnitt dreimal in einem Arbeitsleben ihren Beruf wechseln. Das erfordert großzügige Maßnahmen der Fortbildung und Umschulung. Dem Gutachten ist vorbehaltlos zuzustimmen, daß gerade diese Vorkehrungen für ein angemessenes Wirtschaftswachstum kaum entbehrlich sind. Vor diesem Hintergrund sollte auch der Gedanke des Bildungsurlaubs, der im Gutachten angesprochen wird, auf lange Sicht und selbstverständlich unter Berücksichtigung der Arbeitsmarktlage sorgfältig geprüft und weiter verfolgt werden. Ich nehme an, Herr Kollege Leber, daß wir in diesem Punkte sehr übereinstimmen. Und sehen Sie, hier haben Sie wieder ein Beispiel, an dem man sehr gut die programmatische Führungsposition der christlich-sozialen Bewegung nachweisen kann — unter anderen —; denn in diesem Punkte waren wir auch vor dem Deutschen Gewerkschaftsbund mit unseren Vorschlägen zur Einführung des Bildungsurlaubs da.

(Abg. Leber: Das glauben Sie wohl!) — Das kann ich Ihnen nachweisen.


(Abg. Leber: Das können Sie nicht nachweisen! Das können Sie nur da oben behaupten!)

Gestatten Sie mir nur noch eine letzte Bemerkung. Aus den gewandelten Sozialfunktionen des Berufs leitet sich logisch die Forderung nach einer breiteren Grundausbildung ab, die auch im Gutachten ausdrücklich erhoben wird. Hier verdient besonders der Hinweis auf größere Mobilität des einzelnen und auf größere soziale Sicherheit durch gute Ausbildung Beachtung.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502236500
Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer gestatten?

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502236600
Bitte sehr!

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0502236700
Darf ich Ihre Ausführungen über den Bildungsurlaub so verstehen, Herr Kollege Budde, daß Sie bereit sind, mit uns noch in dieser Legislaturperiode die ersten konkreten Schritte dazu zu machen?

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502236800
Ich habe gesagt, daß der Bildungsurlaub eine der großen gesellschaftspolitischen Zielsetzungen ist. In der Organisation, in der ich tätig bin, habe ich diese Konzeption des Bildungsurlaubs entworfen, und ich bin selbstverständlich bereit — und ich bin sicher, viele meiner parlamentarischen Freunde mit mir —, eine Initiative mit dem Ziel des Bildungsurlaubs zu vertreten, wobei, Herr Kollege, die entscheidende Frage sein wird, wie diese Initiative aussehen soll.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU. — Zurufe von der SPD.)

Das ist die entscheidende Frage. — Bitte, Herr Kollege Leber!

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502236900
Vielleicht ist es nur eine Wortklauberei. Aber da Sie sich so festbeißen,

(Abg. Wehner: Festsaugen!)

möchte ich Sie, Herr Kollege Budde, etwas fragen. Ich war dabei, als 1955 in der „Flora" in Köln das Thema Bildungsurlaub das erstemal zwischen Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes und einer Arbeitgebervertretung, damals noch unter Führung von Herrn Präsident Paulssen, besprochen worden ist. Wann sind Ihre Vorschläge entstanden? War das vor November 1955 oder nachher?

Heinz Budde (CDU):
Rede ID: ID0502237000
Ich habe, Herr Kollege Leber, von konkreten Vorschlägen und Plänen gesprochen. Was damals in der „Flora" besprochen worden ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Hier zählen konkrete Vorschläge und Pläne.

(Abg. Könen [Düsseldorf] : Ach so, das war also schon vor Marx! — Heiterkeit.)

Meine Damen und Herren, eine letzte Bemerkung. Berufsausbildung ist heute nicht nur eine Angelegenheit der Wirtschaftspolitik im engeren Sinne, sondern weit darüber hinaus eine gesellschaftspolitische und sozialstrukturelle Frage, die die Sozialordnung schlechthin betrifft. Diese Tatsache sollte bei Überlegungen, wo die Fragen der Berufsausbildung eigentlich ressortieren sollen, nicht unberücksichtigt bleiben. Über den Weg der Berufsbildung muß ein zweiter, gleichberechtigter und gleichwertiger Zugang zu unseren Hochschulen und Universitäten führen. Nur so können die Begabungsreserven, namentlich auf dem weiten Feld der technischen und praktischen Begabungen, wirklich mobilisiert werden. Nur durch diesen zweiten Zugang zur Hochschule über die Berufsbildung kann erreicht werden, daß wir nicht nur eine sogenannte „Volksschule" als Unterbau haben, sondern daß auch unsere Hochschulen und Universitäten im besten Sinne des Wortes Schulen des Volkes werden. Das wäre in der Tat ein entscheidender Schritt zur Demokratisierung unseres. Bildungswesens und zur Sicherung der Chancengleichheit für alle.

(Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502237100
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Arndt (Berlin).




Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502237200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte gleich auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Budde zum Thema Bildungsinvestitionen im Rahmen des Sachverständigengutachtens eingehen. Ich bin sehr dafür, daß wir konkret werden.
Der erste Schritt ist, die 180 Millionen für den Titel 600 im Haushaltsausschuß anzunehmen. Sorgen Sie bitte dafür, daß Ihre Kollegen im Haushaltsausschuß der SPD folgen.

(Beifall bei der SPD.)

Zweitens: Machen Sie doch bitte von dem Angebot des Kollegen Matthöfer Gebrauch, erste Schritte zum Bildungsurlaub in dieser Legislaturperiode zu tun. Warum nicht in diesem Herbst?
Drittens — das führt uns wieder an das allgemeine Thema zurück —: Ich glaube, Berufsausbildung und Berufsberatung gehören zusammen. „Ausbildung wozu" muß erfolgen, mit Ausnahme einiger weniger Fälle. Da brauchen wir wieder die langfristige Transparenz der Wirtschaftsentwicklung, damit die Berufsberatung endlich einmal in die Lage versetzt wird, zumindest auf wenige Jahre im voraus vernünftige Ratschläge zu geben und vernünftige Dispositionen zu treffen und nicht nur die Augenblickssituation auf sich wirken zu lassen.

(Beifall bei der SPD.)

Ein Beispiel haben die Amerikaner mit ihrer Wachstumsstudie gegeben, die jetzt z. B. für das Jahr 1970 zu ermitteln versuchen, in welchen Industrien welche Arbeitskräfte gebraucht werden. Das wird unvollkommen sein, aber es ist ein Schritt nach vorn. Warum gehen wir ihn nicht auch? Warum sperrt sich unsere Bundesregierung diesen Rechnungen gegenüber mit dem Hinweis, das seien Zahlenspielereien? Die Zukunft sei, so meint sie doch immer wieder, nicht durchsichtig zu machen, und sie bleibt damit hinter all dem zurück, was in der Wirtschaft, in großen Unternehmen heute schon an Zukunftsplanung besteht.
Meine Damen und Herren! Die Debatte über das Sachverständigengutachten ist ein bißchen unter der Devise geführt worden: „Lassen wir die Vergangenheit ruhen und lassen wir die Zukunft im Dunkeln".

(Heiterkeit bei der SPD.)

Das trifft nicht den Herrn Bundeswirtschaftsminister. Er hat die Parole immerhin so gesetzt: „Lassen wir die Vergangenheit ruhen, bewältigen wir die Gegenwart und organisieren wir die Zukunft". Auf diese Position will ich eingehen — die andere ist völlig indiskutabel —; denn diese Position — man kann sie für taktisch geschickt halten — ist nicht nur das, sie ist mehr: Die Regierung wäre nämlich im Recht, im Anpacken der Zukunft heute — endlich einmal im Anpacken der Zukunft — gegenüber der Vergangenheit einen trennenden und schließenden Strich zu ziehen. Sie wäre nicht einmal ganz im Unrecht, wenn sie das Mausoleum der bisherigen Finanz- und Wirtschaftspolitik mit der Formel abschließen würde: „Wir sind ja alle Sünder". Natürlich hat es — darauf ist vom Sachverständigenrat oft genug hingewiesen worden, so daß ich mir das
ersparen kann — Unterschiede im Läßlichen und Fahrlässigen gegeben. Man kann sogar behaupten — ich behaupte es jedenfalls —, daß diese Unterschiede so beträchtlich sind, daß die bisherigen Sünden der wirtschafts- und finanzpolitischen Führung eine andere Qualität als die des Kavaliersdelikts erhalten haben.

(Beifall bei der SPD.)

Wenn Sie der SPD-Fraktion des 4. Bundestages vorhalten, daß sie Ihren Anträgen im vorigen Jahr zugestimmt hat, und wenn Sie sie damit in eine Mitläuferposition bringen, dann muß auch die andere Kategorie, die zum Mitläufer dazugehört, betont werden, nämlich die des Hauptschuldigen.

(Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der CDU/CSU: Und des Entlasteten!)

Man kann diese Passage „Bewältigung der Gegenwart, Anpacken der Zukunft, Ruhenlassen der Vergangenheit" — nicht einfach mit einem „so weit, so gut" abschließen. Die volle Konzentration auf die Aufgaben von heute und von morgen, das wäre eine gute Sache, und das Wegwischen eines lästigen Gestern ist immer dann sinnvoll und sogar notwendig, wenn die Vergangenheit zur Erfahrung geworden ist, wenn sie nicht bloß verdrängt wird; denn dann ist sie zu nichts, nicht einmal zum Meistern der Zukunft von Nutzen.
Die Streitfrage der Historiker, ob sich Geschichte wiederhole oder nicht, läßt sich auch auf die Geschichte der wirtschaftlichen Beziehungen ausdehnen, und in dieser unserer Wirtschaftsgeschichte kann ebenfalls hinzugelernt oder der gleiche Fehler wiederholt werden. Die Sozialdemokraten haben in den letzten fünfzehn Jahren und nicht nur in den letzten fünfzehn Jahren, sie haben während ihrer hundertjährigen Geschichte unaufhörlich dazugelernt, und zwar durch die sich wandelnde Situation, von der Wissenschaft, in wenigen Fällen auch von Ihnen.
In der Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten des Sachverständigenrats — jetzt komme ich auf das, was Sie aus der Entwicklung der letzten Jahre hätten hinzulernen müssen —, also in der Regierungserklärung, in der Debatte über das Haushaltssicherungsgesetz und in der Debatte der letzten beiden Tage vermisse ich einen Satz, nämlich — hören Sie bitte genau zu —: Die Bundesregierung wird die Explosion der Ausfuhrentwicklung nicht noch einmal zulassen.
Damit hat nämlich die gegenwärtige Kalamität angefangen. Alles weitere, der Investitionsstoß, die Anspannung auf dem Arbeitsmarkt, die Auswirkungen erst auf die Effektivlöhne, dann auf die Tariflöhne, die Anspannung auf dem Markt für Maschinen und die steigenden Maschinenpreise waren Zwangsläufigkeiten jener wirtschaftspolitischen Unterlassung vom Anfang des Jahres 1964. Diese Entwicklung ist jetzt nicht mehr ungeschehen zu machen, und es ist wahrscheinlich richtig, sich nur der Zukunft zuzuwenden. Es ist aber falsch, die Anfänge dieser Entwicklung totschweigen zu wollen. Diese Erfahrung muß in Ihre und in unsere Be-



Dr. Arndt (Berlin)

standsaufnahme mit hinein. Die Grundsituation kann sich nämlich wiederholen, und es kann sein, daß wir von dem Zeitpunkt dieser Wiederholung gar nicht so weit entfernt sind.
Im Augenblick richten Sie alle Ihre Aufmerksamkeit — nicht viel Aufmerksamkeit, aber immerhin einige — auf die innere Wirtschaftsfront, und der Bundeswirtschaftsminister hat an den Ausgangspunkt seiner gestrigen Ausführungen die Überlegung gestellt, die 4% reale Zuwachsrate nach dem Gutachten des Sachverständigenrats würden von der Entwicklung der Nachfrage her nicht mehr erreicht werden, es würden wahrscheinlich weniger werden. Das ist noch nicht sicher. Meines Erachtens gibt es gute Gründe, immer noch die Prognose I des Sachverständigenrats als das Bild der vorhersehbaren Entwicklung den Überlegungen dieses Jahres zugrunde zu legen.
Mit der Konzentration auf die innere Front wird ja nur gegen Nachhuten des alten Booms argumentiert, zum Teil sogar mit der Wendung, die deutsche Wettbewerbsposition sei gefährdet, was offenkundig die Möglichkeit eines neuen Anstoßes von außen als sehr nebelhaft erscheinen läßt. Nichts ist falscher als das, meine Damen und Herren. Neben den von zahlreichen amtlichen Rücksichtnahmen gefärbten Stellungnahmen offizieller Institutionen zur Konjunkturlage gibt es auch ganz andere Stimmen, so z. B. die Einschätzung der auswärtigen Wirtschaftslage in einer Publikation der Dresdner Bank vom 2. Februar dieses Jahres. In ihr wird — und das kann für dieses Jahr sehr wichtig sein, auch für die Vorausschätzung der Preisentwicklung, an die der Herr Bundeswirtschaftsminister heute noch glaubt — die Ausfuhrprognose des Sachverständigenrats, die eine Zunahme um 10 % enthält, bereits als Mindesterwartung behandelt, eine mittlere Erwartung von plus 15 % für wahrscheinlich gehalten und sogar noch eine extreme Erwartung von weit mehr als diesem vorgeführt. Das ist ein Unterschied in der Warenausfuhr von 3,5 Milliarden DM gegenüber den Kategorien des Sachverständigenrates.
Ich sage Ihnen das nicht, um Sie mit Zahlen zu langweilen, sondern um Ihnen zu verdeutlichen, daß diese von Ihnen gar nicht berücksichtigte Variante in der wirtschaftlichen Entwicklung eine Mehrnachfrage bringen kann, die größer ist als alles, was die „konzertierte Aktion" an Einsparungen bei Staatsverbrauch, Bauinvestitionen und Ausrüstungsinvestitionen vorgesehen hat.
Ich argumentiere hier nicht gegen Ausfuhrüberschüsse. Wir brauchen eine aktivere Außenhandelsbilanz, als wir gegenwärtig haben. Wir haben eine ganze Menge Verpflichtungen an einseitigen Leistungen — Wiedergutmachungen, Gastarbeiterüberweisungen und dergleichen mehr —, und das in einer Höhe von etwa 5 Milliarden DM jährlich und schon seit einer ganzen Zeit. Ständige Defizite, ja, auch nur zu geringe Überschüsse in der Leistungsbilanz können wir uns einfach aus ökonomischen und politischen Gründen in unserer Außenwirtschaft auf die Dauer nicht erlauben.
Aber, meine Damen und Herren, für die Frage der Gutachter, die ja einer Aufgabenstellung unterliegen, die ihnen das Parlament gegeben hat — nämlich Wachstum und Preisstabilität und außenwirtschaftliches Gleichgewicht und noch ein Viertes —, ist es entscheidend wichtig, in welchem Tempo die deutsche Wirtschaft wieder in einen neuen Ausfuhrüberschuß hineinwächst. Alles das, was Sie sich zur Erreichung der internen Stabilität vornehmen, alles das, was Sie sich vielleicht nicht nur vorgenommen haben, sondern auch tatsächlich durchsetzen, kann im Laufe dieses Jahres durch eine neue Explosion in unserer Ausfuhr weggewischt werden. Was dann passiert, daß wir dann ein neues Mal, nicht weniger und nicht mehr vorbereitet als 1964, in diese nächste Runde hineingehen, können Sie sich leicht ausdenken, meine Damen und Herren. Deswegen habe ich den Satz vermißt: „Wir — die Bundesregierung — haben für die außenwirtschaftliche Absicherung unseres Stabilisierungsprogramms gesorgt." Der Sachverständigenrat konnte das Problem im August und September 1965 noch vertagen. Die Regierung kann es nicht. Denn die außenwirtschaftliche Lage steht eindeutig im Zeichen einer denkbaren Entwicklung in dieser Art.
Das Zweite, was wir in die Erfahrungen der Gegenwart noch mit hineinnehmen sollten, sind die Informiertheit und die Informationen, die der Bunderegierung zur Verfügung stehen. Wir können verstehen, daß sich die Regierung nach den Erfahrungen, die sie im vorigen Jahr mit einer Zahl hat machen müssen, nicht auf Zahlen festlegen will. Im Februar, glaube ich, vor einem Jahr hat der Bundeswirtschaftsminister die Erhöhung des Lebenshaltungskostenindex für das Jahr 1965 auf 2,3 % — das war etwa die Vorjahresrate — geschätzt. Nun, die tatsächliche Entwicklung — das haben wir heute schon mehrere Male gehört — war 3,4%. Das ist ein Fehler von einem Drittel oder der Hälfte, je nachdem, von welcher Seite aus man rechnet. Ich werde hier auch nicht herauskehren, daß es Schätzungen von Konjunkturinstituten gab, die von vornherein über 3% lagen. Das ist hier nicht das Problem.
Was für uns alle, für. die Öffentlichkeit und für den Bundeswirtschaftsminister selbst aber wichtig sein muß, ist, dafür Sorge zu tragen, daß er nicht ein zweites Mal einer derartigen Information aufsitzt. Denn wir können ihm wahrscheinlich nicht unterstellen, daß er sich diese Zahlen selbst ausgerechnet hat. Ich nehme ihm ab, daß er an sie geglaubt hat. Diese Fehleinschätzung, die damals gemacht worden ist, kann manches von den Dingen erklären, die Sie dann im Haushaltssicherungsgesetz wieder rückgängig machen mußten. Deswegen ist es wichtig, wichtig für Sie, für die deutsche Öffentlichkeit und für die Regierung selbst, daß Sie in Zukunft auf Unterlagen aufbauen, bei denen Sie in der Abschätzung der Entwicklung sicherer liegen, als das in der Vergangenheit der. Fall war.
Wir haben gestern gehört, die Preisentwicklung — so nimmt der Bundeswirtschaftsminister an, allerdings nicht in quantitativen, sondern in qualitativen Wendungen — werde günstiger sein, als der Sach-



Dr. Arndt (Berlin)

verständigenrat vorhergesagt habe. Ich frage mich erneut: Woher nimmt der Bundeswirtschaftsminister diese Zuversicht?

(Abg. Dr. Schiller: Sehr gut!)

Wir gehen mit 4,2 % in das Jahr hinein. Selbst wenn die absolute Indexziffer nicht mehr steigt, kommt eine Jahresdurchschnittsrate von 2,3 % heraus. Aber wer kann selbst dieses Minimum unterstellen, wer kann das annehmen nach dem, was wir hier über wirtschaftspolitische Maßnahmen und über das finanzpolitische Programm gehört haben, das die Bundesregierung für dieses Jahr und für die nächsten Jahre hat? Sie hat ja kein Programm, sie legt sich nicht auf Zielvorstellungen fest.
Meine Damen und Herren, am Ende des Jahres geht es zur Kasse. In der Bewältigung der Gegenwart — bei der sind wir nun mittlerweile angekommen — haben wir, die sozialdemokratische Fraktion, in der Politik der Regierung leider keinen Ansatzpunkt gefunden, der uns weiterbringt zu den Zielsetzungen, die wir dem Sachverständigenrat gegeben haben. Es kann kein Zweifel sein, Herr Kollege Starke, der Stufenplan des Sachverständigenrats ist abgelehnt. Die Verbindung von Einkommenspolitik und Rahmenplanung, beides wichtige Bestandteile des SPD-Programms vom vorigen Sommer, ist auch abgelehnt worden.

(Abg. Dr. Schiller: Jawohl!)

Die quantitative Orientierung, die die Regierung der Offentlichkeit zu geben hat, ist ebenfalls abgelehnt worden.

(Abg. Dr. Schiller: Jawohl!)

Was bleibt, sind die alten Maßhalteappelle; was bleibt, ist leider nichts mehr als Barbiturat für das Volk.

(Beifall bei der SPD.)

Dabei ist Ihnen doch in dieser Debatte von der Opposition verschiedentlich die Hand zur Mitarbeit gereicht worden. Ich denke da nur an die Rede des Kollegen Leber, der zwar nicht für die Gewerkschaften, aber doch auch als Gewerkschaftler gesprochen hat. Was ist aus seinem Angebot geworden, einmal auf der Linie weiter zu denken, einen Teil der Lohnerhöhung in Form von vermögenswirksamen Leistungen auszuzahlen? Darauf ist nicht eingegangen worden. Und überhaupt: Sie können natürlich eine Stabilisierungsaktion nur in enger Zusammenarbeit, in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften wie mit den anderen großen Gruppen unseres Volkes erreichen.
Man kann dazu nur eines sagen: Viele ausländische Regierungen würden sich glücklich schätzen, in einer derartigen Position zu sein, wie die deutsche Regierung gegenüber den deutschen Gewerkschaften sein könnte.

(Beifall bei der SPD.)

Schauen Sie sich doch einmal in der Welt um! Da gibt es ja nicht nur die Streitkstatistik im Gutachten des Sachverständigenrates, sondern politische Dissonanzen fundamentaler Art. Da gibt es auch, ich muß das leider sagen, Gewerkschaften — und je zersplitterter die Gewerkschaftsorganisationen sind, desto
zahlreicher sind sie —, die ab ovo gegen technischen Fortschritt sind. Hier haben Sie einen DGB, der Ihnen vor zwei Wochen attestiert hat, daß er für eine Ausdehnung der Wissenschaftsförderung sei. Damit ist er doch ab ovo für die Förderung der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Wo finden Sie in der Welt — -oder wo so stark wie in Deutschland — eine Tolerierung der Gastarbeiter durch die Gewerkschaften? Auch das ist doch keine Selbstverständlichkeit! Mit diesem Pfund zu wuchern, wäre jeder Regierung, die gewillt ist, ernst zu machen mit Stabilisierung und Wachstum, doch nicht schwergefallen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Man muß aber ein bißchen was tun. Man darf nicht nur reagieren, wenn wirtschaftliche Notkrise, Preissteigerungen von der Öffentlichkeit her auf die Tagesordnung kommen, sondern man muß präventiv handeln. Dazu darf es gar nicht kommen.
Nun, die Bundesregierung hat für das Langfristige auch manches in ihrer Stellungnahme zum Gutachten des Sachverständigenrates angekündigt, nämlich mehrjährige Haushaltsübersichten, längerfristige Rahmenplanungen usw. usf. Das sind Instrumente, die gut sind, die nützlich sind und an deren Aufstellung und Beratung sich die sozialdemokratische Fraktion sicher beteiligen wird, — sind es doch Dinge, die im Rahmen der modernen Wirtschaftspolitik liegen und die von der Sozialdemokratie seit langem gefordert werden. Über eines müssen Sie sich im klaren sein, und wir sind es uns auch: es sind keine Wunderwaffen und kein Ersatz für Politik, ebensowenig wie eine gute Buchhaltung ein Ersatz für eine gute Unternehmensführung ist. Als ein Hilfsmittel für eine derartige Führung sind diese Instrumente nützlich. Entschlossenes Handeln, wendiges Handeln — denn Flexibilität muß auch sein —ist notwendig. Man darf nicht an den Vorstellungen von gestern haften bleiben. Die Situation wandelt sich in einer weltoffenen Wirtschaft von Tag zu Tag.
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang noch eines sagen. Die bisherige Statistik an antizyklischer Politik, die wir aufmachen könnten, ist natürlich sehr mager. Wir hatten — und es hat geklappt — 1953, 1957 und 1962 Ausgabenausweitungen, die mit der schwachen Konjunkturentwicklung zusammenfielen. 1953 wurde im Wohnungsbau stark expandiert. 1957 kam die Rentenreform, 1962 auch eine Erhöhung der Rüstung, Kuba usw. usf., ebenfalls in einer Zeit sehr schwacher Wirtschaftsentwicklung. Wir haben aber auch andere Beispiele, und diese sind noch zahlreicher. 1949/50: das Arbeitsbeschaffungspogramm kam in die Korea-Hausse hinein. Im Jahre 1956 hat die Bundesbank, und zwar auch mit Unterstützung der Regierung, die Kreditrestriktionen unheimlich verschärft zu einer Zeit, als die Konjunktur bereits abflaute. Im Jahre 1959 ist 'der eisenschaffenden Industrie aus einer vorübergehenden Flaute mit großen öffentlichen Aufträgen geholfen worden. Das kam ebenfalls in den nächsten Boom hinein. Für 1965 ist so oft über chern wäre jeder Regierung, die gewillt ist, ernst die Steuersenkung und die Ausgabenentwicklung des Bundeshaushalts geredet worden, daß ich mir die Erwähnung ersparen kann. Das heißt: Wahljahre,



Dr. Arndt (Berlin)

einmal ein Jahr internationaler Krise, waren Ausgangspunkt für Ausgabensteigerungen oder Ausgabenkürzungen in diesem Lande, und es war nur Zufall, wenn das einmal mit der konjunkturellen Entwicklung gestimmt hat.

(Zuruf von der CDU/CSU: Immer?)

— Manchmal haben Sie Glück gehabt, haben wir Glück gehabt, muß ich wohl sagen, denn wir sind ja alle betroffen. Meistens hatten wir Pech.
Ich verspreche mir von einem Instrument wie einer mehrjährigen Haushaltsübersicht und einer längerfristigen Rahmenplanung, daß sie wenigstens das prozyklische Element, das in der Finanzpolitik häufig festzustellen war, ausschließen, so daß man wenigstens keine Regierung hat, die den Schaden, den Zyklus noch verstärkt, sondern daß sich die Regierung wenigstens so verhält, als wenn es überhaupt keine Regierung gäbe.

(Zuruf von der SPD: Eine gute Sache! — Zurufe von der CDU/CSU: Beifall spenden, meine Herren! Sie schlafen schon! — Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Ich möchte nun zum letzten Teil meiner Rede kommen. Der Sachverständigenrat hat eine ganze Menge über Wirtschaftsstruktur, über Verhältnisse und Beziehungen von Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftswachstum gesagt. Ich habe auch da den Eindruck, daß manchmal das Unterlassen von Gegenmaßnahmen besser gewesen wäre als die Durchführung von Maßnahmen zur strukturellen Wandlung. Ich glaube, daß mehr Maßnahmen gegen den Strukturwandel durchgeführt worden sind als Maßnahmen, die ihn fördern könnten.
Wir haben im Jahre 1958 hier eine große Rede des damaligen Bundesfinanzministers und heutigen Kollegen Etzel gegen die Subventionen gehört. Er hat damals gesagt: Subventionen als vorübergehende Anpassungshilfe sind eine gute Sache. Die Rede von 1958 — wir wissen es jetzt - war zwar inhaltsreich, aber sehr aktionsleer.
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion, probieren Sie doch einmal im Laufe dieses Jahres, ob eine schmerzhafte Überprüfung der Subventionen, die Sie initiieren, nicht auf die Bereitschaft der Sozialdemokraten stößt, an diesem und jenem Punkte mitzumachen. Sie haben doch hier die Mehrheit, und die Regierung hat die Möglichkeit zur Führung. Machen Sie doch einmal von den Möglichkeiten Gebrauch! Reden Sie nicht immer nur gegen die Sozialdemokraten, sondern versuchen Sie doch einmal, sie auf diesem Wege auf eine Probe zu stellen! Gehen Sie doch einmal ran, und machen Sie Vorschläge, über die man diskutieren und auf die man sich einstellen kann! Ich glaube, daß ist das, was nämlich in der gegenwärtigen und künftigen Situation unserer Wirtschaft für den Strukturwandel am notwendigsten ist.
Es gibt eine Reihe von Subventionen, die mehr sind als nur Anpassungshilfen. Die sind etwas ganz anderes als eine Maßnahme, den geordneten Rückzug von Menschen zu ermöglichen, die einmal auf ein Berufsziel gesetzt haben. Das muß natürlich sein; sie dürfen nicht enttäuscht sein. Sie haben ja Jahre an Ausbildung in ihren Beruf investiert. Da muß selbstverständlich langsam vorgegangen werden. Aber wir haben auch eine Reihe von Subventionen, — -

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502237300
Herr Abgeordneter Dr. Arndt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ministers Dr. Dahlgrün?

Dr. Rolf Dahlgrün (FDP):
Rede ID: ID0502237400
Herr Kollege Arndt, wären Sie in der Lage, mir wenigstens andeutungsweise und unverbindlich zu sagen, was Sie bei Ihren letzten Ausführungen im Auge gehabt halben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0502237500
Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, es ist Ihre Aufgabe und die Aufgabe der Mehrheitsfraktion dieses Hauses, entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Wir sind gern bereit, sie zu prüfen und uns, wenn sie wertig sind, auf ihren Boden zu stellen. Ich glaube, das ist weit genug. Ich kann natürlich Ihre Amtsführung und die Möglichkeiten Ihres Amtes nicht beurteilen. Aber die Reichweite Ihrer Möglichkeiten sollte Ihnen doch Ansporn genug sein, auf diesem Gebiet einige Schritte zu versuchen.
Es gibt eine Reihe von Subventionen, die Krankheitsherde verewigen. Sie führen nicht dazu, daß Menschen, die auf einen Beruf gesetzt haben, und daß Unternehmen, die Kapital investiert haben, ohne Verluste aus dieser Situation herauskommen, sondern sie führen dazu, daß mit dem Speck der Subvention neue Kümmerexistenzen geschaffen und von neuem junge Menschen in diese Tätigkeit gelockt werden.

(Beifall bei der SPD.)

Dann sind Subventionen keine Hilfen für Berufszweige mehr, keine Hilfen für die. Menschen mehr, sondern dann sind sie nur noch erklärbar als Maßnahmen zum Schutz und zur Verewigung von Berufsvertretungen.
Meine Damen und Herren, wenn Sie diese Probe stellen, wenn Sie auf diesem Wege den Erklärungen von Herrn Etzel im Jahre 1958 einige praktische Vorschläge folgen lassen, wird das als Symptom des Strukturwandels und als Unterstützung des Strukturwandels gewertet werden. Dann haben Sie wenigstens einen Punkt, an dem Sie sich — jedenfalls langfristig — auf den Boden der konzertierten Aktion stellen können.
Es wird verschiedentlich gesagt, daß die Nachkriegszeit vorbei sei; der Herr Bundeskanzler tut das gern. Es stand auch in der Regierungserklärung, und der Kollege Franz Josef Strauß hat das mit Recht mit hochgezogenen Augenbrauen vermerkt. Die Aussage, die Nachkriegszeit sei vorbei, kann natürlich nicht heißen, daß wir uns nicht mehr anzustrengen brauchten. Ich glaube auch nicht, daß das so gemeint war. Es kann aber der Eindruck erweckt werden, daß die Gegenwart und die Zukunft, gemessen an der Vergangenheit, in dem einen oder anderen Punkt leichter geworden seien, daß wir



Dr. Arndt (Berlin)

genug Wohnungen haben, daß wir diese oder jene Hürde in unserer wirtschaftlichen Entwicklung übersprungen haben. Ich glaube nicht, daß die wirtschaftlichen Aufgaben der Zukunft — denn die Wirtschaft hat die Mittel für die Lösung der sozialen, der außenpolitischen Probleme bereitzustellen, mehr kann sie nicht tun; ob die Lösungen überhaupt versucht werden, ist eine zweite Frage — geringer geworden sind. Wir werden nicht in der Lage sein, uns mit der Beruhigung, die Nachkriegszeit sei vorüber, in ein Gebirgstal zurückzuziehen, einen Stein davor zu wälzen und die Hirtenflöte zu blasen. Ob die Gegenwart, gemessen an der Zukunft, wirklich schwerer oder leichter ist, das kann sich erst in den nächsten zehn Jahren herausstellen. Das sind Dinge, die nicht von uns allein abhängen und die wir nicht vorhersehen können.

(Abg. Dr. Burgbacher: Das ist es eben!)

Vielleicht kommt einmal eine Situation, wo man sagt: wir können froh sein, den Lebensstandard von heute in zehn Jahren gehalten zu haben.
Deswegen möchte ich vor einem warnen: die Wachstumszielsetzung — und das ist heute in manchen Reden durchgeklungen — von einem der vier gleichrangigen Plätze, der ihr gehören muß, herunterzuoperieren.

(Abg. Dr. Burgbacher: Das wollen wir nicht!)

— Ich freue mich, wenn Sie attestieren, daß Sie das nicht so meinen. „Stabilität und Wachstum" hieß das erste Gutachten. Das zweite Gutachten war „Stabilität ohne Stagnation" überschrieben.

(Zuruf von der SPD: SOS!)

— SOS. Wir sollten nicht in eine Position kommen, wo wir bereits Stabilität ohne Rückschritt als ausreichend erachten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.)

Wir brauchen die Entwicklung der Produktivkräfte, weil sich nur mit ihnen die Menschen entwickeln und weil wir die Produktionsanlagen für alle möglichen Fälle bereitzustellen haben, die in der Geschichte eines Volkes eintreten können.

(Beifall in der Mitte.)

So sehen wir wirtschaftliche Entwicklung, und so sehen wir die Wachstumszielsetzung. Sie ist kein Ziel an sich, sondern sie meint: zu neuen Ufern und auch zu neuen Möglichkeiten für die allgemeine Politik. Möge die dann eines Tages auch die Regierung finden, die mit diesen Möglichkeiten etwas anfangen kann.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502237600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friderichs.

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0502237700
Herr Präsident! Verehrten Damen, meine Herren! Ich habe versucht, die Debatte mit der nötigen Aufmerksamkeit zu verfolgen, und dabei ist mir eines aufgefallen. Wenn man die Beiträge der Opposition einmal zusammen faßt und wertet, kann man sich in weiten Bereichen des Eindrucks nicht erwehren — auch bei Ihnen, Herr Kollege Schiller —, es ginge darum, dieses Gutachten heute als Gesetz zu verabschieden. Ich war bei der Lektüre der Tagesordnung und zu Beginn der Debatte anderer Meinung. Ich meine, daß wir hier eine politische Diskussion über das Gutachten und über die dort von den Sachverständigen genannten Zahlen führen sollten.
Sie haben über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik gesprochen und empfohlen, das bei Max Weber nachzulesen. Ich persönlich bin Ihnen für den Hinweis sehr dankbar, möchte es aber heute nachmittag angesichts der fortgeschrittenen Zeit und der sonstigen Vorhaben unterlassen, darauf einzugehen, insbesondere weil mein Kollege Starke in dankenswerter Weise klargestellt hat, worum es in dieser heutigen Debatte geht. Ich möchte mich auf diese Ausführungen beziehen. Insofern erübrigt sich wohl auch die eine oder andere Antwort auf die Bemerkungen meines Vorredners Dr. Arndt.
Wir haben um die Frage Stabilität und Wachstum gerungen. Ich wage es, jetzt noch einmal darauf hinzuweisen — selbst auf die Gefahr hin, daß ich von der linken Seite des Hauses geziehen werde, Ladenhüter hervorzuholen, weil dieser Satz in der Tat sehr alt ist —, daß Angebot und Nachfrage eine nicht unbeachtliche Bedeutung für den Preis haben.
Herr Kollege Schiller, Sie haben von einer konzertierten Aktion aller am Wirtschaftsprozeß beteiligten Gruppen gesprochen. Ich unterstreiche das. Aber wenn der Preis steigt, befinden sich Angebot und Nachfrage in einem Ungleichgewicht. Davon können wir ausgehen, und da ist auch die Frage der Arbeitszeit von entscheidender Bedeutung.
Ich glaube, man sollte hierzu einige wenige Sätze sagen. Damit ich aber nicht in einen falschen Verdacht gerate, möchte ich gleich vorweg bemerken, daß sich natürlich jeder wirtschaftliche Fortschritt in den Löhnen der Arbeitnehmer und in der Zeit, Einkommen zu erarbeiten, niederschlagen sollte. Im Augenblick sind Lohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzungen untrennbar miteinander verbunden, weil immer nur von Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich gesprochen wird.
Ein kurzes Wort zur Entwicklung. In der Zeit von 1950 bis 1956 hatten wir in der gewerblichen Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung kaum Arbeitszeitverkürzungen. Das Arbeitszeitangebot blieb nahezu konstant. Die Reduzierung erfolgte praktisch ab 1956. Man kann da manche Parallele ziehen. Im Augenblick liegt die tatsächlich geleistete Arbeit bei etwa 42,1 Stunden. Was ich zu beklagen habe — das gilt auch für Kräfte außerhalb des Hauses, die aber an der konzertierten Aktion zweifellos beteiligt sind, weil sie zu den Wirtschaftsgruppen gehören —, ist eben, daß dieses Arbeitszeitangebot in Deutschland leider nicht flexibel genug ist. Gegenwärtig halte ich die Erreichung des gesteckten Zieles für nahezu gefährlich. Ich persönlich halte das sogar für unvertretbar.



Dr. Friderichs
Lassen Sie mich kurz andeuten, was die volkswirtschaftlichen Auswirkungen bei einer Verknappung des Angebots an Arbeitskraft mit sich bringen. Eine Verringerung der angebotenen Arbeitszeit wird eine Verknappung des Angebots an Waren nach sich ziehen. Die Marktsituation wird sich weiter verschärfen. Hier möchte ich eines einmal ganz offen aussprechen, vor allem nachdem die Kollegen Dr. Arndt und Budde sich auch mit den Bildungsfragen befaßt haben. Wenn wir die Zurverfügungstellung von Arbeitskraft bewußt dadurch hinausschieben, daß wir für das 9. Schuljahr eintreten, sollten wir diese Aktion nicht gleichzeitig durch andere gefährden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaube, sie ist wichtiger. Ich sehe auch einen Widerspruch bei den Betroffenen selbst. Man kann natürlich die Verknappung der Arbeitszeit durch Hereinnahme von ausländischen Arbeitskräften substituieren, wobei man allerdings die Größenordnung kennen muß. Wir haben im Augenblick 1,2 Millionen ausländische Gastarbeiter im Lande. Lassen Sie mich ganz offen aussprechen, daß die Produktionshöhe, die wir erreicht haben, ohne sie im Augenblick nicht zu halten wäre. Aber eine Stunde Arbeitszeitverkürzung ist gleich 550 000 Arbeitnehmer, — was das heißt, brauche ich Ihnen nicht zu sagen; bei 730 000 offenen Stellen! Da es nicht möglich ist, die Verkürzung durch Hereinnahme anderer Arbeitskräfte zu substituieren, scheidet das aus. Wir kommen damit, wenn wir dazu beitragen — ich werde Ihnen nachher auch sagen, warum ich das gerade hier sage —, wenn wir die Arbeitszeit jetzt verkürzen, zu einer weiteren Verringerung des Güterangebots und des Dienstleistungsangebots, über das mein Kollege Opitz hinreichend deutliche Bemerkungen gemacht hat. Wenn wir nicht substituieren können, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als einen Produktionsrückgang hinzunehmen, wenn wir in dieser Lage die Arbeitszeit verkürzen.
Lassen Sie mich im Zusammenhang mit dem Gastarbeiterproblem noch ein Wort sagen. Ich glaube, daß unsere Zahlungsbilanz es im Augenblick angeraten erscheinen läßt, alle Kräfte zu mobilisieren, um zu einem anderen Ergebnis zu kommen als im Jahre 1965.
Aber noch ein Weiteres. Eine Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichzeitigem vollem Lohnausgleich
— das ist doch das, worüber wir zu sprechen haben
— erhöht gleichzeitig die Nachfrage in der Relation zur geleisteten Arbeit und trägt damit weiterhin zu einem Marktungleichgewicht und damit nicht zur Stabilität, sondern zur Instabilität bei.

(Beifall bei der FDP. — Zuruf von der SPD: Das ist ein Problem der Quantität! Darüber wird doch der Sachverständigenrat etwas ausgesagt haben!)

— Sie haben sehr recht. Die Arbeitszeit ist allerdings ein reines Problem der Quantität, denn Zeit ist immer Quantum. Was man in der Zeit tut, ist dann die Qualität; auch dazu wäre einiges zu sagen.

(Abg. Matthöfer: Da wäre ich allerdings gespannt!)

— Auch bei der Debatte natürlich, nicht nur beim Produktionsprozeß.
Bei einer Verkürzung der Arbeitszeit mit vollem Lohnausgleich steigen die Lohnkosten relativ zum Produktergebnis. Auch darin, Herr Kollege Arndt, werden Sie mir sicher zustimmen. Die Frage ist eben nur: wie wirkt es sich auf die Stabilität, auf den Markt aus? Da gibt es zwei Möglichkeiten: entweder diese erhöhten Kosten werden auf den Abnehmer abgewälzt — die Wirtschaft wird es überall dort tun, wo sie es kann, und sie ist berechtigt, es zu tun, wo sie es kann —; denn, meine Herren, und das muß ich wirklich mal zu der linken Seite des Hauses sagen: wir leben eben in einer Marktwirtschaft, und da ist es eben so, daß man den Marktpreis nehmen kann, wenn der Markt ihn hergibt. Darauf haben wir 1948 aufgebaut, und ich stehe dazu, daß wir darauf aufgebaut haben.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502237800
Herr Abgeordneter Könen möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0502237900
Bitte sehr!

Willy Könen (SPD):
Rede ID: ID0502238000
Herr Kollege, schließen Sie sich dann der Bemerkung des Herrn Arbeitsministers Blank an, daß auch der Arbeitnehmer das Recht habe, sich marktgerecht zu verhalten?

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0502238100
Ich bin der Meinung, daß der Arbeitnehmer die Pflicht hat, sich marktgerecht zu verhalten,

(Beifall bei der FDP — Zuruf von der SPD: Na also!)

d. h. nämlich, daß er im Augenblick sein Angebot an Arbeitskraft nicht verkürzt, wie nicht er, sondern wie seine Funktionäre es wollen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich betone: nicht er, sondern seine Funktionäre; das ist ein Unterschied. Dazu brauche ich nicht mal die Meinungsforscher. Das merke ich selber, wenn ich mit ihm rede.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502238200
Herr Abgeordneter Leber möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0502238300
Bitte!

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502238400
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß alle Beschlüsse dieser Art auf den Kongressen mit Mehrheit von Mitgliedern der Gewerkschaften gefaßt werden, die nicht Angestellte der Gewerkschaften sind, sondern im Betrieb arbeiten?
Im übrigen darf ich Sie daran erinnern, daß den weitestgehenden Vorschlag zur Arbeitszeitverkürzung in Deutschland ein Mann gemacht hat, der nicht in den Reihen der Gewerkschaften zu Hause ist. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre die 40-
Stunden-Woche generell 1963 schon erreicht worden. Der Mann heißt Ludwig Erhard.

(Zurufe von der CDU/CSU. — Unruhe.)




Leber
— Dann weiß er nicht mehr, was er damals gesagt hat. Wir haben das behalten.

(Fortgesetzte Zurufe von der Mitte.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502238500
Wir wollen den Redner nicht daran hindern, seine Ausführungen zu machen. — Herr Abgeordneter Leber, Sie müssen Fragen stellen.

(Abg. Leber: Der Bundeskanzler hat 1956 den Gewerkschaften den Vorschlag gemacht, jährlich um eine Stunde zu verkürzen! — Gegenrufe von der CDU/CSU.)

Bitte, Herr Abgeordneter Friderichs!

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0502238600
Ich habe die Absicht, Herr Leber, auf der Basis des Jahres 1966 zu diskutieren. Im übrigen werden Vorschläge nicht dadurch richtiger — —

(Abg. Leber: Ich wollte nur Ihre Erinnerung auffrischen! — Weiterer Zuruf von der SPD: Keine Ahnung, was die Arbeiter wollen!)

— Für die Auffrischung der Erinnerung darf ich mich sehr herzlich bedanken.

(Zuruf von der SPD: Es geht Ihnen um etwas anderes! Sie wollen nur diffamieren und verleumden!)

— Es geht mir darum, den Versuch zu machen, die Minderheit, von der Herr Professor Schiller sprach, die er in der Fraktion noch nicht mit Erfolg gesalbt hat, zu salben; er hat von der Minderheit gesprochen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich möchte zu meinen Thesen zurückkommen. Dort, wo der Produktpreis durch den steigenden Lohnkostenanteil erhöht wird, wird die Erhöhung entweder überwälzt — und das trägt nicht zur Stabilität bei — oder sie kann nicht überwälzt werden, weil der Markt den Preis nicht hergibt, und das führt dann zu einer Gewinnschmälerung. Für manche ist das ein erstrebenswertes Ziel. Ich habe in dieser Situation Bedenken, zu einem solchen Prozeß beizutragen. Denn genau die Bereiche, in denen die Überwälzung nicht möglich ist und bei denen dann die Gewinnschmälerung eintritt, stehen ohnehin auf der Schattenseite; wenn ich jetzt die Größenstruktur nehme, dann gehören diese Betriebe zu den mittleren und kleineren.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Das, meine Herren von der Opposition, ist eine gesellschaftspolitische Frage: Wollen Sie das, dann sagen Sie es, oder wollen Sie es nicht, dann sagen Sie es bitte auch. Ich will nicht zu diesem gesellschaftspolitisch falschen Prozeß — nach meiner Auffassung ist das eine politische Einstellung — beitragen. Das möchte ich hier sagen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Lassen Sie mich nur noch eines sagen. Das, was wir hier in Deutschland als „groß" bezeichnen, ist im internationalen Wettbewerb häufig nur ein „mittel". Dann gilt das, was ich hier für die Schwachen gesagt habe, auch für die Großen im internationalen Wettbewerb. Deswegen will ich es zweimal nicht.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

In jedem Falle führt das, was wir im Augenblick draußen praktizieren, zu einer Verschlechterung unserer eigenen Wettbewerbssituation. Das muß man einmal aussprechen dürfen, auch auf die Gefahr hin, daß ich der Verleumdung geziehen werde; die Absicht, es zu tun, hatte ich nicht.
Lassen Sie mich ein paar Vergleiche mit anderen bringen. Wenn der Herr Präsident es erlaubt, würde ich gern drei Sätze aus einer überregionalen deutschen Zeitung, nämlich der „Welt", vorlesen, die am 15. Februar unter dem Vorspann „Paris" schreibt:
Seit 1946 beträgt in Frankreich die gesetzliche Arbeitszeit 40 Stunden.
An sich müßten Sie jetzt klatschen.
Aber diese „Errungenschaft" der Volksfrontregierung hat nur theoretische Bedeutung, denn Überstundenzuschläge werden nach fast allen Tarifverträgen erst von der 49. Stunde an gezahlt. Die normale tarifliche Arbeitszeit ist also die 48-Stunden-Woche. Die effektive Arbeitszeit liegt erheblich höher, Sie hat ihre steigende Tendenz trotz der Konjunkturabschwächung des vergangenen Jahres beibehalten.
Ich möchte Sie jetzt nicht mit Zahlen langweilen. Eines steht aber fest: Wenn ich für die Arbeitszeit als Basis das Jahr 1958 nehme, dann haben im Jahre 1964 die Länder Frankreich, Italien, Belgien und die USA mehr und nur die Bundesrepublik weniger Arbeitszeit aufzuweisen. Auch das sollte man hier einmal in aller Offenheit aussprechen dürfen.
Dieser Wettbewerbsnachteil wirkt sich notwendigerweise auf unsere Handelsbilanz und angesichts der defizitären Dienstleistungsbilanz — in Klammern: hauptsächlich Reiseverkehr — auch noch negativ auf unsere Zahlungsbilanz aus. Ich wage hier die Behauptung aufzustellen: eine Nation, die von der Verarbeitung lebt — das ist unser Zustand —, muß im Interesse der Arbeitnehmer darauf sehen, daß sie eine Zahlungsbilanz mit Überschuß hat, und das setzt bei uns eine Handelsbilanz mit Überschuß voraus. Dazu müssen wir alle beitragen, wenn wir die Interessen derjenigen langfristig nicht gefährden wollen, denen einige von Ihnen kurzfristige Vorteile versprechen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich bin nicht töricht genug, nicht zu sagen: es gibt noch eine andere Substitutionsmöglichkeit als die Hereinnahme ausländischer Arbeitskräfte. Es gibt erstens die Möglichkeit der Rationalisierung. Aber hier haben wir in vielen Bereichen einen Grad erreicht, der beachtlich ist. Es gibt Bereiche, die sehr schwer zu rationalisieren sind; in Klammern: Dienstleistungen. Ich glaube, daß wir hier weitere Fortschritte und Anstrengungen machen müssen. Das setzt aber voraus, daß die Arbeit durch Kapital, durch nichts als Kapital, substituiert wird. Hier frage ich Sie: Wie wollen die, die ich eben als die Schattenseite bezeichnet habe, diese Investitionen



Dr. Friderichs
finanzieren angesichts der Notwendigkeit einer restriktiven Kreditpolitik, die Sie, vor allem Herr Professor Schiller, begrüßt haben, und die wir auch in diesem Zeitpunkt — ich betone: in diesem Zeitpunkt
— wohl aufrechterhalten müssen?
Es gibt noch eine andere Möglichkeit, indem nämlich einfach die Relation von regulärer Arbeitszeit zu Überstunden verschoben wird: Verringerung der tariflichen Arbeitszeit, Aufstockung der Überstunden. Wenn aber die Überstunden mit Überstundenzuschlägen versehen werden — und das ist so —, ist es ganz klar, daß ich damit den Produktionsfaktor Arbeit verteuere und damit zum selben Ergebnis komme, wie wenn ich den anderen Weg gehe. Dennoch bin ich der Meinung, daß es im Augenblick viel wichtiger ist, dem Markt ein ausreichendes Angebot zur Verfügung zu stellen. Deswegen begrüße ich jede freiwillig geleistete Überstunde. Auch hier sollten manche von unseren Funktionären so flexibel werden, wie es die Arbeitnehmer längst geworden sind.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es gibt noch eine andere Möglichkeit — —

(Abg. Leber: Womit begründen Sie eigentlich, daß sie nicht flexibel sind?)

— Herr Leber, das begründe ich damit, daß ich die Äußerungen derer, die ich gemeint habe, ernst nehme.

(Abg. Leber: Können Sie mir unter den Gewerkschaftern jemanden in Deutschland nennen, der dafür ist, daß die Überstunden, die gegenwärtig gemacht werden, abgebaut werden? Können Sie mir einen führenden Gewerkschaftsmann nennen, der in den letzten drei Jahren den Versuch gemacht hat, die Überstunden abzubauen?)

— Einmal habe ich nicht behauptet — — (Weitere Zurufe von der SPD.)

— Entschuldigen Sie bitte, ich könnte ihn Ihnen nennen. Ich habe aber nicht die Absicht, private Gesprächspartner hier einzuführen.

(Zurufe von der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502238700
Herr Abgeordneter Matthöfer möchte eine Frage stellen.

Hans Matthöfer (SPD):
Rede ID: ID0502238800
Herr Kollege Dr. Friderichs, betrachten Sie die Verschiebung der Arbeitszeitverkürzung durch die IG Metall im vergangenen Jahr auch als einen Mangel an Flexiblität?

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0502238900
Nein, als einen lobenswerten Beitrag.

(Beifall bei der FDP.)

Ich nehme an, wir sind da einer Meinung, oder wollten Sie eine andere Antwort haben?
Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, das Gleichgewicht des Marktes wieder zu erreichen. Das sind ganz einfach Importe; indem wir uns also die Arbeitszeitverkürzung leisten und über den Import versuchen, den Markt in Ordnung zu bringen. Aber hier stoßen wir wiederum an drei Grenzen — und das muß man einmal sagen dürfen. Einmal ist es eine Tatsache, daß die Verbrauchsgewohnheiten der Bevölkerung eine gewisse Rolle spielen und daß bestimmte Auslandsprodukte ganz einfach nicht abgenommen werden, weil man lieber bekannte, häufig sogar Markenartikel kauft. Zweitens wissen Sie selbst — und Frau Kollegin Krips hat das hier angeführt —, daß die EWG auch bestimmte Voraussetzungen schafft, die für die Importe im nationalen Bereich von Bedeutung sind. Schließlich muß ich drittens noch einmal die Zahlungsbilanz erwähnen, die auch den Importen gewisse Grenzen setzt.
Lassen Sie mich noch einige wenige Worte zu dem gesellschaftspolitischen Problem sagen. Eine ganz besondere Beeinträchtigung bei jeder Arbeitszeitverkürzung trifft die lohnintensiven Betriebe — nicht die kapitalintensiven —, und da wir hier wiederum das Schwergewicht bei den mittleren und kleineren haben, werden sie wiederum erneut doppelt belastet. Hier sage ich noch einmal: Ich erwarte — Sie haben ja immer nach Klarheit gerufen —, daß Sie uns einmal sagen, ob Sie wollen, daß einige wenige Große bleiben und daß die ganze große Vielfalt der mittleren Wirtschaft, auf der unsere Wirtschaft jedenfalls aufgebaut worden ist, beseitigt wird — aus Gründen, die Sie gesellschaftspolitisch motivieren können. Aber sagen Sie, was Sie wollen, dann wissen wir, wie wir Ihnen antworten können.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Welche Möglichkeiten des Ausweichens bestehen? Dort, wo die Mittleren und Kleineren im Produktwettbewerb mit den Großen stehen, kommen sie in einen Kostennachteil, der zwangsläufig zu ihrem Erliegen führen muß. Dort, wo die Produkte nur von Mittleren und Kleineren hergestellt werden, wo sie also im Wettbewerb miteinander stehen, wird man erleben, daß die' Konsumenten diesen Proukten ausweichen auf Produkte anderer, die kapitalintensiv sind. Ich bin Ihnen für diese Brücke, die Sie mir gebaut haben, sehr dankbar. Denn weil ich das weiß, trifft das, was ich im nationalen Vergleich von mittel zu groß gesagt habe, für die großen deutschen Unternehmen im Vergleich zu den großen internationalen zu. Lassen Sie mich dazu, wenn es vielleicht zu Ihrer Bereicherung beiträgt, sagen: General-Motors, Umsatz 17 Milliarden Dollar, Reingewin 1964 1,7 Milliarden Dollar. Das ist etwa der Umsatz des Volkswagenwerks, des größten deutschen Unternehmens, oder der Thyssen-Gruppe.

(Abg. Matthöfer: Bei Löhnen, die dreimal so hoch sind!)

- Bei einer sehr flexiblen und im Jahre 1964 gestiegenen Arbeitszeit. Auch das kann ich Ihnen nachweisen.

(Abg. Matthöfer: Nachdem sie vorher kurzgearbeitet haben! — Abg. Könen [Düsseldorf]:: Ja, das müssen Sie sagen!)

Reingewinn eines anderen Großen, der Standard
Oil: 1,05 Milliarden Dollar gleich dem Umsatz eines
großen deutschen Chemieunternehmens. Also Ihr



Dr. Friderichs
Hinweis war goldrichtig, und er erhärtet meine These. Deshalb nochmals meinen herzlichsten Dank dafür!
Lassen Sie mich das Fazit aus alledem ziehen und hier noch einmal die Zwiespältigkeit bestimmter Leute aufzeigen. Auf der einen Seite gibt es welche, die warnen vor der Automation, treten gleichzeitig für die Arbeitszeitverkürzung ein und erzwingen die Automation, nämlich das, vor dem sie warnen. Hier verstehe ich nicht mehr, was sie wollen.

(Abg. Matthöfer: Nennen Sie einen Namen! Wer sind diese Menschen, die davor warnen?)

— Einer heißt so ähnlich wie ich, den kennen Sie.

(Heiterkeit bei der FDP.)

Er schreibt sich nur anders.
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas sagen. Wir haben einen Vormittag um 4 % oder 6 % gestritten. Herr Kollege Schiller hat in der ihm eigenen Art französisch zitiert: Faites votre jeu, Messieurs, an die Adresse der Bundesregierung. Herr Kollege Schiller, ich muß sagen, wenn Sie die Absicht haben, so Sie einmal da sitzen sollten — Sie haben ja in Berlin jedenfalls einmal dort gesessen —, „votre jeu" zu spielen, dann möchte ich nicht Staatsbürger sein. Denn ich glaube, die Bundesregierung soll keine Spiele spielen, sondern sie soll politisch handeln. Dazu ist sie allerdings entschlossen, vielleicht mehr als mancher andere.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich spiele Ihr Spiel „4 oder 6" nicht mit aus den Gründen, die Herr Kollege Starke dargelegt hat. Das, was ich hier zur Arbeitszeit gesagt habe, ist nach meiner Auffassung in seinen Grundlagen unbestritten. Deswegen sollten wir uns vielleicht einer solchen Tatsache zuwenden. Lassen Sie mich zum Schluß sagen, warum ich das gerade hier in dieser Form gesagt habe. Ich möchte verhindern, daß jemandem, der über die Arbeitszeit entscheidet, in diesem Hause ein Alibi geboten werden könnte. Wir haben die Verpflichtung, das Alibi nicht zu bieten, sondern zu warnen, wo es richtig ist. Sie haben als Opposition die Pflicht, die Regierung zu warnen, zu mahnen. Sie haben allerdings nicht nur die Pflicht, um Vorschläge zu bitten; denn es besteht auch noch die Möglichkeit der Initiative der Opposition. Jedenfalls kenne ich den Parlamentarismus von der Schule her so. Vielleicht lerne ich das hier noch einmal anders.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502239000
Herr Abgeordneter Schiller möchte eine Frage stellen. Das ist doch eine Ehre für Sie, Herr Abgeordneter.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502239100
Herr Kollege, ist Ihnen nicht bekannt, daß ich zuerst in meinem Beitrag die Regierung gefragt habe: „Was ist eure Politik?" und dann erst gesagt habe: „Ich kann das auch in einem Bild darstellen"? So kam die Sache mit dem Roulette. Das heißt, es geht um die politische Entscheidung, um das politische Spiel; um nichts anderes. Ein
Bild zur Verdeutlichung werden Sie doch wohl nicht ablehnen.

Dr. Hans Friderichs (FDP):
Rede ID: ID0502239200
Mir ist bekannt, daß Sie die Regierung gefragt haben. Mir ist ebenso bekannt, daß Sie die Sache mit dem Roulette sofort brachten, bevor der zuständige Minister das Wort ergreifen konnte.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502239300
Herr Abgeordneter Eschmann, Sie haben vorhin dem Redner zugerufen, es gehe ihm nur darum, die anderen zu verleumden. Ich halte diesen Vorwurf nicht für ritterlich. Es ist doch selbstverständlich, daß jeder, der in diesem Hause spricht, seine Meinung vertritt, und daß der Vorwurf, es gehe ihm nur darum, Andersdenkende zu verleumden, nicht gehörig ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Balke.

Dr. Siegfried Balke (CSU):
Rede ID: ID0502239400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin zwar leider noch nicht der letzte Redner, aber der erste Nichtvolkswirt, der zu Ihnen spricht.

(Hört! Hört! bei der SPD.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer wie ich schon zwölf Jahre in diesem Hause tätig ist, der kann einige Änderungen feststellen. Zum Beispiel ist es für mich sehr interessant, zu beobachten, wie der Wettlauf um die Wachstumsrate an Liberalismus hier ständig zunimmt. Da ich im allgemeinen als ein hoffnungsloser Reaktionär gelte, freue ich mich darüber ganz besonders.
Ich möchte hier, um einem naheliegenden Verdacht zu begegnen, nicht agitieren, weder gegen die Gewerkschaften noch für die Unternehmer oder für oder gegen sonst etwas. Ich möchte einige Worte als Abgeordneter sagen. Das, was ich jetzt sage, sage ich nicht ganz ohne Grund. Wir beobachten in dem Lauf der Jahre dieser parlamentarischen Arbeit noch etwas: daß dieses Parlament und auch die Regierung in ihren Urteilen und Entscheidungen immer stärker von Meinungen außerhalb des Parlaments abhängig werden. Es ist eine Inflation an Beiräten und Gutachterkommissionen entstanden, die man als Abgeordneter nur mit Bedenken betrachten kann. Das gilt auch für dieses Gutachten, über das wir heute diskutieren.
Es ist einigen von Ihnen bekannt, daß ich gegen das Gesetz für dieses Gutachtergremium war. Ich will Ihnen auch die Gründe nennen. Es waren drei.
Erstens: ein Gesetz gibt einem Sachverständigengremium einen politischen Auftrag, die Gutachter sollen aber eine wissenschaftliche Arbeit machen. Das ist schon eine sehr schwere Belastung eines solchen Gremiums. Auch die jetzige Debatte zeigt ja, daß dieses Gutachten — und ich könnte Ihnen einige Artikel in dem Gutachten nennen, wo das sichtbar ist — auch wieder etwas der politischen Beeinflussung — ich sage nicht: parteipolitischen, sondern politischen Beeinflussung — von außen er-



Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke
legen ist. Das ist der erste Grund, weshalb ich gegen solche Gremien bin.
Das zweite: Durch das Vorliegen solcher wissenschaftlichen Gutachten — das hier erörterte ist eine sehr fundierte, fleißige Arbeit; dagegen ist unter dem Gesichtspunkt eines Gutachtens gar nichts zu sagen — werden die Exekutive und die Legislative immer mehr daran gewöhnt, ihre Entscheidungen von fremden Urteilen, manchmal sogar Vorurteilen, abhängig zu machen. Ich bin nicht der Meinung, meine Damen und Herren, daß Exekutive und Legislative ihre geistigen Investitionen immer durch Fremdfinanzierung decken müssen. Den Kern dieses Gutachtens, das Ergebnis dieses Gutachtens hätten wir, glaube ich, in Parlament und Regierung auch noch erarbeiten können.
Der dritte Grund — und der hat sich jetzt als sehr berechtigt erwiesen — ist der, daß solche Gutachten von Autoritäten, gewollt oder ungewollt, mit der Aura eines Unfehlbarkeitsdogmas versehen werden, und dieser Gefahr sind wir ja bei der Debatte auch nicht ganz entgangen. Wer gegen dieses Gutachten emotional oder rational eingestellt ist, der ist schon von vornherein verdächtig. Die Sachverständigen selber waren viel weiser; denn sie haben sich selbst schon korrigiert, nämlich in der Höhe der Investitionsrate, die sie vorausgesagt haben, und in der Lohndurchschnittsberechnung; das Beispiel kennen Sie.
Jetzt haben wir das Gesetz und das Gutachten und haben es ernst zu nehmen. Deshalb, verehrter Herr Kollege Schiller, verstehe ich nicht ganz, weshalb Sie gesagt haben, dieses Gutachten sei mit einem Staatsbegräbnis beerdigt worden, nur weil eine Schlußfolgerung aus dem Gutachten von der Regierung und von anderen hier nicht akzeptiert wird. Haben Sie nicht den Eindruck, daß Sie gerade mit dieser Feststellung das Gutachten erst recht abgewertet haben? Denn wenn es nicht mehr wert wäre, als daß es durch Ablehnung einer Schlußfolgerung begraben werden muß, dann wäre es wirklich nicht viel wert. Ich bin ganz anderer Meinung, Herr Kollege Schiller. Es ist schade, daß Sie das gesagt haben. Ich bedaure das im Interesse des Gutachtens.

Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0502239500
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Siegfried Balke (CSU):
Rede ID: ID0502239600
Aber sicher.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502239700
Herr Kollege Balke, ich habe auch Ihren Äußerungen hier mit großer Aufmerksamkeit zugehört und stimme in vielem mit Ihnen überein. Aber sind Sie nicht auch der Meinung, daß eine vorgeschlagene konzertierte „Stabilisierungsaktion ohne Stagnation" — das ist der Titel des Gutachtens —, die in einem Stufenplan konkretisiert wird, hier und heute durch den Herrn Bundeskanzler abgelehnt worden ist, indem er diesen Stufenplan selber ad acta gelegt hat?

Dr. Siegfried Balke (CSU):
Rede ID: ID0502239800
Ja, aber doch nur der Stufenplan. Der ist eine Konsequenz aus dem Gutachten. Deshalb kann man doch nicht behaupten, das ganze Gutachten sei nun eingescharrt.
Herr Kollege, darf ich noch etwas sagen — wir kennen uns ja auch —:

(Abg. Dr. Schiller: Ja!)

Unterliegen Sie nicht ein bißchen der Versuchung eines anderen bekannten Mannes aus der Wirtschaft, der lieber eine Freundschaft zugrunde gehen läßt, als auf eine gute Formulierung zu verzichten?

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ich glaube, wir sollten uns darauf einigen: das Gutachten ist nicht begraben, sondern es ist eine Diskussionsgrundlage, meinetwegen sogar eine Orientierungshilfe, obwohl man bei Orientierungshilfen auch auf Nebenwege geraten kann. Aber ich würde wirklich warnen, Herr Kollege Schiller: im Interesse dieser ganzen Arbeit, die hier vor uns liegt, sollten wir nicht sagen — weil der Bundeskanzler in einem Punkt anderer Meinung ist —, das ganze Gutachten sei weg.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502239900
Herr Abgeordneter, Sie haben mit Ihrer Bemerkung die Neugier des ganzen Hauses gereizt. Können Sie uns nicht verraten, wer der berühmte Mann aus der Wirtschaft ist?

Dr. Siegfried Balke (CSU):
Rede ID: ID0502240000
Ach, der steht im Telefonbuch ganz vorn.

(Große Heiterkeit.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502240100
Ach so! — Wollen Sie eine Frage beantworten?

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502240200
Herr Kollege Balke, es wäre sehr reizvoll, im Zusammenhang mit der ungenannten Person etwas über den Herrn Bundeskanzler zusammenzutheoretisieren. Ich möchte Sie nur fragen: Sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß der Stufenplan eine ganz wesentliche Konsequenz der ganzen Darlegungen in dem Gutachten darstellt?

Dr. Siegfried Balke (CSU):
Rede ID: ID0502240300
Ja, durchaus. Aber Sie werden ja nachher von mir hören: auch ich bin nicht der Meinung, daß der Stufenplan so akzeptierbar ist, wie ihn das Gutachten vorschlägt. Ich kann mir nicht helfen. Ich werde Ihnen das aber gleich sagen.
Wir sollten uns aber alle darauf einigen: hier ist eine wertvolle Arbeit geleistet worden, und wir sollten nicht so tun, als wäre es jetzt ganz vom Tisch. Das Gute, das darinsteckt, sollten wir uns auch politisch nutzbar machen.
Was haben wir aus dem Gutachten zuschließen? Zunächst einmal verführt ein solches Gutachten zu einer sogenannten Rosinenpolitik, Eklektizimus auf „Deutsch", und es ist gar kein Zweifel, daß jede



Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke
Gruppe, die in dem Gutachten angesprochen ist, versucht, das, was für sie am besten paßt, herausnehmen und damit Beweise zu führen. Die Sozialpartner z. B. hätten als eine Art harmonisierter Pharisäerklub auftreten und sich freuen können, daß jetzt der öffentlichen Hand einmal richtig die Meinung gesagt worden ist, und die Sozialpartner seien auch braver, als das aus den Ausführungen z. B. von Herrn Leber und mir hervorgeht. Nun, die öffentliche Hand war zweifellos ein Sünder. Mit über 40 % Nachfrageanteil ist sie der stärkste Faktor am Markt, und sie hat natürlich das sehr beeinflußt, was wir jetzt mühsam redressieren wollen.
Es gibt eine alte kaufmännische Regel, meine Damen und Herren, die sagt: wer eine Mark ausgeben will, der muß vorher zwei Mark verdient haben. Ich habe den Eindruck, das Parlament und auch die Regierung und die Bevölkerung haben in den letzten Jahren genau umgekehrt gehandelt, und es gibt auch in diesem Hohen Hause sicherlich noch viele Kollegen, die glauben, man brauche mit Mehrheit nur ein ausgabewirksames Gesetz zu beschließen, dann sei auch das Geld da, um es zu bezahlen. Das ist ein fundamentaler Irrtum, der aber immer wieder vorkommt, in allen Parlamenten. Auch die Sozialpartner haben sich in den letzten Jahren recht unbekümmert benommen, aus dem Gefühl heraus: Das geht ja alles mit Geld zu regeln, und wir verdienen es ja.
Was die Preisbildung angeht, möchte ich eines festhalten. Branchen mit — auch heute noch — verhältnismäßig hohen Zuwachsraten können allein natürlich nicht neue Preiswellen aufhalten. Da hat die Wirtschaftspolitik für einen Ausgleich zu sorgen; darüber sind wir uns einig, auch mit dieser Seite des Hauses. Wir können selber nicht behaupten, daß die Wirtschaftspolitik alles getan habe, um diesen Ausgleich zu bringen. Auch darüber sind wir einig.
Aber, meine Damen und Herren, wer büßt denn für diese Sünden? Der Name dieses „kollektiven Individuums" ist überhaupt noch nicht genannt worden. Das ist der Sparer! Der büßt für die Sünden der Wirtschaftspolitik und für die Übertreibung der Konjunkturpolitik.

(Zuruf von der SPD: Besser: der kleine Sparer!)

— Na bitte; also jedenfalls der Sparer. Der Sparer hat seit Jahrzehnten durch Konsumverzicht jede Produktivitätssteigerung in der Wirtschaft ermöglicht, und seit 1914 wird er laufend um seinen gerechten Anteil betrogen. Dieser Unsinn sollte aufhören.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der Regierungsparteien.)

Das ist einer ,der Gründe, weshalb man aus — —

(Zuruf von der SPD: Beifall links! — Weiterer Zuruf von der SPD: Nur Beifall links!)

— Sie wissen ja, daß mich so etwas im allgemeinen gar nicht stört. Ich freue mich, wenn auch so viele Saulusse sich manchmal als Paulusse benehmen.
Ich will aber noch etwas dazu sagen, und das ist meiner Ansicht nach der Kernpunkt, den man aus dem Gutachten entnehmen kann. Es zeigt nämlich wieder Gefahrenpunkte auf für den Sparer, nicht zuletzt für den Verbraucher, nicht nur für die Arbeitnehmer und für die Arbeitgeber. Ich möchte das auf einen Begriff konzentrieren, der nicht sehr exakt im Sinne der Volkswirtschaftslehre ist, den wir im allgemeinen Kosteninflation nennen. Sie ist gefährlich, noch gefährlicher als die monetäre Inflation und die Preisauftriebstendenzen. Diese kann man wahrscheinlich mit unserem Instrumentarium bekämpfen.
Ich möchte Ihnen aus der Praxis nur ein Zahlenbeispiel nennen, um Ihnen zu zeigen, was Kosteninflation heute bedeutet. Ich nehme es nicht aus meinem Gewerbe, um hier nicht der Schleichwerbung geziehen zu werden. Es handelt sich um eine größere Maschinenfabrik mit etwa 50 000 Arbeitnehmern. Dieses Unternehmen hat im letzten Jahr ausländische Arbeiter gebraucht. Es ist dem Unternehmen gelungen, 1400 ausländische Arbeitnehmer im letzten Jahr für ein Jahr zu behalten. Sie stammen aus 14 Nationen. Meine Damen und Herren, haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele Arbeitnehmer das Unternehmen erst einstellen mußte, damit die 1400 blieben? — Es waren genau 16 500 und einige. Die mußten also durch das Unternehmen durchgeschleust werden, mit der ganzen komplizierten Apparatur einschließlich Einstellungsuntersuchung, und davon blieben dann 1400 im Unternehmen. Jede dieser Arbeitskräfte hat ein Minimum an Kosten von 3000 DM verursacht. Das heißt, das Unternehmen hat 50 Millionen DM aufwenden müssen, um 1400 Arbeiter zu behalten, die ja auch nicht vom ersten Tage an voll produktiv tätig sein können. — Das zur Kosteninflation.
Diese Dinge sollte man auch einmal zahlenmäßig näher untersuchen; denn durch diese Entwicklung werden wir langsam aber sicher aus dem Wettbewerb herausoperiert. Da helfen keine Rechenkunststücke und keine Theorien aus wirtschaftswissenschaftlichen Instituten, das ist die rauhe Praxis. Ich könnte Ihnen als Techniker aus der Wirtschaft hier wirklich dramatische Beispiele aufzählen; ich will es nicht tun. Alle diese Dinge gehen sehr allmählich vor sich, und zwar auch mit dem inflationären Trend, der in der ganzen Entwicklung liegt. Ich weiß nicht, Herr Kollege Schiller, ob unser Volk schon so preisbewußt ist, wie Sie vorhin meinten; ich halte es zunächst einmal für konsumbewußt. Und vielleicht darf ich hier Goethe zitieren: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er es beim Kragen hätte."

(Zuruf von der SPD: Sonst gäbe es ein anderes Wahlergebnis! — Heiterkeit.)

- Das mag sein; aber es wäre ja sehr unhöflich von mir, wenn ich jetzt von Ihnen als vom Teufel gesprochen hätte.
Wir brauchen jetzt also, um das abzustellen, eine Meßgröße.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Nun ist hier sehr viel theoretisiert worden, was wir
da nehmen sollen. Ich bin ein Anhänger der Meß-



Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke
größe „reales Produktivitätswachstum". Das wird von der Wissenschaft bestritten. Ich weiß, warum. Das heiße Zementierung der Lohnquote und Benachteiligung des Arbeitnehmers. Aber, meine Damen und Herren von der Wirtschaftswissenschaft, bisher hat uns die Wirtschaftswissenschaft keine bessere gezeigt. Ich bin als Naturwissenschaftler gewohnt, Tatsachen zu akzeptieren. Wir wollen hohe Reallöhne, wir kämpfen aber immer wieder um Nominallöhne. Das ist auch ein Unsinn, das liegt auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer.
Wir brauchen also eine Meßgröße. Nun steht eine solche in dem Gutachten, das sind die 4 %. Sie hat hier zu Streitigkeiten geführt. Wenn Sie mich fragen: in dubio bin ich für die 4 %, weil das nämlich eine Meßgröße ist, die immerhin, natürlich als statistischer Durchschnitt gesehen, nachweisbar ist und an die man sich halten kann. Und wenn man das berücksichtigt, was soeben von meinem Vorredner gesagt wurde, dann gehört in die 4 % auch die Arbeitszeitverkürzung. Wir sollten uns hier nicht in die eigene Tasche lügen. Wenn diese 4 % bei 200 Milliarden DM Lohn- und Gehaltssumme in der Bundesrepublik als Durchschnittslohnerhöhung jetzt realisiert würden, sind das immerhin wieder 8 Milliarden DM Kaufkraftzuwachs.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502240400
Gestatten Sie eine Frage, Herr Abgeordneter?

Dr. Siegfried Balke (CSU):
Rede ID: ID0502240500
Bitte sehr!

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502240600
Herr Kollege Dr. Balke — ich frage den Herrn Abgeordneten Dr. Balke, damit das nicht verwechselt wird —, ist Ihnen als Abgeordneter vielleicht zufällig bekannt, daß der größte deutsche Arbeitgeberbund, die BDA, die ihm angeschlossenen Verbände auf diese Quote von 4 % festgetrimmt hat, oder meinen Sie, das wäre alles synchronisiertes Verhalten der einzelnen Verbände, ohne daß da ein Zeichen gegeben worden wäre?

Dr. Siegfried Balke (CSU):
Rede ID: ID0502240700
Herr Leber, ich kann Ihnen das erklären.

(Abg. Leber: Vielleicht wissen Sie als Abgeordneter, was da geschieht!)

— Ja, das weiß ich schon. Das ist gar nicht von oben nach unten verordnet worden, sondern von unten nach oben gefordert worden, weil es jetzt den Betrieben an die Existenz geht.

(Abg. Leber: Aber doch einheitlich und synchron!)

— Weitgehend. Es kann ja einmal vorkommen, Herr Leber, daß die Arbeitgeber einer Meinung sind. Sie unterscheiden sich dadurch vorteilhaft von den Gewerkschaften.

(Abg. Leber: Ich bin sehr dankbar dafür, daß das einmal gesagt worden ist!)

Es ist jetzt wirklich eine allgemeine Haltung in der Wirtschaft, die die Meßgröße — also diese 4 %, die wir ja durch Wissenschaftler vorgelegt bekommen haben — akzeptiert. Aber dann ist das auch die
Grenze, die man einschließlich aller Nebengeräusche bei der Lohnfindung einhalten muß. Wenn das nicht zu halten ist — und es gibt natürlich Gründe, weshalb man das nicht einhalten kann, branchenmäßige Gründe oder die nachhinkende Preisbewegung —, dann soll man aber der Öffentlichkeit ganz klar sagen, daß alles, was diese Meßgröße überschreitet, nicht mehr preisneutral ist. Wenn man das tut, dann braucht man hinterher keinen Schuldigen zu suchen. Man darf aber nicht so tun, als ob das Überschreiten dieser Grenze auch innerhalb dieser Leitlinie des Gutachtens preisneutral wäre. Das möchte ich ganz deutlich gesagt haben.
Der Herr Kollege Schiller hat nicht den Ausdruck „Inflationsrate" benutzt. Gut, es ist kein schöner Ausdruck. Sie haben von „Toleranzgrenze" gesprochen.

(Abg. Dr. Schiller: „Tolerierbar"!)

Das führt mich zu dem Begriff der Allmählichkeit. Dazu möchte ich noch ein paar Worte sagen. Ich weiß, Herr Professor Schiller, daß eine wirtschaftswissenschaftliche Diskussion seit langem im Gange ist, die auch eine gewisse Reformwilligkeit erkennen läßt. Die Alimählichkeit — ich bin ja kein Volkswirt, wie Sie wissen — erinnert mich immer wieder an Goethe, leider

(Zuruf von der SPD: Warum „leider"?)

— nun, ich hätte gerne auch einmal etwas von Schiller zitiert, zur Abwechslung —: „Denn immer, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein". Aber ich glaube, dieses Zitat würde besser in den Unfallverhütungsbericht der Bundesregierung passen. Dieses Zitat charakterisiert eine Berufskrankheit der Volkswirte.

(Widerspruch bei der CDU/CSU.)

Ich wollte nur sagen: Wenn man jetzt die Allmählichkeit zu einem Prinzip, und zwar auch zu einem politischen Prinzip, macht, das durch das Gutachten gerechtfertigt ist, dann muß man sich aber darüber klar sein, was das bei der Realisierung dieses Stufenplans bedeutet! Alle solche Stufenpläne und Vorstellungen, man könne ein quantitatives Ziel durch Planung — mittelfristige Planung, langfristige Planung, volkswirtschaftliche Gesamtrechnung — erreichen, haben einen Begriff in sich, den des Ausführungszwanges. Wenn dieser Stufenplan zu einem Politikum wird, dann wird die politische Richtung, die ihn akzeptiert hat, versuchen, ihn auch politisch zu realisieren. Dieser Ausführungszwang führt dann zu irgendwelchen Maßnahmen.
Nun wissen Sie selbst, Herr Kollege Schiller, meine Damen und Herren: Ich gehöre nicht zu den Leuten, die der Planungsphobie unterliegen, die die offizielle Wirtschaftspolitik so lange vertreten hat. Ich weiß auch, daß man irgendwie voraussehen muß. Wir haben in der Konjunkturpolitik das Mittel der langfristigen Projektionen. Wir suchen immer noch nach Möglichkeiten, sie auch auf andere Gebiete anzuwenden. Das ist eine Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, nicht der Praxis.
Aber in all diesen Vorstellungen, man könne solch einen Stufenplan unmerklich, sozusagen homöopathisch, dann doch mit einem politischen



Dr.-Ing. Dr. h. c. Balke
Ziel durchbringen, fürchten wir die kumulierende Wirkung von homöopathischen Dosen; denn niemand kann doch garantieren — unterstellen wir einmal, dieser Preiszuwachs sollte in drei Jahren auf 1 % abgebaut werden —, daß das auch erreicht wird. Der Herr Bundeskanzler hat doch recht: Die Wirtschaft ist so unberechenbar, daß wir nicht wissen, ob Sie am Ende dieser drei Jahre erkennen müssen: Jetzt sind wir schon bei 5 % Preissteigerung, das haben wir aber nicht gewollt. Deswegen steckt in solchen Gedanken ein Hauch von Dirigismus. Das ist es, was es auch mir immer wieder verdächtig macht, wenn man mit solchen Plänen kommt, ob sie als mittelfristig oder noch so schön wissenschaftlich verbrämt sind. Was wäre dann die Konsequenz, Herr Kollege Schiller? Wenn der Ausführungszwang sich politisch durchsetzt, soll man dann einen Preis- und Lohnstopp einführen, soll man mit der Tarifautonomie aufhören, oder was soll dann passieren? Denn passieren muß dann irgend etwas.
In Würdigung all dieser Überlegungen sollten wir versuchen, mit dem — ich sage ganz offen — endlich erreichten Regierungsprogramm zu diesen Fragen doch noch durchzukommen und Stufenpläne und ähnliche Überlegungen so lange zurückzustellen, daß sie nicht zu einem Politikum werden. Theoretisch kann man sich sehr gut darüber unterhalten. Dazu bin ich auch immer bereit. Wir sollten sie aber nicht als ein politisch reales Ziel für die nächsten ein oder zwei oder drei Jahre betrachten. Das kann sehr danebengehen.
Nun, meine Damen und Herren, unterstellen Sie mir einen Moment, ich hätte die Aufgabe, über das Gutachten, über das wir diskutieren, selbst ein Gutachten abzugeben. Dazu brauche ich nur vier Worte, um nämlich den Kern zu bezeichnen, der da drinsteckt. Aber diese vier Worte sind so grausam, daß ich sie eigentlich gar nicht auszusprechen wage: Mehr arbeiten, weniger ausgeben!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502240800
Das Wort hat der Abgeordnete Kurlbaum.

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0502240900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Anfang möchte ich kurz auf das eingehen, was der Herr Kollege Luda von meinen Äußerungen im Juni 1964 gebracht hat. Wir kennen ja den Übereifer des Herrn Luda aus früheren Diskussionen und wissen daher, daß unter seinem Übereifer sehr oft bei ihm die Sachlichkeit zu leiden hat. So ist es auch heute wieder gewesen.
Wie stand denn die damalige Diskussion? Damals ging es — und ich bin dankbar dafür, daß ich noch einmal Gelegenheit habe, in eine Zeit konjunkturpolitischer Diskussion vor nahezu zwei Jahren zurückzublenden — um den Wirtschaftsbericht der Bundesregierung, .der vor dem ersten Sachverständigengutachten dem Parlament zugeleitet worden war. Es ging in der Diskussion um die sogenannten Schlußfolgerungen, die die Bundesregierung aus der ständigen Geldentwertungsrate von über 3 % während beinahe eines Dezenniums nun endgültig zu ziehen hatte. In dem Bericht der Bundesregierung war von eigenen Aktionen der Bundesregierung zu lesen. Ich rechne der Bundesregierung nicht zugute, was die Bundesbank gemacht hat, wie das die Bundesregierung manchmal zu tun beliebt. Es ging also um die Liste der eigenen Aktionen der Bundesregierung, die in folgendem bestand: in einer Zollsenkung, von der ich .damals nachgewiesen habe, daß sie quantitativ unzureichend war. Sie betrug nämlich im Durchschnitt nur 3 % auf ein Zehntel des Einfuhrvolumens. Es war also klar, daß sie nicht wirksam genug sein konnte, und zwar ihrer geringen Quantität wegen.
Nun sind vielleicht nach wie vor einige von Ihnen der Meinung, daß man solche Dinge nicht quantitativ analysieren kann. Hier handelt es sich nicht darum, irgend etwas auf die letzte Dezimalstelle zu errechnen, sondern hier handelt es sich darum, Größenordnungen anzugeben und endlich von rein erzählenden Grundsatzerklärungen wegzukommen.
Das zweite war die Frage der Einwirkung der öffentlichen Ausgaben. Ich habe damals sehr bewußt gesagt, daß die Fixierung eines öffentlichen Haushalts — Sie wissen, daß es sehr viele öffentliche Haushalte in der Bundesrepublik gibt — unzureichend sei, um das anstehende Problem auch von der quantitativen Seite her zu lösen. Ich habe vor allen Dingen auch deshalb mit Bedacht gesagt — und die tatsächliche Entwicklung hat mir nachher recht gegeben —, weil es eben mit der Fixierung auf eine Ziffer allein nicht getan ist, sondern auch noch die Frage eines etwaigen Defizits eine entscheidende Rolle mitspielt. Sie wissen, daß es schon beim Haushalt 1964 ein erhebliches Defizit gab und daß nachher im Jahre 1965 ein Defizit zustande gekommen ist, das nach Angaben der Bundesbank nahezu 21/2 Milliarden DM betrug. Ich glaube, daß ich damit recht gehabt habe, als ich damals darauf hinwies, daß das unzureichend war.
Damals ging es dann auch noch um die bekannte Kuponsteuer. Ich habe im Juni 1964 bereits darauf hingewiesen, wie umstritten diese Maßnahme ist. Wenn wir heute .darauf zurückblicken, dann wissen wir, daß sie eine böse Wirkung auf den Kapitalmarkt gehabt hat und über den Zinssatz auch zu der Kosteninflation mit beigetragen hat; denn Zinsen sind ja wohl Kosten.

(Abg. Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller: Sehr richtig!)

Ich glaube also — und das habe ich damals als Zusammenfassung gesagt, Herr Luda hat Ihnen das vorenthalten —, daß die Maßnahmen eine andere quantitative Wirkung haben müssen, um dem Problem gerecht zu werden, und daß die Maßnahmen der Bundesregierung eben quantitativ unzureichend waren.
Alle diese Warnungen hat die Bundesregierung damals in den Wind geschlagen. Wie richtig diese Warnungen waren, das können Sie nur aus der einen Ziffer ablesen, die wir auch in dieser Debatte schon mehrmals gehört haben: Steigerung der Lebenshaltungskosten im Jahre 1965 um 4,2 %. Wer weiß, wie lange solche Dinge nachwirken, der weiß, daß diese 4,2 % im Jahre 1965 letzten Endes die



Kurlbaum
Quittung dafür waren, daß die Bundesregierung auch noch im Jahre 1964 trotz der ständigen Warnungen der Opposition nicht dazu zu bringen war, ausreichende Maßnahmen zu treffen.
Jetzt noch ein paar Worte zu Ihnen, Herr Kollege Balke. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß Ihre Ausführungen sehr sachlich waren. Allerdings teile ich Ihre Auffassung nicht, daß wir in Gefahr sind, zu abhängig von den wissenschaftlichen Gutachtern zu werden. Ich glaube, man kann das Gegenteil sagen. Wir haben seit vielen Jahren hier im Bundestag immer sehr genau beobachtet, was gerade auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet die Wissenschaft — und ich meine damit insbesondere die wissenschaftlichen Beiräte beim Bundesfinanzministerium und Bundeswirtschaftsministerium — gesagt hat. Ich bin außerordentlich erfreut darüber, daß nunmehr das Gutachten dieser Sachverständigen einen so großen, eine so starken Widerhall in der Öffentlichkeit gefunden hat, daß die Bundesregierung nunmehr doch wohl endlich ihre Politik gegenüber den wissenschaftlichen Gutachtern und Beiräten aufgeben muß, die sie über zehn Jahre lang betrieben hat und die darin bestand, daß sie praktisch keinem Gutachten der wissenschaftlichen Beiräte beim Bundesfinanzministerium und Bundeswirtschaftsministerium in seinen wesentlichen Punkten Rechnung getragen hat. Wenn jetzt das Sachverständigengutachten den Effekt erzielt, daß das in Zukunft anders wird, müssen wir auch dafür besonders dankbar sein.
Weiter bin ich der Meinung, daß Herr Balke sehr recht hat, wenn er sich zu einer Meßgröße bekannte. Ich glaube, es ist hier nicht der Platz, darüber zu diskutieren, ob die These der Sachverständigen von der Allmählichkeit richtig ist. Dazu werden wir aus dem zukünftigen Ablauf der Dinge weitere Erfahrungen sammeln können.
Lassen Sie mich, da ich bemerkt habe, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister nachher noch zu sprechen beabsichtigt, ihm noch ein Problem mit auf .den Weg geben, daß nach unserer Auffassung in der bisherigen Diskussion noch nicht genügend zur Sprache gekommen ist. Es ist hier zwar von Wettbewerbspolitik gesprochen worden, aber es ist über die Erwähnung dieses Stichwortes hinaus nichts Entscheidendes dazu gesagt worden. Aber wer das Gutachten aufmerksam gelesen hat, wird festgestellt haben, daß nach der Meinung der Gutachter die Maßnahmen, die konzentriert angewendet werden sollen und die entweder auf eine Nachfrageverminderung oder, worauf wir besonderen Wert legen, auf eine Angebotsvermehrung hinauslaufen, eine Wirkung in Richtung auf mehr Preisstabilität nur dann haben können, wenn sie eine Wirkung auf die Preise auszuüben vermögen. Die Sachverständigen haben mit Recht darauf hingewiesen, daß das innerhalb unserer Wirtschaftsordnung nur möglich ist, wenn ein ausreichendes Maß an Wettbewerb besteht. Die Gutachter haben in Zusammenhang mit der Preisflexibilität von einem defensiven Preisverhalten der Unternehmerseite gesprochen. Das muß beachtet werden, und wir werden entscheidenden Wert darauf legen, daß diese Hinweise in den Ausschußberatungen angemessene Berücksichtigung finden.
Wir Sozialdemokraten haben, weil wir wissen, daß die Fähigkeit der Volkswirtschaft, auf Nachfrage- und Angebotsveränderungen mit den Preisen zu reagieren, eine sehr entscheidende Voraussetzung für die Stabilisierung des Preisniveaus ist, immer wieder darauf hingewiesen, wie entscheidend es darauf ankommt, durch eine staatliche, wirksame Wettbewerbspolitik dafür zu sorgen, daß Preiserhöhungen, die in besonders lohnintensiven Wirtschaftszweigen mit unterdurchschnittlichem Produktivitätsfortschritt nötig sein können, ausgeglichen werden durch Preissenkungen in den Bereichen mit überdurchschnittlichem Produktivitätszuwachs und überdurchschnittlicher Kapitalintensität. Die Bundesregierung hat sich zwar schon vor zwei Jahren ebenfalls zu diesem Prinzip bekannt, hat aber leider bei den Beratungen der Kartellgesetznovelle in keiner ausreichenden Weise diesem Petitum der Sachverständigen Rechnung getragen, dessen Befolgung, wie ich noch einmal betonen möchte, letzten Endes eine Voraussetzung für den Erfolg der Maßnahmen ist, die wir in Zukunft gemeinsam treffen müssen.
Natürlich spielt für den Wettbewerb auf unseren Märkten auch die Einfuhrpolitik eine entscheidende Rolle. Hier hat der letzte Bericht der Bundesbank ja eine sehr herbe Kritik an der Handhabung der Agrarmarktordnungen, an der Handhabung der Abschöpfungssätze in Zeiten schlechter Marktversorgung geübt. Auch darauf werden wir in den Ausschußverhandlungen zurückkommen müssen.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502241000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0502241100
Bitte!

Josef Ertl (FDP):
Rede ID: ID0502241200
Herr Kollege Kurlbaum, ist Ihnen bekannt, daß nach Untersuchungen des Ernährungsministeriums beispielsweise die letzte Absenkung der Abschöpfungen bei Schweinen überhaupt nicht am Markt durchgeschlagen hat?

Georg Kurlbaum (SPD):
Rede ID: ID0502241300
Das kann durchaus der Fall sein. Auch da spielt wieder die Frage eine Rolle, wieweit der Wettbewerb sich in unserer Wirtschaft durchzusetzen vermag. Das ist ja gerade das Thema, über das ich hier spreche. Wir werden uns zweifellos darum kümmern müssen, daß sich gewisse Preismanipulationen weniger durchsetzen. Trotzdem bleibt die Kritik der Bundesbank im Raume stehen, und wir werden uns mir ihr beschäftigen müssen.
Nun zum Kartellgesetz! Da gibt es drei Komplexe, von denen im Zusammenhang mit der Preisflexibilität die Rede sein muß. Ich nenne sie in der Reihenfolge der Rangordnung, die sie haben. Der letzte Kartellbericht stellt eindeutig fest — und das ist sehr bedeutsam -, daß die Preisbindung der zweiten Hand ein Element zur Behinderung der Preisflexibilität ist. Er stellt fest, daß nach Aufhebung der Preisbindung die Preise um über 20 % gesunken sind.



Kurlbaum
Ferner spielen hier die sogenannten Überläuferkartelle eine Rolle. Ich mache darauf aufmerksam, daß es gerade in den für die Baukosten wichtigen Sektoren immer noch eine Anzahl von Überläuferkartellen gibt, und zwar sind es alle ZementÜberläuferkartelle, die im Jahre 1957 bestanden und wegen der unzureichenden Bestimmungen des Kartellgesetzes heute noch ihre wettbewerbsbeschränkende Tätigkeit weiter praktizieren, obwohl sie keine Genehmigung des Bundeskartellamtes besitzen. Auch hier möchte ich ausdrücklich an die Diskussion erinnern, die wir in dieser Frage gelegentlich der Verabschiedung der sogenannten Kartellnovelle geführt haben.
Ganz entscheidend ist nun aber die Frage der marktbeherrschenden Unternehmen. Wir haben hier in diesem Hause versucht, aus dem einen Teil des Kartellgesetzes, der sich mit den marktbeherrschenden Unternehmen beschäftigt, ein wirksames Instrument zu schaffen. Dabei geht es nicht um reine Theorie. In der wirtschaftlichen Praxis ist es nun einmal so, daß diese Unternehmen wegen ihrer Marktbeherrschung in der Lage sind, ihre Preise unabhängig von der Entwicklung der Nachfrage festzusetzen. Das ist aber genau das Gegenteil von der Preisflexibilität, die die Gutachter verlangen.
Wir haben es immer wieder bedauert, daß trotz der Scheinnovellierung dieses Teils des Kartellgesetzes über die marktbeherrschenden Unternehmen die Bestimmungen weiter ein total stumpfes Schwert geblieben sind, daß die Kartellbehörde nicht einmal in die Lage versetzt worden ist, auf diesen Gebieten überhaupt Untersuchungen mit Aussicht auf Erfolg anzustellen. Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß z. B. die britische Monopolkommission sehr eingehende Untersuchungen über den Tankstellenmarkt, über den Waschmittelmarkt und auch über den Markt der elektrischen Ausrüstung für Kraftfahrzeuge angestellt hat und daher Empfehlungen geben konnte. Jeder, der die Dinge näher kennt, weiß, daß es sich hier auch im Hinblick auf den europäischen Markt um sehr interessante Fälle von Marktbeherrschung handelt. Wir müssen diesem Problem unsere ganze Aufmerksamkeit widmen.
Hier gilt dasselbe wie für die gesamte Frage der Entwicklung eines Instrumentariums zur Stabilisierung unseres Geldwertes: die Lösung dieser Fragen braucht Zeit. Bereits im Jahre 1956 hat die sozialdemokratische Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf eingereicht, der ein ähnliches Gutachten und einen rückblickenden und vorausschauenden Jahresbericht, wie wir ihn nunmehr seit erst zwei Jahren haben, forderte. Gelegentlich aller Debatten über das Kartellgesetz haben wir von vornherein und immer wieder darauf hingewiesen, wie unzureichend dieses Instrument ist und daß es nicht ausreicht, den Wettbewerb in seiner bedeutsamen volkswirtschaftlichen Funktion durchzusetzen. Nachdem sich die Regierungsfraktionen acht Jahre nach dem- Vorschlag der SPD-Fraktion endlich zur Notwendigkeit eines Gutachtens bekannt haben, besteht vielleicht auch die Aussicht, daß nach einem Ablauf von nunmehr acht Jahren seit Inkrafttreten des Kartellgesetzes der Weg für eine Lösung dieses Problems geebnet wird. Ich hoffe, daß es nicht bei dem bleibt, womit man die konjunkturpolitische und währungspolitische Aktivität der Bundesregierung und der hinter ihr stehenden Parteien in der Vergangenheit immer charakterisieren mußte: immer zu spät und immer unzureichend.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502241400
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502241500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, mich zurückhaltend zu äußern, damit Sie bereit sein können, meine Ausführungen als Abschluß der Debatte hinzunehmen.

(Zuruf von der SPD: Sehr löblich!)

— Ich tue das auch im eigenen Interesse. Wir tagen schon seit 9 Uhr, und es wird Zeit, zum Ende zu kommen.
Herr Kurlbaum, ich bin Ihnen für den Hinweis sehr dankbar, daß in diesem Zusammenhang auch die Wettbewerbspolitik zu behandeln ist. Es gibt noch mehrere Punkte, die ich im einzelnen hätte anführen können. Aber ich muß darauf aufmerksam machen, daß sich das Wettbewerbsproblem laufend verändert, und zwar dadurch, daß wir in einen größeren Markt hineinwachsen. Ich hoffe, daß wir über die Kennedy-Runde in eine noch größere weltwirtschaftliche Verflechtung kommen. Damit stellen sich die Monopol-Probleme, die Größen-Probleme, die Konzentrations-Probleme natürlich anders. Sie wissen, daß in Brüssel die Arbeiten laufen, um das Wettbewerbsrecht entsprechend einzurichten. Herr Kurlbaum, ich kann Ihnen nicht zustimmen, wenn Sie meinen, daß hier erhebliche Mängel vorhanden sind. Fast möchte ich Sie einladen, zu einigen Besprechungen zu kommen, wenn Vertreter von Wirtschaftskreisen mich aufsuchen, die sich über zu starken Wettbewerb, vor allen Dingen von der Importseite her, beschweren. Ich nenne nur solche Bereiche wie Keramik, Porzellan, Textil. Es gibt auch Kollegen Ihrer Fraktion, die mir hin und wieder Briefe schreiben, ich möchte dieses oder jenes doch unterlassen. Ich nehme das nur als Hinweis darauf, daß wir im Bundeswirtschaftsministerium nach wie vor eine liberale Außenhandelspolitik betreiben. Gerade von dorther kann man den Wettbewerb wohl in Bewegung halten.
Sie haben dann die Preisbindung der zweiten Hand angesprochen. Auch ich nehme an, sie wird über Brüssel den sicheren Weg dorthin gehen, wohin sie nach unserer gemeinsamen Auffassung gehört. Aber ich muß den Kollegen Ertl unterstützen, der Ihnen bei der Frage der Agrareinfuhr widersprochen hat. Ich bin ja das Karnickel, das geprügelt worden ist für die Maßnahme, die die Bundesregierung dann ergriffen hat. In der Tat, in den ersten Wochen hat sie sich gut ausgewirkt; die Schockwirkung war da, und die Preise sind gefallen. Am Schluß ist aber das eingetreten, was Herr Ertl sagte: daß nämlich bei der Mangellage, die auch im Ausland herrscht, die finanziellen Maßnahmen, die wir



Bundesminister Schmücker
zur Begünstigung der deutschen Verbraucher gedacht hatten, mehr oder weniger Unterstützungsmaßnahmen für die ausländischen Exporteure wurden. Das heißt also, daß wir international eine Lage vor uns haben, die uns Verhältnisse oder Folgerungen beschert, die wir kaum ändern können.
Ich möchte gleich im Zusammenhang mit meiner Antwort auf einige Ausführungen des Kollegen Dr. Arndt noch einmal auf die Preisfrage zurückkommen. Herr Dr. Arndt, Sie haben gesehen, daß Kollegen meiner Fraktion Ihnen Beifall gespendet haben. Hätte ich da unten gesessen, hätte ich das auch getan. Ich bin sehr dankbar für diese Ausführungen. Sie haben in dem Augenblick, in dem es uns darum geht, die Stabilität herzustellen, ein wenig mit Recht davor gewarnt, so zu tun, als wäre das die einzige Aufgabe. Sie haben Ihre Sorgen um das Wachstum ausgesprochen. Dabei wurde deutlich — was ich für wesentlich halte —, daß auch Sie mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Erhaltung der Wachstumsrate die Unzulänglichkeit und die Unvollkommenheit aller Prognosen sehr deutlich herausgestellt haben. Das tut man mit unterschiedlicher Betonung je nachdem, was man gerade ansprechen will. Aber ich finde, daß man so doch wieder Brücken herstellt, die sehr notwendig sind, um die gemeinsamen Beratungen fortzusetzen.
Darf ich — nicht nur deswegen, weil ich als Regierungsmitglied selbstverständlich verpflichtet und willens bin, das zu verteidigen, was wir getan und unterlassen haben, so wie Sie als Opposition die Aufgabe haben, genau das Gegenteil zu tun — darauf hinweisen, daß das Jahr 1964 nicht nach den ersten Monaten beurteilt werden darf. Das gesamte Ergebnis des Jahres 1964 — ich meine den Außenhandelsüberschuß — ist eigentlich so, wie wir es à la longue brauchen können. Sie selber haben — oder waren Sie es nicht? — ja die Zahlen genannt: Auslandstouristik. Wir brauchen viel, viel Überschuß, um uns diese Auslandsreisen weiter leisten zu können; das wollen wir, wir wollen sie uns leisten können. Wir brauchen für die unentgeltlichen Leistungen sehr viel, für die Wiedergutmachung usw. Ich will keine Größenordnungen nennen; sie könnten eines Tages nicht mehr stimmen. Ich habe darum gesagt: beträchtlich. Ich habe aber hinzugefügt: Der Betrag für 1964 ist keineswegs anormal.
Ein Weiteres hat sich gezeigt: Die Prognose vom Beginn des Jahres 1964 hat am Ende des Jahres schon nicht mehr gestimmt. Herr Kurlbaum meinte, wir hätten zuwenig getan. Herr Kurlbaum, Kuponsteuer! Sie kennen meinen Standpunkt. Hätten wir sie nicht eingeführt, wäre noch mehr Auslandskapital hereingeflossen. Diesen Streit wird man nie beenden können; man muß die gegenseitigen Standpunkte akzeptieren. Beim Import haben wir eine Menge getan, und die Wirkungen sind eingetreten.
Sie kommen immer wieder auf die Umsatzausgleichsteuer zurück. Ich wäre ja einverstanden gewesen — das wissen Sie —, wenn wir nicht aus Gründen der Integration diese Maßnahmen möglichst hätten vermeiden müssen. Zweitens hätten wir mit dieser Maßnahme wahrscheinlich wesentliche Exportmärkte verloren. Der Verlust dieser Exportmärkte ist nicht einfach wieder auszugleichen, sondern nur durch eine unerhört starke unternehmerische und kaufmännische Leistung. Darum scheue ich mich ein wenig, hier Maßnahmen zu ergreifen, die zwar rein rechnerisch ein Ergebnis vermuten lassen, das aber einfach nicht eintritt, weil die unternehmerische Kraft, die notwendig ist, um den alten Zustand wiederherzustellen, wahrscheinlich nur sehr schwer zu besorgen ist.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)

Es bleibt das Problem — hier gebe ich Ihnen völlig recht —, daß wir bei allen binnenwirtschaftlichen Anstrengungen eines guten Tages wieder — ich habe früher darauf hingewiesen und wiederhole das eventuell sogar in diesem Jahr — vor der Frage stehen, wie wir außenwirtschaftliche Einflüsse abwehren. Ich wiederhole auch das, was ich in den vergangenen Jahren gesagt habe: Man könnte meinetwegen über das Problem der Wechselkurse sprechen, wenn die internationale Vertragslage nicht so kompliziert wäre. Glauben Sie, Herr Kurlbaum, daß es möglich ist, dieses Abkommen, dem nach meiner Erinnerung etwa 120 Länder beigetreten sind, von der deutschen Seite her zu ändern? Ich glaube es nicht. Wir müssen hier den mühevollen Weg gehen, den wir beschritten haben, und vor allen Dingen in der Zehner-Gruppe dafür sorgen, daß eine Art Abkommen, eine Art Verpflichtung zum Ausgleich der Zahlungsbilanz entsteht, daß man also zu einer währungspolitischen Disziplin gelangt. Ich habe diesen Punkt ganz bewußt, wenn auch sehr behutsam angeschnitten. Ich darf hinzufügen, daß Anfang März die entscheidenden Verhandlungen in der Zehner-Gruppe geführt werden.
Nun zu den Preisen. Ich habe hier von Herrn Leber Schützenhilfe bekommen. Ich möchte nur soviel davon aufgreifen: Es ist in der Tat richtig, daß mir die Preissteigerungen des letzten Jahres, auch wenn sie auf dem Agrarsektor nicht eingetreten wären, zu hoch sind. Aber wenn Sie ein Normalmaß nehmen wollen, dann müssen Sie das entsprechend errechnen und berücksichtigen, und zwar bei allem, was Sie dann tun wollen. Es ist doch unwahrscheinlich, daß die Witterungsverhältnisse des letzten Jahres, die internationalen Marktverhältnisse und die betrüblichen Seuchenverhältnisse so lange durchhalten werden. Wenn sie noch vorhanden wären, müßte dieser Betrag ganz bewußt von allen mit in Kauf genommen werden; er dürfte nicht in eine allgemeine Rechnung einbezogen werden, denn wenn er einmal drinsteckt, dann ist das nicht wieder rückgängig zu machen.

(Beifall in der Mitte.)

Ich möchte jetzt ohne Zahlen und anderes Feuilleton noch einige Punkte erwähnen, von denen ich glaube, daß wir einer Meinung sind. Herr Schiller, ich wäre natürlich geneigt, auf das eine oder andere von Ihnen einzugehen. Ich bewundere nämlich Ihren Mut, wie Sie so ohne Kontakt mit der Sache immer wieder in den rhetorischen Höhenflug gehen und



Bundesminister Schmücker
gleichzeitig behaupten, Sie stünden auf dem Teppich; das ist dann ein fliegender Teppich.

(Heiterkeit und Beifall in der Mitte.)

Ich habe vorhin gesagt, daß ich Ihre Aufgabe durchaus verstehe. Sie haben die Aufgabe, die Regierung anzugreifen und der Bevölkerung klarzumachen, daß Sie eine bessere Regierung stellen würden. Ich nehme Ihnen auch nicht übel, daß Sie dazu das Gutachten benutzen. Aber Sie dürfen sich auch nicht wundern, wenn wir uns sehr hart und energisch dagegen wehren. Ich will versuchen, hier noch einmal deutlich zu machen, worin wir übereinstimmen.
Erstens: Wir stimmen darin überein, daß sich die Konjunktur zwar zusehends abschwächt und daß sie differenzierter wird. Es besteht aber kein Anlaß zu Schwarzmalerei und Krisenhysterie, jedenfalls dann nicht, wenn sich auf allen Seiten die Vernunft durchsetzt.
Zweitens: Die Bundesregierung hat mit dem Haushalt 1966 eine wichtige Stabilitätsleistung erbracht. Ich habe noch von einigen Kürzungsmöglichkeiten gesprochen, von einigen hundert Millionen. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das hier und auch bei den übrigen Beträgen einmal in Prozentzahlen umrechnen wollten. Ich habe dieses Argument im wesentlichen gebraucht, um denen entgegenzutreten, die da meinen, man könne noch etwa 3 Milliarden kürzen und streichen. Das war mein Motiv. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das akzeptieren würden. Wir müssen feststellen, daß sich Länder und Gemeinden mit ihren Haushalten, dem Vorbild des Bundeshaushalts entsprechend, einzufügen haben.
Als Drittes möchte ich feststellen, daß nicht allein die Löhne an der bisherigen Entwicklung schuld sind, was im übrigen auch von keinem Mitglied der Bundesregierung behauptet worden ist. Sie können und sollen auch bei der jetzigen gemeinsamen Aktion nicht allein die Last der Stabilisierung tragen. Aber die zentrale Rolle der Kosten und damit auch der Löhne ist in der jetzigen Phase unbestreitbar. Die Sozialpartner tragen eine entscheidende Mitverantwortung für den Erfolg unserer Bemühungen.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502241600
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502241700
Bitte.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502241800
Herr Minister, ich nehme Ihre soeben gemachten wesentlichen Ausführungen zum Anlaß, Sie folgendes zu fragen. Sie sagen, die Löhne sollen nicht allein die Belastung tragen. Gibt es dann, wenn die Löhne sich nur am realen Wachstum des Sozialprodukts orientieren sollen, eine Chance, daß die Löhne nicht das volle Maß der Belastung auf sich ziehen? Ist das praktisch überhaupt denkbar?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502241900
Herr Leber, ich verstehe offenbar das Wort Orientierung etwas anders, als Sie es befürchten. Wir haben ja darüber schon gesprochen.

(Abg. Leber: Dann müssen Sie klarmachen, Herr Minister, wo der Unterschied zwischen dem Herrn Bundeskanzler und Ihnen ist!)

— Darauf komme ich gleich.
Darf ich mit meinen Ausführungen fortfahren. Ich halte die Frage für sehr wesentlich. Sie halben einen Anspruch auf diese Antwort. Sie bekommen sie. Ich möchte aber gern in der Reihenfolge meiner Diktion bleiben und viertens hinzufügen, daß diese Verantwortung in gleicher Härte und im gleichen Ausmaß für die Preispolitik und die Investitionspolitik der Unternehmer gilt.
Fünftens sind wir der Meinung, die Verbesserung und Erweiterung des konjunkturpolitischen Instrumentariums drängt. Nach einigen Zeitungsmeldungen von heute früh lege ich Wert auf die Feststellung, daß ich .gestern nur die Möglichkeiten für ein konjunkturpolitisches Instrumentarium genannt habe und ich damit noch keine Stellung zu den einzelnen Vorschlägen bezogen habe. Ich habe aber zur Kennntnis genommen, Herr Kollege Schiller, was Sie zu zwei wesentlichen Punkten gesagt haben, und ich glaube, darüber wird eine interessante Debatte beginnen.

(Abg. Dr. Schiller: Ich freue mich darüber!)

— Ich mache Ihnen gerne Freude! — Die Bundesregierung wird in den nächsten Monaten den Gesetzentwurf vorlegen. Ich habe Ihnen den Termin genannt, den das Kabinett gesetzt hat.
Sechstens. Wir sind uns auch darin einig, daß wir für die Sicherung der Stabilität eine längerfristig orientierte Wachstums- und Strukturpolitik brauchen. In der Methode sind wir uns nicht einig. Aber ich glaube, es besteht kein Streit darüber, daß eine längerfristige Wachstums- und Strukturpolitik gemacht werden muß.
Nun zwei Punkte, in denen wir unterschiedlicher Meinung sind, Herr Kollege Schiller. Es ist richtig, die Bundesregierung lehnt den Stufenplan ah, aber damit haben Sie nach meiner Meinung nicht das Recht, zu behaupten, ,daß wir durch diese Ablehnung das Gutachten sozusagen beerdigt hätten. Ich will Ihnen eine Formulierung sagen, der Sie sich vielleicht etwas annähern können. Ich bin der Auffassung, daß, wenn man Stufen einbaut, diese Stufen eine gewisse Verführung darstellen, diese Rate damit sofort zu konsolidieren und darauf aufzubauen. Das ist der Unterschied zu Ihnen. Ich glaube eben, daß die Leute, wenn man ihnen sagt, daß eine gewisse Rate vorhanden ist, schnell zupacken und dann „kaufmännisch" reagieren. Aber ich bin einverstanden, wenn wir uns so verständigen können, daß wir mit zwei nur durch die Befürchtungen unterschiedenen Methoden in derselben Zeit zum selben Ziel drängen.
Ich meine, es ist notwendig, wie es auch der Herr Bundeskanzler gesagt hat, das Ziel unmittelbar anzugehen, weil wir es dann in der Zeit, wie es der Stufenplan vorsieht, vielleicht erreichen werden. So



Bundesminister Schmücker
ungefähr möchte ich es formulieren und damit deutlich machen, daß es sich nach meiner Meinung nicht lohnt, nun hier einen großen theoretischen Streit zu entfachen. Denn diese Methode mag, so wie ich sie durchführen will, letzten Endes in der Praxis zu dem führen, was Sie vorschlagen. Das bestreite ich gar nicht. Aber ich halte es in der Anlage für falsch, nach Ihrem System zu verfahren.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502242000
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Herrn Abgeordneten Schiller?

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502242100
Herr Bundeswirtschaftsminister, müssen Sie nicht zugeben, daß aus der Äußerung des Herrn Bundeskanzlers klar hervorging, daß eine Politik mit Stufenplan qualitativ etwas ganz anderes ist als eine Politik ohne Stufenplan? Das erste bedeute Planung und so etwas und das zweite also etwas anderes, was Ihnen mehr liegt, also qualitativ eine andere Politik.

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502242200
Nein! Diese Frage muß ich verneinen. Aber Sie diskutieren im Moment mit mir, und ich bin Manns genug, meine eigene Meinung und meine eigene Zuständigkeit zu vertreten.

(Dr. Schiller: Danke sehr! Das „Danke sehr" muß ins Protokoll!)

— Alles, was hier gesagt wird, muß ins Protokoll, bis auf die unhöflichen Zwischenrufe. Die streichen manche hinterher.
Herr Leber, Ihr Diskussionsbeitrag hat bewiesen, wie unerhört schwierig es im Parlament ist, eine Art tarifpolitischer Auseinandersetzung zu führen. Es läßt sich dabei gar nicht vermeiden, sei es nur, um den rhetorischen Erfolg zu erzielen, daß dieses Haus dann nach der Art der Tarifpartner in zwei Lager gedrängt wird. Wenn die Regierung vermitteln soll, wenn sie durch Hinweise auf wirtschaftliche Möglichkeiten die Tarifpartner zusammenführen will, dann darf sie vorher auf keinen Fall Partei ergreifen. — Jetzt ist Ihr Zwischenruf fällig. Er kommt nicht. Schade! Ich bin nämlich der Meinung, daß die Äußerung des Bundeskanzlers in seinem Gespräch nicht eine solche Parteinahme darstellt, weil sie ganz allgemein gehalten ist. Aber ich betone ausdrücklich, daß ich es für falsch halten würde, wenn die Bundesregierung, die vermitteln soll, vorher für die eine oder andere Seite Partei ergreift.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502242300
Gestatten Sie eine Frage? — Bitte, Herr Abgeordneter Leber!

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0502242400
Herr Minister, ich will mal eine Hypothese aufstellen und Sie fragen, ob Sie glauben, wenn der Herr Bundeskanzler zufällig nicht 4 %, sondern 6 % genannt hätte, daß dann die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften unter Bezugnahme auf diese zufällige Zahl von 6 % ihre gesamten Lohnverhandlungen bestreiten würden, wenn sie der Meinung wären, das wäre ausreichend? Finden Sie es sehr ungewöhnlich, daß nun alle Unternehmer sagen: „Der Bundeskanzler hat irgendwo 4 % genannt; das ist die Marge, die er will"? Er hat in Wirklichkeit, ohne daß er also einen Pfahl an dieser bestimmten Stelle eingepflanzt hat, damit Partei ergriffen. Die 4 % werden darum aus der öffentlichen Auseinandersetzung nicht mehr herauskommen. De facto ist das geschehen, ohne daß es in der Form geschehen ist, in der Sie das hier verneinen.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502242500
Das war erheblich mehr als eine Frage.

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502242600
Aber es war ein interessanter Diskussionsbeitrag, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.

Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502242700
Ich wollte nur das Formelle auch noch betonen.

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502242800
Wir setzen nur ein Gespräch fort, das wir schon mehrfach geführt haben. — Herr Leber, ich bin in der Tat der Auffassung, daß es sich gerade in der Art der Darstellung um eine allgemeine Formulierung gehandelt hat und daß Sie nicht das Recht haben, diese Formulierung auf einen aktuellen Fall zu beziehen.
Herr Schiller sieht die Führungsaufgabe der Regierung vor allen Dingen darin, daß sie Zahlen und Ziffern veröffentlicht. Nun, wir sehen diesen Führungsauftrag anders. Zunächst kam es darauf an, daß die Bundesregierung mit dem Haushalt 1966 ein Beispiel gab. Das hat sie in einer Weise getan, die offenbar auch Sie überzeugt hat; denn Sie haben sich freundlicherweise zu diesen Ziffern bekannt. Jetzt diskutieren wir zwar mit den Sozialpartnern und Gruppen auf der Basis von klaren Fakten und auch von Zahlen und Ziffern. Aber für uns sind Zahlen nur Hilfsmittel zur besseren Erkenntnis, jedoch keine Anweisung zum Handeln. Die Verantwortung für Tarifentscheidungen bleibt ganz und ausschließlich bei den Partnern selbst. Herr Schiller, hoffentlich fällt es jetzt nicht zu grob aus. Wer dort nach Führung ruft, wo Eigenverantwortung geboten ist, der macht sich die Sache zu leicht. Nicht nur das — er gefährdet die Autonomie und damit die Freiheit und die Dynamik unserer wirtschaftlichen Entwicklung.
Sie, Herr Schiller, haben in Ihrer Rede zur Regierungserklärung das Strammstehen aus Einsicht ironisiert. Wenn Sie nun Wert darauf legen, lege ich Ihnen aus Ihrer gestrigen Rede Passagen vor, in denen Sie in hohen Worten das Handeln aus Einsicht preisen. Ich weiß, Herr Schiller, Sie beherrschen die großartige Kunst, bei sachlicher Übereinstimmung mit Ihrem Gesprächspartner rhetorisch dennoch anderer Meinung zu sein.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

Bitte, Herr Schiller!

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502242900
Sie sind doch mit mir der Meinung, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß wir jetzt über das Sachverständigengutachten und nicht über die „formierte Gesellschaft" reden, nicht wahr?




Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502243000
Ja, Herr Schiller — —

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502243100
Darf ich noch eine zweite Frage stellen?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502243200
Wenn Sie mich fragen, muß ich auch antworten. Ich nehme an, daß es auf die Antwort auch ankommt. Herr Schiller, ich bin der Auffassung — ob man das Wort übernimmt, ist eine andere Sache —,

(Abg. Dr. Schiller: Darum ging's damals!)

daß zur neuen Gesellschaft — oder wie Sie das nennen wollen —

(Abg. Wehner: Formierte Gesellschaft!)

— ja, das Strammstehen kam, glaube ich, ursprünglich von Ihnen, Herr Wehner —, daß zu dieser Gesellschaft eben dieses gemeinsame Handeln aus Einsicht gehört.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Ich finde, das gehört sehr wohl hierher. — Aber nun die zweite Frage!

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502243300
Sie sind sicherlich der Meinung, daß Handeln und Strammstehen ein Unterschied ist, nicht wahr?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502243400
Ja, ich kann mir kaum jemanden vorstellen, der beim Strammstehen auch noch handelt.

Dr. Karl Schiller (SPD):
Rede ID: ID0502243500
Eben, das ist ein großer Unterschied. In dieser Frage sind wir uns, glaube ich, einig.
Ich habe eine zweite Frage, und das war die eigentliche Frage. Sie haben sehr ernste, beachtenswerte Worte über die Tarifautonomie gesagt. Ist Ihnen nicht in Erinnerung, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie gestern meine Passagen über die Aufgabe des Staates verlesen haben, die Tarifautonomie, die Autonomie der Tarifparteien zu achten und zu schützen?

(Abg. Illerhaus: Das ist doch allgemeine Meinung!)

Ist Ihnen nicht auch bekannt und stimmen Sie mir da nicht zu, daß eine Orientierungshilfe keine irgendwie geartete Verletzung der Tarifautonomie bedeutet?

Dr. Kurt Schmücker (CDU):
Rede ID: ID0502243600
Herr Kollege Schiller, auch ich habe — wie Sie — nicht die Gabe, daß ich alles auf einmal sagen kann. Es muß der Reihe nach gehen. Es ist ein Nachteil der Fragestunde, die zur Belebung dient, daß sie das Gespräch auch einmal durcheinanderbringen kann. Darum gestatten Sie mir, daß ich auf diese Sache zu sprechen komme, wenn sie bei mir dran ist.
Ich wiederhole: Sie beherrschen die großartige Kunst, bei sachlicher Übereinstimmung dennoch rhetorisch anderer Meinung zu bleiben.

(Zuruf des Abg. Dr. Schiller.)

Aber diese Kunst können Sie sich nur so lange leisten, Herr Kollege Schiller, wie Sie nicht in der Verlegenheit sind — und Sie sind es ja nicht mehr —, von Amts wegen die Probe aufs Exempel machen zu müssen. Würde ich Ihrem Weg folgen, dann brauchten wir uns in der Zukunft kaum noch um Argumente, sondern nur noch um Zahlen zu streiten. Ich glaube, damit würde das eine blutleere Sache werden, und das könnte man mit Spannung in der Tat dann nur noch tun, wenn man so viele Bonmots auf Lager hat wie Sie. Sonst wird die Sache zu langweilig.
Ich danke Ihnen, daß Sie die in meiner Rede zur Regierungserklärung aufgeworfene Frage, wie die echten politischen Probleme ins Parlament zurückgebracht werden können, mit so beredten Worten angesprochen haben. Diese Debatte, meine Damen und Herren, macht deutlich, wie problematisch es ist, über Vorlagen zu diskutieren, die nicht aus diesem Hause und auch nicht von der Regierung, sondern von Dritten kommen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)

Das ist sehr problematisch. Ich lehne es nicht ab, das zu tun. Ich meine nur, wir müssen die richtige Form finden, diese Debatten zu führen, sonst entsteht zu leicht der Eindruck, als reklamiere der eine oder der andere — und davor habe ich gewarnt — ein Gutachten für sich.
Ich will Ihnen darum meine erste Antwort geben. Wenn wir fortfahren, uns gegenseitig die Objektivität abzusprechen, dann ist es ganz natürlich, daß alle Parteien darunter leiden. Dann ist es weiter ganz natürlich, daß im außerparlamentarischen, im außerpolitischen Raum ein neues Kraftfeld entsteht, dann macht man Politik, ohne sich politisch zu engagieren, und Sie wissen, daß wir Deutschen ohnehin zu diesem Fehler neigen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Frau Kollegin Dr. Krips, das Wort, das bei Ihnen heute am häufigsten vorkam, war das Wort Neutralität, und es hatte so die Betonung, als sollte es ein Argument sein. Das ist bereits ein Zeichen dieser Richtung.
Ich meine, wir sollten auch im Sinne der konzertierten Aktion hier eine gemeinsame Anstrengung machen, d. h. dort gemeinsam handeln, wo es möglich ist, und dort einander respektieren, wo wir verschiedene Ansichten haben.
Im übrigen, nach dieser sehr aufschlußreichen, langen Debatte wird es, beginnend mit dem Haushalt, in der übernächsten Woche um die Realisierung der Grundsätze gehen. Und da Sie, lieber Herr Schiller, Ihre Rede im Herbst mit Brecht und Nein schlossen und sich gestern über Biermann zum Ja vorwagten, hoffe ich, daß Sie damit nicht den Anfang zu einem eigenen Roulette: ja-nein-ja-nein-ja gemacht haben, sondern daß Sie auch ein Zitat finden, das es Ihnen erlaubt, im konkreten Fall Farbe zu bekennen. Mein Schlußwort ist kein Zitat, sondern nur ein Dank — ein Dank für Lob und Tadel — und ein Bitte: die Bitte, im konkreten Fall Farbe

Bundesminister Schmücker
zu bekennen. Der Haushalt gibt dazu die nächste Chance.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0502243700
Die Rednerliste ist damit erschöpft.

(Zurufe: Wir auch!)

Die Debatte hat sehr lange gedauert; ich glaube aber, daß sie sich doch von manchen Debatten vorteilhaft abgehoben hat.
Wir kommen nun zu der Frage der weiteren Behandlung des Jahresgutachtens. Es soll nach dem
Vorschlag des Ältestenrats an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstand — federführend — und an den Finanzausschuß — mitberatend — überwiesen werden. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? — Ich stelle das fest; es ist so beschlossen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 18. Februar, 9 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.