Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Es muß doch merkwürdig berühren, daß unter so vielen errungenen Rechten eben dieses eine Grundrecht der Frau, das auf ihren eigenen Körper, abgelehnt wird und nicht sein soll ... So wenig es für den Mann einen Zwang zur Zeugung gibt, so wenig darf die Frau zum Gebären gezwungen werden."
Diese Worte, meine Damen und Herren, stammen nicht von heute oder gestern, sondern aus dem Jahre 1931. Geschrieben wurden sie von der Ärztin Else Kienle, die in ihrer Stuttgarter Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchführte und dafür ins Gefängnis mußte. Ihr Kollege Friedrich Wolf tröstete sie damals damit, daß „man nach 20 Jahren an den § 218 denken würde wie an einen unmöglichen Traum."
Hätte er doch recht gehabt!
Heute, im Jahre 1995, sind wir aus diesem Traum immer noch nicht aufgewacht, vielmehr ist die rechtliche Situation dazu angetan, den Frauen in diesem Land Alpträume zu bereiten.
Der Bundestag berät heute zum drittenmal innerhalb von zwei Jahren über die dringend anstehende Reform der Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Frauen und Beratungsstellen erwarten von uns, daß endlich Schluß gemacht wird mit der Verunsicherung, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und die Übergangsregelung hervorgerufen wurde.
Auch wenn es ein langer und zermürbender Kampf ist: Uns hilft weder, das Urteil schönzureden, noch, den Kopf in den Sand zu stecken.
Viele fragen, warum auch wir als GRÜNE einen Gesetzentwurf einbringen, wo wir doch bekannte Kämpferinnen für die Streichung des Paragraphen sind. Für mich ist das kein Widerspruch. Ich habe immer auf zwei Ebenen gegen § 218 gekämpft: zum einen für die Streichung und zum anderen für jede nur mögliche konkrete Verbesserung für die betroffenen Frauen.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich entschieden, den geringen Spielraum, den das Urteil läßt, mit einem eigenen Gesetzentwurf auszuloten. In unseren Entwurf fließen die Erfahrungen mit der vom Bundesverfassungsgericht erlassenen Übergangsregelung ein. Ich möchte hier auf drei Punkte eingehen: auf die Auswirkungen für die Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen, auf die Beratungssituation und auf die Hilfen für ein Leben mit Kindern.
Die Situation der Frauen hat sich durch die Übergangsregelung weiter verschlechtert. Den Frauen im Westen der Republik wird weiterhin das Recht auf
Rita Grießhaber
Selbstbestimmung und Menschenwürde abgesprochen. Die Frauen in Ostdeutschland waren gewohnt, mit den Möglichkeiten, die die Fristenregelung in der ehemaligen DDR bot, sehr verantwortungsvoll umzugehen. Ihre Hoffnung, daß die im Einigungsvertrag vereinbarte Weitergeltung des Rechts der DDR ein Modell für die gesetzliche Regelung in der gesamten Republik sein würde, ist zunichte gemacht worden.
In der Bundesrepublik hat die Übergangsregelung Verunsicherung und große Schwierigkeiten gebracht. Je nachdem, in welchem Bundesland eine Frau wohnt, ist sie mit unterschiedlichen Handhabungen der rechtlichen Bestimmungen konfrontiert. Eine Frau in Berlin kann unter Beratungsstellen unterschiedlicher Ausrichtung und unter Abbrucheinrichtungen wählen, während eine Frau aus BadenWürttemberg immer noch nach Hessen fahren muß, um eine Abbruchmöglichkeit zu finden. Einer Frau in Sachsen stehen, obwohl die Mehrheit in diesem Bundesland nicht konfessionell gebunden ist, fast nur kirchliche Beratungsangebote zur Verfügung. Und wer sich umhört, wird mitbekommen, daß viele Frauen wieder nach Holland fahren. Die gestern vielbeschworene EG-Harmonisierung läßt grüßen.
Die Regelungen zur Finanzierung eines Schwangerschaftsabbruchs führten in manchen Bundesländern ein vergessen geglaubtes Zweiklassenrecht wieder ein und öffneten horrenden Honorarforderungen Tür und Tor.
Was die Beratung betrifft, so klagen viele Beratungsstellen darüber, daß sehr viel Zeit damit verlorengeht, den ratsuchenden Frauen zu erklären, unter welchen Voraussetzungen sie von welcher Stelle finanzielle Unterstützung erhalten können.
Ein Schwerpunkt des 1992 verabschiedeten Schwangeren- und Familienhilfegesetzes sollte die Verbesserung von Aufklärung und Prävention sein. Wenn ich einmal davon ausgehe, daß dieses Ziel nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch Bestand hat, dann frage ich die Regierung, wie Sie, meine Damen und Herren, an einem Haushalt festhalten können, in dem zur Aufklärung nach diesem Gesetz statt der vorgesehenen und dringend benötigten 20 Millionen DM nur 6 Millionen DM eingestellt sind. Und das mit der sehr überzeugenden Begründung, das Geld würde wohl gebraucht, es sei aber nicht genügend Personal vorhanden. Welch ein Zynismus!
Auch was die Hilfen für ein Leben mit Kindern angeht, sind den vollmundigen Worten eigentlich nur Unterlassungssünden gefolgt. Nur kann man in diesem Zusammenhang wirklich nicht von läßlichen Sünden reden. Alle Beschwörungen, Frau Eichhorn, ändern das nicht. Wenn sich eine Frau in diesem Land auf etwas verlassen kann, dann darauf, daß die Hilfen für ein Leben mit Kindern zur wohlfeilen Verschiebemasse gehören und daß sie im Ernstfall mit ihrem Problem allein gelassen wird.
An dieser Stelle möchte ich auch etwas zu den vorliegenden Anträgen zur Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz sagen. Die CDU/CSU verweist in höchst unseriöser Weise darauf, daß der Anteil der Länder an der Umsatzsteuer ab 1995 44 % statt bisher 37 % beträgt. Sie wissen genau, Frau Eichhorn, daß diese Erhöhung eingeführt wurde, weil ab 1995 die neuen Bundesländer in den Länderfinanzausgleich gekommen sind. Diese Erhöhung hat nichts mit Mitteln für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz zu tun.
Die SPD kommt mit ihrem Antrag auf einen zweckgebundenen Investitionskostenzuschuß für Kindergärten einer Lösung des Problems schon wesentlich näher. Nur frage ich mich, warum Sie das Programm zeitlich befristen wollen. Wir alle wissen doch, daß bei wichtigen Infrastrukturmaßnahmen Bundeshilfen durchaus üblich sind. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Da klappt so etwas.
Wir stehen voll zur Garantie des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz. Wir wissen aber auch, daß Kinder nicht mit drei Jahren vom Himmel fallen und auch nicht mit sechs Jahren einer Grundschule überlassen werden können, die vielerorts nicht einmal eine voll funktionsfähige Halbtagsschule ist.
Ich stelle fest: Es gab vollmundige Versprechungen. Die Hilfen lassen auf sich warten, und die Angst vor weiteren Verschärfungen ist groß. Die gültige Übergangsregelung zum Schwangerschaftsabbruch hat zu einer Verunsicherung von Frauen, Beratungsstellen sowie von Ärztinnen und Ärzten geführt.
Wir Bündnisgrünen haben daraus die Konsequenz gezogen und legen ein Gesetz vor, das die Rechte der Frauen eindeutig benennt und das Prinzip Hilfe statt Strafe verankert. Wir müssen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf Grund unseres Verfassungsverständnisses hinnehmen. Aber, Herr Lanfermann, wir müssen nicht die Lebensschützersprache übernehmen.
Alle bisherigen Anhörungen haben ergeben, daß wirklicher Rat nur ohne Sanktionsandrohungen möglich ist. Ich frage Sie: Was hat die Regelung der Beratung im Strafrecht zu suchen? Die vom Verfassungsgericht ermöglichte Konstruktion des Tatbestands-
Rita Grießhaber
ausschlusses schreibt vor, daß Beratung stattzufinden hat. Aber die fachlichen Vorgaben an ein Beratungsgespräch haben in einem modernen Rechtsstaat wirklich nichts im Strafrecht verloren.
Eine Gesellschaft, die auf mündige Bürgerinnen und Bürger setzt und die echte Hilfe leisten will, muß in einer Frage, die so massiv in die Lebensplanung eingreift, die Rechte der betroffenen Frauen klar und eindeutig festschreiben. Wir wollen ein Gesetz, das Frauen und Männer bei der Vermeidung von ungewollten Schwangerschaften durch Aufklärung und Information unterstützt und der Verhütung einen anderen Stellenwert einräumt.
Das heißt für uns: Frauen muß ein wohnortnahes, plurales Beratungsangebot zur Verfügung stehen. Die Beratung bei einer ungewollten Schwangerschaft muß eine eigenverantwortliche Entscheidung der Frau gewährleisten. Wir wollen ein Recht auf Anonymität und Datenschutz verankern. Dritte dürfen nur mit Einverständnis der Frau zur Beratung hinzugezogen werden. Wir wollen - auch das ist nicht überall gewährleistet - ausreichend stationäre und ambulante Einrichtungen, in denen schonende Abbruchmethoden praktiziert und nicht wehenauslösende Hormone verabreicht werden. Die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen muß über die Krankenkassen abgewickelt werden.
Da, Herr Lanfermann, haben Sie leider die neueste Version unseres Entwurfs nicht gelesen, obwohl wir sehr gut zwischen einer Indikation, die einen Abbruch erlaubt und der Geltendmachung einer Notlage unterscheiden können. Aber das haben wir herausgenommen, um konsensfähiger zu werden. Wir wollen verhindern, daß eine Schwangerschaft abbrechende Ärzte oder Ärztinnen sowie das familiäre Umfeld durch Strafandrohungen verunsichert werden.
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen: Im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Reform des § 218 wird immer wieder die Befürchtung geäußert, daß die sogenannten Lebensschützer wieder nach Karlsruhe ziehen werden, um ein fortschrittlicheres Gesetz zu verhindern.
- Wenn Sie diese Äußerung gerne ohne den Zusatz „sogenannt" haben möchten, so habe ich nichts dagegen. — Dies, meine Damen und Herren, Herr Lanfermann, wäre hundertprozentig nur auszuschließen, wenn wir alle den von diesem Kreis vorgelegten Gesetzentwurf unterschreiben würden. Das kann ja wohl nicht unsere Politik sein!
Es fällt schwer, sich 1995 noch ernsthaft mit einem Gesetz von 1871 auseinanderzusetzen. Aber wer die Frauen nicht im Stich lassen will, muß in der jetzt gegebenen Situation ein Gesetz einbringen, das Bestand haben kann. Unsere Fraktion hat großes Interesse daran, Mehrheiten zu finden, die gewillt sind, mit uns alle vorhandenen Spielräume für die Frauen auszuloten. Wer nichts wagt, gewinnt nichts. Die Frauen haben in diesem Land schon genug verloren. Wagen wir es also noch einmal! Unser Gesetzentwurf bietet eine gute Grundlage dafür.
Vielen Dank.