Protokoll:
4056

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 4

  • date_rangeSitzungsnummer: 56

  • date_rangeDatum: 24. Januar 1963

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:38 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Deutscher Bundestag 56. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1963 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksache IV/891) — Erste Beratung — Höcherl, Bundesminister . 2477 A, 2526 D Hoogen (CDU/CSU) . . . . . . 2491 C Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 2495 D Dorn (FDP) . . . . . . . . . 2504 C Leber (SPD) . . . . . . . . 2507 A Sänger (SPD) 2516 B Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . 2523 D Entwurf eines Gesetzes über den Zivildienst im Verteidigungsfall (Zivildienstgesetz) (Drucksache 1V/450) — Erste Beratung —; in Verbindung mit .dem Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden (Drucksache IV/343) — Erste Beratung —; dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Aufenthalts .der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall (Aufenthaltsregelungsgesetz) (Drucksache IV/895) — Erste Beratung —; dem Entwurf eines Gesetzes über bauliche Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung (Schutzbaugesetz) (Drucksache IV/ 896) — Erste Beratung —; und dem Entwurf eines Gesetzes über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung (Selbstschutzgesetz) (Drucksache IV/897) — Erste Beratung — Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 2533 C Lünenstraß (SPD) . . . . . . . 2537 B Dr. Even (Düsseldorf) (CDU/CSU) 2539 C Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) (FDP) 2541 D Busse (FDP) . . . . . . . . 2544 D Frau Renger (SPD) 2546 B Hansing (SPD) 2548 D Dr. Kempfler (CDU/CSU) 2550 D Hübner (CDU/CSU) 2551 D Entwurf eines Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft sowie des Geld- und Kapitalverkehrs (Wirtschaftssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/ 892) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Sicherstellung der Versorgung mit Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft sowie der Forst- und Holzwirtschaft (Ernährungssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/893) — Erste Beratung —; und dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs (Verkehrssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/894) — Erste Beratung — Dr. Bieringer (CDU/CSU) . . . 2553 B Lange (Essen) (SPD) 2553 C Dr. Imle (FDP) 2555 D Lemmrich (CDU/CSU) 2556 C Überweisung der Gesetzentwürfe an Ausschüsse 2557 C Wahlen zum Europäischen Parlament und zur Beratenden Versammlung des Europarates 2557 D Nächste Sitzung 2558 C Anlage 2559 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1963 2477 56. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Fran Albertz 24. 1. Arendt (Wattenscheid) 25.1. Dr. Arndt (Berlin) 24. 1. Dr. Atzenroth 25.1. Dr. Dr. h. c. Baade 25. 1. Bading 5.2. Bauknecht 25. 1. Fürst von Bismarck 25. 1. Dr. Bleiß 25.1. Dr. von Brentano 25. 1. Brese 25. 1. Deringer 24. 1. Dr. Dörinkel 4. 2. Drachsler 25. 1. Dr. Dr. h. c. Dresbach 28.2. Eisenmann 24. 1. Etzel 26. 1. Faller * 25. 1. Figgen 23. 2. Funk (Neuses am Sand) 16. 2. Gewandt 31. 1. Freiherr zu Guttenberg 25. 1. Haage (München) 25. 1. Hahn (Bielefeld) 25. 1. Hammersen 24.1. Harnischfeger 25. 1. Hauffe 28.2. Hellenbrock 26. 1. Holkenbrink 26. 1. Dr. Hoven 25. 1. Illerhaus 24. 1. Kahn-Ackermann 25. 1. Kalbitzer 25. 1. Dr. Kanka 24. 1. Katzer 31. 1. Keller 25. 1. Frau Kipp-Kaule 25. 1. Klinker 25. 1. Koenen (Lippstadt) 25.1. Dr. Kohut 25. 1. Kriedemann* 25. 1. Kühn (Köln) 2.2. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lemmer 26. 1. Lenz (Bremerhaven) 25. 1. Lücker (München) * 25. 1. Mattick 25. 1. Mauk 25. 1. Frau Dr. Maxsein 25. 1. Dr. Menzel 25. 1. Dr. von Merkatz 4. 2. Dr. Miessner 31. 1. Missbach 25. 1. Dr. Morgenstern 25. 1. Müller (Berlin) 28. 2. Müller (Remscheid) 25. 1. Müller-Hermann 31. 1. Neubauer 17.2. Neumann (Berlin) 25. 1. Ollenhauer 25. 1. Dr.-Ing. Philipp 25. 1. Rademacher 31. 1. Ravens 25. 1. Dr. Reinhard 25. 1. Richarts 26. 1. Dr. Rutschke 31. 1. Sander 25. 1. Schmücker 24. 1. Schneider (Hamburg) 31. 1. Schröder (Osterode) 25. 1. Schütz 25. 1. Dr. Stammberger 3. 2. Dr. Starke 24. 1. Stein 24. 1. Frau Strobel * 25. 1. Struve 25. 1. Dr. Süsterhenn 25. 1. Urban 25. 1. Wacher 25. 1. Dr. Wahl 28. 2. Dr. Zimmer 26. 1. Zühlke 24. 1. b) Urlaubsanträge Dopatka 21.2. Werner 24. 2. *) Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments
Gesamtes Protokol
Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0405600000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe auf Punkt 5 der gemeinsamen Tagesordnung:
5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksache IV/891),
und erteile das Wort dein Herrn Bundesminister des Innern, der zugleich die Begründung zu den Gesetzentwürfen unter den Punkten 6 und 7 der Tagesordnung zu geben wünscht.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0405600100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die schwache Besetzung des Hauses als Maßstab für die innere Übereinstimmung mit unserem großen Vorhaben nehmen und daraus den Schluß ziehen darf, daß die Übereinstimmung so groß ist, daß der Gegenstand auch ohne persönliche Anwesenheit beraten werden kann, wäre das ein günstiges Anzeichen.

(Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: Das würde ich als „etwas außerhalb der Tatsachen" bezeichnen!)

Der Gegenstand unserer heutigen Debatte ist weniger der Begriff des Notstandes, der so sehr in den Vordergrund geschoben wird, als der Begriff der Vorsorge für Notstandsfälle, die unser Staatsleben betreffen können. Sie kennen diesen Begriff der Vorsorge. Wenn man das ganze politische Arbeiten, all das, was wir Jahre hindurch machen, richtig definiert — und eine gute Definition soll am Anfang jeder Aussprache stehen —, dann ist wohl alles, was wir treiben, wenn wir politisch agieren, nichts anderes als sozusagen Vorsorge. In einem ganz besonderen Maße gilt das für den staatlichen Bereich.
Geschichtliche Erfahrungen bis hinein in die allerjüngste Zeit über unsere Grenzen hinweg, aber auch in unserem eigenen Lande, die wir sammeln konnten, haben uns gelehrt, daß Staaten, die eine rechtzeitige und ausreichende Vorsorge unterlassen,
schweren Schaden genommen, zum Teil auch die Existenz eingebüßt haben. Ich halte es daher für eine der vornehmsten Aufgaben von Regierung und Volksvertretung, Vorsorge für Krisenzeiten und für Zeiten der Not zu treffen. Man kann, so meine ich, mit gutem Grund den Rang eines Staatswesens nach dem Maße der von ihm getroffenen Vorsorge in diesem Sinne messen.
Ich habe die Ehre, meine Damen und Herren, Ihnen heute im Namen der Bundesregierung neun Gesetzentwürfe vorzulegen, die sich mit diesem ernsten Thema befassen. Alle neun Vorlagen haben einen gemeinsamen Bezugspunkt: den Verteidigungsfall. Es erscheint daher auch angebracht, ihrer Behandlung durch dieses Hohe Haus einige gemeinsame Ausführungen voranzustellen.
Wir alle, meine Damen und Herren, haben durch eigene Erfahrungen, leidvolle Erfahrungen aus dem letzten Weltkrieg und durch die Entwicklung der Waffentechnik, die in drastischen Versuchen trotz des gegenwärtigen Tauwetters der gesamten Weltöffentlichkeit demonstriert wird, eine ungefähre, aber nur eine ungefähre Vorstellung von der Zerstörungskraft der modernen Waffen, die sich bis zum Inferno steigern kann. Wir alle sind auch Zeugen des gefährlichen Auf und Ab der Zeitgeschichte, in die die Bundesrepublik hineingestellt ist. Mit dem Begriff Wiedervereinigung und dem Thema Berlin ist alles umschrieben, was Gegenwart und Zukunft an Schicksalsträchtigem für uns enthalten können. Es bedarf daher gerade für uns Deutsche keiner besonderen Phantasie, um sich Situationen vorzustellen, die einer wohlvorbereiteten und überlegten Vorsorge bedürfen. Zahlreiche — und zwar gerade auch neutrale — Staaten, die erfahrungsgemäß viel weniger expansiven politischen Bestrebungen ausgesetzt sind, als das bei unserem geteilten Vaterland der Fall ist, treffen seit Jahr und Tag kostspielige Vorbereitungen gegen derartige Bedrohungen. Demgegenüber sind wir als das am stärksten gefährdete Land in Europa weit im Verzuge. Um die hier bestehenden Lücken zu schließen, hat die Bundesregierung diese Gesetzesvorlagen eingebracht.
Niemand, der mit der Entstehungsgeschichte unserer vorläufigen Verfassung, des Grundgesetzes, vertraut ist, wird dem Parlamentarischen Rat Vorwürfe machen wollen, weil damals in der Vorsorge für Notzeiten Lücken offengeblieben sind, so daß wir auch heute noch, nach der Wiederherstellung unserer Souveränität für den Notstandsfall zumindest von



Bundesminister Höcherl
der Mitbestimmung dreier uns heute freundschaftlich verbundener Mächte abhängig sind. Meines Erachtens gehört es zum Wesen eines Staates wie des unseren, gerade auch für Zeiten der Not gesetzliche Normen zu finden — das ist ein Kernbegriff des Rechtsstaates —, um dieser Not Herr zu werden und allen Verantwortlichen eine sichere Rechtsgrundlage für die von ihnen zu treffenden und unter Umständen sehr einschneidenden Abwehrmaßnahmen zu geben.
Ich darf nun das Paket dieser neun Vorlagen aufschnüren, um in ihre Begründung im einzelnen einzutreten. Je nüchterner und sachlicher wir alle an die gemeinsame Aufgabe herangehen, dieses große Gesetzgebungswerk zu schaffen, um so erfolgreicher wird dieses Werk sein. Erfreulicherweise handelt es sich dabei zum erheblichen Teil um Fragen, in denen sich bereits über alle Schranken der Parteien und Weltanschauungen hinweg eine gemeinsame Überzeugung in diesem Hause gebildet hat.
Ich will nun versuchen, an Hand von typischen Beispielen die Tatbestände zu konkretisieren und plastisch vor Ihnen zu entwickeln, mit denen wir es bei diesen Gesetzentwürfen zu tun haben. Dabei darf ich mit den acht Entwürfen der „einfachen" Gesetze beginnen und den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes dem zweiten Teil meiner Ausführungen vorbehalten.
Den acht einfachen Gesetzentwürfen ist gemeinsam, daß sie vor allem der Möglichkeit eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Rechnung tragen sollen. Darüber hinaus sind sie auf die einem Verteidigungsfall möglicherweise vorhergehende Spannungszeit ausgerichtet; mit den drei Sicherstellungsgesetzen soll daneben auch für den Fall einer bloßen Versorgungskrise Vorsorge getroffen werden können.
Dabei kommt es nur zum geringeren Teil darauf an, Rechtsgrundlagen für Maßnahmen zu schaffen, die erst im Ernstfall durchzuführen wären. Denn in einer Reihe von möglichen Konfliktsituationen sind geeignete Gegenmaßnahmen überhaupt nur dann denkbar, wenn bereits im Frieden die erforderlichen Vorbereitungen getroffen werden können und getroffen werden. Bei der Schnelligkeit, mit der sich heutzutage eine außenpolitische Situation zuspitzt — wir haben gerade analoge Erlebnisse hinter uns — und der Übergang zu Feindseligkeiten sich vollziehen kann, ist ohne solche friedensmäßige Vorbereitung nahezu jede Schutz- und Rettungsmaßnahme in Frage gestellt. Daher liegt der Schwerpunkt der meisten Gesetze, die wir nun zu behandeln haben, auf der friedensmäßigen Vorsorge für den Spannungs- und Verteidigungsfall. Soweit die Entwürfe darüber hinaus Vorschriften für den Ernstfall selbst enthalten, müssen sie naturgemäß der Tatsache Rechnung tragen, daß der wirkliche Ablauf eines solchen Ereignisses niemals vorherzusehen ist, zumindest nicht mit Bestimmtheit vorhergesehen werden kann, und 'deshalb nur äußerst elastische Normen ihren Zweck erfüllen können.
Noch ein weiteres ist diesen acht Gesetzentwürfen gemeinsam. Sie setzen eine Änderung der verfassungsrechtlichen Situation nicht voraus, und zwar weder hinsichtlich der bereits in Friedenszeiten zu vollziehenden noch hinsichtlich der erst im Spannungs- und Verteidigungsfall anwendbaren Bestimmungen. Die einfachen Notstandsgesetze tragen also dem Umstand Rechnung, daß die in ihnen vorgesehenen, im Ernstfall zu vollziehenden Maßnahmen bereits in einem Zeitpunkt notwendig werden können, in dem die Voraussetzungen einer Änderung des Verfassungszustandes im Sinne der Regierungsvorlage zur Ergänzung des Grundgesetzes noch nicht vorliegen. Diese rechtliche Unabhängigkeit der sogenannten einfachen Notstandsgesetze von der Notstandsverfassung und auch untereinander ermöglicht es, die Handhabung der Gesetze ganz der Situation anzupassen. So kann es z. B. in einem Zeitraum sich steigernder politischer Spannungen erforderlich werden, eine gewisse Rationierung von Lebensmitteln und anderen Verbrauchsgütern anzuordnen, um ungerechtfertigte Hortungen zu vermeiden und ihnen vorzubeugen. Andererseits muß es aber in diesem Zeitpunkt noch keineswegs notwendig sein, weitere Maßnahmen — vielleicht im Bereich des unmittelbaren zivilen Bevölkerungsschutzes — zu treffen.
Soviel zu den einfachen Notstandsgesetzen insgesamt.
Als erstes möchte ich nun kurz den Entwurf des Zivildienstgesetzes erläutern. Der Entwurf trug bei seiner ersten Vorlage im letzten Bundestag die Bezeichnung „Notdienstgesetz". Die Änderung dieses Namens in Zivildienstgesetz stellt nicht etwa einen psychologischen Kunstgriff dar, sondern dient der besseren Fixierung des eigentlichen Anliegens. Ich darf Ihnen zunächst an Hand einiger praktischer Beispiele die Notwendigkeit der vorgesehenen Regelung vor Augen führen.
Sie alle wissen, meine Damen und Herren, daß nach dem ersten Gesetz über die Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung vom Jahre 1957 Länder und Gemeinden verpflichtet sind, einen Luftschutzhilfsdienst aufzustellen. Er hat u. a. die Aufgabe, Brände zu löschen, Verschüttete zu bergen, Verwundete und Kranke der Behandlung zuzuführen, Obdachlose aus den Zerstörungsgebieten herauszuführen, zu verpflegen und zu betreuen, radioaktive, chemisch oder biologisch verseuchte Gebiete festzustellen und die dringenden Entgiftungsmaßnahmen durchzuführen. Nach unseren Erfahrungen und Berechnungen, die sich sehr weitgehend an ausländischen Beispielen orientiert haben, benötigen wir für eine angemessene Erfüllung dieser Aufgaben etwa 320 000 Helfer. Tatsächlich stehen uns aber, da wir bei der gegenwärtigen Rechtslage allein auf Freiwillige angewiesen sind, nur knapp 35 000 Helfer zur Verfügung. Meine Damen und Herren, das ist eine Erscheinung, die sich nicht auf die Bundesrepublik beschränkt, sondern die im ganzen westlichen Bereich sich vielleicht als gewisse Folge der Wohlstandsentwicklung zeigt. Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, bei dieser Gelegenheit und von dieser Stelle aus — und ich nehme an, daß Sie mir die Berechtigung geben, das auch in Ihrem Namen zu sagen — den Dank der Bundesregierung all diesen Männern und Frauen dafür auszusprechen, daß



Bundesminister Höcherl
) sie ihre Zeit und ihre Kraft und ihren ganzen Idealismus schon jetzt in den Dienst dieser Aufgabe gestellt haben.

(Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

Die Länder und die Bundesregierung halten den weiteren Aufbau des Luftschutzhilfsdienstes jedoch für gefährdet, wenn nicht eine Möglichkeit zur Heranziehung von Dienstpflichtigen geschaffen wird. Wir haben bei der Vorbereitung dieses Gesetzes ganz eingehende Verhandlungen mit den Innenministern aller Länder gehabt, und wir haben dort dieselbe Auffassung angetroffen und den nachdrücklichen Auftrag bekommen, gerade zum Ausbau des Luftschutzhilfsdienstes das Zivildienstgesetz vorrangig zu behandeln. Wir kommen jedoch nach unserer eigenen Erfahrung und der der anderen Länder, wie ich es Ihnen schon gesagt habe, nicht ohne eine Rechtsgrundlage aus, die Verpflichtungen als ergänzende und ausgleichende Maßnahme zur Deckung des Kräftebedarfs ermöglicht.
Vor allem müssen die für den Ernstfall benötigten Helfer im Frieden ausgebildet werden, damit sie in der Not sofort eingesetzt werden können. Die Flutkatastrophe des vergangenen Jahres in Norddeutschland hat gezeigt, daß zwar eine unerhörte und zum Teil unerwartete spontane und umfassende Hilfsbereitschaft der Bevölkerung im ganzen Bundesgebiet bestand, daß aber die tatsächliche Einsatzfähigkeit der sich meldenden Personen nicht den Erfordernissen entsprach, weil Hilfsdienste dieser Art heute zum großen Teil eine Spezialausbildung ,) erfordern, wenn der Hilfsdienst wirksam sein soll.
Bei den zeitlichen Anforderungen an die Helfer haben wir eine gewisse Anhebung gegenüber dem ersten Entwurf für notwendig gehalten. Wir muten also 'der Bevölkerung und dem Hilfsdienstpflichtigen ein größeres Opfer zu, als es die erste Vorlage vorsah. Auch jetzt sind wir jedoch an der unteren Grenze dessen geblieben, was unbedingt notwendig ist. Die Erstausbildung im Frieden darf höchstens 200 Stunden oder 28 Tage dauern. In der folgenden Zeit darf die Inanspruchnahme 100 Stunden oder 14 Tage im Jahr nicht überschreiten. Das Gesetz gibt die Möglichkeit — und die Bundesregierung legt hierauf besonderen Wert —, diese zeitlichen Opfer möglichst gleichmäßig von Angehörigen bestimmter Geburtsjahrgänge zu verlangen, die hierfür in erster Linie in Betracht kommen. Dies sind insbesondere die Wehrpflichtigen der sogenannten weißen Jahrgänge — 1928 bis 1937 —, die nicht zum Grundwehrdienst herangezogen werden.
Ein weiteres wichtiges Beispiel für den Zivildienst ist die Ausbildung von Schwesternhelferinnen. Wir haben vorsichtig geschätzt, daß wir für die Einrichtungen des Hilfsdienstes und für Krankenhäuser, Hilfskrankenhäuser und Lazarette mindestens 160 000 Schwesternhelferinnen ausbilden müssen, was ein Programm über Jahre hinaus bedeutet. Die auf diesem Gebiet tätigen Organisationen — Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfallhilfe, Malteser-Hilfsdienst — haben erfreulicherweise ihre Erfolge bei der Werbung und Ausbildung von Schwesternhelferinnen wesentlich steigern können. Ihre Möglichkeiten reichen aber nicht aus, um die Deckung des Bedarfs auf diesem Wege allein sicherzustellen. Wir benötigen daher das Zivildienstgesetz auch, um diese Arbeiten intensivieren zu können. Die Bundesregierung hofft, davon auch eine Erhöhung des Anreizes zur freiwilligen Meldung erwarten zu können. Wir haben die Rechtsstellung des Freiwilligen der des Pflichtigen angepaßt.
Ich komme damit zu dem Problem: Zivildienst der Frauen. Um allen Mißverständnissen und Mißdeutungen von vornherein zu begegnen, möchte ich dabei ausdrücklich feststellen, daß selbstverständlich in keiner Weise an irgendeine Art von militärischem Dienst der Frauen gedacht ist. Der Entwurf trägt den besonderen Wesenseigenheiten der Frau durch Möglichkeiten der Freistellung und Zurückstellung in einem Maße Rechnung, das weit über das in den vergleichbaren Regelungen anderer Länder Vorgesehene hinausgeht. Vor allem galt unsere Sorge dabei dem Schutz der Familie und der Mutterschaft.
Als weiteres Beispiel für die Anwendung des Zivildienstgesetzes möchte ich die Versorgungsbetriebe anführen. Vergegenwärtigen wir uns einmal die Situation in einem Elektrizitätswerk, einem Gaswerk oder einem Wasserwerk im Verteidigungsfall. Was würde geschehen, wenn ein solches Werk im Verteidigungsfall oder in einer vorausgehenden Spannungszeit ,den Betrieb einstellen müßte, weil wichtiges Betriebspersonal aus irgendwelchen persönlichen Gründen seine Arbeitsstätte verläßt oder weil Ergänzungspersonal nicht zur Verfügung gestellt werden kann? Diese Beispiele zeigen, daß wir die Geltung des Gesetzes nicht auf den Aufgabenbereich der öffentlichen Verwaltung beschränken können, sondern auch Dienstleistungen für lebens- und verteidigungswichtige Aufgaben der Wirtschaft einbeziehen müssen. Die Fassung des Entwurfs — darauf darf ich mit besonderem Nachdruck hinweisen — schließt einen Mißbrauch des Gesetzes für kommerzielle Interessen, zur Überwindung konjunktureller Engpässe oder 'gar zur Unterbindung von Arbeitskämpfen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus.
Es ist wiederholt der Verdacht geäußert worden, daß hier vielleicht Arbeitskämpfe beeinträchtigt oder beschränkt werden sollten. Im übrigen bin ich gar nicht der Meinung, daß unsere Arbeitnehmer in Ernst- und Spannungszeiten in erster Linie an Arbeitskämpfe denken, sondern all das, was wir bisher erfahren haben, läßt uns erwarten, daß der Arbeitnehmer vielleicht eine der tragenden Säulen dieser Vorbereitungen und all dieser Maßnahmen sein wird,

(Abg. Dr. Mommer: Und tragende Säule der Freiheit!)

von der Einstellung her und von der Bereitschaft her.
Lassen Sie mich jetzt noch ein Wort zur technischen Durchführung der Heranziehung zu Zivildienstleistungen sagen. Ich möchte Sie dringend bitten, dem Vorschlag des Bundesrates insoweit nicht zu folgen und es, von gewissen Ausnahmen abgesehen, bei der einheitlichen Zuständigkeit der



Bundesminister Höcherl
Arbeitsbehörden zu belassen, die bereits eine große Erfahrung für solche Aufgaben mitbringen. Die Betrauung der Arbeitsämter mit diesen Aufgaben hat u. a. den Vorteil, daß weibliche Bedienstete, die mit derartigen Tätigkeiten vertraut sind, bei der Heranziehung von Frauen zu Zivildienstleistungen mitwirken. Das war ein großes Anliegen der Frauen bei unseren Vorbesprechungen, und die Regelung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gibt dazu bereits die rechtliche Handhabe.
Ich darf mich nunmehr auch im Namen meiner Kollegen — der Herren Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, für Wirtschaft und für Verkehr, die jeweils federführend sind — den Entwürfen der drei Sicherstellungsgsetze zuwenden.

(Zuruf von der SPD: Wo sind die Herren Minister? Sind die heute verhindert?)

— Wir haben vereinbart, daß ich in ihrem Namen in der Generalaussprache spreche. Sie werden zweifellos bei der Spezialaussprache anwesend sein, Herr Kollege.

(Abg. Schoettle: Es wäre trotzdem schön, wenn sie hier wären!)

— Da sind wir einer Meinung.
Lassen Sie mich als erstes den Entwurf eines Ernährungssicherstellunggesetzes behandeln. In einem Verteidigungsfall wird die laufende Erzeugung und Produktion von Nahrungsgütern voraussichtlich erheblich beeinträchtigt sein. Wir müssen mit der Zerstörung großer zentraler Lebensmittellager rechnen. Die Einfuhr von Nahrungsgütern wird lange anhaltende Unterbrechungen erfahren können. Es bedarf keiner weiteren Ausführung darüber, daß dann eine Rationierung und Bewirtschaftung im Interesse der gleichmäßigen und gerechten Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln unvermeidbar ist. Allen diesen Spannungen wird man schon vorsorglich begegnen müssen, indem man sie bereits in Friedenszeiten ins Auge faßt und vorbereitende Maßnahmen trifft. So wird es z. B. erforderlich sein, bereits in normalen Zeiten auch eine Verpflichtung von Betrieben der Ernährungswirtschaft zur Haltung von Mindestvorräten festzulegen, damit im Ernstfall ausreichende Bestände in der entsprechenden breiten räumlichen Streuung vorhanden sind, die bei entsprechender Rationierung den notwendigen Bedarf der Bevölkerung decken. Sowohl für die Einführung einer Rationierung wie auch für die Verpflichtung zur Haltung von Mindestvorräten fehlt uns bisher jede gesetzliche Grundlage.
Als zweites darf ich nun das Wirtschaftssicherstellungsgesetz behandeln. Gerade die Eskapaden des gegenwärtigen strengen Winters haben uns einen sehr aktuellen Anschauungsunterricht über die Einfuhrabhängigkeit unserer Treibstoffversorgung und der Transportschwierigkeiten auf diesem Sektor erteilt. Fallen die Einfuhren aus oder ist der Transport nicht in der üblichen Form möglich, dann entstehen
Verhältnisse, wie wir sie in einigen Gebieten und Ländern der Bundesrepublik in einem sehr spürbaren Maße erleben müssen. Und wenn die Einfuhren ausfallen, so müssen die vorhandenen Treibstoffbestände einem Veräußerungsverbot und einem Zuteilungsverfahren unterworfen werden. Nur so kann sichergestellt werden, daß der in einem Verteidigungsfall vorrangige Treibstoffbedarf der Streitkräfte, der Polizei, des zivilen Hilfsdienstes für Krankentransporte, für Lebensmitteltransporte und andere lebenswichtige Aufgaben gedeckt wird.
Für eine Bewirtschaftung von Treibstoffen fehlt uns gleichfalls eine ausreichende Rechtsgrundlage. Das gleiche gilt natürlich auch für die anderen Güter der gewerblichen Wirtschaft.
Besonders schwierig werden im Verteidigungsfall die Probleme auf dem Sektor des Verkehrs liegen, denen der Entwurf des Verkehrssicherstellungsgesetzes gilt. Sie werden ausgelöst durch erhöhte Anforderungen, durch Mangel an Treibstoffen und Ersatzteilen, vor allem aber durch die zu erwartenden Zerstörungen. Die Benutzung der Verkehrsmittel sowie der Verkehrswege, -anlagen und -einrichtungen muß daher so geregelt werden können, daß die offenen Kapazitäten nur noch für lebens- und verteidigungswichtige Aufgaben zur Verfügung stehen. Das erfordert aber u. a. die Einschränkung der freien Entscheidung der Verkehrsteilnehmer bei der Verwendung und Inanspruchnahme der Verkehrsmittel sowie der Verkehrswege, -anlagen und -einrichtungen. Auch hierfür fehlt es zur Zeit an einer gesetzlichen Grundlage.
Alle drei Sicherstellungsgesetze beruhen auf einer einheitlichen Grundkonzeption. Sie bestehen im wesentlichen aus Rahmenvorschriften und enthalten Ermächtigungen der Bundesregierung und des zuständigen Ministers zum Erlaß von Durchführungsverordnungen. Erst mit diesen Durchführungsverordnungen sollen die eigentlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen beginnen. Auf diese Weise kann den tatsächlichen Verhältnissen in der jeweiligen Situation am besten Rechnung getragen werden. Der Erlaß von Rechtsverordnungen soll sowohl für die Zwecke der Verteidigung wie in gewissem Umfang auch für den Fall einer sonstigen Versorgungskrise möglich sein. Das Ziel und der Zweck, den sich diese drei Gesetze stecken, gehen also über den Verteidigungs- und Spannungsbereich hinaus.
Für alle drei Sicherstellungsgesetze gilt dabei der Grundsatz der Subsidiarität. Soweit nämlich der erstrebte Zweck durch marktgerechte Maßnahmen ohne staatlichen Eingriff erreicht werden kann, soll auch weiterhin von einem solchen Eingriff Abstand genommen werden.
Ich darf mich nun den drei Gesetzentwürfen zuwenden, die sich unmittelbar und in einem besonderen Maße auf den Schutz der Zivilbevölkerung beziehen und ihr Überleben im Kriegsfalle ermöglichen und erleichtern sollen.
Zahlreiche Überlegungen und Untersuchungen im gesamten NATO-Bereich — und im Bereich des Ostblocks wird es nicht anders sein — haben zu der



Bundesminister Höcherl
einheitlichen Erkenntnis geführt, daß das Überleben der Zivilbevölkerung im Kriegsfalle am besten gesichert ist, wenn jeder nach Möglichkeit zu Hause bleibt. Damit wende ich mich zunächst dem Aufenthaltsregelungsgesetz zu. Eine Massenflucht, meine Damen und Herren, würde zu einem Zusammenbruch der Versorgung führen und darüber hinaus die Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik auch unmittelbar entscheidend lähmen. Auf hoffnungslos verstopften Straßen würden die Bewegungen der Streitkräfte ebenso wie die der zivilen Einsatzverbände steckenbleiben. Das persönliche Schicksal der Flüchtlinge, die unterwegs, schutzlos und für jede Hilfe unerreichbar, den Wirkungen der modernen Waffen ausgesetzt wären, brauche ich nicht weiter darzustellen und auszumalen.
Es wird also entscheidend darauf ankommen — und dies ist der Hauptzweck des Entwurfs eines Aufenthaltsregelungsgesetzes —, der Gefahr zu begegnen, das sich größere Teile der Zivilbevölkerung in einer Spannungszeit, die den baldigen Ausbruch eines bewaffneten Konflikts in Mitteleuropa befürchten ließe, planlos auf die Landstraße begeben. Müßte die Regierung einer solchen Bewegung, die bei einer Verschärfung der Lage dann wahrscheinlich lawinenartig anwachsen und zu einer Panik führen würde, machtlos zusehen, so entstünde mit Sicherheit — und das ist eine weitere nicht zu unterschätzende Gefahr — ein Chaos, das den potentiellen Gegner geradezu einladen könnte, einen terroristischen Vernichtungsschlag zu führen, vor dem er sonst vielleicht noch zurückschrecken würde.
Diese Gefahren lassen sich nicht allein durch den Versuch bannen, die Bevölkerung in geduldiger Aufklärungsarbeit von der Sinnlosigkeit und Gefährlichkeit einer Flucht zu überzeugen. Daneben bedarf es vor allem der jetzt noch fehlenden Rechtsvorschriften, um den einzelnen Bürger von einer unbedachten Flucht abzuhalten. Zu diesem Zweck soll unter bestimmten Voraussetzungen kraft Gesetzes der Aufenthaltswechsel von einer behördlichen Genehmigung abhängig gemacht werden.
Wir müssen allerdings auch an Fälle denken, in denen — wie bei Großstädten, anderen Ballungszentren und auch bei sonstigen wichtigen Zielpunkten — im Ernstfalle eine Ausnahme von dem Grundsatz des „Bleibe zu Hause" gemacht werden muß und in denen eine teilweise Verlegung der Bevölkerung unvermeidbar erscheint. Auch in diesen Fällen soll aber nach dem Grundsatz der Freiwilligkeit verfahren und eine Pflicht zur Teilnahme an Verlegungen nur in besonderen Fällen vorgesehen werden. Ob uns die tatsächliche Situation im Ernstfall noch genügend Zeit lassen wird, solche Bevölkerungsbewegungen planmäßig und rechtzeitig durchzuführen, kann wohl niemand mit Bestimmtheit voraussehen. Gerade diese Ungewißheit legt uns aber die Verpflichtung auf, die gesetzlichen und verwaltungsmäßigen Voraussetzungen zu schaffen und entsprechende Vorbereitungen zu treffen, wie dies weitgehend auch im westlichen und vor allem auch im neutralen Ausland geschieht.
Die Überleitung vom Aufenthaltsregelungsgesetz zum Schutzbaugesetz, dem ich mich jetzt zuwenden darf, ergibt sich zwingend aus einem Sachzusammenhang. Der Grundsatz des „Bleibe zu Hause", der dem Aufenthaltsregelungsgesetz zugrunde liegt, kann nur dann der Bevölkerung gegenüber vertretreten werden, und es besteht auch nur dann Ausicht, ihn durchzusetzen, wenn die Menschen in ihrer Not wissen, daß sie vor den sie bedrohenden Gefahren an Ort und Stelle einen gewissen Schutz finden können.
Der Streit, ob Schutzmaßnahmen auf baulichem Gebiet heute überhaupt noch sinnvoll sind, hat lange Zeit hin und her gewogt. Auch das Bundesministerium des Innern hat sich häufig mit dieser Frage befassen müssen. Heute kann glücklicherweise festgestellt werden, daß sich die Meinungen auf diesem Gebiet etwas abgeklärt haben. Die Auffassung der Bundesregierung hierzu kann in Übereinstimmung mit Herrn Professor Weizsäcker und anderen namhaften Wissenschaftlern, die sich dankenswerterweise zu einer Untersuchungs- und Studiengruppe für diese Frage zusammengeschlossen haben, dahin zusammengefaßt werden, daß Schutzbauten — abgesehen von den Fällen rein terroristischer Vernichtungsangriffe — durchaus geeignet erscheinen und geeignet sind, dem Überleben der Bevölkerung — und dazu sind alle diese Maßnahmen in erster Linie vorgesehen — zu dienen.
Um auch dieses Problem einmal plastisch darzustellen, darf ich auf ein Beispiel aus der Übung FALLEX 62 zurückgreifen.

(Abg. Wittrock: Geheim!)

— Geheim? Nein, der Teil nicht!

(Abg. Dr. Deist: Wer bestimmt das?)

— Ein Gutachter des Innenministeriums

(Heiterkeit)

und letzten Endes ,die Rechtsprechung.

(Abg. Wehner: Gut! Letzten Endes!)

Im Anschluß an diese Übung wurden die Verluste ermittelt, .die unter .der Bevölkerung einer mittleren Stadt im westlichen Teil unserer Bundesrepublik und des angrenzenden Landgebiets voraussichtlich entstehen würden, wenn eine Kernwaffe mittlerer Größe, wie in der Übung angenommen wurde, im Stadtzentrum oder am Stadtrand explodierte. Ohne bauliche Schutzmaßnahmen würden in beiden Fällen mehr als ein Drittel der Landbevölkerung und mehr als vier Fünftel der Stadtbevölkerung zugrunde gehen.
Bei Grundschutzmaßnahmen, die Schutz gegen herabfallende Trümmer oder einstürzende Häuser und gegen radioaktive, chemische und biologische Einwirkungen bieten, würden die Verluste unter der Bevölkerung in der Umgebung statt ein Drittel nur noch 10% betragen; im Stadtgebiet selbst würden sich die Verluste aber nur geringfügig vermindern, und zwar bei der Detonation am Stadtrand um etwa 10 bis 20%, bei der Detonation in dier Stadtmitte um etwa 5%.



Bundesminister Höcherl
Stehen aber darüber hinaus, wie es der Entwurf vorsieht, im Stadtgebiet verstärkte Schutzräume zur Verfügung, dann würden bei einer Detonation am Stadtrand innerhalb der Stadt praktisch keine Verluste eintreten, während bei der Detonation in der Stadtmitte immerhin noch eine Verminderung auf weniger als die Hälfte derjenigen Verluste zu erreichen wäre, die bei Beschränkung auf Grundschutz befürchtet werden müßten.
Grundschutzmaßnahmen bringen also in ländlichen Gebieten einen sehr beachtlichen Rettungszuwachs; in größeren Städten reichen sie sicherlich nicht aus. Hier ist ein einigermaßen wirksamer Schutz nur durch verstärkte Schutzräume zu erzielen.
Diese Frage einer Differenzierung des Schutzgrades der Schutzbauten in Stadt und Land ist zwar sehr umstritten. Die Bundesregierung ist jedoch nach jahrelangen eingehenden Untersuchungen und Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, daß mindestens für gewisse Ballungsgebiete und -bereiche ein zusätzlicher Druckschutz von etwa 3 Atmosphären, der ohne allzu große Mehrausgaben erreicht werden könnte, bereits ein erhebliches Maß an Verbesserung des Schutzes bedeuten würde.
Die Bundesregierung war bei der Gestaltung des Entwurfs des Schutzbaugesetzes besonders bestrebt, da's Maß des im Ernstfall zur Verfügung stehenden Schutzes nicht von dem Umfang der dem einzelnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel abhängig sein zu lassen. Die finanziellen Opfer, die die Errichtung von Schutzbauten von allen fordern, sollen und müssen durch staatliche Zuschüsse in einem für den einzelnen, seinen Vermögensverhältnissen nach, erträglichen Maß gehalten werden. Es muß also ein entscheidender sozialer Effekt in all diesen Überlegungen und Maßnahmen sichtbar werden.
So trägt der Staat z. B. die Mehrkosten des verstärkten Schutzes in Neubauten. 'Die Kosten des Grundschutzes in Neubauten trägt grundsätzlich der Bauherr, wobei die Finanzierung durch vom Bund verbürgte Darlehen sichergestellt werden soll. Außerdem können die zusätzlichen Kosten in gewissem Umfange auf die Mieter, für die der Grundschutz geschaffen wird, umgelegt werden. Um übermäßige 'Belastungen der Mieter durch die Errichtung von Schutzräumen in bestehenden Gebäuden zu vermeiden, soll eine 3%ige Annuitätsbeihilfe gewährt werden, die knapp die Hälfte der jährlichen Belastungen durch Zinsen und Tilgung deckt. Außerdem sieht der Entwurf auch für den 'Fall Beihilfen vor, daß die Mieterhöhungen, die durch Abwälzung der jährlichen 'Belastung durch den Schutzraumbau auf den Mieter hervorgerufen werden, bestimmte, je nach Einkommenshöhe abgestufte Grenzen überschreiten.
In erster Linie muß es das Ziel sein, den Menschen unmittelbar bei der Wohnung einen Schutzplatz zu sichern. Dies allein genügt aber nicht. Stellen Sie sich bitte vor, wie es im Falle eines überraschenden Kriegsausbruchs aussähe, wenn zwischen der Alarmierung der Bevölkerung und dem Einsatz der ersten Bomben oder Raketen nur wenige Minuten lägen. Das ist eine durchaus realistische Annahme. Ein großer Teil der Bevölkerung würde 'sich dann nicht in den Wohnungen aufhalten und wäre auch nicht in der Lage, zu den Wohnungen zurückzukehren. Kinder befänden sich in der Schule oder auf dem Wege dorthin, Arbeiter wären an ihren Arbeitsstätten usw. Deshalb brauchen wir Schutzräume in sämtlichen Arbeitsstätten, in Schulen, Krankenhäusern, Hotels und ähnlichen Einrichtungen, an Verkehrszentren usw., wo Menschen untergebracht sind oder sich in großer Zahl aufhalten.
Der Entwurf sieht eine Verpflichtung zum Schutzraumbau nur in Neubauten vor. Unsere heutige Baukonjunktur läßt es nicht zu, sofort auch für Altbauten einen Grundschutz oder einen verstärkten Schutz zu erstellen. Die Eigentümer von Altbauten sollen jedoch durch gezielte und kumulierte Anreize veranlaßt werden, freiwillig Schutzräume zu errichten. Die Bundesregierung muß sich dabei vorbehalten, bei einem Abflauen der Baukonjunktur auf eine entsprechende Ausdehnung der Schutzbaupflicht hinzuwirken. Sie hofft, daß es auf diese Weise in nicht allzu langer Zeit möglich sein wird, einer großen Zahl von Bewohnern der Bundesrepublik Schutzräume zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung isst sich dessen bewußt, daß gerade der Entwurf eines Schutzbaugesetzes einer besonders eingehenden Beratung bedarf und ist für Anregungen und Verbesserungsvorschläge jederzeit dankbar.
Bine notwendige Ergänzung des Schutzbaugesetzes stellt das Selbstschutzgesetz dar, dem ich mich nunmehr zuwenden darf. Hier handelt es sich um eine Reihe weiterer Vorbereitungen, die von der Bevölkerung selbst getroffen werden müssen, damit sie sich in einem Verteidigungsfall wenigstens notdürftig vor Iden unmittelbaren Auswirkungen der Kampfhandlungen schützen kann. Alle behördlichen Rettungsmaßnahmen und selbst die baulichen Schutzvorkehrungen müssen wirkungslos bleiben, wenn die Bevölkerung in Panik gerät, weil sie nicht weiß, wie sie sich in solchen Augenblicken am zweckmäßigsten verhält.
Bei der gegenwärtigen Rechtslage hängt die Vorbereitung und Durchführung von Selbstschutzmaßnahmen von einem freiwilligen Tätigwerden der Bevölkerung und der Betriebe ab. Die bisherigen Erfahrungen haben aber gezeigt, daß trotz aller Empfehlungen der zuständigen Stellen nur von einem geringen Teil der Bevölkerung und der Betriebe ausreichende Selbstschutzvorbereitungen getroffen werden. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung würde demnach den Gefahren völlig unvorbereitet gegenüberstehen. Die in einer Spannungszeit vielleicht noch mögliche Information über Angriffswaffen und Schutzmöglichkeiten könnte an diesem Zustand nichts mehr ändern, da die Zeit für Vorbereitungen fehlen würde und praktische Übungen kaum noch nachgeholt werden könnten.
Sollte es sich z. B. in einer Spannungszeit als notwendig erweisen, allgemein eine Verdunkelung durchzuführen, dann könnte diese Maßnahme schon wegen Materialmangels mit größter Wahrscheinlichkeit nicht durchgeführt werden, abgesehen davon,



Bundesminister Höcherl
daß die gegenwärtige Rechtslage allenfalls eine entsprechende Empfehlung zuließe. Ähnlich steht es mit einem Notvorrat an Lebensmitteln, den ich schon in einem anderen Zusammenhang behandeln konnte, oder mit der Bevorratung von Arznei- und Verbandsmitteln sowie mit Ausrüstungsgegenständen überhaupt; auch hier könnten Lücken im letzten Augenblick nicht mehr geschlossen werden.
Es wird oft übersehen, daß der Selbstschutz auch oder vielmehr gerade in einem künftigen Krieg als ein Kernpunkt des zivilen Bevölkerungsschutzes angesehen werden muß. Bei jedem behördlichen Hilfseinsatz, der den einzelnen unterstützen soll, ist im Falle starker Zerstörungen und Verstrahlung mit großen Verzögerungen zu rechnen, die unter Umständen tagelang dauern können. Der einzelne wind demnach zunächst oft auf sich selbst angewiesen sein, bevor ihn Hilfe von außen erreicht. Diese Überlegungen zwingen zu zahlreichen Selbstschutzmaßnahmen und -vorbereitungen in jedem Haus und in jedem Betrieb und zur Ausbildung im selbstschutzmäßigen Verhalten.
Die Regierungsvorlage sieht deshalb für den Frieden eine Reihe von Vorbereitungs-, Beschaffungs- und Ausbildungspflichten vor. Dabei ist in jeder Gemeinde die Schaffung einer Selbstschutzorganisation vorgesehen, die in erster Linie die gegenseitige Hilfe vorbereiten und bei einem Notstand auch durchführen soll.
Ebenso wie der Bau von Hausschutzräumen dürfen auch Vorbereitungen für den Selbstschutz nicht auf Wohnhäuser beschränkt bleiben. Der Arbeitnehmer, der die notwendigen Vorbereitungen in seinem Hause trifft, soll auch in seiner Arbeitsstätte bei einem Überraschungsangriff nicht schutzlos den Gefahren ausgesetzt sein. Aus diesem Grunde regelt das Selbstschutzgesetz auch den Selbstschutz in Betrieben und weist allen Betrieben mit mindestens zehn Beschäftigten eine Reihe von Vorbereitungspflichten zu.
Bei allen Bestimmungen des Gesetzentwurfs ist die Zumutbarkeit — sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller Hinsicht — jeweils sehr eingehend geprüft worden. Soweit die Grenze des Zumutbaren in einzelnen Fällen um des Zweckes willen überschritten werden muß, sieht der Entwurf eine Kostentragung der öffentlichen Hand vor. Dies gilt auch für Hilfsbedürftige und Minderbemittelte.
Lassen Sie mich nun noch einige Worte zu dem Entwurf des letzten der acht einfachen Gesetze sagen, zu dem Entwurf zur Ergänzung des Bundesgrenzschutzgesetzes: Dieses Gesetz steht zwar seinem Inhalte nach etwas außerhalb der Reihe der bisher behandelten Vorlagen. Es hängt aber insofern innerlich mit ihnen zusammen, als es sich auf gleiche Grundsituationen bezieht.
Ich muß hier zunächst einer Mißdeutung entgegentreten, die dieser Entwurf von bestimmter Seite erfahren hat, und mit allem Nachdruck, meine Damen und Herren, feststellen, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, die Bundesgrenzschutzbeamten zu Soldaten zu machen oder in die Bundeswehr zu überführen. Weder der Status der Grenzschutzbeamten noch ihr polizeilicher Aufgabenkreis sollen verändert werden. Es ist auch nicht daran gedacht, Einheiten oder Verbände des Bundesgrenzschutzes mit militärischen Kampfaufträgen einzusetzen. Der Gesetzentwurf hat vielmehr vor allem völkerrechtliche Bedeutung. Sein Zweck besteht in erster Linie darin, die Beamten des Bundesgrenzschutzes und die im Grenzaufsichtsdienst tätigen Beamten der Bundeszollverwaltung völkerrechtlich zu schützen, wenn sie sich bei der Erfüllung ihrer polizeilichen Aufgaben gegen Angriffe von Personen wehren müssen, die völkerrechtlich Kombattanten sind. In diese Zwangslage kann der Bundesgrenzschutz bei der Durchführung grenzpolizeilicher Aufgaben kommen. Denn § 2 des Bundesgrenzschutzgesetzes enthält für ihn die sonderpolizeiliche Generalermächtigung, das Bundesgebiet gegen verbotene Grenzübertritte, insbesondere durch die Ausübung der Paßnachschau, und gegen sonstige, die Sicherheit der Grenzen gefährdende Störungen der öffentlichen Ordnung im Grenzgebiet zu sichern.
In Friedenszeiten sind die polizeilichen Maßnahmen des Bundesgrenzschutzes gegen alle Personen, die die Sicherheit der Grenzen verletzen, durch diesen § 2 gedeckt; denn im Frieden sind diese Personen — gleichviel, ob es sich um Soldaten oder Zivilisten handeln sollte — Störer im polizeirechtlichen Sinne. Nach Ausbruch eines Krieges kommen Maßnahmen auf Grund des Polizeirechts gegen einen angreifenden Gegner jedoch nicht in Betracht; es gilt allein das Kriegsvölkerrecht, das nur zwischen Angehörigen der bewaffneten Macht und Zivilpersonen unterscheidet. Es bestimmt, daß sich Zivilpersonen — und das sind auch die Beamten ,des Bundesgrenzschutzes — nicht an Kampfhandlungen gegen Angehörige einer feindlichen bewaffneten Macht beteiligen dürfen. Da der Kriegszustand heute nicht mehr in jedem Falle durch formelle Kriegserklärung festgestellt wird, sondern oft schon mit dem tatsächlichen Beginn von bewaffneten Auseinandersetzungen einsetzt, könnte der Bundesgrenzschutzbeamte unter Umständen nicht erkennen, ob es sich bei einem mit militärischen Mitteln angreifenden Gegner lediglich um einen Störer dm polizeirechtlichen Sinne oder um Kombattanten im kriegsvölkerrechtlichen Sinne handelt, und demzufolge nicht entscheiden, ob er gegen den Gegner als Störer im polizeirechtlichen Sinne einschreiten kann, ihn also gegebenenfalls festnehmen muß, oder ob er gegen ihn nicht einschreiten darf, weil der Gegner Kombattant ist. Sie wissen, daß in der Sowjetzone die Grenztruppe in die Volksarmee eingegliedert worden ist und daß es einen Grenzschutz in unserem Sinne in diesem Bereich nicht mehr gibt. Darin liegt eine Rechtsunsicherheit, die wir von unseren Grenzbeamten nehmen müssen und aus der für die Grenzschutzbeamten schwerwiegende Nachteile entstehen könnten. Der Schutz der Grenzschutzbeamten ist nur dann voll gewährleistet, wenn alle Maßnahmen, die sie zur polizeilichen Sicherung der Demarkationslinie oder der Bundesgrenzen treffen, rechtlich gedeckt sind. Das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden soll hier eine Lücke schließen, indem es den Grenzschutzbeamten die



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Berechtigung gibt — und nur das —, auch angreifende Kombattanten im Sinne des Kriegsvölkerrechts mit der Waffe abzuwehren, und dadurch die entsprechenden völkerrechtlichen Schutzwirkungen eintreten läßt.
Neben dem Bundesgrenzschutz stehen an den Grenzen der Bundesrepublik und der Demarkationslinie Beamte der Zollverwaltung, Zollgrenzdienst genannt. Die Zollverwaltung nimmt von jeher neben den Aufgaben der Waren- und Sachkontrolle .weitgehend auch grenzpolizeiliche Aufgaben wahr. Da dieser Aufgabenübertragung bis jetzt nur eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesfinanzministerium zugrunde liegt, ist es der erste und Hauptzweck des § 2 b, eine eindeutige Rechtsgrundlage zu schaffen. Zugleich wird sichergestellt, daß auch die im Grenzdienst eingesetzten Beamten der Zollverwaltung den Schutz des Völkerrechts im gleichen Umfang genießen wie ihre Kameraden vom Bundesgrenzschutz.
Ich darf ergänzend anfügen, daß sämtliche Innenminister der Länder der Überzeugung sind, daß man eine solche Schutzfunktion auch auf die allgemeine Polizei ausdehnen sollte. Wir sind in unserer Vorlage nicht so weit gegangen, aber es gibt gute Gründe für diese Auffassung.
Nun darf ich zu dem zweiten Teil meiner Ausführungen, zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, übergehen.
Dem Grundgesetz liegen zwei Entscheidungen der verfassunggebenden Gewalt Ides deutschen Volkes zugrunde: einmal die Entscheidung für die Freiheit des einzelnen, aber auch die Entscheidung für die Verpflichtung des einzelnen gegenüber dem Ganzen, die mit jedem Freiheitsrecht unlösbar und notwendigerweise verbunden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal von dem Menschenbild des Grundgesetzes gesagt, es sei nicht das des selbstherrlichen Individuums — oft hat man den Eindruck, so wäre es —, sondern das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit.
Mit dem Entwurf des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes hat sich die Bundesregierung bemüht, aus diesen 'beiden Grundentscheidungen die Folgerungen für den Fall einer schweren Gefährdung unseres staatlichen Gemeinwesens zu ziehen. Ihr standen dabei die großartigen Beispiele der Selbstbeschränkung und Opferbereitschaft vor Augen, die die alten westlichen Demokratien z. B. im zweiten Weltkrieg gegeben haben, um ihre Freiheit zu bewahren und über diese ernste Zeit hinüberzuretten. Die Bundesregierung hat sich dabei auch von der geschichtlichen Erfahrung leiten lassen, daß ein Volk notfalls bereit sein muß, vorübergehend, soweit es erforderlich ist, auf einen Teil seiner Freiheitsrechte zu verzichten, wenn es seine Freiheit auf die Dauer erhalten will, und daß es für eine Nation keinen bequemen Ausweg gibt, um sich diesen schicksalhaften Notwendigkeiten zu entziehen.
Wie Ihnen bekannt ist, habe ich bei der Vorbereitung des Entwurfs dieser Grundgesetzergänzung mehrere Gespräche mit allen im Bundestag vertretenen Parteien, mit den Gewerkschaften und vielen anderen Organisationen und Verbänden gehabt, um eine Lösung zu finden, die der Zustimmung der überwiegenden Mehrheit unseres Volkes gewiß sein kann.
Der Entwurf geht von dem Grundsatz aus, daß das geltende Grundgesetz nur dann und nur insoweit eingeschränkt werden darf — das ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Adäquanz —, als dies unerläßlich ist, um einer drohenden Gefahr Herr zu werden.
Es ist selbstverständlich, daß alle Vorsorgemaßnahmen der Verwaltung, soweit sie in normalen Zeiten getroffen werden, sich im Rahmen der geltenden Verfassung zu bewegen haben. Das gleiche gilt auch für Maßnahmen der zivilen Verteidigung in Spannungszeiten bis zum Zeitpunkt ihrer krisenhaften Zuspitzung. Erst wenn ein bewaffneter Angriff droht oder wenn ein solcher — sei es nach voraufgegangener Spannungszeit oder überraschend — begonnen hat, sollen gewisse verfassungsrechtliche Sonderregelungen in Kraft treten, die den verfassungsrechtlichen Rahmen, der der Gesetzgebung und Verwaltung bis dahin gezogen ist, erweitern und unbeschadet der Fortgeltung der schon vorher in Kraft getretenen Vorsorgegesetze den Erlaß weiterer Vorschriften ermöglichen sollen.
Diese Sonderregelungen sind im wesentlichen dreifacher Art. Erstens betreffen sie den Umfang des Grundrechtsschutzes der Freiheitssphäre des einzelnen, die in Zeiten einer schweren Gefährdung des Gemeinwesens zu ihrer Erhaltung nicht in dem gleichen Maße gewährleistet werden kann wie in Normalzeiten. Zweitens beziehen sich die Sonderregelungen auf das staatsrechtliche Verhältnis des Bundes zu den Ländern. Dieses Verhältnis bedarf, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht, der Anpassung an die veränderten Umstände. Dies muß teils im Sinne einer stärkeren Konzentration der Zuständigkeiten und einer Erweiterung der Weisungsbefugnisse der Gesamtstaatsführung geschehen, teils wird eine größere Dezentralisation zugunsten der Teilstaatsgewalten notwendig sein. Drittens erscheint es der Bundesregierung unerläßlich, für den Fall eines bewaffneten Angriffs ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren vorzusehen, da das Rechtsstaatsprinzip und damit auch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch im Kriegsfalle unter allen Umständen aufrechterhalten werden müssen, die Abwehrmaßnahmen aber auch nicht durch das Fehlen der notwendigen Rechtsgrundlagen gefährdet werden dürfen.
Die Bundesregierung hat sich bei allen von ihr vorgeschlagenen Sonderregelungen auf das Mindestmaß dessen beschränkt, was ihr nach den uns vorliegenden Erfahrungen und zugänglichen Erkenntnissen unerläßlich erschien. Lassen Sie mich auch dies an einem Beispiel verdeutlichen.
Im wirtschaftlichen Bereich kann es sich als notwendig erweisen, während eines Krieges Betriebe der Ernährungswirtschaft, der Verkehrswirtschaft



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oder des allgemeinen gewerblichen Bereichs zur besseren Funktionsfähigkeit zu Arbeitsgemeinschaften zusammenzuschließen, ohne sich dabei der vielfach nicht geeigneten Formen öffentlich-rechtlicher Körperschaften zu bedienen. Nach Art. 9 Abs. 1 des Grundgesetzes, der auch die sogenannte negative Vereinsfreiheit garantiert, wäre das nicht zulässig. Es bedarf daher einer entsprechenden Sonderregelung für Kriegszeiten.
Auch hier sei zur Vermeidung von Mißverständnissen und Mißdeutungen ausdrücklich festgestellt, daß dabei in keiner Weise an eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit gedacht ist und der Bestand und die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften unangetastet bleiben sollen. Das kommt im Regierungsentwurf deutlich darin zum Ausdruck, daß eine zusätzliche Einschränkbarkeit des die Koalitionsfreiheit gewährleistenden Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes auch für den Zustand der äußeren Gefahr nicht vorgesehen ist. Dies gilt auch für die Freiheit zum legitimen arbeitsrechtlichen Streik im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Ich darf bei dieser Gelegenheit wiederholen, daß wir nach unseren bisherigen sehr positiven Erfahrungen überzeugt sein dürfen, daß der Arbeiter in solchen Situationen nicht in erster Linie an solche Dinge denkt.
Nach Art. 104 des Grundgesetzes darf die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen. Stellen wir uns einmal vor, die Polizei habe im Kriegsfall einen Plünderer, einen Spion oder einen Agenten des Gegners vorläufig festgenommen. Wenn der Richter erreichbar ist, soll es selbstverständlich auch in solchen Zeiten bei den kurzen Fristen für die Herbeiführung der richterlichen Nachprüfung oder die Vorführung vor den Richter verbleiben. Was aber soll geschehen, wenn das Gerichtsgebäude zerstört, die Verkehrsverbindung zum Gericht unterbrochen oder der Richter aus anderen Gründen nicht rechtzeitig erreichbar ist? Soll dann der Polizeibeamte gehalten sein, einen Plünderer, einen Spion oder einen Agenten, den er festgenommen hat, am Abend des nächsten Tages wieder auf freien Fuß zu setzen? Ich glaube, Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß für solche Fälle Vorsorge getroffen und die Möglichkeit geschaffen werden muß, die Frist durch eine Rechtsvorschrift angemessen zu verlängern.
Gewiß werden Sie in diesem Zusammenhang von mir auch ein Wort zu dem viel diskutierten Thema der Pressefreiheit erwarten. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung ist sich der Aufgabe bewußt, die eine freie Presse innerhalb einer freiheitlichen Demokratie auch in Kriegszeiten zu erfüllen hat. Die Bundesregierung ist aber auch der Auffassung, daß eine öffentliche Aufgabe nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich bringt. Wie Sie wissen, ist die Bundesregierung bemüht — ich habe das schon bei der Einbringung dieses Gesetzes vor dem Bundesrat erklärt und in einigen öffentlichen Erklärungen wiederholt —, in Zusammenarbeit mit Repräsentanten der deutschen Presse nach dem Vorbilde anderer freiheitlicher Demokratien — vor allem schwebt uns das englische Vorbild vor — ein System der freiwilligen Selbstkontrolle aufzubauen. Von den im Entwurf vorgesehenen Einschränkungsmöglichkeiten im Bereich der Grundrechte aus Artikel 5 des Grundgesetzes soll nur dann Gebrauch gemacht werden können, wenn dieses System nicht funktioniert. Sie werden, wie ich hoffe, mit mir darin übereinstimmen, daß ein in seiner Existenz gefährdeter Staat das Recht haben muß, im äußersten Falle sich auch gegen derartige Bedrohungen zu verteidigen.
Lassen Sie mich nun zu den Sonderregelungen übergehen, die das staatsrechtliche Verhältnis des Bundes zu den Ländern im Ernstfalle betreffen, also zu der bundestaatlichen Problematik des Regierungsentwurfs.
Hier geht es zunächst um die Frage der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Bekanntlich hat das Grundgesetz die meisten Sachgebiete dem Bundesgesetzgeber zugewiesen. Dem Landesgesetzgeber sind nur verhältnismäßig wenig Materien überlassen. Dabei handelt es sich aber zum Teil gerade um solche Materien, die für die zivile Verteidigung von ausschlaggebender Bedeutung sind, wie z. B. das Recht der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, das ganze Polizeirecht, oder das Recht der öffentlichen Verwaltung. In besonderen Notzeiten kann es sich als unerläßlich erweisen, auf solchen Sachgebieten in gewissem Umfange bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen.
Da die Grundsätze der Organisation der öffentlichen Verwaltung weitgehend durch das Grundgesetz selbst festgelegt worden sind, bedarf es, um zu einer gewissen Vereinheitlichung auf diesem Gebiet zu kommen, nicht nur einer Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, sondern auch einer Befreiung des Bundesgesetzgebers von den ihm durch das Grundgesetz vorgeschriebenen Typen und Regelungen für das Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern. Es liegt auf der Hand, daß eine tiefgreifende Umgestaltung der Organisation der öffentlichen Verwaltung während eines Gefahrenzustandes nicht allein einer erst dann zu treffenden gesetzlichen Regelung überlassen bleiben darf. Der Regierungsentwurf sieht daher vor, daß eine gewisse Erweiterung der Weisungsbefugnisse des Bundes bereits bei Beginn des Zustandes der äußeren Gefahr von Verfassungs wegen automatisch eintritt. Dies gilt auch für das Recht der Bundesregierung zur Bestellung von Bundesbeauftragten, für alle eingesetzen Vollzugskräfte und für die Verwaltung. Daß dabei weitgehend auf die Interessen der Länder Rücksicht genommen wird, versteht sich von selbst.
Da die allgemeinen Verhältnisse während eines Krieges sich grundlegend von der in normalen Zeiten bestehenden Situation unterscheiden, kann es auch unvermeidbar werden, von der festgesetzten Finanzverfassung abzuweichen.
Während eines Zustandes der äußeren Gefahr kann es sich aber nicht nur als notwendig erweisen,



Bundesminister Höcherl
die Staatsgewalt im Bereich der Legislative und Exekutive beim Bund zu konzentrieren, sondern es kann auch notwendig werden, eine Dezentralisation der Gesamtstaatsgewalt vorzunehmen. Wenn einmal ein bewaffneter Angriff auf das Bundesgebiet begonnen hat, kann es im Verlaufe der militärischen Operationen zu Situationen — etwa zu Insellagen —kornmen, in denen das Vorhandensein selbständig handelnder regionaler und örtlicher staatlicher Instanzen von entscheidender Bedeutung für die Selbstbehauptung der Bevölkerung ist. Diesen Instanzen — also bis herunter zum Landrat und zum Bürgermeister der kreisfreien Stadt — muß in einem solchen Falle durch eine entsprechende vorsorgliche Vorschrift in der Verfassung auch die Legitimation und die Kompetenz verliehen werden, die notwendigen Maßnahmen im Bereiche nicht nur der Exekutive, sondern — soweit erforderlich — auch der Legislative zu ergreifen. Der Regierungsentwurf trägt auch dieser Notwendigkeit Rechnung.
Ich komme jetzt zu der dritten Gruppe von Sonderregelungen: dem vereinfachten Gesetzgebungsverfahren, einer Sonderregelung also, die die eigentliche Aufgabe dieses Hohen Hauses, die Rechtsetzung, berührt. Wie Sie dem Regierungsentwurf bereits entnommen haben werden, geht er davon aus, daß die Gesetzgebungsgewalt auch während des Zustandes der äußeren Gefahr, also auch in einem Kriegsfalle, grundsätzlich bei diesem Hohen Haus — in bestimmten Fällen unter Mitwirkung des Bundesrates — zu verbleiben hat. Ich möchte dies besonders unterstreichen.
Was bedeutet 'dies praktisch? Nehmen wir zunächst einmal den günstigsten Fall an, unterstellen wir also, daß der Bundestag auch nach Beginn des Zustandes der äußeren Gefahr noch ungehindert zusammentreten und ungestört beraten kann. In diesem Falle müßte ein Gesetzentwurf auch während des Zustandes der äußeren Gefahr alle Stadien des regulären Gesetzgebungsverfahrens durchlaufen, also vom ersten Durchgang durch den Bundesrat über drei Lesungen und die Ausschußberatunaen des Bundestages bis zum zweiten Durchaang mit der Möglichkeit einer Anrufung des Vermittlunasausschusses und etwa anschließendem Einspruchsverfahren. Ich habe einmal feststellen lassen —das ist ein interessanter Vorgang —, wie lange es durchschnittlich dauert, bis der Entwurf eines Bundesgesetzes das Licht der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt erblickt. Dabei hat sich ergeben, daß die Durchschnittsdauer etwa neun Monate beträgt! Regierungsentwürfe brauchen sogar noch etwas länger, während die Initiativgesetzentwürfe etwas weniger Zeit benötigen. Ich will dabei keineswegs unterlassen, zur Ehre des Hohen Hauses zu sagen, daß es auch einzelne ausgesprochene Schnelläufer unter den Gesetzentwürfen gibt, die das Klassenziel in sieben Tagen erreicht haben.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Die Laufdauer im Kabinett und in den Ressorts beträgt doch auch oft Jahre!)

— Neun Monate und ein Vierteljahr, das ist ein sehr günstiges Verhältnis für die Bundesregierung.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Und die Laufdauer Ihrer Entwürfe zum Schutzraumgesetz?)

— Die ist gar nicht so erheblich, wie Sie meinen, Herr Kollege Schmitt. Es gibt einen einfacheren Weg: die Tatsachen zu ermitteln! Das sind dann ganz sichere 'Basen.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sie dürfen doch nicht die Laufdauer des letzten Entwurfs nehmen, sondern müssen alle einrechnen!)

Auch angesichts dieser wenigen Ausnahmen kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, daß das normale Gesetzgebungsverfahren seiner Natur nach einer ernsten Situation nicht gerecht wird, der wir uns im Falle eines drohenden oder gar eines bereits rollenden militärischen Angriffs auf das Bundesgebiet gegenübersehen würden. Außerdem muß selbstverständlich auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß das Plenum des Bundestages infolge äußerer Umstände nicht mehr zusammentreten oder nicht mehr rechtzeitig einen Beschluß fassen kann. Die Bundesregierung hat gleichwohl in dem Ihnen vorliegenden Entwurf aus dieser Erkenntnis nicht die Folgerung gezogen, daß in solchen Fällen sofort ein Rechtsetzungsrecht der vollziehenden Gewalt entstehen müsse. Sie hat vielmehr die Einrichtung einer Art von Notparlament vorgeschlagen, ,das aus 20 — zweifellos sehr prominenten — Mitgliedern des Bundestages und zehn Mitgliedern des Bundesrates bestehen soll. Dieses Notparlament soll während des Zustandes der äußeren Gefahr Träger der Gesetzgebungsgewalt sein, wenn es der Bundestag — d. h. das Bundestagsplenum — hierzu ermächtigt. Außerdem tritt automatisch — d. h. auch ohne eine solche ausdrückliche Ermächtigung durch das Plenum des Bundestages —ein Recht dieses Notparlaments zur Ausübung der gesetzgebenden Gewalt ein, wenn dem Zusammentritt oder der rechtzeitigen Beschlußfassung des Bundestages unüberwindliche 'Hindernisse entgegenstehen.
Endlich sieht der Regierungsentwurf als ultima ratio auf dem Gebiet der Legislative während des Zustands der äußeren Gefahr ein Notverordnungsrecht der Bundesregierung für den Fall vor, daß die Lage ein sofortiges Handeln erfordert. Zieht man die geringe Mitgliederzahl des Notparlaments und seine nicht an Formvorschriften gebundene Arbeitsweise in Betracht—die Geschätfsordnung gibt es sich selbst —, so zeigt sich, daß die Voraussetzung für das Notverordnungsrecht der Bundesregierung voraussichtlich nur in ganz außergewöhnlichen und besonders eilbedürftigen Krisensituationen innerhalb des allgemeinen Zustandes der äußeren Gefahr erfüllt sein wird. Die Möglichkeit solcher außergewöhnlicher Krisensituationen kann jedoch im modernen Krieg nicht ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung hält es daher für unerläßlich, in der Verfassung auch für eine solche extreme Situation geeignete Vorsorge zu treffen.



Bundesminister Höcherl
Namens der Bundesregierung möchte ich mit allem gebotenen Ernst betonen, daß sie die Einräumung dieses Notverordnungsrechtes als einen wesentlichen und unverzichtbaren Bestandteil ihres Entwurfes ansieht — unverzichtbaren, ich darf das wiederholen,

(Hört! Hört! bei der SPD)

um das ganz deutlich zu sagen; es ist doch viel besser, wir klären diese Dinge vorher ab —, aber auch aus den sachlichen Gründen, die vorgetragen worden sind, als einen unverzichtbaren Bestandteil ihres Entwurfes ansieht. Sie ist davon überzeugt, daß verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes gegen ein solches Notverordnungsrecht, wie es der Regierungsentwurf vorsieht, nicht bestehen. Der Grundsatz der Gewaltenteilung wird auch deshalb nicht verletzt, weil es sich nur um eine exzeptionelle, auf eine besondere Gefahrensituation beschränkte, befristete Übertragung der Rechtsetzungsmacht auf die vollziehende Gewalt handelt und diese Übertragung keinen anderen Zweck hat als den, den Bestand des Staates — und darum geht es — und seine Verfassungsordnung vor der tödlichen Bedrohung zu schützen oder wiederherzustellen.
Meine bisherigen Ausführungen haben sich auf den Zustand der äußeren Gefahr beschränkt, auf eine Regelung also, deren Notwendigkeit im großen und ganzen unbestritten ist. Soweit hier noch Meinungsverschiedenheiten bestehen, beziehen sie sich im wesentlichen nur auf Modalitäten und Einzelheiten des Entwurfs. Bei demjenigen Teil der Regierungsvorlage, der den Zustand der inneren Gefahr betrifft, ist die Situation insoweit eine ganz andere, als hier nicht nur das Wie, sondern auch das Ob umstritten ist. Lassen Sie mich daher zunächst einige Worte über die Notwendigkeit auch dieses Teiles des Entwurfs vortragen.
Von Kritikern einer Regelung des Zustandes der inneren Gefahr im Grundgesetz ist eingewandt worden, die bisherige innenpolitische Entwicklung der Bundesrepublik zeige, wie entbehrlich derartige Grundgesetzvorschriften seien. Aber, meine Damen und Herren, können und dürfen wir uns darauf verlassen, daß die friedlichen Zustände, die der Bundesrepublik im Innern in den ersten Jahren ihres Bestehens beschieden waren, für alle Zeiten fortdauern?
Ein weiterer Einwand bezweifelt die Möglichkeit der Gefährdung der Bundesrepublik von innen heraus, weil es in der Bevölkerung heute — anders als in der Zeit von Weimar — keine Waffenbestände gebe. Dabei genügt schon ein Blick auf die Demarkationslinie zur sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, um zu erkennen, wie leicht diesem „Mangel" von drüben abgeholfen werden kann und der Staatsfeind im Innern über Nacht mit allem versorgt werden könnte, was er an Waffen, Munition und sonstigem technischen Gerät braucht.

(I setze Organisationen und Machtmittel voraus, über die heute nur die Inhaber der staatlichen Gewalt gebieten, von denen daher auch die einzige wirkliche, reale Gefahr einer Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung — die Gefahr eines Staatsstreichs von oben — ausgehe. An dieser Argumentation ist so viel richtig, daß der Möglichkeit eines Mißbrauchs der Macht durch staatliche Organe in geeigneter Weise auch durch entsprechende Vorschriften in der Verfassung Rechnung getragen werden muß. Hierauf werde ich am Schluß meiner Ausführungen besonders eingehen. Im übrigen verkennt diese Kritik etwas sehr Wesentliches. Wir haben es heute nicht mehr mit Staatsfeinden zu tun, die als Einzelne oder in Gruppen von sich aus handeln. Der moderne Typ des Staatsfeindes ist ein ganz anderer. Es ist der im Auftrag eines fremden Staates oder einer fremden Regierung handelnde Agent, die „Fünfte Kolonne" — wie es der Herr Kollege Arndt in seiner Schrift formuliert hat —, die die finanzielle Unterstützung eines fremden Staates oder einer fremden Regierung oder sogar einer fremden Großmacht genießt und deren organisatorische und technische Machtmittel hinter sich hat. Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung, daß ein Verfassungsgesetzgeber von heute auch diese modernen Erscheinungsformen revolutionärer Angriffe auf den Bestand und die verfassungsmäßige Ordnung des eigenen Staates in Rechnung stellen muß und entsprechende Vorkehrungen zu treffen hat. Der Regierungsentwurf tut dies, indem er bestimmte Sonderregelungen auch für den Fall eines Zustandes der inneren Gefahr vorsieht. Dabei ist in erster Linie an innere Gefahrensituationen gedacht, die erkennbar auf Einwirkungen von außen zurückgehen. Das ist die spezifische deutsche Situation. Erfahrungsgemäß muß aber auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß sich die Einwirkung von außen nicht oder noch nicht eindeutig nachweisen läßt, ohne das deshalb auf wirksame Abwehrmaßnahmen verzichtet werden könnte oder ohne daß ein solcher Zusammenhang in Wirklichkeit bestünde. In solchen Fällen, meine Damen und Herren, müssen bestimmte, besonders gefährliche Aktionsformen als Anzeichen für den außergewöhnlichen Grad der Bedrohung ausreichen. Gedacht ist dabei vor allem an Gewaltund Terrorakte, die der Regierungsentwurf in Anlehnung an strafrechtliche Tatbestände näher umschrieben hat. Fragen wir uns nun, welche Regelungen das Grundgesetz für Fälle einer derartigen inneren Gefahr bereit hält! Die Antwort gibt Art. 91 des Grundgesetzes. Sie lautet: Bei regionalen Notständen kann ein Land die Polizeikräfte anderer Länder anfordern. Bei überregionalen Notständen hat die Bundesregierung das Recht, die Polizeikräfte der Länder ihren Weisungen zu unterstellen. Das ist alles. Das sage ich vor allem denjenigen, die der Auffassung sind und sie fortgesetzt verbreiten, daß wir das Notstandsrecht weder für den äußeren noch für den inneren Notstand nötig hätten, weil alles Notwendige bereits geregelt sei. Meine Damen und Herren, warum dann Bundesminister Höcherl einen alliierten Vorbehalt, wenn alles schon erschöpfend geregelt ist! Weder die in einem Land konzentrierten noch die von der Bundesregierung zentral geführten Polizeikräfte haben also bei einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Staates irgendwelche weitergehende Vollmachten als in normalen Zeiten. Auch sonst bleibt es sowohl im Bereich der Legislative als auch in dem der übrigen Exekutive in jeder Hinsicht bei der in normalen Zeiten geltenden Regelung. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß dies keine hinreichende Vorsorge für den Fall möglicher innerer Gefahrenzustände darstellt, und sie weiß sich in dieser Beurteilung auch mit den Landesregierungen ohne Unterschied einig. Nach Auffassung der Bundesregierung bedarf Art. 91 des Grundgesetzes einer Ergänzung in doppelter Richtung. Zunächst müssen die Abwehrmöglichkeiten erweitert werden, die den Ländern — dort ist der Schwerpunkt — bei regionalen Gefahrenzuständen zur Verfügung stehen. Zu diesem Zwecke sollte die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder vorübergehend in den durch die Notwendigkeit der Gefahrenabwehr gezogenen Grenzen erweitert und dem Landesgesetzgeber auch die Möglichkeit gewisser zusätzlicher Einschränkungen einzelner Grundrechte des Grundgesetzes eingeräumt werden. Das Ausmaß muß sich bei dem Tatbestand der inneren Gefahr natürlich etwas zurückhaltender ausdrücken, als das bei der äußeren Gefahr der Fall ist. Außerdem erscheint es angebracht, im Grundgesetz auch eine Regelung über das Notverordnungsrecht der Landesregierungen zu treffen, soweit diese von den den Ländern eingeräumten Sondervollmachten Gebrauch machen. Sollte es dem betreffenden Land trotz dieser Sondervollmachten nicht gelingen, einer Gefahr Herr zu werden, oder liegt aus anderen Gründen von vornherein eine überregionale Gefahrenlage vor, so müssen umgekehrt die Abwehrmöglichkeiten des Bundes auf Kosten der Zuständigkeit der Länder erweitert werden. Der Regierungsentwurf sieht daher für diese Fälle eine Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes sowie ein Recht des Bundesgesetzgebers vor, in weitergehendem Maße als in normalen Zeiten in bestimmte Grundrechte einzugreifen, aber in einem beschränkteren Maße, als das beim äußeren Notstand der Fall ist. Außerdem ist vorgesehen, daß die Einflußrechte des Bundes gegenüber den Ländern über den Bereich der Polizeikräfte hinaus auf den gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung erstreckt werden und daß in extremen Situationen innerer Notstände auch in einem vereinfachten Rechtssetzungsverfahren — durch ein Notparlament und äußerstenfalls durch Notverordnungen der Bundesregierung — Recht gesetzt werden kann. Lassen Sie mich nun die Notwendigkeit derjenigen Grundrechtseinschränkungen näher begründen, die nach dem Regierungsentwurf sowohl bei regionalen als auch bei überregionalen Notständen vorgesehen sind. Nach Art. 11 des Grundgesetzes genießen alle Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Dieses Recht darf nur durch Gesetz zu den im Grundgesetz genau bezeichneten Zwecken eingeschränkt werden, u. a. um strafbaren Handlungen vorzubeugen. Diese Einschränkungsmöglichkeiten müssen in Notzeiten erweitert werden, um z. B. größere Unruhegebiete vorübergehend zernieren und für den Zustrom von Personen generell sperren zu können. Ein anderes Beispiel, bei dessen Erwähnung ich wohl der Zustimmung meiner Innenministerkollegen in den Ländern gewiß sein kann: Es dürfte außer Zweifel stehen, daß es sich bei schweren inneren Gefahrenlagen unter Umständen als unumgänglich notwendig erweisen kann, vorübergehend ein allgemeines Versammlungsverbot zu verhängen, um eine Beruhigung und Entspannung der Situation zu erreichen. Die gegenwärtige Verfassungslage steht einem solchen generellen Versammlungsverbot entgegen. Auch insoweit bedarf es also einer vorsorglichen Regelung, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht. Auch bei inneren Gefahren kann es sich als notwendig erweisen, daß die staatlichen Stellen die Hilfe der Presse in Anspruch nehmen, sei es zur Bekanntmachung und Verbreitung bestimmter amtlicher Verlautbarungen, Warnungen und dergleichen, sei es in der Weise, daß die Presse gebeten wird, vorübergehend von der Veröffentlichung bestimmter Nachrichten Abstand zu nehmen, deren Verbreitung unerwünschte Folgen für die Abwehrmaßnahmen haben kann. Man ,denke z. B. an Nachrichten, die eine Panik auslösen oder dem Gegner wichtige Fingerzeige geben können. Ich hoffe — und die bisher vorliegenden Erfahrungen berechtigen zu dieser Hoffnung —, daß sich unsere Presse den Belangen des Gemeinwohls und den berechtigten Wünschen der zuständigen Stellen auch in der Zukunft nicht verschließen wird. Wer aber gibt uns die Gewähr dafür, daß dies in allen Fällen und unter allen Umständen geschehen wird? Man sollte vom Verfassungsgesetzgeber nicht verlangen, daß er seine Augen vor den Realitäten verschließt und auf eine Vorsorge für solche Fälle ganz verzichtet. Wie ich bereits angedeutet habe, können sich Zustände der inneren Gefahr, die auf Einwirkungen von außen zurückgehen, als Auftakt einer militärischen Aktion des Gegners darstellen. Der Regierungsentwurf sieht deshalb vor, daß in solchen Fällen, bei denen es sich stets um überregionale Gefahrenlagen handeln dürfte, weitere Grundrechtseinschränkungen zulässig sein sollen, ähnlich denen während des Zustandes einer äußeren Gefahr. Soviel zur Frage der Notwendigkeit der im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelung des Zustandes der inneren Gefahr. Gestatten Sie mir nun noch einige Worte zu dem Abschnitt des Regierungsentwurfs, der der Regelung des Katastrophenzustandes gilt. Ich will mich hier darauf beschränken, Ihnen am Beispiel der norddeutschen Flutkatastrophe kurz darzulegen, welche Maßnahmen in diesem Falle Bundesminister Höcherl nach geltendem Verfassungsrecht nicht hätten getroffen werden können — wir sind froh, daß sie getroffen worden sind —, für die aber gleichwohl ein Bedürfnis bestand und die daher für die Zukunft durch die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung eindeutig sanktioniert werden sollen, ohne daß damit in irgendeiner Weise der Vorwurf erhoben werden soll, bei den damaligen behördlichen Abwehrmaßnahmen sei etwas unterlassen worden oder unrechtmäßig gewesen. Nicht zulässig war es, für den gesamten, die Gebiete mehrerer Länder umfassenden von der Katastrophe bedrohten Raum einen Bundesbeauftragten, etwa in der Person des Ministerpräsidenten eines der Länder, einzusetzen, wie das nahegelegen hätte, um den einheitlichen Einsatz aller Vollzugskräfte des Bundes und der Länder sicherzustellen und die zuständigen Bundesund Landesdienststellen mit den entsprechenden Weisungen zu versehen. Entgegen standen die Regelungen der Art. 83 f. des Grundgesetzes. Nicht zulässig wäre es gewesen, daß auch der Bundesgrenzschutz und die Bundeswehr Absperrungen, Schritte gegen Plünderer oder andere hoheitliche Maßnahmen durchführten. Auch dies verbot die Regelung der Art. 83 f. des Grundgesetzes. Soweit die Bundeswehr in Betracht kam, stand wohl auch Art. 143 des Grundgesetzes entgegen. Nicht zulässig wäre wohl auch — im Hinblick auf Art. 11 des Grundgesetzes — die Erklärung des gesamten Katastrophengebietes zum Sperrgebiet für den privaten Kraftfahrzeugverkehr und zur Verhinderung des Herbeiströmens von Massen Schaulustiger gewesen. Nicht möglich war weiter die Anforderung von Sachleistungen auf Grund des Bundesleistungsgesetzes, da dieses für den Fall von Naturkatastrophen nicht gilt und nach Ansicht des Bundesrates mangels einer entsprechenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auch nicht auf solche Fälle erstreckt werden dürfte. Nicht zulässig wäre nach dessen Verabschiedung auch eine Anwendung des Zivildienstgesetzes gewesen, da dieses aus diesen Gründen keine Regelung für den Fall von Naturkatastrophen enthält und nach Ansicht des Bundesrates auch nicht enthalten dürfte. Nicht zulässig wäre ebenfalls schließlich nach dessen Verabschiedung auch eine Anwendung des Aufenthaltsregelungsgesetzes gewesen, etwa zum Zwecke der zwangsweisen Räumung bestimmter Wohnblocks, da nach Ansicht des Bundesrates auch insoweit keine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gegeben wäre. Ich hoffe, Ihnen mit dieser Aufzählung überzeugend dargetan zu haben, daß auch die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung für den Fall eines Katastrophenzustandes notwendig und zweckmäßig ist. Mit Freude und Genugtuung darf ich dabei feststellen, daß sich auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme der Anerkennung dieser Notwendigkeit grundsätzlich nicht verschlossen hat. Überblicken wir nun rückschauend die Gesamtheit der im Entwurf vorgesehenen Regelungen, so muß ohne weiteres eingeräumt werden, daß sie für die Dauer besonderer Notzeiten die Grenzen nicht unerheblich erweitern, die der Staatsgewalt gegenüber der Rechtsund Freiheitssphäre des Einzelnen in Normalzeiten gezogen sind. Das sich hier stellende Problem der Vermeidung von Überdehnungen oder Mißbräuchen der Sondervollmachten kann nicht dadurch gelöst werden, daß man der Staatsführung die notwendige Handlungsfreiheit vorenthält und die Wirksamkeit ihrer Abwehrmaßnahmen beschränkt, sondern nur dadurch — das ist die einzig mögliche Rechtsetzungstechnik —, daß man geeignete Sicherungen und Kautelen schafft, die den Sondervollmachten auf derselben Ebene gegenüberstehen. Ich darf wohl sagen, daß dieser Entwurf solche Sicherungsmaßnahmen und Garantien in einem Ausmaße enthält, wie es in keiner ausländischen Verfassung und überdies auch in keiner unserer eigenen Länderverfassungen, die ja bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes für solche Fälle anwendbar waren und die zum Teil recht strikte Regelungen getroffen haben, bisher der Fall ist. Dies ist nicht zuletzt der Grund für den verhältnismäßig großen Umfang — den ich ebenfalls 'bedauere — und die Kompliziertheit des Regierungsentwurfs und den dadurch bedingten Stilunterschied gegenüber dem klassischen Teil des Grundgesetzes mit seiner einfachen und klaren Sprache. Erlauben Sie mir jetzt noch — und darauf lege ich einen ganz besonderen Wert —, dieses System der Sicherungen und Garantien — denn als ein solches wird man es wohl bezeichnen können — im einzelnen vor Ihnen zu entwickeln. Betrachten wir zunächst den Zustand der äußeren Gefahr. Die erste entscheidende Sicherung gegen eine vorzeitige oder mißbräuchliche Anwendung der Sonderregelungen besteht darin, daß die darin vorgesehenen Sondervollmachten nicht automatisch zur Entstehung kommen, von einem besonderen Fall abgesehen. Nach dem Regierungsentwurf treten diese Sondervollmachten vielmehr nur in Kraft, wenn ein anderes Verfassungsorgan — und zwar dieses Hohe Haus, also Sie, meine Damen und Herren, mit Zustimmung des Bundesrates, notfalls das Notparlament und äußerstenfalls der Bundespräsident — ausdrücklich festgestellt hat, daß die Voraussetzungen für eine Entstehung der Sondervollmachten tatsächlich gegeben sind. Bei der Vorschrift des Art. 115h des (Gesetzentwurfs, der ein automatisches Inkrafttreten der Sondervollmachten vorsieht, ist lediglich an solche Situationen gedacht, in denen kein Zweifel über das Vorliegen der Voraussetzungen des Inkrafttretens der Sondervollmachten möglich ist, also etwa an einen Überraschungsangriff unter Einsatz nuklearer Waffen auf das Bundesgebiet. Eine weitere Sicherung gegen einen Mißbrauch der Sondervollmachten oder ein Übermaß ihrer Anwendung besteht darin, daß dieses Hohe Haus — gegebenenfalls das Notparlament — immer der souveräne Herr des Zustandes der äußeren. Gefahr bleibt und ihn jederzeit für beendet erklären sowie die auf seiner Grundlage getroffenen Maßnahmen beliebig abändern oder aufheben kann. Bundesminister Höcherl Eine dritte — gewissermaßen automatisch wirkende — Sicherung besteht darin, daß alle Notgesetze und Notverordnungen sowie auch reguläre Bundesgesetze, die unter Inanspruchnahme außerordentlicher Zuständigkeitsnormen ergangen sind, nach Ablauf von sechs Monaten von selbst außer Kraft treten, damit also dann, wenn ihre Geltungsdauer verlängert werden muß, der politische Entschluß jeweils neu als weitere Garantie eingesetzt wird. Besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß die Stellung und die verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts auch während des Zustandes der äußeren Gefahr unangetastet bleiben. Die besondere Bedeutung der Kontrollfunktion dieses hohen Gerichts wird deutlich, wenn man in Betracht zieht, wie eng die Voraussetzungen der im Entwurf vorgesehenen Sonderregelungen darin umschrieben sind und in welchem Umfang dadurch eine gerichtliche Nachprüfung möglich wird. Lassen Sie mich nunmehr zu der Frage der Sicherung gegen Mißbräuche während eines Zustandes der inneren Gefahr übergehen. Sie werden gewiß schon bemerkt haben, daß hier das Inkrafttreten der Sonderregelungen anders als beim Zustand der äußeren Gefahr nicht von einer vorhergehenden förmlichen Feststellung, einer Proklamation durch das Parlament abhängig sein soll. Kritiker des Regierungsentwurfs haben dagegen eingewandt, gerade bei Zuständen der inneren Gefahr sei eine solche förmliche Feststellung ganz besonders notwendig; denn gerade hier könne es besonders leicht zu Meinungsverschiedenheiten über das Vorliegen der Voraussetzungen für Sondervollmachten kommen. Auch der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme in einem solchen Sinne geäußert. Meine Damen und Herren, das ist für mich kein Dogma. Wir haben in unserer Gegenäußerung erklärt, daß wir durchaus bereit sind, Änderungsvorschläge des Bundesrates zu prüfen. Lassen Sie mich hier aber trotzdem die Gründe darlegen, die die Bundesregierung dazu veranlaßt haben, in ihrem Entwurf auf eine förmliche Feststellung des Eintrittes des Zustandes der inneren Gefahr zu verzichten. Damit ist keine irgendwie getarnte Absicht verbunden. Einmal handelt es sich bei den hier vorgesehenen Sonderregelungen — die sich systematisch als eine Erweiterung des Art. 91 des Grundgesetzes darstellen — um wesentlich weniger weittragende Maßnahmen als im Falle des Zustandes der äußeren Gefahr. Dies gilt um so mehr, als sie bei regionalen Notständen auch räumlich auf Teilbereiche des Bundesgebietes begrenzt sind. Zum anderen darf nicht übersehen werden, daß der Bundestag, dessen Aktionsfähigkeit bei Zuständen der inneren Gefahr in der Regel erhalten bleiben wird, jederzeit das Recht hat, alle während des Zustandes der inneren Gefahr ergangenen Rechtsetzungsakte und die auf ihrer Grundlage getroffenen Maßnahmen aufzuheben und abzuändern. Hinzu kommt, daß die Stellung und die verfassungsmäßigen Funktionen des Bundesverfassungsgerichts selbstverständlich auch während eines Zustandes der inneren Gefahr erhalten bleiben und die kasuistische Regelung der vorgesehenen Sondervollmachten auch hier weitgehend gerichtliche Nachprüfung ermöglicht. Außerdem ist auch für den Fall des inneren Notstandes das automatische Außerkrafttreten von Notgesetzen und Notverordnungen sowie regulärer Bundesgesetze, die unter Inanspruchnahme der erweiterten Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers ergangen sind, nach sehr kurzer Frist vorgesehen. Ganz besonders möchte ich jedoch darauf hinweisen, daß der polizeiliche Einsatz der Streitkräfte im Inneren grundsätzlich nur nach vorheriger Zustimmung dieses Hohen Hauses zulässig sein soll und jederzeit auf sein Verlangen eingestellt werden muß. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, Ihre Aufmerksamkeit auch noch auf den § 2 des Regierungsentwurfs zu lenken. Danach soll die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers hinfort bereits in Normalzeiten auch die Vorsorge für den Fall des Eintritts überregionaler Zustände der inneren Gefahr und ebensolcher Katastrophenzustände umfassen. Eine solche Zuständigkeitsregelung, der der Bundesrat im Grundsatz bereits zugestimmt hat, wird es in Zukunft erlauben, bereits in normalen Zeiten im regulären Gesetzgebungsverfahren — ähnlich dem Ihnen heute vorliegenden Paket einfacher Vorsorgegesetze für den Verteidigungsfall — auch alle diejenigen Rechtsvorschriften durch dieses Hohe Haus verabschieden zu lassen, deren es voraussichtlich im Falle überregionaler Zustände innerer Gefahr oder überregionaler Katastrophenzustände bedarf. Damit wird die Notwendigkeit, im Ernstfalle den Weg der außerordentlichen Gesetzgebung über Notgesetze des Notparlaments oder Notverordnungen der Bundesregierung zu beschreiten, stark eingeschränkt. Meine Damen und Herren, ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, ohne noch einem Gedanken Ausdruck zu verleihen, der, wie ich meine, bei den Überlegungen dieses Hohen Hauses in seiner Eigenschaft als Verfassungsgesetzgeber nicht außer Betracht bleiben darf. Die Bundesregierung hat sich, wie ich glaube, Ihnen dargelegt zu haben, bemüht, eine Regelung zu finden, die den Bedürfnissen nach Sicherung des Staates und seiner Verfassung gegen drohende Gefahren gerecht wird, die aber auch die berechtigten Belange des einzelnen nicht übergeht und vernachlässigt. Vielleicht wird Ihnen die eine oder die andere der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Sicherungen gegen einen Mißbrauch der Sondervollmachten nicht als ausreichend erscheinen. Wie auch immer Ihre Entscheidung letztlich ausfallen mag, in jedem Falle sollte das Bestreben aller an diesem großen Werke der Verfassungsgesetzgebung beteiligten Organe unseres Staates darauf gerichtet sein, eine Lösung zu finden, die sich im Ernstfalle auch tatsächlich als praktikabel und nicht als ein vielleicht sehr fein gesponnenes, aber nicht haltbares und der rauhen Bundesminister Höcherl Wirklichkeit nicht standhaltendes Gespinst von Rechtsvorschriften erweist. Eine verfassungsrechtliche Regelung für den Notstand, die im Ernstfall nicht praktikabel ist, erscheint mir — erlauben Sie mir, dies an dieser Stelle in aller Deutlichkeit zu sagen — fast schlimmer als keine Regelung; würde sie uns doch unter Umständen der eindeutigen besatzungsrechtlichen Rechtsgrundlagen berauben, die heute in Gestalt der Vorbehaltungsrechte der Drei Mächte aus Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages noch zur Verfügung stehen, ohne eine ausreichende Regelung aus eigenem Recht an ihre Stelle zu setzen. Unser aller Bestreben müßte es sein und wird es sein — daran habe ich keinen Zweifel —, eine verfassungsrechtliche Regelung zu treffen, die im Ernstfalle die verantwortlichen Organe der Staatsführung nicht untragbaren Gewissenskonflikten aussetzt, bei denen ihnen keine andere Wahl bliebe als die zwischen der untätigen Duldung des Untergangs unseres Staatswesens oder der Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand mit all seinen flexiblen Möglichkeiten. Ich meine auch aus den Worten unseres verehrten Herrn Bundespräsidenten, die er kürzlich beim Neujahrsempfang für die Bundesregierung gesprochen hat, eine solche Sorge herauszuhören. Lassen Sie mich daher diesen Appell an Sie als den Verfassungsgesetzgeber des deutschen Volkes richten: Schaffen Sie eine praktikable Regelung, die unter Wahrung der berechtigten Belange des einzelnen der Staatsführung dasjenige Maß an Handlungsfreiheit gewährt, dessen sie in einer Gefahrensituation bedarf, um der Bedrohung des Gemeinwesens und unserer demokratischen Ordnung Herr werden zu können. Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt, daß das von ihr vorgelegte Gesetzgebungswerk ein totes Papier bleiben wird und müßte, wenn das deutsche Volk, seine Führung und seine Organe im Ernstfall nicht bereit wären, sich mit allen Kräften für die Behauptung unserer staatlichen Existenz und unserer Freiheit einzusetzen. Meine Damen und Herren, wir haben bei dem Aufbau unseres Verteidigungsbeitrags ein Höchstmaß an gemeinsamer Verantwortung gezeigt, und gemeinsam stehen Wir hinter diesem Verteidigungsbeitrag, der nach einer Bemerkung des Generals Nor-stad, die vor wenigen Tagen in einem Interview gemacht wurde, mit die größte Beitragsleistung der letzten Jahre im westlichen Bereich darstellt. Wenn wir in der Aufgabe, die vor uns steht, in der Aufgabe, Vorausschau zu zeigen und Vorsorge zu treffen für innere und äußere Notstände im zivilen Bereich und im Verfassungsbereich, genau den gleichen Zusammenhalt und das gleiche Verantwortungsgefühl beweisen, dann bin ich überzeugt, daß dieses Gesetzgebungswerk trotz seiner vielen Schwierigkeiten in einer angemessenen und kurzen Zeit verabschiedet wird und daß es getragen wird — nicht nur bei der Verfassungsänderung, sondern auch bei den einfachen Gesetzen — von einer großen und breiten Mehrheit dieses Hauses. Damit sind die Notstandsgesetze zu den Punkten 5, 6 und 7 der Tagesordnung begründet. Wir kommen nunmehr zur Aussprache über den Punkt 5, also über das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes. — Das Wort hat der Abgeordnete Hoogen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat sich für heute und morgen vorgenommen, zu überlegen und zu beraten, was die Regierung, was der Deutsche Bundestag, was alle Verfassungsorgane zu tun gedenken, wenn unser Staat der Existenzgefahr ausgesetzt werden sollte. Ich habe genau wie Sie alle den Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Er hat hier in anderthalb Stunden, wie ich glaube, ein Meisterwerk der Redekunst vollbracht, er hat nämlich in dieser Zeit gleich neun Gesetze begründet. Ich habe mir überlegt, nach welchem Schema ich zu diesen Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers Stellung nehmen soll. Da kommt mir die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu Hilfe, die besagt, daß in der ersten Lesung von Vorlagen, also von Gesetzentwürfen — hier von neun Gesetzentwürfen und hier insonderheit von der Grundgesetzergänzung — über die Grundsätze beraten werden soll. Weiter kommt mir die Vorschrift der Geschäftsordnung des Bundestages zu Hilfe, die besagt, daß zu Beginn der dritten Lesung, d. h. also nach Durchführung der Einzelberatung in der zweiten Lesung, nachdem alle Einzelheiten erörtert worden sind und sie den Mitgliedern des Hohen Hauses präsent sind, noch einmal über die Grundsätze der Vorlage gesprochen werden soll. Ich halte das für eine sehr gute Bestimmung und nehme mir selbst vor, mich sehr streng daran zu halten und nicht in die Einzelheiten zu gehen. Worum geht es, meine Damen und Herren, bei dieser Notstandsregelung, und vor allen Dingen: worum geht es nicht? Ich sehe in diesem Hohen Hause eine Reihe von Kollegen und Kolleginnen, die noch eine Zeit erlebt haben, in der in Deutschland mit Hilfe von Notverordnungen regiert und Recht gesetzt wurde. Sie wissen, was ich meine. Ich meine die Zeit vom Juli 1930 bis zum 28. Februar 1933. Am 28. Februar 1933 wurde eine Notverordnung erlassen, die sich „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Reich" nannte. Im nachhinein hat sich herausgestellt, daß das eine Maßnahme war, die Volk und Reich nicht schützte, sondern die Not steigerte und die Axt an das Fundament des Reiches legte. Ich gehöre zu denen, die der Meinung sind, daß durch diese Notverordnung vom 28. Februar 1933 eigentlich der Grund für den 8. Mai 1945 gelegt wurde, weil damals nämlich Recht und Freiheit zerstört wurden. Ich glaube, gerade in diesen Tagen drängen sich diese Gedanken auf; denn in diesen Tagen ist es ja 30 Jahre seit dem Erlaß jener Notverordnung her. Wenn wir diese Überlegungen anstellen, sollten wir auch daran denken — das ist mein Beitrag zu Hoogen der Überlegung, worum es nicht geht —, daß es damals nicht darum ging, eine Not von Volk und Reich zu beseitigen. Es ging vielmehr darum, einen Gesetzgebungsnotstand zu beseitigen, in den sich, wie ich glaube, der Gesetzgeber ab Juli 1930 zumindest noch in dem im Jahre 1928 gewählten Reichstage, ich will nicht sagen, absichtlich, aber durch eine gewisse Fahrlässigkeit selbst gebracht hatte. Ich weiß nicht, ob es damals sehr klug war, daß es der Gesetzgeber sich selbst versagte, der finanziellen Not des Reiches zu begegnen, und es der Reichsregierung überließ, eine Notverordnung zu erlassen. Der Gesetzgeber begnügte sich damit, die Aufhebung dieser Notverordnung zu verlangen, ohne selbst Maßnahmen zu treffen. Es kam zur Auflösung des Reichstags, und die Situation in dem im September 1930 gewählten Reichstag war nicht besser, sondern schlechter. Damit möchte ich schließen, in Ihre Erinnerung zurückzurufen, was man mitbedenken muß, wenn man als Verfassunggeber, der wir hier sind, überlegt — darauf hat .der Herr Bundesinnenminister mit Recht hingewiesen —, was man auf der einen Seite zu tun bereit ist und was auf der anderen Seite unter allen Umständen verhindert werden muß. Die Schwierigkeit liegt ja in der Tat darin, daß auf der einen Seite Maßnahmen und die Möglichkeit dazu überlegt werden müssen, wie den Gefahren, die der Existenz des Staates drohen, wirksam begegnet werden kann. Auf der anderen Seite muß verhindert werden, daß bei diesen Möglichkeiten, bei diesen Sondervollmachten, bei diesem aus dem Gewohnten-Gleichgewicht-Geraten der drei staatlichen Gewalten ein Mißbrauch ausgeschlossen wird. Der Bundesinnenminister — da gebe ich ihm durchaus recht — hat gegen Schluß seiner Darlegungen uns hier noch einmal sehr eingehend die Sicherungen vor Augen geführt, obwohl wir sie alle in der Vorlage gelesen haben und wir alle sie aus der Diskussion in der Öffentlichkeit kennen. Wir werden in den Beratungen im Rechtsausschuß und in den anderen beteiligten Ausschüssen zu überlegen haben, ob sich diese Sicherungen noch verbessern lassen. Über die Frage, ob überhaupt eine solche Regelung, ob überhaupt eine solche Ergänzung des Grundgesetzes notwendig ist, bestehen eigentlich seit 1948, seit den Tagen des Parlamentarischen Rates Meinungsverschiedenheiten. In seinem Hauptausschuß und in seinen damit befaßten Sonderausschüssen — Organisationsausschuß, Grundsatzausschuß, ich weiß nicht, wie sie alle heißen — ist die Frage seinerzeit beraten worden, weil der von den Ministerpräsidenten der Länder vorgelegte Entwurf von Herrenchiemsee diese Frage in der Tat behandelte. Man hat es damals aus Gründen abgelehnt, die wir wohl in diesem Hause nicht erörtern sollten, zumal es sehr schwer ist, sie festzustellen, weil die Meinungen darüber in der Diskussion auseinandergehen. Es ist auch gar nicht nötig, darüber zu sprechen, sondern es ist notwendig, festzustellen, daß wir in unserer Verfassung keine, wie meine Freunde in der CDU/CSU und ich glauben, genügende Regelung haben. Aber es ist völlig falsch, zu meinen, wir hätten kein Notstandsrecht. Eine nicht festgelegte Regelung ist auch eine Regelung, bis zum übergesetzlichen Notstand hinauf. Denn daß die Regierung eines Staates die Pflicht hat, dann zu handeln, wenn die Existenz dieses Staates in Gefahr gerät, ist, glaube ich, wohl aus dem Gesichtspunkt der Notwehr heraus selbstverständlich. Dann ist es mir schon lieber, in der Verfassung dieses Staates ist gesagt, wer in einem solchen Falle zum Handeln berufen ist, damit kontrolliert werden kann; denn auch in solchen Zeiten müssen in einem freiheitlich verfaßten Rechtsstaate, den wir ja, wie ich glaube, auch in Notzeiten nicht aufgeben wollen, die Staatsorgane mitwirken, die zur Kontrolle der Regierungsgewalt berufen sind. Es ist auch völlig falsch zu meinen, wir hätten in unseren Länderverfassungen kein Notstandsrecht. Das können nur alle die annehmen, die die Länderverfassungen nicht gelesen haben. Da bin ich allerdings nicht mit dem Herrn Bundesinnenminister der Meinung, daß das Notverfassungsrecht der Länder ohne weiteres außer Kraft sei. Ich glaube das nicht. Dieses Notstandsrecht in den Länderverfassungen gleicht in vielen Punkten dem Art. 48 der Weimarer Verfassung. Sehen wir uns z. B., um bei diesem Punkte noch kurz zu verweilen, die Verfassungen zweier Länder in dieser Hinsicht an, deren Hauptstädte benachbart sind, nämlich Wiesbaden und Mainz. Rheinland-Pfalz hat in seiner Verfassung ein Notstandsrecht, das dem Art. 48 sehr ähnlich ist, während Hessen ein Notstandsrecht in seiner Verfassung hat, das alle Maßnahmen mit Zweidrittelmehrheit des Landtages beschlossen wissen will und sonst niemandem eine Vollmacht gibt. (Abg. Schmid [Frankfurt] : In beiden Fällen hat sich der genius loci ausgewirkt!)














(Beifall bei der CDU/CSU.)

Dr. Richard Jaeger (CSU):
Rede ID: ID0405600200
Matthias Hoogen (CDU):
Rede ID: ID0405600300




(Abg. Dr. Schäfer: Wundert Sie das?) — Ich stelle das fest.

— Ich glaube, Herr Kollege Schmid, es ist hier nicht der Ort, das zu besprechen. Im Rechtsausschuß werden wir vielleicht einmal darüber sprechen und festzustellen versuchen, welche Erfahrungen man mit dieser Art Regelung hat sammeln können.
Meine Damen und Herren, diese wenigen Hinweise zeigen jedem, daß unsere Regelung auf diesem Gebiete so vielgestaltig und so unterschiedlich ist, daß sie im Ernstfall nicht funktionieren kann. Ich stelle das deswegen fest und sage es deswegen sehr betont, weil ich damit denen antworten will, die in der Öffentlichkeit in den letzten drei Jahren, seit dem November 1959, als die Debatte sehr ernst in Gang kam, mit Gründen, die man nicht ohne weiteres von der Hand weisen kann, wenn man sich das in die Erinnerung zurückruft, was ich eingangs gesagt habe, der Meinung sind, daß wir ein Notstandsrecht weder für den äußeren noch für den inneren Notstand brauchen. Wenn auch ihre Zahl in diesem Hohen Hause, wie ich glaube, kleiner geworden ist, so ist das in der Öffentlichkeit doch immer noch im Gespräch, und uns liegt daran, der Öffentlichkeit nicht ein Notstandsrecht zu verordnen, sondern, wie es der Herr Bundesinnenminister



Hoogen
versucht hat, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß es notwendig ist und daß wir es uns sehr angelegen sein lassen, die Fehler, die in der Vergangenheit auf diesem Gebiete gemacht worden sind, nicht zu wiederholen.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Meine Damen und Herren, so viel zu der Frage, ob es zur Wendung der Not notwendig ist.
Jetzt zu der Frage der Ausgestaltung! Da kann ich mich verhältnismäßig kurz fassen. Dazu hat der Herr Bundesinnenminister sehr, sehr ausführlich Stellung genommen, d. h. zu den Einzelheiten der Art. 115 a ff., zumal ich mir ja auch selbst vorgenommen habe, zu den Grundsätzen zu sprechen.
Einer dieser Grundsätze ist der, daß in Abkehr von Art. 48 der Weimarer Verfassung — und ich glaube, aus vielen Gesprächen mit Kollegen aller Fraktionen dieses Hohen Hauses und auch außerhalb dieses Hauses festgestellt zu haben, daß alle diese Notwendigkeit bejahen — dieser Notstand in rein tatsächlicher Hinsicht von den in der Verfassung dazu berufenen Organen in aller Form festgestellt werden muß. So wie es früher in der Königlich-Preußischen und in der Königlich-Bayerischen Verfassung angeordnet war, daß es mit Trompetenschall zu geschehen habe, soll es in der heutigen Zeit nicht geschehen, aber es soll in aller Form dem Bürger vor Augen geführt werden, daß sich der Staat in Not befindet und daß mit Sondervollmachten regiert werden muß.
Damit bin ich schon bei der zweiten Grundsatzfrage, nämlich den Sondervollmachten des einen Verfassungsorgans an das andere, sprich: des Parlaments an die Regierung; denn sie ist die in erster Linie stets präsente Staatsgewalt, die den Notständen begegnen muß. Da erhebt sich gleich die Frage: Soll 'die Regierung das Notverordnungsrecht so haben, wie sie es in Weimar hatte? Diese Frage ist von der Bundesregierung und, ich glaube, von uns allen hier in diesem Hohen Hause verneint worden.
Sie kennen den Entwurf. Er sieht einen Notstandsausschuß sowohl für die Feststellung des Notstandes wie auch für .die Notgesetzgebung vor. Ich darf für mich persönlich sagen: ich bin nicht sehr glücklich darüber, daß dieser Ausschuß sowohl mit Mitgliedern des Bundestages wie des Bundesrates besetzt werden soll. Aber über diese Frage wird man im Ausschuß, wird man in der zweiten Lesung, in der dritten Lesung hier noch einmal verhandeln müssen. Ich will mich dazu hier nicht verbreiten; ich glaube, das wäre nicht sehr sinnvoll. Daß dieser Ausschuß eingerichtet werden soll, halte ich für sehr glücklich und für sehr notwendig, und zwar nicht zuletzt aus folgender Erwägung. Ich weiß, daß ich mit dem, was ich sage, nicht die Zustimmung aller in diesem Hause finde; ich darf mir aber gleichwohl erlauben, es zu sagen: Ich glaube, daß die politischen Parteien in der Weimarer Zeit — sie waren damals die Träger der politischen Gewalt und sind es auch heute —, in der Mitte des Jahres 1930, als mit der Notstandsgesetzgebung zu regieren begonnen werden mußte, weil die letzte parlamentarisch gebildete und kontrollierte Regierung Hermann
Müller-Franken gestürzt war und eine neue nicht gebildet werden konnte, aus der Verantwortung geflohen sind.

(Abg. Dr. Schäfer: Genau! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das war das Verhängnis!)

— Das war das Verhängnis! Ich freue mich, Herr Kollege Professor Schmid, daß Sie mir das bestätigen. Durch die Einrichtung dieses Ausschusses und die Art und Weise der — verzeihen Sie mir das häßliche Wort — Beschickung dieses Ausschusses möchte ich den Verantwortlichen den Fluchtweg verlegen.

(Beifall.)

Das ist für mich ein wesentlicher Grundsatz dieses Gesetzgebungswerks. Ich bin sehr glücklich, daß wir die Bundesregierung und den Herrn Bundesinnenminister davon überzeugen konnten und daß dieser Grundsatz, der in der vorigen Legislaturperiode aus dem Bundesrat gekommen ist, Aufnahme in die Regierungsvorlage gefunden hat. Ich bin keineswegs der Meinung, daß dadurch die Möglichkeiten, Gefahren zu bekämpfen, erschwert würden. Ein Ausschuß von 30 hier am Sitz der Bundesregierung anwesenden Mitgliedern des Parlaments oder beider Häuser ist genauso funktionsfähig wie das Kabinett, das ungefähr gleich groß ist.
Nun zu der dritten Grundsatzfrage, die für mich fast die allerwichtigste ist: Wie gelangen die im Notstandsfall aus der Hand gegebenen Vollmachten, wie gelangen die Sondervollmachten wieder in die Hand des normalen Gewaltenträgers zurück? Da heißt es in dem Entwurf, daß das Parlament jederzeit zusammentreten und den Notstand für beendet erklären könne. So einfach ist das, glaube ich, nicht. Diese Frage bewegt mich deshalb so sehr, weil es in zwei Notstandsfällen der Weimarer Zeit, insbesondere in dem letzten, dem Parlament nicht gelungen ist, die aus der Hand gegebenen Vollmachten zurückzubekommen, sondern es der Hilfe des Auslandes und ausländischer Streitkräfte bedurfte, um in Deutschland wieder geordnete demokratische Verhältnisse herzustellen. Es ist schrecklich, das zu sagen, aber man muß es um der Wahrheit willen sagen, und man muß es sagen, um die Wichtigkeit dieser Frage: wie wird die Gleichgewichtslage zwischen den Trägern der Staatsgewalt wiederhergestellt?, zu betonen. Ich bitte Sie, versichert zu sein, daß wir uns im Rechtsausschuß darüber sehr den Kopf zerbrechen werden, ob die Bestimmungen in dieser Hinsicht genügen.
Eine Lücke — ich halbe das dem Herrn Bundesinnenminister bereits in persönlichen Gesprächen gesagt — scheint mir der Entwurf aufzuweisen. In der Weimarer Verfassung, die man immer wieder als Vergleich heranziehen muß, war es so, daß der Regierungschef, der Reichskanzler, durch den Reichspräsidenten ernannt wurde, ohne daß er von irgendeinem Organ gewählt werden mußte. Ihm konnte vom Reichstag das Vertrauen entzogen werden. Dann konnte der Reichspräsident ihn entlassen; er konnte aber auch den Reichstag auflösen, und wie Sie wissen, hat er das auch getan. So etwas



Hoogen
Ähnliches sieht das Grundgesetz vor. Aber eines sieht das Grundgesetz nicht vor, und das sieht auch die Änderung des Grundgesetzes, wie sie Ihnen hier vorliegt, nicht vor: die Ernennung des Regierungschefs durch den Bundespräsidenten ohne vorherige Wahl durch den Bundestag oder — ich weiß nicht — eine andere Stelle; und das Grundgesetz sieht für die — wie es sich ausdrückt — Erledigung des Amtes des Regierungschefs, des Bundeskanzlers, jede Neuwahl des Bundestages oder jede andere Art der Erledigung — ich gebrauche die Worte des Gesetzestextes, die nicht sehr schön sind — „jede andere Art der Erledigung" als Beendigung des Amtes des Regierungschefs und damit, meine Damen und Herren, des gesamten Kabinetts vor. Mit der Erledigung des Amtes des Regierungschefs sind die Ämter aller Bundesminister mit erledigt, auch das Amt des Stellvertreters des Regierungschefs, den bekanntlich nach unserer Verfassung nicht der Bundespräsident ernennt, sondern den der Regierungschef aus der Zahl der Mitglieder der Bundesregierung selber ernennt und so oft auswechseln kann, wie er es für richtig hält.
Meine Damen und Herren, man kann also nicht sagen, daß bei der Erledigung des Amtes des Regierungschefs im Notstandsfalle — in dem er in aller Regel auch Oberkommandierender der Streitkräfte ist — sein Vertreter die Geschäfte weiterführen könne. Nein; nach der geltenden Regelung des Art. 69 Abs. 3 des Grundgesetzes ist auch sein Amt mit erledigt. Natürlich kann der Herr Bundespräsident ihn bitten, die Geschäfte weiterzuführen. Aber glauben Sie — ich nehme an, Sie glauben es nicht —, daß in einem Notstandsfalle, im Falle der Existenzgefahr des Staates wir uns damit begnügen könnten, einen geschäftsführenden Regierungschef und einen geschäftsführenden — wenn überhaupt das Wort erlaubt ist — Oberkommandierenden der Streitkräfte zu haben? Den Ausdruck „Geschäftsführender Oberkommandierender der Streitkräfte" gibt es gar nicht. Zum mindesten würden, glaube ich, die Soldaten sich sehr dagegen verwahren, so etwas zu haben.
Diese Frage, meine Damen und Herren, ist im Entwurf nicht geregelt, eine Regelung ist nicht vorgesehen, und wir werden uns zu überlegen haben, wer uns — verzeihen Sie, daß ich es etwas salopp ausdrücke — für den Fall des Ausfalls des Regierungschefs, des jeweiligen Regierungschefs, einen neuen Regierungschef bestellt. Der Bundespräsident kann es nach der derzeitigen Regelung nicht. Ich glaube, diese Frage aufzuwerfen, genügt einstweilen; über ihre Beantwortung werden wir uns noch den Kopf zerbrechen müssen.
Eine weitere Frage, die mir unter dem Gesichtspunkt der Sicherung gegen Mißbrauch von Bedeutung zu sein scheint, ist folgende. Der Herr Bundesinnenminister hat selber davon gesprochen; er hat nur nicht die Konsequenzen für den Gesetzentwurf daraus gezogen; ich mache ihm daraus keinen Vorwurf. Ein alter Grundsatz des deutschen Verwaltungs- und seit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch des deutschen Verfassungsrechts ist der Grundsatz von der Verhältnismäßigkeit
der Mittel, d. h. also der Grundsatz, daß der Staat, daß seine Behörden, daß seine Verfassungsorgane, daß seine Regierung, daß sein Parlament — so Bundesverfassungsgericht in vielen Urteilen — zur Erreichung bestimmter Erfolge keine kräftigeren Mittel anwenden sollen, als sie zur Erreichung dieser Erfolge notwendig sind, also immer das mildeste Mittel; und das ist nach Meinung der Herren Bundesverfassungsrichter gerichtlich nachprüfbar. Ich glaube auch nicht — aus den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers habe ich das jedenfalls gehört —, daß wir das ändern wollen. Wir könnten es auch gar nicht. Dieses verfassungsrechtliche Verbot des — verzeihen Sie, daß ich auch das jetzt wieder etwas salopp sage — Schießens mit Kanonen nach Spatzen — darauf läuft es hinaus — hätte ich gern noch in diese Regelung einbezogen. Sie wird dadurch noch um einen Buchstaben des Alphabets vermehrt, aber nicht komplizierter; keineswegs! Ich muß mich bei dieser Gelegenheit gegen diejenigen wenden, die sagen, das sei eine so komplizierte Regelung, in Weimar sei das doch sehr einfach gewesen, da habe man den Art. 48 gehabt — das war so ein abgeschriebener § 10 II 17 des Preußischen Polizeirechts —, und das habe also alles geklappt. Meine Damen und Herren, es hat nicht geklappt! Und der Art. 48 sah ein Ausführungsgesetz vor, ein Reichsgesetz. Das ist in Weimar nicht erlassen worden; und weil es nicht erlassen worden ist, schreiben wir es in die Verfassung hinein.

(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, damit habe ich Ihnen in großen Zügen die Grundsätze vorgetragen, die, wie ich glaube, bei der Beratung des Gesetzentwurfs beachtet werden sollten. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, vor dem Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes meine Vorstellungen zu entwickeln, und habe bei dieser Gelegenheit mit manchen Herren darüber gesprochen. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß es uns gelingen wird, die Bedenken derjenigen, die an der Notwendigkeit zweifeln, auszuräumen.
Ich glaube, wir in diesem Hohen Hause haben gar keine Veranlassung, die Bedenken der Presse zu entkräften; denn dieses Hohe Haus war es, das Mitte 1957 beim vierten Strafrechtsänderungsgesetz, seinerzeit, als die Bundeswehr gegen falsche Propaganda, gegen, wie es im Gesetz heißt, unwahre und gröblich entstellte Behauptungen geschützt werden mußte, bereit war und beschlossen hat — und seither ist es so geltendes Recht —, es wie folgt zu formulieren:
Wer unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art, deren Verbreitung geeignet ist, die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören, wider besseres Wissen zum Zwecke der Verbreitung aufstellt . . .
Meine Damen und Herren, das war damals die Meinung der überwiegenden Mehrheit, wenn nicht des ganzen Hohen Hauses, und diese Vorstellungen sind heute nicht entschwunden.
Ich bin auch der Meinung, daß wir alle die Vorkehrungen, deren Anordnung wir für den Notstands-



Hoogen
fall durch dieses Gesetz ermöglichen wollen und die ja letzten Endes der Verteidigung unserer Freiheit dienen, nicht mit Maßnahmen einleiten sollten, die die freie Meinungsäußerung in einem Maße einschränken, das unerträglich wäre. Niemand denkt im Ernstfalle daran, aus militärischen oder sonstigen Sicherheitsgründen geheimzuhaltende Dinge an die große Glocke zu hängen. Aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß auch im Notstandsfall über politische Fragen gesprochen werden muß — nicht nur darf — und daß das nicht unterbunden werden soll. Ich bin auch sehr glücklich, daß ich von dem Herrn Bundesinnenminister Vorschläge gehört habe — ich nehme an, daß er sie mit dem Deutschen Presserat besprochen hat —, die zu verfolgen sich lohnt.
Gestatten Sie mir, bevor ich zum Schluß komme, noch einen Hinweis auf eine, wie ich glaube, sehr glückliche Regelung des Entwurfs, nämlich die Beteiligung der Gemeinden, die Beteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände und die Einschaltung der Chefs der Verwaltungen der Gemeinden und Gemeindeverbände von — ich drücke es jetzt in der Ausdrucksweise der Länder der früheren britischen Zone aus — den Oberkreisdirektoren und Stadtdirektoren aufwärts. Ich halte das deswegen für sehr glücklich, weil ich mir die Mühe gemacht habe, einen mir nicht zugestellten, aber in meinem Besitz befindlichen Bericht des vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg berufenen Sachverständigenausschusses zur Untersuchung des Ablaufs der Flutkatastrophe zu studieren. Es lohnt sich, vor der Beratung dieses Gesetzentwurfs diesen sehr umfangreichen, aber auch sehr aufschlußreichen Bericht zu studieren, in dem, sehr gut verteilt, die Mängel und die guten Dinge aufgezeichnet sind, in dem aber zu lesen steht, daß in dem Notstandsfall damals die kleinen Stellen und kleinen Beamten auf der untersten Ebene eigentlich am besten funktioniert haben, obwohl sie keine Vollmachten hatten.

(Beifall des Abg. Dr. Willeke.)

Meine Damen und Herren, gewiß, die Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers — und ich fürchte, auch meine eigenen — haben Ihnen auch gezeigt, daß die Regelung der ganzen Angelegenheit nicht einfach ist. Wir wollen sie uns auch nicht einfach machen. Sie ist deswegen nicht einfach, weil wir in unserem Rechtsstaat das System der Grundrechte und die Kontrolle der Einhaltung dieser Grundrechte durch alle staatliche Gewalt, auch durch den Gesetzgeber, haben.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)

Das wollen wir nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen. Das Grundgesetz mißt diesen Grundrechten große Bedeutung bei. Es hat sie an die Spitze gestellt, während sie in der Weimarer Reichsverfassung hinten im Zweiten Hauptteil standen. Aber dieser Zweite Hauptteil der Weimarer Verfassung, in dem sie nicht so recht zum Zuge kamen — darüber sind sicherlich manche froh in unserem Staate, aber viele sehr unglücklich, daß es damals so war—, handelte nicht nur von den Grundrechten, wie das Grundgesetz — das halte ich nicht für sehr glücklich —, sondern sprach auch von den Grundpflichten der Deutschen. Neben den einfachen Pflichten des deutschen Staatsbürgers sprach die Weimarer Verfassung die Grundpflichten der Deutschen an. Das war, wie ich glaube, glücklicher als die heutige Sprache des Juristengrundgesetzes. Ich darf mir diese Kritik erlauben, weil ich selber zu dieser Zunft gehöre.
Aber wir sollten auch berechtigt sein — und von diesem Rechte Gebrauch machen —, uns selbst und darüber hinaus das Volk daran zu erinnern, daß diese Grundpflichten im Notstande besonders groß sind. Diese Grundpflichten scheinen mir zu sein: einmal die Grundpflicht zur Wahrung und Rettung der Freiheit und zum zweiten die Grundpflicht zur Ermöglichung der Erfüllung dieser Pflicht zur Wahrung und Rettung der Freiheit, die Grundpflicht — wie ich mich ausdrücken möchte — zur Opferbereitschaft. Das können wir natürlich nicht in der Notstandsverfassung verordnen. Die politischen Parteien müssen es sich schon angelegen sein lassen, das Volk davon zu überzeugen, daß es gerade in solchen Zeiten nicht so sehr Forderungen an den Staat zu stellen hat, sondern zu Opfern für diesen Staat bereit sein soll, wie die Weimarer Reichsverfassung es, wie ich glaube, mit guten Gründen in diesem Teile, in dem sie die Grundrechte abhandelte, vorsah.
Unter diesen Gesichtspunkten sollten wir jedenfalls — und dafür darf ich sprechen — im Rechtsausschuß den Gesetzentwürfen Priorität vor allen anderen einräumen; ich hoffe, daß wir die Beratung bis zum Beginn der Sommerpause noch sehr stark fördern, ich will mich etwas vorsichtig ausdrücken. Wir sollten, von diesen Gedanken beseelt, die ich vor Ihnen für meine Fraktion entwickeln durfte, die Beratungen im Rechtsausschuß beginnen und — wie ich hoffe — sehr bald zu einem guten Ende bringen, um Ihnen dann die Entwürfe zur zweiten und dritten Lesung wieder vorlegen zu können.

(Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der SPD.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0405600400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0405600500
Herr Präsident Meine Damen und Herren! Ich darf für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu dem Gesetzentwurf über die Ergänzung des Grundgesetzes Stellung nehmen. Ich darf jedoch vorweg zu der Gesamtdarstellung, die der Herr Bundesinnenminister gegeben hat, eine Bemerkung machen. Wir haben von Anfang an, als wir Gespräche über die Frage der Notstandsgesetzgebung geführt haben, erklärt, daß für uns die Frage der Grundgesetzänderung nicht allein steht, sondern daß die gesamte Konzeption zur Debatte stehen muß, daß die 'gesamte Konzeption eine gemeinsame Billigung durch dieses Haus erfahren muß.
Ich hätte es begrüßt, wenn in den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers nicht nur die Vorstellungen seines Ressorts vorgetragen worden wä-



Dr. Schäfer
ren und nebenbei 'diejenigen, die mit den Wirtschaftssicherungen zusammenhängen, sondern wenn z. B. auch die Vorstellungen über den Aufbau der territorialen Verteidigung vorgetragen worden wären, weil diese Fragen in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang stehen und so zu dem Fragenkomplex gehören, daß man ihn nur beurteilen kann, wenn diese Frage mit zur Debatte steht. Wir meinen: so begrüßenswert es war, die Darstellung des Herrn Ministers hier zu haben, es bestehen doch noch große Lücken. Über diese Fragen sollte vor der Beratung im Rechtsausschuß Klarheit geschaffen werden, spätestens im Laufe der Beratungen im Rechtsausschuß — die wir nicht gehemmt sehen wollen, Herr Kollege Hoogen.
Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Frage, über die wir uns hier unterhalten, als eine Frage der gesamtpolitischen Verantwortung des Bundestages betrachtet werden muß, nicht nur weil eine Zweidrittelmehrheit in diesem Hause notwendig ist, sondern weil es sich um Fragen des Schutzes und der Verteidigung unserer demokratischen freiheitlichen Grundordnung handelt. Diese Aufgabe ist uns allen gleich gestellt ohne Rücksicht darauf, ob wir zur Regierungsmehrheit oder zur Opposition gehören.
Wir Sozialdemokraten haben uns mit diesen Gesetzen viel Mühe gemacht. Schon 1947 begann es, als Grundsätze über den Aufbau einer Verfassung für eine deutsche Republik aufgestellt wurden. Schon damals hieß es in den Richtlinien der Sozialdemokraten wörtlich:
Die Verfassung darf keine Bestimmung über ein Notstandsgesetz enthalten, die es dem Parlament gestattet, sich der politischen Verantwortung zu entziehen.
Hier wissen wir uns erfreulicherweise mit Ihnen einig, Herr Kollege Hoogen, und ich bin Ihnen besonders dankbar, daß Sie es in Ihren Darlegungen so deutlich betont haben. Nur meine ich, wenn ich nachher zur Prüfung der Gesetzesvorlage komme, daß dieser Fluchtweg eben doch noch offengehalten ist. Einerseits wollen wir diesen Fluchtweg für das Parlament verhindern, andererseits wollen wir verhindern — was Sie so plastisch dargestellt haben —, daß Vollmachten in falsche Hände kommen oder zwar in verfassungsmäßig vorgesehene Hände, aber das Zurückgehen der Vollmachten so außerordentlich schwer ist. Das sind zwei ganz entscheidend wichtige Punkte, in denen ich Übereinstimmung unserer Auffassungen feststellen darf. Ich möchte das an den Anfang meiner Ausführungen stellen.
Wir sind uns einig darüber, daß wir, der Bundestag, an der Stelle ides Verfassungsgesetzgebers stehen. Die erste Aufgabe besteht darin, daß wir prüfen, ob die Notwendigkeit gegeben ist, die Verfassung zu ergänzen. Die Prüfung dieser Frage führt zur Bejahung. Eis war erfreulich, daß Sie, Herr Kolleg Hoogen, vorgetragen haben — sonst hätte ich es jetzt tun müssen —, daß in den deutschen Ländern sehr verschiedene Regelungen bestehen. Vielleicht ist es der genius loci, wie Herr Professor
Schmid schon dazwischenrief, daß in Rheinland-Pfalz der Art. 48 praktisch weiterbesteht und in Hessen Entscheidungen nur mit Zweidrittelmehrheit eines Notparlaments oder des ganzen Parlaments getroffen werden können. Immerhin wird deutlich, daß die Überlegungen der Sozialdemokraten nicht von heute sind, sondern daß es grundsätzliche Überlegungen der Sozialdemokraten sind, die 1946 bis 1949 bei der Schaffung dieser Verfassungen gegolten haben und die unverrückt auch heute gelten.
Wir haben es uns nicht leichtgemacht, meine Damen und Herren. Wir haben uns damit schon auf dem Parteitag 1960 in Hannover befaßt. Dieser Parteitag hat damals folgendes beschlossen:
Die deutsche Sozialdemokratie bekennt sich mit allen anderen demokratischen Kräften dazu, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und die Freiheit ihrer Einwohner gegen alle äußeren und inneren Gefahren zu schützen. Sie ist daher bereit, die der Freiheit drohenden Gefahren unvoreingenommen zu erörtern und an denjenigen Maßnahmen mitzuwirken, die mit den Grundsätzen der Freiheit und des Rechtsstaats vereinbar sind.
Wir sind auch in diesem Punkt einig, Herr Kollege Hoogen: daß eine rechtsstaatliche Verfassung keine Lücken haben darf. Diktaturen brauchen keine vollkommenen Regelungen. Eine rechtsstaatliche Verfassung muß — und dem darf der Verfassungsgesetzgeber nicht ausweichen — auch für die schwierigsten Belastungen klare Vollmachten, klare Verantwortung, klare Kontrollen schaffen. Der Verfassungsgesetzgeber muß aber gleichzeitig mit dem notwendigen harten Mißtrauen an die Regelung dieser Fragen herangehen. Denn man macht ja diese Regelung nicht für heute oder morgen, sondern für eine Zeit mit politischer Konstellation oder für Leute, die wir alle heute nicht kennen und die wir nicht einschätzen können. Diese Regelung gilt in zehn Jahren, sie gilt in fünfzehn Jahren. Wir alle hoffen, daß sie nie praktiziert werden muß. Das Hoffen, daß sie nicht praktiziert werden muß, entbindet uns nicht von der Verpflichtung, das Erforderliche zu tun.
Wir haben eine Notstandsregelung — ich darf Sie nur noch einmal daran erinnern —, die uns allen miteinander, so nehme ich an, nicht gefällt, den Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages, der die Bundesrepublik in dieser kritischen Situation in die Lage versetzen würde, in der Durchführung für das deutsche Volk entscheidend wichtiger Maßnahmen von drei Verbündeten abhängig zu sein.
Die Möglichkeit, diese globalen Vollmachten abzulösen, sollte man ergreifen, globale Vollmachten, die, wie die Regelung in Art. 5 gestaltet ist, doch sehr wahrscheinlich von Militärs wahrgenommen würden. Solche globalen Vollmachten sind nicht die geeigneten Regelungen zum Schutze einer freiheitlichen demokratischen Ordnung.
Wir halten es auch für sehr bedenklich, wenn da und dort die Ansicht geäußert wird, es sei doch möglich, daß die Alliierten diese Rechte auf die



Dr. Schäfer
Bundesregierung übertrügen. Ich möchte sagen: dann wäre es wahrscheinlich noch schlechter. Denn wenn eine deutsche Bundesregierung auf Grund alliierten Rechtes in Deutschland mit solchen Vollmachten regieren wollte, würde sie sich in Gegensatz zum Grundgedanken unserer Verfassung setzen.
Gerade Vorgänge der letzten Monate zeigen, daß man diese Fragen gewissenhaft und sauber regeln muß, so, daß ein möglicher Schritt vom Wege auch offenkundig wird. Es ist immer noch beängstigend für mich und meine Freunde, daß der Verfassungsminister, der soeben diese Gesetzesvorlagen begründet hat, von diesem Platz aus Maßnahmen als „etwas außerhalb der Legalität" selber zugeben mußte und sie verteidigt hat. Die Bedenken, die wir vor zwei Jahren hier gegen den damaligen Entwurf vorgetragen haben, werden heute in der deutschen Bevölkerung und, wie ich sehe, auch in diesem Hause ernster genommen, weil man in der Zwischenzeit gesehen hat, was man sogar dann tun kann, wenn Gesetze bestehen; was könnte man erst tun, wenn man globale Vollmachten hätte und gar solche, deren Ausübung und Inanspruchnahme man gar nicht gegenüber dem Parlament vertreten muß, sondern die von alliierter Seite kommen!

(Sehr gut! bei der SPD.)

Wir müssen eine saubere, dem Gedankengut unseres Grundgesetzes entsprechende Regelung haben, eine Regelung, die den Schritt vom Wege auch deutlich macht und bei der ein Schritt vom Wege uns allen den Anlaß gibt, dieses eventuell dann verletzte Recht zu verteidigen.

(Beifall bei der SPD.)

Eine solche Regelung ist um so zuverlässiger, je gewissenhafter wir sie machen. Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß sie praktikabel sein muß. Eine nichtpraktikable Regelung — da bin ich mit Ihnen, Herr Minister, einig — ist so schlecht wie keine Regelung, vielleicht noch schlechter.
Wir wollen auch nicht — wir haben das schon früher zum Ausdruck gebracht —, daß eine Regierung aus Pflichtbewußtsein übergesetzliche Notstandsvorstellungen glaubt für sich in Anspruch nehmen zu müssen; denn das wäre genauso schlecht. Deshalb sind wir der Auffassung, daß die Frage der Ergänzung des Grundgesetzes geregelt werden muß. Die Sozialdemokraten haben es dankbar begrüßt, daß der Herr Bundesinnenminister Höcherl, nachdem der frühere Entwurf des Herrn Schröder vom Tisch war, Anfang letzten Jahres die Fraktionen zu Gesprächen eingeladen hat. Wir haben einige Verhandlungen geführt. Wir finden Anregungen von uns in diesem Gesetzentwurf wieder; einige Anregungen, die uns sehr wichtig sind, finden wir hier nicht wieder. Ich werde nachher darauf eingehen. Die Verhandlung allein, die damals geführt wurde, konnte nicht so weit gehen, daß man von einer Stellungnahme der Sozialdemokratischen Partei sprechen konnte; denn die drei Beauftragten der SPD-Fraktion kannten ja nicht den Gesetzentwurf, wie er im Endergebnis diesem Hause vorliegt. So sind wir erst heute das erste Mal in der Lage, offiziell zu diesem nun dem Hause vorgelegten Gesetzentwurf Stellung zu nehmen.
Ich habe soeben schon gesagt, daß wir die Gesamtverantwortung des Bundestages anerkennen, daß wir bereit sind, darüber zu verhandeln, welches der beste Weg ist. Die Sozialdemokratische Partei hat in Erkenntnis der besonderen Bedeutung dieser Frage auf ihrem letzten Parteitag in Köln im Mai des vergangenen Jahres das Problem der Notstandsgesetzgebung behandelt. Wir haben auf diesem Parteitag Grundsätze, die schon vorher, im März, veröffentlicht waren, in sieben Punkten gegen ganz wenige Stimmen beschlossen. Wir freuen uns, daß schon die erste Veröffentlichung dieser sieben Punkte im März 1962 über unseren eigenen politischen Kreis hinaus Anerkennung gefunden hat, daß wir damals auch anerkennende Stimmen aus den Reihen der CDU/CSU und FDP bekommen haben, anerkennende Stimmen, die uns die Hoffnung geben, daß wir uns bei dem Fortgang der Verhandlungen über diese Grundsätze, ich will nicht sagen, einigen können, aber daß Sie mit uns darin einig sind, daß diese Grundsätze Berücksichtigung finden müssen. Ich sagte vorher, wir hoffen, daß diese Notstandsregelung nie in Kraft tritt. Das ist nur dann möglich, wenn wir täglich, wenn wir immer eine Politik betreiben, die die Gefahren des Eintritts eines solchen Notstands auf ein Mindestmaß begrenzt. Wir müssen uns aber auch darüber klar sein, daß man den Staat mit einer Notstandsgesetzgebung im Endergebnis nicht verteidigt, sondern daß es darauf ankommt, daß wir heute und jetzt und täglich diesen Staat verteidigen, daß wir uns gegen alle verfassungsfeindlichen Kräfte ständig zur Wehr setzen und nicht gewisse Kräfte wachsen lassen, die eines Tages eine Gefahr für unsere demokratische Grundordnung darstellen können. Das Bekenntnis zu dieser ständigen Aufgabe ist, so hoffen wir, ebenfalls eine Angelegenheit des ganzen Hauses.
Ich darf nun zur Betrachtung des Gesetzentwurfs übergehen und zunächst folgendes sagen.
Die Ergänzung des Grundgesetzes ist, wie ich vorhin schon sagte, nur in der im Grundgesetz selbst vorgesehenen Weise möglich. In Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes sind einige Grundsätze aufgezählt, die nach der ausdrücklichen Bestimmung des Grundgesetzes unabänderlich sind, deren Änderung wir nicht einmal einstimmig beschließen könnten.
Der erste dieser unabänderlichen Grundsätze ist der Grundsatz, der in Art. 1 des Grundgesetzes seinen Niederschlag gefunden hat. Die Unabänderlichkeit bezieht sich nicht nur auf den ersten Absatz des Art. 1, der die Würde des Menschen als unantastbar erklärt, sondern auch auf den dritten Absatz, in dem es heißt:
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Unabänderlich ist auch der Grundsatz des Art. 20 des Grundgesetzes. Die Väter ides Grundgesetzes hatten Anlaß zu dieser Regelung. In Art. 20 des Grundgesetzes ist die Dreiteilung der Gewalten in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung vorgesehen.
Wir meinen, daß diese Regelung einer der Ausgangspunkte bei der Prüfung der Frage sein muß,



Dr. Schäfer
welcher Weg gangbar ist, um den unabänderlichen Grundsätzen des Grundgesetzes gerecht zu werden und den Mißbrauch auszuschließen. Ich werde auf diese Grundsätze im einzelnen zurückkommen.
Es entspricht einer Anregung unsererseits, daß der Entwurf unterscheidet zwischen dem Zustand der äußeren Gefahr, dem Zustand der inneren Gefahr und dem drohenden Verteidigungfall. Hier müssen wir uns jedoch einiges vergegenwärtigen. Wenn wir tatsächlich angegriffen werden, wenn hier Bomben fallen, so ist dieser Fall bereits in Art. 59 a des Grundgesetzes geregelt; es handelt sich dann um die Feststellung des Verteidigungsfalles. Wir haben auch keine Bedenken dagegen, daß für einen solchen Fall, wenn hier also tatsächlich unmittelbar angegriffen wird, im Grundgesetz
— wie es in Art. 115 h des Entwurfs vorgesehen ist — bestimmt wird, daß damit der Zustand der äußeren Gefahr gegeben ist. Das ist nicht eine Frage der Entscheidung, sondern das ist nur eine Frage der reinen Feststellung der Tatsache, daß wir angegriffen sind. Das ist nicht die politische Entscheidung.
Die schwierige und wahrscheinlich gefährlichste politische Entscheidung liegt in der Feststellung eines drohenden Angriffs. Es heißt in dem Entwurf
— Art. 115 a Abs. 1 —: ,,. . ., wenn das Bundesgebiet . . . angegriffen wind oder ein solcher Angriff droht." Meine Damen und Herren, die Entscheidung darüber, ob ein solcher Angriff droht, die Entscheidung darüber, ob ein Verteidigungsfall, eine Spannungszeit — oder welche Ausdrücke dafür gebraucht werden — droht, das ist die gefährlichste, die folgenreichste Entscheidung, die man überhaupt treffen kann. Das hat man früher einmal Mobilmachung geheißen. Das gibt eine Kettenreaktion, die außerhalb unseres Machtbereiches liegt und die wir nicht mehr einfangen können. Die Feststellung des drohenden Verteidigungsfalles ist die gefährlichste politische Entscheidung, und Sie werden verstehen
— ich nehme an, Sie sind mit uns einig —, daß wir hier noch einige Bemerkungen anknüpfen.
In Abs. 3 des Art. 115 a in der Fassung des Entwurfs heißt es:
Bei Gefahr im Verzuge steht die Befugnis zur Feststellung gemäß Absatz 1 auch dem Bundespräsidenten mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers zu; . . .
In der Begründung können ,wir nachlesen, was die Bundesregierung hier heute sogar für möglich hält. In der Begründung, Seite 9, sagt die Bundesregierung zum Eintritt des drohenden Verteidigungsfalles wörtlich:
Bei der zweiten Alternative ist in erster Linie an offenkundige internationale Spannungszustände gedacht, die einen solchen Grad erreicht haben, daß mit einem alsbaldigen bewaffneten Angriff eines fremden Staates oder einer fremden Regierung auf das Bundesgebiet gerechnet werden muß.
Und jetzt kommt das Entscheidende:
Die zweite Alternative wäre aber auch dann als
erfüllt anzusehen, wenn auf Grund nachrichtendienstlicher oder anderer geheimer Quellen, die den vorliegenden Erfahrungen nach als zuverlässig gelten können, ein bewaffneter Angriff eines fremden Staates oder einer fremden Regierung auf das Bundesgebiet als unmittelbar bevorstehend erscheint oder wenigstens ernstlich mit einem solchen Ereignis gerechnet werden muß, auch ohne daß eine für alle Welt offenkundige internationale Spannung zu bestehen braucht.
Meine Damen und Herren, wenn eine solche Lage gegeben ist, vermögen wir nicht einzusehen, daß dann keine Möglichkeit mehr bestehen soll, die Entscheidung des Parlaments anzurufen, des Parlaments oder des Notparlamentes.

(Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Das ist doch die zweite Alternative!)

— Nein, Herr Kollege Weber, in Abs. 3 wird dieses Recht auch für die zweite Alternative dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten gegeben. Darauf bezog sich eben meine Bemerkung, und ich nehme an, daß Sie mit mir die Sorge und die Auffassung teilen, daß in einem solchen Fall gar keine sachliche Notwendigkeit besteht, die enorm gefährliche politische Entscheidung allein von Bundespräsident und Bundeskanzler fällen zu lassen. Ich habe das zitiert; ich brauche darauf nicht mehr einzugehen. Ich komme aber später noch einmal darauf zurück.
Es entspricht einer weiteren Anregung der sozialdemokratischen Fraktion, ein Notparlament vorzusehen. Es ist denkbar, daß dieses Haus im ganzen nicht aktionsfähig ist. Man wird sich darüber unterhalten müssen, wie dieses Notparlament aussehen soll. Sicher aber wird man diesem Notparlament ein eigenes Versammlungsrecht geben müssen. Man wird die Geschäftsordnung, von der hier die Rede ist, gleichzeitig beraten müssen, und man wird sie so gestalten müssen, daß dieses Notparlament aus eigenem Recht tätig werden kann, ohne davon abhängig zu sein, ob die Regierung, wie es nach Abs. 1 möglich wäre, dieses Parlament anruft.
Nun zu der Frage der Parlamentsbeschlüsse gemäß Art. 115 a des Grundgesetzes, sei es des Bundestages, sei es des Notparlaments. Der Entwurf sieht die einfache Mehrheit vor. Meine Damen und Herren, die einfache Mehrheit ist in diesem Fall nicht die richtige Mehrheit. Hier kommt es nicht darauf an, mit der Regierungskoalitionsmehrheit, über die die Regierung bei normalen Gesetzen in diesem Hause verfügt, nun so entscheidende Eingriffe in den Verfassungzustand vorzunehmen, sondern hier kommt es darauf an, über diese einfache Regierungsmehrheit hinaus eine Gesamtverantwortung dieses Hauses zu schaffen. Diese Gesamtverantwortung ist nur möglich, wenn man hier institutionell ausdrücklich eine Zweidrittelmehrheit vorsieht.

(Beifall bei der SPD.)

Diese Zweidrittelmehrheit brauchen wir nicht nur, um zu bremsen. Wir brauchen sie auch, um zu kontrollieren, ob diese nächsten Schritte notwendig sind, ob man denn nicht tatsächlich andere Wege



Dr. Schäfer
finden kann. Wir brauchen sie aber auch, um von vornherein eine breite Basis für das zu schaffen, was möglicherweise in einer so enormen Belastungsprobe vor unserem Volk stehen würde. Und nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich heute, unmittelbar nach diesem Vorkommnis von gestern abend, mich nicht enthalten kann, zur einfachen Mehrheit zu sagen: Sie haben gestern hier ein Beispiel dafür gegeben, daß ein einzelner Minister sich dieser Regierungs-, dieser Parlamentsmehrheit bedienen kann, selbst wenn es blanker Unsinn ist.

(Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Oder sich gegen bestehende Mißstände verwahren muß! — Zuruf von der SPD: Das ist der Stil! — Abg. Dr. Stecker: Was Sie für blanken Unsinn halten!)

— Ganz richtig, deshalb sage ich es hier, Herr Kollege Stecker.

(Abg. Dr. Stecker: Und dadurch ist es qualifiziert!)

Sehen Sie, die einfache Mehrheit — bleiben wir bei diesem Beispiel — ist eben keine tragbare Basis für staatspolitisch ausschlaggebende, schwere Entscheidungen. — Sie ist es nicht, Herr Kollege Stoltenberg. Ich glaube, wenn Sie es nüchtern betrachten, werden Sie mit uns zur Feststellung kommen — auch in Ihrem Interesse, meine Damen und Herren —: Hier ist ein Gesamtanliegen; wir jedenfalls betrachten es so.
Da gibt es Überlegungen, die an englische Beispiele anknüpfen. Man erwägt — wie man das in die Verfassung hineinbringt oder wie man das überhaupt regelt, wollen wir einmal dahingestellt sein lassen —, vorzusehen, daß, ehe man einen solchen Beschluß faßt, das Staatsoberhaupt den Regierungschef, die Parlamentspräsidenten und die Partei- und Fraktionsvorsitzenden zu sich bittet, um zu überlegen, was nun wirkungsvoll im gemeinsamen Interesse und in gemeinsamer Verantwortung getan werden kann. Das darf sich nicht nur auf die Gesetzungskompetenz hier in diesem Hause beschränken, sondern das muß sich möglicherweise auch auf Überlegungen erstrecken, die die Einwirkung auf die Spitzen der Exekutive zum Inhalt haben.

(Abg. Erler: Sehr richtig!)

Wir haben doch noch im Ohr, wie von dieser Stelle aus der frühere Innenminister mit Nachdruck den Standpunkt vertrat: Das ist die Stunde der Exekutive; und es ist noch gar nicht lange her, daß ein hoher Beamter des Innenministeriums den Standpunkt vertrat: Letztlich kommt es dann doch auf die Exekutive an.
Meine Damen und Herren, das zeigt doch uns allen, daß man offensichtlich noch nicht überall erkannt hat, wie die Lage ist. Ich habe das Fernsehinterview, Herr Minister Höcherl, das Sie gegeben haben — morgen ist es ein Jahr her —, noch einmal nachgelesen. Ich darf erfreut feststellen, daß sich Ihre heutige Rede wesentlich von Ihrer damaligen Vorstellung unterscheidet. Ich hoffe nur, daß es auch tatsächlich ein Fortschritt ist und daß es sich hier nicht nur um die Begründung einer Vorlage handelt. In diesem Fernsehinterview wurden noch Gedanken vertreten, die uns wirklich geschreckt haben, und ich glaube, daß niemand aus diesem Hause sich diese Gedanken zu eigen machen darf.
Wir meinen also, daß dieser Art. 115 a anders aussehen müßte. Herr Kollege Hoogen, es ist vielleicht Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß in Abs. 5 am Schluß, beinahe so nebenbei, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erwähnt ist. Das ist zu wenig. Ich teile Ihre Bedenken, und wir meinen, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als ein entscheidender Grundsatz herausgestellt werden muß. Es heißt richtig:
Von diesen Befugnissen darf nur zu dem Zweck Gebrauch gemacht werden, die Gefahr abzuwehren.
Einverstanden! Aber dieser Grundsatz — er gilt zwar, kann man sagen, allgemein — muß hier so deutlich gemacht werden, daß die Nachprüfbarkeit durch das Parlament gegenüber dem Notparlament, gegenüber dem Verfassungsgericht, vom Verfassungsgericht her einwandfrei geklärt ist. Ich glaube, daß wir das in den Ausschußberatungen dementsprechend ändern werden.
Ich darf zu Art. 115 a also sagen: die Feststellung bedarf nach unserer Auffassung der Zweidrittelmehrheit. Hinsichtlich der Zusammensetzung dieses Notparlaments gehen wir davon aus, daß es, soweit der Bundestag beteiligt ist, nach dem d'Hondtschen Verfahren zusammengesetzt sein sollte. Die Geschäftsordnung muß ebenfalls geklärt sein. Auch dort, meinen wir, muß Zweidrittelmehrheit vorgesehen werden. Wir halten es nicht für möglich, daß die Bundesregierung aus anderen Gründen als denjenigen, die mit Art. 115 h oder mit Art. 59 a zusammenhängen würden, ihrerseits eine Feststellung treffen kann, die die Feststellung des Zustandes der äußeren Gefahr bringt.
In Art. 115 b sind in einem Katalog diejenigen Grundrechte aufgezählt und die Probleme behandelt, die in diesem Falle einer Regelung bedürfen. Einverstanden, daß man die Frage prüfen muß, inwieweit die Zuständigkeitsregelung des Grundgesetzes hier voll gelten soll, d. h. wie die Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern geregelt sein soll. Aber, Herr Minister, ich glaube nicht, daß die Zuständigkeit des Bundes eingeengt wird, wenn man von vornherein sagt, daß der Bund auch die Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet der Sicherheit und Ordnung haben soll. Ich nehme doch nicht an, daß man in das Schulwesen glaubt eingreifen zu müssen oder in das Fürsorgewesen eingreifen will. Ich glaube, daß es vollkommen ausreichen würde, die Zuständigkeitsregelung des Art. 115 b auf dieses Gebiet zu beschränken.
Die Zuständigkeitsregelung des Art. 115 b im Zusammenhang mit Art. 115 c Abs. 2 gibt nun zu folgender Bemerkung Anlaß. Hier ist ganz ordnungsgemäß, so scheint es, zunächst auf der Zuständigkeit des Bundestages aufgebaut: wenn der Bundestag



Dr. Schäfer
nicht handeln kann, dann soll dias Notparlament handeln. Dann kommt in Art. 115 c Abs. 2 die Regelung, daß, wenn alle miteinander nicht oder nicht rechtzeitig handeln können — meine Damen und Herren, da kommen wir zu einem ganz schlimmen Kapitel —, die Bundesregierung ein Notverordnungsrecht haben soll. Prüfen Sie diese Dinge einmal nach, und Sie kommen zu einer sehr sonderbaren Auffassung der Bundesregierung. Die Bundesregierung sagt in Art. 115 a, daß, wenn vom Bundestag ein rechtzeitiger Beschluß nicht gefaßt werden könne, ein Notparlament an seine Stelle trete. Der Bundesrat hat dazu Stellung genommen und gemeint, so wie die Formulierung sei, könne es sein, daß der Bundestag versammelt sei und trotzdem kein rechtzeitiger Beschluß zustande komme. Die Bundesregierung — das ist nun das aufschlußreichste — sagt dazu, es könne noch viel schlimmer sein. Sie sagt nämlich:
Es läßt sich jedoch nicht übersehen, ob nicht
auch andere Umstände einen bereits zusammengetretenen Bundestag oder Bundesrat an
der Beschlußfassung hindern können. Eine zu
enge Fassung sollte daher vermieden werden.
Da sind wir wieder bei dem Entwurf des früheren
Innenministers Schröder. Die Folgerungen lauten
folgendermaßen: Es können doch so geheime Nachrichten vorliegen, daß es gar nicht möglich ist, sie
einem so großen Gremium vorzulegen; dann kann
dieses große, an und für sich zuständige Gremium,
also der Bundestag, auch keinen rechtzeitigen Beschluß fassen, weil wir ihn nicht informieren können, obwohl er vielleicht sogar zusammengetreten
sein kann — so heißt es hier —, und dann muß die
Bundesregierung von sich aus das Recht haben.
Meine Damen und Herren, das können wir nicht so
regeln. Wenn das der Fall sein sollte, müßte der
Vertreter der Bundesregierung vor den zusammengetretenen Bundestag treten und erklären: Wir können euch nicht im ganzen informieren, erteilt dem
Notparlament die notwendigen Vollmachten, wir
werden dem Notparlament alles auf den Tisch legen.
Wenn das Notparlament — ungefähr in der Größe eines Kabinetts — nicht geheime Dinge behandeln kann, meine Damen und Herren, mit wem wollen wir es denn dann im Parlament tun? Wollen Sie bei der prominenten Besetzung, die ein solches Notparlament von allen Seiten erhält, im Ernst davon ausgehen, es sei dann nicht so besetzt, daß man es mit geheimen Nachrichten versehen könnte? Die Regelung in dieser Weise ist unerträglich.

(Beifall bei der SPD.)

Man wird die Zuständigkeit der Länder regeln müssen. Man wird dabei auch die Frage regeln müssen, inwieweit — ich habe jetzt die Buchstaben e und f des Abs. 2 des Art. 115 b im Auge — ein sehr harter Eingriff in die Verwaltungsorganisation und vielleicht sogar in die Finanzhoheit erfolgen muß. Das läßt sich wahrscheinlich nicht umgehen. Es ist erfreulich, daß auch der Bundesrat, wie aus seiner Stellungnahme hervorgeht, die eventuell auftauchende Notwendigkeit erkannt hat.
Es gibt aber hier einige Fragen, die uns nicht nur im Ausschuß beschäftigen dürfen, sondern zu
denen wir in diesem Hause in aller Öffentlichkeit Stellung nehmen müssen. Da ist zunächst Buchstabe a des Abs. 2 des Art. 115b zu erwähnen, worin der Art. 5 im ganzen genannt wird. Wir werden dazu noch Stellung nehmen. Die Frage der Pressefreiheit taucht da auf. Aber auch die Lehrfreiheit, die Meinungsfreiheit und die Forschungsfreiheit fallen unter Art. 5, der in dem Gesetzentwurf unbegrenzt genannt wird.
Ferner wird Art. 8 genannt, der die Versammlungsfreiheit betrifft. Was da zu regeln ist, kann man in einem normalen Gesetz regeln, wenn es einer Regelung bedarf. Und wer soll uns denn daran hindern, ordnungsgemäß, soweit es erforderlich ist, das Versammlungsgesetz zu ergänzen?
Auch Art. 9 wird genannt. Das ist mir ein bißchen geheimnisvoll, daß man dazu in der Begründung sagt, man brauche den Art. 9, um eventuell gewerbliche Betriebe zur Gemeinschaftsproduktion zusammenschließen zu können. Ich habe es bis heute nicht begriffen, warum man hier den Art. 9 braucht, wenn man ein Wirtschaftssicherstellungsgesetz hat, auf Grund dessen man Produktionsauflagen machen und Produktionsverteilungsweisungen erteilen kann. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum der Art. 9 hier genannt ist.

(Abg. Dr. Weber können; dafür muß doch die Ausnahme vorgesehen werden!)

— Entschuldigen Sie,. wenn wir das Wirtschaftsicherstellungsgesetz jetzt verabschieden, sind ja die Gesetze nicht in Kraft; dann müssen wir es ja außerhalb — —

(Abg. Dr. Weber — Nein, entschuldigen Sie, Herr Kollege Weber, darf ich Ihnen vorlesen: a)


(2) Durch Bundesgesetz können

Das heißt, wenn der Zustand der äußeren Gefahr festgestellt ist, können solche Gesetze erlassen werden. Das sind nicht die Gesetze, die wir jetzt erlassen; die werden nicht auf Grund einer Sonderbestimmung hier erlassen, sondern auf Grund der bestehenden Grundgesetzregelung.

(Abg. Dr. Weber nicht vornehmen!)

— Das ist ein Irrtum Ihrerseits; Sie werden ihn selber erkennen.
In Art. 9 Abs. 2 heißt es, daß verfassungsfeindliche Organisationen verboten sind. Also wollen Sie irgendwelche erlauben, wenn Sie den Art. 9 Abs. 2 aufheben?
Erfreulich ist, daß der Abs. 3 des Art. 9 nicht mehr genannt ist. Es hat doch sehr viel Vergiftung geschaffen, daß in dem Schröderschen Entwurf ausdrücklich — und in der Begründung noch besonders



Dr. Schäfer
— die Möglichkeit des Verbots der Gewerkschaften vorgesehen war. Das war unmöglich! Erfreulicherweise ist das hier heraus.
Die nächste Frage ist die der Inanspruchnahme der Bürger über das übliche Maß hinaus. Die Frage der Arbeitsplatzinanspruchnahme bei Notständen wird einer sehr gewissenhaften Prüfung bedürfen.
Aber ernste Bedenken, meine Damen und Herren, bestehen dagegen, die Verfassungsergänzung von 1956, die das Verbat des Einsatzes von Frauen im Rahmen der Streitkräfte vorsah, nun praktisch wieder aufzuheben. Das wird nicht gehen. Man wird diese Frage ernsthaft prüfen müssen. Wer ;bei der Bundeswehr eintritt und dort Dienst tut, kann nicht einfach über Nacht davonlaufen; das wird nicht möglich sein. Aber eine Verpflichtung von Frauen zur Dienstleistung im Rahmen der Streitkräfte, meine Damen und Herren, werden Sie nicht wollen. Dann müssen Sie abgrenzen, was Sie unter „Streitkräften" verstehen, und festlegen, ob z. B. die Wehrbezirkskommandos oder Verwaltungsstellen gemeint sein sollen; bei diesen wird man zweifellos darüber reden können.
Wir sind angenehm berührt, daß in Buchstabe d die früheren Bemühungen, eine Polizeivollmacht zu schaffen, nicht wieder auftauchen.

(Zustimmung bei der SPD.)

Das Grundgesetz sagt ja, daß die Polizei aus eigenem Recht bis zum Ende des nächstfolgenden Tages jemanden festhalten kann. Das Recht, daß das der richterlichen Nachprüfung unterworfen ist, ist hier erhalten. Die Frage ist, wie lange die Polizei jemanden festhalten darf, ob bis morgen abend, ob 48 Stunden, ob — ohne uns festzulegen — vielleicht auch 72 Stunden. Diese Frage wind nach Anhörung von. Sachverständigen entschieden werden müssen. Aber das Grundrecht selber darf nicht angetastet werden. Das ist für uns ein ganz entscheidender Punkt.
Nun kommt aber eine besondere Sache in diesem Entwurf. Bis jetzt heißt es: Der Bundestag, das Notparlament ...; jetzt kommt: „Die Bundesregierung kann". Nicht das Notparlament, nicht der Bundestag, sondern die Bundesregierung kann die gesamten Polizeikräfte des Bundes und der Länder sich unterstellen, die Streitkräfte auch im Innern für polizeiliche Aufgaben einsetzen und sie einem Beauftragten unterstellen. Sie kann sich sogar die ganze Verwaltung unterstellen und dafür einen Beauftragten bestimmen. Das würde also bedeuten: Mit der Feststellung des Zustandes der äußeren Gefahr — worüber im entscheidendsten, kritischsten und wichtigsten Fall nach dem Entwurf der Herr Bundespräsident und der Herr Bundeskanzler entscheiden würden — könnte die Bundesregierung für das Land Nordrhein-Westfalen einen Generalbeauftragten bestellen, dem die gesamten Polizeikräfte unterstellt sind und der nach seinem Ermessen für polizeiliche Zwecke, soweit er sie sieht, Polizei und Streitkräfte einsetzen kann. Darüber hinaus könnte die Bundesregierung für das Land Nordrhein-Westfalen einen Bundesstatthalter schlechten Angedenkens bestellen, ihm die ganze Landesregierung unterstellen und ihm unmittelbare Rechte geben,
etwa die, jedem Bürgermeister, jedem Landrat direkte Weisungen zu erteilen. Das können Sie doch im Ernst nicht wollen. Dazu besteht auch keine ernsthafte Veranlassung.
Oder soll man die Begründung politisch lesen, Herr Minister? Sie sagen, Sie könnten die Anregung — —

(Abg. Dr. Stoltenberg: Bei manchen Formulierungen denkt man, wir lebten im 18. Jahrhundert!)

— Ich bewundere Ihr gutes Gedächtnis; aber es täuscht Sie offensichtlich. Ich kenne die Reden, die früher gehalten worden sind.

(Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Stoltenberg.)

Kommen Sie nicht mit solchen lächerlichen Zitaten, wenn es um hochpolitische wichtige Dinge geht; das enttäuscht!

(Beifall bei der SPD.)

Herr Bundesinnenminister, in Ihren Bemerkungen zur Stellungnahme des Bundesrates ist einiges enthalten, was zu Bedenken Anlaß gibt. Der Bundesrat hatte gefragt: Warum wollt ihr dann nicht den Ministerpräsidenten des Landes, der von dem dortigen Landtag gewählt worden ist, zum Beauftragten bestellen? Da sagen Sie, es könne ja sein, daß das kein geeigneter Mann sei, daß vielleicht ein früherer Bundesminister — wahrscheinlich denken Sie an Herrn Strauß — oder ein früherer Landesminister der geeignete wäre, und Sie müßten das bestimmen können. Überlegen Sie, was das heißt, daß Sie bestimmen wollen — abweichend von dem zuständigen Landtag —, wer die Bundesgesetze, für deren Vollzug nach Art. 83 des Grundgesetzes die Länder zuständig sind, vollzieht. Nach dem Grundgesetz und nach den Länderverfassungen tun das die gewählten Landesregierungen mit ihrer Landesverwaltung. Sie können doch unmöglich auf die Idee kommen, nun eine Landesregierung einfach beiseite zu schieben und irgendeinen Staatssekretär oder irgendeine andere Person — es heißt ja auch: Personen — hinzuschicken und dort zum Bundesstatthalter zu machen.
Das ist keine Regelung, Herr Minister; das muß anders gemacht werden. Man wird nach einem Weg suchen müssen, damit die Bundesregierung ähnlich wie bei der Auftragsverwaltung, wo sie ein Weisungsrecht hat, auch beim Vollzug anderer Gesetze ein Weisungsrecht hat, aber ein Weisungsrecht gegenüber den legitimen, verfassungsmäßig zustande gekommenen Stellen in dem betreffenden Land. Das sind die von den Landtagen gewählten Ministerpräsidenten und Regierungen, aber nicht Ihr Generalbevollmächtigter. Wir glauben, daß man eine solche Regelung nicht vorsehen kann, sondern zu einer ganz anderen Form kommen muß.
Es ist richtig, zu überlegen, ob die Konzentration der Kräfte gegebenenfalls gar nicht möglich ist, weil die Zentrale ausfällt. Man wird also auch den Aufbau von unten her überlegen müssen. Sie haben das in Ihrem Entwurf in Art. 115 f vorgesehen. Das ist richtig. Aber Sie haben gleichzeitig vorgesehen, daß das Notverordnungsrecht, das Sie für die Bun-



Dr. Schäfer
desregierung in Anspruch nehmen wollen und das wir Ihnen nicht geben wollen und nicht geben dürfen, auch auf Ministerpräsidenten, auch auf Regierungspräsidenten, auch auf Landräte delegiert werden kann. Dazu besteht gar keine Notwendigkeit. Lassen Sie doch einen Augenblick einmal uns vergegenwärtigen, daß die vollziehende Gewalt nach Art. 20 des Grundgesetzes ihre eigene, ihr zustehende Aufgabe hat, die darin besteht, die bestehenden Gesetze, diese große Zahl von bestehenden Gesetzen, zu vollziehen. Von vielen Bestimmungen wird Jahrzehnte hindurch kein Gebrauch gemacht; aber wenn es sein muß, werden diese Vollmachten, die gleichzeitig einen Auftrag an die vollziehende Gewalt darstellen, voll in Anspruch genommen. Es kann sich also hier bei der Frage der sogenannten Insellage nur darum handeln, inwieweit ein in Insellage befindlicher Landrat rechtmäßig handeln kann. Das heißt, wenn es Maßnahmen sind, die er normalerweise nur mit Zustimmung des Regierungspräsidenten oder des Innenministers treffen darf, daß er auch die Zuständigkeit des Innenministers oder des Regierungspräsidenten wahrnimmt und damit rechtmäßig und ordnungsgemäß handelt; daß eine Landesregierung, die manche Dinge nur mit Zustimmung der Bundesregierung tun darf, sie auch tun kann gleichzeitig in Wahrnehmung der Aufgaben der nächsthöheren Stelle. Das muß man hier regeln, weil es auf dem Verwaltungswege nicht geregelt werden kann, weil es sich nämlich nicht nur um Zuständigkeiten des Länderbereichs oder des Bundesbereichs handelt, man also die Zuständigkeit im ganzen, die Verwaltungszuständigkeit — aber nicht eine Rechtsetzungszuständigkeit — den Landesbehörden, auch den nachgeordneten Behörden, geben muß. Man wird die Frage in diesem Sinne einer neuen Prüfung unterziehen müssen.
Die Frage der Aufhebung des Notstandes. Wir meinen, daß die Aufhebung mit einfacher Mehrheit möglich sein muß.
Es heißt dann in Art. 115 g — auch so eine Kleinigkeit, Herr Minister; das hätte hier nicht passieren dürfen —: den Notstand „für beendet erklären u n d ,die auf seiner Grundlage getroffenen Maßnahmen aufheben". Nein: „oder die"! Das heißt: der Bundestag oder das Notparlament muß jederzeit in der Lage sein, jede Maßnahme aufzuheben, wenn sie an seiner Stelle getroffen worden ist. Nicht die Aufhebung des Notstandes im ganzen muß Voraussetzung sein, um eine Einzelmaßnahme des Notparlaments durch den Bundestag aufheben zu lassen,

(Beifall bei der SPD)

sondern es muß die Nachprüfung der einzelnen Maßnahmen möglich sein.
Deshalb natürlich, weil Sie es anders sehen, haben Sie auch keine Verpflichtung vorgesehen, die entsprechenden Verfassungsorgane laufend über jede Maßnahme zu unterrichten. Nicht einmal das ist hier vorgesehen.
Die Aufhebung, meinen wir, könnte mit einfacher Mehrheit geschehen. Ob man hier die Anregung des Bundesrates übernimmt, isst eine andere Frage.
Nun zur Frage des inneren Notstandes. Herr Minister, wir waren bereit, über die Fragen des inneren Notstandes zu sprechen. Wir haben mit Ihnen darüber verhandelt. Ich muß sagen: es ist Ihnen nicht gelungen, einen Katalog aufzustellen und abzugrenzen, der mißbräuchliche Inanspruchnahme ausschließen würde. Wir kommen zu der Feststellung, daß der Entwurf in Art. 115 i bis 1 nicht einmal als Diskussionsgrundlage dienen kann.

(Sehr richtig! bei der SPD.)


(keine Diskussionsgrundlage. Ich freue mich, feststellen zu dürfen, daß auch Sie unserer Meinung sind, Herr Minister. Sie sind offensichtlich auch der Meinung, daß das falsch ist; denn der Bundesrat hat vorgeschlagen, im Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens das ganz anders zu regeln. In Ihrer Stellungnahme heißt es, Sie seien bereit, im Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens in diesem Sinne über die Dinge zu sprechen. Dann sind wir uns ja eigentlich schon einig, Herr Minister, daß wir Art. 115 i, k, 1 in der Form, wie sie hier vorliegen, streichen können und andere Überlegungen angestellt werden müssen. Die Überlegung konzentriert sich auf den Art. 91 und auf den Art. 143. Sie konzentriert sich auf den Art. 91 in mehrfacher Beziehung: Im Art. 91 ist von der Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes die Rede. Besser formulieren können wir es nicht, ausführlicher formulieren können wir es nicht. Wir meinen aber, daß die Verfassung, so wie es der Bundesrat vor zwei Jahren vorgeschlagen hat, so wie der Bundesrat es jetzt erfreulicherweise wieder vorschlägt, eine Legaldefinition enthalten muß, daß Arbeitskämpfe keine Störung dieser 'demokratischen Grundordnung sind. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, hier eine Vorschrift einzufügen: Die Vorschriften rüber den Zustand der inneren Gefahr finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die von nach Art. 9 Abs. 3 — also den Gewerkschaften — gebildeten Vereinigungen geführt werden. Wir halten diese Legaldefinition der demokratischen Grundordnung für dringend erforderlich und werden dazu noch einiges ausführen. Wenn der Schutz dieser demokratischen Grundordnung nicht ausreicht, dann gibt es nur zwei Richtungen um zu helfen: entweder durch eine Verstärkung der Rechtspositionen oder durch eine De-facto-Verstärkung. Die Verstärkung der Rechtspositionen ist Theorie, so wie der Herr Innenminister heute ganz richtig vorgetragen hat, daß es Theorie ist, erst im Katastrophenfall Vorsorge zu treffen, so wäre es hier Dr. Schäfer Theorie, sich einzubilden, daß man dann mit Notgesetzen über Einschränkungen von Grundrechten weiterhelfen kann. Die Polizeigesetze geben in dem Fall sehr viele Vollmachten, die hoffentlich nicht ausgenützt werden: Inanspruchnahme von Dritten usw. Das zweite, Herr Minister — und dazu hätte ich in Ihren Ausführungen einiges erwartet —, ist die schwere politische Entscheidung der Verstärkung der De-facto-Polizeistärke, erstens durch Verstärkung der aktiven Polizei. Wir haben vor drei Jahren den Antrag gestellt — damals waren die Länder noch finanziell schlecht gestellt —, den Ländern 100 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Bereitschaftspolizeien verdoppeln sollen, damit dieser Zustand immer mit eigenen Kräften, mit Polizeikräften gemeistert werden kann. Damals hat der amtierende Innenminister das zu unserem Erstaunen abgelehnt. Er hat es in die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Ich höre mit einigem Erstaunen, daß das Innenministerium augenblicklich gar nicht mehr willens ist, die Verstärkung der Bereitschaftspolizeien zu fördern. Ich weiß nicht, ob da eine falsche Konkurrenz drin ist. — Ich nehme es gern zur Kenntnis, Herr Minister Höcherl, daß Sie es doch wieder tun wollen. Ich hoffe, Herr Minister, daß Sie dann auch Ihre entsprechenden Stellen anweisen, sich danach zu richten. Herr Minister, da hätten Sie hier mal etwas entwickeln sollen, wie möglicherweise die Polizei durch Polizeireserven verstärkt wird, nicht so, wie es der Entwurf des Landes Schleswig-Holstein jetzt vorsieht — nein, anders —, nicht mit angeblich Freiwilligen, die dann entsprechend ausgesucht werden, sondern so, daß der Verantwortliche, der politisch verantwortliche Innenminister, die verantwortliche Landesregierung in die Lage versetzt werden, mit Polizeikräften — und wir legen Wert auf die Betonung: Polizeikräfte — die demokratische Grundordnung zu schützen. Denn wir möchten doch — und Sie auch — den Einsatz von Streitkräften im Innern möglichst, möglichst ausschließen. Stellen Sie sich einmal vor, wenn die Bundeswehr mit ihrer Feuerkraft im Innern eingesetzt würde, was das für eine Katastrophe mit sich brächte! Die können den Marktplatz räumen, aber das Rathaus steht nachher .auch nicht mehr. Man wird aber den Einsatz .der letzten, stärksten Kraft nicht ausschließen können. Nein, das kann man nicht; nicht nur, weil auch möglicherweise Militärs oder militärische Einheiten die demokratische Grundordnung stören, sondern weil es letztlich die stärkste Kraft zur Verteidigung der demokratischen Grundordnung ist, die stärkste Waffenkraft neben der anderen stärksten Kraft, nämlich dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Alle müssen sie so in ihrem Standort und in ihrem Einsatz sein, daß sie Bollwerke für die Verteidigung unserer demokratischen Grundordnung sind. Das ist unser Ziel. Einsatz von Streitkräften! Es handelt sich hier, Herr Innenminister — Sie haben es irgendwie untergehen lassen —, um ein Gebiet, das in die Länderzuständigkeit fällt. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist Polizeiangelegenheit, und damit sind primär die Länder zuständig. Keine gute Regelung, die Sie hier vorgesehen haben: daß man nicht feststellt, sondern daß man einfach davon ausgeht: „Es ist innerer Notstand, ein Zustand der inneren Gefahr" ; dort am allerwenigsten, Herr Minister! Dort ist eine irgendwann notwendig werdende Feststellung durch die Landesparlamente so notwendig wie auf dem Gebiet des drohenden Verteidigungsfalles, genauso notwendig und genauso mit Zweidrittelmehrheit und genauso mit der Möglichkeit, daß der Bundestag das jederzeit aufheben kann — wir haben ja historische Beispiele —, wenn in irgendeinem Land eine Dummheit damit gemacht werden sollte. Wir haben Vorstellungen davon, wie das aussehen soll, und wir hoffen, daß wir uns im Rechtsausschuß und im Innenausschuß einer gemeinsamen Regelung anschließen können, die den erheblichen Bedenken, die gegen diesen Entwurf in diesen Punkten bestehen, Rechnung trägt. Ich darf nochmals sagen: ich freue mich, Herr Innenminister, daß auch Sie der Auffassung sind, daß Sie bei dem Entwurf nicht stehenbleiben können; ich entnehme das Ihrer Äußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates, auch jetzt Ihrer zustimmenden Äußerung. Wir werden eine Regelung suchen, die diesen Bedenken Rechnung trägt. Ich brauche deshalb auf die Bestimmungen im einzelnen nicht einzugehen, nachdem Übereinstimmung besteht, daß sie so nicht behandelt werden. Ich darf nur noch sagen, Herr Minister: so wie Sie den Art. 115l angelegt haben, daß im Endergebnis die Bundesregierung die Streitkräfte — ein Feigenblatt dafür: „nur mit Zustimmung des Bundestages" — einsetzen und die ganzen Rechte — wie Sie es sich im Falle des äußeren Notstandes vorstellen — für sich in Anspruch nehmen kann, so wird eine zukünftige Regelung nicht aussehen. Noch zur Frage des Katastrophennotstandes! Wir sind uns wohl einig, hier handelt es sich nicht um einen Staatsnotstand, hier ist nicht die demokratische Grundordnung in Gefahr, sondern hier handelt es sich um die Beseitigung von Schäden. Bleiben wir bei der Sturmflutkatastrophe! Es handelt sich dabei um die Zusammenfassung der Kräfte, um den einheitlichen Einsatz und um die Rechtmäßigkeit. Die Formulierung „Sind Leib oder Leben" usw., meine Damen und Herren, haben wir an anderer Stelle, wo Sie an den Streik gedacht haben, gefunden. So nicht, Herr Innenminister! Lassen Sie uns eine andere Formulierung suchen, aus der hervorgeht, daß wirklich die Naturkatastrophe gemeint ist! Ich weiß, Sie erwähnen dann den Atomregen. Sicher, auch daran müssen wir denken, d. h. wir müssen überregionale Möglichkeiten schaffen, so wie es Art. 91 gestuft für Land und Bund tut. Aber letztlich kann es sich dann nur darum handeln, daß Verwaltungszuständigkeiten — ohne Rücksicht darauf, ob Bund oder Land — in die Hand genommen Dr. Schäfer 3 werden, wobei primär die einzelnen Länder zuständig sind. Denken Sie jetzt nicht an Hamburg, dessen Bereich sehr schnell überufert — in doppeltem Sinne —, sondern denken Sie an die Flächengebiete unserer Länder, bei denen die Zuständigkeit der Landesregierungen und der Landesparlamente vollkommen ausreichen würde. Wir meinen also, daß man die Regelung auch in dieser Hinsicht noch gewissenhaft prüfen muß. Auch Ihr § 2, wonach die Vorsorge für den Fall der Gefahr des inneren Notstandes, wie Sie ihn sahen, oder für den Katastrophennotstand in Zukunft in den Zuständigkeitsbereich des Bundes oder zur konkurrierenden Zuständigkeit gehören soll, wird einer gewissenhaften Prüfung bedürfen. So wie der Paragraph hier steht, bedarf er der Erläuterung. Was in der Begründung gesagt wurde, reicht sicherlich nicht aus. Ich komme zum Schluß. Ich habe eingangs schon gesagt, daß die Sozialdemokratische Partei auf ihrem letzten Parteitag sieben Punkte verabschiedet hat, die für sie die Grundlage jeder Prüfung sind. Wir werden uns, wenn der Entwurf aus den Ausschüssen kommt, wiederum gewissenhaft an diesen sieben Punkten orientieren, die erfreulicherweise auch die Zustimmung anderer Politiker gefunden haben. Ich darf diese sieben Punkte, die für uns so wesentlich sind, hier vortragen: 1. Es ist eindeutig klarzumachen, in welchen Fällen und unter welchen Umständen von einem Notstand gesprochen werden muß, der nur mit außerordentlichen Mitteln gemeistert werden kann. Dabei ist zwischen innerem Notstand, drohendem Verteidigungsfall 2. Es ist zu gewährleisten, daß in solchen Situationen nicht eine an der Macht befindliche Gruppe oder Partei die Mittel der Exekutive zur Unterdrükkung der anderen ausnutzen kann. 3. Es ist zu sichern, daß Notstandsbefugnisse ausschließlich zur Meisterung des Notstandes und nicht zur Drosselung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, vor allem nicht der Freiheit der Presse, des Rundfunks, des Fernsehens und der freien Meinungsäußerung, eingesetzt werden können. 4. Es ist auszuschließen, daß eine Einschränkung oder Drosselung der demokratischen Grundrechte im gewerkschaftlichen und betrieblichen Bereich unter dem Vorwand des Notstandes praktiziert werden kann. 5. Es ist Vorkehrung zu treffen, daß weder die Befugnisse der Länder noch die der gewählten Volksvertretung unter Berufung auf einen „Notstand" erstickt werden können. 6. Die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts muß gewährleistet sein. Jede Maßnahme muß vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden können. 7. Die Verantwortlichkeit des Parlaments ist in jeder Lage zu erhalten. Die Notstandsregelung darf keine Möglichkeit des Ausweichens des Parlaments aus seiner Verantwortung schaffen. Wir werden im Ausschuß darauf hinwirken, daß diesen Grundsätzen entsprochen wird. Wir werden nur einem Gesetz zustimmen können, dem wir die Überschrift geben können: „Gesetz zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung". Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser heutigen Diskussion gehen seit Jahren die Diskussionen in allen drei Parteien voraus. Es ist wohl von entscheidender Bedeutung, wenn wir heute feststellen können, daß der Gesetzentwurf, über den wir uns jetzt zu unterhalten haben, in seinem sachlichen Inhalt eine wesentliche Verbesserung gegenüber früheren Vorstellungen und Vorlagen der Bundesregierung enthält. Er wird daher von uns generell als eine brauchbare Diskussionsgrundlage anerkannt, obwohl wir eine Reihe von Bedenken, auf die ich im einzelnen nachher noch zu sprechen kommen werde, auch gegenüber diesem Gesetzentwurf von vornherein sehr klar und deutlich anzumelden haben. Gestatten Sie mir noch eine Vorbemerkung! Wenn man sich mit dem Inhalt dieses Gesetzentwurfs befassen muß, denkt man zwangsläufig an die Diskussionen im Parlamentarischen Rat und an den Art. 48 der Weimarer Verfassung, der auch mit der heutigen Diskussion innerlich untrennbar verbunden bleiben muß. Man erinnert sich aber auch daran, daß unser Volk insgesamt seit einigen Jahrzehnten zumindest in einem politischen inneren Notstand leben muß und uns allen gemeinsam daher die Verpflichtung auferlegt ist, alles Notwendige zu tun, um einen äußeren Notstand zu verhindern. Denn die Auswirkungen und Folgewirkungen eines äußeren Notstandes wären für uns alle gemeinsam schrecklich. Daher wollen wir dieses Gesetz jetzt in der Hoffnung beraten, daß die darin enthaltenen Regelungen niemals für uns grausame Wirklichkeit werden. Lassen Sie mich deswegen nur zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes die Auffassung der Freien Demokraten vortragen. Zu den Folgegesetzen werden meine Kollegin Frau Dr. Flitz und ,der Kollege Busse sprechen. Die Fragen des Zusammentritts der parlamentarischen Organe, ihrer rechtzeitigen Beschlußfassung über die Ausrufung des Notstandes und ihrer Möglichkeiten sind von meinen Vorrednern bereits angesprochen worden. Ich kann es mir daher ersparen, hierauf ausführlich einzugehen. Wir sollten ernsthaft bedenken, was der Kollege Schäfer hier vorgetragen hat: ob es im Interesse der Sicherstellung von Freiheit und Demokratie nicht doch notwendig ist, die Frage der Zweidrittelmehrheit eingehend zu prüfen. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß die Feststellung gemäß Art. 115 a Dorn Abs. 1 nicht durch den Bundeskanzler und den Bundespräsidenten allein geschehen darf. Es sollte vielmehr von vornherein deutlich klargestellt werden, daß im äußersten Falle zumindest das Notstandsparlament entscheidet, wenn nicht das Parlament selber diese Entscheidung mit Zweidrittelmehrheit treffen kann. Wenn dieser Ausschuß oder dieses Notparlament, von dem hier die Rede ist, nicht mehr in der Lage sein sollte, eine solche Entscheidung zu treffen, so taucht die Frage auf, ob es dann überhaupt noch sinnvoll sein kann, daß der Bundespräsident und ,der Bundeskanzler Entscheidungen treffen, weil es dann nämlich fraglich ist ,ob das, was dann zu entscheiden ist, überhaupt noch sinnvoll für unser Volk entschieden werden kann. Wir meinen also, daß das Notparlament unabdingbare Voraussetzung für die Handhabung der in Art. 115 a angesprochenen Regelung sein muß. Bevor ich nun zu dem Kernproblem dieses Gesetzes, so wie wir es sehen, der 'Einschränkung der Grundrechte komme, möchte ich noch einige andere Fragen ansprechen, die uns auch im Ausschuß noch eingehend beschäftigen werden. Herr Kollege Schäfer hat die Frage des inneren Notstandes angesprochen und hat gesagt, dieser Gesetzentwurf sei für seine Fraktion keine Diskussionsgrundlage. — Für den inneren Notstand, Herr Kollege Schäfer. Da stimmen wir nicht ganz mit Ihnen überein. (Abg. Dr. Schäfer: Aber der Minister ist mit mir einig!)


(Beifall bei der SPD.)





(Beifall bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)





(Anhaltender Beifall bei der SPD.)

Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0405600600
Wolfram Dorn (FDP):
Rede ID: ID0405600700




(Abg. Dr. Schäfer: Für den inneren Notstand!)


— Ob Sie mit dem Minister aber in der Konsequenz einig sind, ist eine Frage, die ich lebhaft zu bezweifeln wage. Die Formulierungen über den inneren Notstand sind für meine Fraktion durchaus eine Diskussionsgrundlage. Inwieweit man nachher zu Änderungen in diesem Bereich kommen wird, ist eine ganz andere Frage, über die man sich im Ausschuß unterhalten muß. Wir werden einerseits ernsthaft bemüht sein müssen, vor allen Dingen alle Ermächtigungsbestimmungen so zu formulieren, daß ein Mißbrauch auch durch Böswillige ausgeschlossen wird. Wir werden andererseits nicht umhinkönnen, Tatbestände zu schaffen, die es ermöglichen, auch in solchen Situationen angemessen und gesetzmäßig zu handeln, die wir in ihren Ursachen und Auswirkungen heute noch nicht erkennen können. Ich meine aber, daß wir uns dieser Aufgabe gewachsen zeigen werden, wenn wir uns bei unseren Beratungen von zwei Gesichtspunkten leiten lassen, einmal davon, daß die gesetzliche Regelung gerade den Zweck verfolgen muß, auch unter Verhältnissen, in denen die normalen Institutionen unseres Staates nicht mehr aktionsfähig sind, noch gesetzmäßig handeln zu können. Die Rede des Cicero „Pro Milone", in der er ausführt: „Silent leges inter arma" — „Im Waffenlärm schweigen die Gesetze" — kann für uns nicht Grundlage der Betrachtung des äußeren Notstandes sein.
Zum zweiten muß es letztes Ziel jeder Ausnahmegesetzgebung sein, den Ausnahmezustand zu beseitigen und für diesen Zweck die erforderlichen Mittel zu mobilisieren, um möglichst bald wieder zu
normalen Zuständen zurückzukehren. Dazu gehört nach unserer Meinung auch, Herr Innenminister, daß der Erlaß von Notverordnungen nur dazu dienen kann, die organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung der Notgesetze zu schaffen. Wir sollten uns aber von der Idee des Entwurfs freimachen, Gesetze durch Notverordnungen zu ersetzen,

(Abg. Dr. Schäfer: Gut!)

und, Herr Minister, ich meine, Sie sollten die Unabdingbarkeit, von der Sie im Zusammenhang mit dem Notverordnungsrecht gesprochen haben, wirklich einer ernsthaften Überprüfung unterziehen.

(Sehr gut! bei der SPD.)

Die Haltung, die Sie hier vertreten haben — j'y suis, et j'y reste; ich bin hier und ich bleibe hier, und ich bin nicht bereit, von dieser Auffassung abzugehen —, wird nach meiner Auffassung im Ausschuß noch zu erheblichen Auseinandersetzungen führen können.
Ein anderes Problem, das hier angesprochen werden muß, ist der Einsatz von Streitkräften im Innern zur Bewältigung von polizeilichen Aufgaben und zur Unterstützung der Polizei. Auch wir sind der Meinung, daß im Bereich des äußeren Notstands eine einheitliche Führung durch einen Beauftragten notwendig ist, wenn eine solche Zwangslage, von der man in dem Gesetzentwurf ausgeht, eintritt, die den Einsatz der Streitkräfte erfordert. Aber da es auch hier eindeutig feststeht und expressis verbis im Gesetz verankert ist, daß es sich bei dem angesprochenen Einsatz um polizeiliche Aufgaben handelt, vertreten wir die Meinung, daß dieser Beauftragte zur Bewältigung der Zwangslage dann nur ein Vertreter der Polizei sein kann.

(Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

Nun hat Herr Kollege Hoogen — genau wie wir es damals in der Rundfunkdiskussion erlebt haben — bereits die Frage der Nachfolge des Kanzlers auch als Oberbefehlshaber der Bundeswehr angesprochen. Ich muß sagen, daß auch wir Ihre Bedenken und Sorgen, Herr Kollege Hoogen, teilen. Wir sind der Meinung, daß diese Frage unbedingt in diesem Gesetz geregelt werden muß.
Nun, meine Damen und Herren, komme ich zu einem etwas heißen und, wenn Sie wollen, sehr umstrittenen Kapitel. Ich bin trotzdem der Meinung, daß wir die Dinge hier in aller Offenheit aussprechen sollten.
Sowohl vom Herrn Minister wie auch vom Herrn Kollegen Schäfer ist die Frage des Streikrechts, die Frage der Koalitionsfreiheit angesprochen worden. Der Herr Minister hat erklärt, der Arbeiter denke, wenn eine solche Zwangslage bei uns eintrete, nicht in erster Linie an Streik. Wir sind mit Ihnen völlig einer Meinung, Herr Minister; nur, glaube ich, kann man bei einer gesetzlichen Regelung, die wir ja nicht für den augenblicklichen Zustand und vielleicht auch nicht für die augenblickliche wirtschaftspolitsche Situation unseres Volkes treffen, nicht davon ausgehen, daß immer alles so bleibt, wie es zur Zeit ist.



Dorn
Wenn man also an eine Regelung für die Zukunft geht, sollte man auch in aller Offenheit ernsthaft über die Frage sprechen, die hier aufgeworfen worden ist.
Auch wir Freien Demokraten sind der ;Meinung, daß dieses Problem für den Fall des inneren Notstandes absolut keine Rolle spielt. Wir sind aber auch der Auffassung — und da dad ich hier eine Reihe von Vertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes und auch von früheren Vertretern der deutschen Gewerkschaften zitieren —, daß wir für den Fall des äußeren Notstandes, also des Krieges, das Problem des Streikrechts ernsthaft prüfen müssen. Denn ich bin persönlich der Meinung, daß wir auch diese Frage in diesem Gesetz regeln müssen. In dem Moment, wo wir uns bereit finden, durch die Folgegesetze, das Selbstschutzgesetz und das Zivildienstgesetz, Millionen von Menschen zu verpflichten, für den Staat und für die Allgemeinheit in einer Sondersituation auf Zeit etwas Besonderes zu tun —wahrscheinlich müßten dann wiederum Millionen von Menschen in Uniformen Dienst tun; ich spreche nur vom äußeren Notstand —, sollte man, meine ich, die Frage prüfen, ob man für den Fall des äußeren Notstandes das Streikrecht noch akzeptieren kann. Wir gehen ja davon aus, daß der politische Streik nicht zur Diskussion stehen kann. Auch der DGB hat das sehr deutlich erklärt. Aber wegen sozialpolitischer Fragen wird man in einer solchen Zeit doch wohl nicht mehr daran denken, Streiks durchzuführen. Wenn man das nicht will, sollte man aber auch den Mut haben, diese Frage in diesem Gesetz sehr offen anzusprechen und zu regeln.
Die Gewerkschaften in Deutschland haben sich dazu, auch zur Frage des politischen Streiks, ja eindeutig geäußert. Sie haben in der Frage des politischen Streiks eigentlich seit dem Gewerkschaftskongreß in Köln im Jahre 1905 konsequent immer eine bestimmte Richtung durchgehalten und bekennen sich heute erneut dazu. Uns liegen natürlich auch Äußerungen anderer Richtungen vor. Aber ich glaube, daß diejenigen, die im Deutschen Gewerkschaftsbund diese Frage dann zu entscheiden haben, sich so entscheiden werden, wie wir es von ihnen glauben erwarten zu können.
Der Herr Bundesinnenminister hat gesagt, wir müßten bei der Durchsetzung dieses Gesetzes davon ausgehen, daß wir auf einen Teil der Freiheit vorübergehend verzichten müßten, um die Freiheit für uns alle gemeinsam auf Dauer zu erhalten. Herr Innenminister, wir sind völlig einig mit Ihnen. Die Frage ist nur, ob wir auch beide den gleichen Teil meinen, auf den wir hier vorübergehend verzichten müssen.
Wenn wir uns — und damit lassen Sie mich zu dem nach unserer Auffassung politischen Kernstück des Entwurfs kommen — einmal vor Augen führen, auf welche Freiheiten wir hier vorübergehend verzichten sollen, so muß ich sagen, daß das, was auf Grund des vorliegenden Gesetzentwurfs soll eingeschränkt werden können — die Grundrechte aus Art. 5, Art. 8, Art. 9 Abs. 1 und 2 und Art. 11 des Grundgesetzes —, nach unserer Meinung viel zu weit geht. Denn mit dieser Formulierung können Sie praktisch die Grundrechte des Art. 5 des Grundgesetzes von vornherein außer Kraft setzen; mit dieser Formulierung bleibt in der Praxis von der Handhabung dieser Grundrechte nichts mehr übrig. Wenn man dazu bedenkt, daß das Einschränkungsrecht unter Umständen auch noch im Rahmen der Delegation auf die Landräte, Bürgermeister und Oberkreisdirektoren verlagert werden kann, sind wir Freien Demokraten der Auffassung, daß bier ein unübersehbares Stoppzeichen aufgerichtet werden muß. Bei aller Anerkennung der kommunalpolitischen Fachqualifikation muß doch gesagt werden, daß jeder Hauptverwaltungsbeamte von der Sache her völlig überfordert ist, wenn er entscheiden soll, welche Grundrechte in seinem Befugnisbereich eingeschränkt werden könnten.
Auch wir sind der Meinung, daß im Kriegsfall, also im äußeren Notstand, die Übermittlung und Veröffentlichung von Nachrichten aus Gründen der militärischen Sicherheit unseres Volkes unter Umständen erheblich eingeschränkt werden müssen. Aber, Herr Minister, wir bekennen uns auf der anderen Seite zu dem uneingeschränkten Grundrecht der freien Meinungsäußerung, auch im Bereich der Publikation, auch im Zustand des äußeren Notstandes, und wir sind der festen Überzeugung, damit der Freiheit unseres Volkes den größten Dienst zu erweisen. Ein wahrhaft freiheitlicher Mensch wird sich nämlich immer in ganz besonderem Maße an die Einheit und die Verpflichtung zum Ganzen seines Volkes gebunden fühlen.
Wir stimmen mit Ihnen überein, Herr Bundesinnenminister, daß der Freiheit des einzelnen die Verpflichtung des einzelnen unabdingbar gegenübersteht. Das wollen wir auch an dieser Stelle eindeutig bestätigen.
Darüber hinaus müssen wir aber feststellen, daß zu den Grundsätzen, die einer Verfassungsänderung entzogen sind, auch die gewaltenteilende Grundordnung gehört, die Art. 20 des Grundgesetzes statuiert. Herr Kollege Schäfer hat diesen Problemkreis bereits angesprochen. Dadurch sollen Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit unabänderbar gewährleistet sein. Nach unserer Auffassung verstößt der Entwurf des uns vorliegenden Gesetzes gegen diesen Grundsatz, indem er die Rechtsetzungsbefugnis zwar nur im äußersten Falle, aber immerhin der Exekutive überantwortet. Man ist also im Begriff, die Pressefreiheit durch die verhängnisvollen Fehler des Pressenotrechts von 1931 erneut einzuschränken,

(Abg. Dr. Schäfer: Sehr gut!)

indem man die Einschränkung der Pressefreiheit Verwaltungsbehörden überantwortet und diese damit zu Richtern in eigener Sache macht.
Herr Innenminister, auch wir sind bereit, mit Ihnen gemeinsam Gespräche mit dem Deutschen Presserat oder den Vertretern der Presse in der Bundesrepublik zu führen, um ein System der freiwilligen Selbstkontrolle aufzubauen. Das schließt aber nicht aus, daß die Frage der Garantie der Pressefreiheit jetzt erst in diesem Gesetz geregelt werden muß, damit man nicht diese Dinge jetzt so regelt, wie sie im Entwurf stehen, und nachher braucht man natürlich



Dorn
keine Zweidrittelmehrheit mehr für die dann erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen.
Meine Damen und Herren, wir werden um diesen Gesetzentwurf und die Entwürfe der Folgegesetze in den nächsten Monaten noch heftig ringen müssen. Lassen Sie uns aber bei den jetzt beginnenden Ausschußberatungen immer daran denken: die Freiheit kann man nicht organisieren, auch nicht durch noch so gut gemeinte Vorschläge und Verordnungen. Die Freiheit kann man nur erkämpfen, wenn man sie nicht besitzt. Wenn man sie aber besitzt, dann muß man sie mit kühlem Verstand und mit heißem Herzen davor bewahren, so sehr eingeschränkt zu werden.

(Beifall bei der FDP.)


Dr. Carlo Schmid (SPD):
Rede ID: ID0405600800
Meine Damen und Herren, die Fraktionen haben sich darauf geeinigt, die Mittagspause jetzt eintreten zu lassen. Wir unterbrechen unsere Sitzung bis 14.30 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung von 12.35 bis 14.32 Uhr.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0405600900
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leber.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0405601000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fragen, die hier zur Aussprache stehen, bewegen sich alle um denselben Themenkreis: den Staat, die Freiheit, das Recht, die Demokratie. Ich möchte mich in den Ausführungen, die ich zu machen habe, nicht so sehr mit allen Einzelheiten der Vorlagen auseinandersetzen. Ich möchte auch nicht auf den gesamten Themenkreis, der von den zur Debatte stehenden Gesetzen her gegeben ist, eingehen. Ich möchte mich vielmehr darauf beschränken, namens meiner Fraktion einen ganz bestimmten Teil herauszugreifen, von dem wir der Auffassung sind, daß er für die Beurteilung der Gesetzesmaterie von außerordentlicher Bedeutung ist. Ich meine damit das Verhältnis von Arbeitnehmern und Gewerkschaften zu den Entwürfen, die hier vorgelegt sind.
Die in abhängiger Arbeit beschäftigten Arbeitnehmer sind der größte Teil unseres Volkes. Die Gewerkschaften sind die größten demokratischen Organisationen in unserer Gesellschaft. In diesem Teil des Volkes, in den Gewerkschaften,. sind seit Jahren Diskussionen über die Frage eines Notstandsrechts entbrannt.
Ich habe nicht die Absicht, die Gespräche, die in den Gewerkschaften geführt werden und die seit Jahren im Gange sind, in den parlamentarischen Raum zu verlagern oder sie vielleicht auf dieser Ebene fortzuführen. Ich habe auch nicht die Absicht, das, was vielleicht schon vergessen ist, deshalb wieder in die Erinnerung zu rufen, weil ich Wunden aufreißen möchte. Ich habe auch nicht die Absicht, Vorwürfe da zu machen, wo vielleicht Vorschläge, die in die Zukunft weisen könnten, am Platze wären. Es ist meine Aufgabe, nicht neue Mißverständnisse auszulösen, sondern den Versuch zu machen, bestehende Mißverständnisse nach Möglichkeit klären zu helfen.
Wir kommen aber nicht daran vorbei, daß wir uns in aller Offenheit über die Fragen, die hier gestellt sind, deswegen unterhalten, weil in den letzten Jahren eine Reihe von Unklarheiten entstanden sind, die draußen im Lande in großen Teilen des Volkes eine schlechte Atmosphäre erzeugt haben. Ich habe manchmal das Gefühl, daß da etwas Ähnliches wie eine Art Notstandspsychose entstanden ist, an der die, die darunter leiden, nicht die Hauptschuld haben. Wir müssen vielmehr prüfen, inwieweit von anderer Seite Dinge ausgelöst worden sind, die nicht gut waren.
Wir haben heute mit Befriedigung — ich kann das jedenfalls auch für mich sagen — die Rede des Herrn Bundesinnenministers gehört. Es war eine versöhnliche Rede. Ich hätte nur gewünscht, daß in dem Stil, in dem das heute hier geschieht, die ganze Notstandsdebatte schon seit Jahren geführt worden wäre. Dann hätten wir uns in der deutschen Öffentlichkeit manches ersparen können.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Dadurch, daß das nicht geschehen ist, ist in großen Teilen des Volkes Mißtrauen geweckt worden. Es sind Mißverständnisse entstanden, es ist Unbehagen entstanden, mit dem wir so leicht noch nicht fertig geworden sind.

(Abg. Dr. Mommer: Der Herr war im falschen Ministerium! — Weitere Zurufe von der SPD.)

Ein Volk, das sich bereitmachen will, eine mögliche Notzeit zu überstehen, muß vor allen Dingen an zweierlei denken. Hier wird immer nur so sehr von dem einen geredet: daß man sich über eine bestmögliche Lösung verständigen muß, mit der man für den Fall eines Notstandes durch gemeinsames Eintreten und zielbewußtes Handeln einen solchen Notstand überwinden kann. Es gibt ein Zweites: Das beste Gesetz, die beste gesetzgeberische Lösung, die beste Organisation und das beste Notstandssystem bleiben am. Ende wirkungslos, wenn es nicht gleichzeitig gelingt, im Volke so viel Vertrauen zueinander zu erwecken, wie notwendig ist, um den Staat in seiner schwersten Krise über diese Krise hinwegzubringen.

(Beifall bei der SPD.)

Das ist meiner Auffassung nach bisher nicht versucht worden. Es geht nicht, nur auf dem Wege über die Gesetzgebung, nur über administrative Maßnahmen sich so etwas vorzunehmen, sondern eine der Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, um das Ganze überhaupt zum Gelingen zu bringen, ist das Vertrauen.
Gestatten Sie mir deshalb, daß ich über das, was wir hier unter Vertrauensbasis verstehen, einiges sage. Von Anfang an sind da Fehler gemacht worden. Auf einer sehr schmalen Basis — so im geheimen Kämmerlein des Kabinetts, einem kleinen Kreis in der Regierungskoalition — ist ein Entwurf erarbeitet und diskutiert worden, ohne daß man den Versuch gemacht hat, mit wesentlichen Kräften des



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Volkes, die gerade an diesem Gesetzeswerk ein Interesse haben, ein wenig Kontakt aufzunehmen, und zwar in dem Stadium, in dem die Sache vor drei, vier Jahren begonnen hat. Dann wurde eine Vorlage eingebracht; die war auslegbar, die war unklar, die war gefährlich und nicht nur geeignet, für den Fall eines Notstandes die demokratische Freiheit zu sichern, sondern sie war zu noch viel mehr geeignet, je nach dem, wie der, der sie gehandhabt hätte, dieses Handwerkszeug für sich genutzt und eingesetzt hätte. Sie war auch geeignet, die Beschränkung von verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten zu anderen Zwecken zu mißbrauchen oder gar diese Rechte und Freiheiten abzuschaffen. Sie wäre auch ein geeignetes Werkzeug in den Händen von Menschen gewesen, die die Absicht gehabt hätten, das Gegenteil von dem zu machen, was von dem Gesetzgeber eigentlich damit gewollt gewesen wäre.
Dazu kommt, daß diese schlechte Vorlage innen und außen mit schlechten Argumenten vertreten worden ist, daß das Ganze in einem unguten Spiel zu Auseinandersetzungen geführt hat, die uns dahin gebracht haben, wo wir heute in dieser Angelegenheit sind. Es kann den Gewerkschaften niemand übel nehmen, daß sie befürchten mußten, daß nicht nur der Notstand der Demokratie und des Staates gemeint war, sondern daß auch sie selber, ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit, nebenbei mitgemeint gewesen waren.
Ich habe nicht die Absicht, hier Anklage zu erheben, auch nicht dem Minister gegenüber, der die Dinge damals hier zu vertreten hatte, insbesondere deswegen, weil ich glaube, daß sich Herr Dr. Schröder als Außenminister — und das ist ja erfreulich — ein wenig anders verhält und vielleicht als Innenminister gelernt hat, was er als Außenminister nicht tun darf und was er als Außenminister am besten tun sollte. Es wäre aber gut gewesen, wenn diese Erkenntnis schon vor einigen Jahren bei ihm Platz gegriffen hätte.
Ich möchte auch klarstellen, daß es trotz dieser Widrigkeiten in all den Jahren nicht ein einziges Mal eine gewerkschaftliche Aktion gegen die Notstandspläne, von wem sie auch immer geäußert worden sind, gegeben hat. Es hat aber eine sehr starke Reaktion der Gewerkschaften auf das gegeben, was ihnen in der Öffentlichkeit bekanntgeworden ist. Dazu hatten sie auch, glaube ich, ein gutes Recht. Ich möchte die Frage aufwerfen: selbst wenn es möglich gewesen wäre, diese Entwürfe in diesem \\schlechten Stil durchzusetzen, was wäre dann eigentlich gewonnen ,gewesen? Ich sage: nicht viel; denn das wäre eine leere Schale gewesen, mit der man für den Fall der Fälle wahrscheinlich praktisch nichts hätte anfangen können.
Gestatten Sie mir, daß ich in diesem Zusammenhang zur Beurteilung der Rolle der Gewerkschaften auf einiges hinweise. Ich denke dabei nicht nur an unseren heutigen Staat. Als einer der Jüngeren, die schon deswegen nicht befangen sein können, weil sie damals nicht selber dabei waren, die sich aber sehr dafür interessiert haben, wie das alles gekommen ist, möchte ich ein paar Worte über das sagen,
was vielleicht im Zusammenhang mit dem, was hier geplant ist, aus der Weimarer Zeit erwähnenswert ist.
Ich habe vom fehlenden Vertrauen gesprochen. Dazu kommt noch etwas: das ist das Staatsbewußtsein. Ich bin der Überzeugung, daß bei der Errichtung des Weimarer Staates ein Fehler begangen worden ist, nämlich der, daß man den Versuch gemacht hat, Freiheit des Bürgers als Freisein von jedweder staatsbürgerlichen Verpflichtung in diesem Staat, von jedweder Verpflichtung diesem Staat gegenüber zu begreifen. Der Bürger durfte frei sein von jeder Verpflichtung ,dem Gemeinwesen gegenüber. So durften in der Weimarer Republik der Staat und die Freiheit begriffen werden.
Dieser Versuch, zum erstenmal in Deutschland eine Demokratie 2u errichten, ist fehlgeschlagen, und zwar — ,das ist meine Überzeugung — nicht nur deswegen, weil er von einigen oder vielen eingerissen wurde, sondern vor allem auch deswegen, weil diese Verpflichtung dem Staat gegenüber nicht erzeugt worden ist, weil niemand da war, um im entscheidenden Augenblick für ihn in die Bresche zu springen, weil es an dem Staatsbewußtsein diesem Staat gegenüber gefehlt hat.

(Beifall bei der SPD.)

Betrachte ich die Situation von heute, dann habe ich das Gefühl, daß viele von uns sehr leichtfertig sind, wenn sie an dieses Staatsbewußtsein hier im Lande denken. Das Staatsbewußtsein und das Vertrauen in den Staat sind zwei Dinge, die unlösbar miteinander verbunden sind. Jeder, der sich 'draußen in der Bevölkerung umhört, wird mir bestätigen, was ich jetzt sage. Ich habe eine große Sorge: wenn eines Tages diese sogenannte Decke des Wohlstandes ein wenig von dieser Bevölkerung gezogen wird, werden wir alle erschrocken sein, wie wenig Staatsbewußtsein es in den breiten Schichten dieser Bevölkerung gegenwärtig gibt. Das ist vielleicht schon ein Stückchen Notstand für sich. Das ist ein wichtiges Problem mit dem man sich diesseits der Gesetzesmaterie befassen muß. Denn die Gesetze nützen nichts, wenn nicht in dem Vorfeld in diesem Staat die Dinge geklärt und in Ordnung gebracht worden sind.
Unter diesen Umständen spielen natürlich große demokratische Organisationen wie die Gewerkschaften eine wichtige Rolle. Ich möchte versuchen, das, worauf es mir ankommt, hier darzustellen, und zwar so, daß man mich nicht der Befangenheit zeihen kann. Ich tue das aus dem Ernst und dem Verantworttungsbewußtsein, die auch wir in dieser Frage verspüren. Die Gewerkschaften sind die größten demokratischen Organisationen in diesem Lande. Sie sind das auch dann, wenn man weiß, daß nicht alle Arbeitnehmer in ihren Reihen organisiert sind. Es sind aber :immerhin 7 Millionen; das ist etwa ein Drittel derer, die in abhängiger Arbeit tätig sind. Mich interessiert in diesem Zusammenhang nicht der wirtschaftliche und soziale Teil ihres Aufgabenkreises, sondern etwas anderes.
Die Arbeitnehmer — das ist die Mehrheit des Staatsvolkes —, die Mitglieder der Gewerkschaften



Leber
sind, die gewerkschaftlich organisiert sind, sind das deswegen, weil sie bereit sind, sich in diesen Vereinigungen für ihre unmittelbaren persönlichen, auch materiellen Interessen persönlich einzusetzen und dafür Opfer zu bringen. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß jemand, der nicht einmal bereit ist, sich für seine persönlichen, seine unmittelbaren materiellen Interessen in einer Gewerkschaft einzusetzen, auch unzuverlässig ist, wenn es um Dinge geht, die viel weiter weg liegen als seine persönlichen materiellen Interessen, beispielsweise die Freiheit, der Staat oder die Demokratie.

(Beifall bei der SPD.)

Deshalb, glaube ich, darf ich mit Recht feststellen, daß dieser größte und aktivste Teil unseres Volkes auch im Hinblick auf sein Verhältnis zum Staat zuverlässiger ist als dier andere Teil, der sich um nichts kümmert, nicht einmal um seine eigenen Angelegenheiten.

(Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, das mag dem einen oder dem anderen vielleicht nicht ganz so gefallen, wenn ich das hier sage. Das hängt auch mit dem Verhältnis zu den Gewerkschaften zusammen. Aber da muß man sich einmal ein bißchen frei machen. Es geht hier nicht um Interessen, sondern um das allem übergeordnete Interesse: um den Staat, um die Gemeinschaft, in der wir leben, auch für die, die nicht Gewerkschaftler sind, auch wenn wir etwas gegen sie haben. Ich meine, das ist eine wichtige Sache, und ich glaube, daß von da her auch die Gewerkschaften ihr legales Interesse und ihre Verantwortung ableiten können und müssen, die hier im Hinblick auf die Notstandsfrage eine Rolle spielt.
Dazu kommt ein weiteres. Da sind geschichtliche Erlebnisse und Erfahrungen, die man nicht einfach wegwischen kann, die auf die Gewerkschaften auch heute noch erheblichen Eindruck ausüben. Die Gewerkschaften sind hier nicht anwesend. Aber wir alle, die wir hier diese Gesetze zu beschließen haben, die wir darüber zu befinden haben, welche Lösungen einmal für den Fall des Notstandes gelten sollen, sollten uns bei allem, was wir tun, daran erinnern, daß diese große Bewegung in unserer Gesellschaft dann auch mit im Spiel sein wird, so oder so, daß die Menschen da sein werden, daß sie Stellung beziehen, daß sie eine Rolle übernehmen werden und wahrscheinlich eine übernehmen müssen und daß es eine gefährliche Enttäuschung geben würde, wenn wir den Versuch machen würden, gesetzliche Regelungen zu schaffen gegen den Willen dieser breiten Volksschichten, oder gar nicht den Versuch machen wollten, sie dabei mit ins Vertrauen zu ziehen und nach Möglichkeit eine Verständigung über das, was zu geschehen hat, herbeizuführen.

(Beifall bei der SPD.)

Das sind im ganzen die Vorwürfe, die ich zu machen habe, und das, was ich in Erinnerung zu bringen habe im Hinblick auf das Mißtrauen, das in den letzten Jahren entstanden ist und das uns die Arbeit hier, glaube ich, doch sehr erschwert.
Dann kommt die zweite Etappe. Herr Bundesinnenminister Höcherl, wir haben uns alle sehr gefreut darüber, als Sie ihr Amt antraten und eine der ersten Erklärungen, die ich von Ihnen gehört habe, die war: „Ich will versuchen, nach Möglichkeit mit all den Schichten, die an dieser Frage interessiert sind, Einvernehmen zu erzielen." Ich habe mir gedacht: das ist ein großes Vorhaben, aber für den guten Willen allein müssen wir .dem Herrn Höcherl schon dankbar sein. Aber dann war ich auch ein wenig enttäuscht; das möchte ich hier nicht verschweigen.

(Zuruf von der CDU/CSU.)

Der Herr Bundesinnenminister hat es nämlich nicht leicht gehabt. Er hat ja eine Erbschaft übernommen, eine Hinterlassenschaft des Mißtrauens, und der gute Wille: „ich will es anders machen" bringt allein noch keine Wende. Das möchte ich ihm gern zugute halten. Es hat natürlich auch Freunde gegeben, die haben gesagt: „Trau dem Höcherl nicht;"

(Heiterkeit)

— entschuldigen Sie, wenn ich das hier so sage —„der macht's nur geschickter als der andere, der fängt es nur gescheiter an als der andere; in Wirklichkeit will er aber dasselbe. Wir wollen mal abwarten, was er tut, nicht, was er im voraus erklärt." Dann kam etwas, das natürlich dem Faß den Boden ausgeschlagen hat. Die erste Erklärung, die der Herr Bundesinnenminister abgegeben hat, gab er in einem Fernsehgespräch ab; ich weiß nicht mehr genau, wann es war; Sie werden sich vielleicht daran erinnern. Ich habe dieses Fernsehgespräch gesehen und bin fast vom Stuhl gefallen, als ich hörte, daß das Beispiel von der Alete-Milch erwähnt wurde: daß, falls kein Milchpulver mehr erzeugt werden könne, ein Notstand eintreten würde; dann müsse man Soldaten und Polizei einsetzen, um die Milchpulverproduktion aufrechtzuerhalten. Herr Bundesinnenminister, ich habe mir gedacht: „Na ja, das ist eine neue Materie;

(Heiterkeit bei der SPD)

der Herr Minister hat sich noch nicht so genau eingearbeitet, und die hellen Scheinwerfer — das wird schon nicht so gemeint gewesen sein." Ich war aber sehr erstaunt, als Sie dasselbe dann in vertraulichem Gespräch in Ihrem Hause vor Experten wiederholt haben, daß Sie das also für ein Beispiel halten, von dem her man den Status des Notstandes erklären könnte.
Nun, Herr Minister, gestatten Sie mir dazu einige Bemerkungen. Sehen Sie, das hat draußen Meinung gemacht. Das war Ihre erste Äußerung; die ist den Leuten unter die Haut gegangen, die hat ihr Mißtrauen genährt. Das hat die wieder nach vorn gebracht, die gesagt haben: „Warte erst mal ab, was er tut!" Und dann kommt er mit der Erklärung heraus! — Ich möchte dazu sagen: Selbst wenn die Milchfabrik, die die Alete-Milch herstellt, bestreikt werden sollte, entsteht da kein Notstand.

(Zuruf von der SPD: Aber wenn's ans Bier geht! — Heiterkeit.)




Leber
Das ist zwar sehr wichtig, meine Damen und Herren, ob dieses Milchpulver erzeugt wird oder nicht. Aber ich kann mir denken, daß es eine Zeit gegeben hat, in der es keine Alete-Milch gab. Ich bin z. B. mit Kuhmilch aufgezogen worden, Herr Minister,

(Heiterkeit bei der SPD)

und daraus ist ja auch nicht gerade etwas Schlechtes geworden.
Wenn so ein Streik ausbricht, beispielsweise in einer solchen Milchfabrik, dann geht es den Gewerkschaften nicht darum, den Kindern die Milch zu nehmen, die sie vielleicht auch auf Grund ärztlicher Empfehlung dringend gebrauchen können, sondern sie verfolgen ein sozialpolitisches Ziel. Der Unternehmer hat es ja auch in der Hand, ob er die Forderungen der Gewerkschaften erfüllt, und dann wird eben weiter Milch produziert. Im übrigen sind am Beginn eines solchen Streiks ja noch Vorräte da. Es ist noch nicht alles ausverkauft, sondern man hört auf, zu produzieren. Dann gibt es etwas Ähnliches auch im Ausland. Es steht nur ein anderes Schild auf der Verpackung. Das kann man sich auch besorgen, soweit es darauf ankommt, die Not der armen Kindlein zu beseitigen, die keine Milch haben. Aber das ist wahrscheinlich nicht gemeint gewesen, sondern der wirtschaftliche Ausfall, der beim Unternehmer entsteht.
Der ist legal, meine Damen und Herren. Daran müssen wir uns in einer demokratischen Gesellschaft gewöhnen, daß der Streik ein legales Mittel ist, daß er so legal ist wie das Arbeiten selber und daß beim Streik auch wirtschaftliche Ausfälle, wirtschaftliche Nachteile für den entstehen, der bestreikt wird. Ich habe nicht gehört, daß im Zusammenhang mit der Notstandsfrage die Aussperrung für ungesetzlich erklärt werden soll. Das ist ja auch etwas Wichtiges, dann könnte auch nicht mehr produziert werden.

(Beifall bei der SPD.)

Nun noch ein ernstes Wort dazu: Es wird ja immer politisch gemeint, es wird staatspolitisch argumentiert, und dahinter wird wirtschaftlich gedacht. Wenn der Ausfall der Produktion von Milchpulver zu einem Notstand führte, würde mit Sicherheit auch eine einfache Preiserhöhung dieses Unternehmens zum Notstand führen, weil dadurch eine ganze Anzahl von Kindern, weil deren Eltern das nun nicht mehr bezahlen können, vom Bezug der Milch ausgeschlossen werden. Dasselbe gilt, wenn der betreffende Unternehmer beispielsweise sagt: Ich produziere nicht mehr für das Inland, ich exportiere mein Milchpulver ins Ausland, da bekomme ich mehr. Das steht alles in einem Zusammenhang. Sie dürfen es den Gewerkschaften nicht übel nehmen, daß sie, wenn solche Beispiele genannt werden, sehr genau hinhören, um sich dann ihre Meinung zu bilden, und daß diese Meinung nicht gut ausfällt, wenn vorher schon ein geharnischtes Paket an Mißtrauen vorhanden ist.
Die zweite Perspektive, die sich ergibt, ist die Tatsache, daß hier der Streik gemeint ist, nicht nur der Streik in einer Milchfabrik, sondern der Streik
schlechthin. Es gibt sicher noch wirkungsvollere Beispiele als die Erzeugung von Milchpulver.
Das Recht zum Arbeitskampf ist ein legitimes Recht, das im Grundgesetz verankert ist. Das Streikrecht, meine Damen und Herren, ist ein Wesensmerkmal, ein Wesenselement des freien demokratischen Staates, und zwar auch hier bei uns in der Bundesrepublik. Daran müssen sich viele noch gewöhnen. Das mag ein bißchen unbequem sein, wie die Demokratie im ganzen nicht die bequemste Art ist, Zusammenleben in einem Staat zu organisieren. Das gilt auch für die Gewerkschaften und natürlich auch für den Streik.

(bilden. Diese sind deswegen wieder von der Bildfläche verschwunden, weil sie .das Wesensmerkmal Streikrecht bei uns in der Bundesrepublik nicht bejaht haben. Durch dieses Streikrecht unterscheiden sich gerade die freien Gewerkschaften in einem freien demokratischen Staat von einer Diktatur. Durch die Bejahung des Streikrechts und die Anerkennung des Streikrechts im Staat unterscheiden sich auch die Gewerkschaften hier in der Bundesrepublik von den sogenannten Freien Deutschen Gewerkschaften in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik und im Ostblock überhaupt. Sie werden verstehen, daß sich das Ganze in den Augen der Arbeitnehmerschaft und ihrer Gewerkschaften ein bißchen anders ansieht, als wenn man von außer her darüber theoretisiert. Für diese Millionen von Menschen im Staate sind das Elemente, die geradezu den demokratischen Staat für sie ausmachen, und sie möchten nicht, daß der im wesentlichen verändert wird. Wenn man ihnen solche Grundfreiheiten und Grundrechte nimmt oder beschneidet, dann ändert sich in ihren Augen am Staate etwas, und das ist sehr wichtig, auch für den Fall, daß wir daran denken, einen Notstand miteinander überstehen zu müssen. Dann ist das zweite Argument in die Diskussion gekommen: „Wir sind ein wichtiges Exportland, wir leben vom Export, und durch Kampfmaßnahmen könnte unsere Exportfähigkeit vermindert werden; es könnte da allerlei geschehen, deshalb muß man also hier auch in gewissem Umfange an den Streik und das Streikrecht denken." Nun, ich will darüber nicht längere Ausführungen machen. Wie das in einer alten gewachsenen Demokratie zugeht, das sehen wir seit einigen Wochen in den Vereinigten Leber Staaten von Amerika: an dem Hafenarbeiterstreik, der da geführt wird. Man mag darüber denken, wie man will. Ob der schön ist oder unschön ist, ob der lange dauert oder nicht, — in Amerika hat wahrscheinlich nicht ein einziger Amerikaner daran gedacht, von Verfassungs oder Rechts wegen diesen Streik aus der Welt zu schaffen, sondern alle Welt bemüht sich, diesen Streik beizulegen dadurch, daß man vermittelt, daß man schlichtet, daß man versucht, Vorschläge zu machen, daß man mit dem und mit dem redet, auf eine legale demokratische Weise, aber nicht mit den Mitteln des Zwanges, von Amts wegen oder von Staats wegen das tut, was auf andere Weise nicht möglich ist. Aber gestatten Sie mir, hier noch etwas zu erwähnen — weil das sicher nicht allen Damen und Herren bekannt ist —: soweit es sich um die Auswirkungen gewöhnlicher Arbeitskämpfe handelt. Die Gewerkschaften haben durch eigene Satzungen, durch Beschlüsse, Richtlinien und Anweisungen, die sie sich selber verpflichtend gegeben haben, von denen sie nicht herunter können und auch nicht herunter dürfen und auch nicht herunter wollen, alle die Befürchtungen, es könne etwas geschehen und es könne Schaden angerichtet werden, wenn einmal gestreikt werde, weitgehend behoben. Wir haben in der Bundesrepublik Beschlüsse, mit denen dafür gesorgt ist, daß die Gewerkschaften sich selber verpflichten — intern; wer das nicht tut, würde gegen etwas verstoßen, was ihm unter den Gewerkschaften wahrscheinlich nicht viel einbrächte —, daß im Falle eines Streiks durch entsprechende Notdienste, die eingerichtet werden, die notwendigste Versorgung der Bevölkerung — das ist Wasser, Elektrizität, Gas und wer weiß was alles — aufrechterhalten bleibt. Das geht noch weiter! Nehmen wir an, daß die Gewerkschaft, der beispielsweise ich angehöre, eine Zementfabrik bestreiken würde — es ist noch nicht geschehen — oder ein Kalkwerk — darin sind Ofen mit einem bestimmten Futter, das sind kostspielige Einrichtungen, und wenn diese Ofen ausgehen, dann dauert das eine ganze Zeit, bis sie wieder in Gang gesetzt werden können, weil diese Ofen sonst kaputtgehen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß die Gewerkschaft in dem Augenblick, wenn der Ofen nicht mehr betrieben wird, wenn gestreikt wird, einen Notdienst einrichtet, der diesen Ofen auf Temperatur hält, damit er in Gang bleibt. Er würde bloß nicht mehr mit Material beschickt, es würde nicht produktive Arbeit damit geleistet. Aber es würde dafür gesorgt, daß das Unternehmen in bezug auf seine Produktionsanlagen und -einrichtungen keinen Schaden erlitte. Das ist wesentlich, glaube ich, und ich wollte das zum Verständnis des Ganzen noch gesagt haben. Nun, mit übermäßigen Streiks haben wir in der Bundesrepublik nach 1945 noch keine Sorgen gehabt. Darüber freuen sich viele in. unserem Lande, — .anscheinend aber nicht alle. Der Herr Bundeskanzler ist nicht mehr da; ich hätte das gern auch in seiner Anwesenheit gesagt: ich weiß, daß er vor zwei Jahren einer Gruppe von Industriellen, die bei ihm war und sich über wirtschaftliche und soziale Fragen mit ihm unterhalten hat, einigen dieser Industriellen gesagt hat, das freue ihn gar nicht so sehr, daß die Gewerkschaften ihm bei jeder Gelegenheit sagen könnten, bei uns werde nicht so viel gestreikt, wie in anderen Ländern der westlichen Welt: „Daran sind Sie schuld, daß die Arbeiter nicht mehr streiken, weil Sie zu allem ja sagen, was die von Ihnen wollen." Nun, das scheint auch ein Verhältnis zum Arbeitskampf zu sein. Das widerspricht aber an sich dem, was sich aus den Überlegungen des Herrn Bundesinnenministers früher einmal ergeben hat. Wem das Ganze, auch der Streik, als eine i ber-flüssige Angelegenheit oder als eine schädliche Angelegenheit vorkommt, der hat ja — wie wir alle, vor allen Dingen in diesem Hohen Hause — zahlreiche Gelegenheiten, sich um eine Verbesserung des sozialen Klimas und um einige andere Dinge mehr zu kümmern. Dann wird das Mittel des Streiks noch weniger in Anspruch genommen, als das bisher sowieso schon ist. Nur noch eine Frage, und die list politisch wichtig unmittelbar für das, was wir hier tun. Die Gewerkschaften sind jetzt fast hundert Jahre alt. Es hat in dieser hundertjährigen Geschichte ;Deutschlands und dieser Gewerkschaften noch nicht einen einzigen Arbeitskampf gegeben, mit dem von den Gewerkschaften ein irgendwie gearteter Notstand ausgelöst worden wäre. Das ist etwas, woraruf die Gewerkschaften zurücksehen 'können und was, glaube ich, sehr wichtig ist. Deshalb auch werden alle Äußerungen, alle Bestrebungen, die darauf hinauslaufen, Sicherungen gegen gewerkschaftliche Kämpfe zu errichten, nach einer hundertjährigen geschichtlichen Praxis als überflüssig befunden werden. Der Bundesinnenminister hat heute morgen hier gesagt, er denke jetzt darüber anders. Ich freue mich, daß die Dinge damit korrigiert sind. Ich wollte sie hier aber noch einmal dargestellt haben, Herr Minister. Es ist zwar wichtig, wie Sie darüber denken — deshalb habe ich darüber geredet —, aber es ist nicht allein ausschlaggebend, wie Sie, der jetzige Herr Bundesinnenminister, darüber denken; denn ich weiß nicht, ob Sie immer Bundesinnenminister sein wenden, ich hoffe, daß auch einmal ein Sozialdemokrat das Amt ausübt. Auch im Hinblick darauf, meine Damen und Herren, muß das gesagt werden. Sehen :Sie, wir gehen an diese ganze Gesetzgebung — das sollten Sie doch schon gemerkt haben — nicht aus der Position heran: wir müssen verhindern, daß da etwas geschieht, weil die andern immer in der Regierung und wir immer in der Opposition sind. Wir denken bei der Beratung dieses Gesetzes auch daran, daß wir einmal Regierung sein und auch dieses Amt ausüben werden. (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Mommer [zur Mittel: Dann werden Sie in der Opposition sein!)


(Beifall bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)





(Heiterkeit bei der SPD.)


(Beifall bei der SPD.)


(Heiterkeit.)




Leber
Da es sich aber um auslegungsfähige Gesetze handelt — denn Menschen müssen diese Gesetze auslegen —, sollte man darauf hinwirken und darauf achten, daß das, was im Gesetz steht, klar ist und daß es nicht so sehr auf die persönliche Meinung des Ministers, die sich ja gewandelt hat und wandlungsfähig ist, ankommt.
Dazu kommt noch etwas anderes, nämlich die Tatsache, daß es, selbst wenn der jetzige Herr Bundesinnenminister das so meint und selbst wenn wir alle, die wir in diesem Hohen Hause sind, es so meinen, nicht ausgeschlossen ist, daß es irgendwelche Leute gibt, die es doch anders meinen und die morgen auch einmal etwas zu sagen haben können in diesem Staat. Das Gesetz wird ja nicht nur für vier Wochen oder vier Jahre, sondern für eine längere Zeit und für den Fall gemacht, daß es einmal zu Notständen kommen kann.
Da möchte ich Sie an etwas erinnern. Es sind große Kräfte im Staat, die manchmal ausschlaggebend sind. Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Herr Dr. Paulssen, hat beispielsweise am 28. Juni in einer Veranstaltung in Kiel eine Rede gehalten und sich darin mit wirtschaftlichen und lohnpolitischen Fragen befaßt. In diesem Zusammenhang hat er — nach einer dpa — Meldung, die ich hier vorliegen habe — erklärt, als er über Fragen der Lohnpolitik sprach, die Unternehmer könnten das Risiko, das sich aus lohnpolitischen Auseinandersetzungen ergebe, nur in Verbindung mit einem zu erlassenden Notstandsgesetz tragen. Er hat auf staatliche Eingriffe und auf das Notstandsgesetz hingewiesen, das kommen müsse. Diese dpa-Meldung ist durch alle Zeitungen gegangen. Ich habe sie hier. Ich habe kein offizielles Dementi gehört. Das ist ja sonst fällig, wenn eine solche Sache fälschlicherweise abgedruckt wird.
Ich habe aber etwas anderes gefunden, das den Wahrheitsgehalt dieser Meldung bestätigt. Das Bundesinnenministerium hat auf diese Meldung hin nämlich von sich aus eine Erklärung mit folgendem Wortlaut abgegeben:
Meine Damen und Herren! Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände soll nach einer Agenturmeldung in der Rede, die er am Montag dieser Woche in Kiel gehalten hat, von einer Änderung des Streik- und Notstandsrechts in der Bundesrepublik gesprochen haben. Dazu ist festzustellen, daß die Pläne der Bundesregierung für eine notstandsrechtliche Verfassungsänderung sich mit der Frage eines Eingriffs in die Arbeitskämpfe nicht befassen.
Das war also eine Klarstellung vom Bundesinnenministerium her. Dafür sind wir dankbar.
Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Auch mir ist schon einmal ein Fehler unterlaufen, wenn ich geredet habe und kein Manuskript bei mir hatte. Ich kann mir sogar vorstellen, daß Herr Dr. Paulssen das so einfach gesagt hat und bei ruhiger Überlegung vielleicht gar nicht so deutlich sagen würde. Selbst wenn ich das unterstelle — und das möchte ich, nachdem ich Herrn Dr. Paulssen persönlich kenne —, so bin ich doch überzeugt, daß es hinter Herrn Dr. Paulssen zahlreiche Leute gibt, von denen ich ebenfalls eine ganze Reihe kenne, die das so meinen, wie er es dort gesagt hat; und darauf kommt es an.

(Beifall bei der SPD.)

Das ist nicht übertriebener Pessimismus, in dem ich hier machen möchte, sondern die ganze Frage ist wichtig. Es ist eine legale Pflicht der Opposition, wenn sie bei Entscheidungen über solche Gesetze noch kritischer ist, als sie es gewöhnlich sein muß. Das sind einige Beispiele für mehrere, an denen sich Mißtrauen und Mißverständnisse in breitesten Kreisen der arbeitenden Bevölkerung in diesem Land entzündet haben.
Gestatten Sie mir, noch auf etwas anderes aufmerksam zu machen. Seit Jahren — ich weiß nicht wie lange, wahrscheinlich schon sehr lange — wird von Zeit zu Zeit immer einmal der Versuch gemacht, die Gewerkschaften, diese „Machtkomplexe", diese „mammutartigen Gebilde" nicht nur zu kritisieren — das ist legal und in Ordnung —, sondern sie an den Rand des Staates zu manövrieren, ihr Verhältnis zum demokratischen Staat in Frage zu stellen, sie als unzuverlässig zu erklären, und manchmal ist auch schon der Versuch gemacht worden, sie in die Nähe der Kommunisten zu bringen, in die Nähe derjenigen, die also Gegner des demokratischen Staates sind.
Wir können ruhig offen darüber reden. Ich nehme auch nicht jeden Artikel, den irgendein junger Anfänger irgendwo einmal geschrieben hat, der meist gar nicht direkt aus der Arbeiterschaft gewachsen ist, für bare Münze. Ein solcher Artikel ist manchmal mißdeutig, wie vieles, das mancher anderwärtig geschrieben hat, mißdeutig ist. Da hat mir mal einer gesagt, er habe sich mühsam durch die Schule des Bürgertums zum Marxismus durchgekämpft und er müsse jetzt mal einen Artikel darüber schreiben. — Danach werden dann die Gewerkschaften beurteilt!

(Heiterkeit.)

Die Gewerkschaften haben ein Verhältnis zu diesem demokratischen Staat. Als Beispiel für vieles möchte ich Ihnen hier sagen, wie es mir persönlich einmal ergangen ist. Ich habe einmal in einer Rede die Vermögensbildung und die Vermögensverhältnisse in der Bundesrepublik, zugegebenermaßen recht drastisch und recht eindeutig, kritisiert. Ich habe gesagt:
Es gibt sicher Leute hier in der Bundesrepublik, die verstehen unter Freiheit nichts anderes als einen Freibrief für sich, ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit ihren Egoismus zu befriedigen und Geschäfte zu machen.
Das ist sicher eine harte Meinung.

(Zuruf von der SPD: Aber gut! — Heiterkeit.)

Aber danach habe ich dann gelesen, das sei eine Äußerung, die sich schon bei Lenin finde; das sei wahrscheinlich mit meiner marxistischen Überzeugung in Einklang zu bringen.

(Zuruf von der CDU/CSU.)




Leber
— Das war nicht irgendwo geschrieben, sondern das können Sie im Deutschland-Union-Dienst nachlesen, Herr Kollege!

(Heiterkeit.)

Ich bin froh, daß es einige Freunde von mir in Ihrer Fraktion gegeben hat, die dem betreffenden Herrn gesagt haben, wer der Herr Leber ist, daß das keiner ist, der bei Lenin in die Schule gegangen ist, sondern daß es sich um eine Äußerung handelt, die sie selber in ihren Reihen auch machen würden; sie werden bloß nicht angehört.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Das Schlimme an der Geschichte ist nicht, daß so etwas einmal gesagt wird. Wer in der politischen Auseinandersetzung steht, muß es hinnehmen, daß so etwas mal kommt und daß auch einmal ein Foul passiert. Das Schlimme ist vielmehr, daß das durch die Zeitungen geht, daß es von den Menschen draußen gelesen und für bare Münze genommen wird. Hier wird also wieder von der Mehrheit, von der Regierungsseite her die Arbeiterschaft kommunistischer Gesinnung bezichtigt, weil sie über bestimmte Dinge in diesem Staate nicht derselben Meinung wie die Mehrheit ist. Sie sollten sich das überlegen. Es kann ja noch einmal etwas geben, was so wichtig ist wie die Notstandsgesetzgebung und wo es wieder auf Vertrauen ankommt. Man sollte also im voraus daran denken, daß man nicht mehr zerstört, als gut ist.
Ich möchte einmal die Frage stellen: Sind Sie eigentlich alle darüber informiert, wie hart die Auseinandersetzungen sind, die die Gewerkschaften seit Jahren um diesen demokratischen Staat, um den Bestand demokratischer Verhältnisse, um die politische Klarheit in diesem Lande führen? Wissen Sie eigentlich alle, was täglich millionenfach und zehnmillionenfach in die Bundesrepublik hineinflutet, wieviel Papier, wieviel Schmutz, wieviel Dreck, wieviel Beleidigungen, wieviel Diffamierungen jeden Tag über die Leute ausgeschüttet werden, die sich in den Gewerkschaften in der ersten Schützenlinie Tag für Tag und Woche für Woche mit dem Kommunismus und seinen Absichten hier in der Bundesrepublik auseinanderzusetzen haben. Es ist Tatsache, daß das geschieht und daß es still geschieht, ohne daß Sie etwas davon merken. Vielleicht wäre eis kein Fehler, wenn der Herr Präsident einmal anordnete, daß hier im Deutschen Bundestag so etwas wie eine Dokumentation darüber vorgenommen würde, damit alle sehen könnten, was jeden Tag in die Betriebe und auf den einzelnen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik zukommt.
Das sind Auseinandersetzungen, die täglich bestanden werden. Das hängt mit dem Bestand, mit der inneren Festigkeit, mit dem Halt hier im Staat zusammen, daß diese Kräfte da sind, die es eigentlich verhindern, daß es von da aus notstandsähnlichen Situationen kommen kann. Meine Damen und Herren, das Verhältnis der Gewerkschaften zum demokratischen Staat ist klar. Das ist nicht eine Frage der Taktik; das ist auch keine Frage von Berechnungen bei den Gewerkschaften. Es ist schließlich auch keine Frage, die zufällig von Ihnen so entschieden worden ist, sondern das ist ganz natürlich: der freie ,demokratische Staat und freie. Gewerkschaften sind unlösbar miteinander verbunden. Es gibt keine freien, demokratischen Gewerkschaften ohne einen demokratischen Staat, und es gibt keinen demokratischen Staat, wenn er nicht auch freie, unabhängige Gewerkschaften zuläßt.

(Beifall bei der SPD.)

Danach können Sie die Demokraten in der ganzen Welt voneinander unterscheiden, ob es der Osten ist oder der Westen, ob es die deutsche Ostzone oder Franco-Spanien, ob es Rußland oder Frankreich, ob es England oder Amerika ist. Und noch etwas: da, wo sie einig und wo sie stark sind, sind sie unbequemer, als wenn sie schwach wären, aber politisch zuverlässiger.

(Beifall bei der SPD.)

Das sehen Sie in den Ländern, in denen die Gewerkschaften gespalten sind. Sehen Sie sich die Verhältnisse in Frankreich, in Italien und anderwärts an.

(Beifall bei der SPD.)

Dann noch ein Weiteres, was wichtig ist, wenn man die Gewerkschaften verstehen will; da sind die geschichtlichen Erfahrungen. Ich habe vorhin gefragt: Wann haben die Gewerkschaften jemals in ihrer Geschichte schon einmal einen Notstand ausgelöst? Das hat es nicht gegeben, aber das Gegenteil hat es gegeben. Die Gewerkschaften haben schon oft Notstände in unserem Staat bezwungen.

(Beifall bei der SPD.)

Der erste Notstand, den ich als Beispiel erwähnen möchte, trat ein, als damals Kapp und Genossen nach der jungen deutschen Demokratie griffen.

(Sehr wahr! bei der SPD.)

Darüber wird viel geredet, und ich kenne Leute, die sagen: Na ja, so groß war das auch nicht, was die Gewerkschaften damals geleistet haben, denn die waren ja im Bund mit der Regierung; die Regierung hat ihnen ja gesagt, sie sollten einen Generalstreik machen. — Nun, meine Damen und Herren, es ist doch wohl der Normalfall, daß die Gewerkschaften durch einen Generalstreik eine im Amt befindliche legale demokratische Regierung stützen und unterstützen.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Ich habe manchmal, wenn jemand das sagte, gedacht: Was wird der wohl getan haben, als die Gewerkschaften damals den Generalstreik machten und dafür sorgten, daß die Demokratie durch Kapp und Genossen nicht überwunden wurde?
Und ein zweites. Ganz kurze Zeit später fand die Ruhrbesetzung statt. Damals hatten wir einen Notstand, und damals waren es die Gewerkschaften, die verhinderten, daß sich durch die Folgen dieser Ruhrbesetzung — Abtransport von Kohle usw., Auszehrung der deutschen Wirtschaftskraft — dieser Notstand nicht in einen Zusammenbruch unseres Staates verwandelte. Es waren damals Eisenbahner, die streikten; sie stiegen nicht auf die Lokomotiven, um die Kohle aus dem Lande zu fahren. Damals fuh-



Leber
ren die Bergleute in die Gruben ein, ohne Befehl dazu zu haben, sondern nur deshalb, weil sie das der Demokratie wegen für notwendig hielten. Sie fuhren in ihre Schächte ein und fanden im Schacht dann Zettel, auf denen stand: „Wenn du eine Kiste sieltest, dann setz dich ruhig nieder; denn so'n passiver Widerstand, der kommt so rasch nicht wieder!"

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)

Meine Damen und Herren, das war die Haltung der Gewerkschaften, die damals das zweite Mal diesem Volk über einen Notstand hinweggeholfen hatten.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Dann die Situation nach 1945, die Demontagen! Da waren ja viele gar nicht handlungsfähig so wie die Gewerkschaften, weil sie politisch noch nicht satisifaktionsfähig waren in den ersten Jahren!

(Beifall bei der SPD.)

Da haben die Gewerkschaften dafür gesorgt, daß nicht abtransportiert wurde, was die anderen abtransportieren wollten.
Das sind die drei Dinge, auf die ich als Beispiel hinweisen wollte.
Dann kommt ein Vorwurf und ein Erlebnis: Warum haben die Gewerkschaften das nicht 1932/33 gemacht? — Den Vorwurf kann man machen. Den Vorwurf kann man nicht mit Berechtigung den Gewerkschaften allein machen; ich habe vorhin auf den Umstand schon hingewiesen: die waren 1932/33 in ihrer Kraft schon so ausgezehrt, daß sie da auch nicht mehr aufhalten konnten, was da kam.
Aber diesen Vorwurf nehmen die Gewerkschaften sehr ernst. Und das Erleben von 1933 und danach ist auch heute den Gewerkschaften noch nicht aus den Knochen gefahren, wenn es darum geht, wieder neues Notstandsrecht mit möglicherweise neuem Ermächtigungsrecht zu schaffen. Das müssen Sie verstehen.

(Beifall bei der SPD.)

Es geht auch nicht nur um 1933; ich gehe da noch ein Stückchen weiter; denn irgendwo fängt das ja einmal ganz klein und wenig an. Mir hat einmal der verehrte Kollege Professor Böhm hier gesagt, seiner Meinung nach sei gar nicht 1932/33 der erste Punkt gewesen, sondern der Tag, an dem Walther Rathenau ermordet worden sei, sei vielleicht der früheste Zeitpunkt gewesen, die Gewerkschaften zur Streikaktion im demokratischen Staat aufzurufen; denn damals sei der politische Mord zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung in Deutschland gemacht worden. Das endete dann schließlich 1933 und in der zweiten Phase 1945. Sehen Sie, das sieht man gar nicht immer so im Anfang, und deshalb kommt es den Gewerkschaften darauf an, daß diese Freiheiten und daß dieses Recht ihnen erhalten bleiben. Ich bin dankbar, daß auch der Herr Bundesinnenminister diese Ansicht hier seinerseits so klar dargelegt hat.
Man kann sagen: Ja, das gehört doch alles der Vergangenheit an; das kommt ja doch nicht mehr; dafür sorgen wir alle, wir alle sind reine Demokraten,
Von Zeit zu Zeit erlebt man aber doch etwas, was wieder Rückschläge bringt. Ich habe hier „Die Welt" vom 23. Januar, also von gestern. Da wird in einem Artikel berichtet, .daß der Herr Bundesfinanzminister a. D. Fritz Schäffer in München vor einer Akademie, vor einem größeren Kreis akademischer Jugend, gesprochen hat und dabei nach seinem Verhalten 1933 in Sachen Ermächtigungsgesetz gefragt worden ist. Da hat er gesagt:
Ich hatte vorher mit Brüning darüber gesprochen, ob nicht alle katholischen Abgeordneten des Zentrums und der BVP einfach ihr Mandat niederlegen sollten.
Weiter wird hier wörtlich zitiert, was Herr Schäffer dann sagte:
Das war praktisch unmöglich. Über hundert Abgeordnete hätten sich dazu entschließen müssen ... Das hätte zum Eingreifen .Hitlers geführt. Die Frage war, ob wir dem Ermächtigungsgesetz zustimmen oder unsere Existenz aufs Spiel setzen sollten.
Und jetzt kommt's, meine Damen und Herren:
Wenn ich heute wieder in die gleiche Lage käme, würde ich genauso entscheiden.

(Hört! Hört! bei der SPD. — Weitere Zurufe von der SPD.)

Meine Damen und Herren, ich kann nur „Die Welt" zitieren. „Die Welt" hat wörtlich zitiert. Ich werfe keinen Stein, ich werfe nicht einmal einen Stein — weil ich glaube, daß wir einmal einen Strich ziehen sollten — auf diejenigen, die 1933 diese Ermächtigung mitgemacht haben, wenn sie bereit sind, der deutschen Jugend gegenüber einzugestehen, daß sie sich damals geirrt halben.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)

Wer aber der Meinung ist wie Herr Fritz Schäffer — und der Mann war immerhin acht Jahre lang hier auf dem Sessel eines Kabinettsmitgliedes —,

(Zuruf von der SPD: Unerhört!)

wenn er heute wieder in die gleiche Lage käme wie damals, dann würde er wieder so entscheiden, meine Damen und Herren, wer sich so verhält, der zerstört jeden Ansatz des Vertrauens in diesem Volk auch im Hinblick auf das, was hier vor uns liegt.

(Beifall bei der SPD.)

In der Zeitung habe ich gelesen, daß seine Zuhörer mit Zischen geantwortet haben, und ich glaube, wir sollten Herrn Fritz Schäffer, den wir alle kennen, auch vom Bundestag hier nach München zischen, wie wir darüber denken.

(Beifall bei der SPD.)

Damit nicht noch einmal verantwortliche Männer ihre Sorgen um ihre vermeintliche Existenz — das stellt sich ja nachher immer anders heraus; die Existenz blieb ja auch nicht — über die Existenz und die Freiheit des Volkes und des Staates stellen können, muß im Gesetz geschrieben stehen, was für den Fall eines Notstandes möglich ist. Es muß im Gesetz auch klar und deutlich geschrieben stehen,



Leber
was jemand nicht darf, auch ein Minister oder jemand, der sonst im Staat Verantwortung trägt.

(Erneuter Beifall bei der SPD.)

Das ist der Grund, warum wir verlangen, daß solche „Entscheidungen" durch klare Bestimmungen im Gesetz unmöglich gemacht werden. Wer so handelt, wie Herr Schäffer es hier wieder tun würde, der muß gegen bestehendes geltendes Recht verstoßen, und deshalb muß das vorher Gesetz sein. Und wenn jemand in einem solchen Fall gegen rechtzeitig vorher gesetztes geltendes Recht verstößt, meine Damen und Herren, dann begeht er etwas, was illegal ist, und dann bewegt er sich leicht jenseits der Legalität, Herr Bundesinnenminister. Das ist der Punkt, an dem das Volk und die demokratischen Gewerkschaften in einem solchen Fall dann auch ihrerseits zu Aktionen schreiten können, um die rechtsstaatlichen Verhältnisse auch im Falle eines Notstandes wiederherzustellen.

(Beifall bei der SPD.)

Es kommt darauf an, solche Leute, die sich jenseits der Legalität bewegen, die gegen die rechtsstaatliche Ordnung verstoßen, dann von der Bildfläche hinwegzufegen. Das ist auch der Grund, warum die Gewerkschaften Wert darauf legen, daß ihre Aktionsfähigkeit für solche Fälle erhalten bleibt und durch nichts im Gesetz angetastet wird.
Meine Damen und Herren, das sind die Sorgen, die die Gewerkschaften haben. Sie haben nicht nur Sorgen, sie üben nicht nur Kritik, sondern sie haben auch ihr Alibi. Wenn es in unserer Geschichte einmal zu Notständen gekommen ist, dann sind die Gewerkschaften damit fertig geworden. Wenn sie aber, wie im Falle der Jahre 1932/33, nicht damit fertig wurden, ist auch das ganze Volk nicht damit fertig geworden und sind eben die Freiheit und die demokratische Lebensordnung untergegangen. Das ist etwas, worauf ich hinweisen wollte.
Von der Antwort auf all diese Fragen ist die Vertrauensbasis abhängig, um die es geht. Wir haben es nötiger als irgendein anderes demokratisches Volk in der westlichen Welt, uns um das Vertrauen im Volke in Sachen Demokratie, in Sachen demokratischer Staat zu kümmern. Ohne das Vorhandensein dieses Vertrauens lassen sich solche Gesetze nachher nicht praktizieren; es steht niemand dahinter; das sind leere Nußschalen, leere Anordnungen, die nicht mit Leben erfüllt werden können. Deshalb ist das so wichtig, besonders im Hinblick darauf, daß das demokratische Staatsbewußtsein, das innere Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat noch nicht so entwickelt ist, wie es hoffentlich in absehbarer Zeit einmal entwickelt sein wird. Das ist der Grund, warum ich diese Dinge hier dargelegt habe. Auf dieses Vertrauen kommt es an, meine Damen und Herren. Um das Bewußtsein, das dahinterstehen muß, sollten sich alle mühen.
Soweit der praktische Inhalt des vorgelegten Entwurfs in Betracht kommt, möchte ich mich auf materielle Einzelheiten der Sache nicht einlassen, sondern nur einiges im Grundsatz sagen. Es handelt sich allerdings um Grundsätze, die wir, wenn man
uns nicht vom Gegenteil überzeugt — und das wird nicht möglich sein —, nicht für abdingbar halten.
Erstens: Die Koalitionsfreiheit, wie sie in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes festgelegt ist, darf weder durch Notstandsgesetze noch durch irgendwelche von ihnen abgeleitete Maßnahmen abgeschafft oder eingeschränkt werden.
Zweitens: In allen Gesetzen muß eine völlige Sicherung gegen jedwede Art des Mißbrauchs enthalten sein. Diese Sorge ist durch die vorgelegten Entwürfe, Herr Minister, nicht behoben. Auf einige Punkte ist schon hingewiesen worden. Das sind die Buchstaben i) bis l) und andere Stellen; ich brauche mich im einzelnen nicht darauf einzulassen. Wir haben aber die Erklärung des Herrn Innenministers gehört, und wir sind neugierig, wie das Verhalten der Regierung in den Beratungen im Ausschuß sein wird. Die Sicherungen, die bisher gegeben sind, genügen nicht, und es muß nach unserer Auffassung im Wortlaut des Gesetzes positiv-rechtlich klargestellt werden, daß Koalitionsfreiheit und Streikrecht nicht angetastet werden können. Das darf also nicht aus dem Wortlaut des Gesetzes auslegbar sein, sondern muß klar und deutlich darin stehen.
Drittens: Es muß eindeutige Klarheit bestehen, daß das Recht des Arbeitskampfes und die Freiheit und Unabhängigkeit der Gewerkschaften erhalten bleiben. In den vorgelegten Entwürfen sind diese Klarheit und diese Sicherung nicht in ausreichendem Maße vorhanden.
Viertens: Der vorgelegte Entwurf für ein Zivildienstgesetz entspricht — nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich das so deutlich sage — meiner Auffassung nach zu einem guten Teil dem, was ich dem Geist und Sinn nach früher schon in den Arbeitsverpflichtungsgesetzen, die im Jahre 1945 außer Kraft gesetzt worden sind, gelesen habe. Es mag so sein, daß Arbeitsverpflichtung und Dienstverpflichtung wahrscheinlich etwas ähnlich sind. Es kommt nicht auf die Überschrift an. Aber denken Sie bitte daran, daß Millionen von Menschen in diesem Staat damals in den Arbeitsämtern die Zwingburgen ihrer Freiheit gesehen haben

(Sehr richtig! bei der SPD)

und daß die Gewerkschaften nie zulassen werden und daß auch die Sozialdemokraten ihre Zustimmung nicht dazu geben, daß die Arbeitsämter in diesem Lande wieder einmal Zwingburgen der Freiheit für die arbeitende Bevölkerung werden. Es kann auch solchen Zwang mit Strafandrohung in einem Gesetz, das hier verabschiedet wird, nicht geben.
Fünftens: Die sozialdemokratische Fraktion wird ihre Zustimmung zu einer Änderung der Verfassung, zum Notstandsgesetz, nur dann erteilen, wenn gleichzeitig oder vorher auch Klarheit über den gesamten Inhalt aller übrigen mit dem Notstandsproblem in Zusammenhang stehenden Gesetze gefunden worden ist.

(Beifall bei der SPD.)

Erst dann kann ein Ja von uns erwartet werden.
Die sozialdemokratische Fraktion sagt ja zu dem,
was erforderlich ist, um den demokratischen Staat,



Leber
unsere Freiheit und unsere Unabhängigkeit über einen Notstand und über eine Notsituation hinweg zu bewahren. Wer aber mehr im Schilde führt, als dem Staat und der Freiheit und der Unabhängigkeit über den Notstand hinwegzuhelfen, wird nicht mit unserer Zustimmung rechnen können, und wir werden das im einzelnen in den Gesetzen entdecken. Die SPD wird in jedem Fall nein sagen zu jeder Möglichkeit des Mißbrauchs in dem von meinem Freund Fritz Schäfer und mir dargelegten Sinn.
Die SPD sagt ja zum Schutz der Demokratie. Sie kann aber nicht ja sagen zu den Entwürfen, die von der Regierung in dieser Form vorgelegt worden sind. Unsere Entscheidung auch in allen von mir dargestellten Grundsatzfragen wird abhängig sein vom Inhalt der Entwürfe, wird abhängig sein davon, wie die Entwürfe aussehen, wenn sie die Ausschußberatungen verlassen.
Die sozialdemokratische Fraktion erwartet von der Bundesregierung, daß sie sich auch ihrerseits bemüht, bestehende Mißverständnisse und Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen und eine genügend gute Vertrauensbasis anzustreben, damit das, was der Demokratie und der Freiheit wegen notwendig ist, von allen Menschen im Lande verstanden und bewußt von ihnen mitgetragen werden kann. Dieses Vertrauensverhältnis, das Zusammenstehen, wenn es um Freiheit und Staat geht, ist so wichtig wie der Text der Gesetze selber, und deshalb wollte ich hier in diesem Zusammenhang namens meiner Fraktion noch einmal besonders darauf hingewiesen haben.
Meine Damen und Herren, nehmen Sie bitte diese unsere Haltung in dieser Sache ernst.
Dann, nur dann, dann aber auch gewiß wird es möglich sein, gemeinsame Lösungen zu finden, die unser Volk und unser Staat für den Fall der Not braucht.

(Lebhafter Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0405601100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sanger.

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0405601200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Hohe Haus beginnt heute mit einer sehr ernsten und wichtigen Aufgabe, nämlich zu prüfen, ob die im Grundgesetz festgestellten und also als Bestandteil unserer Verfassung gültigen Grundrechte der Bürger zeitweise eingeschränkt werden können, dann nämlich, wenn Ereignisse eintreten, die eine Bedrohung der Existenz des Landes oder unmittelbar einen Angriff darstellen und die damit zugleich die Freiheit unserer Ordnung bedrohen oder in Frage stellen, also einen Zustand der Not hervorrufen. In der leidvollen Geschichte unseres Landes ist es leider zu oft vorgekommen, daß wir in Notständen waren, die wir beseitigen mußten.
Obwohl es unmöglich ist, das vorliegende Gesetz in der bestehenden Fassung anzunehmen, können wir der Erwägung doch nicht ausweichen, haben zu überlegen, was zu tun ist, um dann, wenn die äußere Existenz gefährdet ist, wenn die rechtliche
Ordnung in Gefahr ist, dennoch Existenz und Ordnung zu wahren.
Ich habe Argumente gehört und gelesen, die sagen, Gesetze seien keine Garantie gegen ein gesetzwidriges Tun. Wer das sagt, meine Damen und Herren, der vergißt, daß die Gesetze, die jetzt von uns in Arbeit genommen werden, für die wir ja erst Entwürfe vor uns haben, nicht für eine gewesene Regierung geschaffen werden. Es sind unnormale Verhältnisse gewesen, ein durchaus ungesunder Zustand hat sich dargestellt. Wir haben daraus einiges, vielleicht sogar sehr vieles gelernt. Wir sollten für die Zukunft mit den Gesetzen, die in Angriff genommen werden, Möglichkeiten schaffen, daß sich solche Dinge wie die der letzten Monate nicht wiederholen. Jedoch — es steht auch in der Begründung zum Gesetz und sogar, wenn wir es richtig verstehen, in Art. 115 a Abs. 5 ebenfalls — zu keinem anderen Zweck werden diese Gesetze gemacht, als zu dem, einer Not zu steuern und damit zugleich die Freiheit und die soziale Ordnung zu wahren. Es geht um beides, um die Existenz und um diese Ordnung. Sie ist wichtiger Bestandteil unserer Wirklichkeit. Sie gehört dazu, wenn wir heute von der Bundesrepublik Deutschland reden.
Es wäre deshalb ein Widerspruch in sich, wollten wir ein Grundrecht zerstören oder herauslösen, wenn wir doch sagen, die Grundrechte müssen gewahrt werden, die wir uns selbst gesetzt haben, für die wir eintreten und für die wir ringen. Der Herr Bundesinnenminister hat heute gesagt, die Freiheit des einzelnen stehe in einem Gegensatz zum Anspruch des Staates oder der Gesamtheit. Gewiß, aber es kommt da auf die gerechte Abgrenzung an, meine ich, und auf den Geist, aus dem diese Grenzziehung vorgenommen wird. Ich meine, es kommt auf das Maß an Liberalität an, mit dem wir die Chancen nutzen wollen, die unserem Volke gegeben sind. Wir hörten heute zu diesen Prinzipien, wie ich meine, recht gute und ansprechende Erklärungen.
Ich möchte mir die Aufgabe stellen zu fragen: Wie sieht es dann aber — auch in Notzeiten, auch in Krisenzeiten — mit der Praxis aus? Der Herr Bundesinnenminister sprach fast nur vom äußeren Notstand und den Kriegszeiten. Er hat — ich halte es dankbar fest — von einer öffentlichen Aufgabe der Presse gesprochen und von der Notwendigkeit der Zusammenarbeit, sogar, wie er sagte: nach dem Vorbild der Regelung in Großbritannien. Nun, auf diese Regelung werde ich zu sprechen kommen müssen.
Erlauben Sie mir bitte, hierbei einen Gedanken zu äußern, der nicht unbedingt in diese Gesetzgebung hineingehört, der sich aber aus der Entwicklung aufdrängt und uns einen neuen Blickpunkt ermöglicht. Den drei klassischen Gewalten, der Legislative, der Exekutive und der Judikative, ist als Folge der technischen Entwicklung eine neue Macht — nicht eine neue Gewalt — zugewachsen, die, je größer die technischen Möglichkeiten wurden, um so eindringlicher effektiv wurde. Als man im kleinen Kreis miteinander sprach, hatte das Wort eine



Sänger
kleine Wirkung. Millionenfach durch Druck, Funk und Bild verbreitet, hat dieses Wort in unserer Zeit eine Sinnfälligkeit gewonnnen, sich selbst einen Einfluß zu verschaffen vermocht, eine Einprägsamkeit durch Wort und Bild im Zusammenklang erhalten, daß man nicht mehr vor dem Einfluß dieser Macht der öffentlichen Meinung ausweichen kann, die sich da ausdrückt: unzweifelhaft eine Tatsächlichkeit, wenn sie auch noch nicht grifflich ist und wenn sie noch in vielem in der Unwägbarkeit liegt. Aber sie gewann schon einen Anfang von rechtlicher Legitimität. Der Anspruch der Regierung auf eine Sonderbehandlung im Rundfunk und im Fernsehen wird nämlich erhoben, und jetzt erhebt die Regierung ihn für die Zeiten des Notstands für die Presse und macht dadurch den Institutionen, die einen solchen Anspruch aufnehmen und sich als Partner erweisen, den Weg auf, aus der Wirkung des Machtvollen vielleicht zu einer legitimen Gewalt zu werden.
Die Presse jedenfalls möchte ich vor dem Beschreiten dieses Weges warnen. Ihre Aufgabe ist es, sich außerhalb zu halten und in freier Tätigkeit Information zu geben und Meinung auszusprechen. Aber die 'Effektivität der Presse überstürzt sich, und die Wirkung ist intensiv, sie ist unausweichlich, und wir können fast sagen, sie ist zwingend, sie gehört zur Wirklichkeit unseres Lebens, sie ist Bestandteil unserer demokratischen Ordnung. Darum und aus keinem anderen Grunde ist die Informationstätigkeit der Presse, ist ihre Äußerungsmöglichkeit und Äußerungsfreiheit in Wort und in Bild in den Grundrechten festgehalten worden, ist also kein Sonderrecht, sondern ein normaler Bestandteil der Funktion, die in einer Demokratie das Leben, die Wirklichkeit ausdrücken. Zugleich fügt sich damit die Presse in die Ordnung des Staates ein, wenn sie diese Rechte und diese Position in Anspruch nimmt. Ihr schutzwürdiges Interesse ist der freie Staat und seine Ordnung. Sein schutzwürdiges Interesse ist die freie Presse und ihr Verantwortungsbewußtsein. Beide sind, so meine ich, souverän aufeinander angewiesen.
In der allgemeinen Begründung zu dem Gesetzentwurf, der uns vorliegt, heißt es, daß „Bestand und Wohlergehen der Gesellschaft, insbesondere der breiten Massen der Bevölkerung, in erhöhte Abhängigkeit vom Fortbestand des Staates und von dessen Fähigkeit zur Erfüllung seiner Aufgaben geraten", sobald dieser Staat im Notstand ist.
Ich möchte darauf erwidern, meine Damen und Herren: der Staat erfüllt seine Aufgaben aber nicht nur durch die Verwaltung und ihre Leistung, nicht nur durch behördliche Anweisung, sondern auch und in einem starken Maße — im Notstand möglicherweise in einem besonders starken Maße —, indem er einer frei tätigen Presse die Freiheit und das Wirken bewahrt: Informationen, Berichterstattung, Meinungsäußerungen sind Beiträge zu idem Bestand und zu dem Wohlergehen der Gesellschaft,

(Beifall bei der SPD)

um damit in der Formulierung der Begründung des Entwurfs zu bleiben.
Nach dem Grundgesetz gibt es objektiv keinen Unterschied zwischen dem Wohl des Ganzen und der Freiheit der Meinungsäußerung. Beides ist miteinander verschmolzen, gehört zueinander und, ich glaube, ergänzt auch einander. Das Ganze, die Nation nimmt Schaden, wenn nicht eine freie Presse da ist, um die Nation auf die Möglichkeiten falscher Dispositionen aufmerksam machen zu können.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0405601300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. August Dresbach (CDU):
Rede ID: ID0405601400
Ja, lieber alter Freund Sanger, wir beide gehen aus von den Auffassungen über Zeitungen, in denen wir gedient haben. Aber wollen Sie nicht auch einmal darauf eingehen, daß Presse nicht gleich Presse ist, daß wir Presseerzeugnisse haben, bei denen ich jedenfalls nicht so dienen möchte, wie ich gern in meinen besten Schaffensjahren bei der Kölnischen Zeitung, bei der Frankfurter Zeitung gedient habe?

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0405601500
Herr Kollege Dresbach, ich nehme das nicht als Frage, sondern aus Anregung. Ich hatte mir ohnehin vorgenommen, darüber ein Wort zu sagen. Ich darf in ,der gleichen geistigen Haltung, die Sie soeben ausdrückten, sagen: Wir haben ja unsere Erfahrungen. Ich denke, es wird niemand auf die absurde Idee kommen, daß eine Nation, die um ihre Existenz ringt, anders als durch das freie Wort und durch die Überzeugung der Bürger zur höchsten Leistung gebracht werden kann, nicht aber durch das Kommando, und daß eine eigene Orientierung der Menschen in diesem Staate und in dieser Nation sie davor bewahrt, falsche, unverantwortliche Schritte zu tun, sie davor bewahrt, einer Obrigkeit blind zu gehorchen, und sei es auch nur in dem Glauben: die Wunderwaffe kommt doch noch, wie immer sie aussehen mag und unter welchen Umständen sie gebaut wird.
Ein Volk ist um so stärker, je lebendiger sein Anteil an dem ist, was geschieht, und je lebendiger seine Anteilnahme an dem ist, was getan werden muß. Natürlich bleibt ein Volk differenziert in Hoffnungen, in Wünschen, in Auffassungen und in Meinungen. Sein Mitdenken, Mithoffen und Mitwollen ist dennoch, je größer die Not, um so notwendiger. Ich meine, daß wir im Notstand der starken und freien Hilfe aus dem Gewissen bedürfen und deshalb auch, Herr Kollege Dresbach, insbesondere der verantwortungsbewußten Journalisten.
Mit anderen Mitteln, als sie heute benutzt werden, und auch unter anderen und unter verbrecherischen Umständen — niemand wird sie wieder herbeiführen wollen — ist der Versuch gemacht worden, durch Unterdrückung, durch Verbot, durch Lenkung oder — seien wir noch etwas vorsichtiger, wenn Sie so wollen — durch Anmerkung Meinungsaussage und Nachrichten in den Griff zu bekommen. Wir alle, die wir uns in jenen Jahren bemüht hatten, zu versuchen, den Weg zu gehen, den das Gewissen uns vorschreibt, wissen und haben es damals erfahren, daß es nicht möglich war, Informationen



Sänger
I zu unterdrücken und Nachrichten zurückzuhalten. Brachten wir sie nicht, so gingen sie auf dem Weg des Flüsterns in die Öffentlichkeit und waren um so weniger zu kontrollieren. Ein warnender Tatbestand, warnend insbesondere für eine Regierung, die meint, man könne in einem solchen Falle durch dosierte Information, durch begrenzte Nachrichtengebung verhindern, daß die Neugier, der Wissensdurst der Menschen sich doch durchsetzen. Wenn ein mündiger Staatsbürger spürt, daß er gelenkt werden soll, wenn er meint, zu wissen, daß der Zwillingsbruder der Lüge — das ist die Regie — ihn beeinflußt, ist er um so nachhaltiger bemüht, nun doch an das Wissen und an die Informationen heranzukommen. Wir haben davon sehr viele Zeugnisse in jenen schrecklichen Jahren bekommen.
Aber in jenen schrecklichen Jahren gab es jenseits der deutschen Grenzen auch Vorbilder, wie man in Notzeiten eine gute, sorgfältige und freie Informations- und Meinungsausbreitung üben kann. Ich finde, es ist der Bestandteil der autoritären Staatsführung und es ist ihr Merkmal, daß in der Presse nur eine Meinung laut werden kann. Es ist das Merkmal und die Stärke der freien Demokratie, zu jeder Zeit Nachrichten und Meinungen frei äußern zu können. Das unterscheidet uns voneinander, und zu keiner Zeit sollten wir a& diesen Unterschied verzichten.

(Existenz kämpfte, richtete es eine Zentralstelle ein, bestehend aus Journalisten, Militärs und Beamten, für Rückfragen der Presse. Die Zentralstelle erarbeitete Listen von Themen, über die zweckmäßigerweise keine Informationen erscheinen sollten. Aber sie überließ es den Zeitungen, von ihr und ihrem Rat Gebrauch zu machen. Wer Gebrauch machte, wer die Zentralstelle fragte `und dann doch falsch handelte, war sogar außerhalb der Verlfolgung. Für die Verfolgung galt das allgemeine Spionagegesetz. Es sind nur ganz wenige Indiskretionen vorgekommen und nur ein Fall von Strafe. Die Meinungen blieben frei. Nur Nachrichten konnten ob ihrer Zweckmäßigkeit erfragt werden. Aber Beschwerden der Regierung, wenn Meinungen geäußert worden waren, die dieser Regierung unzweckmäßig erschienen, wies die Zentralstelle ab. Sie gab die Intervention nicht an die Zeitungen weiter, weil sie die Unablhängigkeit ihrer eigenen Institution und auch der Presse bewahren wollte. Das war also eine unabhängige Institution oder Kontrolleinrichtung. Herr Bundesminister Höcherl, wenn Sie dieses britische Vorbild meinen — ich glaube, wir würden uns finden können bei der Errichtung einer Selbstkontrolle der deutschen Presse. Es bleibt in Großbritannien bei dem System der freiwillig konsultierbaren Beratung über die Zulässigkeit von Nachrichten im Notfall und im Kriege. Die Übereinstimmung von Prinzip und Praxis in den angelsächsischen Ländern — überhaupt eine der großen Stärken der Wirklichkeit ihrer Demokratie — ist eindeutig. Nachrichten konnten nachgeprüft werden, Meinungen nicht, und eine von der Regierung unabhängige Instanz stand und steht, wenn es nötig ist, zwischen Presse und Behörde. Lassen Sie uns darüber also im Ausschuß sprechen. Aber wir (brauchen nicht bei Großbritannien stehenzubleiben. Das neue schwedische Pressegesetz, 1949, also nach dem Kriege geschaffen und also die Erfahrungen des Krieges verwertend, ist so weit gegangen, daß es das Verbot der Einführung einer obligatorischen Zensur auch in Kriegszeiten zum Bestandteil der schwedischen Verfassung machte. Der Mut zum Volke ist sehr deutlich in einer solchen Gesetzesbestimmung ausgedrückt. Dieses Gesetz, ich sagte es, zog Konsequenzen aus den Erfahrungen des Krieges, in dem die Schweden sich sehr darum bemüht haben, (die kriegführenden Regierungen nicht zu beeinträchtigen, ihnen keinen Anlaß zu Eingriffen und Angriffen zu geben, und sich sehr bemüht haben, Rüstungsund Verteidigungstatsachen nicht zur Kenntnis der Öffentlichkeit kommen zu lassen. Es ging auch auf diese Weise. Immer nur gab es Ratschläge und immer nur Wegweisungen. Diese Tatsachen sollten uns nicht nur beeindrukken — sie zwingen doch jeden von uns zum Nachdenken gegenüber diesem Gesetzentwurf —, sondern sie sollten uns zu (der Fragezwingen, ob eine Zensur, wie sie nach Art. 115b Abs. 2 a möglich ist, wirklich notwendig ist; ich möchte hinzufügen: ob sie wirklich möglich ist. Zensur wird im .Gesetz wie vor allem in der Begründung wie vor allem in manchen Ausführungen, die wir inzwischen von verantwortlicher Stelle in Vorträgen gehört haben, sehr oft im gleichen Atemzug mit Selbstkontrolle genannt; das ist manchmal nicht deutlich voneinander zu trennen. Das erweckt dann den Eindruck, als sollten mehrere Tore offengehalten werden und als wolle man im Zwielicht doch eine Unsicherheit bestehen lassen und so in der Furcht der Obrigkeit regieren. Meine Damen und Herren, es sprechen viele gern und oft darüber, daß die Freiheit der Presse bewahrt werden muß, und nicht selten beginnen Vorträge mit einem solchen Bekenntnis. Dieses Bekenntnis ist nicht billig, wenn man es ernst meint und wenn man damit den redlichen Respekt vor dem freien Wort und auch den Verzicht verbindet, nicht überall so gespiegelt zu werden, wie man selber im Spiegel erscheinen möchte; ich meine den Spiegel, der an der Wand hängt. Die Bereitschaft, die andere Meinung zuzulassen, auch wenn sie schmerzt, Freiheit zu gewähren, wo wir Freiheit verlangen, ist sehr schwierig und nicht sehr weit verbreitet in unserem Volke. Aber wenn wir uns an die Vorbilder halten, von denen ich das großbritannische aus bestimmtem Grunde besonders ausführlich nannte — das nordamerikanische liegt ihm ziemlich parallel —, von denen ich Schweden erwähnte, die Schweiz erwähnen könnte und andere dazu, wenn wir uns an diese Vorbilder halten, die ja keine Phantasiegebilde sind, sondern aus der Erfahrung entstanden sind, dann, meine Damen und Herren, sollten wir daran denken, daß wir damit mündigen Bürgern in unserem Staate die Freiheit der Information bewahren, daß wir ihnen zeigen, daß die Regierung Vertrauen zu diesem Volke hat Sänger und daß sie zur Mitverantwortung herbeigezogen sind. Wer die freie Nachricht fürchtet, hat Furcht vor dem eigenen Volk, und das, glaube ich, sollte doch bei uns nicht Platz greifen. Zu diesen Menschen in der Demokratie Vertrauen haben heißt, Vertrauen zu den Journalisten haben. Der Hinweis auf den einzelnen Journalisten — — (Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach meldet sich MI einer Zwischenfrage.)




— Jetzt wollte ich Ihnen anworten, Herr Kollege Dresbach.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Darf ich Ihnen noch eine Anregung geben?)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0405601600
Aber eine Frage, Herr Kollege Dresbach!

Dr. August Dresbach (CDU):
Rede ID: ID0405601700
Lieber alter Kollege Sänger, sind Sie der Meinung, daß jede Nachricht, die auf den Redaktionstisch kommt, Gottes Wort sei?

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0405601800
Ich bin der Meinung, Herr Kollege Dresbach, daß der Redakteur, der da sitzt, zu unterscheiden vermag, ob es Gottes Wort oder Menschenwort ist.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Dann setzen Sie aber schon ungefähr einen Theologen bei ihm voraus!)

— Ich dachte, Sie würden es nicht ganz wörtlich nehmen, sondern bereit sein, zu meinen, daß die Menschen, die da als Journalisten sitzen und zu denen man Vertrauen haben sollte, im Menschlichen irren können — wie andere auch.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Dann sind wir wieder einig!)

— Der Hinweis auf den einzelnen, Herr Dresbach, versagt ja immer, und wir sind ja gerade dabei, dies für alle einigermaßen zu klären.
Wenn der Herr Bundeskanzler und wenn sicherlich auch Sie den in den Grundsätzen und Praktiken so geschätzten Präsidenten der Vereinigten Staaten sich einmal eine Sekunde zum Vorbild nehmen wollen — ich meine den so geschätzten Präsidenten der Vereinigten Staaten, der einmal der Oberkommandierende der alliierten Truppen im Kriege war: Herrn General Eisenhower —, so möchte ich Ihnen aus seinen Erinnerungen, die er festgehalten hat, eine mich immer wieder sehr angreifende Darstellung in die Erinnerung rufen oder mitteilen, die er über sein Verhältnis zu den Journalisten aussagt. Er stand in Nordafrika, erzählt er, und er hatte die Aufgabe und den Auftrag, von Nordafrika auf das europäische Festland überzusetzen, zunächst nach Sizilien. Er war sich bewußt, daß er in diesem unendlich weit gebreiteten Gebiet eine Fülle von Truppenformationen mit dem gesamten Nachschub zusammenziehen mußte, und war sich bewußt, daß er eine große Schar frei tätiger Journalisten bei sich hatte. Wie konnte er beides miteinander vereinbaren, erzählt er in seinen Memoiren, zu verbergen, was er vorhabe und daß er etwas vorhabe, und doch nicht zu
lügen? Er zog den Schluß, den ich, als ich es anlas, nicht erwartet hatte: Er versammelte die Journalisten um sich, Wochen vor der Aktion, er teilte ihnen mit, was er vorhatte, er sagte ihnen, wann er es vorhatte, und er sagte ihnen, daß alles, was in diesem Kriege bis zu diesem Augenblick des Übergangs nach Sizilien geschehen sein würde, der Einsatz von Millionen Menschen in vielen Erdteilen, der Verlust von vielen, vielen Männern und Brüdern aus Amerika und aus vielen Völkern der Erde, alles vergebens sein würde, wenn einer hier etwas verraten würde. Es ist nichts verraten worden! Aber — so erzählt Eisenhower — zwei dieser Journalisten seien später zu ihm gekommen und hätten ihm gesagt: Nicht noch einmal diese vier Wochen! Denn die Furcht, aus Versehen etwas zu verraten, habe sie mehr gequält als das Gebot, den Mund zu halten.
Wenn man so miteinander in Vertrauen steht, wenn so der eine weiß, daß er vom anderen geschätzt und respektiert wird, und der andere vom einen weiß, daß das, was er tut, von denen respektiert wird, die da zum Zwecke der Berichterstattung bei ihm sind, dann geht es. Dieses Vertrauen kann man nicht manipulieren, nicht von Zeit zu Zeit hervorrufen.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Das sind Angelegenheiten der gesellschaftlichen Parität!)

— Dann hoffe ich, Herr Kollege Dresbach, daß wir in unserer Gesellschaft heute diese Parität erreichen, wenn wir sie nicht schon haben, und daß wir gewisse Reminiszenzen endlich abstreifen und gewisse Anhängsel aus einer vergangenen Zeit nicht mehr in der Wirklichkeit wirken lassen.
Viele von uns erwarten und verlangen — noch einmal komme ich auf Sie zurück, Herr Kollege Dresbach — von den Journalisten in Haltung und Leistung eine vollkommene Übereinstimmung mit der hohen Verantwortung, die wir alle vor der Nation haben. Aber das erwarten wir doch auch von allen anderen, auch etwa von denen, die sich zu Richtern über die Journalisten und über die Presse aufwerfen, zu berufenen Richtern und auch nicht berufenen Richtern. Ich glaube, daß man „die" Presse und „den" Rundfunk und „das" Fernsehen doch wohl in Zukunft besser vermeiden sollte und dort, wo Auswüchse vorkommen, sich dieser annehmen und die dazu berufenen Einrichtungen benutzen sollte, um zu erweisen, daß sich ein vorhandenes Mißtrauen der Regierung und mancher Politiker gegen die Presse ebenso beheben läßt wie das Mißtrauen der Presse, das gegenüber der Regierung und manchen Politikern besteht.
Wir sehen auf allen Seiten, Herr Kollege Dresbach und meine Damen und Herren, Könige, Fürsten und Bettler, auf der einen wie auf der anderen. Viele von denen, die nach dem Kriege neu in diesen schwierigen und weiß Gott nicht erlernbaren Beruf hineingekommen sind, haben es schwerer gehabt als andere, die in ruhiger Zeit, im Aufbau des eigenen Menschen in einer gut geführten Redaktion manches zu lernen vermochten.

(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Sehr richtig!)




Sänger
Ich möchte alber doch denen, die zum Urteil berufen sind, noch einen härteren Maßstab anlegen als den anderen; denn sie sind in einer ausgezeichneteren Position, und sie hätten als Diener des Rechts zu jeder Zeit mehr zu wissen, daß sie Diener des Rechts und nicht der Macht sind. Ich glaube, daß zu viel Obrigkeitliches in diesem Entwurf steckt — wie in unserer Wirklichkeit — und daß wir begreifen müssen, daß der Mensch, sein Leben, seine Würde, sein Gewissen, dem Staate vorgeordnet ist.
Die Begründung des Entwurfes bezieht sich auch auf Regelungen in anderen Ländern. Ich habe auf die in Großbritannien und auf die in Schweden hingewiesen. Ich muß noch einen kleinen Nachtrag für die Vereinigten Staaten machen. Es heißt in der Begründung ides Gesetzentwurfes, der vor uns liegt, über die Vereinigten Staaten:
Dieser
— nämlich der Kongreß —
verfügt im übrigen Bereich der vollziehenden Gewalt notfalls über außergewöhnliche Vollmachten, vermöge deren er im gewissen Umfang sogar Grundrechte außer Kraft setzen und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Streitkräfte im Innern einsetzen darf.
Wer diese Gesetzgebung und auch ihren Gebrauch in den Vereinigten Staaten kennt, wird mit mir sagen: es ist eine sehr summarische Darstellung und eine reichlich unpräzise Aussage, wenn man nur von einem „gewissen Umfang" und von „bestimmten Voraussetzungen" spricht.
Aber es kommt auf etwas ganz anderes an. In den USA und in vielen anderen Ländern der traditionellen freien Welt pflegen solche Sonderrechte und pflegen solche Sondervollmachten mit äußerster Behutsamkeit benutzt zu werden und wirklich nur „notfalls" und wirklich nur dann, wenn es unausweichlich nötig ist. Ich glaube, daß wir einige Male Anlaß gehabt haben dazu, zu wissen, daß wir die Grenzen des Möglichen nicht scheuen, vielleicht sogar manchmal etwas außerhalb dieser Grenzen uns bewegen. Es kommt eben immer auf die Praxis und es kommt immer auf die Erfahrungen an. Herr Minister Höcherl, gegenüber vielen Bestimmungen dieses Gesetzes, gegenüber vielem, was Sie gesagt haben, möchte ich dieses betonen und besonders hervorheben, daß es wohl auf gute gesetzliche Bestimmungen ankommt, mehr aber noch auf ihre Benutzung in der Praxis

(Sehr richtig! bei der SPD)

und dabei natürlich auf das Vertrauen, das die einen zu den anderen und die anderen zu den einen haben.
Wenn in der Presse immer nur das Übel gesehen wird, wenn man immer nur meint, da ist eine gefährliche Gruppe von Menschen am Werk, die spioniert oder sich in Dinge mischt, die sie nichts angehen, dann richtet man durch solch eine Haltung doch nur eine Front auf, gegen sich selber, eine gefährliche Front.
Ich möchte schon unterstreichen, was ein im In- und Ausland hochangesehener Journalist vor kurzem in einer Analyse der Geschehnisse der letzten Monategeschrieben hat — es ist übrigens ein Mann, der, gehörte er diesem Hause an, nicht in den Kreisen meiner Freunde sitzenwürde —:
Die Staatsführung kann von dem Vorwurf sich nicht frei machen und nicht freigesprochen werden, daß sie durch ihr Verhalten den deutschen Journalisten in eine Rolle gedrängt hat, die sich nun bitter rächt.
Ich glaube, er hat recht, wenn er sagt, daß unser Staat die Presse nicht ernst genug nimmt. Ich glaube, es ist richtig, daß manches Organ in unserem Lande deshalb groß und gewichtig geworden ist, weil die allgemeine Kritik, weil die nicht konforme Erwägung, die es angestellt hat, weil die analysierende, die bohrende, die ständig recherchierende Ermittlung, Beobachtung und Berichterstattung in der übrigen deutschen Presse zu langsam eingesetzt hat und daß diese selten eindeutig und beharrlich auf ihrer Linie verblieben ist.

Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0405601900
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. August Dresbach (CDU):
Rede ID: ID0405602000
Herr Sanger, ich komme wieder darauf zurück: Presse ist nicht gleich Presse. Ist Ihnen noch das Wort von Max Weber aus einer Rede im Winter 1918/19 in Erinnerung — es stand ja in unserem „Katechismus" —, daß der Stand der Presse immer nach den ethisch am niedrigsten stehenden Wesen in der Presse beurteilt werde? Und dann kommt noch seine wunderbare Formulierung, die ich vielleicht auch in Ihre Erinnerung bringen darf: daß der Standpunkt des Bürgers zur Presse schlechthin ein unendlich übles Gemisch von Verachtung und Feigheit sei.

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0405602100
Herr Kollege Dresbach, finden Sie nicht, daß sich beide Aussprüche möglicherweise aufheben? Im übrigen könnte ich sagen, daß dem Anspruch von Weber andere gegenübergestellt werden können. Aber selbst wenn es so ist, daß die Presse nur an dem schlechtesten ihrer Mitarbeiter gewertet wird, finden Sie das dann gerecht? Weber hat es ja zu einer Zeit gesagt, als die heutige Position der Presse noch nicht erreicht war. Finden Sie nicht, daß wir in dieser heutigen Position, in dieser gemeinsamen Arbeit, wo Regierung und Presse in bezug auf die Notstandsgesetzgebung miteinander für das Wohl des Ganzen ringen sollten, alle einen Anteil daran nehmen sollten, die Position der Presse immer von neuem zu heben, ihr Gewicht immer von neuem bedeutsamer werden zu lassen? Das sollte doch unser gemeinsames Anliegen sein.

Dr. August Dresbach (CDU):
Rede ID: ID0405602200
Ich will Sie beruhigen, Herr Sanger. An derselben Stelle spricht er von der außerordentlichen Verantwortlichkeit der Chefredakteure der großen Zeitungen. Daran können wir uns wieder aufrichten.

Fritz Sänger (SPD):
Rede ID: ID0405602300
Herr Kollege Dresbach — für die anderen Kollegen mag es vielleicht ein kleiner Fingerzeig sein —, wir wissen ja, daß wir die groß-



Sänger
artige Leistung des Chefredakteurs und die noch besseren Möglichkeiten in einer vernünftigen Redaktion haben, die, wenn sie eine wirkliche Gemeinschaft darstellt, ihn leicht ersetzen kann, daß es immer besser ist, eine Gemeinschaft der Redaktion zu haben, die sich selber, in eigener Verantwortung, führt und damit schon in einer kleinen Zelle die Praxis demokratischer Wirklichkeit zeigt.
Dieser Kollege hatte sicher recht, wenn er meinte, die Presse werde nicht ernst genommen und dieser Teil der Presse — vielleicht, Herr Kollege Dresbach, haben Sie das auf dem Wege zum Mikrophon nicht gehört —, der heute so groß und gewichtig daherschreitet, konnte dieses Gewicht nur gewinnen, weil ein anderer, sehr viel größerer Teil der Presse die entscheidende Aufgabe der energischen Recherche, der beharrlichen Suche nach der Wahrheit, der überwiegend nichtkonformistischen Haltung nicht in dem Umfang erfüllt hat.
Lassen Sie uns darüber keine weiteren Betrachtungen anstellen, sondern finden wir uns wieder in der Gewißheit, daß viele heute nicht unberechtigt Furcht haben, oppositionelle Meinungen zu äußern, viele deshalb Furcht haben, weil sie zum Staatsfeind verdammt werden könnten, und sich gar nicht einmal schämen, aus solchen Gründen vorsichtiger zu schreiben. Für den Staat, für seine Ordnung und für unsere Entwicklung ist das freie Wort der Presse von entscheidender Bedeutung, auch und gerade in der Notzeit.
Dieser Kollege, den ich zitierte, schrieb in diesen Tagen:
Mit der Zeit wuchsen Kanzlerjournalisten heran, eine winzige Minorität, die herangeholt wird, wenn Adenauer das Bedürfnis verspürt, dem Volk aufs Maul zu schauen oder etwas über Bonner Kabalen zu hören.
Es liegt mir ferne, hiermit eine Polemik beginnen zu wollen. Es liegt mir nur daran, mit dieser sicher auf die Spitze getriebenen Formulierung deutlich zu machen, daß eine verantwortungsbewußte Regierung mit der Presse ständigen Kontakt halten, ständig Vertrauen wahren muß und nicht, wie ich sagte, manipulieren, eine Auswahl treffen kann, wie erst jetzt geschehen. Man muß vielmehr mit allen Journalisten, auch mit denen, die nicht immer zu unserer Freude arbeiten,

(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Wie früher August Stein!)

Fühlung halten. — Es ist die Kraft der Demokratie, Herr Dresbach, daß nicht alle einer Meinung sind, und es wäre der Schade der Demokratie, wenn alle auf der gleichen Linie schrieben und gehorsam wären.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt in der Mitte.)

Ich möchte auf unsere Wirklichkeit hinweisen, auf das Verhältnis von Presse und Regierung zueinander, das nicht belastet bleiben darf. Ich möchte es deshalb tun, weil ich meine, daß vor allem im Notstand das Miteinander möglich und nötig sein
sollte. Es ist die Aufgabe der Publizisten, zwischen dem Staat und seinen Interessen, also dem Staatsschutzprinzip, auf der einen Seite und den Ansprüchen der Öffentlichkeit auf der anderen Seite aus gleichen zu helfen, zu vermitteln und eine eigene Position einzunehmen. Nicht jede Entscheidung der Journalisten wird eine kluge oder, wenn Sie so wollen, eine richtige Entscheidung sein. Aber wir alle sind doch auch weit entfernt davon, zu meinen, daß jede Entscheidung der Behörden oder auch gar der Gerichte ein kluge, nützliche oder richtige Entscheidung sei. Wir müssen weg von diesem Primat der Wahrheit, die aus dem Amt kommt, und auch weg von dem Primat der unbedingten Information im Falle der äußeren Not. Wir können da einen Weg finden.
Der Deutsche Presserat hat im Dezember vergangenen Jahres in einer Entschließung ein sehr hartes Wort gesagt. Ich darf, wenn der Herr Präsident es erlaubt, einen kurzen Passus daraus vorlesen:
Aus den vorgeschlagenen Bestimmungen (dieser Gesetze) wird ersichtlich, daß man die Presse primär als eine lästige, gefährliche, des Vertrauens nicht würdige Einrichtung betrachtet, gegen die im Falle der äußeren oder inneren Gefahr, sogar schon im Katastrophenzustand weitestgehende gesetzgeberische und verwaltungsmäßige Beschränkungsmöglichkeiten geschaffen werden sollen.
Das ist ein hartes Wort des Presserates. Aber er hat diese Entschließung einstimmig gefaßt, und die wenigsten der ehrenwerten Mitglieder dieses Gremiums, in ihrem Amt erfahrene Männer, die — zumeist seit vielen Jahren — im öffentlichen Leben bewährt sind, würden bereit sein, säßen sie hier, in meinen Reihen mit Platz zu nehmen. Und dennoch haben sie diese Auffassung wohlüberlegt geäußert und schriftlich niedergelegt. Es muß doch etwas dran sein an der gemeinsamen Auffassung derer, die sich da betroffen fühlen, und es müßte etwas geschehen, damit sie nicht noch weiter in die Verängstigung oder in die Drangsal, in die Einsamkeit oder in die Opposition zu der Regierung getrieben werden, die ihrer im Notfall besonders bedarf. Sie alle verkennen nicht, daß bei äußerer Gefahr — wie es in der Entschließung auch heißt — „eine gewisse Beschränkung der Informationsfreiheit aus Sicherheitsgründen" erforderlich werden kann, der „Informationsfreiheit" und nicht der Meinungsfreiheit; „aus Sicherheitsgründen" und aus keinen anderen Gründen sei „eine gewisse Beschränkung" zulässig. Aber weder Exekutive noch Legislative sollte, um einen Akt der Vernunft zu begehen, durch eine Beschneidung der Rechte, die in Art. 5 des Grundgesetzes gegeben sind, einen Akt der Selbstverstümmelung begehen und ein Siechtum der Demokratie herbeiführen. Wir müssen doch heraus aus der Gängelung oder aus den Gleisen, die zur Gängelung führen, die zur Zensur, zur Weisung und zum Befehl führen.
Ich glaube, daß wir da in den Vorgängen, die während und nach der Kubakrise — und das sei das letzte Beispiel — zu verzeichnen waren, vieles lernen können. Als die Kubakrise ausbrach, hat der



Sänger
Präsident der Vereinigten Staaten, Herr Kennedy, durch den Pressechef des Weißen Hauses, die Pressechefs ides Justizministeriums und des Verteidigungsministeriums die leitenden Männer der nordamerikanischen Agenturen und der freien Sendegesellschaften um sich versammelt. Sie haben eine Liste von 12 Kategorien von Nachrichten und militärischen Informationen erarbeitet und empfohlen, sich daran zu halten und über diese Themen nicht zu berichten. Im Zweifel stand die Pressestelle des Verteidigungsministeriums „in beratender Eigenschaft" zur Verfügung. Das ging gut! Aber dann wurde einer übermütig. Bemerkenswerterweise — oder vielleicht auch nicht — war es der Pressechef des Verteidigungsministeriums. Er schrieb, als die Kubakrise vorbei war: „In der Art der Welt, in der wir leben, wird die Erzeugung von Nachrichten durch Maßnahmen der Regierung zu einer Waffe in einer angespannten Situation." Er lobte also sich und die „Erzeugung von Nachrichten durch Maßnahmen der Regierung". Er überging dabei, daß die Presse sich freiwillig untergeordnet hatte, und das forderte nun die heftigste Kritik der amerikanischen Presse heraus. „Washington Star" schrieb:
Mister Sylvester hat vielleicht eine mögliche Folge dieser seiner „Methoden" übersehen. Das ist, daß er und seine Vorgesetzten von jetzt an verdächtig sind. Sie haben nach unserer Ansicht rücksichtslos und gedankenlos ein Vertrauen, das wir gegeben haben, verspielt, ein Vertrauen, das in unserem Lande die Regel und nicht die Ausnahme war. Was diese heute von jetzt an als Quellen der Unterrichtung von sich geben, kann vielleicht wahr sein; aber man wird diese Wahrheit immer mit Vorsicht aufnehmen.
Hier ist Glaubwürdigkeit verspielt worden, und sie ist schwerer zurückzugewinnen als irgend etwas anderes. Viele amerikanische Stimmen lauteten ähnlich; ich will sie Ihnen nun nicht mehr zumuten. Aber das Ergebnis dieser Lehren auch aus der Kubakrise war in den Vereinigten Staaten, daß man beim Präsidenten ein Beratungsgremium eingesetzt hat. Es soll Empfehlungen für die Presse und für die Regierung aussprechen. Es soll der Regierung nämlich sagen, daß es gewisse Geheimhaltungsanordnungen oder Auffassungen gibt, die unzweckmäßig sind. Man schlägt vor: die Mitglieder dieses Gremiums sollen Geheimnisträger sein, sie sollen nicht von der Regierung, sondern von ihren Arbeitgebern bezahlt werden, sie sollen unverfolgbar sein und ein offenes Gespräch führen, und sie sollen unnötige Vorschriften über Geheimhaltung unterbinden.
Auch unser Entwurf nimmt in seiner Begründung
— nicht im Gesetzestext — zu einem Beratungsgremium, zu einer Selbstkontrolle, Stellung. Aber es heißt dann in dieser Begründung, daß die Einschränkungen des Gesetzes — wörtlich —
daher praktisch nur dann in Betracht kommen, wenn es nicht zur Einrichtung einer ausreichenden Selbstkontrolle kommt
— wer bestimmt, welche Kontrolle ausreichend ist? —
oder wenn diese ganz oder teilweise versagt
— wer bestimmt, wann sie ganz oder teilweise versagt? —
oder wirkungslos bleibt.
Der Herr Minister sagte heute dazu, es müsse der Regierung vorbehalten sein, in einem solchen Falle zu bestimmen. Ich kann nur mit dem Herrn Kollegen von der FDP sagen: dann wäre die Regierung auch in einem solchen Falle Richter in eigener Sache. Diese Art von Selbstkontrolle reicht nicht, und es reicht auch nicht, sie in der Begründung zu erwähnen, nicht aber im Gesetz. Sie muß institutionalisiert werden, sie muß im Gesetz stehen. Sonst erleben wir bei der ersten Auseinandersetzung den Streit.
Wenn aber Selbstkontrolle — wie sähe das in der Praxis aus? Die Zeit ist zu weit fortgeschritten, als daß ich Ihnen das einmal in der Ausführlichkeit darstellen könnte, die notwendig wäre. Wenn ich mich an den Umbruchtisch einer Zeitung oder in die Redaktion der Rundfunk-Nachrichtenabteilung oder des Fernsehens zurückversetzt fühle, — dort dann die Selbstkontrolle in der Einzelheit einschalten zu wollen ist eine Unmöglichkeit. Darüber muß im Ausschuß gesprochen werden.
Ganz richtig hat der Pressechef des amerikanischen Verteidigungsministeriums gesagt, daß die Schwierigkeit in allen Fällen immer nur in der Tatsache liegt, daß die Journalisten in der Eile, im entscheidenden Moment, nicht die Möglichkeit haben, genau zu wissen, daß sie sich in diesem aktuellen Fall so oder so verhalten sollen. Deshalb sollten wir — wir kämpfen ja seit 1960 oder, genauer, 1959 darum, in ein solches Gespräch zu kommen; ich sagte es hier schon einmal, und ich bin auch immer dankbar für die Hilfe, die uns Herr Dr. Güde damals im Deutschen Presserat geleistet hat — in einem solchen Gespräch überlegen, zu einer gemeinsamen Arbeit zu kommen, die auch praktiziert werden kann.
Wir haben erlebt, daß Fachleute nicht in der Lage waren, uns verbindlich zu sagen, welche Nachricht gefährlich oder nicht gefährlich ist. Herr Kollege Dresbach, vielleicht läßt Ihre Erinnerung Sie nicht im Stich: wir haben etliche Male in der Redaktion unserer Zeitung von den zuständigen Stellen freigegebene Nachrichten aus eigener Verantwortung nicht in die Zeitung genommen, weil es uns so um des Ganzen willen zweckmäßiger erschien. Es gibt umgekehrte Fälle. Es gibt den umgekehrten Fall — es gab ihn sogar in unseren Tagen in der Bundesrepublik —, daß die im Ausland veröffentlichte Informationen im Inland nicht gern gesehen wurden. Man konnte sie ja nicht sperren. Das zerstört das Vertrauen, wenn der Leser in einer ausländischen Zeitung liest oder im ausländischen Rundfunk hört, was ihn interessiert und angeht, wenn aber seine eigene Zeitung es ihm verschweigt. Herr Minister Höcherl, lassen Sie sich da von Ihren Fachleuten nicht in die Irre führen als einfacher Zeitungsleser. Auch Ihnen geht es nicht anders, als daß Sie erschrocken, erstaunt, böse und ärgerlich sind, wenn Sie morgens, falls Sie im Notstand den vielleicht verbotenen Rundfunk einschalten, daraus hören,



Sänger
was Sie viel lieber in Ihrer Zeitung gelesen hätten. Es ist der Wunsch, daß wir alle redlich miteinander versuchen, durch diese Gesetzentwürfe und insbesondere durch diesen Gesetzentwurf nicht in ein Zwielicht der Prinzipien zu kommen und nicht in eine Differenzierung in der Praxis.
Aus der Selbstveranwortung der Presse können wir hier wahrscheinlich Nützliches schaffen. Ein vernünftiges Verhältnis zwischen Staat und Presse wird keinen totalen Frieden schaffen. Die Presse kontrolliert den Staat; das ist ihre Pflicht. Sie kontrolliert uns; das ist ihre Pflicht und uns nicht immer sehr angenehm, aber sie erfüllt damit eine Aufgabe. Diese Kontrollfunktion soll und muß erhalten bleiben. Die Gesetzentwürfe müssen das deutlich zum Inhalt haben, und es soll kein Schritt zur demokratischen Wirklichkeit und Praxis versäumt werden. Wenn wir durch diese Gesetzentwürfe glaubwürdig bleiben wollen, wenn wir unsere innere Ordnung erhalten wollen, müssen wir darauf dringen, daß sie jeden einzelnen möglichen Fall zu regeln versuchen, nicht den Sonderfall, sondern den Grundsatzfall.
Wie wenig begründet im übrigen Sondermaßnahmen gegen die Presse bei innerem Notstand sind, sollte aus der Tatsache hervorgegangen sein, daß der Herr Minister vorhin die Konstruktion suchen mußte, ein innerer Notstand entstünde möglicherweise aus den militärischen Interessen einer fremden Macht. Ich möchte mich gegenüber möglichen Gefahren von außen nicht verschließen, aber ich möchte nicht, daß wir beliebig eine Puppe tanzen lassen, was sehr gefährlich nach der einen wie nach der anderen Seite werden könnte. Wenn innerer Notstand da ist, dann hat der Kampf der Geister begonnen, und gerade dann sollte die Presse in Information und Meinungsäußerung ganz frei und ungebunden helfen, daß sich die Demokratie und der Geist des Rechtes in diesem Lande durchsetzen.
Ich komme zum Schluß. Die Arbeit im Ausschuß wird beträchtlich sein müssen. In Art. 115b Abs. 2 Buchstabe a) des Entwurfs steht, daß die Grundrechte aus Art. 5 des Grundgesetzes „über das sonst zulässige Maß hinaus" beschränkt werden können. Wir kennen schon heute nicht zuverlässig das „sonst zulässige Maß", und eigentlich hat erst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in einem gewissen Umfang Richtlinien gegeben. Im Falle des Notstandes soll das Grundrecht nach Art. 5 aber noch über das sonst zulässige Maß hinaus eingeschränkt werden. Das muß genauer gesagt werden. Sondergesetze? Wofür? Auch für den Einzelfall? Es wird nicht einmal von „nötigen" Maßnahmen gesprochen, und ich glaube, daß auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verpflichtend in diesem Gesetz steht.
Praktisch könnte die Regierung im äußeren Notfall Nachrichten verbieten und Nachrichten anordnen, Meinungen verbieten und Meinungen anordnen, amtliche Aussagen in den Textteil bringen — die auch im Inseratenteil erscheinen können! —, Zeitungen verbieten und ihnen das Papier entziehen. Sie könnte Zensur anordnen. Freilich, das wäre ein Antasten des Grundrechts in seinem Wesensgehalt, und wir können das Grundgesetz ja nicht ändern, sondern nur ergänzen.
Nicht nur die Bundesregierung soll diese Rechte, die im Entwurf vorgesehen sind, haben, auch die Länder und möglicherweise untere Instanzen. Die Folge wäre eine allgemeine Rechtsungleichheit, Rechtsunterschiedlichkeit und Rechtlosigkeit. Das Notstandsgesetz, das wir gemeinsam erarbeiten wollen, muß so beschaffen sein, daß es keiner Regierung und zu keiner Zeit eine Chance bietet, mit seiner Hilfe und unter seinem Schutz Ziele zu erreichen, die anzustreben in normaler Zeit das Risiko des Regierungssturzes herbeiführen würde. Für die Praxis muß es brauchbar sein, für die demokratische Praxis und die freiheitliche Ordnung, die gewahrt werden muß. Es muß klare Regelungen treffen und genaue Abgrenzungen vornehmen. Es soll Verzicht leisten auf die Beschneidung von Grundrechten; denn es geht auch ohne diese Beschneidung, und es soll herkömmlich, unkompliziert und ohne Anweisungen zu geben der Presse eine freie Arbeit ermöglichen. Es darf kein Zwielicht über diesem Gesetz sein und auch nicht über der voraussehbaren Wirklichkeit, die dieses Gesetz schafft. Es muß Klarheit herrschen über Artikel 5 und seine Effektivität — oder: Hände weg von diesem Artikel 5!
Für uns Sozialdemokraten gilt, daß Wortlaut und Geist des Grundgesetzes maßgebend bleiben. Dort ist unübersehbar und eindeutig die Grenze gezogen, die auch diesen Notstandsgesetzen gezogen bleiben muß. Diesen Geist des Grundgesetzes wollen wir uns nicht durchlöchern lassen.

(Beifall bed der SPD und 'vereinzelt in der Mitte.)


Dr. Eugen Gerstenmaier (CDU):
Rede ID: ID0405602400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Güde.

Dr. Max Güde (CDU):
Rede ID: ID0405602500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich, bevor ich mich mit dem Debattestoff befasse, ein Wort zu dem Angriff sage, der auf einen Abwesenden gestartet worden ist, auf den früheren Justizminister Schäffer. Erlauben Sir mir, daß ich für meinen alten Minister, dem ich mich immer noch persönlich verbunden fühle, ein Wort sage, weil er ein Abwesender ist.

(hat — bis 1933 und nach 1945 —, der zwischen 1933 und 1945 im KZ war, zunächst das Recht geben, selbst zu dem Stellung zu nehmen, was da berichtet worden ist. Dr. h. c. Güde Haben Sie bitte Verständnis dafür, daß ich das für einen Abwesenden gesagt habe. Nun, meine Damen und Herren, ich glaube, ich kann schon versuchen, ein wenig Ernte der Debatte des heutigen Tages einzubringen. Ich meine, so ganz unzufrieden sollten wir alle mit uns nicht sein. Nirgends ist ein vorbehaltloses Ja zu der Regierungsvorlage und nirgends ein absolutes Nein, und das entspricht genau der Situation. Mein Kollege Hoogen hat auch von seiner Sicht aus Gedanken vorgetragen, die in die Tiefe des Entwurfs führen, und von Ihnen, meine Herren von der Opposition, habe ich zwar manches Nein gehört, aber vor allem doch ein grundsätzliches Ja. Dieses Ja will ich unterstreichen und betonen; denn darauf kommt es doch an, daß wir diese Aufgabe — das haben im Grunde alle von jeder Seite dieses Hauses gesagt — als eine gemeinsame Aufgabe ansehen und in die Hand nehmen. Wenn wir an dieser Aufgabe scheitern würden, dann wäre nicht die Regierung gescheitert, nicht die Koalition gescheitert, dann wären wir alle miteinander an einer unabdingbaren Aufgabe dieses Staates gescheitert. Gott sei Dank, so sehen die Dinge nicht aus. Ich verbuche mit Dank Ihr grundsätzliches Ja. Ich darf zu der gemeinsamen Aufgabe noch ein Wort sagen. Der Gedanke ist auch schon angeklungen. Es ist eine Aufgabe gerade einer Demokratie, einer rechtsstaatlichen Demokratie — und je rechtsstaatlicher sie ist, desto mehr hat sie das Bedürfnis —, ein Sonderrecht für die Zeiten der Not zu schaffen. Die Diktatur kennt kein Notstandsproblem. Die Diktatur, der totalitäre Staat, lebt im dauernden Ausnahmezustand, nämlich im Zustand der hemmungslosen, durch das Recht nicht gebundenen Macht. Es ist doch das Wesen eines demokratischen Rechtsstaates, daß er um der Freiheit willen, um der freiheitlichen Ordnung willen sich selbst in der Ausübung seiner Macht auf vielfältige Weise bindet. Wenn er dann aber in Gefahr gerät und es dann um die Bewahrung der Freiheit im ganzen und die Bewahrung der Freiheit seiner Bürger geht, dann muß er diese Bindungen nicht ablegen, nicht abschaffen, aber lockern können, um so seiner selbst und seiner Macht mächtig zu werden, daß er sich der Feinde erwehren kann, die an kein Recht gebunden sind. Deswegen ist das gerade ein Problem der rechtsstaatlichen Demokratie, mit dem man fertig werden muß, ein Problem, bei dem es gerade darum geht, daß der Aunahmezustand, daß der Notzustand nicht lediglich nach der Regel „Not kennt kein Gebot" und nicht nach der vagen Regel vom übergesetzlichen Notstand, sondern daß auch der Ausnahmezustand und der Notfall nach Recht geregelt werden. Nach Recht! In der Begründung der Regierungsvorlage steht mit Recht das Wort von der Gewissensnot, in die die Regierenden kommen, nämlich die Gewissensnot zwischen zwei Dingen, die die Regierung, der Bundespräsident, der Bundeskanzler und die Bundesminister in dem Eid schwören, den sie vor uns, vor diesem Parlament, leisten, einmal das Grundgesetz und die Gesetze zu wahren, aber auch Schaden von diesem Staat abzuwenden. Das kann eine wahrhafte Gewissensnot werden, wenn man sich zwischen dem einen und dem anderen entscheiden muß. Aber es steckt — meine Damen und Herren, wir haben das alle erlebt — die noch breitere Gewissensnot der Bürger im Staat drin, die wissen wollen und wissen dürfen und wissen müssen, ob sie gehorchen können, ob der, der befiehlt, im Recht ist, Haben wir nicht alle durch ein Jahrzwölft diese Gewissensnot erlebt? Darum zum zweiten ist diese Notstandsregelung notwendig, um dem Bürger die Gewißheit des Rechtes zu geben. Es ist schon ein paarmal das Wort vom Mißtrauen angeklungen. Herr Kollege Leber, ich nehme das, was Sie uns vorgetragen haben, wirklich ernst, wie ich überhaupt sage: wir sind in dieser Materie in einer Lage, daß wir uns gegenseitig ernst nehmen müssen; denn wir müssen miteinander einig werden. Wenn wir uns nicht ernst nähmen und wenn wir nicht den Willen hätten, miteinander einig zu werden — die Regierung mit uns und wir untereinander, vor allem aber wir untereinander —, dann könnte uns dieses Werk nicht gelingen. Der Herr Kollege Leber hat von der Notstandspsychose gesprochen. Ja, das ist wahr. Ich könnte, wenn ich polemisieren wollte — aber ich habe mir vorgenommen, nicht zu polemisieren, sondern zum Frieden zu sprechen —, fragen: Woher kommt es, daß dieser Teufel noch an die Wand gemalt ist? Da ist nämlich ein falscher Teufel an der Wand. Da ist unter uns Deutschen einmal noch die Erinnerung an Monarchie, die althergebrachte Vorstellung von einer Obrigkeit, die nicht wir selber sind, was aber gar keine demokratische Vorstellung ist; denn wir alle sind nach jenem Satz von der Identität von Regierenden und Regierten auch die Obrigkeit. Wir — ich meine nun nicht nur das Parlament, sondern das ganze Volk — setzen Recht. Es sitzt in dem Teufel an der Wand selbstverständlich auch die Erinnerung an das verdammte „Dritte Reich". Aber es sitzt noch einiges andere drin, was in den letzten Jahren dazugemalt worden ist. Wir sollten alles dazu tun, daß das, was dazugemalt worden ist, wieder verblaßt. Wir sollten uns klarmachen, daß die Notstandsregelung, die da getroffen werden muß, nicht die Notstandsregelung der Regierung ist, nicht die Notstandsregelung der Koalition und auch nicht die Ihrige Ich will auf solche Dinge wie das Alete-MilchBeispiel gar nicht eingehen — vielleicht sagt der Herr Minister selber nachher etwas dazu —, sondern umgekehrt sagen: es dreht sich um den Fall einer extremen Gefahr für uns alle. Deswegen ist das die Notstandsregelung, die unser aller Recht sein wird, unser aller Recht und Pflicht. Dr. h. c. Güde Haben Sie doch Vertrauen zu uns allen! Haben wir doch Vertrauen zu uns allen! Haben wir doch einmal Vertrauen dazu, daß dieses deutsche Volk endlich auch eine demokratische Tradition beginnt, daß es auch einmal fertigbringt, was die alten Demokratien — beispielsweise England — durch zwei Weltkriege und in der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre gezeigt haben, daß nämlich in einer traditionellen Demokratie in der Zeit der Not alle Kräfte, die zum Staat stehen — alle! —, zusammenrücken und daß es darum nicht die eine oder die andere Regierung sein wird, sondern daß es in jenem Augenblick die Regierung der nationalen Not sein wird, in der sich alle Kräfte sammeln werden. Sie werden sagen: Und wo haben wir die Sicherheit dafür, daß das so sein wird? — Hineinschreiben können Sie es nicht, sondern Sie müssen ein wenig Vertrauen haben. Aber ohne ein wenig Vertrauen können Sie die ganze Demokratie nicht wagen, meine Damen und Herren. Aber ich sage es noch einmal ganz klar. Nach meiner Vorstellung wird die Regierung, die die künftige Notstandsregelung einmal handhaben muß, eine Regierung des nationalen Notstandes sein und darum eine Regierung, in der sich alle verfassungstreuen Kräfte gefunden und gebunden haben. Ich sage 'das — diese Prognose, die ich wage — nicht nur aus persönlicher Liebenswürdigkeit, meine Damen und Herren, sondern ich bin sicher, daß Herr von Brentano, der durch seine Erkrankung daran gehindert worden ist, die Debatte heute für unsere Fraktion zu eröffnen — ich bin sicher, da ich mit ihm gestern früh darüber gesprochen habe —, denselben Gedanken vorgetragen hätte, den Gedanken des Vertrauens, daß in diesem Staat in 'der Zeit des Notstandes sich einmal die demokratischen Kräfte wirklich alle zusammenfinden werden. Ich will daran eine Teilfrage anknüpfen. Die Versuchung läge für mich nahe, auf eine Reihe von Teilproblemen einzugehen. Wir alle, die etwa in meinem Lebensalter sind, haben in unserer Lebenszeit Erfahrungsfälle genug erlebt, im eigenen Land und im fremden Land. Nicht nur bei uns ist die Demokratie untergegangen; sie ist auch anderwärts untergegangen und teilweise noch nicht wieder zum Leben erwacht. Wir haben Erfahrungsstoff genug, um jede der Bestimmungen irgendwo auf Exempelfälle anwenden zu können. Herr Kollege Schäfer, Sie haben die Frage aufgeworfen, welche Mehrheit im Notparlament erforderlich ist — die Zweidrittelmehrheit —, welche Mehrheit überhaupt für die normale Notstandsausrufung notwendig ist. Ich habe Zeiten in Erinnerung im deutschen Vaterland und in anderen Staaten, die um die Demokratie gerungen haben und in diesem Ringen erstickt sind, wo die Zweidrittelmehrheit nicht genügt hätte, um die Entscheidung der verfassungstreuen Kräfte, die den Staat, die freiheitliche Grundordnung und die Demokratie hätten halten wollen, für die Freiheit und für die Demokratie zu tragen. Auch dessen muß man sich bewußt sein. Ich will weder diese noch eine andere Frage jetzt so oder so entscheiden. Ich habe von der Regierungsbank eine Conditio sine qua non und von Ihnen einige peremptorische Nein gehört. Ich bitte nach allen Seiten hin: sagen wir kein absolutes Nein, sondern behalten wir uns alle vor, mit dem Ernst, mit dem das uns alle angeht, noch einmal jede Frage zu überlegen und zu ihr Stellung zu nehmen. Das sind alles schwere Fragen. Ich persönlich neige einstweilen noch dazu, zu der Conditio sine qua non des Ministers ja zu sagen. Dort geht es um das Äußerste an Rechtsetzungsbefugnis der Regierung. Eines ist sicher: welches Notstandsorgan Sie auch als letztes einsetzen — ich sage noch einmal mit der Bitte um Vertrauen: ich glaube daran, daß es ein Notstandsorgan aus uns allen sein wird —, Sie werden ihm die Rechtsetzungsbefugnis nicht absolut absprechen können. Denn das ist in der ganzen breiten Literatur völlig klargestellt: ohne Rechtsetzungsbefugnis läßt sich der Notstand nicht meistern. (Abg. Dr. Schäfer: Sie müssen aber sagen, wer die Befugnis haben soll!)


(Beifall bei den Regierungsparteien.)





(Vorsitz: Vizepräsident Schoettle.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)


(Beifall bei der CDU/CSU.)





(Beifall bei der CDU/CSU.)

Sie können nicht auf die reinen Maßnahmen verweisen, Sie können keine reine Abhilfe handelnder Art schaffen. Die unendlich komplizierten Verhältnisse in einem modernen Massenstaat verlangen, daß im Notstandsfall auch Recht für die Zeit dieses Notstandes geschaffen wird. Ich kann mir eine wirksame Abhilfe sonst nicht vorstellen. Und, meine Damen und Herren, auch darüber wollen wir uns doch einig sein: wenn wir eine Notstandsregelung — nicht gern, nicht mit Leidenschaft, sondern als notwendiges Übel — schaffen, dann wollen wir kein hölzernes Eisen fabrizieren, kein hölzernes Eisen, mit dem die Not doch nicht abgewendet werden kann, sondern dann in Gottes Namen doch etwas, das uns allen — nicht irgendwem, sondern den von uns Bevollmächtigten — die Möglichkeit gibt, die Not wirklich abzuwehren.
Sie haben aus den Ausführungen des Kollegen Hoogen gehört, daß uns die Sorge nicht fremd ist, daß diese Vollmacht mißbraucht werden kann; daß uns die Sorge nicht fremd ist, wie diese Vollmacht endet. Niemand in diesem Hause nimmt die fremden Sorgen nicht ernst, weil er eigene Sorgen hat, die in dieselbe Richtung laufen. Aber à propos Sorge: der Herr Kollege Leber hat vom Standpunkt der ,Gewerkschaften ein gutes Plädoyer für die Gewerkschaften gehalten, ein gutes, das ich mit Interesse und Verständnis angehört habe und in dem mir gar nicht alle Gedanken fremd sind; bei dem ich ihm im entscheidenden Punkt recht gebe. Im entscheidenden Punkt nämlich werden wir ihm alle recht geben: daß das Notstandsrecht nicht gegen die Koalitionsfreiheit verwendet werden darf. Wir werden im Ausschuß offen darüber reden müssen, ob das für die Ausübung des Streikrechts in jeder Stunde und unter jeden Umständen möglich ist. Das muß geschehen mit jenem Gefühl von Selbstverantwortung, das er mit Recht für die deutschen Gewerkschaften in Anspruch genommen hat, mit jenem Gefühl der Selbstverantwortung, von dem er gesagt hat — und ich glaube es ihm —, daß zur gemeinschädlichen Stunde die deutschen Gewerkschaf-



Dr. h. c. Güde
I ten nicht streiken würden. Jedenfalls sind wir darin einig, daß dieses Notstandsrecht kein Kampfmittel gegen die Gewerkschaften und ihr allgemeines Streikrecht sein darf. Und es wird es nicht sein!

(Abg. Jahn: Wir hören .das gern!)

Ich sage, meine Damen und Herren, ich rede zum Vertrauen und zum Frieden, weil es anders gar nicht möglich ist, daß wir in dieser lebenswichtigen Frage unserer Demokratie zu einer Einigung kommen. Denn bei dem, was wir haben, können wir nicht stehenbleiben. Bei dem Vorbehalt der Alliierten können wir nicht stehenbleiben; das ist unser unwürdig und bringt diejenigen, die es im gegebenen Augenblick anwenden müssen, in noch größere Gewissensnot. Denn wir setzen sie mit einer Notstandsregelung wenigstens in die Lage, im Geiste des Grundgesetzes auch die Abweichungen vom Grundgesetz noch zu handhaben. Im Geiste des Grundgesetzes! Wenn wir sie auf die Vorbehalte der Alliierten verweisen, auf was verweisen wir sie dann als wirkliches Recht und Geist des Rechtes?
Nein, meine Damen und Herren, ich plädiere für das Vertrauen, und ich plädiere auch um Vertrauen für die Regierungsvorlage im allgemeinen als eine Grundlage der Diskussion und der Erörterung. Man muß einmal auch ein gutes Wort sagen für die Arbeit, die hier von den Mitarbeitern des Herrn Ministers geleistet worden ist, und auch für die Verständigungsbereitschaft, mit der der Herr Minister an diese Aufgabe herangegangen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wir von der CDU/CSU hätten manchmal darüber gekränkt sein können, daß er mehr geneigt schien, mit Ihnen zu sprechen, als mit uns. Aber wir haben ihn deswegen nicht getadelt, weil wir das als ein positives Vorzeichen der Arbeit und der Einigung angesehen haben, die nun einfach geleistet werden muß — und deswegen, meine Damen und Herren, nicht nur Sie von der Opposition, sondern alle, beschwöre ich Sie — für diese Arbeit, die — man glaubt es nicht ganz, wenn man die Besetzung des Hauses sieht — von entscheidender Bedeutung für unsere Demokratie ist. Der Geist, in dem wir das schaffen, wird ein Stück der Prägung des Ganzen sein. Ich muß noch einmal sagen, was ich einmal in ganz anderem Zusammenhang gesagt habe: Ein wenig weniger Angst! Es gibt keine absoluten Sicherungen gegen Mißbrauch. Wir Juristen haben weder im Zivilrecht noch im Staatsrecht die absolute Formel erfunden, mit der wir einen Bevollmächtigten daran hindern können, daß er uns hintergeht und daß er seine Vollmacht mißbraucht. Dieses Ei des Kolumbus werden wir auch hier nicht finden.
Aber die wahre Sicherung — und darin bin ich mit all meinen Vorrednern, auch mit denen der Opposition, durchaus einig — liegt in unserem demokratischen Geist, in unserem Willen zur rechtsstaatlichen Ordnung, in unserem Willen zur Freiheit. Seien Sie versichert, Herr Kollege Sänger, das gilt ganz bestimmt — und Sie sehen das auch im Regierungsentwurf in einer Weise sich abzeichnen, die man doch nun einmal positiv sehen und bewerten muß — auch für die Pressefreiheit, die uns so lieb ist wie Ihnen, die uns allen so teuer ist wie Ihnen, auch wenn wir etwas schärfer betonen, daß dieser Freiheit auch eine Verantwortung gegenübersteht.
Ich erinnere Sie, Herr Kollege Sanger, an das, was Frey gerade jetzt vor einem Jahr in dem Vortrag vor dem Presserat gesagt hat:

(Abg. Dr. Schäfer: Genau das meinen wir!)

Die Presse muß auch ihrerseits bereit sein, wenn ihr relative Freiheit gewährt wird, in entsprechendem Verhalten den Kompromiß zwischen Staatsräson und Freiheit des öffentlichen Worts als eines Menschenrechtes zu vollziehen und zu ertragen. Wenn Sie, Herr Kollege Schäfer, sagen: Genau das, was Frey gesagt hat, meinen wir, dann sind wir in einer geradezu idealen Weise einig; denn genau das, was Frey gesagt hat, meinen wir auch und haben wir laut und deutlich durch Jahre hindurch schon gesagt. Ich meine sogar, praktiziert hätte ich es.
Aber lassen wir uns doch nicht nur in diesem Punkt einig sein, sondern im ganzen, daß es um die beste Art geht, in Einigkeit, zu der uns einmal die Lage zwingt — und das ist gut so —, nach dem besten Wege zu suchen, die Freiheit aller und des Ganzen auch in Zeiten der Not zu bewahren.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0405602600
Das Wort hat der Herr Bundesminister ides Innern.

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0405602700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich mich noch in diese Runde zu der Diskussion über die Notstandsverfassung einfüge und mit Dankbarkeit vermerke — ich darf mich einem Wort des Herrn Kollegen Güde anschließen —, daß alle Diskussionsbeiträge konstruktiver und positiver Natur waren und schon eine ganze Reihe von Anregungen gebracht haben, die in den Ausschüssen verwertet werden können. Ich nehme diese Anregungen und die Art, wie hier diskutiert wird, als eine Vorleistung auf den Verlauf der Ausschußberatungen.
Nun ist eine Diskussion dann am erfolgreichsten, wenn man gewisse Irrtümer oder gewisse Darstellungen, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen, sofort aufklärt. Dann sind sie nützlich. Die Freundschaftlichkeit, alles in Ehren! Aber am allerbesten dient man dem Fortschritt der Arbeit durch sachliche Aufklärung.
Ich darf gleich mit meinem Freunde Herrn Kollegen Hoogen beginnen. Ich muß ihm zugeben, daß er eine Lücke in unserer Konstruktion gefunden hat: Was geschieht in dem Fall, daß im Rahmen der Entwicklung der Ereignisse möglicherweise der Regierungschef ausfällt und damit die ganze Regierung außer Funktion gesetzt wird? — Das ist richtig. Wir haben diese Sache nicht bedacht und sind dabei, Überlegungen anzustellen. Ich bin der Meinung, wir müssen eine Lösung finden. Allerdings kann sie nicht endgültig sein; denn wenn wir in diesen Zeiten gezwungen sind, irgendwie eine Ersatzwahl durchzuführen, dann müßte sie meines Er-



Bundesminister Höcherl
achtens so geschehen, daß sie vorübergehend, für diesen Zeitraum, gilt, daß sie aber in einer ordentlichen Form nachgeholt wird, wenn die zuständigen Organe wieder aktionsfähig sind.
Die weitere Rüge, die Herr Kollege Hoogen erteilt hat, daß wir den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Adäquanz der Mittel nicht ausreichend dargestellt haben, ist bereits wiederholt widerlegt worden. Einmal findet der Grundsatz sich in der ganzen Verfassung, er beherrscht das Verwaltungsrecht insgesamt und steht auch noch ausdrücklich in Art. 115 a Abs. 5. Ich bin gern bereit, ihn auch wiederholt hineinzuschreiben. Aber ich bin nicht der Meinung, daß Wiederholungen etwas bekräftigen können, was das ganze Rechtssystem, auf das es hier ankommt, beherrscht.
Herr Kollege Hoogen, Sie haben eine sehr kühne Erwartung ausgesprochen. Sie haben in einer sehr eleganten Formulierung erklärt, es müßten nun Wege gefunden werden, den Fluchtweg des Parlaments, des großen oder des kleinen, zu verlegen, diesen Fluchtweg, der in der Weimarer Zeit eine große Rolle gespielt hat, im zweiten Teil, aber auch im ersten Teil. Ich bin gern bereit, alles zu unternehmen, um Sie bei dieser Sperre zu unterstützen. Aber mein Glaubensvermögen in solchen Dingen ist nicht ,ganz so groß und mein Optimismus ist auch nicht ganz so groß bezüglich dessen, was wir institutionell erreichen können, um in ernsten Zeiten die Gewissenhaftigkeit und Präsenz usw. zu erreichen, nachdem es in einfachen Zeiten schon so schwierig ist, wo es nur Fragen der Bequemlichkeit sind. Also: Sie gestatten mir, daß meine Hoffnung nicht ganz so weit geht. Aber Sie erhalten jede nur denkbare, mögliche Unterstützung, die Sie haben wollen, gerade in dieser 'Frage.
Überhaupt bin ich der Meinung, daß man in Institutionen und Gesetzgebungstechnik nicht übermäßige Erwartungen setzen soll. Gehen wir vielmehr von dem Grunddurchschnitt der menschlichen Charakterverfassung — der psychologischen Verfassung — aus und orientieren wir uns daran. Dann ist es genau das, was wir treffen müssen. Wir sind allzumal Sünder, und Böcke und Schafe gibt es überall; wir nehmen uns also gar nicht aus. Aber man soll keine übermäßigen Erwartungen hegen.
Ich habe sehr viel in schönen und eleganten Formulierungen versteckte Romantik — Verfassungsromantik — gehört. Die Verfassungswirklichkeit entscheidet. Halten wir Maß in den Erwartungen, dann treffen wir das Richtige; Sie wissen schon, was ich meine. Sie denken in Wirklichkeit genauso. Aber diese Tribüne verführt gewissermaßen, große Themen in Wortgirlanden zu behandeln.

(Zurufe von der SPD. — Abg. Wittrock: Herr Minister, es ist schlecht, wenn der Verfassungsminister hier die Vokabel „Verfassungsromantik" erfindet!)

— Ich habe sie doch nicht erfunden, Herr Kollege
Wittrock, sondern ich habe etwas charakterisiert,
was ich hier habe vortragen hören. Das Recht steht
mir zu, genau wie es auch Ihnen zusteht, wenn Ihnen etwas nicht gefällt, was ich sage; und davon machen Sie auch reichlich Gebrauch.
Nun darf ich mich den Ausführungen, dem Hauptreferat, wenn ich so sagen darf, des Herrn Kollegen Schäfer zuwenden, der auch schon bei dem früheren Entwurf des Kollegen Schrader gesprochen hat, welcher auch wieder etwas mitbehandelt worden ist, obwohl er gar nicht zur Debatte steht. Ich bin überzeugt, daß auch der Kollege Schröder in seiner Konzeption von den besten Erwartungen ausgegangen ist. Er ist ein genauso guter Demokrat wie wir alle. Wir sollten nicht zwischen besseren und schlechteren Demokraten differenzieren.

(Abg. Dr. Schäfer: Das hat niemand getan!) — Ja, gut.

Nun zu Ihren Ausführungen! Sie rügen als erstes, das sei doch nicht die ganze Notstandskonzeption. Sie möchten es nun also ganz absolut und vollständig sehen. Sie haben bemängelt, daß über die territoriale Verteidigung, ihre Absichten usw., nichts vorgetragen wurde. Ich bin einverstanden, daß da Beiträge geleistet werden müssen. Aber ich bin auch der Meinung, daß sich das am besten im Ausschuß vortragen läßt. Ich kann mir vorstellen, daß der Herr Verteidigungsminister das nachholen wird.
Im übrigen haben wir mit neun Gesetzen fast ein Übermaß an Konzeption vorgelegt. Ich kann mich, solange ich die Ehre habe, in diesem Hause zu sein, nicht erinnern, daß sich eine solche Fülle an einem einzigen Bezugspunkt orientiert. Wir machen ja jetzt gemeinsam Pakete. Das ist die moderne Form der Gesetzgebung. Aber immerhin scheint es das reichhaltigste und dickste Paket zu sein und hat damit auch für die Vollständigkeit der Konzeption einiges auszusagen. Ich bin einverstanden, im Ausschuß muß auch die Frage der territorialen Verteidigung, die eine Rolle spielt, mit besprochen werden. Sie eignet sich besser für Ausschußberatungen.
Nun haben Sie dargestellt, wie sich Ihre Partei schon sehr lange in diesem Gespräch befindet. Ich habe es auch sehr aufmerksam beobachtet. Das fing 1947 an. Aber nicht nur Ihre Partei hat sich damit befaßt, sondern auch die übrigen Gruppen. Überall, wo man hinkommt, findet das Thema großes Interesse, mit Recht, weil es von einschneidender Natur ist.
Ich kenne Ihre sieben Punkte, auch die Punkte, die Herr Leber vorgetragen hat. Nun, ich habe in meinen Formulierungen ein Übersoll zur Bestätigung dieser sieben Punkte gefunden. Sie haben schon gesagt, einiges Bekannte hätten Sie in unseren Formulierungen gefunden. Ich bin der Meinung, daß es reichlich viel ist. Nach den Besprechungen ist vieles umgeschrieben worden. Aber ich habe nicht nur mit Ihnen gesprochen, sondern z. B. auch mit den Länderinnenministern, unter denen sich auch die Freunde Ihrer Couleur befinden. Ich kann Ihnen sagen — damit verrate ich gar kein Geheim-



Bundesminister Höcherl
nis —: bei dem Tatbestand des inneren Notstandes habe ich in dem ersten und entscheidenden Punkt die Anregung eines sehr bekannten und markanten Mitgliedes Ihrer Partei aus dem Innenministerkollegium vertreten — das ist der Tatbestand Nummer eins —, obwohl Sie mit dem inneren Notstand überhaupt nicht zufrieden sind und als Diskussionsgrundlage abgelehnt haben, was Ihr Mitglied, ein bemerkenswerter Freund von Ihnen, ausgedacht hat und was ich übernommen habe.

(Abg. Dr. Schäfer: Das hindert uns nicht! So objektiv sind wir!)

— Sie haben es nur nicht gewußt. Wenn Sie es gewußt hätten, hätten Sie es vielleicht nicht gesagt.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)

Herr Kollege Güde hat das große Problem der Vollmachten und ides Mißbrauchs der Vollmachten dargestellt. Es ist in der Form, wie es gelegentlich versucht worden ist, unlösbar. Alles, wais die Rechtsordnung im Strafrecht und Zivilrecht kennt, ist repressiv. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Auch wir müssen uns eine solche Lösung suchen. Diese kann nur sein, wie ich es dargestellt habe: Vollmachten auf der einen und Garantien und Kautelen auf der anderen Seite nebeneinander. Eine Gleichzeitigkeit gibt es nicht, wie ich es im Bundesrat zu sagen die Ehre hatte. Man kann einem Hund
— um den Notstand mit einem Hund zu vergleichen — nicht einen Maulkorb geben, einen Korb darüber stülpen und gleichzeitig von ihm verlangen, daß er das Haus bewacht. Meine Damen und Herren, so etwas an Wachhund gibt es nicht!

(Heiterkeit. — Abg. Dr. Schäfer: Schönes Bild!)

— Es ist einer Karikatur entnommen. Ich habe eis nur in Worte geprägt, was mit dem Zeichenstift noch viel besser gelungen ist, weil auch die Persönlichkeiten, die alle die Kautelen angebracht haben, noch dargestellt sind. Die Zeichnung kommt aus Ihrem Lager.
Über den Rücklauf der Vollmachten und die Wiederherstellung der Freiheiten, auf die zeitweise verzichtet werden muß, zu wachen ist Aufgabe des Parlaments. Die Lösung des automatischen Auslaufens ist eine der Garantien, und zwar deswegen, weil ein Vakuum vor uns ist. Dieses Vakuum muß ausgefüllt werden. Wenn wir nicht einmal in der Lage wären, das Vakuum auszufüllen, hätten wir alle Funktionen freiwillig aufgegeben.
Es wurden Vorgänge der letzten Monate erwähnt, die Äußerung von der Illegalität. Sie, Herr Leber, konnten sich das nicht verkneifen. Ich darf die Dinge vielleicht etwas klarstellen.
Es ist so furchtbar schwer, meine Damen und Herren, durch einen Wust von Anfragen und Zusatzfragen durchzufinden. Ich bin wie der Pontius ins Credo gekommen, als ich die Anfragen an den Kollegen Stammberger — mir waren die Unterlagen eine halbe Stunde vorher ausgehändigt worden — beantworten sollte. Ich hatte mich loyalerweise bereit erklärt, auch die Zusatzfragen, z. B. des Kollegen Wittrock, aus fremdem Wissen zu beantworten. So waren die Dinge.

(Zuruf von der SPD: Das ist das Risiko!)

— Das habe ich übernommen; es ist mir schlecht gedankt worden.
Ich darf diesen Fall, die Illegalitätsformel, kurz erklären: Als ich diese Bemerkung machte, war ich noch der Meinung, daß die Anforderung von Polizei zu Polizei ergangen sei. Dieser Meinung war ich auf Grund von Äußerungen einer auswärtigen Macht, wie Sie wissen. Diese Auffassung war nicht richtig. Wenn es so gewesen wäre, hätte ich das rechtlich nicht billigen können. Also aus einem Irrtum heraus habe ich diese Äußerung getan, weil ich nicht ganz informiert sein konnte. Ich habe die letzte Information dazu erst am 5. Dezember bekommen, als Herr Bruckner, der den Herrn Bundespräsidenten auf seiner Reise begleitet hatte, zurückkam. Niemand wollte glauben, daß es mir nicht möglich war, all das, was sich in diesen Tagen abgespielt hat, wie mit einem Seismographen aufzuzeichnen und am nächsten Tag auf dem Tisch zu haben.. Ich war in der Zeit nicht einmal in Bonn.
Das war also die grandiose Geschichte mit der Illegalität. Ich war außerordentlich vorsichtig, weil ich nicht genau wußte, ob das eine oder andere seine Ordnung gemäß den Verwaltungsvorschriften hatte. Aus der Studentenzeit wußte ich noch, daß das Asylrecht und das Auslieferungsrecht mit zu den schwierigsten Gebieten gehören, und weil ich nicht etwas behaupten wollte, was ich nicht genau nachprüfen konnte, habe ich diesen Zweifel geäußert.
Es gäbe eine einfache Methode, sich zu informieren: das genau zu lesen. Aber es ist umständlich und zeitraubend.

(Zuruf von der SPD: Hoffentlich wird der Bericht bald veröffentlicht!)

— Ja, der wird von mir unterschrieben und nächste Woche veröffentlicht.

(Abg. Dr. Schäfer: Das nehmen wir gern zur Kenntnis: nächste Woche!)

— Jawohl, und am Freitag werde ich noch die achtzehn Fragen beantworten. Ich hoffe, daß damit dann dieses Kapitel iabgeschlossen sein wird und auch die letzte Neugierde befriedigt ist. Ich muß Sie vielleicht enttäuschen, wenn ich aus diesem „Spiegel"-Bericht nicht einen „Krimi" mache, sondern eine ganz nüchterne juristische Darstellung gebe. Ich hoffe, daß Sie sich die Zeit nehmen und die Mühe machen, das genau zu lesen und synoptische Vergleiche anzustellen. Ich selber bin es leid und müde. Aber immerhin, Pflicht ist Pflicht und Berufsrisiko ist Berufsrisiko.

(Abg. Dr. Schäfer: Das Berufsrisiko eines Ministers! — Abg. Wittrock: Merkwürdigerweise beantworten Sie solche Fragen immer erst freitags!)

— Herr Wittrock, ich muß den Verdacht sofort zurückweisen. Ich werde die Fragen beantworten, aber nicht freitags, wo sie nicht mehr in die Presse kämen, sondern ich werde es so machen, daß ich die Ant-



Bundesminister Höcherl
worten erst am Montag herausgebe, weil ich mir nicht vorwerfen lassen möchte, daß ich es am Freitag getan habe, wo die Presse von diesen Köstlichkeiten keinen Gebrauch mehr machen könne.

(Heiterkeit.)

Also am Freitag nicht, zumal es mir sowieso lästig genug ist.
Herr Kollege Schäfer, Sie haben sich dann zum Spannungsfall geäußert und die Meinung vertreten, das sei der politische Kernpunkt: Frage des äußeren Notstands. Das ist zweifellos richtig, aber Sie haben eines vergessen: Was die Frage des Spannungsfalles betrifft, so ist uns hier die Möglichkeit eigener Entscheidungen weitgehend entzogen, weil wir in das Sicherheitsnetz der NATO einbezogen sind, in dem diese Fragen praktisch entschieden werden. — Bitte sehr, Herr Kollege Schäfer!

Dr. Friedrich Schäfer (SPD):
Rede ID: ID0405602800
Herr Minister, heißt Ihre letzte Äußerung, daß wir keine eigene Entscheidung treffen sollen? Sind Sie der Meinung, daß die Entscheidung an anderer Stelle für uns getroffen wird?

Hermann Höcherl (CSU):
Rede ID: ID0405602900
Nein, sondern ich meine, daß dort Vorentscheidungen fallen, denen wir uns wahrscheinlich in Anerkennung der Verträge und der Bindungen, durch die wir mit unseren Alliierten verknüpft sind, durchaus anschließen können, vor allem wenn wir in unseren Möglichkeiten der Führungsmacht weitgehend verpflichtet sein müssen.

(Abg. Dr. Schäfer: Sie bestätigen und bekräftigen meine Befürchtungen!)

— Nein, Herr Schäfer! Es gibt gar keinen Zweifel, daß wir Verpflichtungen aus dem NATO-Bereich haben; das wissen Sie!

(Abg. Dr. Schäfer: Das ist etwas ganz anderes!)

— Das meine ich und sonst nichts! Das, was Sie aus den geheimen Nachrichten herausgelesen haben, die in der Begründung zitiert sind, betrifft diesen Bereich; Sie haben es vielleicht falsch aufgefaßt. Ich darf deshalb, um Irrtümer auszuschalten, erklären: es ist ja so, daß sich ein richtiger Streit nur an Irrtümern entzünden kann; an Tatsachen kann er sich praktisch nicht entfalten. Da gibt es kaum viele Dissonanzen, aber die Irrtümer, die echten und die unechten, die gesuchten Irrtümer, die geben der Sache erst eine Würze. Das war auch hier vielleicht eine nicht ganz entfernte Ursache.
Nun zu der berühmten einfachen oder Zweidrittelmehrheit für die Proklamation, zu der Herr Kollege Güde schon ein sehr wesentliches Argument geliefert hat. Es hat in der Weimarer Zeit, auf die mit Recht Bezug genommen wird, bereits Situationen gegeben, in denen das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit uns in ernste Schwierigkeiten gebracht hat. Das wissen Sie genau. Das ist das eine. Wir dürfen nicht wieder die Möglichkeit schaffen, daß kleine Minderheiten, vielleicht kumuliert, solche Entscheidungen maßgeblich beeinflussen.
Und noch eines, das mir noch viel wichtiger erscheint. Wir haben gemeinsam den Art. 59 a beschlossen, der die Ausrufung des Verteidigungsfalles und damit zugleich auch den Wechsel des Oberkommandos vom Verteidigungsminister zum Bundeskanzler betrifft. Da haben wir gemeinsam die einfache Mehrheit vorgesehen. In welch sonderbare Konkurrenz und in welchen Widerspruch zu unseren eigenen früheren Entscheidungen würden wir uns hier bringen! Nach Art. 59 a wird der Verteidigungsfall durch eine Entscheidung mit einfacher Mehrheit ausgelöst. Dieser einfachen Mehrheit haben wir damals zugestimmt; und hier machen wir eine Verfassungsergänzung und verlangen eine Zweidrittelmehrheit. Diesen Widerspruch soll mir jemand erklären!
Aber das ist für mich nicht einmal das Entscheidende.

(Abg. Dr. Schäfer: Ausschuß!)

Das ist nur ein Grund. Der entscheidende Grund ist der, daß man Minderheiten unter Umständen, die unter ganz anderen Auspizien entstehen, hier in diesem Hause nicht die Möglichkeit geben soll, vielleicht demokratische Mehrheiten — und die Vertretungen in diesem Hause sind demokratische Mehrheiten — gemeinsam vom Wege der Pflicht abzuhalten.

(Zuruf von der SPD: Das haben wir gestern gesehen!)

Mit der Frage .der Verhältnismäßigkeit habe ich mich im Zusammenhang mit den Äußerungen des Herrn Kollegen Hoogen befassen können.
Sie beanstanden dann den Art. 115 b und meinen, wir könnten die Vollmachten, die in den Buchstaben e und f des Abs. 2 aufgezählt sind, auf die Gesetzgebungszuständigkeit für die Sicherheit beschränken. Ich glaube nicht, daß das möglich ist. Ich darf ein einfaches Beispiel nennen. Nehmen Sie die finanziellen Anforderungen einer Krise und nehmen Sie unser Finanzverfassungsrecht.

(Abg. Dr. Schäfer: Das ist ja unter e und f besonders aufgeführt!)

— Das meine ich ja.

(Abg. Dr. Schäfer: Dann brauchen Sie es ja auch nicht!)

Sind Sie damit einverstanden, daß wir das ändern?

(Abg. Dr. Schäfer: In „Sicherheit und Ordnung"!)

— In „Sicherheit und Ordnung", die Finanzverfassung? — Nein!

(Abg. Dr. Schäfer: Nein, Abs. 1!) — Abg.

Dr. Weber [Koblenz]: Ausschuß!)
— Nein, nein; zu Art. 115 b Abs. 2 haben Sie beanstandet, daß diese ganze Aufzählung gemacht wird, daß wir einfach „Sicherheit und Ordnung" sagen.

(Abg. Dr. Schäfer: Da haben Sie mich mißverstanden!)




Bundesminister Höcherl
— Entschuldigung, ich bin gern bereit, das zur Kenntnis zu nehmen.
Dann haben Sie beanstandet — eine ganz wesentliche Sache —, daß wir uns nun Beauftragte zulegen wollten, Reichsstatthalter alter Form usw., oder daß wir vielleicht gar der Meinung sein könnten, daß ein sozialdemokratischer Ministerpräsident kein geeigneter Statthalter sein könnte. Daß es ohne eine Beauftragung im ernstesten Falle gehen könnte, werden Sie selbst nicht annehmen, Herr Kollege. Ich glaube, wenn man sich einen sehr schlimmen Fall vorstellt — ein leichter Fall und ein Spannungsfall sind, glaube ich, nicht solche Fälle —, daß die Einsetzung eines solchen Beauftragten notwendig wird und daß die Begründung, die vielleicht mißverstanden worden ist, so ausgelegt werden könnte, als ob hier Parteigesichtspunkte eine Rolle spielten. Meine Damen und Herren, wir sind nicht so mißtrauisch. Ich bitte doch eines zur Kenntnis zu nehmen. Wir machen — Sie haben es selbst erklärt — eine solche Verfassungsänderung nicht für diese und für die nächste Legislaturperiode, sondern das soll dauernder Bestandteil unserer Verfassung bleiben. Wir rechnen ja damit, daß es noch sehr lange dauern wird, bis Sie, meine Damen und Herren, unter Umständen allein oder vielleicht mit uns zu sammen einmal die Regierung übernehmen. Meine Damen und Herren, ich habe die Formulierung so gewählt, daß wir auch bei den sehr zielbewußten Sozialdemokraten keine Gefahr laufen, daß sie diese Rechte mißbrauchen.

(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungsparteien.)

So habe ich das formuliert.
Dann haben Sie, Herr Kollege Schäfer, sich noch zu der Insellage geäußert. Da ist Ihnen auch ein kräftiges Mißverständnis unterlaufen. Wenn diese Insellage in Betracht kommt, ist es nicht so, daß nun jede dieser drei Ebenen — wenn ich es einmal so sagen darf — tun und lassen kann, was sie mag, sondern — damit hier keine Irrtümer entstehen — hier gilt das Prinzip der Subsidiarität.
Auf die Frage des Streiks komme ich nachher bei der kurzen Behandlung des Beitrags von Herrn Kollegen Leber zu sprechen.
Was die Frage der Polizeistärke und der Polizeireserven betrifft, so darf ich Ihnen meinen Standpunkt mitteilen. Zunächst: Was an Unterstützung und Ausbau der Bereitschaftspolizeien getan werden kann, tut der Innenminister nach Kräften. Daß selbst der sich in Finanznot befindende Bund laufend auch an sehr wohlhabende Länder heute noch Beiträge zur Neuaufstellung von Hundertschaften der Bereitschaftspolizei gibt, können Sie, meine Damen und Herren, aus dem Haushalt herauslesen.

(Zuruf des Abg. Dr. Schäfer.)

— Daß ich nicht alle Anträge über die Hürde gewisser Chefbesprechungen bringe, ist nicht meine Schuld. Wir sind sehr stark am Ausbau dieser Bereitschaftspolizeien interessiert.
Ich bin auch sehr gern bereit, Herr Kollege Schäfer, in ein Gespräch darüber einzutreten, wie man
eine Polizeireserve aufstellen kann. Dazu bin ich sehr gern bereit. Aber Sie werden es für richtig halten, wenn ich sage, daß ich den Ländern den Vortritt lassen wollte. Die Innenminister der Länder befassen sich auf ihrer nächsten Konferenz mit dieser Frage. Ich hoffe, daß sie eine solche Anregung einer gemeinsamen gesetzlichen Regelung an den Bund herantragen werden, und ich werde einer derartigen Anregung natürlich sehr gern entsprechen. Aber ich wollte in diesen Dingen nicht vorausgehen, sondern ich glaube, daß man hier den Zuständigkeitsbereich der Länder beachten sollte. Ich bin der Überzeugung, daß die Einsicht der Länder in dieser Frage dazu führen wird, daß eine solche Anregung an den Bund kommt, und das scheint mir der richtige und vernünftige Ablauf zu sein.
Nun darf ich mich dem Beitrag des Herrn Kollegen Dorn zuwenden, der zunächst mit Entwicklungen in der Weimarer Zeit operiert hat.
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß der berühmte und so viel geschmähte Art. 48 der Weimarer Verfassung der Weimarer Republik am Anfang überhaupt das Leben ermöglicht hat. Ich bin der Meinung, daß Ebert recht hatte, als er den Art. 48 so kräftig gebrauchte, um diese schwierige, ich möchte sagen, Erstlingszeit der Weimarer Republik zu überwinden.
Daß die Dinge in der zweiten Phase anders zu beurteilen sind, ist auch vollkommen klar. Aber Sie kennen die Gründe. Es war so, daß die Mehrheiten in der Krisenzeit bei den Extremen waren. Eine parlamentarische Arbeit war gar nicht mehr möglich, weil die beiden Extremen, die Nationalsozialisten und die Kommunisten, die zusammen eine Mehrheit hatten, aber wegen ihrer Widersprüchlichkeit nicht zu einer Regierungsbildung kommen konnten, es verhindert haben, daß ordnungsgemäß regiert werden konnte. Daher ist meines Erachtens diese Anwendung des Art. 48 der Weimarer Verfassung auch insoweit historisch ausreichend entschuldigt.
Auch der Herr Kollege Dorn meint, die Zweidrittelmehrheit würde die absolute Seligkeit bringen. Nun, ich bitte doch sehr zu beachten, welche Argumente dazu bereits vorgetragen worden sind.
Ich habe keinen Zweifel, Herr Kollege Dorn, daß es sich, wenn die Streitkräfte im Innern eingesetzt werden, um einen polizeilichen Vorgang handelt und daß der absolute Vorrang, ich möchte sagen, des polizeilichen Beauftragten sichergestellt sein muß. Das habe ich auch in Besprechungen mit den Gewerkschaften der Polizei deutlich genug gemacht.
Was die Frage der Meinungsfreiheit, der Presse usw. angeht, so komme ich darauf nachher bei der kurzen Würdigung des Beitrags von Herrn Kollegen Sänger zurück und kann mir deswegen an dieser Stelle Ausführungen dazu ersparen.
Heir Kollege Leber, was Sie im ersten Teil Ihrer Ausführungen gesagt haben, empfinde ich als einen ganz besonders konstruktiven Beitrag, und ich danke Ihnen sehr dafür. Ich stimme fast mit jedem Wort, das Sie gesagt haben, überein. Auch ich bin der Meinung, daß das Staatsbewußtsein und das ge-



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genseitige Vertrauen der tragende Grund für diese Gesetzgebung sein müssen. Ich möchte annehmen, daß das, was sich bisher in dieser Debatte abgespielt hat, doch ein Zeichen für dieses gegenseitige Vertrauen ist. Was Sie so an Mißtrauensbeispielen angeführt haben, das war mehr, ich möchte sagen, oratorischer Art. So ernst waren diese Dinge gar nicht. Ich bin überhaupt der Meinung, daß die Beziehungen in diesem Hause zwischen den beiden Seiten in Wirklichkeit viel, viel besser sind, als sie nach draußen hin gemacht werden oder als sie sich gelegentlich hier in sehr lauten oder spitzen Darlegungen ergeben. Die Dinge sind viel, viel besser gelaufen, auch in schwierigen Fragen, und ich möchte wissen, warum das hier nicht möglich sein sollte.
Nun kommen Sie auf meine ,,Erstlings"-Zeit zurück und haben mir den berühmten Fall der AleteMilch vorgehalten. Ich darf Ihnen zunächst bestätigen: ich bin genauso wie Sie mit Kuhmilch aufgezogen worden; wir sind also Milchgenossen, Herr Kollege Leber, oder Milchgeschwister.

(Heiterkeit. — Abg. Leber: Das habe ich mir gedacht!)

Nun, dieses Fernsehinterview mit der Alete-Milch hat mir neben Ihren Bemerkungen und auch einigen Pressebemerkungen noch andere Schwierigkeiten eingebracht, und zwar wettbewerbsmäßige Schwierigkeiten. Ich bin zwar ein kinderreicher Familienvater und habe aus diesem Grunde eine oberflächliche Kenntnis bezüglich der Verwendung von Alete-Milch. Aber ich wußte nicht, daß es eine ganze Reihe von Konkurrenzfirmen gibt. Ich habe von der Alete-Fabrik eine Einladung in Gedichtform bekommen und von den Konkurrenzunternehmungen etwas anderes.

(Heiterkeit.)

Aber Sie unterliegen einem ganz kräftigen Irrtum, Herr Kollege Leber. Diese Bemerkung ist nicht im Zusammenhang damit gefallen, daß Streiks oder Arbeitskämpfe verboten werden sollten. Es war vielmehr eine Bemerkung zu den auch von Ihnen ausführlich zitierten Notdienstbestimmungen für Arbeitskämpfe.

(Abg. Leber: Die aber nur im Arbeitskampf vorkommen!)

— Ja, gut. Ich habe mich bei den Besprechungen mit den Gewerkschaften ausdrücklich mit der Frage des Streiks befaßt. Das ist die für die Gewerkschaften entscheidende Frage. Wir waren der Meinung, daß der Streik gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu definieren ist, und da ist er nach Methode und Zielsetzung einwandfrei definiert.
Nun gibt es eine entscheidende Frage, die sich jede Regierung stellen muß. Sie haben sie in Ihrem Bereich gelöst, und zwar durch die §§ 6 und 7 der Kampfbestimmungen, die für alle Gewerkschaften gemeinsam gültig sind. Das war die Frage, die abgehandelt worden ist und die ich in Unkenntnis, ich möchte fast sagen, der Marktsituation bei der Kindermilch an dem Beispiel Alete-Milch abgehandelt habe, als ich der Meinung war, das sei die einzige Herstellerin von .Kindermilch, unabhängig von 'den Bezugsquellen ausländischer Art; das hat etwas für
sich. Aber immerhin, ich nehme einmal an, daß wäre die einzige Fabrik für Kindermilch und wäre damit lebenswichtig. Das könnte man nicht bestreiten. Aber ich hätte vielleicht ein besseres Beispiel wählen können.
Sie werden mit mir einiggehen, daß die Unberührtheit des Arbeitskampfes von diesen Bestimmungen die Ergänzung finden muß in den Notdienstbestimmungen, die Sie sich freiwillig gegeben haben.

(Zuruf des Abg. Leber.)

— Ja, ja, das war das Beispiel, das ganz aus dem Zusammenhang herausgerissen mir als Stolpern bei den ersten Gehversuchen als Innenminister vorgeworfen worden ist. Das Beispiel war vielleicht schlecht gewählt, aber sachlich sind wir uns einig.
Ich sage Ihnen eines: Ich bin der vollen, ernsten inneren Überzeugung, daß die Gewerkschaften eine sehr wichtige Funktion haben, und ich achte ihre Tätigkeit und zolle ihr Respekt. Ich bin der Meinung, daß wir alle zusammen ein gutes Verhältnis zu den Gewerkschaften haben und uns bemühen müssen, es zu verbessern, wo es nur geht. Das gilt nicht nur für die Gewerkschaften, es gilt genauso für die anderen Einrichtungen und beruflichen Zusammenschlüsse. Das möchte ich hier ausdrücklich erklären, und dabei bleibt es.
Genauso bleibt es dabei — und das ist hier ausdrücklich niedergelegt —, daß der Arbeitskampf in der rechtlich zugelassenen Form selbst im äußeren Verteidigungsnotstand durch die Bestimmung 'des Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes absolut geschützt ist, obwohl ich das für blasse Theorie halte. Warum halte ich das für blasse Theorie? — Weil ich weiß, daß die Arbeitnehmer in einer solchen Gefahr etwas anderes zu denken haben und etwas anderes tun, daß sie sich nämlich mit ihrer ganzen Kraft dafür einsetzen, daß wir diese Dinge bereinigen 'können. So ist die Wirklichkeit.
Aber die deutsche Leidenschaft für theoretische Untersuchungen wird sich hier in vielen und langen Ausschußsitzungen niederschlagen, wie sie auch gelegentlich jetzt in der Debatte schon zum Ausdruck gekommen ist. Nehmen wir die Dinge etwas praktischer, dann wird es viel, viel weniger Probleme geben. Ich habe in meiner Einführungsrede absichtlich den Weg gewählt, einmal nur Beispiele hinzustellen, weil wir Tatbestände in gegebenen Situationen lösen müssen. Das ist unsere Aufgabe. Wir haben nicht rechts- und auch nicht verfassungstheoretische Untersuchungen anzustellen und auch nicht die Literatur zu vermehren, wir müssen vielmehr Entscheidungen treffen und praktische Lösungen finden.

(Beifall bei der CDU/CSU.)

Wenn wir das versuchen, werden wir uns wahrscheinlich sehr rasch einig werden.

(Abg. Dr. Schäfer: Wenn wir uns demnach einig sind, kann man es doch auch hineinschreiben!)

— Ich habe gar nichts dagegen. Meines Erachtens
steht es schon drin. Aber es gibt eine Regel für die



Bundesminister Höcherl
Gesetzgebungstechnik, besonders bei der Verfassungsgesetzgebung: äußerste Ökonomie!

(Abg. Dr. Schäfer: Jawohl!)

— Jawohl. Wenn ich schon sage, ein Verbot, Artikel 9 Abs. 3 einzuschränken, selbst bei äußerem Notstand, kann jeder, der von den Sachen etwas versteht, — —

(Zuruf ides Abg. Dr. Schäfer)

— Aber wenn Sie es absolut noch einmal haben wollen, noch einmal unterstrichen haben wollen, dann sollen Sie das auch noch bekommen: von mir aus Gürtel und Hosenträger!

(Heiterkeit.)

Nun zu dem Angriff, der gegen Herrn Schäffer geführt worden ist. Herr Kollege Leber, ich möchte der Meinung sein, über den demokratischen Ruf unseres Freundes Schäffer kann es gar keinen Zweifel geben. Ich glaube, Herr Kollege Güde hat die Sache schon richtiggestellt. Ich habe nur einen mündlichen Bericht über diese Veranstaltung bekommen. Sie ist, glaube ich, nicht übermäßig glücklich verlaufen.
Nun darf ich Ihnen noch eines sagen, meine Herren: Es ist furchtbar schwer. Viele von uns haben die Zeit erlebt, Sie und ich. Vergegenwärtigen Sie sich die Situation der damaligen Zeit: Eine jahrelange Massenarbeitslosigkeit ging zu Ende, und dann sofort die ideale und richtige Beurteilung revolutionärer Vorgänge zu finden, — das Recht zum politischen Irrtum, meine Damen und Herren!

(Abg. Leber: Er soll ihn eingestehen! Darum geht's!)

— Wenn ich es andeuten müßte, ohne es mit einer freundschaftlichen Ausdeutung zu versuchen, möchte ich so sagen, daß er unter den gleichen Erkenntnismöglichkeiten, die ihm damals zur Verfügung standen, wieder so handeln würde. Aber nachdem es eine Wiederholung im Leben nicht gibt, muß man die Fehler so nehmen, wie sie sind.

(Zurufe von der SPD.)

— Ja, andere sehr bedeutende Leute, sehr große Leute im In- und Ausland, über unsere Grenzen hinaus und innerhalb unserer Grenzen haben sich damals geirrt, meine Damen und Herren, und wir nützen uns alle nicht, wenn wir fortgesetzt Irrtümer als Schuld ausgeben. Es ist nicht immer so. Der fortgesetzte Irrtum kann zur Schuld werden, wenn die Erkenntnismöglichkeit da war. Sie war aber nicht in allen Zeiten und Phasen gegeben.

(Abg. Leber: Im Alter muß sie aber doch langsam kommen!)

— Ich will Altersfragen nicht behandeln, Herr Leber.
Ich weiß gar nicht, Herr Leber, was Sie gegen das Zivildienstgesetz haben. Ich habe auch versucht, die Tatbestände vorzuweisen, die wir im Zivildienstgesetz lösen müssen. Was haben Sie eigentlich dagegen? Sie haben nur gesagt, daß es Ihnen nicht gefällt.

(Abg. Leber: Im Ausschuß!)

— Es wäre mir lieber gewesen, wenn Sie eingehend begründet hätten, was ihnen nicht gefällt.
Sie sagen, wir wollen aus den Arbeitsämtern Zwingburgen machen.

(Abg. Leber: Das sind sie früher gewesen!)

— Nein, nein, die Arbeitsämter, die von Ihnen belegt waren. Das sind doch nicht unsere, da haben wir gar nichts zu reden. Da sind Sie mit Ihrer Personalpolitik längst drin. Da kann doch deswegen gar nichts passieren,

(große Heiterkeit)

wie Sie überhaupt die kleine Personalpolitik viel
besser beherrschen als wir. Das ist ja unsere Crux.

(Erneute große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der SPD: Es wäre schön, wenn das wahr wäre!)

— Das ist wahr. Ich kann es nur immer bewundern bei Ihnen, meine Damen und Herren. Wir machen verzweifelte Anstrengungen, Ihnen das nachzumachen, aber es gelingt kaum.

(Heiterkeit und Zurufe.)

— Das scheint die einzige Chance zu sein, einmal hier auf der Regierungsbank zu sitzen. Vorhin habe ich jemand gehört, der gesagt hat, ein Sozialdemokrat müßte einmal Innenminister sein. Meine Damen und Herren, dieser Stuhl ist gespickt mit Nägeln. Das ist etwas für einen indischen Jogi. Drängen Sie sich nicht auf diesen Stuhl!

(Große Heiterkeit und Zurufe von der SPD. — Zuruf links: Sie fühlen sich aber ganz wohl darauf!)

— Ich bin nie verwöhnt worden in meinem Leben, auch jetzt nicht.

(Erneute Heiterkeit. — Abg. Dr. Schäfer: Daß das das Ergebnis unserer Indienreise ist, hätte ich nie gedacht!)

— Auch eine süße Frucht.
Nun, Herr Kollege Sänger, die Frage der Pressefreiheit und der Einschränkung des Artikels 5! Ich glaube, wir theoretisieren viel zu stark. In England ist hierfür eine sehr schöne Form gefunden worden, diese Anlaufstelle, die ich nicht nur für diesen Zweck, sondern auch für andere sehr gern bei uns haben möchte und die ich auch einrichten werde. Das Haus müßte mir die Möglichkeit dazu geben; es wird ein Gesetz dazu erlassen werden müssen. Ich werde ein Experiment versuchen, meine Damen und Herren. Ich werde die Presse — und heute ist nicht die Presse allein anzusprechen, sondern auch der Rundfunk und das Fernsehen — bei der Gesetzgebungsvorbereitungsarbeit beteiligen, damit sie auch einmal die andere Seite sehen und sich nicht nur in „konstruktiver Kritik" zu ergehen brauchen.
Nun gibt es in England, Herr Kollege Sänger, auch noch etwas anderes. Da gab es und gibt es sehr massive strafrechtliche Sanktionen. Das ist der zweite Teil dieser Dinge. Ohne Sanktionen, nur mit gutem Willen und nur mit Vertrauen, meine



Bundesminister Höcherl
Damen und Herren, kann man eine Welt nicht regieren. Die Dinge sind etwas anders. Sie wissen genau, wie sie sind. Ihr Kollege hat immer wieder versucht, zwischen Presse und Presse zu unterscheiden. Ich halte nichts davon, jetzt zu klassifizieren. Aber wir müssen wohl auch hier eine Lösung finden.
In Schweden mußten während des Weltkrieges zum Schutz der Neutralität sogar Experimente unternommen werden, die in die Meinungsfreiheit gegen den Willen der schwedischen Bevölkerung und der schwedischen Regierung eingriffen, weil der Krieg ungeheuer gefährlich an den schwedischen Grenzen brandete. So war es. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was verboten werden mußte, weil gerade unsere damalige Regierung einen unerhörten Druck auf dieses Land ausübte, so daß die schwedische Regierung gegen den eigenen Willen und gegen die geschlossene Meinung des schwedischen Volkes, nur um keine größeren Gefahren entstehen zu lassen, so weit gehen mußte, Presseveröffentlichungen, die in der Sache berechtigt und notwendig gewesen wären, hintanzuhalten. So waren die Dinge.
In der Schweiz — Schweden und die Schweiz, beides Länder, die die Schrecken des Krieges innerhalb ihrer eigenen Grenzen nicht erfahren haben, die es also etwas leichter hatten als alle anderen Länder — gab es ein Pressebuch, wenn ich einmal so sagen darf. Herr Dr. Frey hat es aufgeführt. Die Schweizer haben eine sehr zielbewußte Verwaltung in normalen Zeiten, erst recht in diesen Zeiten. Ich bin durchaus bereit, dieses schweizerische Pressebuch sofort als Gesetzesvorschlag zu übernehmen. Es ist nicht ganz so liebenswürdig, wie Sie es dargestellt haben.
Meine Damen und Herren, damit wäre ich in der Würdigung der Beiträge zu Ende.
Ich darf zum Schluß noch folgendes sagen: Wir sollten die Partie nicht so spielen, daß wir sie von Opposition zu Regierung und Regierungskoalition spielen, sondern wir müssen sie mit einem ganz anderen Grundgedanken spielen. Wir alle sind die Beauftragten des Volkes, und wir sind die Treuhänder der Sicherheit des Volkes. Wir müßten eigentlich einen Wettbewerb veranstalten, wer mehr an Sicherheit bieten kann, Sie oder wir.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0405603000
Damit ist die Aussprache zu Punkt 5 der Tagesordnung abgeschlossen.
Ich rufe auf den Punkt 6 der Tagesordnung:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Zivildienst im Verteidigungsfall (Zivildienstgesetz) (Drucksache IV/450),
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden (Drucksache IV/343),
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Aufenthalts der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall (Aufenthaltsregelungsgesetz) (Drucksache IV/895),
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über bauliche Maßnahmen zum Schutz ,der Zivilbevölkerung (Schutzbaugesetz) (Drucksache IV/896),
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs einen Gesetzes über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung (Selbstschutzgesetz) (Drucksache IV/897).
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0405603100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Minister hat in seinen letzten Ausführungen seinen Stuhl mit großen Nadeln gespickt gesehen. Ich muß sagen, manchmal setzt er sich auch selbst in Nadeln, ohne daß ein Grund dazu vorhanden ist. So hat er vorhin beispielsweise von den ,,Verfassungsromantikern" gesprochen. Herr Minister, ich muß Ihnen sagen, das war wieder einmal eine schlechte Vokabel. Wenn der Herr Kollege Hoogen in Fragen der Sicherung der rechtlichen Ordnung Darlegungen gemacht hat, ist ein solches Attribut sicher nicht gut. Ich glaube, in diesem Hause sind wir eigentlich stolz darauf, daß wir die Vorstellung haben, dadurch die Freiheit und die Sicherheit dieser Demokratie auch für Notzeiten verankern zu können. Insofern sollte man wohl eine solche Vokabel gar nicht gebrauchen.
Sie haben vorhin von den Beispielen gesprochen. Es war eigentlich immer sehr positiv, daß wir Ihnen bei den Beispielen an sehr vielen Dingen zeigen konnten, wie man manches besser regeln kann.
Wir haben jetzt über die zivile Notstandsplanung zu sprechen. Damit treten die Fragen des zivilen Bevölkerungsschutzes erstmalig in der Nachkriegszeit mit der Möglichkeit, daß schnell zahlreiche gesetzliche Verpflichtungen und Auflagen gemacht werden, in das Bewußtsein unserer Bevölkerung. Es ist wohl richtig und notwendig, in einer solchen Lage einiges Grundsätzliche zu den Fragen ,der zivilen Notstandsplanung, des Zivilschutzes, ihren Entwicklungen, ihren Notwendigkeiten und Möglichkeiten zu sagen.
Meine Damen und Herren, in der Geschichte der Menschheit haben in fast allen kriegerischen Auseinandersetzungen nicht nur die Kombattanten Not und Tod erlitten, sondern stets war auch die Bevölkerung mittelbar und unmittelbar Objekt des Krieges. Wir kennen — wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf — zahlreiche Werke der Weltliteratur und der Bildenden Kunst, in denen die Not und das Elend der Menschheit eindrucksvoll geschildert werden. Alle Sachverständigen sagen heute allerdings, daß keine Vorstellungskraft ausreiche, um das aus-



Schmitt-Vockenhausen
zumalen, was die Menschheit in einem dritten Weltkrieg erleiden würde.
Während früher das Leid und die Verluste der Menschen an Leib und Leben vor allem auf die Übergriffe der Kriegführenden zurückzuführen waren, sind sie mit der Entwicklung der modernen Waffentechnik immer mehr in Zusammenhang mit den Kampfhandlungen entstanden. In eindrucksvoller Weise wird diese Entwicklung in ,der dankenswerten Schrift der Vereinigung deutscher Wissenschaftler „Ziviler Bevölkerungsschutz heute" belegt. Während der Anteil der Zivilbevölkerung an den 9,8 Millionen Toten des ersten Weltkrieges noch 5% Prozent betrug, war er im zweiten Weltkrieg schon 48% von 52 Millionen. Im Korea-Krieg waren sogar 84% der 9,2 Millionen Toten Zivilisten. Niemand wird sagen können, was geschehen würde, wenn die Weltmächte in eine Auseinandersetzung verwickelt würden. Sie wissen, es gibt verschiedene Theorien über den Ablauf solcher bewaffneter Auseinandersetzungen. Wir wissen nicht, wie ihr Verlauf sein würde. Selbst ein Krieg. mit konventionellen Waffen — und jeder, der die konventionellen Waffen des Jahres 1963 kennt, weiß, daß ihre Feuerkraft ein Vielfaches der des zweiten Weltkrieges darstellt — würde für die Bevölkerung zu ungeheuren Zerstörungen und Verlusten führen. Vor allem gibt es, wenn der Gegner die Zivilbevölkerung treffen will, keinen Schutz, der schnell geschaffen werden kann und der überhaupt in einem vernünftigen Verhältnis zu den finanziellen Möglichkeiten eines Volkes stehen würde.
Wir sind sehr froh darüber, daß die Entwürfe der Regierung von jenen illusionären Vorstellungen, wie sie landläufig gepflegt worden sind, abgehen und hier keine falschen Meinungen aufkommen lassen über die grausame Wirklichkeit, der wir uns gegenübersehen.
Ich will davon absehen, noch einmal zu schildern — das ist in diesem Hause schon oft genug geschehen —, welche Wirkungen Atom- und Wasserstoffbomben, geschweige denn, welche Auswirkungen chemische und biologische Kampfmittel hätten. Es gibt eingehende realistische Schilderungen dieser Verheerungen. Sie wissen ja, daß Hiroshima und Nagasaki mit 130 000 Toten und 150 000 Verletzten nur ein Vorspiel dessen waren, was uns erwarten würde. Sie wissen aus Manöverberichten, daß eine einzige auf New York geworfene Atombombe nach vorsichtiger Schätzung etwa 5 Millionen Menschen das Leben nehmen würde und daß ein mittlerer Atombombenschlag gegen die USA etwa 60 Millionen Amerikaner töten könnte.
Meine Damen und Herren, ich will mich nun nicht mit den militärischen Theorien im einzelnen beschäftigen, weder mit der Theorie der massiven Vergeltung noch mit der der abgestuften Abschreckung. Ich will auch nicht im einzelnen auf die Gründe, die für oder gegen diese Theorien sprechen, eingehen. Ich gehöre zu denen, denen die Auffassung von der begrenzten Abschreckung sehr viel besser begründet erscheint als viele Meinungen, die hier und auch anderwärts im Zusammenhang mit der massiven Vergeltung vorgetragen worden sind. Aber ich
glaube in dieser Stunde: wenn wir es schaffen wollen, die Menschen unseres Volkes für den zivilen Bevölkerungsschutz zu gewinnen, dann müssen wir versuchen, möglichst viele, ja, möglichst alle für diese Aufgabe zu gewinnen. Ich glaube, daß das nur möglich ist, wenn wir klarmachen, daß ziviler Bevölkerungsschutz nichts anderes ist als Ausdruck echter Humanität, daß er nicht Folge militärischer Überlegungen ist.
Meine Damen und Herren, der zivile Bevölkerungsschutz ist der großangelegte Versuch, im Falle des Falles zu helfen, wem noch zu helfen ist, zu retten, was zu retten ist, und nicht zuletzt, für einen solchen Tag vorzubereiten, was in unseren Kräften steht, was finanziell möglich ist und was mit einigermaßen Sicherheit auch wirksam werden wird. Wir wissen, daß für den Teil der Bevölkerung, der nicht an den Kampfhandlungen beteiligt ist, auf allen Seiten die gleichen schrecklichen Aussichten bestehen. Es eröffnet sich daher auf diesem Gebiet die Möglichkeit, durch internationale Abmachungen ähnlich den Genfer Konventionen die Grundlage für internationale Vereinbarungen zum Schutze der notleidenden Zivilbevölkerung zu schaffen. Wir sind hier für jede Initiative und für jede Maßnahme dankbar. Ich möchte nur an die Prager Beschlüsse vom Oktober 1961 erinnern. Jeder Fortschritt ist hier von großer Bedeutung für die Zivilbevölkerung.
Wir werden natürlich bei unseren Bemühungen in unserem Volk vielen Menschen begegnen, die aus diesen oder jenen Gründen glauben, abseits stehen zu sollen oder zu müssen. Ich denke dabei an die zahlreichen Angehörigen der mittleren und älteren Generation, die allein schon durch das Heulen der Sirenen verstört und erschreckt werden. Ich denke an die Menschen, die allein durch die Erinnerung an die Bombennächte in schlimmste seelische Konflikte kommen. Ich halte die Motive vieler Menschen für durchaus ehrenwert, die Sorge haben, ob ihre Hilfe beim zivilen Bevölkerungsschutz nicht die Gefahr der Vorbereitung und Möglichkeit eines neuen Krieges vergrößere. Wir nehmen alle diese Argumente ernst. Aber wir glauben, mit all jenen übereinstimmen zu müssen, die, wie die Vereinigung deutscher Wissenschaftler, aus wohlüberlegten Gründen der Auffassung sind, daß wir alle uns der sittlichen Verpflichtung der Hilfe in Notzeiten nicht entziehen können.
Da niemand etwas Genaues weiß und niemand etwas absolut Richtiges voraussagen kann, da niemand die Entschlüsse und Schritte eines potentiellen Gegners kennt, müssen wir uns nun überlegen: was können wir tun, welches Ziel können wir uns setzen, ohne daß zivile Schutzmaßnahmen zum Wunschdenken werden? Selbst wenn wir aus dieser für alle verbindlichen Sache Maßnahmen einleiten und prüfen, werden sie so umfangreich, so einschneidend im Leben unseres Volkes und im Gefüge unserer Wirtschaft und unserer finanziellen Leistungskraft sein, .daß wir uns sorgfältig überlegen müssen, was wir tun können, was wir tun wollen und was wir tun müssen.
In der Diskussion über die zivile Notstandsplanung wird leider allzu oft vergessen, was ein ziviler



Schmitt-Vockenhausen
Notstand für ein Volk bedeutet und was getan werden muß, um ihm zu begegnen. Denken Sie nur daran: der einzelne muß gewarnt werden. Die Warnung hat nur einen Sinn, wenn man weiß, wie man sich schützt. Der einzelne muß wissen, wo Schutzräume sind. Es sollte Schutzmöglichkeiten am Arbeitsplatz, in der Schule, an öffentlichen Plätzen geben. Das allein genügt nicht. Es muß Schutzgerät vorhanden sein. Es muß Vorsorge für Essen und Trinken getroffen werden. Neben der Lebensmittelbevorratung brauchen wir Kleidung und Decken. Die öffentlichen Versorgungsbetriebe müssen geschützt werden. Die Ausrüstung mit Transistorgeräten ist notwendig. Nicht zuletzt brauchen wir Hilfs-
und Ausweichkrankenhäuser und Arzneimittelvorräte.
Alle diese Fragen stehen nicht erst seit heute auf der Tagesordnung, sondern sie stehen seit jenem Tag zur Diskussion, an dem der Bundeskanzler den Alliierten seine Bereitschaft zur Aufstellung von Truppen erklärt hat. Ich will mich hier nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob in all diesen Jahren geschehen ist, was hätte geschehen können und was hätte geschehen müssen.
Eine kurze Zwischenbilanz von dem, was geplant war und dem, was geschehen ist, zeigt, daß wir keinen Grund zur Zufriedenheit haben, Herr Minister. ch will hier nur daran erinnern, daß wir beispielsweise von jenem überörtlichen Luftschutzhilfsdienst, der mit 110 000 Helfern geplant war, im Augenb ick nur etwa 35 000 Helfer haben. Ich könnte hier die Liste noch weiterführen, z. B. .die fehlenden Krankenhäuser erwähnen. Lassen Sie mich zu den Haushaltsmitteln eines sagen: selbst wenn stolze Zahlen im Haushalt stehen, sind die Gelder noch lange nicht ausgegeben. Sie wissen, daß hier die Sparsamkeit Rekorde geschlagen hat und daß von den zahlreichen Mitteln, die bewilligt worden sind, nur verhältnismäßig wenig ausgegeben worden ist. All das will ich hier nur noch einmal in Ihre Erinnerung zurückrufen.
Für die Aufklarung der Bevölkerung über richtiges und falsches Verhalten hat die Regierung trotz unseres Drängens auch recht wenig getan. Sie wissen auch, daß Merkblätter wie „Jeder hat eine Chance" die Unsicherheit sicher nicht verringert, sondern vermehrt haben. Wir haben immer wieder den schnelleren Aufbau eines funktionierenden Warnsystems gefordert. Leider wurde auch in dieser Hinsicht zu wenig getan, und der Aufbau der Warnämter geht noch zu schleppend voran. Sie wissen, daß wir uns in jedem Jahr hier über diese Frage unterhalten haben. Wir sind oft genug damit vertröstet worden, daß man noch mehr Erfahrungen sammeln müsse. Es sind fast neun Jahre seit dem ersten großen Antrag in dieser Frage vergangen. Ich brauche es Ihnen nicht zu sagen, das kann man sich selbst ausrechnen: was man in dieser Zeit mit relativ geringen Mitteln hätte tun können, das ist heute viel teurer und schwieriger. Nachdem man die Maßnahmen so lange vor sich hergeschoben hat, nur weil sie nicht populär waren, müssen wir jetzt alle die Rechnung dafür bezahlen. Ich sage das nicht im Sinne einer Klage oder Anklage, ich sage es als
Feststellung, ich sage es als Hoffnung, daß wir uns einem Abschnitt des zivilen Bevölkerungsschutzes nähern, den wir gemeinsam hier bewältigen sollten. Meine Damen und Herren, wir haben uns immer bemüht, diese Fragen mit Ihnen gemeinsam zu lösen, und ich habe seit Ihrem Amtsantritt, Herr Minister, das Gefühl, daß wir bei unseren Bemühungen auf mehr Bereitschaft als in der Vergangenheit stoßen.
Daß Sie heute, Herr Minister, vor einer ungleich schwierigeren Situation als in den Zeiten des Juliusturms stehen, ist uns auch klar. Weil Sie nun in vielen Fällen Bundesmittel noch nicht bereitstellen konnten, haben Sie nun hier den Versuch gemacht, die Bürger dafür in um so stärkerem Maße heranzuziehen. Das geht uns vielfach zu weit: Wir wissen aber, daß hier Grenzen gesetzt sind, nicht nur durch das Einkommen, sondern auch dadurch, daß wir bei unseren Bemühungen nicht neue Widerstände heraufbeschwören dürfen, wo wir gerade dabei sind, alte Widerstände bei den Menschen abzubauen und zu beseitigen.
Vor allem — ich muß das hier leider sagen, Herr Minister — werden die Gemeinden durch diese Gesetze in große Sorge versetzt. Sie wissen, ihre Belastung ist ohnehin groß und ihr finanzieller Bedarf bei weitem nicht gedeckt, und schließlich warten sie ja auch auf die Erfüllung zahlreicher Versprechungen auf finanzielle Hilfe. Herr Kollege Güde, wir haben lange Vertrauen auf diese Versprechungen mit der Finanzreform gehabt, sind aber immer enttäuscht worden. Wenn nun noch hinzu kommt, daß die Städte, die ohnehin Krllege sehr viel gelitten haben, jetzt auch noch erhöhte Aufwendungen für die Kosten des zivilen Bevölkerungsschutzes machen müssen, dann dürfen Sie nicht verkennen, daß die Gemeinden Grund und Recht zur Sorge haben und 'daß sie den Wunsch haben, daß wir uns hier gemeinsam um vernünftige Lösungen bemühen.
Wenn wir uns nun hier Gedanken über die Gesamtheit der Vorlagen gemacht haben, dann gilt das vor allem für die zahlreichen Wünsche auf Ermächtigungen. Da hat ein Mann der Wirtschaft ganz richtig gesagt: „Wenn ich einen Kredit von einer Million brauche, dann kann ich mir doch nicht zehn Millionen bereitstellen lassen". Sie haben sich in den Gesetzen mit Ermächtigungen vorsorglich gut eingedeckt. Wir werden uns im einzelnen damit beschäftigen müssen. Wir wissen, daß es notwendig ist, Ermächtigungen zu geben; aber wir werden auch immer daran denken, daß dabei Maßhalten gut ist.
Ich will über die wirtschaftspolitischen Vorstellungen, die in diesen Gesetzen zum Ausdruck kommen, nichts sagen. Aber mir hat ein uns nicht wohl gesinnter Mann gesagt: „Das hätte unser Verband nicht einmal von der SPD angenommen, was da alles an Vorstellungen entwickelt ist." Ich würde empfehlen, daß wir uns sehr eingehend damit beschäftigen. Stellen Sie sich einmal vor: Sie können sogar die Elektrifizierung der Bundesbahn mit dem Verkehrssicherungsgesetz durch Verwaltungsakt rückgängig machen! Ich will damit sagen: man muß sich



Schmitt-Vockenhausen
mit diesen Ermächtigungen sehr sorgfältig beschäftigen. Hier ist eine solche Fülle von Ermächtigungen vorgesehen, daß kein Parlament mit gutem Gewissen seine Zustimmung geben kann.
Wir werden uns später noch mit den Einzelgesetzen beschäftigen, mein Kollege Lünenstraß mit dem Zivildienstgesetz und dem Bundesgrenzschutzgesetz, die verehrte Frau Kollegin Renger mit dem Schutzbaugesetz, der Herr Kollege Hansing mit dem Aufenthaltsregelungsgesetz und dem Selbstschutzgesetz.
Bei allem guten Willen, Herr Minister, den Sie hier gehabt haben, läßt sich nicht verheimlichen: Ihre Entwürfe sind nicht zur vollen Reife gediehen. Ich muß das anfügen, weil ich damit klarmachen will: wir müssen diese Entwürfe sehr sorgfältig prüfen. Wir bemängeln, wie Sie ja auch wissen, daß es noch an der notwendigen Gesamtkonzeption und Gesamtplanung fehlt. Aber das wissen wir gemeinsam. Wir werden uns darum bemühen. Es ist ja so: die eigentlichen Impulse, das endlich einmal voranzutreiben, kamen immer gewissermaßen von der Außenpolitik. Da war der 13. August, da war die Kuba-Krise, und dann mußte das plötzlich hier schnell über die Hürden.
Meine Damen und Herren, wir wollen uns bemühen, klare Zeitpläne in Ihre Vorstellungen hineinzubringen. Wir müssen dabei bedenken, daß auch die technische Entwicklung schnell vorangeht. Vieles ist in kurzer Zeit überholt. Schließlich wird auch die Bereitschaft der Menschen, mitzuarbeiten, davon abhängen, daß sie eine übergeordnete Gesamtsicht spüren. Erst dann sind sie bereit, ihren Teil an Opfern zu bringen, wenn sie das hier sehen. Schließlich müssen die Opfer auch im Rahmen der Gesamtplanung vertretbar und sinnvoll sein.
Vor allem müssen wir dafür sorgen — wir haben das auch im Ausschuß schon besprochen —, daß Spekulationsüberlegungen bei den zahlreichen Maßnahmen ausgeschaltet werden, wenn die Planung in Gang kommt. Die Spuren des Koblenzer Beschaffungsamtes sollten uns schrecken, und wir sollten daraus einiges lernen. Herr Minister, ich hoffe, daß auch Ihr Haus einiges aus den eigenen unvollkommenen Planungen gelernt hat. Der Bundesrechnungshof hat die Kritik der Opposition der vergangenen Jahre in diesen Tagen noch einmal bestätigt. Da ist einiges getan worden, was wir immer bemängelt haben: Man kann doch auch nicht Hals über Kopf etwas tun, nur um etwas zu tun, sondern man muß das schon so einrichten, daß nicht der Steuerzahler letztlich der Leidtragende ist und der Staat große Verluste erleidet.
Ich gestehe auch, daß ich manches in den Entwürfen vermisse, was in anderen Ländern mit Erfolg durchgeführt und entwickelt worden ist. Ich denke da z. B. an die Frage der Erkennungsmarken. Sicher weiß ich, daß es für viele Menschen erschreckend ist, wenn man überhaupt an diese Frage geht. Aber ich glaube, daß sie nicht nur für den zivilen Bevölkerungsschutz, sondern auch bei Verkehrsunfällen gute Dienste leisten kann. Wir sollten das prüfen.
Ich denke an die Frage der Ausnutzung von Transistorgeräten. Wir wissen, daß wir mit dem
Ausfall des elektrischen Stroms rechnen müssen. I Vorbereitungen auf diesem Gebiet sind unumgänglich.
Lassen Sie mich hier auch noch einmal die Frage des Warnsystems anschneiden. Sie wissen, daß in den Vereinigten Staaten ein vereinfachtes Warnsystem besteht. Bei mehreren Warnsignalen besteht bei kurzen Warnzeiten zu große Gefahr der Verwechslung und damit entsetzlicher Irrtümer. Wir sollten uns auch dieser Frage, die zunächst in Ihre Zuständigkeit gehört, doch noch einmal bei den weiteren Gesprächen im Ausschuß zuwenden,
Ich will mich nun hier nicht über die Fragen der Organisation verbreitern. Sie ist historisch gewachsen, und das spricht nicht immer dafür, daß sie sinnvoll ist. Wir wissen das alle. Wir wollen uns daher bemühen, eine klare Verwaltungsorganisation zu schaffen. Der Luftschutzhilfsdienst muß in ein vernünftiges Verhältnis zum Katastropheneinsatz kommen. Wir brauchen noch bessere Abgrenzungen zwischen Selbstschutz und Luftschutz. Ich bin der Meinung, daß alles, was über den unmittelbaren Bereich des einzelnen hinausgeht, von ihnen nicht mehr als Selbstschutz angesehen wird, so daß wir hier noch Vorstellungen entwickeln müssen.
Meine Damen und Herren, große und schwere Aufgaben sind es, die wir mit der Beratung dieser Gesetzentwürfe vor uns haben. Niemand gibt sich in diesem Hohen Hause Illusionen 'darüber hin, daß, wenn jeder eine Chance haben soll, sie nur darin liegen kann, daß kein Krieg entsteht.
Wir wollen nun versuchen, mit allen Sachverständigen, mit den Ministerien — was nicht heißt, daß dort keine Sachverständigen sind — diese Fragen vertrauensvoll zu lösen.
Herr Minister, lassen Sie mich hier ein Wort sagen: Ich bin nicht sehr begeistert — ich habe es Ihnen auch schon gesagt —, daß ausgerechnet der Leiter Ihrer Zivilschutzabteilung zu dem Zeitpunkt, da hier die Vorarbeit für diese Gesetzgebung in die Wege geleitet ist, weggeht. Wenn auch Frau Schwarzhaupt wegen der Koalitionsschwierigkeiten 14 Monate keinen Staatssekretär finden wollte oder konnte, ist es natürlich ein ungünstiger Zeitpunkt, wenn Sie ausgerechnet dann, wenn die Gesetze hier zur ersten Lesung anstehen, diesen Herrn dorthin abgeben müssen.

(Abg. Dr. Schäfer: Aber wenn er Staatssekretär wird!!!)

— Ich habe selbstverständlich nichts gegen das Fortkommen des einzelnen, ich beglückwüsche den Herrn dazu.
Wir wollen versuchen, gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Gewerkschaften und der Wirtschaft das zu tun, was in unseren Kräften steht. Wir können nicht genug Anregung und Hilfe von draußen bekommen. Der Sachverstand zahlreicher Wissenschaftler und aller interessierten Kreise, auch der Praktiker, kann uns hier nur helfen. In diesem Fall hat niemand von den Theoretikern des Ministeriums, das wissen Sie, den Sachverstand für sich gepachtet. Wir brauchen den Rat aller.



Schmitt-Vockenhausen
Lassen Sie mich noch eines sagen. In den Vereinigten Staaten wird in öffentlichen Diskussionen immer wieder auf die Gefahr hingewiesen, daß allzu perfektionistische Maßnahmen beim zivilen Bevölkerungsschutz die Grundstruktur unserer demokratischen Gesellschaftsordnung ändern können. Man muß diese Gefahren erkennen, um ihnen begegnen zu können. Wir müssen auch die Leistungskraft und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft in Rechnung stellen. Wir müssen die Utopie auf diesem Gebiet vermeiden, den Fatalismus überwinden und einen Weg suchen, von dem wir hoffen, daß ihn zu gehen vielleicht in einigen Jahren für die Menschheit überflüssig sein wird.
Ich bin mit der Denkschrift, von der ich schon einmal gesprochen habe, die von den Professoren Hahn, Heisenberg und Weizsäcker unterzeichnet ist, der Ansicht, daß jede noch so geringe Chance, Menschenleben zu retten, uns allen die Pflicht auferlegt, diese Möglichkeiten wahrzunehmen. Parlament und Regierung haben die Pflicht, sie aufzuzeigen und voranzugehen.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion wird bei den Beratungen der Gesetze für die zivile Notstandsplanung entsprechend den Entschließungen ihrer Parteikörperschaften mitarbeiten und versuchen, das Beste zum Wohle der Menschen unseres Volkes zu tun.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0405603200
Das Wort hat der Abgeordnete Lünenstraß.

Karl-Heinz Lünenstraß (SPD):
Rede ID: ID0405603300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegen haben über die Grundsätze und über die Grundzüge der sozialdemokratischen Auffassung zu den vorliegenden Gesetzentwürfen gesprochen. Ich habe den Auftrag, einige Bemerkungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf über den Zivildienst im Verteidigungsfall zu machen. Mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten darf ich einige weitere Bemerkungen zu der Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden machen.
Vorab eine allgemeine Bemerkung. Vor ungefähr einem Jahr fand die erste Lesung dieses Zivildienstgesetzes im Bundesrat statt. Schon damals hat die sozialdemokratische Fraktion hier in diesem Hause die Auffassung vertreten, daß es nicht glücklich sei, dieses Gesetz isoliert und für sich allein zu beraten. Die Mehrheit des Bundesrates hat einen entsprechenden Antrag abgelehnt. Insbesondere der Herr Staatssekretär des Bundesinnenministeriums hat die besondere Dringlichkeit und die Eilbedürftigkeit des Gesetzes betont.
Ich glaube, es war gut, daß die erste Beratung damals nicht erfolgt ist, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist nicht zu bezweifeln, daß das Gesetz in einem sachlichen Zusammenhang mit den heute zur Beratung stehenden Gesetzen steht; der Innenminister selbst sprach in dem Zusammenhang von einem Paket. Zum anderen — ich möchte mit allem
Nachdruck und mit allem Ernst darauf hinweisen — handelt es sich bei der von Ihnen erwarteten und durchaus möglichen Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion zu der Grundgesetzänderung ja nicht nur für uns jedenfalls nicht nur — um eine Überprüfung der Gesetzgebung zur Änderung des Grundgesetzes. Vielmehr kommt es uns selbstverständlich entscheidend auch darauf an, wie diese Gesetze — ich darf es noch einmal sagen — innerhalb des gesamten Paketes gestaltet werden.

(Sehr richtig! bei der SPD.)

Wir werden also unsere Haltung und unsere mögliche Zustimmung davon abhängig machen, wie diese Gesetze — ich will keine Bewertung der einzelnen Gesetze vornehmen — gestaltet werden. Aber ich will in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß gerade das Gesetz über den Zivildienst von besonderer Bedeutung ist.
Wir haben in unangenehmer Erinnerung den Entwurf für ein Notdienstgesetz aus dem Jahre 1960. Wir bedauern außerordentlich, daß wir bei ganzen Passagen und bei vielen Einzelstellen des vorliegenden Gesetzentwurfs an dieses Notdienstgesetz erinnert werden. Wir hätten es gern gesehen, wenn die Regierung und insbesondere der Herr Innenminister aus der .damaligen ersten Lesung und aus der öffentlichen Diskussion einige Konsequenzen bestimmter Art gezogen hätte. Nun gut, das ist nicht geschehen oder nur teilweise geschehen, nach unserer Auffassung unvollkommen geschehen. Wir werden in den zuständigen Ausschüssen — zusammen mit Ihnen — Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen. Wir werden den Versuch machen, über die Einzelheiten zusprechen und zu einer gemeinsamen Regelung zu kommen.
Der Herr Innenminister hat heute in seinen Stellungnahmen wiederholt darauf hingewiesen, daß man nicht allzuviel theoretisieren sollte und daß man sich hüten sollte, Regelungen und Formen zu schaffen, die nicht praktikabel seien. Ich glaube, das vorliegende Zivildienstgesetz bietet allen Anlaß, jedenfalls im Ausschuß zu überlegen, ob denn diese Formulierungen und Einzelbestimmungen wirklich praktikabel sind. Sowohl die Ordnungs- und insbesondere die Strafbestimmungen als auch die Erfassungsbestimmungen sind nach unserer Meinung nicht nur nicht liberal genug gehalten, sie erschweren auch das, was man in Wirklichkeit will. Am Wollen und am Willen zum Gemeinsamen sollte kein Zweifel bestehen.
Ich darf, meine sehr verehrten Damen und Herren, einige wenige Bemerkungen zu den Punkten machen, die hier erwähnt worden sind. Ich will mich dabei auf ein paar wesentliche Punkte beschränken.
Nach wie vor ist die Auswirkung des § 3 ungeklärt. Ungeklärt ist die Übereinstimmung mit Art. 12 des Grundgesetzes. Während in § 3 vom Einsatz im Bereich der Bundeswehr gesprochen wird, spricht Art. 12 vom Verband. Wir sind der Auffassung, daß hier eine korrekte und einwandfreie Abklärung zu erfolgen hat, und wir erwarten von der Bundesregierung in den zuständigen Ausschüssen nicht nur eine Aufklärung über diese Tatbestände, sondern eine wirkliche Klärung.



Lünenstraß
Ebenfalls liegt uns eine wirkliche Trennung der einzelnen Zuständigkeiten am Herzen. Ich kann es mir ersparen, hier heute weiteres dazu zu sagen; meine Kollegen haben schon einige Bemerkungen dazu gemacht. Die in diesem Gesetz niedergelegte Regelung versucht nicht nur, den Aufgabenbereich der zivilen Verteidigung, sondern versucht gleichzeitig auch Aufgaben in der Wirtschaft zu ordnen. Es bleibt abzuwarten und ist zu prüfen, ob das der einzig mögliche und in diesem Zusammenhang richtige Weg ist. Wir haben da berechtigte Zweifel. Wir möchten annehmen, daß nach einer gemeinsamen Beratung die Möglichkeit gegeben ist, Regelungen und Formulierungen zu finden, die der 'Sache nach gerecht sind.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf ein weiteres Problem aufmerksam machen, von dem heute schon einmal die Rede war. Es handelt sich um die Festlegung der Heranziehungsbehörden. Es hat darüber nicht nur im 3. Bundestag, sondern auch bei den Beratungen im Bundesrat Auseinandersetzungen gegeben. Daß die Meinungen darüber auseinandergehen, ist dem Hohen Hause bekannt. Wir sind nach wie vor der Auffassung, daß es tunlich ist, damit die Arbeitsverwaltungen nicht zu beauftragen. Das im einzelnen zu begründen ist im Augenblick nicht erforderlich. Einige Gründe sind genannt worden. Es ist der Regierung bislang jedenfalls nicht gelungen, uns davon zu überzeugen, daß dieser Weg der einzig mögliche, der praktikable und sinnvolle ist. Das isst insbesondere aus dem
Grunde nicht gelungen, weil sich im Rahmen der gesamten zivilen Notstandsplanung 'herausstellen wird, daß die unteren Verwaltungsbehörden auf der Ebene des Landkreises und der kreisfreien Städte nicht nur diese, sondern viele andere Aufgaben erledigen müssen.
Im übrigen möchte ich mich der Auffassung anschließen, die in der Diskussion im Bundesrat zum Ausdruck gebracht worden ist: daß das Verständnis bei der Bevölkerung für eine Maßnahme, die von der unteren Verwaltungsbehörde veranlaßt worden ist, mit Sicherheit größer ist als für eine Maßnahme, die von der Arbeitsverwaltung getroffen worden ist. Wie gesagt, auch hier bleibt die Frage offen, welche Regelung im einzelnen als die richtige, als die praktikable anzusehen ist.
Meine Damen und Herren, in der Begründung zu dem Entwurf der Regierung wird wiederholt auf den Vorrang der Freiwilligkeit hingewiesen. Nun, es gibt auch bei uns keine Meinungsverschiedenheiten darüber, daß wir allein mit dem Appell an die Freiwilligkeit und allein mit den Freiwilligen die vor uns stehenden Aufgaben mit Sicherheit nicht bewältigen können. Das bedeutet aber doch nicht im vorhinein — ich möchte es einmal plastisch sagen —, die Segel zu streichen, indem man den Vorrang der Freiwilligkeit eben nur so en passant zum Ausdruck bringt. Wir meinen vielmehr, daß müßte nicht nur verstärkt werden, sondern darüber hinaus müßten wir alle uns verpflichtet fühlen, in der Öffentlichkeit mehr für den Gedanken der Freiwilligkeit bei all diesen Dingen zu werben.
Mein Kollege Schmitt-Vockenhausen hat vorhin I auf das Fiasko beim zivilen Bevölkerungsschutz hingewiesen. Das muß nicht unbedingt so sein. Man kann nicht sagen, daß die Maßnahmen, die dort in der Vergangenheit ergriffen worden sind, die einzig möglichen oder notwendigsten waren. Wir werden uns also bei den Beratungen im Ausschuß überlegen müssen, welche anderen Wege zu beschreiten sind. Es gibt in der Sozialdemokratischen Partei keine Meinungsverschiedenheiten — ich darf das wiederholen — über die Notwendigkeit einer solchen gesetzlichen Regelung; sie wird auch von uns anerkannt. Wir brauchen in genügendem Umfang Kräfte für den zivilen Bevölkerungsschutz, für die Wahrnehmung lebens- und verteidigungswichtiger Aufgaben, z. B. in der öffentlichen Verwaltung, aber natürlich ebenso für den Sanitäts- und für den Polizeidienst.
Über die Polizeireserve ist sowohl in den Diskussionsbeiträgen als auch vom Herrn Innenminister gesprochen worden.
Als Grundlage für die gesamte Heranziehung halten wir eine Änderung des Grundgesetzes für zwingend notwendig. Wir wenden uns mit Entschiedenheit gegen Bestimmungen, die den Zivildienst im Bereich der Wirtschaft zulassen. Wir werden darüber in den Ausschüssen sprechen müssen, und wir erwarten, daß uns die Regierung ganz eindeutige Erklärungen darüber abgibt, wie in einem solchen Fall die Dinge geregelt werden sollen. Ich darf wiederholen, daß nach unserer Auffassung die Heranziehungsbehörden ganz allgemein die Behörden der öffentlichen Verwaltung sein sollten.
Wir wünschen im übrigen, daß die Altersgrenze für die Heranzuziehenden einer genauen Prüfung unterzogen wird. Sie wissen, daß insbesondere um die Festsetzung der Altersgrenze für die Frauen eine lebhafte Diskussion eingesetzt hat. Uns allen ist bekannt, daß die Meinungen darüber nicht einheitlich sind,

(Zuruf des Abg. Dr. Even)

— auch bei den Frauen nicht einheitlich sind, Herr Kollege Dr. Even, selbstverständlich nicht. Keine Meinungsverschiedenheiten sollte es über die nach unserer Auffassung zwingende Notwendigkeit geben, Untersuchungen hinsichtlich der Mütter mit Kindern und auch hinsichtlich der Altersgrenze für Frauen im Grundsätzlichen vorzusehen. Ich glaube, eine solche Regelung würde auch bei den Frauen selbst Beifall finden.
Die Frage der Versorgung für die Zivildienstpflichtigen ist in diesem Gesetzentwurf nicht ausreichend gelöst. Wir werden uns im zuständigen Ausschuß von den mitberatenden Ausschüssen beraten lassen müssen, damit wir zu Regelungen kommen, die allen Notwendigkeiten Rechnung tragen.
Abschließend zu diesem Gesetzentwurf lassen Sie mich sagen: wir knüpfen an die Beratungen die Erwartung, daß die Gesetzentwürfe und insbesondere der Gesetzentwurf für ein Zivildienstgesetz nach der ersten Lesung bei den Beratungen in den zuständigen Ausschüssen und bei der zweiten Le-



Lünenstraß
sung eine Form bekommen, die eine praktische
Handhabung im Interesse der Sache möglich macht.
Gestatten Sie mir nun einige Bemerkungen zu dem auf der Tagesordnung an nächster Stelle aufgeführten Gesetzentwurf. Es handelt sich hierbei um eine Ergänzung des Bundesgrenzschutzgesetzes. Der Herr Innenminister hat heute vormittag bei seiner Stellungnahme einige Bemerkungen zu diesem Gesetzentwurf gemacht. Er hat in erster Linie die in der Begründung zu dem Gesetzentwurf vorgebrachte Argumentation wiederholt, daß zwar auch aus verschiedenen anderen Gründen eine Gesetzesänderung notwendig sei, daß aber vor allem etwas geschehen müsse zum Schutze der Beamten im Bundesgrenzschutz selbst. Der Herr Innenminister ist einen Schritt weitergangen. Er hat geglaubt, daß der Kombattanten-Status möglicherweise — und er bezog sich da auf Aussprachen mit den Innenministern der Länder — auf die Polizeieinheiten oder die Bereitschaftspolizei in den Ländern ausgedehnt werden könnte. Er hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß das in diesem Gesetz nicht geschehen sei. Er hat aber auch nicht gesagt, daß er das für die Zukunft vorsieht.
Im möchte in diesem Zusammenhang den Wunsch äußern, daß die Regierung Gelegenheit nimmt, uns im zuständigen Ausschuß — der Herr Innenminister hat das bereits in einem anderen Zusammenhang vorhin zugestanden — eine umfassende Konzeption des Gesamtbereichs vorzutragen, in dem der Bundesgrenzschutz in Zukunft seine Aufgaben zu erfüllen haben wird. Wir sind der Meinung, daß nur dieses eine Argument zum Schutz der Beamtenschaft nicht allein durchschlagend sein kann. Wir werden auch Gelegenheit nehmen müssen, Überlegungen anzustellen, ob und in welchem Umfange das überhaupt geschehen soll.
Ich möchte eine Anmerkung zu dem § 2 b machen, der dem Minister die Vollmacht erteilen soll, in Übereinstimmung mit dem Finanzminister dieses Gesetz oder aber die Konsequenzen dieses Gesetzes auch auf die Zollbeamtenschaft zu übertragen. Wir sollten davon ausgehen, daß die Leute, die den Beruf des Polizeibeamten oder aber des Zollbeamten gewählt haben, sich für einen Zivilberuf entschieden haben, und wir werden ernsthaft überlegen und prüfen müssen, inwieweit die hier geforderten einzelnen Dinge nun in jedem Fall auch in Übereinstimmung mit diesem Erfordernis und mit dem Wunsch der Beamtenschaft selbst zu bringen sind. Wir sollten es uns nicht so einfach machen, daß wir durch die Verleihung des Kombattanten-Status zwar — so lautet auch die Argumentation der Regierung — hier eine Schutzmöglichkeit für den Betreffenden schaffen, andererseits aber in endlose Verwicklungen mit den Beamten, insbesondere mit der Zollbeamtenschaft selbst geraten.
Ich möchte hierbei feststellen, daß wir zumindest zu diesem Zeitpunkt glauben, eine Zustimmung nicht geben zu können. Wir werden aber auch hier den weiteren Gang der Beratungen in den Ausschüssen abwarten und natürlich unsere endgültige Entscheidung von dem Gang der Verhandlungen abhängig machen.
Ich darf zum Schluß noch einmal darauf hinweisen, daß wir sowohl für das Zivildienstgesetz als auch für die Ergänzung des Bundesgrenzschutzgesetzes erwarten, daß die Regierung und die Mitglieder der Koalitionsfraktionen im zuständigen Ausschuß unsere Arbeit anerkennen, so wie wir unsererseits durchaus bereit sind, sachlich mitzuarbeiten, um beiden Gesetzen die erforderliche Form zu geben.

(Beifall bei der SPD.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0405603400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Even.

Dr. Bert Even (CDU):
Rede ID: ID0405603500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einige Grundgedanken zu dem gesamten Notstandspaket äußern, über das wir jetzt diskutieren, und dann einige Bemerkungen zu dem Entwurf des Zivildienstgesetzes anfügen.
Ich glaube, meine Herren Vorredner haben mit Recht darauf hingewiesen, daß diese Notstandsgesetze von der deutschen Bevölkerung in allen ihren Schichten weitreichende und einschneidende Opfer verlangen werden.

(Abg. Brück: Sehr richtig!)

Wir sollten den Mut haben, das unserem Volke in aller Offenheit zu sagen. Wir sollten dabei gleichzeitig darauf hinweisen, daß es auch angesichts dieses wenig erfreulichen Kapitels der Notstandsvorsorge nach wie vor das oberste Ziel aller deutschen Politik bleibt, den Frieden zu bewahren und unsere Freiheit zu sichern,

(Beifall bei den Regierungsparteien)

und zwar ohne daß dabei eine innere oder eine äußere Katastrophe eintritt. Eine verantwortungsbewußte Staatsführung muß aber auch für den äußersten Fall, nämlich für den Fall, daß das oberste Ziel ihrer Politik, die Sicherung des Friedens, nicht erreicht wird, Vorsorge treffen.
Dieser Notstandsvorsorge dienen die vorliegenden Gesetze. Sie dienen in erster Linie dem Schutz der Zivilbevölkerung. Ich glaube, wir sind in diesem Hause ohne Illusionen über die Auswirkungen eines Verteidigungsfalles, wenn er uns mit voller Wucht treffen sollte. Wir sind aber, glaube ich, in diesem Hause auch darüber einig — ich habe das jedenfalls den Ausführungen meiner beiden Herren Vorredner entnommen —, daß es durchaus sinnvoll, ja daß es erforderlich ist, im Rahmen des Möglichen all die Maßnahmen zu treffen, die nötig sind, um im Notstandsfall gewappnet zu sein und die Schäden an Gesundheit, an Leben, aber auch an materiellen Dingen auf ein Mindestmaß beschränken zu können.
Aber noch ein zweiter Gesichtspunkt muß bei dieser Notstandsgesetzgebung Berücksichtigung finden. So sehr für uns der Schutz der Bevölkerung im Vordergrund steht, so klar ist es die zweite Aufgabe dieser Notstandsvorsorge, daß wir unsere Strategie der Abschreckung noch glaubhafter machen, als das bisher der Fall gewesen ist. Denn in unserer heutigen Zeit muß neben die militärische



Dr. Even (Düsseldorf)

Vorsorge die zivile Vorsorge treten. Nur wenn die Völker in beiden Bereichen die notwendige Vorsorge treffen, wird gegenüber dem potentiellen Gegner jenes Maß an Gesamtabschreckung gewährleistet, das nötig ist, um einen bewaffneten Konflikt zu verhindern.
Das setzt die Bereitschaft zum Opfer voraus. Wir müssen in diesem 4. Deutschen Bundestag den Mut haben, unserem Volke nicht nur Vorteile zu gewähren, uns nicht nur auf Versprechungen einzulassen und Wünsche zu befriedigen, die an uns herangetragen werden, sondern von unserem Volke auch Opfer zu verlangen, wenn davon die Sicherung all jener Werte abhängt, die für uns das Leben erst lebenswert erscheinen lassen. Wir wissen dabei, daß unser Volk zu derartigen Opfern, die zu seinem Schutz und zur Sicherung der Freiheit gebracht werden müssen, bereit ist. Für jedes Gut muß ein Preis bezahlt werden. Wie könnten wir, meine Damen und Herren, verlangen, daß wir für das höchste Gut im menschlichen Leben, nämlich die Freiheit, nichts zu bezahlen brauchten?
Von diesen Grundgedanken, glaube ich, hat sich die Bundesregierung leiten lassen, als sie das sogenannte Notstandspaket auf den Tisch des Hohen Hauses legte. Wir von der CDU/CSU-Fraktion begrüßen daher die Vorlage dieser Gesetze. Wir sind bereit, ihre Grundsätze hier im Parlament wie auch draußen politisch zu vertreten. Wir sind dabei der Auffassung, daß man nicht in einen Streit über das Erstgeburtsrecht an bestimmten Vorsorgemaßnahmen eintreten sollte. Wir sollten nicht den Ehrgeiz haben, hier gewissermaßen das politische „Ius primae noctis" für den einen oder anderen in Anspruch zu nehmen,

(Heiterkeit)

sondern wir sollten davon ausgehen, daß wir alle fest davon überzeugt sind, daß nunmehr der Zeitpunkt gekommen ist, in einem großangelegten Maße die Vorsorge für den zivilen Bevölkerungsschutz im Falle des Notstandes in Angriff zu nehmen.
Wir alle müssen anerkennen, daß es sehr leicht ist — und das sage ich an die Adresse der Opposition —, Forderungen zu stellen und zu sagen: Wir hätten dies damals schon tun müssen, wir haben das damals sogar gefordert. — Es ist nicht sehr schwer, derartige Forderungen zu erheben. Viel schwerer ist es, die finanziellen Mittel bereitzustellen, die erforderlich sind, um das durchzuführen.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sie haben doch noch nicht einmal das ausgegeben, Herr Kollege, was genehmigt war!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie einmal zusammenzählen, welche Anträge Sie gestellt haben — nicht nur auf diesem Gebiet, sondern auf allen Gebieten, vor allen Dingen auch auf dem sozialpolitischen Gebiet —, werden Sie zugeben müssen, daß wir, wenn wir diese Forderungen erfüllt hätten, nicht einmal das hätten
tun können, was in den letzten sechs, sieben Jahren
auf diesem Gebiet immerhin bereits geschehen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0405603600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Bert Even (CDU):
Rede ID: ID0405603700
Freilich. Bitte schön.

Dr. Hermann Schmitt (SPD):
Rede ID: ID0405603800
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob Ihnen die Zahlen bekannt sind, ob Sie also wissen, daß im Jahre 1955 von 88,4 Millionen DM nur 18,3 Millionen DM ausgegeben worden sind, im Jahre 1956 von 94,3 Millionen DM nur 26,6 Millionen DM, im Jahre 1958 von 235,2 Millionen DM nur 34,3 Millionen DM. — Und dann haben Sie hier den Mut, zu sagen, wir hätten zuviel gefordert! Dann hätten Sie mit Hilfe der parlamentarischen Kontrolle lieber dafür sorgen sollen, daß das, was genehmigt war, auch ausgegeben wurde.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Bert Even (CDU):
Rede ID: ID0405603900
Das war keine Frage. Aber Sie werden mir zugeben, Herr Kollege Schmitt, daß erstens damals eine Fülle von anderen Schwierigkeiten bestand und daß wir zweitens, selbst wenn diese Beträge ausgegeben worden wären, immer noch einen nur außergewöhnlich begrenzten Schutz hätten gemessen an dem, was wirklich geschehen muß.

(Zurufe von der SPD.)

Ich darf weiter darauf hinweisen, daß gerade die Frage des Schutzraumbaus — später wird Herr Kollege Dr. Kempfler dazu noch Stellung nehmen — nicht getrennt davon behandelt werden darf, sondern daß sie im Zusammenhang mit der Beseitigung unserer Wohnungsnot gesehen werden muß. Sie können nicht ernsthaft bestreiten, daß der zusätzliche Bau von Schutzräumen in großem Umfang bei der ohnehin schon überhitzten Baukonjunktur zweifellos zu einer erheblichen Verlängerung der Wohnungsnot geführt hätte. Das können Sie nicht ernsthaft bestreiten.

(Zuruf von der SPD: Es fehlt nur noch der Zusammenhang mit Post und Fernsehen; dann haben wir alles!)

— Auf diesen Einfall zu kommen, war Ihnen vorbehalten. Ich habe Ihnen gesagt, daß Herr Kollege Dr. Kempfler später auf dieses engere Problem des Schutzraumbaues zu sprechen kommen wird.

(Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)

— Gewähren Sie mir die Chance, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, einiges über den Entwurf des Zivildienstgesetzes zu sagen.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt, daß der Gesetzentwurf vom Grundsatz der Freiwilligkeit ausgeht und daß Dienstverpflichtungen erst ausgesprochen werden sollen, wenn der Bedarf an Arbeitskräften auf andere Weise, insbesondere durch Freiwillige oder mit Hilfe des freien Arbeitsmarktes, nicht gedeckt werden kann. Wir sind auch der Auffassung,



Dr. Even (Düsseldorf)

daß alles geschehen sollte, um den Anreiz zur Freiwilligkeit zu stärken. Leider haben wir aber gerade aus der Freien und Hansestadt Hamburg die Nachricht bekommen, daß sich der dortige, von Ihnen, wie Sie wissen, meine Damen und Herren von der Opposition, geführte Senat geweigert hat, einen entsprechenden Aufruf zur freiwilligen Mitarbeit in diesem Bereich zu unterstützen.

(Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)

— Nun ja, es kommt natürlich auch auf die gesamte Grundstimmung an, und an der hat es bei Ihnen in den letzten Jahren gefehlt; aber ich habe nach den Reden, die heute hier gehalten worden sind, durchaus die Hoffnung, daß sich das in Zukunft wesentlich ändern wird.
Wir halten den Entwurf aber für realistisch, wenn er auch den Fall ins Auge faßt, daß der Personalbedarf im Verteidigungs- oder Spannungsfall mit Freiwilligen nicht gedeckt werden kann. Wir müssen davon ausgehen, daß der Bedarf an Pflegepersonal, an Hilfskräften für die Versorgung mit Wasser, Gas und Elektrizität, für die Aufrechterhaltung des Personen- und Güterverkehrs, für Luftschutzhilfsdienste und dergleichen so groß sein wird, daß er allein mit Freiwilligen oder mit den Kräften des Arbeitsmarktes nicht gedeckt werden kann. Infolgedessen ist es realistisch, wenn der Gesetzentwurf auch diese Möglichkeit ins Auge faßt und dafür eine entsprechende Dienstpflichtregelung subsidiärer Natur vorsieht. Hinzu kommt ja, daß durch die fortschreitende Technisierung auf den verschiedensten Gebieten auch eine komplizierte Ausbildung erforderlich wird. Infolgedessen wird es nicht zu umgehen sein, daß auch schon in normalen Zeiten derartige Ausbildungsveranstaltungen stattfinden müssen.
Was den Einsatz von Frauen auf der Grundlage der Dienstverpflichtung betrifft, so sind wir der Meinung, daß sich auch dies nicht umgehen läßt, obwohl ich mit dem Kollegen Lünenstraß der Auffassung bin, daß wir sehr sorgfältig auf das Wesen und die Natur der Frau Rücksicht zu nehmen haben, insbesondere auch auf die Frauen mit Kindern, und daß wir im Ausschuß durchaus die Altersgrenze wie auch andere damit zusammenhängende Fragen prüfen müssen.
Ich möchte aber einem Bedenken entgegentreten, das in der deutschen Öffentlichkeit wiederholt vorgetragen worden ist, nämlich der Behauptung, daß es in der übrigen vergleichbaren Welt keine Dienstpflichtleistungen von Frauen gebe. Es ist sogar umgekehrt so, daß sehr viele vergleichbare Demokratien eine viel einschneidendere Dienstpflicht für Frauen in Zeiten des Verteidigungs- oder Spannungsfalles besitzen. Es ist also unrichtig, zu sagen, daß hier in Deutschland etwas eingeführt werden solle, was über alle Maßen ungewöhnlich sei, und daß man — es werden einzelne Beispiele genannt wie etwa Großbritannien — sich bei Frauen mit einer freiwilligen Basis begnügen könne. Ich glaube, im Ausschuß wird Gelegenheit sein, darüber noch eine rechtsvergleichende Betrachtung im einzelnen anzustellen.
Ich glaube daher, daß sich der Gesetzentwurf insoweit im Rahmen dessen hält, was in vergleichbaren Staaten heute bereits Rechtens ist, und daß wir von den Männern und den Frauen in Deutschland nicht mehr verlangen, als was auch anderswo ihnen abverlangt wird.
Zu den Anregungen und Bedenken des Herrn Kollegen Lünenstraß lassen Sie mich nur ein paar Bemerkungen machen. Ich begrüße, daß er im Grundsatz auf die Basis der Regierungsvorlage getreten ist. Ich greife gerne die Anregung auf, daß wir uns über eine Reihe von Einzelfragen noch einmal ausführlich im Ausschuß unterhalten. Ich greife hier heraus die Frage der Begriffsabgrenzung zwischen dem Bereich und dem Verband der Bundeswehr. Man kann auch über die Abgrenzung der Zuständigkeiten diskutieren, auch über das Problem der Heranziehungsbehörde. Es scheint, daß diese Frage eine gewisse gefühlsmäßige Rolle bei einigen Rednern — auch Herr Kollege Leber hat darauf hingewiesen — spielt. Auch darüber sollte man sich nüchtern unterhalten. Wir betrachten diese Frage, das darf ich Ihnen versichern, nicht als Weltanschauungsfrage, sondern als Zweckmäßigkeitsfrage. Ich glaube, allein von daher wird man hier entscheiden können.
Lassen Sie mich mit folgender Zusammenfassung schließen. Wir wissen, daß dieses Gesetz wie manches andere .der acht Notstandsgesetze, die wir beraten, einschneidende Opfer, zum Teil auch in Friedenszeiten, von großen Teilen unserer Bevölkerung verlangt. Wir halten diese Opfer aber für zumutbar \\und erforderlich. Wir halten sie für gering gegenüber den Leiden und Opfern, die unsere mitteldeutschen Landsleute durch die Heimsuchung des Bolschewismus ertragen müssen. Mit dem Blick auf diese drohende Gefahr, deren Wirksamwerden wir bei uns verhindern wollen, sollten wir an die Lösung des Problems herangehen, nämlich unserer Bevölkerung zusätzliche Sicherheit zu geben und durch die Schaffung einer noch glaubwürdigeren Verteidigungsbereitschaft eine kriegerische Katastrophe verhindern zu helfen. Der letzte Sinn dieser Gesetze liegt daher nicht darin, einen Krieg vorzubereiten, sondern er fügt sich in unser politisches Gesamtkonzept ein, nämlich den Frieden und die Freiheit zu sichern.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0405604000
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Dr. Flitz.

Dr. Hedi Flitz (FDP):
Rede ID: ID0405604100
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Ich habe die Ehre, namens der Fraktion ,der Freien Demokraten zu dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über den Zivildienst im Verteidigungsfall Stellung zu nehmen.
Henri Barbusse hat einmal gesagt: „Das einzige, was wir aus den Schrecken des Krieges lernen, ist, daß wir nichts aus ihnen lernen". Als 1945 eine totale Kapitulation einem völkermordenden Krieg ein Ende setzte, bei dem es keinen Unterschied zwischen Front und Heimat gegeben hatte, in dem



Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven)

Frauen und Kinder ebenso das Opfer feindlicher Angriffe geworden waren wie ihre Männer, Väter und Brüder draußen an der Front, hätte man annehmen können, daß die Menschen, aus diesen Erfahrungen lernend, in der Zukunft versuchen würden, alle geistigen und moralischen Kräfte einzusetzen, um mit ihnen eine Antwort auf die Fragen der Zeit nach der Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens der Menschheit zu finden. Es ist bestürzend für uns alle — und nicht am wenigsten für die Frauen, die durch einen Krieg und seine Folgen immer am härtesten betroffen werden —, feststellen zu müssen, wie dicht uns die Weltpolitik bereits wieder an den Rand drohender Katastrophen geführt hat, deren Auswirkungen alles Erlebte in den Schatten stellen würden. Zwar bemüht man sich in immer neuen Konferenzen, eine kontrollierte Abrüstung zu erwirken. Aber solange dieses Ziel nicht erreicht ist, bleibt Pflicht von Regierung und Parlament, die Bevölkerung auf einen Konfliktfall vorzubereiten und seine Folgen zu überdenken, um sie im Interesse des Weiterbestehens unseres Volkes zu mildern. „Richtige Vorbereitungen könnten Milliarden das Leben retten und andere schwere Leiden lindern oder ersparen", sagt Professor Weizsäcker.
Die Fragen ;der sogenannten zivilen Verteidigung aber sind bei dem Aufbau unserer Bundeswehr sträflich vernachlässigt worden. Es waren nicht zuletzt wir Freien Demokraten, die durch unsere Sprecherin, die verehrte letzte Alterspräsidentin dieses Hohen Hauses, Frau Dr. Lüders, immer wieder mahnend den Finger erhoben haben. Ich darf auch daran erinnern, daß unser Kollege Kreitmeyer seit 1957 ein Weißbuch über die zivile Verteidigung verlangt hat. Ohne daß ;wir das „ius primae noctis" für uns in Anspruch nehmen wollen — Sie wissen: „pater saepe est incertus" —, dürfen wir doch sagen, daß uns die Frage des zivilen Bevölkerungsschutzes immer ein ernstes Anliegen war.
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes über den Zivildienst im Verteidigungsfalle stellt die Überarbeitung des von der Bundesregierung in der 3. Legislaturperiode erstellten Entwurfes eines Notdienstgesetzes aus dem Jahre 1960 dar. Dieser Entwurf traf damals die Öffentlichkeit wie ein Schock, nicht zuletzt die Frauen, weil man es nicht für nötig befunden hatte, sie, die doch am härtesten von einem solchen Gesetz Betroffenen, vor der Fertigstellung des Entwurfs überhaupt zu informieren, eines Gesetzes, das im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, die um die freiwillige Mitarbeit der Frauen ;warben, sogar eine vorsorgliche Rekrutierung im Frieden in Betracht zog. Ich darf mit Befriedigung feststellen, daß sich bei dem uns vorliegenden Entwurf der derzeitige Bundesinnenminister die Mühe machte, die Wünsche der Frauenorganisation anzuhören, wenn ich auch verraten darf, daß das Gespräch nicht ganz so befriedigend auslief, wie wir es uns vorgestellt hatten, erstens weil es sehr spät angesetzt war und zweitens damals wichtige Unterlagen aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen nicht zur Stelle waren. Aber immerhin, Herr Minister: „tamen est laudanda voluntas." Gerechterweise muß gesagt werden, daß man einigen der an dem ersten Entwurf geäußerten
Bedenken nachgegeben hat. Ich denke z. B. an den Vorrang der Freiwilligkeit und an die Ausweitung der Freistellung von Müttern.
Sinn des vorliegenden Gesetzentwurfes ist es, die notwendigen Arbeitskräfte für die lebens- und verteidigungswichtigen Dienstleistungen im Verteidigungsfall sicherzustellen, d. h., es sollen in Friedenszeiten die juristischen Voraussetzungen geschaffenwerden, um im Fall eines Krieges über eine zivile Hilfsgruppe zu verfügen und sie bereits jetzt auszubilden. Ein großer Teil dieser Hilfskräfte wird, wenn der Entwurf Gesetzeskraft erhält, Frauen sein.
Es geht um die Verpflichtung der für die Aufrechterhaltung eines für die Bevölkerung lebenswichtigen Betriebs notwendigen Arbeitskräfte, auf ihrem Arbeitsplatz zu bleiben und dort zu arbeiten oder auf einen anderen umzuwechseln, wo sie dringender benötigt werden. Es gilt gleichzeitig, neue Kräfte für die dann erweiterten oder neu auftretenden dringenden Aufgaben heranzuziehen. Es handelt sich also im Gegensatz zu dem Gegenstand des Selbstschutzgesetzes bei diesem Gesetz um die Regelung für eine Tätigkeit in einem arbeitsrechtlichen Verhältnis. Das Gesetz soll eine Lücke ausfüllen und ist als Gegenstück zum Wehrpflichtgesetz auf zivilem Sektor anzusehen.
Wie schon erwähnt, soll der Freiwilligkeit der Vorrang gegeben werden. Es müssen zunächst alle Möglichkeiten des freien Arbeitsmarkts und der Hilfeleistung auf freiwilliger Basis ausgeschöpft werden. Erst wenn der Kräftebedarf nicht oder nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln gedeckt werden kann, sollen nach dem Gesetzentwurf Verpflichtungen möglich sein.
Es geht nicht aus dem Entwurf hervor, wer diese wichtige Feststellung zu treffen hat. „Gegenstand des Zivildienstes sind Dienstleistungen nichtmilitärischer Art für lebens- und verteidigungswichtige Aufgaben im Bereich der öffentlichen Verwaltung und der Streitkräfte einschließlich der verbündeten Streitkräfte". Hier erheben sich, wie der Herr Bundesminister schon andeutete, die starken Bedenken der Frauen. Die Begründung des Entwurfs weist zwar ausdrücklich auf Art. 12 Abs. 3 des Grundgesetzes hin, in dem gesagt wird:
Frauen dürfen nicht zu einer Dienstleistung im Verband der Streitkräfte durch Gesetz verpflichtet werden. Zu einem Dienst mit der Waffe dürfen sie in keinem Falle verwendet werden.
Mit Sorgen sehen wir aber, daß in Auswirkung des heute vormittag diskutierten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes auf Grund des darin enthaltenen Art. 115 b Abs. 2 Buchstabe b auch der Abs. 3 des Art. 12 in seiner ersten Hälfte durch ein einfaches Gesetz außer Kraft gesetzt werden kann. Danach gilt dann nicht mehr die Feststellung: „Frauen dürfen nicht zu einer Dienstleistung im Verband der Streitkräfte durch Gesetz verpflichtet werden." Geblieben ist allein die Zusicherung: „Zu einem Dienst mit der Waffe dürfen sie in keinem Falle verwendet werden".



Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven)

Trotz der freundlichen Versicherung des Herrn Bundesministers sind wir voller Zweifel. Wir verlangen, daß in dem Gesetz eindeutig festgelegt wird, was unter dem „Bereich" der Streitkräfte einschließlich der verbündeten Streitkräfte verstanden werden muß. Wie ist der rechtliche Status der Zivildienstverpflichteten in diesen Streitkräften bezüglich ihres Schutzes hinsichtlich der Genfer Konvention? Bleiben die Betreffenden Zivilpersonen?
Auch den Begriff „mit der Waffe" wollen wir geklärt und weitestgehend ausgelegt wissen. Nach den Erfahrungen vom letzten Krieg müssen wir einen Dienst der Frauen auch an Radargeräten und Scheinwerfern ablehnen.

(Beifall bei der FDP.)

Nach unserer westlichen Anschauung widerspricht es der Würde der Frau, sie an einen solchen Platz zu stellen oder sie dort sehen zu müssen. Das Gesetz muß eindeutig festlegen, was ein Zivildienstpflichtiger zu erwarten hat.
Die zeitlichen Voraussetzungen des Zivildienstes scheinen uns nicht deutlich genug abgegrenzt zu sein. Es heißt in § 4, daß Zivildienstleistungen nach § 3 Abs. 1 nur gefordert werden können, erstens, wenn der Eintritt des Verteidigungsfalles festgestellt ist, zweitens, wenn durch eine fremde bewaffnete Macht Feindseligkeiten gegen die Bundesrepublik eröffnet sind, oder drittens — und hierum geht es mir —, wenn die Bundesregierung festgestellt hat, „daß Zivildienstleistungen für die in § 3 Abs. 1 bezeichneten Aufgaben den Umständen nach dringend erforderlich sind." Wir haben die Befürchtung, daß dieser letzte Paragraph unter Umständen auch einmal für einen Notstand im Frieden oder eine Situation, die als solcher ausgelegt wird, angewandt werden könnte. Wir fragen deshalb die Bundesregierung, weshalb die Formulierung des ersten Entwurfs fallengelassen worden ist, in der es an dieser Stelle hieß: „ ... wenn die Bundesregierung festgestellt hat, daß Notdienstleistungen im Hinblick auf einen drohenden Verteidigungsfall erforderlichsind." Es muß im Gesetz eindeutig zum Ausdruck kommen, daß es sich, wie auch seine Bezeichnung sagt, nur auf den Verteidigungsfall bezieht.
Fragen der Altersgrenzen müssen sorgfältig geprüft werden, wie auch die Vorredner schon gesagt haben. Der Entwurf sieht für Männer eine Altersgrenze von 65 Jahren und für Frauen von 55 Jahren vor. Der Bundesrat will die Altersgrenze für Frauen auf 50 Jahre herabsetzen.
Die Frauenverbände haben sich sehr eingehend mit dieser Frage befaßt. Ich darf sagen, daß die weitaus größere Mehrheit die Beibehaltung des vorgeschlagenen Alters von 55 Jahren wünscht, weil sie der Meinung ist — auch das ist schon gesagt worden —, daß man alles tun sollte, um möglichst viele Mütter mit kleinen, aber auch mit heranwachsenden Kindern freizustellen. Ein Vergleich mit Gesetzen anderer europäischer Länder zeigt übrigens, daß man dort fast überall hinsichtlich des Alters noch wesentlich höher geht. Einerseits darf doch damit gerechnet werden, daß Frauen, die sich einer
dauernden körperlichen und geistigen Tätigkeit nicht mehr gewachsen fühlen, sich nicht freiwillig melden oder nach einer ärztlichen Untersuchung sowieso freigestellt werden; andererseits aber meinen wir, daß Reife und Erfahrung einer Frau im fünften Jahrzehnt ihres Lebens notwendig und erwünscht sein sollten auch für leitende Stellen im Zivildienst, für die sie unentbehrlich sind; ich denke zum Beispiel an die Leitung von Betreuungsstellen.
Ich glaube, es gilt, ganz allgemein einmal Fehlmeinungen zu korrigieren. Auch bei den Frauen ist die Alters- und Lebensgrenze heraufgerückt. Von medizinischer Seite ist nachgewiesen, daß die meisten Frauen nach den Jahren der überstandenen Umstellung mit freigewordenen Kräften neue Lebenstüchtigkeit entfalten. Sie sind dann oft bereit, ihrem Leben neuen Inhalt zu geben, auch in einer Tätigkeit für die Gemeinschaft. Vielleicht gestatten Sie mir die Bemerkung, daß ein solches Exemplar — allerdings schon jenseits des fünften Jahrzehnts — im Augenblick als lebendiger Beweis vor Ihnen steht.

(Heiterkeit und Beifall.)

Heranziehungsbehörden sollen nach § 10 die Arbeitsämter sein. Ausnahmen bilden die Zivildienstpflichtigen, die innerhalb eines bestimmten bestehenden Dienst- oder Arbeitsverhältnisses mit dem Bund, einem Land, einer Gemeinde zum Zivildienst herangezogen werden. Für sie ist die Heranziehungsbehörde die zuständige Dienststelle des Dienstherrn. Die Heranziehung ist aber dann dem Arbeitsamt mitzuteilen. Es ist keine beneidenswerte Aufgabe, die hier auf die Arbeitsämter zukommt. Der Personenkreis umfaßt etwa 31 Millionen Männer und Frauen im notdienstpflichtigen Alter.
Gerade weil die Aufgabe der Arbeitsämter schwierig sein wird — wir haben noch die Erfahrungen aus dem letzten Krieg, und sie wurden ja von einem Vorredner auch schon als „Zwingburgen der Freiheit" charakterisiert —, möchten wir anregen, bei jeder Heranziehungsbehörde eine Gütestelle einzurichten. Sie soll auf formlose Anrufung hin entscheiden. Diese Gütestelle sollte idem förmlichen Verwaltungsrechtsweg (§ 28) vorgeordnet werden; das heißt, Widerspruch und Anfechtungsklage sollten nur nach Entscheidung der Gütestelle zulässig sein. Wir glauben, daß damit geholfen werden könnte, unbillige Härten bei den notwendigen Eingriffen in das persönliche Leben und in die Freiheit des einzelnen zu vermeiden; ich denke zum Beispiel an die Zuweisung des Arbeitsplatzes.
Aber ganz allgemein scheint uns der Rechtsschutz des einzelnen im ganzen Gesetz nicht ausreichend gewährleistet. Nach § 28 sind eine Berufung gegen das Urteil und die Beschwerde gegen eine andere Entscheidung des Verwaltungsgerichts auch bei Grundsatzfragen ausgeschlossen. Dies trifft auch für die Strafvorschriften zu. Es muß überprüft werden, wieweit der einzelne schon in Friedenszeiten durch das Gesetz rechtlos gestellt werden soll. Wir erwarten, daß alle Sicherungen eingebaut werden, dem Mißbrauch und der Anmaßung staatlicher Macht vorzubeugen.

(Beifall bei der SPD.)




Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven)

Einige Worte noch zu den Fragen der Befreiung und der Zurückstellung.
Der Entwurf sieht unter anderem Freistellung von Geistlichen der evangelischen und römisch-katholischen Bekenntnisse vor. Es sollte vielleicht noch einmal geprüft werden, ob die Interessen von Personen anderer Bekenntnisse, die für bestimmte Bezirke ehrenhalber nebenamtlich seelsorgerisch tätig sind, genügend Berücksichtigung gefunden haben.
Bei der Zurückstellung scheint man nicht an die Versorgung pflegebedürftiger Personen gedacht zu haben. Es müßte die Zurückstellung auch Personen zugestanden werden, die dauernd Pflegebedürftige in häuslicher Gemeinschaft versorgen, es sei denn, daß die erforderliche Betreuung der Versorgungsbedürftigen während der Zivildienstleistung gewährleistet ist.
Bei der Zurückstellung von Personen in Berufs- und wissenschaftlicher Ausbildung sollte der Katalog der Ausbildungsstätten erweitert werden.
Noch ein Wort zu der sogenannten persönlichen Vorstellung. Der Zivildienstpflichtige hat sich auf Anordnung der Heranziehungsbehörde zur Feststellung der körperlichen und geistigen Tauglichkeit untersuchen zu lassen und hierbei — in der Begründung heißt es: wie auch der Wehrpflichtige bei der Musterung — einfache ärztliche Untersuchungsmaßnahmen oder röntgenologische Untersuchungen zu dulden. Es muß leider trotz der beschönigenden Worte des Herrn Bundesministers festgestellt werden, daß der Gesetzentwurf in Anlehnung an das Wehrpflichtgesetz doch sehr wesentlich auf männliche Zivildienstpflichtige abgestellt zu sein scheint. Massenmusterungen, wie sie bei der Wehrpflicht üblich sind, für Frauen müssen wir ablehnen. Nicht nur, weil es sich vielfach um ältere Frauen handeln wird, die verpflichtet werden sollen; auch für unsere jungen Mädchen erscheint uns eine solche Form der Eignungsuntersuchungen oder Musterungen, wie wir sie aus idem Film „Mädchen in Uniform" kennen, im Interesse ihrer Würde als Frau ungeeignet. Gewährung freier Arztwahl sollte erwogen werden.
In diesem Zusammenhang möchten wir auch anregen, daß Frauen, falls sie zu Ausbildungszwecken eingezogen werden, nur, wenn es unumgänglich ist, in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Auch die Fraktion der Freien Demokraten bejaht ein Zivildienstgesetz. Ziviler Bevölkerungsdienst ist notwendig als Ergänzung der militärischen Verteidigungsbereitschaft. Wollen wir ihn nicht bejahen, dann müssen wir den ganzen Etat für unsere militärische Verteidigung ablehnen. Ein solches Zivildienstgesetz aber verlangt Opfer und Pflichten von jedem einzelnen. Es wurde schon gesagt: die Aufgabe ist eine in hohem Maße humanitäre.
Das Gesetz will der Freiwilligkeit den Vorrang geben. Wie wir alle aber wissen, ist die benötigte Zahl von Hilfskräften leider durch Freiwillige noch lange nicht erreicht. Ich bin nach
wie vor davon überzeugt, daß unsere Propaganda psychologisch nicht so geschickt war wie die weit bessere und sehr viel großzügigere in anderen Ländern. Der vor uns liegende Entwurf gibt den Vorteil, in Zukunft das Dienstverhältnis von Freiwilligen auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, das heißt, auch hinsichtlich ihrer Vergütung und Entschädigung für ihre 'Dienste und ihrer Versorgung bei einer Dienstbeschädigung. Ich bedauere zugeben zu müssen, daß sich bisher auch nicht genügend weibliche Freiwillige für eine Ausbildung in einem Hilfsdienst zur Verfügung gestellt haben. Hier liegt meines Erachtens eine Aufgabe für die Frauenverbände. Im Grunde sind die deutschen Frauen zum Dienst an ihrem Volk und Vaterland nicht weniger bereit als die Frauen anderer Länder; sie haben dies in zwei Weltkriegen und Nachkriegszeiten unter Beweis gestellt. Sie kennen ihre Verantwortung als Staatsbürgerinnen.
Ihre oberste Forderung aber wird immer bleiben, daß die verantwortlichen Stellen alles tun und nichts unterlassen, um den ernsten Konflikt zu verhindern. Wenn dies gelingt, würden wir das Glück haben, daß ,die Katastrophe nicht eintritt, für deren Fall wir die uns heute vorliegenden Gesetze beraten.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen.)


Erwin Schoettle (SPD):
Rede ID: ID0405604200
Das Wort hat der Abgeordnete Busse.

Hermann Busse (FDP):
Rede ID: ID0405604300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren Kollegen! Ich habe die Aufgabe, namens der Freien Demokraten zu dem Gesetz über die Aufenthaltsregelung und zu den beiden Selbstschutzgesetzen zu sprechen. Erlauben Sie mir vorab eine Randbemerkung auch zu dem Gesetz betreffend den Bundesgrenzschutz. Ich darf hier auch namens der Freien Demokraten heute schon anmelden, daß wir allen Erweiterungen auf den zivilen Sektor, möge es der Zoll sein, möge es die Polizei sein, die allerstärksten Bedenken entgegensetzen würden. Was man bei dem Bundesgrenzschutz vielleicht tun kann, kann man noch nicht ohne weiteres für weitere zivile Beamte unternehmen.
Doch nun zu den drei von mir soeben genannten' Gesetzen! Zu den Fragen, die mit diesen Gesetzen zusammenhängen, sind bereits heute vormittag und am Anfang des Nachmittags im Rahmen der Fragen, die die Grundgesetzänderung betreffen, eine Fülle von Problemen angeschnitten worden, die auch die jetzt zur Erörterung stehenden Gesetze betreffen. Im allgemeinen hat weiter der Kollege SchmidtVockenhausen bereits alles, was darüber hinaus grundsätzlich zu sagen ist, meines Erachtens in recht klarer und deutlicher Weise gesagt. Man kann dem wohl, von der einen oder anderen Kleinigkeit vielleicht abgesehen, zustimmen. Ich möchte Ihre Zeit nicht in Anspruch nehmen, indem ich das alles wiederhole.
Eines freilich möchte ich aus den allgemeinen Grundsätzen in diesem Zusammenhang zunächst noch einmal besonders hervorheben: daß alle drei Gesetze nur praktiziert werden können, wenn in den



Busse
breiten Volksschichten die Überzeugung dahintersteht, daß die Maßnahmen, die hier angeordnet werden, erstens notwendig sind, zweitens aber auch gut und zweckmäßig sind. Wenn es nicht gelingt, diese Überzeugung in das breite Volk hineinzutragen, dann, glaube ich, sind die Gesetze von vornherein zum Scheitern verurteilt. Denn ich kann mir einfach nicht denken, daß eine Großstadt oder Teile einer Großstand unter einer Polizeieskorte evakuiert werden, um nur einmal einen Punkt des ersten Gesetzes anzuschneiden. Diese Überzeugung in das Volk hineinzutragen wird nicht leicht sein; denn wo immer man diese Fragen in der Öffentlichkeit anschneidet, findet man zunächst einen allgemeinen Widerstand, einmal aus der Erinnerung heraus: So hat es schon einmal angefangen —, weiter aber auch aus einer — erlauben Sie mir den Ausdruck — rein defätistischen Einstellung heraus, ,daß man sagt: Es ist doch alles Unsinn, was hier gemacht wird, es hilft ja doch nichts; fallen die Atombomben, dann sind wir alle geliefert, und es hat gar keinen Sinn, hier etwas zu machen. Hier aufklärend zu wirken ist meines Erachtens noch vordringlicher, als Gesetze zu schaffen, aufklärend zu wirken ganz nüchtern und klar, welche Gefahren insbesondere ein künftiger Atomkrieg mit sich bringt. Verschönerungen, Verniedlichungen gar sind nicht nur nicht angebracht, sondern sie sind ausgesprochen schädlich. Jeder muß wissen, daß es, wenn es zu einer solchen Auseinandersetzung kommt, bei jedem einzelnen um das Ganze geht, daß allerdings eine Chance bleibt, aber nur dann, wenn sie bis zur letzten Möglichkeit und aus innerer Überzeugung mit dem besten Willen exerziert wird. Diese Aufklärung muß einsetzen, muß besser, muß weiter betrieben werden, als es bisher gegangen ist.
Dazu kommt das zweite, was ich angedeutet habe: der Staatsbürger muß auch die Überzeugung gewinnen, daß die Maßnahmen, die angeordnet und eingeleitet werden, wirklich zu seinem Besten dienen, daß es sich um seine Angelegenheit, um sein Persönlichstes, um das seiner Frau, seiner Kinder handelt, was hier zur Erörterung steht und gemacht werden soll. Deshalb scheinen mir die Dinge so wichtig, daß sie auch in ihrer sachlichen Auswirkung sehr genau von uns in den Ausschußberatungen überlegt werden müssen.
Ich habe manches von Wissenschaftlern, von Beamten, von Verbänden über die zur Erörterung stehenden Fragen gelesen. Wir werden uns sehr eingehend belehren müssen, was man heute bereits eindeutig sagen kann. So gesellen sich zu den psychologischen Schwierigkeiten, die wir erst noch überwinden müssen, die gesetzestechnischen. Wir sind in weiten Gebieten darauf angewiesen, eine Materie zu regeln, über die man heute eine echte Erfahrung noch nicht besitzt. Es ist gewissermaßen ein Versuch, der einmal gemacht wird, um die Dinge irgendwie doch in den Griff zu bekommen. Die Ausführungen, die insbesondere von Wissenschaftlern bisher gemacht worden sind, die sich mit den Fragen sehr eingehend befaßt haben, sind doch weitgehend so theoretischer Natur, daß der normale Sterbliche — und dazu rechne ich auch die
Juristen — sich konkrete Vorstellungen darüber bis heute noch nicht machen kann.

(Zustimmung bei der FDP.)

Wenn die Dinge aber so liegen, wird man z. B. die Kostenfrage, die sich aus den einzelnen Gesetzen ergibt, die sich insbesondere für den einzelnen Staatsbürger ergibt, ganz einfach schon deshalb einer sehr genauen Kontrolle unterziehen müssen, weil unter Umständen nicht unerhebliche Ausgaben auch auf den einzelnen Staatsbürger zukommen.
Wenn ich aus der Begründung des Gesetzentwurfs einmal die meines Erachtens außerordentlich vorsichtig geschätzten Zahlen der Bundesregierung nehme und von einem Kostenaufwand von 3,166 Milliarden DM im Jahre ausgehe, wovon auf Bund, Länder und Gemeinden rund 1,8 Milliarden DM entfallen, so sind es allein 1,36 Milliarden DM, die in jedem Jahr von der Bevölkerung aufgebracht werden müssen; mit gewissen Vergünstigungen usw. usw., aber es sind zusätzliche Beträge, die aufgebracht werden müssen und die man nicht einfach als ein Quantité négligeable wird behandeln können. Gerade darum ist es auch hier so notwendig, genau zu prüfen, welche Maßnahmen die vordringlichsten und die besten sind und wieweit nicht doch die öffentliche Hand über das im Gesetz vorgesehene Maß hinaus verpflichtet ist, helfend beizutragen und mitzuwirken.
Ich meine aber auch, daß gewisse andere Dinge unter all den Gesichtspunkten, die ich soeben genannt habe, klar gesehen werden sollten. Ich möchte als Beispiel etwa den § 10 des Aufenthaltsregelungsgesetzes ansprechen, in dem gesagt wird, daß im Frieden bereits die Maßnahmen des I. Abschnittes, also die Maßnahmen der Evakuierung, vorbereitet werden sollen, insbesondere die Orte, aus denen die Zivilbevölkerung verlegt werden soll, die Aufnahmeorte, die Kreise der zu verlegenden Personen usw. usw. Es genügt nicht, daß wir eine solche Bestimmung in das Gesetz hineinschreiben. Viel wesentlicher scheint mir zu sein, daß wir die Regierung, die zuständigen Stellen laufend kontrollieren, was in dieser Hinsicht geschehen ist, wie ihre Vorstellungen gewesen sind, was sie zu tun beabsichtigen und ähnliches.
Neulich habe ich gehört — es war nicht im Bund, sondern in einem Land —, daß Erwägungen gepflogen worden sind etwa dahin gehend, daß man Leute aus Dortmund in die Nähe des Teutoburger Waldes und dort wieder in die Nähe von Abschußrampen bringen sollte. Solchen Überlegungen, meine Freunde, könnten wir keineswegs unsere Zustimmung geben. Diese Dinge müssen unter der Kontrolle des Bundestages bleiben, nicht nur um zu kontrollieren, sondern auch um zu lernen, um darauch nachher die notwendigen Schlußfolgerungen zu ziehen.
Zum Schluß möchte ich noch zwei Fragen anschneiden.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Dehler.)

Es hat mich geradezu gefreut, in dem Selbstschutzgesetz eine mustergültige Organisation mit Block-



Busse
wart, Bezirkswart, Gruppenwart oder wie er gerade heißt, vorzufinden. Diese Organisation wird notwendig und gut sein. Sie wird wirksam werden können, wenn ein Krieg wirklich nur mit konventionellen Waffen geführt wird. Im Falle des Krieges mit nuklearen Waffen freilich wird da, wo es entscheidend darauf ankommt, eine solche Organisation einfach nicht durchgeführt werden können; dann ist das Haus, die Familie entscheidend auf sich selbst angewiesen.
Sowohl bezüglich der Bautätigkeit als auch bezüglich der Organisation scheint es mir im Selbstschutz am vordringlichsten zu sein, daß man die Häuser — und zwar nicht nur die künftigen Neubauten, sondern in einem größeren Maße, als hier vorgesehen ist, auch die Altbauten — so einrichtet, daß sie zunächst jedenfalls einen gewissen Schutz gewähren, und daß man die Bevölkerung aufklärt und belehrt, welche praktischen Möglichkeiten bestehen und was geschehen muß, damit sie im Ernstfall wenigstens das, was eben vermieden werden kann, auch vermeidet.
Wenn die Gesetze in der Ausschußberatung in diesem Geiste durchgearbeitet werden, dann wird, so glauben wir, eine Regelung gefunden werden, die sich einfach zwangsläufig ergeben mußte, seitdem wir die Wiederbewaffnung unseres Volkes betreiben und auch wir unseren Verteidigungsbeitrag leisten wollen.
Es wäre gut, wenn die Gesetze bald verabschiedet würden; denn viel, viel Zeit ist bereits verstrichen, ohne daß das Notwendige geschehen ist. Hoffen wir, daß wir immer noch zu früh kommen, daß das, was hier wieder angestrebt wird, nie akute Wirklichkeit wird! Verschließen wir aber auch nicht die Augen vor den Notwendigkeiten! Lassen Sie uns bald an die Beratung dieser Gesetze herangehen!

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405604400
Das Wort hat Frau Abgeordnete 'Renger.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID0405604500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Even hat hier die Verantwortung der Staatsführung, die Vorsorge für die Bevölkerung zu schaffen, besonders hervorgehoben. Sie alle hier in diesem Hause wissen sehr gut, daß die sozialdemokratische Opposition viele Jahre lang immer wieder diese Staatsführung vergeblich ermuntert hat, endlich das Notwendige zu tun. Wir sind trotzdem 'sehr froh darüber, Herr Minister, daß die Bundesregierung, wenn auch mit vieljähriger Verspätung, nun endlich den Gesetzentwurf über die baulichen Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerung vorgelegt hat. Allerdings können wir Ihnen nicht verschweigen, daß uns dieser Gesetzentwurf noch nicht zufriedenstellt.
Mit dem Gesetzentwurf scheint die Gefahr zu entstehen, daß er bei der Bevölkerung die Skepsis gegenüber Maßnahmen auf dem baulichen Sektor des Bevölkerungsschutzes nicht etwa verringert, sondern vielleicht sogar noch verstärkt. In diesem Gesetzentwurf sind eine Fülle von Dingen enthalten, die uns zur Kritik herausfordern. Herr Minister, nach meinem Gefühl zeigen die vielen Bestimmungen über Rechtsverordnungen und Verwaltungsanordnungen, die Sie vorgesehen haben, leider, daß man sich über viele Dinge noch nicht im klaren ist.

(Beifall bei der SPD.)

Bisher war die allgemeine Auffassung dieses Hohen Hauses — und auch der Bundesregierung —, daß der zivile Bevölkerungsschutz Bestandteil 'der Gesamtverteidigung ist. Man war sich wohl auch darüber im klaren, daß es ohne ausreichenden Schutzraumbau keinen Bevölkerungsschutz geben kann. Ohne ihn aber können auch alle vorgesehenen Hilfsmaßnahmen nicht effektiv werden.
Im NATO-Bereich gilt für die Zivilbevölkerung der Grundsatz „stay at home". Die in diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen sind aber noch nicht dazu angetan, diesen Grundsatz zu verwirklichen. Wie soll z. B. die Bevölkerung zu Hause bleiben, wenn nur für einen Teil, nämlich für diejenigen, die in Neubauten wohnen, Schutzräume vorgesehen werden? Wie sollen z. B. das Zivildienstgesetz, das Selbstschutzgesetz oder gar das Aufenthaltsregelungsgesetz befolgt werden, wenn nachdiesem Gesetz weder die Arbeitsstätten noch die Versorgungsbetriebe ausreichend geschützt werden?
Auch ist aus diesem Gesetz noch nicht zu ersehen, daß es eine wirkliche Planung für öffentliche Schutzraumbauten, besonders in gefährdeten Gebieten, gibt. Ebenso fehlt auch ein Programm für die Instandsetzung der vorhandenen Bunker. Auch meinen wir, Herr Minister, daß die jetzt im Aufenthaltsregelungsgesetz vorgesehene Bestimmung über die Hillfs- und Ausweichkrankenhäuser besser in diesem Gesetz untergebracht wäre.
Dieses Gesetz spricht von unterirdischen Luftschutzanlagen, von der Errichtung öffentlicher Schutzräume in sogenannten Mehrzweckbauten —über deren Verwendungsmöglichkeit man sich noch sehr im unklaren ist —; man spricht in § 36 davon, daß auch ein Schutz gegen mittelbare Gefahren, wie sie für Talsperren gegeben sind, vorgesehen werden soll. Aber es steht in diesem Gesetz nur, daß die neuen, nicht aber die bisher schon errichteten großen Bauten geschützt werden sollen. Dabei werden wir in der nächsten Zukunft z. B. so viele Talsperren nicht mehr bauen, wie das in der Vergangenheit geschehen ist. Entsprechendes gilt für die großen Kraftstoffvorratslager. Wir sind der Ansicht, daß auch für die schon vorhandenen Anlagen ein Schutz vorgesehen werden muß.
Das ganze Gesetz geht nicht von dem aus, was eigentlich für das Überleben der Bevölkerung im Kriegsfall erforderlich wäre. Es schafft nach meiner Auffassung noch nicht die Möglichkeiten für die Sicherheit der Bevölkerung, die zu schaffen der Staat verpflichtet wäre, sondern es überträgt die Verantwortung für das Überleben weitgehend dem einzelnen Bürger und bürdet ihm außerordentliche Lasten auf.
Ich glaube nicht, daß man, wie der Herr Kollege Even es getan hat, gerade an dieser Stelle sagen



Frau Renger
kann, man müsse den Mut haben, vom Volk Opfer zu verlangen. Es handelt sich hier ja nicht um eine Wohlfahrtseinrichtung, sondern es geht darum, daß die Bevölkerung einen Anspruch auf Sicherheit hat. Der Herr Kollege Even sagte ja vorher auch, daß der Staat dafür Vorsorge zu treffen hat. Genau wie das auf dem militärischen Sektor geschieht, hat die Bevölkerung Anspruch darauf, daß auch auf dem zivilen Sektor das gleiche getan wird.
Obgleich die Bundesregierung sich darüber im klaren ist, daß man den Einsatz von atomaren Kampfmitteln nicht ausschließen kann — und im übrigen sind atomare Kampfmittel auch taktische Atomwaffen —, obgleich man sich darüber im klaren ist, daß das ganze Bundesgebiet gleichmäßig gefährdet ist — weil es eben nicht möglich ist, Kampfgebiete im voraus zu berechnen —, und obgleich die Bundesregierung ausdrücklich betont, daß es nicht genügt, nur in Neubauten Schutzräume zu errichten, hält es die Bundesregierung aus wirtschaftlichen und finanziellen Erwägungen nicht für möglich, die Inangriffnahme von baulichen Schutzmaßnahmen für alle Bürger vorzusehen. Ich muß sagen, es ist betrüblich, wenn gerade immer wieder auf dem Gebiet des Bevölkerungsschutzes all diese Überlegungen finanzieller, wirtschaftlicher und sonstiger Natur eintreten, wenn ich auch zugebe, daß das selbstverständlich ein schwieriges Problem ist. Ich möchte doch noch einmal daran erinnern, daß wir, wenn hier vor einigen Jahren etwas getan worden wäre, mindestens seit 1957/58 für 10 Millionen Menschen in den Neubauten Schutzräume für erheblich weniger Geld hätten haben können, als es nun kosten wird.
Wir glauben nicht, daß es möglich ist, die Bevölkerung in verschiedene Kategorien einzuteilen, einmal in solche, die in Gemeinden unter 50 000 Einwohner wohnen und die einen Grundschutz haben sollen, und zum anderen in solche in Gemeinden über 50 000 Einwohner, die einen verstärkten Schutz haben sollen; dazu in solche, die in Alt- oder in Neubauten wohnen. Mir scheint, daß diese Aufteilung der Bevölkerung doch der These widerspricht, daß das ganze Bundesgebiet gleichmäßig gefährdet ist. Es scheint mir aber auch eine ungleiche Behandlung der Bürger mit einem ungleichen Schutzeffekt zu sein. Selbstverständlich muß man berücksichtigen, daß in Ballungszentren oder in größeren Städten die Waffenwirkung noch verheerender ist als auf dem flachen Lande. Dieses Gesetz sollte aber nicht den Eindruck erwecken, als könnte jetzt etwa die Periode des Schutzes der Zivilbevölkerung gegen eine atomare Kriegführung eingeleitet werden. Man sollte der Bevölkerung offen und ehrlich die Meinung der Regierung sagen, daß sie es aus wirtschaftlichen, finanziellen und materiellen Gründen und wegen des Arbeitskräftemangels in absehbarer Zeit nicht für möglich hält, hier umfassende Maßnahmen einzuleiten.
Zu dem letzten Punkt — Mangel an Arbeitskräften — möchte ich noch einmal kurz sprechen. Ich sehe, daß mein Kollege Leber gerade herüberschaut. Gerade im Hinblick auf die Anspannung auf dem Baumarkt und den Mangel an Arbeitskräften gerade auf diesem Sektor erscheint es unklar, in welcher Weise die Bundesregierung jährlich, wie sie es angenommen hat, etwa für 2,5 bis 2,7 Millionen Menschen Schutzplätze erstellen will, ohne daß darunter besonders der Wohnungsbau leiden müßte. In dieses Kapitel gehört natürlich auch noch die Frage, über die man sich Gedanken machen sollte, wie man dadurch Erleichterungen schaffen könnte, daß man mehr genormte Teile, Baufertigteile usw. verwendet.
Trotz all dieser Schwierigkeiten müssen wir versuchen, mit dem Schutzraumproblem fertig zu werden. Wir sollten deshalb in diesem Stadium überlegen, wie man erst einmal der gesamten Bevölkerung einen zu verantwortenden Minimalschutz gegen nicht-atomare Kampfmittel — dazu würden wahrscheinlich allerdings auch schon Raketen gehören — und gegen radioaktive Niederschläge, gegen Trümmer einstürzender Gebäude und nach Möglichkeit — aber das wird sehr schwer sein — gegen chemische und biologische Kampfmittel schaffen könnte, damit wenigstens diejenigen eine Überlebenschance hätten, die nicht unmittelbar von den Vernichtungswaffen betroffen wären. Wenn man diesem Gedanken näherträte, würden von den angenommenen Mitteln etwa 1,5 Milliarden DM frei werden.
Ich glaube, der Einwand, gerade durch die Gleichheit der Maßnahmen schaffe man einen ungleichen Schutzeffekt, wird durch die Tatsache widerlegt, daß auch ein Schutzraum mit einem verstärkten Schutzeffekt von 3 atü gegen eine gezielte nukleare Vernichtungswaffe in einem weiten Umkreis keine Überlebenschance gibt, vor allen Dingen, wenn man davon ausgeht, daß Schutzräume zunächst einmal in Neubauten erstellt werden sollen, die meistens am Stadtrand liegen, und daß die Masse der Menschen, die ja wohl doch in den Altbauten im Kerngebiet der Stadt lebt, dann ohne Schutz bliebe.
Die Vorstellung, daß steuerliche Anreize zur Schaffung von etwa einer Million Schutzplätzen in Altbauten führen würden, ist, glaube ich, eine Illusion, und Herr Regierungsdirektor Platz hat ja auch gesagt, es sei damit zu rechnen, daß es eventuell 50 Jahre dauern werde, ehe man auf diese Weise in allen Altbauten einen Schutz 'geschaffen habe.
Das Gebiet der steuerlichen Vergünstigungen scheint überhaupt noch nicht richtig durchdacht zu sein. Auch scheinen hier eine Reihe von Ungerechtigkeiten zu bestehen, und zwar schon deshalb, weil man Arbeitsstätten und Wohnungen ungleich behandelt. Ganz nebenbei gesagt ist die Regelung aber auch in sich ungerecht. Denn es kann passieren, daß die steuerliche Vergünstigung denjenigen zugute kommt, die schon ein hohes Einkommen haben, daß aber z. B. die kleinen und mittleren oder die schwachen Betriebe ganz besonders benachteiligt würden. Ich glaube, dieses Gebiet muß man sich noch sehr genau anschauen.
Aus all .den genannten Gründen bittet meine Fraktion, zu prüfen, ob es nicht, wie es auch der Bundesrat überlegt hat und wie es der Deutsche Städtetag und die Wissenschaftler in ihrer Denkschrift vorgeschlagen haben, sinnvoller wäre, statt für die kommenden Jahre nur in Neubauten einen Grund- bzw. verstärkten Schutz vorzusehen, in Alt-



Frau Renger
und Neubauten nur den Grundschutz zu planen, ausgenommen besonders zu schützende Versorgungsbetriebe, öffentliche Schutzbauten und andere wichtige Objekte.
Mein Vorredner hat schon gesagt, daß die zahlreichen wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet sich so sehr widersprechen, daß es außerordentlich schwer ist, hier den richtigen Weg zu finden. Trotzdem glaube ich, daß es richtig wäre, diese Vorschläge zu prüfen. Soweit man es im Moment isagen kann, scheint es vernüftiger zu sein, zuerst einmal dieser von uns hier gegebenen Anregung zu folgen. Wir werden ja im Ausschuß Gelegenheit haben, darüber zu sprechen.
Ich muß noch einige Worte zur Frage der Finanzierung sagen. Der einzelne Bürger wird durch diese Maßnahmen außerordentlich belastet — ich habe das vorhin schon angedeutet —, und zwar unabhängig davon, wie hoch sein Einkommen ist. Meine Damen und Herren, es geht nicht an, 'daß die Schutzmöglichkeiten des einzelnen von seiner persönlichen Finanzkraft, von der finanziellen Kraft seiner Gemeinde oder seines Betriebes abhängen. Es darf nicht sein, daß die reiche Gemeinde für einen guten Schutz sorgen kann, der große, gut verdienende Betrieb für seine Arbeitskräfte die besten Schutzmöglichkeiten schaffen kann und daß sich die anderen mit wenig oder gar nichts begnügen müssen.
Auch, glaube ich, ist das System der Abwälzung der Schutzraumkosten auf die Mieten noch nicht endgültig geklärt. Der Entwurf geht davon aus, daß die Erhöhung der Mieten bei etwa 10 Pf liegen würde. Ich glaube, das ist etwas zu gering gerechnet. Ich will zugeben, daß die Berechnungen für große Wohnblocks vielleicht einigermaßen stimmen könnten. Aber in dem Fall, wo es sich etwa um ein Ein-, Zwei- oder Dreifamilienhaus handelt, betragen die Kosten für einen Schutzplatz im Grundschutz pro Person nicht etwa 320 DM, sondern wahrscheinlich 900 bis 1000 DM. Sie können sich vorstellen, welche Belastung das gerade für die Familien bedeuten würde, die sich unter ziemlichen Mühen nun endlich das von Ihnen doch so warm empfohlene Einfamilienhaus gebaut haben. Ich glaube, daß alles das eingehender geprüft werden muß.
Eine Überprüfung der Kosten ist auch für den einzelnen erforderlich; denn es hat gar keinen Sinn, daß wir den Leuten hier etwas erzählen, was nachher nicht stimmt, und daß sie sich übers Ohr gehauen fühlen, abgesehen davon, daß ja noch viele Kosten, z. B. auch aus dem Selbstschutzgesetz, auf sie zukommen.
Ich glaube auch, daß man den gesamten Finanzierungsplan noch einmal durchrechnen und überprüfen muß. Falls man zu dem Beschluß kommen sollte, daß in der Tat zuerst ein Grundschutz für alle Bürger das Richtige wäre, müßten wir neue Berechnungsgrundlagen bekommen.
Mein Kollege Schmitt-Vockenhausen hat schon von der großen finanziellen Belastung der Gemeinden gesprochen, die dadurch entsteht, daß in Schulen, in Krankenhäusern, in Pflegehäusern Schutzräume vorzusehen, daß öffentliche Luftschutzbauten zu unterhalten sind und für die Lebensmittelbevorratung Sorge zu tragen ist. Die Gemeinden sind der Meinung, das sei nicht zu tragen, es handele sich außerdem um Zweckausgaben, die keine sächlichen und Verwaltungskosten sind. Es geht einfach nicht, daß der Bund immer Gesetze verabschiedet, die in die Gemeinden hineinwirken, wie es damals auch mit der Gewerbesteuer gemacht wurde, und daß die Gemeinden nachher verpflichtet sind, diese Mittel zu Lasten wichtiger Gemeindeaufgaben selbst aufzubringen.
Meine Damen und Herren, Bevölkerungsschutz kann nicht die Aufgabe des einzelnen sein. Es ist die Aufgabe des Staates, für die Sicherheit seiner Bürger sowohl durch militärische Maßnahmen als auch durch Zivilschutzmaßnahmen zu sorgen. Das bedeutet aber in der Konsequenz, daß der Bund auch die Hauptlast der Kosten tragen muß, schon damit die Gleichwertigkeit des Schutzes für alle Bürger garantiert ist. Die sozialdemokratische Fraktion ist sich der Schwierigkeit dieses Problems gewiß bewußt. Niemand ist zu beneiden, der diese Fragen wirklich zur Zufriedenheit aller lösen muß.
Ich glaube, daß wir alle diese Gesetze im Innenausschuß so diskutieren sollten, wie es dem Problem angemessen ist, denn es geht um die Lebensinteressen von uns allen. Unbelastet von parteipolitischen Vorstellungen müssen wir an die Arbeit gehen. Wir müssen Wissenschaftler und Sachverständige hören, damit wir uns ein, wie wir hoffen, gutes und vernünftiges Urteil bilden können.
Als Schlußbemerkung darf ich sagen: Wir sind verpflichtet, das Mögliche für die Sicherheit der Bevölkerung zu tun, in der großen Hoffnung, daß wir es nie brauchen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt in der Mitte.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405604600
Meine Damen und Herren, nach dem Verlauf der Debatte besteht die Möglichkeit, daß wir heute abend die Tagesordnung beendigen. In diesem Falle würde die morgige Plenarsitzung entfallen, auch die Präsenzpflicht aufgehoben werden. Aber es hängt natürlich von dem Fortgang der Debatte ab,

(Heiterkeit)

die ich nicht beschränken möchte.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hansing.

Hermann Hansing (SPD):
Rede ID: ID0405604700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem wir heute morgen und heute nachmittag die schweren Sachen aus dem Notstandspaket bearbeitet haben, kommen wir heute abend zu den kleineren Päckchen, die uns heute morgen der Herr Innenminister so mit leichter Hand und in Seidenpapier eingewickelt übergeben hat. Wenn wir sie aber aufmachen, Herr Minister, dann müssen wir sagen: die Verpackung ist nicht entscheidend; entscheidend ist doch immerhin das, was darin ist. Ich glaube, die Dinge, die uns in diesen kleinen Päckchen vorgesetzt werden, sind es wert, angesprochen zu werden.



Hansing
Zwei Gesetzentwürfe möchte ich behandeln, das Aufenthaltsregelungsgesetz und das Selbstschutzgesetz. Wenn wir uns das Aufenthaltsregelungsgesetz vor Augen führen wollen und wissen wollen, was sein Kern ist, dann brauchen wir uns nur folgende Sätze aus der Begründung des I. Abschnittes zu vergegenwärtigen:
Jeder Wechsel des Aufenthaltsortes bedarf
grundsätzlich einer behördlichen Genehmigung.
Ausnahmen sind dabei nur auf besonderen Antrag möglich.
Die Einschränkung im Wohnungswechsel und die Einschränkung des Aufenthalts soll auf Grund des Art. 59 a des Grundgesetzes dann erfolgen, wenn ein bewaffneter Angriff auf die Bundesrepublik geführt wird oder wenn die Bundesregierung feststellt, daß Beschränkungen in der Wahl des Aufenthaltsorts für dringend erforderlich gehalten werden. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion
ist der Ansicht, daß die Regierung im Innenausschuß sagen muß, welche Umstände sie meint, die es rechtfertigen, daß Beschränkungen eingeleitet werden. Wir möchten vorher wissen, wann die Regierung und unter welchen Umständen sie die Einschränkungen vornehmen will. In der Begründung ist darüber nichts gesagt.
Im ersten Regierungsentwurf aus dem Jahre 1960 wurde von einer teilweisen Umquartierung nach Beruf und Alter gesprochen. Im jetzigen Entwurf lesen wir etwas von einem generellen Verbot des Aufenthaltswechsels. Als Begründung wird der Schutz der Bevölkerung angegeben oder—und das ist wohl richtiger — die Sicherung der Operationsfreiheit der Streitkräfte. Die Erfahrungen aus den verschiedensten Manövern bestätigen, daß die zweite Möglichkeit gemeint ist. Aber, meine Damen und Herren, glaubt jemand im Ernst, daß man der Bevölkerung diese Einschränkungen bei dem militärischen Einsatz und der daraus entstehenden Situation auferlegen kann, an Ort und Stelle zu bleiben? Glaubt man im Ernst, daß die Bevölkerung tatsächlich dableibt, zumal die Bundesregierung bis zum heutigen Tage keine Möglichkeit geschaffen hat, daß sich die Bevölkerung überhaupt irgendwie an Ort und Stelle schützen kann? Es gibt keine Schutzräume. Herr Minister, ich bitte Sie — ich habe es bereits vor einem halben Jahr getan —: Sagen Sie einmal der Öffentlichkeit, in welcher Stadt ein einziger Bunker betriebsfertig ist, in den tatsächlich morgen früh jemand auch ohne Schaden hineingehen kann. Sie können uns wohl nicht einen einzigen Bunker in irgendeiner Stadt nennen, der fertig ist.
Wir sind deshalb der Ansicht, daß ein generelles Verbot des Aufenthaltswechsels sehr fragwürdig ist. Ich sagte anfangs, wir möchten wissen, was sich die Regierung darunter vorstellt, wenn sie die Freizügigkeit von sich aus beschränken will. Wir Sozialdemokraten sind der Ansicht, daß nur die Feststellung des Notstandes die Möglichkeit der Einschränkung und Beschränkung geben sollte.
Im Entwurf wird von Übungen gesprochen; ich glaube, der Kollege Busse hat diesen Punkt bereits mit angesprochen. Bei den Übungen für die Verlegung gewisser Städte oder Bevölkerungsgruppen in andere Gebiete spricht der Entwurf von Freiwilligkeit und von Verpflichtung. Ich kann es verstehen, daß solche Übungen durchgeführt werden müssen, um festzustellen, ob die Organisation, ob der Verkehr, ob auch das Nachrichtenwesen funktioniert. Bedenken wir aber, was die deutsche Bevölkerung in der Vergangenheit durchgemacht hat. Ich glaube, daß diese Übungen und Umquartierungen schlecht bei der Bevölkerung ankommen werden. Wir sollten hier sehr, sehr behutsam vorgehen. Wir meinen deshalb, daß die Teilnahme an derartigen Übungen freiwillig sein sollte. Selbst wenn im Entwurf steht, daß bei der Verpflichtung der Arbeitnehmer die Zeit bezahlt wird, sind wir trotzdem der Ansicht, daß von der Freiwilligkeit ausgegangen werden sollte.
Die Regierung stützt sich im Entwurf auf die Erfahrungen in Schweden. Das ist gut so. Nur, Herr Minister, Sie sollten sich auch, wenn Sie schon Schweden anführen, einmal darauf beziehen, daß in Schweden der Krieg, wie er sein kann und wie er sich auswirken wird, in Broschüren so nüchtern und so real geschildert wird, wie wir es bis zum heutigen Tage nicht für nötig gehalten haben.
Als Vorbild für die Übungen ziehen Sie Schweden heran. Die Kosten einer solchen Übung sind ungeheuer. Meines Wissens sind bis jetzt dort drei Übungen auf freiwilliger Basis durchgeführt worden. An zwei Übungen haben einige Damen und Herren des Bundestages teilgenommen. Der Erfolg steht in keinem Verhältnis zu den Kosten, abgesehen von der Kleinstadt Västeros. In Schweden haben wir bei den freiwilligen Übungen eine Beteiligung von ca. 18 % im Raum des Stadtteils um Vällingby gehabt. Die Kosten aber sind ungeheuer: Hunderte von Autobussen werden zur Verfügung gestellt, ganze Untergrundbahnbezirke werden lahmgelegt und für diese Übungen zur Verfügung gestellt. Wir sind bei einer Kostenberechnung auf einen Betrag bis zu 200 000 Kronen gekommen. Solche Kosten kommen auf die Gemeinden, auf die Städte und Länder. Diese Kosten können unsere Gemeinden nicht tragen. Der Erfolg steht in keinem Verhältnis zu der Zahl der Beteiligten. Wir sollten deshalb solche Übungen, so notwendig sie auch sind, vielleicht einzig und allein unter dem Gesichtspunkt des Transportes und des Nachrichtenwesens durchführen.
Meine Damen und Herren, wenn dieser Entwurf so bleibt, ist er — nach den Erfahrungen der Vergangenheit — sehr problematisch. Wir sollten uns im Innenausschuß bemühen, andere Regelungen zu finden, und nicht hier generell ein Verbot aussprechen.
Nun zu dem Selbstschutzgesetz. Der Schwerpunkt dieses Gesetzes liegt darin, daß die Selbstschutzpflicht für alle Personen im Alter von 16 bis 65 Jahren eingeführt wird. Wichtig ist, daß sich die Pflicht insbesondere auf die Ausbildung im Selbstschutz, auf die Anschaffung von Schutzgeräten und auf die Lebensmittelbevorratung bezieht. Die Sozialdemokratische Partei und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bekennen sich zum Selbstschutz. Diesel Entwurf muß aber gewissenhaft geprüft werden.



Hansing
Ich möchte einen Punkt herausgreifen, um daran zu zeigen, ob der Entwurf überhaupt realisierbar ist. Der Entwurf spricht von der Verpflichtung, einen Schutzraum aufzusuchen. Nun soll man uns einmal sagen, wohin man denn nun eigentlich gehen soll! Gewiß, wir haben soeben über den Schutzbaugesetzentwurf gesprochen. Aber dieses Programm wird frühestens im Jahre 1964 anlaufen, und ich bin davon überzeugt, daß gewisse Schwierigkeiten entstehen werden, so daß vielleicht erst in einigen Jahren die Möglichkeit besteht, Schutzräume aufzusuchen. Deshalb sollte man hier vorerst nicht von einer Verpflichtung sprechen.
Herr Minister, Sie haben heute morgen erklärt, dieser Gesetzentwurf stütze sich weitgehend auf die Gesetze anderer Staaten. Ich glaube, es wäre richtig, uns einmal diese Gesetze vorzulegen; denn letzten Endes müssen die Staaten wissen, wie in der Gesamtheit das Konzept der Zivilverteidigung in der NATO aussieht.
Sie haben auch Schweden angeführt. Herr Minister, Sie hätten dann auch sagen müssen, daß Schweden im Bunkerbau an erster Stelle steht.
Wir werden uns im Innenausschuß über die Zweckmäßigkeit gewisser Maßnahmen, die hier vorgeschlagen werden, unterhalten, z. B. über die Beschaffung von Selbstschutzgeräten. Auch hier wird von einer Verpflichtung gesprochen. Wir sind der Meinung, daß die Anschaffung von Selbstschutzgeräten nicht am Einkommen scheitern darf. Auch die Vereinigung der deutschen Wissenschaftler spricht davon, daß die Anschaffung von Selbstschutzgeräten etwa bei großen Familien nicht am ungenügenden Einkommen scheitern darf. Es wird weitestgehend darauf ankommen, ob die Regierung bereit ist, im Ausschuß Entgegenkommen in dieser Frage zu zeigen. Es ist unmöglich, nur denen die Hilfe zu geben, die weniger als das Anderthalbfache des Fürsorgerichtsatzes haben. Das würde bedeuten, daß Anträge ausgegeben werden müßten; es würde den Gang zum Fürsorgeamt bedeuten, oder wie man das Amt, Herr Minister, auch immer nennen mag. Ich glaube, wir sollten prüfen, ob die Selbstschutzgeräte nicht einfach 'gegen Zahlung einer niedrigen Gebühr an die Bevölkerung abgegeben werden können.
Ein anderer Punkt ist die Verpflichtung zur Haushaltsbevorratung. Wir sind der Meinung, es geht nicht an, daß die Regierung durch Rechtsverordnung bestimmen kann, wann der Warenvorrat erneuert werden soll, sondern wir sind der Ansicht, daß auf den verpackten Lebensmitteln — das ist vor einigen Wochen hier angesprochen worden — verzeichnet sein muß, wann man sie verpackt hat und wie lange sie haltbar sind.
Mit einer anderen Sache können wir uns ebenfalls nicht befreunden; das ist der Vorschlag, daß die Gemeinden unmittelbar im Auftrag des Bundes handeln sollen. Wir teilen die Bedenken des Bundesrates und glauben, daß es richtiger ist, wenn die Länder im Auftrag des Bundes und die Gemeinden im Auftrag der Länder handeln.
Darüber hinaus ist zu prüfen, ob es vertretbar ist, daß die Gemeinden und die Gemeindeverbände die Kosten für die Ausrüstung der Selbstschutzpflichtigen und für andere Maßnahmen zu tragen haben. Der Herr Minister hat heute morgen von der Zumutbarkeit der Kosten gesprochen. Das gilt im weitesten Sinne für die Bevölkerung; es gilt aber auch für die Gemeinden. Im Innenausschuß muß klargestellt werden, was für die einzelnen Gemeinde zumutbar ist. Es ist wichtig, daß das geprüft wird.
Der Herr Minister hat heute morgen auch davon gesprochen, daß in der Vergangenheit die Bevölkerung und die Betriebe wenig auf der Basis der Freiwilligkeit zum Selbstschutz beigetragen hätten. Das stimmt durchaus, Herr Minister. Nur meine ich, Sie haben eine Gruppe vergessen. Sie hätten dem Bundestag einmal sagen sollen, in welchem Ministerium Ihrer Regierung der Selbstschutz bereits auf der Basis der Freiwilligkeit durchgeführt worden ist. In keinem Ministerium! Wenn die Regierung ernst genommen werden will, dann muß sie der Öffentlichkeit mit gutem Beispiel vorangehen. Die Regierung kann nur erwarten, ernst genommen zu werden, wenn sie es selber mit der Selbstschutzpflicht ernst meint.

(Beifall bei der SPD.)

Wir werden uns im Innenausschuß über die weiteren Punkte unterhalten. Die Sozialdemokraten wenden an dem Gesetzentwurf positiv mitarbeiten.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405604800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kempfler.

Dr. Friedrich Kempfler (CSU):
Rede ID: ID0405604900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kein leichtes Los, am Ende einer so umfangreichen Rednerliste zu stehen. Erstens gilt der Satz: Man kann nichts Kluges, man kann nichts weniger Kluges sagen, was nicht schon ein Vorredner oder eine Vorrednerin gesagt hat. Zweitens ist begreiflicherweise die Kritik, ob es wirklich notwendig war, noch etwas zu äußern, insbesondere nach der verheißungsvollen Ankündigung des Herrn Präsidenten, wesentlich stärker als bei den glücklichen Rednern, die schon am Morgen um 10 Uhr reden durften. Ich bitte deshalb, mir nicht allzu böse zu sein, wenn ich mich sehr kurz fasse.

(Beifall. — Zuruf: Dessen dürfen Sie gewiß sein!)

— Beifall im ganzen Hause!
Ich darf vielleicht das Dilemma, das in allen Reden angeklungen ist, in einem Satz zusammenfassen. Menschenverstand und Menschenfleiß vermochten es, fast perfekte Vernichtungsmittel zu erfinden; sie konnten es aber nicht schaffen, eine entsprechende Abwehr dagegen zu finden. Dabei ist durchaus nicht auszuschließen, daß menschliche Unvernunft oder auch eine unglückliche Verkettung von Umständen den Verteidigungsfall auslösen. Wir sind uns alle einig — ich brauche darüber gar kein Wort mehr zu verlieren —, daß es unter diesen Um-



Dr. Kempfler
ständen notwendig ist, Maßnahmen zu treffen. Der Herr Kollege Schäfer hat heute in einem anderen Zusammenhang den meines Erachtens sehr glücklichen Satz ausgesprochen: Die Hoffnung, daß man eine Regelung nicht praktizieren muß, entbindet nicht davon, sie vorzusehen.
Ich darf in bezug auf den Schutzbau — nur zu diesem Gesetz werde ich mich äußern — zwei Bemerkungen machen. Auch hierfür gilt, was schon in Dutzenden von Reden angeklungen ist: daß auch der Schutzbau keinen vollständigen, in manchen Lagen nicht einmal einen annähernd befriedigenden Schutz bieten kann. Kollege Schmitt-Vockenhausen hat anerkannt, daß der Herr Bundesinnenminister heute die Dinge beim richtigen Namen genannt, nicht verharmlost, nicht verniedlicht hat, und ich darf mich auf diese Bemerkung beschränken. Man sollte aber andererseits auch festhalten, daß es gerade durch bauliche Maßnahmen möglich ist, in größerem oder in geringerem Maße die Gefahr und das Risiko bei jeder Art von Angriff zu mindern. Darüber sind sich alle Stellen einig, einschließlich des Gutachtens der Vereinigung deutscher Wissenschaftler vom Juni 1962, wobei letzteres allerdings einige Einschränkungen macht. 'Eine brauchbare Zusammenstellung solcher Maßnahmen und Vorschläge auf baulichem Gebiet und die Wege zu ihrer Verwirklichung zeigt meines Erachtens die Regierungsvorlage auf.
Meine Damen und Herren, vergessen wir nicht: es handelt sich hier um einen Entwurf, um eine Vorlage, die richtigzustellen, wo es notwendig ist, auszufüllen und zu verbessern nun unsere Aufgabe ist. Es wäre doch furchtbar, wenn die Regierung nur perfekte Vorlagen an uns gäbe. Wir hätten dann ja in den Ausschüssen überhaupt keine Arbeit mehr.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Aber es dürfen auch keine Entwürfe mit der Note „Ungenügend" sein!)

— Herr Kollege Schmitt, nach meiner Auffassung war Ihren Worten nicht zu entnehmen, daß dieser Entwurf die Note „Ungenügend" verdient.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Ich verbessere gern auf „4 plus"! — Heiterkeit.)

Jedenfalls sollten wir dem Minister und den Herren des Ministeriums dankbar sein, daß sie nun endlich den Gordischen Knoten zerhauen und die Initialzündung zu einer weiteren Gesetzgebung gegeben haben.
Ich will hier in Anbetracht meines geleisteten Gelübdes nicht auf Einzelheiten eingehen.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Die so reden, reden hier meistens sehr lange!)

— Sie werden bei mir 'die entgegengesetzte Erfahrung machen. — Der 'EnTwurf ist eine Diskussions-
und Gesprächsgrundlage. Wir werden ihn gründlich beraten müssen, feststellen, welche Gesichtspunkte falsch, welche richtig sind. Dabei sind auch die grundlegenden Fragen keine Dogmen. Es ist z. B. möglich, daß wir der Anregung des Deutschen Städtetages und des Städtebundes und dem Gutachten der Wissenschaftler folgen und uns überzeugen, daß es beser ist, wenn wir zunächst einmal den Grundschutz, also den Trümmerschutz und den Schutz vor radioaktiver Strahlung, mehr ausbauen auf Kosten des sogenannten verstärkten Schutzes. Auch die Finanzierung ist etwas, das einmal vorgeschlagen, aber noch nicht verwirklicht ist; auch hierüber werden wir uns eingehend Gedanken machen müssen. Wir werden vor allen Dingen das Problem lösen müssen, wie wir im Schutzbau etwas zustande bringen, ohne die Baukapazität au beeinträchtigen. Vielleicht geht das auch mit den Fertigschutzbau, der die Bauarbeiter und das Baugewerbe nicht so belasten würde.
Das alles sind aber Dinge, die wir in den Ausschüssen besprechen wollen. Anregungen sind, glaube ich, genügend vorhanden. Im Innenausschuß, der federführend ist — das hat Herr Kollege Schmitt in seiner Bescheidenheit verschwiegen —, haben wir ja sowohl unter seinen Vorgängern Maier und Kühlthau als auch unter seiner Stabführung schon Erfahrungen in dieser Richtung gesammelt durch Entgegennahme von Gutachten, durch Besichtigungen von Einrichtungen in den Nachbarstaaten etc. Deshalb meine ich, wir sollten nun nicht irgendwie nachtarocken und zu stark zurückblicken; wir sollten nicht erwähnen, daß schon im Jahre 1957 in gewissem Umfange ein Bauprogramm vorhanden war, das dann einstimmig zurückgestellt wurde.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Ich habe auch nur die ersten Seiten des Sündenregisters aufgeschlagen!)

— Richtig! Darum 'will ich auch nicht darüber sprechen.
Wir sollten uns des Beginns freuen, freuen allerdings Mit einem sehr gedämpften Klang. Aber wir sollten jetzt mit Eifer an die Tat herangehen. Es müßte gelingen, in gemeinsamer Arbeit, so wie wir es im Innenausschuß in dieser Frage, glaube ich, in vorbildlicher Weise getan haben, eine Lösung zu finden, die ohne untragbare finanzielle Belastung und ohne zu große Einschränkung der Baukapazität dazu führt, daß wir einen umfassenden Schutz für eine möglichst große Zahl von Menschen finden.
Ich möchte nicht versäumen, den Wunsch, den schon Frau Kollegin Renger an den Schluß ihrer Ausführungen gestellt hat, zu wiederholen: Möge uns die Probe auf das Exempel, ob unsere Arbeit richtig war oder nicht, in jedem Falle erspart bleiben!

( Abgeordneten der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405605000
Das Wort hat der Abgeordnete Hübner,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0405605100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir einige Ausführungen zu dem Selbstschutzgesetz. Der Kollege Schmitt-Vockenhausen hat vorhin die Empfehlung gegeben, möglichst alle Menschen für den zivilen Bevölkerungsschutz zu gewinnen. Damit hat er gewissermaßen ein Arbeitsziel vorangestellt, das uns alle beseelen sollte und dem wir uns bestimmt anschließen werden. Aber der Kollege Schmitt-Vok-



Hübner
kenhausen hat damit auch ein Dilemma aufgezeigt; denn diese Forderung konnte nur deshalb in den Vordergrund gestellt werden, weil unsere Bemühungen, die wir mit diesen Notstandsgesetzen unternehmen, eine starke, eine große psychologische Barriere zu überwinden haben.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Aber eine verständliche!)

— Das ist sehr richtig, das ist durchaus verständlich, und das müssen wir zweifellos berücksichtigen.
Meine Damen und Herren, gerade das Selbstschutzgesetz wird viel tun müssen, um diese Barriere zu überwinden; denn das Selbstschutzgesetz besitzt wohl mit den umfassendsten Anwendungsbereich unter allen Notstandsgesetzen, weil es jeden einzelnen nicht nur in materielle, sondern auch in persönliche Verpflichtung nimmt. Gerade die persönliche Inanspruchnahme wird bei vielen Menschen ein besonderes Unbehagen erzeugen. Aber ich mache mir die Hoffnung, daß diese persönliche Inanspruchnahme, weil sie jeden einzelnen berührt und niemanden ausschließt, doch wohl auch zu einem Impuls umgewendet werden kann, zu einem Impuls für die bereitwillige anteilige Übernahme der Verpflichtungen. Das sollte um so leichter der Fall sein, als die Ansprüche, die an diese Verpflichtungen gestellt werden, in dem Gesetz so sparsam, so maßvoll wie möglich gehalten sind.
Aber auch bei diesem Gesetz müssen wir immer noch damit rechnen — das ist heute schon mehrfach angerührt worden, ich möchte es noch einmal tun —, daß eine Anzahl von Menschen jede Vorsorge gegen Kriegseinwirkungen nur als eine sehr theoretische Bemühung, wenn nicht als ein theoretisches Spiel ansieht. Wir meinen aber, daß wir jedem, auch dem nicht abschätzbaren Unheil niemals abwartend oder gar tatenlos gegenübertreten dürfen. Alle Zweifel, die gegenüber Notstandsregelungen vorgebracht werden, sollten vor diesem Selbstschutzgesetz haltmachen; denn dieses Selbstschutzgesetz ist nicht nur ein Schutzgesetz für den einzelnen, es ist darüber hinaus ein Organisationsgesetz für die gegenseitige Hilfe. Wir haben gerade im vergangenen Jahr eine ernste Lehre darüber bezogen, wie notwendig gegenseitige Hilfe sein kann, wie wichtig die Organisation, die Vorarbeit für eine solche gegenseitige Hilfe ist.
Insoweit ist dieses Gesetz — auch da stimme ich dem Herrn Kollegen Schmitt-Vockenhausen zu; er sagte, diese Gesetzgebung solle eine Maßnahme der Humanität sein, und das stimmt — eigentlich nur, ich möchte sagen: eine gesetzlich geordnete Menschenpflicht. Es organisiert die Hilfe und es erleichtert sie damit und kann sie damit zu einem besseren Erfolg führen.
Hervorzuheben ist — ich glaube, daß ist noch nicht gesagt worden, aber das sollte dem Gesetz einen weiteren Impuls geben —, daß sich dieses Gesetz lediglich um den Schutz von Menschen bemüht, nicht um den Schutz von Sachwerten und daß es damit eine große und strenge Unterscheidung von früheren Regelungen findet. In der Sorge um den Menschen nimmt natürlich die Sorge um die
Familie auch in diesem Gesetz bei uns einen besonderen Platz ein, der darin zum Ausdruck kommt, daß eine Befreiung von der Selbstschutzpflicht in Betrieben, wie sie vorgesehen ist, auch vorgenommen werden kann zugunsten der Wahrnehmung einer nötigen Selbstschutzpflicht in der Wohnstatt.
Auf ein besonderes Organisationsmerkmal lassen Sie mich noch hinweisen! Im Rahmen der Selbstschutzorganisation wird nämlich die Verantwortung auf einzelne Personen abgestellt. Das erscheint mir sehr wichtig, weil bei erwarteten Katastrophen, denen wir nun einmal ganz nüchtern ins Gesicht sehen müssen, damit gerechnet werden muß, daß über Tage hinweg, vielleicht sogar über Wochen hin Gruppen von Menschen in eigener Verantwortung oder an abgestufter Verantwortung leben müssen. Das macht erforderlich, daß wir eine sehr sorgfältige Auslese der Träger der Verantwortung vornehmen. Eine in Spannungszeiten unentbehrliche persönliche Verantwortung wird natürlich jetzt um so schwerer in der Auslese, wenn ich einmal sagen darf, heranzuziehen sein, weil wir in einer Zeit stehen, in der Entscheidungen im allgemeinen in Institutionen oder aber in Kollegialorganen getroffen werden. Ich glaube, daß hier für den Bundesluftschutzverband eine sehr wichtige, aber auch eine dankenswerte Aufgabe vorliegt.
Es ist nicht der Sinn einer ersten Lesung, auf Einzelheiten einzugehen. Ich möchte deshalb auch davon Abstand nehmen, auf Einzelheiten der Ausführungen einiger Kollegen, die eine Erwiderung verdient hätten, einzugehen. Wir werden diese Fragen alle zur Genüge im Ausschuß erörtern können.
Nur auf eines lassen Sie mich noch eingehen. Unter den Punkten, die zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat strittig sind — Herr Hansen hat darauf hingewiesen —, wird darüber zu entscheiden sein, ob die Bundesregierung oder die Landesregierung über die Kompetenzzuweisung von Anweisungen an die Gemeinden oder die Gemeindeverbände zu bestimmen hat. Geregelt werden muß in dieser Frage wiederum die ganz eindeutige persönliche Verantwortung eines Selbstschutzleiters der Gemeinde oder der amtsfreien Gemeinde im Anwendungsfall. Ob der Bund oder die Länder die organisatorische Kompetenz hierfür in Anspruch nehmen, scheint mir — von den Bedürfnissen der Praxis her; ich gehe hier nicht auf die verfassungsmäßige Regelung oder auf die Regelungsnotwendigkeiten ein — nur eine Frage sekundärer Natur zu sein. Im Anwendungsfalle muß dem Bund aber der Weg für die unverzögerte Weisungserteilung an die Gemeinden bereitgestellt werden.
Ich sagte schon, daß wir uns im Ausschuß über die einzelnen Probleme zu unterhalten haben. Bei allen anstehenden Entscheidungen darf sich unsere Arbeit aber nicht mit der Regelung der Sachfragen begnügen. Wir müssen vielmehr — ich weise nochmals darauf hin — der Empfehlung des Herrn Schmitt-Vockenhausen folgen und die Überzeugung der Bevölkerung für dieses Gesetz gewinnen. Es wäre gut, wenn dieses Gesetz mit dem gleichen Geist erfüllt werden könnte, der andere große Orga-



Hübner
nisationen beseelt, die sich die Linderung menschlichen Leids zur Aufgabe gemacht haben.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405605200
Wir werden über die Überweisung der Entwürfe 2u Punkt 6 am Schluß der Tagesordnung entscheiden, ebenso wie zu Punkt 5.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft sowie des Geld- und Kapitalverkehrs (Wirtschaftssicherstellungsgesetz)


(Drucksache IV/892),

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sicherstellung der Versorgung mit Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft sowie der Forst- und Holzwirtschaft (Ernährungssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/893),
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs (Verkehrssicherstellungsgesetz) (Drucksache
IV/894) .
Die Begründung ist erfolgt. Wir treten in die Aussprache ein. — Das Wort hat der Abgeordnete Bieringer.

Dr. Adolf Bieringer (CDU):
Rede ID: ID0405605300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens ,der Fraktion der CDU/CSU habe ich eine kurze Stellungnahme zu zwei der drei im Entwurf vorliegenden Sicherstellungsgesetze 'abzugeben, nämlich zum Entwurf eines Wirtschaftssicherstellungsgesetzes und zum Entwurf eines Ernährungssicherstellungsgesetzes.
Soweit das Wirtschaftssicherstellungsgesetz betroffen ist, ist die Materie ja nicht neu. Das Hohe Haus hatte sich schon mehrfach mit Gesetzen ähnlichen Inhalts zu befassen, zuletzt mit dem Gesetz über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft vom 22. Dezember 1959. Von keinem dieser Vorgängergesetze ist jemals Gebauch gemacht worden. Darin liegt, wie mir scheint, immerhin auch eine sehr beruhigende Aussage über die Gefahr des möglichen Mißbrauchs solcher gesetzlichen Ermächtigungen. Im Unterschied zu seinen Vorgängern enthält der uns vorliegende Entwurf des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes allerdings wesentlich weitergehende Vollmachten. Es sind Vollmachten, die im Notfall umfassende wirtschaftliche Lenkungsmaßnahmen ermöglichen würden.
Meine Damen und Herren, es ist notwendig, hinsichtlich dieser Sicherstellungsgesetze noch einmal darauf hinzuweisen, daß gerade sie — so wie die gesamte Notstandsgesetzgebung — unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels zu stehen haben. Wir wollen und dürfen der Regierung nicht mehr Vollmachten zum Erlaß von Rechtsverordnungen geben, als zur Bewältigung eines Notstandes jeweils erforderlich sind. Mit diesem Höchstmaß Ist allerdings gleichzeitig auch ein Mindestmaß gesetzt. Die Vorkehrungen, die wir treffen, müssen so beschaffen sein, daß die Bewältigung eines Notstandes, sei es im Falle eines äußeren Notstandes oder im Falle einer anderweitig nicht zu behebenden Versorgungskrise, auch möglich ist, soweit menschliche Kräfte dafür überhaupt ausreichen.
Wir werden uns mit den beiden Ermächtigungskatalogen zum Erlaß von Rechtsverordnungen in den uns vorliegenden Entwürfen noch sehr ins einzelne gehend beschäftigen müssen. Heute geht es nur darum, ein grundsätzliches Ja zu diesen Entwürfen und zu der ihnen zugrunde liegenden Konzeption zu sagen. Wir von der CDU/CSU bejahen diese Konzeption. Wir bejahen sie als Teil der gesamten Notstandsgesetzgebung und der gesamten Notstandsplanung. Wir bejahen diese beiden Entwürfe in ihrer Konzeption als Maßnahme der Vorsorge für einen Fall, von dem wir alle, meine Damen und Herren, hoffen, daß er nie eintritt.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405605400
Das Wort hat der Abgeordnete Lange.

Erwin Lange (SPD):
Rede ID: ID0405605500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige Bemerkungen zu dem Komplex dieser drei Gesetze — Wirtschaftssicherstellungsgesetz, Ernährungssicherstellungsgesetz und Verkehrssicherstellungsgesetz — erscheinen meinen Freunden notwendig.
Herr Minister, Sie haben hier heute morgen einmal um Vertrauen geworben. Heute nachmittag haben Sie erklärt, daß mit Vertrauen allein die Welt nicht regiert werden könne. Ich frage also: Was soll man Ihnen glauben? Da, wo es sich darum handelt, Rechte der gesetzgebenden Körperschaft, die gleichzeitig auch seine Pflichten sind, an die Exekutive abzutreten, sollte man es mit dem Goethe-Wort halten: „Was man Schwarz auf Weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen" und sich nicht ohne das zufriedengeben.

(Abg. Dr. Imle: Soviel Schwarz gibt es doch gar nicht, Herr Lange!)

— Wahrscheinlich. Ich hätte jedenfalls gewünscht, daß die Bundesregierung aus der Auseinandersetzung um das Wirtschaftsicherstellungsgesetz, auf das Kollege Bieringer hingewiesen hat und das bis zum 31. März dieses Jahres gültig ist, entsprechende Schlußfolgerungen gezogen hätte. Das hat die Bundesregierung nicht getan. Wenn man sich diese drei Gesetze ansieht, hat man den Eindruck, daß man für den Notstand wieder das ABC parlamentarischer Demokratie erlernen muß. Wir 'dürften nicht daran vorbeikommen, in den Ausschüssen klarzustellen, daß Sachverhalte, die dem Begriff des Notstands im Sinne der entsprechenden Verfassungsbestimmung nicht ohne weiteres unterzuordnen sind, in einem solchen Gesetz nicht mit geregelt werden können.



Lange (Essen)

Die drei Gesetzentwürfe, die hier zur Debatte stehen, gehen — Kollege Bieringer hat darauf hingewiesen — hinter das Wirtschaftssicherstellungsgesetz zurück, was die parlamentarische Kontrolle anbelangt. Wir legen keinen Wert darauf — und dazu hat heute morgen der Kollege Hoogen von der CDU/CSU einiges sehr Nützliche gesagt —, als Parlament die Flucht aus der Verantwortung anzutreten oder aber Chancen für Teile des Parlaments zu eröffnen, durch Delegation von Befugnissen an die Regierung die Flucht aus der Verantwortung antreten zu können. Auch die Kollegen von der CDU/CSU und der FDP sollten sich also sehr genau überlegen, ob angesichts eines so weitgreifenden, beinahe uneingeschränkten Ermächtigungskataloges die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Leistungen überhaupt gewährleistet werden kann und wie das Parlament oder das Notstandsparlament die Kontrolle behalten kann.
Der Herr 'Bundesinnenminister hat heute morgen gesagt, der gemeinsame Bezugspunkt dieser drei Gesetze sei der Verteidigungsfall; dafür müsse man vorsorgen und in diesem Zusammenhang müsse man auch Vorsorge für Versorgungskrisen treffen, die aus anderen Gründen entstehen könnten. Wir sind der Auffassung, daß für diese drei Gesetze demokratisch-parlamentarische Grundlagen sichergestellt sein müssen bzw. das Parlament eingeschaltet werden muß. Wir sollten uns auch in diesem Zusammenhang das alte Wirtschaftssicherungsgesetz zu Gemüte führen. Da ist nämlich das Parlament, der Bundestag mit verankert.
Wir müssen weiter fordern, Herr Minister, daß in den drei Gesetzen die Versorgung der Bevölkerung durch entsprechende Bestimmungen wirksamer sichergestellt wird, als das in dem Ermächtigungskatalog der Fall ist.
Wir legen weiter Wert darauf, daß der Fall der Versorgungskrisen, die nicht durch einen Spannungszustand oder durch den Verteidigungsfall entstehen, getrennt wird von dem Verteidigungsfall und dem Spannungszustand, d. h. daß der Fall der Versorgungskrisen unter ganz anderen Gesichtspunkten geordnet wird als der Fall der Versorgung der Bevölkerung und der Streitkräfte im Spannungszustand und im Verteidigungsfalle. Diese beiden Möglichkeiten, einzugreifen und die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, kann man nicht unter ein und denselben Bezugspunkt, nämlich den Verteidigungsfall, setzen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ist ja auch nicht der Fall!)

Deshalb sollte man eine säuberliche Scheidung und insoweit auch andere Voraussetzungen, andere oder klarere Begriffe und Begriffsbestimmungen im Gesetz finden.
Wir sind also in der Tat der Meinung, daß hinsichtlich aller drei Gesetze der Fall der Versorgungskrise — § 2 der Gesetzentwürfe — Bestandteil der allgemeinen Ordnung der Wirtschaft ist, wobei die Versorgungskrise nicht aus Gründen resultiert, die aus der Ordnung der Wirtschaft kommen,
sondern aus Gründen, welche außerhalb — sprich: Weltmarkt oder Naturkatastrophen — liegen. Deshalb also muß für den Fall der Versorgungskrisen in den drei Gesetzen eine andersgeartete Regelung erfolgen. Sie kann sich noch stärker ausgebaut an das ursprüngliche Wirtschaftssicherstellungsgesetz anlehnen der es mindestens zum Vorbild nehmen. Dann werden wir weitersehen. Es ist also klar — und das wird noch doppelt schwierig —, daß dadurch, daß man den Fall der Versorgungskrisen hier mit hineingebracht hat, und infolge der entsprechenden Paragraphen der drei Gesetze — § 5 des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes, § 7 des Ernährungssicherstellungsgesetzes und § 6 des Verkehrssicherstellungsgesetzes — praktisch eine uneingeschränkte Bevollmächtigung der Regierung möglich wird, was wir nach allseitiger Überzeugung — wenn ich auch die Aussage des Kollegen Hoogen richtig deute — nicht verantworten zu können glauben. Wir können hier kein uneingeschränktes Notverordnungsrecht zugestehen; wir können keine Ermächtigung ohne entsprechende parlamentarische Kontrolle zugestehen. Wir müssen, so glauben 'wir jedenfalls, als Parlament eindeutige Beschlüsse über Art und Umfang der Ermächtigung treffen und müssen gleichzeitig auch als Parlament oder im entsprechenden Fall — das gilt auch für den Verteidigungsfall oder den Spannungszustand — als Notstandsparlament imstande sein, die Dinge wieder an uns zu ziehen, also über das Inkrafttreten und Außerkrafttreten zu bestimmen.
Die Einschaltung des Bundesrates beim Erlaß der Rechtsverordnungen reicht nicht aus. Der Bundestag als der eigentliche Gesetzgeber muß also in diesem Zusammenhang mit eingeschaltet werden.
Ein weiterer Punkt stimmt uns sehr bedenklich. Im Ernährungssicherstellungsgesetz wird im Vorbeigehen eine neue Bundesoberbehörde begründet. Wir haben das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft auf besonderer gesetzlicher Grundlage, und wir haben auch, was den anderen Sektor, den Verkehrssektor, betrifft, dort besondere gesetzliche Voraussetzungen. Wir sollten uns auch darüber verständigen, daß hier nicht im Zusammenhang mit irgendeiner Notstandsregelung eine obere Bundesbehörde errichtet werden kann, die keine klar umrissenen, eindeutigen gesetzlichen Grundlagen und gesetzlichen Aufgaben hat. Hinsichtlich des Bundesamtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als Bundesoberbehörde müßte also wohl eine besondere, über die im Ernährungssicherstellungsgesetz zum Ausdruck kommenden Vorstellungen hinausgehende gesetzliche Grundlage geschaffen werden.
Wenn wir als vordringliche Aufgabe die Versorgung der Bevölkerung und die Versorgung der Streitkräfte im Verteidigungsfall und im Spannungszustand anerkennen, kommen wir, glaube ich, nicht daran vorbei, auch eindeutig klarzustellen — damit nämlich die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Leistungen auch zu entsprechenden Bedingungen vom Preise her erfolgen kann —, daß in allen drei Gesetzen, nicht nur im Verkehrssicherstellungsgesetz und nicht nur im Ernährungssicherstellungsgesetz, sondern auch im Wirtschaftssicherstellungsgesetz einheitliche Grundsätze für die



Lange (Essen)

Preisbildung aufgestellt werden. Für diesen Punkt sollten wir uns auch einiges in den Ausschüssen vornehmen. Wir kommen nämlich dann gleichzeitig mit diesen einheitlichen Grundsätzen über die Preisbildung auf allen diesen Gebieten hinsichtlich der Versorgung der Bevölkerung dem Bedürfnis entgegen, zu verhindern, daß hier unter Umständen irgendwelche sehr geschickte Leute besondere Krisengewinne machen, wie wir das zu einem gewissen Teil schon heute angesichts der infolge des Winters eingetretenen Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Brennstoffen erleben.
Der Bundesminister des Innern hat heute morgen auch darauf verwiesen, daß die Bundesregierung bemüht gewesen sei, bei der Anwendung der drei Gesetze im Falle von Versorgungskrisen und auch in den anderen Fällen, soweit das dann überhaupt noch möglich ist, zunächst einmal mit marktkonformen Mitteln zu arbeiten und dann zum Schluß, sagen wir, das schärfste Mittel, die Bewirtschaftung, anzuwenden. Im alten Wirtschaftssicherstellungsgesetz, Herr Minister, ist das ausdrücklich gesagt. Warum haben Sie das in diesen drei Gesetzen nicht ausdrücklich gesagt? Hier nützt nicht nur das Wort des Ministers, sondern das muß im Gesetz festgelegt werden. Sie wollen es, so sagen Sie, mit leichter Hand machen. Trotzdem empfehle ich, noch einmal unsere Erklärung anläßlich der Verabschiedung des Wirtschaftssicherstellungsgesetzes von 1959 nachzulesen. Ich will das hier nicht wiederholen. Dort haben wir einige Vorbehalte hinsichtlich der
Glaubwürdigkeit einer Regierung gemacht.
Es nützt auch gar nichts, wenn der Sprecher der CDU/CSU-Fraktion hier erklärt: Von diesem Gesetz ist bisher noch kein Gebrauch gemacht worden. Wir müssen dabei trotzdem alle parlamentarischdemokratischen Vorkehrungen im Auge behalten.
Wir haben noch ein verfassungsrechtliches Bedenken hinsichtlich der Übertragung der Befugnis zum Erlaß von Rechtsverordnungen auf obere Bundesbehörden. Auch darüber, Herr Minister, wird in den Ausschüssen zu sprechen sein.
Eine Abgrenzung muß auch hier gegenüber dem Bundesleistungsgesetz, auf das in der Begründung so oft verwiesen worden ist, vorgenommen werden. Es erscheint uns erforderlich, im Zweifelsfalle das Bundesleistungsgesetz in etlichen Teilen auf Grund eines entsprechenden Initiativantrages zu ändern; denn alle diese gesetzlichen Bestimmungen müssen miteinander in Übereinstimmung gebracht werden.
Bei der Beratung dieser wirtschaftlichen Notstandsgesetze müssen wir uns auch das Wirtschaftsstrafgesetz ein wenig anschauen. Wenn das Wirtschaftsstrafgesetz jetzt schon einmal etwas mehr — mehr als nur erhobener Zeigefinger — angewandt worden wäre, wäre vielleicht manches im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Versorgungskrise — Hausbrandversorgung, Versorgung mit Heizöl usw. — vermieden worden.
Wir sind also der Auffassung, daß diese beiden Gesetze, die hier nur in der Begründung erwähnt worden sind, auch bei der Beurteilung der Notstandsvorlagen mitberücksichtigt und miterörtert werden 1 müssen.
Die Schlußfolgerung, die wir alle miteinander ziehen sollten, ist die, daß für den Verteidigungsfall und den Spannungszustand volle Rechtsstaatlichkeit und volle parlamentarische Kontrolle gewährleistet sein müssen. Dazu ist eine ausreichende gesetzliche Regelung mit klaren Definitionen — und keine „Kautschukbestimmungen" — erforderlich. Wir sind nicht imstande, ohne weiteres Blankovollmachten zu erteilen. Das Parlament oder das Notparlament müssen eingeschaltet bleiben. Für den Fall der Versorgungskrise müssen wir, glaube ich, noch zusätzliche, weitergehende gesetzliche Sicherungen einbauen, weil dabei nicht ein so rasches Handeln wie im Verteidigungsfall erforderlich ist, das Parlament uneingeschränkt in der Verantwortung bleiben kann und seine Aufgaben nicht auf das Notparlament übertragen zu werden brauchen.
Alle diese Fragen sollten wir in den Ausschüssen sorgfältig erörtern und prüfen. Die drei uns vorliegenden Gesetze sollten unter einheitlichen Gesichtspunkten geprüft werden. Wir müssen dafür sorgen, daß, gerade weil das nicht so vorgesehen ist, der Wirtschaftsausschuß auch beim Verkehrssicherstellungsgesetz die wirtschaftspolitischen Aspekte mit überprüfen und mit erörtern kann. Es bedarf dazu keines besonderen Überweisungsbeschlusses. Nach dem, was zwischen den Fraktionen geschäftsordnungsmäßig verabredet worden ist, ist eine solche Einschaltung möglich. Nur wären wir dankbar, meine Damen und Herren, wenn auf diese Art und Weise sichergestellt würde, daß dem Parlament die volle, uneingeschränkte Verantwortung erhalten bleibt und daß niemandem hier im Parlament erlaubt wird, die Flucht vor der Verantwortung anzutreten.

(Beifall bei der SPD.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405605600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Imle.

Dr. Wolfgang Imle (FDP):
Rede ID: ID0405605700
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Gründlichkeit meiner Vorredner könnte mich sicherlich dazu veranlassen, mich im großen und ganzen auf ihre Ausführungen zu beziehen. Aber ich habe namens meiner Fraktion noch einige Erklärungen abzugeben. Ich glaube, die Stille dieses Hauses zeigt, daß wir uns bereits auf den morgigen Tag vorbereiten.
Ich bin mit meinen Vorrednern der Meinung, daß es sich bei den drei Gesetzentwürfen — dem Wirtschaftssicherstellungsgesetz, dem Verkehrssicherstellungsgesetz und dem Ernährungssicherstellungsgesetz — um ein Ganzes handelt, das auch als Ganzes behandelt werden sollte. Es besteht wohl auch Einigkeit darüber, daß das, was mit diesen Gesetzen erreicht werden soll, für den Ernstfall unbedingt notwendig ist. Man kann an die Dinge nicht erst herangehen, wenn der Ernstfall kurz bevorsteht. Es ist vielmehr eine große Schubladenarbeit — so möchte ich es einmal nennen — zu leisten, damit in dem Augenblick, in dem etwas getan werden muß, die Dinge auf den Tisch gelegt werden können.



Dr. Imle
Es geht bei diesen Gesetzen um die Übertragung von Zuständigkeiten auf die Exekutive, und da muß wirklich sehr eingehend geprüft werden, ob man mit dieser Übertragung so weit gehen kann, wie es hier im einzelnen vorgesehen ist. Auch muß genau geprüft werden, was alles in dieser Zuständigkeit getan werden kann.
Nach § 1 will man z. B. auch Vorschriften über die Verwaltung von gewerblichen Betrieben erlassen. Ich weiß nicht, ob das richtig ist, weil hiernach das zuständige Landeswirtschaftsamt oder Ernährungsamt durch einen Obersekretär oder Inspektor schließlich bis in die kleinste Kleinigkeit in die ureigensten Angelegenheiten der Betriebe eingreifen könnte. Es erscheint mir sehr zweifelhaft, ob man so weit gehen soll. Allerdings gehen auch die soeben von Herrn Kollegen Lange angesprochenen Probleme der Übertragung doch wohl sehr weit. Die Bundesregierung soll nämlich die Möglichkeit haben, die Befugnis zum Erlaß der Rechtsverordnungen auf den Bundeswirtschaftsminister zu übertragen, und dieser soll die Befugnis weiter auf das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft übertragen können, „wenn die Bundesregierung festgestellt hat, daß dies zur beschleunigten Herstellung der Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik notwendig ist". Diese Begriffsbestimmung ist mir etwas zu kautschukartig; denn das läßt sich einfach nicht nachprüfen. Wann tritt dieser Fall denn ein? Wenn die Bundesregierung das festgestellt hat, braucht sie nicht einmal selbst für diesen schweren Ernstfall die Verordnungen zu erlassen, sondern kann die Befugnis auf das Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft übertragen.
Besonders der Fall des § 2, der Fall der Versorgungskrise, muß sehr genau betrachtet werden. In § 3 ist vorgesehen, daß die Verordnungen schon erlassen werden können, „um eine dringend notwendige Steigerung der Versorgungsleistungen zu erreichen". Überspitzt ausgedrückt ist die Steigerung der Versorgungsleistungen dauernd notwendig, weil wir ja einen immer besseren Lebensstandard erreichen wollen. Das scheint mir sehr undurchsichtig und sehr angreifbar zu sein. Allerdings heißt es in Abs. 2, daß die Rechtsverordnungen auf das unerläßliche Maß zu beschränken und inhaltlich so zu gestalten sind, daß in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Beteiligten so wenig wie möglich eingegriffen und die Leistungsfähigkeit der Gesamtwirtschaft möglichst wenig beeinträchtigt wird. Danach habe ich fast den Eindruck, daß das eine leichte Beruhigung von uns allen sein soll.
Auch das Problem der Geltungsdauer der Rechtsverordnungen muß meines Erachtens sehr genau geprüft werden. Wir werden — ich möchte das abschließend zu diesem Problem sagen — sehr genau darauf achten müssen, daß, solange nicht der Ernstfall als solcher eingetreten ist, auch das Parlament seine Zustimmung geben muß.
Erlauben Sie mir noch ein Wort zu der weiteren Gestaltung der Beteiligung anderer Vereinigungen. Sowohl im Verkehrssicherstellungsgesetz als auch im Ernährungssicherstellungsgesetz ist darauf hingewiesen worden, daß Aufgaben auf andere Vereinigungen, die sich mit diesen Problemen befassen, übertragen werden können. Hier fehlt mir aber, Herr Bundesminister, der Hinweis auf die Beteiligung der Selbstverwaltung der Wirtschaft, die ja schon mit all diesen Dingen vertraut ist. Man sollte sie hier nicht ausschließen. Sicherlich werden wir uns auch mit diesen Fragen beschäftigen müssen.
Wir möchten nur hoffen, daß sich in dem allgemeinen Gespräch hier im Hause eine Einigkeit der Standpunkte ergibt, die es uns erlaubt, diese Gesetze möglichst bald zu verabschieden.

(Beifall bei der FDP und in der Mitte.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405605800
Das Wort hat der Abgeordnete Lemmrich.

Karl Heinz Lemmrich (CSU):
Rede ID: ID0405605900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz zur Sicherstellung des Verkehrs hat gegenüber den beiden anderen Gesetzen noch ein weiteres in sich: Es befaßt sich nämlich mit der Sicherstellung von einigen Leistungen, die im Bundesleistungsgesetz nicht aufgeführt worden sind, insbesondere Leistungen der Bundesbahn. Die Bedeutung des Verkehrs im Verteidigungsfall wird bei einer etwaigen Auseinandersetzung ein wesentlich größeres Gewicht bekommen als im Krieg 1939 bis 1945. Der Verkehr hat bei uns für die gesamte Wirtschaft und für ihre Versorgung eine Basisfunktion. Damals, 1939, konnte der deutsche Raum aus dem Zentrum heraus versorgt werden. Unter den jetzigen Umständen isst unser Land ein Randgebiet geworden, und die Versorgung muß über weite Strecken sichergestellt werden. Wir werden im Verteidigungsfall weitgehend auf eine Versorgung aus überseeischen Ländern oder aus Ländern des westlichen Europas angewiesen sein.
Je nach der Situation, die im Verteidigungsfall eintritt, werden wir mit dem Ausfall von Häfen, Eisenbahnen und Straßen rechnen müssen. Insbesondere infolge der Elektrifizierung, die ja schon angesprochen worden ist, ist unser Eisenbahnnetz empfindlicher geworden. Es kann sich durchaus ergeben, daß unser Straßennetz die Versorgung und die Verkehrsleistungen zeitweilig weitgehend allein übernehmen muß. Deshalb wird es von großer Wichtigkeit sein, daß unser Straßennetz sehr eng geknüpft wird, und wir sollten die Vorsorge, die in dem Gesetz zur Sicherstellung des Verkehrs vorgesehen ist, auch im rechten Maße praktizieren.
Zur Vorsorge gehört es, daß das Deutsche Straßennetz so engmaschig wie nur irgend möglich geknüpft wird und daß die entsprechenden Straßenbaupläne auch durchgeführt und nicht eingeschränkt oder beschnitten werden.

(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Bei der nächsten Verkehrsdebatte, wenn wir über den Sockelabbau sprechen, werden wir an Sie herantreten!)

— Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich werde mich freuen, wenn Sie uns unterstützen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Schmitt-Vockenhausen.)




Lemmrich
Für die Versorgung unseres Landes auf längere Sicht muß man sich natürlich darüber klar sein, daß die großen Massengüter auf die Dauer nicht über die Straße herangeschafft werden können. Das Problem des Verkehrs ist nicht in erster Linie die Versorgung der Streitkräfte, sondern vor allen Dingen die Versorgung von mehr als 50 Millionen Menschen in unserem Lande. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Arzneien und sonstigen Sachen, die gebraucht werden, ist ein Problem des Massenverkehrs. Wir werden hierbei auf die Bundesbahn nicht verzichten können. Auch hier muß die notwendige Vorsorge getroffen werden.
Das steht sicherlich nicht so unmittelbar in dem Gesetz, aber auf diese Vorsorge muß hingewiesen werden, wenn man von der Sicherstellung des Verkehrs spricht.
Wenn man diese Dinge einmal kurz überdenkt, kommt man zu dem Schluß, daß wir in der Bundesrepublik eine ausgewogene Verkehrsstruktur haben müssen, damit wir auch im Notstandsfalle die anfallenden Aufgaben und die entsprechenden Sicherstellungen vornehmen können. Die durch dieses Gesetz begründete Vorsorgepflicht wird unsere gesamte Verkehrspolitik und die Politik des Ausbaues der Verkehrswege beeinflussen müssen. Bei den einzelnen Baumaßnahmen sollten wir zu einfachen, unkomplizierten Lösungen kommen.
Welche Bedeutung der Verkehr für die Versorgung hat, haben wir ja in jüngster Zeit kennengelernt, wo es bei einem, sagen wir einmal, etwas kräftigen Frost schon zu einigen Schwierigkeiten gekommen ist. Wir haben dabei gerade jetzt gemerkt, wo einige schwache Punkte liegen. Es reicht eben einfach nicht aus, wenn gewisse Heizölzentren nur einen Binnenschiffahrtsanschluß und keinen Gleisanschluß haben. All das zeigt letztlich, welche große Bedeutung der Verkehr für die Versorgung der Bevölkerung hat.
Betrachtet man den Gesetzentwurf unter diesem Gesichtspunkt, so möchte ich meinen, daß einige Forderungen gestellt werden müssen, vor allen Dingen die, daß dieses Gesetz als Instrument brauchbar ist, daß es praktisch ist und daß es einfach zu handhaben ist, damit auch schnell und wirksam gehandelt werden kann. Das sollte klar sein, wenn wir wissen, daß davon die Versorgung mit Lebensmitteln und Arzneien abhängt.
Bei unseren Beratungen werden wir besonderes Augenmerk darauf richten, daß die Parallelität der drei Sicherstellungsgesetze gewahrt bleibt, damit den Durchführenden bei ihrer Aufgabe keine allzu großen Schwierigkeiten bereitet werden. Es sollte bei der Erstellung der Verordnung .darauf Rücksicht genommen werden, daß die Bedarfsseite, nämlich die verladende Wirtschaft, eingeschaltet wird, damit eine vernünftige Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsträgern und der verladenden Wirtschaft,
d. h. denen, die die Güter benötigen, hergestellt wird. Es wäre notwendig, daß hier auch 'die Praktiker zum Zuge kommen.
Wir von der Fraktion der CDU/CSU glauben, daß der vorliegendeEntwurf eine brauchbare Grundlage für die Beratungen im Ausschuß ist. Wir hoffen, daß wir gemeinsam eine vernünftige und praktikable Lösung finden werden.

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Dr. Thomas Dehler (FDP):
Rede ID: ID0405606000
Ich schließe die erste Beratung der unter Punkt 7 aufgeführten Gesetzentwürfe.
Wir kommen nun zur Ausschußüberweisung. Ich gebe die vorgesehenen Überweisungen bekannt und bitte, Widerspruch anzumelden, wenn Sie nicht einverstanden sind:
Punkt 5 — Ergänzung des Grundgesetzes, Drucksache IV/891 — Überweisung an den Rechtsausschuß — federführend —, Ausschuß für Inneres, Ausschuß für Verteidigung — mitberatend —,
Punkt 6 a) — Zivildienstgesetz, Drucksache IV/450 — Überweisung an den Ausschuß für Inneres — federführend —, Ausschuß für Verteidigung, Rechtsausschuß,
6 b) — Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden, Drucksache IV/343 — Ausschuß für Inneres — federführend , Ausschuß für Verteidigung und Rechtsausschuß,
6 c) — Aufenthaltsregelungsgesetz, Drucksache IV/895 — Ausschuß für Inneres — federführend — und Rechtsausschuß,
6 d) — Schutzbaugesetz, Drucksache IV/698 — Ausschuß für Inneres — federführend —, Ausschuß für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung, Rechtsausschuß, Ausschuß für Kommunalpolitik und Sozialhilfe und Haushaltsausschuß,
6 e) — Selbstschutzgesetz, Drucksache IV/897 — Ausschuß für Inneres — federführend —, Rechtsausschuß, Ausschuß für Kommunalpolitik und Sozialhilfe und Haushaltsausschuß,
Punkt 7 a) — Wirtschaftssicherstellungsgesetz, Drucksache IV/892 — Wirtschaftsausschuß — federführend —, Ausschuß für Inneres und Rechtsausschuß,
7 b) — Ernährungssicherstellungsgesetz, Drucksache IV/893 — Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend —, Wirtschaftsausschuß und Ausschuß für Inneres,
7 c) — Verkehrssicherstellungsgesetz, Drucksache IV/894 — Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen — federführend —, Ausschuß für Verteidigung, Ausschuß für Inneres. —
Die Überweisungen sind so beschlossen,
Die Fragen, die in der gestrigen Fragestunde nicht beantwortet worden sind, sind insgesamt zurückgestellt, so daß der Tagesordnungspunkt 1 erledigt ist.
Auf Grund einer Vereinbarung soll noch folgendes erledigt werden:
Wahlen zum Europäischen Parlament und zur
Beratenden Versammlung des Europarats.
Für den aus dem Europäischen Parlament ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Aschoff hat die Frak-



Vizepräsident Dr. Dehler
tion der FDP als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Europäischen Parlament den Abgeordneten Dr. Starke benannt.
Ich frage, ob das Haus damit einverstanden ist. — Kein Widerspruch; der Abgeordnete Dr. Starke ist als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in das Europäische Parlament gewählt.
Die Fraktion der FDP hat mit Schreiben vom 22. Januar 1963 gebeten, für den beim Europarat ausscheidenden Abgeordneten Dr. Mende den Abgeordneten Dr. Stammberger zu wählen.
Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete
Dr. Stammberger als Vertreter in der Beratenden Versammlung des Europarates gewählt.
Ich teile mit, daß die Präsenzpflicht für morgen aufgehoben ist.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 6. Februar, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung Ist geschlossen.