Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilung wird ohne Verlesung in den Stenographischen Berichtaufgenommen:
Der Außenhandelsausschuß hat mit Schreiben vom 19. Februar 1964 mitgeteilt, daß er die Verordnung Nr. 6/64/EWG des Rats über die Verringerung der Abschöpfungsbeträge gegenüber dritten Ländern für Schweine und einige Teilstücke von Schweinen für Einfuhren in der Zeit vom 1. bis 15. Februar 1964 zur Kenntnis genommen und keine Bedenken geäußert habe. Der mitbeteiligte Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten habe gleichfalls keine Einwendungen gemacht.
Der erste Punkt unserer Tagesordnung ist der Punkt 4 der Ihnen vorliegenden gedruckten Tagesordnung:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Verteidigung , über den Jahresbericht 1962 des Wehrbeauftragten des Bundestages (Drucksachen IV/1183, IV/ 1377).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Seffrin. Ich erteile ihm das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf meinem Bericht vorausschicken, daß er sich auf das Jahr 1962 bezieht und daß wir bereits im Juni 1963 die Beratungen im Ausschuß für Verteidigung geführt haben. Ich muß mich inhaltlich deshalb auf das beschränken, was damals im Ausschuß für Verteidigung anstand.Der Jahresbericht 1962 des Wehrbeauftragten des Bundestages wurde vom Präsidenten des Bundestages mit Schreiben vom 3. Mai 1963 gemäß § 76 Abs. 2 der Geschäftsordnung dem Ausschuß für Verteidigung überwiesen. Der Ausschuß hat den Jahresbericht 1962 in seinen Sitzungen vom 20. und 21. Juni 1963 beraten und berichtet darüber wie folgt:Nach dem Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages vom 26. Juni 1957 hat der Wehrbeauftragte die Aufgabe aus Art. 45 b des Grundgesetzes wahrzunehmen. Demnach wird der Wehrbeauftragte zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle berufen. Der Wehrbeauftragte ist demgemäß im Berichtsjahr 1962 nur einmal aufWeisung des Bundestagsausschusses für Verteidigung tätig geworden. In allen übrigen Fällen wurde er gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten nach pflichtgemäßem Ermessen tätig, wenn ihm Umstände bekannt wurden, die auf eine Verletzung der Grundrechte des Soldaten oder der Grundsätze über die innere Führung schließen ließen.Der von dem Wehrbeauftragten gemäß § 2 Abs. 3 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten für das Kalenderjahr 1962 erstattete schriftliche Gesamtbericht mit einer ausführlichen Geschäftsstatistik als Anhang ist bei aller nüchternen Sachlichkeit gegenständlich fesselnd und inhaltlich aussagereich. Er stellt wie schon seine Vorläufer eine Art Bestandsaufnahme und Rechenschaftsbericht über die innere Entwicklung der Bundeswehr dar. Er ist deswegen wie die Institution des Wehrbeauftragten selbst ein füglich aus unserer Wehrverfassung nicht mehr wegzudenkender Faktor.Es wäre zuviel verlangt, wollte man bei der verhältnismäßig kurzen Zeit des Bestehens der Institution des Wehrbeauftragten schon eine allseitig gleichmäßige Leistung und Tätigkeit verlangen. Dafür gibt es noch nicht genügend Erfahrungen, dafür ist ferner das Objekt der Tätigkeit des Wehrbeauftragten, die Bundeswehr selbst nämlich, noch zu sehr im Werden. Eine im Rahmen des Nötigen und Möglichen konsolidierte Bundeswehr wird auch für den Wehrbeauftragten faßbarer und überschaubarer sein. Die nämlichen Gründe auch verzögerten bisher die Ausarbeitung von Richtlinien, wie sie gemäß § 5 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten erlassen werden können.Ein Vergleich unserer Institution des Wehrbeauftragten und der entsprechenden Einrichtungen des „Militieombudsman" in Schweden und Norwegen scheint nur bedingt und im allgemeinen Rahmen möglich, da in den genannten Ländern andere historische, politische, andere traditionelle und soziologische Gegebenheiten obwalten. Gleichwohl ist es zu begrüßen, daß der Wehrbeauftragte im Berichtsjahr zwei Reisen, eine in die Schweiz und eine nach Schweden, unternahm, um die dortigen Verhältnisse zu studieren.Der Bericht als Ganzes läßt erkennen, daß der Wehrbeauftragte im Rahmen seiner gesetzlichen Pflichten, Rechte und Möglichkeiten durch Truppenbesuche, durch Bearbeitung der Eingaben und Be-
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Dr. Seffrinschwerden, durch Beobachtung der Ausübung der Disziplinargewalt und der Strafrechtspflege — letzteres seit Herbst 1962 — seine Aufgaben gut, vielseitig und gewissenhaft erfüllte. Er hat mit seinen Mitarbeitern eine beachtliche Arbeitsleistung vollbracht. Die Gesamtzahl der Geschäftsvorgänge allein betrug im Berichtsjahr 15 608. Ohne sein Zutun wären viele berechtigte Klagen und Beschwerden der Truppe den vorgesetzten Dienststellen möglicherweise unbekannt geblieben und deswegen vielleicht nicht behoben worden.Der Wehrbeauftragte hat durch seine Tätigkeit auch Probleme in der Bundeswehr deutlich gemacht, die sonst vielleicht unbeachtet geblieben wären. Er war in allen Fällen nicht nur um korrekte Behandlung und formale Erledigung bemüht, er hat auch in taktvoller Weise trotz der bei der Fluktuation in der Truppe kaum auszuschließenden Wiederholungsfälle versucht, belehrend und erzieherisch zu wirken.Erfreulich sind ferner folgende Feststellungen des Berichts:a) Das Vorhandensein und die Wirksamkeit der Institution des Wehrbeauftragten wurde im Bewußtsein der Truppe deutlicher;b) die Institution des Wehrbeauftragten ist in der Öffentlichkeit ein fest umrissener Begriff, wie das Interesse von Presse, Rundfunk, Fernsehen und weiter Kreise der Bevölkerung beweist.c) Auch das Ausland schenkte der Institution des Wehrbeauftragten unvermindert große Beachtung.d) Der Besuch des Wehrbeauftragten bei im Ausland stationierten Einheiten der Bundeswehr ist ebenfalls als eine wichtige Tätigkeit neueren Charakters zu erwähnen.Daß der Bundesrechnungshof in seinem Gutachten über die Organisation der Dienststelle des Wehrbeauftragten hinsichtlich des Personalbestandes und der Organisation zu Folgerungen kam, die sich mit den Vorstellungen des Wehrbeauftragten über die Organisation und Ausstattung seiner Dienststelle decken, soll nicht unerwähnt bleiben.Der Bericht gibt im einzelnen zu folgenden Feststellungen Anlaß:1. Bei Studium und Wertung des Berichts im einzelnen sollte man nicht jene Feststellung übersehen, die vom Wehrbeauftragten auf Seite 4 vorangestellt wird. Es heißt dort:Falsches Verhalten von Soldaten, das in Einzelfällen dargestellt ist, darf nicht verallgemeinert werden. Das würde kein zutreffendes Bild ergeben. Für jedes Beispiel falschen Verhaltens eines Soldaten ließen sich viele Beispiele vorbildlichen Verhaltens anführen.2. In: Berichtsjahr 1962 sind genau 5537 in die Zuständigkeit des Wehrbeauftragten fallende echte Eingaben — anonyme Eingaben gehören nicht dazu — beim Wehrbeauftragten eingegangen. Das heißt, daß etwa 1,4 %der Soldaten von ihrem Eingaben- bzw. Beschwerderecht Gebrauch gemachthaben. Ihren Dienstgraden nach waren die Einsender zu etwa 4 % Offiziere, 39 % Unteroffiziere, 53 % Mannschaften; bei 4 % war der Dienstgrad nicht bekannt.3. Hinsichtlich des Gegenstandes der Eingaben betrafen rund 1,4 % grundrechtliche Fragen, etwa 9 % die Rechtsprechung, 10 % innere Führung und Dienstgestaltung und fast 80 % Fürsorgeangelegenheiten. Allein 1903 Eingaben betrafen Rechte aus dem Dienstverhältnis, 854 Eingaben die Familienzusammenführung. Aus diesen Zahlen ist unschwer zu erkennen, wo vor allem die Bundeswehr der Schuh drückt. Es sind die sozialen Beschwernisse. Hinter dem Begriff „Familienzusammenführung" steckt vor allem noch das Wohnungsproblem.4. Besonders anerkannt hat der Ausschuß die Tatsache, daß der Wehrbeauftragte im Berichtsjahr an 109 Tagen mehr als 100 Einheiten bzw. Dienststellen der Bundeswehr besuchte. Dabei sind ihm, wie er schreibt, der Freimut, die Freude an der Kritik, die Unbefangenheit, aber auch die Sachlichkeit aufgefallen, mit denen die jungen Soldaten ihre Ansichten auch gegenüber Vorgesetzten vertreten.5. An 30 Beispielen zeigt der Wehrbeauftragte dann Ursachen, Formen und Ergebnisse seines Tätigwerdens bei Truppenbesuchen, bei der Behandlung von Eingaben und Beschwerden, bei der Beobachtung der Ausübung der Disziplinargewalt und der Rechtspflege auf.6. Der Ausschuß für Verteidigung erörterte vor allem an Hand dieser Beispiele ausführlich die innere Situation in der Bundeswehr. Als besondere Ursache der aufgezeigten Schwierigkeiten, der Verstöße gegen die Grundrechte oder gegen die Grundsätze der inneren Führung wurden vor allem Schwächen im Bereich der Ausbildung festgestellt. Es gibt insgesamt zahlenmäßig viel zuwenig Ausbilder. Von diesen wieder sind manche noch zu jung und selbst erst nach kurzer Ausbildung mit Unterführeraufgaben betraut worden. Das geht oft gut, aber manchmal eben auch schief.7. Zu den an sich schon breit gefächerten Anforderungen kommt bei Offizieren vor allem, teilweise auch bei den Unteroffizieren, noch eine starke Belastung mit einem ausgewachsenen Papierkrieg, der freilich eine kaum vermeidbare Begleiterscheinung der Gesamtstruktur der Bundeswehr sein dürfte. In diesem Zusammenhang wurde auch eine da und dort noch vorhandene Scheu vor Verantwortung gesehen, die nicht selten zu sogenannten „Deckungsbefehlen" oder zur Absicherung durch ein engmaschiges Befehls- und Vorschriftennetz führt.8. Anlaß zu ernsthafter Erörterung war ferner die Beobachtung, daß Disziplinwidrigkeiten offenbar immer wieder auf Alkoholeinfluß zurückzuführen sind. Hier scheint Abhilfe dringend geboten. Auch der gesamte Komplex der Disziplin in der Bundeswehr wurde geprüft. Die ganz auf die Persönlichkeit, ihre Rechte und Würde eingestellte Ordnung der Bundeswehr bietet nicht mehr die mechanischen Mittel von einst zur Erzwingung der
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Dr. SeffrinDisziplin. Wo der Vorgesetzte als Persönlichkeit versagt oder der Untergebene als Persönlichkeit sich versagt, können kritische Situationen entstehen. Ob die Wiederherstellung des allgemeinen Vorgesetztenverhältnisses oder gar — wie angeregt wurde — die Wiedereinführung der Kollektivstrafe hier Besserung brächten, blieb offen. Immerhin wude deutlich, daß die Bereiche der Disziplin und der Judikatur der Bundeswehr wache Aufmerksamkeit heischen.10. Als Mittel zur Hilfe und Abhilfe der genannten Unzulänglichkeiten wurde im Ausschuß für Verteidigung vor allem empfohlen: die Einrichtung von Unteroffiziersschulen, die Hebung des sozialen Ansehens der Unteroffiziere, eine bessere Fürsorge, besonders für die Familie, bessere ärztliche Versorgung der Truppe, Errichtung von Soldatenheimen, mehr Sportplätze und Sporthallen und vor allem eine Konsolidierung, ein langsames äußeres Wachsturn und mähliche innere Kräftigung der Bundeswehr durch eine Eindämmung des Papierkriegs, eine Entlastung der Offiziere und Unteroffiziere, damit besseres Verantwortungsbewußtsein und eine Festigung der Disziplin erreicht werde. Nach wie vor gehören die Grundsätze der inneren Führung und die staatsbürgerliche Bildung des Soldaten zu den elementaren Werten und Aufgaben der Bundeswehr.Der Vertreter des Bundesministers für Verteidigung dankte im Ausschuß dem Wehrbeauftragten für die zahlreichen Anregungen in seinem Bericht, dessen erzieherische Wirkung groß sei. Darum werde .der Bericht des Wehrbeauftragten für die Truppe beschafft und zum Gegenstand des Unterrichts, der Erziehung und Belehrung gemacht.Auf Anregung des Abgeordneten Schultz beschloß der Ausschuß die Absendung folgender Briefe:1. an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und an den Bundestagspräsidenten als Vorsitzenden des Bundestagsvorstandes mit der Bitte um Bewilligung der vom Wehrbeauftragten beantragten Stellen für die Beobachtung der Disziplinargewalt,2. an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses und an den Vorsitzenden des Innenausschusses mit der Bitte, die für die Einrichtung eines zweiten Wehrdisziplinarsenats erforderlichen Beschlüsse zu fassen.Den abschließenden Bemerkungen des Berichtes des Wehrbeauftragten, die gleichsam eine Bilanz darstellen, entnahm der Ausschuß ohne einschränkende Vorbehalte folgende Punkte:1. Die Bundeswehr geht allmählich in eine weitere Phase ihres geistigen Formungsprozesses über.2. Das Offiziers- und Unteroffizierskorps ergänzen sich in immer stärkerem Maße aus allen Schichten des Volkes.3. Die Institution des Wehrbeauftragten wird vom Volk allmählich als selbstverständliche Institution unseres Gemeinwesens überhaupt empfunden.4. Es ist immer wieder festzustellen, wie groß die Zahl jener Offiziere in der Bundeswehr ist, die das Anliegen der Inneren Führung aus staatspolitischerVerantwortung begreifen und es in diesem Sinne zu verwirklichen suchen. Dies berechtigt zu der Hoffnung, daß die geistige Auseinandersetzung um die Grundsätze der Inneren Führung schließlich allgemein 2u ihrer selbstverständlichen Anerkennung führen wird.Von diesem positiven Ergebnis und von der Arbeit des Wehrbeauftragten angetan, hat der Ausschuß für Verteidigung den auf Drucksache IV/1377 vorliegenden Beschluß gefaßt und den Antrag gestellt, den ich Ihrer Annahme empfehle.
Ich danke dem Berichterstatter. Die Aussprache ist eröffnet.
Ich teile dem Hause mit, daß der Wehrbeauftragte nicht anwesend sein kann. Er mußte sich heute morgen in ärztlicher Behandlung begeben. Er wird vertreten durch Herrn Ministerialrat Engst.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Paul.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf der Tagesordnung bin ich als Mitberichterstatter für diesen Bericht angeführt. Es kann nicht meine Aufgabe sein, hier Wiederholungen vorzutragen und Feststellungen zu erneuern, die vom Berichterstatter Dr. Seffrin gemacht wurden. Ich bin mit den meisten seiner Feststellungen einverstanden. Wir haben den Bericht des Wehrbeauftragten im Verteidigungsausschuß gründlich diskutiert, und es ist selbstverständlich, daß viele der Feststellungen die gleichen sind.Aber heute, meine Damen und Herren, haben wir zum erstenmal Gelegenheit, vor dem Bundestag eine Aussprache über den Bericht des Wehrbeauftragten abzuhalten. Es war ein Antrag der SPD-Fraktion, diese Aussprache anzusetzen, noch lange bevor der Bericht des Wehrbeauftragten durch Vorgänge, wie sie in Nagold in Erscheinung traten, eine besondere Bedeutung erhalten hat.Wir bejahen — das möchte ich ausdrücklich erklären — die Institution des Wehrbeauftragten auf das nachdrücklichste. Es ist geradezu eine Binsenwahrheit geworden, daß diese Institution geschaffen werden müßte, wenn sie nicht bereits bestünde. Sie hat nach innen und nach außen eine große Bedeutung.Es ist bedauerlich, daß wir erst heute dazu kommen, dieses Dokument vor dem Bundestag zu diskutieren, nachdem in sechs oder acht Wochen bereits der nächste Bericht des Wehrbeauftragten zu erwarten sein wird mit neuen Feststellungen, die es wert sein werden, erörtert zu werden. Ich darf feststellen, daß nach unserer Auffassung der Wehrbeauftragte im Sinne des Gesetzes gehandelt hat, daß er seine Aufgabe erfüllt hat und daß er und seine Mitarbeiter den Dank des Bundestages verdienen.
Wir finden es besonders erfreulich, daß der Wehrbeauftragte sehr viele Truppenbesuche durchgeführt hat. Die große Zahl der Eingaben — sie soll, so höre
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Paulich, inzwischen noch größer geworden sein — erfordert eine sorgfältige Betreuung, und der Bundestag wird zu prüfen haben, ob der Wehrbeauftragte nicht noch besser mit Hilfskräften ausgestattet werden muß. Aber dieentscheidende Aufgabe des Wehrbeauftragten liegt bei den Besuchen bei der Truppe.Es sind Feststellungen im Bericht des Wehrbeauftragten, die nicht nur interessant sind, sondern auch bedenklich stimmen. Auf Seite 8 des Berichts, Spalte 2, war z. B. zu lesen, daß die Grundrechtsverletzungen relativ zugenommen haben und daß idas gleiche bei den Verstößen gegen die Grundsätze der inneren Führung festzustellen war.Gestatten Sie, meine Damen und Herren, daß ich zu 'diesem Punkt eine besondere Bemerkung mache. Wir haben bereits einige Berichte der Wehrbeauftragten vorliegen. Wären diese Berichte überall dort, wo es darauf ankommt, hinreichend beachtet worden, dann hätten uns Erscheinungen, wie sie in Nagold vorgekommen sind, erspart bleiben können.
Ich kann auch den Bundestag bzw. den Ausschuß, der die Berichte zu prüfen hat, nicht völlig freisprechen. Als der erste Bericht des Wehrbeauftragten vorlag — er kam damals von Herrn von Grolman —, hatten wir im Verteidigungsausschuß eine lange Diskussion über ein einziges Wörtchen. Damals hat der Wehrbeauftragte festgestellt, daß eine ganze Reihe von Unzukömmlichkeiten in der Bundeswehr auf den zu raschen Aufbau der Bundeswehr zurückzuführen sind. Das Wörtchen „zu” mochte vielen der Kollegen im Verteidigungsausschuß nichtgefallen; sie fanden, es sei eine unzulässige Kritik des Wehrbeauftragten. Gerade die Erscheinungen der letzten Zeit beweisen uns doch, wie recht der Wehrbeauftragte mit dieser seiner Feststellung hatte. Es wäre uns allen viel wohler, wenn sowohl das Ministerium als auch der Verteidigungsausschuß und der Bundestag diese Feststellung des Wehrbeauftragten ernster genommen hätten, als es der Fall gewesen ist.Nun kommen nach der sehr bedauerlichen Affäre von Nagold — ich möchte sie nicht verallgemeinern, und ich möchte auch nicht in die wirklich unerfreulichen Einzelheiten hier hineinsteigen — eine ganze Reihe von guten Ratschlägen und Erkenntnissen. Ich freue mich über diese Erkenntnisse; ich freue mich über das, was z. B. auf der jüngsten Tagung der Unteroffiziere in Bad Godesberg sowohl vom Herrn Verteidigungsminister als auch vom Generalinspekteur und von anderen maßgebenden Herren gesagt worden ist. Aber besser wäre es gewesen, wenn diese Erkenntnisse bereits früher hätten festgestellt werden können.Ich vermisse noch eines. Ich habe ein ganzes Bündel von Berichten und Reden dieser Tagung aufmerksam durchgelesen. Ich habe in keiner dieser Reden einen Hinweis darauf gefunden, daß in der Bundeswehr auch der Bericht des Wehrbeauftragten gebührend zu beachten ist. Das fehlt. Das läßt ein Gefühl aufkommen, als sei höchstens Orts bei der Bundeswehr und im Verteidigungsministerium die Aufgabe des Wehrbeauftragten nicht sehr willkommen, und das ist schlecht; denn all das, was imBericht des Wehrbeauftragten steht, kann als Anschauungs- und Lehrmaterial verwendet und bei der Truppe entsprechend ausgewertet werden. Darum verlangen wir — ich möchte das gleich vorwegnehmen —, daß der Bericht des Wehrbeauftragten nicht in den Aktenschränken der höheren Stäbe verschimmelt, sondern bis herunter zur Kompanie geht und auch dort zum Gegenstand der Besprechung gemacht wird.Denn all das, was an Unzuträglichkeiten passiert ist und zu passieren droht, steht in dem Bericht des Wehrbeauftragten, — und noch eine ganze Menge mehr, denn es steht auch darin, was in der Bundeswehr not tut. Das Dilemma bei den Unteroffizieren ist ja schließlich in erster Linie vom Wehrbeauftragten aufgezeigt worden. Wir haben uns im Verteidigungsausschuß ernsthaft mit dieser Frage beschäftigt.Der Wehrbeauftragte hat auch als erster nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die geistige und körperliche Situation der Jugend von heute nicht mit jener zu anderen Zeiten zu vergleichen ist. Junge Menschen von heute sind keine Einheit. Sie sind durch ein hartes Schicksal geprägt. Gerade die Jahrgänge, die jetzt zur Bundeswehr eingezogen werden, kommen doch aus der letzten Kriegszeit oder aus der Nachkriegszeit. Es sind Jugendliche darunter, die als Kinder Flüchtlingstrecks mitgemacht haben. Es sind junge Menschen darunter, die in den Zeiten der großen Ernährungsnot aufgewachsen sind und Schäden mitbekommen haben, die ihnen heute noch zu schaffen machen. Man lese nur, was gewissenhafte Ärzte über den Gesundheitszustand der Jugend von heute aussagen. Erstaunlich frühe Bandscheibenschäden, Zahn- und Kiefererkrankungen, Magenbeschwerden, ja Kreislaufstörungen treten auf. All das muß man wissen, wenn man feststellt, daß in der Bundeswehr Ausbilder — mag sein, überfordert, mag sein, manchmal auch mit bösem Willen — zu hohe Anforderungen an die jungen Menschen stellen.Die jungen Menschen von heute bieten auch geistig ein anderes Bild als die Jugend früherer Zeit. Sie sind nicht damit zufrieden, daß man sie kommandiert. Sie wollen überzeugt werden. Sie haben — es freut uns, daß der Wehrbeauftragte dies feststellen konnte — geistige Frische und die Eigenschaft, auch zu sagen, was sie sagen wollen. Daran ändert der Umstand nichts, daß in gewissen Abteilungen der Bundeswehr versucht wird, eine falsche Solidarität hochzuzüchten, sondern wir müssen den Durchschnitt sehen.Herr Bundesminister von Hassel hat bei Übernahme - seiner schweren Aufgabe erklärt, daß nun eine Pause eingeschaltet werden solle, die sinnvoll zu verwenden sei. Wir begrüßen dies. Viele der Fehler sind aus der Anlage zu erklären. Jetzt gilt es, die Pause konstruktiv zu nützen, und ich glaube, die beste Ausnützung der Pause ist eine bessere Ausbildung der Ausbilder, und zwar der Ausbilder aller Kategorien. Ich nehme an, daß damit schon begonnen wurde. Das ist erfreulich. Aber es kann auf diesem Gebiet nicht genug getan werden. Es ist er-
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Paulschreckend, wenn man feststellen muß, daß z. B. in Nagold ein Hilfsausbilder auf andere junge Menschen losgelassen worden ist, der selbst nur drei Monate Ausbildung hinter sich hatte. Es gibt zwei solcher Fälle, wie aktenmäßig festgestellt ist. Das ist doch ein unmöglicher Zustand!
Dann ist keine Ausbildung besser als eine solche falsche Ausbildung.
Damit hängt auch die ganze Stellung der Unteroffiziere in der Bundeswehr zusammen. Meine Fraktion wird an allen Versuchen mitwirken, die Stellung der Unteroffiziere in sozialer Hinsicht zu verbessern, und sie wird auch Vorschläge machen, wie man das Problem im allgemeinen besser lösen könnte.Wir sind bei der Besprechung des Berichts des Wehrbeauftragten noch auf eine andere Frage gestoßen. Wir sind der Meinung, daß Offiziere, Kommandeure, auch Unteroffiziere überfordert sein können. Ich habe im Verteidigungsausschuß verlangt, daß der Wehrbeauftragte in seinem nächsten Bericht dazu einiges aussagt, und ich bin begierig auf diesen Bericht und auf die Feststellung, die getroffen werden wird. Wir haben manchmal den Eindruck, daß ein Teil der Soldaten — und da geht es vor allem um die maßgebenden — nicht nur rein soldatische Aufgaben zu erfüllen hat, sondern daß sehr viel überflüssiger Bürokram erledigt werden muß. Schon bei der Iller-Katastrophe haben wir auf diesen Mangel hingewiesen. Das war ein klassischer Fall.
Der damalige Chef war überfordert, war ausgefüllt mit anderen Aufgaben und hatte keine Zeit, sich um die Truppe zu kümmern. Es muß doch überlegt werden, was wichtiger ist: die Erstattung einer formalen Meldung und das Durchstudieren von Verordnungsblättern des Ministeriums oder die Betreuung der Menschen?
Es geht doch um den Menschen in der Bundeswehr. Was nützt uns die beste Ausrüstung, die wir der Bundeswehr geben wollen, wenn wir nicht die Menschen haben, die mit dieser Ausrüstung etwas anzufangen wissen.
Darum wollen wir einen Bericht in dieser Frage haben.Es geht auch nicht darum, von Härte oder nicht Härte zu reden. Der Herr Bundesminister von Hassel hat im August vorigen Jahres in einem Interview mit der „Welt" einen Satz gesagt, der mich sehr bedenklich stimmte. Er hat erklärt: „Im übrigen sagen mir die Rekruten, wenn ich mit ihnen spreche, immer wieder, die Ausbildung sei nicht hart genug. Das sagen auch die Unteroffiziere und die Offiziere, und auch ich bin dieser Meinung." Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß der Herr Bundesministerdiese Worte gesagt hat. Damals war Nagold schon passiert.
— Eine Frage der mißverstandenen Härte! Lassen Sie mich ausreden! Härte liegt in der Aufgabe des Soldaten, aber es kommt immer darauf an, wann und wie diese Härte angewandt wird. Heute ist dies allgemein bekannt — auch der Bundesverteidigungsminister hat es gesagt —, daß man zwischen Härte und Schikane unterscheiden müsse.
Wir akzeptieren das. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man nach drei oder vier Wochen Grundausbildung oder nach einem Jahr mit der Härte beginnt.
Vergessen wir doch nicht, daß heute mit der sportlichen Ausbildung, der sportlichen Schulung, dem sportlichen Training der jungen Soldaten angefangen werden müßte!
Auch jene, die sich Sportler nennen, sind es ja oft nicht. Wir alle haben uns doch das Zu-Fuß-Gehen allmählich abgewöhnt, und wenn wir vier Wochen Ferien haben, müssen wir uns in der ersten Woche erst langsam wieder an das Laufen gewöhnen. Das ist leider auch bei einem großen Teil der Jugend von heute so. Man kann daran nicht vorbeigehen, daß sie lieber mit dem Motorrad durch die Landschaft fährt. Der Arbeitsplatz bedingt einfach die Inanspruchnahme moderner Kommunikationsmittel.Nun kommt diese Jugend zur Bundeswehr. Da kann man sie nicht so anpacken, wie man den Rekruten vor 30 oder 40 Jahren anpacken durfte. Das sind alles Dinge, die einmal ausgesprochen werden müssen. Wir akzeptieren, daß die Härte am Ende der Ausbildung steht, und in der Zwischenzeit muß der Soldat davon überzeugt werden, davon überzeugt worden sein, daß diese Härte in seinem eigenen Interesse liegt. Wenn das die Ausbilder nicht verstehen, sind sie nicht am richtigen Platz.Ich bin mit meinen Ausführungen fast am Ende, wenn es sich auch um, ein unerschöpfliches Thema handelt. Wir werden bald den nächsten Bericht des Wehrbeauftragten bekommen. Es wird notwendig sein, die Aussprache fortzusetzen. Ich hoffe nur, daß diese Aussprache vor dem Plenum dieses Hauses stattfinden kann. Denn der Wehrbeauftragte ist schließlich ein Hilfsorgan des Bundestages wie kein anderes in der Bundesrepublik, und der Bundestag hat den Anspruch, den Wehrbeauftragten zu hören, nicht nur im Ausschuß und nicht nur in den Fraktionen, sondern im Plenum. Dann werden wir, hoffe ich, im Interesse der Sache ein Stück weiterkommen können.Es geht uns bei dieser Kritik nicht um billige Bemerkungen über den Stand der Bundeswehr. Wir wollen auch keine Verallgemeinerung vortragen. Wir wissen, daß ein großer Teil der Offiziere und Unteroffiziere in ausgezeichneter Weise seine Pflicht erfüllt; das sei von uns ausdrücklich aner-
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Paulkannt. Aber es muß zum allgemeinen Wissen in der Bundeswehr gehören, daß jene, die gegen die Grundrechte der Soldaten, gegen die Menschenwürde, gegen den Geist der inneren Führung verstoßen, nicht nur Kritik verdienen, sondern auch in erster Linie der Bundeswehr selbst schaden.
Das Wort hat der Abgeordnete Schultz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich den Worten von Kollegen Paul insoweit gleich anschließen, als ich für meine Fraktion, die Fraktion der FDP, sagen darf, daß auch wir sehr begrüßen, daß die Aussprache über den Bericht des Wehrbeauftragten zum erstenmal im Plenum des Bundestages stattfindet. Ich darf vielleicht noch die Anmerkung machen, daß wir im Verteidigungsausschuß allgemein damit einverstanden waren, daß diesmal die Aussprache im Plenum stattfinden sollte. Ich darf besonders darauf hinweisen, daß Kollege Bausch von der CDU und auch meine Freunde das unterstützt haben, was die SPD angeregt hatte.Allerdings erlaube ich mir, eine Bemerkung zu dieser Aussprache hier zu machen. Der Ältestenrat hat beschlossen, daß es nicht möglich sein soll, zumindest heute nicht, daß der Wehrbeauftragte selbst hier an diesem Pult zu den Dingen noch einmal Stellung nimmt, falls er vielleicht kritisiert wird, was durchaus möglich ist und was ich bei einigen Punkten sogar vorhabe. Wir sollten dieses Problem noch einmal überdenken, und zwar gerade deswegen, weil dem Hause klar sein muß, daß der Wehrbeauftragte nicht ein Organ des Verteidigungsausschusses, des Fachausschusses ist, sondern ein Organ dieses Hauses
und daß sich auch die Kollegen, die mit den Problemen der Bundeswehr nicht ständig zu tun haben, weil sie andere Fachgebiete betreuen, der Arbeit dieses Organs des Parlaments mit besonderem Interesse widmen sollten. Ich glaube, das hier ist auch die richtige Stelle, um die entsprechende Klärung herbeizuführen, wenn ihnen etwas seltsam erscheint.Die Einrichtung des Wehrbeauftragten — es ist vielleicht notwendig, auch das heute rückblickend einmal zu sagen — ist mit Mißtrauen und Skepsis betrachtet worden, als sie hier im Gesetzgebungsverfahren konstituiert wurde. Die Soldaten befürchteten, hier einer weiteren Kontrolle — neben der normalen Kontrolle durch das Parlament und die Öffentlichkeit durch Presse, Rundfunk und nunmehr auch Fernsehen — ausgesetzt und in der Erziehung und Ausbildung der ihnen anvertrauten Soldaten weiter eingeengt zu werden. Auch von den Politikern und den Beamten — den Politikern hier im Hause, den Beamten im Verteidigungsministerium — wurde diese Institution mit Mißtrauen betrachtet, weil man glaubte — je nach dem Lager, wo man stand —, daß hier vielleicht etwas entstünde, was in der Lage sei, die eigene Politik zu stören und zubelasten. Ich glaube aber sagen zu dürfen, daß sich heute die Auffassung überall durchgesetzt hat, daß wenn eine Neuerung beim Aufbau der Streitkräfte sinnvoll gewesen ist, es diese war, die seinerzeit von den Kollegen der CDU und der SPD angeregt worden ist.Ich möchte mich aber auch insoweit dem Kollegen Paul anschließen, als er sagte, daß auch die Folgerungen aus dem Jahresbericht gezogen werden sollten, und zwar sowohl im Hohen Hause als auch bei den mit der Exekutive betrauten Männern und Frauen.Wenn Herr Kollege Paul verlangt, daß der Jahresbericht des Wehrbeauftragten bis hinunter in die Kompanie zur Belehrung benutzt wird, so vermag ich ihm hier zu folgen, möchte aber darauf hinweisen, daß nach meiner Auffassung in dem Bericht des Wehrbeauftragten viele Punkte angesprochen sind, die fast ausschließlich nur von der Führung geregelt und, wie man so schön sagt, in den Griff bekommen werden können. Mit dem Bericht des Wehrbeauftragten ist also nicht nur die Regierung, sondern auch der Gesetzgeber hier im Haus angesprochen.Angesprochen wurde auch die Frage, ob die Termine, die für den Aufbau der Streitkräfte gesetzt worden sind, richtig gewesen sind
oder ob hier nicht schwerwiegende Fehler gemacht worden sind, die dazu geführt haben, daß es, sagen wir, zu einem Nagold gekommen ist.
Herr Kollege Paul — ich will es nicht wiederholen — hat schon an die Kontroverse über den ersten Bericht des Wehrbeauftragten erinnert, in dem stand: zu schneller Aufbau hat verschiedene Unebenheiten mit sich gebracht. Ich erinnere mich sehr gut, daß damals darüber gesprochen wurde, ob der Wehrbeauftragte überhaupt das Recht habe, so etwas zu sagen, so etwas zu kritisieren. Wir sind der Auffassung: er hat das Recht, denn er ist das Organ des Parlaments, und er muß uns unterstützen.
Denn wir können praktisch nicht immer alle beider Truppe sein, und viele Dinge sind sowieso vondem Parlament aus recht schwer zu kontrollieren.Ich bin der Auffassung, daß insbesondere der augenblicklich tätige Wehrbeauftragte seine Aufgabe mit Geschick und Takt ausgefüllt hat, vor allem dort, wo er sich als Schlichter betätigt hat. Der Fall, in dem er sich als Schlichter betätigt hat, ist in den Jahresbericht 1962 nicht aufgenommen worden. Ich halte das für gut. Ich möchte auch nicht mehr im einzelnen darauf eingehen. Ich möchte aber im Zusammenhang damit darauf hinweisen: genauso wie die Grundsätze. der inneren Führung für die Truppe, für den Korpskommandeur und die nachfolgenden Kommandeure bis zum Kompaniechef verbindlich sind, müssen sie auch im Ministerium verbindlich sein.
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SchultzWas sind die Grundsätze der inneren Führung? Der Herr Verteidigungsminister hat sie vor kurzem als Gesetz bezeichnet, — wobei wir nicht annehmen können, daß „Gesetz" hier im Sinne eines Gesetzes wie des Soldatengesetzes gemeint ist, sondern sie sind Richtschnur des Handelns von Soldaten und auch Beamten, die mit den Fragen der Bundeswehr beschäftigt sind. Diese Grundsätze liegen im Rahmen des Grundgesetzes und dienen der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit. Sie beinhalten aber auch die Fürsorge des Vorgesetzten für den Untergebenen. Das heißt, daß gerade die Grundsätze der inneren Führung bei dem Vorgesetzten ein besonderes Maß an Disziplin, Einsichtvermögen und auch Beschäftigung mit der Politik im allgemeinen voraussetzen.Ich sagte vorhin, .daß Kritik am Wehrbeauftragten nichtausgeschlossen ist. Ich möchte einen Fall ansprechen, auf den wir sicher bei der nächsten Aussprache — über den Bericht 1963 ides Wehrbeauftragten — noch näher eingehen werden, nämlich den Fall der Auflösung der Ausbildungskompanie 6/9 in Nagold. Der Herr Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht 1962 davor ,gewarnt, Kollektivstrafen auszusprechen. In dieser Auflösung der Kompanie sehe ich eine solche Kollektivstrafe, und zwar deswegen, weil sie gleichmäßig Gerechte und Ungerechte betroffen hat. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß einem gewissen Druck der öffentlichen Meinung ein Opfer gebracht werden sollte.Ich bin der Überzeugung, daß diese Maßnahme entweder zu spät oder zu frühergriffen wurde, zu spät deswegen, weil sie schon im Rahmen der Dienstaufsicht hätte getroffen werden müssen, bevor, sagen wir, die ganzen Geschichten hochgekommen sind, .oder zu früh insofern, als die Strafverfahren noch nicht abgeschlossen waren, als die Maßnahme getroffen wurde.Der Wehrbeauftragte ist für diese Sache nicht verantwortlich; aber er hatte zugestimmt. Er hat das auch öffentlich zum Ausdruck gebracht. Ich glaube, daß ,die Truppe, die mit diesen Dingen deswegen nicht so sehr vertraut sein kann, weil sie weiter weg ist, das Ganze nicht so recht verstanden hat und daß sich auch bei Offizieren und Unteroffizieren schlechte Rückwirkungen auf die Sicherheit im Führen ergeben haben. Das sollte man künftig vermeiden.Ich möchte weiter wünschen, daß der Wehrbeauftragte in Zukunft mehr Gebrauch von der Möglichkeit macht, sich Akten kommen zu lassen und sie in seinem eigenen Büro einzusehen, insbesondere wenn Beschwernisse auf personalwirtschaftlichem Gebiet an ihn herangetragen werden. Ich halte das für außerordentlich wichtig. Das hängt damit zusammen, daß, wie ich sagte, die Grundsätze der inneren Führung auch in den „oberen Regionen" ihre Geltung haben müssen, weil, wie wir alle wissen, auch oben nur Menschen regieren, genauso wie unten nur Menschen Befehle ausführen, Menschen mit all ihren Schwächen.Ein weiteres möchte ich anschneiden — auch das wurde vom Kollegen Seffrin lin seinem Bericht angesprochen; aber ich möchte es unterstreichen —: daßdie Dienststelle des Wehrbeauftragten keine Superbehörde sein soll, daß sie aber natürlich ausreichend mit Personal ausgestattet sein muß, um ihren Aufgaben genügend nachkommen zu können.Eine wesentliche Aufgabe des Wehrbeauftragten sehe ich darin, die Ausübung der Disziplinargewalt zu beobachten. Der Wehrbeauftragte hatte 1963 für den Haushalt eine entsprechende Stelle beantragt. Sie wurde ihm — leider, muß ich sagen — gestrichen. Für 1964 ist diese Stellenanforderung erneuert worden. Ich möchte hoffen, daß die Stelle diesmal bewilligt wird. Denn wir müssen uns im Parlament, meine sehr verehrten Damen und Herren, ein Urteil darüber bilden, ob die Wehrdisziplinarordnung und auch das Wehrstrafgesetz praktikabel und noch zeitgerecht sind. Wir haben die Wehrdisziplinarordnung zwar einmal novelliert; aber ich glaube, daß wir uns über diese Frage erneut unterhalten müssen.Ich bin der Auffassung, daß auch im Vollzug der Arreststrafen eine Wandlung eintreten muß. Ich halte es für unmöglich, daß ein Bestrafter praktisch einen gemütlicheren Tag oder eine gemütlichere Nacht verbringt als der Kamerad, der draußen, im Außendienst, Dienst tun muß.Mir scheint, daß der Wehrbeauftragte auch in Richtung auf eine gleichmäßige Rechtsprechung im militärischen Bereich mitwirken muß. Mit anderen Worten, man muß sich darüber klarwerden, wie bestimmte Vergehen oder Übertretungen behandelt werden sollen. In der zivilen Rechtsprechung haben wir doch ohne Zweifel eine verhältnismäßig gleichmäßige Betrachtung der Dinge. Wir müßten zusammenwirken, um auch im militärischen Bereich dazu zu kommen. Deswegen begrüße ich es ganz besonders, daß das Bundesjustizministerium Tagungen durchführt, die über eine Woche dauern und in der über diese Dinge im Zusammenhang mit der Truppe in den beteiligten Richterkreisen gesprochen wird. Ich halte das für ausgezeichnet und möchte, daß das fortgeführt wird.Ich darf sagen, daß auch der Bundesrechnungshof, der ja die Dienststelle überprüft hat, auf diese Schwierigkeiten in der Bearbeitung der Eingänge beim Wehrbeauftragten hingewiesen hat. Es wurde hier also nicht gesagt, das müsse weniger werden, sondern es wurde erklärt, daß ausreichend Kräfte bereitgestellt werden müßten.Ich sagte vorhin, daß man aus den Jahresberichten die entsprechenden Folgerungen ziehen sollte. Nur auf einige Dinge möchte ich dabei — mehr oder weniger im Telegrammstil — hinweisen. Der Wehrbeauftragte spricht davon, daß die Kommandeure bis zum den Kompaniechefs einschließlich von der Papierflut überschwemmt werden. Das ist eine Frage, die wir hier schon erörtert haben. Wir erörtern sie praktisch seit 1958. Es ist nicht möglich gewesen, eine entsprechende Eindämmung herbeizuführen. Ist das denn tatsächlich außerhalb jeder Möglichkeit?Wir beobachten weiter, daß auch eine ganze Reihe von Deckungsbefehlen gegeben wird, die selbstverständlich auch Papierkrieg verursachen, daß aber die
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Schultzgegebenen Befehle nicht so kontrolliert werden, wie es notwendig wäre. Damit kommt man natürlich auf den nächsten Punkt, den Personalmangel hinsichtlich der Zahl der Offiziere und Unteroffiziere, die führen und ausbilden sollen. Auch hier haben wir Freien Demokraten verschiedentlich Vorschläge gemacht. Wir haben seinerzeit, als das noch möglich gewesen wäre, vorgeschlagen, vorübergehend Ergänzungsoffiziere, Unteroffiziere, Kriegsgediente heranzuziehen. Das wollte man damals nicht. Heute geht es darum, daß man eventuell Stäbe auskämmt und inzwischen von der Bundeswehr Entlassene vielleicht wieder für eine gewisse Zeit, bis die Schwierigkeiten überbrückt sind, einzieht und dort Dienst tun läßt, um das entsprechende Personal für die Truppe frei zu bekommen. Das ist eine Möglichkeit.Ich bin schließlich auch der Meinung, daß wir uns überlegen müssen, wieweit die Grundsätze der inneren Führung, soweit sie in Gesetzen niedergelegt sind, in der Tat ihre Berechtigung haben und praktikabel sind. Ich möchte in aller Öffentlichkeit erklären, daß ich nicht der Auffassung bin, daß wir, auf die Dauer gesehen, ohne das allgemeine Vorgesetztenverhältnis auskommen. Die Autorität der Unteroffiziere kann nicht allein von der Persönlichkeit kommen, weil wir soviel Persönlichkeiten in der ganzen Bundesrepublik nicht haben.
Das ist ein Wunschtraum, nein, ein Ziel, das man sich setzen muß. Aber dieses Ziel setzt voraus, daß der Bürger bei uns ein ganz anderes Verhältnis zum Staat hat, als das heute der Fall ist. Wir sind in der Politik, im außerpolitischen Raum bemüht, den Staatsbürger zu einer Bejahung dieses Staates zu bringen, zur Bereitschaft, auch Opfer für diesen Staat zu bringen. Wir sind aber von diesem Ziel noch weit entfernt. So können Sie nicht verlangen, daß die Unteroffiziere sämtlich nur mit der Ausstrahlung ihrer Persönlichkeit führen. Hier muß auch von der Institution her eine Möglichkeit gegeben sein.
Was kann nun — auch das sollte ich einmal sagen — ein Unteroffizier machen, wenn er sich gegen renitente Leute nicht durchsetzen kann? Solche gibt es auch. Er kann dem Kompaniechef sagen: „Das und das hat nicht geklappt. Was soll geschehen?" Der Kompaniechef wird dann sagen: „Sie wiederholen den Dienst, und zwar am Samstagnachmittag." Damit wird der Unteroffizier zu den 95 Tagen, die er sowieso über 17 Uhr hinaus Dienst hat, erneut belastet. Manch einer, wo der Geist willig, aber das Fleisch schwach ist, wird sagen: „Lieber übersehe ich die Disziplinlosigkeit, als daß ich mir das noch aufhalse." Eine Kollektivstrafe — ich sprach vorhin davon — oder Erziehungsmaßnahme in dem Sinne wäre, daß der Feldwebel, wenn eine Einheit, die angetreten ist, schwätzt und nicht ruhig ist, sagen kann: „Bis an die nächste Baracke und zurück marsch, marsch!" und sie wieder antreten läßt und das ein paarmal wiederholen darf. Das darf er heute nicht. Das halte ich auch für eine Möglichkeit, die im Rahmen der Überwachung durch den Kompaniechef gegeben werden müßte. Das heißt, solche Dinge sind nur möglich, wenn die Einheiten mit der entsprechenden Zahl von Offizieren und Unteroffizieren besetzt sind. Augenblick, muß ich sagen, ginge es noch nicht.Die Frage ist, wie man dem beikommen kann. Aber das ist mehr eine Haushaltsfrage, die bei der zweiten Lesung des Haushaltes zu erörtern sein wird. Ich glaube nicht, daß wir auf die Dauer auskommen, ohne daß wir die eine oder andere Einheit vorübergehend verkleinern, um die notwendigen Offiziere und Unteroffiziere zu gewinnen. Nur dann können wir auch erreichen, daß in die Ausbildungskompanien beste Offiziere, beste Unteroffiziere kommen und diese nicht, wie das erstaunlicherweise oft von der Truppe betrachtet wird, ein Abstellgleis für Leute sind, die man gerade nicht so gut brauchen kann.Wir sind sehr befriedigt darüber, daß nunmehr die Vorbereitungen für die Einrichtung von Unteroffiziersschulen getroffen werden. Wir sind befriedigt darüber, daß der Herr Minister bei der Unteroffizierstagung in Bad Godesberg hat erkennen lassen, daß er den Dingen, von denen ich gesprochen habe und von denen auch im Bericht des Wehrbeauftragten die Rede ist, zu Leibe gehen will. Ich darf sagen, daß wir dem Herrn Bundesverteidigungsminister in dieser Phase der Konsolidierung unsere volle Unterstützung leihen und bereit sind, nach besten Kräften zu einer Konsolidierung beim Aufbau der Bundeswehr beizutragen, damit sie ein schlagkräftiges Instrument wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Seffrin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag den Anschein haben, als ob überhaupt erst infolge der Vorgänge in Nagold die Öffentlichkeit und auch vielleicht manche andere Kreise wach geworden wären und sich nun erst die Bundeswehr anschauten. Ich glaube, wer so denkt, der irrt sich; denn dem ist nicht so. In dem Bericht des Wehrbeauftragten, der heute als Grundlage der Debatte vorliegt, heißt es auf Seite 26:Der Wehrbeauftragte hat im Berichtsjahr 1962 den Eindruck bestätigt gefunden, daß die Bundeswehr . . . in eine weitere Phase ihres geistigen Formungsprozesses übergeht. Diese Phase wird aller Voraussicht nach entscheidend sein für den endgültigen Standort unserer neugeschaffenen Armee in unserem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat.Diese Feststellung des Wehrbeauftragten ist vor den Vorgängen in Nagold erfolgt. Sie zeugt genau wie die Äußerungen des Verteidigungsministers, in denen er von der Notwendigkeit einer schöpferischen Pause, von der Notwendigkeit der Konsolidierung in der Bundeswehr spricht, davon, daß man erkannt hatte, daß für die Bundeswehr der Zeitpunkt gekommen war, wo es — in militärischer Sprache —
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Dr. Seffrineinmal heißen mußte: „Das Ganze halt!", wo einmal Umschau und Rückschau zu halten war.Wenn man eine solche Umschau und Rückschau für die Bundeswehr anstellt, muß man sich füglich die Frage vorlegen: Woher kommt unsere Bundeswehr, wo sind ihre Anfänge? Ich glaube, daß man bei einer solchen Betrachtung zwei Komplexe sehen muß: einmal den Komplex, den ich als das große Vakuum von 1945 bis 1955 bezeichnen möchte, und zweitens den Komplex, den ich als die nach 1945 verwandelte Welt bezeichnen möchte.Das Vakuum von 1945 bis 1955 — ich nenne es einmal das militärische Vakuum in unserem politischen Geschehen — ist ein vielfaches. Es ist zunächst einmal ein personelles Vakuum: es gab von 1945 bis 1955 in der Bundesrepublik bzw. in den ihrer Gründung vorangegangenen Jahren in den Einzelstaaten keine Soldaten mehr. Wir wissen heute ganz genau, was es personell heißt, daß diese zehn Jahre ausgefallen sind. Zwischen den Soldaten jüngerer und jüngster Jahrgänge und den Soldaten, die noch aus der Zeit vor 1945 kommen, klaffen eben zehn Jahre. Diese Lücke wirkt sich in jeder Hinsicht aus, und es ist auch heute noch ein Problem, sie zu überwinden.Das militärische Vakuum, von dem ich sprach, ist weiterhin ein Vakuum hinsichtlich der Tradition. Die Tradition, die mit der Aufgabe des Soldaten verbunden war, Heimat, Vaterland und Volk zu schützen und zu verteidigen, wurde durch diese zehn Jahre doch sehr stark unterbrochen. Ich möchte hier nicht den Standpunkt vertreten, daß wir einfach eine Tradition im Anschluß an 1945 fortsetzen könnten; das ist füglich nicht möglich. Aber die Tradition des Denkens, daß man Aufgaben habe, schützende und dienende Aufgaben für das Volk, ist für zehn Jahre unterbrochen gewesen.Das Vakuum war drittens materieller Art. Das heißt, alles, was zur Ausstattung, zur Ausbildung von Soldaten an Gerät und Waffen nötig ist, war verloren, vernichtet und fand keine Weiterentwicklung. Es konnten keine Soldaten ausgebildet werden. Deshalb standen wir auch in den Anfängen der Bundeswehr 1955 vor dem außerordentlich schwierigen Problem der Ausstattung unserer Bundeswehr mit Gerät und Waffen, ein Problem, dessen Folgen sich all die Jahre hindurch, sogar noch bis in die Gegenwart hinein, auswirkten.Die vielleicht schwerste Belastung in dem Vakuum scheint mir der Prestigeverlust. Der Soldatenstand war bei uns nach 1945 verrufen; das ist einfach unbestreitbar. Soldatsein galt nicht als etwas Besonderes, galt, nicht mehr als eine Aufgabe für den Mann, Soldatsein war nach 1945 beinahe etwas Schmähliches. Damals ist auch, gestützt von dem politischen „Ohne mich"-Standpunkt ein ganz starker, abwertender Einfluß auf das Soldatische schlechthin erfolgt. Man erinnere sich daran, daß noch 1956 von dem Soldatentum als einer „Ausbildung von Massenmördern" gesprochen worden ist, und das nicht von einem einfachen Mann draußen, sondern von einem früheren Angehörigen dieses Hauses.Dieses Vakuum wurde sachlich im Jahre 1955 überwunden, als die Bundesrepublik durch ihren Beitritt zum atlantischen Verteidigungsbündnis die Souveränität erhielt und gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Sicherheit und Verteidigung in die eigene Hand zu nehmen. Das Vakuum wurde prestigemäßig und ideologisch etwa dm Jahre 1960 überwunden, als eine weitgehende Annäherung der außenpolitischen Standpunkte eine neue Situation auch für den Bereich ,der Bundeswehr herbeiführte.Als die Bundeswehr 1955 entstand, geschah das in einer völlig verwandelten Umwelt. Geändert hatte sich einmal die menschliche Umwelt. Das soziologische Bild unseres Volkes hatte sich stärker als zwischen 1918 und 1933 und in einer völligen ReActio auf die Fesselung zwischen 1933 und 1945 in eine Vielfalt von Gebilden aufgefächert. Die pluralistische Gesellschaft mit ihren Vorteilen und Gefahren bestimmte damals und bestimmt auch heute unser Leben.Geändert hatte sich gegenüber der Zeit vor 1945 auch die politische Umwelt. Der Krieg hatte uns nieder- und zurückgeworfen. Ungeheure Verluste an Menschenleben und an Werten, vor allem aber die Spaltung unseres Volkes, hatten eine politische Situation herbeigeführt, die sich auf alle Menschen in unserem Staate auswirkte, die jeden vor ganz bestimmte Entscheidungen und vor ganz bestimmte Entschlüsse stellte.Geändert hatte sich die materielle Umwelt. Mechanisierung, Technisierung, Spezialisierung griffen in weiten Bereichen um sich. Der Mensch lebt im Rahmen dieser Mechanisierung, Technisierung und Spezialisierung ein anderes Leben, als er es vorher gelebt hat. Ein freieres Leben, ein leichteres Leben vielleicht, und doch im Grunde einschwereres Leben. Ganz besonders aber drückt sich die vollzogene Veränderung nach 1945 in den Erfolgen aus, die die Atomphysik aufzuweisen hat, und in den umwälzenden Entwicklungen, die sie hervorrief.In einer so verwandelten Welt und aus einem solchen Vakuum begann der Aufbau der Bundeswehr. Sie entstand umstritten, bekämpft, von Mißtrauen und Mißverstehen begleitet. Trotzdem wurde sie ein Gebilde, das in unserer Geschichte ohne Vorbild ist. Nicht mehr der Untertan des kaiserlichen oder königlichen Kriegsherrn, nicht mehr der Volksgenosse als namenloses Werkzeug der Diktatur, sondern der Bürger in Uniform, eingefügt in eine große Lebens- und Volksgemeinschaft, schützt und verteidigt die Werte, die ihm sein Leben lebenswert machen.In den Anfängen der Bundeswehr steht der Soldat in militärischen Verhältnissen, die in unserer Heeresgeschichte ohne Beispiel sind. Die so viel mißverstandene „civil control", d. h. die Regelung, wonach das demokratische Prinzip, der demokratisch-parlamentarische Vorrang auch für die Streitkräfte gelte und die Soldaten nicht ein Staat im Staat sein dürfen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen bei der Entstehung unserer Bundeswehr gewesen. Sie hat zu neuen Gedanken und zu neuen Prinzipien geführt, auch zu dem, was wir heute
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Dr. SeffrinInnere Führung nennen. Sie besagt im Grunde ganz einfach dies: Auch der Soldat ist Persönlichkeit mit allen Rechten und mit der Würde des Menschen, aber auch mit den Pflichten des Menschen. Mit diesen Grundsätzen sollte die Bundeswehr von innen her ausgestattet werden.Um die so angelegte Entwicklung zu stärken, wurde die Institution des Wehrbeauftragten geschaffen, der als Organ des Bundestages, der Volksvertretung, seine besondere Aufmerksamkeit auf die Bundeswehr zu richten hat. Er macht seine Beobachtungen und teilt sie der Vertretung des Volkes mit. Wir befinden uns gerade in einer solchen Besprechung. Ich glaube, dem, was hier heute über die Institution des Wehrbeauftragen gesagt wurde, kann man seine volle Zustimmung geben.Neu war auch das Kriegsbild, das durch die andere Entwicklung des Wehr- und Kriegswesens entstand. Und der Umstand, daß die neuen Soldaten der Bundeswehr keine Soldaten einer nationalen, sondern in einer integrierten Armee sein sollten, vermehrte die Problematik der Situation, in der die Bundeswehr entstand.Wenn man heute die Bundeswehr vor diesem Hintergrund sieht, dann darf man wohl feststellen, daß sie in dem insgesamt gesehen doch sehr kurzen Zeitraum der sieben Jahre ihres Bestehens, herkommend aus einem gefährlichen und feindlichen Vakuum, werdend und wachsend in einer völlig gewandelten Welt, einen zwar oft mühsamen, manchmal auch holprigen und hastigen, im ganzen aber guten und tapferen Weg gegangen ist. Am Anfang ihres Weges steht die wiedergewonnene Souveränität. An ihrem Wege stehen schon im November 1958, im August 1961 und wiederum im Jahre 1962 die Marksteine der politischen Bedeutung dieser neuen Institution. Sie hat in sieben Jahren ihre geistigen Gegner von ihrem Sein und von ihrer Notwendigkeit überzeugt.Wenn wir nun gleichsam Inventur machen, dann nicht, weil wir unzufrieden wären. Wir wollen vielmehr anerkennen, was geleistet wurde, wollen Schlechtes korrigieren, Wertvolles fördern. Vergessen wir dabei auch nicht, daß die Bundeswehr ein Spiegelbild der Situation in unserem Volk ist: nicht nur die guten, auch die schlechten Lebensformen und Lebensarten unseres Volkes zeigen sich in der Bundeswehr. Zum Beleg dessen sei hier noch einmal vorgetragen, was der Verteidigungsminister am 30. Januar 1964 in Godesberg gesagt hat, daß sich nämlich die weithin in der Öffentlichkeit festzustellende mangelnde staatsbürgerliche Gesinnung, das ungezügelte Verlangen nach Bindungslosigkeit, das Mißdeuten und Mißverstehen des Freiheitsbegriffs, die Übersteigerung des materiellen Denkens, dem Begriffe wie Pflicht und Dienst immer fremder werden, daß sich diese Züge in unserem Volksganzen natürlich auch in ,der Bundeswehr in dieser oder jener Form wiederfinden.Wenn man sich nun im einzelnen einer Art Inventur zuwendet, dann sei zunächst auch von unserer Seite aus die Institution der Wehrbeauftragten betrachtet. Es wurde davon gesprochen, daß ihre Anfänge von manchem Mißtrauen umstellt waren, daßes Leute gab, die davon sprachen, mit dem Wehrbeauftragten käme vielleicht eine bedenkliche Komponente in unsere Wehrverfassung. Seitdem sind sieben Jahre vergangen, und wir können wohl sagen, daß sich die Institution ausgesprochen bewährt hat. Heute dürfen, ja müssen wir sagen, daß wir die Institution des Wehrbeauftragten, wenn wir sie nicht hätten, tatsächlich schaffen müßten. Sie ist eine Institution, in der sich die Kontrolle des Volkes gegenüber der Streitmacht manifestiert. Die Tatsache, daß heute erörtert wurde, ob der Wehrbeauftragte vor dem Parlament sprechen sollte oder nicht, ist meines Erachtens nicht Ausdruck der Skepsis, sondern vielmehr Ausdruck dafür, wie sehr wir uns überlegen, die Position des Wehrbeauftragten, den Wert dieser Institution in ihrem Wirken zu fördern.Ich stimme auch dem zu, was hier im Blick auf die Innere Führung gesagt wurde. Die Prinzipien der Inneren Führung sind von Anfang an Elemente der Bundeswehr gewesen, und wenn auch, wie es scheint, sich Schwierigkeiten eingestellt haben, so sollten diese doch in keiner Weise Anlaß dafür sein, von dem Prinzip der Inneren Führung abzuweichen, einem Prinzip, das, wie ich glaube, für die für unseren demokratischen Staat errichtete Bundeswehr notwendig ist. Diejenigen, die sich innerhalb und auch außerhalb der Bundeswehr ihre Gedanken machen, ob das alles nun wirklich so richtig sei, was man mit der Inneren Führung erreichen wolle, muß man nicht unbedingt als restaurative Kräfte bezeichnen. Ich jedenfalls möchte solche Überlegungen nicht als „restaurativ" ansehen, sondern darin einen Ausdruck der inneren Anteilnahme, des inneren Wollens für unsere Bundeswehr sehen.So wie unser Staat heute gebaut ist, kann in keiner Weise daran gedacht werden, in der Bundeswehr eine innere Oordnung, ein inneres Prinzip zu entwickeln, das unserem gesamtstaatlichen demokratischen Prinzip nicht entspräche. Dadurch würden Spannungen entstehen, die zu schwierigen Verhältnissen führen könnten. Ich bin vielmehr der Meinung, daß im Rahmen des Möglichen und im Rahmen der kurzen Zeitspanne, die uns zur Verfügung stand, um das Neue zu erproben, das Prinzip der Inneren Führung als des Ordnungsgesetzes unserer Bundeswehr sich absolut bewährt hat. Wir sollten daher nicht daran denken, irgendwelche Änderungen, schon gar nicht Änderungen restaurativer Art, vorzunehmen, sondern wir sollten im Gegenteil nach vorwärts denken und die Entwicklung der Bundeswehr aus den Prinzipien der Inneren Führung weiter im Auge behalten.Sowohl im Bericht des Wehrbeauftragten als auch von meinen Herren Vorrednern ist darauf hingewiesen worden, daß die Schwierigkeiten in der Bundeswehr vor allem bestimmten Schwachen in der Ausbildung entspringen, d. h. daß wir in der Bundeszu wenig Ausbilder, Offiziere und Unteroffiziere, haben. Sie wissen vielleicht auch, daß die Zahl der fehlenden Unteroffiziere heute weit über die früher genannte Zahl von 20 000 hinausgeht, daß wir etwa 93 000 Unteroffiziere haben und etwa 138 000 Unteroffiziere bräuchten. Der Unteroffizier ist heute zu einem sehr wichtigen Problem innerhalb unserer
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Dr. SeffrinBundeswehr geworden. Wenn es heute schon schwerer ist als früher, Offizier zu sein, so ist es heutenoch viel schwerer als früher, Unteroffizier zu sein.Wir verstehen durchaus die Wünsche und Forderungen, die von den Unteroffizieren nach entsprechender Einordnung und Ausstattung ihres Standes erhoben werden. Die Einrichtung von Unteroffiziersschulen wird eine Hilfe, wahrscheinlich eine sehr gute Hilfe, sein, da es ja bei den Unteroffizieren nicht nur darauf ankommt, etwa statt nur 100 000 die notwendigen 130 000 zu haben. Es ist also nicht nur die Quantität, die Zahl, auf die es ankommt, es kommt mehr noch auf die Qualität, auf den Wert, auf die Leistungsfähigkeit der Unteroffiziere an.
Denn sie sind die Männer, die bei der Ausbildung unmittelbar mit den Soldaten zu tun haben.Darf ich an dieser Stelle auch auf folgendes hinweisen. Im Zusammenhang mit Nagold und den anschließenden Prozessen ist gesagt worden: „Die kleinen Ausbilder, die Gefreiten, die Unteroffiziere faßt man, die werden bestraft, und die Großen läßt man laufen." Ich glaube, daß hier eine falsche Optik obwaltet. Man muß wissen, daß wir — auch das war eine wichtige Neuerung — bei der Ordnung des Rechtswesens für unsere Bundeswehr von Anfang an von dem Wert und von der Würde des Menschen und von der Auffassung ausgingen, daß der Soldat nicht eine eigene Gerichtsbarkeit, etwa mit einem Obersten Gerichtsherrn, bekommen sollte, sondern daß auch der Bundeswehrsoldat als Teil unserer Volksgesamtheit dem allgemeinen Gesetz und dem allgemeinen Richter untersteht, soweit es sich nicht um Vorgänge handelt, die als Disziplinarfälle innerhalb der Bundeswehr geregelt werden können. Deshalb werden die Vorgänge in Nagold, soweit sie strafrechtlichen Charakter haben, vor dem ordentlichen Gericht verhandelt, während das Verhalten der Offiziere, die nicht unmittelbar mit der Ausbildung zu tun hatten, disziplinarisch geahndet wird.Ich möchte meinen, daß zu der Angelegenheit Nagold nichts Besseres gesagt werden kann als das, was in der ausgezeichneten Denkschrift steht, die das Bundesverteidigungsministerium zu dieser Angelegenheit herausgegeben hat. Darin sind nicht nur die Vorgänge und der Ablauf der Nagold-Angelegenheit dargestellt, in dieser Denkschrift sind vor allem — und das scheint mir das Wichtigste und das Wesentlichste daran zu sein — die Ursachen aufgezeigt, vor allem aber werden Maßnahmen vorgesehen und Erkenntnisse für eine Besserung gewonnen. Ich kann es mir deshalb ersparen, auf Einzelheiten im Zusammenhang mit Nagold hier näher einzugehen.Es ist bekannt, daß in der Bundeswehr noch andere Schwierigkeiten entstanden waren. Schon vor, aber auch nach Nagold wurde in der Öffentlichkeit vielfach gesagt, die Bundeswehr stelle nicht gerade eine Auslese der besten jungen Männer unseres Volkes dar. Ich weiß nicht, was eine solche Aussage überhaupt will. Will sie alte Ressentiments gegen die Bundeswehr wiederbeleben, oder will sie ernsthaft auf einen Sachverhalt hinweisen, der,wenn er vorläge, wirklich behoben werden müßte? Ich glaube nicht, daß sich in der Bundeswehr eine negative Auslese aus unserem Volke versammelt hätte; und wir können nach den jetzt vorgesehenen Änderungen des Musterungs- und des Einberufungsverfahrens sagen, daß eine Wandlung Platz greifen und künftig zu solchen Beurteilungen kein Anlaß mehr bestehen wird, daß also Bundeswehrsoldaten nicht mehr als eine negative Auslese, sondern eher als eine positive Auslese unseres Volkes gelten können.Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Man stellt der Bundeswehr, glaube ich, auch. Forderungen und Aufgaben, die sie nicht immer von sich aus so erfüllen kann, wie das die Kritik an der Bundeswehr will. Wenn etwa von der Notwendigkeit des staatsbürgerlichen Unterrichts gesprochen wird oder wenn man den Bundeswehrangehörigen als einen Staatsbürger in Uniform bezeichnet, dann soll man sich darüber klar sein, daß, wenn dieser Staatsbürger in Uniform Fehler hat oder die Bundeswehr mit ihrem staatsbürgerlichen Unterricht die erstrebten Ziele nicht zu erreichen vermag, die Bundeswehr in 18 Monaten nicht all das nachholen und wettmachen kann, was vorher in 18 und 20 Jahren versäumt worden ist. Die Konzeption des Staatsbürgers in Uniform setzt voraus, daß derjenige, der die Uniform anzieht, schon ein Staatsbürger sei. Daran aber fehlt es oft sehr. Dieser Umstand soll uns jedoch nicht kopfscheu machen und dahin bringen, daß wir von der gesunden, richtigen Auffassung und Forderung abgehen, daß der Bundeswehrangehörige ein Staatsbürger in Uniform sein soll. Aber wir müssen schon Wert darauf legen, daß wir zunächst einmal richtige Staatsbürger in Zivil sind; denn dann können wir auch richtige Staatsbürger in Uniform sein. Solange man hier von der Bundeswehr verlangt, daß sie das, was Schule, Elternhaus und Gesellschaft in vielen Jahren versäumt haben, in 18 Monaten nachholt, ist die Bundeswehr ganz einfach überfordert.Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein anderes Problem hinweisen, das angesichts der Vorfälle in Nagold aktuell geworden ist: die körperliche Leistungsfähigkeit unserer Bundeswehrsoldaten. Man hat darauf hingewiesen, daß an die Männer der Bundeswehr zu harte und zu schnell harte Ansprüche, körperliche Leistungen zu vollbringen, gestellt würden. Das mag manchmal zutreffen. Aber man sollte dabei auch daran denken, daß die Männer, die zur Bundeswehr kommen, hinsichtlich ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit und sportlichen Vorausbildung — in ähnlicher Weise wie der Staatsbürger, so hier der „Sportbürger", wenn ich einmal so sagen darf — allerlei zu wünschen übrig lassen. Man erwartet nun wiederum von der Bundeswehr, daß sie im Rahmen des großen allgemeinen Auftrages, den sie als soldatische Organisation hat, in wenigen Monaten das nachholt und wettmacht, was vorher versäumt worden ist. Wenn man hört, daß unsere jungen Männer in den Jahren nach ihrer Schulentlassung, bis zum 18. oder 19. Lebensjahr etwa keine entsprechende sportliche Ausbildung betrieben haben, dann wundert man sich darüber. Aber ist es nicht so, daß bei einem großen
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5370 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964
Dr. SeffrinTeil unserer Jugend, insbesondere der männlichen, das Sportbedürfnis vor dem Fernsehschirm und auf den Rängen der Fußballplätze abreagiert wird?
Man hat dann das Gefühl, daß man etwas für den Sport getan habe, aber man läßt sich von dem, was man sieht, nicht aneifern, man treibt selbst weiterhin keinen aktiven Sport. Wenn diese jungen Männer dann zur Bundeswehr kommen, werden sie bei veränderter Lebensweise auch den sportlich immerhin anspruchsvollen Bedingungen unterworfen. Daß es hier zu Kurzschlüssen und Pannen kommt, läßt sich schwer vermeiden. Aber auch hier wird im Rahmen der Gesamtbesinnung der Bundeswehr daran gedacht, daß durch vordringlichen Bau von Sporthallen und durch die Anlage von Sportplätzen die Bundeswehr energischen Willens die Schwächen beseitigt, die sich eingestellt haben.Das weite Gebiet der sozialen Versorgung unserer Bundeswehrangehörigen ist in all den Jahren, die hinter uns liegen, immer wieder angesprochen worden. Die Phase des Aufbaus der Bundeswehr brachte es mit sich, daß die Soldaten sehr häufig ihren Standort und damit die verheirateten Männer ihren Wohnort wechseln mußten. In vielen Fällen war es nicht möglich, bei diesen ständigen Veränderungen dafür zu sorgen, daß der versetzte Bundeswehrangehörige am neuen Standort eine Wohnung bekam und seine Familie mitnehmen konnte. Die Bemühungen der Bundeswehrführung, diesen Mängeln entgegenzuwirken, sind anzuerkennen. Sicher war es angesichts der allgemeinen Verhältnisse nicht möglieh, mehr als das zu tun, was getan wurde.Immerhin hat die Bundeswehr jahrelang durchschnittlich tausend Wohnungen im Monat gebaut, sie wird auch künftig dafür sorgen, daß der Wohnungsbau für ihre Angehörigen vorangeht, damit die Schwierigkeiten auf diesem Sektor allmählich ausgeräumt werden.Mit dem Wohnungsproblem und den ständigen Veränderungen hängen auch die Schwierigkeiten zusammen, die sich bei den verheirateten Bundeswehrangehörigen hinsichtlich der Umschulung der Kinder ergeben. Hier kann eine Änderung kaum durch eine Lösung von oben her erfolgen. Man sollte allerdings in den Beratungen der Ständigen Konferenz der Kultusminister dem Problem einer .stoffmäßigen und fachmäßigen Angleichung und Annäherung der Schulen ein besonderes Augenmerk widmen und alles tun, was man überhaupt tun kann, um die Unterschiede, die sich bei den Versetzungen und beim Wohnungswechsel nachteilig auswirken, auf ein 'erträgliches Maß zu begrenzen.Die Sorge um den Soldaten in ,abgelegenen Standorten oder auch in Standorten, die sich mitten im pulsierenden Leben einer Großstadt befinden, stellt uns vor besondere Aufgaben. Deshalb wird der Bau von Heimen für die Bundeswehr in den Planungen des Verteidigungsministeriums in besonderem Maße berücksichtigt.Noch ein Wort zu den Beziehungen zwischen der Bundeswehr und der Öffentlichkeit. Ich darf wohl feststellen, daß die Bundeswehr in weiten Kreisenunseres Volkes heute wirklich als eine Institution angesehen wird, der man nicht mehr mit Mißtrauen oder Ablehnung begegnet. Sie ist als Teil unseres Staatswesens und unseres Volkes anerkannt. Weil aber die Bundeswehr ein integrierender Bestandteil unseres Staates und unseres Volkes ist, muß man ihr zugestehen, daß auch sie ihre Meinung sagen darf, wenn sie Gegenstand von Fernsehsendungen oder des Hörfunks wird. Ich glaube, man kann es der Bundeswehrführung nicht verwehren, daß sie in solchen Fällen, wo offenkundig ein Mißverständnis oder Unkenntnis obwaltet oder wo sie aus anderen Gründen die ihr gegebene Aufgabe hinsichtlich der Bundeswehrangehörigen gefährdet sieht, zu solchen Sendungen und Berichten Stellung nimmt. Man sollte der Bundeswehr nicht einen Maulkorb umhängen und ihr die Stellungnahme verbieten.Ich habe mit den von mir angeschnittenen Themen wesentliche Punkte erwähnt. Es gäbe ihrer noch mehr. Ich möchte nur am Rande auf etwas anderes hinweisen, ohne zu sagen, daß die Fälle gleich seien. Ich habe mir etwa die Vorgänge angesehen, die sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahres in der Schweiz abspielten, wo bei einer Übung einer Einheit des schweizerischen Bundesheeres zwei Offiziersanwärter den Tod fanden. Ich habe mir einmal die schweizerische Presse daraufhin angesehen, wie sie Stellung nimmt und wie sie sich zu Vorwürfen äußert, daß im schweizerischen Bundesheer etwa Foltermethoden angewandt worden seien. Ich weiß, daß die Schweizer — —
Herr Präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Herr Dr. Seffrin, ich wollte Sie fragen, ob wir Gelegenheit haben werden, im Laufe Ihrer Rede noch einmal auf den Bericht des Wehrbeauftragten zurückzukommen?
Ich glaube, Herr Kollege, daß das, was ich hier sage, mit dem Bericht des Wehrbeauftragten zusammenhängt. Denn alle die Punkte, die ich angesprochen habe, sind im Bericht des Wehrbeauftragten genauso angesprochen.
Ich habe die Vorgänge, die sich in der Schweiz abgespielt haben, auch in der schweizerischen Presse verfolgt. Ich bin erstaunt darüber, wie sachlich und ruhig, wie ohne Aufbauschung dort die Dinge dargestellt und behandelt werden. Wir sollten auch einmal soweit kommen, daß wir die Angelegenheiten unserer Bundeswehr, auch wenn sie nicht gerade so sind, daß wir ihnen Beifall zollen müssen, sondern wenn sie so sind, daß wir mit ihnen unzufrieden sein können, trotzdem sachlich und ruhig und in einfacher Weise erörtern. Davon wird letztlich nicht nur die Bundeswehr selbst, davon werden auch wir alle einen Gewinn haben.Ich möchte mich an dieser Stelle nicht mehr mit der Frage der Konsolidierung beschäftigen, die natürlich, Herr Kollege Buchstaller, auch eine Frage ist,
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Dr. Seffrinderen Notwendigkeit sich aus gewissen Feststellungen des Wehrbeauftragten ergibt. Ich möchte auch die Frage der Organisation der Bundeswehr an der Spitze hier nicht ansprechen. Man kann all diese Probleme auch in dem Bericht des Wehrbeauftragten erkennen; denn irgendwo wirkt sich das, was an der Spitze geschieht, auch nach unten aus, und umgekehrt.Lassen Sie mich an dieser Stelle meinen Beitrag abschließen. Auch wir von der CDU sind sehr damit einverstanden, daß der Bericht des Wehrbeauftragten nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den kommenden Jahren in größtmöglichem Umfang in der Truppe verteilt wird und daß er, wie das auch vorgesehen ist, in der Truppe zur Grundlage von Unterricht und Aussprache gemacht wird. So können auch von hier aus wieder für die nächste Phase in der Entwicklung der Bundeswehr helfende und aufbauende Kräfte wirksam werden.
Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie bitte, daß Ihnen nach den Darlegungen des Herrn Berichterstatters und der drei Sprecher der Fraktionen auch der zuständige Ressortminister seine Auffassung zu dem Thema vorträgt, das heute das Hohe Haus beschäftigt.
Ich darf mit einer grundsätzlichen Feststellung beginnen und herausstellen, daß nicht nur ich persönlich, sondern auch das Ministerium der Verteidigung die Institution des Wehrbeauftragten bejahten, und zwar nicht nur, weil sie im Gesetz verankert ist, das das Hohe Haus gegeben hat, sondern weil meine Mitarbeiter und ich persönlich auch von der nützlichen Wirksamkeit dieser Einrichtung überzeugt sind.
Ich darf aber auf ein paar Punkte eingehen, die im Laufe dieser Debatte von den Sprechern der Fraktionen genannt worden sind. Es wurde wenig angedeutet, daß nicht überall in der Bundeswehr, auch nicht im Ministerium, diese Einrichtung wirklich begrüßt werde und überall ihre Unterstützung finde. Ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Richtlinie des Ministeriums vorschreibt, alles zu tun, um dem Herrn Wehrbeauftragten seine Arbeit draußen zu erleichtern. Sollte hier und dort vielleicht einmal ein begründeter Vorgang von Ihnen zur Kenntnis genommen werden, so lassen Sie uns das wissen; dann werden wir diesem Vorgang nachgehen.
Eingangs wurde von dem Herrn Abgeordneten Paul, dem Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, die Frage gestellt, ob es nicht besser sei, diesen Bericht bis in die Kompanien hinein zu verteilen. Er meinte, wenn das geschehen wäre, hätte es möglicherweise für die Erscheinungen, die in Nagold jetzt sichtbar geworden sind, nicht erst einen Ansatzpunkt gegeben. Dazu darf ich darauf verweisen, daß bei uns eine Weisung besteht, daß sich die Einheiten — und zwar in diesem Fall die Bataillone —
diesen Bericht, der nicht vom Ministerium erstellt wird, sondern vom Wehrbeauftragten, also einem Organ des Bundestages, beschaffen und ihn verteilen bis zu den Kompanien hin. Ich würde es persönlich begrüßen, wenn man einen einfachen Weg dadurch fände, daß uns im Ministerium dieser Bericht in einer ausreichenden Anzahl zur Verfügung gestellt würde, damit wir vom Ministerium aus die Verteilung bis unten hin vornehmen könnten. Ich möchte persönlich diese Bitte äußern. Ich wäre dankbar, wenn das Hohe Haus bei dem nächsten Bericht — 1963 — in dieser Weise verfahren könnte.
In der Debatte hat der Abgeordnete Paul schon darauf verwiesen, daß die Kommandeure, die Offiziere, aber auch die Unteroffiziere überfordert seien, und zwar nicht nur mit soldatischen Aufgaben, sondern auch, wie er sich ausdrückte, mit „überflüssigem Bürokram". Er meinte, es sei wichtiger, an Stelle der Erstattung formaler Meldungen oder des Studiums der Erlasse des Ministeriums die Menschen selber, die Soldaten, zu betreuen. Ich stimme zunächst dem letzten Satz zu, daß wir alles zu tun haben, um den Soldaten zu betreuen, den Soldaten zu führen, ihn anzuleiten, ihn auch zu der Aufgabe, die er in der Bundeswehr zu erfüllen hat, anzuleiten, ihn wirklich zu führen.
Zu der Frage aber, ob man statt der Betreuung der Menschen die Zeit damit verbringt, formale Meldungen zu erstatten und Erlasse zu studieren, darf ich doch vielleicht auf folgendes hinweisen. Nicht nur von dem Abgeordneten Paul, sondern auch von dem Sprecher der Freien Demokraten ist die Behauptung aufgenommen worden, daß ein Übermaß an Papierkrieg draußen den Einheitsführer bedrücke, und zwar seit 1958. Herr Abgeordneter Schultz, ich darf darauf aufmerksam machen, daß das Ministerium 1958 eine Vereinfachungskommission eingesetzt hat, die den Papierkrieg bereits um 60 auf 40% vermindert hat, und zwar mit dem Schwerpunkt auf dem vielgeplagten Kompaniechef.
Sie sind Abgeordneter des Bundestages, vom Volke gewählt, und Sie sind souverän. Herr Abgeordneter Schultz, wenn Sie morgens Ihre Post abholen, dann werden Sie als souveräner Abgeordneter wahrscheinlich 90 % des Papiers, das Sie vorfinden, in den Papierkorb schieben.
— Sehr richtig! — Wenn ich aber bei meinen Kompaniechefs nachher etwa auch konstatiere, daß sie sich souverän fühlen und 90% des Papiers, das von uns kommt, in den Papierkorb fegen, dann möchte ich einmal sehen, wie rasch das Thema Ungehorsam aufkommt und geklagt wird, daß der Kompaniechef nicht gelesen hat, was ihm von oben zugeleitet worden ist.
Es ist also nicht ganz einfach, eine Auswahl zu treffen zwischen dem Papier, das ein Offizier oder auch ein Unteroffizier lesen muß, und dem, was man ihm gerne ersparen würde. Denn, meine Da-
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Bundesminister von Hassel
men und Herren, das Papier kommt nicht nur von den Verwaltungsstellen des Ministeriums; auch die Soldaten selber sind durchaus geübte „Papierkrieger" und bereit, sehr viel Papier zu produzieren, und zwar einfach deshalb, Herr Abgeordneter, weil alles, was nicht von oben befohlen wird, irgendwann einmal dem Soldaten unten vorgehalten werden kann, daß er etwas getan hat, was nicht von oben befohlen worden ist, und daß er unter Umständen etwas falsch gemacht hat, einen Fehlgriff getan hat. Damit wird er nachher in den Augen seiner Vorgesetzten oder in den Augen der Öffentlichkeit sehr rasch abqualifiziert.
Das Ministerium bemüht sich deshalb, den papiernen Teil seiner Aufgabe so gering wie irgend möglich zu halten. Ich habe schon einmal von diesem Pult aus das Hohe Haus gebeten, dabei behilflich zu sein, daß auch das, was man in Gesetzesform kleidet, nicht nachher bei der Ausführung nach unten in einem Übermaß an Papier verarbeitet werden muß. Wenn man bereit ist, und zwar vom Parlament aus, uns in dieser Richtung zu helfen, dann glaube ich, daß auch der einzelne Einheitsführer unten eine gewisse Entlastung erfährt.
Der Abgeordnete Schultz hat bei den Themen, die er angesprochen hat, auch auf die Informationstagungen zwischen dem .Bundesjustizministerium, den Wehrstrafrichtern und den Anwälten verwiesen, und er hat dabei auch das Thema des Arrests und des Arrestanten im Verhältnis zu dem Soldaten, der einen harten Dienst machen muß, gestreift. Dazu möchte ich zweierlei sagen, Herr Abgeordneter Schultz. Das eine ist dies: die Tagungen, die der Bundesminister der Justiz veranstaltet, werden von dem Bundesminister der Verteidigung sehr begrüßt. Wir würden es aber auch begrüßen, wenn Abgeordnete des Bundestages daran teilnähmen. Wie ich vom Bundesministerium der Justiz erfahren habe, ist für die nächste Tagung vom 24. bis zum 28. Februar bisher nicht ein einziger Abgeordneter gemeldet worden, obgleich diese Tagung schon in der nächsten Woche beginnt und obwohl die Fraktionen angeschrieben worden sind.
— Ja, ja, da waren auch nur Sie da, aber nicht die anderen.
— Jawohl. Ich habe — Sie können sich darauf verlassen — einen sehr graben Brief an meine politischen Freunde geschrieben; er hat aber offenbar nicht gefruchtet; denn bis heute sind keine Meldungen eingegangen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, es ist Ihnen doch sicher bekannt, daß diese Tagungen noch mehrfach im Laufe des Jahres stattfinden und daß wir nur wegen anderer Verpflichtungen jetzt im Februar noch nicht daran teilnehmen konnten? Aber ich darf Ihnen die Versicherung geben — obwohl ich das eigentlich nicht darf, weil es keine Frage ist —, daß wir bestimmt daran teilnehmen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die zweite Frage, die der Herr Abgeordnete Schultz angeschnitten hat, war die, ob man eine Umgestaltung des Arrestvollzuges erreichen könne. Herr Abgeordneter Schultz, ich darf Ihnen, um die Zeit heute hier nicht allzusehr in Anspruch zu nehmen, einmal die Abschrift eines Briefes schicken, den ich vor einigen Monaten an einen der Abgeordneten des Bundestages geschickt habe und in dem die Vorgeschichte der Entwicklung der Freiheitsentziehung und der Frage nach dem verschärften Arrest dargestellt worden ist. Man ist aber seinerzeit, als man hier im Plenum über den Antrag der Bundesregierung zur Einführung des verschärften Arrests diskutiert hat, einheitlich der Meinung gewesen, daß man in einer solchen Frage dem Vorschlag der Bundesregierung nicht folgen könne.
Weiter ist das Thema aufgenommen worden, daß der Wehrbeauftragte auch auf die persönliche Situation des Soldaten, auf die Wohnungslage, den Sport usw. aufmerksam gemacht habe und daß es erst des Berichtes des Wehrbeauftragten bedurft habe, um gewisse Schwierigkeiten zu bereinigen, Notstände abzustellen. Ich möchte dem Sprecher der SPD antworten, daß ich in dem ersten Jahr meiner Tätigkeit etwa 45 oder 47 Tage draußen bei den Einheiten gewesen bin und mich dort auf Schritt und Tritt habe selber überzeugen können, wo denn diese Schwierigkeiten im persönlichen Bereich liegen.
Die Mitglieder des Ausschusses für Verteidigung, aber auch des Haushaltsausschusses wissen, daß ich daraufhin eine Reihe von Maßnahmen angeordnet habe, z. B. den raschen Bau von Sportstätten aller Art, mich mit der Lösung des Problems der Soldatenheime, der Unteroffiziersheime, der Offiziersheime und ähnlichem beschäftigt habe.
Es wird das Hohe Haus interessieren, daß wir z. B. 154 eigene Sportplätze haben, daß wir 112 angemietet haben, und daß es unser Ziel ist, zu erreichen, daß der Bedarf voll gedeckt wird. 27 Sportplätze sind im Bau, für das Jahr 1964 sind weitere 40 vorgesehen, und im Jahre 1965 werden weitere 25 folgen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erler?
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte schön!
Herr Abgeordneter Erler!
Herr Minister, war Ihnen bei den durchaus zutreffenden Bemerkungen, die Sie eben gemacht haben, entgangen, daß sich die Ausführungen meines Kollegen Paul zu diesem Punkt auf den Bericht des Wehrbeauftragten über das Jahr 1962 bezogen, also noch gar nicht mit Ihrer Amtsführung zusammenhängen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich pflege nicht hier heraufzusteigen und mich reinzuwaschen und meinen Vorgänger anzugreifen oder ihn zu kritisieren. Hier ist gesagt worden, es habe erst des Berichtes des Wehrbeauftragten bedurft, um das Ministerium überhaupt zu einer Aktion zu veranlassen. Daraufhin erkläre ich: der Bericht des Wehrbeauftragten, den ich begrüße, ist das eine; meine eigenen persönlichen Besuche bei der Truppe sind das andere. Ich habe im vergangenen Jahr etwa 47 Tage bei der Truppe verbracht, nicht in den Offizierskasinos, sondern überall, wo es für einen Minister etwas zu lernen, zu erfahren und später auch abzustellen gilt.
Ich möchte darauf verweisen, daß angesichts der an- gestrengten Finanzlage, in der sich die Verteidigung insgesamt befindet, die erste Priorität dem Ausräumen all der Schwächen und Lücken, die überall im Bereich des Persönlichen vorhanden sind — ich wiederhole: von der Wohnung bis zum Sportplatz oder vom Sportplatz bis zur Wohnung —, gebührt.Herr Abgeordneter Schultz warf eine weitere Frage auf, den Vorschlag, die Stäbe auszukämmen, um Kräfte für die Truppe freizustellen. Dazu darf ich zwei Bemerkungen machen, Herr Abgeordneter. Eine ist ein Musterbeispiel für die These, die Sie eben gebracht haben: Die im Jahre 1963 vollzogene Umgliederung der Luftwaffe führte zu einer Einsparung von Stäben mit einer Gesamtzahl von etwa 320 Offizieren. Wir mußten also in diesem Ausmaß nicht aus der Truppe 320 Offiziere in die Stäbe heraufziehen, sondern konnten sie der Truppe belassen. Sie sehen also Ihre Auffassung dadurch bestätigt, daß dies 1963 für eine Teilstreitkraft, die Luftwaffe, geschehen ist. Ich hoffe, daß wir 1964 für eine andere Teilstreitkraft, die Marine, eine ähnliche Möglichkeit finden werden.Das zweite, und das wird zu gegebener Zeit an den Haushaltsausschuß und Verteidigungsausschuß herankommen: Wir bemühen uns zur Zeit darum, zusätzliche Stellen im Bereich der Hauptleute bis zu den Oberstleutnanten zu gewinnen, um die auslaufenden Hauptleute, Majore und Oberstleutnante in anderen Stellen in einer Aufgabe zu verwerten und damit die eigentliche Stelle, die sie heute haben, für den Truppenoffizier frei zu machen. Wir hoffen, daß wir dazu in Kürze an die beiden Ausschüsse des Bundestages herangehen können.Von den Sprechern der Fraktionen — und dafür möchte ich besonders danken — ist zum Ausdruck gebracht worden, daß dieser Bericht und die im Zusammenhang mit ihm zuweilen erwähnten Vorfälle in Nagold nicht symptomatisch für die ganze Bundeswehr sind. Es ist naturgemäß so, daß ein Bericht des Wehrbeauftragten im wesentlichen eine Reihe negativer Erscheinungen und Vorkommnisse in der Bundeswehr, mit denen der Wehrbeauftragte dienstlich zu tun hatte, zusammenstellt. Deshalb ist es natürlich, daß auf Grund einer derartigen Zusammenstellung eventuell ein einseitiger Vorwurf oder ein einseitiges Bild der Bundeswehr entstehen kann. Das liegt in der Natur der Institution. Man sollte aber darauf verweisen — und das hat das Hohe Haus getan —, daß all das nicht für die ganze Bundeswehr symptomatisch ist, sondern daß, wie es der Berichterstatter sagte und wie es der Herr Wehrbeauftragte in seinem Bericht formulierte, sich für jedes Beispiel falschen Verhaltens eines Soldaten viele Beispiele vorbildlichen Verhaltens anführen ließen. Damit, scheint mir, sind die Maßstäbe gesetzt worden.
Die Abgeordneten, die für ihre Fraktionen sprachen, haben Nagold nur einmal gestreift. Im Ausschuß für Verteidigung sind die dortigen Vorfälle eingehend diskutiert worden, hier sind sie nur gestreift worden. Ich glaube, das ist gut so; denn wir alle haben wohl den Eindruck, daß das Thema mit der Veröffentlichung des Berichtes über den Vorgang Nagold vom 31. Januar dieses Jahres zunächst einmal in einem gewissen Umfang abgeschlossen ist. Noch bleiben die Disziplinarverfahren, und ich kann Ihnen versichern, daß ich persönlich alles tue, um darauf einzuwirken, daß diese Verfahren rasch ihren Fortgang nehmen. Sie wissen aber, daß die Disziplinarrichter unabhängig sind, daß ihnen also keine Weisung gegeben werden kann. Noch bleibt außerdem der Fortgang der Gerichtsverfahren, soweit eine weitere Instanz angerufen worden ist.Inzwischen erkennen aber wohl alle, daß Nagold kein Symptom ist, daß es nicht für den Geist unserer Streitkräfte symptomatisch ist, sondern daß hier unüberlegtes Versagen einzelner und aus falschverstandenem Elitedenken entstandene Fehlleistungen einer Truppe oftmals der ganzen Armee angelastet worden sind und damit ihr Wert im Ansehen nicht nur der eigenen Bürger der Bundesrepublik, sondern auch des Auslands herabgesetzt wurde.Wir leben in einem Rechtsstaat, und auch die Bundeswehr in diesem Rechtsstaat ist an Rechtsgrundsätze gebunden. Die Grundsätze der Inneren Führung in diesem Rechtsstaat sind für uns in der Bundeswehr unumstößliches und uns alle verpflichtendes Gesetz. Jeden, der gegen dieses Gesetz verstößt, trifft die Härte der Strafe, und über diese Prinzipien — so habe ich es mehrfach zum Ausdruck gebracht — gibt es keine Diskussion.Wenn man die bedauerlichen negativen Erscheinungen und Vorfälle, die in dem Bericht des Wehrbeauftragten zusammengestellt sind, und auch die Geschehnisse in Nagold und anderswo dem gegen-
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Bundesminister von Hasselüberstellt, was die Bundeswehr im Verlaufe ihres mühsamen Aufbaus geleistet hat, und wenn man diese ungeheure Aufbauleistung und die hervorragende Leistung der Offiziere und Unteroffiziere insgesamt wertet, die aus dem Nichts heraus jenes Instrument geschaffen haben, das heute die Sicherheit unseres Vaterlandes garantiert, dann, scheint mir, erhält man erst den richtigen Maßstab für die Beurteilung dieser Vorgänge.Man darf in unser aller Interesse gerade in diesem Hohen Hause, in dem einst die Schlachten um die Wiederbewaffnung tobten, nicht vergessen, daß uns damals der Zwang der Zeit vor das Problem stellte, möglichst rasch eine Armee aufzubauen. Und man darf nicht vergessen, daß keine Armee der Welt, auch nicht die unsere, die in diesen wenigen Jahren aus dem Nichts herausgestampft werden mußte, nur aus Engeln besteht.Gerade weil ich erst ein reichliches Jahr im Amt bin — eine Zeitspanne, die mir das ganze Ausmaß der bisherigen Leistungen erkennbar macht, aber eine Zeitspanne, die wohl das Eigenlob ausschließt, weil ich da noch nicht die Verantwortung trug —, fühle ich mich verpflichtet, den Dank und die Anerkennung den vielen Tausenden von Offizieren und Zehntausenden von Unteroffizieren zu sagen, die dem Auftrage dieses Hohen Hauses gemäß als treue Diener des Vaterlandes unter schwersten Bedingungen und Belastungen ihre Pflicht erfüllten, den Dank zu sagen den Soldaten, die sich ihrer Leistung wahrhaftig nicht zu schämen brauchen.
Mag man auch den Aufbau noch nicht ganz 'abgeschlossen haben; die Bundeswehr steht. Sie stand, als so manche Krisen in der jüngsten Vergangenheit die Welt in Angst vor einem möglichen Krieg erzittern ließen; sie stand in den Krisen um Berlin, sie stand, als die Kuba-Krise die Welt an den Rand des Krieges brachte und dramatische Ereignisse aufeinander folgten; sie stand aber auch und half, wo sie nur konnte, und war zur Stelle — um ein paar Beispiele zu erwähnen —, als die Erdbebenkatastrophe Marokko heimsuchte, als die große Flut die Deiche meiner engeren schleswig-holsteinischen Heimat, des Nachbarlandes Hamburg oder Niedersachsens durchbrach. Damals verstummte der Mund so mancher, die unbedacht nichts Gutes an den Männern der Bundeswehr ließen, die in dieser Notzeit ihr Leben in die Schanze schlugen. Die Bundeswehr hat in diesen Jahren bewiesen, daß sie kein „ungeratenes Stiefkind der Nation" ist, kein Haufe, in dem sich wildgewordene Unteroffiziere und Kompaniechefs austoben. Für „Himmelsstoß" und „Platzek" ist in der Bundeswehr kein Platz. Offiziere und Unteroffiziere sind an die Grundsätze der Inneren Führung gebunden. Diese Grundsätze durchziehen den gesamten Bereich der Ausbildungs- und der Führungsrichtlinien. Sie sind in Vorschriften, in Erlassen und Ausbildungsrichtlinien niedergelegt. Ich habe in meiner — sicher auch Ihnen bekannten — Stellungnahme zu den Vorfällen in der Ausbildungskompanie 6/9 in Nagold mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen.Alle diese Grundsätze aber und die Richtlinien, alle organisatorischen Maßnahmen sind doch nur die eine Seite dieser Aufgaben. Die andere Seite bildet die Wirklichkeit, die letztlich in Einzelfällen an der Unzulänglichkeit des Menschen ihre Grenze findet. Erlauben Sie mir die Feststellung, daß die in den vergangenen Monaten täglich zitierte Ausbildungskompanie in Nagold eine von mehr als 3000 Einheiten der Bundeswehr war. Erlauben Sie mir weiter den Hinweis, daß von den 5700 Eingaben, die den Wehrbeauftragten im Jahre 1962 erreichten, nur 1 °/o die angebliche Verletzung der Grundrechte und 8 °/o angebliche Verstöße gegen die Innere Führung betrafen. Ich sagte „angeblich", weil bei diesen Prozentzahlen nicht zwischen begründeten und unbegründeten Beschwerden unterschieden werden kann.Die Bundeswehrführung hat nach reiflicher Überlegung und in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Truppe eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die nicht nur eine Wiederholung des Falles „Nagold" nach menschlichem Ermessen unmöglich machen, sondern die vielmehr der Truppe die Möglichkeit zu innerer Festigung und damit zur Erhöhung ihrer Schlagkraft geben.Lassen Sie mich dabei aber eine Sorge deutlich beim Namen nennen, die Sorge nämlich, daß die breite und nicht mehr endende Diskussion über einzelne Vergehen den Blick auf die Wirklichkeit des Wollens und des Lebens in der Bundeswehr verstellt und deren Wahrheit verdunkelt.
Ich will damit keineswegs die Diskussion über Einzelheiten unterbinden. Ich möchte jedoch die Relationen gewahrt wissen. Darum wende ich mich mit Nachdruck gegen jede ungerechtfertigte Verallgemeinerung, und ich habe dafür zu danken, daß die drei Sprecher der Fraktionen sich heute morgen ebenfalls gegen eine derartige Verallgemeinerung gewandt haben.Unsere Diskussion wird — wie jede Diskussion über diese Frage — um so nützlicher sein, je mehr etwaige Pauschalurteile vermieden werden. Es geht nicht an, die gesamte Bundeswehr in eine Zone des Mißtrauens und der Vorbehalte zu stellen. Das würde die Gefahr einer Entwicklung hervorrufen, die wohl jeder von Ihnen unter allen Umständen vermieden wissen will. Es geht nicht an, daß sich möglicherweise z. B. unsere Unteroffiziere und Offiziere schutzlos einer Welle von Diskriminierungen und Zweifeln an gutem Willen und Können ausgesetzt sehen.
Wie überall so ist auch hier in der Beurteilung die Ausnahme von der Regel streng zu scheiden.Daß es zu Verstößen kommt, ist wohl niemals, in keinem Lebensbereich, völlig auszuschließen. Die Zahl der Übergriffe ist jedoch, wenn man die ganze Bundeswehr ins Auge faßt, minimal. Sie ist so minimal wie in kaum einer anderen Armee.Ich darf Sie vielleicht einmal auf folgendes hinweisen: Gehen Sie einmal Ihren eigenen Wahlkreis durch! Er mag die Größe von 140 000, 150 000,
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Bundesminister von Hassel160 000, 170 000 Wahlberechtigten haben. Die Bundeswehr ist, wenn Sie die zivilen Teile, Beamte, Angestellte, die große Zahl der Arbeiter, hinzunehmen, so groß wie drei, vier, vielleicht sogar fünf Wahlkreise zusammengenommen. Und was geschieht jeden Tag in jedem einzelnen Wahlkreis, auch in Ihrem! Das wird jeweils mit einer Dreizeilenmeldung in der Zeitung notiert, nicht aber in der Form, wie es im Falle Nagold geschehen ist, wo es an die große Glocke gehängt wurde.Ich sage noch einmal: Es gibt wohl keine Armee in der Welt, in der so wenig vorkommt wie bei uns. Und dabei sind die öffentliche Kritik und die Kontrollen so stark wie — mit Sicherheit — in keinem anderen Staat. Das geht so weit, daß heute durch ein Übermaß an Kritik die Gefahr der Unsicherheit und damit letzten Endes das Gegenteil des Gewollten hervorgerufen werden könnte.
Man kann nämlich, meine Damen und Herren, die Innere Führung auch zu Tode diskutieren.
Ich muß ein Weiteres hinzufügen: Die scharfen und eingehenden Belehrungen aller militärischen Vorgesetzten im Zusammenhang mit den Vorgängen in Nagold und die dem Ansehen der Vorgesetzten abträgliche öffentliche Erregung dürfen nicht in eine Schwächung der erforderlichen soldatischen Disziplin umschlagen. So sehr ich von dem Wert eines reinigenden Gewitters überzeugt bin, muß daran gedacht werden, Gegenextreme zu vermeiden. Gerade im gegenwärtigen Augenblick ist es eine hohe Kunst, zu erreichen, daß die Unterführer nicht Unsicherheit und Resignation befällt. Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Aktion gegen die in Nagold sichtbar gewordenen Vergehen als Reaktion eine nicht zu billigende Auflehnung vieler Soldaten gegen den Unteroffizier schlechthin mit sich bringt, auch wenn er korrekte und richtige Mittel der Erziehung anwendet.Gegenüber Empfindlichkeit, die sich heute schon in einer Menge von Beschwerden niederschlägt, gegen .das Gefühl „Freie Bahn für aufsässige und undisziplinierte Soldaten!" muß genauso entschieden Stellung genommen werden wie gegen eine Überschreitung der Befugnisse des Vorgesetzten.
In der Diskussion um die Vorfälle in Nagold blieb weithin unbeachtet, daß sich seit Jahr und Tag monatlich — monatlich! — rund 25 Fälle von Befehlsverweigerung, von Ungehorsam, von tätlichen Angriffen gegen Vorgesetzte ereignen. Es handelt sich hierbei nur um solche qualifizierten Fälle, die mir als besondere Vorkommnisse gemeldet worden sind. Hier liegt, so scheint mir, die Gefahr des Extrems in der anderen Richtung, die die Schlagkraft der Truppe und damit ihren Auftrag letzten Endes gefährden könnte.Wir müssen, meine Damen und Herren, in die Zukunft sehen. Das Problem löst man nicht mit Nörgeleien. Wir müssen den Kommandeuren, den Kompaniechefs, den Zug- und den Truppenführern dieZeit und die Ruhe geben, die sie für eine vernünftige Ausbildung benötigen.
Wir wollen einen besonderen Akzent auf die weitere Entwicklung ihrer Fähigkeit legen, Menschen in unserer Zeit richtig zu führen.Schon heute aber schneidet der Soldat am Ende seiner 18monatigen Dienstpflicht ungleich besser ab als der Ungediente. Das gilt nicht nur für seine Ausbildung im technischen Bereich, die von Wirtschaft und Industrie mehr und mehr anerkannt wird, sondern vor allem für den Bereich seiner staatsbürgerlichen Bildung. Jüngste soziologische Untersuchungen haben das ganz einwandfrei ergeben.Aber die Bundeswehr kann — das ist in diesem Hause schon manches Mal festgestellt worden, gerade auch von dem Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in der letzten halben Stunde — weder die Schule noch die Hilfsschule der Nation sein. Man denke einmal darüber nach, wie es in unserer Bevölkerung aussieht. Ich darf dazu ein paar Sätze zitieren, die ich in meiner Rede vor den Unteroffizieren am 30. Januar gesagt habe: 1. die weithin in der Offentlichkeit festzustellende mangelhafte staatsbürgerliche Gesinnung, 2. das ungezügelte Verlangen nach Bindungslosigkeit, 3. das Mißdeuten und Mißverstehen des Freiheitsbegriffs,
4. die Übersteigerung des materiellen Denkens, dem Begriffe wie Pflicht und Dienst immer fremder werden. — Mit einem solchen jungen Mann also sollen wir in der Bundeswehr fertig werden! Die Führungskräfte in der Bundeswehr, gleich welchen Dienstranges, dürfen nicht überfordert werden. Der „Staatsbürger in Uniform" setzt voraus, daß alle staatstragenden Kräfte dem jungen Menschen ein gewisses Maß an staatsbürgerlicher Bildung mitgeben, bevor er seinen Waffendienst leistet. Hier haben wir alle, Regierung und Parlament, Presse und Offentlichkeit, gemeinsam eine wichtige Aufgabe zu lösen.
Diese Aufgabe, scheint mir, besteht darin — ich darf ebenfalls ein paar Sätze aus meiner Rede vor den Unteroffizieren zitieren —, eine Bundeswehr zu schaffen, die jeder mögliche Gegner respektieren muß, die das Vertrauen unserer Verbündeten verdient und die das Opfer der Staatsbürger wert ist.Ich habe mich an die Unteroffiziere gewandt und ihnen dargelegt, daß jeder von diesen Unteroffizieren bereit sein muß, auch die geringste Pflicht als Herausforderung an Eigenverantwortung, Selbstbeherrschung und Kameradschaft zu erkennen, daß er entschlossen sein muß, Befriedigung aus der Pflichterfüllung nicht in äußerer Anerkennung, sondern im Dienst für den Nächsten zu suchen, daß er gewillt sein muß, dem anderen Vertrauen zu schenken, wie er selbst Vertrauen erwartet. Und ich habe hinzugefügt, daß das alles bedeutet harte körperliche Anforderung an uns selbst, duldsame Kritik in Wort und Gedanken und eine mutige Bereitschaft zum Erleben der Gemeinschaft, und daß, wenn das
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Bundesminister von Hasselzusammenkommt, eine Truppe geformt werden kann, in der Disziplin zum Stolz berechtigt, staatsbürgerliches Bewußtsein die Kampfmoral stärkt und die Zuversicht in die Sache der Freiheit die Herzen erfüllt.
Ich darf mit ein paar Betrachtungen schließen und die Mitglieder des Hohen Hauses bitten, mir darin zu folgen.Zum ersten: Bedenken Sie, die Bundeswehr ist eine Streitmacht des ganzen Volkes. Sie wurde mit Willen dieses Hohen Hauses aufgebaut in der Einsicht, daß wir die gewonnene Freiheit dieses Teils unseres Vaterlandes zu schützen und einen Beitrag zur Verteidigung der freien Welt zu leisten haben.Zum zweiten: Zum erstenmal in der deutschen Geschichte ist eine Wehrpflicht-Armee im demokratischen Staat naht- und spannungslos in Staat und Gesellschaft eingebaut. Die Bundeswehr ist kein „Staat im Staate", weder ideologisch noch institutionell. Keine Teilgruppe unseres Volkes braucht zu befürchten, daß die Armee den politischen Interessen einer anderen Teilgruppe dient.Zum dritten: Wer die Bundeswehr als integriertes Organ des Staatsganzen will, kann die Staatsbürger in Uniform nicht nach anderen moralischen Grundsätzen messen als die Staatsbürger in Zivil. Fehler und Übelstände gibt es überall, wo Menschen sind, unter Lehrern genauso wie unter Beamten, in allen Schichten, in den politischen Organisationen, ja selbst in den Kirchen und auch in diesem Hohen Hause.Herr Präsident, Sie gestatten sicher, daß ich einmal ein paar Verse vorlese, in denen ein Soldat, und zwar ein General in einer Büttenrede, die Dinge so dargestellt hat, daß auch das Hohe Haus einer solchen Formulierung folgen kann. Herr General Trautloff von der Luftwaffengruppe Süd hat im Karneval — ich gebe zu, daß ich als Norddeutscher ansonsten herzlich wenig von Karneval verstehe,
vielleicht geht es noch, aber ich habe in dieser Beziehung nicht sonderlich viel Hoffnung; Herr General Trautloff kann das aber — folgendes in Versform gesagt:Gesetzt den Fall, ein junger Mann Benimmt sich in der Straßenbahn, Vielleicht auch sonstmal wo, mal daneben. Wenn er Zivil trägt, sagt man eben:Dem Jungen fehlt die Kinderstube, Er ist halt noch ein dummer Bube. Doch trägt er eine Uniform,Steigt die Empörung ganz enorm, Und all sogleich sagt irgendwer: Ganz typisch für die Bundeswehr!Laßt es euch gesagt sein: Diese Sünder Sind letzten Endes eure Kinder.Sie tun nur, was zu Haus sie lernten. Nur was man sät, das kann man ernten. Wer glaubt, es sei die BundeswehrEin Kindergarten, irrt sich sehr.Die Uniform ist unsere Sache,Den Bürger müßt ihr selber mache!
— Das geht noch weiter. Aber ich bin überzeugt, der Herr Bundestagspräsident würde mir sehr rasch dash Wort entziehen, wenn ich all die anderen Verse hier vorlesen würde. Ich stelle sie Ihnen gern zu.
Dann würde ich Sie nicht unterbrechen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wer die Mängel in der Bundeswehr nach anderen Maßstäben mißt als die Mängel, die überall vorkommen, richtet die Bundeswehr nach einem besonderen Tugendkatalog. Er überfordert sie, er isoliert sie und er beschwört, so scheint mir, gerade das herauf, was er verhindern will, nämlich den Staat im Staate.Zum vierten: Das Primat der Politik war in der deutschen Verfassungsgeschichte nie so stark — in die Einzelheiten gehend —, nie so gesichert wie heute. Damit fällt aber auch die Hauptverantwortung für die Bundeswehr auf die Politik. Die Bundeswehr mit ihren Stärken und Schwächen war, ist und wird ein Kind der politischen Verantwortung sein.Zum fünften: Das wichtigste scheint mir aber zu sein, daß es unser aller Söhne sind, die in der Bundeswehr als Soldaten, als Unteroffiziere, als Offiziere und Zivilbedienstete oder Arbeiter dienen. Wir können sie alle, unsere Söhne, mit unserer politischen Mitgift ausgestattet und belastet, nicht zu Sündenböcken machen. Die enge Beziehung von Bürgern und Soldaten fordert über die notwendige erzieherische Kritik hinaus die erkennbare Bereitschaft zu helfen.Zum sechsten: Ein Gemeinwesen läßt sich nicht in gegenseitigem Mißtrauen seiner Organe erhalten. Eine Armee, die solches Mißtrauen in ihrem Rücken spürt, kann nie ein verläßliches Instrument der Politik werden, kann nie zu einer unbeschwerten Dienstgesinnung kommen.
Zum Schluß! Keine Armee hat es so schwer, sich gegen unausgesetzte Kritik, gegen dauerndes Herumnörgeln, gegen ständige Ungerechtigkeiten, Verdächtigungen und absurde Verallgemeinerungen zur Wehr zu setzen.Darum bitte ich Sie um Ihre Bereitschaft, nicht nur zu helfen, sondern vor allem auch zu vertrauen. Die Armee verdient dieses Vertrauen und wird es nicht enttäuschen.Die Bedeutung und Leistung der Bundeswehr, meine Damen und Herren, sind von unseren Verbündeten oft anerkannt worden. In eindrucksvoller Weise hat dies der ermorderte amerikanische Präsident J. F. Kennedy in der Paulskirche in Frankfurt getan. Ich erinnere an seine Worte:
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964 5377
Bundesminister von HasselDie Streitkräfte, die die Bundesrepublik Deutschland zu diesem Zweck, nämlich zur Sicherung der Freiheit, beisteuert, werden von denen keines anderen europäischen Landes übertroffen. Ihr Land steht in der ersten Verteidigungslinie, und Ihre Divisionen sind Schulter an Schulter mit den unsrigen eine Quelle der Stärke für uns alle.Mir scheint, wir sollten uns von unseren Freunden nicht beschämen lassen. Für treuen und gewissenhaften Dienst gebührt Offizieren, Unteroffizieren und Männern sowie allen zivilen Kräften der Bundeswehr unser Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Beschlußfassung über den Antrag des Ausschusses für Verteidigung. Ich glaube, angesichts der Bedeutung dieses Berichts ist eine formelle Abstimmung zweckmäßig. Wer dem Bericht des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes .
Bevor ich in die Beratung eintrete, muß ich mitteilen, daß diesem Punkt 17 noch eine Vorlage — die inzwischen verteilt worden ist— hinzugefügt wurde, und zwar
Erste Beratung des von der Fraktion der CDU! CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung des Artikels 118 des Grundgesetzes .
Dieser Hinzufügung liegt eine interfraktionelle Vereinbarung zugrunde.
Zur Begründung des Antrages der Fraktion der SPD erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe die Ehre, für die Fraktion der SPD den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes — Drucksache IV/ 1896 — zu begründen.Es ist nicht häufig, meine Damen und Herren, daß die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes einbringt. Wir tun es nur, wenn die Verhältnisse sich so gewandelt haben, daß wir davon ausgehen können, daß eine Verfassensbestimmung nicht mehr ihrem Sinn und Zweck gemäß durchgeführt werden kann, so wie sie ursprünglich gemeint war. Wir tun es nach sehr sorgfältiger Vorberatung. Und so haben wir auch diesen Gesetzentwurf sehr sorgfältig mit unseren politischen Freunden, in den Ländern insbesondere, die von der Regelung des Art. 29 betroffen sind, beraten.Ich sage das hier von vornherein, weil ich manchen Gerüchten entgegenwirken will, die da meinen, es sei ein gezielter Länderentwurf, und auch dem entgegenwirken will, was augenblicklich so in der Diskussion ist: daß diese Frage ein Teil des Landtagswahlkampfes in Baden-Württemberg sei. Das darf sie nicht sein. Meine Damen und Herren, hier geht es um eine ganz grundsätzliche Frage der Neugliederung innerhalb des Bundesgebietes. Ich bedauere, daß es zeitlich mit dem Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg zusammenfällt; ich will in der Begründung von vornherein mein Teil dazu beitragen, daß wir hier nicht einen verlagerten Landtagswahlkampf erleben.Sie kennen alle, meine Damen und Herren, den Artikel 29 Abs. 1; ich brauche ihn hier wörtlich nicht zu zitieren. Der Artikel 29 Abs. 1 baut darauf auf, daß der Verfassunggeber das Volk ist. Diese Verfassung und diese Bundesrepublik sind nicht durch Ländervereinbarung zustande gekommen. Der Absatz 1 gibt dem Bundestag, und nur dem Bundestag, die letztliche politische Verantwortung und Entscheidung darüber, wie die Länder innerhalb der Bundesrepublik gestaltet sein sollen. Der Bundesrat wird zustimmen, aber er muß nicht zustimmen. Es ist keine Bestimmung vorgesehen, nach der es ein zustimmungsbedürftiges Gesetz ist. Durch die Neugliederung sollen Länder geschaffen werden, wie es hier heißt, „die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können". Diese Aufgabe hat der Bundesgesetzgeber bislang nicht in Angriff genommen. Sie beschäftigt uns heute nicht, denn es gibt einen Abs. 2 in diesem Art. 29, und darin wird darauf Bedacht genommen, daß in der Nachkriegszeit durch Anordnungen der Besatzungsmächte Länder entstanden sind, zum Teil willkürlich entstanden sind, ohne daß die Bevölkerung selbst dazu etwas sagen konnte. Deshalb soll nach Abs. 2 Satz 3 und 4 des Art. 29 diese Frage im Rahmen der Aufgabe des Abs. 1 geregelt werden. Es heißt in Abs. 2:In Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit geändert haben, kann binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden. Das Volksbegehren bedarf der Zustimmung eines Zehntels der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung.Auf Grund dieser Bestimmung sind in fünf Gebietsteilen zunächst Volksbegehren durchgeführt worden.Ich darf noch folgendes einfügen. Zwischen Abs. 1 und Abs. 2 fügt sich die Bestimmung des Art. 118 des Grundgesetzes. Art. 118 sagt, daß eine Sonderregelung, und zwar eine Übergangssonderregelung für die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern in der Weise zu schaffen ist, daß sie vereinbaren können, wie sie sich ihre staatliche Neuordnung vorstellen, oder daß diese Neuordnung durch Bundesgesetz erfolgen kann. Sie wissen, daß diese Neuordnung durch Bundesgesetz erfolgt ist; und nur weil so
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Dr. Schäfermanches darüber gesagt wird, darf ich hier feststellen, daß ,das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil -vom 30. Mai 1956 festgestellt hat, daß das Land Baden-Württemberg verfassungsmäßig zustande gekommen ist. Es steht also nicht zur Debatte, daß das Land Baden-Württemberg verfassungsmäßig oder nicht verfassungsmäßig zustande gekommen sei, sondern es stehen nur der Abs. 2 und die Auswirkungen, die sich daran knüpfen, zur Debatte.Ich sagte schon, daß in einigen Landesteilen Volksbegehren durchgeführt worden sind. Wir können sie nur alle gleichermaßen betrachten. In der Zeit vom 6. bis 22. April 1956 wurden in den Ländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen Volksbegehren durchgeführt. Folgende Volksbegehren waren erfolgreich: im Gebietsteil Montabaur mit 25,3 %, im Gebietsteil Rheinhessen mit 20,2%, im Gebietsteil Schaumburg-Lippe mit 15,3%, im Gebietsteil Koblenz-Trier mit 14,1 % und im Gebietsteil Oldenburg mit 12,9 %.Im Gebietsteil Baden fand zunächst kein Volksbegehren statt; denn der Bundesinnenininister hatte den Antrag des Heimatbundes Badenerland auf Durchführung eines Volksbegehrens mit Entscheid vom 24. Januar 1956 abgelehnt. Gegen diesen Bescheid wandte sich der Heimatbund Badenerland mit einer Verfassungsbeschwerde. Das Verfassungsgericht hat dann in dem bereits angeführten Urteil vom 30. Mai 1956 den Bescheid des Bundesministers des Innern vom 24. Januar aufgehoben und seinerseits ,die Durchführung ides vom Heimatbund Badenerland beantragten Volksbegehrens angeordnet. Das daraufhin in den Gebietsteilen Badens in der Zeit vom 3. bis 16. September 1956 durchgeführte Volksbegehren war mit 15,1 % Eintragungsergebnis erfolgreich. Wir haben es also mit sechs Gebietsteilen zu tun, die von der Bestimmung des Art. 29 Abs. 2 des Grundgesetzes Gebrauch gemacht haben, und wir haben uns nun mit diesen sechs Gebietsteilen zu beschäftigen. Dabei sind wir der Auffassung, daß sie den Anspruch haben, gleichbehandelt zu werden.Art. 29 des Grundgesetzes war zunächst durch die Besatzungsmächte suspendiert. Er trat also erst am 5. Mai 1955 in Kraft. Art. 29 kennt einige ausdrückliche Fristen, so die Bestimmung, daß diese Volksbegehren innerhalb eines Jahres durchgeführt werden müssen, daß, wie Abs. 6 sagt, die Neugliederung innerhalb von drei Jahren durchgeführt werden muß und daß bei Hinzukommen anderer Teile Deutschlands die sich daraus ergebenden Fragen innerhalb von zwei Jahren geregelt werden müssen. Ich lege Wert darauf, diesen Grundsatz festzuhalten; denn wenn wir Sozialdemokraten eine Verfassungsänderung vorlegen, bemühen wir uns, Grundgedanken der Verfassung zu erhalten
und sie nur weiterzuentwickeln, soweit es unbedingt erforderlich ist. Ich lege auch deshalb Wert darauf, weil wir, wie Sie ja wissen, in unserem Gesetzentwurf ebenfalls Fristen genannt haben.Schon Art. 29 des Grundgesetzes nennt Fristen, und es ist sehr einfach zu erklären, warum dortFristen genannt sind: man will Ruhe in den Ländern haben, man will nicht den dauernden, immerwährenden Wahlkampf, man will die Aufbauarbeit der Länder sichern.
Es soll eine gewisse Übergangszeit da sein, in der sich die Bevölkerung — und das betone ich jetzt schon — entscheiden soll, welche Gebietszugehörigkeit sie letztlich wünscht.Um dies nun entsprechend der Bestimmung des Grundgesetzes in die Tat umzusetzen, hat das Land Hessen im November 1958 das Bundesverfassungsgericht angerufen, um im Klagewege die Einbringung eines Gesetzentwurfs über die Neugliederung des Bundesgebiets zu erzwingen. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Urteil vom 11. Juli 1961 die Klage sowie die eingelegte Verfassungsbeschwerde in formeller Hinsicht wegen fehlender Klagerechtsvoraussetzung für nicht zulässig erklärt, in der Sache selbst aber ausdrücklich festgestellt, daß die Neugliederung des Bundesgebietes ohne Rücksicht auf die Wiedervereinigung Deutschlands und die Angliederung des Saargebiets zu vollziehen sei, um — auf das Nächste kommt es mir an — der Bevölkerung in den Gebietsteilen mit erfolgreichen Volksbegehren nunmehr Gelegenheit zu geben, über ihre endgültige Landeszugehörigkeit zu befinden. Das ist der derzeitige Stand. Das Bundesverfassungsgericht — es ist bedauerlich, daß es in dieser Frage so oft in Anspruch genommen werden muß; wir wollen wirklich alles tun, daß nicht noch einmal ein Verfahren anhängig wird —
hat in dem bereits angeführten Urteil vom 30. Mai 1956 festgestellt, daß es bei Vorliegen einer Gesamtkonzeption für die Neugliederung des Bundesgebiets durchaus möglich sei, im Wege der Einzelgesetzgebung die Neugliederung phasenweise durchzuführen.Unter Zugrundelegung dieser Entscheidung und unter Beachtung der bislang geltenden Verfassungsbestimmung des Art. 29 hat die Bundesregierung den Entwurf eines ersten Neugliederungsgesetzes am 7. Dezember 1962 vorgelegt, und dieser Entwurf eines ersten Neugliederungsgesetzes entspricht der bestehenden Verfassungsrechtslage. Die erste Lesung dieses Gesetzentwurfs fand am 15. März 1963 im Bundestag statt. Der Gesetzentwurf ist, wie ich schon sagte, die folgerichtige Durchführung des Art. 29 des Grundgesetzes. Die Regierung des Landes Baden-Württemberg, damals hier im Hause vertreten durch ihren Innenminister Herrn Filbinger, hat sich zu diesem Gesetzentwurf bekannt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich durch ihren damaligen Sprecher, Herrn Dr. Möller, ebenfalls zu der Möglichkeit der Zustimmung zu diesem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf bekannt.Es wurden dann weitere Gesetzentwürfe vorgelegt, da die badische Frage die besonders drängende ist, was durchaus anzuerkennen ist, und da die
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Dr. SchäferMöglichkeit der phasenweisen Durchführung dem durchaus Rechnung tragen kann. Weitere Gesetzentwürfe haben dann vorgelegt Herr Dr. Kopf, Herr Dr. Güde und Genossen. Dabei handelt es sich um einen Gesetzentwurf, bei dem man einige verfassungsrechtliche Bedenken bezüglich des § 1 und des § 13 dieses Entwurfs vorbringen muß. Die dort vorgesehene Alternativfragestellung wird sich auf Grund der bestehenden Verfassungsrechtslage kaum ermöglichen lassen. Es wird sich auch nicht ermöglichen lassen — entschuldigen Sie, meine Herren —, die Formulierung des § 13 so überklug zu wählen, daß nach Ausgliederung der Gebietsteile Baden das Land Baden-Württemberg erhalten bleibt. Es besteht nahezu Einstimmigkeit, daß bei einem solchen Gesetzentwurf auch die Württemberger dazu gehört werden müßten, und das will man nun von keiner Seite.Die Landesregierung Baden-Württemberg, die sich in diesem Hohen Hause zu dem Gesetzentwurf bekannt hatte, hat später zu erkennen gegeben, daß sie auch Überlegungen anstelle, eine Grundgesetzänderung vorzuschlagen. Aber ein Gesetzesantrag über den Bundesrat wurde nicht eingereicht. Auch eine Gesetzesinitiative von Kollegen, die sich diese Auffassung zu eigen machen würden, ist bis heute vormittag in diesem Hohen Hause nicht erfolgt. Die Vorlage, die uns heute vormittag gegeben wurde, unterscheidet sich noch in wesentlichen Punkten von der Vorlage der Landesregierung Baden-Württemberg.Diese Vorlage der Landesregierung Baden-Württemberg wurde in die Diskussion des Rechtsausschusses, dem die beiden ersten Gesetzentwürfe überwiesen wurden, auf die etwas ungewöhnliche Weise eingeführt — ein so wichtiger Gesetzentwurf, der eine Grundgesetzänderung vorsieht, der es also nicht für ausreichend erklärt, die Gesetzentwürfe nur zu beraten! —, daß zwei Abgeordnete der Regierungsparteien sich ihn als Antrag zu eigen machten. Er wurde dann am 5. Dezember 1963 im Rechtsausschuß verteilt und von da an der Beratung im Rechtsauschuß zugrundegelegt. Ich werde auf diesen Antrag nachher noch zurückkommen müssen.Heute vormittag ist uns ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zugegangen. Wir haben der Behandlung hier nicht widersprochen, obwohl es aus Termingründen möglich wäre; denn wir wollen wirklich gar nichts dazu beitragen, daß eine Verzögerung eintritt. Es ist ein bißchen ungewöhnlich, eine Verfassungsänderung über Fragen, die solche Bedeutung haben, am Vormittag der Beratung einzubringen.
Ich sagte vorhin: Wir behandeln die Dinge ein bißchen langfristiger. Wir hatten Ihnen im Rechtsausschuß schon angekündigt, daß wir eine Verfassungsänderung in Erwägung ziehen. Wir haben mit den Ländern ausführlich darüber gesprochen. Es ist Ihre Angelegenheit, wie Sie die Dinge behandeln, Herr Kollege Weber.
— Herr Kollege Weber, wir freuen uns, daß Sie sich — ich werde es nachher ausführen — unseren Gedankengängen wesentlich nähern. Damit haben wir schon einen halben Weg zueinander zurückgelegt. Ich sage bewußt: zueinander zurückgelegt. Ich bin nicht der Auffassung, meine Damen und Herren, daß man Verfassungsänderungen in der Weise machen kann, daß man sich gegenseitig zur Kapitulation auffordert, sondern ich sage bewußt, daß wir uns damit ein Stück Weg gegenseitig schon entgegengekommen sind, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß es uns gelingt, Sie zu überzeugen, daß Sie auch noch das letzte Stück Wegs einen guten Teil gehen müssen. Herr Kollege Kanka, ich bin seither gewohnt,. daß Sie objektiven und guten Argumenten zugänglich sind. Sie werden es, hoffe ich, auch in diesem Fall sein und sich nicht verschlossen zeigen. Ebenso habe ich die Hoffnung bei Herrn Weber, auch wenn sein derzeitiges Land Rheinland-Pfalz einbezogen werden muß.Nun, meine Damen und Herren, im Rechtsausschuß hat man die Behandlung ausgesetzt. Das ist vernünftig. Wenn wir einen Gesetzentwurf zur Änderung des Art. 29 einbringen, muß ich hier einiges dazu sagen, warum wir den derzeitigen Art. 29 mit Ihnen zusammen nicht mehr für ausreichend halten. Nach unserem Gesetzentwurf gilt erstens: der Auftrag an den Bundesgesetzgeber nach Abs. 1 bleibt unberührt. Unser Gesetzentwurf bezieht sich auf die Regulierung und Bereinigung der Fragen — und dient damit der Beruhigung —, die mit den sechs erfolgreichen Volksbegehren zusammenhängen. Wir meinen, daß sie alle gleichbehandelt werden müssen. Der Verfassungsgesetzgeber kann es sich nicht leisten, eine Einzelbehandlung vorzunehmen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, vor dem Bundesverfassungsgericht wiederum die Aufhebung des Gesetzes zu erleben.Sie weisen darauf hin, meine Herren, daß es im Grundgesetz einen Art. 118 gegeben habe. Das ist richtig. Dieser Art. 118 regelt, wie er ausdrücklich sagt, in Abweichung von Art. 29 in einer Übergangsbestimmung die Neugliederung im Südwestraum. Dieser Art. 118 ist verbraucht. Ich darf mich da auf die Ausführungen des Herrn Landesinnenministers Filbinger am 15. März 1963 im Bundestag berufen. Herr Filbinger sagte damals — ich stimme mit ihm voll überein —:Die Neugliederungmaßnahmen des Bundes auf Grund des Art. 118 des Grundgesetzes waren damit— mit der damaligen Gesetzgebung —abgeschlossen, und Art. 118 war für die Zukunft verbraucht. Es war nur noch die Frage, — —
— Ich zitiere Herrn Filbinger. Es steht Ihnen frei, sich mit Herrn Filbinger auseinanderzusetzen. Er ist meiner Meinung. Ich antworte Ihnen aber auch gern, Herr Dr. Hauser. Ich zitiere immer noch:Es war nur noch die Frage, ob das Land BadenWürttemberg auch in das Verfahren nach Art.
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Dr. Schäfer29 des Grundgesetzes einzubeziehen sei. Diese und nur diese Frage wurde vom Bundesverfassungsgericht in dem Urteil vom Jahre 1956 bejaht.Wir sind also der Meinung, Art. 118, so wie er geschaffen wurde, ist verbraucht. Es ist nicht möglich, mit einer Verfassungsbestimmung eine gezielte Einzelregelung für die Durchführung des Volksentscheids in einem der Gebietsteile anzuordnen. Man kann nur eine allgemeine Verfassungsbestimmung treffen, die für alle sechs Gebietsteile gleichermaßen gilt. Man kann aus den Ergebnissen dann die entsprechende Konsequenz ziehen.Daraus ergeben sich wieder zwei Fragen. Entweder ist man der Auffassung, daß der Art. 29 in seinem Gedanken, daß die Verantwortung beim Bundestag liegt, voll aufrechterhalten wird, oder man ist der Auffassung, daß dem Plebiszit mehr Bedeutung zugemessen wird, d. h. daß die Entscheidung, die das Volk trifft, konstitutiv wirkt oder mindestens bedingt konstitutiv wirkt. Wenn Sie die sechs Landesteile ansehen, werden Sie mit mir darin einig sein, daß man kleineren Gebieten davon ganz bestimmt nicht das Recht geben kann, von sich aus — in eigener Sache — konstitutiv zu beschließen, daß ein eigenes Land entstehe. Das widerspricht dem Grundsatz des Abs. 1 des Art. 29, den einzuhalten, durchzuführen und zu gewährleisten Aufgabe des Bundestages ist. Man kann also nur eine Regelung treffen, wenn man die Verstärkung des plebiszitären Charakters will, indem man eine bedingt konstitutive Wirkung setzt. Das haben wir in unserem Vorschlag getan. Wir haben erstens die Möglichkeit der fakultativen Frage gegeben. Nach unserem Gesetzentwurf kann die Bevölkerung gefragt werden, ob sie das eine oder ob sie das andere will; sie kann sich darüber frei entscheiden.Wir haben, wenn sich die Mehrheit — auf die Mehrheitsverhältnisse komme ich gleich — für die Auflösung eines Landes entscheidet, diese Auflösung in Abs. 4 als zwangsweise Folge vorgesehen. Darin soll es heißen:Das Bundesgesetz nach Absatz 3 darf von demErgebnis des Volksentscheides nur abweichen,soweit dies durch Absatz 1 geboten ist und— wir sichern das noch einmal besonders —wenn die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zustimmt.Die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages muß also auch einem solchen Abweichen zustimmen.Wir meinen, daß die ursprüngliche Konzeption des Verfassunggebers, mit einem Wurf solle das ganze Bundesgebiet neugegliedert werden, derzeit nicht durchführbar ist und daß es darauf ankommt, in den sechs Gebietsteilen eine Regelung und Beruhigung zu erreichen, wobei dem Volk selbst letztlich die Entscheidung übertragen werden soll.Wir freuen uns, daß Sie sich in dem Antrag, den Sie heute morgen vorgelegt haben, uns insoweit weitgehend nähern, wenn Sie auch offenbar der Meinung sind, daß Sie verfassungsmäßig eine Sonderregelung für Baden-Württemberg schaffen könnten. Meine Damen und Herren, diese Sonderregelung ist ein Kuriosum, da Sie eine Verfassungsbestimmung hier durch eine Einzelverfassungsergänzung wollen. Wir sind dagegen der Meinung, daß hier eine wirkliche Verfassungsänderung erforderlich ist.Es ist die Frage, wie abgestimmt werden soll. Der Entwurf, wie er von der Stuttgarter Landesregierung vorgelegt wurde und wie er nach wie vor im Rechtsausschuß zur Debatte steht — ich habe bisher keinen gegenteiligen Antrag in die Hände bekommen —, sieht vor, daß sich mindestens 50 % der Wahlberechtigten an einer solchen Wahl überhaupt beteiligen müssen und daß sich davon die Mehrheit — mindestens 25 % — dafür entscheiden muß.Diese Regelung ist nicht befriedigend; denn mit ihr wird die Entscheidung dem Teil der Bevölkerung zugeschoben, der nicht zur Wahl geht. Wenn man zur Wahlenthaltung aufforderte und sich 51 % gleichgültig zeigten, wäre die Prämiierung des Gleichgültigen in die Verfassung aufgenommen. Man kann es doch in einer Demokratie schlechterdings nicht prämiieren, daß diejenigen die Entscheidung treffen, die sich nicht entscheiden.
Um was kämpfen wir denn die ganze Zeit? Wir kämpfen doch darum, daß sich der Bürger zu seinen Fragen bekennen und den Mut haben soll, Entscheidungen zu treffen. Dann kann man doch nicht einen Gesetzentwurf vorlegen und sich zu eigen machen und im Rechtsausschuß vorläufig nahezu entscheiden, der den Trägen, den Uninteressierten die Entscheidung zuschiebt.Wir meinen — und wir meinen es damit sehr ernst —, daß in diesen Gebieten, in denen sich das Volk bislang nicht entscheiden konnte und nunmehr eine Entscheidung getroffen werden soll, eine echte Auseinandersetzung über Ja oder Nein erfolgen muß, daß man nicht so weiterwurstelt und insgeheim doch dagegen opponiert. Dann soll sich eine klare Mehrheit dafür oder dagegen entscheiden, und dann sollen für die Zukunft klare Entscheidungen vorliegen.Wir Sozialdemokraten als Südweststaatanhänger wollen einen großen klaren Wahlkampf in diesem Lande Baden-Württemberg, nicht jetzt in der Landtagswahl, sondern in dem Bekenntnis zum Lande Baden-Württemberg.
Wir meinen, daß das nicht mit 40 % Wahlbeteiligung abzutun ist. Wir meinen vielmehr, daß sich alle Parteien, vor allem diejenigen, die in Stuttgart derzeit die Regierung tragen, die CDU und die FDP, und nicht nur die Opposition in Stuttgart um die Erhaltung dieses Landes bemühen müssen.
Dieses Land ist nämlich in dieser Form gut. Dieses Land entspricht dem Absatz 1. Dieses Land hat die beste Form, die man sich wünschen kann.
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Dr. SchäferDas ist unsere Meinung. Gerade weil wir Sozialdemokraten für dieses Land Baden-Württemberg eintreten, sind wir dagegen, daß man sich im Wege der Rückversicherung schon vorweg eine Wahlentscheidung erarbeiten will. Der Entwurf, der im Rechtsausschuß behandelt wird, ist doch gar nichts anderes als ein Eingeständnis der Schwäche, daß man sich gar nicht traut, in eine öffentliche Auseinandersetzung zu gehen und die Leistungsfähigkeit und die außerordentlich gute Form des Südweststaates gegenüber der badischen Bevölkerung zu propagieren und zu behaupten und sie zu überzeugen, daß diese Form richtig ist. Das ist keine gute Sache. Es entspricht nicht einer demokratischen Gepflogenheit, wenn man Wahlentscheidungen dieser Art sucht. Wahlentscheidungen sucht man, indem man selber um das Richtige kämpft und seine Entscheidung nicht dadurch ermöglicht, daß man indirekt zur Wahlenthaltung aufrufen muß.Aber wie sieht unser Entwurf aus? Wir sagen: mehr als die Hälfte, die Mehrheit, mindestens jedoch 25 %. Was bedeutet das? „Mehr als die Hälfte" bedeutet: wir wollen eine hohe Wahlbeteiligung. Bei 70 % Wahlbeteiligung müssen 35 % plus 1 % für die Auflösung stimmen. Also müssen auch diejenigen, die dieses Land verteidigen, daran interessiert sein, in den Wahlkampf zu gehen, um diejenigen, die ja dazu sagen, zu mobilisieren. So wollen wir es überall. So wollen wir überall ein positives Bekenntnis, Herr Weber. Auch für Rheinland-Pfalz können Sie und werden Sie darum kämpfen. Es wäre für den Bestand des Landes Rheinland-Pfalz sehr tunlich, wenn Sie eine solche positive Äußerung von der Bevölkerung erlangen könnten. Es wäre gut. Ob Sie es können? Anscheinend haben Sie Ihre Sorge. Das ist Ihre Sache.
Immerhin, meine Damen und Herren, ist beachtlich, daß sich in den Gebietsteilen, die zu Rheinland-Pfalz gehören, 25 % beim Volksbegehren eingezeichnet haben, in Baden nur 15 %. Da sagen Sie mir einmal, wo es vordringlicher ist, ob dort, wo sich 15 %, oder dort, wo sich 25 % dazu bekannt haben!
Wir meinen also, daß die Entscheidung, von der die Badener behaupten, daß sie 1950 und 1951 nicht gefallen ist, auf diese Weise nachgeholt werden muß. Ich habe den Altbadenern gesagt, daß sie mich im Wahlkampf um die Behauptung dieses Landes wiedersehen werden und daß ich sehr heftig gegen ihre Bestrebungen kämpfen werde. Aber weil wir die Erhaltung des Landes Baden-Württemberg wünschen, müssen wir um so gewissenhafter und korrekter das Recht der badischen Bevölkerung, das ihr die Verfassung gibt, respektieren. Es war ein erfolgreiches Volksbegehren, also hat man einen Volksentscheid herbeizuführen, also muß man auch den Mut haben, sich für das eine, den alten Artikel 29, oder für den neuen zu entscheiden, aber nicht ein Quorum zu schaffen, das eine Schwäche und eine Rückversicherung ist. Ich ersehe jetzt, Herr Ministerpräsident Kiesinger, aus Zeitungsnachrichten, daß Sie sagen, über das Quorum könnten wir reden. Na schön, sind wir schon wieder einen halben Schritt weiter. Ich sprach vorhin von einem ganzen Schritt. Wenn wir darüber auch noch reden können, kommen wir im Endergebnis vielleicht doch noch zu einer guten Sache, 25 %, sagten wir, müssen sich auf jeden Fall dafür entscheiden.Meine Damen und Herren, das ist eine Hilfe gegen die Wahlenthaltung. Wenn nämlich nur 40 % zur Wahl gehen und man ein Quorum hat — 50 % müssen es auf jeden Fall sein —, dann können sich 35 % dafür entschieden haben, und es ist ergebnislos, weil die Neinsager, die sich Enthaltenden, die Mehrheit bilden. Das ist eine Sicherung. 25 % „Aktivbürger" — will ich jetzt einmal sagen —, also Bürger, die sich aktiv für eine Änderung des bestehenden Zustandes einsetzen, sind schon eine so beachtliche Größenordnung, daß man ihr politisch Rechnung tragen muß. Und so meinen wir, daß es richtig ist, in der Verfassung zu sagen: Das Volk ist mündig, und wenn das Volk mit mindestens 25 %, aber mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen sich entscheidet, dann hat der Bundesgesetzgeber dem Rechnung zu tragen.Wir meinen aber auch, daß nicht durch die Zufälligkeit, daß nur in einigen Gebieten Volksbegehren durchgeführt wurden — Herr Süsterhenn und Herr Weber, ich denke jetzt an Rheinland-Pfalz —, ein solches Land kurzerhand aufgehoben werden kann. Wenn in Montabaur und Rheinhessen daraufhin Volksentscheide durchgeführt werden, wird man nicht umhinkönnen, auch die Pfälzer zu fragen, was sie wollen, weil nämlich auch ihre Zugehörigkeit da mitbetroffen wird. Das sagen wir im zweitletzten Satz des Abs. 4. Wir sagen aber dann: Wenn der verbleibende Teil lebensfähig im Sinne des Abs. 1 ist, ist eine solche Abstimmung nicht notwendig.Um es auf das lebendigste Beispiel anzuwenden: wenn das badische Volksbegehren erfolgreich ist, dann ist Württemberg auch ohne Baden lebensfähig und Baden auch ohne Württemberg lebensfähig. Hier sind zwei Lebensfähige zusammengekommen, und deshalb kann man von vornherein der Bevölkerung selber mehr an Entscheidung zubilligen. Nach unserem Dafürhalten und nach dem Luther-Gutachten würden beide Teile der Anforderung des Abs. 1 genügen.Meine Damen und Herren, es geht uns um die Gesamtbereinigung, und deshalb haben wir, wie es auch das Grundgesetz in seinem ursprünglichen Art. 29 getan hat, Fristen genannt. Sie meinen, wie ich schon verschiedentlich hörte, das sei sehr schwierig. Ich sehe gar keine Schwierigkeit. Ich sehe nur eine Erleichterung darin, wenn die Verfassung selbst vorschreibt: Bis zu dem und dem Zeitpunkt muß das bereinigt werden. Und wenn ein Volksentscheid im Sinne der Auflösung positiv ist, — ja, glauben Sie, daß dann noch jemand Interesse hat, die Dinge zu erörtern? Glauben Sie nicht auch, daß es dann wirklich vernünftig ist, sehr schnell ein Gesetz über die Trennung zu erlassen und durchzuführen?Wenn ich mir, meine Damen und Herren — das darf ich zum Abschluß sagen —, die ganze Dis-
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Dr. Schäferkussion der letzten Jahre um Baden-Württemberg — dort hat es sich besonders entzündet — ansehe, finde ich einige Gedanken, die in dem von uns vorgeschlagenen neuen Art. 29 ihren Niederschlag gefunden haben, in früheren Ausführungen von Herren aus der CDU wieder. Deshalb haben wir die Hoffnung, daß Sie unseren Gesetzesvorschlag sehr gewissenhaft prüfen und daß Sie sich überlegen werden, daß eine Annahme des von Ihnen vorgeschlagenen Art. 118 mit größter Wahrscheinlichkeit zu einem neuen Verfassungsgerichtsstreit führen würde, der zur Folge hätte, daß die ganze Angelegenheit wieder um Jahre verzögert würde. Wir aber sind der Meinung, daß in allen diesen Gebieten Ordnung und Ruhe einkehren sollen.
Das Wort zur Begründung des Antrags der Fraktion der CDU/CSU hat Herr Professor Süsterhenn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Schäfer hat seine Ausführungen damit begonnen, daß er sich gegen die Unterstellung verwahrte, der hier vorliegende Antrag der SPD-Fraktion auf Änderung des Art. 29 des Grundgesetzes sei in Wiesbaden geboren und verfolge kraft des Genius loci, des Geburtsortes, auch besondere Tendenzen. Ich weiß nicht, wem gegenüber er es für notwendighielt, diese Feststellung ausdrücklich zu treffen.
Ich jedenfalls beabsichtige nicht, mich auf diesen von dem Herrn Kollegen Schäfer eingeschlagenen Weg zu begeben, und dazu kann mich auch die Tatsache nicht veranlassen, daß der Herr Kollege Dr. Schäfer es für notwendig hielt, den aus dem Lande Rheinland-Pfalz stammenden Abgeordneten Dr. Weber trotz dieser Landeszugehörigkeit zu einer besonderen Objektivität und Sachlichkeit zu ermahnen. Ich kann Ihnen versichern, daß Sie dieselbe Objektivität und Sachlichkeit bei der Behandlung dieses Themas, wie Sie sie ja doch auch bei dem Herrn Kollegen Weber letzten Endes so zwischen den Zeilen voraussetzten, von mir erwarten dürfen.Als Beweis für diese Sachlichkeit und für den Willen zu einer objektiven Behandlung des Problems darf ich zunächst einmal die generelle Feststellung treffen, daß ich die historische Darstellung über den Werdegang des Art. 29 und seiner Behandlung in den verschiedenen Phasen und über den historischen Werdegang und die Behandlung des Art. 118 nahezu restlos akzeptieren kann. Es erscheint mir nur wichtig, folgendes noch hinzuzufügen, und zwar zunächst in bezug auf die präkonstitutionelle Zeit, als es noch keinen Parlamentarischen Rat, kein Grundgesetz, keine Bundesrepublik, ja, als es noch nicht einmal einen Verfassungskonvent von Herrenchiemsee gab. Schon damals, auf den Konferenzen der Ministerpräsidenten bei den Vorbereitungen für die Zusammenkunft des Parlamentarischen Rates, spielte dieses Problem, das materiell in Art. 29 enthalten ist, und ebenso das Problem des Art. 118 in den verfassungsvorbereitenden Diskussionen bereits eine erhebliche Rolle. Die Konferenz der Ministerpräsidenten hat auch mit den Militärgouverneuren wiederholt über die Sachproblematik des Art. 29 und des Art. 118 verhandelt, und in all den Verhandlungen vor dem Werden des Bonner Grundgesetzes, bei der Beratung des Bonner Grundgesetzes, bei der Formulierung der Artikel des Grundgesetzes, bei der späteren gesetzgeberischen Durchführung und Verwirklichung dieses Problemkreises ist immer wieder scharf und klar zwischen dem Art. 29 und dem Art. 118 unterschieden worden.Diese Unterscheidung war nicht etwa eine willkürliche, sondern sie beruhte auf folgender Erkenntnis, die auch in präkonstitutionellem Stadium von allen Beteiligten nicht bestritten wurde. Diese Erkenntnis bestand in folgendem. Das, was die Besatzungsmächte im Südwestraum gemacht haben, indem sie die zwei alten Länder Baden und Württemberg zerrissen und daraus drei Länder bildeten, wurden von allen, auch von den Südbadenern und auch von dem manchmal so viel gelästerten Herrn Wohleb grundsätzlich abgelehnt. In all den Diskussionen stand überhaupt nur die Frage zur Entscheidung: Wie soll diese Dreiteilung des Südwestraums beseitigt werden; entweder durch die Zusammenfassung der drei Länder zu einem Staat, zum Südweststaat, zum jetzigen Lande Baden-Württemberg, oder durch die Wiederherstellung der beiden alten Länder Baden und Württemberg.Diese Fragestellung war für alle Beteiligten selbstverständlich, und es war auch selbstverständlich, daß sowohl die Lösung Baden-Württemberg wie die Wiederherstellung der beiden alten Länder Baden und Württemberg dem Richtbegriff des Art. 29 Abs. 1 entsprach, so daß man sich also um diese speziellen Dinge eigentlich gar nicht mehr zu kümmern brauchte. Es ist ja interessant, daß beispielsweise auch der Luther-Ausschuß, also der von der Bundesregierung eingesetzte SachverständigenAusschuß zur Neugliederung des Bundesgebietes — dessen stellvertretender Vorsitzender zu sein ich immerhin einige Jahre die Ehre hatte —, fast einstimmig in seinem Gutachten festgestellt hat, daß sowohl die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Landes Baden-Württemberg als auch die Teilung des Landes Baden-Württemberg und die Wiedererrichtung der beiden alten Länder im wesentlichen den Richtbegriffen des Art. 29 Abs. 1 — und zwar in vollem Umfange — entsprechen würde. Infolgedessen ist festzuhalten — darin stimmen wir vollständig überein, Herr Kollege Schäfer; es freut mich, unter zahlreichen sonstigen Übereinstimmungen auch diese feststellen zu können —, daß von dem Augenblick an, wo dieses Problem erörtert wurde, die scharfe isolierte Trennung und Sonderbehandlung der Südwestraum-Frage von allen Beteiligten seit dem Jahre 1947, seit den Ministerpräsidentenkonferenzen, die damals zusammengetreten waren, bis auf den heutigen Tag immer bewußt hervorgehoben worden ist.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964 5383
Dr. SüsterhennIch möchte hier schon einmal sagen: Die von Herrn Kollegen Schäfer geäußerte Befürchtung, eine Sonderbehandlung des Falles Baden-Württemberg, wie sie in dem Antrag der CDU/CSU vorgeschlagen ist — daß nämlich die Wiederinkraftsetzung durch eine ergänzende Neuformulierung des Art. 118 dem Gleichheitsgrundsatz widersprechen könne und vom Verfassungsgericht eventuell beanstandet werden könne —, wird durch die ganze historische, politische und juristische Entwicklung der Sachproblematik widerlegt.Nun die Frage: Ist Art. 118 verbraucht? Sie haben in Übereinstimmung mit dem Herrn Innenminister Filbinger, den Sie zitiert haben, diesen Standpunkt vertreten. Aber Herr Kollege Dr. Hauser hat den Zwischenruf gemacht: Die Sache steht nicht fest.Meine Damen und Herren, es ließe sich manches Interessante zu dieser Frage vom Standpunkt des Staatsrechts aus sagen. Aber ich glaube, wir wollen darauf verzichten. Weil wir von der CDU/CSU die Dikussion dieses Problems überhaupt gar nicht aufkommen lassen wollten, haben wir einen Antrag auf Verfassungsänderung gestellt. Art. 118 soll neu gefaßt werden im Wege einer Verfassungsänderung oder Verfassungsergänzung. Auf diese feinen Unterschiede will ich mich im Augenblick nicht einlassen, das mag der Ausschußbehandlung überlassen bleiben. Jedenfalls ist das kein Vorschlag, von dem man sagen könnte, daß hier willkürlich und ohne einen vernünftigen und gerechten Grund differenziert würde zwischen der Lösung des SüdwestraumProblems und den Lösungen der anderen Probleme im übrigen Bundesgebiet, wie es sich aus der Anwendung und Verwirklichung des Art. 29 ergibt.Befürchten Sie nicht, meine Damen und Herren, daß ich hier die Interessen des Landes Rheinland-Pfalz vertreten werde, sondern ich nehme, da ich mich bemühe, objektiv zu sein, den Text des Antrages der SPD-Fraktion so, wie er vor uns liegt. Dazu möchte ich folgendes sagen:In Art. 29 Abs. 3 des SPD-Entwurfs heißt es:Ist ein Volksbegehren nach Absatz 2 zustande gekommen, so ist in dem betreffenden Gebietsteil bis zum 31. März 1965 ein Volksentscheid über die angestrebte Änderung der Landeszugehörigkeit durchzuführen. Stimmt eine Mehrheit, die mindestens ein Viertel der zum Landtag wahlberechtigten Bevölkerung umfaßt, der Änderung zu, so ist die Landeszugehörigkeit des betreffenden Gebietsteiles durch Bundesgesetz innerhalb eines Jahres ... zu regeln.Und jetzt kommt Abs. 4:Das Bundesgesetz nach Absatz 3 darf von dem Ergebnis des Volksentscheides nur abweichen, soweit dies durch Absatz 1 geboten ist— also durch die Richtbegriffe des Art. 29 Abs. 1 —und wenn die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages zustimmt. ...Meine Damen und Herren, Herr Kollege Schäfer hat mit Recht hier bereits von der konstitutiven — nicht nur präjudizierenden — Wirkung eines sol-chen Volksentscheids gesprochen. Nehmen Sie einmal an, in irgendeinem kleinen Gebietsstreifen haben vielleicht 100 000 oder 200 000 Wahlberechtigte — so viel kommen nach meiner Kenntnis der Verhältnisse, wenn wir vom Sonderfall Südwestraum Baden absehen, überhaupt nirgendwo in Frage— beim Volksentscheid konstitutionell festgestellt
— ich bin sofort mit einer Frage einverstanden, wenn ich nur erst einmal diesen Satz zu Ende sagen darf —: Der Landesteil X wird von dem gegenwärtigen Land Y abgetrennt. Dieser Volksentscheid wird von vielleicht 100 000 Wahlberechtigten ausgeübt. Er ist dann für den- Deutschen Bundestag, für die Organe der Gesetzgebung, bindend und kann vom Bundestag nur noch mit qualifizierter Mehrheit, nämlich mit den Stimmen der Mehrheit seiner Mitglieder, überwunden werden. Damit dankt der Bundestag ab und hört auf, der verantwortliche Gesamtordner und •Gesamtplaner dieser wichtigen Aufgabe des Art. 29 zu sein, und überträgt dieses Recht — allerdings noch mit einer qualifizierten Mehrheit revisibel — zunächst einmal einer kleinen Anzahl von Menschen, die sich in irgendeinem Grenzgebiet im Wege eines Volksentscheids für die Abtrennung dieses Grenzgebietes aussprechen.Bitte, Herr Kollege Schäfer!
Herr Kollege Süsterhenn, ist Ihnen entgangen, daß wir die Richtbegriffe des Absatzes 1 und damit die Verfassungsbestimmung hier ausdrücklich zitieren und daß wir dann fortfahren, daß über den erklärten Volkswillen einer erklärten Mehrheit dieses Parlament entscheiden kann und entscheiden muß?
Ich habe den von Ihnen zitierten Satz, der die Bezugnahme auf die Richtbegriffe des Art. 29 enthält, in keiner Weise überlesen. Im Gegenteil! Sie haben durch diese Formulierung dem Bundestag nicht nur die Aufgabe gestellt, sich mit qualifizierter Mehrheit gegen diesen lokalen Volksentscheid auszusprechen, sondern ihm quasi auch noch die Beweislast zugeschoben dafür, daß nun diese Sonderregelung lokaler Art tatsächlich nicht mit den Gesamtkonzeptionen, wie sie in Art. 29 Abs. 1 enthalten sind, zu vereinbaren ist.Der Herr Kollege Schäfer hat soeben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zitiert, das zu der Feststellung gelangt, daß das Neugliederungsgesetz des Jahres 1951 und auch die darauf beruhende Neugliederung in einer verfassungsmäßig einwandfreien Weise zustande gekommen seien. Ich kenne natürlich dieses hier produzierte Zitat, aber ich bin der Meinung, wenn man schon aus einem Urteil zitiert, dann sollte man auch die anderen Sätze eines solchen Urteils nicht unter den Tisch fallen lassen, die doch diesen ganzen Neugliederungsvorgang zumindest — ich will gar keine Kritik üben — irgendwie als ein Unbehagen auslösend charakterisiert haben. Das ist nicht erst meine Meinung von heute; ich habe den Standpunkt bereits im Jahre 1951 als Mitglied des Bundesrats vertreten und darauf hinge-
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5384 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964
Dr. Süsterhennwiesen, daß ich diese Neugliederungsgesetze für verfassungsbedenklich, wenn nicht gar verfassungswidrig hielte. Aber Karlsruhe locuta, die Neugliederung sei verfassungsrechtlich in einwandfreier Weise zustande gekommen. Es ist selbstverständlich, daß wir uns dem beugen.Aber bei allem Respekt vor den Herren Verfassungsrichtern darf ich doch folgendes bemerken. Ich habe immerhin zehn Jahre lang die Ehre gehabt, selber Präsident eines Verfassungsgerichtshofs zu sein. Dennoch stehe ich nicht an zu erklären, daß sich auch in diesen Himmelshöhen nicht immer nur Götter oder auch bloß Halbgötter bewegen und daß der Grundsatz des „errare humanum est" eigentlich niemanden in der Welt verschont.
Diesem Prinzip sind alle drei Gewalten in gleicher Weise unterworfen. Mehr möchte ich hierzu nicht vortragen.Immerhin ist es doch notwendig, in das allgemeine Bewußtsein zurückzurufen, daß das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das der Herr Kollege Schäfer zitiert hat, noch folgenden, ich möchte sagen: bemerkenswerten, Satz enthält: „Der Wille der badischen Bevölkerung ist durch die Besonderheit der politisch-geschichtlichen Entwicklung überspielt worden." Was heißt das? Meines Erachtens gehört auch das Neugliederungsgesetz von 1951 irgendwie in die politisch-geschichtliche Entwicklung mit hinein. Weiter sagt das Bundesverfassungsgericht:Bei der Abstimmung am 9. Dezember 1951 ha-ben, wenn man von dem Gebiet des früher preußischen Landesteils Hohenzollern absieht, zwei Bevölkerungen, die badische und die württembergische, in der Weise gemeinsam abgestimmt, daß die zahlenmäßig stärkere die schwächere majorisieren konnte.Es war also eine Abstimmung, in der die badische Bevölkerung gerade nicht selbst bestimmen konnte, in welchem staatlichen Verbande sie künftig leben will. Ich will aus diesen Feststellungen keinerlei verfassungsrechtliche Folgerungen irgendwelcher Art für die Behandlung dieses Themas ziehen. Aber weil Sie schon mal dieses Urteil zitierten, sehr verehrter Herr Kollege Schäfer, hielt ich es im Interesse der Vollständigkeit für wichtig, auch diese beiden bemerkenswerten Sätze noch einmal in das allgemeine Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen.Das eine steht auf alle Fälle fest — ich glaube, darin werden wir übereinstimmen, Herr Kollege Schäfer —, daß im Lande Baden-Württemberg sowohl diejenigen, die überzeugte ,Anhänger des jetzigen Landes sind, als auch diejenigen, die man im allgemeinen als Altbadener zu bezeichnen pflegt, ein gemeinsames Interesse daran haben, diesen Kasus endlich einmal aus der Welt zu schaffen, damit dort Ruhe eintritt. Ich glaube, darüber kann es in diesem Hause keinerlei Meinungsverschiedenheiten geben. Der Herr Kollege Dr. Schäfer hat in seinen Ausführungen beispielsweise auch gesagt, daß die Lösung dieser Frage im Interesse der Beruhigung, im Interesse der positiven Aufbauarbeitdieses Landes besonders dringlich sei. Aber, Herr e Kollege Dr. Schäfer, wenn wir feststellen müssen, daß schon vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes der Komplex Südweststaat oder Baden-Württemberg immer ein Komplex besonderer Art gewesen ist, der auch vom Bundesverfassungsgesetzgeber besonders behandelt worden ist und den auch der ordentliche Gesetzgeber in der folgenden Zeit immer als ein isoliertes Sonderproblem behandelt hat, und wenn Sie jetzt tatsächlich zu dieser Beruhigung im Südwestraum beitragen wollen, wenn Sie sagen, es muß schnell geholfen werden, dann kann ich eigentlich nicht begreifen, warum Sie nicht entsprechend der gesamten Tradition — die, wie bisher gesagt wurde, von den Ministerpräsidentenkonferenzen bis zu den Vorlagen der gegenwärtigen Bundesregierung reicht — den einfachen, klaren und rasch zu verwirklichenden Weg gehen wollen, der uns in dem 'Gesetzentwurf zur Novellierung des Art. 118 gewiesen ist, und warum Sie das als dringlich und regelungsbedürftig betrachtete Baden-Problem nun mit der ganzen politischen Problematik belasten wollen, die nun einmal in dem Art. 29 drinsteckt, was von niemandem geleugnet werden kann, gleichgültig, wie er sich die Anwendung und Ausführung dieses Art. 29 vorstellt. Wenn man den damals unterlegenen Altbadenern das Gefühl nehmen will — diese Behauptung wird wenigstens aufgestellt, ich will sie mir nicht zu eigen machen —, sie seien nicht ganz fair behandelt warden — ich kann verstehen, daß Badener eine solche Behauptung aufstellen, da ja doch auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einer derartigen Behauptung nicht unbedingt hundertprozentig widerspricht —, und wenn wir außerdem dem beiderseitigen Verlangen der Badener und Baden-Württemberger nach endgültiger Lösung des Problems, nach endgültiger Beruhigung und nach einer schnellen Lösung des Problems Rechnung tragen wollen, dann sollten wir das doch auf dem Wege versuchen, den der Antrag der CDU/CSU-Fraktion weist.
— Mein sehr verehrter Herr Kollege Schäfer, Sie haben hier die Methode kritisiert, daß dieser Antrag heute morgen hier eingebracht worden sei. Sie haben den Ausdruck „wie Ziethen aus dem Busch" nicht gebraucht. Aber ich glaube, diese Vorstellung lag doch Ihrer Kritik an der Methode irgendwie zugrunde.
Wir handeln so, und Sie können zu dem Stellung nehmen, was der Ziethen — das paßt ganz gut in die vorhergegangene Wehrdebatte — hier produziert hat.Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Schäfer hat auch selbst ganz deutlich gesagt, daß er an sich von diesem Entwurf nicht überrascht ist, sondern daß dieser Entwurf zunächst einmal als sogenannte Formulierungshilfe von der badenwürttembergischen Regierung oder von ihrem Ministerpräsidenten in die Verhandlungen des Rechtsausschusses eingeführt worden ist, daß man diese sogenannte Formulierungshilfe sehr eingehend behandelt hat und daß es sogar zwei oder drei Abge-
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Dr. Süsterhennordnete im Rechtsausschuß — ich weiß es nicht genau —
gegeben hat, die diese „Formulierungshilfe" als Antrag übernommen haben. Sie können also nicht sagen, daß Ihnen hier sachlich irgendwie etwas Neues überraschend auf den Tisch des Hauses gelegt worden wäre, womit sie sich nicht schon in langen Debatten, im Rechtsausschuß, aber auch nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Hauses, beschäftigt hätten. Also diese Methodenkritik halte ich in keiner Weise für begründet. — Bitte schön, Herr Schäfer!
Herr Süsterhenn, wenn ich Ihren Antrag ansehe, muß ich Sie fragen: Hat da nicht sogar die Schreibkraft, die hinten schrieb: „21. Februar 1963", erkannt, daß Sie ein Jahr zu spät dran sind?
Ich werde meinem Fraktionsvorstand vorschlagen, doch nun einmal die Zuverlässigkeit unserer Schreibkräfte in dieser Hinsicht zu überprüfen.
Herr Kollege Schäfer, es mag spät sein — ich hätte längst schon eine derartige Regelung gewünscht —, aber es ist noch nicht zu spät, und vor allen Dingen haben wir beide noch die Gelegenheit, dafür zu sorgen, daß nun endlich die Sache in einer vernünftigen Weise ohne unnötige zusätzliche Komplikationen über die Bühne gebracht wird.Eigentlich neu ist in diesem Antrag der CDU/ CSU-Fraktion gegenüber der „Formulierungshilfe" oder dem Antrag Güde/Weber das sogenannte Quorum. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich entschlossen, das sogenannte Kopf-Quorum, so heißt es ja abgekürzt in der ganzen Erörterung dieser Dinge —, also die Mehrheit der an der Wahl Beteiligten, mindestens aber 25%, zu übernehmen. Wir sind sehr froh, Herr Kollege Schäfer, daß auch die SPD-Fraktion, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, sich zu diesem Kopfquorum bekannt hat. Alles, was Sie Positives darüber ausgeführt haben, kann ich mir ersparen, da ich in diesem Punkte völlig mit Ihnen übereinstimme und, wie gesagt, es mir auch für unseren Kollegen Kopf menschlich so gut tut, der nun aus reinen Rechtserwägungen seit mehr als einem Jahrzehnt einen verzweifelten Kampf geführt hat, gerade in diesem Punkte eine so überparteiliche Anerkennung von allen Seiten zu finden.
— Ich bezweifle ja gar nicht Ihre Fortschrittlichkeit. Es gibt Leute, die verstehen es eben nicht so schnell. Aber haben Sie doch Mitleid! Sie sind doch gerade so für den Gedanken der Toleranz und des geordneten und netten mitmenschlichen Zusammenlebens— „Seid freundlich zueinander!" —; lassen Sie es uns- doch auch bei der Behandlung dieser Angelegenheit sein! Ich bitte Sie deshalb, nicht unter hessischen oder rheinland-pfälzischen, sondern geradeunter diesen Perspketiven der Vernunft und Sachlichkeit unseren Antrag zu prüfen.Im übrigen haben Sie eine Attacke eigentlich nicht gegen die CDU/CSU-Fraktion — die ja doch dasselbe Quorum vorschlägt, wie Sie es haben —, sondern gegen diesen Formulierungshilfeentwurf geritten, der also von der Regierung BadenWürttemberg stammt. Ich habe nicht die Aufgabe, Herrn Ministerpräsidenten Kiesinger zu verteidigen, und vor allem hat es der Herr Ministerpräsident nicht nötig, sich von Leuten wie von mir verteidigen zu lassen. Dazu ist er ja doch nun ein viel zu erfahrener Meister des parlamentarischen Florettfechtens. Aber im Interesse der Sachlichkeit und der Gerechtigkeit möchte ich hier doch einmal feststellen, daß immerhin der Herr Ministerpräsident Kiesinger bereits im Frühjahr des Jahres 1960 den Gedanken einer Grundgesetzänderung für den Fall proklamiert hat, daß die Lösung auf dem Wege über den Artikel 29 sich nicht mit der erwünschten Glätte und in der erwünschten kurzen Zeit habe vollziehen lassen; zu einer Zeit, wenn ich nicht falsch orientiert bin, Herr Kollege Schäfer, als von Ihnen noch — ich glaube, das ist auch bis in die letzten Beratungen des Rechtsausschusses hinein geschehen — eine Grundgesetzänderung grundsätzlich und rundheraus abgelehnt wurde. Also in dem Falle ist sogar der von Ihnen attackierte Herr Kiesinger etwas früher, einige Jahre früher, aufgestanden als Sie, die Sie nunmehr bereit sind, sich auf die Basis einer Diskussion über die Grundgesetzänderung zu begeben.Jetzt nur noch eins: das Kiesinger-Quorum und das Kopf-Quorum — so will ich es einmal nennen —, die 50 %ige Mindestbeteiligung an der Abstimmung oder die Mehrheit der Abstimmungsbeteiligten, aber Zustimmung von mindestens 25 % der Abstimmungsberechtigten. Ich halte — deshalb vertrete ich das ja auch — dieses Kopf-Quorum — ich bin bereit, es Kopf-Schäfer-Quorum zu nennen —
mit der 25 %igen Zustimmung für ausgezeichnet. Aber ich meine, man soll die Dinge nach der anderen Seite auch nicht allzusehr dramatisieren. Denn ob ich sage: 50 % müssen sich an der Wahl beteiligen und mehr als die Hälfte, d. h. 25 % der Stimmberechtigten, muß mit Ja stimmen, oder ob ich das direkt in das Gesetz schreibe, hat letzten Endes doch nur insofern Bedeutung, als wir beim Auszählen der Wählerstimmen auf die Subtraktion verzichten und schon im Gesetz diese Subtraktion 50 — 25 = 25 vorzunehmen.Trotzdem, Herr Schäfer, stimme ich Ihnen zu. Ich habe keine so negative Auffassung, keinen so negativen Eindruck von der politischen Aktivität der Menschen im Südwestraum. Ich glaube nicht an deren politische Indolenz, wenn es um die Zukunft ihres Landes geht, ist doch Württemberg das erste Land in Deutschland überhaupt, das auf eine vielhundertjährige parlamentarische Tradition zurückblickt,
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5386 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964
Dr. Süsterhennund Baden hat doch immer schon als das Münsterländle der Demokratie gegolten.
Aber ich muß vorsichtig sein. Wir haben eben aus dem Munde des Verteidigungsministers und auch des Generals in seinem Karnevalsgedicht sehr kritische Worte über die Reife unserer Menschen gehört. — Jedenfalls treten wir beide für das KopfSchäfer-Quorum ein.Damit, meine Damen und Herren, glaube ich das Wesentliche zu diesem Thema gesagt zu haben. Ich möchte nur noch im Namen meiner Fraktion den Antrag stellen, sowohl den Antrag der SPD auf Verfassungsänderung wie auch den Antrag der CDU/CSU auf Verfassungsänderung in erster Linie an den Rechtsausschuß und in zweiter Linie an den Innenausschuß zu überweisen. Dabei brauche ich zur Begründung nur das eine Wort zu sagen: wenn der Rechtsausschuß einmal unbestritten zuständig ist, dann dürfte das im Falle einer Verfassungsänderung zutreffen.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich in einer Frage wie dieser mich an der Aussprache beteilige, weil noch ein Regierungsentwurf, wenn auch schon seit sehr geraumer Zeit, in der Beratung steht und es wahrscheinlich gar nicht notwendig gewesen wäre, in so spektakulärer Form einen Änderungsantrag, den man im Ausschuß ohne weiteres hätte einbringen können, in das Licht des Plenums zu stellen. Wenn ich Motivforschung betreiben wollte, könnte ich mir vorstellen, daß das gar nicht so geheimnisvoll sein müßte.
Herr Kollege Schäfer, ich glaube, was Sie hier vorgetragen haben, war „Zinns" Geschoß. Sie haben sich, um in der militärischen Sprache des ersten Teiles der heutigen Debatte fortzufahren, als Richtkanonier in einer sehr ehrenwerten Form betätigt, wie ich überhaupt feststellen muß, daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sich in der letzten Zeit eine interessante Geheimwaffe zugelegt haben, und zwar die Geheimwaffe von Initiativanträgen. Kaum hören Sie, daß die Regierung irgendeinen Sachverhalt zu einer legislatorischen Initiative benützt, kommen Sie sofort mit einer — meistens etwas unausgereiften — Gesetzesinitiative.
Dabei vergessen Sie einen ganz wesentlichen demokratischen Gesichtspunkt: Unsere Initiativen werden
mit einem sehr weiten Bereich der Beteiligten abgesprochen, während Sie uns immer etwas aus diesem Haus, das zwischen Bonn und Godesberg liegt, auf den Tisch knallen und auf diese Weise der Regierung ein Monitum erteilen wollen.
Herr Kollege Jahn, Sie haben mir, glaube ich, vor gar nicht langer Zeit — es dürfte höchstens drei Wochen her sein - eine sehr scharfe, inquisitorische Frage gestellt: wie viele Verfassungsänderungen die Regierung eigentlich noch beabsichtige. Sie haben damit zum Ausdruck bringen wollen, daß es etwas an Respekt vor der Verfassung fehle. Ich bin hierüber außerordentlich überrascht. Es geschehen Zeichen und Wunder. Sie haben sich hier zu einer Verfassungsänderung auf dem Wege der Initiative entschlossen in einer Angelegenheit, die noch streitbefangen im Ausschuß ist, wo Sie durch einen einfachen Änderungsantrag ohne weiteres das gleiche Ziel hätten erreichen können, wenn Sie das gewollt hätten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Bitte sehr.
Herr Minister, ist Ihnen entgangen, daß durch Beschluß der Regierungsmehrheit festgelegt wurde, daß Ihr Regierungsentwurf überhaupt nicht behandelt wird, sondern eine sogenannte Formulierungshilfe, die eine Verfassungsänderung vorsieht? Was sagen Sie dazu?
Das hätte Sie doch gar nicht gehindert, trotzdem die Beratung darüber in einer einfachen Form weiterzuführen und zu einem raschen Abschluß zu bringen. Über ein Jahr liegt der Entwurf vor. Das ist schon öfters so gewesen.Meine Damen und Herren, ich möchte hier in aller Form etwas erklären: Wenn nur die allergeringste Aussicht bestanden hätte, daß Sie einer Verfassungsänderung zustimmen würden, die es uns möglich gemacht hätte — auch der Regierung —, der badischen Bevölkerung eine einwandfreie Alternative zu stellen, hätten wir das getan: Wenn die Bemühungen, die von der Regierung Baden-Württembergs pausenlos unternommen worden sind, von Ihnen honoriert worden wären, hätten wir längst einen Gesetzentwurf der Bundesregierung mit einer einfachen Alternative vorgelegt.
— Das gehört zum Vorbehaltsgut. Sie haben bei Verfassungsänderungen eine Sperrminorität, und wir sind leider darauf angewiesen. Ich hoffe, daß die Dinge im Jahre 1965 wieder zurecht gerückt werden,
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Bundesminister Höcherldamit wir zusammen mit unseren Freunden in der Koalition die erforderliche Mehrheit auch für diesen Teil der Gesetzgebung haben.
— Herr Kollege Wehner, ich würde an Ihrer Stelle hier nicht so kühne Träume spinnen.
Herr Minister, mit wem haben Sie denn verhandelt, daß Sie das wissen, was Sie soeben sagen?
Sie werden mir doch noch gestatten, daß ich mich mit der baden-württembergischen Regierung unterhalte, daß ich mich von ihr informieren lasse, welch aussichtslose und harte Bemühungen — —
— Mir genügt es, wenn mir die baden-württembergische Regierung mitteilt — —
— Herr Kollege Schäfer, ich will jetzt einmal in' die rechtliche Betrachtung Ihres Entwurfs eintreten und werde Ihnen anhand dieser rechtlichen Betrachtung nachweisen, daß Ihnen auch heute —trotz dieses Antrags — immer noch der ernsthafte Wille fehlt, der badischen Bevölkerung auf dem einzig möglichen Rechtsweg zu dieser Abstimmung zu verhelfen.
Ihre Ballistik ist interessant und gezielt. Sie reicht vom 26. April, von Südbaden bis hinein nach Montabaur. Erst wenn Großhessen geschaffen ist, dann! Das wollen Sie auf diesem Wege erreichen. Sie wollen nicht eine Abstimmung in Baden in Form einer fairen Alternative erreichen. Darum geht es doch.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Minister? — Bitte, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Minister, wenn das richtig ist, was Sie soeben gesagt haben, daß Sie und die baden-württembergische Regierung schon seit vielen Jahren den Badenern im Wege einer Verfassungsänderung helfen wollten, warum haben Sie dann den Regierungsentwurf eingebracht und haben dann nicht sofort einen entsprechenden Vorschlag gemacht, sondern haben den Regierungsentwurf bis in die letzten Wochen hinein im Ausschuß weiter vertreten lassen?
Herr Kollege Schmitt, ich konnte ja nicht anders. Es war ganz offen bekannt, daß Sie sich einer Verfassungsänderung versagen würden. Infolgedessen hatte es
gar keinen Sinn, einen Entwurf zur Verfassungsänderung vorzulegen.
Wir haben Besseres zu tun, als aussichtslose Entwürfe vorzulegen.
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Frage? — Bitte!
Herr Minister, mit wem haben Sie in den zurückliegenden Jahren über die Frage, ob über Ihren Initiativentwurf hinaus Möglichkeiten vorhanden sind, gesprochen, daß Sie eine solche Meinung haben können?
Über notorische Dinge brauche ich keine Verhandlungen zu führen.
Herr Minister, wodurch waren diese Dinge eigentlich notorisch?
Wodurch?
— Durch Bekanntmachungen und Erklärungen, die von Ihrer Seite gegeben wurden.
— Ich werde sie nachreichen.
Herr Minister, Herr Müller möchte eine Zwischenfrage stellen.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, da es sich um einen sehr bedeutungsvollen Vorgang handelt, im Zusammenhang mit dem hier über eine Verfassungsänderung angesprochen wird, daß ich mich doch noch mit der rechtlichen Seite Ihres Entwurfs etwas auseinandersetze. Ich darf noch einmal sagen, daß auch für uns die entscheidende Frage war, in welcher Form die früheren Abstimmungsversuche in einer fairen Alternative wiederholt werden können. Das war immer eine der Absichten. Wir haben nicht verkannt — die Bundesregierung hat das auch bei der Einbringung ihres Entwurfs ausdrücklich erklärt —, daß die bisherige Fassung des Art. 29 diese Alternative leider nicht möglich macht. Auch der Ausschuß hat sich in seinen Beratungen zu dieser Rechtsansicht der Bundesregierung bekannt.Aber, wie gesagt, der einzige Weg, der überhaupt in Frage kommt, ist der einer Verfassungsänderung, aber nicht über Art. 29, sondern über Art. 118.Ich kann Ihrer Rechtsansicht nicht beipflichten, Herr Kollege Schäfer — sie ist auch schon von meinem Vorredner widerlegt worden daß der Art. 118 verbraucht sei und das Parlament nicht die Möglichkeit habe, ihn in irgendeiner Form zu erneuern oder wieder in Kraft zu setzen. Es kann gar
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Bundesminister Höcherlnicht bestritten werden, daß eine solche Möglichkeit besteht. Und das ist der einzige Weg, ohne die ganze Frage der Neuordnung des Bundesgebietes, die — im großen gesehen — in Wirklichkeit eine Frage der Wiedervereinigung ist, an Hand eines einzigen Falles zu präjudizieren.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Minister?
Ja.
Ich habe mich schon wiederholt zu Wort gemeldet, ohne zu Wort zu kommen.
Sie haben sich nicht zu Wort gemeldet, Sie haben lediglich die Hand gehoben, um anzuzeigen, daß Sie eine Frage stellen möchten. Ich muß warten, bis der Herr Minister in der Lage ist, auf meine Frage zu antworten, ob er Ihre Frage zulassen will. Sie sind jetzt dran.
Herr Minister, darf ich Ihre Bemerkung von vorhin in bezug auf Großhessen so verstehen, daß die Bundesregierung nicht bereit ist, der Bevölkerung derjenigen Gebietsteile, in denen erfolgreiche Volksbegehren zustandegekommen sind, Gelegenheit zum Volksentscheid zu geben?
Nein. Sie müssen die Bemerkung so verstehen, daß die Bundesregierung gehalten ist, der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die einen sehr engen Rahmen in der Frage der Neuordnung des Bundesgebietes zieht, zu entsprechen und daß in dem Falle, den Sie anziehen, diese Verfassungsgerichtsentscheidung noch nicht ausreicht.
Gestatten Sie noch eine Frage? — Bitte.
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich sagte, daß die Frage der Wiedervereinigung und der Eingliederung des Saargebietes nicht hindere — bei Vorliegen einer Gesamtkonzeption —, im Wege der Phasenregelung, der Einzelregelung die Neugliederung zu vollziehen?
Über die schwierige Frage der Gesamtkonzeption hat die Bundesregierung in ihrem Entwurf und der Begründung hierzu eine sehr ausführliche und eine sehr intensive rechtsstaatliche Darlegung gegeben.
- Sie selbst haben zugeben müssen, daß unsere Rechtsansicht — das ist im Ausschuß von allen Seiten bestätigt worden — der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht.
Ich darf mich aber nun der rechtlichen Behandlung Ihres Entwurfs zuwenden und vor allem feststellen, daß diese Art der beabsichtigten Grundgesetzesänderung zu weit geht. Meine Damen und Herren, es ist in diesem Hause schon wiederholt gesagt worden, daß man mit Änderungen des Grundgesetzes — ich konnte vorhin auf ein Beispiel hinweisen — sehr vorsichtig sein muß und sie jedenfalls nur dann und nur insoweit ins Auge fassen sollte, wenn wirklich ein ganz dringendes Bedürfnis besteht. Die einzige Form der Grundgesetzänderung, um den gemeinsam angestrebten Zweck, nämlich eine faire Abstimmung, zu erreichen, und zwar die einzig mögliche und sinnvolle Form, ist die Änderung des Art. 118, so wie sie von der CDU/ CSU-Fraktion vorgeschlagen wird. Wer es ehrlich mit einer solchen Abstimmung meint, — —
— Zum Regierungsentwurf habe ich erklärt: Weil keine Aussicht bestand, von Ihrer Seite eine Zustimmung zu einer Verfassungsänderung zu bekommen, habe ich den Entwurf eingebracht. Jetzt, nachdem Sie selber fortgesetzt erklären, Sie seien jetzt bereit — vielleicht macht der 26. April einen gewissen Eindruck auf Sie —,
einer solchen Verfassungsänderung zuzustimmen, bin auch ich bereit, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Änderung zuzustimmen, schon um ein Rechtsgut, das Recht auf eine faire Abstimmung zu schützen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten SchmittVockenhausen?
Bitte sehr.
Herr Minister, ist es nicht die CDU/CSU gewesen, die unter dem Druck unseres Antrages endlich auch den Weg der Gerechtigkeit gehen und versuchen will,
hier den Badenern ein Quorum einzuräumen, das von dem im bisherigen Vorschlag abweicht?
Ich darf, Herr Kollege, mit einem schlichten Nein antworten.Herr Kollege Schäfer, das Bedauerliche an Ihrer Formulierung ist, daß die Badener Frage, das können Sie gar nicht bestreiten, mit der Frage der allgemeinen Neugliederung des Bundesgebietes verbunden und verquickt wird. Das ist gefährlich, gerade im Hinblick auf eine beschleunigte Lösung der Baden-Frage.
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Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen? — Bitte.
Herr Minister, ist es nicht so, daß sich die Regelung des Art. 29 nunmehr auf alle die erfolgreichen Volksbegehren erstreckt und sie damit den erfolgreichen Volksbegehren insgesamt gerecht wird?
Herr Kollege, damit bringen Sie mich auf einen weiteren, ganz wesentlichen Einwand, der gegen Ihren Entwurf spricht. Sie schaffen mit diesem Entwurf zweierlei Recht, und zwar für die Gebiete mit Volksbegehren und für die Gebiete ohne Volksbegehren.
— Den kenne ich sehr wohl. Aber die Neuschaffung einer Doppelgleisigkeit ganz allgemein an Hand eines einfachen Falles, der sehr einfach zu lösen ist, halte ich für ein sehr gefährliches, für ein wertloses Beginnen.
— Sie wollen das festigen; das ist nicht erwünscht. Ich bin der Meinung, daß dieser Fall, den Sie selber, wie Sie behaupten, lösen wollen, durchaus einfach ohne Gefährdung des gesamten Neuordnungsgedankens mit einer Änderung von Art. 118 gelöst werden kann. Das reicht aus. Wir sollten bei Verfassungsänderungen und bei Verfassungsergänzungen den einfachsten Weg gehen, um nicht Präjudizien für die Lösung von Problemen zu schaffen, die von uns gemeinsam vielleicht zu einer ganz anderen Zeit und in einem ganz anderen Umfang gelöst werden müssen.
Gestatten Sie noch eine Frage, Herr Minister?
Ja!
Herr Abgeordneter Schäfer!
Herr Minister, ist Ihnen der Unterschied zwischen Abs. 1 des Art. 29 und den Absätzen 2, 3 und 4 bekannt?
Natürlich ist er mir bekannt. Herr Kollege Schäfer, Sie wollen diese Doppelgleisigkeit festigen; das ist nicht in Ordnung. Warum gehen Sie nicht den einfachen Weg über Art. 118? Wenn das angebliche Ziel eine einfache Wiederholung der Abstimmung ist, warum gehen Sie nicht diesen Weg des gesonderten Falles?Sie wissen ganz genau, wie schwierig die Fragen im Zusammenhang mit der Gesamtkonzeption sind. Das ist Ihnen alles bekannt. In Wirklichkeit — meine Herren von der Opposition, ich spreche es ganz offen aus - verfolgen Sie mit diesem Entwurf ganz andere Absichten. Der Entwurf reicht, wie schon gesagt, in seiner, Ballistik von Südbaden bis nach Hessen. Das tut der Sache, die wir hier anstreben, nicht gut.
So weit reicht die Ballistik. Das ist eine auch zeitlich gezielte Sache.
— Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, die Antwort auf eine solche Frage erübrigt sich doch. Sie wissen doch ganz genau, worum es hier geht.
Es geht darum, der badischen Bevölkerung eine Abstimmungsmöglichkeit zu geben. Das wissen Sie. Der einfachste Weg dazu ist der über Art. 118. Es ist von meinem Herrn Vorredner rechtshistorisch nachgewiesen worden, daß gerade Art. 118 diesen Sonderfall behandelt. Warum Sie nun ausgerechnet für einen Sonderfall eine Änderung des Art. 29 beantragen, ist mir unbegreiflich. Das heißt, nicht so sehr unbegreiflich, wie S i e meinen. Die Motive sind greifbar. Ich würde Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, doch bitten, sich dem Gedanken an eine Möglichkeit über Art. 118 zuzuwenden. Dann können wir auf dem schnellsten Wege — die Bundesregierung wird keine Schwierigkeiten machen — zu einer Wiederholung der Abstimmung kommen. Art. 29 kann einmal zu einer Zeit neu gefaßt werden, wo die großen Probleme und nicht die zum Teil kleinen Kleckerprobleme andernorts einer Lösung bedürfen.
— Kleckerprobleme: nach zahlenmäßigem Gewicht. In Art. 29 Abs. 1 ist eine genaue Umschreibung gegeben und der Grundsatz aufgestellt, daß es sich um lebensfähige und große Länder handeln muß. Das wissen Sie genauso wie ich. Sie wollen aber etwas anderes. Sie wollen die kleinen Probleme in Art. 29 hineinbringen. Meine Damen und Herren, Sie gefährden damit die — zwarschwierig — formulierten Grundsätze des Art. 29, weil Sie glauben, jetzt ein sehr verspätetes, wahlgerechtes Bekenntnis ablegen, wenige Wochen vor dieser Wahl schnell noch eine Demonstration veranstalten zu müssen. Meine Damen und Herren, wenn es Ihnen ernst gewesen wäre, hätten Sie das längst tun können. Sie können es aber noch tun, wenn Sie sich für den Art. 118 in der Form entscheiden, wie er von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegt worden ist und auch die Billigung der Regierung findet.
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5390 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964
Das Wort hat der Abgeordnete Busse.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Als mich die Fraktion der FDP bat und gegen meinen inneren Widerstand dann beauftragte, heute hier in der Badener Frage das Wort zu ergreifen, hatte ich erhebliche Hemmungen. Herr Kollege Schäfer, ich dachte an eine gewisse Geschichte, die Sie uns einmal im Rechtsausschuß erzählt haben, aus der hervorging, mit welcher Emotion in dem betroffenen Raum die hier zur Erörterung stehenden Fragen behandelt werden. Ich mische mich nicht gern in solche emotionellen Dinge hinein, weil wir als Politiker eigentlich nicht so sehr vor der Emotion, sondern von der Vernunft beherrscht werden sollten.
Nachdem ich heute die Diskussion hier miterlebt habe, sind meine Hemmungen eigentlich noch gewachsen. Denn wenn die weitere Diskussion so verlaufen soll, wie das heute hier geschehen ist, kann ich Ihnen eines voraussagen: dann kommt nicht heraus, meine Damen und Herren von der CDU, was Sie und was zum Teil auch wir möchten, worüber wir beraten haben, dann kommt auch nicht heraus, meine Damen und Herren von der SPD, was Sie möchten, sondern dann wird am Ende etwas stehen, was wir alle zusammen nicht möchten, nämlich der ursprüngliche Regierungsentwurf. Ich sehe, wenn wir uns nicht zusammenraufen, gar keine andere Möglichkeit, als daß wir dann auf den ursprünglichen Regierungsentwurf abkommen. Und das — ich habe jedenfalls bisher das Gefühl gehabt — will heute doch eigentlich gar keiner mehr. Also zwingen uns die Tatsachen zu einer ganz ruhigen, vernünftigen Überlegung, wie wir den Weg finden können, der notwendig ist.Ich habe es bisher als ein gemeinsames Anliegen — auch wiederum aller Fraktionen — angesehen, daß bei der künftigen Regelung zwei Bedingungen erfüllt werden müßten, daß nämlich einmal eine faire Fragestellung vorgesehen wird, die tatsächlich eine klare Entscheidung ermöglicht, und daß zweitens, wenn dann abgestimmt ist, auch Klarheit und Ruhe herrschen müssen. Das waren die Grundsätze, zu denen sich jedenfalls bei den Beratungen im Rechtsausschuß alle eindeutig bekannten.Gerade die faire Abstimmung scheint nicht möglich zu sein und ist wohl auch nicht möglich, ohne daß wir eine Verfassungsänderung herbeiführen. Die im Regierungsentwurf vorgesehene Fragestellung ist zwar korrekt, aber sie dient nicht — jedenfalls nicht genügend — dem Anliegen der Betroffenen. Das war eine Meinung. Eine weitere Meinung ging dahin, daß auch die Modalitäten der Abstimmung, insbesondere das berühmte Quorum, nicht dem Wunsche aller Beteiligten entsprachen.Herr Kollege Schäfer, nun kann man natürlich stundenlang darüber reden, wo bei solchen diffizilen Fragen die Gerechtigkeit liegt. Ich halte jedes Quorum, das vernünftig ist, für diskutabel - um das herauszustellen —, aber gegen Ihre starken Angriffe, die Sie nun gestartet haben gegen das, was wir zunächst mit Mehrheit im Rechtsausschuß beschlossen hatten, darf ich doch — und ich meine, das wäre immer ein guter demokratischer Grundsatz gewesen — auf folgendes hinweisen. Wenn ich einen rechtlich ordnungsmäßig bestehenden Zustand ändern will, muß ich in einem demokratischen Staate sehen, daß ich dafür eine Mehrheit bekomme. Das, meine ich, ist ein Prinzip, das hier nicht in Zweifel gezogen werden kann und auch nicht in Zweifel gezogen werden sollte. Aber, wie gesagt, ich halte diese Frage für sekundär. Darüber besteht, wie ich inzwischen gesehen habe, Einmütigkeit, daß eine gewisse Qualifizierung eintreten muß, und darüber kann man als vernünftiger Mensch diskutieren, ohne daß man sich die Köpfe heiß redet und ohne daß sich die Gemüter sonderlich erregen.Schwerer ist der Punkt zu werten, wo die Meinungen weiter auseinandergehen. Es ist völlig klar: sowohl durch das, was mit Hilfe der Regierung des Landes Baden-Württemberg erarbeitet worden ist, wie durch den jetzigen Antrag der CDU/CSU-Fraktion werden, wenn die Abstimmung durchgeführt ist, klare Verhältnisse geschaffen. Ich glaube, daß diesem Entwurf und dem früheren das niemand wird abstreiten können. Ich wage zu bezweifeln, ob der gleiche Effekt eintreten würde, wenn dem Antrag der SPD stattgegeben würde; denn tatsächlich baut er immer noch Möglichkeiten ein — und ich weiß nicht, wie sie genutzt würden, wenn für eine Partei ein nicht befriedigendes Abstimmungsergebnis herauskäme —, wieder anders zu entscheiden, als es an sich durch das Ergebnis der Abstimmung geboten wäre. Die absolute Befriedung tritt also nicht unbedingt ein, während sie nach dem anderen Entwurf eintreten würde.Ein Letztes möchte ich nun auch noch erwähnen, und ich meine, daß wir darüber auch noch im Ausschuß sehr ernsthaft reden sollten. Es handelt sich um die Frage, ob tatsächlich eine Notwendigkeit besteht, jetzt nicht nur die Frage Baden-Württemberg zu regeln, sondern ob darüber hinaus das Gesamtproblem des Art. 29, jedenfalls hinsichtlich der Gebiete, in denen Volksbegehren stattgefunden haben, angeschnitten werden muß. Meine Herren von der Sozialdemokratie, Sie können es einem Außenstehenden nun wirklich nicht übelnehmen, wenn er Bedenken dagegen hat, daß wegen eines ganz konkreten Falles, der geregelt werden soll, nämlich Baden-Württemberg, nun plötzlich das ganze Problem ausgeweitet wird, während jedermann weiß, wie sehr Ihnen z. B. Hessen am Herzen liegt, so daß man jedenfalls auf den Gedanken kommen könnte, daß Sie hier jetzt gern zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen möchten. Ich glaube, Sie werden das ernsthaft nicht bestreiten. Aber das ist Ihre Angelegenheit.
— Das bezweifle ich wiederum; dann würde ich Ihnen z. B. raten, sich lieber zunächst einmal mit Ihren Freunden aus Niedersachsen in Verbindung zu setzen,
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Busseob die tatsächlich 1965 all das haben wollen, was Sie hier auf den Tisch der Länder bringen wollen, ich meine den Kampf um Schaumburg-Lippe, den Kampf um Oldenburg. Meine Freunde, ich frage ernsthaft: Sind das wirklich Dinge, mit denen wir uns heute herumschlagen sollten,
Dinge, auf die niemand heute in dieser Form gekommen wäre, wenn nicht das baden-württembergische Problem zur Regelung anstünde? Darüber ist eben ja bereits mit bitteren Worten gesprochen worden. Ich wollte hier nur meine Meinung zum Ausdruck bringen. Ich habe aber doch die dringende Bitte an Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, sich diese Dinge auch noch einmal zu überlegen. Wir sind bereit — um das heute schon zu erklären — —
Das ist klar; es ist auch im Rechtsausschuß schon aufgekommen. Das ist kein neues Problem, das hier auftaucht. Wir würden gern mit Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, gemeinsam überlegen, wie wir den Art. 29 eventuell gestalten müßten, um auch in anderen Fällen zu vernünftigen Regelungen zu kommen. Aber verzögern Sie nicht dadurch, daß Sie die ganze Problematik jetzt hineintragen, die dringend notwendige Regelung im Südwestraum.
Ich bitte Sie, das einmal sehr ernsthaft mit in die Überlegung zu stellen; denn die anfangs von mir angedeuteten Konsequenzen stehen sonst unweigerlich im Hintergrund, und das möchten wir doch alle vermeiden. Ich darf auch aus meiner Meinung gar kein Hehl machen, daß wir angesichts der ganzen geschichtlichen Entwicklung — ich kann mich hier mit Stichworten begnügen —, insbesondere angesichts der Tatsache, daß das Grundgesetz ja selbst in eigener Zuständigkeit die Frage BadenWürttemberg als einen Sonderfall behandelt hat, glauben, daß hier eine — wenn ich es einmal so sagen darf — Sonderregelung durchaus im Rahmen des Möglichen liegt und daß dem Gesetzgeber verfassungsmäßig eine faire Lösung durchaus möglich ist. In diesem Sinne wollen wir weiter daran mitarbeiten, daß endlich Ruhe um dieses Problem in den Raum dort kommt. Wenn wir alle von diesem Willen beseelt sind, dann müßte es doch noch glücken.
Das Wort hat der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Herr Kiesinger.Kiesinger, Ministerpräsident des Landes BadenWürttemberg: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin Ihnen dankbar, daß ich die Gelegenheit habe, zu diesem Problem die Auffassung der Regierung des Landes Baden-Württemberg darzulegen. Fürchten Sie bitte nicht, daß ich Ihre Zeit zu lange in Anspruch nehmen werde. Ich habe auch nicht etwa die Absicht, Herr 'Kollege Schäfer, das Problem in die anhebenden Wogen des Landtagswahlkampfs in Baden-Württemberg hineinzustoßen. Aber ein paar Dinge muß ich doch sagen, vor allem zu dem „Urheberrechtsstreit", der hier nun schon eine ganze Weile spielt.Als ich dieses Hohe Haus, mit dem mich so viele Erinnerungen verbinden, verließ, um das Amt des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg zu übernehmen, hatte ich mich entschlossen, dieses leidige Baden-Problem so rasch wie möglich anzupacken und zu einem guten Ende zu führen. Ich habe — ich bin Herrn Süsterhenn sehr dankbar dafür, daß er darauf hingewiesen hat — schon im Februar 1960 den damals völlig überraschenden, ja, viele, vor allen Dingen meine sozialdemokratischen Freunde in Baden-Württemberg, schockierenden Vorschlag gemacht: Wenn es über den Weg des Art. 29 nicht geht, dann muß man eben den gordischen Knoten durchhauen und eine Grundgesetzänderung herbeiführen. Das hatte ich auf einer CDU-Tagung im Remstal im Februar 1960 gesagt.Ich habe mich dann bemüht, diesen meinen Gedanken im baden-württembergischen Landtag durchzusetzen. Zu meiner Freude haben zunächst alle Parteien des Landtages mitgetan. Wir haben in einer namentlichen Abstimmung Einstimmigkeit erzielt, und zwar handelte es sich um den Versuch, es über Art. 29 zu machen. Das war also der sogenannte Höcherl-Entwurf. Wenn es aber damit nicht ging, d. h. wenn damit eine Befriedung des Landes nicht zu erzielen war, dann sollte der Weg der Grundgesetzänderung beschritten werden.Die sozialdemokratische Fraktion hatte dann Bedenken und forderte von uns, daß wir ein Rechtsgutachten darüber einholten, ob eine Grundgesetzänderung nach dem Grundgesetz überhaupt möglich sei. Das hat die Sache etwas verzögert. Wir haben das Rechtsgutachten eingeholt. Es ist positiv ausgefallen, d. h. man hatte keine Bedenken gegen diese Grundgesetzänderung.Hinterher hat sich die Lage geändert. Die sozialdemokratische Fraktion bekam Bedenken; sie wurden mir in vielen Gesprächen vorgetragen. Ich will sie nicht wiederholen. Tatsache ist eben, daß die sozialdemokratische Fraktion nicht mehr an dem ursprünglichen Beschluß festhielt. Sie sprach sich klar und deutlich gegen eine Grundgesetzänderung aus.Nun ist die sozialdemokratische Fraktion des Landtags von Baden-Württemberg nicht die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses. Aber unser Gedanke war eben gewesen: Wenn sich alle politischen Parteien des baden-württembergischen Landtags dem Petitum einer Grundgesetzänderung anschlössen, dann könnten wir hoffen, daß ihm auch die Partei dieses Hauses folgen würde.Sie haben gesagt, in dieser Frage sei niemals mit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion verhandelt worden. Das stimmt, wenn Sie es ganz formell nehmen. Aber natürlich habe ich mit führenden
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5392 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964
Ministerpräsident KiesingerMitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion dieses Hauses, die aus Baden-Württemberg stammen, und zwar auch mit dem Vorsitzenden der Sozialdemoktratischen Partei Baden-Württemberg, Dr. Alex Möller, gesprochen. Ich zitiere ihn heute ungern, weil er nicht unter uns ist, und ich zitiere ihn auch nicht, weil ich ihm entgegentreten will. Im Gegenteil, ich will hoffen, daß er sich rasch und gründlich von seiner Operation erholt.Aber ich habe mit ihm eine gründliche Aussprache gehabt. Er sagte mir klipp und klar: Mein Lieber, das machen wir nicht mit — ich muß jetzt sagen, was er gesagt hat —; wenn du mit deinem Vorschlag auf Grundgesetzänderung vor den Landtagswahlen durchkommst, dann steckst du dir diese Feder an den Hut, ziehst damit in den Landtagswahlkampf und gewinnst ihn.Meine Damen und Herren, das war eben auch ein Argument und ein Motiv dafür, daß er nicht mitmachen wollte. Und er hat ja auch in diesem Hohen Hause erklärt, daß an eine Grundgesetzänderung nicht zu denken sei.Vielleicht hätten wir trotzdem noch den formellen Weg beschreiten sollen und trotz dieser Weigerung die sozialdemokratische Fraktion bitten sollen, unseren Weg mitzugehen. Aber wir hatten eben einfach keine Hoffnung mehr. Die Erklärungen im Lande waren so deutlich, die Erklärungen Dr. Alex Möllers so kategorisch, daß wir uns sagten, wir können nicht mehr weiter.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte, bringen Sie mir die Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion, dann lasse ich mit mir darüber reden. Ich erinnere mich an dieses Gespräch sehr genau. — Da wir also diese Zustimmung nicht bekommen konnten
— ich komme nun auf Ihren Antrag —, haben wir unsere sogenannte Formulierungshilfe eingereicht. Wir wollten im Bundesrat keinen Initiativantrag stellen, sondern baten, daß nach dieser Formulierungshilfe ein Initiativantrag aus der Mitte des Bundestages gestellt würde. Das ist nun eine ganz klare und einfache Regelung: endgültige Abstimmung über die Alternativfrage.Danach blieb lediglich die Frage des Quorums übrig, eine Frage, die in den Auseinandersetzungen der letzten Wochen aus ganz bestimmten polemischen Absichten von seiten der Altbadener maßlos verzerrt worden ist. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis — Sie können es jederzeit in Baden-Württemberg nachprüfen —, wenn ich Ihnen sage, daß wir dieses Quorum vor allen Dingen deshalb eingeführt haben, um doch noch die Zustimmung der sozialdemokratischen Landtagsfraktion in Baden-Württemberg zu finden.
Das war der eigentliche Grund.
— Gut, mag sein, Herr Schäfer, dann haben wir eine falsche Analyse gemacht. Aber wir haben versucht, es auf diese Weise zu machen.Ich habe dann, als Herr Kopf — das nebenbei zum „Urheberrechtsstreit" — sich seinen Vorschlag einfallen ließ, von vornherein dazu geneigt, ihn anzunehmen. Aber ich mußte natürlich mit anderen Gruppen, mit meinem eigenen Koalitionspartner und mit der Opposition, rechnen, und beim Umhören darf ich ja nicht nur nach Baden schauen, sondern muß ich auch ins alte Land Baden-Württemberg schauen, wo natürlich eine gewisse Verstimmung darüber entstanden ist, daß die ganze Sache jetzt— wie manche sagen — völlig unnötigerweise vom Ministerpräsidenten auf eine Grundgesetzänderung hingelenkt worden sei, während man doch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur das hätte tun müssen, was im sogenannten Höcherl-Entwurf vorgeschlagen war. Der Unterschied beider, des von uns vorgeschlagenen Quorums und der qualifizierten Mehrheit, die Herr Kopf vorgeschlagen hat, ist— das hat Herr Süsterhenn schon vorgetragen — fast gleich null.Der berechtigte Einwand gegen unseren Vorschlag war, daß tatsächlich durch ein Fernbleiben von der Abstimmung eine endgültige Entscheidung hätte herbeigeführt werden können. Das konzediere ich Ihnen. Aber kein Mensch hat damit gerechnet, daß es dazu kommen würde. Und zu allerletzt hat sich die Landesregierung vorgenommen, etwa untätig zu bleiben, sondern Sie werden es erleben, daß die Landesregierung mit der größten Energie für dieses Land kämpfen und alles versuchen wird, um eine möglichst große Abstimmungsbeteiligung der Bevölkerung herbeizuführen, nicht weil wir sagen, geschichtliches Unrecht solle gutgemacht werden, sondern weil wir einfach Frieden in diesem Lande wollen, weil wir wissen, daß die überwiegende Mehrheit der badischen Bevölkerung sich zu diesem Land bekennt. Seitdem ich das Amt des Ministerpräsidenten innehabe, hat sich nach sehr sorgfältigen, doppelt angestellten demoskopischen Umfragen in Südbaden die altbadische Gruppe von 37 % auf etwa 20 % reduziert. Das spricht, glaube ich, genügend für die wirkliche Lage im Lande.Nun zu dem sozialdemokratischen Gesetzesvorschlag. Man kann dazu von einer Gesamtkonzeption der Neugliederung des Bundesgebiets Stellung nehmen — das tue ich nicht —, und man kann dazu von der Notwendigkeit einer befriedenden Lösung in Baden-Württemberg her Stellung nehmen. Nur von dem letzteren Standpunkt aus will ich dazu folgendes sagen. Der Vorschlag ist erstens viel komplizierter als unser Vorschlag. Er überwälzt das Problem auf das ganze Bundesgebiet. Er gibt auch keine endgültige Entscheidung, sondern die in der Abstimmung getroffene Entscheidung geht an den Bundestag zurück, wenn auch, was ich zugebe, der Bundestag in der Möglichkeit der Ablehnung beschränkt ist.
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Ministerpräsident KiesingerDer Haupteinwand, den ich gegen Ihren Vorschlag habe, ist der, daß ich ihm überhaupt keine Chance der Durchsetzung gebe.
— Zwei Gremien haben dazu Stellung zu nehmen, der Bundestag und der Bundesrat, und im Bundesrat werden natürlich die deutschen Länder unmittelbar gefragt, ob sie einer so radikalen Vereinfachung und, im Grunde genommen — ich will nicht sagen, Verfälschung, aber — so radikalen Veränderung der ursprünglichen Konzeption der Neugliederung zustimmen. Ich glaube nicht, daß Sie ernsthaft erwarten können, daß Sie eine Zweidrittelmehrheit der deutschen Länder im Bundesrat dazu bekommen. Sie werden sie wahrscheinlich schon in diesem Hause nicht bekommen. Deswegen ist es natürlich auch ganz leicht für Sie, Sie hätten genauso gut in Ihren Vorschlag gar kein Quorum einbauen können.Ich gebe Ihnen also gar keine Chance. Deswegen möchte ich Sie doch noch einmal bitten — da wir wirklich eine Abstimmung im Südwestraum wollen —, wenn Ihr Antrag keine Zweidrittelmehrheit bekommt, wenn er nicht durchgeht, sich einer Zustimmung zu dem jetzt vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion nicht zu verschließen.Ich für meine Person — das muß ich jetzt tun, denn auch mir ist der Antrag soeben frisch gebacken geliefert worden — stimme der qualifizierten Mehrheit zu an Stelle des ursprünglich von uns geforderten Quorums. Wir hatten ursprünglich daran gedacht, den Sorgen dadurch Rechnung zu tragen, für den Fall, daß sich wirklich nicht 50% der Abstimmungsberechtigten an der Abstimmung beteiligen, zu sagen: Dann ist die Abstimmung nicht ohne Ergebnis verlaufen, dann muß eine neue Abstimmung erfolgen. Aber das ist natürlich ein ziemlich kompliziertes Verfahren. Dagegen kann man einige Bedenken anführen.Wichtig ist mir nur, in diesem Zusammenhang einige Dinge niedriger zu hängen. Ich habe in den letzten Tagen gesehen, daß der Geschäftsführer des Heimatbundes Badener Land — ich kann nicht annehmen, in Unkenntnis über die Bedeutung des Quorum-Vorschlages — verbreitet hat, unser Vorschlag bedeute, daß 50% der Abstimmungsberechtigten in Baden notwendig seien, um das alte Land Baden wiederherzustellen. Das ist 'einfach eine Irreführung der Öffentlichkeit. Wir haben lediglich gefordert, daß sich 50% der Abstimmungsberechtigten beteiligen müssen. Das bedeutet, daß 25% plus eine Stimme genügen würden, genauso wie bei der qualifizierten Mehrheit, die Dr. Kopf vorschlägt, damit das alte Land Baden, wenn im übrigen die Mehrheit erreicht wird, wiederhergestellt wird. Sogar in dem seriösen Rheinischen Merkur, der allerdings in der Badenfrage nicht immer ganz seriös ist,
fand ich einen Angriff „Die List des Rechtsausschusses" — er richtete sich gegen den Rechtsausschuß —, worin die Meinung vertreten war, daß 77 % der Stimmen erforderlich seien, um das alte Land Badenwiederherzustellen. Man hat mir gesagt, diese Einsendung stamme von einem badischen Studienrat. Ich kann nur hoffen, daß er an seiner Schule nicht gerade Mathematik zu lehren hat.
Das ist das, was ich zu sagen habe, meine Damen und Herren. Uns ist es recht, wenn wir über eine Grundgesetzänderung zu einer endgültigen und befriedigenden Abstimmung kommen. Mein Bedenken gegen Ihren Vorschlag — den Vorschlag der SPD-Fraktion —, ich sage es noch .einmal, ist dies, daß die Dinge verzögert, verwickelt, schwieriger werden und daß in Ihrem Vorschlag eine Chance des Erfolges nicht drinsteckt. Deswegen wäre ich froh, wenn Sie schließlich dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion zustimmen könnten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur noch ein paar ganz kurze Bemerkungen. Ich glaube, aus den Ausführungen der Herren Süsterhenn, Busse und Ministerpräsident Kiesinger dürfen wir schließen, daß nun allgemeine Meinung ist, man wird eine gerechte Lösung nicht auf Grund des bestehenden Art. 29 erreichen, man wird eine Verfassungsänderung brauchen.Wir Sozialdemokraten, ich hatte das eingangs gesagt, entschließen uns schwer, Verfassungsänderungen für notwendig zu halten und Anträge auf Verfassungsänderungen einzubringen. Wir prüfen sehr gewissenhaft,
— danke schön! danke, Herr Busse! — und solange auch nur noch eine Möglichkeit besteht, eine vernünftige Regelung auf Grund bestehender Verfassung durchzuführen, versuchen wir diese Regelung.Deshalb haben wir lange darum gesucht, bis wir zu der Überzeugung kamen: Nein, man muß doch eine Verfassungsänderung machen. Aber dann, meine Damen und Herren — das darf ich zu Ihnen, Herr Ministerpräsident Kiesinger, sagen —: hier in diesem Bundestag stehen uns alle Gebiete des Bundes gleich nahe.
Nicht nur derjenige, der organisiert laut um sein Recht ruft, wie es der Heimatbund Badenerland tut, muß recht bekommen, sondern alle diejenigen, bei denen die Rechtssituation so ist. Ich hatte vorhin die Prozentsätze genannt: 25 % Eintragungen in dem Volksbegehren im Heimatland Badenerland, in den badischen Regierungsbezirken nur 15 %. Jeder in diesem Bundestag und Sie, Herr Ministerpräsident, haben genauso die Verantwortung für das Ganze. Sie betonen natürlich kraft Amtes insbesondere Ihre Sorge für Baden-Württemberg. Dafür haben wir Verständnis. Baden-Württemberg ist für
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5394 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964
Dr. Schäferuns ein Musterbeispiel dafür, Herr Ministerpräsident, daß wir es nicht auch in anderen Landesgebieten anderer Länder so weit kommen lassen dürfen, daß, wie ich im Rechtsausschuß erzählt habe, es bei öffentlicher Veranstaltung vorkommt, daß ein ganz Verrückter die Anwesenden zum Gebet auffordert, daß ihnen nicht Unrecht geschehe und Gott der Allmächtige ihnen helfe im Kampf gegen die bösen Württemberger. So weit geht diese Situation; Sie waren dabei, Herr Kollege Güde. Es ist unsere Verpflichtung, von vornherein dafür zu sorgen, daß nicht in anderen Gebieten Ähnliches sich entwickeln kann.Wenn wir an eine Grundgesetzänderung gehen, meinen wir, muß auch das Ganze in Ordnung gebracht werden.Aber ich freue mich: wir sind heute, das hat sich doch gezeigt, wesentlich aufeinander zugekommen, und ich habe immer noch die Hoffnung, daß wir uns im Rechtsausschuß finden können.Ich bedauere, daß Herr Innenminister Höcherl weggehen mußte; ich hätte gern zu ihm eine Bemerkung gemacht. Ich kann sie in abgeschwächter, sehr höflicher Form auch als Wunsch gegenüber den beiden Herren Staatssekretären machen. Meine Herren Staatssekretäre, wenn Ihr Minister zeitlich so stark in Anspruch genommen ist, daß er sich nicht ausreichend auf dieses schwierige Gebiet vorbereiten kann, dann wäre es vielleicht besser gewesen, einer von Ihnen, meine Herren, hätte sachkundig hier für die Regierung Stellung genommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kopf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 1., der 2., der 3. und der 4. Bundestag haben immer wieder erneut, von verschiedenen Ansatzpunkten ausgehend, sich mit der Frage der Neugliederung überhaupt und der Neugliederung speziell im Südwestraum beschäftigt. Überblickt man das Bild dieser Geschichte, so kommt man zu der Feststellung, daß dieses Bild eigentlich verglichen werden könnte mit einem abstrakten Gemälde, das aus einer Flut verwirrender Linien zusammengesetzt ist. Heute beginnen sich diese Linien zu vereinfachen, heute sind die Standpunkte klarer, und heute zeichnet sich auch eine gewisse Übereinstimmung in diesem Hohen Hause ab. Das ist gewiß erfreulich. Die Übereinstimmung besteht zunächst einmal in der gemeinsamen Überzeugung, daß eine recht baldige, natürlich faire und gerechte Abstimmung im Lande Baden notwendig ist. Sie besteht weiter in der Meinung, daß diese Abstimmung in der Form einer alternativen Fragestellung erfolgen soll. Dieses Votum hat der Innenausschuß dem Rechtsausschuß gegenüber abgegeben. Die Übereinstimmung besteht ferner in der Meinung, daß es zur Ermöglichung dieser alternativen Fragestellung erwünscht sei, eine Grundgesetzänderung vorzunehmen. Das ist in der Tat ein sehr erheblicher Fortschritt; das ist in der Tat eine gewisse Abklärungder Meinungen, und das ist bereits eine sehr weitgehende Übereinstimmung dieser Meinungen.Nun ist heute von der CDU/CSU-Fraktion ein Antrag eingereicht worden, der im wesentlichen mit Vorschlägen übereinstimmt, die bereits im Rechtsausschuß entwickelt worden sind und die sich an die sogenannte Formulierungshilfe der Regierung des Landes Baden-Württemberg anschließen. Ich will auf die Frage der Quorumgestaltung nicht mehr eingehen; das haben die Herren Vorredner bereits getan. Ich will nur auf die Frage eingehen, ob es gerechtfertigt ist, bei Durchführung der deutschen Neugliederung in Phasen — diese Phasendurchführung ist vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als zulässig anerkannt worden — zunächst im Südwestraum die Dinge zu bereinigen. Diese Frage möchte ich allerdings mit einem klaren Ja beantworten.Ich teile nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken des Herrn Kollegen Schäfer. Der Südwestraum ist auf Grund seines merkwürdigen Schicksals, seiner Dreigeteiltheit in der Besatzungszeit immer als ein Sondertatbestand behandelt worden, vom Parlamentarischen Rat wie vom ersten Bundestag, im Grundgesetz wie bei den folgenden Versuchen, zu einer Neugliederung zu kommen. Der Südwestraum rechtfertigt diese Sonderbehandlung in der Tat. Wenn man das zweite Urteil des Bundesverfassungsgerichts liest, erkennt man, mit welchen erheblichen Mängeln die Durchführung jener Abstimmung im Lande Baden, auch wenn sie nicht verfassungswidrig war, behaftet gewesen ist. Das Vorhandensein dieser Mängel ist gleichzeitig für uns die Triebkraft, die uns ermuntert hat, immer und immer wieder Schritte zu unternehmen, um hier eine Bereinigung herbeizuführen; denn wir leben in einem Rechtsstaat, und wir wollen diesen Rechtsstaat auch als Rechtsstaat erhalten.Ich glaube also, daß es durchaus richtig ist, den beschrittenen Weg zu gehen. Ich freue mich, daß auch Herr Kollege Schäfer zum Ausdruck gebracht hat, daß das Anliegen, im Raum Baden eine Abstimmung herbeizuführen, dringlich ist. Gerade deshalb, weil dieses Anliegen dringlich ist, sollte man ihm Vorrang geben und die Abstimmung schnellstens ermöglichen. Daher halte ich es für richtig, daß wir uns dem heute eingereichten Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion anschließen.Auf der anderen Seite wirft natürlich Art. 29 Probleme sehr schwieriger Art auf. Das Vorhandensein dieser Probleme hat unsere Beratungen in den letzten Jahren so überaus erschwert und verzögert. Ein sehr wichtiges Problem allerdings hätte wohl sehr einfach gelöst werden können, nämlich die Zulässigkeit einer alternativen Fragestellung. Dieses Problem hätte gelöst werden können, wenn unser Haus und seine Ausschüsse sich dem Votum des Rechtsausschusses des 2. Bundestages angeschlossen und diese alternative Fragestellung als mit unserem Grundgesetz vereinbar bezeichnet hätten. Es ist eine postume Rechtfertigung unserer damaligen Meinungsbildung, daß der bekannte Kommentar von Maunz-Dürig aus einer Reihe von
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Dr. KopfGründen auf zahlreichen Seiten hierzu Stellungnimmt und die Zulässigkeit dieser alternativenFragestellung im Rahmen des Grundgesetzes bejaht.Aber ich räume ein, es gibt andere Probleme. Es liegt mir fern, auch nur den Versuch einer Lösung dieser Probleme zu machen; ich möchte sie nur noch einmal andeuten. Problematisch ist das Verhältnis zwischen Selbstbestimmungsrecht auf der einen Seite und staatlicher Ordnungsdisposition im Bundesstaat auf der anderen Seite, das Verhältnis zwischen den plebiszitären Kompetenzen einerseits und den Kompetenzen der repräsentativen Demokratie andererseits. Hier nimmt Art. 29 in der Tat eine Sonderstellung ein, weil er eben in weitgehendem Maße ein Selbstbestimmungsrecht der beteiligten Bevölkerung konstituiert hat. Wir sollten gerade an dem Grundgedanken des Selbstbestimmungsrechts im Hinblick auf die Lage anderer deutscher Gebiete jenseits des Eisernen Vorhangs mit ganz besonderem Nachdruck festhalten.Das letzte Problem, das der zeitlichen Aufeinanderfolge der Einschaltung dieses plebiszitären Elements auf der einen Seite und des bundesstaatlichen Kontrollelements auf der anderen Seite, das auch im Entwurf der SPD eine Rolle spielt, ist von schwieriger, komplizierter und zeitraubender Art. Ich würde es sehr bedauern, wenn durch die Prüfung derartiger Fragen der baldige Vollzug der Abstimmung im Gebietsteil Baden, den wir alle wünschen, verzögert würde. Gerade die Kompliziertheit der Probleme, die durch den Entwurf der SPD aufgeworfen worden sind,
zwingt uns meines Erachtens dazu, den leichteren und einfacheren Weg zu beschreiten, der eine als dringlich bezeichnete Frage nun auch einer baldigen und dringlichen Lösung zuführt.Herr Minister Höcherl — er ist nicht mehr anwesend — ist vorhin kritisiert worden. Ich habe seit Jahren Gelegenheit gehabt, mit ihm in dieser Sache zusammenzuarbeiten. Ich muß sagen, daß er sich mit großem Interesse und mit innerer Beteiligung dieser Fragen angenommen hat. Er hat ja auch das Verdienst, durch die Einbringung des Regierungsentwurfs die Dinge im 4. Bundestag in Bewegung gebracht zu haben. Ich glaube, die Verbindung von Sachkunde und Emotion ist immer eine Kombination, die im politischen Leben verdienstvoll sein kann und auch der Anerkennung bedarf. Was wir alle wünschen, meine Damen und Herren, ist, daß in einem Teil Deutschlands, in dem wir nun seit Jahren um die Durchführung des uns nach dem Grundgesetz zustehenden Volksentscheids kämpfen, möglichst bald wieder die Verhältnisse einziehen, die wir uns alle wünschen, nämlich Ruhe, Ordnung und Sicherheit und das Bewußtsein, daß wir unseren rechtsstaatlichen Verpflichtungen in vollem Umfang nachgekommen sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Frage?
Herr Kollege Kopf, da Sie seit Jahren um das Recht, wie Sie es verstehen, kämpfen: haben Sie dann auch Verständnis dafür, daß Sie gleichzeitig auch für die anderen mitgekämpft haben und daß das andere mitgeregelt werden muß?
Herr Kollege Schäfer, ich habe soeben gesagt, daß wir in einem Rechtsstaat leben und daß in einem Rechtsstaat selbstverständlich die Durchführung unserer grundgesetzlichen Verpflichtung eine rechtsstaatliche Verpflichtung darstellt.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Aussprache ist geschlossen.
Beide Vorlagen sollen überwiesen werden an den Rechtsausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Inneres — mitberatend —. — Das Haus beschließt so.
Ich rufe Punkt 29 der heutigen Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens .
Soll der Entwurf begründet werden? — Das Wort hat die Frau Bundesministerin für Gesundheitswesen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich lege dem Parlament namens der Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens vor. Der Entwurf enthält eine Neuregelung auf dem Gebiete des Heilwesens. Im Vordergrund steht die Werbung für Arzneimittel. Die Arzneimittelgesetzgebung soll hierdurch ergänzt und zu einem gewissen Abschluß gebracht werden.Die gegenwärtige Regelung der Heilmittelwerbung ist die sogenannte Werbepolizeiverordnung vom 29. September 1941. Sie ist unzureichend, sie wird den modernen Werbemethoden nicht mehr gerecht und .tritt zudem bald außer Kraft.Motiv des Regierungsentwurfs ist die Verantwortung für die Gesundheit unserer Bevölkerung. Wir können uns auf dem Gebiete der Heilmittelwerbung nicht mit den Vorschriften des Wettbewerbsrechts und des allgemeinen Strafrechts begnügen. Das Interesse der Volksgesundheit gebietet es, daß die Heilmittelwerbung strengeren Maßstäben unterworfen wird als jede andere Werbung und daß wir die Heilmittel nicht wie bloße Konsumwaren behandeln.
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5396 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964
Bundesminister Frau SchwarzhauptDieser Grundgedanke hat Sie, meine Damen und Herren, schon bei dem Erlaß des Gesetzes über das Apothekenwesen und des Arzneimittelgesetzes geleitet. Er ist vor kurzem von dem Bundesverfassungsgericht anerkannt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat die Auffassung bestätigt, daß das Arzneimittel keine gewöhnliche Ware sei, daß es vielmehr ein wichtiges Instrument der ärztlichen Kunst darstelle und damit unmittelbar dem öffentlichen Wohl diene.Sehen wir die Dinge, wie sie sind! Die Werbemethoden haben sich in den letzten Jahrzehnten so gewandelt, daß die Bevölkerung vielfach zu einem übermäßigen und fehlerhaften, zu einem ärztlich nicht gebotenen Gebrauch von Arzneimitteln verleitet wird. Hier kann sich der Gesetzgeber seiner Verantwortung nicht entziehen. Wir müssen unserer Bevölkerung einen Schutz gewähren, den sie mit gutem Recht von uns erwartet. Wir müssen sie vor allem vor einer irreführenden und übertriebenen Anpreisung von Heilmitteln bewahren. Dies gilt zumal für die kranken und älteren Menschen, die einer Werbung, welche ihnen Heilung und Linderung ihrer Leiden verspricht, naturgemäß besonders zugänglich sind.Die Bundesregierung würdigt sehr wohl die Bedeutung, die der Werbung in unserem Wirtschaftsleben zukommt. Wir schätzen diese Werbung, was das Gesundheitswesen angeht, dann, wenn sie als Instrument der allgemeinen Unterrichtung wirksam wird. Der Regierungsentwurf erkennt daher das Recht auf Werbung auch für das Heilmittelwesen grundsätzlich an. Dieses Recht muß aber dort eine Einschränkung erfahren, wo es der nicht minder wichtige Grundsatz der Wahrheit, der Klarheit und der Sachlichkeit erfordert.Damit soll auf eine wirksame Selbstkontrolle der beteiligten Wirtschafts- und Berufskreise nicht verzichtet werden. Verbotsnormen können die Eigenverantwortung und Selbstdisziplin der einzelnen nicht ersetzen. Gerade in diesem Zusammenhang möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß die beteiligten Wirtschaftskreise in ihrer Selbstkontrolle fortfahren und nach Möglichkeit suchen, sie zu verstärken und zu verfeinern.Gegenstand des Gesetzes soll nur die Wirtschaftswerbung sein. Die in dem Entwurf vorgesehenen Einschränkungen gelten nicht für eine Aufklärung, mit der keine wirtschaftlichen Zwecke verfolgt werden. Sie wissen, meine Damen und Herren, welche Bedeutung die Bundesregierung gerade dieser Aufklärung im Rahmen einer allgemeinen Gesundheitserziehung beimißt.Aus den Vorschriften des Entwurfs möchte ich nur zwei herausgreifen. Die eine ist die Generalklausel des § 1. Sie enthält ein allgemeines Verbot unsachlicher Beeinflussung, eine Bestimmung, die kein modernes Heilmittelwerbegesetz entbehren kann. Wer für Heilmittel wirbt, soll zur Sache, d. h. zum Heilmittel selbst, sprechen, und zwar in einer dem Heilmittel angemessenen Weise. Er soll nicht an irgendwelche Emotionen appellieren, sondern an die Einsicht und den Verstand. Daß damit keine Geschmackszensur ausgeübt werden soll, versteht sich, wie mir scheint, von selbst.Die zweite Vorschrift, die ich hervorheben möchte, betrifft die Publikumswerbung für Arzneimittel durch Film, Funk und Fernsehen. Der Gesetzentwurf will diese Werbung künftig nicht mehr zulassen. Meine Damen und Herren, wir dürfen uns nicht der Tatsache verschließen, daß die Bevölkerung gerade hier besonders leicht zu einem Fehlgebrauch von Arzneimitteln verleitet werden kann. Dies liegt in der Flüchtigkeit und dem Wechsel, aber auch in der starken suggestiven Kraft der optischen und akustischen Eindrücke begründet, die diese Werbemedien vermitteln.Ich wiederhole es: Heilmittel sind keine Konsumware. Was für die übrige Wirtschaftswerbung gelten mag, bedarf der Einschränkung oder des Verbots dort, wo es die Gesundheit der Menschen in unserem Volke gebietet. Nur aus diesem Motiv heraus hat sich die Bundesregierung zu der Sondervorschrift für die Werbung durch Film, Funk und Fernsehen verstanden. Das ist der Leitgedanke, der dem ganzen Gesetz zugrunde liegt und der Sie, dessen bin ich sicher, bei der Beratung des Entwurfes ebenfalls bestimmen wird.
Die Begründung ist erfolgt. Ich eröffne die (Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hubert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokratische Partei hatte bereits im Jahre 1958 einen Entwurf vorgelegt, der Vorschriften über die Regelung der Werbung enthielt. Wir haben es außerordentlich bedauert, daß, als im Jahre 1961 das Arzneimittelgesetz verabschiedet wurde, nicht auch die Werbung mitgeregelt wurde. Die Frau Ministerin hat heute selbst gesagt, daß mit dieser Regelung für die Arzneimittelwerbung die Arzneimittelgesetzgebung überhaupt erstabgeschlossen wird. Wir waren der Meinung und sind es auch heute noch, daß die Werbung Bestandteil der Regelung des Verkehrs mit Arzneimitteln ist. Wir hatten damals klare Vorschläge gemacht.Es hat seit dem Jahre 1961 noch einmal drei Jahre gedauert, bis wir diesen Entwurf der Bundesregierung vor uns liegen haben. Wir können nicht sagen, daß dieser Entwurf durch die lange Wartezeit die Klarheit, Eindeutigkeit und auch Vollständigkeit gewonnen hat, die wir eigentlich von ihm fordern. Selbstverständlich, wir stimmen hier voll mit der Bundesregierung überein, Arzneimittel sind Waren besonderer Art. Es versteht sich von selbst, daß z. B. für die Arzneimittel, die unter Rezeptpflicht stehen und damit in die Hand des Arztes gehören, nur in Fachkreisen geworben werden darf.Aber auch für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel müssen — auch da .stimmen wir überein —bestimmte Beschränkungen vorgesehen werden. Es geht nicht an, 'die Werbung in der Weise zuzulassen, wie man das bei gewöhnlichen Waren tut. Vor
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Frau Dr. Hubertallen Dingen meine ich, daß sich die Werbung für Arzneimittel in einer Beziehung ganz grundsätzlich von anderer Werbung unterscheidet. Werbung möchte ja im allgemeinen den Umsatz steigern. Bei den Arzneimitteln kann es nicht unser Wunsch sein, den Verbrauch zu steigern. Jedem sein Auto, jedem seinen Fernsehapparat, aber nicht jedem sein Arzneimittel! Im Gegenteil, glücklich der, der keine Arzneimittel braucht. Die Werbung für Arzneimittel wird sich also im wesentlichen darauf richten müssen, ein neues, ein besseres, ein Arzneimittel mit weniger Nebenwirkungen oder vielleicht ein besser verträgliches an Stelle eines anderen, bisherigen zu setzen.Es muß auch ganz bestimmte Vorschriften geben, die verhindern, daß das Erzeugen von Angst — daß man eine bestimmte Krankheit bekommen könne, wenn man ein gewisses Arzneimittel nicht nehme — und daß überhaupt Suggestivmittel in der Werbung benutzt werden. Denn gerade der kranke Mensch ist Suggestionen besonders ausgesetzt. Wir dürfen auch nicht zulassen, daß der Wert eines Arzneimittels in besonderen Dank- und Empfehlungsschreiben von angeblichen Kapazitäten hervorgehoben wird. Solche Blüten, wie hier in dieser Hauszeitschrift, in der ein Mittel angepriesen wird, das so ungefähr alles heilt und allem vorbeugt — nur die Herzkrankheiten fehlen grade noch —, darf es wirklich in Zukunft nicht mehr geben.Fragwürdig ist allerdings, ob eine Unterscheidung zwischen den Publikationsmitteln gemacht werden kann. Ganz abgesehen von rechtlichen Bedenken muß man doch sagen: ist wirklich das, was man am Rundfunk hört, so viel eindrucksvoller als etwa eine sehr ansprechende Anzeige in einer Illustrierten, die man sich dann noch ausschneiden kann und mit nach Hause nimmt, um ja nicht dieses gute Mittel zu vergessen?Ferner hat die Bundesregierung dieses Gesetz über die Werbung für Heilmittel und die ihnen gleichgestellten Gegenstände auch noch auf reine Behandlungen und Verfahren ausgedehnt. In welche Schwierigkeiten sie damit kommt, geht schon daraus hervor, daß sie wieder z. B. für Kurorte und Kuranstalten eine besondere Ausnahme machen muß.Ganz unverständlich aber ist es uns, daß die Bundesregierung den § 6 Abs. 1 c der alten Himmlerschen Polizeiverordnung aus dem Jahre 1941 aufrechterhalten will. Noch unverständlicher ist der Hinweis in der Begründung, diese Materie solle ihre Regelung im Strafrecht finden.Es ist doch nur aus der nationalsozialistischen Ideologie heraus zu verstehen, daß damals Mittel zur Unterbrechung einer Schwangerschaft mit Mitteln zur Verhütung auf eine Stufe gestellt wurden. Bei den ersten handelt es sich um Mittel, mit denen ein mit Strafe belegter Tatbestand herbeigeführt werden soll, Mittel, mit denen werdendes Leben vernichtet wird. Die Empfängnisverhütung aber, ganz gleich ob es sich um die auch von der katholischen Kirche empfohlene Anwendung der Methode Knaus-Ogino handelt oder ob mechanische oderchemische Mittel angewandt werden, kann man doch nun wirklich nicht als ein strafwürdiges Verhalten ansehen. Hier muß nach unserer Meinung endlich eine reinliche Scheidung durchgeführt werden; diese Polizeiverordnung aus einer unseligen Zeit muß gänzlich aufgehoben werden.Wir kennen auch die große Zahl der künstlich herbeigeführten Schwangerschaftsunterbrechungen, und wir wissen, daß sich unter der hohen Zahl der Müttersterblichkeit und der Sterblichkeit von Frühgeburten auch eine Dunkelziffer von späten Unterbrechungen verbirgt. Welche Schäden an Leben und Gesundheit unserer Frauen dadurch herbeigeführt werden, ist uns doch allen bewußt. Hier kann man nicht allein mit Strafbestimmungen vorgehen. Hier kann man nur helfen, indem man die Möglichkeit zum Vorbeugen gibt, d. h. es nicht zu unerwünschter Empfängnis kommen läßt.Man kann sich nur der Meinung des Präsidenten der Bundesärztekammer anschließen, daß in der Bundesrepublik endlich mit Tabus aufgeräumt werden müsse. Unsere Jugend ist auch gar nicht mehr so tabuhörig. Sie ist gegenüber den natürlichen Lebensvorgängen viel unbefangener und natürlicher, als wir oft meinen. In dieses Gesetz hier gehört die Regelung für die Mittel zur Empfängnisverhütung als den Arzneimitteln gleichgestellte Erzeugnisse. Sie müssen, soweit sie in die Hand des Arztes gehören, unter Rezeptpflicht gestellt werden. Und dann darf natürlich nur in Fachkreisen für sie geworben werden. Aber soweit es sich um unschädliche Mittel handelt, müssen sie auch der allgemeinen Öffentlichkeit bekanntgemacht werden. Es besteht ein Bedürfnis bei uns für Aufklärung, und wir brauchen Beratungsstellen dafür in der Bundesrepublik genauso, wie man das in England oder in den skandinavischen Ländern hat. Wir achten jede religiöse Überzeugung, die natürliche Vorgänge nur in einer Art regeln will. Aber diese Auffassung kann man nicht allen aufzwingen wollen.Die Bundesgesundheitsministerin hat auch, wenn die Angaben einer Zeitschrift stimmen, geäußert, sie sei nicht der Meinung, daß es ein religiöses Gebot gebe, das eine vernünftige Familienplanung verbiete. Ich teile diese ihre Ansicht vollauf. Sie soll auch geäußert haben, es sei Aufgabe einer vernünftigen Gesundheitspolitik, die Aufklärung in dieser Beziehung zu fördern. Dann kann ich nur sagen: Zwei Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust, wenn sie gleichzeitig die Regelung dieser Materie dem Strafrecht überlassen will. Ich glaube aber auch nicht, daß die Bundesgesundheitsministerin mit vollem Herzen hinter dieser Art der Regelung steht. Wir haben es hier, meine Damen und Herren, mit einer Regierungsvorlage zu tun. Ich glaube, es ist der Geist der Bundesregierung, der hieraus spricht.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Haas.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Im Namen meiner Fraktion
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Frau Haasdarf ich folgende Stellungnahme abgeben: Wir begrüßen, daß nunmehr der Entwurf eines Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens dem Parlament zugeleitet worden ist und damit die Diskussion in den Körperschaften beginnt, die über die endgültige Fassung dieses Gesetzes zu entscheiden haben. Wer mit Aufmerksamkeit die Veröffentlichungen in Presse, Rundfunk und Fernsehen der letzten Jahre verfolgt hat, wird ermessen können, in welch breite Kreise sich dieses Gesetz auswirken kann und auswirkt. Das Parlament bzw. die Ausschüsse werden sich in aller Sachlichkeit mit der umfangreichen Problematik auseinandersetzen müssen. Dabei darf von vornherein darauf hingewiesen werden, daß mit diesem Gesetz nicht nur gesundheitspolitische, sondern auch erhebliche juristische und wirtschaftspolitische Fragen aufgeworfen werden.Wenn ich sage, das Parlament solle leidenschaftslos an die Probleme herangehen, so meine ich damit, daß die Beratungen dieses in seiner Problematik nicht zu überschätzenden Gesetzes nicht unter dem Gesichtspunkt des Contergan-Unglücks erfolgen sollten; denn soweit mir bekannt ist, ist für Contergan nicht in einer Form geworben worden, die nunmehr gesetzlich verboten werden soll.Bei dem Gesetz geht es u. a. auch um die Werbung für das Arzneimittel, das, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 13. Februar dieses Jahres festgestellt hat, anders als ein Lebensoder Genußmittel auf die Funktion des menschlichen Körpers in besonders gezielter Weise einwirkt, weil es nicht nur heilsam ist, sondern etwa durch Überdosen oder durch ungünstige, oft nicht ohne weiteres voraussehbare Nebenwirkungen auch schaden kann. Mit dieser Feststellung hat das Bundesverfassungsgericht die besondere Berufsstellung des Apothekers begründet und Verfassungsbeschwerden gegen das Bundesapothekengesetz wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Rechtes auf freie Berufswahl zurückgewiesen. Diese Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts sind für die Beratung des Heilmittelwerbegesetzes deshalb von besonderer Bedeutung, weil bereits bei Bekanntwerden des ersten Referentenentwurfs verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Regelung der Heilmittelwerbung geltend gemacht wurden.Es ist in der ersten Beratung nicht der Platz, zu den einzelnen Bestimmungen des Gesetzes Stellung zu nehmen. Ich glaube, daß bei keinem Mitglied in diesem Hohen Hause nicht das Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung der in diesem Gesetze angesprochenen Materie besteht. Der Ausschuß für Gesundheitswesen, dem der Entwurf als federführendem Ausschuß überwiesen werden soll, wird sich mehrerer Sachverständiger bedienen müssen, um ein Gesetz zustande zu bringen, das, wie das Apothekengesetz, auch den zu erwartenden Verfassungsbeschwerden standhält. Dabei soll es keinem Zweifel unterliegen, daß es sich vor allem um ein Gesetz handelt, das dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen soll.Daß mit einem derartigen Gesetz nicht alle Mißbräuche ausgeschaltet werden können, sei nur amRande vermerkt. Andererseits sei mir aber auch gestattet, darauf hinzuweisen, daß es eines derartigen Gesetzes vielleicht nicht bedurft hätte, wenn ein Teil der Heilmittelindustrie sich in seiner Werbung weise beschränkt hätte.Einige Worte zu der von Frau Dr. Hubert angesprochenen Frage, ob die Mittel zur Schwangerschaftsverhütung von der Neuregelung in diesem Gesetz ausgeschlossen und, was die Werbung angeht, zunächst weiter der Polizeiverordnung unterstellt bleiben sollen. Die Bundesregierung hat hier völlig zu Recht eine Zwischenlösung in Form der Beibehaltung des jetzigen Zustandes vorgeschlagen, weil diese Materie in der von ihr selber eingebrachten Strafrechtsnovelle behandelt wird.
Völlig zu Recht ist dort nur von einer Sitte und Anstand verletzenden Werbung für empfängnisverhütende Mittel die Rede. Alles andere soll danach weder geregelt noch etwa verboten werden. In unserer Eheberatung, vor allen Dingen in der Eheberatung von seiten der Kirchen, wird auf diesem Gebiet schon seit Jahren Positives geleistet.Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung machen. Wem wenigstens in etwa die Problematik dieses Gesetzes bekannt ist, der wird den Ausschuß der vorangegangenen Wahlperiode beglückwünschen, daß er die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens von dem Arzneimittelgesetz getrennt hat. Eine Verbindung beider Gesetze hätte nämlich die Gefahr bedeutet, daß das Gesetz in der vorigen Wahlperiode nicht mehr hätte verabschiedet werden können.
Namens der Fraktion der CDU/CSU beantrage ich, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Gesundheitswesen — federführend — und dem Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Heuser.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Meine noch verbliebenen Herren und Damen! Über ,die Notwendigkeit und die Grundsätze .dieses Gesetzes ist hier genügend ausgeführt worden, so daß ich dazu nicht noch etwas zu sagen brauche. Lassen Sie mich aber noch ein paar Bemerkungen machen.Zunächst eine Bemerkung zum Umfang des Gesetzes. Wir haben in der Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Gesetz ,ein Monitum gefunden. Man hat dort gemeint, dieses Gesetz sollte sich nicht nur auf die Arzneimittel und auf Mittel und Gegenstände, die nicht Arzneimittel sind, aber im Zusammenhang mit der Erkennung und Behandlung von krankhaften Zuständen stehen, beziehen, sondern auch auf Lebensmittel und Futtermittel, denen eine gesundheitliche Wirkung zugeschrieben wird. Wir sind mit der Bundesregierung der Meinung, daß
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Frau Dr. Heuserdiese Dinge nicht in das vorliegende Gesetz hineingehören, sondern über ,das Lebensmittel- und Futtermittelrecht geregelt werden können, und zwar erstens laus sachlichen Gründen und zweitens, weil wir meinen, daß wir die Dinge besser in den Griff bekommen, wenn wir das vorliegende Gesetz auf den in ihm bezeichneten Bereich beschränken.Eine Bemerkung noch zu der Systematik, des Gesetzes. Der Regierungsentwurf stellt hinsichtlich der Werbung auf feine Unterscheidung nach den einzelnen Gruppen ab, die mit der Werbung angesprochen werden sollen: hier Fachkreise — hier Laienkreise. Wenn wir aber in idem Katalog des § 4 Abs. 1 und 2 ein wenig weitersehen, bietet sich auch eine Alternative an. Man könntenämlich daran denken — wie es in anderen Fällen geschehen ist —, zwischen rezeptpflichtigen Mitteln, zwischen apothekenpflichtigen, nicht rezeptpflichtigen Mitteln und sogenannten apothekenfreien Mitteln zu unterscheiden. Wir müßten uns im Ausschuß über diese Systematik unterhalten.Noch ein Wort zu den Medien, zu denen sowohl Frau Ministerin als auch die Vorrednerinnen gesprochen haben. Ich bin — wie Kollegin Hubert — der Meinung, daß es sehr problematisch ist, hier eine unterschiedliche Behandlung der Medien wirksam werden zu lassen. Nicht die Medien sind schlecht, sondern die Benutzer dieser Medien können „schlecht" sein. Die Tatsache, daß die Suggestivkraft des Fernsehens z. B. im Moment bei uns noch so groß ist, liegt doch im Grunde genommen nur daran, daß wir noch nicht so sehr daran gewöhnt sind, daß die Kritikfähigkeit des Publikums diesem Mittel gegenüber noch nicht so ausgeprägt ist. Wir sollten auf die Selektionsfähigkeit unserer Bevölkerung vertrauen und davon nicht eine so schlechte Meinung haben, daß wir glauben, sie könnte sich nicht auch damit auseinandersetzen.Wenn wir in diesem Gesetz sagen, in welcher Form diese Werbung geschehen soll, daß sie nämlich sachlich zu sein hat, daß sie keine unwahren Angaben machen darf, dann sollten wir uns hier nicht einen Ausweg suchen, der mir von der Systematik her nicht gefällt.Es ist unvermeidbar, noch zum § 15 der Vorlage zu sprechen. Ich muß allerdings sagen: Zu einem Zeitpunkt, wo es auch in Deutschland nicht unbedingt mehr zu den absoluten Tabus gehört, über Familienplanung zu reden, und wo — das möchte ich gerade hier an dieser Stelle sagen — in dem neu eingebrachten Strafgesetz fein säuberlich zwischen Schwangerschaftsbeseitigung 'hier und Schwangerschaftsverhütung dort geschieden wird, sollten wir es uns nicht so bequem machen, einfach diese Dinge aus der Polizeiverordnung zu einem Zeitpunkt zu übernehmen, wo wir ein neues, ein gutes Gesetz machen wollen.Man sollte dieses Heilmittelwerbegesetz auch einmal im Zusammenhang mit der Arzneimittelnovelle, die wir zur Zeit im Gesundheitsausschuß behandeln, sehen. Ich glaube, je liberaler das Arzneimittelgesetz wird, desto strenger werden wir uns beim Heilmittelwerbegesetz verhalten müssen. Darüber sind wir uns im klaren. Aber nach den Regeln der Vernunft sollten wir uns auch nicht zu allzu großer Ängstlichkeit verleiten lassen.
Weitere Wortmeldungen liegen nun wirklich nicht mehr vor.
Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zu der Überweisung an die Ausschüsse. Vorgeschlagen ist der Ausschuß für Gesundheitswesen als federführender Ausschuß und der Wirtschaftsausschuß zur Mitberatung. Das Haus stimmt diesen Vorschlägen zu.
Wir sind damit am Ende der heutigen Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 4. März 1964, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.