Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wieder einmal müssen wir uns mit dem Schwangerschaftskonflikt beschäftigen. Daß wir seit Jahrzehnten so zäh darum ringen, zeigt, daß es sich um einen ethischen Grundkonflikt, aber mehr noch um ein gesellschaftliches Problem handelt. Immer noch sind Kinder und Frauen die Verlierer dieser Gesellschaft.
Die Auseinandersetzungen um die Regelung dieses unlösbaren Konflikts waren trotz mancher schriller Töne im letzten Bundestag im großen und ganzen durch gegenseitiges Verständnis und den Versuch, aufeinander zuzugehen, gekennzeichnet. Ich denke, die vorliegenden Gesetzentwürfe zeigen, daß dieser Versuch auch Früchte trägt.
Ich will einmal von zwei Entwürfen absehen, erstens von dem Entwurf des Abgeordneten Hüppe und weiterer Abgeordneter, der nicht einmal das Reichsgerichtsurteil von 1927 für ethisch vertretbar ansieht und mit einem Frauenbild aufwartet, das sicher nicht verfassungskonform ist.
Aber auch der Entwurf der PDS zeigt einen eklatanten Mangel an Verantwortungsbewußtsein. Nach dem Motto „Manche Dramen haben drei Akte; wir sind beim dritten Akt; jetzt fügen wir noch ein Possenspiel an" stellt sich die PDS außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung,
ohne sich ein Jota um die Belange der Frauen in Deutschland und insbesondere in Ostdeutschland zu kümmern.
Wenn Sie die Interessen der Bürgerinnen so wahrnehmen, dann kann ich die Frauen vor Ihnen nur warnen. Das ist nicht nostalgisch. So etwas stand auch in der DDR-Verfassung nicht. Das ist schlicht verantwortungslos.
Alle anderen Entwürfe gehen von dem vom Verfassungsgericht bestätigten Beratungskonzept aus, nach dem die Frau die letzte Entscheidung trifft. Dabei sind insbesondere SPD, F.D.P. und GRÜNE aufeinander zugegangen, haben die Diskussionen der letzten Legislaturperiode, der Schlußphase im September 1994 im Vermittlungsausschuß und die Expertenanhörungen verarbeitet und eingearbeitet. Den Entschließungsantrag der GRÜNEN betrachte ich einmal als fundamentalistisches Feigenblatt für eine im übrigen erfreulich pragmatische Politik.
Ich sehe deshalb Chancen, zu einer Mehrheitsfindung zu kommen, die sowohl dem Bundesverfassungsgerichtsurteil Rechnung trägt als auch die Spielräume zugunsten der Frauen nutzt und letztlich das Beratungskonzept zum Schutz des werdenden Lebens und zur Wahrung der Würde der Frau ausgestaltet.
Dabei unterstreichen wir die zentrale Forderung des Bundesverfassungsgerichts, die die Gleichstellung von Frau und Mann und die vom Staat zu schaffende Vereinbarkeit von Beruf und Familie als zwingende Voraussetzungen für den wirksamen Lebensschutz ansieht. Wir wissen, daß das Schwangeren- und Familienhilfegesetz in seinen sozialen Maßnahmen nicht ausreicht und Schritt für Schritt verbessert werden muß.
Inge Wettig-Danielmeier
Das Recht auf einen Kindergartenplatz kann nicht in Frage gestellt werden.
Im Bundestag wird es für eine Verschiebung des Rechts auf einen Kindergartenplatz in keiner Fraktion eine Mehrheit geben.
Aber wir müssen uns auch überlegen, wie es weitergehen soll mit der Kinderbetreuung für alle Kinder und wie Bund, Länder und Kommunen gemeinsam diese Aufgabe angehen können, ohne sich ständig gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuspielen. Jahrzehntelang haben wir für die Gleichstellung gestritten, haben Kinderbetreuung, Kindergärten und Ganztagsschulen als notwendige Schritte gefordert und sind doch als Frauen hier im Vergleich zu denen in anderen Ländern wenig erfolgreich gewesen. In diesem Punkt ist das Bundesverfassungsgerichtsurteil ein Fortschritt, den wir nutzen werden. Beim Recht auf einen Kindergartenplatz werden wir nicht stehenbleiben.
Wir wollen einen möglichst breiten Konsens erreichen. Das schließt für mich auch die Union oder die Mehrheit der Union ein. Ich sage ehrlich, daß ich von Ihrem Entwurf, meine Damen und Herren von der Union, enttäuscht bin.
Wenn wir zueinanderkommen wollen, müssen Sie sich bewegen.
Sie haben aus dem, was wir im letzten Jahr diskutiert und erstritten haben, wenig gelernt. Ihr Entwurf bleibt im Januar 1994 stehen und tut so, als hätte es die Diskussionen im Plenum, im Vermittlungsausschuß und in der Anhörung nicht gegeben. Ihre Schwierigkeiten mit dem Beratungsziel kann ich nachvollziehen, wenn auch nicht billigen. Ich meine immer noch, Sie denken auch in Ihrem Sinne zu kurz, wenn Sie die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Frau so einengen, wenn Sie immer noch auf den erhobenen Zeigefinger setzen.
Ganz schwer tue ich mich aber, wenn ich Ihre Neuauflage der Bestrafung des familiären Umfeldes und die Finanzregelung verstehen soll. Wir haben in den Expertenanhörungen gelernt und in der Vermittlungsrunde erfahren: Es gibt keine praktikablen Vorstellungen für die Bestrafung. Der Erzeuger kann sich dem Strafrechtsdruck allemal entziehen; Liebe ist nicht erzwingbar. Arbeitgeber, Freundinnen und Freunde sind nicht wirklich betroffen. Die Eltern der Schwangeren könnten im Ausnahmefall mit Klagen rechnen; sie würden in der Regel jedoch nicht bestraft. Alle Ihre Vorstellungen greifen nicht.
Aber die Strafvorschriften haben leider einen anderen Effekt als die berühmte weiße Salbe. Der Nebeneffekt dieser monströsen Strafvorschriften ist zerstörtes, in Frage gestelltes Vertrauen, Vertrauen, das dringend notwendig ist, wenn wir den Schutz werdenden Lebens wirklich ernst nehmen.
Sie stellen das auf Offenheit und Vertrauen ausgerichtete Beratungskonzept in Frage. Ich denke, hier können wir den Worten des Urteils nicht auf Punkt und Komma folgen; das wäre nicht vernünftig.
Wir wissen sehr wohl, wie wichtig die Umgebung der Frau für ihre Entscheidung ist. Dieses Umfeld, die Freundinnen, Arbeitgeber, Eltern und Partner, müssen wir davon überzeugen, daß sie Verantwortung tragen. Wir müssen das gesellschaftliche Klima und die gesellschaftlichen Bedingungen ändern. Das Strafrecht hat hier nichts zu suchen.
Ebensowenig sehen wir ein, warum nach den Vorstellungen der Union Ärzte und Ärztinnen, die sich die Gründe für den Schwangerschaftsabbruch nicht darlegen lassen, bestraft werden sollen. Wenn wir in der Beratung aus guten Gründen auf den Zwang zur Begründung eines Schwangerschaftsabbruchs verzichten, ist es kontraproduktiv, die Frauen zur Darlegung ihrer Gründe vor dem Arzt zu zwingen.
Das Finanzierungsmodell der Union wird in diesem Bundestag keine Mehrheit finden. Deshalb sollten Sie es schnellstens fallen lassen.
Die SPD hat von Anfang an gesagt: Wir dürfen die Frau in einer ihrer schwierigsten Lagen nicht auf das Sozialamt verweisen. Deshalb freue ich mich, daß sich eine deutliche Mehrheit dieses Parlaments dafür ausspricht, die Finanzierung des Schwangerschaftsabbruchs über die Krankenkassen zu regeln
und eine Bedürftigkeitsgrenze festzusetzen, die der besonderen Situation der Frau angemessen ist.
Sie wissen, daß wir uns im Jahre 1994 zunächst für eine Bruttoerfassung der Bedürftigkeitsgrenze ausgesprochen haben, wie es auch jetzt noch die Mehrheit der Länder tut. Das ist zweifellos das einfachste und unbürokratischste Verfahren. Wir haben aber auch die Argumente der anderen gehört und die Ergebnisse der Expertenanhörungen einbezogen, die deutlich gemacht haben, daß eine Nettoberechnung insbesondere Alleinerziehende besserstellt. Wir meinen, daß mit einer Nettoeinkommensgrenze von 1 900 DM zuzüglich 400 DM Zuschlag pro Kind und zusätzlichem Wohngeld die wirklichen Problemfälle gelöst würden. Wir sind hier nicht dogmatisch. Wir wollen das, was den Frauen am ehesten nutzt.
Inge Wettig-Danielmeier
Daß wir bei der Finanzierung insgesamt über das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht glücklich sind, brauche ich, so glaube ich, hier nicht besonders anzumerken. Auch wenn wir alles tun, um die Regelung für die Frauen so unbürokratisch wie möglich zu machen, müssen wir eine Bürokratie entwickeln, die für niemanden hilfreich ist.
Im Sinne des Beratungskonzepts haben wir, anders als noch in unserem Entwurf von 1994, vollständig auf die Sonderbestrafung des familiären Umfelds verzichtet. Wir freuen uns, daß auch die F.D.P. diesen Schritt gegangen ist. Die Nötigung zum Schwangerschaftsabbruch ist schon jetzt in allen Fällen strafbar, im Zweifel auch dann, wenn es sich um Familienmitglieder handelt. Das reicht.
Ich denke, am schwersten tun wir uns alle mit dem Beratungsziel. Ich halte fest, was allen ernst zu nehmenden Entwürfen gemeinsam ist: Alle wollen werdendes Leben schützen. Alle wollen, daß sich Frauen nicht wegen äußerer Gründe zum Schwangerschaftsabbruch genötigt oder getrieben sehen. Wir Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen sind überzeugt, daß wir nur, wenn wir das Selbstbewußtsein der Frau stärken, uns mit ihr beratschlagen und sie informieren, zu der Offenheit kommen, die für eine verantwortliche Entscheidung notwendig ist.
Sie von der Union schüchtern die Frau ein, machen ihr ein schlechtes Gewissen. Der Konflikt wird so unerträglich und nicht auflösbar. Die Würde der Frau bleibt auf der Strecke. So können Sie das werdende Leben nicht schützen.
Ich bin zutiefst überzeugt: Ohne das Selbstbestimmungsrecht und die Eigenverantwortung der Frau kann das werdende Leben nicht geschützt werden. Beides gehört untrennbar zusammen. Wer die Frau bevormunden will, verkürzt die Chance für eine Entscheidung gegen den Schwangerschaftsabbruch. Wir sehen den F.D.P.-Entwurf auch in diesem Zusammenhang kritisch.
Ich möchte auf ein Anliegen zurückkommen, das leider in keinen der anderen Entwürfe aufgenommen wurde und das wir Sozialdemokraten seit 1990 in allen Debatten und allen unseren Entwürfen immer wieder vertreten haben: Lassen Sie uns bitte noch einmal über die Indikationen nachdenken. Für uns ist die eugenische, aber auch die kriminologische Indikation ein ethisches Problem. Wir haben deshalb nur die medizinisch-seelische Indikation vorgeschlagen und in unseren Gesetzentwurf aufgenommen. Wir stellen darauf ab, daß jede Indikation von der Befindlichkeit der Frau, ihrer Belastbarkeit, ihrer Lebensperspektive ausgehen muß.
Selbstverständlich ist in den allermeisten Fällen eine Vergewaltigung eine solche psychische Belastung, die eine medizinisch-seelische Indikation notwendig macht. Ebenso kann die Behinderung eines Kindes eine solche Belastung darstellen. Wir wollen sehr deutlich machen, daß es bei Indikationen auf die Frau ankommt, nicht auf die mögliche Behinderung des Kindes oder auf das Zustandekommen der Schwangerschaft.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich weiß nicht, die wievielte Rede ich zum § 218 halte. Das Thema hat in den 20er Jahren unsere Großmütter umgetrieben, unsere Mütter belastet und uns seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommen lassen. Ich hoffe sehr, daß wir in diesem Jahr endlich einen Kompromiß finden werden, mit dem die Frauen leben können.