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ID0405600400

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    Deutscher Bundestag 56. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1963 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksache IV/891) — Erste Beratung — Höcherl, Bundesminister . 2477 A, 2526 D Hoogen (CDU/CSU) . . . . . . 2491 C Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 2495 D Dorn (FDP) . . . . . . . . . 2504 C Leber (SPD) . . . . . . . . 2507 A Sänger (SPD) 2516 B Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . 2523 D Entwurf eines Gesetzes über den Zivildienst im Verteidigungsfall (Zivildienstgesetz) (Drucksache 1V/450) — Erste Beratung —; in Verbindung mit .dem Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden (Drucksache IV/343) — Erste Beratung —; dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Aufenthalts .der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall (Aufenthaltsregelungsgesetz) (Drucksache IV/895) — Erste Beratung —; dem Entwurf eines Gesetzes über bauliche Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung (Schutzbaugesetz) (Drucksache IV/ 896) — Erste Beratung —; und dem Entwurf eines Gesetzes über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung (Selbstschutzgesetz) (Drucksache IV/897) — Erste Beratung — Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 2533 C Lünenstraß (SPD) . . . . . . . 2537 B Dr. Even (Düsseldorf) (CDU/CSU) 2539 C Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) (FDP) 2541 D Busse (FDP) . . . . . . . . 2544 D Frau Renger (SPD) 2546 B Hansing (SPD) 2548 D Dr. Kempfler (CDU/CSU) 2550 D Hübner (CDU/CSU) 2551 D Entwurf eines Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft sowie des Geld- und Kapitalverkehrs (Wirtschaftssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/ 892) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Sicherstellung der Versorgung mit Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft sowie der Forst- und Holzwirtschaft (Ernährungssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/893) — Erste Beratung —; und dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs (Verkehrssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/894) — Erste Beratung — Dr. Bieringer (CDU/CSU) . . . 2553 B Lange (Essen) (SPD) 2553 C Dr. Imle (FDP) 2555 D Lemmrich (CDU/CSU) 2556 C Überweisung der Gesetzentwürfe an Ausschüsse 2557 C Wahlen zum Europäischen Parlament und zur Beratenden Versammlung des Europarates 2557 D Nächste Sitzung 2558 C Anlage 2559 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1963 2477 56. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Fran Albertz 24. 1. Arendt (Wattenscheid) 25.1. Dr. Arndt (Berlin) 24. 1. Dr. Atzenroth 25.1. Dr. Dr. h. c. Baade 25. 1. Bading 5.2. Bauknecht 25. 1. Fürst von Bismarck 25. 1. Dr. Bleiß 25.1. Dr. von Brentano 25. 1. Brese 25. 1. Deringer 24. 1. Dr. Dörinkel 4. 2. Drachsler 25. 1. Dr. Dr. h. c. Dresbach 28.2. Eisenmann 24. 1. Etzel 26. 1. Faller * 25. 1. Figgen 23. 2. Funk (Neuses am Sand) 16. 2. Gewandt 31. 1. Freiherr zu Guttenberg 25. 1. Haage (München) 25. 1. Hahn (Bielefeld) 25. 1. Hammersen 24.1. Harnischfeger 25. 1. Hauffe 28.2. Hellenbrock 26. 1. Holkenbrink 26. 1. Dr. Hoven 25. 1. Illerhaus 24. 1. Kahn-Ackermann 25. 1. Kalbitzer 25. 1. Dr. Kanka 24. 1. Katzer 31. 1. Keller 25. 1. Frau Kipp-Kaule 25. 1. Klinker 25. 1. Koenen (Lippstadt) 25.1. Dr. Kohut 25. 1. Kriedemann* 25. 1. Kühn (Köln) 2.2. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lemmer 26. 1. Lenz (Bremerhaven) 25. 1. Lücker (München) * 25. 1. Mattick 25. 1. Mauk 25. 1. Frau Dr. Maxsein 25. 1. Dr. Menzel 25. 1. Dr. von Merkatz 4. 2. Dr. Miessner 31. 1. Missbach 25. 1. Dr. Morgenstern 25. 1. Müller (Berlin) 28. 2. Müller (Remscheid) 25. 1. Müller-Hermann 31. 1. Neubauer 17.2. Neumann (Berlin) 25. 1. Ollenhauer 25. 1. Dr.-Ing. Philipp 25. 1. Rademacher 31. 1. Ravens 25. 1. Dr. Reinhard 25. 1. Richarts 26. 1. Dr. Rutschke 31. 1. Sander 25. 1. Schmücker 24. 1. Schneider (Hamburg) 31. 1. Schröder (Osterode) 25. 1. Schütz 25. 1. Dr. Stammberger 3. 2. Dr. Starke 24. 1. Stein 24. 1. Frau Strobel * 25. 1. Struve 25. 1. Dr. Süsterhenn 25. 1. Urban 25. 1. Wacher 25. 1. Dr. Wahl 28. 2. Dr. Zimmer 26. 1. Zühlke 24. 1. b) Urlaubsanträge Dopatka 21.2. Werner 24. 2. *) Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments
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    Rede von Matthias Hoogen


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)





    (Abg. Dr. Schäfer: Wundert Sie das?) — Ich stelle das fest.

    — Ich glaube, Herr Kollege Schmid, es ist hier nicht der Ort, das zu besprechen. Im Rechtsausschuß werden wir vielleicht einmal darüber sprechen und festzustellen versuchen, welche Erfahrungen man mit dieser Art Regelung hat sammeln können.
    Meine Damen und Herren, diese wenigen Hinweise zeigen jedem, daß unsere Regelung auf diesem Gebiete so vielgestaltig und so unterschiedlich ist, daß sie im Ernstfall nicht funktionieren kann. Ich stelle das deswegen fest und sage es deswegen sehr betont, weil ich damit denen antworten will, die in der Öffentlichkeit in den letzten drei Jahren, seit dem November 1959, als die Debatte sehr ernst in Gang kam, mit Gründen, die man nicht ohne weiteres von der Hand weisen kann, wenn man sich das in die Erinnerung zurückruft, was ich eingangs gesagt habe, der Meinung sind, daß wir ein Notstandsrecht weder für den äußeren noch für den inneren Notstand brauchen. Wenn auch ihre Zahl in diesem Hohen Hause, wie ich glaube, kleiner geworden ist, so ist das in der Öffentlichkeit doch immer noch im Gespräch, und uns liegt daran, der Öffentlichkeit nicht ein Notstandsrecht zu verordnen, sondern, wie es der Herr Bundesinnenminister



    Hoogen
    versucht hat, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß es notwendig ist und daß wir es uns sehr angelegen sein lassen, die Fehler, die in der Vergangenheit auf diesem Gebiete gemacht worden sind, nicht zu wiederholen.

    (Beifall bei der CDU/CSU.)

    Meine Damen und Herren, so viel zu der Frage, ob es zur Wendung der Not notwendig ist.
    Jetzt zu der Frage der Ausgestaltung! Da kann ich mich verhältnismäßig kurz fassen. Dazu hat der Herr Bundesinnenminister sehr, sehr ausführlich Stellung genommen, d. h. zu den Einzelheiten der Art. 115 a ff., zumal ich mir ja auch selbst vorgenommen habe, zu den Grundsätzen zu sprechen.
    Einer dieser Grundsätze ist der, daß in Abkehr von Art. 48 der Weimarer Verfassung — und ich glaube, aus vielen Gesprächen mit Kollegen aller Fraktionen dieses Hohen Hauses und auch außerhalb dieses Hauses festgestellt zu haben, daß alle diese Notwendigkeit bejahen — dieser Notstand in rein tatsächlicher Hinsicht von den in der Verfassung dazu berufenen Organen in aller Form festgestellt werden muß. So wie es früher in der Königlich-Preußischen und in der Königlich-Bayerischen Verfassung angeordnet war, daß es mit Trompetenschall zu geschehen habe, soll es in der heutigen Zeit nicht geschehen, aber es soll in aller Form dem Bürger vor Augen geführt werden, daß sich der Staat in Not befindet und daß mit Sondervollmachten regiert werden muß.
    Damit bin ich schon bei der zweiten Grundsatzfrage, nämlich den Sondervollmachten des einen Verfassungsorgans an das andere, sprich: des Parlaments an die Regierung; denn sie ist die in erster Linie stets präsente Staatsgewalt, die den Notständen begegnen muß. Da erhebt sich gleich die Frage: Soll 'die Regierung das Notverordnungsrecht so haben, wie sie es in Weimar hatte? Diese Frage ist von der Bundesregierung und, ich glaube, von uns allen hier in diesem Hohen Hause verneint worden.
    Sie kennen den Entwurf. Er sieht einen Notstandsausschuß sowohl für die Feststellung des Notstandes wie auch für .die Notgesetzgebung vor. Ich darf für mich persönlich sagen: ich bin nicht sehr glücklich darüber, daß dieser Ausschuß sowohl mit Mitgliedern des Bundestages wie des Bundesrates besetzt werden soll. Aber über diese Frage wird man im Ausschuß, wird man in der zweiten Lesung, in der dritten Lesung hier noch einmal verhandeln müssen. Ich will mich dazu hier nicht verbreiten; ich glaube, das wäre nicht sehr sinnvoll. Daß dieser Ausschuß eingerichtet werden soll, halte ich für sehr glücklich und für sehr notwendig, und zwar nicht zuletzt aus folgender Erwägung. Ich weiß, daß ich mit dem, was ich sage, nicht die Zustimmung aller in diesem Hause finde; ich darf mir aber gleichwohl erlauben, es zu sagen: Ich glaube, daß die politischen Parteien in der Weimarer Zeit — sie waren damals die Träger der politischen Gewalt und sind es auch heute —, in der Mitte des Jahres 1930, als mit der Notstandsgesetzgebung zu regieren begonnen werden mußte, weil die letzte parlamentarisch gebildete und kontrollierte Regierung Hermann
    Müller-Franken gestürzt war und eine neue nicht gebildet werden konnte, aus der Verantwortung geflohen sind.

    (Abg. Dr. Schäfer: Genau! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das war das Verhängnis!)

    — Das war das Verhängnis! Ich freue mich, Herr Kollege Professor Schmid, daß Sie mir das bestätigen. Durch die Einrichtung dieses Ausschusses und die Art und Weise der — verzeihen Sie mir das häßliche Wort — Beschickung dieses Ausschusses möchte ich den Verantwortlichen den Fluchtweg verlegen.

    (Beifall.)

    Das ist für mich ein wesentlicher Grundsatz dieses Gesetzgebungswerks. Ich bin sehr glücklich, daß wir die Bundesregierung und den Herrn Bundesinnenminister davon überzeugen konnten und daß dieser Grundsatz, der in der vorigen Legislaturperiode aus dem Bundesrat gekommen ist, Aufnahme in die Regierungsvorlage gefunden hat. Ich bin keineswegs der Meinung, daß dadurch die Möglichkeiten, Gefahren zu bekämpfen, erschwert würden. Ein Ausschuß von 30 hier am Sitz der Bundesregierung anwesenden Mitgliedern des Parlaments oder beider Häuser ist genauso funktionsfähig wie das Kabinett, das ungefähr gleich groß ist.
    Nun zu der dritten Grundsatzfrage, die für mich fast die allerwichtigste ist: Wie gelangen die im Notstandsfall aus der Hand gegebenen Vollmachten, wie gelangen die Sondervollmachten wieder in die Hand des normalen Gewaltenträgers zurück? Da heißt es in dem Entwurf, daß das Parlament jederzeit zusammentreten und den Notstand für beendet erklären könne. So einfach ist das, glaube ich, nicht. Diese Frage bewegt mich deshalb so sehr, weil es in zwei Notstandsfällen der Weimarer Zeit, insbesondere in dem letzten, dem Parlament nicht gelungen ist, die aus der Hand gegebenen Vollmachten zurückzubekommen, sondern es der Hilfe des Auslandes und ausländischer Streitkräfte bedurfte, um in Deutschland wieder geordnete demokratische Verhältnisse herzustellen. Es ist schrecklich, das zu sagen, aber man muß es um der Wahrheit willen sagen, und man muß es sagen, um die Wichtigkeit dieser Frage: wie wird die Gleichgewichtslage zwischen den Trägern der Staatsgewalt wiederhergestellt?, zu betonen. Ich bitte Sie, versichert zu sein, daß wir uns im Rechtsausschuß darüber sehr den Kopf zerbrechen werden, ob die Bestimmungen in dieser Hinsicht genügen.
    Eine Lücke — ich halbe das dem Herrn Bundesinnenminister bereits in persönlichen Gesprächen gesagt — scheint mir der Entwurf aufzuweisen. In der Weimarer Verfassung, die man immer wieder als Vergleich heranziehen muß, war es so, daß der Regierungschef, der Reichskanzler, durch den Reichspräsidenten ernannt wurde, ohne daß er von irgendeinem Organ gewählt werden mußte. Ihm konnte vom Reichstag das Vertrauen entzogen werden. Dann konnte der Reichspräsident ihn entlassen; er konnte aber auch den Reichstag auflösen, und wie Sie wissen, hat er das auch getan. So etwas



    Hoogen
    Ähnliches sieht das Grundgesetz vor. Aber eines sieht das Grundgesetz nicht vor, und das sieht auch die Änderung des Grundgesetzes, wie sie Ihnen hier vorliegt, nicht vor: die Ernennung des Regierungschefs durch den Bundespräsidenten ohne vorherige Wahl durch den Bundestag oder — ich weiß nicht — eine andere Stelle; und das Grundgesetz sieht für die — wie es sich ausdrückt — Erledigung des Amtes des Regierungschefs, des Bundeskanzlers, jede Neuwahl des Bundestages oder jede andere Art der Erledigung — ich gebrauche die Worte des Gesetzestextes, die nicht sehr schön sind — „jede andere Art der Erledigung" als Beendigung des Amtes des Regierungschefs und damit, meine Damen und Herren, des gesamten Kabinetts vor. Mit der Erledigung des Amtes des Regierungschefs sind die Ämter aller Bundesminister mit erledigt, auch das Amt des Stellvertreters des Regierungschefs, den bekanntlich nach unserer Verfassung nicht der Bundespräsident ernennt, sondern den der Regierungschef aus der Zahl der Mitglieder der Bundesregierung selber ernennt und so oft auswechseln kann, wie er es für richtig hält.
    Meine Damen und Herren, man kann also nicht sagen, daß bei der Erledigung des Amtes des Regierungschefs im Notstandsfalle — in dem er in aller Regel auch Oberkommandierender der Streitkräfte ist — sein Vertreter die Geschäfte weiterführen könne. Nein; nach der geltenden Regelung des Art. 69 Abs. 3 des Grundgesetzes ist auch sein Amt mit erledigt. Natürlich kann der Herr Bundespräsident ihn bitten, die Geschäfte weiterzuführen. Aber glauben Sie — ich nehme an, Sie glauben es nicht —, daß in einem Notstandsfalle, im Falle der Existenzgefahr des Staates wir uns damit begnügen könnten, einen geschäftsführenden Regierungschef und einen geschäftsführenden — wenn überhaupt das Wort erlaubt ist — Oberkommandierenden der Streitkräfte zu haben? Den Ausdruck „Geschäftsführender Oberkommandierender der Streitkräfte" gibt es gar nicht. Zum mindesten würden, glaube ich, die Soldaten sich sehr dagegen verwahren, so etwas zu haben.
    Diese Frage, meine Damen und Herren, ist im Entwurf nicht geregelt, eine Regelung ist nicht vorgesehen, und wir werden uns zu überlegen haben, wer uns — verzeihen Sie, daß ich es etwas salopp ausdrücke — für den Fall des Ausfalls des Regierungschefs, des jeweiligen Regierungschefs, einen neuen Regierungschef bestellt. Der Bundespräsident kann es nach der derzeitigen Regelung nicht. Ich glaube, diese Frage aufzuwerfen, genügt einstweilen; über ihre Beantwortung werden wir uns noch den Kopf zerbrechen müssen.
    Eine weitere Frage, die mir unter dem Gesichtspunkt der Sicherung gegen Mißbrauch von Bedeutung zu sein scheint, ist folgende. Der Herr Bundesinnenminister hat selber davon gesprochen; er hat nur nicht die Konsequenzen für den Gesetzentwurf daraus gezogen; ich mache ihm daraus keinen Vorwurf. Ein alter Grundsatz des deutschen Verwaltungs- und seit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch des deutschen Verfassungsrechts ist der Grundsatz von der Verhältnismäßigkeit
    der Mittel, d. h. also der Grundsatz, daß der Staat, daß seine Behörden, daß seine Verfassungsorgane, daß seine Regierung, daß sein Parlament — so Bundesverfassungsgericht in vielen Urteilen — zur Erreichung bestimmter Erfolge keine kräftigeren Mittel anwenden sollen, als sie zur Erreichung dieser Erfolge notwendig sind, also immer das mildeste Mittel; und das ist nach Meinung der Herren Bundesverfassungsrichter gerichtlich nachprüfbar. Ich glaube auch nicht — aus den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers habe ich das jedenfalls gehört —, daß wir das ändern wollen. Wir könnten es auch gar nicht. Dieses verfassungsrechtliche Verbot des — verzeihen Sie, daß ich auch das jetzt wieder etwas salopp sage — Schießens mit Kanonen nach Spatzen — darauf läuft es hinaus — hätte ich gern noch in diese Regelung einbezogen. Sie wird dadurch noch um einen Buchstaben des Alphabets vermehrt, aber nicht komplizierter; keineswegs! Ich muß mich bei dieser Gelegenheit gegen diejenigen wenden, die sagen, das sei eine so komplizierte Regelung, in Weimar sei das doch sehr einfach gewesen, da habe man den Art. 48 gehabt — das war so ein abgeschriebener § 10 II 17 des Preußischen Polizeirechts —, und das habe also alles geklappt. Meine Damen und Herren, es hat nicht geklappt! Und der Art. 48 sah ein Ausführungsgesetz vor, ein Reichsgesetz. Das ist in Weimar nicht erlassen worden; und weil es nicht erlassen worden ist, schreiben wir es in die Verfassung hinein.

    (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

    Meine Damen und Herren, damit habe ich Ihnen in großen Zügen die Grundsätze vorgetragen, die, wie ich glaube, bei der Beratung des Gesetzentwurfs beachtet werden sollten. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, vor dem Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes meine Vorstellungen zu entwickeln, und habe bei dieser Gelegenheit mit manchen Herren darüber gesprochen. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß es uns gelingen wird, die Bedenken derjenigen, die an der Notwendigkeit zweifeln, auszuräumen.
    Ich glaube, wir in diesem Hohen Hause haben gar keine Veranlassung, die Bedenken der Presse zu entkräften; denn dieses Hohe Haus war es, das Mitte 1957 beim vierten Strafrechtsänderungsgesetz, seinerzeit, als die Bundeswehr gegen falsche Propaganda, gegen, wie es im Gesetz heißt, unwahre und gröblich entstellte Behauptungen geschützt werden mußte, bereit war und beschlossen hat — und seither ist es so geltendes Recht —, es wie folgt zu formulieren:
    Wer unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art, deren Verbreitung geeignet ist, die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören, wider besseres Wissen zum Zwecke der Verbreitung aufstellt . . .
    Meine Damen und Herren, das war damals die Meinung der überwiegenden Mehrheit, wenn nicht des ganzen Hohen Hauses, und diese Vorstellungen sind heute nicht entschwunden.
    Ich bin auch der Meinung, daß wir alle die Vorkehrungen, deren Anordnung wir für den Notstands-



    Hoogen
    fall durch dieses Gesetz ermöglichen wollen und die ja letzten Endes der Verteidigung unserer Freiheit dienen, nicht mit Maßnahmen einleiten sollten, die die freie Meinungsäußerung in einem Maße einschränken, das unerträglich wäre. Niemand denkt im Ernstfalle daran, aus militärischen oder sonstigen Sicherheitsgründen geheimzuhaltende Dinge an die große Glocke zu hängen. Aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß auch im Notstandsfall über politische Fragen gesprochen werden muß — nicht nur darf — und daß das nicht unterbunden werden soll. Ich bin auch sehr glücklich, daß ich von dem Herrn Bundesinnenminister Vorschläge gehört habe — ich nehme an, daß er sie mit dem Deutschen Presserat besprochen hat —, die zu verfolgen sich lohnt.
    Gestatten Sie mir, bevor ich zum Schluß komme, noch einen Hinweis auf eine, wie ich glaube, sehr glückliche Regelung des Entwurfs, nämlich die Beteiligung der Gemeinden, die Beteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände und die Einschaltung der Chefs der Verwaltungen der Gemeinden und Gemeindeverbände von — ich drücke es jetzt in der Ausdrucksweise der Länder der früheren britischen Zone aus — den Oberkreisdirektoren und Stadtdirektoren aufwärts. Ich halte das deswegen für sehr glücklich, weil ich mir die Mühe gemacht habe, einen mir nicht zugestellten, aber in meinem Besitz befindlichen Bericht des vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg berufenen Sachverständigenausschusses zur Untersuchung des Ablaufs der Flutkatastrophe zu studieren. Es lohnt sich, vor der Beratung dieses Gesetzentwurfs diesen sehr umfangreichen, aber auch sehr aufschlußreichen Bericht zu studieren, in dem, sehr gut verteilt, die Mängel und die guten Dinge aufgezeichnet sind, in dem aber zu lesen steht, daß in dem Notstandsfall damals die kleinen Stellen und kleinen Beamten auf der untersten Ebene eigentlich am besten funktioniert haben, obwohl sie keine Vollmachten hatten.

    (Beifall des Abg. Dr. Willeke.)

    Meine Damen und Herren, gewiß, die Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers — und ich fürchte, auch meine eigenen — haben Ihnen auch gezeigt, daß die Regelung der ganzen Angelegenheit nicht einfach ist. Wir wollen sie uns auch nicht einfach machen. Sie ist deswegen nicht einfach, weil wir in unserem Rechtsstaat das System der Grundrechte und die Kontrolle der Einhaltung dieser Grundrechte durch alle staatliche Gewalt, auch durch den Gesetzgeber, haben.

    (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)

    Das wollen wir nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen. Das Grundgesetz mißt diesen Grundrechten große Bedeutung bei. Es hat sie an die Spitze gestellt, während sie in der Weimarer Reichsverfassung hinten im Zweiten Hauptteil standen. Aber dieser Zweite Hauptteil der Weimarer Verfassung, in dem sie nicht so recht zum Zuge kamen — darüber sind sicherlich manche froh in unserem Staate, aber viele sehr unglücklich, daß es damals so war—, handelte nicht nur von den Grundrechten, wie das Grundgesetz — das halte ich nicht für sehr glücklich —, sondern sprach auch von den Grundpflichten der Deutschen. Neben den einfachen Pflichten des deutschen Staatsbürgers sprach die Weimarer Verfassung die Grundpflichten der Deutschen an. Das war, wie ich glaube, glücklicher als die heutige Sprache des Juristengrundgesetzes. Ich darf mir diese Kritik erlauben, weil ich selber zu dieser Zunft gehöre.
    Aber wir sollten auch berechtigt sein — und von diesem Rechte Gebrauch machen —, uns selbst und darüber hinaus das Volk daran zu erinnern, daß diese Grundpflichten im Notstande besonders groß sind. Diese Grundpflichten scheinen mir zu sein: einmal die Grundpflicht zur Wahrung und Rettung der Freiheit und zum zweiten die Grundpflicht zur Ermöglichung der Erfüllung dieser Pflicht zur Wahrung und Rettung der Freiheit, die Grundpflicht — wie ich mich ausdrücken möchte — zur Opferbereitschaft. Das können wir natürlich nicht in der Notstandsverfassung verordnen. Die politischen Parteien müssen es sich schon angelegen sein lassen, das Volk davon zu überzeugen, daß es gerade in solchen Zeiten nicht so sehr Forderungen an den Staat zu stellen hat, sondern zu Opfern für diesen Staat bereit sein soll, wie die Weimarer Reichsverfassung es, wie ich glaube, mit guten Gründen in diesem Teile, in dem sie die Grundrechte abhandelte, vorsah.
    Unter diesen Gesichtspunkten sollten wir jedenfalls — und dafür darf ich sprechen — im Rechtsausschuß den Gesetzentwürfen Priorität vor allen anderen einräumen; ich hoffe, daß wir die Beratung bis zum Beginn der Sommerpause noch sehr stark fördern, ich will mich etwas vorsichtig ausdrücken. Wir sollten, von diesen Gedanken beseelt, die ich vor Ihnen für meine Fraktion entwickeln durfte, die Beratungen im Rechtsausschuß beginnen und — wie ich hoffe — sehr bald zu einem guten Ende bringen, um Ihnen dann die Entwürfe zur zweiten und dritten Lesung wieder vorlegen zu können.

    (Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der SPD.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Friedrich Schäfer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident Meine Damen und Herren! Ich darf für die sozialdemokratische Bundestagsfraktion zu dem Gesetzentwurf über die Ergänzung des Grundgesetzes Stellung nehmen. Ich darf jedoch vorweg zu der Gesamtdarstellung, die der Herr Bundesinnenminister gegeben hat, eine Bemerkung machen. Wir haben von Anfang an, als wir Gespräche über die Frage der Notstandsgesetzgebung geführt haben, erklärt, daß für uns die Frage der Grundgesetzänderung nicht allein steht, sondern daß die gesamte Konzeption zur Debatte stehen muß, daß die 'gesamte Konzeption eine gemeinsame Billigung durch dieses Haus erfahren muß.
    Ich hätte es begrüßt, wenn in den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers nicht nur die Vorstellungen seines Ressorts vorgetragen worden wä-



    Dr. Schäfer
    ren und nebenbei 'diejenigen, die mit den Wirtschaftssicherungen zusammenhängen, sondern wenn z. B. auch die Vorstellungen über den Aufbau der territorialen Verteidigung vorgetragen worden wären, weil diese Fragen in unmittelbarem sachlichen Zusammenhang stehen und so zu dem Fragenkomplex gehören, daß man ihn nur beurteilen kann, wenn diese Frage mit zur Debatte steht. Wir meinen: so begrüßenswert es war, die Darstellung des Herrn Ministers hier zu haben, es bestehen doch noch große Lücken. Über diese Fragen sollte vor der Beratung im Rechtsausschuß Klarheit geschaffen werden, spätestens im Laufe der Beratungen im Rechtsausschuß — die wir nicht gehemmt sehen wollen, Herr Kollege Hoogen.
    Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß die Frage, über die wir uns hier unterhalten, als eine Frage der gesamtpolitischen Verantwortung des Bundestages betrachtet werden muß, nicht nur weil eine Zweidrittelmehrheit in diesem Hause notwendig ist, sondern weil es sich um Fragen des Schutzes und der Verteidigung unserer demokratischen freiheitlichen Grundordnung handelt. Diese Aufgabe ist uns allen gleich gestellt ohne Rücksicht darauf, ob wir zur Regierungsmehrheit oder zur Opposition gehören.
    Wir Sozialdemokraten haben uns mit diesen Gesetzen viel Mühe gemacht. Schon 1947 begann es, als Grundsätze über den Aufbau einer Verfassung für eine deutsche Republik aufgestellt wurden. Schon damals hieß es in den Richtlinien der Sozialdemokraten wörtlich:
    Die Verfassung darf keine Bestimmung über ein Notstandsgesetz enthalten, die es dem Parlament gestattet, sich der politischen Verantwortung zu entziehen.
    Hier wissen wir uns erfreulicherweise mit Ihnen einig, Herr Kollege Hoogen, und ich bin Ihnen besonders dankbar, daß Sie es in Ihren Darlegungen so deutlich betont haben. Nur meine ich, wenn ich nachher zur Prüfung der Gesetzesvorlage komme, daß dieser Fluchtweg eben doch noch offengehalten ist. Einerseits wollen wir diesen Fluchtweg für das Parlament verhindern, andererseits wollen wir verhindern — was Sie so plastisch dargestellt haben —, daß Vollmachten in falsche Hände kommen oder zwar in verfassungsmäßig vorgesehene Hände, aber das Zurückgehen der Vollmachten so außerordentlich schwer ist. Das sind zwei ganz entscheidend wichtige Punkte, in denen ich Übereinstimmung unserer Auffassungen feststellen darf. Ich möchte das an den Anfang meiner Ausführungen stellen.
    Wir sind uns einig darüber, daß wir, der Bundestag, an der Stelle ides Verfassungsgesetzgebers stehen. Die erste Aufgabe besteht darin, daß wir prüfen, ob die Notwendigkeit gegeben ist, die Verfassung zu ergänzen. Die Prüfung dieser Frage führt zur Bejahung. Eis war erfreulich, daß Sie, Herr Kolleg Hoogen, vorgetragen haben — sonst hätte ich es jetzt tun müssen —, daß in den deutschen Ländern sehr verschiedene Regelungen bestehen. Vielleicht ist es der genius loci, wie Herr Professor
    Schmid schon dazwischenrief, daß in Rheinland-Pfalz der Art. 48 praktisch weiterbesteht und in Hessen Entscheidungen nur mit Zweidrittelmehrheit eines Notparlaments oder des ganzen Parlaments getroffen werden können. Immerhin wird deutlich, daß die Überlegungen der Sozialdemokraten nicht von heute sind, sondern daß es grundsätzliche Überlegungen der Sozialdemokraten sind, die 1946 bis 1949 bei der Schaffung dieser Verfassungen gegolten haben und die unverrückt auch heute gelten.
    Wir haben es uns nicht leichtgemacht, meine Damen und Herren. Wir haben uns damit schon auf dem Parteitag 1960 in Hannover befaßt. Dieser Parteitag hat damals folgendes beschlossen:
    Die deutsche Sozialdemokratie bekennt sich mit allen anderen demokratischen Kräften dazu, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und die Freiheit ihrer Einwohner gegen alle äußeren und inneren Gefahren zu schützen. Sie ist daher bereit, die der Freiheit drohenden Gefahren unvoreingenommen zu erörtern und an denjenigen Maßnahmen mitzuwirken, die mit den Grundsätzen der Freiheit und des Rechtsstaats vereinbar sind.
    Wir sind auch in diesem Punkt einig, Herr Kollege Hoogen: daß eine rechtsstaatliche Verfassung keine Lücken haben darf. Diktaturen brauchen keine vollkommenen Regelungen. Eine rechtsstaatliche Verfassung muß — und dem darf der Verfassungsgesetzgeber nicht ausweichen — auch für die schwierigsten Belastungen klare Vollmachten, klare Verantwortung, klare Kontrollen schaffen. Der Verfassungsgesetzgeber muß aber gleichzeitig mit dem notwendigen harten Mißtrauen an die Regelung dieser Fragen herangehen. Denn man macht ja diese Regelung nicht für heute oder morgen, sondern für eine Zeit mit politischer Konstellation oder für Leute, die wir alle heute nicht kennen und die wir nicht einschätzen können. Diese Regelung gilt in zehn Jahren, sie gilt in fünfzehn Jahren. Wir alle hoffen, daß sie nie praktiziert werden muß. Das Hoffen, daß sie nicht praktiziert werden muß, entbindet uns nicht von der Verpflichtung, das Erforderliche zu tun.
    Wir haben eine Notstandsregelung — ich darf Sie nur noch einmal daran erinnern —, die uns allen miteinander, so nehme ich an, nicht gefällt, den Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages, der die Bundesrepublik in dieser kritischen Situation in die Lage versetzen würde, in der Durchführung für das deutsche Volk entscheidend wichtiger Maßnahmen von drei Verbündeten abhängig zu sein.
    Die Möglichkeit, diese globalen Vollmachten abzulösen, sollte man ergreifen, globale Vollmachten, die, wie die Regelung in Art. 5 gestaltet ist, doch sehr wahrscheinlich von Militärs wahrgenommen würden. Solche globalen Vollmachten sind nicht die geeigneten Regelungen zum Schutze einer freiheitlichen demokratischen Ordnung.
    Wir halten es auch für sehr bedenklich, wenn da und dort die Ansicht geäußert wird, es sei doch möglich, daß die Alliierten diese Rechte auf die



    Dr. Schäfer
    Bundesregierung übertrügen. Ich möchte sagen: dann wäre es wahrscheinlich noch schlechter. Denn wenn eine deutsche Bundesregierung auf Grund alliierten Rechtes in Deutschland mit solchen Vollmachten regieren wollte, würde sie sich in Gegensatz zum Grundgedanken unserer Verfassung setzen.
    Gerade Vorgänge der letzten Monate zeigen, daß man diese Fragen gewissenhaft und sauber regeln muß, so, daß ein möglicher Schritt vom Wege auch offenkundig wird. Es ist immer noch beängstigend für mich und meine Freunde, daß der Verfassungsminister, der soeben diese Gesetzesvorlagen begründet hat, von diesem Platz aus Maßnahmen als „etwas außerhalb der Legalität" selber zugeben mußte und sie verteidigt hat. Die Bedenken, die wir vor zwei Jahren hier gegen den damaligen Entwurf vorgetragen haben, werden heute in der deutschen Bevölkerung und, wie ich sehe, auch in diesem Hause ernster genommen, weil man in der Zwischenzeit gesehen hat, was man sogar dann tun kann, wenn Gesetze bestehen; was könnte man erst tun, wenn man globale Vollmachten hätte und gar solche, deren Ausübung und Inanspruchnahme man gar nicht gegenüber dem Parlament vertreten muß, sondern die von alliierter Seite kommen!

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Wir müssen eine saubere, dem Gedankengut unseres Grundgesetzes entsprechende Regelung haben, eine Regelung, die den Schritt vom Wege auch deutlich macht und bei der ein Schritt vom Wege uns allen den Anlaß gibt, dieses eventuell dann verletzte Recht zu verteidigen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Eine solche Regelung ist um so zuverlässiger, je gewissenhafter wir sie machen. Wir dürfen nicht außer acht lassen, daß sie praktikabel sein muß. Eine nichtpraktikable Regelung — da bin ich mit Ihnen, Herr Minister, einig — ist so schlecht wie keine Regelung, vielleicht noch schlechter.
    Wir wollen auch nicht — wir haben das schon früher zum Ausdruck gebracht —, daß eine Regierung aus Pflichtbewußtsein übergesetzliche Notstandsvorstellungen glaubt für sich in Anspruch nehmen zu müssen; denn das wäre genauso schlecht. Deshalb sind wir der Auffassung, daß die Frage der Ergänzung des Grundgesetzes geregelt werden muß. Die Sozialdemokraten haben es dankbar begrüßt, daß der Herr Bundesinnenminister Höcherl, nachdem der frühere Entwurf des Herrn Schröder vom Tisch war, Anfang letzten Jahres die Fraktionen zu Gesprächen eingeladen hat. Wir haben einige Verhandlungen geführt. Wir finden Anregungen von uns in diesem Gesetzentwurf wieder; einige Anregungen, die uns sehr wichtig sind, finden wir hier nicht wieder. Ich werde nachher darauf eingehen. Die Verhandlung allein, die damals geführt wurde, konnte nicht so weit gehen, daß man von einer Stellungnahme der Sozialdemokratischen Partei sprechen konnte; denn die drei Beauftragten der SPD-Fraktion kannten ja nicht den Gesetzentwurf, wie er im Endergebnis diesem Hause vorliegt. So sind wir erst heute das erste Mal in der Lage, offiziell zu diesem nun dem Hause vorgelegten Gesetzentwurf Stellung zu nehmen.
    Ich habe soeben schon gesagt, daß wir die Gesamtverantwortung des Bundestages anerkennen, daß wir bereit sind, darüber zu verhandeln, welches der beste Weg ist. Die Sozialdemokratische Partei hat in Erkenntnis der besonderen Bedeutung dieser Frage auf ihrem letzten Parteitag in Köln im Mai des vergangenen Jahres das Problem der Notstandsgesetzgebung behandelt. Wir haben auf diesem Parteitag Grundsätze, die schon vorher, im März, veröffentlicht waren, in sieben Punkten gegen ganz wenige Stimmen beschlossen. Wir freuen uns, daß schon die erste Veröffentlichung dieser sieben Punkte im März 1962 über unseren eigenen politischen Kreis hinaus Anerkennung gefunden hat, daß wir damals auch anerkennende Stimmen aus den Reihen der CDU/CSU und FDP bekommen haben, anerkennende Stimmen, die uns die Hoffnung geben, daß wir uns bei dem Fortgang der Verhandlungen über diese Grundsätze, ich will nicht sagen, einigen können, aber daß Sie mit uns darin einig sind, daß diese Grundsätze Berücksichtigung finden müssen. Ich sagte vorher, wir hoffen, daß diese Notstandsregelung nie in Kraft tritt. Das ist nur dann möglich, wenn wir täglich, wenn wir immer eine Politik betreiben, die die Gefahren des Eintritts eines solchen Notstands auf ein Mindestmaß begrenzt. Wir müssen uns aber auch darüber klar sein, daß man den Staat mit einer Notstandsgesetzgebung im Endergebnis nicht verteidigt, sondern daß es darauf ankommt, daß wir heute und jetzt und täglich diesen Staat verteidigen, daß wir uns gegen alle verfassungsfeindlichen Kräfte ständig zur Wehr setzen und nicht gewisse Kräfte wachsen lassen, die eines Tages eine Gefahr für unsere demokratische Grundordnung darstellen können. Das Bekenntnis zu dieser ständigen Aufgabe ist, so hoffen wir, ebenfalls eine Angelegenheit des ganzen Hauses.
    Ich darf nun zur Betrachtung des Gesetzentwurfs übergehen und zunächst folgendes sagen.
    Die Ergänzung des Grundgesetzes ist, wie ich vorhin schon sagte, nur in der im Grundgesetz selbst vorgesehenen Weise möglich. In Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes sind einige Grundsätze aufgezählt, die nach der ausdrücklichen Bestimmung des Grundgesetzes unabänderlich sind, deren Änderung wir nicht einmal einstimmig beschließen könnten.
    Der erste dieser unabänderlichen Grundsätze ist der Grundsatz, der in Art. 1 des Grundgesetzes seinen Niederschlag gefunden hat. Die Unabänderlichkeit bezieht sich nicht nur auf den ersten Absatz des Art. 1, der die Würde des Menschen als unantastbar erklärt, sondern auch auf den dritten Absatz, in dem es heißt:
    Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
    Unabänderlich ist auch der Grundsatz des Art. 20 des Grundgesetzes. Die Väter ides Grundgesetzes hatten Anlaß zu dieser Regelung. In Art. 20 des Grundgesetzes ist die Dreiteilung der Gewalten in Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung vorgesehen.
    Wir meinen, daß diese Regelung einer der Ausgangspunkte bei der Prüfung der Frage sein muß,



    Dr. Schäfer
    welcher Weg gangbar ist, um den unabänderlichen Grundsätzen des Grundgesetzes gerecht zu werden und den Mißbrauch auszuschließen. Ich werde auf diese Grundsätze im einzelnen zurückkommen.
    Es entspricht einer Anregung unsererseits, daß der Entwurf unterscheidet zwischen dem Zustand der äußeren Gefahr, dem Zustand der inneren Gefahr und dem drohenden Verteidigungfall. Hier müssen wir uns jedoch einiges vergegenwärtigen. Wenn wir tatsächlich angegriffen werden, wenn hier Bomben fallen, so ist dieser Fall bereits in Art. 59 a des Grundgesetzes geregelt; es handelt sich dann um die Feststellung des Verteidigungsfalles. Wir haben auch keine Bedenken dagegen, daß für einen solchen Fall, wenn hier also tatsächlich unmittelbar angegriffen wird, im Grundgesetz
    — wie es in Art. 115 h des Entwurfs vorgesehen ist — bestimmt wird, daß damit der Zustand der äußeren Gefahr gegeben ist. Das ist nicht eine Frage der Entscheidung, sondern das ist nur eine Frage der reinen Feststellung der Tatsache, daß wir angegriffen sind. Das ist nicht die politische Entscheidung.
    Die schwierige und wahrscheinlich gefährlichste politische Entscheidung liegt in der Feststellung eines drohenden Angriffs. Es heißt in dem Entwurf
    — Art. 115 a Abs. 1 —: ,,. . ., wenn das Bundesgebiet . . . angegriffen wind oder ein solcher Angriff droht." Meine Damen und Herren, die Entscheidung darüber, ob ein solcher Angriff droht, die Entscheidung darüber, ob ein Verteidigungsfall, eine Spannungszeit — oder welche Ausdrücke dafür gebraucht werden — droht, das ist die gefährlichste, die folgenreichste Entscheidung, die man überhaupt treffen kann. Das hat man früher einmal Mobilmachung geheißen. Das gibt eine Kettenreaktion, die außerhalb unseres Machtbereiches liegt und die wir nicht mehr einfangen können. Die Feststellung des drohenden Verteidigungsfalles ist die gefährlichste politische Entscheidung, und Sie werden verstehen
    — ich nehme an, Sie sind mit uns einig —, daß wir hier noch einige Bemerkungen anknüpfen.
    In Abs. 3 des Art. 115 a in der Fassung des Entwurfs heißt es:
    Bei Gefahr im Verzuge steht die Befugnis zur Feststellung gemäß Absatz 1 auch dem Bundespräsidenten mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers zu; . . .
    In der Begründung können ,wir nachlesen, was die Bundesregierung hier heute sogar für möglich hält. In der Begründung, Seite 9, sagt die Bundesregierung zum Eintritt des drohenden Verteidigungsfalles wörtlich:
    Bei der zweiten Alternative ist in erster Linie an offenkundige internationale Spannungszustände gedacht, die einen solchen Grad erreicht haben, daß mit einem alsbaldigen bewaffneten Angriff eines fremden Staates oder einer fremden Regierung auf das Bundesgebiet gerechnet werden muß.
    Und jetzt kommt das Entscheidende:
    Die zweite Alternative wäre aber auch dann als
    erfüllt anzusehen, wenn auf Grund nachrichtendienstlicher oder anderer geheimer Quellen, die den vorliegenden Erfahrungen nach als zuverlässig gelten können, ein bewaffneter Angriff eines fremden Staates oder einer fremden Regierung auf das Bundesgebiet als unmittelbar bevorstehend erscheint oder wenigstens ernstlich mit einem solchen Ereignis gerechnet werden muß, auch ohne daß eine für alle Welt offenkundige internationale Spannung zu bestehen braucht.
    Meine Damen und Herren, wenn eine solche Lage gegeben ist, vermögen wir nicht einzusehen, daß dann keine Möglichkeit mehr bestehen soll, die Entscheidung des Parlaments anzurufen, des Parlaments oder des Notparlamentes.

    (Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Das ist doch die zweite Alternative!)

    — Nein, Herr Kollege Weber, in Abs. 3 wird dieses Recht auch für die zweite Alternative dem Bundeskanzler und dem Bundespräsidenten gegeben. Darauf bezog sich eben meine Bemerkung, und ich nehme an, daß Sie mit mir die Sorge und die Auffassung teilen, daß in einem solchen Fall gar keine sachliche Notwendigkeit besteht, die enorm gefährliche politische Entscheidung allein von Bundespräsident und Bundeskanzler fällen zu lassen. Ich habe das zitiert; ich brauche darauf nicht mehr einzugehen. Ich komme aber später noch einmal darauf zurück.
    Es entspricht einer weiteren Anregung der sozialdemokratischen Fraktion, ein Notparlament vorzusehen. Es ist denkbar, daß dieses Haus im ganzen nicht aktionsfähig ist. Man wird sich darüber unterhalten müssen, wie dieses Notparlament aussehen soll. Sicher aber wird man diesem Notparlament ein eigenes Versammlungsrecht geben müssen. Man wird die Geschäftsordnung, von der hier die Rede ist, gleichzeitig beraten müssen, und man wird sie so gestalten müssen, daß dieses Notparlament aus eigenem Recht tätig werden kann, ohne davon abhängig zu sein, ob die Regierung, wie es nach Abs. 1 möglich wäre, dieses Parlament anruft.
    Nun zu der Frage der Parlamentsbeschlüsse gemäß Art. 115 a des Grundgesetzes, sei es des Bundestages, sei es des Notparlaments. Der Entwurf sieht die einfache Mehrheit vor. Meine Damen und Herren, die einfache Mehrheit ist in diesem Fall nicht die richtige Mehrheit. Hier kommt es nicht darauf an, mit der Regierungskoalitionsmehrheit, über die die Regierung bei normalen Gesetzen in diesem Hause verfügt, nun so entscheidende Eingriffe in den Verfassungzustand vorzunehmen, sondern hier kommt es darauf an, über diese einfache Regierungsmehrheit hinaus eine Gesamtverantwortung dieses Hauses zu schaffen. Diese Gesamtverantwortung ist nur möglich, wenn man hier institutionell ausdrücklich eine Zweidrittelmehrheit vorsieht.

    (Beifall bei der SPD.)

    Diese Zweidrittelmehrheit brauchen wir nicht nur, um zu bremsen. Wir brauchen sie auch, um zu kontrollieren, ob diese nächsten Schritte notwendig sind, ob man denn nicht tatsächlich andere Wege



    Dr. Schäfer
    finden kann. Wir brauchen sie aber auch, um von vornherein eine breite Basis für das zu schaffen, was möglicherweise in einer so enormen Belastungsprobe vor unserem Volk stehen würde. Und nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich heute, unmittelbar nach diesem Vorkommnis von gestern abend, mich nicht enthalten kann, zur einfachen Mehrheit zu sagen: Sie haben gestern hier ein Beispiel dafür gegeben, daß ein einzelner Minister sich dieser Regierungs-, dieser Parlamentsmehrheit bedienen kann, selbst wenn es blanker Unsinn ist.

    (Heiterkeit und lebhafter Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Weber [Koblenz] : Oder sich gegen bestehende Mißstände verwahren muß! — Zuruf von der SPD: Das ist der Stil! — Abg. Dr. Stecker: Was Sie für blanken Unsinn halten!)

    — Ganz richtig, deshalb sage ich es hier, Herr Kollege Stecker.

    (Abg. Dr. Stecker: Und dadurch ist es qualifiziert!)

    Sehen Sie, die einfache Mehrheit — bleiben wir bei diesem Beispiel — ist eben keine tragbare Basis für staatspolitisch ausschlaggebende, schwere Entscheidungen. — Sie ist es nicht, Herr Kollege Stoltenberg. Ich glaube, wenn Sie es nüchtern betrachten, werden Sie mit uns zur Feststellung kommen — auch in Ihrem Interesse, meine Damen und Herren —: Hier ist ein Gesamtanliegen; wir jedenfalls betrachten es so.
    Da gibt es Überlegungen, die an englische Beispiele anknüpfen. Man erwägt — wie man das in die Verfassung hineinbringt oder wie man das überhaupt regelt, wollen wir einmal dahingestellt sein lassen —, vorzusehen, daß, ehe man einen solchen Beschluß faßt, das Staatsoberhaupt den Regierungschef, die Parlamentspräsidenten und die Partei- und Fraktionsvorsitzenden zu sich bittet, um zu überlegen, was nun wirkungsvoll im gemeinsamen Interesse und in gemeinsamer Verantwortung getan werden kann. Das darf sich nicht nur auf die Gesetzungskompetenz hier in diesem Hause beschränken, sondern das muß sich möglicherweise auch auf Überlegungen erstrecken, die die Einwirkung auf die Spitzen der Exekutive zum Inhalt haben.

    (Abg. Erler: Sehr richtig!)

    Wir haben doch noch im Ohr, wie von dieser Stelle aus der frühere Innenminister mit Nachdruck den Standpunkt vertrat: Das ist die Stunde der Exekutive; und es ist noch gar nicht lange her, daß ein hoher Beamter des Innenministeriums den Standpunkt vertrat: Letztlich kommt es dann doch auf die Exekutive an.
    Meine Damen und Herren, das zeigt doch uns allen, daß man offensichtlich noch nicht überall erkannt hat, wie die Lage ist. Ich habe das Fernsehinterview, Herr Minister Höcherl, das Sie gegeben haben — morgen ist es ein Jahr her —, noch einmal nachgelesen. Ich darf erfreut feststellen, daß sich Ihre heutige Rede wesentlich von Ihrer damaligen Vorstellung unterscheidet. Ich hoffe nur, daß es auch tatsächlich ein Fortschritt ist und daß es sich hier nicht nur um die Begründung einer Vorlage handelt. In diesem Fernsehinterview wurden noch Gedanken vertreten, die uns wirklich geschreckt haben, und ich glaube, daß niemand aus diesem Hause sich diese Gedanken zu eigen machen darf.
    Wir meinen also, daß dieser Art. 115 a anders aussehen müßte. Herr Kollege Hoogen, es ist vielleicht Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß in Abs. 5 am Schluß, beinahe so nebenbei, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erwähnt ist. Das ist zu wenig. Ich teile Ihre Bedenken, und wir meinen, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als ein entscheidender Grundsatz herausgestellt werden muß. Es heißt richtig:
    Von diesen Befugnissen darf nur zu dem Zweck Gebrauch gemacht werden, die Gefahr abzuwehren.
    Einverstanden! Aber dieser Grundsatz — er gilt zwar, kann man sagen, allgemein — muß hier so deutlich gemacht werden, daß die Nachprüfbarkeit durch das Parlament gegenüber dem Notparlament, gegenüber dem Verfassungsgericht, vom Verfassungsgericht her einwandfrei geklärt ist. Ich glaube, daß wir das in den Ausschußberatungen dementsprechend ändern werden.
    Ich darf zu Art. 115 a also sagen: die Feststellung bedarf nach unserer Auffassung der Zweidrittelmehrheit. Hinsichtlich der Zusammensetzung dieses Notparlaments gehen wir davon aus, daß es, soweit der Bundestag beteiligt ist, nach dem d'Hondtschen Verfahren zusammengesetzt sein sollte. Die Geschäftsordnung muß ebenfalls geklärt sein. Auch dort, meinen wir, muß Zweidrittelmehrheit vorgesehen werden. Wir halten es nicht für möglich, daß die Bundesregierung aus anderen Gründen als denjenigen, die mit Art. 115 h oder mit Art. 59 a zusammenhängen würden, ihrerseits eine Feststellung treffen kann, die die Feststellung des Zustandes der äußeren Gefahr bringt.
    In Art. 115 b sind in einem Katalog diejenigen Grundrechte aufgezählt und die Probleme behandelt, die in diesem Falle einer Regelung bedürfen. Einverstanden, daß man die Frage prüfen muß, inwieweit die Zuständigkeitsregelung des Grundgesetzes hier voll gelten soll, d. h. wie die Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern geregelt sein soll. Aber, Herr Minister, ich glaube nicht, daß die Zuständigkeit des Bundes eingeengt wird, wenn man von vornherein sagt, daß der Bund auch die Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet der Sicherheit und Ordnung haben soll. Ich nehme doch nicht an, daß man in das Schulwesen glaubt eingreifen zu müssen oder in das Fürsorgewesen eingreifen will. Ich glaube, daß es vollkommen ausreichen würde, die Zuständigkeitsregelung des Art. 115 b auf dieses Gebiet zu beschränken.
    Die Zuständigkeitsregelung des Art. 115 b im Zusammenhang mit Art. 115 c Abs. 2 gibt nun zu folgender Bemerkung Anlaß. Hier ist ganz ordnungsgemäß, so scheint es, zunächst auf der Zuständigkeit des Bundestages aufgebaut: wenn der Bundestag



    Dr. Schäfer
    nicht handeln kann, dann soll dias Notparlament handeln. Dann kommt in Art. 115 c Abs. 2 die Regelung, daß, wenn alle miteinander nicht oder nicht rechtzeitig handeln können — meine Damen und Herren, da kommen wir zu einem ganz schlimmen Kapitel —, die Bundesregierung ein Notverordnungsrecht haben soll. Prüfen Sie diese Dinge einmal nach, und Sie kommen zu einer sehr sonderbaren Auffassung der Bundesregierung. Die Bundesregierung sagt in Art. 115 a, daß, wenn vom Bundestag ein rechtzeitiger Beschluß nicht gefaßt werden könne, ein Notparlament an seine Stelle trete. Der Bundesrat hat dazu Stellung genommen und gemeint, so wie die Formulierung sei, könne es sein, daß der Bundestag versammelt sei und trotzdem kein rechtzeitiger Beschluß zustande komme. Die Bundesregierung — das ist nun das aufschlußreichste — sagt dazu, es könne noch viel schlimmer sein. Sie sagt nämlich:
    Es läßt sich jedoch nicht übersehen, ob nicht
    auch andere Umstände einen bereits zusammengetretenen Bundestag oder Bundesrat an
    der Beschlußfassung hindern können. Eine zu
    enge Fassung sollte daher vermieden werden.
    Da sind wir wieder bei dem Entwurf des früheren
    Innenministers Schröder. Die Folgerungen lauten
    folgendermaßen: Es können doch so geheime Nachrichten vorliegen, daß es gar nicht möglich ist, sie
    einem so großen Gremium vorzulegen; dann kann
    dieses große, an und für sich zuständige Gremium,
    also der Bundestag, auch keinen rechtzeitigen Beschluß fassen, weil wir ihn nicht informieren können, obwohl er vielleicht sogar zusammengetreten
    sein kann — so heißt es hier —, und dann muß die
    Bundesregierung von sich aus das Recht haben.
    Meine Damen und Herren, das können wir nicht so
    regeln. Wenn das der Fall sein sollte, müßte der
    Vertreter der Bundesregierung vor den zusammengetretenen Bundestag treten und erklären: Wir können euch nicht im ganzen informieren, erteilt dem
    Notparlament die notwendigen Vollmachten, wir
    werden dem Notparlament alles auf den Tisch legen.
    Wenn das Notparlament — ungefähr in der Größe eines Kabinetts — nicht geheime Dinge behandeln kann, meine Damen und Herren, mit wem wollen wir es denn dann im Parlament tun? Wollen Sie bei der prominenten Besetzung, die ein solches Notparlament von allen Seiten erhält, im Ernst davon ausgehen, es sei dann nicht so besetzt, daß man es mit geheimen Nachrichten versehen könnte? Die Regelung in dieser Weise ist unerträglich.

    (Beifall bei der SPD.)

    Man wird die Zuständigkeit der Länder regeln müssen. Man wird dabei auch die Frage regeln müssen, inwieweit — ich habe jetzt die Buchstaben e und f des Abs. 2 des Art. 115 b im Auge — ein sehr harter Eingriff in die Verwaltungsorganisation und vielleicht sogar in die Finanzhoheit erfolgen muß. Das läßt sich wahrscheinlich nicht umgehen. Es ist erfreulich, daß auch der Bundesrat, wie aus seiner Stellungnahme hervorgeht, die eventuell auftauchende Notwendigkeit erkannt hat.
    Es gibt aber hier einige Fragen, die uns nicht nur im Ausschuß beschäftigen dürfen, sondern zu
    denen wir in diesem Hause in aller Öffentlichkeit Stellung nehmen müssen. Da ist zunächst Buchstabe a des Abs. 2 des Art. 115b zu erwähnen, worin der Art. 5 im ganzen genannt wird. Wir werden dazu noch Stellung nehmen. Die Frage der Pressefreiheit taucht da auf. Aber auch die Lehrfreiheit, die Meinungsfreiheit und die Forschungsfreiheit fallen unter Art. 5, der in dem Gesetzentwurf unbegrenzt genannt wird.
    Ferner wird Art. 8 genannt, der die Versammlungsfreiheit betrifft. Was da zu regeln ist, kann man in einem normalen Gesetz regeln, wenn es einer Regelung bedarf. Und wer soll uns denn daran hindern, ordnungsgemäß, soweit es erforderlich ist, das Versammlungsgesetz zu ergänzen?
    Auch Art. 9 wird genannt. Das ist mir ein bißchen geheimnisvoll, daß man dazu in der Begründung sagt, man brauche den Art. 9, um eventuell gewerbliche Betriebe zur Gemeinschaftsproduktion zusammenschließen zu können. Ich habe es bis heute nicht begriffen, warum man hier den Art. 9 braucht, wenn man ein Wirtschaftssicherstellungsgesetz hat, auf Grund dessen man Produktionsauflagen machen und Produktionsverteilungsweisungen erteilen kann. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum der Art. 9 hier genannt ist.

    (Abg. Dr. Weber können; dafür muß doch die Ausnahme vorgesehen werden!)

    — Entschuldigen Sie,. wenn wir das Wirtschaftsicherstellungsgesetz jetzt verabschieden, sind ja die Gesetze nicht in Kraft; dann müssen wir es ja außerhalb — —

    (Abg. Dr. Weber — Nein, entschuldigen Sie, Herr Kollege Weber, darf ich Ihnen vorlesen: a)


    (2) Durch Bundesgesetz können

    Das heißt, wenn der Zustand der äußeren Gefahr festgestellt ist, können solche Gesetze erlassen werden. Das sind nicht die Gesetze, die wir jetzt erlassen; die werden nicht auf Grund einer Sonderbestimmung hier erlassen, sondern auf Grund der bestehenden Grundgesetzregelung.

    (Abg. Dr. Weber nicht vornehmen!)

    — Das ist ein Irrtum Ihrerseits; Sie werden ihn selber erkennen.
    In Art. 9 Abs. 2 heißt es, daß verfassungsfeindliche Organisationen verboten sind. Also wollen Sie irgendwelche erlauben, wenn Sie den Art. 9 Abs. 2 aufheben?
    Erfreulich ist, daß der Abs. 3 des Art. 9 nicht mehr genannt ist. Es hat doch sehr viel Vergiftung geschaffen, daß in dem Schröderschen Entwurf ausdrücklich — und in der Begründung noch besonders



    Dr. Schäfer
    — die Möglichkeit des Verbots der Gewerkschaften vorgesehen war. Das war unmöglich! Erfreulicherweise ist das hier heraus.
    Die nächste Frage ist die der Inanspruchnahme der Bürger über das übliche Maß hinaus. Die Frage der Arbeitsplatzinanspruchnahme bei Notständen wird einer sehr gewissenhaften Prüfung bedürfen.
    Aber ernste Bedenken, meine Damen und Herren, bestehen dagegen, die Verfassungsergänzung von 1956, die das Verbat des Einsatzes von Frauen im Rahmen der Streitkräfte vorsah, nun praktisch wieder aufzuheben. Das wird nicht gehen. Man wird diese Frage ernsthaft prüfen müssen. Wer ;bei der Bundeswehr eintritt und dort Dienst tut, kann nicht einfach über Nacht davonlaufen; das wird nicht möglich sein. Aber eine Verpflichtung von Frauen zur Dienstleistung im Rahmen der Streitkräfte, meine Damen und Herren, werden Sie nicht wollen. Dann müssen Sie abgrenzen, was Sie unter „Streitkräften" verstehen, und festlegen, ob z. B. die Wehrbezirkskommandos oder Verwaltungsstellen gemeint sein sollen; bei diesen wird man zweifellos darüber reden können.
    Wir sind angenehm berührt, daß in Buchstabe d die früheren Bemühungen, eine Polizeivollmacht zu schaffen, nicht wieder auftauchen.

    (Zustimmung bei der SPD.)

    Das Grundgesetz sagt ja, daß die Polizei aus eigenem Recht bis zum Ende des nächstfolgenden Tages jemanden festhalten kann. Das Recht, daß das der richterlichen Nachprüfung unterworfen ist, ist hier erhalten. Die Frage ist, wie lange die Polizei jemanden festhalten darf, ob bis morgen abend, ob 48 Stunden, ob — ohne uns festzulegen — vielleicht auch 72 Stunden. Diese Frage wind nach Anhörung von. Sachverständigen entschieden werden müssen. Aber das Grundrecht selber darf nicht angetastet werden. Das ist für uns ein ganz entscheidender Punkt.
    Nun kommt aber eine besondere Sache in diesem Entwurf. Bis jetzt heißt es: Der Bundestag, das Notparlament ...; jetzt kommt: „Die Bundesregierung kann". Nicht das Notparlament, nicht der Bundestag, sondern die Bundesregierung kann die gesamten Polizeikräfte des Bundes und der Länder sich unterstellen, die Streitkräfte auch im Innern für polizeiliche Aufgaben einsetzen und sie einem Beauftragten unterstellen. Sie kann sich sogar die ganze Verwaltung unterstellen und dafür einen Beauftragten bestimmen. Das würde also bedeuten: Mit der Feststellung des Zustandes der äußeren Gefahr — worüber im entscheidendsten, kritischsten und wichtigsten Fall nach dem Entwurf der Herr Bundespräsident und der Herr Bundeskanzler entscheiden würden — könnte die Bundesregierung für das Land Nordrhein-Westfalen einen Generalbeauftragten bestellen, dem die gesamten Polizeikräfte unterstellt sind und der nach seinem Ermessen für polizeiliche Zwecke, soweit er sie sieht, Polizei und Streitkräfte einsetzen kann. Darüber hinaus könnte die Bundesregierung für das Land Nordrhein-Westfalen einen Bundesstatthalter schlechten Angedenkens bestellen, ihm die ganze Landesregierung unterstellen und ihm unmittelbare Rechte geben,
    etwa die, jedem Bürgermeister, jedem Landrat direkte Weisungen zu erteilen. Das können Sie doch im Ernst nicht wollen. Dazu besteht auch keine ernsthafte Veranlassung.
    Oder soll man die Begründung politisch lesen, Herr Minister? Sie sagen, Sie könnten die Anregung — —

    (Abg. Dr. Stoltenberg: Bei manchen Formulierungen denkt man, wir lebten im 18. Jahrhundert!)

    — Ich bewundere Ihr gutes Gedächtnis; aber es täuscht Sie offensichtlich. Ich kenne die Reden, die früher gehalten worden sind.

    (Erneuter Zuruf des Abg. Dr. Stoltenberg.)

    Kommen Sie nicht mit solchen lächerlichen Zitaten, wenn es um hochpolitische wichtige Dinge geht; das enttäuscht!

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Bundesinnenminister, in Ihren Bemerkungen zur Stellungnahme des Bundesrates ist einiges enthalten, was zu Bedenken Anlaß gibt. Der Bundesrat hatte gefragt: Warum wollt ihr dann nicht den Ministerpräsidenten des Landes, der von dem dortigen Landtag gewählt worden ist, zum Beauftragten bestellen? Da sagen Sie, es könne ja sein, daß das kein geeigneter Mann sei, daß vielleicht ein früherer Bundesminister — wahrscheinlich denken Sie an Herrn Strauß — oder ein früherer Landesminister der geeignete wäre, und Sie müßten das bestimmen können. Überlegen Sie, was das heißt, daß Sie bestimmen wollen — abweichend von dem zuständigen Landtag —, wer die Bundesgesetze, für deren Vollzug nach Art. 83 des Grundgesetzes die Länder zuständig sind, vollzieht. Nach dem Grundgesetz und nach den Länderverfassungen tun das die gewählten Landesregierungen mit ihrer Landesverwaltung. Sie können doch unmöglich auf die Idee kommen, nun eine Landesregierung einfach beiseite zu schieben und irgendeinen Staatssekretär oder irgendeine andere Person — es heißt ja auch: Personen — hinzuschicken und dort zum Bundesstatthalter zu machen.
    Das ist keine Regelung, Herr Minister; das muß anders gemacht werden. Man wird nach einem Weg suchen müssen, damit die Bundesregierung ähnlich wie bei der Auftragsverwaltung, wo sie ein Weisungsrecht hat, auch beim Vollzug anderer Gesetze ein Weisungsrecht hat, aber ein Weisungsrecht gegenüber den legitimen, verfassungsmäßig zustande gekommenen Stellen in dem betreffenden Land. Das sind die von den Landtagen gewählten Ministerpräsidenten und Regierungen, aber nicht Ihr Generalbevollmächtigter. Wir glauben, daß man eine solche Regelung nicht vorsehen kann, sondern zu einer ganz anderen Form kommen muß.
    Es ist richtig, zu überlegen, ob die Konzentration der Kräfte gegebenenfalls gar nicht möglich ist, weil die Zentrale ausfällt. Man wird also auch den Aufbau von unten her überlegen müssen. Sie haben das in Ihrem Entwurf in Art. 115 f vorgesehen. Das ist richtig. Aber Sie haben gleichzeitig vorgesehen, daß das Notverordnungsrecht, das Sie für die Bun-



    Dr. Schäfer
    desregierung in Anspruch nehmen wollen und das wir Ihnen nicht geben wollen und nicht geben dürfen, auch auf Ministerpräsidenten, auch auf Regierungspräsidenten, auch auf Landräte delegiert werden kann. Dazu besteht gar keine Notwendigkeit. Lassen Sie doch einen Augenblick einmal uns vergegenwärtigen, daß die vollziehende Gewalt nach Art. 20 des Grundgesetzes ihre eigene, ihr zustehende Aufgabe hat, die darin besteht, die bestehenden Gesetze, diese große Zahl von bestehenden Gesetzen, zu vollziehen. Von vielen Bestimmungen wird Jahrzehnte hindurch kein Gebrauch gemacht; aber wenn es sein muß, werden diese Vollmachten, die gleichzeitig einen Auftrag an die vollziehende Gewalt darstellen, voll in Anspruch genommen. Es kann sich also hier bei der Frage der sogenannten Insellage nur darum handeln, inwieweit ein in Insellage befindlicher Landrat rechtmäßig handeln kann. Das heißt, wenn es Maßnahmen sind, die er normalerweise nur mit Zustimmung des Regierungspräsidenten oder des Innenministers treffen darf, daß er auch die Zuständigkeit des Innenministers oder des Regierungspräsidenten wahrnimmt und damit rechtmäßig und ordnungsgemäß handelt; daß eine Landesregierung, die manche Dinge nur mit Zustimmung der Bundesregierung tun darf, sie auch tun kann gleichzeitig in Wahrnehmung der Aufgaben der nächsthöheren Stelle. Das muß man hier regeln, weil es auf dem Verwaltungswege nicht geregelt werden kann, weil es sich nämlich nicht nur um Zuständigkeiten des Länderbereichs oder des Bundesbereichs handelt, man also die Zuständigkeit im ganzen, die Verwaltungszuständigkeit — aber nicht eine Rechtsetzungszuständigkeit — den Landesbehörden, auch den nachgeordneten Behörden, geben muß. Man wird die Frage in diesem Sinne einer neuen Prüfung unterziehen müssen.
    Die Frage der Aufhebung des Notstandes. Wir meinen, daß die Aufhebung mit einfacher Mehrheit möglich sein muß.
    Es heißt dann in Art. 115 g — auch so eine Kleinigkeit, Herr Minister; das hätte hier nicht passieren dürfen —: den Notstand „für beendet erklären u n d ,die auf seiner Grundlage getroffenen Maßnahmen aufheben". Nein: „oder die"! Das heißt: der Bundestag oder das Notparlament muß jederzeit in der Lage sein, jede Maßnahme aufzuheben, wenn sie an seiner Stelle getroffen worden ist. Nicht die Aufhebung des Notstandes im ganzen muß Voraussetzung sein, um eine Einzelmaßnahme des Notparlaments durch den Bundestag aufheben zu lassen,

    (Beifall bei der SPD)

    sondern es muß die Nachprüfung der einzelnen Maßnahmen möglich sein.
    Deshalb natürlich, weil Sie es anders sehen, haben Sie auch keine Verpflichtung vorgesehen, die entsprechenden Verfassungsorgane laufend über jede Maßnahme zu unterrichten. Nicht einmal das ist hier vorgesehen.
    Die Aufhebung, meinen wir, könnte mit einfacher Mehrheit geschehen. Ob man hier die Anregung des Bundesrates übernimmt, isst eine andere Frage.
    Nun zur Frage des inneren Notstandes. Herr Minister, wir waren bereit, über die Fragen des inneren Notstandes zu sprechen. Wir haben mit Ihnen darüber verhandelt. Ich muß sagen: es ist Ihnen nicht gelungen, einen Katalog aufzustellen und abzugrenzen, der mißbräuchliche Inanspruchnahme ausschließen würde. Wir kommen zu der Feststellung, daß der Entwurf in Art. 115 i bis 1 nicht einmal als Diskussionsgrundlage dienen kann.

    (Sehr richtig! bei der SPD.)


    (keine Diskussionsgrundlage. Ich freue mich, feststellen zu dürfen, daß auch Sie unserer Meinung sind, Herr Minister. Sie sind offensichtlich auch der Meinung, daß das falsch ist; denn der Bundesrat hat vorgeschlagen, im Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens das ganz anders zu regeln. In Ihrer Stellungnahme heißt es, Sie seien bereit, im Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens in diesem Sinne über die Dinge zu sprechen. Dann sind wir uns ja eigentlich schon einig, Herr Minister, daß wir Art. 115 i, k, 1 in der Form, wie sie hier vorliegen, streichen können und andere Überlegungen angestellt werden müssen. Die Überlegung konzentriert sich auf den Art. 91 und auf den Art. 143. Sie konzentriert sich auf den Art. 91 in mehrfacher Beziehung: Im Art. 91 ist von der Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes die Rede. Besser formulieren können wir es nicht, ausführlicher formulieren können wir es nicht. Wir meinen aber, daß die Verfassung, so wie es der Bundesrat vor zwei Jahren vorgeschlagen hat, so wie der Bundesrat es jetzt erfreulicherweise wieder vorschlägt, eine Legaldefinition enthalten muß, daß Arbeitskämpfe keine Störung dieser 'demokratischen Grundordnung sind. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, hier eine Vorschrift einzufügen: Die Vorschriften rüber den Zustand der inneren Gefahr finden keine Anwendung auf Arbeitskämpfe, die von nach Art. 9 Abs. 3 — also den Gewerkschaften — gebildeten Vereinigungen geführt werden. Wir halten diese Legaldefinition der demokratischen Grundordnung für dringend erforderlich und werden dazu noch einiges ausführen. Wenn der Schutz dieser demokratischen Grundordnung nicht ausreicht, dann gibt es nur zwei Richtungen um zu helfen: entweder durch eine Verstärkung der Rechtspositionen oder durch eine De-facto-Verstärkung. Die Verstärkung der Rechtspositionen ist Theorie, so wie der Herr Innenminister heute ganz richtig vorgetragen hat, daß es Theorie ist, erst im Katastrophenfall Vorsorge zu treffen, so wäre es hier Dr. Schäfer Theorie, sich einzubilden, daß man dann mit Notgesetzen über Einschränkungen von Grundrechten weiterhelfen kann. Die Polizeigesetze geben in dem Fall sehr viele Vollmachten, die hoffentlich nicht ausgenützt werden: Inanspruchnahme von Dritten usw. Das zweite, Herr Minister — und dazu hätte ich in Ihren Ausführungen einiges erwartet —, ist die schwere politische Entscheidung der Verstärkung der De-facto-Polizeistärke, erstens durch Verstärkung der aktiven Polizei. Wir haben vor drei Jahren den Antrag gestellt — damals waren die Länder noch finanziell schlecht gestellt —, den Ländern 100 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Bereitschaftspolizeien verdoppeln sollen, damit dieser Zustand immer mit eigenen Kräften, mit Polizeikräften gemeistert werden kann. Damals hat der amtierende Innenminister das zu unserem Erstaunen abgelehnt. Er hat es in die Zuständigkeit der Länder verwiesen. Ich höre mit einigem Erstaunen, daß das Innenministerium augenblicklich gar nicht mehr willens ist, die Verstärkung der Bereitschaftspolizeien zu fördern. Ich weiß nicht, ob da eine falsche Konkurrenz drin ist. — Ich nehme es gern zur Kenntnis, Herr Minister Höcherl, daß Sie es doch wieder tun wollen. Ich hoffe, Herr Minister, daß Sie dann auch Ihre entsprechenden Stellen anweisen, sich danach zu richten. Herr Minister, da hätten Sie hier mal etwas entwickeln sollen, wie möglicherweise die Polizei durch Polizeireserven verstärkt wird, nicht so, wie es der Entwurf des Landes Schleswig-Holstein jetzt vorsieht — nein, anders —, nicht mit angeblich Freiwilligen, die dann entsprechend ausgesucht werden, sondern so, daß der Verantwortliche, der politisch verantwortliche Innenminister, die verantwortliche Landesregierung in die Lage versetzt werden, mit Polizeikräften — und wir legen Wert auf die Betonung: Polizeikräfte — die demokratische Grundordnung zu schützen. Denn wir möchten doch — und Sie auch — den Einsatz von Streitkräften im Innern möglichst, möglichst ausschließen. Stellen Sie sich einmal vor, wenn die Bundeswehr mit ihrer Feuerkraft im Innern eingesetzt würde, was das für eine Katastrophe mit sich brächte! Die können den Marktplatz räumen, aber das Rathaus steht nachher .auch nicht mehr. Man wird aber den Einsatz .der letzten, stärksten Kraft nicht ausschließen können. Nein, das kann man nicht; nicht nur, weil auch möglicherweise Militärs oder militärische Einheiten die demokratische Grundordnung stören, sondern weil es letztlich die stärkste Kraft zur Verteidigung der demokratischen Grundordnung ist, die stärkste Waffenkraft neben der anderen stärksten Kraft, nämlich dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Alle müssen sie so in ihrem Standort und in ihrem Einsatz sein, daß sie Bollwerke für die Verteidigung unserer demokratischen Grundordnung sind. Das ist unser Ziel. Einsatz von Streitkräften! Es handelt sich hier, Herr Innenminister — Sie haben es irgendwie untergehen lassen —, um ein Gebiet, das in die Länderzuständigkeit fällt. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist Polizeiangelegenheit, und damit sind primär die Länder zuständig. Keine gute Regelung, die Sie hier vorgesehen haben: daß man nicht feststellt, sondern daß man einfach davon ausgeht: „Es ist innerer Notstand, ein Zustand der inneren Gefahr" ; dort am allerwenigsten, Herr Minister! Dort ist eine irgendwann notwendig werdende Feststellung durch die Landesparlamente so notwendig wie auf dem Gebiet des drohenden Verteidigungsfalles, genauso notwendig und genauso mit Zweidrittelmehrheit und genauso mit der Möglichkeit, daß der Bundestag das jederzeit aufheben kann — wir haben ja historische Beispiele —, wenn in irgendeinem Land eine Dummheit damit gemacht werden sollte. Wir haben Vorstellungen davon, wie das aussehen soll, und wir hoffen, daß wir uns im Rechtsausschuß und im Innenausschuß einer gemeinsamen Regelung anschließen können, die den erheblichen Bedenken, die gegen diesen Entwurf in diesen Punkten bestehen, Rechnung trägt. Ich darf nochmals sagen: ich freue mich, Herr Innenminister, daß auch Sie der Auffassung sind, daß Sie bei dem Entwurf nicht stehenbleiben können; ich entnehme das Ihrer Äußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates, auch jetzt Ihrer zustimmenden Äußerung. Wir werden eine Regelung suchen, die diesen Bedenken Rechnung trägt. Ich brauche deshalb auf die Bestimmungen im einzelnen nicht einzugehen, nachdem Übereinstimmung besteht, daß sie so nicht behandelt werden. Ich darf nur noch sagen, Herr Minister: so wie Sie den Art. 115l angelegt haben, daß im Endergebnis die Bundesregierung die Streitkräfte — ein Feigenblatt dafür: „nur mit Zustimmung des Bundestages" — einsetzen und die ganzen Rechte — wie Sie es sich im Falle des äußeren Notstandes vorstellen — für sich in Anspruch nehmen kann, so wird eine zukünftige Regelung nicht aussehen. Noch zur Frage des Katastrophennotstandes! Wir sind uns wohl einig, hier handelt es sich nicht um einen Staatsnotstand, hier ist nicht die demokratische Grundordnung in Gefahr, sondern hier handelt es sich um die Beseitigung von Schäden. Bleiben wir bei der Sturmflutkatastrophe! Es handelt sich dabei um die Zusammenfassung der Kräfte, um den einheitlichen Einsatz und um die Rechtmäßigkeit. Die Formulierung „Sind Leib oder Leben" usw., meine Damen und Herren, haben wir an anderer Stelle, wo Sie an den Streik gedacht haben, gefunden. So nicht, Herr Innenminister! Lassen Sie uns eine andere Formulierung suchen, aus der hervorgeht, daß wirklich die Naturkatastrophe gemeint ist! Ich weiß, Sie erwähnen dann den Atomregen. Sicher, auch daran müssen wir denken, d. h. wir müssen überregionale Möglichkeiten schaffen, so wie es Art. 91 gestuft für Land und Bund tut. Aber letztlich kann es sich dann nur darum handeln, daß Verwaltungszuständigkeiten — ohne Rücksicht darauf, ob Bund oder Land — in die Hand genommen Dr. Schäfer 3 werden, wobei primär die einzelnen Länder zuständig sind. Denken Sie jetzt nicht an Hamburg, dessen Bereich sehr schnell überufert — in doppeltem Sinne —, sondern denken Sie an die Flächengebiete unserer Länder, bei denen die Zuständigkeit der Landesregierungen und der Landesparlamente vollkommen ausreichen würde. Wir meinen also, daß man die Regelung auch in dieser Hinsicht noch gewissenhaft prüfen muß. Auch Ihr § 2, wonach die Vorsorge für den Fall der Gefahr des inneren Notstandes, wie Sie ihn sahen, oder für den Katastrophennotstand in Zukunft in den Zuständigkeitsbereich des Bundes oder zur konkurrierenden Zuständigkeit gehören soll, wird einer gewissenhaften Prüfung bedürfen. So wie der Paragraph hier steht, bedarf er der Erläuterung. Was in der Begründung gesagt wurde, reicht sicherlich nicht aus. Ich komme zum Schluß. Ich habe eingangs schon gesagt, daß die Sozialdemokratische Partei auf ihrem letzten Parteitag sieben Punkte verabschiedet hat, die für sie die Grundlage jeder Prüfung sind. Wir werden uns, wenn der Entwurf aus den Ausschüssen kommt, wiederum gewissenhaft an diesen sieben Punkten orientieren, die erfreulicherweise auch die Zustimmung anderer Politiker gefunden haben. Ich darf diese sieben Punkte, die für uns so wesentlich sind, hier vortragen: 1. Es ist eindeutig klarzumachen, in welchen Fällen und unter welchen Umständen von einem Notstand gesprochen werden muß, der nur mit außerordentlichen Mitteln gemeistert werden kann. Dabei ist zwischen innerem Notstand, drohendem Verteidigungsfall 2. Es ist zu gewährleisten, daß in solchen Situationen nicht eine an der Macht befindliche Gruppe oder Partei die Mittel der Exekutive zur Unterdrükkung der anderen ausnutzen kann. 3. Es ist zu sichern, daß Notstandsbefugnisse ausschließlich zur Meisterung des Notstandes und nicht zur Drosselung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, vor allem nicht der Freiheit der Presse, des Rundfunks, des Fernsehens und der freien Meinungsäußerung, eingesetzt werden können. 4. Es ist auszuschließen, daß eine Einschränkung oder Drosselung der demokratischen Grundrechte im gewerkschaftlichen und betrieblichen Bereich unter dem Vorwand des Notstandes praktiziert werden kann. 5. Es ist Vorkehrung zu treffen, daß weder die Befugnisse der Länder noch die der gewählten Volksvertretung unter Berufung auf einen „Notstand" erstickt werden können. 6. Die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts muß gewährleistet sein. Jede Maßnahme muß vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden können. 7. Die Verantwortlichkeit des Parlaments ist in jeder Lage zu erhalten. Die Notstandsregelung darf keine Möglichkeit des Ausweichens des Parlaments aus seiner Verantwortung schaffen. Wir werden im Ausschuß darauf hinwirken, daß diesen Grundsätzen entsprochen wird. Wir werden nur einem Gesetz zustimmen können, dem wir die Überschrift geben können: „Gesetz zum Schutze der freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung". Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dorn. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser heutigen Diskussion gehen seit Jahren die Diskussionen in allen drei Parteien voraus. Es ist wohl von entscheidender Bedeutung, wenn wir heute feststellen können, daß der Gesetzentwurf, über den wir uns jetzt zu unterhalten haben, in seinem sachlichen Inhalt eine wesentliche Verbesserung gegenüber früheren Vorstellungen und Vorlagen der Bundesregierung enthält. Er wird daher von uns generell als eine brauchbare Diskussionsgrundlage anerkannt, obwohl wir eine Reihe von Bedenken, auf die ich im einzelnen nachher noch zu sprechen kommen werde, auch gegenüber diesem Gesetzentwurf von vornherein sehr klar und deutlich anzumelden haben. Gestatten Sie mir noch eine Vorbemerkung! Wenn man sich mit dem Inhalt dieses Gesetzentwurfs befassen muß, denkt man zwangsläufig an die Diskussionen im Parlamentarischen Rat und an den Art. 48 der Weimarer Verfassung, der auch mit der heutigen Diskussion innerlich untrennbar verbunden bleiben muß. Man erinnert sich aber auch daran, daß unser Volk insgesamt seit einigen Jahrzehnten zumindest in einem politischen inneren Notstand leben muß und uns allen gemeinsam daher die Verpflichtung auferlegt ist, alles Notwendige zu tun, um einen äußeren Notstand zu verhindern. Denn die Auswirkungen und Folgewirkungen eines äußeren Notstandes wären für uns alle gemeinsam schrecklich. Daher wollen wir dieses Gesetz jetzt in der Hoffnung beraten, daß die darin enthaltenen Regelungen niemals für uns grausame Wirklichkeit werden. Lassen Sie mich deswegen nur zu dem Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes die Auffassung der Freien Demokraten vortragen. Zu den Folgegesetzen werden meine Kollegin Frau Dr. Flitz und ,der Kollege Busse sprechen. Die Fragen des Zusammentritts der parlamentarischen Organe, ihrer rechtzeitigen Beschlußfassung über die Ausrufung des Notstandes und ihrer Möglichkeiten sind von meinen Vorrednern bereits angesprochen worden. Ich kann es mir daher ersparen, hierauf ausführlich einzugehen. Wir sollten ernsthaft bedenken, was der Kollege Schäfer hier vorgetragen hat: ob es im Interesse der Sicherstellung von Freiheit und Demokratie nicht doch notwendig ist, die Frage der Zweidrittelmehrheit eingehend zu prüfen. Wir sind darüber hinaus der Meinung, daß die Feststellung gemäß Art. 115 a Dorn Abs. 1 nicht durch den Bundeskanzler und den Bundespräsidenten allein geschehen darf. Es sollte vielmehr von vornherein deutlich klargestellt werden, daß im äußersten Falle zumindest das Notstandsparlament entscheidet, wenn nicht das Parlament selber diese Entscheidung mit Zweidrittelmehrheit treffen kann. Wenn dieser Ausschuß oder dieses Notparlament, von dem hier die Rede ist, nicht mehr in der Lage sein sollte, eine solche Entscheidung zu treffen, so taucht die Frage auf, ob es dann überhaupt noch sinnvoll sein kann, daß der Bundespräsident und ,der Bundeskanzler Entscheidungen treffen, weil es dann nämlich fraglich ist ,ob das, was dann zu entscheiden ist, überhaupt noch sinnvoll für unser Volk entschieden werden kann. Wir meinen also, daß das Notparlament unabdingbare Voraussetzung für die Handhabung der in Art. 115 a angesprochenen Regelung sein muß. Bevor ich nun zu dem Kernproblem dieses Gesetzes, so wie wir es sehen, der 'Einschränkung der Grundrechte komme, möchte ich noch einige andere Fragen ansprechen, die uns auch im Ausschuß noch eingehend beschäftigen werden. Herr Kollege Schäfer hat die Frage des inneren Notstandes angesprochen und hat gesagt, dieser Gesetzentwurf sei für seine Fraktion keine Diskussionsgrundlage. — Für den inneren Notstand, Herr Kollege Schäfer. Da stimmen wir nicht ganz mit Ihnen überein. (Abg. Dr. Schäfer: Aber der Minister ist mit mir einig!)


    (Beifall bei der SPD.)





    (Beifall bei der SPD.)


    (Beifall bei der SPD.)


    (Beifall bei der SPD.)





    (Anhaltender Beifall bei der SPD.)