Rede von
Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(F.D.P.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Eymer, Ihre Rede hat - zu Recht - eine sich anschließende Debatte über den Anspruch auf einen Kindergartenplatz ausgelöst. Und hier geht es nicht darum, Rechthaberei zu betreiben und aufzurechnen, wer mehr oder wer weniger getan hat. Vielmehr geht es darum, deutlich zu machen, daß der Anspruch auf einen Kindergartenplatz ein ganz wesentliches Element des Schutzkonzepts ist, das durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts für verfassungskonform erklärt worden ist.
Wir müssen alles vermeiden, daß wir eine Säule, einen wichtigen Mosaikstein hier herausbrechen und damit insgesamt den einmal so richtig beschrittenen Weg in seiner Vollendung gefährden.
Ich möchte aber auch meinen Respekt vor Ihren sehr nachdenklichen Worten, Frau Eymer, deutlich machen. Das zeigt, daß es bei der Frage, wie denn die Regelung über den Schwangerschaftsabbruch abschließend ausgestaltet sein soll, wirklich um eine Gewissensentscheidung geht, mit der es sich niemand hier im Hause leichtmacht. Ich bin froh, daß die Fraktionen und Gruppen ihre Meinungen hier so offen vortragen.
Ich möchte noch einiges zu dem F.D.P.-Entwurf sagen. Wir haben - aus guten Gründen und wohlüberlegt - hier einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der in einigen Punkten von dem Kompromiß abweicht, der in der letzten Legislaturperiode in den Koalitionsfraktionen gefunden worden war. Wir haben es uns auch mit diesem Entwurf nicht leichtgemacht, sondern sehr intensiv überlegt und die entscheidenden Punkte sehr gründlich gegeneinander abgewogen. Wir sind der Meinung, daß wir die vom
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom Mai 1993 eröffneten Gestaltungsspielräume voll genutzt haben, sie ausschöpfen, sie aber auch nicht überschreiten.
Ich möchte hier an alle appellieren, daß wir wirklich alles tun, daß der souveräne Gesetzgeber Bundestag eine Regelung verabschiedet, die letztendlich nicht wieder zur verfassungsrechtlichen Beanstandung führt.
Ich glaube, das ist wichtig im Interesse der Glaubwürdigkeit und auch der Gestaltungskraft und -fähigkeit der Politik.
Wichtig ist auch, daß das Gesetz von den betroffenen Frauen, die sich in einer schweren Konfliktsituation befinden, angenommen wird, Denn nur dann kann es die ihm zugedachte Aufgabe Schutz des ungeborenen Lebens erfüllen. Mit den Worten „Zweiheit in Einheit" hat das Bundesverfassungsgericht das Verhältnis von Mutter und Ungeborenem bezeichnet und damit die enge Verbindung, aber auch die Verantwortung der Mutter deutlich gemacht.
Deshalb steht im Mittelpunkt unserer Regelung nach wie vor die Vorschrift über die Beratung. Für uns heißt Beratungsregelung, daß die Eigenverantwortung der Frau genauso respektiert wird wie der Schutz des ungeborenen Lebens. Nur mit der Frau gemeinsam, mit Hilfen, die wir ihr geben, mit einer Beratung frei von Zwängen kann das ungeborene Leben durch das Beratungskonzept wirksam geschützt werden.
Unser Gesetzentwurf stellt deshalb bei den Vorschriften über die Beratung deutlicher als der bisherige Koalitionsentwurf die Eigenverantwortlichkeit der Frau heraus. Eigenverantwortlichkeit bedeutet, daß nach dem Beratungskonzept die Frau keiner weiteren Instanz mehr verantwortlich ist. Aber es wird damit nicht in Frage gestellt, daß gerade sie eine besondere Verantwortung für das ungeborene Leben hat.
Das Ziel und die Aufgabe der Beratung stehen deshalb nach wie vor und im Gegensatz beispielsweise zum jetzt vorliegenden Entwurf der SPD, der zu sehr dem bloßen Informationscharakter der Beratung anhängt, deutlich im Vordergrund. So sieht unser Entwurf eine möglichst auf den konkreten Schwangerschaftskonflikt bezogene Beratung vor, in der, falls auch das erforderlich ist, die Bewertungsmaßstäbe hinsichtlich des Schutzes des Lebens insgesamt, wie sie in unserer Verantwortung verankert sind, vermittelt werden. Ich glaube, daß gerade auf diesen Gesichtspunkt die anderen Regelungen, die hier heute vorliegen, noch nicht in jedem Fall ausreichend Rücksicht nehmen.
Wohl selten sind Urteil und Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts so intensiv hin und her interpretiert worden wie das letzte Urteil vom Mai 1993. Ich glaube, es ist nicht vermessen, wenn ich sage, daß das Urteil selbst und sein Begründungstext von 164 Seiten sowie die beiden abweichenden Meinungen die außerordentlich großen Schwierigkeiten widerspiegeln, die sich auch bei der verfassungsgerichtlichen Bewertung dabei ergeben haben, die richtige Balance zwischen der tatsächlichen und rechtlich nicht aufhebbaren Eigenverantwortlichkeit der schwangeren Frau und dem Schutzanspruch des ungeborenen Lebens zu halten.
Dies gilt auch und nicht zuletzt für die Frage, ob und inwieweit Personen des familiären Umfeldes mit einem eigens zu schaffenden Straftatbestand bedroht werden sollen und können, wenn sie die schwangere Frau zu einem Abbruch drängen.
Es mag dahinstehen, ob ein solcher eigens zu schaffender Straftatbestand für Personen des nahen und fernen sozialen Umfelds der Schwangeren vom Verfassungsrecht zwingend vorgeschrieben ist oder nicht. Die nicht völlig widerspruchsfreie Urteilsbegründung läßt - da sind sich fast alle mit der Materie vertrauten Analytiker einig - unterschiedliche Interpretationen durchaus zu.
Wesentlich ist für den Gesetzgeber doch die Frage, ob ein wie auch immer formulierter Sonderstraftatbestand dem Oberziel einer verfassungskonformen Abtreibungsregelung entspricht, nämlich den Schutz des ungeborenen Lebens in Anerkennung der weder faktisch noch juristisch und erst recht nicht ethisch hintergehbaren letztlichen Eigenverantwortlichkeit der schwangeren Frau zu gewährleisten.
Geleitet von diesem verfassungsrechtlich vorgegebenen und in der Verfassungskonformität der Beratungslösung insgesamt zum Ausdruck kommenden Ziel, verzichtet unser Gesetzentwurf ganz bewußt darauf, einen solchen Sonderstraftatbestand zu schaffen.
Unser Vorschlag geht vielmehr davon aus, daß mit der Schaffung besonderer Strafbestimmungen für das familiäre und soziale Umfeld der schwangeren Frau im Kern Handlungen erfaßt würden, die bereits nach geltendem Recht als Nötigung strafbar sind.
Wichtiger ist uns aber, daß die mit der Schaffung von Sonderstraftatbeständen einhergehenden Befürchtungen der schwangeren Frau, im Rahmen des Beratungsgesprächs Personen ihres näheren und weiteren Umfelds strafrechtlich bedeutsam zu belasten, fast zwangsläufig dazu führen würden, daß die zu beratende Frau ihre ohnehin schwierige Zwangslage nicht oder aber nur ganz verkürzt offenbaren würde.
Damit aber droht die präventiv als Verstärkung des Lebensschutzes gedachte besondere Strafandrohung sich gerade in ihr Gegenteil zu verkehren; denn die ausdrücklich dem Schutz des ungeborenen Lebens dienende Beratung wird um so erfolgreicher sein, je offener die schwangere Frau ihre Nöte und Zwänge zu offenbaren tatsächlich bereit ist.
Deshalb brauchen wir vernünftige Rahmenbedingungen für eine offene und von Vertrauen geprägte Gesprächsatmosphäre, in der, wie auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich sagt, gewährleistet ist, daß die schwangere Frau alle Umstände mitteilt, derentwegen sie einen Abbruch der Schwanger-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
schaft erwägt. Deshalb verzichten wir hier auf eine besondere Strafbestimmung nicht deshalb, weil wir etwa nicht in den Mittelpunkt unseres Konzepts den Schutz des ungeborenen Lebens stellen, sondern weil wir nach ganz sorgfältiger Abwägung zu dem Ergebnis gekommen sind, daß die strafrechtliche Relevanz einer solchen Bestimmung praktisch bedeutungslos wäre.
Wir wollen eben nicht, daß dieses Schutzkonzept noch einmal durch Regelungen, die gerade das Gegenteil bewirken, an einer weiteren sicheren Säule gefährdet wird. Wahrscheinlich werden in einer nochmaligen Anhörung zu diesen schwierigen Fragen am Ende die skeptischen Stimmen gegen einen Sonderstraftatbestand genauso laut sein, wie wir es schon in der vergangenen Legislaturperiode erlebt haben.
Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich gerade diejenigen, die noch Vorbehalte in dieser Richtung haben, sehr gründlich zu überlegen und nachzudenken, ob sie nicht diesen Weg, der in diesem Hause zu einer breiten Mehrheit führen kann, beschreiten können.
Recht herzlichen Dank.