Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Mit dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz aus dem Jahre 1992 haben wir als Gesetzgeber mit parteiübergreifender Mehrheit in der Frage, wie Frauen in Schwangerschaftskonflikten geholfen werden kann, einen Wandel vollzogen. Dieses Parlament war nach jahrzehntelangen Diskussionen endlich in der Lage, eine geschichtliche Erfahrung aufzuarbeiten, die da heißt - Herr Hüppe, hören Sie gut zu -: Es dient der Lösung von Schwangerschaftskonflikten nicht, auch dem Schutz des werdenden Lebens nicht, wenn Gesellschaft und Gesetzgeber nur mit rigiden Moralvorstellungen und Strafen kommen und die Frauen alleine lassen.
Das einzige, was auf Dauer als tragfähige Lösung gelten kann, ist, daß Frauen - sofern vorhanden, auch ihren Familien - wirksame Hilfen angeboten werden, die Perspektiven für ein Leben mit Kindern eröffnen. Aus diesem Grund hat dieses Parlament die beschlossene Fristenregelung mit guter Beratung mit dem politischen Willen kombiniert, unsere Gesell-
Dr. Edith Niehuis
schaft ernsthaft zu einer kinder-, Familien- und frauenfreundlichen Gesellschaft zu entwickeln. Das Verfassungsgericht hat diesen Wechsel im Schutzkonzept ausdrücklich mit vollzogen.
Ich erinnere an diesen Zusammenhang so nachdrücklich, weil manche Diskussionen, die von Regierungsmitgliedern in diesem Land geführt werden, den Eindruck erwecken könnten, uns sei es nicht Ernst mit dem Willen, eine kinderfreundliche Gesellschaft zu erreichen. Es ist uns Ernst. Wir sind erst am Anfang der politischen Wegstrecke und nicht am Ende. Wir wissen auch in diesem Punkt das Verfassungsgericht hinter uns.
Das gilt auch für den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Was hier eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe, Frau Eichhorn, unter dem Vorsitz des bayerischen CSU-Ministers von Waldenfels
in die Öffentlichkeit gebracht hat, nämlich die Umsetzung des Rechtsanspruchs in das Jahr 1999 zu verschieben, ist vollkommen unakzeptabel.
- Nein, Sie haben uns auch keine Zwischenfrage zugelassen. Sie können sich wieder setzen, Frau Eichhorn.
Allerdings möchte ich hinzufügen: Die Reaktion der Bundesregierung auf den Vorschlag dieser kleinen Arbeitsgruppe ist ebenso unakzeptabel.
Als 1992 das Schwangeren- und Familienhilfegesetz verabschiedet wurde, war allen klar, daß insbesondere die notwendige Verbesserung der außerfamiliären Kinderbetreuung in dieser Republik teuer werden würde. Sie wird so teuer, weil jahrzehntelang vom Wandel der modernen Industriegesellschaft zwar geredet wurde, die deutsche Politik aber unfähig war, die gesellschaftspolitischen Folgen dieses Wandels zu verstehen und dann auch umzusetzen.
Zum Wandel gehört, daß die Arbeitskraft von Frauen gebraucht wird, daß Frauen erwerbstätig sein wollen und daß Frauen von ihrer Ausbildung her dieser Gesellschaft viel zu bieten haben.
Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern hat Deutschland verschlafen, die dafür notwendigen außerfamiliären Kinderbetreuungseinrichtungen zu schaffen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, daß wir natürlich wissen, daß sich Kommunen und Länder in den letzten Jahren nicht ausgeruht haben. In den letzten drei Jahren sind 190 000 neue Kindergartenplätze in den alten Bundesländern geschaffen worden. Dabei wurde seitens der Länder über 1 Milliarde DM investiert. Dies sei nachdrücklich anerkannt.
Aber nach wie vor fehlen 600 000 Kindergartenplätze und 50 000 Erzieherinnen und Erzieher. Weil das Versäumnis so groß ist, haben wir 1992 im Gruppenantrag und im Bericht des damaligen Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens" darauf hingewiesen, daß der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz im Bund-Länder-Finanzausgleich besonderer Berücksichtigung bedarf. Dieses ist leider nicht geschehen.
Lassen Sie es mich einmal ganz salopp sagen: Sie können den Solidarpakt doch jetzt nicht immer für alles nehmen, wie wir den Jäger 90 für alles genommen haben. Das geht wirklich nicht.
Ganz im Gegenteil: Wir erinnern uns doch alle, daß der Bundesfinanzminister, Herr Waigel, die Länder und Kommunen damals in einer Fußnote zum sogenannten Konsolidierungsprogramm ausdrücklich eingeladen hat, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz aus finanzpolitischen Gründen doch nicht so ernst zu nehmen. So war es. Es gibt also keinen Grund, mit dem Finger immer nur auf andere zu zeigen. Es gibt aber Grund genug, jetzt endlich gemeinsam zu handeln.
Diesem Ziel dient der von der SPD vorgelegte Entschließungsantrag. Er ist eine Aufforderung an die Bundesregierung, es nicht nur bei Worten zu belassen, sondern endlich auch ein Scherflein dazu beizutragen, daß die Kinderbetreuung in diesem Land besser geregelt werden kann. Ich denke, die Bundesregierung hat Grund genug, ihren Willen, etwas für die kinderfreundliche Gesellschaft zu tun, auch unter Beweis zu stellen.
Schließlich ist es doch die Folge ihrer Bundespolitik, daß das Existenzminimum von Familien verfassungswidrig besteuert wird und daß der Familienleistungsausgleich so miserabel ist, daß bei uns Kinder als Armutsrisiko Nummer 1 gelten.
Dr. Edith Niehuis
Wie wenig Sie sich der schwierigen Lage von Familien in der Bundesrepublik bewußt sind, wie konzeptionslos Sie dieser Situation begegnen, zeigt doch das widersprüchliche Durcheinander in der CDU, CSU und F.D.P. in der Frage der Verbesserung des Familienleistungsausgleichs.
Diese Bundesregierung hat einen ungeheuren Nachholbedarf, und darum würde es Ihnen gut zu Gesicht stehen, unserem Entschließungsantrag zuzustimmen.
Lassen Sie mich mit einem Blick auf das, was ich aus dem Land Bayern höre, dies sagen: Wenn Sie, Frau Staatsministerin Männle, meinen, der Schutz des werdenden Lebens hänge von der Beratungsregelung ab, haben Sie Wesentliches immer noch nicht verstanden: Es ist nicht die Beratungsregelung, es ist die kinderfreundliche Gesellschaft, die den Schutz des werdenden Lebens ausmacht.
Es paßt mir als Parlamentarierin überhaupt nicht, daß Sie schon im Vorfeld unserer parlamentarischen Beratung mit dem Verfassungsgericht drohen. Das ist keine sinnvolle Art.
Natürlich müssen wir die nächste Zeit nutzen, noch einmal um die richtige Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils zu ringen. Dabei wird auch die Frage der Beratung eine wichtige Rolle spielen. Das Verfassungsgerichtsurteil hat dazu gesagt:
Für die Festlegung des Inhalts der Beratung kann der Gesetzgeber davon ausgehen, daß Beratung nur dann eine Chance hat, das ungeborene menschliche Leben wirklich zu schützen, wenn sie ergebnisoffen geführt wird.
Dieser wichtige Satz des Verfassungsgerichts, der die praktischen Erfahrungen aller Beraterinnen und Berater unterstreicht, was auch in den Anhörungen des Deutschen Bundestages zum Ausdruck kam, muß Richtschnur für unsere Gesetzentwürfe sein.
Wir haben unseren § 219 gemäß dem Verfassungsgerichtsurteil umformuliert. Aber das, was die CDU/ CSU als Gesetzentwurf vorlegt, wird diesem Anspruch der Beratung in keiner Weise gerecht. Sie geben in § 219 dem Beratungsgespräch nicht nur eine einseitige Zielrichtung, nein, Sie gehen sogar soweit, daß Sie der Frau vorschreiben wollen, wann sie ihren Konflikt als unzumutbar empfinden darf. Sie führen in das Beratungsgespräch immer noch eine heimliche Indikation ein, was jedes Beratungsgespräch von vornherein unehrlich und unglaubwürdig machen kann. Ich würde Ihnen von der CDU/CSU ganz freundschaftlich raten: Setzen Sie sich einmal mit den wissenschaftlichen Methoden der Konfliktberatung auseinander. Ich bin sicher, daß Sie dann schleunigst Ihren § 219 umformulieren.
Frau Eichhorn, es geht nicht darum, daß die Beratung wertfrei erfolgen kann. Wenn Menschen zusammen sind, geschieht nie etwas wertfrei. Aber es geht auch darum, daß man das wichtige Beratungsgespräch - entschuldigen Sie diese saloppe Formulierung - nicht zu einem Verkaufsgespräch degradiert. Das ist der Sache nicht angemessen.
Wir wollen auch nicht, daß durch eine zusätzliche Bestrafung des familiären Umfelds die wichtige Basis für ein Beratungsgespräch, nämlich die Vertrauensbasis, zerstört wird. Das gilt für die Frauen, aber auch für möglicherweise hinzugezogene betroffene Dritte. Es freut mich, daß die F.D.P. sich in dieser Frage bewegt hat.
Bei allem müssen wir doch wissen: Ein Konflikt besteht nur, wenn zwei Ziele sich wirklich oder scheinbar widersprechen. Wenn dieser Konflikt in einer Person liegt, was für den Schwangerschaftskonflikt kennzeichnend ist, kann dieser Konflikt nur durch diese Person, d. h. durch die Frau und ihre Letztentscheidung, gelöst werden.
Dies muß im Gesetz auch zum Ausdruck kommen, und es darf nicht darum herumgeredet werden. Ich würde mich freuen, wenn dieses Parlament in der Lage wäre, eine baldige Regelung zu finden. Die Frauen haben es verdient, daß die jahrhundertealte Diskussion um den § 218 endlich zu einem würdigen Abschluß durch den Gesetzgeber kommt.