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ID0411700800

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 117. Sitzung Bonn, den 21. Februar 1964 Inhalt: Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses über den Jahresbericht 1962 des Wehrbeauftragten des Bundestages (Drucksachen IV/1183, IV/1377) Dr. Seffrin (CDU/CSU) . . 5359 B, 5366 D Paul (SPD) 5361 C Schultz (FDP) 5364 A von Hassel, Bundesminister . . . 5371 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (SPD) (Drucksache IV/1896) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Artikels 118 des Grundgesetzes (CDU/CSU) (Drucksache IV/1965) — Erste Beratung — Dr. Schäfer (SPD) . . . 5377 B, 5393 C Dr. Süsterhenn (CDU/CSU) . . . . 5382 A Höcherl, Bundesminister 5386 A Busse (FDP) 5390 A Kiesinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg . . . 5391 B Dr. Kopf (CDU/CSU) 5394 B Entwurf eines Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Drucksache IV/1867) — Erste Beratung — Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister 5395 D Frau Dr. Hubert (SPD) 5396 D Frau Haas (CDU/CSU) 5397 D Frau Dr. Heuser (FDP) 5398 D Nächste Sitzung 5399 D Anlage 5401 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964 117. Sitzung Bonn, den 21. Februar 1964 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Arendt (Wattenscheid)* 21. 2. Dr. Aschoff 21. 2. Dr. Atzenroth 21. 2. Bauer (Wasserburg) 21. 2. Benda 21. 2. Birkelbach 22. 2. Fürst von Bismarck 22. 2. Dr. Bleiß 21. 3. Dr. Böhm (Frankfurt) 21. 2. Dr. von Brentano 21. 3. Brünen 21. 2. Burckardt 21. 2. Dr. Deist 21. 2. Dr. Dörinkel 22. 2. Drachsler 21. 2. Ehren 22. 2. Etzel 21. 2. Even (Köln) 29. 2. Faller* 21. 2. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 21. 2. Frau Funcke (Hagen) 21. 2. Dr. Furler* 21. 2. Gaßmann 22. 2. Gedat 21. 2. Frau Geisendörfer 22. 2. Gibbert 21. 2. Freiherr zu Guttenburg 21. 2. Haage (München) 21. 2. Haase (Kellinghusen) 21. 2. Dr. Hamm (Kaiserslautern) 21. 2. Dr. von Haniel-Niethammer 21. 2. Dr. Harm (Hamburg) 26. 3. Hauffe 15. 3. Hellenbrock 21. 2. Höhne 21. 2. Hörauf 1. 3. Illerhaus* 21. 2. Dr. Imle 29. 2. Jacobs 21. 2. Klinker* 21. 2. Knobloch 21. 2. Könen (Düsseldorf) 21. 2. Kraus 22. 2. Dr. Kreyssig* 22. 2. Kriedemann* 21. 2. Lenz (Bremerhaven) 15. 3. Dr. Löhr 20. 3. Lücker (München)* 21. 2. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Majonica 21. 2. Dr. Mälzig 21. 2. Margulies* 21. 2. Mattick 21. 2. Mauk* 21. 2. Dr. von Merkatz 21. 2. Metzger* 21. 2. Michels 21. 2. Missbach 21. 2. Dr. h. c. Dr..-Ing. E. h. Möller 15. 3. Müser 21. 2. Peters (Norden) 21. 2. Dr.-Ing. Philipp 21. 2. Frau Dr. Probst 21. 2. Ramms 21. 2. Rehs 21. 2. Richarts* 21. 2. Rohde* 21. 2. Ruland 21. 3. Schlee 21. 2. Schlick 21. 2. Schneider (Hamburg) 21. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 2. Schulhoff 29. 2. Seidl (München) 21. 2. Dr. Serres 21. 2. Seuffert 21. 2. Spitzmüller 21. 2. Dr. Starke 21. 2. Dr. Stoltenberg 21. 2. Storch* 21. 2. Frau Strobel* 21. 2. Dr. Supf 21. 2. Theis 29. 2. Verhoeven 21. 2. Dr. Vogel 22. 2. Wächter 21. 2. Weber (Georgenau) 21. 2. Wegener 29. 2. Weinzierl 22. 2. Wellmann 22. 2. Frau Welter (Aachen) 29. 2. Werner 21. 2. Dr. Wuermeling 22. 2. Frau Zimmermann (Brackwede) 21. 2. b) Urlaubsanträge Höhne 21. 3. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Roland Seffrin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es mag den Anschein haben, als ob überhaupt erst infolge der Vorgänge in Nagold die Öffentlichkeit und auch vielleicht manche andere Kreise wach geworden wären und sich nun erst die Bundeswehr anschauten. Ich glaube, wer so denkt, der irrt sich; denn dem ist nicht so. In dem Bericht des Wehrbeauftragten, der heute als Grundlage der Debatte vorliegt, heißt es auf Seite 26:
    Der Wehrbeauftragte hat im Berichtsjahr 1962 den Eindruck bestätigt gefunden, daß die Bundeswehr . . . in eine weitere Phase ihres geistigen Formungsprozesses übergeht. Diese Phase wird aller Voraussicht nach entscheidend sein für den endgültigen Standort unserer neugeschaffenen Armee in unserem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat.
    Diese Feststellung des Wehrbeauftragten ist vor den Vorgängen in Nagold erfolgt. Sie zeugt genau wie die Äußerungen des Verteidigungsministers, in denen er von der Notwendigkeit einer schöpferischen Pause, von der Notwendigkeit der Konsolidierung in der Bundeswehr spricht, davon, daß man erkannt hatte, daß für die Bundeswehr der Zeitpunkt gekommen war, wo es — in militärischer Sprache —



    Dr. Seffrin
    einmal heißen mußte: „Das Ganze halt!", wo einmal Umschau und Rückschau zu halten war.
    Wenn man eine solche Umschau und Rückschau für die Bundeswehr anstellt, muß man sich füglich die Frage vorlegen: Woher kommt unsere Bundeswehr, wo sind ihre Anfänge? Ich glaube, daß man bei einer solchen Betrachtung zwei Komplexe sehen muß: einmal den Komplex, den ich als das große Vakuum von 1945 bis 1955 bezeichnen möchte, und zweitens den Komplex, den ich als die nach 1945 verwandelte Welt bezeichnen möchte.
    Das Vakuum von 1945 bis 1955 — ich nenne es einmal das militärische Vakuum in unserem politischen Geschehen — ist ein vielfaches. Es ist zunächst einmal ein personelles Vakuum: es gab von 1945 bis 1955 in der Bundesrepublik bzw. in den ihrer Gründung vorangegangenen Jahren in den Einzelstaaten keine Soldaten mehr. Wir wissen heute ganz genau, was es personell heißt, daß diese zehn Jahre ausgefallen sind. Zwischen den Soldaten jüngerer und jüngster Jahrgänge und den Soldaten, die noch aus der Zeit vor 1945 kommen, klaffen eben zehn Jahre. Diese Lücke wirkt sich in jeder Hinsicht aus, und es ist auch heute noch ein Problem, sie zu überwinden.
    Das militärische Vakuum, von dem ich sprach, ist weiterhin ein Vakuum hinsichtlich der Tradition. Die Tradition, die mit der Aufgabe des Soldaten verbunden war, Heimat, Vaterland und Volk zu schützen und zu verteidigen, wurde durch diese zehn Jahre doch sehr stark unterbrochen. Ich möchte hier nicht den Standpunkt vertreten, daß wir einfach eine Tradition im Anschluß an 1945 fortsetzen könnten; das ist füglich nicht möglich. Aber die Tradition des Denkens, daß man Aufgaben habe, schützende und dienende Aufgaben für das Volk, ist für zehn Jahre unterbrochen gewesen.
    Das Vakuum war drittens materieller Art. Das heißt, alles, was zur Ausstattung, zur Ausbildung von Soldaten an Gerät und Waffen nötig ist, war verloren, vernichtet und fand keine Weiterentwicklung. Es konnten keine Soldaten ausgebildet werden. Deshalb standen wir auch in den Anfängen der Bundeswehr 1955 vor dem außerordentlich schwierigen Problem der Ausstattung unserer Bundeswehr mit Gerät und Waffen, ein Problem, dessen Folgen sich all die Jahre hindurch, sogar noch bis in die Gegenwart hinein, auswirkten.
    Die vielleicht schwerste Belastung in dem Vakuum scheint mir der Prestigeverlust. Der Soldatenstand war bei uns nach 1945 verrufen; das ist einfach unbestreitbar. Soldatsein galt nicht als etwas Besonderes, galt, nicht mehr als eine Aufgabe für den Mann, Soldatsein war nach 1945 beinahe etwas Schmähliches. Damals ist auch, gestützt von dem politischen „Ohne mich"-Standpunkt ein ganz starker, abwertender Einfluß auf das Soldatische schlechthin erfolgt. Man erinnere sich daran, daß noch 1956 von dem Soldatentum als einer „Ausbildung von Massenmördern" gesprochen worden ist, und das nicht von einem einfachen Mann draußen, sondern von einem früheren Angehörigen dieses Hauses.
    Dieses Vakuum wurde sachlich im Jahre 1955 überwunden, als die Bundesrepublik durch ihren Beitritt zum atlantischen Verteidigungsbündnis die Souveränität erhielt und gleichzeitig die Möglichkeit, ihre Sicherheit und Verteidigung in die eigene Hand zu nehmen. Das Vakuum wurde prestigemäßig und ideologisch etwa dm Jahre 1960 überwunden, als eine weitgehende Annäherung der außenpolitischen Standpunkte eine neue Situation auch für den Bereich ,der Bundeswehr herbeiführte.
    Als die Bundeswehr 1955 entstand, geschah das in einer völlig verwandelten Umwelt. Geändert hatte sich einmal die menschliche Umwelt. Das soziologische Bild unseres Volkes hatte sich stärker als zwischen 1918 und 1933 und in einer völligen ReActio auf die Fesselung zwischen 1933 und 1945 in eine Vielfalt von Gebilden aufgefächert. Die pluralistische Gesellschaft mit ihren Vorteilen und Gefahren bestimmte damals und bestimmt auch heute unser Leben.
    Geändert hatte sich gegenüber der Zeit vor 1945 auch die politische Umwelt. Der Krieg hatte uns nieder- und zurückgeworfen. Ungeheure Verluste an Menschenleben und an Werten, vor allem aber die Spaltung unseres Volkes, hatten eine politische Situation herbeigeführt, die sich auf alle Menschen in unserem Staate auswirkte, die jeden vor ganz bestimmte Entscheidungen und vor ganz bestimmte Entschlüsse stellte.
    Geändert hatte sich die materielle Umwelt. Mechanisierung, Technisierung, Spezialisierung griffen in weiten Bereichen um sich. Der Mensch lebt im Rahmen dieser Mechanisierung, Technisierung und Spezialisierung ein anderes Leben, als er es vorher gelebt hat. Ein freieres Leben, ein leichteres Leben vielleicht, und doch im Grunde einschwereres Leben. Ganz besonders aber drückt sich die vollzogene Veränderung nach 1945 in den Erfolgen aus, die die Atomphysik aufzuweisen hat, und in den umwälzenden Entwicklungen, die sie hervorrief.
    In einer so verwandelten Welt und aus einem solchen Vakuum begann der Aufbau der Bundeswehr. Sie entstand umstritten, bekämpft, von Mißtrauen und Mißverstehen begleitet. Trotzdem wurde sie ein Gebilde, das in unserer Geschichte ohne Vorbild ist. Nicht mehr der Untertan des kaiserlichen oder königlichen Kriegsherrn, nicht mehr der Volksgenosse als namenloses Werkzeug der Diktatur, sondern der Bürger in Uniform, eingefügt in eine große Lebens- und Volksgemeinschaft, schützt und verteidigt die Werte, die ihm sein Leben lebenswert machen.
    In den Anfängen der Bundeswehr steht der Soldat in militärischen Verhältnissen, die in unserer Heeresgeschichte ohne Beispiel sind. Die so viel mißverstandene „civil control", d. h. die Regelung, wonach das demokratische Prinzip, der demokratisch-parlamentarische Vorrang auch für die Streitkräfte gelte und die Soldaten nicht ein Staat im Staat sein dürfen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen bei der Entstehung unserer Bundeswehr gewesen. Sie hat zu neuen Gedanken und zu neuen Prinzipien geführt, auch zu dem, was wir heute



    Dr. Seffrin
    Innere Führung nennen. Sie besagt im Grunde ganz einfach dies: Auch der Soldat ist Persönlichkeit mit allen Rechten und mit der Würde des Menschen, aber auch mit den Pflichten des Menschen. Mit diesen Grundsätzen sollte die Bundeswehr von innen her ausgestattet werden.
    Um die so angelegte Entwicklung zu stärken, wurde die Institution des Wehrbeauftragten geschaffen, der als Organ des Bundestages, der Volksvertretung, seine besondere Aufmerksamkeit auf die Bundeswehr zu richten hat. Er macht seine Beobachtungen und teilt sie der Vertretung des Volkes mit. Wir befinden uns gerade in einer solchen Besprechung. Ich glaube, dem, was hier heute über die Institution des Wehrbeauftragen gesagt wurde, kann man seine volle Zustimmung geben.
    Neu war auch das Kriegsbild, das durch die andere Entwicklung des Wehr- und Kriegswesens entstand. Und der Umstand, daß die neuen Soldaten der Bundeswehr keine Soldaten einer nationalen, sondern in einer integrierten Armee sein sollten, vermehrte die Problematik der Situation, in der die Bundeswehr entstand.
    Wenn man heute die Bundeswehr vor diesem Hintergrund sieht, dann darf man wohl feststellen, daß sie in dem insgesamt gesehen doch sehr kurzen Zeitraum der sieben Jahre ihres Bestehens, herkommend aus einem gefährlichen und feindlichen Vakuum, werdend und wachsend in einer völlig gewandelten Welt, einen zwar oft mühsamen, manchmal auch holprigen und hastigen, im ganzen aber guten und tapferen Weg gegangen ist. Am Anfang ihres Weges steht die wiedergewonnene Souveränität. An ihrem Wege stehen schon im November 1958, im August 1961 und wiederum im Jahre 1962 die Marksteine der politischen Bedeutung dieser neuen Institution. Sie hat in sieben Jahren ihre geistigen Gegner von ihrem Sein und von ihrer Notwendigkeit überzeugt.
    Wenn wir nun gleichsam Inventur machen, dann nicht, weil wir unzufrieden wären. Wir wollen vielmehr anerkennen, was geleistet wurde, wollen Schlechtes korrigieren, Wertvolles fördern. Vergessen wir dabei auch nicht, daß die Bundeswehr ein Spiegelbild der Situation in unserem Volk ist: nicht nur die guten, auch die schlechten Lebensformen und Lebensarten unseres Volkes zeigen sich in der Bundeswehr. Zum Beleg dessen sei hier noch einmal vorgetragen, was der Verteidigungsminister am 30. Januar 1964 in Godesberg gesagt hat, daß sich nämlich die weithin in der Öffentlichkeit festzustellende mangelnde staatsbürgerliche Gesinnung, das ungezügelte Verlangen nach Bindungslosigkeit, das Mißdeuten und Mißverstehen des Freiheitsbegriffs, die Übersteigerung des materiellen Denkens, dem Begriffe wie Pflicht und Dienst immer fremder werden, daß sich diese Züge in unserem Volksganzen natürlich auch in ,der Bundeswehr in dieser oder jener Form wiederfinden.
    Wenn man sich nun im einzelnen einer Art Inventur zuwendet, dann sei zunächst auch von unserer Seite aus die Institution der Wehrbeauftragten betrachtet. Es wurde davon gesprochen, daß ihre Anfänge von manchem Mißtrauen umstellt waren, daß
    es Leute gab, die davon sprachen, mit dem Wehrbeauftragten käme vielleicht eine bedenkliche Komponente in unsere Wehrverfassung. Seitdem sind sieben Jahre vergangen, und wir können wohl sagen, daß sich die Institution ausgesprochen bewährt hat. Heute dürfen, ja müssen wir sagen, daß wir die Institution des Wehrbeauftragten, wenn wir sie nicht hätten, tatsächlich schaffen müßten. Sie ist eine Institution, in der sich die Kontrolle des Volkes gegenüber der Streitmacht manifestiert. Die Tatsache, daß heute erörtert wurde, ob der Wehrbeauftragte vor dem Parlament sprechen sollte oder nicht, ist meines Erachtens nicht Ausdruck der Skepsis, sondern vielmehr Ausdruck dafür, wie sehr wir uns überlegen, die Position des Wehrbeauftragten, den Wert dieser Institution in ihrem Wirken zu fördern.
    Ich stimme auch dem zu, was hier im Blick auf die Innere Führung gesagt wurde. Die Prinzipien der Inneren Führung sind von Anfang an Elemente der Bundeswehr gewesen, und wenn auch, wie es scheint, sich Schwierigkeiten eingestellt haben, so sollten diese doch in keiner Weise Anlaß dafür sein, von dem Prinzip der Inneren Führung abzuweichen, einem Prinzip, das, wie ich glaube, für die für unseren demokratischen Staat errichtete Bundeswehr notwendig ist. Diejenigen, die sich innerhalb und auch außerhalb der Bundeswehr ihre Gedanken machen, ob das alles nun wirklich so richtig sei, was man mit der Inneren Führung erreichen wolle, muß man nicht unbedingt als restaurative Kräfte bezeichnen. Ich jedenfalls möchte solche Überlegungen nicht als „restaurativ" ansehen, sondern darin einen Ausdruck der inneren Anteilnahme, des inneren Wollens für unsere Bundeswehr sehen.
    So wie unser Staat heute gebaut ist, kann in keiner Weise daran gedacht werden, in der Bundeswehr eine innere Oordnung, ein inneres Prinzip zu entwickeln, das unserem gesamtstaatlichen demokratischen Prinzip nicht entspräche. Dadurch würden Spannungen entstehen, die zu schwierigen Verhältnissen führen könnten. Ich bin vielmehr der Meinung, daß im Rahmen des Möglichen und im Rahmen der kurzen Zeitspanne, die uns zur Verfügung stand, um das Neue zu erproben, das Prinzip der Inneren Führung als des Ordnungsgesetzes unserer Bundeswehr sich absolut bewährt hat. Wir sollten daher nicht daran denken, irgendwelche Änderungen, schon gar nicht Änderungen restaurativer Art, vorzunehmen, sondern wir sollten im Gegenteil nach vorwärts denken und die Entwicklung der Bundeswehr aus den Prinzipien der Inneren Führung weiter im Auge behalten.
    Sowohl im Bericht des Wehrbeauftragten als auch von meinen Herren Vorrednern ist darauf hingewiesen worden, daß die Schwierigkeiten in der Bundeswehr vor allem bestimmten Schwachen in der Ausbildung entspringen, d. h. daß wir in der Bundeszu wenig Ausbilder, Offiziere und Unteroffiziere, haben. Sie wissen vielleicht auch, daß die Zahl der fehlenden Unteroffiziere heute weit über die früher genannte Zahl von 20 000 hinausgeht, daß wir etwa 93 000 Unteroffiziere haben und etwa 138 000 Unteroffiziere bräuchten. Der Unteroffizier ist heute zu einem sehr wichtigen Problem innerhalb unserer

    .5369

    Dr. Seffrin
    Bundeswehr geworden. Wenn es heute schon schwerer ist als früher, Offizier zu sein, so ist es heute
    noch viel schwerer als früher, Unteroffizier zu sein.
    Wir verstehen durchaus die Wünsche und Forderungen, die von den Unteroffizieren nach entsprechender Einordnung und Ausstattung ihres Standes erhoben werden. Die Einrichtung von Unteroffiziersschulen wird eine Hilfe, wahrscheinlich eine sehr gute Hilfe, sein, da es ja bei den Unteroffizieren nicht nur darauf ankommt, etwa statt nur 100 000 die notwendigen 130 000 zu haben. Es ist also nicht nur die Quantität, die Zahl, auf die es ankommt, es kommt mehr noch auf die Qualität, auf den Wert, auf die Leistungsfähigkeit der Unteroffiziere an.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)

    Denn sie sind die Männer, die bei der Ausbildung unmittelbar mit den Soldaten zu tun haben.
    Darf ich an dieser Stelle auch auf folgendes hinweisen. Im Zusammenhang mit Nagold und den anschließenden Prozessen ist gesagt worden: „Die kleinen Ausbilder, die Gefreiten, die Unteroffiziere faßt man, die werden bestraft, und die Großen läßt man laufen." Ich glaube, daß hier eine falsche Optik obwaltet. Man muß wissen, daß wir — auch das war eine wichtige Neuerung — bei der Ordnung des Rechtswesens für unsere Bundeswehr von Anfang an von dem Wert und von der Würde des Menschen und von der Auffassung ausgingen, daß der Soldat nicht eine eigene Gerichtsbarkeit, etwa mit einem Obersten Gerichtsherrn, bekommen sollte, sondern daß auch der Bundeswehrsoldat als Teil unserer Volksgesamtheit dem allgemeinen Gesetz und dem allgemeinen Richter untersteht, soweit es sich nicht um Vorgänge handelt, die als Disziplinarfälle innerhalb der Bundeswehr geregelt werden können. Deshalb werden die Vorgänge in Nagold, soweit sie strafrechtlichen Charakter haben, vor dem ordentlichen Gericht verhandelt, während das Verhalten der Offiziere, die nicht unmittelbar mit der Ausbildung zu tun hatten, disziplinarisch geahndet wird.
    Ich möchte meinen, daß zu der Angelegenheit Nagold nichts Besseres gesagt werden kann als das, was in der ausgezeichneten Denkschrift steht, die das Bundesverteidigungsministerium zu dieser Angelegenheit herausgegeben hat. Darin sind nicht nur die Vorgänge und der Ablauf der Nagold-Angelegenheit dargestellt, in dieser Denkschrift sind vor allem — und das scheint mir das Wichtigste und das Wesentlichste daran zu sein — die Ursachen aufgezeigt, vor allem aber werden Maßnahmen vorgesehen und Erkenntnisse für eine Besserung gewonnen. Ich kann es mir deshalb ersparen, auf Einzelheiten im Zusammenhang mit Nagold hier näher einzugehen.
    Es ist bekannt, daß in der Bundeswehr noch andere Schwierigkeiten entstanden waren. Schon vor, aber auch nach Nagold wurde in der Öffentlichkeit vielfach gesagt, die Bundeswehr stelle nicht gerade eine Auslese der besten jungen Männer unseres Volkes dar. Ich weiß nicht, was eine solche Aussage überhaupt will. Will sie alte Ressentiments gegen die Bundeswehr wiederbeleben, oder will sie ernsthaft auf einen Sachverhalt hinweisen, der,
    wenn er vorläge, wirklich behoben werden müßte? Ich glaube nicht, daß sich in der Bundeswehr eine negative Auslese aus unserem Volke versammelt hätte; und wir können nach den jetzt vorgesehenen Änderungen des Musterungs- und des Einberufungsverfahrens sagen, daß eine Wandlung Platz greifen und künftig zu solchen Beurteilungen kein Anlaß mehr bestehen wird, daß also Bundeswehrsoldaten nicht mehr als eine negative Auslese, sondern eher als eine positive Auslese unseres Volkes gelten können.
    Meine verehrten Kollegen und Kolleginnen! Man stellt der Bundeswehr, glaube ich, auch. Forderungen und Aufgaben, die sie nicht immer von sich aus so erfüllen kann, wie das die Kritik an der Bundeswehr will. Wenn etwa von der Notwendigkeit des staatsbürgerlichen Unterrichts gesprochen wird oder wenn man den Bundeswehrangehörigen als einen Staatsbürger in Uniform bezeichnet, dann soll man sich darüber klar sein, daß, wenn dieser Staatsbürger in Uniform Fehler hat oder die Bundeswehr mit ihrem staatsbürgerlichen Unterricht die erstrebten Ziele nicht zu erreichen vermag, die Bundeswehr in 18 Monaten nicht all das nachholen und wettmachen kann, was vorher in 18 und 20 Jahren versäumt worden ist. Die Konzeption des Staatsbürgers in Uniform setzt voraus, daß derjenige, der die Uniform anzieht, schon ein Staatsbürger sei. Daran aber fehlt es oft sehr. Dieser Umstand soll uns jedoch nicht kopfscheu machen und dahin bringen, daß wir von der gesunden, richtigen Auffassung und Forderung abgehen, daß der Bundeswehrangehörige ein Staatsbürger in Uniform sein soll. Aber wir müssen schon Wert darauf legen, daß wir zunächst einmal richtige Staatsbürger in Zivil sind; denn dann können wir auch richtige Staatsbürger in Uniform sein. Solange man hier von der Bundeswehr verlangt, daß sie das, was Schule, Elternhaus und Gesellschaft in vielen Jahren versäumt haben, in 18 Monaten nachholt, ist die Bundeswehr ganz einfach überfordert.
    Ich möchte in diesem Zusammenhang auf ein anderes Problem hinweisen, das angesichts der Vorfälle in Nagold aktuell geworden ist: die körperliche Leistungsfähigkeit unserer Bundeswehrsoldaten. Man hat darauf hingewiesen, daß an die Männer der Bundeswehr zu harte und zu schnell harte Ansprüche, körperliche Leistungen zu vollbringen, gestellt würden. Das mag manchmal zutreffen. Aber man sollte dabei auch daran denken, daß die Männer, die zur Bundeswehr kommen, hinsichtlich ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit und sportlichen Vorausbildung — in ähnlicher Weise wie der Staatsbürger, so hier der „Sportbürger", wenn ich einmal so sagen darf — allerlei zu wünschen übrig lassen. Man erwartet nun wiederum von der Bundeswehr, daß sie im Rahmen des großen allgemeinen Auftrages, den sie als soldatische Organisation hat, in wenigen Monaten das nachholt und wettmacht, was vorher versäumt worden ist. Wenn man hört, daß unsere jungen Männer in den Jahren nach ihrer Schulentlassung, bis zum 18. oder 19. Lebensjahr etwa keine entsprechende sportliche Ausbildung betrieben haben, dann wundert man sich darüber. Aber ist es nicht so, daß bei einem großen



    Dr. Seffrin
    Teil unserer Jugend, insbesondere der männlichen, das Sportbedürfnis vor dem Fernsehschirm und auf den Rängen der Fußballplätze abreagiert wird?

    (Na, na! bei der SPD.)

    Man hat dann das Gefühl, daß man etwas für den Sport getan habe, aber man läßt sich von dem, was man sieht, nicht aneifern, man treibt selbst weiterhin keinen aktiven Sport. Wenn diese jungen Männer dann zur Bundeswehr kommen, werden sie bei veränderter Lebensweise auch den sportlich immerhin anspruchsvollen Bedingungen unterworfen. Daß es hier zu Kurzschlüssen und Pannen kommt, läßt sich schwer vermeiden. Aber auch hier wird im Rahmen der Gesamtbesinnung der Bundeswehr daran gedacht, daß durch vordringlichen Bau von Sporthallen und durch die Anlage von Sportplätzen die Bundeswehr energischen Willens die Schwächen beseitigt, die sich eingestellt haben.
    Das weite Gebiet der sozialen Versorgung unserer Bundeswehrangehörigen ist in all den Jahren, die hinter uns liegen, immer wieder angesprochen worden. Die Phase des Aufbaus der Bundeswehr brachte es mit sich, daß die Soldaten sehr häufig ihren Standort und damit die verheirateten Männer ihren Wohnort wechseln mußten. In vielen Fällen war es nicht möglich, bei diesen ständigen Veränderungen dafür zu sorgen, daß der versetzte Bundeswehrangehörige am neuen Standort eine Wohnung bekam und seine Familie mitnehmen konnte. Die Bemühungen der Bundeswehrführung, diesen Mängeln entgegenzuwirken, sind anzuerkennen. Sicher war es angesichts der allgemeinen Verhältnisse nicht möglieh, mehr als das zu tun, was getan wurde.
    Immerhin hat die Bundeswehr jahrelang durchschnittlich tausend Wohnungen im Monat gebaut, sie wird auch künftig dafür sorgen, daß der Wohnungsbau für ihre Angehörigen vorangeht, damit die Schwierigkeiten auf diesem Sektor allmählich ausgeräumt werden.
    Mit dem Wohnungsproblem und den ständigen Veränderungen hängen auch die Schwierigkeiten zusammen, die sich bei den verheirateten Bundeswehrangehörigen hinsichtlich der Umschulung der Kinder ergeben. Hier kann eine Änderung kaum durch eine Lösung von oben her erfolgen. Man sollte allerdings in den Beratungen der Ständigen Konferenz der Kultusminister dem Problem einer .stoffmäßigen und fachmäßigen Angleichung und Annäherung der Schulen ein besonderes Augenmerk widmen und alles tun, was man überhaupt tun kann, um die Unterschiede, die sich bei den Versetzungen und beim Wohnungswechsel nachteilig auswirken, auf ein 'erträgliches Maß zu begrenzen.
    Die Sorge um den Soldaten in ,abgelegenen Standorten oder auch in Standorten, die sich mitten im pulsierenden Leben einer Großstadt befinden, stellt uns vor besondere Aufgaben. Deshalb wird der Bau von Heimen für die Bundeswehr in den Planungen des Verteidigungsministeriums in besonderem Maße berücksichtigt.
    Noch ein Wort zu den Beziehungen zwischen der Bundeswehr und der Öffentlichkeit. Ich darf wohl feststellen, daß die Bundeswehr in weiten Kreisen
    unseres Volkes heute wirklich als eine Institution angesehen wird, der man nicht mehr mit Mißtrauen oder Ablehnung begegnet. Sie ist als Teil unseres Staatswesens und unseres Volkes anerkannt. Weil aber die Bundeswehr ein integrierender Bestandteil unseres Staates und unseres Volkes ist, muß man ihr zugestehen, daß auch sie ihre Meinung sagen darf, wenn sie Gegenstand von Fernsehsendungen oder des Hörfunks wird. Ich glaube, man kann es der Bundeswehrführung nicht verwehren, daß sie in solchen Fällen, wo offenkundig ein Mißverständnis oder Unkenntnis obwaltet oder wo sie aus anderen Gründen die ihr gegebene Aufgabe hinsichtlich der Bundeswehrangehörigen gefährdet sieht, zu solchen Sendungen und Berichten Stellung nimmt. Man sollte der Bundeswehr nicht einen Maulkorb umhängen und ihr die Stellungnahme verbieten.
    Ich habe mit den von mir angeschnittenen Themen wesentliche Punkte erwähnt. Es gäbe ihrer noch mehr. Ich möchte nur am Rande auf etwas anderes hinweisen, ohne zu sagen, daß die Fälle gleich seien. Ich habe mir etwa die Vorgänge angesehen, die sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahres in der Schweiz abspielten, wo bei einer Übung einer Einheit des schweizerischen Bundesheeres zwei Offiziersanwärter den Tod fanden. Ich habe mir einmal die schweizerische Presse daraufhin angesehen, wie sie Stellung nimmt und wie sie sich zu Vorwürfen äußert, daß im schweizerischen Bundesheer etwa Foltermethoden angewandt worden seien. Ich weiß, daß die Schweizer — —


Rede von Werner Buchstaller
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident, gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Herr Dr. Seffrin, ich wollte Sie fragen, ob wir Gelegenheit haben werden, im Laufe Ihrer Rede noch einmal auf den Bericht des Wehrbeauftragten zurückzukommen?

(Beifall bei der SPD und Heiterkeit.)


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Roland Seffrin


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Ich glaube, Herr Kollege, daß das, was ich hier sage, mit dem Bericht des Wehrbeauftragten zusammenhängt. Denn alle die Punkte, die ich angesprochen habe, sind im Bericht des Wehrbeauftragten genauso angesprochen.

    (Abg. Buchstaller: Da sind wir beide verschiedener Meinung!)

    Ich habe die Vorgänge, die sich in der Schweiz abgespielt haben, auch in der schweizerischen Presse verfolgt. Ich bin erstaunt darüber, wie sachlich und ruhig, wie ohne Aufbauschung dort die Dinge dargestellt und behandelt werden. Wir sollten auch einmal soweit kommen, daß wir die Angelegenheiten unserer Bundeswehr, auch wenn sie nicht gerade so sind, daß wir ihnen Beifall zollen müssen, sondern wenn sie so sind, daß wir mit ihnen unzufrieden sein können, trotzdem sachlich und ruhig und in einfacher Weise erörtern. Davon wird letztlich nicht nur die Bundeswehr selbst, davon werden auch wir alle einen Gewinn haben.
    Ich möchte mich an dieser Stelle nicht mehr mit der Frage der Konsolidierung beschäftigen, die natürlich, Herr Kollege Buchstaller, auch eine Frage ist,



    Dr. Seffrin
    deren Notwendigkeit sich aus gewissen Feststellungen des Wehrbeauftragten ergibt. Ich möchte auch die Frage der Organisation der Bundeswehr an der Spitze hier nicht ansprechen. Man kann all diese Probleme auch in dem Bericht des Wehrbeauftragten erkennen; denn irgendwo wirkt sich das, was an der Spitze geschieht, auch nach unten aus, und umgekehrt.
    Lassen Sie mich an dieser Stelle meinen Beitrag abschließen. Auch wir von der CDU sind sehr damit einverstanden, daß der Bericht des Wehrbeauftragten nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den kommenden Jahren in größtmöglichem Umfang in der Truppe verteilt wird und daß er, wie das auch vorgesehen ist, in der Truppe zur Grundlage von Unterricht und Aussprache gemacht wird. So können auch von hier aus wieder für die nächste Phase in der Entwicklung der Bundeswehr helfende und aufbauende Kräfte wirksam werden.