Rede von
Ortrun
Schätzle
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Farbmuster in der Politik sind langlebig, meinte diese Woche Renate Köcher als Fazit ihrer Wähleranalyse „Wie nahe stehen sich Parteien?" Entsprechendes, so glaube ich, gilt für die Farbpalette von Meinungen und Vorstellungen zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Sie spiegeln sich heute in der Debatte und auch in den zahlreichen Gesetzentwürfen, die eingebracht wurden, wider. Wer die jahre- und jahrzehntelange Diskussion um die Neuregelung des § 218 miterlebt hat, weiß, wie wenig sich im Meinungsbild der zum Teil sehr kontroversen Diskussionen geändert hat.
Trotzdem muß der erneute Versuch zur Koordinierung der Meinungen gewagt werden, zumal uns das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil die Richtung vorgegeben hat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Fraktionen haben sich in der vergangenen Legislaturperiode zum Ziel gesetzt, bei der gesetzlichen Umsetzung des Urteils dieser Richtschnur zu folgen. Manche der heute vorgelegten Gesetzentwürfe gehen den verfassungskonformen Weg nicht - noch nicht.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS möchten den § 218 streichen. Sie beharren auf dem ausschließlichen Selbstbestimmungsrecht von Frauen. SPD und F.D.P. richten das vorgegebene Beratungsziel nur lose am Schutz des ungeborenen Lebens aus und verzichten auf die Strafbarkeit des Umfelds der Frau im Falle der Nötigung.
Schon wird in der Öffentlichkeit die Frage gestellt, ob es nach Abschluß der Beratungen in dieser Legislaturperiode einen erneuten Gang zum Bundesverfassungsgericht geben wird. Ich wünsche mir, daß diese Frage nach Abschluß unserer Beratungen mit
einem klaren Nein beantwortet werden kann.
Unser Koalitionsentwurf lehnt sich zum Teil wortgleich und unverfänglich an die Richtlinien des Bundesverfassungsgerichts an. Wer ihm zustimmt, vermeidet den erneuten Gang nach Karlsruhe.
Uns wurde vorgeworfen, daß CDU und CSU ihren alten Koalitionsentwurf neu eingebracht hätten. Es ist der Gesetzentwurf, der im letzten Jahr eine Mehrheit im Deutschen Bundestag gefunden hat. Von meinen Vorrednern wurde er in allen Einzelheiten dargestellt. Ich kann also darauf verzichten.
Sie haben gesehen: Es gab keinen Farbwechsel. Warum sollte es auch einen geben?
Die Gründe, den alten Koalitionsentwurf erneut einzubringen, liegen auf der Hand:
Erstens. Wir haben unsere Werthaltung nicht geändert. Unsere Wertordnung, die im Grundgesetz festgelegt ist, verpflichtet dazu, menschliches Leben in allen Phasen seiner Existenz zu schützen - auch das
Ortrun Schätzle
ungeborene Leben, weil es menschliches Leben ist, und auch das behinderte Leben; daher die Änderung der embryopathischen Indikation. Wir wollen menschliches Leben nicht zur Disposition stellen.
Zweitens. In diese Schutzpflicht ist auch die Mutter ihrem ungeborenen Kind gegenüber eingebunden. Sie hat - außer in extremen Notfällen - kein Verfügungsrecht über das Leben des Kindes. Ihr Selbstbestimmungsrecht steht nicht über dem Recht des Kindes auf Leben. Daher muß ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als Unrecht angesehen werden und demgemäß auch rechtlich verboten sein.
Drittens. In der Vergangenheit hat das Strafrecht allein nicht bewirkt, die Zahl der Abtreibungen zu reduzieren. Das Strafrecht ist aber unverzichtbar. Doch viel eher bewirken die Umfeldbedingungen der Frau, ob sie das Kind annimmt oder nicht: Entscheidend sind z. B. die Einstellung des Vaters, der Familienangehörigen, des Arbeitgebers zur Schwangerschaft, die Wohnungsfrage, der behandelnde Arzt als Schlüsselperson, die Beratungsstelle, die nicht nur über staatliche Unterstützungsprogramme informieren darf, sondern auch individuelle Konfliktbearbeitung und -aufarbeitung mit konkreten Hilfen anzubieten hat.
Mit unserem Koalitionsantrag haben wir den vom Bundesverfassungsgericht vorgezeichneten Weg einer qualitativen Beratungsregelung eingeschlagen. Sie ist keine Zwangsberatung. Sie hat auch keinen erhobenen Zeigefinger, wie heute behauptet wurde. Sie ist auch kein Verkaufsgespräch; sondern sie ist eine Ziel- und Hilfenberatung, die der Frau die Entscheidungsverantwortung beläßt. Eine solche Beratung scheint uns in einer sehr sensiblen und problembehafteten Lebenslage von Frauen weiterhin das brauchbarste, wirksamste und vielfältigste Angebot von Hilfen an die Frau zu sein, das Kind zu bejahen.
Wir sind der Überzeugung - hier spreche ich auch für die Mehrzahl der Mitglieder der Gruppe von Frauen der CDU/CSU-Fraktion -, daß die Karlsruher Entscheidung über den Weg der Beratungsregelung im Vergleich zu anderen Vorschlägen die Chance eröffnet, auf verfassungskonformer Grundlage einen politischen und gesellschaftlichen Konsens herbeizuführen, Frau Wolf. Es wäre ein Fortschritt im geistigen Einigungsprozeß unseres einst mit unterschiedlichen Rechtsauffassungen ausgestalteten Vaterlandes. Es könnte auch ein Signal für Europa sein, das im Ringen um seine gemeinsamen Wertvorstellungen auf wichtige Impulse nicht verzichten kann.
Im Bericht der Bundesregierung über die Situation von Frauen in Deutschland zur Vorlage bei der diesjährigen Weltfrauenkonferenz wird darauf hingewiesen, daß die in den letzten zehn Jahren durchgeführten Untersuchungen einen zunehmenden Umgang mit Möglichkeiten der Familienplanung ausweisen. Schwangerschaftsabbrüche kommen als Mittel der Familienplanung nicht in Betracht. Ich finde, das sind ermutigende Aussagen. Sie unterstützen die klare Absicht des Karlsruher Urteils, den Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewußtsein zu halten und zu beleben.
Unser Antrag befürwortet deshalb auch rechtzeitige Sexualerziehung, den verantwortlichen Umgang von Männern und Frauen mit Sexualität und die Aufklärung über verantwortete Elternschaft. Der Schwerpunkt muß eher darin liegen, ungewollte und ungeplante Schwangerschaften zu vermeiden, als staatliche Findelhäuser einzurichten, wie es einer der Gesetzentwürfe vorsieht. Ist nicht die Pflegeobhut in § 27 des SGB VIII über das Kinder- und Jugendhilfegesetz geregelt? Auch eine Einwilligung in die Adoption schon bis zum sechsten Monat erklären zu müssen erscheint mir außerordentlich problematisch.
Wenn in der Beratung über bestehende familienfördernde Leistungen und Hilfen für Kinder und Familien informiert werden muß, so sollen sie bewirken, die realen Lebensverhältnisse auf ein Leben mit Kindern einzustellen und zu erleichtern. Ausreichender eigener Wohnraum ist eines der drängendsten Probleme der Schwangeren, wie die Beraterinnen in den Beratungsstellen berichten. Hier sind Änderungen des Wohnungsbindungsgesetzes wichtige Weichenstellungen.
Als unverzichtbar gelten auch die anderen Leistungen, die familienpolitisch veranlaßt wurden, bis hin zur verstärkten Unterstützung von Alleinerziehenden und der Einrichtung der Bundesstiftung Mutter und Kind. „Hätte ich sie nicht gehabt", sagte mir neulich eine junge Frau, „ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre."
Wir müssen deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, weitere soziale und außerfamiliale Rahmenbedingungen verbessern, damit die Akzeptanz von Kindern gefördert wird. Kinder brauchen nicht nur die Akzeptanz von Eltern, sie brauchen die Akzeptanz der Gesellschaft und der Politik.
Als Familienpolitikerin fordere ich deshalb zum Schluß, in den begleitenden familienpolitischen Beratungen zu unserer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs die Leistungen für diejenigen in überschaubarer Weise zu bündeln, die sie in Anspruch nehmen.
Die beabsichtigten Verbesserungen des Familienleistungsausgleichs dürfen auch nur in ein Gesamtkonzept eingehen, denn es dient der Tragfähigkeit des Konzepts und seiner Kinderfreundlichkeit mehr, wenn es konzeptionell und nicht nur finanziell angedacht wird.