Rede von
Anke
Eymer
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 erfordert, daß wir uns erneut mit der Neuregelung des Abtreibungsrechts befassen. Dabei gebietet es nicht nur der Respekt vor dem obersten Gericht Deutschlands, daß seine Vorgaben berücksichtigt werden. Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber durchaus Entscheidungsspielräume gelassen. Diese sollten wir auch nutzen.
Anke Eymer
Ich meine, daß es notwendig ist, die Beratungen und Entscheidungen zügig durchzuführen. Die Frauen brauchen nach den jahrelangen Diskussionen endlich Klarheit. Darunter verstehe ich auch, daß wir nicht wieder die gesamte Diskussion von vorne beginnen, sondern uns nur noch mit den offenen Fragen befassen. Es geht jetzt nur noch um drei Punkte: erstens um die Ausgestaltung der Beratung, zweitens um die Einbeziehung des familiären Umfeldes und drittens um die Bedürftigkeitssätze für eine Kostenübernahme sowie die Anrechnung über die Sozialhilfe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger steht zur Entscheidung an.
Einer der schwierigsten Punkte wird hierbei die Regelung der Strafvorschriften für das familiäre oder weitere soziale Umfeld der Schwangeren sein. Das Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, daß zur Pflicht des Staates zum Schutz des ungeborenen Lebens gehört, die Schwangere vor solchen Einflüssen aus dem familiären oder weiteren sozialen Umfeld zu schützen, die der Bereitschaft zum Austragen des Kindes entgegenwirken.
Wie wichtig dem Verfassungsgericht dieser Aspekt ist, wird dadurch deutlich, daß es diesen schon in einem Leitsatz seines Urteils festlegt. Allerdings fordert das Urteil nicht für alles und jedes Strafvorschriften, vielmehr läßt es einen Handlungsspielraum. Diesen Handlungsspielraum sollten wir, meine Damen und Herren, ausloten und nutzen. Hier muß einer der Schwerpunkte der Beratungen in den nächsten Wochen liegen.
Auch aus diesem Grund will ich den Rahmen, den das Bundesverfassungsgericht vorgibt, näher ausleuchten. Ich verstehe das Urteil so, daß es für die Schutzpflicht des Staates nicht ausreicht, sich darauf zu verlassen, daß das familiäre und soziale Umfeld freiwillig eine positive Haltung gegenüber der Schwangeren einnimmt. Vielmehr hält es das Verfassungsgericht für notwendig, die Verhaltensgebote als Rechtsgebote auszugestalten. Allerdings - jetzt zitiere ich wörtlich -: „Dabei ist die Strafandrohung nicht die einzig denkbare Sanktion."
Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht für mich fest, daß wir in vielen Fällen sehr wohl die Möglichkeit haben, auf die Strafandrohung zu verzichten. Dies setzt allerdings voraus, daß es uns gelingt, die Einbeziehung des sozialen Umfeldes in anderer Weise rechtlich verbindlich zu gestalten.
Lediglich für Personen des familiären Umfeldes hält das Gericht in einem bestimmten Umfang Strafvorschriften für unerläßlich. Von dieser Vorschrift müssen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts die Personen aus dem familiären Umfeld der Schwangeren erfaßt sein, die die Schwangere zum Abbruch drängen, und die Personen, die der Schwangeren notwendige Hilfe in verwerflicher Weise vorenthalten.
Für das weitere soziale Umfeld, also z. B. Arbeitgeber und Vermieter, hält das Verfassungsgericht lediglich fest, daß hier zu prüfen ist, ob auch in diesem Bereich bei verwerflichem Verhalten Strafvorschriften erlassen werden sollen. Ich bin der Auffassung, daß wir uns bei der Strafandrohung für das familiäre und soziale Umfeld am unteren Level der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts orientieren sollten; denn Strafe ist nicht geeignet, den Schutz des ungeborenen Lebens zu verbessern.
Ich behaupte sogar, daß Strafvorschriften durchaus geeignet sein können, ein offenes und vertrauensvolles Beratungsgespräch zu gefährden. Ist die Partnerschaft, in der die Schwangere lebt, in Ordnung, wird sie Probleme, die der zukünftige Vater des Kindes mit der Schwangerschaft hat, verschweigen. Sie wird sie verschweigen aus Angst, er könne strafrechtlich verfolgt werden, und das, obwohl die Probleme des Vaters bei offener Beratung vielleicht ausgeräumt werden könnten.
Auf der anderen Seite - auch das sollte man bei den Überlegungen nicht außer acht lassen - besteht die Möglichkeit, daß persönliche Differenzen mit den Mitteln des Strafrechts ausgetragen werden. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was wollen wir da eigentlich den Richterinnen und Richtern zumuten, die darüber entscheiden sollen, ob ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich relevant ist oder nicht?
Sollen sie denn bis ins Detail die persönlichen Verhältnisse der betroffenen Familien durchleuchten? Ich persönlich würde deshalb am liebsten auf die Strafbarkeit für das familiäre und soziale Umfeld ganz verzichten.
Da uns aber das Verfassungsgericht diese Auflage gemacht hat, müssen wir bei der Abfassung der Strafrechtstatbestände darauf achten, daß die strafwürdigen Fälle möglichst eng gefaßt werden. Insoweit geht der Entwurf meiner Fraktion in die richtige Richtung. Er erfaßt zwar Fälle des Bedrängens unterhalb der Nötigungsschwelle des § 240 des Strafgesetzbuches, macht aber gleichzeitig deutlich, daß nur besonders hartnäckige Fälle des Bedrängens gemeint sind, und nicht jede Äußerung über eigene Befindlichkeiten der Personen aus dem familiären Umfeld.
Wichtiger als Strafe ist mir - darauf kann man nicht nachdrücklich genug hinweisen -, daß bei uns weitere Voraussetzungen geschaffen werden, die den Frauen das Ja zum Kind erleichtern.
Dazu gehört für mich die Verwirklichung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab 1996.
Ich halte es für einen Skandal, wenn jetzt die Länderfinanz- und Länderjugendminister, allen voran die aus den SPD-regierten Ländern,
Anke Eymer
den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz aus Kostengründen auf das Jahr 1999 verschieben wollen.
Diese Haltung ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, die sich entschieden haben, Kinder großzuziehen. Sie ist auch ein Schlag ins Gesicht der Länder, die schon jetzt den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz per Landesgesetz geregelt haben.
Dies ist immerhin z. B. in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Rheinland-Pfalz der Fall. Statt hier lange über die Kosten zu lamentieren, sollte man lieber überlegen, wie ein bedarfsgerechter Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen in Kindergärten erreicht werden kann.
Muß denn der Bau eines Kindergartens für 30 Plätze 4 Millionen DM kosten? Ich meine: nein.
Gesetze, Verordnungen und Richtlinien für den Bau und die Erhaltung eines Kindergartens gehören gnadenlos auf den Prüfstand. Es geht nicht darum, Standards heraufzusetzen, sondern Plätze zu schaffen. Es geht nicht um Perfektionismus, sondern um vernünftige Kinderbetreuungsplätze.
Lassen Sie mich zum Thema Kosten und Finanzierung noch eines sagen: Der Bundesrat hat gegen die Stimme nur eines Landes dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zugestimmt. Er war sich dabei der Kosten wohl bewußt. Der Bund hat seinen Beitrag hierzu geleistet, indem er im Rahmen der Neuregelung des Finanzausgleichs den Länderanteil am Umsatzsteueraufkommen erhöht hat, und zwar um immerhin 7 Prozentpunkte von 37 % auf 44 %. Das sind jährlich zusätzlich 16,8 Milliarden DM. Diese Neuregelung greift schon ab dem 1. Januar 1995.
Das ist nicht die einzige Verbesserung für die Länder im Rahmen des Finanzausgleichs. Dabei war die Frage, wie die Kommunen den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umsetzen können, ein Teil dieses Bund-Länder-Finanzausgleichs.
Es kann aber nicht sein, daß die Länder zunächst Mehreinnahmen einstecken und deshalb dem Rechtsanspruch zustimmen, um dann erneut einen Nachschlag aus der Bundeskasse zu fordern.
Wenn wir es mit dem Angebot ernst meinen, schwangeren Frauen in Konfliktsituationen zu helfen, dann darf es kein Wanken in der Frage des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz geben. Ich könnte mir allerdings vorstellen, daß man die Situation für die Kommunen dadurch entschärft, daß für Kinder ab dem vollendeten 5. Lebensjahr bis zur Schulpflicht ein Vorschuljahr eingeführt wird. Eine solche Lösung hätte den Vorteil, daß vorhandener Schulraum und vorhandenes Personal genutzt werden könnten.
Statt am Rechtsanspruch auf Betreuung - wie man den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz natürlich auch nennen könnte - zu rütteln, sollten wir lieber Phantasie beweisen.
Für mich steht außer Frage, daß wir den Weg, den Frauen das Ja zum Kind zu erleichtern, weiter beschreiten müssen. Daß dieser Weg ein Bestandteil der Schutzpflicht des Staates gegenüber dem ungeborenen Leben ist, hat das Verfassungsgericht festgeschrieben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam in den nächsten Wochen die noch offenen Fragen klären und schnell Klarheit für die Frauen schaffen; denn auch das ist praktizierter Lebensschutz.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.