Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10a bis e und die Zusatzpunkte 7 bis 11 auf:
10. a) Erste Beratung des von der Fraktion der
SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993
- Drucksache 13/27 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend
und gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Fraktion der F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes
- Drucksache 13/268 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
c) Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes
- Drucksache 13/285 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
d) Erste Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sexualaufklärung, Verhütung, Prävention, ungewollte Schwangerschaft und Beratung
- Drucksache 13/402 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
e) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Hilfe für Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen in besonderen Fällen
- Drucksache 13/375 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Monika Brudlewski, Wolfgang Bosbach und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Kindes
- Drucksache 13/395 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP8 Erste Beratung des von den Abgeordneten Christiana Schenk, Petra Bläss und der weiteren Abgeordneten der PDS eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der
Präsidentin Dr. Rita Süssmuth
Unantastbarkeit der Grundrechte von Frauen
- Ergänzung des Grundgesetzes und entsprechende Änderungen des Strafgesetzbuches
- Drucksache 13/397 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP9 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P.
Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz
- Drucksache 13/399 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
ZP10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin Müller und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Selbstbestimmungsrecht der Frauen
- Drucksache 13/409 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Gesundheit
Haushaltsausschuß
ZP11 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Beteiligung des Bundes an einem Aktionsprogramm zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung nach dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz
- Drucksache 13/412 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuß
Haushaltsausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache drei Stunden vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann verfahren wir so.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste spricht die Kollegin Inge Wettig-Danielmeier.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder einmal müssen wir uns mit dem Schwangerschaftskonflikt beschäftigen. Daß wir seit Jahrzehnten so zäh darum ringen, zeigt, daß es sich um einen ethischen Grundkonflikt, aber mehr noch um ein gesellschaftliches Problem handelt. Immer noch sind Kinder und Frauen die Verlierer dieser Gesellschaft.
Die Auseinandersetzungen um die Regelung dieses unlösbaren Konflikts waren trotz mancher schriller Töne im letzten Bundestag im großen und ganzen durch gegenseitiges Verständnis und den Versuch, aufeinander zuzugehen, gekennzeichnet. Ich denke, die vorliegenden Gesetzentwürfe zeigen, daß dieser Versuch auch Früchte trägt.
Ich will einmal von zwei Entwürfen absehen, erstens von dem Entwurf des Abgeordneten Hüppe und weiterer Abgeordneter, der nicht einmal das Reichsgerichtsurteil von 1927 für ethisch vertretbar ansieht und mit einem Frauenbild aufwartet, das sicher nicht verfassungskonform ist.
Aber auch der Entwurf der PDS zeigt einen eklatanten Mangel an Verantwortungsbewußtsein. Nach dem Motto „Manche Dramen haben drei Akte; wir sind beim dritten Akt; jetzt fügen wir noch ein Possenspiel an" stellt sich die PDS außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung,
ohne sich ein Jota um die Belange der Frauen in Deutschland und insbesondere in Ostdeutschland zu kümmern.
Wenn Sie die Interessen der Bürgerinnen so wahrnehmen, dann kann ich die Frauen vor Ihnen nur warnen. Das ist nicht nostalgisch. So etwas stand auch in der DDR-Verfassung nicht. Das ist schlicht verantwortungslos.
Alle anderen Entwürfe gehen von dem vom Verfassungsgericht bestätigten Beratungskonzept aus, nach dem die Frau die letzte Entscheidung trifft. Dabei sind insbesondere SPD, F.D.P. und GRÜNE aufeinander zugegangen, haben die Diskussionen der letzten Legislaturperiode, der Schlußphase im September 1994 im Vermittlungsausschuß und die Expertenanhörungen verarbeitet und eingearbeitet. Den Entschließungsantrag der GRÜNEN betrachte ich einmal als fundamentalistisches Feigenblatt für eine im übrigen erfreulich pragmatische Politik.
Ich sehe deshalb Chancen, zu einer Mehrheitsfindung zu kommen, die sowohl dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Rechnung trägt als auch die Spielräume zugunsten der Frauen nutzt und letztlich das Beratungskonzept zum Schutz des werdenden Lebens und zur Wahrung der Würde der Frau ausgestaltet.
Dabei unterstreichen wir die zentrale Forderung des Bundesverfassungsgerichts, die die Gleichstellung von Frau und Mann und die vom Staat zu schaffende Vereinbarkeit von Beruf und Familie als zwingende Voraussetzungen für den wirksamen Lebensschutz ansieht. Wir wissen, daß das Schwangeren- und Familienhilfegesetz in seinen sozialen Maßnahmen nicht ausreicht und Schritt für Schritt verbessert werden muß.
Inge Wettig-Danielmeier
Das Recht auf einen Kindergartenplatz kann nicht in Frage gestellt werden.
Im Bundestag wird es für eine Verschiebung des Rechts auf einen Kindergartenplatz in keiner Fraktion eine Mehrheit geben.
Aber wir müssen uns auch überlegen, wie es weitergehen soll mit der Kinderbetreuung für alle Kinder und wie Bund, Länder und Kommunen gemeinsam diese Aufgabe angehen können, ohne sich ständig gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuspielen. Jahrzehntelang haben wir für die Gleichstellung gestritten, haben Kinderbetreuung, Kindergärten und Ganztagsschulen als notwendige Schritte gefordert und sind doch als Frauen hier im Vergleich zu denen in anderen Ländern wenig erfolgreich gewesen. In diesem Punkt ist das Bundesverfassungsgerichtsurteil ein Fortschritt, den wir nutzen werden. Beim Recht auf einen Kindergartenplatz werden wir nicht stehenbleiben.
Wir wollen einen möglichst breiten Konsens erreichen. Das schließt für mich auch die Union oder die Mehrheit der Union ein. Ich sage ehrlich, daß ich von Ihrem Entwurf, meine Damen und Herren von der Union, enttäuscht bin.
Wenn wir zueinanderkommen wollen, müssen Sie sich bewegen.
Sie haben aus dem, was wir im letzten Jahr diskutiert und erstritten haben, wenig gelernt. Ihr Entwurf bleibt im Januar 1994 stehen und tut so, als hätte es die Diskussionen im Plenum, im Vermittlungsausschuß und in der Anhörung nicht gegeben. Ihre Schwierigkeiten mit dem Beratungsziel kann ich nachvollziehen, wenn auch nicht billigen. Ich meine immer noch, Sie denken auch in Ihrem Sinne zu kurz, wenn Sie die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Frau so einengen, wenn Sie immer noch auf den erhobenen Zeigefinger setzen.
Ganz schwer tue ich mich aber, wenn ich Ihre Neuauflage der Bestrafung des familiären Umfeldes und die Finanzregelung verstehen soll. Wir haben in den Expertenanhörungen gelernt und in der Vermittlungsrunde erfahren: Es gibt keine praktikablen Vorstellungen für die Bestrafung. Der Erzeuger kann sich dem Strafrechtsdruck allemal entziehen; Liebe ist nicht erzwingbar. Arbeitgeber, Freundinnen und Freunde sind nicht wirklich betroffen. Die Eltern der Schwangeren könnten im Ausnahmefall mit Klagen rechnen; sie würden in der Regel jedoch nicht bestraft. Alle Ihre Vorstellungen greifen nicht.
Aber die Strafvorschriften haben leider einen anderen Effekt als die berühmte weiße Salbe. Der Nebeneffekt dieser monströsen Strafvorschriften ist zerstörtes, in Frage gestelltes Vertrauen, Vertrauen, das dringend notwendig ist, wenn wir den Schutz werdenden Lebens wirklich ernst nehmen.
Sie stellen das auf Offenheit und Vertrauen ausgerichtete Beratungskonzept in Frage. Ich denke, hier können wir den Worten des Urteils nicht auf Punkt und Komma folgen; das wäre nicht vernünftig.
Wir wissen sehr wohl, wie wichtig die Umgebung der Frau für ihre Entscheidung ist. Dieses Umfeld, die Freundinnen, Arbeitgeber, Eltern und Partner, müssen wir davon überzeugen, daß sie Verantwortung tragen. Wir müssen das gesellschaftliche Klima und die gesellschaftlichen Bedingungen ändern. Das Strafrecht hat hier nichts zu suchen.
Ebensowenig sehen wir ein, warum nach den Vorstellungen der Union Ärzte und Ärztinnen, die sich die Gründe für den Schwangerschaftsabbruch nicht darlegen lassen, bestraft werden sollen. Wenn wir in der Beratung aus guten Gründen auf den Zwang zur Begründung eines Schwangerschaftsabbruchs verzichten, ist es kontraproduktiv, die Frauen zur Darlegung ihrer Gründe vor dem Arzt zu zwingen.
Das Finanzierungsmodell der Union wird in diesem Bundestag keine Mehrheit finden. Deshalb sollten Sie es schnellstens fallen lassen.
Die SPD hat von Anfang an gesagt: Wir dürfen die Frau in einer ihrer schwierigsten Lagen nicht auf das Sozialamt verweisen. Deshalb freue ich mich, daß sich eine deutliche Mehrheit dieses Parlaments dafür ausspricht, die Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs über die Krankenkassen zu regeln
und eine Bedürftigkeitsgrenze festzusetzen, die der besonderen Situation der Frau angemessen ist.
Sie wissen, daß wir uns im Jahre 1994 zunächst für eine Bruttoerfassung der Bedürftigkeitsgrenze ausgesprochen haben, wie es auch jetzt noch die Mehrheit der Länder tut. Das ist zweifellos das einfachste und unbürokratischste Verfahren. Wir haben aber auch die Argumente der anderen gehört und die Ergebnisse der Expertenanhörungen einbezogen, die deutlich gemacht haben, daß eine Nettoberechnung insbesondere Alleinerziehende besserstellt. Wir meinen, daß mit einer Nettoeinkommensgrenze von 1 900 DM zuzüglich 400 DM Zuschlag pro Kind und zusätzlichem Wohngeld die wirklichen Problemfälle gelöst würden. Wir sind hier nicht dogmatisch. Wir wollen das, was den Frauen am ehesten nutzt.
Inge Wettig-Danielmeier
Daß wir bei der Finanzierung insgesamt über das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht glücklich sind, brauche ich, so glaube ich, hier nicht besonders anzumerken. Auch wenn wir alles tun, um die Regelung für die Frauen so unbürokratisch wie möglich zu machen, müssen wir eine Bürokratie entwickeln, die für niemanden hilfreich ist.
Im Sinne des Beratungskonzepts haben wir, anders als noch in unserem Entwurf von 1994, vollständig auf die Sonderbestrafung des familiären Umfelds verzichtet. Wir freuen uns, daß auch die F.D.P. diesen Schritt gegangen ist. Die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch ist schon jetzt in allen Fällen strafbar, im Zweifel auch dann, wenn es sich um Familienmitglieder handelt. Das reicht.
Ich denke, am schwersten tun wir uns alle mit dem Beratungsziel. Ich halte fest, was allen ernst zu nehmenden Entwürfen gemeinsam ist: Alle wollen werdendes Leben schützen. Alle wollen, daß sich Frauen nicht wegen äußerer Gründe zum Schwangerschaftsabbruch genötigt oder getrieben sehen. Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen sind überzeugt, daß wir nur, wenn wir das Selbstbewußtsein der Frau stärken, uns mit ihr beratschlagen und sie informieren, zu der Offenheit kommen, die für eine verantwortliche Entscheidung notwendig ist.
Sie von der Union schüchtern die Frau ein, machen ihr ein schlechtes Gewissen. Der Konflikt wird so unerträglich und nicht auflösbar. Die Würde der Frau bleibt auf der Strecke. So können Sie das werdende Leben nicht schützen.
Ich bin zutiefst überzeugt: Ohne das Selbstbestimmungsrecht und die Eigenverantwortung der Frau kann das werdende Leben nicht geschützt werden. Beides gehört untrennbar zusammen. Wer die Frau bevormunden will, verkürzt die Chance für eine Entscheidung gegen den Schwangerschaftsabbruch. Wir sehen den F.D.P.-Entwurf auch in diesem Zusammenhang kritisch.
Ich möchte auf ein Anliegen zurückkommen, das leider in keinen der anderen Entwürfe aufgenommen wurde und das wir Sozialdemokraten seit 1990 in allen Debatten und allen unseren Entwürfen immer wieder vertreten haben: Lassen Sie uns bitte noch einmal über die Indikationen nachdenken. Für uns ist die eugenische, aber auch die kriminologische Indikation ein ethisches Problem. Wir haben deshalb nur die medizinisch-seelische Indikation vorgeschlagen und in unseren Gesetzentwurf aufgenommen. Wir stellen darauf ab, daß jede Indikation von der Befindlichkeit der Frau, ihrer Belastbarkeit, ihrer Lebensperspektive ausgehen muß.
Selbstverständlich ist in den allermeisten Fällen eine Vergewaltigung eine solche psychische Belastung, die eine medizinisch-seelische Indikation notwendig macht. Ebenso kann die Behinderung eines Kindes eine solche Belastung darstellen. Wir wollen sehr deutlich machen, daß es bei Indikationen auf die Frau ankommt, nicht auf die mögliche Behinderung des Kindes oder auf das Zustandekommen der Schwangerschaft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, die wievielte Rede ich zum § 218 halte. Das Thema hat in den 20er Jahren unsere Großmütter umgetrieben, unsere Mütter belastet und uns seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommen lassen. Ich hoffe sehr, daß wir in diesem Jahr endlich einen Kompromiß finden werden, mit dem die Frauen leben können.
Als nächster spricht der Kollege Heinz Lanfermann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit, die Reform des § 218 endlich zu vollenden.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind mehr als anderthalb Jahre vergangen. Die parlamentarische Diskussion über ein neues einheitliches Schwangerschaftskonfliktrecht im vereinten Deutschland dauert bereits seit Oktober 1990 an. Damals hat die F.D.P.-Fraktion ihr Reformmodell der Fristenregelung mit obligatorischer Beratung vorgestellt. Es war dieses Konzept, das zur Grundlage des sogenannten Gruppenantrages von Abgeordneten aus SPD, F.D.P. und auch CDU wurde, der im Juni 1992 als Gesetz beschlossen wurde.
Diese Fristen- und Beratungsregelung ist vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich gebilligt worden.
Bei aller Enttäuschung, die manche dabei empfunden haben, daß einzelne Teile des Gesetzes als nicht verfassungsgemäß angesehen wurden, sollten wir nicht vergessen, daß die Anerkennung einer Fristenregelung durch insoweit einstimmige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und damit die Ablösung der Indikationsregelung in den alten Bundesländern ein großer Fortschritt in der unendlichen Diskussion über den § 218 war.
Meine Damen und Herren, dieser Modellwechsel war wichtig. Ich will aber auch einer großen Sorge Ausdruck verleihen: Es besteht gerade in diesen Tagen ernster Anlaß, daran zu erinnern, daß die Reform des Schwangerschaftskonfliktrechts auf vier Säulen beruht. Das sind erstens eine bessere Prävention durch mehr Aufklärung und Sexualberatung, zwei-
Heinz Lanfermann
tens eine qualitativ bessere Beratung im Schwangerschaftskonflikt, drittens deutlich verbesserte Rahmenbedingungen für ein Leben mit Kindern und erst viertens die strafrechtliche Neuregelung.
Gerade die sozialen Rahmenbedingungen haben entscheidende Bedeutung. Das gilt vor allem für ein Kernstück der Reform: den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz.
Nachdem wir 1992 auf Betreiben der Länder den Zeitpunkt für das Inkrafttreten des Rechtsanspruchs dreieinhalb Jahre in die Zukunft, auf den 1. Januar 1996, gelegt haben, fehlt mir jedes Verständnis dafür, daß ausgerechnet SPD-Länderregierungen den Zeitpunkt nunmehr noch einmal um drei Jahre bis 1999 hinausschieben wollen.
Dies ist vor allem Zynismus gegenüber all denen,
die bei ihrer Entscheidung und ihrer Zukunftsplanung auf den Rechtsanspruch vertraut und sich darauf eingestellt haben, daß für ihr Kind jedenfalls ab Anfang 1996 ein Kindergartenplatz zur Verfügung steht,
und sich vielleicht - auch dies darf doch gesagt werden - gerade aus diesem Grund für das Kind und gegen einen Abbruch entschieden haben.
Der Kindergartenplatz ist vor allem für Alleinerziehende und für Frauen, die Beruf und Familie gut miteinander vereinbaren wollen, von grundlegender Bedeutung. Ein Aufschub um weitere drei Jahre erschüttert nicht nur das Vertrauen in familienpolitische Zusagen des Staates; zugleich werden auch die Wirksamkeitsbedingungen der Konfliktberatung empfindlich beeinträchtigt. Wie sollen denn z. B. erwerbstätige oder in der Ausbildung befindliche Frauen eine Perspektive für ein Leben mit dem Kind sehen, wenn die Kinderbetreuung wenigstens ab dem dritten Lebensjahr nicht sichergestellt ist? Aus dem Rechtsanspruch müssen jetzt tatsächlich Kindergartenplätze werden.
Das ist die Nagelprobe, ob die Politik es mit ihren Absichtserklärungen zu einer kinderfreundlicheren Gesellschaft wirklich ernst meint.
Meine Damen und Herren, die 1992 den Frauen versprochene Sicherheit, daß ihr Kind im Alter von drei Jahren einen Kindergartenplatz haben wird, ist kein schmückendes Beiwerk, keine Verzierung. Das ist eine tragende Wand für die Fristenregelung. Wer diese Wand wieder einreißt, bringt das ganze Gebäude in Gefahr.
Wenn es wieder eine Klage vor dem Verfassungsgericht geben sollte, wird das Konzept der Fristenregelung wieder überprüft werden. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie Karlsruhe 1993 wohl entschieden hätte, wenn den Richtern all das bekannt gewesen wäre, was wir inzwischen an Verzögerungen, Verweigerungshaltung und Versuchen, sich aus den Zusagen zu stehlen, erleben mußten? Sagt das Urteil des Gerichts nicht auch, daß sich das Fristenmodell bewähren muß und nach den Erfahrungen mit allen Komponenten wieder überprüft werden kann?
Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Fraktion legt Ihnen einen Gesetzentwurf vor, der die Vorgaben des Urteils des Verfassungsgerichts berücksichtigt, aber auch die Gestaltungsspielräume, die durch dieses Urteil eröffnet sind, nutzt,
um eine liberale Regelung des Schwangerschaftskonfliktrechts zu erreichen.
Dabei ist es für die F.D.P. als Rechtsstaatspartei selbstverständlich, einen Gesetzentwurf vorzulegen, von dem wir mit gutem Gewissen sagen können, daß er verfassungskonform ist und in einem etwaigen neuen Verfahren Bestand hätte. Wir wollen kein neues Verfahren in Karlsruhe. Die F.D.P.-Fraktion wird alles daransetzen, eine breite Mehrheit in der Mitte des Parlaments zu bilden, um nach den langen Jahren der Diskussion und des Streits endlich Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu schaffen.
Beginnt erneut der Reigen von Verfassungsklage, Teilnichtigerklärung und neuem Gesetz, erweisen wir damit insbesondere den Frauen einen schlechten Dienst.
Diese Sorge war auch für die Freien Demokraten in den letzten beiden Jahren der Anlaß gewesen, eine möglichst schnelle Umsetzung der nach dem Urteil entstandenen Gesetzgebungsaufgabe zu versuchen. Der damals mit der CDU/CSU-Fraktion ausgehandelte Kompromiß orientierte sich demnach im Wortlaut seiner Regelungen weitgehend an dem Urteil an der Vollstreckungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts.
Dieser Weg führte nicht zum Ziel. Die SPD hat dieses Vorhaben im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß blockiert. Im neugewählten Bundestag gilt es nun, den Weg für ein Gesetz zu ebnen, bei dem durch konsequente Umsetzung des Fristen- und Beratungsmodells, wie es die F.D.P. entwickelt hat, eine größtmögliche Akzeptanz bei den Abgeordneten erreicht werden kann, die Kompromißbereitschaft mitbringen, wenn sie sich auf die Suche nach einer Mehrheitsfindung über die Fraktionsgrenzen hinweg begeben. Sie finden im Entwurf der F.D.P. einen guten Anhaltspunkt.
Heinz Lanfermann
Die Abgeordneten der F.D.P.-Fraktion haben einstimmig für unseren, den liberalen Entwurf votiert. Er ist eine gute Grundlage für eine breite Mehrheit in diesem Hause, der neben den Liberalen möglichst viele Abgeordnete, vor allem aus den beiden größeren Fraktionen, angehören sollten. Weder der Entwurf der SPD-Fraktion noch der der Mehrheit innerhalb der Unionsfraktion hat eine Chance auf eine Mehrheit in diesem Hause. Sie wissen, daß man aufeinander zugehen muß, und Sie wissen auch, daß die Bürgerinnen und Bürger dies von Ihnen erwarten, ja einfordern, weil die Reform jetzt endlich zu Ende geführt werden muß.
Deshalb wünscht sich die F.D.P. eine breite Mehrheit für ihren Entwurf.
Um noch einmal allen Spekulationen entgegenzutreten, die das Sachthema § 218 in ein Politschauspiel über Wohl und Wehe der Koalition umfunktionieren wollen, wiederhole ich: § 218 ist kein Koalitionsthema, ist nicht Gegenstand des Koalitionsvertrages und wurde bewußt nicht in diesen Vertrag aufgenommen. Wie im Jahre 1992 sind alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages völlig frei in ihrer Entscheidung und völlig frei von irgendwelchen Fraktions- oder Koalitionszwängen.
Um noch einer zweiten, insbesondere von den GRÜNEN selbst verbreiteten Meinung hier klar entgegenzutreten: Daß es zwischen den Entwürfen von GRÜNEN und F.D.P. soviel Gemeinsames geben soll, kann ich beim Lesen der Texte so nicht feststellen. Der Entwurf der GRÜNEN ist in mehreren Punkten eindeutig verfassungswidrig. Er spricht auch eine Sprache, die nicht die unsere ist. Ich würde empfehlen, das vor späteren Verhandlungen alles noch einmal zu überarbeiten. Die wahren Absichten der GRÜNEN stehen auch gar nicht in diesem Gesetzentwurf, sondern in dem Antrag, der uns heute präsentiert wird - ein Antrag, der gegen die Begriffe der Menschenwürde und des Rechts auf Leben eklatant verstößt, indem er sie verdreht. Sie stellen sich selbst mit diesem unsäglichen Antrag in eine Ecke, in der die PDS schon auf Sie wartet.
Meine Damen und Herren, man muß bei diesem verfassungsrechtlich und ethisch komplizierten Thema ein bißchen anders an die Sache herangehen, als hier mit gespaltener Zunge zu reden. Dies sei den GRÜNEN gesagt.
Es ist nicht die Zeit gegeben, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Entwürfen der F.D.P. einerseits und denen der SPD und der Union andererseits ausführlich darzustellen. Dazu nur soviel: Wir sind der Meinung, daß im SPD-Entwurf die Beratung zu sehr auf reine Information, zu wenig auf Konfliktberatung ausgerichtet ist. Auch ist die Möglichkeit, über eine sehr weitgefaßte medizinische Indikation eine Vielzahl von Abbrüchen ohne jede Fristbegrenzung straffrei durchführen zu können, nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren.
Die Union dagegen schöpft vor allem nicht die Möglichkeiten aus, die Beratung so zu definieren, daß das Beratungskonzept auch wirklich wirkungsvoll mit der Schwangeren eingesetzt werden kann. Ihre Sorge, daß andere Formulierungen ein Selbstbestimmungsrecht über das Lebensrecht setzen, ist im übrigen nicht begründet. Sie werden das bei gründlicher Analyse des Textes auch feststellen.
Gerade über die Beratung werden wir in den nächsten Monaten eine Reihe von Gesprächen führen. Das Verfassungsgericht hat uns aufgegeben, Ziel und Aufgaben der Beratung neu zu formulieren. Dabei hatten wir die zwingende Vorgabe des Gerichts zu beachten, daß die Beratung zielorientiert auf den Schutz des ungeborenen Lebens zu erfolgen hat. Ebenso muß deutlich werden, daß es sich um Leben handelt, das bei einer Entscheidung für den Abbruch zerstört wird. Wer dies nicht akzeptieren will oder durch Formulierungen über diesen Punkt hinweggeht, hat das nächste Verfahren in Karlsruhe schon verloren.
Wir haben aber ebenso deutlich gemacht, daß die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens durch Rat und Hilfe für die Schwangere dienen soll und haben das bewußt in den ersten Satz des neuen § 219 so hineingeschrieben. Wir haben ausdrücklich formuliert, daß die Beratung ergebnisoffen zu erfolgen hat. Gerade im Vergleich zum früheren Koalitionsentwurf wird die Eigenverantwortlichkeit der Schwangeren stärker betont; denn das Modell der Fristenregelung mit obligatorischer Beratung beruht ja gerade auf der Erwägung, daß das ungeborene Leben am besten mit der Schwangeren und nicht gegen sie zu schützen ist.
Es ist das zentrale Anliegen des Urteils, im Beratungsmodell das ungeborene Leben durch Rat und Hilfe für die Schwangere bestmöglich zu schützen. Daher muß die Beratung so angelegt sein und der Frau so angeboten werden, daß eine möglichst große Wirkung für den Lebensschutz erzielt werden kann. Dadurch wird eine größtmögliche Offenheit der Schwangeren für die Beratung und in der Beratung erreicht.
Deshalb sagt die F.D.P. in ihrem Entwurf ausdrücklich - dies mit den Worten des Verfassungsgerichts -, daß die Beratung Verständnis wecken, nicht dagegen einschüchtern, belehren und bevormunden sowie der Frau helfen soll, eine eigenverantwortliche und gewissenhafte Entscheidung zu treffen. Die Beratung lebt von der freiwilligen Mitwirkung der Frau. Sie wird allerdings auch erwartet. Aber die Frau darf nicht gezwungen werden. So regelt z. B. § 5 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ausdrücklich, daß die Frau bei der Konfliktberatung nicht gezwungen
Heinz Lanfermann
werden darf, die Gründe für den erwogenen Abbruch mitzuteilen. Es dürfte ihr aus diesem Grunde auch nicht die Beratungsbescheinigung verweigert werden.
Meine Damen und Herren von der SPD, beim Stichwort Beratung möchte ich in Erinnerung rufen: Bei den Verhandlungen über den Gruppenantrag im Jahre 1992 war auf Wunsch der SPD-Vertreter der Informationscharakter der Beratung im Vergleich zum damaligen F.D.P.-Entwurf stärker hervorgehoben worden. Gerade diesen Punkt hat das Bundesverfassungsgericht dann aber beanstandet, und es verlangt eine echte Schwangerschaftskonfliktberatung, nicht lediglich eine bloße Informationsberatung.
Wir wollen bei der Formulierung der Beratungsregelung nicht wieder durch Nachgeben an der falschen Stelle zum zweitenmal denselben Fehler mitverursachen; andere sollten es ebenfalls vermeiden.
Meine Damen und Herren, bei der umstrittenen Frage, ob es über den ja ohnehin geltenden Nötigungsparagraphen 240 hinaus eine zusätzliche Strafdrohung für das familiäre bzw. soziale Umfeld der Schwangeren geben soll, sind wir nach gründlicher Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, daß es verantwortbar ist, hierzu in unserem Entwurf keinen Vorschlag zu machen.
Dabei ist richtig: Das Verfassungsgericht hat derartige Bestimmungen für unerläßlich gehalten, um einer das ungeborene Leben gefährdenden Druckausübung auf die Schwangere vorzubeugen. Es trifft ebenfalls zu, daß durch solche Einflußnahmen die autonome Entscheidung der Schwangeren beeinträchtigt werden kann. Es ist weiterhin richtig, daß der von uns in der vergangenen Legislaturperiode mitgetragene Koalitionsentwurf in einem § 218d eine Strafbestimmung für das familiäre Umfeld der Schwangeren sowie für die Verweigerung erbetener materieller Hilfe vorsah. Angesichts des Wortlauts des Urteils und im Bemühen um eine möglichst zügige Anpassung an das Urteil hielten wir dies für den notwendigen Weg. Damit standen wir übrigens nicht allein. Auch die SPD war bis zum Oktober 1994 der Auffassung, das Strafgesetzbuch müsse ergänzt werden. Sie hat es lediglich mit einer Ergänzung des § 240 getan, der aber dann sinnigerweise eine höhere Strafnorm beinhaltete als der Koalitionsentwurf.
Auch die Union hat es sich jetzt etwas leichtgemacht, indem sie - nunmehr allein - den früheren Koalitionsentwurf mit dem alten § 218d wieder vorgelegt hat. Damit gehen Sie nicht, wie die F.D.P., auf die schwerwiegenden Bedenken ein, die auf Grund der Anhörungen im Frühjahr 1994 entstanden sind.
So haben vor allem Beraterinnen überzeugend dargelegt, daß die Offenheit der Beratung entscheidend beeinträchtigt wird, wenn die schwangere Frau befürchten muß, bei ehrlicher Schilderung ihrer Lage, z. B. des Verhaltens oder der Äußerungen ihrer Angehörigen, diese der Gefahr einer Strafverfolgung auszusetzen. Es liegt auf der Hand, daß die Schwangere dann eben nicht für die Beratung offen ist. Es wird auch schwierig, wenn nicht unmöglich werden, das familiäre Umfeld für das Kind zu gewinnen. Dies ist aber auch ein entscheidender Faktor bei dem Bemühen, die Schwangere zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen, wie das Verfassungsgericht es ja auch will.
Ich habe auch nach dem, was von den Strafrechtsexperten zum damaligen Formulierungsvorschlag des § 218d gesagt worden ist, Zweifel, ob es überhaupt eine Formulierung gibt, die erstens Fälle erfaßt, die nicht bereits durch den allgemeinen Nötigungsparagraphen 240 abgedeckt werden, die zweitens den vom Verfassungsgericht gewünschten wirkungsvollen Schutz wirklich herbeiführt, aber dann drittens nicht gleichzeitig dazu führt, daß der Bereich strafrechtlich relevanten Verhaltens unabsehbar ausgeweitet und die Vorschrift damit unhandbar wird.
Die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion, die an dem alten § 218d festhalten, erinnere ich daran, daß sich sämtliche befragten Strafrechtsexperten zu dieser Vorschrift skeptisch geäußert haben. Der angesehene Strafrechtler Professor Eser hat in der Anhörung gefragt, wie er denn in dem von ihm betreuten Kommentar zum Strafgesetzbuch das verbotene Verhalten umschreiben solle. Dazu paßt - das war auch ein wenig Ausdruck von Verlegenheit -, daß in der amtlichen Begründung zum § 218d zwar einige Verhaltensweisen geschildert werden, die nicht unter diese Bestimmung fallen, aber nicht klar gesagt wird, was denn genau nun verboten sein soll. Jedenfalls haben, in die Zukunft gesehen, alle, die eine Strafnorm für das familiäre Umfeld wollen, die rechtspolitische Bringschuld, uns zunächst einmal wenigstens eine neue, bessere Formulierung zu präsentieren.
Die Lösung dieses Problems wird im übrigen auch dadurch erschwert, daß das Gericht insoweit keine Regelung in der ansonsten sehr ins Detail gehenden Vollstreckungsanordnung getroffen hat und auch die Urteilsgründe - anders als z. B. bei den strafbewehrten ärztlichen Pflichten - keine klaren Anhaltspunkte dafür bieten, wie denn eine solche Strafnorm beschaffen sein sollte.
Die F.D.P. geht auch in bezug auf eine Strafnorm für das familiäre Umfeld nicht leichtfertig mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Wir haben in der geforderten Strafnorm nicht, wie manche andere, den Versuch einer Kriminalisierung, sondern den Schutzzweck zugunsten der Schwangeren und ihrer Entscheidungsfreiheit gesehen.
Wir erkennen aber auch: Das Verfassungsgericht möchte eine Strafnorm, um damit ungeborenes Leben zu schützen. Mit dieser Strafnorm gefährden wir die Offenheit der Schwangeren für die Beratung und in der Beratung. Diese Offenheit wiederum ist auch unerläßlich für das vorgegebene Ziel der Beratung, nämlich den Schutz des ungeborenen Lebens. So schließt sich der Kreis,
Heinz Lanfermann
Wird durch die Strafnorm der Zweck Lebensschutz, so frage ich, nicht eher gefährdet als gefördert? Kann, ja sollte es in einem solchen Dilemma nicht besser sein, im Interesse einer wirkungsvollen Konfliktberatung in diesem einen Punkt von der Vorgabe des Verfassungsgerichtes abzuweichen?
In dieser Situation gebietet es der Respekt vor dem Gericht, das zu tun, was Professor Eser im vergangenen Frühjahr empfohlen hat, aber wegen des bevorstehenden Ablaufs der Legislaturperiode so nicht mehr umgesetzt worden ist, nämlich das Ganze im Ausschuß noch einmal gründlich zu diskutieren. Das sollte nach der Vorstellung der F.D.P. auch geschehen, damit sich jede Kollegin und jeder Kollege nach einer gründlichen Beratung vergewissern kann, was die richtige Entscheidung ist.
Wir beantragen deshalb, noch einmal Sachverständige zu einer speziellen und vertieften Anhörung zum Thema Strafnormen für das familiäre und soziale Umfeld einzuladen.
Meine Damen und Herren, für die Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung, bei denen eine Frau nicht in der Lage ist, den Abbruch selbst zu bezahlen, brauchen wir eine bundeseinheitliche und unbürokratische Regelung. Das ist nach unserer Auffassung die Abwicklung über die gesetzlichen Krankenkassen, die die Kosten ihrerseits mit den Ländern oder Gemeinden abrechnen können. Die Frau muß sich nicht als Hilfsbedürftige an das Sozialamt wenden, und sie braucht sich überhaupt nur an einen Ansprechpartner zu wenden.
Eine Regelung zu finden, die die Frauen im Schwangerschaftskonflikt möglichst wenig belastet, hat Vorrang vor dem in den Anhörungen im vergangenen Jahr deutlich gewordenen Interesse von Kommunen und Krankenkassen nach einer für sie möglichst einfachen Regelung.
Wir haben uns bei den Einkommensgrenzen, die für die Feststellung der Bedürftigkeit gelten, schon im Vorgriff und im Sinne eines Kompromisses etwas nach oben bewegt und gehen jetzt mit den Vorstellungen des SPD-Entwurfs konform. Für die Regelungen über die wirtschaftliche Bedürftigkeit in § 1 Abs. 2 Schwangerenleistungsgesetz sind die Grenzen des Sozialhilferechts nur eine Orientierungshilfe. Die Regelung ist aber gegenüber dem Sozialhilferecht vereinfacht, und die damit im Einzelfall verbundenen geringen Besser- oder Schlechterstellungen können gut im Interesse einer möglichst unkomplizierten Regelung hingenommen werden.
Es ist uns bewußt - auch dies sei an dieser Stelle durchaus gesagt -, daß man die Einkommensgrenzen nicht nach politischem Belieben heraufsetzen kann, weil ansonsten das vom Verfassungsgericht festgelegte Fremdfinanzierungsverbot für nichtbedürftige Frauen unterlaufen würde.
Man kann das übrigens - das sei den Grünen gesagt - nicht dadurch regeln, daß man dauernd neue Indikationen erfindet, die nachher dazu führen, daß später alle Abbrüche wieder unter Indikationen fallen. Ich verstehe hier auch nicht Ihr Weltbild, denn wir haben die Indikationen doch bereits überwunden. Indikationen waren etwas, wo ein Dritter über die Frau bestimmte
und damit entschied, ob es strafbar war oder nicht, eine Schwangerschaft abzubrechen.
Der Fortschritt besteht darin, daß bei der Fristenregelung die Frau allein und eigenverantwortlich entscheidet. Dann gehen die Grünen hin, reden von Selbstbestimmungsrecht, was in dem Zusammenhang ohnehin die völlig falsche Vokabel ist, und wollen eine Regelung, in der Dritte wieder über die Frau bestimmen.
Wir sehen in den Summen von grundsätzlich 1 900 DM plus 400 DM je Kind in den alten und 1 700 DM plus 370 DM je Kind in den neuen Ländern diese Verfassungsgrenze nicht überschritten.
Meine Damen und Herren, ich darf mit einem Satz noch einmal zum Beginn meiner Ausführungen zurückkehren. Es ist höchste Zeit, die Reform des § 218 endlich zu vollenden. Die F.D.P. hat Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der geeignet ist, zum Kern und Ausgangspunkt für eine Koalition der Vernunft in der Mitte des Hauses zu werden, die einen Kompromiß findet, der endlich Rechtsfrieden und Rechtssicherheit schafft. Wir sind zu Gesprächen bereit.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächste spricht die Kollegin Maria Eichhorn.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/ CSU bringt heute den Gesetzentwurf ein, der mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bereits in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden war, aber leider am Votum des Bundesrates scheiterte.
Ich war sehr enttäuscht, daß selbst im Vermittlungsausschuß keine Einigung erzielt werden konnte. Wir waren sehr nahe an einer Entscheidung. Das Scheitern war letztlich wohl nur ein Resultat einer Wahlkampfstrategie der SPD. Solche Entscheidungsgrundlagen hat der Schutz des ungeborenen Lebens nicht verdient.
Ich bedaure sehr, daß die F.D.P. nicht erneut den Schulterschluß mit uns gesucht hat. Wir halten an den bereits mehrheitlich beschlossenen Inhalten fest, da wir zu unseren Grundpositionen stehen, die Ergebnis langer und intensiver Diskussionen sind und die sich auch in den Anhörungen ergeben haben; auch dies wurde bei der Schlußabstimmung im letzten Jahr noch mit gewürdigt.
Maria Eichhorn
Wir haben es uns dabei nicht leicht gemacht. Uns kommt es darauf an, daß wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1993 vollständig respektieren und umsetzen. Es muß alles getan werden, daß ein neuer Weg nach Karlsruhe nicht notwendig wird.
Niemand von uns kann verantworten, daß über weitere Jahre Rechtsunsicherheit in einer so bedeutenden Wertefrage, in einer so bedeutenden gesellschaftspolitischen Frage besteht.
Ich rufe in Erinnerung: Wir alle sind in der Pflicht, einen besseren Schutz des ungeborenen Lebens sicherzustellen. Es geht um ethische Verantwortung und nicht um populistische Positionen. Es geht um die staatliche Verantwortung für den besseren Schutz ungeborenen Lebens. Es geht um wirksame Hilfen für Frauen in Schwangerschaftskonfliktsituationen, es geht um den Stellenwert von Kindern und Familie in unserer Gesellschaft.
Mit unserem Gesetzentwurf haben wir diese Ziele, die uns auch das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, zu einem ehrlichen Beratungskonzept umgesetzt.
Dabei handelt es sich nicht um eine Fristenlösung, wie von Kritikern behauptet. Unser Konzept läßt sich nicht in die herkömmliche Klassifizierung von Christen-, Entschuldigung: Fristen- oder Indikationenregelung einbinden.
- Ein Versprecher muß gestattet sein. Ich denke, jeder kann sich einmal versprechen. Wenn man dann so reagiert, dann spricht das eigentlich für sich.
Der Schwangerschaftsabbruch ist und bleibt Unrecht; das Lebensrecht des Ungeborenen hat Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Nur in besonderen Ausnahmesituationen kann er gerechtfertigt sein. Rechtmäßig ist ein Abbruch nur bei Vorliegen der in § 218a StGB bezeichneten Indikationen, nämlich bei der medizinischen, kriminologischen und embryopathischen Indikation. Der unter den Voraussetzungen der Beratungsregelung nach § 218 Abs. 5 StGB vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist rechtswidrig, aber straffrei. Grundlage für die Straffreiheit ist die auf den Lebensschutz ausgerichtete Beratung. In deren Ausgestaltung liegt unsere besondere staatliche Verantwortung.
Die Wirksamkeit der zukünftigen gesetzlichen Regelung hängt ganz entscheidend vom Erfolg der Beratung ab. Deshalb ist uns eine qualifizierte zielgebundene Beratung, die das Recht des ungeborenen
Kindes auf Leben ganz unmißverständlich deutlich macht, besonders wichtig. Sie darf sich nicht in wertfreier Information erschöpfen. Für die Beraterinnen und Berater muß im Mittelpunkt des Gesprächs die Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft stehen. Dies kann selbstverständlich nur gelingen, wenn die Atmosphäre von Vertrauen und Verständnis geprägt ist und der Frau ganz konkrete Hilfen angeboten werden, um ihre Notlage zu überwinden. Dies bedeutet aber auch, daß sich die Schwangere mit ihrer Konfliktsituation tatsächlich auseinandersetzt. Eine Gesprächs- und Mitwirkungsbereitschaft ist daher unabdingbar. Nur dann kann das Beratungskonzept wirksam werden.
Frau Kollegin Eichhorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schmidt ?
Nein, ich möchte das jetzt nicht machen.
Gleichzeitig schreiben wir in der Beratungsregelung fest, daß auch das Persönlichkeitsrecht der Frau respektiert wird. Es geht also nicht um Einschüchterung oder Bevormundung. Die verpflichtende und zielorientierte Beratung bedeutet zum einen staatliche Verantwortung, zum anderen das Angebot des Staates zur ganz persönlichen Hilfe.
Ich möchte insbesondere an die Opposition appellieren, diesen zentralen Punkt des gesamten Beratungskonzeptes nicht bewußt und gezielt fehlzuinterpretieren. Die Verpflichtung zur Beratung ist eine besondere Chance für den Ausweg aus der Schwangerschaftskonfliktsituation.
Nur wenn wir die Beratung als wirklichen Beitrag zum besseren Lebensschutz ausgestalten, werden wir erreichen, daß in Zukunft Rechtssicherheit in der Frage des Lebensschutzes besteht. Neben der Beratung ist die stärkere Betonung der Verantwortung derjenigen, die als Ärzte durch den hippokratischen Eid dem Schutz des Lebens verpflichtet sind, ein Element unseres Beratungskonzepts.
Besonders wichtig ist uns die Verantwortung des familiären und sozialen Umfeldes der schwangeren Frau für den Schutz des ungeborenen Lebens. Wenn die Frau die Letztverantwortung für das ungeborene Leben übernimmt, hat sie auch ein Recht darauf, daß ihr Vertrauen auf Unterstützung nicht enttäuscht wird. Wir setzen deshalb die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts um. Danach wird bestraft, wer eine Schwangere zum Abbruch drängt oder zumutbare materielle oder sonstige Hilfe vorenthält. Die Schwangere soll vor jeglichem Druck des sozialen Umfeldes geschützt werden. Wenn andere Gesetzentwürfe auf eine Strafnorm für das familiäre Umfeld verzichten, verstoßen sie damit gegen zwingende Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Maria Eichhorn
In ihrer Rede vom 2. Februar 1994 hat Frau Würfel, die damalige Wortführerin der F.D.P., noch der SPD vorgeworfen, sie ignoriere in diesem Punkt das Urteil von Karlsruhe. Deshalb ist es unverständlich, warum die F.D.P. jetzt in ihrem Entwurf auf Strafbewehrung verzichtet.
In der Anhörung der Sachverständigen haben die Beraterinnen immer wieder bestätigt, daß der Partner oder auch die Eltern die Schwangere zum Abbruch gedrängt haben, was oft für die Frau zu großer seelischer Belastung in ihrem weiteren Leben geführt hat.
Der Staat darf das soziale Umfeld, insbesondere den Partner, nicht aus seiner Verantwortung entlassen. Die Strafandrohung dient der Bewußtseinsbildung.
Dieser Aspekt darf gerade heim Schutz des ungeborenen Lebens nicht vernachlässigt werden.
Frau Eichhorn, es besteht noch einmal der Wunsch der Abgeordneten Ursula Schmidt, eine Frage zu stellen.
Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Ich möchte gerne fortfahren.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat festgeschrieben, daß Schwangerschaftsabbrüche, deren Rechtmäßigkeit nicht festgestellt ist, nicht durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden können. Soweit die Schwangere kein eigenes Einkommen oder Vermögen hat, werden nach unserem Gesetzentwurf die unmittelbaren Leistungen für den Abbruch nach den Grundsätzen des Sozialhilferechts finanziert.
Der wichtigste Aspekt für ein gutes Beratungskonzept ist die besondere Unterstützung gerade der jungen Familien durch den Ausbau der familienpolitischen Leistungen. Eine kinderfreundliche Gesellschaft ist ein entscheidender Indikator für einen besseren Schutz des ungeborenen Lebens.
Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet den Staat und insbesondere den Gesetzgeber, Nachteile, die einer Frau aus der Schwangerschaft für Ausbildung und Beruf erwachsen können, nach Möglichkeit auszuschließen. Dazu gehört auch, für eine kinderfreundliche Umwelt zu sorgen und die Grundlagen dafür zu schaffen, daß Familie und Beruf miteinander vereinbart werden können.
Der Deutsche Bundestag hat 1992 im Zusammenhang mit der Reform des Abtreibungsrechts eine Reihe von familienpolitischen Leistungen beschlossen. Eine heiße Diskussion entzündete sich damals über die Festlegung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz zum 1. Januar 1996. Als der Bundesrat dem zustimmte, war er sich über die damit verbundenen Kosten für die Länder und Kommunen im klaren. Heute, noch nicht einmal drei Jahre später, wollen sich die Länder aus der Verantwortung stehlen. Sagen Sie das bitte auch den von der SPD regierten Ländern, Frau Wettig-Danielmeier!
Der Bund hat bereits seinen Beitrag zur Finanzierung geleistet. Seit dem 1. Januar dieses Jahres sind die Länder statt mit bisher 37 % gerade auch im Hinblick auf die Verwirklichung des Rechtsanspruches mit jetzt 44 % an der Umsatzsteuer beteiligt. Dem SPD-Antrag auf Übernahme von 25 % der durchschnittlichen Investitionskosten durch den Bund können wir deshalb nicht zustimmen. Hier bleiben die Länder in der Verantwortung.
Die Verwirklichung der Kindergartenplatzgarantie ist eine unersetzbare Hilfe für unsere Familien und den Schutz des ungeborenen Lebens. Sie ist damals mit Nachdruck auch von den SPD-geführten Bundesländern gefordert worden und muß eingehalten werden.
Im Vergleich der Versorgung mit Kindergartenplätzen stehen die unionsregierten Länder ganz gut da. So hat die bayerische Sozialministerin, Barbara Stamm, am Mittwoch erklärt, daß in Bayern rechtzeitig zum 1. Januar 1996 jedes Kind einen Kindergartenplatz haben wird. Bereits in diesem Jahr erreicht Bayern einen Versorgungsgrad von 90 %.
Frau Eichhorn, es besteht noch einmal der Wunsch nach einer Zwischenfrage von Frau Schenk.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Eichhorn, Sie haben soeben dargelegt, wie die Situation in bezug auf die Kinderbetreuungsmöglichkeiten im Lande Bayern ist. Haben Sie die Freundlichkeit, hier auch zu erklären, wie die Öffnungszeiten dieser Kindergärten sind und inwieweit diese tatsächlich dazu beitragen, daß eine Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Elternschaft gewährleistet ist?
Ja, das kann ich sehr gut beantworten. Denn ich weiß, daß in fast jedem Kindergarten mindestens eine Kindergartengruppe mit verlängerter Öffnungszeit, also mit einer Öff-
Maria Eichhorn
nungszeit zwischen 7 und 13 Uhr oder noch länger, besteht.
Das heißt, es hat sich in den letzten Jahren hier sehr, sehr viel getan. Das kann ich gerade deswegen beurteilen, weil ich nach wie vor in der Kommunalpolitik tätig bin und einen gewissen Überblick habe.
Meine Damen und Herren, gravierende Versorgungsmängel gibt es dagegen in Nordrhein-Westfalen und Hamburg. In Schleswig-Holstein können sogar nur sechs von zehn Kindern untergebracht werden.
Wir fordern alle Länder auf, bis 1996 die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß jedem Kind ab dem dritten Lebensjahr ein Kindergartenplatz zur Verfügung gestellt wird.
Wenn wir in der Frage des Lebensschutzes glaubwürdig sein wollen, müssen wir junge Familien unterstützen.
Darf ich vielleicht um etwas mehr Ruhe im Saal bitten? Denn unsere Debatte zu diesem Punkt wird auch draußen aufmerksam verfolgt.
Meine Damen und Herren, im Rahmen der Beratungen werden wir einen Änderungsantrag zur embryopathischen Indikation einbringen. Diese wurde vom Bundesverfassungsgericht zwar nicht beanstandet, ist aber schon seit ihrer Einführung im Jahre 1992 problematisch. Insbesondere die Behindertenverbände fordern eine Änderung. Sie wollen bei der embryopathischen Indikation kein Sonderrecht im Vergleich zu anderen schweren Notlagen. Ein solches Sonderrecht führe zur Diskriminierung behinderter Menschen. Aus Gründen der Gleichbehandlung soll auch hier die Beratungspflicht gelten. Diese berechtigten Anliegen wollen wir aufgreifen.
Die CDU/CSU steht zu ihrer Verantwortung gegenüber dem ungeborenen Leben und zu ihrer Verantwortung gegenüber den schwangeren Frauen, die sich in einer Konfliktlage befinden, und gegenüber den Familien in unserer Gesellschaft. Der Deutsche Bundestag wird seiner Verantwortung nur gerecht, wenn er ein Gesetz verabschiedet, das dem Lebensschutz dient und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt. Deswegen bitte ich Sie, unseren Gesetzentwurf zu unterstützen.
Als nächste spricht die Abgeordnete Rita Grießhaber.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Es muß doch merkwürdig berühren, daß unter so vielen errungenen Rechten eben dieses eine Grundrecht der Frau, das auf ihren eigenen Körper, abgelehnt wird und nicht sein soll ... So wenig es für den Mann einen Zwang zur Zeugung gibt, so wenig darf die Frau zum Gebären gezwungen werden."
Diese Worte, meine Damen und Herren, stammen nicht von heute oder gestern, sondern aus dem Jahre 1931. Geschrieben wurden sie von der Ärztin Else Kienle, die in ihrer Stuttgarter Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchführte und dafür ins Gefängnis mußte. Ihr Kollege Friedrich Wolf tröstete sie damals damit, daß „man nach 20 Jahren an den § 218 denken würde wie an einen unmöglichen Traum."
Hätte er doch recht gehabt!
Heute, im Jahre 1995, sind wir aus diesem Traum immer noch nicht aufgewacht, vielmehr ist die rechtliche Situation dazu angetan, den Frauen in diesem Land Alpträume zu bereiten.
Der Bundestag berät heute zum drittenmal innerhalb von zwei Jahren über die dringend anstehende Reform der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Frauen und Beratungsstellen erwarten von uns, daß endlich Schluß gemacht wird mit der Verunsicherung, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Übergangsregelung hervorgerufen wurde.
Auch wenn es ein langer und zermürbender Kampf ist: Uns hilft weder, das Urteil schönzureden, noch, den Kopf in den Sand zu stecken.
Viele fragen, warum auch wir als GRÜNE einen Gesetzentwurf einbringen, wo wir doch bekannte Kämpferinnen für die Streichung des Paragraphen sind. Für mich ist das kein Widerspruch. Ich habe immer auf zwei Ebenen gegen § 218 gekämpft: zum einen für die Streichung und zum anderen für jede nur mögliche konkrete Verbesserung für die betroffenen Frauen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich entschieden, den geringen Spielraum, den das Urteil läßt, mit einem eigenen Gesetzentwurf auszuloten. In unseren Entwurf fließen die Erfahrungen mit der vom Bundesverfassungsgericht erlassenen Übergangsregelung ein. Ich möchte hier auf drei Punkte eingehen: auf die Auswirkungen für die Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, auf die Beratungssituation und auf die Hilfen für ein Leben mit Kindern.
Die Situation der Frauen hat sich durch die Übergangsregelung weiter verschlechtert. Den Frauen im Westen der Republik wird weiterhin das Recht auf
Rita Grießhaber
Selbstbestimmung und Menschenwürde abgesprochen. Die Frauen in Ostdeutschland waren gewohnt, mit den Möglichkeiten, die die Fristenregelung in der ehemaligen DDR bot, sehr verantwortungsvoll umzugehen. Ihre Hoffnung, daß die im Einigungsvertrag vereinbarte Weitergeltung des Rechts der DDR ein Modell für die gesetzliche Regelung in der gesamten Republik sein würde, ist zunichte gemacht worden.
In der Bundesrepublik hat die Übergangsregelung Verunsicherung und große Schwierigkeiten gebracht. Je nachdem, in welchem Bundesland eine Frau wohnt, ist sie mit unterschiedlichen Handhabungen der rechtlichen Bestimmungen konfrontiert. Eine Frau in Berlin kann unter Beratungsstellen unterschiedlicher Ausrichtung und unter Abbrucheinrichtungen wählen, während eine Frau aus BadenWürttemberg immer noch nach Hessen fahren muß, um eine Abbruchmöglichkeit zu finden. Einer Frau in Sachsen stehen, obwohl die Mehrheit in diesem Bundesland nicht konfessionell gebunden ist, fast nur kirchliche Beratungsangebote zur Verfügung. Und wer sich umhört, wird mitbekommen, daß viele Frauen wieder nach Holland fahren. Die gestern vielbeschworene EG-Harmonisierung läßt grüßen.
Die Regelungen zur Finanzierung eines Schwangerschaftsabbruchs führten in manchen Bundesländern ein vergessen geglaubtes Zweiklassenrecht wieder ein und öffneten horrenden Honorarforderungen Tür und Tor.
Was die Beratung betrifft, so klagen viele Beratungsstellen darüber, daß sehr viel Zeit damit verlorengeht, den ratsuchenden Frauen zu erklären, unter welchen Voraussetzungen sie von welcher Stelle finanzielle Unterstützung erhalten können.
Ein Schwerpunkt des 1992 verabschiedeten Schwangeren- und Familienhilfegesetzes sollte die Verbesserung von Aufklärung und Prävention sein. Wenn ich einmal davon ausgehe, daß dieses Ziel nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch Bestand hat, dann frage ich die Regierung, wie Sie, meine Damen und Herren, an einem Haushalt festhalten können, in dem zur Aufklärung nach diesem Gesetz statt der vorgesehenen und dringend benötigten 20 Millionen DM nur 6 Millionen DM eingestellt sind. Und das mit der sehr überzeugenden Begründung, das Geld würde wohl gebraucht, es sei aber nicht genügend Personal vorhanden. Welch ein Zynismus!
Auch was die Hilfen für ein Leben mit Kindern angeht, sind den vollmundigen Worten eigentlich nur Unterlassungssünden gefolgt. Nur kann man in diesem Zusammenhang wirklich nicht von läßlichen Sünden reden. Alle Beschwörungen, Frau Eichhorn, ändern das nicht. Wenn sich eine Frau in diesem Land auf etwas verlassen kann, dann darauf, daß die Hilfen für ein Leben mit Kindern zur wohlfeilen Verschiebemasse gehören und daß sie im Ernstfall mit ihrem Problem allein gelassen wird.
An dieser Stelle möchte ich auch etwas zu den vorliegenden Anträgen zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz sagen. Die CDU/CSU verweist in höchst unseriöser Weise darauf, daß der Anteil der Länder an der Umsatzsteuer ab 1995 44 % statt bisher 37 % beträgt. Sie wissen genau, Frau Eichhorn, daß diese Erhöhung eingeführt wurde, weil ab 1995 die neuen Bundesländer in den Länderfinanzausgleich gekommen sind. Diese Erhöhung hat nichts mit Mitteln für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz zu tun.
Die SPD kommt mit ihrem Antrag auf einen zweckgebundenen Investitionskostenzuschuß für Kindergärten einer Lösung des Problems schon wesentlich näher. Nur frage ich mich, warum Sie das Programm zeitlich befristen wollen. Wir alle wissen doch, daß bei wichtigen Infrastrukturmaßnahmen Bundeshilfen durchaus üblich sind. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Da klappt so etwas.
Wir stehen voll zur Garantie des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz. Wir wissen aber auch, daß Kinder nicht mit drei Jahren vom Himmel fallen und auch nicht mit sechs Jahren einer Grundschule überlassen werden können, die vielerorts nicht einmal eine voll funktionsfähige Halbtagsschule ist.
Ich stelle fest: Es gab vollmundige Versprechungen. Die Hilfen lassen auf sich warten, und die Angst vor weiteren Verschärfungen ist groß. Die gültige Übergangsregelung zum Schwangerschaftsabbruch hat zu einer Verunsicherung von Frauen, Beratungsstellen sowie von Ärztinnen und Ärzten geführt.
Wir Bündnisgrünen haben daraus die Konsequenz gezogen und legen ein Gesetz vor, das die Rechte der Frauen eindeutig benennt und das Prinzip Hilfe statt Strafe verankert. Wir müssen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf Grund unseres Verfassungsverständnisses hinnehmen. Aber, Herr Lanfermann, wir müssen nicht die Lebensschützersprache übernehmen.
Alle bisherigen Anhörungen haben ergeben, daß wirklicher Rat nur ohne Sanktionsandrohungen möglich ist. Ich frage Sie: Was hat die Regelung der Beratung im Strafrecht zu suchen? Die vom Verfassungsgericht ermöglichte Konstruktion des Tatbestands-
Rita Grießhaber
ausschlusses schreibt vor, daß Beratung stattzufinden hat. Aber die fachlichen Vorgaben an ein Beratungsgespräch haben in einem modernen Rechtsstaat wirklich nichts im Strafrecht verloren.
Eine Gesellschaft, die auf mündige Bürgerinnen und Bürger setzt und die echte Hilfe leisten will, muß in einer Frage, die so massiv in die Lebensplanung eingreift, die Rechte der betroffenen Frauen klar und eindeutig festschreiben. Wir wollen ein Gesetz, das Frauen und Männer bei der Vermeidung von ungewollten Schwangerschaften durch Aufklärung und Information unterstützt und der Verhütung einen anderen Stellenwert einräumt.
Das heißt für uns: Frauen muß ein wohnortnahes, plurales Beratungsangebot zur Verfügung stehen. Die Beratung bei einer ungewollten Schwangerschaft muß eine eigenverantwortliche Entscheidung der Frau gewährleisten. Wir wollen ein Recht auf Anonymität und Datenschutz verankern. Dritte dürfen nur mit Einverständnis der Frau zur Beratung hinzugezogen werden. Wir wollen - auch das ist nicht überall gewährleistet - ausreichend stationäre und ambulante Einrichtungen, in denen schonende Abbruchmethoden praktiziert und nicht wehenauslösende Hormone verabreicht werden. Die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen muß über die Krankenkassen abgewickelt werden.
Da, Herr Lanfermann, haben Sie leider die neueste Version unseres Entwurfs nicht gelesen, obwohl wir sehr gut zwischen einer Indikation, die einen Abbruch erlaubt und der Geltendmachung einer Notlage unterscheiden können. Aber das haben wir herausgenommen, um konsensfähiger zu werden. Wir wollen verhindern, daß eine Schwangerschaft abbrechende Ärzte oder Ärztinnen sowie das familiäre Umfeld durch Strafandrohungen verunsichert werden.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen: Im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Reform des § 218 wird immer wieder die Befürchtung geäußert, daß die sogenannten Lebensschützer wieder nach Karlsruhe ziehen werden, um ein fortschrittlicheres Gesetz zu verhindern.
- Wenn Sie diese Äußerung gerne ohne den Zusatz „sogenannt" haben möchten, so habe ich nichts dagegen. — Dies, meine Damen und Herren, Herr Lanfermann, wäre hundertprozentig nur auszuschließen, wenn wir alle den von diesem Kreis vorgelegten Gesetzentwurf unterschreiben würden. Das kann ja wohl nicht unsere Politik sein!
Es fällt schwer, sich 1995 noch ernsthaft mit einem Gesetz von 1871 auseinanderzusetzen. Aber wer die Frauen nicht im Stich lassen will, muß in der jetzt gegebenen Situation ein Gesetz einbringen, das Bestand haben kann. Unsere Fraktion hat großes Interesse daran, Mehrheiten zu finden, die gewillt sind, mit uns alle vorhandenen Spielräume für die Frauen auszuloten. Wer nichts wagt, gewinnt nichts. Die Frauen haben in diesem Land schon genug verloren. Wagen wir es also noch einmal! Unser Gesetzentwurf bietet eine gute Grundlage dafür.
Vielen Dank.
Als nächste spricht die Abgeordnete Christina Schenk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Bemerkung zu Ihnen, Frau Wettig-Danielmeier, und auch zu Herrn Lanfermann. Ich muß mich schon sehr wundern, daß ich Mitglieder des Deutschen Bundestages in diesem Hause darauf hinweisen muß, daß der Gesetzgeber ebendieser Bundestag ist und nicht das Bundesverfassungsgericht
und daß dem Bundestag demzufolge auch die Möglichkeit offensteht, eine Grundgesetzänderung zu beschließen.
Da genau das immer wieder diskutiert wird, möchte ich in meiner Rede die Möglichkeit nutzen, um zum einen etwas genauer auf die Implikationen des Karlsruher Urteils von 1993 und zum anderen auf die Handlungsmöglichkeiten des Bundestages nach diesem Urteil einzugehen. Gerade weil diese beiden Aspekte in der Diskussion bisher keine Rolle spielen und weil außer der PDS alle anderen Parteien in diesem Hause auf das Urteil starren wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange und sich - wenn auch durchaus in unterschiedlichem Maße - darauf beschränken, sich an den Vorgaben des Urteils abzuarbeiten, möchte ich hier ein paar Klarstellungen anbringen.
In der öffentlichen Diskussion um die Neuregelung des Umgangs mit ungewollten Schwangerschaften wird der Eindruck erweckt, der Gesetzgeber habe nach dem Karlsruher Urteil keine andere Wahl mehr; es könne nun nur noch darum gehen, im Bundestag eine gesetzliche Regelung zu finden, die das Urteil umsetzt.
Dazu muß gesagt werden, daß Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts mitnichten ein Dogma sind. Entsprechend einem Beschluß ebendieses Gerichts aus dem Jahre 1987 geht die Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen nicht so weit, den Gesetzgeber zu hindern, eine verworfene Regelung neu zu beschließen. Insbesondere steht es, wie ich schon gesagt habe, dem Gesetzgeber frei, im Rahmen von Art. 79 das Grundgesetz zu ändern.
Da mit dem Urteil die Geltung der im Grundgesetz festgeschriebenen Grundrechte für Frauen aus unserer Sicht erneut eingeschränkt und der Geltungsbereich des Grundgesetzes erweitert worden ist, schlagen wir demokratischen Sozialistinnen und Soziali-
Christina Schenk
sten in unserem Gesetzentwurf vor, daß Art. 2 des Grundgesetzes nunmehr eine unmißverständliche Form erhält. Es soll ein Absatz angefügt werden, der lautet:
„Jede Frau hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht."
Damit soll eine Bindung des Bundesverfassungsgerichts an den ursprünglichen Wesensgehalt der Grundrechte sichergestellt werden.
In der Begründung unseres Gesetzentwurfs wird aufgezeigt, von welchen Grundannahmen das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil ausgeht und wie von diesen Grundannahmen her das Grundgesetz interpretiert wird, ohne daß sich diese Interpretation zwingend aus dem historischen und grammatikalischen Kontext des Grundgesetzes ergibt. Weiter wird aufgezeigt, wie es dabei - quasi unterderhand - zu einer Veränderung des Wesensgehalts der Grundrechte gekommen ist.
Nun zu den Implikationen des Urteils: Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil von 1993 - wie auch schon in dem von 1975 - das Tötungsverdikt zu eigen gemacht. Das beruht auf einem Kunstgriff, nämlich die in der Realität für die Dauer der Schwangerschaft unauflösbare Einheit von schwangerer Frau und ihrer Leibesfrucht fiktiv aufzulösen, den Fötus zu personalisieren, um ihm dann ein eigenständiges Recht auf Leben zuzuerkennen. Nur mit Hilfe einer solchen Konstruktion, nur mit Hilfe eines solchen Kunstgriffs kann die Leibesfrucht gegen die Interessen und gegen die Entscheidung von schwangeren Frauen ausgespielt werden und kann eine - wie es so schön heißt - „Schutzpflicht des Gesetzgebers für das ungeborene Leben" auch gegen die Frau abgeleitet werden.
Man muß sich doch einmal fragen: Was passiert hier eigentlich? Hier werden unversehens christliche Auffassungen - insofern, Frau Eichhorn, war das vorhin durchaus ein sehr sinngebender, nämlich ein Freudscher Versprecher -, namentlich die katholische Lehre, der zufolge bereits mit der Empfängnis ein beseeltes Individuum und damit eine Person vorliegt, in den Rang einer objektiven, unfehlbaren und allgemeingültigen Wertordnung gehoben. Diese Ignoranz gegenüber anderen Weltsichten ist totalitär, sie ist demokratiefeindlich.
— Ich habe in der DDR gelebt und weiß, wovon ich rede. Auch die SED hat immer gesagt, daß sie im Besitz der alleinigen Wahrheit ist.
Der von den Gegnern und Gegnerinnen des Selbstbestimmungsrechts von Frauen erhobene Tötungsvorwurf ist die Grundlage der Kriminalisierung von Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen. Im übrigen möchte ich hier ganz klar sagen: Die landläufige Bezeichnung „Lebensschützer" für diejenigen, die Frauen das Recht auf eine eigene Entscheidung absprechen, verbietet sich meines Erachtens angesichts der von ihnen begangenen Morde an Ärzten in den USA und verbietet sich auch angesichts des Schadens, den sie mit ihren totalitären Indoktrinationen Frauen, Männern und vor allem den unerwünschten Kindern zufügen.
Es geht mir hier nicht um die schlichte Formel „Mein Bauch gehört mir." Es geht um viel mehr: Es geht hier um die Anmaßung des Bundesverfassungsgerichts, mit der Festlegung, die Leibesfrucht sei ein Rechtssubjekt, dem Grundrechte zukämen, von außen her definieren zu wollen, was die Leibesfrucht eigentlich ist. Es ist jedoch prinzipiell nicht möglich, von außen her zu bestimmen, was eine Schwangerschaft wirklich für die schwangere Frau selbst bedeutet. Das kann nur jede Frau für sich selbst ermessen.
Von daher kommen allein der schwangeren Frau die Definitionsmacht und das Entscheidungsrecht über ihre Leibesfrucht zu. Diese ist ihr Kind von Anfang an, wenn sie es sich wünscht, oder aber, wenn es sich um eine ungewollte Schwangerschaft handelt, ist sie ein Etwas, das ihre Lebenspläne zu zerstören droht. Das ist die volle Spannbreite, in der sich jede Frau irgendwo - je nach Kinderwunsch, je nach Weltanschauung, je nach Lebensplanung, je nach Sozialisation, je nach Lebensweg, Erfahrung usw. - verortet.
Indem das Bundesverfassungsgericht die Leibesfrucht zum Rechtssubjekt erklärt hat, hat es diese unter Art. 2 Abs. 2 - „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" - subsumiert. Damit wird der Geltungsbereich der staatlichen Fürsorge- und Schutzpflicht, der bisher bezüglich der Grundrechte Menschen als Personen umfaßte, auf das vorgeburtliche Leben ausgedehnt. Bisher war es Konsens, daß im Grundgesetz von Menschen als Personen die Rede ist, nicht vom menschlichen Leben schlechthin.
Ein weiterer Widerspruch zu Geist und Wortlaut des Grundgesetzes besteht darin, daß trotz der darin festgeschriebenen Gleichheit aller vor dem Gesetz mit dem Urteilsspruch zweierlei Recht für Männer und Frauen und darüber hinaus für schwangere und für nicht schwangere Frauen konstituiert wird. Eine Außerkraftsetzung der Grundrechte für die Frau während der Schwangerschaft steht ebenfalls im Widerspruch zum Wesensgehalt der Grundrechte.
Wenn man die uneingeschränkte Gültigkeit der im Grundgesetz formulierten Grundrechte auch für Frauen anerkennt, wenn Menschenrechte also auch Frauenrechte sein sollen, dann muß es selbstverständlich sein, daß angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, die Schwangerschaft, Geburt und das Leben mit Kindern für die Lebensplanung mit sich bringen, Frauen über Austragung oder Abbruch einer Schwangerschaft selbst entscheiden können und daß sowohl die eine als auch die andere Entscheidung den gleichen Respekt verdient.
Es gibt noch einen weiteren schwerwiegenden Punkt der Kritik am Urteil: Das Bundesverfassungsgericht hat sich selbst zum Ersatzgesetzgeber gemacht, indem es in Gestalt detaillierter Regelungen
Christina Schenk
ein Quasi-Gesetz erlassen hat. Ich meine, das ist ein weiterer Hinweis auf die besorgniserregende Kompetenzverlagerung innerhalb der im Grundgesetz festgelegten Gewaltenteilung. Der Machtzuwachs zugunsten der Judikative, der sich in diesem Urteil besonders kraß zeigt, muß wieder eingeschränkt werden, um die Gewaltenteilung wieder auszutarieren. Politische Entscheidungen müssen vom Gesetzgeber, von diesem Parlament, und nicht vom Bundesverfassungsgericht getroffen werden.
Das Urteil ist und bleibt ein massiver Angriff auf die Freiheit und die Selbstbestimmung der Frau. Das können auch noch so gutgemeinte Gesetzentwürfe, die sich am Urteil abarbeiten, nicht wegwischen.
Die von uns vorgeschlagene Grundgesetzänderung in Art. 2 hätte hingegen zur Folge, daß die §§ 218 und 219 gestrichen werden müßten. Darüber hinaus müßte dann der in § 218 spezialgesetzlich sanktionierte Abbruch einer Schwangerschaft gegen den Willen der Frau dadurch unter Strafe gestellt werden, daß der Verlust der Leibesfrucht infolge einer Körperverletzung in den Katalog des § 224 StGB aufgenommen wird.
Die Bemerkung aus den Reihen der SPD und auch von anderer Seite, unser Entwurf sei traumwandlerisch, entbehrt, wie ich meine, nicht der Pikanterie. Daß unser Entwurf in diesem Haus gegenwärtig nicht durchsetzungsfähig ist, ist nun gerade kein Argument gegen ihn; denn ich meine: Was ist in diesem Haus schon durchsetzungsfähig, was innovativ, emanzipatorisch und fortschrittlich ist?
Ich möchte zum Schluß noch etwas zum Gesetzentwurf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sagen. Ganz offensichtlich haben sich nun auch die Bündnisgrünen in die Reihe derjenigen begeben, deren Blick von der Totalitarismus-Debatte so weit vernebelt ist, daß sie die DDR nur noch in den Begriffen von Unfreiheit und Indoktrination zu beschreiben in der Lage sind.
Zu behaupten, es habe in der DDR keine Möglichkeiten gegeben, sich freiwillig über Verhütung und Sexualität in einem unbelasteten Gespräch zu informieren, wie es in Ihrem Gesetzentwurf heißt, ist eine bodenlose Unverschämtheit.
Es hat in der DDR ein Netz von Ehe-, Familien- und Sexualberatungsstellen gegeben, und in diesen wurden, anders als jetzt, keinerlei Zwangsberatungen durchgeführt.
Und noch etwas: Die Verunsicherung, die ostdeutsche Frauen während der Zwangsberatung äußern und auf die Sie in Ihrem Gesetzentwurf Bezug nehmen, hat ganz sicher etwas mit den Verhältnissen in der DDR zu tun, aber anders, als Sie es in Ihrem Entwurf unterstellen. Diese Verunsicherung resultiert schlicht aus der Tatsache, daß jetzt etwas für unrechtmäßig und strafbar erklärt worden ist, was vorher selbstverständliches Recht war.
Zwangsberatung ist im übrigen nicht, wie Sie in Ihrem Gesetzentwurf behaupten, nur das Problem von Ostfrauen. Schließlich hat die westdeutsche Frauenbewegung Jahrzehnte nicht nur gegen die Kriminalisierung der Abtreibung, sondern zugleich auch gegen ein Bundesberatungsgesetz gekämpft.
Eines jedenfalls machen die Passagen in der Begründung des Gesetzentwurfs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, auf die ich eben angespielt habe, deutlich: Die Bündnisgrünen sind ganz unzweifelhaft eine westdeutsche Regionalpartei, die so lange keine Chancen im Osten haben wird, wie sie die Verhältnisse in der DDR und in den jetzigen ostdeutschen Bundesländern in derartig verzerrter Weise begreift.
Ich stelle abschließend fest, daß die PDS bei diesem Thema gegenwärtig die einzige Partei ist, die klare Forderungen hin zu einer demokratischen, emanzipatorischen, d. h. in erster Linie auch frauenfreundlichen Gesellschaft erhebt und diese auch im Bundestag zur Sprache bringt.
Als nächster spricht der Abgeordnete Hubert Hüppe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich muß einen Satz zu meiner Vorrednerin sagen; denn ich finde es schon komisch, daß jemand einen Grundgesetzänderungsantrag einbringt, der überhaupt nicht zu stellen ist. Art. 2, in dem das Recht auf Leben festgeschrieben ist, kann deswegen nicht geändert werden, weil er sich aus dem Art. 1, der Menschenwürde, ergibt; denn wer nicht lebt, hat auch keine Menschenwürde.
Dies ist Gott sei Dank ein Artikel unserer Verfassung, der nicht geändert werden kann, auch nicht mit Zweidrittelmehrheit.
Herr Abgeordneter Hüppe, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Schenk?
Wenn es mir nicht angerechnet wird, gerne.
Kollege Hüppe, haben Sie zur Kenntnis genommen, daß wir in unserem Gesetzentwurf nicht Art. 1 des Grundgesetzes ändern wollen, sondern genau darauf abstellen, daß das Wort „jeder", auf das Sie soeben Bezug genommen haben,
Christina Schenk
Menschen als Personen meint und nicht menschliches Leben schlechthin?
Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß „jeder" und „jede Person" auch das menschliche Leben im Mutterleib ist. Das ist nun einmal wissenschaftlich so bewiesen.
Ich wundere mich tatsächlich, daß die PDS und die GRÜNEN beim Embryonenschutzgesetz - da bin ich übrigens Ihrer Meinung - vom menschlichen Leben sprechen, vom Individuum, wie auch Herr Antretter von der SPD; aber wenn es im Mutterleib ist, soll es keinerlei Rechte mehr haben. Das kann nicht richtig sein.
Ich frage auch einmal ganz deutlich Frau Grießhaber: Wenn wir schon so weit sind, daß „Lebensschützer" ein Kampfbegriff wird und etwas Schlechtes ist, was ist denn dann das Gegenteil von „Lebensschützer"? Das Gegenteil von „Lebensschützer" ist „Lebensfeind". Ich wundere mich, daß sich gerade die GRÜNEN selbst nicht mehr als Lebensschützer betrachten. Das macht auch deutlich, welche Auffassung Sie haben.
Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Verfassungswidrigkeit der Fristenregelung festgestellt, daß es zwei verfassungsgemäße Wege gibt, eine Neuregelung der Abtreibung vorzunehmen: zum einen eine Beratungsregelung mit einem umfangreichen Lebensschutzkonzept und zum anderen eine Indikationsregelung, die - so das Bundesverfassungsgericht - deutlicher sein muß als die alte Regelung und außerdem engere Indikationstatbestände aufweisen muß, an deren Feststellung strengere Anforderungen zu stellen sind.
Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden, weil wir der Meinung sind, daß sich die Hilfe für die Betroffenen und der strafrechtliche Schutz nicht ausschließen, sondern einander bedingen. Gerade diejenigen, die wie wir die Tötung ungeborener Kinder nicht einfach freigeben wollen, werden in Zukunft mehr gefordert sein, den Betroffenen zu helfen. Dieser Verantwortung stellen wir uns.
Im übrigen sind wir auch der Überzeugung, daß eine Beratungsregelung spätestens dann nicht mehr verfassungskonform ist, wenn z. B. der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, so wie es aussieht, nicht am 1. Januar 1996 verwirklicht wird. Dies bestätigen auch meine Vorredner von der SPD und der F.D.P. Gerade beim Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz wird die Heuchelei einiger Leute deutlich, die immer proklamieren, sie seien für Hilfe statt Strafe. Denn obwohl der Bund den Ländern deswegen extra mehr Mittel zur Verfügung gestellt hat, werden diese Gelder nicht weitergegeben.
- Entschuldigung, wenn Frau Grießhaber eben behauptet hat, darin seien die Gelder nicht enthalten, muß sie einmal genau nachlesen. Es wird nämlich mit den 7 % genau 1 Milliarde DM mehr zur Verfügung gestellt, als es nach dem Länderfinanzausgleich erforderlich wäre. Wenn für diese 1 Milliarde DM Kindergärten gebaut würden, wären wir schon einen ganzen Schritt weiter; das muß man an dieser Stelle einmal deutlich sagen.
- Regen Sie sich ruhig auf. Das werden Sie jetzt auch noch einmal tun. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus meinem Land; ich komme aus Nordrhein-Westfalen.
- Ein Glück, Herr Fischer. - In meinem Wahlkreis entsteht zur Zeit eine Landesgartenschau mit zig Millionen Landeszuschuß. Aber die Landesregierung hat angeblich kein Geld für Kindergärten. Da frage ich mich: Was ist denn wichtiger, ein Kindergarten oder eine Landesgartenschau? Ich sage: Wichtiger ist der Kindergarten und damit die Hilfe für die Frauen und für die Kinder.
Aber wir wollen auch aus anderen Gründen nicht auf den strafrechtlichen Schutz verzichten, nämlich weil wir der Auffassung sind, daß das Strafrecht, wenn man es nicht gänzlich in Frage stellt, dazu da ist, die Schwächsten in unserer Gesellschaft zu schützen. Und wer ist schwächer als das ungeborene Kind, das noch nicht einmal schreien kann, wenn es verätzt, zerstückelt oder abgesaugt wird? Außerdem verzichten ja auch die anderen ernstzunehmenden Anträge nicht auf Strafe, wenn sie auch erst nach zwölf Wochen greift. Dabei fehlt jede logische Begründung dafür, daß bis zur zwölften Woche das Strafrecht keinen Sinn haben soll, aber bei zwölf Wochen und einem Tag voll greift. Wird da nicht auch bald, wie es die PDS und die GRÜNEN schon tun, die Möglichkeit der Tötung der Ungeborenen bis zur Geburt oder vielleicht sogar, wie es der Philosoph Singer tut, die freie Entscheidung über Leben und Tod bei behinderten Säuglingen sogar nach der Geburt gefordert?
Dies ist im übrigen auch der Grund dafür, daß wir keine eugenische Indikation vorsehen. Aus unserer Sicht stellt die Möglichkeit der Tötung behinderter Kinder bis zur 24. Schwangerschaftswoche, also bis kurz vor der Überlebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes, eine Diskriminierung aller Behinderten dar. Dies ist für uns nicht tolerierbar.
Noch ein Wort zur Strafbarkeit des familiären und sozialen Umfelds, die vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gefordert wird. Hier wollen jetzt plötzlich nicht nur die SPD, die PDS und die GRÜNEN verfassungswidrig die Männer außen vor halten und aus der Verantwortung nehmen, sondern inzwischen auch die F.D.P., und das, Herr Lanfermann,
Hubert Hüppe
obwohl die Protagonistin der F.D.P. in dieser Frage, Frau Würfel, im Mai letzten Jahres bei der dritten Lesung ausdrücklich erklärt hat, daß darauf nicht verzichtet werden könne, ohne daß eine Beratungsregelung verfassungswidrig sei. Das ist eine grobe Mißachtung wider besseres Wissen des höchsten deutschen Gerichtes und würde aus meiner Sicht automatisch eine neue Klage nach sich ziehen. Ich denke, Sie sollten über diesen Punkt nachdenken.
Herr Hüppe, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Schenk?
Ja, gerne.
Herr Kollege Hüppe, Sie haben der PDS unterstellt, sie beabsichtige mit ihrer Regelung, daß Kinder, d. h. die Leibesfrucht nach der Geburt, aus irgendwelchen Motiven getötet werden könnten. Sind Sie bereit anzuerkennen, daß wir unseren Gesetzentwurf expressis verbis darauf abstellen, daß das Selbstbestimmungsrecht der Frau so lange gilt, wie die Einheit zwischen ihr und ihrer Leibesfrucht besteht, und daß die Tötung des geborenen Lebens im Strafgesetzbuch sanktioniert ist und wir diese Regelung deshalb nicht aufgenommen haben?
Ich darf noch einmal deutlich machen, daß ich in meiner Rede gesagt habe, daß die PDS und die GRÜNEN fordern, die Abtreibung bis zur Geburt freizugeben. Ich habe darauf hingewiesen, daß es inzwischen andere gibt, z. B. Professor Singer, seines Zeichens Philosoph, die auch die Tötung nach der Geburt fordern.
Wenn Sie Herrn Singer in seiner Begründung gehört hätten - Herr Antretter wird mir das bestätigen können, weil auch er ihn schon einmal zitiert hat -, wüßten Sie, wie er darauf kommt, daß man vorgeburtliches Leben töten könnte. Er fragt sinnigerweise, Frau Schenk: Warum soll der Abbruch in der 24. Schwangerschaftswoche noch möglich sein, kurz nach der Geburt aber nicht mehr? Aus diesem logischen Aufbau hat er die Konsequenz gezogen, die wir nicht wollen.
Ich sage noch einmal: Selbst, wenn man der Auffassung wäre, das Selbstbestimmungsrecht der Frau stehe höher als das Lebensrecht des Kindes, müßte man doch logischerweise dafür sein, die Frau vor dem Druck hauptsächlich der Männer zu schützen. Ich frage mich, ob Sie tatsächlich wollen, daß Frauen auch gegen ihren erklärten Willen abtreiben müssen.
Das kann nicht einmal im Sinne derjenigen sein, die ein Selbstbestimmungsrecht wollen.
Noch ein Wort zur Krankenkassenfinanzierung: Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich erklärt, daß eine Krankenkassenfinanzierung bei einer Beratungsregelung nicht möglich sei, wenn auf die Indikation verzichtet werde. Trotzdem sehen die Gesetzentwürfe jetzt eine Abwicklung über die Krankenkassen vor. Die Begründung lautet, man könne einer abtreibungswilligen Frau den Gang zum Sozialamt nicht zumuten.
Ich frage mich: Mit welchem Recht kann man der Frau, die ihr Kind trotz aller Umstände austragen will, dann den Weg zum Sozialamt, zur Fürsorgestelle, zur Krankenkasse und zum Arbeitsamt zumuten? Dabei haben Sie kein schlechtes Gewissen. Das müssen wir ändern.
Das ist eine Diskriminierung der Frauen, die ihr Kind austragen wollen.
Meine Damen und Herren, zum Schluß: Wir werden uns niemals mit der hunderttausendfachen Tötung von Ungeborenen abfinden. Wir werden uns nicht damit abfinden, daß Frauen im Stich gelassen werden und die Verantwortung der Männer außen vor bleibt. Wir wollen einen Staat, der sich schützend vor die Wehrlosen stellt, und keinen Staat, der Millionen dafür ausgibt, um das Leben im Keim zu erstikken.
Vielen Dank.
Als nächste spricht die Abgeordnete Dr. Edith Niehuis.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Mit dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz aus dem Jahre 1992 haben wir als Gesetzgeber mit parteiübergreifender Mehrheit in der Frage, wie Frauen in Schwangerschaftskonflikten geholfen werden kann, einen Wandel vollzogen. Dieses Parlament war nach jahrzehntelangen Diskussionen endlich in der Lage, eine geschichtliche Erfahrung aufzuarbeiten, die da heißt - Herr Hüppe, hören Sie gut zu -: Es dient der Lösung von Schwangerschaftskonflikten nicht, auch dem Schutz des werdenden Lebens nicht, wenn Gesellschaft und Gesetzgeber nur mit rigiden Moralvorstellungen und Strafen kommen und die Frauen alleine lassen.
Das einzige, was auf Dauer als tragfähige Lösung gelten kann, ist, daß Frauen - sofern vorhanden, auch ihren Familien - wirksame Hilfen angeboten werden, die Perspektiven für ein Leben mit Kindern eröffnen. Aus diesem Grund hat dieses Parlament die beschlossene Fristenregelung mit guter Beratung mit dem politischen Willen kombiniert, unsere Gesell-
Dr. Edith Niehuis
schaft ernsthaft zu einer kinder-, Familien- und frauenfreundlichen Gesellschaft zu entwickeln. Das Verfassungsgericht hat diesen Wechsel im Schutzkonzept ausdrücklich mit vollzogen.
Ich erinnere an diesen Zusammenhang so nachdrücklich, weil manche Diskussionen, die von Regierungsmitgliedern in diesem Land geführt werden, den Eindruck erwecken könnten, uns sei es nicht Ernst mit dem Willen, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu erreichen. Es ist uns Ernst. Wir sind erst am Anfang der politischen Wegstrecke und nicht am Ende. Wir wissen auch in diesem Punkt das Verfassungsgericht hinter uns.
Das gilt auch für den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Was hier eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe, Frau Eichhorn, unter dem Vorsitz des bayerischen CSU-Ministers von Waldenfels
in die Öffentlichkeit gebracht hat, nämlich die Umsetzung des Rechtsanspruchs in das Jahr 1999 zu verschieben, ist vollkommen unakzeptabel.
- Nein, Sie haben uns auch keine Zwischenfrage zugelassen. Sie können sich wieder setzen, Frau Eichhorn.
Allerdings möchte ich hinzufügen: Die Reaktion der Bundesregierung auf den Vorschlag dieser kleinen Arbeitsgruppe ist ebenso unakzeptabel.
Als 1992 das Schwangeren- und Familienhilfegesetz verabschiedet wurde, war allen klar, daß insbesondere die notwendige Verbesserung der außerfamiliären Kinderbetreuung in dieser Republik teuer werden würde. Sie wird so teuer, weil jahrzehntelang vom Wandel der modernen Industriegesellschaft zwar geredet wurde, die deutsche Politik aber unfähig war, die gesellschaftspolitischen Folgen dieses Wandels zu verstehen und dann auch umzusetzen.
Zum Wandel gehört, daß die Arbeitskraft von Frauen gebraucht wird, daß Frauen erwerbstätig sein wollen und daß Frauen von ihrer Ausbildung her dieser Gesellschaft viel zu bieten haben.
Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern hat Deutschland verschlafen, die dafür notwendigen außerfamiliären Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, daß wir natürlich wissen, daß sich Kommunen und Länder in den letzten Jahren nicht ausgeruht haben. In den letzten drei Jahren sind 190 000 neue Kindergartenplätze in den alten Bundesländern geschaffen worden. Dabei wurde seitens der Länder über 1 Milliarde DM investiert. Dies sei nachdrücklich anerkannt.
Aber nach wie vor fehlen 600 000 Kindergartenplätze und 50 000 Erzieherinnen und Erzieher. Weil das Versäumnis so groß ist, haben wir 1992 im Gruppenantrag und im Bericht des damaligen Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens" darauf hingewiesen, daß der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Bund-Länder-Finanzausgleich besonderer Berücksichtigung bedarf. Dieses ist leider nicht geschehen.
Lassen Sie es mich einmal ganz salopp sagen: Sie können den Solidarpakt doch jetzt nicht immer für alles nehmen, wie wir den Jäger 90 für alles genommen haben. Das geht wirklich nicht.
Ganz im Gegenteil: Wir erinnern uns doch alle, daß der Bundesfinanzminister, Herr Waigel, die Länder und Kommunen damals in einer Fußnote zum sogenannten Konsolidierungsprogramm ausdrücklich eingeladen hat, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz aus finanzpolitischen Gründen doch nicht so ernst zu nehmen. So war es. Es gibt also keinen Grund, mit dem Finger immer nur auf andere zu zeigen. Es gibt aber Grund genug, jetzt endlich gemeinsam zu handeln.
Diesem Ziel dient der von der SPD vorgelegte Entschließungsantrag. Er ist eine Aufforderung an die Bundesregierung, es nicht nur bei Worten zu belassen, sondern endlich auch ein Scherflein dazu beizutragen, daß die Kinderbetreuung in diesem Land besser geregelt werden kann. Ich denke, die Bundesregierung hat Grund genug, ihren Willen, etwas für die kinderfreundliche Gesellschaft zu tun, auch unter Beweis zu stellen.
Schließlich ist es doch die Folge ihrer Bundespolitik, daß das Existenzminimum von Familien verfassungswidrig besteuert wird und daß der Familienleistungsausgleich so miserabel ist, daß bei uns Kinder als Armutsrisiko Nummer 1 gelten.
Dr. Edith Niehuis
Wie wenig Sie sich der schwierigen Lage von Familien in der Bundesrepublik bewußt sind, wie konzeptionslos Sie dieser Situation begegnen, zeigt doch das widersprüchliche Durcheinander in der CDU, CSU und F.D.P. in der Frage der Verbesserung des Familienleistungsausgleichs.
Diese Bundesregierung hat einen ungeheuren Nachholbedarf, und darum würde es Ihnen gut zu Gesicht stehen, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Lassen Sie mich mit einem Blick auf das, was ich aus dem Land Bayern höre, dies sagen: Wenn Sie, Frau Staatsministerin Männle, meinen, der Schutz des werdenden Lebens hänge von der Beratungsregelung ab, haben Sie Wesentliches immer noch nicht verstanden: Es ist nicht die Beratungsregelung, es ist die kinderfreundliche Gesellschaft, die den Schutz des werdenden Lebens ausmacht.
Es paßt mir als Parlamentarierin überhaupt nicht, daß Sie schon im Vorfeld unserer parlamentarischen Beratung mit dem Verfassungsgericht drohen. Das ist keine sinnvolle Art.
Natürlich müssen wir die nächste Zeit nutzen, noch einmal um die richtige Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils zu ringen. Dabei wird auch die Frage der Beratung eine wichtige Rolle spielen. Das Verfassungsgerichtsurteil hat dazu gesagt:
Für die Festlegung des Inhalts der Beratung kann der Gesetzgeber davon ausgehen, daß Beratung nur dann eine Chance hat, das ungeborene menschliche Leben wirklich zu schützen, wenn sie ergebnisoffen geführt wird.
Dieser wichtige Satz des Verfassungsgerichts, der die praktischen Erfahrungen aller Beraterinnen und Berater unterstreicht, was auch in den Anhörungen des Deutschen Bundestages zum Ausdruck kam, muß Richtschnur für unsere Gesetzentwürfe sein.
Wir haben unseren § 219 gemäß dem Verfassungsgerichtsurteil umformuliert. Aber das, was die CDU/ CSU als Gesetzentwurf vorlegt, wird diesem Anspruch der Beratung in keiner Weise gerecht. Sie geben in § 219 dem Beratungsgespräch nicht nur eine einseitige Zielrichtung, nein, Sie gehen sogar soweit, daß Sie der Frau vorschreiben wollen, wann sie ihren Konflikt als unzumutbar empfinden darf. Sie führen in das Beratungsgespräch immer noch eine heimliche Indikation ein, was jedes Beratungsgespräch von vornherein unehrlich und unglaubwürdig machen kann. Ich würde Ihnen von der CDU/CSU ganz freundschaftlich raten: Setzen Sie sich einmal mit den wissenschaftlichen Methoden der Konfliktberatung auseinander. Ich bin sicher, daß Sie dann schleunigst Ihren § 219 umformulieren.
Frau Eichhorn, es geht nicht darum, daß die Beratung wertfrei erfolgen kann. Wenn Menschen zusammen sind, geschieht nie etwas wertfrei. Aber es geht auch darum, daß man das wichtige Beratungsgespräch - entschuldigen Sie diese saloppe Formulierung - nicht zu einem Verkaufsgespräch degradiert. Das ist der Sache nicht angemessen.
Wir wollen auch nicht, daß durch eine zusätzliche Bestrafung des familiären Umfelds die wichtige Basis für ein Beratungsgespräch, nämlich die Vertrauensbasis, zerstört wird. Das gilt für die Frauen, aber auch für möglicherweise hinzugezogene betroffene Dritte. Es freut mich, daß die F.D.P. sich in dieser Frage bewegt hat.
Bei allem müssen wir doch wissen: Ein Konflikt besteht nur, wenn zwei Ziele sich wirklich oder scheinbar widersprechen. Wenn dieser Konflikt in einer Person liegt, was für den Schwangerschaftskonflikt kennzeichnend ist, kann dieser Konflikt nur durch diese Person, d. h. durch die Frau und ihre Letztentscheidung, gelöst werden.
Dies muß im Gesetz auch zum Ausdruck kommen, und es darf nicht darum herumgeredet werden. Ich würde mich freuen, wenn dieses Parlament in der Lage wäre, eine baldige Regelung zu finden. Die Frauen haben es verdient, daß die jahrhundertealte Diskussion um den § 218 endlich zu einem würdigen Abschluß durch den Gesetzgeber kommt.
Als nächste spricht die Abgeordnete Anke Eymer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 erfordert, daß wir uns erneut mit der Neuregelung des Abtreibungsrechts befassen. Dabei gebietet es nicht nur der Respekt vor dem obersten Gericht Deutschlands, daß seine Vorgaben berücksichtigt werden. Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber durchaus Entscheidungsspielräume gelassen. Diese sollten wir auch nutzen.
Anke Eymer
Ich meine, daß es notwendig ist, die Beratungen und Entscheidungen zügig durchzuführen. Die Frauen brauchen nach den jahrelangen Diskussionen endlich Klarheit. Darunter verstehe ich auch, daß wir nicht wieder die gesamte Diskussion von vorne beginnen, sondern uns nur noch mit den offenen Fragen befassen. Es geht jetzt nur noch um drei Punkte: erstens um die Ausgestaltung der Beratung, zweitens um die Einbeziehung des familiären Umfeldes und drittens um die Bedürftigkeitssätze für eine Kostenübernahme sowie die Anrechnung über die Sozialhilfe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger steht zur Entscheidung an.
Einer der schwierigsten Punkte wird hierbei die Regelung der Strafvorschriften für das familiäre oder weitere soziale Umfeld der Schwangeren sein. Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, daß zur Pflicht des Staates zum Schutz des ungeborenen Lebens gehört, die Schwangere vor solchen Einflüssen aus dem familiären oder weiteren sozialen Umfeld zu schützen, die der Bereitschaft zum Austragen des Kindes entgegenwirken.
Wie wichtig dem Verfassungsgericht dieser Aspekt ist, wird dadurch deutlich, daß es diesen schon in einem Leitsatz seines Urteils festlegt. Allerdings fordert das Urteil nicht für alles und jedes Strafvorschriften, vielmehr läßt es einen Handlungsspielraum. Diesen Handlungsspielraum sollten wir, meine Damen und Herren, ausloten und nutzen. Hier muß einer der Schwerpunkte der Beratungen in den nächsten Wochen liegen.
Auch aus diesem Grund will ich den Rahmen, den das Bundesverfassungsgericht vorgibt, näher ausleuchten. Ich verstehe das Urteil so, daß es für die Schutzpflicht des Staates nicht ausreicht, sich darauf zu verlassen, daß das familiäre und soziale Umfeld freiwillig eine positive Haltung gegenüber der Schwangeren einnimmt. Vielmehr hält es das Verfassungsgericht für notwendig, die Verhaltensgebote als Rechtsgebote auszugestalten. Allerdings - jetzt zitiere ich wörtlich -: „Dabei ist die Strafandrohung nicht die einzig denkbare Sanktion."
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht für mich fest, daß wir in vielen Fällen sehr wohl die Möglichkeit haben, auf die Strafandrohung zu verzichten. Dies setzt allerdings voraus, daß es uns gelingt, die Einbeziehung des sozialen Umfeldes in anderer Weise rechtlich verbindlich zu gestalten.
Lediglich für Personen des familiären Umfeldes hält das Gericht in einem bestimmten Umfang Strafvorschriften für unerläßlich. Von dieser Vorschrift müssen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts die Personen aus dem familiären Umfeld der Schwangeren erfaßt sein, die die Schwangere zum Abbruch drängen, und die Personen, die der Schwangeren notwendige Hilfe in verwerflicher Weise vorenthalten.
Für das weitere soziale Umfeld, also z. B. Arbeitgeber und Vermieter, hält das Verfassungsgericht lediglich fest, daß hier zu prüfen ist, ob auch in diesem Bereich bei verwerflichem Verhalten Strafvorschriften erlassen werden sollen. Ich bin der Auffassung, daß wir uns bei der Strafandrohung für das familiäre und soziale Umfeld am unteren Level der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts orientieren sollten; denn Strafe ist nicht geeignet, den Schutz des ungeborenen Lebens zu verbessern.
Ich behaupte sogar, daß Strafvorschriften durchaus geeignet sein können, ein offenes und vertrauensvolles Beratungsgespräch zu gefährden. Ist die Partnerschaft, in der die Schwangere lebt, in Ordnung, wird sie Probleme, die der zukünftige Vater des Kindes mit der Schwangerschaft hat, verschweigen. Sie wird sie verschweigen aus Angst, er könne strafrechtlich verfolgt werden, und das, obwohl die Probleme des Vaters bei offener Beratung vielleicht ausgeräumt werden könnten.
Auf der anderen Seite - auch das sollte man bei den Überlegungen nicht außer acht lassen - besteht die Möglichkeit, daß persönliche Differenzen mit den Mitteln des Strafrechts ausgetragen werden. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was wollen wir da eigentlich den Richterinnen und Richtern zumuten, die darüber entscheiden sollen, ob ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich relevant ist oder nicht?
Sollen sie denn bis ins Detail die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Familien durchleuchten? Ich persönlich würde deshalb am liebsten auf die Strafbarkeit für das familiäre und soziale Umfeld ganz verzichten.
Da uns aber das Verfassungsgericht diese Auflage gemacht hat, müssen wir bei der Abfassung der Strafrechtstatbestände darauf achten, daß die strafwürdigen Fälle möglichst eng gefaßt werden. Insoweit geht der Entwurf meiner Fraktion in die richtige Richtung. Er erfaßt zwar Fälle des Bedrängens unterhalb der Nötigungsschwelle des § 240 des Strafgesetzbuches, macht aber gleichzeitig deutlich, daß nur besonders hartnäckige Fälle des Bedrängens gemeint sind, und nicht jede Äußerung über eigene Befindlichkeiten der Personen aus dem familiären Umfeld.
Wichtiger als Strafe ist mir - darauf kann man nicht nachdrücklich genug hinweisen -, daß bei uns weitere Voraussetzungen geschaffen werden, die den Frauen das Ja zum Kind erleichtern.
Dazu gehört für mich die Verwirklichung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab 1996.
Ich halte es für einen Skandal, wenn jetzt die Länderfinanz- und Länderjugendminister, allen voran die aus den SPD-regierten Ländern,
Anke Eymer
den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz aus Kostengründen auf das Jahr 1999 verschieben wollen.
Diese Haltung ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, die sich entschieden haben, Kinder großzuziehen. Sie ist auch ein Schlag ins Gesicht der Länder, die schon jetzt den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz per Landesgesetz geregelt haben.
Dies ist immerhin z. B. in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Rheinland-Pfalz der Fall. Statt hier lange über die Kosten zu lamentieren, sollte man lieber überlegen, wie ein bedarfsgerechter Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen in Kindergärten erreicht werden kann.
Muß denn der Bau eines Kindergartens für 30 Plätze 4 Millionen DM kosten? Ich meine: nein.
Gesetze, Verordnungen und Richtlinien für den Bau und die Erhaltung eines Kindergartens gehören gnadenlos auf den Prüfstand. Es geht nicht darum, Standards heraufzusetzen, sondern Plätze zu schaffen. Es geht nicht um Perfektionismus, sondern um vernünftige Kinderbetreuungsplätze.
Lassen Sie mich zum Thema Kosten und Finanzierung noch eines sagen: Der Bundesrat hat gegen die Stimme nur eines Landes dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zugestimmt. Er war sich dabei der Kosten wohl bewußt. Der Bund hat seinen Beitrag hierzu geleistet, indem er im Rahmen der Neuregelung des Finanzausgleichs den Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen erhöht hat, und zwar um immerhin 7 Prozentpunkte von 37 % auf 44 %. Das sind jährlich zusätzlich 16,8 Milliarden DM. Diese Neuregelung greift schon ab dem 1. Januar 1995.
Das ist nicht die einzige Verbesserung für die Länder im Rahmen des Finanzausgleichs. Dabei war die Frage, wie die Kommunen den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umsetzen können, ein Teil dieses Bund-Länder-Finanzausgleichs.
Es kann aber nicht sein, daß die Länder zunächst Mehreinnahmen einstecken und deshalb dem Rechtsanspruch zustimmen, um dann erneut einen Nachschlag aus der Bundeskasse zu fordern.
Wenn wir es mit dem Angebot ernst meinen, schwangeren Frauen in Konfliktsituationen zu helfen, dann darf es kein Wanken in der Frage des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz geben. Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß man die Situation für die Kommunen dadurch entschärft, daß für Kinder ab dem vollendeten 5. Lebensjahr bis zur Schulpflicht ein Vorschuljahr eingeführt wird. Eine solche Lösung hätte den Vorteil, daß vorhandener Schulraum und vorhandenes Personal genutzt werden könnten.
Statt am Rechtsanspruch auf Betreuung - wie man den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz natürlich auch nennen könnte - zu rütteln, sollten wir lieber Phantasie beweisen.
Für mich steht außer Frage, daß wir den Weg, den Frauen das Ja zum Kind zu erleichtern, weiter beschreiten müssen. Daß dieser Weg ein Bestandteil der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem ungeborenen Leben ist, hat das Verfassungsgericht festgeschrieben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam in den nächsten Wochen die noch offenen Fragen klären und schnell Klarheit für die Frauen schaffen; denn auch das ist praktizierter Lebensschutz.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Zur einer Kurzintervention hat die Abgeordnete Ulla Schmidt das Wort.
Frau Kollegin Eymer, ich teile Ihre Auffassung, daß wir nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz verwirklichen können. Wir müssen uns allerdings auch die Schwierigkeiten vor Augen führen, in denen die Länder stecken. Diese Schwierigkeiten haben damit zu tun, daß über Jahrzehnte hinweg die systematische öffentliche Kinderbetreuung in Deutschland, auch in Westdeutschland, nicht gewährleistet war. Obwohl z. B. das Land Nordrhein-Westfalen in den letzten fünf Jahren 130 000 Kindergartenplätze neu geschaffen hat, kann der Rechtsanspruch nicht verwirklicht werden. Im Herbst 1993 gab es in Nordrhein-Westfalen einen gemeinsamen Antrag von CDU und SPD, der, auch unter Führung Ihres nordrhein-westfälischen CDU- Fraktionsvorsitzenden Linssen, angesichts der Schwierigkeiten, die es im Lande gibt, darauf hingewirkt hat, die Verwirklichung des Rechtsanspruchs zu verschieben.
Ich möchte hier einmal deutlich machen: Ich bin nicht dafür, die Verwirklichung des Rechtsanspruchs zu verschieben, sondern denke, daß es Zeit ist, daß zum 1. Januar 1996 für jedes Kind, das einen Anspruch erhebt, ein Platz geschaffen wird. Die Lösung, die baulichen Standards abzusenken, was in Nord-
Ulla Schmidt
rhein-Westfalen auch geschehen ist, kann dabei nicht die einzige Lösung sein; es geht auch um andere intelligente Lösungen, z. B. die Frage der Tagesmütterprojekte, die wir ausdehnen müssen.
Es kommt auch darauf an, daß die Finanzierung durch den Bund mit gewährleistet wird. Das war z. B. eine Forderung des bayerischen Finanzministers von Waldenfels, der der Vorsitzende dieser Arbeitsgruppe war. Er hat gesagt: Wenn der Bund mir 2 Milliarden DM gibt, dann kann ich den Rechtsanspruch auch in Bayern verwirklichen.
Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung. Die Bundesregierung kann sich an der Finanzierung beteiligen. Dann kämen wir im Interesse der Familien und Kinder in diesem Land vielleicht ein Schrittchen schneller zur Verwirklichung des Rechtsanspruches.
Ich erteile zu einer weiteren Kurzintervention Dr. Heiner Geißler das Wort.
Frau Präsidentin! Nun ist es so, daß es Länder gibt - hier sitzt ein früherer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz -, in denen der Anspruch auf einen Kindergartenplatz zu 100 % erfüllt ist, und zwar für das dreijährige, das vierjährige und das fünfjährige Kind. Es gibt auch im Nachbarland Baden-Württemberg eine Realisierung dieses Anspruchs. Dies ist darauf zurückzuführen, daß bereits Mitte der 70er Jahre z. B. in RheinlandPfalz mit den Stimmen von CDU und SPD das erste Kindergartengesetz verabschiedet worden ist. Ich sage dies jetzt deswegen, weil ich mich genau erinnern kann, wie diese Initiative in anderen Ländern, z. B. in Hessen und in Nordrhein-Westfalen, aufgenommen worden ist, in denen man über Jahre hinweg versucht hat, die Fünfjährigen nicht im Kindergarten zu belassen, sondern einzuschulen. Daß wir heute in Hessen und in Nordrhein-Westfalen ein so hohes Defizit an Kindergartenplätzen haben, hängt ausschließlich und allein damit zusammen, daß in diesen Ländern im Gegensatz zu Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg die Bedeutung der Kindergartenpolitik nicht rechtzeitig erkannt worden ist und die dazu notwendigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt worden sind. Denn die Kindergartenplätze z. B. in Rheinland-Pfalz, die wir heute haben, sind ohne einen einzigen Pfennig des Bundes finanziert worden.
Eine Kurzintervention des Kollegen Scharping.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst darauf hinweisen, daß man einen Zusammenhang zwischen der Finanzierung von Kindergartenplätzen und dem Solidarpakt aus zwei Gründen nicht herstellen kann. Erstens: Trotz der Erhöhung des Länderanteils an der
Umsatzsteuer verlieren die Länder im Zusammenhang mit dem Solidarpakt und der Neuregelung der Finanzierung der deutschen Einheit ab 1995 in Milliardenbeträgen Geld.
Zweitens kann man die Finanzierung des Rechtsanspruchs nicht einklagen, wenn die Länder selbst erst ab 1. Januar 1995 Mittel erhalten.
Weiter möchte ich davor warnen, diese aus frauenpolitischer wie familienpolitischer Sicht dringend notwendige Debatte in das Umfeld eines Wahlkampfs zu bringen.
Denn dann, Herr Kollege Geißler, müßte ich darauf hinweisen, daß die von CDU und F.D.P. gebildete Landesregierung in Hessen zwischen 1987 und 1991 knapp 4 000 Plätze geschaffen hat, während die jetzt amtierende Landesregierung weit über 25 000 Plätze geschaffen hat.
Ich will in diesem Zusammenhang also dafür plädieren, bei den sehr unterschiedlichen und nicht nach Parteien sortierbaren Leistungen - Sie haben völlig recht, die CDU in Rheinland-Pfalz hat damals begonnen, wir haben das vollendet -, bei den unterschiedlichen Einschätzungen und Verhaltensweisen - deswegen verzichte ich jetzt auf Bemerkungen zu Bayern und dem Verhalten des bayerischen Finanzministers von Waldenfels, der bei dem Beschluß der Länderarbeitsgruppe, den ich, um das auch sehr deutlich zu sagen, ausdrücklich ablehne, eine führende und treibende Rolle gespielt hat - keine parteipolitische Auseinandersetzung zu führen. Damit kommen wir nicht weiter. Wir kommen ausschließlich weiter, wenn wir einen Maßstab suchen, wie wir mit Übergangsmaßnahmen, der Bildung von Gruppen, der Absenkung von Standards und flexiblen Methoden der personellen Betreuung den Rechtsanspruch zum 1. Januar 1996 erfüllbar machen. Das jedenfalls ist der Wille der Sozialdemokratie.
Eine Kurzintervention der Kollegin Schwaetzer.
Frau Präsidentin! Ich denke, die letzten Ausführungen des Kollegen Scharping können einige Frauen wieder Hoffnung schöpfen lassen, dull in den sozialdemokratisch regierten Ländern jetzt tatsächlich einmal Ernst gemacht wird
Dr. Irmgard Schwaetzer
mit der Überprüfung der Vorgaben für den Bau und die Ausgestaltung der Kindergartenplätze.
Denn wichtig sind ja wohl - da sind wir uns einig - die Investitionen in die Menschen und nicht die Investitionen in die Mauern. Es gibt noch eine ganze Menge an Bewegungsspielraum. Wenn dies jetzt zum Anlaß genommen wird, auch in den sozialdemokratisch regierten Ländern wie z. B. in NordrheinWestfalen endlich voranzugehen, dann ist das durchaus zu begrüßen.
Herr Kollege Scharping, Sie haben gesagt, das sollte nicht in den Wahlkampf gezogen werden. Aber es sind ja nun die Länder gewesen - maßgeblich unter Beteiligung sozialdemokratisch geführter Länder -, die gerade beschlossen haben, daß dieser Rechtsanspruch zum 1. Januar 1996 nicht mehr verwirklicht werden solle.
Das heißt: Diese Entscheidung ist jetzt gekommen, obwohl alle Länder bereits seit 1992 genau wissen, worauf sie sich einzustellen haben - übrigens auch nach ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung; denn für die Ausstattung der Gemeinden, die das ja bauen müssen, sind die Länder zuständig und nicht der Bund. Seit 1992 hätten die Länder alle ihre Prioritäten darauf ausrichten können, wie das ja in der Tat in Rheinland-Pfalz, Herr Kollege Scharping, schon zu einem früheren Zeitpunkt der Fall gewesen ist.
Ich wünschte mir sehr, daß dieses Thema von den Ländern schon früher angegangen worden wäre. Ich muß sagen: Mich verblüfft und verwundert die Einlassung des Oberbürgermeisters der Stadt Köln aus den letzten Tagen zutiefst;
denn daß gerade in der Stadt Köln nur Kinder ab dem 5. Lebensjahr überhaupt eine Chance haben, in einen Kindergarten zu kommen, läßt doch offensichtlich auf schwerwiegende Versäumnisse der Stadtregierung dort blicken
und ist eigentlich ein Vertrauensbruch gegenüber allen Frauen, die darauf gesetzt haben, daß sie die Unterstützung des Staates für eine kinderfreundliche Gesellschaft bekommen.
So gibt eine Kurzintervention die andere. Wir haben noch zwei weitere Kurzinterventionen von Frau Rönsch und Frau Wieczorek-Zeul. Ich gehe davon aus, daß wir dann in der Rednerfolge fortfahren können. - Frau Kollegin Rönsch.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch Wahlkämpfer dürfen sich natürlich nicht verleiten lassen, mit Zahlen zu mogeln. Man erlebt das momentan im hessischen Wahlkampf.
Ich will, Herr Fraktionsvorsitzender Scharping, einiges richtigstellen. Wenn Sie sich den Sozialetat des Landes Hessen vornehmen, so sehen Sie, daß dort 1991 8,3 % der Ausgaben für den Kindergartenbereich ausgewiesen waren. Jetzt, 1995, sind es 6,9 %.
Zum anderen rechnet sich natürlich auch die hessische Landesregierung jetzt die Kindergartenplätze an,
die bereits von der Vorgängerregierung geschaffen worden sind.
Ich möchte in aller Deutlichkeit darum bitten, daß man mit den Zahlenspielereien aufhört, daß man auch die Daten des hessischen Statistischen Landesamts einmal heranzieht.. Da wird sehr deutlich gemacht, wie der Bedarf an Kindergartenplätzen ist und welcher Ist-Stand momentan vorhanden ist. Ich muß Ihnen sagen: Frau Blaul und damit auch die hessische Landesregierung haben ein falsches Zahlenspiel getrieben.
Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel sagen, wenn es um Hilfen geht: Die hessische Landesregierung hat ganz einfach die Mittel für die Stiftung Mutter und Kind im Haushalt gestrichen.
Wenn es Ihnen wirklich darum geht, jungen Frauen in Konfliktsituationen zu helfen, dann, meine ich, ist es angebracht, diese Mittel wieder in den Haushalt einzustellen.
- Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, daß Sie an einer Stelle lachen, wenn wir Frauen in Konfliktsituationen, die bereit sind, ihr Kind auszutragen, helfen wollen, finde ich auch in Wahlkampfzeiten nicht besonders seriös.
Sie sollten dies an dieser Stelle wirklich lassen.
Ein weiterer Punkt ist, daß der hessische Ministerpräsident schon vor zwei Jahren gesagt hat, daß er
Hannelore Rönsch
die Kindergartenrichtlinien in Hessen überprüfen wolle. Es ist bisher nichts geschehen.
Der Sozialminister von Nordrhein-Westfalen hat nach einer gemeinsamen Tagung bei der Arbeiterwohlfahrt vor etwa anderthalb Jahren auf mein Petitum hin die Kindergartenrichtlinien in NordrheinWestfalen überdacht. Er ist ein Mann, der im Ausschuß für Raumordnung gesessen hat und der davon etwas versteht.
Frau Kollegin, Sie müssen zu einem Schluß kommen.
Ich würde dem hessischen Ministerpräsidenten empfehlen, daß er sich bei Franz Müntefering ganz einfach einmal eine Nachhilfestunde holt.
Zur nächsten Kurzintervention erhält Frau Wieczorek-Zeul das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, ein Teil der Diskussionsbeiträge aus den Regierungsparteien zeigt jetzt ein hohes Maß an Heuchelei.
Diese Regierungsparteien haben über Jahre hinweg die Kosten von Arbeitslosigkeit in steigende Sozialhilfeleistungen der Gemeinden weggedrückt, und Sie beklagen jetzt hier, daß die eine oder andere Gemeinde zurückhaltend ist.
Dieses Maß an Heuchelei ist wirklich unerträglich.
Zweitens. Jetzt wollen wir hier einfach einmal die Fakten nennen. Es ist wirklich interessant, Frau Kollegin Rönsch: Sie sagen, der Wahlkampf erfordere Ehrlichkeit. Die hessische Landesregierung, jetzt sozialdemokratisch in einer rot-grünen Koalition geführt,
hat in den letzten vier Jahren 28 000 Kindergartenplätze gefördert, 20 000 durch Finanzierung erhalten und weiter gefördert.
Ich lese Ihnen jetzt die Zahlen vor, die in den vier Jahren vorher von der CDU-F.D.P-Koalition in Hessen genehmigt wurden: 1987 724, 1988 125, 1989 864 und 1990 1 700, zusammen rund 3 000, mit einem Teil aus dem Jahre 1991 3 698. Das ist noch nicht einmal ein Siebtel dessen, was die jetzige Regierung geleistet hat. Ich finde es unerträglich, wie hier verfahren wird.
Der letzte Punkt. Ich will darauf hinweisen: Die hessische CDU hat im Hessischen Landtag bei den Beratungen über den Landeshaushalt beantragt, 2,3 Millionen DM an Mitteln für Frauen in Schwangerschaftskonflikten zu streichen.
Dafür sollten 1 Million DM für die Stiftung „Mutter und Kind" verwandt und die restlichen 1,3 Millionen DM ersatzlos zu Lasten der Frauen gestrichen werden. Ich finde es unerträglich, wie hier mit falschen Informationen versucht wird, eine Debatte, die den Frauen nutzen soll, auf diese Art und Weise zu beeinflussen.
Das spricht gegen Sie, Frau Rönsch. Lassen Sie uns hier wieder zur sachlichen Diskussion zurückkommen und die Tatsachen wirklich zur Kenntnis nehmen.
Frau Kollegin Wieczorek-Zeul, das Wort „Heuchelei" ist oft genug als unparlamentarisch beanstandet worden.
Wir sollten uns trotz aller Leidenschaften bemühen, es aus dem parlamentarischen Sprachgebrauch nach Möglichkeit herauszuhalten.
Zu einer weiteren Kurzintervention Frau Dr. Babel.
Meine Damen und Herren! Vielleicht ist die Diskussion, die wir hier führen, in den Ohren der Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bundesländern etwas befremdend. Sie kommen aus einer Situation, in der Kinder diese Betreuungsformen selbstverständlich vorgefunden haben und in denen die Frauen diese Unterstützung hatten. Sie finden dieses merkwürdige Feilschen „wer hat in welchem Land wann mehr oder weniger getan?" vielleicht sehr befremdend.
Dr. Gisela Babel
Aber eines liegt mir jetzt doch an dieser Diskussion, weil wir uns alle, Frau Wieczorek-Zeul, so unsäglich um Wahrheit bemühen. Sie werden die Diskussion in Hessen doch noch erinnern, als es darum ging, ein Kindergartengesetz zu schaffen.
Ein solches ist doch 40 Jahre von der SPD grandios unterlassen worden. Das hat erst die CDU/CSU- F.D.P.-Koalition geschaffen. Auf Grund dieses Gesetzes sind die Investitionen dramatisch nach oben gegangen. Daß Sie sozusagen die Früchte von den von uns gesetzten Bäumen ernten, soll Ihnen nicht verwehrt sein.
Aber das ist die Wahrheit, und das hat hier noch einmal festgestellt zu werden.
Vielen Dank.
Das waren bisher alles Kurzinterventionen zu der Rede der Kollegin Eymer. Sie entsprechen der Geschäftsordnung. Nun möchte ich die Frau Kollegin Eymer fragen, ob sie zu den Ausführungen Stellung nehmen will.
Ich meine, aus meiner Fraktion wurde so viel dazu gesagt, daß sich eine Stellungnahme von mir erübrigt.
Wunderbar.
Nun hat sich die bayerische Staatsministerin für Bundesratsangelegenheiten, Frau Männle, zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Keine Rede, sondern nur eine kurze Stellungnahme zu den Punkten, die hier Bayern vorgeworfen wurden.
Herr Kollege Scharping, Sie haben die „führende" Rolle des bayerischen Finanzministers Waldenfels erwähnt. Darf ich Ihnen sagen, daß diese führende Rolle darin bestand, daß er als Vorsitzender der Finanzministerkonferenz den Vorsitz qua Amt hatte.
Sie wissen genau - dies kam hier in einer Rede zum Ausdruck -, daß in Bayern der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz nicht gelten kann, weil entgegen der Zuordnung in anderen Bundesländern der Kindergarten in Bayern dem Kultusbereich zugeordnet ist, und Kultusangelegenheiten, Bildungsangelegenheiten sind Sache der Länder.
- Lassen Sie mich ausreden. Deswegen ist dieser Beschluß für Bayern nicht von Belang.
Nichtsdestotrotz - jetzt hören Sie bitte zu - sagt das Land Bayern, daß es das erklärte Ziel der bayerischen Staatsregierung ist, jedem Dreijährigen einen
Kindergartenplatz bzw. eine Kinderbetreuung - und hier sind wir flexibler als andere Bundesländer - zu garantieren. Wir haben in der Kabinettssitzung am vergangenen Dienstag auf Grund des Berichts des bayerischen Finanzministers aus dieser Arbeitsgruppe folgendes festgestellt: Es wird in Bayern bis 1996 eine 100 %ige Bedarfsdeckung dadurch erfolgen, daß wir zusätzlich zu den Mitteln, die im Doppelhaushalt vorgesehen sind - bei uns sind im Doppelhaushalt für die Personalkosten 615 Millionen DM für 1995 und 650 Millionen DM für 1996 vorgesehen; hinzu kommen die entsprechenden notwendigen Baukosten -, aus den Privatisierungserlösen 75 Millionen DM zur Verfügung stellen. So erreichen wir die 100 %ige Bedarfsdeckung. Dies sollten uns andere Länder nachmachen.
Es reicht aber nicht, für den Kindergartenausbau Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Es ist auch notwendig, daß wir flexiblere Betreuungsformen finden, die den Kindern angemessen sind. Ich empfehle allen, das Modell „Netz für Kinder", das Bayern entwickelt hat, daraufhin zu prüfen, ob es nicht auch im eigenen Land eingeführt werden kann. Dieses Modell ist nämlich kindgerecht und kann flexibel angewendet werden.
Wir haben uns darüber hinaus - auch dies ist ein ganz wichtiger Punkt - überlegt, wie wir unsinnige Bauvorschriften entrümpeln können. Die Regelung des Abstands zwischen zwei Handtuchhaltern ist im Kindergartenbereich wirklich überflüssig. Hier gibt es noch einiges zu tun. Wir haben damit begonnen. Beschimpfen Sie nicht ein Land, das sich tatsächlich auf den Weg gemacht hat, obwohl es für sich selbst diesen Rechtsanspruch nicht akzeptiert hat. Aber wir reden nicht, wir handeln.
Ich erteile nun das Wort der Abgeordneten Kerstin Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme zu unserem Thema, dem § 218, zurück. Wir debattieren heute über eine Forderung, für die seit Beginn dieses Jahrhunderts Millionen Frauen und Männer immer wieder auf die Straße gegangen sind, über eine Forderung, an der sich zu Beginn der 70er Jahre die neue Frauenbewegung entzündete und die in der Weimarer Zeit genauso aktuell war wie heute: über die Liberalisierung des Abtreibungsrechts.
Ich möchte für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gleich zu Beginn klarstellen: Wir stehen nach wie vor uneingeschränkt für das Selbstbestimmungsrecht der Frau, und wir sind der Meinung, der § 218 Strafgesetzbuch gehört besser heute als morgen ersatzlos gestrichen.
Kerstin Müller
Frauen sollten sich wirklich frei entscheiden können, ob sie Kinder haben wollen oder nicht - ohne Zwangsberatung und ohne strafrechtliche Sanktion. Die Streichung des § 218 ist daher für uns eine Grundfrage der Emanzipation.
Das Urteil des Verfassungsgerichts von Mai 1993 bedeutet in dieser Hinsicht einen enormen Rückschritt, und zwar für die Frauen in West und Ost. Frauen in den neuen Bundesländern wurde ein Recht genommen, das sie seit 20 Jahren selbstverständlich wahrgenommen haben.
Frau Kollegin Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. - Sie, die es gewohnt waren, mit der Fristenregelung der ehemaligen DDR sehr verantwortungsbewußt umzugehen, sind jetzt, nach dem Zusammenbruch des vormundschaftlichen Staates, erstmalig einer staatlich verordneten Zwangsberatung ausgesetzt. Das ist ein neuer Beweis für die verfehlte Einigungspolitik. Das ist ein unglaublicher Affront gegen die Frauen in den neuen Ländern.
Meine Damen und Herren, gerade im Interesse der Frauen gehen wir daher zweigleisig vor. Wir bringen heute einen Antrag ein, der deutlich macht: Das Selbstbestimmungsrecht der Frau ist nur über eine ersatzlose Streichung des § 218 zu garantieren.
- Ich komme darauf noch zurück. - Gleichzeitig legen wir ein eigenes Beratungsgesetz vor, denn gerade weil es uns um das Selbstbestimmungsrecht der Frau geht, werden wir alles daransetzen, auch die Spielräume, die das Urteil des BVG zugunsten der Frau läßt, auszuschöpfen.
Die Entwürfe der CDU/CSU, der F.D.P. und auch der SPD werden diesen Anforderungen nicht gerecht. Der Entwurf der CDU/CSU z. B. übertrifft noch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, was die Bevormundung und die Diskriminierung der Frau betrifft. Die Entscheidungsfreiheit der Frau tritt hier völlig hinter den sogenannten Schutz des ungeborenen Lebens zurück. Da ist keine Rede mehr von einer ergebnisoffenen Beratung, wie sie selbst das Bundesverfassungsgericht verlangt hat. Die F.D.P. und die Union verwenden übrigens die gleichen Formulierungen. Auch der SPD-Entwurf sieht z. B. immer noch eine Strafbarkeit des Arztes vor.
Wir werden Ihnen daher, meine Damen und Herren, das Feld nicht kampflos überlassen. Wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, legen ein Beratungsgesetz vor, das die Rechte der Frauen eindeutig benennt und das Prinzip „Hilfe statt Strafe" verankert.
Wir wollen mit unserem Entwurf dafür sorgen, daß es in den kommenden Beratungen nicht nur von den Lebensschützern, sondern auch von feministischer und liberaler Seite Druck gibt.
Meine Damen und Herren, es ist für uns, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, unerträglich, wie ein überwiegend männlich besetzes Gericht sich anmaßt, den Frauen das Selbstbestimmungsrecht zu verweigern. Moralischen Überzeugungen wurde dort Verfassungsrang verliehen, die gesellschaftlich höchstens Minderheitenschutz verdienen.
Die Frau gilt in dem Frauenbild, das da zum Ausdruck kommt, als unmündig. Es wird suggeriert, daß sie dem werdenden Leben feindlich gegenüberstehe. Wenn in dem Urteil von dem Schutz des sogenannten ungeborenen Lebens gegenüber seiner Mutter die Rede ist, dann wird Schwangerschaft als etwas von der Frau Verschiedenes gesehen.
Meine Damen und Herren, hier wird an einem Frauenbild gestrickt, von dem wir alle dachten und vor allen Dingen meine Generation, daß es schon längst ad acta gelegt sei.
Worum geht es im Kern? Im Kern geht es um Macht, um Macht über Frauen, denen noch immer die Verantwortung und das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper abgesprochen wird. Wenn wir in dieser Legislaturperiode nun erneut über eine Reform beraten, müssen wir dann nicht vielmehr fragen, ob wir uns an dem Ringen um die Macht über Frauen und ihren Körper beteiligen oder ob es nicht in Wirklichkeit darum geht, die Voraussetzungen für die materielle und soziale Gleichstellung der Frau zu schaffen? Geht es denn nicht in erster Linie um Hilfe für Frauen im Konflikt um ein ungeborenes Kind, der ganz eng mit dem eigenen Konflikt um ein selbstbestimmtes Leben verbunden ist? Das ist ohne existenzsichernde Arbeit nicht möglich.
Die Regierung denkt gerade über Familienförderung nach. Doch ist die eine Debatte ohne die andere möglich? Unter Ihrer Regierung, meine Damen und Herren, hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 2 Millionen auf 4 Millionen mehr als verdoppelt. Betroffen sind dabei vor allem alleinerziehende Frauen und kinderreiche Familien. Ist es dann nicht eine unglaubliche Ignoranz in Ihrem Entwurf, einerseits den Schutz des ungeborenen Lebens über das Persönlichkeitsrecht der Frau zu stellen und andererseits die Länder und finanziell gebeutelten Kom-
Kerstin Müller
munen mit der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz allein zu lassen?
Meine Damen und Herren, es muß uns doch allen klar sein: Wir müssen die Finanzierung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz - wie geplant - bis zum 1. Januar 1996 sicherstellen; da waren sich alle Vorrednerinnen und Vorredner einig. Sonst steht nämlich die gesamte Reform des Abtreibungsrechts auf dem Spiel.
Da hilft es auch nicht weiter, wenn Bund und Länder auf dem Rücken der Frauen Schwarzer Peter spielen. Ohne eine gemeinsame Finanzierung durch Bund und Länder kann dieser Anspruch nicht verwirklicht werden.
Was einen Familienlastenausgleich angeht, der diesen Namen wirklich verdient, so beginnt er, anders als Herr Waigel und Sie, meine Herren und Damen von der CDU, es uns weismachen wollen, doch erst jenseits des Existenzminimums. Da bleibt die Bundesregierung, wie ich finde, jede Antwort schuldig. Da wird das „hohe C" der Union plötzlich gern wieder niedriggehängt.
Meine Damen und Herren, bisher zeigen alle wissenschaftlichen Untersuchungen: Die Abtreibungsfrage ist auch eine Verhütungsfrage. Je liberaler das Strafrecht, je aufgeklärter die Bevölkerung, desto weniger wird abgetrieben. Repressive Gesetze führen nicht zu einer Senkung der Abtreibungszahlen. Sie treiben die Frauen höchstens in die Illegalität.
Sie verschlechtern nur die Bedingungen, unter denen Frauen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.
Nehmen Sie nur die Situation in den neuen Ländern: Vor der Einheit, unter einer liberalen Fristenregelung, war die Geburtenrate doppelt so hoch wie jetzt, unter der viel repressiveren Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts. Warum? - Weil die materiellen und sozialen Bedingungen für die Frauen, ihre berufliche Perspektive, hohe Mieten und anderes zu einer großen Verunsicherung geführt haben. Das zeigt einmal mehr: Frauen haben schon immer selbst entschieden, ob sie abtreiben. Die Gesellschaft bestimmt nur die Bedingungen, unter denen dies geschieht.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns die Bedingungen für die Frauen so gestalten, wie es einer modernen Gesellschaft gut zu Gesichte stehen würde, einer Gesellschaft, die von ihrem Anspruch her die Gleichstellung der Geschlechter will. Diese ist eben ohne das Selbstbestimmungsrecht der Frauen nicht zu erreichen.
Wenn wir in den nächsten Jahren schon mit dem BVG-Urteil leben müssen, dann, meine Damen und Herren, lassen Sie uns bei den anstehenden Beratungen über die Reform des Abtreibungsrechts für die Frauen so viele Spielräume eröffnen wie irgend möglich.
Wir brauchen eine möglichst liberale und frauenfreundliche Regelung, die das Selbstbestimmungsrecht der Frau in den Vordergrund stellt.
Danke.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Eymer, Ihre Rede hat - zu Recht - eine sich anschließende Debatte über den Anspruch auf einen Kindergartenplatz ausgelöst. Und hier geht es nicht darum, Rechthaberei zu betreiben und aufzurechnen, wer mehr oder wer weniger getan hat. Vielmehr geht es darum, deutlich zu machen, daß der Anspruch auf einen Kindergartenplatz ein ganz wesentliches Element des Schutzkonzepts ist, das durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für verfassungskonform erklärt worden ist.
Wir müssen alles vermeiden, daß wir eine Säule, einen wichtigen Mosaikstein hier herausbrechen und damit insgesamt den einmal so richtig beschrittenen Weg in seiner Vollendung gefährden.
Ich möchte aber auch meinen Respekt vor Ihren sehr nachdenklichen Worten, Frau Eymer, deutlich machen. Das zeigt, daß es bei der Frage, wie denn die Regelung über den Schwangerschaftsabbruch abschließend ausgestaltet sein soll, wirklich um eine Gewissensentscheidung geht, mit der es sich niemand hier im Hause leichtmacht. Ich bin froh, daß die Fraktionen und Gruppen ihre Meinungen hier so offen vortragen.
Ich möchte noch einiges zu dem F.D.P.-Entwurf sagen. Wir haben - aus guten Gründen und wohlüberlegt - hier einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der in einigen Punkten von dem Kompromiß abweicht, der in der letzten Legislaturperiode in den Koalitionsfraktionen gefunden worden war. Wir haben es uns auch mit diesem Entwurf nicht leichtgemacht, sondern sehr intensiv überlegt und die entscheidenden Punkte sehr gründlich gegeneinander abgewogen. Wir sind der Meinung, daß wir die vom
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Mai 1993 eröffneten Gestaltungsspielräume voll genutzt haben, sie ausschöpfen, sie aber auch nicht überschreiten.
Ich möchte hier an alle appellieren, daß wir wirklich alles tun, daß der souveräne Gesetzgeber Bundestag eine Regelung verabschiedet, die letztendlich nicht wieder zur verfassungsrechtlichen Beanstandung führt.
Ich glaube, das ist wichtig im Interesse der Glaubwürdigkeit und auch der Gestaltungskraft und -fähigkeit der Politik.
Wichtig ist auch, daß das Gesetz von den betroffenen Frauen, die sich in einer schweren Konfliktsituation befinden, angenommen wird, Denn nur dann kann es die ihm zugedachte Aufgabe Schutz des ungeborenen Lebens erfüllen. Mit den Worten „Zweiheit in Einheit" hat das Bundesverfassungsgericht das Verhältnis von Mutter und Ungeborenem bezeichnet und damit die enge Verbindung, aber auch die Verantwortung der Mutter deutlich gemacht.
Deshalb steht im Mittelpunkt unserer Regelung nach wie vor die Vorschrift über die Beratung. Für uns heißt Beratungsregelung, daß die Eigenverantwortung der Frau genauso respektiert wird wie der Schutz des ungeborenen Lebens. Nur mit der Frau gemeinsam, mit Hilfen, die wir ihr geben, mit einer Beratung frei von Zwängen kann das ungeborene Leben durch das Beratungskonzept wirksam geschützt werden.
Unser Gesetzentwurf stellt deshalb bei den Vorschriften über die Beratung deutlicher als der bisherige Koalitionsentwurf die Eigenverantwortlichkeit der Frau heraus. Eigenverantwortlichkeit bedeutet, daß nach dem Beratungskonzept die Frau keiner weiteren Instanz mehr verantwortlich ist. Aber es wird damit nicht in Frage gestellt, daß gerade sie eine besondere Verantwortung für das ungeborene Leben hat.
Das Ziel und die Aufgabe der Beratung stehen deshalb nach wie vor und im Gegensatz beispielsweise zum jetzt vorliegenden Entwurf der SPD, der zu sehr dem bloßen Informationscharakter der Beratung anhängt, deutlich im Vordergrund. So sieht unser Entwurf eine möglichst auf den konkreten Schwangerschaftskonflikt bezogene Beratung vor, in der, falls auch das erforderlich ist, die Bewertungsmaßstäbe hinsichtlich des Schutzes des Lebens insgesamt, wie sie in unserer Verantwortung verankert sind, vermittelt werden. Ich glaube, daß gerade auf diesen Gesichtspunkt die anderen Regelungen, die hier heute vorliegen, noch nicht in jedem Fall ausreichend Rücksicht nehmen.
Wohl selten sind Urteil und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts so intensiv hin und her interpretiert worden wie das letzte Urteil vom Mai 1993. Ich glaube, es ist nicht vermessen, wenn ich sage, daß das Urteil selbst und sein Begründungstext von 164 Seiten sowie die beiden abweichenden Meinungen die außerordentlich großen Schwierigkeiten widerspiegeln, die sich auch bei der verfassungsgerichtlichen Bewertung dabei ergeben haben, die richtige Balance zwischen der tatsächlichen und rechtlich nicht aufhebbaren Eigenverantwortlichkeit der schwangeren Frau und dem Schutzanspruch des ungeborenen Lebens zu halten.
Dies gilt auch und nicht zuletzt für die Frage, ob und inwieweit Personen des familiären Umfeldes mit einem eigens zu schaffenden Straftatbestand bedroht werden sollen und können, wenn sie die schwangere Frau zu einem Abbruch drängen.
Es mag dahinstehen, ob ein solcher eigens zu schaffender Straftatbestand für Personen des nahen und fernen sozialen Umfelds der Schwangeren vom Verfassungsrecht zwingend vorgeschrieben ist oder nicht. Die nicht völlig widerspruchsfreie Urteilsbegründung läßt - da sind sich fast alle mit der Materie vertrauten Analytiker einig - unterschiedliche Interpretationen durchaus zu.
Wesentlich ist für den Gesetzgeber doch die Frage, ob ein wie auch immer formulierter Sonderstraftatbestand dem Oberziel einer verfassungskonformen Abtreibungsregelung entspricht, nämlich den Schutz des ungeborenen Lebens in Anerkennung der weder faktisch noch juristisch und erst recht nicht ethisch hintergehbaren letztlichen Eigenverantwortlichkeit der schwangeren Frau zu gewährleisten.
Geleitet von diesem verfassungsrechtlich vorgegebenen und in der Verfassungskonformität der Beratungslösung insgesamt zum Ausdruck kommenden Ziel, verzichtet unser Gesetzentwurf ganz bewußt darauf, einen solchen Sonderstraftatbestand zu schaffen.
Unser Vorschlag geht vielmehr davon aus, daß mit der Schaffung besonderer Strafbestimmungen für das familiäre und soziale Umfeld der schwangeren Frau im Kern Handlungen erfaßt würden, die bereits nach geltendem Recht als Nötigung strafbar sind.
Wichtiger ist uns aber, daß die mit der Schaffung von Sonderstraftatbeständen einhergehenden Befürchtungen der schwangeren Frau, im Rahmen des Beratungsgesprächs Personen ihres näheren und weiteren Umfelds strafrechtlich bedeutsam zu belasten, fast zwangsläufig dazu führen würden, daß die zu beratende Frau ihre ohnehin schwierige Zwangslage nicht oder aber nur ganz verkürzt offenbaren würde.
Damit aber droht die präventiv als Verstärkung des Lebensschutzes gedachte besondere Strafandrohung sich gerade in ihr Gegenteil zu verkehren; denn die ausdrücklich dem Schutz des ungeborenen Lebens dienende Beratung wird um so erfolgreicher sein, je offener die schwangere Frau ihre Nöte und Zwänge zu offenbaren tatsächlich bereit ist.
Deshalb brauchen wir vernünftige Rahmenbedingungen für eine offene und von Vertrauen geprägte Gesprächsatmosphäre, in der, wie auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich sagt, gewährleistet ist, daß die schwangere Frau alle Umstände mitteilt, derentwegen sie einen Abbruch der Schwanger-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
schaft erwägt. Deshalb verzichten wir hier auf eine besondere Strafbestimmung nicht deshalb, weil wir etwa nicht in den Mittelpunkt unseres Konzepts den Schutz des ungeborenen Lebens stellen, sondern weil wir nach ganz sorgfältiger Abwägung zu dem Ergebnis gekommen sind, daß die strafrechtliche Relevanz einer solchen Bestimmung praktisch bedeutungslos wäre.
Wir wollen eben nicht, daß dieses Schutzkonzept noch einmal durch Regelungen, die gerade das Gegenteil bewirken, an einer weiteren sicheren Säule gefährdet wird. Wahrscheinlich werden in einer nochmaligen Anhörung zu diesen schwierigen Fragen am Ende die skeptischen Stimmen gegen einen Sonderstraftatbestand genauso laut sein, wie wir es schon in der vergangenen Legislaturperiode erlebt haben.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich gerade diejenigen, die noch Vorbehalte in dieser Richtung haben, sehr gründlich zu überlegen und nachzudenken, ob sie nicht diesen Weg, der in diesem Hause zu einer breiten Mehrheit führen kann, beschreiten können.
Recht herzlichen Dank.
Ich erteile nun der Kollegin Petra Bläss das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst eine kleine Anmerkung zum hessischen Wahlkampfspiel, das wir hier miterleben konnten. Ich denke, so wichtig und richtig es ist, über Kindergartenplätze zu diskutieren, so beschämend ist es für das Parlament, daß dies immer nur im Zusammenhang mit ungewollten Schwangerschaften getan wird. Das sagt sehr viel über das Frauenbild, das Sie haben, und ich denke, daß die Betroffenen des Karlsruher Urteils und der Übergangsregelung sehr enttäuscht wären, wenn sie mitbekämen, was sich hier im Saal zum Teil abgespielt hat.
Noch immer werden für Frauen hierzulande die Grundrechte auf Unantastbarkeit ihrer Würde, auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit und auf Gewissensfreiheit während der Schwangerschaft eingeschränkt. Noch immer werden Frauen mittels Strafandrohung beim Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert, diskriminiert und entmündigt. Das sind keine Schlagworte, meine Herren. Wir Frauen sind es leid, seit nunmehr 124 Jahren zu Rechtssubjekten zweiter Klasse degradiert zu werden.
Die traurige Geschichte des § 218 hat gezeigt, daß es beim staatlichen Zugriff auf die Gebärfähigkeit der Frau allein um machtpolitisches und patriarchales Anspruchs- und Machtdenken geht.
- Damit disqualifizieren Sie sich schon.
Die Gretchenfrage, die wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier hier immer wieder zu beantworten haben, lautet: Trauen wir den Frauen als Betroffenen eigentlich verantwortungsvolle Entscheidungen zu? Ohne die von uns vorgeschlagene Verfassungsänderung, die das Grundrecht der Frau auf selbstbestimmte Schwangerschaft festschreibt, ist mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Schaffung einer gesetzlichen Regelung, die der schwangeren Frau ein souveränes Entscheidungsrecht ohne strafrechtliche Sanktionen und Beratungszwang über das Austragen ihrer Schwangerschaft garantiert, zweifellos in weite Ferne gerückt. Sich am Karlsruher Urteil abzuarbeiten - das betrifft trotz der sehr unterschiedlichen Intentionen alle fünf vorliegenden Gesetzentwürfe - bedeutet nun mal, die grundsätzliche Strafbarkeit der Abtreibung zu akzeptieren. Natürlich steht der Gesetzgeber zunächst im Sinne der betroffenen Frauen vor der Aufgabe, die Einzelheiten des in sich widersprüchlichen Urteils auf ihre Realisierbarkeit, Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit zu prüfen und alle Spielräume zu nutzen, die sich aus der ja immerhin auch erfolgten Festschreibung von Frauenrechten bieten.
Lassen Sie mich im folgenden die wesentlichsten, auch immer wieder von Beratungsträgern eingeforderten Mindeststandards für die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs nach dem Verfassungsgerichtsurteil nennen. Sie betreffen im Bereich der Beratung im einzelnen den Schutz des Persönlichkeitsrechts der Frau - d. h. konkret, es darf keinen Druck auf die Frau geben, persönliche Lebensumstände und intime Fakten mitzuteilen -, das Recht der Frau, jegliche Angaben über Abbruchgründe zu verweigern, die Ergebnisoffenheit der Beratung, die Heranziehung Dritter, die nur mit Einwilligung der Frau erfolgen darf, die Sicherstellung eines flächendeckenden Netzes an pluralen und wohnortnahen Beratungsstellen sowie den Schutz des informellen Selbstbestimmungsrechts der Frau durch die Gewährleistung der Anonymität und den Schutz der persönlichen Daten.
In bezug auf die von uns grundlegend abgelehnte Strafrechtsregelung fordern wir als Mindestregelung einen Tatbestandsausschluß bezüglich der Anwendung des § 218, wenn die Beratungsbescheinigung vorliegt, und daß es keine Kriminalisierung Dritter bzw. des Umfelds der Frau über strafrechtliche Regelungen gibt. Ich sehe es als einen ersten minimalen Erfolg an, daß es die Chance gibt, hierfür eine Mehrheit in diesem Parlament zu bekommen.
Schließlich gilt es, eine Finanzierungsregelung zu schaffen, die dazu führt, daß die Krankenkassen zunächst die Kosten für alle Schwangerschaftsabbrüche nach den kassenüblichen Sätzen übernehmen. Für bedürftige Frauen ist eine Refinanzierung durch
Petra Bläss
die Sozialbehörden zu gewährleisten. Es muß zudem gesichert sein, daß sämtliche Vor- und Nachbehandlungskosten von den Krankenkassen getragen werden.
Auf diesen Mindeststandards für eine Neuregelung des Abtreibungsrechts nach dem Karlsruher Urteil wird die PDS im Rahmen der kommenden parlamentarischen Beratungen bestehen. Wir werden uns energisch dafür einsetzen, daß die Erfahrungen Betroffener stärker als bisher in den Gesetzgebungsprozeß einbezogen werden. Vor allem aber werden wir der nach wie vor von einer Mehrheit der Bevölkerung hierzulande getragenen Meinung, daß der § 218 auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, weiterhin eine parlamentarische Stimme geben, indem wir das Grundrecht von Frauen auf Selbstbestimmung über ihren Körper und ihre Lebensgestaltung verfassungsrechtlich einfordern, und dies so lange, bis die folgende Selbstverständlichkeit endlich Verfassungswirklichkeit ist: Jede Frau hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob sie eine Schwangerschaft austrägt oder nicht.
Ich erteile nun der Abgeordneten Claudia Nolte das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine junge Frau erwartet ein Kind. Sie sieht sich in einer verzweifelten Lage: Der Partner drängt auf einen Abbruch der Schwangerschaft. Der gute Job der 35jährigen steht auf dem Spiel; finanziell sieht es schlecht aus.
Durch den Zuspruch und die Hilfe einer privaten Schwangerenhilfeinitiative entschließt sich die werdende Mutter, trotz Risikoschwangerschaft ja zu ihrem Kind zu sagen. Danach schreibt sie an die Helferin - ich zitiere -:
Ich bin so sehr glücklich mit meiner Tochter und froh, daß ich sie habe. Mein Leben ist erfüllter geworden. Und dafür bin ich Ihnen dankbar, denn Sie haben mir so viel Mut und Hoffnung gemacht; durch Ihre Hilfe durfte ich dieses Kind bekommen.
Bald drei Jahre sind seit diesen Zeilen vergangen. Die junge Frau ist noch immer auf die Sozialhilfe angewiesen. Sie ist eine von über 2,5 Millionen Alleinerziehenden in unserem Lande. In ihrer Umgebung stößt sie auf Skepsis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der heutigen Debatte sollte uns besonders bewußt werden: Unsere Glaubwürdigkeit hängt entscheidend davon ab, wie sich die Lebenswirklichkeit für Familien - dazu gehören auch Alleinerziehende - darstellt. Familien haben einen Anspruch auf unsere Solidarität.
Wie wir ihnen und der werdenden Mutter mit ihrem noch ungeborenen Kind begegnen, sagt viel über unsere Gesellschaft und über unsere Fähigkeit zur Verantwortung für das Leben aus.
Der Schutz menschlichen Lebens in jeder Phase seiner Entwicklung, unabhängig von Behinderung und Alter, ist für mich eine Grundsatzfrage. Hier fühle ich mich ausschließlich meiner politischen Überzeugung und meinem Gewissen verpflichtet.
Wir sind uns bewußt, daß es hier um die zentrale Frage der Verfügbarkeit menschlichen Lebens geht. Deshalb ist es wichtig, daß wir uns damit sehr detailliert und differenziert auseinandersetzen. Die Art und Weise, wie wir diese Auseinandersetzung führen, hat großen Einfluß auf das gesellschaftliche Klima in unserem Lande. Es muß Schluß sein mit den Vorurteilen und Unterstellungen beider Seiten. Wir sind heute weiter; in vielen Punkten gibt es bereits einen breiten Konsens.
Weder wollen diejenigen, die den rechtlichen Schutz ungeborenen menschlichen Lebens von Anfang an vertreten, eine Bestrafung der Frauen, noch unterstelle ich den Gegnern einer Strafrechtsnorm, sie seien Abtreibungsbefürworter. Wir sind uns einig, daß menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Wir alle wollen, daß es weniger Abtreibungen gibt.
Viel hängt davon ab, ob die staatlichen Hilfen greifen und die Beratung von den Frauen angenommen wird. Die Auswirkungen der Hilfen, aber auch des künftigen Gesetzes und der Beratungspflicht sollten wir aufmerksam beobachten. Das entspricht auch dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, die neue gesetzliche Regelung auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen. Dies könnte durch einen Bericht des Familienministeriums geschehen, der dem Deutschen Bundestag regelmäßig vorgelegt wird.
Unbestritten ist die Notwendigkeit einer umfassenden Information über die Entwicklung vorgeburtlichen Lebens und einer altersentsprechenden Sexualaufklärung. Der Bundeshaushalt sieht hierfür 6 Millionen DM vor. Diesen Betrag müssen wir stufenweise erhöhen.
Doch auch die beste Sexualaufklärung und die beste Verhütung werden nicht verhindern, daß Frauen ungewollt schwanger werden. Was für eine Frau das größte Glück sein kann, empfindet sie dann auf Grund ungünstiger Umstände vielleicht als Unglück. Sie steht oft allein da, wenn sie über die Zukunft des Kindes und ihre eigene nachdenkt. Partner, Eltern, das Umfeld schieben die Verantwortung nur zu gern auf die Schwangere ab.
Gerade deshalb verlangt das Bundesverfassungsgericht die rechtliche Berücksichtigung des Umfelds.
Eine Entscheidung gegen das Kind fällt jeder Frau schwer; denn der Abbruch macht die Schwangerschaft nicht ungeschehen. Das zweite Opfer einer
Claudia Nolte
Abtreibung ist immer die Frau. Bei den anstehenden Beratungen in den Ausschüssen und Anhörungen sollten deshalb auch die Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs auf die körperliche und seelische Gesundheit der Frau beachtet werden.
Weiter sollten in den Ausschüssen die vorliegenden Entwürfe so verändert werden, daß nicht der fatale Eindruck entsteht, schon die zu erwartende Behinderung des Kindes rechtfertige eine Abtreibung.
Daß unsere Gesellschaft insgesamt kinder- und familienfreundlicher werden muß, steht außer Frage. Wir dürfen uns mit der strukturellen Familienfeindlichkeit nicht abfinden. Auch der Staat kann sich dieser Aufgabe nicht entziehen. Deshalb brauchen wir eine aktive Familienpolitik.
Die bereits zugesagten Maßnahmen wie z. B. der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz müssen eingehalten werden. Wer vor drei Jahren dafür gesorgt hat, daß dieser Rechtsanspruch ab Januar 1996 geschaffen wird, und wer sich danach mit Blick auf die neue Verpflichtung im Bund-Länder-Finanzausgleich die notwendigen Gelder erstritten hat, muß jetzt die bei den Familien geweckten Erwartungen erfüllen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, helfen wir mit unseren Möglichkeiten der Familie, die keine Wohnung findet, den Eltern, die Teilzeitarbeitsplätze suchen, und der Alleinerziehenden, die auf einen Kindergartenplatz wartet! Lassen wir den Worten Taten folgen!
Das Wort hat die Kollegin Christel Hanewinckel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Ministerin Nolte, Ihre Rede, die Sie eben gehalten haben, hat nach meiner Meinung nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit zur Sprache gebracht.
Ich möchte zu Beginn meiner Rede gern einige Schlaglichter aus dem Osten Deutschlands folgen lassen.
Die Situation der jungen Eltern in der DDR war vor der Vereinigung durch hohe gesellschaftliche Absicherung sowie durch Berufstätigkeit beider Partner gekennzeichnet. Nach der Vereinigung änderte sich für die betroffene Personengruppe die Situation gänzlich, auch wenn in den neuen Bundesländern die Grundversorgung mit Kindergärten, Horten etc. noch immer über dem Standard der alten Bundesländer liegt.
Die Prinzipien des westlichen Gesellschaftssystems, nach denen Familie und Kinder die notwendige Flexibilität und Mobilität stören, die junge Menschen für ihren erfolgreichen Einstieg in das Berufsleben brauchen, gelten nun auch für die neuen Bundesländer. Somit werden die jungen Eltern in den neuen Bundesländern vor ökonomische Probleme gestellt, die durch den labilen Arbeitsmarkt noch verschärft werden.
Paradoxerweise stigmatisiert die Vereinigung damit eine Personengruppe als Vereinigungsverlierer, die in der DDR-Gesellschaft gerade den Normalfall eines erfolgreichen Übergangs vom Jugend- in das Erwachsenenalter symbolisierte.
Vor allem die Tatsache, daß 40 % aller jungen Eltern in den neuen Bundesländern ökonomische Schwierigkeiten als wichtigstes persönliches Problem angeben, unterstreicht noch einmal die Einschätzung dieser Gruppe als Vereinigungsverlierer und markiert einen dringenden politischen Handlungsbedarf.
So verzeichnet Ostdeutschland den stärksten Geburtenrückgang seit 1950. Im ersten Halbjahr 1992 wurden 23,8 % weniger Kinder geboren als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Schätzungen - bezogen auf den Rückgang der Geburtenrate seit dem Beginn des Einigungsprozesses - gehen mittlerweile davon aus, daß die Geburtenquote in den letzten Jahren insgesamt um 70 % zurückgegangen ist.
Bei dem, was ich bisher vorgetragen habe, handelt es sich um Feststellungen aus dem Neunten Jugendbericht. Hier wird deutlich gemacht und deutlich angemahnt, daß politischer Handlungsbedarf mehr denn je geboten ist.
Dieser Bericht zeigt auf, daß junge Frauen und Männer aus den neuen Bundesländern sehr wohl noch immer den großen Wunsch nach Familie und damit nach Kindern, genauso aber nach Berufstätigkeit haben. Doch beides ist unter den gegebenen politischen Rahmenbedingungen, für die die CDU/CSU und die F.D.P. in den westlichen Bundesländern seit zwölf Jahren und in den östlichen Bundesländern seit fünf Jahren verantwortlich sind, für die jüngere Generation kaum möglich.
Arbeitslosigkeit, Lehrstellenknappheit, ein unzureichender und zum Teil verfassungswidriger Familienlastenausgleich kennzeichnen die Situation. Wer von Ihnen gestern in der Fragestunde war, kann sich sicherlich gut erinnern, wie wiederum deutlich geworden ist, daß Sie offenbar nicht bereit oder nicht in der Lage sind, sich dem endlich zu stellen und ein Modell vorzulegen, das in diesem Hause nicht nur diskutiert wird, sondern tatsächlich die Situation der Familien endlich positiv verändern wird.
Die Kollegin Eichhorn hat heute morgen zur Neuregelung des Abtreibungsrechts den alten Antrag eingebracht und u. a. gesagt, die Strafandrohung diene der Bewußtseinsbildung. Ich habe gedacht, ich habe mich verhört.
sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Christel Hanewinckel
Sie regieren dieses Land seit zwölf Jahren, und so stellen Sie mit dieser Bemerkung aller Bildung, aller Erziehung und auch aller elterlicher Mühe ein Armutszeugnis aus.
Sie sagen damit nämlich: Offenbar nur durch Strafandrohung sind Menschen in diesem Land in der Lage und bereit, Normen und Werte zu verinnerlichen und dann ordentlich und anständig zu leben. Das kann ja wohl nicht wahr sein!
Sie fordern wie meine Vorrednerin, Frau Nolte, immer wieder die kinderfreundliche Gesellschaft. Ja du liebe Zeit, das können wir lange fordern. Aber das steht Ihnen als Regierungsparteien, denke ich, überhaupt nicht zu. Sie sind diejenigen, die endlich etwas dafür tun müssen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hüppe?
Ja. - Bitte schön, Herr Hüppe.
Frau Kollegin, Sie sagen, daß Strafrecht nicht zur Bewußtseinsbildung beitragen kann.
- Lassen Sie mich doch mal aussprechen! Hören Sie vielleicht auch mal zu! - Sind Sie dann nicht der Meinung, da Sie selbst auch einen Antrag auf die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe stellen - ich teile im übrigen die Auffassung, daß dies bestraft werden soll -, bei dem Sie genau wissen, daß wir kaum jemanden danach bestrafen werden und daß dies genausogut zur Bewußtseinsbildung beitragen kann wie der strafrechtliche Schutz für das ungeborene Kind?
Ich bin zwar keine Juristin, Herr Hüppe, aber es ist mir dennoch klar, daß es wohl etwas anderes ist, wenn ein Straftatbestand - etwa für Vergewaltigung in der Ehe, falls das einer ist - für etwas geschaffen wird, was vorausgegangen ist. Ihre Kollegin hat davon gesprochen, daß allein Strafandrohung Veränderungen im Bewußtsein bewirken soll.
- Es ist doch etwas anderes, ob ich davon ausgehe, daß Strafandrohung eine Erziehungsmaßnahme ist oder eine Erziehungsmöglichkeit. So haben Sie es gesagt.
Sie haben gesagt, daß Bewußtsein sich dadurch verändert.
Ich denke, es gehört noch etwas anderes dazu, und ich würde gern im nächsten Punkt dazu kommen. Sie gehen von einem Frauenbild aus, nach dem Frauen offensichtlich diejenigen sind, die vorher nicht bereit oder nicht in der Lage sind, sich damit auseinanderzusetzen, so daß frau mittels Strafandrohung dazu gebracht werden muß, sich entsprechend anders zu verhalten. Das Bild, das dieser Vorstellung zugrunde liegt, kann ich überhaupt nicht übernehmen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Eichhorn?
Ja, bitte.
Frau Hanewinckel, Sie haben sich auf etwas bezogen, was ich nicht gesagt habe. Ich habe gesagt, daß eine Bewußtseinsbildung dadurch zustande kommen kann und auch richtig ist, wenn jemand dafür bestraft werden kann, daß er jemanden zum Schwangerschaftsabbruch drängt. Das hat mit dem, was Sie gerade gesagt haben, nämlich mit Frauen, überhaupt nichts zu tun. Es geht im Gegenteil darum, daß der Partner oder die Eltern oder sonst jemand, der zum Schwangerschaftsabbruch drängt, bestraft werden sollen. Nehmen Sie das zur Kenntnis, Frau Hanewinckel?
Da haben Sie aber wirklich Glück gehabt.
Auf diese Frage werde ich so nicht antworten. Ich werde im Protokoll noch einmal sehr genau nachlesen. Genau diesen Passus habe ich nämlich bei Ihrer Rede mitgeschrieben. Ich denke, so, wie Sie das jetzt darstellen, stimmt es nicht.
Wenn der Grund für den Schwangerschaftskonflikt im sozialen Umfeld liegt - das ist noch der ganz andere Punkt -, dann müssen wir schauen, was an dieser Stelle in der Gesellschaft zu passieren hat. Das wäre der gleiche Tatbestand, als wollte ich alle die mit Strafandrohung zu einer Bewußtseinsänderung bringen, die an der Debatte um den § 218 beteiligt sind und es in den letzten zwölf Jahren nicht geschafft haben, die Situation von Familien so zu verändern, daß Frauen nicht mehr sagen müssen: Ich kann es mir schlicht nicht leisten, ein Kind zu bekommen.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Grafen WaldburgZeil?
Bitte schön.
Frau Kollegin, weil ich glaube, daß dieser Punkt in der Diskussion sehr wichtig ist, frage ich Sie, ob Sie das nicht auch in folgender Hinsicht überdenken wollen: Ich bin einmal einer Ärztin begegnet, die im Ernst geglaubt hat, es sei ihre Aufgabe, eugenisch zu wirken, d. h. Behinderte zu verhindern, indem sie zur Abtreibung rät. Wenn es mit einem Strafrahmen bewehrt wäre, eine Frau zur Abtreibung zu drängen, würde auch solchen Leuten bewußt, daß dies absolut nicht der Sinn der Übung ist.
Die Debatte muß für mich an ganz anderer Stelle ansetzen. Wir haben sie auch an anderer Stelle geführt, z. B. als es darum ging, in Art. 3 des Grundgesetzes eine Erweiterung dahin gehend aufzunehmen, daß Behinderte nicht benachteiligt werden dürfen.
- Was heißt „eben"? Sie können mir nicht unterstellen, daß ich dafür bin.
- Ich denke, es macht keinen Sinn, wenn Sie jetzt immer wieder zwischenrufen, was ich auch akustisch nicht verstehe. Ich denke, die Haltung ist klar. Das geht weit über das hinaus, worum es mir jetzt geht.
Ich bleibe dabei, daß bei betroffenen Frauen, die in einer Konfliktsituation sind, mit Strafandrohung keine entsprechende Bewußtseinsänderung oder -bildung zu erreichen ist. Ich werde noch einmal sehr genau im Protokoll nachlesen, Frau Eichhorn.
Die CDU/CSU hat für die heutige Debatte wieder zwei Anträge vorgelegt. Ich muß Ihnen gestehen: Der Antrag, den 44 Männer und vier Frauen hier eingebracht haben, hat mich ziemlich erschreckt, und zwar deshalb, weil in diesem Antrag der in Konflikt geratenen schwangeren Frau vor allem mit Strafe und Druck bzw. Zwang zum Gebären gedroht wird. Wenn sie sich all dem entzieht, bleibt ihr nur übrig, ins Ausland zu gehen. Entzieht sie sich dem nicht, muß sie das Kind zur Welt bringen. Dann wird ihr das Angebot gemacht, sie könne ihr Kind ja ins Heim geben. Wenn ich diese Praxis betrachte - nach zwölfjähriger Regierungszeit von Ihnen -, bin ich sprachlos, daß man überhaupt zu einem solchen Vorschlag kommen kann.
Sie akzeptieren auch keine entsprechende Indikation; denn Sie sagen sehr deutlich: „Das Vorliegen der Fälle der vitalen medizinischen Indikation im Einzelfall durch ein Gericht zu prüfen." An diesem Punkt wird es für mich ganz abstrus. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie Sie das meinen, es sei denn, Sie sind überhaupt nicht bereit, medizinischen Fachleuten zuzugestehen, daß sie Ahnung von ihrem Fach haben.
Des weiteren muß ich Ihnen vorwerfen, daß Sie nicht mitbekommen haben, daß nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes die Fristenlösung mit entsprechender Beratung verfassungsgemäß ist. Meiner Meinung nach mißbrauchen Sie hier das Verfassungsgericht.
Frau Brudlewsky, Frau Löwisch, Frau Reinhardt und Frau Wülfing, Sie haben diesen Antrag neben 44 Männern eingebracht. Vertrauen Sie sich denn selbst als Frau nicht bzw. trauen Sie denn den Frauen nicht, daß Sie einen solchen Gesetzentwurf gegen Frauen einbringen - einen Entwurf, der vorwiegend mißtrauisch macht und Mißtrauen sät, der Frauen geradezu dazu zwingt, einen Schwangerschaftsabbruch im Ausland vornehmen zu lassen, weil nach Ihrem Entwurf für den Schwangerschaftskonflikt nicht einmal ein entsprechendes Beratungsangebot vorgesehen ist? Sie tun so, als wären wir immer noch am Beginn der 218-Debatte. Sie nehmen mit diesem Entwurf den Frauen in unserem Land jegliche Würde, indem Sie sie als verantwortungslose Objekte zum Gebären definieren
- so steht es doch wortwörtlich drin -, die bei Nichtfunktionieren mit Sanktionen zu rechnen haben.
Ich kann mir nicht vorstellen, Frau Brudlewsky, Frau Löwisch, Frau Reinhardt und Frau Wülfing, daß Sie diesen Entwurf wirklich verantworten können; nicht nur vor Ihren Wählerinnen nicht, sondern auch nicht vor Ihrem Gewissen. Im übrigen hoffe ich, daß Sie sich an dieser Stelle vielleicht noch bewegen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die vergangenen elf Monate haben an der Realität, daß Frauen schwanger werden und daß ein Teil der Frauen durch die Schwangerschaft in einen Konflikt gerät, den die Gesellschaft zu einem großen Teil mit produziert hat und den Frauen stellvertretend für die Gesellschaft erleiden und zu lösen haben, nichts geändert. In diesem Jahrhundert ist dieser Konflikt schon immer durch männliche Moral und Paragraphen und Regelungen gelöst worden, die, bewußt oder unbewußt, eines gemeinsam haben, nämlich die Tatsache, daß sie ganz bestimmte Machtstrukturen bewahren. Die Geschichte des § 218 ist bis zum heutigen Debat-
Christel Hanewinckel
tentag ein Paradebeispiel dafür. Das Verfassungsgerichtsurteil ist da an einigen Stellen mit einzubeziehen. Machtstrukturen zu ändern braucht Zeit und auch den richtigen Zeitpunkt.
Deshalb möchte ich jetzt noch etwas zu den Kolleginnen von der PDS sagen. Ich finde, es ist in der momentanen Situation zu einfach, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine Grundgesetzänderung anstrebt, in dem das Recht der Frau verankert werden soll, über Austragung oder Abbruch einer Schwangerschaft selbst zu entscheiden. Auch die SPD steht für dieses Recht ein; doch es ist zur Zeit, ein halbes Jahr nach der Verfassungsdebatte und der Änderung des Grundgesetzes, mehr als eine Illusion, jetzt Hoffnung auf eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag zu haben bzw. diese bei der Bevölkerung zu wecken. Ich erinnere mich und Sie an die zähen Verhandlungen in der Verfassungskommission in bezug auf Art. 3 und Art. 6 GG. Zu einer wirklichen Diskussion ist es nicht gekommen, weil der Großteil der Parlamentarierinnen und Parlamentarier der CDU/CSU nicht bereit war, darüber überhaupt zu debattieren.
Frau Kollegin Hanewinckel, Ihre Redezeit ist zwar fast abgelaufen. Aber da Sie nun die Kolleginnen angesprochen haben, frage ich Sie: Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schenk?
Ja, bitte.
Frau Kollegin Hanewinckel, sind Sie bereit, einzuräumen, daß auch die SPD Anträge, Gesetzentwürfe - kurzum: Vorlagen - in den Deutschen Bundestag einbringt, obwohl sie genau weiß, daß in diesem Deutschen Bundestag die Vorlagen nicht nach dem Inhalt, sondern nach der Herkunft beurteilt werden und daß demzufolge auch Ihre Vorlagen automatisch in der Abstimmung unterliegen, also ebenfalls keine Chance auf eine Mehrheit haben? Räumen Sie weiter ein, daß die auch von Ihnen - zumindest in einem bestimmten Rahmen - gewollte Akzeptanz des Selbstbestimmungsrechts von Frauen nach diesem Urteil ohne eine Grundgesetzänderung nicht mehr erreicht werden kann?
Natürlich bringt auch die SPD Anträge und Gesetzentwürfe ein, bei denen, wenn man rechnet, klar ist, daß es für sie in diesem Haus keine Mehrheit geben wird oder geben kann. Das ist nicht mein Punkt. Mein Punkt ist vielmehr: Die Debatte um den § 218 hat in den letzten vier Jahren ja schon eine entsprechende Geschichte. Ich denke, es ist allerhöchste Zeit, daß die verunsichernden und unklaren Übergangsregelungen des Bundesverfassungsgerichts in diesem haus eine Änderung und Klarstellung erfahren. Das ist der Schritt, den ich jetzt sehe. Ich bin allerdings relativ sicher, daß es möglich sein könnte, dafür in diesem Hause eine Mehrheit zustande zu bekommen. Deshalb habe ich die Hoffnung, daß es bei einzelnen Parlamentarierinnen und Parlamentariern Möglichkeiten der Veränderung gibt und daß wir da einen Schritt weiterkommen. Ich persönlich und auch andere in der Sozialdemokratischen Partei sind nicht bereit, die Vision aufzugeben, daß es den § 218 in diesem Lande eines Tages nicht mehr geben wird. Dafür wird auch eine Grundgesetzänderung möglich und nötig sein.
Das sehe ich ganz genauso. Nur, im Moment, denke ich, ist das nicht drin.
- Ich denke, der Weg ist aufgezeigt. Alle, die sich an dieser Debatte beteiligen, tun das immer wieder kund.
Uns geht es an dieser Stelle jetzt darum, das zu erreichen, was jetzt möglich ist, und die Spielräume für eine Verbesserung zu nutzen.
Vielen Dank.
Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Horst Eylmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Fraktionskollegin Claudia Nolte hat einen sehr richtigen Satz gesagt: Die Art und Weise, in der wir dieses schwierige Thema miteinander diskutieren, hat auch Einfluß auf das geistige Klima in unserem Lande.
Ich füge hinzu: Die Art und Weise hat auch Auswirkungen auf den Ruf, den der Bundestag in der Öffentlichkeit genießt. Man hat weithin kein Verständnis mehr dafür, daß wir sehr wortreich die Schlachten, die nun schon siebenundzwanzigmal geschlagen sind, zum achtundzwanzigstenmal schlagen. Man möchte, daß wir uns einigen, weil man durchaus das richtige Gefühl hat, daß nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Einigung möglich sein müßte.
Ich sage weiter: Die Art und Weise, wie wir miteinander sprechen, hat natürlich auch Auswirkungen auf die Chancen, sich zu einigen. Es hat keinen Zweck, die Notwendigkeit der Einigung zu beschwören und sich dann über die Vorschläge, die von anderen Fraktionen gemacht worden sind, zu entrüsten. Ich will mich daran nicht beteiligen.
Horst Eylmann
Die Diskussion findet vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 statt. Mit diesem Urteil ist niemand in diesem Hohen Hause zufrieden, voll zufrieden. Jeder hat aus unterschiedlichen Standpunkten heraus einzelne Passagen dieses Urteils zu kritisieren.
Auch ich habe gegen dieses Urteil Vorbehalte. Die habe ich schon an anderer Stelle formuliert. Das Urteil ist eine Kompromißentscheidung. Es hat alle Vorzüge, aber auch alle Nachteile einer Kompromißentscheidung.
Aber trotz aller Kritik an diesem Urteil sollten wir uns doch darüber einig sein, daß diese Entscheidung aus zwei Gründen respektiert werden muß: zum einen wegen des Ansehens des Bundesverfassungsgerichts - dieses Ansehen wollen wir sicherlich nicht tangieren - und zum anderen deshalb, weil wir uns auch darüber einig sein sollten, daß nichts sowohl für das ungeborene Leben als auch für die betroffenen Frauen schlimmer wäre, als wenn wir ein erneutes Verfahren bekämen und erneut eine gesetzliche Regelung, die wir beschließen, dort aufgehoben würde.
Es wird vom Spielraum gesprochen. Natürlich bietet das Urteil einen gewissen Spielraum, aber wir sollten uns auch nicht täuschen und uns von bloßen Wünschen leiten lassen. Der Spielraum, den uns das Urteil einräumt, ist relativ gering. Ich habe das auch unter der Überschrift „Gesetzgebung nach richterlicher Direktive" kritisiert. Aber es gehört auch dazu, die Direktiven, die uns dort erteilt worden sind, soweit es jedenfalls zwingend notwendig ist, zu beachten.
Ich möchte das an zwei Punkten klarmachen: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, und es besteht gar kein Zweifel, daß auch zukünftige Senate dies so sagen würden, daß ein zentraler Punkt des Beratungskonzepts - es handelt sich ja nicht um eine Fristenlösung, die wir haben - das Ziel der Beratung ist.
§ 219 der alten Fassung ist mit 8: 0 Richterstimmen einschließlich der Stimmen der Richter Mahrenholz, Sommer und Böckenförde für verfassungswidrig erklärt worden. Er ist mit 8:0 Stimmen aufgehoben worden. In diesem aufgehobenen § 219 hieß es, die Beratung diene dem Lebensschutz durch Rat und Hilfe für die Schwangere unter Anerkennung des hohen Wertes des vorgeburtlichen Lebens und der Eigenverantwortlichkeit der Frau. Schon die Geschwollenheit der Ausdrucksweise zeigt, daß es schwierig war, hier zu einer Einigung zu kommen. Ich war daran ja selbst beteiligt.
Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Hier kommt das Ziel der Beratung nicht angemessen zum Ausdruck. Genau mit dieser Formulierung aber beginnen Sie von der SPD Ihren neuen Entwurf des § 219. Jetzt frage ich Sie: Warum?
Es muß völlig klar sein - und jede andere Lösung wird keine Gnade vor den Augen des Bundesverfassungsgerichts, in welcher Zusammensetzung auch immer, finden -, daß das Ziel der Beratung
der Schutz des ungeborenen Lebens sein muß.
Herr Kollege Eylmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schmidt?
Gern.
Herr Kollege Eylmann, teilen Sie angesichts dessen, was Sie ausgeführt haben, meine Auffassung, daß die Ausgestaltung der Beratung, wie sie auch im Entwurf der CDU/CSU-Fraktion zum Ausdruck kommt, von einem tiefen Mißtrauen gegenüber der Fähigkeit der Frau geprägt ist, selbstverantwortlich zu entscheiden und auch im Fall einer Schwangerschaftskonfliktsituation eine eigenverantwortliche gewissenhafte Entscheidung zu treffen, und wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die jahrelangen eigenverantwortlichen Entscheidungen in Schwangerschaftskonfliktsituationen der Frauen in der ehemaligen DDR?
Ich teile Ihre Auffassung natürlich nicht, was Sie auch schon deshalb wissen, weil ich dem Entwurf in der letzten Wahlperiode, den die Koalition erarbeitet hatte, zugestimmt habe. Über einzelne Formulierungen lasse ich natürlich mit mir reden.
Aber Sie machen, glaube ich, einen grundlegenden Fehler, der häufig gemacht wird. Sie verwechseln den Zweck und die Mittel. Professor Baumann - ich erinnere mich an die Anhörung 1991 -, einer der Väter des Gesetzes von 1974, sicherlich für Sie und insbesondere auch für die Freien Demokraten ein unverdächtiger Zeuge, hat gesagt: Natürlich muß es eine Tendenzberatung sein. Wenn diese Beratung nicht das Ziel hat, der Frau den Wert und auch den Vorrang des ungeborenen Lebens klarzumachen, dann brauchen wir überhaupt keine Beratung.
Von diesem Ziel, meine Damen und Herren, müssen wir doch die Mittel unterscheiden, und da haben wir überhaupt keine Differenzen. Natürlich soll die Frau nicht eingeschüchtert werden. Natürlich soll man sie nicht unter Druck setzen. Natürlich steht hinter der Beratung schon die Haltung: Die Frau kann das letztlich auch allein entscheiden, aber wir wollen ihr helfen, und wir wollen sie beraten. - Das ist doch kein Widerspruch.
Noch eine Zwischenfrage von Frau Däubler-Gmelin.
Gern.
Herr Kollege Eylmann, ich habe mich deswegen zu einer Frage entschlossen - ich gebe zu, sie ist mehr eine Argumentation in Frageform -, weil ich glaube, daß wir genau hier bei einem der wichtigen Punkte sind, die uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgegeben hat.
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Wir sind uns, glaube ich, beide darüber einig, daß auch Richter eines Senats bei ihren Formulierungen glücklicher und unglücklicher sein können. Wir sind, glaube ich, beide auch der Auffassung, daß sich aus einer Strafrechtsnorm - § 219 StGB ist eine Strafrechtsnorm - letztendlich ein klarer Normbefehl erweisen lassen muß. Das heißt, es muß klar sein, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist.
Wir sind uns zum dritten - auch das habe ich Ihren Worten entnommen - wahrscheinlich einig darüber, daß auf der einen Seite das Ziel der staatlichen Beratung der Schutz des ungeborenen Lebens ist, daß auf der anderen Seite für die Frau Beratung nur dann ernsthaft in Betracht kommen kann, wenn ihre Eigenständigkeit, ihre eigenständigen Konflikte und damit auch ihre eigene Persönlichkeit Teil dieser Beratung sein können.
Sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß dies in eine Strafrechtsnorm zu packen sowieso schon schwierig ist und daß es deswegen wahrscheinlich leichter sein würde, diese Gebrochenheit des Zustands einer Beratung kurz, allgemein, aber unter Anerkennung beider Ziele in der Formulierung zum Ausdruck zu bringen?
Ich hoffe, ich habe die Frageform am Ende deutlich genug gemacht.
Ich bin zunächst der Auffassung - ich weiß nicht, ob Sie darauf abzielen -, daß es von sekundärer Bedeutung ist, in welchem Gesetz wir das Ziel und die Durchführung der Beratung festlegen. Ich bleibe aber dabei, daß das Ziel der Beratung klar sein muß, und ich bleibe dabei, daß jede Formulierung, in welchem Gesetz auch immer, die nicht klar den vorrangigen Wert des ungeborenen Lebens darstellt, vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben werden wird. Sie haben in Ihrer Fraktion hervorragende Juristinnen und Juristen, und ich glaube, sie sehen das genauso.
Nun frage ich mich, warum Sie denn nicht zu Beginn den einen klaren Satz schreiben, den das Bundesverfassungsgericht in seiner Vollstreckungsanordnung geschrieben hat: Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. - Dann unterhalten wir uns darüber, was wir über die Art und Weise formulieren.
Meine Damen und Herren, geben wir uns doch nicht der Illusion hin, wir könnten hier durch verschiedene Formulierungen entscheidenden Einfluß darauf nehmen, wie sich die Beraterinnen Zugang zur Psyche der schwangeren Frau, die im Beratungszimmer erscheint, verschaffen! Das ist doch schwer genug.
Von allen Beraterinnen hören wir, daß der größte Teil der Frauen, die dort erscheinen, schon festgelegt sind. Wir hören, daß es ungeheuer schwer ist, sich Zugang zu verschaffen.
Dennoch schaffen sie es in einigen Fällen. Vielleicht sollten wir an dieser Stelle auch einmal unsere Hochachtung vor den Beraterinnen zum Ausdruck bringen, die sich jeden Tag wieder dieser schwierigen Frage und dieser schwierigen Aufgabe mit großem Engagement stellen.
Ich wünsche - das sage ich auch einmal ganz offen - den Beraterinnen, daß sie möglichst häufig Erfolg haben. Auch hier gilt der Satz: Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.
Ich kann nicht verstehen, daß man dieses Anerkenntnis des hohen Wertes des ungeborenen Lebens immer wieder dadurch in Frage zu stellen versucht, daß man die Autonomie der Frau gegenüberstellt. Beides gehört doch zusammen. Ich bin doch eindeutig der Auffassung, daß das ungeborene Leben nur mit der Frau und nicht gegen sie geschützt werden kann.
Aber warum fällt es Ihnen dann so schwer, hineinzuschreiben, daß die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient?
Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn dies nicht klargestellt ist in einem Gesetz, dann kann ich dem nicht zustimmen, und Sie wissen, daß ich ein Anhänger und ein Befürworter der damaligen Gruppenlösung war.
Ich darf noch zu einem anderen Punkt kommen. Es geht um die Strafbarkeit des sogenannten familiären Umfeldes. Das ist ja auch eine Formulierung, die eher verschleiert als klarstellt. Wir haben uns ja in diesem Bereich überhaupt eine Sprache angewöhnt, die schon gar nicht mehr verstanden wird.
- Es ist richtig, daß das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht für jedermann verständlich ist.
Aber dann könnten wir uns ja vielleicht einmal ein bißchen verständlicher ausdrücken.
Meine Damen und Herren, wir sind ja für das Letztentscheidungsrecht der Frau. Sie soll entscheiden. Wir wollen nicht, daß diese autonome Entscheidung der Frau dadurch beeinträchtigt wird, daß sie in der Beratung unter Druck gesetzt wird.
- Ja, gut, es passiert. Es darf aber nicht passieren.
Jetzt sage ich Ihnen - und da sind Sie doch sicher auch einig; jetzt gucke ich auch einmal zur F.D.P. -: Sie wissen doch, daß in vielen Fällen insbesondere
Horst Eylmann
eine junge Schwangere nicht von den Beratern unter Druck gesetzt wird, sondern von den Männern - leider Gottes sogar manchmal auch von den eigenen Eltern. Alle Beraterinnen wissen ein Lied davon zu singen, daß dort versucht wird, eine Frau zu einem Abbruch zu drängen - eine Frau, die den Abbruch nicht will. Da meine ich nun allerdings: Es ist in hohem Maße strafwürdig, wenn jemand versucht, eine schwangere Frau zu einem Abbruch zu drängen.
- Jetzt sagen Sie: Wir haben ja den Tatbestand der Nötigung. Ich versuche ja einen Dialog mit Ihnen. Gleichzeitig argumentieren Sie: Eigentlich dürfte da überhaupt nichts strafbar sein, denn die Beratung wird beeinträchtigt. Dann müßten Sie aber konsequenterweise sagen: Wir müssen auch den Tatbestand der Nötigung abschaffen.
Bleiben wir bei der Nötigung. Wenn jemand einem anderen mit Gewalt oder unter Androhung von Gewalt ein Portemonnaie wegnimmt, dann ist das nicht Nötigung, sondern Raub oder Erpressung. Ich will mich auf den Unterschied nicht einlassen. Es ist ein Verbrechen. Wenn ein Mann eine Frau sexuell gefügig zu machen versucht, sie vergewaltigt, dann ist das keine Nötigung, sondern eben eine Vergewaltigung, ein Verbrechen.
Sie und ich, die Mehrheit, wollen, daß auch eine Vergewaltigung innerhalb der Ehe nicht mit dem Tatvorwurf der Nötigung abgetan wird. Aber dort, wo - meistens ist es ja ein Mann - ein Mann eine Frau mit Gewalt nötigt, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen, da sagen Sie: Das ist eine Nötigung.
- Sie kennen den Tatbestand nicht. Gewalt ist ein Bestandteil der Nötigung. Lesen Sie den einschlägigen Paragraphen: „mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel". Das paßt nicht zusammen. Ich bitte, das auf den Seiten dieses Hauses, die sich gegen eine Ausweitung der Strafbarkeit ausgesprochen haben, noch einmal zu überlegen. Ich glaube, dies läßt sich so eigentlich nicht rechtfertigen.
Im übrigen gibt es noch schwierige Fragen zu lösen. Ich bin nicht wild darauf, jede Person des familiären Umfeldes unter Strafe zu stellen. Aber das mit der Nötigung läßt sich nach meiner Auffassung so nicht halten. Wenn wir das noch einmal ruhig diskutieren, werden wir da zu einer Lösung kommen.
Wenn wir uns in diesen beiden Fragen aufeinander zubewegen, dann, meine ich, müßte es eigentlich gelingen, daß wir zu einer Einigung kommen.
Ich betone noch einmal: Ich will eine Mehrheit für ein Gesetz, das nicht wieder Gefahr läuft, vom Bundesverfassungsgericht kassiert zu werden. Wir brauchen eine Lösung, die Rechtsfrieden und Rechtsicherheit für die Frauen bringt. Das ist auch der beste Schutz für das ungeborene Leben.
Für Nachhutgefechte bin ich nun nicht mehr zu haben. Mit Nachhutgefechten kann man sowieso keine Schlachten mehr gewinnen. Die Grundentscheidung ist getroffen: Es steht das Letztentscheidungsrecht der Frau. Deshalb ist es auch abwegig, zu behaupten, wir würden hier über ein Gesetz sprechen, das von 1871 stammt.
- Ich weiß, die Geschichte ist eine fürchterliche - auch darüber sind wir uns einig -, wie man in den letzten Jahrhunderten auf diesem Gebiet mit den Frauen umgegangen ist. Aber wir können ja auch nicht so weit gehen, daß wir den gegenwärtigen Rechtszustand nicht zur Kenntnis nehmen.
Dieses Thema eignet sich auch nicht zur Profilierung. Ich glaube, das wird bei der Bevölkerung eher auf Abwehr stoßen. Ich hoffe, meine Damen und Herren, auf eine große fraktionsübergreifende Koalition der Vernunft und der Vernünftigen in diesem Hause.
Ich hoffe auf eine Koalition der Mitte; denn die Vernunft liegt meistens in der Mitte.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Professor Meyer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bei allem notwendigen Bestreben, die Vorgaben des Karlsruher Urteils vom 28. Mai 1993 gewissenhaft umzusetzen, sollten wir, Herr Kollege Eylmann, doch gemeinsam feststellen: Darin erschöpft sich unsere Aufgabe nicht. Die Gewissensentscheidung über den besten Schutz werdenden Lebens mit den Frauen und nicht gegen sie kann uns niemand abnehmen. Wir sind der Gesetzgeber.
Wir tragen die Verantwortung für ein Gesetz, das wir hoffentlich demnächst mit großer Mehrheit verabschieden werden. Dabei werden wir die Verfassung nicht ändern, sondern sie konkretisieren und so zur Verfassungswirklichkeit machen. Bekanntlich hat das Karlsruher Gericht die dem Gruppenentwurf von 1992 zugrunde liegende Konzeption „Hilfe statt Strafe" als Schutzkonzept anerkannt und ausdrücklich bestätigt.
An diesem Konzept, das wir Sozialdemokraten von Anfang an und ohne scheinliberale Koalitionsspielchen vertreten haben, halten wir fest. Deshalb weist
Dr. Jürgen Meyer
die SPD-Fraktion alle Versuche von Finanzpolitikern gleich welcher Couleur, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz hinauszuzögern, entschieden zurück.
Das Karlsruher Urteil ist wegen seiner inhaltlichen Brüche und inneren Widersprüche von Sachverständigen unterschiedlichster Provinienz hart kritisiert worden. Um es an den Namen von Strafrechtskollegen festzumachen: von Tröndle über Eser bis Hassemer. Das liegt wohl weniger daran, daß das Gericht mit harten Verdikten gearbeitet hätte, sondern eher daran, daß es nach der Anerkennung des Beratungsmodells in einer unendlich langen Begründung, die offenkundig von sehr verschiedenen Autoren stammt, fast jedem irgendwo ein bißchen recht zu geben versucht hat. Nach Ansicht der Kritiker war das keine justitielle Meisterleistung. Ich meine, das Gericht wird mit dieser Kritik leben können. Vielleicht fallen aber künftige Urteile kürzer, klarer und für die Bürgerinnen und Bürger verständlicher aus.
Viel wichtiger als die Kritik an Einzelheiten der Entscheidung ist es, die uns als Gesetzgeber gebliebenen Gestaltungsspielräume zu erkennen, über die Sie, Frau Justizministerin, vorhin gesprochen haben, und im Sinne des Schutzkonzepts diese Spielräume in bestmöglicher Weise auszuschöpfen. Statt nach der Art von Wortklaubern eine Passage des Urteils gegen die andere auszuspielen oder die Urteilsgründe als Steinbruch zum Abstützen jeweiliger Vorurteile zu benutzen, sollten wir erkennen: Bindungswirkung hat das Urteil nur dort, wo es Teile des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes von 1992 aufhebt, und dort, wo es für die erforderliche Neuregelung klare und widerspruchsfreie Anweisungen ohne Relativierung etwa durch Prüfungsaufträge erteilt, was übrigens, Herr Kollege Eylmann, gerade für den Bereich des familiären Umfelds gilt.
Als Gesetzgeber müssen wir bei der Neuregelung darauf achten, daß sie keine unbestimmten oder für den Rechtsgüterschutz ungeeigneten oder unverhältnismäßigen und deshalb wieder verfassungswidrigen Normen enthält.
Legt man diese Maßstäbe an, ergibt sich ein erheblicher Gestaltungsspielraum. Dieser läßt sich am besten daran verdeutlichen, daß sich die F.D.P., offenbar beraten vom Bundesjustizministerium, in einer Reihe wichtiger Punkte nach dem Sündenfall im vergangenen Jahr nunmehr dem SPD-Entwurf angeschlossen oder zumindest angenähert hat. Sie ist damit wieder zum Geist des Gruppenantrags zurückgekehrt, nachdem wir noch in der Debatte vom 26. Mai 1994 beredte Klagen von Ihnen zu hören bekamen, daß dies leider wegen des Karlsruher Urteils nicht möglich sei.
Wahlergebnisse können offenbar Erkenntnisprozesse fördern.
Wir nehmen die Liberalen gerne als reuige Sünder wieder in die fraktionsübergreifende Reformergruppe auf.
Zweifellos sind die Chancen für die Mehrheit für ein überzeugendes Gesetz gewachsen. Ich nenne dafür vier Beispiele:
Erstens hat sich bei genauer Prüfung die Krankenkassenlösung bei der Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen als verfassungskonform erwiesen - im Unterschied zu dem, was die F.D.P. noch im vergangenen Jahr sagte. Wir werden uns also darauf verständigen können, daß Frauen wegen der Kosten für den Abbruch der Schwangerschaft unter den Voraussetzungen des Beratungsmodells nicht den als demütigend empfundenen Gang zum Sozialamt antreten müssen.
Zweitens - damit komme ich zum Strafrecht - hat sich jetzt endlich die Erkenntnis durchzusetzen begonnen, daß keineswegs jeder Schwangerschaftsabbruch unter den Bedingungen des Beratungsmodells strafrechtswidrig ist. Die Frage der strafrechtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit kann sich in diesen Fällen gar nicht stellen, weil der sogenannte beratene Abbruch nach den Worten des Gerichts nicht mehr in einer Strafbestimmung enthalten, also nicht tatbestandsmäßig ist.
SPD, F.D.P. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stellen deshalb übereinstimmend fest, daß der Tatbestand des § 218 nicht erfüllt bzw. nicht verwirklicht ist. Die CDU/CSU versteckt diese Einsicht nach wie vor in der Begründung ihres Entwurfs, obwohl der von ihr selbst zu dieser Frage benannte und besonders sachkundige Sachverständige Professor Keller bei der öffentlichen Anhörung im vergangenen Jahr bestätigt hat, daß der SPD-Entwurf - ich zitiere - „die klarere Lösung und die klarere Formulierung ist, um das zu bezeichnen, was gewollt ist".
Soll hier etwa, so frage ich die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, den Kommentatoren das Tor zur Diskriminierung von Frauen durch ein pauschales Rechtswidrigkeitsurteil offengehalten werden? Das lehnen wir ab.
Drittens nähert sich die F.D.P. bei der Regelung der Beratung wenigstens ein Stückchen weit der Einsicht, daß dabei nicht das Lebensrecht des Ungeborenen und das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegeneinander abgewogen werden können, und zwar deshalb nicht, weil beide eine symbiotische Einheit sind. Nicht Abwägungsdenken, sondern integratives Denken liegt dem Beratungskonzept zugrunde. Das vorgeburtliche Leben kann nicht gegen die Mutter, sondern nur mit ihr geschützt werden. Das ist der eigentliche Inhalt des Satzes, der sich nun auch im F.D.P.-Entwurf findet: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens durch Rat und Hilfe
Dr. Jürgen Meyer
für die Schwangere". Allerdings wollen wir dem noch die Anerkennung des hohen Wertes des vorgeburtlichen Lebens und der Eigenverantwortung der Frau hinzufügen.
Viertens scheint sich erfreulicherweise die Einsicht durchzusetzen, daß über das geltende Recht hinausgehende Versuche einer Kriminalisierung des sozialen Umfelds der Schwangeren dem Beratungskonzept zuwiderlaufen. Ein offenes Beratungsgespräch wird geradezu verhindert, wenn der Partner und die nächsten Angehörigen der Schwangeren auf Grund einer Verschärfung des geltenden Rechts - das, Herr Kollege Eylmann, bekanntlich bereits Nötigung, aber auch Unterhaltsentziehung und unterlassene Hilfeleistung mit Strafe bedroht - mit einem Bein im Gefängnis stehen. Wir hatten ursprünglich vorgeschlagen, das geltende Strafrecht zu verdeutlichen und die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch als besonders schweren Fall der Nötigung ausdrücklich zu nennen. Aber die Erfahrungen des Vermittlungsverfahrens im vergangenen Jahr haben uns gezeigt: Die Schaffung bloß symbolischen Strafrechts ist alles andere als überzeugend. Sie liefe fast auf ein Täuschungsmanöver des Gesetzgebers hinaus. Der lediglich in den Gründen, nicht aber im Leitsatz des Karlsruher Urteils erwähnte § 201 des alten Entwurfs von 1962 ist übrigens, Herr Kollege Eylmann, in der Schweiz erprobt und dort 1989 wegen offensichtlicher Wirkungslosigkeit wieder aufgehoben worden.
Warum sollten wir eigentlich nicht aus den Erfahrungen unserer Nachbarn lernen dürfen?
Herr Professor Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Eylmann?
Sicher.
Herr Professor Meyer, sehen Sie nicht einen Widerspruch in folgender Argumentation? Auf der einen Seite plädiert Ihre Fraktion dafür, auch die Vergewaltigung in der Ehe als Vergewaltigung unter Strafe zu stellen - obwohl wir alle wissen, es wird relativ wenige Verurteilungen geben -, und zwar mit dem Argument, es müsse endlich auch den Männern klargemacht werden, daß auch das eine strafrechtliche Vergewaltigung sei; es müsse eine Warntafel aufgestellt werden. Auf der anderen Seite - ich habe es gesagt - wissen wir, daß häufig schwangere Frauen aus ihrem Umfeld auch unter Druck gesetzt werden. Da verneinen Sie die Notwendigkeit einer solchen Warntafel mit ihrer abschreckenden Wirkung. Worin sehen Sie einen Unterschied?
Herr Kollege Eylmann, in unserer Position besteht überhaupt kein Widerspruch, denn bei der Vergewaltigung in der Ehe besteht, wie Sie wissen, das Problem darin, daß die Vergewaltigung von Frauen außerhalb der Ehe mit
Strafe bedroht ist. Dadurch, daß die eheliche Vergewaltigung ausgeklammert wird, kann der Eindruck entstehen, daß die Ehefrau schutzlos sei. Ein solches Problem haben wir hier nicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, angesichts der sich abzeichnenden Mehrheit für eine vernünftige Lösung im dritten Anlauf wird das Murren der sich abzeichnenden Minderheit hörbarer. Finanzminister Waigel hat bereits mit einem neuen Gang nach Karlsruhe gedroht. Vielleicht denkt Herr Waigel einmal darüber nach, daß sein Fraktionskollege Eylmann das letzte Karlsruher Urteil als Pyrrhussieg für beide Seiten bewertet hat. Ein solcher Sieg zeichnet sich bekanntlich durch so hohe Verluste aus, daß ein weiterer Sieg unmöglich erscheint. Ich zitiere den Kollegen Eylmann aus einem Aufsatz in der „Kritschen Vierteljahresschrift" mit einer Äußerung, die er heute nur etwas eingeschränkt wiedergegeben hat:
Die Kraft des Parlaments, Entscheidungen mit Mehrheit durchzusetzen und sie dann zu respektieren, scheint nachzulassen. Der ständige Ruf nach dem Bundesverfassungsgericht zeugt jedenfalls eher von Unsicherheit als von Stärke.
Es bleibt zu hoffen, daß wir jetzt der Versuchung widerstehen, die alten Schlachten noch einmal zu schlagen,
und uns statt dessen darauf konzentrieren, gemeinsam das Beste aus diesem Urteil zu machen.
Und damit ist Ihre Redezeit zu Ende.
Ich füge hinzu - das ist mein letzter Satz -: Wir sollten den Auftrag des Einheitsvertrages durch eine fraktionsübergreifende Koalition der Vernunft und der Humanität jetzt endlich erfüllen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Monika Brudlewsky.
herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hanewinckel, ich kann den Entwurf, den ich mitvertrete, verantworten, weil ich gerade als Frau für die Würde der Frau eintreten möchte, eine Würde, die nicht darin bestehen
Monika Brudlewsky
kann, das in ihr entstehende Leben zu töten, sondern es zu bewahren.
Ich vertrete die Männer und Frauen in unserem Lande, die der Auffassung sind, daß die Frau Hüterin des Lebens sein muß.
Wer sonst, wenn nicht sie?!
Ja, moderne, aufgeklärte Frauen haben ein Recht auf ihr Leben und auf Selbstbestimmung. Aber: Die Selbstbestimmung der Frau beginnt im Zusammenleben mit dem Partner, von dem sie ein Kind empfangen möchte oder nicht empfangen möchte. Und: Die Selbstbestimmung der Frau endet vor dem Leben eines anderen Menschen, vor dem Leben ihres Kindes. Mit einer Abtreibung lösen Frauen ihre Probleme nicht,
sondern handeln sich neue und schwerere ein. Leider wird immer wieder verschwiegen, welche Folgen eine Abtreibung hat.
Wir Parlamentarier tragen Verantwortung dafür, welche Wertung das menschliche Leben in seiner Gesamtheit in unserem Volk im nächsten Jahrtausend erfahren wird. Es gibt seit Jahrtausenden Menschen, die darüber nachgedacht haben. So ist es durchaus keine Erfindung der katholischen Kirche, daß Abtreibung ein Unrecht ist und deshalb verboten sein muß. Es gibt ein Urgesetz, welches beinhaltet: Ich darf keinen Menschen töten, es sei denn in Notwehr.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schenk?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.
Der Eid des Hippokrates entstand, wie wir wissen, aus einer Minderheitsentscheidung. Wir alle kennen die Worte:
Ich werde niemandem, nicht einmal auf ausdrückliches Verlangen, ein tödliches Medikament geben, und ich werde auch keinen entsprechenden Rat erteilen; ebenso werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel aushändigen.
Bemerkenswert ist, daß die Geschichte folgendes berichtet: Die Gemeinschaft der Hippokratiker setzte sich so von der Meinung, der „anderen", der „vielen" ab, die die Vernichtung des Lebens, sei es durch Selbstmord, sei es durch Kinderaussetzung oder durch Abtreibung, nicht grundsätzlich für verwerflich hielten.
Im hippokratischen Eid hat eine ärztliche Minderheit 500 Jahre vor Christus die für sie verbindlichen Grundsätze ärztlichen Handelns niedergelegt. Der
Eid in seiner Gesamtheit enthält das Grundsätzlichste und Tiefste, was zum Problem der ärztlichen Berufe und zum Erhalt des menschlichen Lebens zu sagen ist. Dieses Ethos, das in diesem Eid seinen Ausdruck fand, hat sich seit fast zweieinhalb Jahrtausenden als Orientierungspunkt ärztlicher Standesethik bewährt und das Denken und Handeln vieler Generationen auch in Deutschland geprägt.
In der Zeit des Nationalsozialismus setzten die Nazis Vernichtungsgesetze in Kraft. Darin wurde in Deutschland die Tötung ungeborener Kinder bestimmter Gruppen erstmalig „gesetzlich" legitimiert.
Mit Gründung der Bundesrepublik traten die gesetzlichen Schutzvorschriften wieder in Kraft, die die Würde und den Schutz des Menschen proklamierten. Ebenso wurde auch in der DDR die Abtreibung unter Strafe gestellt.
Anfang der 70er Jahre bemerkte die Führung der DDR, daß die damalige Regierung der Bundesrepublik eine Veränderung des § 218 plante. Dem wollte man zuvorkommen.
So reagierte man überhastet und erklärte die Abtreibung eines Kindes - mit Einhaltung von Fristen - per Gesetz als Recht der Frau.
Die Abstimmung in der Volkskammer der DDR dazu ist besonders bemwerkenswert, weil es Gegenstimmen aus der CDU gab. Dazu gehörte damals sehr viel Mut. Es war eine Einmaligkeit in der damaligen Volkskammer, daß es Gegenstimmen zu einem Gesetz gab.
Sonst wurden fast alle Gesetze 40 Jahre lang mit Einstimmigkeit verabschiedet.
1976 schaffte man in der DDR den Eid des Hippokrates endgültig ab. An seine Stelle trat die Verpflichtung der Ärzte gegenüber der sozialistischen Gesellschaft.
Warum erzähle ich Ihnen das? Ich will Ihnen auf diesem Wege deutlich machen, daß es mir wichtig ist, einen Entwurf vorzulegen, der allen Menschen klarmacht, daß menschliches Leben nicht verfügbar ist und daß wir es in allen Phasen schützen und bewahren müssen. Hier brauchen wir klare Standpunkte. Keine Taktik kann uns helfen.
Sonst sind wir alle auf dem Weg, im dritten Jahrtausend dieses jahrtausendealte Ethos zu verlieren.
Monika Brudlewsky
Es geht hier nicht um einen Kompromiß bei Lohnerhöhungen oder um den Erhalt von Streuobstwiesen oder Kröten, sondern um begonnene Menschenleben, die wir verteidigen wollen, weil sie im Gegensatz zu den Frauen als einzige in dieser Auseinandersetzung nie eine eigene Stimme und wenig Lobby haben.
Die Mehrheit des Volkes braucht noch Zeit zu begreifen. Zu tief sitzt der unverantwortliche und leichtfertige Umgang mit dem Leben im Nationalsozialismus und im Kommunismus.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie müssen zum Schluß kommen.
Einen Satz noch: Ein Entwurf der Initiativgruppe - früher: Heck und Werner, jetzt: Hüppe - ist in diesem Haus seit über 20 Jahren in der Minderheit.
Der Wertewandel in unserem Volk ist sichtbar geworden. Ich hoffe, daß, wenn nicht wir, dann die nächsten Generationen wirkliche Alternativen gegenüber dem Töten von ungeborenen Kindern finden.
Das Wort hat die Kollegin Hanna Wolf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Nolte, zu Beginn meiner Rede möchte ich gerne auf Sie eingehen. Sie hatten beim Antritt Ihres neuen Amtes angekündigt, daß Sie in dieser Frage auf andere zugehen wollten. Ich habe Ihrer heutigen Rede dazu nichts entnommen;
Sie haben sich keinen Schritt in diese Richtung bewegt.
Ich will in dieser Debatte heute ganz speziell auf die Rolle der CSU eingehen; denn sie ist die bestimmende Kraft bei dem CDU- und CSU-Entwurf. Man könnte auch sagen: Wenn es die CSU nicht gäbe, hätten wir diese Debatte heute nicht mehr nötig. Aber die CSU ist da,
und aus Bayern kommt prompt wieder die Drohung mit dem Gang zum Bundesverfassungsgericht - so angekündigt von Parteichef Waigel, von Frau Männle, die leider schon gegangen ist, und von
Ihnen, Frau Eichhorn. Wozu ringen wir hier eigentlich zum wiederholten Male um einen Kompromiß?
Welche Achtung bringen Sie eigentlich der parlamentarischen Arbeit entgegen?
Der erneute Ruf nach dem Verfassungsgericht ist der reine Hohn; denn Entscheidungen des Verfassungsgerichts werden von der CSU immer nur dann anerkannt, wenn sie in deren eigene Ideologie passen. Bei der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums von Familien feilscht doch der Bundesfinanzminister in unerträglicher Weise, um Geld zu sparen.
Was sagt das Verfassungsgericht zur Reform des Abtreibungsrechts? Die Frau soll entscheiden, und die Entscheidung soll ihr durch Hilfen statt durch Strafen erleichtert werden. Sie hingegen setzen weiter auf Strafen.
Die Zeichen von Memmingen stehen wieder an der Wand. In anderen Bundesländern hat man doch keine Ahnung mehr, wie die CSU den alten § 218 in Bayern angewandt hat. Und wie geht sie mit dem neuen § 218 um?
Das Verhältnis der CSU zu Frauen ist von tiefem Mißtrauen geprägt.
Sie können die Frauen zwar nicht mehr bestrafen, aber nun gehen Sie auf ihr Umfeld los. Damit verschärfen Sie den Konflikt der Frauen nur.
Das Dilemma der Frauen im Schwangerschaftskonflikt ist es ja gerade, daß sie nicht nur ihre eigene Situation vor Augen haben. Sie denken ganzheitlich, zum Wohle des geborenen und des werdenden Lebens. Da machen Sie jetzt eine neue Konfliktfront auf. Das ist einfach absurd!
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geis?
Nein, ich möchte jetzt zu Ende reden.
Wo ist eigentlich die kinder- und frauenfreundliche Gesellschaft? Der Anteil der Frauen an der Arbeitslosigkeit wird immer größer. Der Erziehungsurlaub endet oft mit Entlassungen, wie eine neue Untersuchung der Bundesregierung über die neuen Länder belegt. Danach wird - hören Sie gut hin! - jeder zweiten Frau nach dem Erziehungsurlaub oder während dessen gekündigt.
Hanna Wolf
Die CSU hat in Bayern sofort nach dem Karlsruher Urteil die Beratungsstellen unter Kontrolle zu bekommen versucht. Diese mußten sich nochmals schriftlich verpflichten, zum Leben hin zu beraten. Dabei hatten alle bisherigen Anhörungen gezeigt, daß sie das ohnehin schon immer getan haben. Die Verpflichtungserklärungen waren also reine Schikane. Auch hier Mißtrauen, selbst den katholischen Beratungsstellen gegenüber.
- Nein, das Mißtrauen lag darin, daß sie die Verpflichtungserklärung noch einmal schriftlich abgeben mußten. Die Anhörungen haben doch ergeben: Die Beratungsstellen tun ja nichts anderes als genau das.
Ich komme noch einmal auf Bayern zurück. Sie müssen das Karlsruher Urteil auch in dem Punkt erst noch verwirklichen, wo es um flächendeckende Zurverfügungstellung von Beratungsstellen geht. Wie man erfährt, findet das in Mittelfranken keinesfalls statt. Dort haben Sie zwar die Genehmigung gegeben, aber Sie verweigern „Pro familia" und der Inneren Mission die Förderung. Und wenn sie keine Förderung bekommen, gibt es keine Beratungsstellen.
Auch hier tun Sie also nur das, was Ihnen in den Kram paßt.
Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um das Für und Wider in bezug auf Abtreibung. Niemand ist dafür. Es geht um das beste Schutzkonzept. Das Strafkonzept hat versagt. Wir wollen das Hilfekonzept glaubwürdig durchsetzen. Das hat das Verfassungsgericht anerkannt.
Hilfe bedeutet z. B. der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Das ist heute vielfach bestätigt worden. Aber die Unionsparteien verweigern bis heute jede Beteiligung des Bundes an der Umsetzung dieses Rechtsanspruchs.
Geld haben Sie - der Finanzminister ist wieder gegangen - für die steuerliche Absetzbarkeit der Haushaltshilfe und des Gärtners für diejenigen, die sich das leisten können. Für Kindergärten für alle und die Schaffung qualifizierter Arbeitsplätze im Erziehungsbereich haben Sie kein Geld.
Die CSU bekämpft auch das Modell der Ganztagsschule, denn ihr Familienkonzept beruht nur auf der individuellen und nicht auf der gesellschaftlichen Problemlösung.
Das Land Bayern ist beim Thema Rechtsanspruch besonders schlau. Die Bestätigung dafür haben wir heute von Frau Männle bekommen. Es gibt den Rechtsanspruch von vornherein nicht. Durch einen simplen Ressortverteilungstrick hat sich Bayern aus dem Gesetz herausgestohlen. Medienwirksam wird zwar jede Eröffnung eines Kindergartens begangen, besonders vor Wahlen; aber das nützt der Mutter, die für ihr Kind keinen Platz finden kann, überhaupt nichts. Sie wird zur Bittstellerin.
Die Ankündigung der Sozialministerin, daß Bayern diesen Anspruch erfüllen will, hört sich ja gut an; nur gibt es den Rechtsanspruch nicht. Das heißt, in Bayern kann niemand klagen, um diesen Rechtsanspruch durchzusetzen. Gerade das ist aber nötig.
Geradezu Bettlerinnen werden Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch irgendwie finanzieren müssen. Die CSU schickt sie geradewegs zur Sozialhilfe, wo doch eben die Vermeidung des Weges in die Abhängigkeit von der Sozialhilfe ein Motiv von Schwangeren für die Abtreibung sein kann. Der Fünfte Familienbericht und der Armutsbericht der Kirchen bestätigen die Frauen in ihren Befürchtungen: Sozialhilfe lebenslang. Und wer bezahlt die Sozialhilfe? Natürlich wieder die Kommunen. Das ist ein weiterer Faktor von vielen, die die Finanzkraft der Kommunen schwächen.
Auf der anderen Seite sollen die Kommunen bezahlbare Wohnungen bauen. Bezahlbare Wohnungen unterstützen selbstverständlich das Konzept des Schwangerenhilfegesetzes. Aber auch hier ist die Bundesregierung zuwenig oder manchmal fast gar nicht tätig gewesen.
Was die CSU und auch die CDU den Schwangeren an sogenannten Hilfen je nach Wohlwollen durch Stiftungen und Vereine anbietet, macht Frauen letztlich immer zu Almosenempfängerinnen. Diese Hilfen bieten die Unsicherheit des Zufalls und nicht die Sicherheit des Rechts. Darauf lassen sich keine Lebenschancen aufbauen.
Warum rede ich hier soviel vom Geld? Ich tue das, weil der Bundesfinanzminister gleichzeitig auch der CSU-Parteivorsitzende ist, der Vorsitzende der Partei, die sich bei der Abtreibungsreform besonders fundamentalistisch gibt. Merken Sie nicht, wie heuchlerisch es den Frauen vorkommen muß, wenn Sie von dem absoluten Vorrang des eigenständigen Lebensrechts des Kindes reden? Sie glauben nur an Strafe und rücken keinen Millimeter von Ihrer Position ab. Deshalb spreche ich hier von Fundamentalismus.
Dazu paßt, daß zehn Herren von der CSU-Bundestagsfraktion auch noch den völlig indiskutablen, frauenfeindlichen und frauenverachtenden Minderheitenantrag aus der Union unterschrieben haben. Auch das, was wir jetzt gerade von Frau Brudlewsky
Hanna Wolf
gehört haben, erschreckt einen. Was machen Sie sich für ein Bild von Frauen!
- Ja, es erschreckt einen, Herr Hüppe.
Zustände wie in den USA, wo Abtreibungsgegner die Kliniken belagern und Ärzte bedrohen - will das die CSU? Sie hat in Bayern bisher verhindert, daß ambulante Abtreibungen im öffentlichen Krankenhaus stattfinden können. Wo bleibt hier die Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils? Nein, Sie wollen, daß jeder weiß, was die Frau vorhat, die sich in eine bestimmte Privatpraxis begibt: Spießrutenlauf, eine Variante des Strafkonzepts der CSU. Auch die Ärzte werden damit an den Pranger gestellt.
Ich hoffe, daß das Rollback der CSU und der CDU gegen Frauen keine Mehrheit in diesem Parlament bekommt. Ich hoffe auf eine Mehrheit diesseits des Unionsentwurfs. Die Frauen haben den Unionsentwurf nicht verdient.
Meine Damen und Herren von der CSU, für einen erneuten Gang nach Karlsruhe haben Sie nicht den geringsten gesellschaftlichen Konsens. Bedenken Sie bitte, daß Sie damit das Ansehen des Parlaments tiefgreifend beschädigen würden.
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Geis das Wort.
Verehrte Frau Kollegin, wir haben im Jahr 300 000 bis 400 000 Abtreibungen in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben seit 20 Jahren - mit Ausnahme von Memmingen, das Sie so sehr angreifen - überhaupt keine Bestrafung mehr in der Bundesrepublik Deutschland, und trotzdem reden Sie davon, das Strafkonzept habe versagt;
deshalb müsse man zu einem Hilfekonzept übergehen; die Strafe sei eine Verletzung der Würde der Frau.
Wir sind uns aber doch in diesem Haus ansonsten in allen Fällen, sogar im Falle der Vergewaltigung in der Ehe, einig darüber,
daß die Strafe sehr wohl einen Schutzzweck hat. Liegt es, da wir 300 000 bis 400 000 Abtreibungen im Jahr haben - das kann ja nicht geleugnet werden -, wirklich so außerhalb der Welt, auf das Strafrecht zurückzugreifen, wenn es notwendig ist, urn zu verhindern, daß in einer Gesellschaft getötet wird? Ich bitte
Sie ferner, sich selbst die Frage zu stellen, ob es nicht viel richtiger wäre, einmal den Blick auf die 300 000 oder 400 000 getöteten Kinder im Mutterleib zu richten.
- Es ist ja so. Sie kommen nicht um die Tatsache herum, daß wir 300 000 bis 400 000 Abtreibungen im Jahr haben.
- Wissen Sie, Herr Fischer, Sie gerieren sich hier immer wie der letzte chinesische Großmandarin. Jetzt hören Sie doch zu, und lassen Sie mich mal in Ruhe ausreden!
Nein, nein, nicht in Ruhe. Herr Kollege Geis, Sie haben noch 15 Sekunden.
Ich werde mich an die 15 Sekunden halten, wenn Herr Fischer mich nicht stört. Herr Fischer, wenn Sie nur nicht das Gehabe eines Großmoguls hätten, dann könnte man ja mit Ihnen reden.
Ich möchte Sie in den 15 Sekunden, die Sie mir lassen, noch einmal bitten, mit uns, die wir uns Gedanken darüber machen, zu überlegen, ob es nicht richtig ist, auch mit dem Schutzmittel des Strafrechts zu kommen, das seit 20 Jahren keine Anwendung findet, mit der Folge, daß wir 300 000 bis 400 000 Abtreibungen haben.
Kann es nicht erlaubt sein, sich einmal diese Frage zu stellen? Sie sollten sie nicht als so absurd hinstellen, wie das hier geschehen ist.
Herr Kollege Geis, meine Aussage in bezug auf die 15 Sekunden war natürlich nicht so ganz ernst gemeint. Ich wollte Ihnen nur sagen, daß Ihre Redezeit zu Ende ist und daß mich darum Ihre Bemerkung, Sie wollten in Ruhe aussprechen, etwas erschreckt hat.
Die nächste Kurzintervention kommt von der angesprochenen Kollegin Brudlewsky.
Ich bin dahin gehend angesprochen worden, daß ich frauenfeindlich sei. Ich möchte nur sagen: Ich selber bin ja eine Frau. Ich bin froh, eine Frau zu sein, und ich bin glücklich, daß ich Mutter bin. Ich wünsche jeder Frau, daß sie dieses Glück erfahren kann. Ich weiß, daß es viele
Monika Brudlewsky
unglückliche Menschen gibt. Wenn ich die Frau als Hüterin des Lebens bezeichnet habe, so ist das doch logisch; denn Männer können es schlecht sein; wirklich nur wir Frauen können es sein.
Aber ich bin natürlich gegen eines - die Kollegin sagte das in diesem Zusammenhang -: Ich bin gegen jegliche Gewalt gegen Abtreibungskliniken und ähnliche Dinge. Das finde ich natürlich nicht gut; das würde ich auch jederzeit verurteilen. Da darf man uns nicht in einen Topf werfen; das wäre wirklich nicht gut.
Ansonsten verwahre ich mich dagegen, daß ich frauenfeindlich sein soll, nur weil ich mich für das Leben des Kindes einsetze.
Frau Kollegin Wolf, Sie haben die Möglichkeit, darauf zu antworten.
Ich will nur ganz kurz darauf eingehen, weil ich glaube, daß zu diesem Thema schon so viel geschrieben und gesagt wurde. Einige wollen einfach nichts dazulernen und das Drama der Entscheidungen von Frauen nicht sehen.
Herr Geis, es gab schon einmal die Todesstrafe. Das hat Frauen aber nicht daran gehindert, den Schwangerschaftsabbruch machen zu lassen. Bei vielen Frauen hat also die Problematik eine solche Dimension angenommen, daß selbst das nichts genutzt hat. Das Strafkonzept hat also versagt. Im Gegenteil, es hat unglaublich viel Elend über Millionen von Frauen gebracht.
Wenn Sie das immer noch leugnen, erschrecken mich Ihre bodenlose Dickfälligkeit und Härte, daß Sie sich nicht hineindenken können - das muß man einfach zur Kenntnis nehmen -, was Frauen eigentlich dazu bringt, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.
Gerade der Fall Memmingen hat aufgezeigt, in welcher dramatischen Situation sich Frauen, die einen solchen Schritt gegangen sind, befunden haben. Dies hat auch gezeigt, daß Frauen immer verantwortlich darüber nachgedacht haben, ob sie es tun oder nicht tun. Das genau ist das Resultat von Memmingen. Wir aber wollen, daß es nie wieder ein Memmingen gibt. Deswegen ringen wir um diesen Entschluß.
Das Wort hat nun die Abgeordnete Schätzle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Farbmuster in der Politik sind langlebig, meinte diese Woche Renate Köcher als Fazit ihrer Wähleranalyse „Wie nahe stehen sich Parteien?" Entsprechendes, so glaube ich, gilt für die Farbpalette von Meinungen und Vorstellungen zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Sie spiegeln sich heute in der Debatte und auch in den zahlreichen Gesetzentwürfen, die eingebracht wurden, wider. Wer die jahre- und jahrzehntelange Diskussion um die Neuregelung des § 218 miterlebt hat, weiß, wie wenig sich im Meinungsbild der zum Teil sehr kontroversen Diskussionen geändert hat.
Trotzdem muß der erneute Versuch zur Koordinierung der Meinungen gewagt werden, zumal uns das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil die Richtung vorgegeben hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Fraktionen haben sich in der vergangenen Legislaturperiode zum Ziel gesetzt, bei der gesetzlichen Umsetzung des Urteils dieser Richtschnur zu folgen. Manche der heute vorgelegten Gesetzentwürfe gehen den verfassungskonformen Weg nicht - noch nicht.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS möchten den § 218 streichen. Sie beharren auf dem ausschließlichen Selbstbestimmungsrecht von Frauen. SPD und F.D.P. richten das vorgegebene Beratungsziel nur lose am Schutz des ungeborenen Lebens aus und verzichten auf die Strafbarkeit des Umfelds der Frau im Falle der Nötigung.
Schon wird in der Öffentlichkeit die Frage gestellt, ob es nach Abschluß der Beratungen in dieser Legislaturperiode einen erneuten Gang zum Bundesverfassungsgericht geben wird. Ich wünsche mir, daß diese Frage nach Abschluß unserer Beratungen mit
einem klaren Nein beantwortet werden kann.
Unser Koalitionsentwurf lehnt sich zum Teil wortgleich und unverfänglich an die Richtlinien des Bundesverfassungsgerichts an. Wer ihm zustimmt, vermeidet den erneuten Gang nach Karlsruhe.
Uns wurde vorgeworfen, daß CDU und CSU ihren alten Koalitionsentwurf neu eingebracht hätten. Es ist der Gesetzentwurf, der im letzten Jahr eine Mehrheit im Deutschen Bundestag gefunden hat. Von meinen Vorrednern wurde er in allen Einzelheiten dargestellt. Ich kann also darauf verzichten.
Sie haben gesehen: Es gab keinen Farbwechsel. Warum sollte es auch einen geben?
Die Gründe, den alten Koalitionsentwurf erneut einzubringen, liegen auf der Hand:
Erstens. Wir haben unsere Werthaltung nicht geändert. Unsere Wertordnung, die im Grundgesetz festgelegt ist, verpflichtet dazu, menschliches Leben in allen Phasen seiner Existenz zu schützen - auch das
Ortrun Schätzle
ungeborene Leben, weil es menschliches Leben ist, und auch das behinderte Leben; daher die Änderung der embryopathischen Indikation. Wir wollen menschliches Leben nicht zur Disposition stellen.
Zweitens. In diese Schutzpflicht ist auch die Mutter ihrem ungeborenen Kind gegenüber eingebunden. Sie hat - außer in extremen Notfällen - kein Verfügungsrecht über das Leben des Kindes. Ihr Selbstbestimmungsrecht steht nicht über dem Recht des Kindes auf Leben. Daher muß ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als Unrecht angesehen werden und demgemäß auch rechtlich verboten sein.
Drittens. In der Vergangenheit hat das Strafrecht allein nicht bewirkt, die Zahl der Abtreibungen zu reduzieren. Das Strafrecht ist aber unverzichtbar. Doch viel eher bewirken die Umfeldbedingungen der Frau, ob sie das Kind annimmt oder nicht: Entscheidend sind z. B. die Einstellung des Vaters, der Familienangehörigen, des Arbeitgebers zur Schwangerschaft, die Wohnungsfrage, der behandelnde Arzt als Schlüsselperson, die Beratungsstelle, die nicht nur über staatliche Unterstützungsprogramme informieren darf, sondern auch individuelle Konfliktbearbeitung und -aufarbeitung mit konkreten Hilfen anzubieten hat.
Mit unserem Koalitionsantrag haben wir den vom Bundesverfassungsgericht vorgezeichneten Weg einer qualitativen Beratungsregelung eingeschlagen. Sie ist keine Zwangsberatung. Sie hat auch keinen erhobenen Zeigefinger, wie heute behauptet wurde. Sie ist auch kein Verkaufsgespräch; sondern sie ist eine Ziel- und Hilfenberatung, die der Frau die Entscheidungsverantwortung beläßt. Eine solche Beratung scheint uns in einer sehr sensiblen und problembehafteten Lebenslage von Frauen weiterhin das brauchbarste, wirksamste und vielfältigste Angebot von Hilfen an die Frau zu sein, das Kind zu bejahen.
Wir sind der Überzeugung - hier spreche ich auch für die Mehrzahl der Mitglieder der Gruppe von Frauen der CDU/CSU-Fraktion -, daß die Karlsruher Entscheidung über den Weg der Beratungsregelung im Vergleich zu anderen Vorschlägen die Chance eröffnet, auf verfassungskonformer Grundlage einen politischen und gesellschaftlichen Konsens herbeizuführen, Frau Wolf. Es wäre ein Fortschritt im geistigen Einigungsprozeß unseres einst mit unterschiedlichen Rechtsauffassungen ausgestalteten Vaterlandes. Es könnte auch ein Signal für Europa sein, das im Ringen um seine gemeinsamen Wertvorstellungen auf wichtige Impulse nicht verzichten kann.
Im Bericht der Bundesregierung über die Situation von Frauen in Deutschland zur Vorlage bei der diesjährigen Weltfrauenkonferenz wird darauf hingewiesen, daß die in den letzten zehn Jahren durchgeführten Untersuchungen einen zunehmenden Umgang mit Möglichkeiten der Familienplanung ausweisen. Schwangerschaftsabbrüche kommen als Mittel der Familienplanung nicht in Betracht. Ich finde, das sind ermutigende Aussagen. Sie unterstützen die klare Absicht des Karlsruher Urteils, den Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu halten und zu beleben.
Unser Antrag befürwortet deshalb auch rechtzeitige Sexualerziehung, den verantwortlichen Umgang von Männern und Frauen mit Sexualität und die Aufklärung über verantwortete Elternschaft. Der Schwerpunkt muß eher darin liegen, ungewollte und ungeplante Schwangerschaften zu vermeiden, als staatliche Findelhäuser einzurichten, wie es einer der Gesetzentwürfe vorsieht. Ist nicht die Pflegeobhut in § 27 des SGB VIII über das Kinder- und Jugendhilfegesetz geregelt? Auch eine Einwilligung in die Adoption schon bis zum sechsten Monat erklären zu müssen erscheint mir außerordentlich problematisch.
Wenn in der Beratung über bestehende familienfördernde Leistungen und Hilfen für Kinder und Familien informiert werden muß, so sollen sie bewirken, die realen Lebensverhältnisse auf ein Leben mit Kindern einzustellen und zu erleichtern. Ausreichender eigener Wohnraum ist eines der drängendsten Probleme der Schwangeren, wie die Beraterinnen in den Beratungsstellen berichten. Hier sind Änderungen des Wohnungsbindungsgesetzes wichtige Weichenstellungen.
Als unverzichtbar gelten auch die anderen Leistungen, die familienpolitisch veranlaßt wurden, bis hin zur verstärkten Unterstützung von Alleinerziehenden und der Einrichtung der Bundesstiftung Mutter und Kind. „Hätte ich sie nicht gehabt", sagte mir neulich eine junge Frau, „ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre."
Wir müssen deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere soziale und außerfamiliale Rahmenbedingungen verbessern, damit die Akzeptanz von Kindern gefördert wird. Kinder brauchen nicht nur die Akzeptanz von Eltern, sie brauchen die Akzeptanz der Gesellschaft und der Politik.
Als Familienpolitikerin fordere ich deshalb zum Schluß, in den begleitenden familienpolitischen Beratungen zu unserer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs die Leistungen für diejenigen in überschaubarer Weise zu bündeln, die sie in Anspruch nehmen.
Die beabsichtigten Verbesserungen des Familienleistungsausgleichs dürfen auch nur in ein Gesamtkonzept eingehen, denn es dient der Tragfähigkeit des Konzepts und seiner Kinderfreundlichkeit mehr, wenn es konzeptionell und nicht nur finanziell angedacht wird.
Sie müssen zum Schluß kommen, Frau Kollegin.
Die mehrheitliche Zustimmung zu unserem Koalitionsentwurf könnte einen verfassungskonformen Schlußpunkt unter die lang anhaltende Diskussion um den Lebensschutz setzen. Ich wünsche mir, daß sich die weiteren Beratungen in diesem Sinne entwickeln, und lade Sie alle ein, daran mitzuwirken.
Ich erteile der
Kollegin Wieczorek-Zeul das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zum Schluß dieser Debatte vier Anmerkungen machen.
Erstens. Die Debatte heute hat gezeigt, daß es für die Eckpunkte, die der sozialdemokratische Entwurf beinhaltet, eine Mehrheit im Deutschen Bundestag gibt, wenn unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit entschieden wird. Wir fordern Sie auf, wenn die endgültige Entscheidung ansteht, dies so zu gestalten, wie es sich heute mehrheitlich im Deutschen Bundestag abgezeichnet hat.
Die zweite Anmerkung bezieht sich noch einmal auf Finanzierungsregelungen.
Ich denke, es ist deutlich geworden, daß alle, die dem Vorschlag der Sozialdemokratischen Partei zustimmen, wollen, daß Frauen nicht zu Bitt- und Antragstellerinnen auf den Gängen von Sozialämtern gemacht werden.
Wir legen darauf deshalb soviel Wert, weil sich Frauen in dieser Situation in einem besonderen Konflikt befinden. Wenn sie auch noch unter Argusaugen in eine solche Situation geschickt werden, dann ist das zutiefst unchristlich, zutiefst unmenschlich. Wir wollen alles dazu beitragen, daß solche Situationen nicht mehr vorkommen.
Ich habe schon vorhin darauf verwiesen und weise jetzt noch einmal darauf: Es gibt eine Reihe von Bundesländern, die - im Vorgriff auf eine Regelung, die hoffentlich auf Bundesebene kommt - eigene Regelungen in dieser Richtung eingeführt haben. Das Land Hessen hat unmittelbar nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes eine Regelung verwirklicht, die es möglich macht, daß den Krankenkassen und damit den Frauen die entsprechenden Finanzmittel erstattet werden. Das war eine Entscheidung zugunsten der Frauen, die nach wie vor gut angenommen wird. Es ist erschreckend, wenn - wie dies die CDU-Landtagsfraktion im hessischen Landtag beantragt hat - solche Finanzmittel gestrichen werden sollen, weil damit Frauen in Not Finanzmittel entzogen werden. Das ist unakzeptabel, nicht hinnehmbar.
Drittens. Bei manchen Kollegen - auch bei einer Kollegin - hat sich ein erschreckendes Frauenbild gezeigt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte des § 218 - Herr Eylmann ist jetzt nicht mehr da, der hatte da gut reden - ist eine Geschichte der Entwürdigung, der Bevormundung und der Herabsetzung von Frauen.
Wir wollen, daß am Ende dieses Jahrtausends endlich Schluß ist mit dieser Art der Bevormundung, der Entwürdigung und der Abwertung von Frauen.
Manche von Ihnen, die sich fälschlich „Lebensschützer" nennen, haben in Wirklichkeit fundamentalistische Positionen und wollen ihre eigene Gewissensüberzeugung der gesamten Gesellschaft aufzwingen. Das ist entsetzlich.
Wenn man manche von Ihnen hört, dann muß man ja den Eindruck haben, Frauen seien Monster und man müsse die Kinder vor ihnen schützen.
Wie sieht denn die Wirklichkeit in diesem Land aus? Frauen bringen Kinder zur Welt und scheiden dafür aus dem Beruf aus, um die Kinder großzuziehen. Frauen opfern einen Großteil ihrer Karriere und ihrer eigenen Rente. Denn es ist heute immer noch so, daß ihre Rente als Dank für die Kindererziehung am Ende ihres Lebens niedriger ist, verteufelt viel niedriger, als die von Männern. Dafür, daß Sie das tun, haben sie Anerkennung, Lob und gesellschaftliche Finanzierung verdient, nicht Herabwürdigung und Diffamierung.
Es ist eine Beleidigung der Frauen in unserem Land, was ich mir hier heute habe anhören müssen.
Ich bin nicht gewillt, hinzunehmen, daß solche Positionen gegen die Frauen in diesem Lande immer wieder geäußert werden.
- Ich muß Ihnen sagen:
Welcher Mann war jemals in der Situation, wegen der Kindererziehung aus dem Beruf auszuscheiden und eine niedrigere Rente zu bekommen? Die Geschichte in unserem Land und in anderen Ländern zeigt, daß immer die Frauen diese Entscheidung haben treffen müssen.
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Wir wollen dazu beitragen - das ist mein vierter Punkt -, daß es endlich möglich ist, Berufstätigkeit, Familie und Kindererziehung wirklich miteinander zu verbinden, nicht nur, wie bisher, für Männer, sondern auch für Frauen.
Deshalb konstatiere ich: Es gibt im Deutschen Bundestag eine klare Mehrheit dafür, daß das Recht auf Kindergartenerziehung in der terminlichen Festlegung beibehalten und der Zeitdruck, der davon ausgeht, nicht weggenommen wird. Das hat die SPD- Fraktion deutlich gemacht.
Ich appelliere dann aber auch an die christdemokratischen und liberalen Kollegen: Es geht darum, dazu beizutragen, daß er in diesem Jahr verwirklicht werden kann.
Deshalb hat die SPD-Fraktion einen Antrag eingebracht mit dem Ziel, daß sich der Bund an einem Sonderprogramm mit einem Viertel der Kosten beteiligen soll, damit die Finanzmittel den Ländern und Gemeinden zur Verfügung stehen.
Ich sage am Schluß, Herr Finanzminister Waigel: In diesem Land stehen im Zweifelsfall leider Gottes 500 Millionen DM für Fregatten und für andere Rüstungszwecke zur Verfügung.
Tragen Sie endlich dazu bei, daß in unserem Land die Finanzmittel für den Ernstfall eingesetzt werden! Der Ernstfall ist: die Erziehung von Kindern, bezahlbare Wohnungen und Arbeit, auch für alleinerziehende Mütter, damit sie ihre eigene Existenz und die Existenz ihrer Kinder sichern können.
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der in der Tagesordnung genannten Vorlagen an die dort aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung liegt jeweils beim Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ich weise darauf hin, daß wegen der besonderen Bedeutung in diesem Ausschuß ein Unterausschuß gebildet wird, der die Vorlagen beraten wird. Die Gesetzentwürfe der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. auf den Drucksachen 13/268 und 13/ 285 sollen zusätzlich an den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau überwiesen werden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Damit sind wir am Schluß der Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Februar 1995, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.