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ID0411702000

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    Deutscher Bundestag 117. Sitzung Bonn, den 21. Februar 1964 Inhalt: Schriftlicher Bericht des Verteidigungsausschusses über den Jahresbericht 1962 des Wehrbeauftragten des Bundestages (Drucksachen IV/1183, IV/1377) Dr. Seffrin (CDU/CSU) . . 5359 B, 5366 D Paul (SPD) 5361 C Schultz (FDP) 5364 A von Hassel, Bundesminister . . . 5371 A Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (SPD) (Drucksache IV/1896) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Neufassung des Artikels 118 des Grundgesetzes (CDU/CSU) (Drucksache IV/1965) — Erste Beratung — Dr. Schäfer (SPD) . . . 5377 B, 5393 C Dr. Süsterhenn (CDU/CSU) . . . . 5382 A Höcherl, Bundesminister 5386 A Busse (FDP) 5390 A Kiesinger, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg . . . 5391 B Dr. Kopf (CDU/CSU) 5394 B Entwurf eines Gesetzes über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens (Drucksache IV/1867) — Erste Beratung — Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister 5395 D Frau Dr. Hubert (SPD) 5396 D Frau Haas (CDU/CSU) 5397 D Frau Dr. Heuser (FDP) 5398 D Nächste Sitzung 5399 D Anlage 5401 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 117. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. Februar 1964 117. Sitzung Bonn, den 21. Februar 1964 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr
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    Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Arendt (Wattenscheid)* 21. 2. Dr. Aschoff 21. 2. Dr. Atzenroth 21. 2. Bauer (Wasserburg) 21. 2. Benda 21. 2. Birkelbach 22. 2. Fürst von Bismarck 22. 2. Dr. Bleiß 21. 3. Dr. Böhm (Frankfurt) 21. 2. Dr. von Brentano 21. 3. Brünen 21. 2. Burckardt 21. 2. Dr. Deist 21. 2. Dr. Dörinkel 22. 2. Drachsler 21. 2. Ehren 22. 2. Etzel 21. 2. Even (Köln) 29. 2. Faller* 21. 2. Dr. Dr. h. c. Friedensburg 21. 2. Frau Funcke (Hagen) 21. 2. Dr. Furler* 21. 2. Gaßmann 22. 2. Gedat 21. 2. Frau Geisendörfer 22. 2. Gibbert 21. 2. Freiherr zu Guttenburg 21. 2. Haage (München) 21. 2. Haase (Kellinghusen) 21. 2. Dr. Hamm (Kaiserslautern) 21. 2. Dr. von Haniel-Niethammer 21. 2. Dr. Harm (Hamburg) 26. 3. Hauffe 15. 3. Hellenbrock 21. 2. Höhne 21. 2. Hörauf 1. 3. Illerhaus* 21. 2. Dr. Imle 29. 2. Jacobs 21. 2. Klinker* 21. 2. Knobloch 21. 2. Könen (Düsseldorf) 21. 2. Kraus 22. 2. Dr. Kreyssig* 22. 2. Kriedemann* 21. 2. Lenz (Bremerhaven) 15. 3. Dr. Löhr 20. 3. Lücker (München)* 21. 2. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Majonica 21. 2. Dr. Mälzig 21. 2. Margulies* 21. 2. Mattick 21. 2. Mauk* 21. 2. Dr. von Merkatz 21. 2. Metzger* 21. 2. Michels 21. 2. Missbach 21. 2. Dr. h. c. Dr..-Ing. E. h. Möller 15. 3. Müser 21. 2. Peters (Norden) 21. 2. Dr.-Ing. Philipp 21. 2. Frau Dr. Probst 21. 2. Ramms 21. 2. Rehs 21. 2. Richarts* 21. 2. Rohde* 21. 2. Ruland 21. 3. Schlee 21. 2. Schlick 21. 2. Schneider (Hamburg) 21. 2. Dr. Schneider (Saarbrücken) 21. 2. Schulhoff 29. 2. Seidl (München) 21. 2. Dr. Serres 21. 2. Seuffert 21. 2. Spitzmüller 21. 2. Dr. Starke 21. 2. Dr. Stoltenberg 21. 2. Storch* 21. 2. Frau Strobel* 21. 2. Dr. Supf 21. 2. Theis 29. 2. Verhoeven 21. 2. Dr. Vogel 22. 2. Wächter 21. 2. Weber (Georgenau) 21. 2. Wegener 29. 2. Weinzierl 22. 2. Wellmann 22. 2. Frau Welter (Aachen) 29. 2. Werner 21. 2. Dr. Wuermeling 22. 2. Frau Zimmermann (Brackwede) 21. 2. b) Urlaubsanträge Höhne 21. 3. * Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments
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    Ich pflege nicht hier heraufzusteigen und mich reinzuwaschen und meinen Vorgänger anzugreifen oder ihn zu kritisieren. Hier ist gesagt worden, es habe erst des Berichtes des Wehrbeauftragten bedurft, um das Ministerium überhaupt zu einer Aktion zu veranlassen. Daraufhin erkläre ich: der Bericht des Wehrbeauftragten, den ich begrüße, ist das eine; meine eigenen persönlichen Besuche bei der Truppe sind das andere. Ich habe im vergangenen Jahr etwa 47 Tage bei der Truppe verbracht, nicht in den Offizierskasinos, sondern überall, wo es für einen Minister etwas zu lernen, zu erfahren und später auch abzustellen gilt.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich möchte darauf verweisen, daß angesichts der an- gestrengten Finanzlage, in der sich die Verteidigung insgesamt befindet, die erste Priorität dem Ausräumen all der Schwächen und Lücken, die überall im Bereich des Persönlichen vorhanden sind — ich wiederhole: von der Wohnung bis zum Sportplatz oder vom Sportplatz bis zur Wohnung —, gebührt.
    Herr Abgeordneter Schultz warf eine weitere Frage auf, den Vorschlag, die Stäbe auszukämmen, um Kräfte für die Truppe freizustellen. Dazu darf ich zwei Bemerkungen machen, Herr Abgeordneter. Eine ist ein Musterbeispiel für die These, die Sie eben gebracht haben: Die im Jahre 1963 vollzogene Umgliederung der Luftwaffe führte zu einer Einsparung von Stäben mit einer Gesamtzahl von etwa 320 Offizieren. Wir mußten also in diesem Ausmaß nicht aus der Truppe 320 Offiziere in die Stäbe heraufziehen, sondern konnten sie der Truppe belassen. Sie sehen also Ihre Auffassung dadurch bestätigt, daß dies 1963 für eine Teilstreitkraft, die Luftwaffe, geschehen ist. Ich hoffe, daß wir 1964 für eine andere Teilstreitkraft, die Marine, eine ähnliche Möglichkeit finden werden.
    Das zweite, und das wird zu gegebener Zeit an den Haushaltsausschuß und Verteidigungsausschuß herankommen: Wir bemühen uns zur Zeit darum, zusätzliche Stellen im Bereich der Hauptleute bis zu den Oberstleutnanten zu gewinnen, um die auslaufenden Hauptleute, Majore und Oberstleutnante in anderen Stellen in einer Aufgabe zu verwerten und damit die eigentliche Stelle, die sie heute haben, für den Truppenoffizier frei zu machen. Wir hoffen, daß wir dazu in Kürze an die beiden Ausschüsse des Bundestages herangehen können.
    Von den Sprechern der Fraktionen — und dafür möchte ich besonders danken — ist zum Ausdruck gebracht worden, daß dieser Bericht und die im Zusammenhang mit ihm zuweilen erwähnten Vorfälle in Nagold nicht symptomatisch für die ganze Bundeswehr sind. Es ist naturgemäß so, daß ein Bericht des Wehrbeauftragten im wesentlichen eine Reihe negativer Erscheinungen und Vorkommnisse in der Bundeswehr, mit denen der Wehrbeauftragte dienstlich zu tun hatte, zusammenstellt. Deshalb ist es natürlich, daß auf Grund einer derartigen Zusammenstellung eventuell ein einseitiger Vorwurf oder ein einseitiges Bild der Bundeswehr entstehen kann. Das liegt in der Natur der Institution. Man sollte aber darauf verweisen — und das hat das Hohe Haus getan —, daß all das nicht für die ganze Bundeswehr symptomatisch ist, sondern daß, wie es der Berichterstatter sagte und wie es der Herr Wehrbeauftragte in seinem Bericht formulierte, sich für jedes Beispiel falschen Verhaltens eines Soldaten viele Beispiele vorbildlichen Verhaltens anführen ließen. Damit, scheint mir, sind die Maßstäbe gesetzt worden.

    (Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)

    Die Abgeordneten, die für ihre Fraktionen sprachen, haben Nagold nur einmal gestreift. Im Ausschuß für Verteidigung sind die dortigen Vorfälle eingehend diskutiert worden, hier sind sie nur gestreift worden. Ich glaube, das ist gut so; denn wir alle haben wohl den Eindruck, daß das Thema mit der Veröffentlichung des Berichtes über den Vorgang Nagold vom 31. Januar dieses Jahres zunächst einmal in einem gewissen Umfang abgeschlossen ist. Noch bleiben die Disziplinarverfahren, und ich kann Ihnen versichern, daß ich persönlich alles tue, um darauf einzuwirken, daß diese Verfahren rasch ihren Fortgang nehmen. Sie wissen aber, daß die Disziplinarrichter unabhängig sind, daß ihnen also keine Weisung gegeben werden kann. Noch bleibt außerdem der Fortgang der Gerichtsverfahren, soweit eine weitere Instanz angerufen worden ist.
    Inzwischen erkennen aber wohl alle, daß Nagold kein Symptom ist, daß es nicht für den Geist unserer Streitkräfte symptomatisch ist, sondern daß hier unüberlegtes Versagen einzelner und aus falschverstandenem Elitedenken entstandene Fehlleistungen einer Truppe oftmals der ganzen Armee angelastet worden sind und damit ihr Wert im Ansehen nicht nur der eigenen Bürger der Bundesrepublik, sondern auch des Auslands herabgesetzt wurde.
    Wir leben in einem Rechtsstaat, und auch die Bundeswehr in diesem Rechtsstaat ist an Rechtsgrundsätze gebunden. Die Grundsätze der Inneren Führung in diesem Rechtsstaat sind für uns in der Bundeswehr unumstößliches und uns alle verpflichtendes Gesetz. Jeden, der gegen dieses Gesetz verstößt, trifft die Härte der Strafe, und über diese Prinzipien — so habe ich es mehrfach zum Ausdruck gebracht — gibt es keine Diskussion.
    Wenn man die bedauerlichen negativen Erscheinungen und Vorfälle, die in dem Bericht des Wehrbeauftragten zusammengestellt sind, und auch die Geschehnisse in Nagold und anderswo dem gegen-



    Bundesminister von Hassel
    überstellt, was die Bundeswehr im Verlaufe ihres mühsamen Aufbaus geleistet hat, und wenn man diese ungeheure Aufbauleistung und die hervorragende Leistung der Offiziere und Unteroffiziere insgesamt wertet, die aus dem Nichts heraus jenes Instrument geschaffen haben, das heute die Sicherheit unseres Vaterlandes garantiert, dann, scheint mir, erhält man erst den richtigen Maßstab für die Beurteilung dieser Vorgänge.
    Man darf in unser aller Interesse gerade in diesem Hohen Hause, in dem einst die Schlachten um die Wiederbewaffnung tobten, nicht vergessen, daß uns damals der Zwang der Zeit vor das Problem stellte, möglichst rasch eine Armee aufzubauen. Und man darf nicht vergessen, daß keine Armee der Welt, auch nicht die unsere, die in diesen wenigen Jahren aus dem Nichts herausgestampft werden mußte, nur aus Engeln besteht.
    Gerade weil ich erst ein reichliches Jahr im Amt bin — eine Zeitspanne, die mir das ganze Ausmaß der bisherigen Leistungen erkennbar macht, aber eine Zeitspanne, die wohl das Eigenlob ausschließt, weil ich da noch nicht die Verantwortung trug —, fühle ich mich verpflichtet, den Dank und die Anerkennung den vielen Tausenden von Offizieren und Zehntausenden von Unteroffizieren zu sagen, die dem Auftrage dieses Hohen Hauses gemäß als treue Diener des Vaterlandes unter schwersten Bedingungen und Belastungen ihre Pflicht erfüllten, den Dank zu sagen den Soldaten, die sich ihrer Leistung wahrhaftig nicht zu schämen brauchen.

    (Beifall.)

    Mag man auch den Aufbau noch nicht ganz 'abgeschlossen haben; die Bundeswehr steht. Sie stand, als so manche Krisen in der jüngsten Vergangenheit die Welt in Angst vor einem möglichen Krieg erzittern ließen; sie stand in den Krisen um Berlin, sie stand, als die Kuba-Krise die Welt an den Rand des Krieges brachte und dramatische Ereignisse aufeinander folgten; sie stand aber auch und half, wo sie nur konnte, und war zur Stelle — um ein paar Beispiele zu erwähnen —, als die Erdbebenkatastrophe Marokko heimsuchte, als die große Flut die Deiche meiner engeren schleswig-holsteinischen Heimat, des Nachbarlandes Hamburg oder Niedersachsens durchbrach. Damals verstummte der Mund so mancher, die unbedacht nichts Gutes an den Männern der Bundeswehr ließen, die in dieser Notzeit ihr Leben in die Schanze schlugen. Die Bundeswehr hat in diesen Jahren bewiesen, daß sie kein „ungeratenes Stiefkind der Nation" ist, kein Haufe, in dem sich wildgewordene Unteroffiziere und Kompaniechefs austoben. Für „Himmelsstoß" und „Platzek" ist in der Bundeswehr kein Platz. Offiziere und Unteroffiziere sind an die Grundsätze der Inneren Führung gebunden. Diese Grundsätze durchziehen den gesamten Bereich der Ausbildungs- und der Führungsrichtlinien. Sie sind in Vorschriften, in Erlassen und Ausbildungsrichtlinien niedergelegt. Ich habe in meiner — sicher auch Ihnen bekannten — Stellungnahme zu den Vorfällen in der Ausbildungskompanie 6/9 in Nagold mit besonderem Nachdruck darauf hingewiesen.
    Alle diese Grundsätze aber und die Richtlinien, alle organisatorischen Maßnahmen sind doch nur die eine Seite dieser Aufgaben. Die andere Seite bildet die Wirklichkeit, die letztlich in Einzelfällen an der Unzulänglichkeit des Menschen ihre Grenze findet. Erlauben Sie mir die Feststellung, daß die in den vergangenen Monaten täglich zitierte Ausbildungskompanie in Nagold eine von mehr als 3000 Einheiten der Bundeswehr war. Erlauben Sie mir weiter den Hinweis, daß von den 5700 Eingaben, die den Wehrbeauftragten im Jahre 1962 erreichten, nur 1 °/o die angebliche Verletzung der Grundrechte und 8 °/o angebliche Verstöße gegen die Innere Führung betrafen. Ich sagte „angeblich", weil bei diesen Prozentzahlen nicht zwischen begründeten und unbegründeten Beschwerden unterschieden werden kann.
    Die Bundeswehrführung hat nach reiflicher Überlegung und in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Truppe eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die nicht nur eine Wiederholung des Falles „Nagold" nach menschlichem Ermessen unmöglich machen, sondern die vielmehr der Truppe die Möglichkeit zu innerer Festigung und damit zur Erhöhung ihrer Schlagkraft geben.
    Lassen Sie mich dabei aber eine Sorge deutlich beim Namen nennen, die Sorge nämlich, daß die breite und nicht mehr endende Diskussion über einzelne Vergehen den Blick auf die Wirklichkeit des Wollens und des Lebens in der Bundeswehr verstellt und deren Wahrheit verdunkelt.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich will damit keineswegs die Diskussion über Einzelheiten unterbinden. Ich möchte jedoch die Relationen gewahrt wissen. Darum wende ich mich mit Nachdruck gegen jede ungerechtfertigte Verallgemeinerung, und ich habe dafür zu danken, daß die drei Sprecher der Fraktionen sich heute morgen ebenfalls gegen eine derartige Verallgemeinerung gewandt haben.
    Unsere Diskussion wird — wie jede Diskussion über diese Frage — um so nützlicher sein, je mehr etwaige Pauschalurteile vermieden werden. Es geht nicht an, die gesamte Bundeswehr in eine Zone des Mißtrauens und der Vorbehalte zu stellen. Das würde die Gefahr einer Entwicklung hervorrufen, die wohl jeder von Ihnen unter allen Umständen vermieden wissen will. Es geht nicht an, daß sich möglicherweise z. B. unsere Unteroffiziere und Offiziere schutzlos einer Welle von Diskriminierungen und Zweifeln an gutem Willen und Können ausgesetzt sehen.

    (Beifall.)

    Wie überall so ist auch hier in der Beurteilung die Ausnahme von der Regel streng zu scheiden.
    Daß es zu Verstößen kommt, ist wohl niemals, in keinem Lebensbereich, völlig auszuschließen. Die Zahl der Übergriffe ist jedoch, wenn man die ganze Bundeswehr ins Auge faßt, minimal. Sie ist so minimal wie in kaum einer anderen Armee.
    Ich darf Sie vielleicht einmal auf folgendes hinweisen: Gehen Sie einmal Ihren eigenen Wahlkreis durch! Er mag die Größe von 140 000, 150 000,



    Bundesminister von Hassel
    160 000, 170 000 Wahlberechtigten haben. Die Bundeswehr ist, wenn Sie die zivilen Teile, Beamte, Angestellte, die große Zahl der Arbeiter, hinzunehmen, so groß wie drei, vier, vielleicht sogar fünf Wahlkreise zusammengenommen. Und was geschieht jeden Tag in jedem einzelnen Wahlkreis, auch in Ihrem! Das wird jeweils mit einer Dreizeilenmeldung in der Zeitung notiert, nicht aber in der Form, wie es im Falle Nagold geschehen ist, wo es an die große Glocke gehängt wurde.
    Ich sage noch einmal: Es gibt wohl keine Armee in der Welt, in der so wenig vorkommt wie bei uns. Und dabei sind die öffentliche Kritik und die Kontrollen so stark wie — mit Sicherheit — in keinem anderen Staat. Das geht so weit, daß heute durch ein Übermaß an Kritik die Gefahr der Unsicherheit und damit letzten Endes das Gegenteil des Gewollten hervorgerufen werden könnte.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Man kann nämlich, meine Damen und Herren, die Innere Führung auch zu Tode diskutieren.

    (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)

    Ich muß ein Weiteres hinzufügen: Die scharfen und eingehenden Belehrungen aller militärischen Vorgesetzten im Zusammenhang mit den Vorgängen in Nagold und die dem Ansehen der Vorgesetzten abträgliche öffentliche Erregung dürfen nicht in eine Schwächung der erforderlichen soldatischen Disziplin umschlagen. So sehr ich von dem Wert eines reinigenden Gewitters überzeugt bin, muß daran gedacht werden, Gegenextreme zu vermeiden. Gerade im gegenwärtigen Augenblick ist es eine hohe Kunst, zu erreichen, daß die Unterführer nicht Unsicherheit und Resignation befällt. Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß die Aktion gegen die in Nagold sichtbar gewordenen Vergehen als Reaktion eine nicht zu billigende Auflehnung vieler Soldaten gegen den Unteroffizier schlechthin mit sich bringt, auch wenn er korrekte und richtige Mittel der Erziehung anwendet.
    Gegenüber Empfindlichkeit, die sich heute schon in einer Menge von Beschwerden niederschlägt, gegen .das Gefühl „Freie Bahn für aufsässige und undisziplinierte Soldaten!" muß genauso entschieden Stellung genommen werden wie gegen eine Überschreitung der Befugnisse des Vorgesetzten.

    (Beifall in der Mitte.)

    In der Diskussion um die Vorfälle in Nagold blieb weithin unbeachtet, daß sich seit Jahr und Tag monatlich — monatlich! — rund 25 Fälle von Befehlsverweigerung, von Ungehorsam, von tätlichen Angriffen gegen Vorgesetzte ereignen. Es handelt sich hierbei nur um solche qualifizierten Fälle, die mir als besondere Vorkommnisse gemeldet worden sind. Hier liegt, so scheint mir, die Gefahr des Extrems in der anderen Richtung, die die Schlagkraft der Truppe und damit ihren Auftrag letzten Endes gefährden könnte.
    Wir müssen, meine Damen und Herren, in die Zukunft sehen. Das Problem löst man nicht mit Nörgeleien. Wir müssen den Kommandeuren, den Kompaniechefs, den Zug- und den Truppenführern die
    Zeit und die Ruhe geben, die sie für eine vernünftige Ausbildung benötigen.

    (Sehr richtig! in der Mitte.)

    Wir wollen einen besonderen Akzent auf die weitere Entwicklung ihrer Fähigkeit legen, Menschen in unserer Zeit richtig zu führen.
    Schon heute aber schneidet der Soldat am Ende seiner 18monatigen Dienstpflicht ungleich besser ab als der Ungediente. Das gilt nicht nur für seine Ausbildung im technischen Bereich, die von Wirtschaft und Industrie mehr und mehr anerkannt wird, sondern vor allem für den Bereich seiner staatsbürgerlichen Bildung. Jüngste soziologische Untersuchungen haben das ganz einwandfrei ergeben.
    Aber die Bundeswehr kann — das ist in diesem Hause schon manches Mal festgestellt worden, gerade auch von dem Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in der letzten halben Stunde — weder die Schule noch die Hilfsschule der Nation sein. Man denke einmal darüber nach, wie es in unserer Bevölkerung aussieht. Ich darf dazu ein paar Sätze zitieren, die ich in meiner Rede vor den Unteroffizieren am 30. Januar gesagt habe: 1. die weithin in der Offentlichkeit festzustellende mangelhafte staatsbürgerliche Gesinnung, 2. das ungezügelte Verlangen nach Bindungslosigkeit, 3. das Mißdeuten und Mißverstehen des Freiheitsbegriffs,

    (Sehr richtig! in der Mitte)

    4. die Übersteigerung des materiellen Denkens, dem Begriffe wie Pflicht und Dienst immer fremder werden. — Mit einem solchen jungen Mann also sollen wir in der Bundeswehr fertig werden! Die Führungskräfte in der Bundeswehr, gleich welchen Dienstranges, dürfen nicht überfordert werden. Der „Staatsbürger in Uniform" setzt voraus, daß alle staatstragenden Kräfte dem jungen Menschen ein gewisses Maß an staatsbürgerlicher Bildung mitgeben, bevor er seinen Waffendienst leistet. Hier haben wir alle, Regierung und Parlament, Presse und Offentlichkeit, gemeinsam eine wichtige Aufgabe zu lösen.

    (Beifall in der Mitte.)

    Diese Aufgabe, scheint mir, besteht darin — ich darf ebenfalls ein paar Sätze aus meiner Rede vor den Unteroffizieren zitieren —, eine Bundeswehr zu schaffen, die jeder mögliche Gegner respektieren muß, die das Vertrauen unserer Verbündeten verdient und die das Opfer der Staatsbürger wert ist.
    Ich habe mich an die Unteroffiziere gewandt und ihnen dargelegt, daß jeder von diesen Unteroffizieren bereit sein muß, auch die geringste Pflicht als Herausforderung an Eigenverantwortung, Selbstbeherrschung und Kameradschaft zu erkennen, daß er entschlossen sein muß, Befriedigung aus der Pflichterfüllung nicht in äußerer Anerkennung, sondern im Dienst für den Nächsten zu suchen, daß er gewillt sein muß, dem anderen Vertrauen zu schenken, wie er selbst Vertrauen erwartet. Und ich habe hinzugefügt, daß das alles bedeutet harte körperliche Anforderung an uns selbst, duldsame Kritik in Wort und Gedanken und eine mutige Bereitschaft zum Erleben der Gemeinschaft, und daß, wenn das



    Bundesminister von Hassel
    zusammenkommt, eine Truppe geformt werden kann, in der Disziplin zum Stolz berechtigt, staatsbürgerliches Bewußtsein die Kampfmoral stärkt und die Zuversicht in die Sache der Freiheit die Herzen erfüllt.

    (Sehr gut! in der Mitte.)

    Ich darf mit ein paar Betrachtungen schließen und die Mitglieder des Hohen Hauses bitten, mir darin zu folgen.
    Zum ersten: Bedenken Sie, die Bundeswehr ist eine Streitmacht des ganzen Volkes. Sie wurde mit Willen dieses Hohen Hauses aufgebaut in der Einsicht, daß wir die gewonnene Freiheit dieses Teils unseres Vaterlandes zu schützen und einen Beitrag zur Verteidigung der freien Welt zu leisten haben.
    Zum zweiten: Zum erstenmal in der deutschen Geschichte ist eine Wehrpflicht-Armee im demokratischen Staat naht- und spannungslos in Staat und Gesellschaft eingebaut. Die Bundeswehr ist kein „Staat im Staate", weder ideologisch noch institutionell. Keine Teilgruppe unseres Volkes braucht zu befürchten, daß die Armee den politischen Interessen einer anderen Teilgruppe dient.
    Zum dritten: Wer die Bundeswehr als integriertes Organ des Staatsganzen will, kann die Staatsbürger in Uniform nicht nach anderen moralischen Grundsätzen messen als die Staatsbürger in Zivil. Fehler und Übelstände gibt es überall, wo Menschen sind, unter Lehrern genauso wie unter Beamten, in allen Schichten, in den politischen Organisationen, ja selbst in den Kirchen und auch in diesem Hohen Hause.
    Herr Präsident, Sie gestatten sicher, daß ich einmal ein paar Verse vorlese, in denen ein Soldat, und zwar ein General in einer Büttenrede, die Dinge so dargestellt hat, daß auch das Hohe Haus einer solchen Formulierung folgen kann. Herr General Trautloff von der Luftwaffengruppe Süd hat im Karneval — ich gebe zu, daß ich als Norddeutscher ansonsten herzlich wenig von Karneval verstehe,

    (Abg. Josten: Schade, Herr Minister!)

    vielleicht geht es noch, aber ich habe in dieser Beziehung nicht sonderlich viel Hoffnung; Herr General Trautloff kann das aber — folgendes in Versform gesagt:
    Gesetzt den Fall, ein junger Mann Benimmt sich in der Straßenbahn, Vielleicht auch sonstmal wo, mal daneben. Wenn er Zivil trägt, sagt man eben:
    Dem Jungen fehlt die Kinderstube, Er ist halt noch ein dummer Bube. Doch trägt er eine Uniform,
    Steigt die Empörung ganz enorm, Und all sogleich sagt irgendwer: Ganz typisch für die Bundeswehr!
    Laßt es euch gesagt sein: Diese Sünder Sind letzten Endes eure Kinder.
    Sie tun nur, was zu Haus sie lernten. Nur was man sät, das kann man ernten. Wer glaubt, es sei die Bundeswehr
    Ein Kindergarten, irrt sich sehr.
    Die Uniform ist unsere Sache,
    Den Bürger müßt ihr selber mache!

    (Beifall und Zurufe.)

    — Das geht noch weiter. Aber ich bin überzeugt, der Herr Bundestagspräsident würde mir sehr rasch dash Wort entziehen, wenn ich all die anderen Verse hier vorlesen würde. Ich stelle sie Ihnen gern zu.


Rede von Erwin Schoettle
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Dann würde ich Sie nicht unterbrechen.

(Abg. Eschmann: Aber trotzdem: Trautloff Alaaf!)


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    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: ()
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Wer die Mängel in der Bundeswehr nach anderen Maßstäben mißt als die Mängel, die überall vorkommen, richtet die Bundeswehr nach einem besonderen Tugendkatalog. Er überfordert sie, er isoliert sie und er beschwört, so scheint mir, gerade das herauf, was er verhindern will, nämlich den Staat im Staate.
    Zum vierten: Das Primat der Politik war in der deutschen Verfassungsgeschichte nie so stark — in die Einzelheiten gehend —, nie so gesichert wie heute. Damit fällt aber auch die Hauptverantwortung für die Bundeswehr auf die Politik. Die Bundeswehr mit ihren Stärken und Schwächen war, ist und wird ein Kind der politischen Verantwortung sein.
    Zum fünften: Das wichtigste scheint mir aber zu sein, daß es unser aller Söhne sind, die in der Bundeswehr als Soldaten, als Unteroffiziere, als Offiziere und Zivilbedienstete oder Arbeiter dienen. Wir können sie alle, unsere Söhne, mit unserer politischen Mitgift ausgestattet und belastet, nicht zu Sündenböcken machen. Die enge Beziehung von Bürgern und Soldaten fordert über die notwendige erzieherische Kritik hinaus die erkennbare Bereitschaft zu helfen.
    Zum sechsten: Ein Gemeinwesen läßt sich nicht in gegenseitigem Mißtrauen seiner Organe erhalten. Eine Armee, die solches Mißtrauen in ihrem Rücken spürt, kann nie ein verläßliches Instrument der Politik werden, kann nie zu einer unbeschwerten Dienstgesinnung kommen.

    (Beifall bei den Regierungsparteien.)

    Zum Schluß! Keine Armee hat es so schwer, sich gegen unausgesetzte Kritik, gegen dauerndes Herumnörgeln, gegen ständige Ungerechtigkeiten, Verdächtigungen und absurde Verallgemeinerungen zur Wehr zu setzen.
    Darum bitte ich Sie um Ihre Bereitschaft, nicht nur zu helfen, sondern vor allem auch zu vertrauen. Die Armee verdient dieses Vertrauen und wird es nicht enttäuschen.
    Die Bedeutung und Leistung der Bundeswehr, meine Damen und Herren, sind von unseren Verbündeten oft anerkannt worden. In eindrucksvoller Weise hat dies der ermorderte amerikanische Präsident J. F. Kennedy in der Paulskirche in Frankfurt getan. Ich erinnere an seine Worte:



    Bundesminister von Hassel
    Die Streitkräfte, die die Bundesrepublik Deutschland zu diesem Zweck, nämlich zur Sicherung der Freiheit, beisteuert, werden von denen keines anderen europäischen Landes übertroffen. Ihr Land steht in der ersten Verteidigungslinie, und Ihre Divisionen sind Schulter an Schulter mit den unsrigen eine Quelle der Stärke für uns alle.
    Mir scheint, wir sollten uns von unseren Freunden nicht beschämen lassen. Für treuen und gewissenhaften Dienst gebührt Offizieren, Unteroffizieren und Männern sowie allen zivilen Kräften der Bundeswehr unser Dank.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und bei Abgeordneten der SPD.)