Rede:
ID0405600200

insert_comment

Metadaten
  • sort_by_alphaVokabular
    Vokabeln: 0
    1. tocInhaltsverzeichnis
      Deutscher Bundestag 56. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1963 Inhalt: Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes (Drucksache IV/891) — Erste Beratung — Höcherl, Bundesminister . 2477 A, 2526 D Hoogen (CDU/CSU) . . . . . . 2491 C Dr. Schäfer (SPD) . . . . . . . 2495 D Dorn (FDP) . . . . . . . . . 2504 C Leber (SPD) . . . . . . . . 2507 A Sänger (SPD) 2516 B Dr. h. c. Güde (CDU/CSU) . . . 2523 D Entwurf eines Gesetzes über den Zivildienst im Verteidigungsfall (Zivildienstgesetz) (Drucksache 1V/450) — Erste Beratung —; in Verbindung mit .dem Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden (Drucksache IV/343) — Erste Beratung —; dem Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Aufenthalts .der Zivilbevölkerung im Verteidigungsfall (Aufenthaltsregelungsgesetz) (Drucksache IV/895) — Erste Beratung —; dem Entwurf eines Gesetzes über bauliche Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung (Schutzbaugesetz) (Drucksache IV/ 896) — Erste Beratung —; und dem Entwurf eines Gesetzes über den Selbstschutz der Zivilbevölkerung (Selbstschutzgesetz) (Drucksache IV/897) — Erste Beratung — Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 2533 C Lünenstraß (SPD) . . . . . . . 2537 B Dr. Even (Düsseldorf) (CDU/CSU) 2539 C Frau Dr. Flitz (Wilhelmshaven) (FDP) 2541 D Busse (FDP) . . . . . . . . 2544 D Frau Renger (SPD) 2546 B Hansing (SPD) 2548 D Dr. Kempfler (CDU/CSU) 2550 D Hübner (CDU/CSU) 2551 D Entwurf eines Gesetzes über die Sicherstellung von Leistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft sowie des Geld- und Kapitalverkehrs (Wirtschaftssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/ 892) — Erste Beratung —; in Verbindung mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Sicherstellung der Versorgung mit Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft sowie der Forst- und Holzwirtschaft (Ernährungssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/893) — Erste Beratung —; und dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherstellung des Verkehrs (Verkehrssicherstellungsgesetz) (Drucksache IV/894) — Erste Beratung — Dr. Bieringer (CDU/CSU) . . . 2553 B Lange (Essen) (SPD) 2553 C Dr. Imle (FDP) 2555 D Lemmrich (CDU/CSU) 2556 C Überweisung der Gesetzentwürfe an Ausschüsse 2557 C Wahlen zum Europäischen Parlament und zur Beratenden Versammlung des Europarates 2557 D Nächste Sitzung 2558 C Anlage 2559 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 56. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 24. Januar 1963 2477 56. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1963 Stenographischer Bericht Beginn: 9.02 Uhr.
    2. folderAnlagen
      Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete (r) beurlaubt bis einschließlich a) Beurlaubungen Fran Albertz 24. 1. Arendt (Wattenscheid) 25.1. Dr. Arndt (Berlin) 24. 1. Dr. Atzenroth 25.1. Dr. Dr. h. c. Baade 25. 1. Bading 5.2. Bauknecht 25. 1. Fürst von Bismarck 25. 1. Dr. Bleiß 25.1. Dr. von Brentano 25. 1. Brese 25. 1. Deringer 24. 1. Dr. Dörinkel 4. 2. Drachsler 25. 1. Dr. Dr. h. c. Dresbach 28.2. Eisenmann 24. 1. Etzel 26. 1. Faller * 25. 1. Figgen 23. 2. Funk (Neuses am Sand) 16. 2. Gewandt 31. 1. Freiherr zu Guttenberg 25. 1. Haage (München) 25. 1. Hahn (Bielefeld) 25. 1. Hammersen 24.1. Harnischfeger 25. 1. Hauffe 28.2. Hellenbrock 26. 1. Holkenbrink 26. 1. Dr. Hoven 25. 1. Illerhaus 24. 1. Kahn-Ackermann 25. 1. Kalbitzer 25. 1. Dr. Kanka 24. 1. Katzer 31. 1. Keller 25. 1. Frau Kipp-Kaule 25. 1. Klinker 25. 1. Koenen (Lippstadt) 25.1. Dr. Kohut 25. 1. Kriedemann* 25. 1. Kühn (Köln) 2.2. Anlage zum Stenographischen Bericht Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich Lemmer 26. 1. Lenz (Bremerhaven) 25. 1. Lücker (München) * 25. 1. Mattick 25. 1. Mauk 25. 1. Frau Dr. Maxsein 25. 1. Dr. Menzel 25. 1. Dr. von Merkatz 4. 2. Dr. Miessner 31. 1. Missbach 25. 1. Dr. Morgenstern 25. 1. Müller (Berlin) 28. 2. Müller (Remscheid) 25. 1. Müller-Hermann 31. 1. Neubauer 17.2. Neumann (Berlin) 25. 1. Ollenhauer 25. 1. Dr.-Ing. Philipp 25. 1. Rademacher 31. 1. Ravens 25. 1. Dr. Reinhard 25. 1. Richarts 26. 1. Dr. Rutschke 31. 1. Sander 25. 1. Schmücker 24. 1. Schneider (Hamburg) 31. 1. Schröder (Osterode) 25. 1. Schütz 25. 1. Dr. Stammberger 3. 2. Dr. Starke 24. 1. Stein 24. 1. Frau Strobel * 25. 1. Struve 25. 1. Dr. Süsterhenn 25. 1. Urban 25. 1. Wacher 25. 1. Dr. Wahl 28. 2. Dr. Zimmer 26. 1. Zühlke 24. 1. b) Urlaubsanträge Dopatka 21.2. Werner 24. 2. *) Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europäischen Parlaments
    • insert_commentVorherige Rede als Kontext
      Rede von Hermann Höcherl


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

      Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man die schwache Besetzung des Hauses als Maßstab für die innere Übereinstimmung mit unserem großen Vorhaben nehmen und daraus den Schluß ziehen darf, daß die Übereinstimmung so groß ist, daß der Gegenstand auch ohne persönliche Anwesenheit beraten werden kann, wäre das ein günstiges Anzeichen.

      (Beifall bei der SPD. — Abg. Wehner: Das würde ich als „etwas außerhalb der Tatsachen" bezeichnen!)

      Der Gegenstand unserer heutigen Debatte ist weniger der Begriff des Notstandes, der so sehr in den Vordergrund geschoben wird, als der Begriff der Vorsorge für Notstandsfälle, die unser Staatsleben betreffen können. Sie kennen diesen Begriff der Vorsorge. Wenn man das ganze politische Arbeiten, all das, was wir Jahre hindurch machen, richtig definiert — und eine gute Definition soll am Anfang jeder Aussprache stehen —, dann ist wohl alles, was wir treiben, wenn wir politisch agieren, nichts anderes als sozusagen Vorsorge. In einem ganz besonderen Maße gilt das für den staatlichen Bereich.
      Geschichtliche Erfahrungen bis hinein in die allerjüngste Zeit über unsere Grenzen hinweg, aber auch in unserem eigenen Lande, die wir sammeln konnten, haben uns gelehrt, daß Staaten, die eine rechtzeitige und ausreichende Vorsorge unterlassen,
      schweren Schaden genommen, zum Teil auch die Existenz eingebüßt haben. Ich halte es daher für eine der vornehmsten Aufgaben von Regierung und Volksvertretung, Vorsorge für Krisenzeiten und für Zeiten der Not zu treffen. Man kann, so meine ich, mit gutem Grund den Rang eines Staatswesens nach dem Maße der von ihm getroffenen Vorsorge in diesem Sinne messen.
      Ich habe die Ehre, meine Damen und Herren, Ihnen heute im Namen der Bundesregierung neun Gesetzentwürfe vorzulegen, die sich mit diesem ernsten Thema befassen. Alle neun Vorlagen haben einen gemeinsamen Bezugspunkt: den Verteidigungsfall. Es erscheint daher auch angebracht, ihrer Behandlung durch dieses Hohe Haus einige gemeinsame Ausführungen voranzustellen.
      Wir alle, meine Damen und Herren, haben durch eigene Erfahrungen, leidvolle Erfahrungen aus dem letzten Weltkrieg und durch die Entwicklung der Waffentechnik, die in drastischen Versuchen trotz des gegenwärtigen Tauwetters der gesamten Weltöffentlichkeit demonstriert wird, eine ungefähre, aber nur eine ungefähre Vorstellung von der Zerstörungskraft der modernen Waffen, die sich bis zum Inferno steigern kann. Wir alle sind auch Zeugen des gefährlichen Auf und Ab der Zeitgeschichte, in die die Bundesrepublik hineingestellt ist. Mit dem Begriff Wiedervereinigung und dem Thema Berlin ist alles umschrieben, was Gegenwart und Zukunft an Schicksalsträchtigem für uns enthalten können. Es bedarf daher gerade für uns Deutsche keiner besonderen Phantasie, um sich Situationen vorzustellen, die einer wohlvorbereiteten und überlegten Vorsorge bedürfen. Zahlreiche — und zwar gerade auch neutrale — Staaten, die erfahrungsgemäß viel weniger expansiven politischen Bestrebungen ausgesetzt sind, als das bei unserem geteilten Vaterland der Fall ist, treffen seit Jahr und Tag kostspielige Vorbereitungen gegen derartige Bedrohungen. Demgegenüber sind wir als das am stärksten gefährdete Land in Europa weit im Verzuge. Um die hier bestehenden Lücken zu schließen, hat die Bundesregierung diese Gesetzesvorlagen eingebracht.
      Niemand, der mit der Entstehungsgeschichte unserer vorläufigen Verfassung, des Grundgesetzes, vertraut ist, wird dem Parlamentarischen Rat Vorwürfe machen wollen, weil damals in der Vorsorge für Notzeiten Lücken offengeblieben sind, so daß wir auch heute noch, nach der Wiederherstellung unserer Souveränität für den Notstandsfall zumindest von



      Bundesminister Höcherl
      der Mitbestimmung dreier uns heute freundschaftlich verbundener Mächte abhängig sind. Meines Erachtens gehört es zum Wesen eines Staates wie des unseren, gerade auch für Zeiten der Not gesetzliche Normen zu finden — das ist ein Kernbegriff des Rechtsstaates —, um dieser Not Herr zu werden und allen Verantwortlichen eine sichere Rechtsgrundlage für die von ihnen zu treffenden und unter Umständen sehr einschneidenden Abwehrmaßnahmen zu geben.
      Ich darf nun das Paket dieser neun Vorlagen aufschnüren, um in ihre Begründung im einzelnen einzutreten. Je nüchterner und sachlicher wir alle an die gemeinsame Aufgabe herangehen, dieses große Gesetzgebungswerk zu schaffen, um so erfolgreicher wird dieses Werk sein. Erfreulicherweise handelt es sich dabei zum erheblichen Teil um Fragen, in denen sich bereits über alle Schranken der Parteien und Weltanschauungen hinweg eine gemeinsame Überzeugung in diesem Hause gebildet hat.
      Ich will nun versuchen, an Hand von typischen Beispielen die Tatbestände zu konkretisieren und plastisch vor Ihnen zu entwickeln, mit denen wir es bei diesen Gesetzentwürfen zu tun haben. Dabei darf ich mit den acht Entwürfen der „einfachen" Gesetze beginnen und den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes dem zweiten Teil meiner Ausführungen vorbehalten.
      Den acht einfachen Gesetzentwürfen ist gemeinsam, daß sie vor allem der Möglichkeit eines bewaffneten Angriffs auf die Bundesrepublik Rechnung tragen sollen. Darüber hinaus sind sie auf die einem Verteidigungsfall möglicherweise vorhergehende Spannungszeit ausgerichtet; mit den drei Sicherstellungsgesetzen soll daneben auch für den Fall einer bloßen Versorgungskrise Vorsorge getroffen werden können.
      Dabei kommt es nur zum geringeren Teil darauf an, Rechtsgrundlagen für Maßnahmen zu schaffen, die erst im Ernstfall durchzuführen wären. Denn in einer Reihe von möglichen Konfliktsituationen sind geeignete Gegenmaßnahmen überhaupt nur dann denkbar, wenn bereits im Frieden die erforderlichen Vorbereitungen getroffen werden können und getroffen werden. Bei der Schnelligkeit, mit der sich heutzutage eine außenpolitische Situation zuspitzt — wir haben gerade analoge Erlebnisse hinter uns — und der Übergang zu Feindseligkeiten sich vollziehen kann, ist ohne solche friedensmäßige Vorbereitung nahezu jede Schutz- und Rettungsmaßnahme in Frage gestellt. Daher liegt der Schwerpunkt der meisten Gesetze, die wir nun zu behandeln haben, auf der friedensmäßigen Vorsorge für den Spannungs- und Verteidigungsfall. Soweit die Entwürfe darüber hinaus Vorschriften für den Ernstfall selbst enthalten, müssen sie naturgemäß der Tatsache Rechnung tragen, daß der wirkliche Ablauf eines solchen Ereignisses niemals vorherzusehen ist, zumindest nicht mit Bestimmtheit vorhergesehen werden kann, und 'deshalb nur äußerst elastische Normen ihren Zweck erfüllen können.
      Noch ein weiteres ist diesen acht Gesetzentwürfen gemeinsam. Sie setzen eine Änderung der verfassungsrechtlichen Situation nicht voraus, und zwar weder hinsichtlich der bereits in Friedenszeiten zu vollziehenden noch hinsichtlich der erst im Spannungs- und Verteidigungsfall anwendbaren Bestimmungen. Die einfachen Notstandsgesetze tragen also dem Umstand Rechnung, daß die in ihnen vorgesehenen, im Ernstfall zu vollziehenden Maßnahmen bereits in einem Zeitpunkt notwendig werden können, in dem die Voraussetzungen einer Änderung des Verfassungszustandes im Sinne der Regierungsvorlage zur Ergänzung des Grundgesetzes noch nicht vorliegen. Diese rechtliche Unabhängigkeit der sogenannten einfachen Notstandsgesetze von der Notstandsverfassung und auch untereinander ermöglicht es, die Handhabung der Gesetze ganz der Situation anzupassen. So kann es z. B. in einem Zeitraum sich steigernder politischer Spannungen erforderlich werden, eine gewisse Rationierung von Lebensmitteln und anderen Verbrauchsgütern anzuordnen, um ungerechtfertigte Hortungen zu vermeiden und ihnen vorzubeugen. Andererseits muß es aber in diesem Zeitpunkt noch keineswegs notwendig sein, weitere Maßnahmen — vielleicht im Bereich des unmittelbaren zivilen Bevölkerungsschutzes — zu treffen.
      Soviel zu den einfachen Notstandsgesetzen insgesamt.
      Als erstes möchte ich nun kurz den Entwurf des Zivildienstgesetzes erläutern. Der Entwurf trug bei seiner ersten Vorlage im letzten Bundestag die Bezeichnung „Notdienstgesetz". Die Änderung dieses Namens in Zivildienstgesetz stellt nicht etwa einen psychologischen Kunstgriff dar, sondern dient der besseren Fixierung des eigentlichen Anliegens. Ich darf Ihnen zunächst an Hand einiger praktischer Beispiele die Notwendigkeit der vorgesehenen Regelung vor Augen führen.
      Sie alle wissen, meine Damen und Herren, daß nach dem ersten Gesetz über die Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung vom Jahre 1957 Länder und Gemeinden verpflichtet sind, einen Luftschutzhilfsdienst aufzustellen. Er hat u. a. die Aufgabe, Brände zu löschen, Verschüttete zu bergen, Verwundete und Kranke der Behandlung zuzuführen, Obdachlose aus den Zerstörungsgebieten herauszuführen, zu verpflegen und zu betreuen, radioaktive, chemisch oder biologisch verseuchte Gebiete festzustellen und die dringenden Entgiftungsmaßnahmen durchzuführen. Nach unseren Erfahrungen und Berechnungen, die sich sehr weitgehend an ausländischen Beispielen orientiert haben, benötigen wir für eine angemessene Erfüllung dieser Aufgaben etwa 320 000 Helfer. Tatsächlich stehen uns aber, da wir bei der gegenwärtigen Rechtslage allein auf Freiwillige angewiesen sind, nur knapp 35 000 Helfer zur Verfügung. Meine Damen und Herren, das ist eine Erscheinung, die sich nicht auf die Bundesrepublik beschränkt, sondern die im ganzen westlichen Bereich sich vielleicht als gewisse Folge der Wohlstandsentwicklung zeigt. Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, bei dieser Gelegenheit und von dieser Stelle aus — und ich nehme an, daß Sie mir die Berechtigung geben, das auch in Ihrem Namen zu sagen — den Dank der Bundesregierung all diesen Männern und Frauen dafür auszusprechen, daß



      Bundesminister Höcherl
      ) sie ihre Zeit und ihre Kraft und ihren ganzen Idealismus schon jetzt in den Dienst dieser Aufgabe gestellt haben.

      (Beifall auf allen Seiten des Hauses.)

      Die Länder und die Bundesregierung halten den weiteren Aufbau des Luftschutzhilfsdienstes jedoch für gefährdet, wenn nicht eine Möglichkeit zur Heranziehung von Dienstpflichtigen geschaffen wird. Wir haben bei der Vorbereitung dieses Gesetzes ganz eingehende Verhandlungen mit den Innenministern aller Länder gehabt, und wir haben dort dieselbe Auffassung angetroffen und den nachdrücklichen Auftrag bekommen, gerade zum Ausbau des Luftschutzhilfsdienstes das Zivildienstgesetz vorrangig zu behandeln. Wir kommen jedoch nach unserer eigenen Erfahrung und der der anderen Länder, wie ich es Ihnen schon gesagt habe, nicht ohne eine Rechtsgrundlage aus, die Verpflichtungen als ergänzende und ausgleichende Maßnahme zur Deckung des Kräftebedarfs ermöglicht.
      Vor allem müssen die für den Ernstfall benötigten Helfer im Frieden ausgebildet werden, damit sie in der Not sofort eingesetzt werden können. Die Flutkatastrophe des vergangenen Jahres in Norddeutschland hat gezeigt, daß zwar eine unerhörte und zum Teil unerwartete spontane und umfassende Hilfsbereitschaft der Bevölkerung im ganzen Bundesgebiet bestand, daß aber die tatsächliche Einsatzfähigkeit der sich meldenden Personen nicht den Erfordernissen entsprach, weil Hilfsdienste dieser Art heute zum großen Teil eine Spezialausbildung ,) erfordern, wenn der Hilfsdienst wirksam sein soll.
      Bei den zeitlichen Anforderungen an die Helfer haben wir eine gewisse Anhebung gegenüber dem ersten Entwurf für notwendig gehalten. Wir muten also 'der Bevölkerung und dem Hilfsdienstpflichtigen ein größeres Opfer zu, als es die erste Vorlage vorsah. Auch jetzt sind wir jedoch an der unteren Grenze dessen geblieben, was unbedingt notwendig ist. Die Erstausbildung im Frieden darf höchstens 200 Stunden oder 28 Tage dauern. In der folgenden Zeit darf die Inanspruchnahme 100 Stunden oder 14 Tage im Jahr nicht überschreiten. Das Gesetz gibt die Möglichkeit — und die Bundesregierung legt hierauf besonderen Wert —, diese zeitlichen Opfer möglichst gleichmäßig von Angehörigen bestimmter Geburtsjahrgänge zu verlangen, die hierfür in erster Linie in Betracht kommen. Dies sind insbesondere die Wehrpflichtigen der sogenannten weißen Jahrgänge — 1928 bis 1937 —, die nicht zum Grundwehrdienst herangezogen werden.
      Ein weiteres wichtiges Beispiel für den Zivildienst ist die Ausbildung von Schwesternhelferinnen. Wir haben vorsichtig geschätzt, daß wir für die Einrichtungen des Hilfsdienstes und für Krankenhäuser, Hilfskrankenhäuser und Lazarette mindestens 160 000 Schwesternhelferinnen ausbilden müssen, was ein Programm über Jahre hinaus bedeutet. Die auf diesem Gebiet tätigen Organisationen — Deutsches Rotes Kreuz, Johanniter-Unfallhilfe, Malteser-Hilfsdienst — haben erfreulicherweise ihre Erfolge bei der Werbung und Ausbildung von Schwesternhelferinnen wesentlich steigern können. Ihre Möglichkeiten reichen aber nicht aus, um die Deckung des Bedarfs auf diesem Wege allein sicherzustellen. Wir benötigen daher das Zivildienstgesetz auch, um diese Arbeiten intensivieren zu können. Die Bundesregierung hofft, davon auch eine Erhöhung des Anreizes zur freiwilligen Meldung erwarten zu können. Wir haben die Rechtsstellung des Freiwilligen der des Pflichtigen angepaßt.
      Ich komme damit zu dem Problem: Zivildienst der Frauen. Um allen Mißverständnissen und Mißdeutungen von vornherein zu begegnen, möchte ich dabei ausdrücklich feststellen, daß selbstverständlich in keiner Weise an irgendeine Art von militärischem Dienst der Frauen gedacht ist. Der Entwurf trägt den besonderen Wesenseigenheiten der Frau durch Möglichkeiten der Freistellung und Zurückstellung in einem Maße Rechnung, das weit über das in den vergleichbaren Regelungen anderer Länder Vorgesehene hinausgeht. Vor allem galt unsere Sorge dabei dem Schutz der Familie und der Mutterschaft.
      Als weiteres Beispiel für die Anwendung des Zivildienstgesetzes möchte ich die Versorgungsbetriebe anführen. Vergegenwärtigen wir uns einmal die Situation in einem Elektrizitätswerk, einem Gaswerk oder einem Wasserwerk im Verteidigungsfall. Was würde geschehen, wenn ein solches Werk im Verteidigungsfall oder in einer vorausgehenden Spannungszeit ,den Betrieb einstellen müßte, weil wichtiges Betriebspersonal aus irgendwelchen persönlichen Gründen seine Arbeitsstätte verläßt oder weil Ergänzungspersonal nicht zur Verfügung gestellt werden kann? Diese Beispiele zeigen, daß wir die Geltung des Gesetzes nicht auf den Aufgabenbereich der öffentlichen Verwaltung beschränken können, sondern auch Dienstleistungen für lebens- und verteidigungswichtige Aufgaben der Wirtschaft einbeziehen müssen. Die Fassung des Entwurfs — darauf darf ich mit besonderem Nachdruck hinweisen — schließt einen Mißbrauch des Gesetzes für kommerzielle Interessen, zur Überwindung konjunktureller Engpässe oder 'gar zur Unterbindung von Arbeitskämpfen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus.
      Es ist wiederholt der Verdacht geäußert worden, daß hier vielleicht Arbeitskämpfe beeinträchtigt oder beschränkt werden sollten. Im übrigen bin ich gar nicht der Meinung, daß unsere Arbeitnehmer in Ernst- und Spannungszeiten in erster Linie an Arbeitskämpfe denken, sondern all das, was wir bisher erfahren haben, läßt uns erwarten, daß der Arbeitnehmer vielleicht eine der tragenden Säulen dieser Vorbereitungen und all dieser Maßnahmen sein wird,

      (Abg. Dr. Mommer: Und tragende Säule der Freiheit!)

      von der Einstellung her und von der Bereitschaft her.
      Lassen Sie mich jetzt noch ein Wort zur technischen Durchführung der Heranziehung zu Zivildienstleistungen sagen. Ich möchte Sie dringend bitten, dem Vorschlag des Bundesrates insoweit nicht zu folgen und es, von gewissen Ausnahmen abgesehen, bei der einheitlichen Zuständigkeit der



      Bundesminister Höcherl
      Arbeitsbehörden zu belassen, die bereits eine große Erfahrung für solche Aufgaben mitbringen. Die Betrauung der Arbeitsämter mit diesen Aufgaben hat u. a. den Vorteil, daß weibliche Bedienstete, die mit derartigen Tätigkeiten vertraut sind, bei der Heranziehung von Frauen zu Zivildienstleistungen mitwirken. Das war ein großes Anliegen der Frauen bei unseren Vorbesprechungen, und die Regelung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gibt dazu bereits die rechtliche Handhabe.
      Ich darf mich nunmehr auch im Namen meiner Kollegen — der Herren Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, für Wirtschaft und für Verkehr, die jeweils federführend sind — den Entwürfen der drei Sicherstellungsgsetze zuwenden.

      (Zuruf von der SPD: Wo sind die Herren Minister? Sind die heute verhindert?)

      — Wir haben vereinbart, daß ich in ihrem Namen in der Generalaussprache spreche. Sie werden zweifellos bei der Spezialaussprache anwesend sein, Herr Kollege.

      (Abg. Schoettle: Es wäre trotzdem schön, wenn sie hier wären!)

      — Da sind wir einer Meinung.
      Lassen Sie mich als erstes den Entwurf eines Ernährungssicherstellunggesetzes behandeln. In einem Verteidigungsfall wird die laufende Erzeugung und Produktion von Nahrungsgütern voraussichtlich erheblich beeinträchtigt sein. Wir müssen mit der Zerstörung großer zentraler Lebensmittellager rechnen. Die Einfuhr von Nahrungsgütern wird lange anhaltende Unterbrechungen erfahren können. Es bedarf keiner weiteren Ausführung darüber, daß dann eine Rationierung und Bewirtschaftung im Interesse der gleichmäßigen und gerechten Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln unvermeidbar ist. Allen diesen Spannungen wird man schon vorsorglich begegnen müssen, indem man sie bereits in Friedenszeiten ins Auge faßt und vorbereitende Maßnahmen trifft. So wird es z. B. erforderlich sein, bereits in normalen Zeiten auch eine Verpflichtung von Betrieben der Ernährungswirtschaft zur Haltung von Mindestvorräten festzulegen, damit im Ernstfall ausreichende Bestände in der entsprechenden breiten räumlichen Streuung vorhanden sind, die bei entsprechender Rationierung den notwendigen Bedarf der Bevölkerung decken. Sowohl für die Einführung einer Rationierung wie auch für die Verpflichtung zur Haltung von Mindestvorräten fehlt uns bisher jede gesetzliche Grundlage.
      Als zweites darf ich nun das Wirtschaftssicherstellungsgesetz behandeln. Gerade die Eskapaden des gegenwärtigen strengen Winters haben uns einen sehr aktuellen Anschauungsunterricht über die Einfuhrabhängigkeit unserer Treibstoffversorgung und der Transportschwierigkeiten auf diesem Sektor erteilt. Fallen die Einfuhren aus oder ist der Transport nicht in der üblichen Form möglich, dann entstehen
      Verhältnisse, wie wir sie in einigen Gebieten und Ländern der Bundesrepublik in einem sehr spürbaren Maße erleben müssen. Und wenn die Einfuhren ausfallen, so müssen die vorhandenen Treibstoffbestände einem Veräußerungsverbot und einem Zuteilungsverfahren unterworfen werden. Nur so kann sichergestellt werden, daß der in einem Verteidigungsfall vorrangige Treibstoffbedarf der Streitkräfte, der Polizei, des zivilen Hilfsdienstes für Krankentransporte, für Lebensmitteltransporte und andere lebenswichtige Aufgaben gedeckt wird.
      Für eine Bewirtschaftung von Treibstoffen fehlt uns gleichfalls eine ausreichende Rechtsgrundlage. Das gleiche gilt natürlich auch für die anderen Güter der gewerblichen Wirtschaft.
      Besonders schwierig werden im Verteidigungsfall die Probleme auf dem Sektor des Verkehrs liegen, denen der Entwurf des Verkehrssicherstellungsgesetzes gilt. Sie werden ausgelöst durch erhöhte Anforderungen, durch Mangel an Treibstoffen und Ersatzteilen, vor allem aber durch die zu erwartenden Zerstörungen. Die Benutzung der Verkehrsmittel sowie der Verkehrswege, -anlagen und -einrichtungen muß daher so geregelt werden können, daß die offenen Kapazitäten nur noch für lebens- und verteidigungswichtige Aufgaben zur Verfügung stehen. Das erfordert aber u. a. die Einschränkung der freien Entscheidung der Verkehrsteilnehmer bei der Verwendung und Inanspruchnahme der Verkehrsmittel sowie der Verkehrswege, -anlagen und -einrichtungen. Auch hierfür fehlt es zur Zeit an einer gesetzlichen Grundlage.
      Alle drei Sicherstellungsgesetze beruhen auf einer einheitlichen Grundkonzeption. Sie bestehen im wesentlichen aus Rahmenvorschriften und enthalten Ermächtigungen der Bundesregierung und des zuständigen Ministers zum Erlaß von Durchführungsverordnungen. Erst mit diesen Durchführungsverordnungen sollen die eigentlichen Bewirtschaftungsmaßnahmen beginnen. Auf diese Weise kann den tatsächlichen Verhältnissen in der jeweiligen Situation am besten Rechnung getragen werden. Der Erlaß von Rechtsverordnungen soll sowohl für die Zwecke der Verteidigung wie in gewissem Umfang auch für den Fall einer sonstigen Versorgungskrise möglich sein. Das Ziel und der Zweck, den sich diese drei Gesetze stecken, gehen also über den Verteidigungs- und Spannungsbereich hinaus.
      Für alle drei Sicherstellungsgesetze gilt dabei der Grundsatz der Subsidiarität. Soweit nämlich der erstrebte Zweck durch marktgerechte Maßnahmen ohne staatlichen Eingriff erreicht werden kann, soll auch weiterhin von einem solchen Eingriff Abstand genommen werden.
      Ich darf mich nun den drei Gesetzentwürfen zuwenden, die sich unmittelbar und in einem besonderen Maße auf den Schutz der Zivilbevölkerung beziehen und ihr Überleben im Kriegsfalle ermöglichen und erleichtern sollen.
      Zahlreiche Überlegungen und Untersuchungen im gesamten NATO-Bereich — und im Bereich des Ostblocks wird es nicht anders sein — haben zu der



      Bundesminister Höcherl
      einheitlichen Erkenntnis geführt, daß das Überleben der Zivilbevölkerung im Kriegsfalle am besten gesichert ist, wenn jeder nach Möglichkeit zu Hause bleibt. Damit wende ich mich zunächst dem Aufenthaltsregelungsgesetz zu. Eine Massenflucht, meine Damen und Herren, würde zu einem Zusammenbruch der Versorgung führen und darüber hinaus die Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik auch unmittelbar entscheidend lähmen. Auf hoffnungslos verstopften Straßen würden die Bewegungen der Streitkräfte ebenso wie die der zivilen Einsatzverbände steckenbleiben. Das persönliche Schicksal der Flüchtlinge, die unterwegs, schutzlos und für jede Hilfe unerreichbar, den Wirkungen der modernen Waffen ausgesetzt wären, brauche ich nicht weiter darzustellen und auszumalen.
      Es wird also entscheidend darauf ankommen — und dies ist der Hauptzweck des Entwurfs eines Aufenthaltsregelungsgesetzes —, der Gefahr zu begegnen, das sich größere Teile der Zivilbevölkerung in einer Spannungszeit, die den baldigen Ausbruch eines bewaffneten Konflikts in Mitteleuropa befürchten ließe, planlos auf die Landstraße begeben. Müßte die Regierung einer solchen Bewegung, die bei einer Verschärfung der Lage dann wahrscheinlich lawinenartig anwachsen und zu einer Panik führen würde, machtlos zusehen, so entstünde mit Sicherheit — und das ist eine weitere nicht zu unterschätzende Gefahr — ein Chaos, das den potentiellen Gegner geradezu einladen könnte, einen terroristischen Vernichtungsschlag zu führen, vor dem er sonst vielleicht noch zurückschrecken würde.
      Diese Gefahren lassen sich nicht allein durch den Versuch bannen, die Bevölkerung in geduldiger Aufklärungsarbeit von der Sinnlosigkeit und Gefährlichkeit einer Flucht zu überzeugen. Daneben bedarf es vor allem der jetzt noch fehlenden Rechtsvorschriften, um den einzelnen Bürger von einer unbedachten Flucht abzuhalten. Zu diesem Zweck soll unter bestimmten Voraussetzungen kraft Gesetzes der Aufenthaltswechsel von einer behördlichen Genehmigung abhängig gemacht werden.
      Wir müssen allerdings auch an Fälle denken, in denen — wie bei Großstädten, anderen Ballungszentren und auch bei sonstigen wichtigen Zielpunkten — im Ernstfalle eine Ausnahme von dem Grundsatz des „Bleibe zu Hause" gemacht werden muß und in denen eine teilweise Verlegung der Bevölkerung unvermeidbar erscheint. Auch in diesen Fällen soll aber nach dem Grundsatz der Freiwilligkeit verfahren und eine Pflicht zur Teilnahme an Verlegungen nur in besonderen Fällen vorgesehen werden. Ob uns die tatsächliche Situation im Ernstfall noch genügend Zeit lassen wird, solche Bevölkerungsbewegungen planmäßig und rechtzeitig durchzuführen, kann wohl niemand mit Bestimmtheit voraussehen. Gerade diese Ungewißheit legt uns aber die Verpflichtung auf, die gesetzlichen und verwaltungsmäßigen Voraussetzungen zu schaffen und entsprechende Vorbereitungen zu treffen, wie dies weitgehend auch im westlichen und vor allem auch im neutralen Ausland geschieht.
      Die Überleitung vom Aufenthaltsregelungsgesetz zum Schutzbaugesetz, dem ich mich jetzt zuwenden darf, ergibt sich zwingend aus einem Sachzusammenhang. Der Grundsatz des „Bleibe zu Hause", der dem Aufenthaltsregelungsgesetz zugrunde liegt, kann nur dann der Bevölkerung gegenüber vertretreten werden, und es besteht auch nur dann Ausicht, ihn durchzusetzen, wenn die Menschen in ihrer Not wissen, daß sie vor den sie bedrohenden Gefahren an Ort und Stelle einen gewissen Schutz finden können.
      Der Streit, ob Schutzmaßnahmen auf baulichem Gebiet heute überhaupt noch sinnvoll sind, hat lange Zeit hin und her gewogt. Auch das Bundesministerium des Innern hat sich häufig mit dieser Frage befassen müssen. Heute kann glücklicherweise festgestellt werden, daß sich die Meinungen auf diesem Gebiet etwas abgeklärt haben. Die Auffassung der Bundesregierung hierzu kann in Übereinstimmung mit Herrn Professor Weizsäcker und anderen namhaften Wissenschaftlern, die sich dankenswerterweise zu einer Untersuchungs- und Studiengruppe für diese Frage zusammengeschlossen haben, dahin zusammengefaßt werden, daß Schutzbauten — abgesehen von den Fällen rein terroristischer Vernichtungsangriffe — durchaus geeignet erscheinen und geeignet sind, dem Überleben der Bevölkerung — und dazu sind alle diese Maßnahmen in erster Linie vorgesehen — zu dienen.
      Um auch dieses Problem einmal plastisch darzustellen, darf ich auf ein Beispiel aus der Übung FALLEX 62 zurückgreifen.

      (Abg. Wittrock: Geheim!)

      — Geheim? Nein, der Teil nicht!

      (Abg. Dr. Deist: Wer bestimmt das?)

      — Ein Gutachter des Innenministeriums

      (Heiterkeit)

      und letzten Endes ,die Rechtsprechung.

      (Abg. Wehner: Gut! Letzten Endes!)

      Im Anschluß an diese Übung wurden die Verluste ermittelt, .die unter .der Bevölkerung einer mittleren Stadt im westlichen Teil unserer Bundesrepublik und des angrenzenden Landgebiets voraussichtlich entstehen würden, wenn eine Kernwaffe mittlerer Größe, wie in der Übung angenommen wurde, im Stadtzentrum oder am Stadtrand explodierte. Ohne bauliche Schutzmaßnahmen würden in beiden Fällen mehr als ein Drittel der Landbevölkerung und mehr als vier Fünftel der Stadtbevölkerung zugrunde gehen.
      Bei Grundschutzmaßnahmen, die Schutz gegen herabfallende Trümmer oder einstürzende Häuser und gegen radioaktive, chemische und biologische Einwirkungen bieten, würden die Verluste unter der Bevölkerung in der Umgebung statt ein Drittel nur noch 10% betragen; im Stadtgebiet selbst würden sich die Verluste aber nur geringfügig vermindern, und zwar bei der Detonation am Stadtrand um etwa 10 bis 20%, bei der Detonation in dier Stadtmitte um etwa 5%.



      Bundesminister Höcherl
      Stehen aber darüber hinaus, wie es der Entwurf vorsieht, im Stadtgebiet verstärkte Schutzräume zur Verfügung, dann würden bei einer Detonation am Stadtrand innerhalb der Stadt praktisch keine Verluste eintreten, während bei der Detonation in der Stadtmitte immerhin noch eine Verminderung auf weniger als die Hälfte derjenigen Verluste zu erreichen wäre, die bei Beschränkung auf Grundschutz befürchtet werden müßten.
      Grundschutzmaßnahmen bringen also in ländlichen Gebieten einen sehr beachtlichen Rettungszuwachs; in größeren Städten reichen sie sicherlich nicht aus. Hier ist ein einigermaßen wirksamer Schutz nur durch verstärkte Schutzräume zu erzielen.
      Diese Frage einer Differenzierung des Schutzgrades der Schutzbauten in Stadt und Land ist zwar sehr umstritten. Die Bundesregierung ist jedoch nach jahrelangen eingehenden Untersuchungen und Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, daß mindestens für gewisse Ballungsgebiete und -bereiche ein zusätzlicher Druckschutz von etwa 3 Atmosphären, der ohne allzu große Mehrausgaben erreicht werden könnte, bereits ein erhebliches Maß an Verbesserung des Schutzes bedeuten würde.
      Die Bundesregierung war bei der Gestaltung des Entwurfs des Schutzbaugesetzes besonders bestrebt, da's Maß des im Ernstfall zur Verfügung stehenden Schutzes nicht von dem Umfang der dem einzelnen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel abhängig sein zu lassen. Die finanziellen Opfer, die die Errichtung von Schutzbauten von allen fordern, sollen und müssen durch staatliche Zuschüsse in einem für den einzelnen, seinen Vermögensverhältnissen nach, erträglichen Maß gehalten werden. Es muß also ein entscheidender sozialer Effekt in all diesen Überlegungen und Maßnahmen sichtbar werden.
      So trägt der Staat z. B. die Mehrkosten des verstärkten Schutzes in Neubauten. 'Die Kosten des Grundschutzes in Neubauten trägt grundsätzlich der Bauherr, wobei die Finanzierung durch vom Bund verbürgte Darlehen sichergestellt werden soll. Außerdem können die zusätzlichen Kosten in gewissem Umfange auf die Mieter, für die der Grundschutz geschaffen wird, umgelegt werden. Um übermäßige 'Belastungen der Mieter durch die Errichtung von Schutzräumen in bestehenden Gebäuden zu vermeiden, soll eine 3%ige Annuitätsbeihilfe gewährt werden, die knapp die Hälfte der jährlichen Belastungen durch Zinsen und Tilgung deckt. Außerdem sieht der Entwurf auch für den 'Fall Beihilfen vor, daß die Mieterhöhungen, die durch Abwälzung der jährlichen 'Belastung durch den Schutzraumbau auf den Mieter hervorgerufen werden, bestimmte, je nach Einkommenshöhe abgestufte Grenzen überschreiten.
      In erster Linie muß es das Ziel sein, den Menschen unmittelbar bei der Wohnung einen Schutzplatz zu sichern. Dies allein genügt aber nicht. Stellen Sie sich bitte vor, wie es im Falle eines überraschenden Kriegsausbruchs aussähe, wenn zwischen der Alarmierung der Bevölkerung und dem Einsatz der ersten Bomben oder Raketen nur wenige Minuten lägen. Das ist eine durchaus realistische Annahme. Ein großer Teil der Bevölkerung würde 'sich dann nicht in den Wohnungen aufhalten und wäre auch nicht in der Lage, zu den Wohnungen zurückzukehren. Kinder befänden sich in der Schule oder auf dem Wege dorthin, Arbeiter wären an ihren Arbeitsstätten usw. Deshalb brauchen wir Schutzräume in sämtlichen Arbeitsstätten, in Schulen, Krankenhäusern, Hotels und ähnlichen Einrichtungen, an Verkehrszentren usw., wo Menschen untergebracht sind oder sich in großer Zahl aufhalten.
      Der Entwurf sieht eine Verpflichtung zum Schutzraumbau nur in Neubauten vor. Unsere heutige Baukonjunktur läßt es nicht zu, sofort auch für Altbauten einen Grundschutz oder einen verstärkten Schutz zu erstellen. Die Eigentümer von Altbauten sollen jedoch durch gezielte und kumulierte Anreize veranlaßt werden, freiwillig Schutzräume zu errichten. Die Bundesregierung muß sich dabei vorbehalten, bei einem Abflauen der Baukonjunktur auf eine entsprechende Ausdehnung der Schutzbaupflicht hinzuwirken. Sie hofft, daß es auf diese Weise in nicht allzu langer Zeit möglich sein wird, einer großen Zahl von Bewohnern der Bundesrepublik Schutzräume zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung isst sich dessen bewußt, daß gerade der Entwurf eines Schutzbaugesetzes einer besonders eingehenden Beratung bedarf und ist für Anregungen und Verbesserungsvorschläge jederzeit dankbar.
      Bine notwendige Ergänzung des Schutzbaugesetzes stellt das Selbstschutzgesetz dar, dem ich mich nunmehr zuwenden darf. Hier handelt es sich um eine Reihe weiterer Vorbereitungen, die von der Bevölkerung selbst getroffen werden müssen, damit sie sich in einem Verteidigungsfall wenigstens notdürftig vor Iden unmittelbaren Auswirkungen der Kampfhandlungen schützen kann. Alle behördlichen Rettungsmaßnahmen und selbst die baulichen Schutzvorkehrungen müssen wirkungslos bleiben, wenn die Bevölkerung in Panik gerät, weil sie nicht weiß, wie sie sich in solchen Augenblicken am zweckmäßigsten verhält.
      Bei der gegenwärtigen Rechtslage hängt die Vorbereitung und Durchführung von Selbstschutzmaßnahmen von einem freiwilligen Tätigwerden der Bevölkerung und der Betriebe ab. Die bisherigen Erfahrungen haben aber gezeigt, daß trotz aller Empfehlungen der zuständigen Stellen nur von einem geringen Teil der Bevölkerung und der Betriebe ausreichende Selbstschutzvorbereitungen getroffen werden. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung würde demnach den Gefahren völlig unvorbereitet gegenüberstehen. Die in einer Spannungszeit vielleicht noch mögliche Information über Angriffswaffen und Schutzmöglichkeiten könnte an diesem Zustand nichts mehr ändern, da die Zeit für Vorbereitungen fehlen würde und praktische Übungen kaum noch nachgeholt werden könnten.
      Sollte es sich z. B. in einer Spannungszeit als notwendig erweisen, allgemein eine Verdunkelung durchzuführen, dann könnte diese Maßnahme schon wegen Materialmangels mit größter Wahrscheinlichkeit nicht durchgeführt werden, abgesehen davon,



      Bundesminister Höcherl
      daß die gegenwärtige Rechtslage allenfalls eine entsprechende Empfehlung zuließe. Ähnlich steht es mit einem Notvorrat an Lebensmitteln, den ich schon in einem anderen Zusammenhang behandeln konnte, oder mit der Bevorratung von Arznei- und Verbandsmitteln sowie mit Ausrüstungsgegenständen überhaupt; auch hier könnten Lücken im letzten Augenblick nicht mehr geschlossen werden.
      Es wird oft übersehen, daß der Selbstschutz auch oder vielmehr gerade in einem künftigen Krieg als ein Kernpunkt des zivilen Bevölkerungsschutzes angesehen werden muß. Bei jedem behördlichen Hilfseinsatz, der den einzelnen unterstützen soll, ist im Falle starker Zerstörungen und Verstrahlung mit großen Verzögerungen zu rechnen, die unter Umständen tagelang dauern können. Der einzelne wind demnach zunächst oft auf sich selbst angewiesen sein, bevor ihn Hilfe von außen erreicht. Diese Überlegungen zwingen zu zahlreichen Selbstschutzmaßnahmen und -vorbereitungen in jedem Haus und in jedem Betrieb und zur Ausbildung im selbstschutzmäßigen Verhalten.
      Die Regierungsvorlage sieht deshalb für den Frieden eine Reihe von Vorbereitungs-, Beschaffungs- und Ausbildungspflichten vor. Dabei ist in jeder Gemeinde die Schaffung einer Selbstschutzorganisation vorgesehen, die in erster Linie die gegenseitige Hilfe vorbereiten und bei einem Notstand auch durchführen soll.
      Ebenso wie der Bau von Hausschutzräumen dürfen auch Vorbereitungen für den Selbstschutz nicht auf Wohnhäuser beschränkt bleiben. Der Arbeitnehmer, der die notwendigen Vorbereitungen in seinem Hause trifft, soll auch in seiner Arbeitsstätte bei einem Überraschungsangriff nicht schutzlos den Gefahren ausgesetzt sein. Aus diesem Grunde regelt das Selbstschutzgesetz auch den Selbstschutz in Betrieben und weist allen Betrieben mit mindestens zehn Beschäftigten eine Reihe von Vorbereitungspflichten zu.
      Bei allen Bestimmungen des Gesetzentwurfs ist die Zumutbarkeit — sowohl in zeitlicher als auch in finanzieller Hinsicht — jeweils sehr eingehend geprüft worden. Soweit die Grenze des Zumutbaren in einzelnen Fällen um des Zweckes willen überschritten werden muß, sieht der Entwurf eine Kostentragung der öffentlichen Hand vor. Dies gilt auch für Hilfsbedürftige und Minderbemittelte.
      Lassen Sie mich nun noch einige Worte zu dem Entwurf des letzten der acht einfachen Gesetze sagen, zu dem Entwurf zur Ergänzung des Bundesgrenzschutzgesetzes: Dieses Gesetz steht zwar seinem Inhalte nach etwas außerhalb der Reihe der bisher behandelten Vorlagen. Es hängt aber insofern innerlich mit ihnen zusammen, als es sich auf gleiche Grundsituationen bezieht.
      Ich muß hier zunächst einer Mißdeutung entgegentreten, die dieser Entwurf von bestimmter Seite erfahren hat, und mit allem Nachdruck, meine Damen und Herren, feststellen, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, die Bundesgrenzschutzbeamten zu Soldaten zu machen oder in die Bundeswehr zu überführen. Weder der Status der Grenzschutzbeamten noch ihr polizeilicher Aufgabenkreis sollen verändert werden. Es ist auch nicht daran gedacht, Einheiten oder Verbände des Bundesgrenzschutzes mit militärischen Kampfaufträgen einzusetzen. Der Gesetzentwurf hat vielmehr vor allem völkerrechtliche Bedeutung. Sein Zweck besteht in erster Linie darin, die Beamten des Bundesgrenzschutzes und die im Grenzaufsichtsdienst tätigen Beamten der Bundeszollverwaltung völkerrechtlich zu schützen, wenn sie sich bei der Erfüllung ihrer polizeilichen Aufgaben gegen Angriffe von Personen wehren müssen, die völkerrechtlich Kombattanten sind. In diese Zwangslage kann der Bundesgrenzschutz bei der Durchführung grenzpolizeilicher Aufgaben kommen. Denn § 2 des Bundesgrenzschutzgesetzes enthält für ihn die sonderpolizeiliche Generalermächtigung, das Bundesgebiet gegen verbotene Grenzübertritte, insbesondere durch die Ausübung der Paßnachschau, und gegen sonstige, die Sicherheit der Grenzen gefährdende Störungen der öffentlichen Ordnung im Grenzgebiet zu sichern.
      In Friedenszeiten sind die polizeilichen Maßnahmen des Bundesgrenzschutzes gegen alle Personen, die die Sicherheit der Grenzen verletzen, durch diesen § 2 gedeckt; denn im Frieden sind diese Personen — gleichviel, ob es sich um Soldaten oder Zivilisten handeln sollte — Störer im polizeirechtlichen Sinne. Nach Ausbruch eines Krieges kommen Maßnahmen auf Grund des Polizeirechts gegen einen angreifenden Gegner jedoch nicht in Betracht; es gilt allein das Kriegsvölkerrecht, das nur zwischen Angehörigen der bewaffneten Macht und Zivilpersonen unterscheidet. Es bestimmt, daß sich Zivilpersonen — und das sind auch die Beamten ,des Bundesgrenzschutzes — nicht an Kampfhandlungen gegen Angehörige einer feindlichen bewaffneten Macht beteiligen dürfen. Da der Kriegszustand heute nicht mehr in jedem Falle durch formelle Kriegserklärung festgestellt wird, sondern oft schon mit dem tatsächlichen Beginn von bewaffneten Auseinandersetzungen einsetzt, könnte der Bundesgrenzschutzbeamte unter Umständen nicht erkennen, ob es sich bei einem mit militärischen Mitteln angreifenden Gegner lediglich um einen Störer dm polizeirechtlichen Sinne oder um Kombattanten im kriegsvölkerrechtlichen Sinne handelt, und demzufolge nicht entscheiden, ob er gegen den Gegner als Störer im polizeirechtlichen Sinne einschreiten kann, ihn also gegebenenfalls festnehmen muß, oder ob er gegen ihn nicht einschreiten darf, weil der Gegner Kombattant ist. Sie wissen, daß in der Sowjetzone die Grenztruppe in die Volksarmee eingegliedert worden ist und daß es einen Grenzschutz in unserem Sinne in diesem Bereich nicht mehr gibt. Darin liegt eine Rechtsunsicherheit, die wir von unseren Grenzbeamten nehmen müssen und aus der für die Grenzschutzbeamten schwerwiegende Nachteile entstehen könnten. Der Schutz der Grenzschutzbeamten ist nur dann voll gewährleistet, wenn alle Maßnahmen, die sie zur polizeilichen Sicherung der Demarkationslinie oder der Bundesgrenzen treffen, rechtlich gedeckt sind. Das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes über den Bundesgrenzschutz und die Einrichtung von Bundesgrenzschutzbehörden soll hier eine Lücke schließen, indem es den Grenzschutzbeamten die



      Bundesminister Höcherl
      Berechtigung gibt — und nur das —, auch angreifende Kombattanten im Sinne des Kriegsvölkerrechts mit der Waffe abzuwehren, und dadurch die entsprechenden völkerrechtlichen Schutzwirkungen eintreten läßt.
      Neben dem Bundesgrenzschutz stehen an den Grenzen der Bundesrepublik und der Demarkationslinie Beamte der Zollverwaltung, Zollgrenzdienst genannt. Die Zollverwaltung nimmt von jeher neben den Aufgaben der Waren- und Sachkontrolle .weitgehend auch grenzpolizeiliche Aufgaben wahr. Da dieser Aufgabenübertragung bis jetzt nur eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesfinanzministerium zugrunde liegt, ist es der erste und Hauptzweck des § 2 b, eine eindeutige Rechtsgrundlage zu schaffen. Zugleich wird sichergestellt, daß auch die im Grenzdienst eingesetzten Beamten der Zollverwaltung den Schutz des Völkerrechts im gleichen Umfang genießen wie ihre Kameraden vom Bundesgrenzschutz.
      Ich darf ergänzend anfügen, daß sämtliche Innenminister der Länder der Überzeugung sind, daß man eine solche Schutzfunktion auch auf die allgemeine Polizei ausdehnen sollte. Wir sind in unserer Vorlage nicht so weit gegangen, aber es gibt gute Gründe für diese Auffassung.
      Nun darf ich zu dem zweiten Teil meiner Ausführungen, zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, übergehen.
      Dem Grundgesetz liegen zwei Entscheidungen der verfassunggebenden Gewalt Ides deutschen Volkes zugrunde: einmal die Entscheidung für die Freiheit des einzelnen, aber auch die Entscheidung für die Verpflichtung des einzelnen gegenüber dem Ganzen, die mit jedem Freiheitsrecht unlösbar und notwendigerweise verbunden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat einmal von dem Menschenbild des Grundgesetzes gesagt, es sei nicht das des selbstherrlichen Individuums — oft hat man den Eindruck, so wäre es —, sondern das der in der Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit.
      Mit dem Entwurf des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes hat sich die Bundesregierung bemüht, aus diesen 'beiden Grundentscheidungen die Folgerungen für den Fall einer schweren Gefährdung unseres staatlichen Gemeinwesens zu ziehen. Ihr standen dabei die großartigen Beispiele der Selbstbeschränkung und Opferbereitschaft vor Augen, die die alten westlichen Demokratien z. B. im zweiten Weltkrieg gegeben haben, um ihre Freiheit zu bewahren und über diese ernste Zeit hinüberzuretten. Die Bundesregierung hat sich dabei auch von der geschichtlichen Erfahrung leiten lassen, daß ein Volk notfalls bereit sein muß, vorübergehend, soweit es erforderlich ist, auf einen Teil seiner Freiheitsrechte zu verzichten, wenn es seine Freiheit auf die Dauer erhalten will, und daß es für eine Nation keinen bequemen Ausweg gibt, um sich diesen schicksalhaften Notwendigkeiten zu entziehen.
      Wie Ihnen bekannt ist, habe ich bei der Vorbereitung des Entwurfs dieser Grundgesetzergänzung mehrere Gespräche mit allen im Bundestag vertretenen Parteien, mit den Gewerkschaften und vielen anderen Organisationen und Verbänden gehabt, um eine Lösung zu finden, die der Zustimmung der überwiegenden Mehrheit unseres Volkes gewiß sein kann.
      Der Entwurf geht von dem Grundsatz aus, daß das geltende Grundgesetz nur dann und nur insoweit eingeschränkt werden darf — das ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Adäquanz —, als dies unerläßlich ist, um einer drohenden Gefahr Herr zu werden.
      Es ist selbstverständlich, daß alle Vorsorgemaßnahmen der Verwaltung, soweit sie in normalen Zeiten getroffen werden, sich im Rahmen der geltenden Verfassung zu bewegen haben. Das gleiche gilt auch für Maßnahmen der zivilen Verteidigung in Spannungszeiten bis zum Zeitpunkt ihrer krisenhaften Zuspitzung. Erst wenn ein bewaffneter Angriff droht oder wenn ein solcher — sei es nach voraufgegangener Spannungszeit oder überraschend — begonnen hat, sollen gewisse verfassungsrechtliche Sonderregelungen in Kraft treten, die den verfassungsrechtlichen Rahmen, der der Gesetzgebung und Verwaltung bis dahin gezogen ist, erweitern und unbeschadet der Fortgeltung der schon vorher in Kraft getretenen Vorsorgegesetze den Erlaß weiterer Vorschriften ermöglichen sollen.
      Diese Sonderregelungen sind im wesentlichen dreifacher Art. Erstens betreffen sie den Umfang des Grundrechtsschutzes der Freiheitssphäre des einzelnen, die in Zeiten einer schweren Gefährdung des Gemeinwesens zu ihrer Erhaltung nicht in dem gleichen Maße gewährleistet werden kann wie in Normalzeiten. Zweitens beziehen sich die Sonderregelungen auf das staatsrechtliche Verhältnis des Bundes zu den Ländern. Dieses Verhältnis bedarf, wenn das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff droht, der Anpassung an die veränderten Umstände. Dies muß teils im Sinne einer stärkeren Konzentration der Zuständigkeiten und einer Erweiterung der Weisungsbefugnisse der Gesamtstaatsführung geschehen, teils wird eine größere Dezentralisation zugunsten der Teilstaatsgewalten notwendig sein. Drittens erscheint es der Bundesregierung unerläßlich, für den Fall eines bewaffneten Angriffs ein vereinfachtes Gesetzgebungsverfahren vorzusehen, da das Rechtsstaatsprinzip und damit auch der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung auch im Kriegsfalle unter allen Umständen aufrechterhalten werden müssen, die Abwehrmaßnahmen aber auch nicht durch das Fehlen der notwendigen Rechtsgrundlagen gefährdet werden dürfen.
      Die Bundesregierung hat sich bei allen von ihr vorgeschlagenen Sonderregelungen auf das Mindestmaß dessen beschränkt, was ihr nach den uns vorliegenden Erfahrungen und zugänglichen Erkenntnissen unerläßlich erschien. Lassen Sie mich auch dies an einem Beispiel verdeutlichen.
      Im wirtschaftlichen Bereich kann es sich als notwendig erweisen, während eines Krieges Betriebe der Ernährungswirtschaft, der Verkehrswirtschaft



      Bundesminister Höcherl
      oder des allgemeinen gewerblichen Bereichs zur besseren Funktionsfähigkeit zu Arbeitsgemeinschaften zusammenzuschließen, ohne sich dabei der vielfach nicht geeigneten Formen öffentlich-rechtlicher Körperschaften zu bedienen. Nach Art. 9 Abs. 1 des Grundgesetzes, der auch die sogenannte negative Vereinsfreiheit garantiert, wäre das nicht zulässig. Es bedarf daher einer entsprechenden Sonderregelung für Kriegszeiten.
      Auch hier sei zur Vermeidung von Mißverständnissen und Mißdeutungen ausdrücklich festgestellt, daß dabei in keiner Weise an eine Einschränkung der Koalitionsfreiheit gedacht ist und der Bestand und die Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften unangetastet bleiben sollen. Das kommt im Regierungsentwurf deutlich darin zum Ausdruck, daß eine zusätzliche Einschränkbarkeit des die Koalitionsfreiheit gewährleistenden Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes auch für den Zustand der äußeren Gefahr nicht vorgesehen ist. Dies gilt auch für die Freiheit zum legitimen arbeitsrechtlichen Streik im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Ich darf bei dieser Gelegenheit wiederholen, daß wir nach unseren bisherigen sehr positiven Erfahrungen überzeugt sein dürfen, daß der Arbeiter in solchen Situationen nicht in erster Linie an solche Dinge denkt.
      Nach Art. 104 des Grundgesetzes darf die Polizei aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen. Stellen wir uns einmal vor, die Polizei habe im Kriegsfall einen Plünderer, einen Spion oder einen Agenten des Gegners vorläufig festgenommen. Wenn der Richter erreichbar ist, soll es selbstverständlich auch in solchen Zeiten bei den kurzen Fristen für die Herbeiführung der richterlichen Nachprüfung oder die Vorführung vor den Richter verbleiben. Was aber soll geschehen, wenn das Gerichtsgebäude zerstört, die Verkehrsverbindung zum Gericht unterbrochen oder der Richter aus anderen Gründen nicht rechtzeitig erreichbar ist? Soll dann der Polizeibeamte gehalten sein, einen Plünderer, einen Spion oder einen Agenten, den er festgenommen hat, am Abend des nächsten Tages wieder auf freien Fuß zu setzen? Ich glaube, Sie werden mit mir darin übereinstimmen, daß für solche Fälle Vorsorge getroffen und die Möglichkeit geschaffen werden muß, die Frist durch eine Rechtsvorschrift angemessen zu verlängern.
      Gewiß werden Sie in diesem Zusammenhang von mir auch ein Wort zu dem viel diskutierten Thema der Pressefreiheit erwarten. Lassen Sie mich dazu folgendes sagen, meine Damen und Herren: Die Bundesregierung ist sich der Aufgabe bewußt, die eine freie Presse innerhalb einer freiheitlichen Demokratie auch in Kriegszeiten zu erfüllen hat. Die Bundesregierung ist aber auch der Auffassung, daß eine öffentliche Aufgabe nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich bringt. Wie Sie wissen, ist die Bundesregierung bemüht — ich habe das schon bei der Einbringung dieses Gesetzes vor dem Bundesrat erklärt und in einigen öffentlichen Erklärungen wiederholt —, in Zusammenarbeit mit Repräsentanten der deutschen Presse nach dem Vorbilde anderer freiheitlicher Demokratien — vor allem schwebt uns das englische Vorbild vor — ein System der freiwilligen Selbstkontrolle aufzubauen. Von den im Entwurf vorgesehenen Einschränkungsmöglichkeiten im Bereich der Grundrechte aus Artikel 5 des Grundgesetzes soll nur dann Gebrauch gemacht werden können, wenn dieses System nicht funktioniert. Sie werden, wie ich hoffe, mit mir darin übereinstimmen, daß ein in seiner Existenz gefährdeter Staat das Recht haben muß, im äußersten Falle sich auch gegen derartige Bedrohungen zu verteidigen.
      Lassen Sie mich nun zu den Sonderregelungen übergehen, die das staatsrechtliche Verhältnis des Bundes zu den Ländern im Ernstfalle betreffen, also zu der bundestaatlichen Problematik des Regierungsentwurfs.
      Hier geht es zunächst um die Frage der Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Bekanntlich hat das Grundgesetz die meisten Sachgebiete dem Bundesgesetzgeber zugewiesen. Dem Landesgesetzgeber sind nur verhältnismäßig wenig Materien überlassen. Dabei handelt es sich aber zum Teil gerade um solche Materien, die für die zivile Verteidigung von ausschlaggebender Bedeutung sind, wie z. B. das Recht der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, das ganze Polizeirecht, oder das Recht der öffentlichen Verwaltung. In besonderen Notzeiten kann es sich als unerläßlich erweisen, auf solchen Sachgebieten in gewissem Umfange bundeseinheitliche Regelungen zu schaffen.
      Da die Grundsätze der Organisation der öffentlichen Verwaltung weitgehend durch das Grundgesetz selbst festgelegt worden sind, bedarf es, um zu einer gewissen Vereinheitlichung auf diesem Gebiet zu kommen, nicht nur einer Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes, sondern auch einer Befreiung des Bundesgesetzgebers von den ihm durch das Grundgesetz vorgeschriebenen Typen und Regelungen für das Zusammenwirken zwischen Bund und Ländern. Es liegt auf der Hand, daß eine tiefgreifende Umgestaltung der Organisation der öffentlichen Verwaltung während eines Gefahrenzustandes nicht allein einer erst dann zu treffenden gesetzlichen Regelung überlassen bleiben darf. Der Regierungsentwurf sieht daher vor, daß eine gewisse Erweiterung der Weisungsbefugnisse des Bundes bereits bei Beginn des Zustandes der äußeren Gefahr von Verfassungs wegen automatisch eintritt. Dies gilt auch für das Recht der Bundesregierung zur Bestellung von Bundesbeauftragten, für alle eingesetzen Vollzugskräfte und für die Verwaltung. Daß dabei weitgehend auf die Interessen der Länder Rücksicht genommen wird, versteht sich von selbst.
      Da die allgemeinen Verhältnisse während eines Krieges sich grundlegend von der in normalen Zeiten bestehenden Situation unterscheiden, kann es auch unvermeidbar werden, von der festgesetzten Finanzverfassung abzuweichen.
      Während eines Zustandes der äußeren Gefahr kann es sich aber nicht nur als notwendig erweisen,



      Bundesminister Höcherl
      die Staatsgewalt im Bereich der Legislative und Exekutive beim Bund zu konzentrieren, sondern es kann auch notwendig werden, eine Dezentralisation der Gesamtstaatsgewalt vorzunehmen. Wenn einmal ein bewaffneter Angriff auf das Bundesgebiet begonnen hat, kann es im Verlaufe der militärischen Operationen zu Situationen — etwa zu Insellagen —kornmen, in denen das Vorhandensein selbständig handelnder regionaler und örtlicher staatlicher Instanzen von entscheidender Bedeutung für die Selbstbehauptung der Bevölkerung ist. Diesen Instanzen — also bis herunter zum Landrat und zum Bürgermeister der kreisfreien Stadt — muß in einem solchen Falle durch eine entsprechende vorsorgliche Vorschrift in der Verfassung auch die Legitimation und die Kompetenz verliehen werden, die notwendigen Maßnahmen im Bereiche nicht nur der Exekutive, sondern — soweit erforderlich — auch der Legislative zu ergreifen. Der Regierungsentwurf trägt auch dieser Notwendigkeit Rechnung.
      Ich komme jetzt zu der dritten Gruppe von Sonderregelungen: dem vereinfachten Gesetzgebungsverfahren, einer Sonderregelung also, die die eigentliche Aufgabe dieses Hohen Hauses, die Rechtsetzung, berührt. Wie Sie dem Regierungsentwurf bereits entnommen haben werden, geht er davon aus, daß die Gesetzgebungsgewalt auch während des Zustandes der äußeren Gefahr, also auch in einem Kriegsfalle, grundsätzlich bei diesem Hohen Haus — in bestimmten Fällen unter Mitwirkung des Bundesrates — zu verbleiben hat. Ich möchte dies besonders unterstreichen.
      Was bedeutet 'dies praktisch? Nehmen wir zunächst einmal den günstigsten Fall an, unterstellen wir also, daß der Bundestag auch nach Beginn des Zustandes der äußeren Gefahr noch ungehindert zusammentreten und ungestört beraten kann. In diesem Falle müßte ein Gesetzentwurf auch während des Zustandes der äußeren Gefahr alle Stadien des regulären Gesetzgebungsverfahrens durchlaufen, also vom ersten Durchgang durch den Bundesrat über drei Lesungen und die Ausschußberatunaen des Bundestages bis zum zweiten Durchaang mit der Möglichkeit einer Anrufung des Vermittlunasausschusses und etwa anschließendem Einspruchsverfahren. Ich habe einmal feststellen lassen —das ist ein interessanter Vorgang —, wie lange es durchschnittlich dauert, bis der Entwurf eines Bundesgesetzes das Licht der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt erblickt. Dabei hat sich ergeben, daß die Durchschnittsdauer etwa neun Monate beträgt! Regierungsentwürfe brauchen sogar noch etwas länger, während die Initiativgesetzentwürfe etwas weniger Zeit benötigen. Ich will dabei keineswegs unterlassen, zur Ehre des Hohen Hauses zu sagen, daß es auch einzelne ausgesprochene Schnelläufer unter den Gesetzentwürfen gibt, die das Klassenziel in sieben Tagen erreicht haben.

      (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Die Laufdauer im Kabinett und in den Ressorts beträgt doch auch oft Jahre!)

      — Neun Monate und ein Vierteljahr, das ist ein sehr günstiges Verhältnis für die Bundesregierung.

      (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Und die Laufdauer Ihrer Entwürfe zum Schutzraumgesetz?)

      — Die ist gar nicht so erheblich, wie Sie meinen, Herr Kollege Schmitt. Es gibt einen einfacheren Weg: die Tatsachen zu ermitteln! Das sind dann ganz sichere 'Basen.

      (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Sie dürfen doch nicht die Laufdauer des letzten Entwurfs nehmen, sondern müssen alle einrechnen!)

      Auch angesichts dieser wenigen Ausnahmen kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, daß das normale Gesetzgebungsverfahren seiner Natur nach einer ernsten Situation nicht gerecht wird, der wir uns im Falle eines drohenden oder gar eines bereits rollenden militärischen Angriffs auf das Bundesgebiet gegenübersehen würden. Außerdem muß selbstverständlich auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß das Plenum des Bundestages infolge äußerer Umstände nicht mehr zusammentreten oder nicht mehr rechtzeitig einen Beschluß fassen kann. Die Bundesregierung hat gleichwohl in dem Ihnen vorliegenden Entwurf aus dieser Erkenntnis nicht die Folgerung gezogen, daß in solchen Fällen sofort ein Rechtsetzungsrecht der vollziehenden Gewalt entstehen müsse. Sie hat vielmehr die Einrichtung einer Art von Notparlament vorgeschlagen, ,das aus 20 — zweifellos sehr prominenten — Mitgliedern des Bundestages und zehn Mitgliedern des Bundesrates bestehen soll. Dieses Notparlament soll während des Zustandes der äußeren Gefahr Träger der Gesetzgebungsgewalt sein, wenn es der Bundestag — d. h. das Bundestagsplenum — hierzu ermächtigt. Außerdem tritt automatisch — d. h. auch ohne eine solche ausdrückliche Ermächtigung durch das Plenum des Bundestages —ein Recht dieses Notparlaments zur Ausübung der gesetzgebenden Gewalt ein, wenn dem Zusammentritt oder der rechtzeitigen Beschlußfassung des Bundestages unüberwindliche 'Hindernisse entgegenstehen.
      Endlich sieht der Regierungsentwurf als ultima ratio auf dem Gebiet der Legislative während des Zustands der äußeren Gefahr ein Notverordnungsrecht der Bundesregierung für den Fall vor, daß die Lage ein sofortiges Handeln erfordert. Zieht man die geringe Mitgliederzahl des Notparlaments und seine nicht an Formvorschriften gebundene Arbeitsweise in Betracht—die Geschätfsordnung gibt es sich selbst —, so zeigt sich, daß die Voraussetzung für das Notverordnungsrecht der Bundesregierung voraussichtlich nur in ganz außergewöhnlichen und besonders eilbedürftigen Krisensituationen innerhalb des allgemeinen Zustandes der äußeren Gefahr erfüllt sein wird. Die Möglichkeit solcher außergewöhnlicher Krisensituationen kann jedoch im modernen Krieg nicht ausgeschlossen werden. Die Bundesregierung hält es daher für unerläßlich, in der Verfassung auch für eine solche extreme Situation geeignete Vorsorge zu treffen.



      Bundesminister Höcherl
      Namens der Bundesregierung möchte ich mit allem gebotenen Ernst betonen, daß sie die Einräumung dieses Notverordnungsrechtes als einen wesentlichen und unverzichtbaren Bestandteil ihres Entwurfes ansieht — unverzichtbaren, ich darf das wiederholen,

      (Hört! Hört! bei der SPD)

      um das ganz deutlich zu sagen; es ist doch viel besser, wir klären diese Dinge vorher ab —, aber auch aus den sachlichen Gründen, die vorgetragen worden sind, als einen unverzichtbaren Bestandteil ihres Entwurfes ansieht. Sie ist davon überzeugt, daß verfassungsrechtliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes gegen ein solches Notverordnungsrecht, wie es der Regierungsentwurf vorsieht, nicht bestehen. Der Grundsatz der Gewaltenteilung wird auch deshalb nicht verletzt, weil es sich nur um eine exzeptionelle, auf eine besondere Gefahrensituation beschränkte, befristete Übertragung der Rechtsetzungsmacht auf die vollziehende Gewalt handelt und diese Übertragung keinen anderen Zweck hat als den, den Bestand des Staates — und darum geht es — und seine Verfassungsordnung vor der tödlichen Bedrohung zu schützen oder wiederherzustellen.
      Meine bisherigen Ausführungen haben sich auf den Zustand der äußeren Gefahr beschränkt, auf eine Regelung also, deren Notwendigkeit im großen und ganzen unbestritten ist. Soweit hier noch Meinungsverschiedenheiten bestehen, beziehen sie sich im wesentlichen nur auf Modalitäten und Einzelheiten des Entwurfs. Bei demjenigen Teil der Regierungsvorlage, der den Zustand der inneren Gefahr betrifft, ist die Situation insoweit eine ganz andere, als hier nicht nur das Wie, sondern auch das Ob umstritten ist. Lassen Sie mich daher zunächst einige Worte über die Notwendigkeit auch dieses Teiles des Entwurfs vortragen.
      Von Kritikern einer Regelung des Zustandes der inneren Gefahr im Grundgesetz ist eingewandt worden, die bisherige innenpolitische Entwicklung der Bundesrepublik zeige, wie entbehrlich derartige Grundgesetzvorschriften seien. Aber, meine Damen und Herren, können und dürfen wir uns darauf verlassen, daß die friedlichen Zustände, die der Bundesrepublik im Innern in den ersten Jahren ihres Bestehens beschieden waren, für alle Zeiten fortdauern?
      Ein weiterer Einwand bezweifelt die Möglichkeit der Gefährdung der Bundesrepublik von innen heraus, weil es in der Bevölkerung heute — anders als in der Zeit von Weimar — keine Waffenbestände gebe. Dabei genügt schon ein Blick auf die Demarkationslinie zur sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, um zu erkennen, wie leicht diesem „Mangel" von drüben abgeholfen werden kann und der Staatsfeind im Innern über Nacht mit allem versorgt werden könnte, was er an Waffen, Munition und sonstigem technischen Gerät braucht.

      (I setze Organisationen und Machtmittel voraus, über die heute nur die Inhaber der staatlichen Gewalt gebieten, von denen daher auch die einzige wirkliche, reale Gefahr einer Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung — die Gefahr eines Staatsstreichs von oben — ausgehe. An dieser Argumentation ist so viel richtig, daß der Möglichkeit eines Mißbrauchs der Macht durch staatliche Organe in geeigneter Weise auch durch entsprechende Vorschriften in der Verfassung Rechnung getragen werden muß. Hierauf werde ich am Schluß meiner Ausführungen besonders eingehen. Im übrigen verkennt diese Kritik etwas sehr Wesentliches. Wir haben es heute nicht mehr mit Staatsfeinden zu tun, die als Einzelne oder in Gruppen von sich aus handeln. Der moderne Typ des Staatsfeindes ist ein ganz anderer. Es ist der im Auftrag eines fremden Staates oder einer fremden Regierung handelnde Agent, die „Fünfte Kolonne" — wie es der Herr Kollege Arndt in seiner Schrift formuliert hat —, die die finanzielle Unterstützung eines fremden Staates oder einer fremden Regierung oder sogar einer fremden Großmacht genießt und deren organisatorische und technische Machtmittel hinter sich hat. Die Bundesregierung ist deshalb der Auffassung, daß ein Verfassungsgesetzgeber von heute auch diese modernen Erscheinungsformen revolutionärer Angriffe auf den Bestand und die verfassungsmäßige Ordnung des eigenen Staates in Rechnung stellen muß und entsprechende Vorkehrungen zu treffen hat. Der Regierungsentwurf tut dies, indem er bestimmte Sonderregelungen auch für den Fall eines Zustandes der inneren Gefahr vorsieht. Dabei ist in erster Linie an innere Gefahrensituationen gedacht, die erkennbar auf Einwirkungen von außen zurückgehen. Das ist die spezifische deutsche Situation. Erfahrungsgemäß muß aber auch mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß sich die Einwirkung von außen nicht oder noch nicht eindeutig nachweisen läßt, ohne das deshalb auf wirksame Abwehrmaßnahmen verzichtet werden könnte oder ohne daß ein solcher Zusammenhang in Wirklichkeit bestünde. In solchen Fällen, meine Damen und Herren, müssen bestimmte, besonders gefährliche Aktionsformen als Anzeichen für den außergewöhnlichen Grad der Bedrohung ausreichen. Gedacht ist dabei vor allem an Gewaltund Terrorakte, die der Regierungsentwurf in Anlehnung an strafrechtliche Tatbestände näher umschrieben hat. Fragen wir uns nun, welche Regelungen das Grundgesetz für Fälle einer derartigen inneren Gefahr bereit hält! Die Antwort gibt Art. 91 des Grundgesetzes. Sie lautet: Bei regionalen Notständen kann ein Land die Polizeikräfte anderer Länder anfordern. Bei überregionalen Notständen hat die Bundesregierung das Recht, die Polizeikräfte der Länder ihren Weisungen zu unterstellen. Das ist alles. Das sage ich vor allem denjenigen, die der Auffassung sind und sie fortgesetzt verbreiten, daß wir das Notstandsrecht weder für den äußeren noch für den inneren Notstand nötig hätten, weil alles Notwendige bereits geregelt sei. Meine Damen und Herren, warum dann Bundesminister Höcherl einen alliierten Vorbehalt, wenn alles schon erschöpfend geregelt ist! Weder die in einem Land konzentrierten noch die von der Bundesregierung zentral geführten Polizeikräfte haben also bei einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Staates irgendwelche weitergehende Vollmachten als in normalen Zeiten. Auch sonst bleibt es sowohl im Bereich der Legislative als auch in dem der übrigen Exekutive in jeder Hinsicht bei der in normalen Zeiten geltenden Regelung. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß dies keine hinreichende Vorsorge für den Fall möglicher innerer Gefahrenzustände darstellt, und sie weiß sich in dieser Beurteilung auch mit den Landesregierungen ohne Unterschied einig. Nach Auffassung der Bundesregierung bedarf Art. 91 des Grundgesetzes einer Ergänzung in doppelter Richtung. Zunächst müssen die Abwehrmöglichkeiten erweitert werden, die den Ländern — dort ist der Schwerpunkt — bei regionalen Gefahrenzuständen zur Verfügung stehen. Zu diesem Zwecke sollte die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder vorübergehend in den durch die Notwendigkeit der Gefahrenabwehr gezogenen Grenzen erweitert und dem Landesgesetzgeber auch die Möglichkeit gewisser zusätzlicher Einschränkungen einzelner Grundrechte des Grundgesetzes eingeräumt werden. Das Ausmaß muß sich bei dem Tatbestand der inneren Gefahr natürlich etwas zurückhaltender ausdrücken, als das bei der äußeren Gefahr der Fall ist. Außerdem erscheint es angebracht, im Grundgesetz auch eine Regelung über das Notverordnungsrecht der Landesregierungen zu treffen, soweit diese von den den Ländern eingeräumten Sondervollmachten Gebrauch machen. Sollte es dem betreffenden Land trotz dieser Sondervollmachten nicht gelingen, einer Gefahr Herr zu werden, oder liegt aus anderen Gründen von vornherein eine überregionale Gefahrenlage vor, so müssen umgekehrt die Abwehrmöglichkeiten des Bundes auf Kosten der Zuständigkeit der Länder erweitert werden. Der Regierungsentwurf sieht daher für diese Fälle eine Erweiterung der Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes sowie ein Recht des Bundesgesetzgebers vor, in weitergehendem Maße als in normalen Zeiten in bestimmte Grundrechte einzugreifen, aber in einem beschränkteren Maße, als das beim äußeren Notstand der Fall ist. Außerdem ist vorgesehen, daß die Einflußrechte des Bundes gegenüber den Ländern über den Bereich der Polizeikräfte hinaus auf den gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung erstreckt werden und daß in extremen Situationen innerer Notstände auch in einem vereinfachten Rechtssetzungsverfahren — durch ein Notparlament und äußerstenfalls durch Notverordnungen der Bundesregierung — Recht gesetzt werden kann. Lassen Sie mich nun die Notwendigkeit derjenigen Grundrechtseinschränkungen näher begründen, die nach dem Regierungsentwurf sowohl bei regionalen als auch bei überregionalen Notständen vorgesehen sind. Nach Art. 11 des Grundgesetzes genießen alle Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Dieses Recht darf nur durch Gesetz zu den im Grundgesetz genau bezeichneten Zwecken eingeschränkt werden, u. a. um strafbaren Handlungen vorzubeugen. Diese Einschränkungsmöglichkeiten müssen in Notzeiten erweitert werden, um z. B. größere Unruhegebiete vorübergehend zernieren und für den Zustrom von Personen generell sperren zu können. Ein anderes Beispiel, bei dessen Erwähnung ich wohl der Zustimmung meiner Innenministerkollegen in den Ländern gewiß sein kann: Es dürfte außer Zweifel stehen, daß es sich bei schweren inneren Gefahrenlagen unter Umständen als unumgänglich notwendig erweisen kann, vorübergehend ein allgemeines Versammlungsverbot zu verhängen, um eine Beruhigung und Entspannung der Situation zu erreichen. Die gegenwärtige Verfassungslage steht einem solchen generellen Versammlungsverbot entgegen. Auch insoweit bedarf es also einer vorsorglichen Regelung, wie sie der Regierungsentwurf vorsieht. Auch bei inneren Gefahren kann es sich als notwendig erweisen, daß die staatlichen Stellen die Hilfe der Presse in Anspruch nehmen, sei es zur Bekanntmachung und Verbreitung bestimmter amtlicher Verlautbarungen, Warnungen und dergleichen, sei es in der Weise, daß die Presse gebeten wird, vorübergehend von der Veröffentlichung bestimmter Nachrichten Abstand zu nehmen, deren Verbreitung unerwünschte Folgen für die Abwehrmaßnahmen haben kann. Man ,denke z. B. an Nachrichten, die eine Panik auslösen oder dem Gegner wichtige Fingerzeige geben können. Ich hoffe — und die bisher vorliegenden Erfahrungen berechtigen zu dieser Hoffnung —, daß sich unsere Presse den Belangen des Gemeinwohls und den berechtigten Wünschen der zuständigen Stellen auch in der Zukunft nicht verschließen wird. Wer aber gibt uns die Gewähr dafür, daß dies in allen Fällen und unter allen Umständen geschehen wird? Man sollte vom Verfassungsgesetzgeber nicht verlangen, daß er seine Augen vor den Realitäten verschließt und auf eine Vorsorge für solche Fälle ganz verzichtet. Wie ich bereits angedeutet habe, können sich Zustände der inneren Gefahr, die auf Einwirkungen von außen zurückgehen, als Auftakt einer militärischen Aktion des Gegners darstellen. Der Regierungsentwurf sieht deshalb vor, daß in solchen Fällen, bei denen es sich stets um überregionale Gefahrenlagen handeln dürfte, weitere Grundrechtseinschränkungen zulässig sein sollen, ähnlich denen während des Zustandes einer äußeren Gefahr. Soviel zur Frage der Notwendigkeit der im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelung des Zustandes der inneren Gefahr. Gestatten Sie mir nun noch einige Worte zu dem Abschnitt des Regierungsentwurfs, der der Regelung des Katastrophenzustandes gilt. Ich will mich hier darauf beschränken, Ihnen am Beispiel der norddeutschen Flutkatastrophe kurz darzulegen, welche Maßnahmen in diesem Falle Bundesminister Höcherl nach geltendem Verfassungsrecht nicht hätten getroffen werden können — wir sind froh, daß sie getroffen worden sind —, für die aber gleichwohl ein Bedürfnis bestand und die daher für die Zukunft durch die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung eindeutig sanktioniert werden sollen, ohne daß damit in irgendeiner Weise der Vorwurf erhoben werden soll, bei den damaligen behördlichen Abwehrmaßnahmen sei etwas unterlassen worden oder unrechtmäßig gewesen. Nicht zulässig war es, für den gesamten, die Gebiete mehrerer Länder umfassenden von der Katastrophe bedrohten Raum einen Bundesbeauftragten, etwa in der Person des Ministerpräsidenten eines der Länder, einzusetzen, wie das nahegelegen hätte, um den einheitlichen Einsatz aller Vollzugskräfte des Bundes und der Länder sicherzustellen und die zuständigen Bundesund Landesdienststellen mit den entsprechenden Weisungen zu versehen. Entgegen standen die Regelungen der Art. 83 f. des Grundgesetzes. Nicht zulässig wäre es gewesen, daß auch der Bundesgrenzschutz und die Bundeswehr Absperrungen, Schritte gegen Plünderer oder andere hoheitliche Maßnahmen durchführten. Auch dies verbot die Regelung der Art. 83 f. des Grundgesetzes. Soweit die Bundeswehr in Betracht kam, stand wohl auch Art. 143 des Grundgesetzes entgegen. Nicht zulässig wäre wohl auch — im Hinblick auf Art. 11 des Grundgesetzes — die Erklärung des gesamten Katastrophengebietes zum Sperrgebiet für den privaten Kraftfahrzeugverkehr und zur Verhinderung des Herbeiströmens von Massen Schaulustiger gewesen. Nicht möglich war weiter die Anforderung von Sachleistungen auf Grund des Bundesleistungsgesetzes, da dieses für den Fall von Naturkatastrophen nicht gilt und nach Ansicht des Bundesrates mangels einer entsprechenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes auch nicht auf solche Fälle erstreckt werden dürfte. Nicht zulässig wäre nach dessen Verabschiedung auch eine Anwendung des Zivildienstgesetzes gewesen, da dieses aus diesen Gründen keine Regelung für den Fall von Naturkatastrophen enthält und nach Ansicht des Bundesrates auch nicht enthalten dürfte. Nicht zulässig wäre ebenfalls schließlich nach dessen Verabschiedung auch eine Anwendung des Aufenthaltsregelungsgesetzes gewesen, etwa zum Zwecke der zwangsweisen Räumung bestimmter Wohnblocks, da nach Ansicht des Bundesrates auch insoweit keine Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gegeben wäre. Ich hoffe, Ihnen mit dieser Aufzählung überzeugend dargetan zu haben, daß auch die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung für den Fall eines Katastrophenzustandes notwendig und zweckmäßig ist. Mit Freude und Genugtuung darf ich dabei feststellen, daß sich auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme der Anerkennung dieser Notwendigkeit grundsätzlich nicht verschlossen hat. Überblicken wir nun rückschauend die Gesamtheit der im Entwurf vorgesehenen Regelungen, so muß ohne weiteres eingeräumt werden, daß sie für die Dauer besonderer Notzeiten die Grenzen nicht unerheblich erweitern, die der Staatsgewalt gegenüber der Rechtsund Freiheitssphäre des Einzelnen in Normalzeiten gezogen sind. Das sich hier stellende Problem der Vermeidung von Überdehnungen oder Mißbräuchen der Sondervollmachten kann nicht dadurch gelöst werden, daß man der Staatsführung die notwendige Handlungsfreiheit vorenthält und die Wirksamkeit ihrer Abwehrmaßnahmen beschränkt, sondern nur dadurch — das ist die einzig mögliche Rechtsetzungstechnik —, daß man geeignete Sicherungen und Kautelen schafft, die den Sondervollmachten auf derselben Ebene gegenüberstehen. Ich darf wohl sagen, daß dieser Entwurf solche Sicherungsmaßnahmen und Garantien in einem Ausmaße enthält, wie es in keiner ausländischen Verfassung und überdies auch in keiner unserer eigenen Länderverfassungen, die ja bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes für solche Fälle anwendbar waren und die zum Teil recht strikte Regelungen getroffen haben, bisher der Fall ist. Dies ist nicht zuletzt der Grund für den verhältnismäßig großen Umfang — den ich ebenfalls 'bedauere — und die Kompliziertheit des Regierungsentwurfs und den dadurch bedingten Stilunterschied gegenüber dem klassischen Teil des Grundgesetzes mit seiner einfachen und klaren Sprache. Erlauben Sie mir jetzt noch — und darauf lege ich einen ganz besonderen Wert —, dieses System der Sicherungen und Garantien — denn als ein solches wird man es wohl bezeichnen können — im einzelnen vor Ihnen zu entwickeln. Betrachten wir zunächst den Zustand der äußeren Gefahr. Die erste entscheidende Sicherung gegen eine vorzeitige oder mißbräuchliche Anwendung der Sonderregelungen besteht darin, daß die darin vorgesehenen Sondervollmachten nicht automatisch zur Entstehung kommen, von einem besonderen Fall abgesehen. Nach dem Regierungsentwurf treten diese Sondervollmachten vielmehr nur in Kraft, wenn ein anderes Verfassungsorgan — und zwar dieses Hohe Haus, also Sie, meine Damen und Herren, mit Zustimmung des Bundesrates, notfalls das Notparlament und äußerstenfalls der Bundespräsident — ausdrücklich festgestellt hat, daß die Voraussetzungen für eine Entstehung der Sondervollmachten tatsächlich gegeben sind. Bei der Vorschrift des Art. 115h des (Gesetzentwurfs, der ein automatisches Inkrafttreten der Sondervollmachten vorsieht, ist lediglich an solche Situationen gedacht, in denen kein Zweifel über das Vorliegen der Voraussetzungen des Inkrafttretens der Sondervollmachten möglich ist, also etwa an einen Überraschungsangriff unter Einsatz nuklearer Waffen auf das Bundesgebiet. Eine weitere Sicherung gegen einen Mißbrauch der Sondervollmachten oder ein Übermaß ihrer Anwendung besteht darin, daß dieses Hohe Haus — gegebenenfalls das Notparlament — immer der souveräne Herr des Zustandes der äußeren. Gefahr bleibt und ihn jederzeit für beendet erklären sowie die auf seiner Grundlage getroffenen Maßnahmen beliebig abändern oder aufheben kann. Bundesminister Höcherl Eine dritte — gewissermaßen automatisch wirkende — Sicherung besteht darin, daß alle Notgesetze und Notverordnungen sowie auch reguläre Bundesgesetze, die unter Inanspruchnahme außerordentlicher Zuständigkeitsnormen ergangen sind, nach Ablauf von sechs Monaten von selbst außer Kraft treten, damit also dann, wenn ihre Geltungsdauer verlängert werden muß, der politische Entschluß jeweils neu als weitere Garantie eingesetzt wird. Besonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß die Stellung und die verfassungsmäßigen Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts auch während des Zustandes der äußeren Gefahr unangetastet bleiben. Die besondere Bedeutung der Kontrollfunktion dieses hohen Gerichts wird deutlich, wenn man in Betracht zieht, wie eng die Voraussetzungen der im Entwurf vorgesehenen Sonderregelungen darin umschrieben sind und in welchem Umfang dadurch eine gerichtliche Nachprüfung möglich wird. Lassen Sie mich nunmehr zu der Frage der Sicherung gegen Mißbräuche während eines Zustandes der inneren Gefahr übergehen. Sie werden gewiß schon bemerkt haben, daß hier das Inkrafttreten der Sonderregelungen anders als beim Zustand der äußeren Gefahr nicht von einer vorhergehenden förmlichen Feststellung, einer Proklamation durch das Parlament abhängig sein soll. Kritiker des Regierungsentwurfs haben dagegen eingewandt, gerade bei Zuständen der inneren Gefahr sei eine solche förmliche Feststellung ganz besonders notwendig; denn gerade hier könne es besonders leicht zu Meinungsverschiedenheiten über das Vorliegen der Voraussetzungen für Sondervollmachten kommen. Auch der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme in einem solchen Sinne geäußert. Meine Damen und Herren, das ist für mich kein Dogma. Wir haben in unserer Gegenäußerung erklärt, daß wir durchaus bereit sind, Änderungsvorschläge des Bundesrates zu prüfen. Lassen Sie mich hier aber trotzdem die Gründe darlegen, die die Bundesregierung dazu veranlaßt haben, in ihrem Entwurf auf eine förmliche Feststellung des Eintrittes des Zustandes der inneren Gefahr zu verzichten. Damit ist keine irgendwie getarnte Absicht verbunden. Einmal handelt es sich bei den hier vorgesehenen Sonderregelungen — die sich systematisch als eine Erweiterung des Art. 91 des Grundgesetzes darstellen — um wesentlich weniger weittragende Maßnahmen als im Falle des Zustandes der äußeren Gefahr. Dies gilt um so mehr, als sie bei regionalen Notständen auch räumlich auf Teilbereiche des Bundesgebietes begrenzt sind. Zum anderen darf nicht übersehen werden, daß der Bundestag, dessen Aktionsfähigkeit bei Zuständen der inneren Gefahr in der Regel erhalten bleiben wird, jederzeit das Recht hat, alle während des Zustandes der inneren Gefahr ergangenen Rechtsetzungsakte und die auf ihrer Grundlage getroffenen Maßnahmen aufzuheben und abzuändern. Hinzu kommt, daß die Stellung und die verfassungsmäßigen Funktionen des Bundesverfassungsgerichts selbstverständlich auch während eines Zustandes der inneren Gefahr erhalten bleiben und die kasuistische Regelung der vorgesehenen Sondervollmachten auch hier weitgehend gerichtliche Nachprüfung ermöglicht. Außerdem ist auch für den Fall des inneren Notstandes das automatische Außerkrafttreten von Notgesetzen und Notverordnungen sowie regulärer Bundesgesetze, die unter Inanspruchnahme der erweiterten Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers ergangen sind, nach sehr kurzer Frist vorgesehen. Ganz besonders möchte ich jedoch darauf hinweisen, daß der polizeiliche Einsatz der Streitkräfte im Inneren grundsätzlich nur nach vorheriger Zustimmung dieses Hohen Hauses zulässig sein soll und jederzeit auf sein Verlangen eingestellt werden muß. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang, Ihre Aufmerksamkeit auch noch auf den § 2 des Regierungsentwurfs zu lenken. Danach soll die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers hinfort bereits in Normalzeiten auch die Vorsorge für den Fall des Eintritts überregionaler Zustände der inneren Gefahr und ebensolcher Katastrophenzustände umfassen. Eine solche Zuständigkeitsregelung, der der Bundesrat im Grundsatz bereits zugestimmt hat, wird es in Zukunft erlauben, bereits in normalen Zeiten im regulären Gesetzgebungsverfahren — ähnlich dem Ihnen heute vorliegenden Paket einfacher Vorsorgegesetze für den Verteidigungsfall — auch alle diejenigen Rechtsvorschriften durch dieses Hohe Haus verabschieden zu lassen, deren es voraussichtlich im Falle überregionaler Zustände innerer Gefahr oder überregionaler Katastrophenzustände bedarf. Damit wird die Notwendigkeit, im Ernstfalle den Weg der außerordentlichen Gesetzgebung über Notgesetze des Notparlaments oder Notverordnungen der Bundesregierung zu beschreiten, stark eingeschränkt. Meine Damen und Herren, ich möchte meine Ausführungen nicht schließen, ohne noch einem Gedanken Ausdruck zu verleihen, der, wie ich meine, bei den Überlegungen dieses Hohen Hauses in seiner Eigenschaft als Verfassungsgesetzgeber nicht außer Betracht bleiben darf. Die Bundesregierung hat sich, wie ich glaube, Ihnen dargelegt zu haben, bemüht, eine Regelung zu finden, die den Bedürfnissen nach Sicherung des Staates und seiner Verfassung gegen drohende Gefahren gerecht wird, die aber auch die berechtigten Belange des einzelnen nicht übergeht und vernachlässigt. Vielleicht wird Ihnen die eine oder die andere der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Sicherungen gegen einen Mißbrauch der Sondervollmachten nicht als ausreichend erscheinen. Wie auch immer Ihre Entscheidung letztlich ausfallen mag, in jedem Falle sollte das Bestreben aller an diesem großen Werke der Verfassungsgesetzgebung beteiligten Organe unseres Staates darauf gerichtet sein, eine Lösung zu finden, die sich im Ernstfalle auch tatsächlich als praktikabel und nicht als ein vielleicht sehr fein gesponnenes, aber nicht haltbares und der rauhen Bundesminister Höcherl Wirklichkeit nicht standhaltendes Gespinst von Rechtsvorschriften erweist. Eine verfassungsrechtliche Regelung für den Notstand, die im Ernstfall nicht praktikabel ist, erscheint mir — erlauben Sie mir, dies an dieser Stelle in aller Deutlichkeit zu sagen — fast schlimmer als keine Regelung; würde sie uns doch unter Umständen der eindeutigen besatzungsrechtlichen Rechtsgrundlagen berauben, die heute in Gestalt der Vorbehaltungsrechte der Drei Mächte aus Art. 5 Abs. 2 des Deutschlandvertrages noch zur Verfügung stehen, ohne eine ausreichende Regelung aus eigenem Recht an ihre Stelle zu setzen. Unser aller Bestreben müßte es sein und wird es sein — daran habe ich keinen Zweifel —, eine verfassungsrechtliche Regelung zu treffen, die im Ernstfalle die verantwortlichen Organe der Staatsführung nicht untragbaren Gewissenskonflikten aussetzt, bei denen ihnen keine andere Wahl bliebe als die zwischen der untätigen Duldung des Untergangs unseres Staatswesens oder der Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand mit all seinen flexiblen Möglichkeiten. Ich meine auch aus den Worten unseres verehrten Herrn Bundespräsidenten, die er kürzlich beim Neujahrsempfang für die Bundesregierung gesprochen hat, eine solche Sorge herauszuhören. Lassen Sie mich daher diesen Appell an Sie als den Verfassungsgesetzgeber des deutschen Volkes richten: Schaffen Sie eine praktikable Regelung, die unter Wahrung der berechtigten Belange des einzelnen der Staatsführung dasjenige Maß an Handlungsfreiheit gewährt, dessen sie in einer Gefahrensituation bedarf, um der Bedrohung des Gemeinwesens und unserer demokratischen Ordnung Herr werden zu können. Die Bundesregierung ist sich dessen bewußt, daß das von ihr vorgelegte Gesetzgebungswerk ein totes Papier bleiben wird und müßte, wenn das deutsche Volk, seine Führung und seine Organe im Ernstfall nicht bereit wären, sich mit allen Kräften für die Behauptung unserer staatlichen Existenz und unserer Freiheit einzusetzen. Meine Damen und Herren, wir haben bei dem Aufbau unseres Verteidigungsbeitrags ein Höchstmaß an gemeinsamer Verantwortung gezeigt, und gemeinsam stehen Wir hinter diesem Verteidigungsbeitrag, der nach einer Bemerkung des Generals Nor-stad, die vor wenigen Tagen in einem Interview gemacht wurde, mit die größte Beitragsleistung der letzten Jahre im westlichen Bereich darstellt. Wenn wir in der Aufgabe, die vor uns steht, in der Aufgabe, Vorausschau zu zeigen und Vorsorge zu treffen für innere und äußere Notstände im zivilen Bereich und im Verfassungsbereich, genau den gleichen Zusammenhalt und das gleiche Verantwortungsgefühl beweisen, dann bin ich überzeugt, daß dieses Gesetzgebungswerk trotz seiner vielen Schwierigkeiten in einer angemessenen und kurzen Zeit verabschiedet wird und daß es getragen wird — nicht nur bei der Verfassungsänderung, sondern auch bei den einfachen Gesetzen — von einer großen und breiten Mehrheit dieses Hauses. Damit sind die Notstandsgesetze zu den Punkten 5, 6 und 7 der Tagesordnung begründet. Wir kommen nunmehr zur Aussprache über den Punkt 5, also über das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes. — Das Wort hat der Abgeordnete Hoogen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat sich für heute und morgen vorgenommen, zu überlegen und zu beraten, was die Regierung, was der Deutsche Bundestag, was alle Verfassungsorgane zu tun gedenken, wenn unser Staat der Existenzgefahr ausgesetzt werden sollte. Ich habe genau wie Sie alle den Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Er hat hier in anderthalb Stunden, wie ich glaube, ein Meisterwerk der Redekunst vollbracht, er hat nämlich in dieser Zeit gleich neun Gesetze begründet. Ich habe mir überlegt, nach welchem Schema ich zu diesen Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers Stellung nehmen soll. Da kommt mir die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu Hilfe, die besagt, daß in der ersten Lesung von Vorlagen, also von Gesetzentwürfen — hier von neun Gesetzentwürfen und hier insonderheit von der Grundgesetzergänzung — über die Grundsätze beraten werden soll. Weiter kommt mir die Vorschrift der Geschäftsordnung des Bundestages zu Hilfe, die besagt, daß zu Beginn der dritten Lesung, d. h. also nach Durchführung der Einzelberatung in der zweiten Lesung, nachdem alle Einzelheiten erörtert worden sind und sie den Mitgliedern des Hohen Hauses präsent sind, noch einmal über die Grundsätze der Vorlage gesprochen werden soll. Ich halte das für eine sehr gute Bestimmung und nehme mir selbst vor, mich sehr streng daran zu halten und nicht in die Einzelheiten zu gehen. Worum geht es, meine Damen und Herren, bei dieser Notstandsregelung, und vor allen Dingen: worum geht es nicht? Ich sehe in diesem Hohen Hause eine Reihe von Kollegen und Kolleginnen, die noch eine Zeit erlebt haben, in der in Deutschland mit Hilfe von Notverordnungen regiert und Recht gesetzt wurde. Sie wissen, was ich meine. Ich meine die Zeit vom Juli 1930 bis zum 28. Februar 1933. Am 28. Februar 1933 wurde eine Notverordnung erlassen, die sich „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Reich" nannte. Im nachhinein hat sich herausgestellt, daß das eine Maßnahme war, die Volk und Reich nicht schützte, sondern die Not steigerte und die Axt an das Fundament des Reiches legte. Ich gehöre zu denen, die der Meinung sind, daß durch diese Notverordnung vom 28. Februar 1933 eigentlich der Grund für den 8. Mai 1945 gelegt wurde, weil damals nämlich Recht und Freiheit zerstört wurden. Ich glaube, gerade in diesen Tagen drängen sich diese Gedanken auf; denn in diesen Tagen ist es ja 30 Jahre seit dem Erlaß jener Notverordnung her. Wenn wir diese Überlegungen anstellen, sollten wir auch daran denken — das ist mein Beitrag zu Hoogen der Überlegung, worum es nicht geht —, daß es damals nicht darum ging, eine Not von Volk und Reich zu beseitigen. Es ging vielmehr darum, einen Gesetzgebungsnotstand zu beseitigen, in den sich, wie ich glaube, der Gesetzgeber ab Juli 1930 zumindest noch in dem im Jahre 1928 gewählten Reichstage, ich will nicht sagen, absichtlich, aber durch eine gewisse Fahrlässigkeit selbst gebracht hatte. Ich weiß nicht, ob es damals sehr klug war, daß es der Gesetzgeber sich selbst versagte, der finanziellen Not des Reiches zu begegnen, und es der Reichsregierung überließ, eine Notverordnung zu erlassen. Der Gesetzgeber begnügte sich damit, die Aufhebung dieser Notverordnung zu verlangen, ohne selbst Maßnahmen zu treffen. Es kam zur Auflösung des Reichstags, und die Situation in dem im September 1930 gewählten Reichstag war nicht besser, sondern schlechter. Damit möchte ich schließen, in Ihre Erinnerung zurückzurufen, was man mitbedenken muß, wenn man als Verfassunggeber, der wir hier sind, überlegt — darauf hat .der Herr Bundesinnenminister mit Recht hingewiesen —, was man auf der einen Seite zu tun bereit ist und was auf der anderen Seite unter allen Umständen verhindert werden muß. Die Schwierigkeit liegt ja in der Tat darin, daß auf der einen Seite Maßnahmen und die Möglichkeit dazu überlegt werden müssen, wie den Gefahren, die der Existenz des Staates drohen, wirksam begegnet werden kann. Auf der anderen Seite muß verhindert werden, daß bei diesen Möglichkeiten, bei diesen Sondervollmachten, bei diesem aus dem Gewohnten-Gleichgewicht-Geraten der drei staatlichen Gewalten ein Mißbrauch ausgeschlossen wird. Der Bundesinnenminister — da gebe ich ihm durchaus recht — hat gegen Schluß seiner Darlegungen uns hier noch einmal sehr eingehend die Sicherungen vor Augen geführt, obwohl wir sie alle in der Vorlage gelesen haben und wir alle sie aus der Diskussion in der Öffentlichkeit kennen. Wir werden in den Beratungen im Rechtsausschuß und in den anderen beteiligten Ausschüssen zu überlegen haben, ob sich diese Sicherungen noch verbessern lassen. Über die Frage, ob überhaupt eine solche Regelung, ob überhaupt eine solche Ergänzung des Grundgesetzes notwendig ist, bestehen eigentlich seit 1948, seit den Tagen des Parlamentarischen Rates Meinungsverschiedenheiten. In seinem Hauptausschuß und in seinen damit befaßten Sonderausschüssen — Organisationsausschuß, Grundsatzausschuß, ich weiß nicht, wie sie alle heißen — ist die Frage seinerzeit beraten worden, weil der von den Ministerpräsidenten der Länder vorgelegte Entwurf von Herrenchiemsee diese Frage in der Tat behandelte. Man hat es damals aus Gründen abgelehnt, die wir wohl in diesem Hause nicht erörtern sollten, zumal es sehr schwer ist, sie festzustellen, weil die Meinungen darüber in der Diskussion auseinandergehen. Es ist auch gar nicht nötig, darüber zu sprechen, sondern es ist notwendig, festzustellen, daß wir in unserer Verfassung keine, wie meine Freunde in der CDU/CSU und ich glauben, genügende Regelung haben. Aber es ist völlig falsch, zu meinen, wir hätten kein Notstandsrecht. Eine nicht festgelegte Regelung ist auch eine Regelung, bis zum übergesetzlichen Notstand hinauf. Denn daß die Regierung eines Staates die Pflicht hat, dann zu handeln, wenn die Existenz dieses Staates in Gefahr gerät, ist, glaube ich, wohl aus dem Gesichtspunkt der Notwehr heraus selbstverständlich. Dann ist es mir schon lieber, in der Verfassung dieses Staates ist gesagt, wer in einem solchen Falle zum Handeln berufen ist, damit kontrolliert werden kann; denn auch in solchen Zeiten müssen in einem freiheitlich verfaßten Rechtsstaate, den wir ja, wie ich glaube, auch in Notzeiten nicht aufgeben wollen, die Staatsorgane mitwirken, die zur Kontrolle der Regierungsgewalt berufen sind. Es ist auch völlig falsch zu meinen, wir hätten in unseren Länderverfassungen kein Notstandsrecht. Das können nur alle die annehmen, die die Länderverfassungen nicht gelesen haben. Da bin ich allerdings nicht mit dem Herrn Bundesinnenminister der Meinung, daß das Notverfassungsrecht der Länder ohne weiteres außer Kraft sei. Ich glaube das nicht. Dieses Notstandsrecht in den Länderverfassungen gleicht in vielen Punkten dem Art. 48 der Weimarer Verfassung. Sehen wir uns z. B., um bei diesem Punkte noch kurz zu verweilen, die Verfassungen zweier Länder in dieser Hinsicht an, deren Hauptstädte benachbart sind, nämlich Wiesbaden und Mainz. Rheinland-Pfalz hat in seiner Verfassung ein Notstandsrecht, das dem Art. 48 sehr ähnlich ist, während Hessen ein Notstandsrecht in seiner Verfassung hat, das alle Maßnahmen mit Zweidrittelmehrheit des Landtages beschlossen wissen will und sonst niemandem eine Vollmacht gibt. (Abg. Schmid [Frankfurt] : In beiden Fällen hat sich der genius loci ausgewirkt!)














      (Beifall bei der CDU/CSU.)


    Rede von Dr. Richard Jaeger
    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
    • insert_commentNächste Rede als Kontext
      Rede von Matthias Hoogen


      • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
      • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)





      (Abg. Dr. Schäfer: Wundert Sie das?) — Ich stelle das fest.

      — Ich glaube, Herr Kollege Schmid, es ist hier nicht der Ort, das zu besprechen. Im Rechtsausschuß werden wir vielleicht einmal darüber sprechen und festzustellen versuchen, welche Erfahrungen man mit dieser Art Regelung hat sammeln können.
      Meine Damen und Herren, diese wenigen Hinweise zeigen jedem, daß unsere Regelung auf diesem Gebiete so vielgestaltig und so unterschiedlich ist, daß sie im Ernstfall nicht funktionieren kann. Ich stelle das deswegen fest und sage es deswegen sehr betont, weil ich damit denen antworten will, die in der Öffentlichkeit in den letzten drei Jahren, seit dem November 1959, als die Debatte sehr ernst in Gang kam, mit Gründen, die man nicht ohne weiteres von der Hand weisen kann, wenn man sich das in die Erinnerung zurückruft, was ich eingangs gesagt habe, der Meinung sind, daß wir ein Notstandsrecht weder für den äußeren noch für den inneren Notstand brauchen. Wenn auch ihre Zahl in diesem Hohen Hause, wie ich glaube, kleiner geworden ist, so ist das in der Öffentlichkeit doch immer noch im Gespräch, und uns liegt daran, der Öffentlichkeit nicht ein Notstandsrecht zu verordnen, sondern, wie es der Herr Bundesinnenminister



      Hoogen
      versucht hat, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß es notwendig ist und daß wir es uns sehr angelegen sein lassen, die Fehler, die in der Vergangenheit auf diesem Gebiete gemacht worden sind, nicht zu wiederholen.

      (Beifall bei der CDU/CSU.)

      Meine Damen und Herren, so viel zu der Frage, ob es zur Wendung der Not notwendig ist.
      Jetzt zu der Frage der Ausgestaltung! Da kann ich mich verhältnismäßig kurz fassen. Dazu hat der Herr Bundesinnenminister sehr, sehr ausführlich Stellung genommen, d. h. zu den Einzelheiten der Art. 115 a ff., zumal ich mir ja auch selbst vorgenommen habe, zu den Grundsätzen zu sprechen.
      Einer dieser Grundsätze ist der, daß in Abkehr von Art. 48 der Weimarer Verfassung — und ich glaube, aus vielen Gesprächen mit Kollegen aller Fraktionen dieses Hohen Hauses und auch außerhalb dieses Hauses festgestellt zu haben, daß alle diese Notwendigkeit bejahen — dieser Notstand in rein tatsächlicher Hinsicht von den in der Verfassung dazu berufenen Organen in aller Form festgestellt werden muß. So wie es früher in der Königlich-Preußischen und in der Königlich-Bayerischen Verfassung angeordnet war, daß es mit Trompetenschall zu geschehen habe, soll es in der heutigen Zeit nicht geschehen, aber es soll in aller Form dem Bürger vor Augen geführt werden, daß sich der Staat in Not befindet und daß mit Sondervollmachten regiert werden muß.
      Damit bin ich schon bei der zweiten Grundsatzfrage, nämlich den Sondervollmachten des einen Verfassungsorgans an das andere, sprich: des Parlaments an die Regierung; denn sie ist die in erster Linie stets präsente Staatsgewalt, die den Notständen begegnen muß. Da erhebt sich gleich die Frage: Soll 'die Regierung das Notverordnungsrecht so haben, wie sie es in Weimar hatte? Diese Frage ist von der Bundesregierung und, ich glaube, von uns allen hier in diesem Hohen Hause verneint worden.
      Sie kennen den Entwurf. Er sieht einen Notstandsausschuß sowohl für die Feststellung des Notstandes wie auch für .die Notgesetzgebung vor. Ich darf für mich persönlich sagen: ich bin nicht sehr glücklich darüber, daß dieser Ausschuß sowohl mit Mitgliedern des Bundestages wie des Bundesrates besetzt werden soll. Aber über diese Frage wird man im Ausschuß, wird man in der zweiten Lesung, in der dritten Lesung hier noch einmal verhandeln müssen. Ich will mich dazu hier nicht verbreiten; ich glaube, das wäre nicht sehr sinnvoll. Daß dieser Ausschuß eingerichtet werden soll, halte ich für sehr glücklich und für sehr notwendig, und zwar nicht zuletzt aus folgender Erwägung. Ich weiß, daß ich mit dem, was ich sage, nicht die Zustimmung aller in diesem Hause finde; ich darf mir aber gleichwohl erlauben, es zu sagen: Ich glaube, daß die politischen Parteien in der Weimarer Zeit — sie waren damals die Träger der politischen Gewalt und sind es auch heute —, in der Mitte des Jahres 1930, als mit der Notstandsgesetzgebung zu regieren begonnen werden mußte, weil die letzte parlamentarisch gebildete und kontrollierte Regierung Hermann
      Müller-Franken gestürzt war und eine neue nicht gebildet werden konnte, aus der Verantwortung geflohen sind.

      (Abg. Dr. Schäfer: Genau! — Abg. Dr. Schmid [Frankfurt] : Das war das Verhängnis!)

      — Das war das Verhängnis! Ich freue mich, Herr Kollege Professor Schmid, daß Sie mir das bestätigen. Durch die Einrichtung dieses Ausschusses und die Art und Weise der — verzeihen Sie mir das häßliche Wort — Beschickung dieses Ausschusses möchte ich den Verantwortlichen den Fluchtweg verlegen.

      (Beifall.)

      Das ist für mich ein wesentlicher Grundsatz dieses Gesetzgebungswerks. Ich bin sehr glücklich, daß wir die Bundesregierung und den Herrn Bundesinnenminister davon überzeugen konnten und daß dieser Grundsatz, der in der vorigen Legislaturperiode aus dem Bundesrat gekommen ist, Aufnahme in die Regierungsvorlage gefunden hat. Ich bin keineswegs der Meinung, daß dadurch die Möglichkeiten, Gefahren zu bekämpfen, erschwert würden. Ein Ausschuß von 30 hier am Sitz der Bundesregierung anwesenden Mitgliedern des Parlaments oder beider Häuser ist genauso funktionsfähig wie das Kabinett, das ungefähr gleich groß ist.
      Nun zu der dritten Grundsatzfrage, die für mich fast die allerwichtigste ist: Wie gelangen die im Notstandsfall aus der Hand gegebenen Vollmachten, wie gelangen die Sondervollmachten wieder in die Hand des normalen Gewaltenträgers zurück? Da heißt es in dem Entwurf, daß das Parlament jederzeit zusammentreten und den Notstand für beendet erklären könne. So einfach ist das, glaube ich, nicht. Diese Frage bewegt mich deshalb so sehr, weil es in zwei Notstandsfällen der Weimarer Zeit, insbesondere in dem letzten, dem Parlament nicht gelungen ist, die aus der Hand gegebenen Vollmachten zurückzubekommen, sondern es der Hilfe des Auslandes und ausländischer Streitkräfte bedurfte, um in Deutschland wieder geordnete demokratische Verhältnisse herzustellen. Es ist schrecklich, das zu sagen, aber man muß es um der Wahrheit willen sagen, und man muß es sagen, um die Wichtigkeit dieser Frage: wie wird die Gleichgewichtslage zwischen den Trägern der Staatsgewalt wiederhergestellt?, zu betonen. Ich bitte Sie, versichert zu sein, daß wir uns im Rechtsausschuß darüber sehr den Kopf zerbrechen werden, ob die Bestimmungen in dieser Hinsicht genügen.
      Eine Lücke — ich halbe das dem Herrn Bundesinnenminister bereits in persönlichen Gesprächen gesagt — scheint mir der Entwurf aufzuweisen. In der Weimarer Verfassung, die man immer wieder als Vergleich heranziehen muß, war es so, daß der Regierungschef, der Reichskanzler, durch den Reichspräsidenten ernannt wurde, ohne daß er von irgendeinem Organ gewählt werden mußte. Ihm konnte vom Reichstag das Vertrauen entzogen werden. Dann konnte der Reichspräsident ihn entlassen; er konnte aber auch den Reichstag auflösen, und wie Sie wissen, hat er das auch getan. So etwas



      Hoogen
      Ähnliches sieht das Grundgesetz vor. Aber eines sieht das Grundgesetz nicht vor, und das sieht auch die Änderung des Grundgesetzes, wie sie Ihnen hier vorliegt, nicht vor: die Ernennung des Regierungschefs durch den Bundespräsidenten ohne vorherige Wahl durch den Bundestag oder — ich weiß nicht — eine andere Stelle; und das Grundgesetz sieht für die — wie es sich ausdrückt — Erledigung des Amtes des Regierungschefs, des Bundeskanzlers, jede Neuwahl des Bundestages oder jede andere Art der Erledigung — ich gebrauche die Worte des Gesetzestextes, die nicht sehr schön sind — „jede andere Art der Erledigung" als Beendigung des Amtes des Regierungschefs und damit, meine Damen und Herren, des gesamten Kabinetts vor. Mit der Erledigung des Amtes des Regierungschefs sind die Ämter aller Bundesminister mit erledigt, auch das Amt des Stellvertreters des Regierungschefs, den bekanntlich nach unserer Verfassung nicht der Bundespräsident ernennt, sondern den der Regierungschef aus der Zahl der Mitglieder der Bundesregierung selber ernennt und so oft auswechseln kann, wie er es für richtig hält.
      Meine Damen und Herren, man kann also nicht sagen, daß bei der Erledigung des Amtes des Regierungschefs im Notstandsfalle — in dem er in aller Regel auch Oberkommandierender der Streitkräfte ist — sein Vertreter die Geschäfte weiterführen könne. Nein; nach der geltenden Regelung des Art. 69 Abs. 3 des Grundgesetzes ist auch sein Amt mit erledigt. Natürlich kann der Herr Bundespräsident ihn bitten, die Geschäfte weiterzuführen. Aber glauben Sie — ich nehme an, Sie glauben es nicht —, daß in einem Notstandsfalle, im Falle der Existenzgefahr des Staates wir uns damit begnügen könnten, einen geschäftsführenden Regierungschef und einen geschäftsführenden — wenn überhaupt das Wort erlaubt ist — Oberkommandierenden der Streitkräfte zu haben? Den Ausdruck „Geschäftsführender Oberkommandierender der Streitkräfte" gibt es gar nicht. Zum mindesten würden, glaube ich, die Soldaten sich sehr dagegen verwahren, so etwas zu haben.
      Diese Frage, meine Damen und Herren, ist im Entwurf nicht geregelt, eine Regelung ist nicht vorgesehen, und wir werden uns zu überlegen haben, wer uns — verzeihen Sie, daß ich es etwas salopp ausdrücke — für den Fall des Ausfalls des Regierungschefs, des jeweiligen Regierungschefs, einen neuen Regierungschef bestellt. Der Bundespräsident kann es nach der derzeitigen Regelung nicht. Ich glaube, diese Frage aufzuwerfen, genügt einstweilen; über ihre Beantwortung werden wir uns noch den Kopf zerbrechen müssen.
      Eine weitere Frage, die mir unter dem Gesichtspunkt der Sicherung gegen Mißbrauch von Bedeutung zu sein scheint, ist folgende. Der Herr Bundesinnenminister hat selber davon gesprochen; er hat nur nicht die Konsequenzen für den Gesetzentwurf daraus gezogen; ich mache ihm daraus keinen Vorwurf. Ein alter Grundsatz des deutschen Verwaltungs- und seit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch des deutschen Verfassungsrechts ist der Grundsatz von der Verhältnismäßigkeit
      der Mittel, d. h. also der Grundsatz, daß der Staat, daß seine Behörden, daß seine Verfassungsorgane, daß seine Regierung, daß sein Parlament — so Bundesverfassungsgericht in vielen Urteilen — zur Erreichung bestimmter Erfolge keine kräftigeren Mittel anwenden sollen, als sie zur Erreichung dieser Erfolge notwendig sind, also immer das mildeste Mittel; und das ist nach Meinung der Herren Bundesverfassungsrichter gerichtlich nachprüfbar. Ich glaube auch nicht — aus den Ausführungen des Herrn Bundesinnenministers habe ich das jedenfalls gehört —, daß wir das ändern wollen. Wir könnten es auch gar nicht. Dieses verfassungsrechtliche Verbot des — verzeihen Sie, daß ich auch das jetzt wieder etwas salopp sage — Schießens mit Kanonen nach Spatzen — darauf läuft es hinaus — hätte ich gern noch in diese Regelung einbezogen. Sie wird dadurch noch um einen Buchstaben des Alphabets vermehrt, aber nicht komplizierter; keineswegs! Ich muß mich bei dieser Gelegenheit gegen diejenigen wenden, die sagen, das sei eine so komplizierte Regelung, in Weimar sei das doch sehr einfach gewesen, da habe man den Art. 48 gehabt — das war so ein abgeschriebener § 10 II 17 des Preußischen Polizeirechts —, und das habe also alles geklappt. Meine Damen und Herren, es hat nicht geklappt! Und der Art. 48 sah ein Ausführungsgesetz vor, ein Reichsgesetz. Das ist in Weimar nicht erlassen worden; und weil es nicht erlassen worden ist, schreiben wir es in die Verfassung hinein.

      (Abg. Dr. Schäfer: Sehr richtig!)

      Meine Damen und Herren, damit habe ich Ihnen in großen Zügen die Grundsätze vorgetragen, die, wie ich glaube, bei der Beratung des Gesetzentwurfs beachtet werden sollten. Ich habe selbst Gelegenheit gehabt, vor dem Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes meine Vorstellungen zu entwickeln, und habe bei dieser Gelegenheit mit manchen Herren darüber gesprochen. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß es uns gelingen wird, die Bedenken derjenigen, die an der Notwendigkeit zweifeln, auszuräumen.
      Ich glaube, wir in diesem Hohen Hause haben gar keine Veranlassung, die Bedenken der Presse zu entkräften; denn dieses Hohe Haus war es, das Mitte 1957 beim vierten Strafrechtsänderungsgesetz, seinerzeit, als die Bundeswehr gegen falsche Propaganda, gegen, wie es im Gesetz heißt, unwahre und gröblich entstellte Behauptungen geschützt werden mußte, bereit war und beschlossen hat — und seither ist es so geltendes Recht —, es wie folgt zu formulieren:
      Wer unwahre oder gröblich entstellte Behauptungen tatsächlicher Art, deren Verbreitung geeignet ist, die Tätigkeit der Bundeswehr zu stören, wider besseres Wissen zum Zwecke der Verbreitung aufstellt . . .
      Meine Damen und Herren, das war damals die Meinung der überwiegenden Mehrheit, wenn nicht des ganzen Hohen Hauses, und diese Vorstellungen sind heute nicht entschwunden.
      Ich bin auch der Meinung, daß wir alle die Vorkehrungen, deren Anordnung wir für den Notstands-



      Hoogen
      fall durch dieses Gesetz ermöglichen wollen und die ja letzten Endes der Verteidigung unserer Freiheit dienen, nicht mit Maßnahmen einleiten sollten, die die freie Meinungsäußerung in einem Maße einschränken, das unerträglich wäre. Niemand denkt im Ernstfalle daran, aus militärischen oder sonstigen Sicherheitsgründen geheimzuhaltende Dinge an die große Glocke zu hängen. Aber ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß auch im Notstandsfall über politische Fragen gesprochen werden muß — nicht nur darf — und daß das nicht unterbunden werden soll. Ich bin auch sehr glücklich, daß ich von dem Herrn Bundesinnenminister Vorschläge gehört habe — ich nehme an, daß er sie mit dem Deutschen Presserat besprochen hat —, die zu verfolgen sich lohnt.
      Gestatten Sie mir, bevor ich zum Schluß komme, noch einen Hinweis auf eine, wie ich glaube, sehr glückliche Regelung des Entwurfs, nämlich die Beteiligung der Gemeinden, die Beteiligung der Gemeinden und Gemeindeverbände und die Einschaltung der Chefs der Verwaltungen der Gemeinden und Gemeindeverbände von — ich drücke es jetzt in der Ausdrucksweise der Länder der früheren britischen Zone aus — den Oberkreisdirektoren und Stadtdirektoren aufwärts. Ich halte das deswegen für sehr glücklich, weil ich mir die Mühe gemacht habe, einen mir nicht zugestellten, aber in meinem Besitz befindlichen Bericht des vom Senat der Freien und Hansestadt Hamburg berufenen Sachverständigenausschusses zur Untersuchung des Ablaufs der Flutkatastrophe zu studieren. Es lohnt sich, vor der Beratung dieses Gesetzentwurfs diesen sehr umfangreichen, aber auch sehr aufschlußreichen Bericht zu studieren, in dem, sehr gut verteilt, die Mängel und die guten Dinge aufgezeichnet sind, in dem aber zu lesen steht, daß in dem Notstandsfall damals die kleinen Stellen und kleinen Beamten auf der untersten Ebene eigentlich am besten funktioniert haben, obwohl sie keine Vollmachten hatten.

      (Beifall des Abg. Dr. Willeke.)

      Meine Damen und Herren, gewiß, die Darlegungen des Herrn Bundesinnenministers — und ich fürchte, auch meine eigenen — haben Ihnen auch gezeigt, daß die Regelung der ganzen Angelegenheit nicht einfach ist. Wir wollen sie uns auch nicht einfach machen. Sie ist deswegen nicht einfach, weil wir in unserem Rechtsstaat das System der Grundrechte und die Kontrolle der Einhaltung dieser Grundrechte durch alle staatliche Gewalt, auch durch den Gesetzgeber, haben.

      (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)

      Das wollen wir nicht ohne weiteres aus der Welt schaffen. Das Grundgesetz mißt diesen Grundrechten große Bedeutung bei. Es hat sie an die Spitze gestellt, während sie in der Weimarer Reichsverfassung hinten im Zweiten Hauptteil standen. Aber dieser Zweite Hauptteil der Weimarer Verfassung, in dem sie nicht so recht zum Zuge kamen — darüber sind sicherlich manche froh in unserem Staate, aber viele sehr unglücklich, daß es damals so war—, handelte nicht nur von den Grundrechten, wie das Grundgesetz — das halte ich nicht für sehr glücklich —, sondern sprach auch von den Grundpflichten der Deutschen. Neben den einfachen Pflichten des deutschen Staatsbürgers sprach die Weimarer Verfassung die Grundpflichten der Deutschen an. Das war, wie ich glaube, glücklicher als die heutige Sprache des Juristengrundgesetzes. Ich darf mir diese Kritik erlauben, weil ich selber zu dieser Zunft gehöre.
      Aber wir sollten auch berechtigt sein — und von diesem Rechte Gebrauch machen —, uns selbst und darüber hinaus das Volk daran zu erinnern, daß diese Grundpflichten im Notstande besonders groß sind. Diese Grundpflichten scheinen mir zu sein: einmal die Grundpflicht zur Wahrung und Rettung der Freiheit und zum zweiten die Grundpflicht zur Ermöglichung der Erfüllung dieser Pflicht zur Wahrung und Rettung der Freiheit, die Grundpflicht — wie ich mich ausdrücken möchte — zur Opferbereitschaft. Das können wir natürlich nicht in der Notstandsverfassung verordnen. Die politischen Parteien müssen es sich schon angelegen sein lassen, das Volk davon zu überzeugen, daß es gerade in solchen Zeiten nicht so sehr Forderungen an den Staat zu stellen hat, sondern zu Opfern für diesen Staat bereit sein soll, wie die Weimarer Reichsverfassung es, wie ich glaube, mit guten Gründen in diesem Teile, in dem sie die Grundrechte abhandelte, vorsah.
      Unter diesen Gesichtspunkten sollten wir jedenfalls — und dafür darf ich sprechen — im Rechtsausschuß den Gesetzentwürfen Priorität vor allen anderen einräumen; ich hoffe, daß wir die Beratung bis zum Beginn der Sommerpause noch sehr stark fördern, ich will mich etwas vorsichtig ausdrücken. Wir sollten, von diesen Gedanken beseelt, die ich vor Ihnen für meine Fraktion entwickeln durfte, die Beratungen im Rechtsausschuß beginnen und — wie ich hoffe — sehr bald zu einem guten Ende bringen, um Ihnen dann die Entwürfe zur zweiten und dritten Lesung wieder vorlegen zu können.

      (Beifall bei den Regierungsparteien und Abgeordneten der SPD.)