Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung der heutigen Sitzung des Deutschen Bundestages wird die Tagesordnung gemäß Nr. 2 Buchstabe b der Anlage 5 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages auf Verlangen der Fraktion DIE GRÜNEN ergänzt um eine Aktuelle Stunde zu dem Thema Volkszählung. Einer interfraktionellen Vereinbarung entsprechend wird dieser Zusatzpunkt nach Punkt 4 der Tagesordnung aufgerufen. — Kein Widerspruch.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 und 2 auf:Bekanntgabe der Bildung der BundesregierungEidesleistung der BundesministerDer Herr Bundespräsident hat mir hierzu mit Schreiben vom 30. März 1983 mitgeteilt:Gemäß Artikel 64 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers ernannt:HerrnHans-Dietrich Genscherzum Bundesminister des AuswärtigenHerrnDr. Friedrich Zimmermann zum Bundesminister des InnernHerrnHans A. Engelhardzum Bundesminister der JustizHerrnDr. Gerhard Stoltenbergzum Bundesminister der FinanzenHerrnDr. Otto Graf Lambsdorffzum Bundesminister für WirtschaftHerrnIgnaz Kiechlezum Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und ForstenHerrnHeinrich Windelenzum Bundesminister für innerdeutsche BeziehungenHerrnDr. Norbert Blümzum Bundesminister für Arbeit und SozialordnungHerrnDr. Manfred Wörnerzum Bundesminister der VerteidigungHerrnDr. Heiner Geißlerzum Bundesminister für Jugend, Familie und GesundheitHerrnDr. Werner Dollingerzum Bundesminister für VerkehrHerrnDr. Christian Schwarz-Schilling zum Bundesminister für das Post- und FernmeldewesenHerrnDr. Oscar Schneiderzum Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und StädtebauHerrnDr. Heinz Riesenhuberzum Bundesminister für Forschung und TechnologieFrauDr. Dorothee Wilmszum Bundesminister für Bildung und WissenschaftHerrnDr. Jürgen Warnkezum Bundesminister für wirtschaftliche ZusammenarbeitWir kommen dann zum anderen Punkt, zur Eidesleistung der Bundesminister.Meine Damen und Herren, nach Art. 64 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Amtsübernahme vor dem Bundestag den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid. Ich bitte die Bundesminister, nach Aufruf ihres Namens zu mir
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30 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983
Präsident Dr. Barzelheranzutreten und den Eid zu leisten. Ich werde den Eid vorsprechen und bitte dann die Mitglieder der Bundesregierung, ihn mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" oder „Ich schwöre es" zu bekräftigen.
Ich verlese den Eid:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.Herr Bundesminister Hans-Dietrich Genscher, ich bitte Sie zur Eidesleistung. Sind Sie bereit, den Eid zu leisten, Herr Bundesminister?
Ich bin bereit, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Ich spreche Ihnen die herzlichen Glückwünsche des Deutschen Bundestages aus und wünsche Ihnen Glück und Segen.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Herr Bundesminister Dr. Zimmermann, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Jawohl, Herr Bundestagspräsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Herr Bundesminister Engelhard, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen.
Herr Bundesminister Dr. Stoltenberg, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag beglückwünscht Sie und wünscht Ihnen alles Gute, Herr Bundesminister.
Herr Bundesminister Dr. Graf Lambsdorff, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen.
Danke, Herr Präsident.
Herr Bundesminister Kiechle, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Kiechle, ich wünsche Ihnen für den Deutschen Bundestag Glück und Segen.
Herr Bundesminister Windelen, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Herr Bundesminister Dr. Blüm, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Danke schön, Herr Präsident.
Herr Bundesminister Dr. Wörner, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Bundestagspräsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Herr Bundesminister Dr. Geißler, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Danke sehr.
Herr Bundesminister Dr. Dollinger, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 31
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Herr Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Danke.
Herr Bundesminister Dr. Schneider, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Danke, Herr Präsident.
Herr Bundesminister Dr. Riesenhuber, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
Frau Bundesminister Dr. Wilms, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Frau Bundesminister, der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen.
Herr Bundesminister Dr. Warnke, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.
Der Deutsche Bundestag wünscht Ihnen Glück und Segen, Herr Bundesminister.
Ich danke Ihnen, Herr Präsident.
Meine Damen! Meine Herren! Die Mitglieder der Bundesregierung haben den nach Art. 64 Abs. 2 GG vorgeschriebenen Eid bei der Amtsübernahme vor dem Deutschen Bundestag geleistet. Ich spreche den Mitgliedern der Bundesregierung nochmals für ihre verantwortungsvolle Arbeit die besten Wünsche des Deutschen Bundestages aus.
Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, dem ausscheidenden langjährigen Bundesminister Ertl den herzlichen Dank des Deutschen Bundestages für seine Arbeit auszusprechen.
Meine Damen und meine Herren! Damit sind Punkt 1 und Punkt 2 erledigt.Ich rufe Punkte 3 der Tagesordnung auf:Beschluß über das Verfahrenfür die Berechnung der Stellenanteile der FraktionenZu diesem Tagesordnungspunkt liegt ein Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/5 vor.Meine Damen, meine Herren, ich habe gehört, es soll noch ein Änderungsantrag kommen. Mir liegt aber keiner vor.Wird das Wort zur Begründung der Anträge gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Auch hier ist das nicht der Fall. Da keine Wortmeldungen vorliegen, schließe ich — —
— Wir sind in der Abstimmung. Aber wir machen alles mit Geduld und Güte, meine Damen und Herren, aber natürlich auch korrekt.
Mir liegt jetzt ein Antrag vor. Wir werden im Ältestenrat, wenn er sich konstituiert hat, über solche Dinge zu sprechen haben, meine Damen und Herren.Mir liegt im Augenblick ein Antrag der Fraktion der GRÜNEN vor. Ich bitte, im Interesse der Arbeitsmöglichkeiten aller, das Verfahren künftig einzuhalten. Nach dem Antrag der GRÜNEN soll der Antrag Drucksache 10/5 in Satz 1 folgende Fassung erhalten — ich muß es vorlesen, weil der Antrag noch nicht verteilt werden konnte —:
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32 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983
Präsident Dr. BarzelDie Zahl der auf die Fraktionen entfallenden Sitze im Ältestenrat und in den Ausschüssen sowie die Regelung der Vorsitze in den Ausschüssen wird nach dem Verfahren der mathematischen Proportionen berechnet,— jetzt kommt unterstrichener Text —nachdem die Zuteilung eines Grundmandats für jede Fraktion erfolgt ist und soweit nichts Abweichendes vereinbart wird.Das ist ein Punkt, den wir gestern eigentlich erörtert hatten. Ich glaube, wir wollen in die Aussprache nicht eintreten.Ich möchte zunächst über den Antrag der CDU/ CSU, SPD und FDP Drucksache 10/5 und dann über den Änderungsantrag abstimmen lassen. Sind wir über das Verfahren soweit einig? — Wir können also so verfahren.Wer dem von mir genannten Antrag Drucksache 10/5 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das erste war die die überwältigende Mehrheit.Ich stelle jetzt den Antrag der Fraktion der GRÜNEN, den ich eben verlesen habe und der noch keine Nummer hat, zur Abstimmung.Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Der Antrag ist abgelehnt.Damit ist auch Punkt 3 der Tagesordnung erledigt.Zu Punkt 4 der Tagesordnung bitte ich die Vizepräsidentin Frau Renger, das Präsidium zu übernehmen.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beschlußfassung über die Einsetzung von Ausschüssen
Hierzu liegen die Anträge der Fraktion der SPD Drucksache 10/8 sowie der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP Drucksache 10/9 vor.
Hierzu eröffne ich die Aussprache. — Das Wort hat Herr Abgeordneter Jahn.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt der Einsetzung der ständigen Ausschüsse zu. Sie will damit an dem bewährten Verfahren festhalten, den einzelnen Fachministern entsprechende Fachausschüsse gegenüberzustellen.Damit wird zweierlei sichergestellt: Die fach- und sachgerechte parlamentarische Kontrolle des Regierungshandelns wird gewährleistet. Daneben wird die eigenständige fachbezogene verantwortliche Arbeit des Parlaments ermöglicht.Für die überkommenen Bereiche der Politik hat sich dieses Gegenüber von Regierung und Parlament bewährt. Der Haushaltsausschuß ist beispielsweise das geeignete Gremium des Bundestages zur Kontrolle des Finanzgebarens der Regierung. Der Rechtsausschuß oder der Wirtschaftsausschuß erfüllen die parlamentarische Verantwortung für Rechts- oder Wirtschaftspolitik.Jedoch erweist es sich zunehmend, daß die überkommene Aufgliederung der Politikbereiche nicht allen Aufgaben und Notwendigkeiten gerecht wird und auch nicht gerecht werden kann.Die Zahl der Gebiete nimmt zu, auf denen die Regierung nicht nur durch einen Fachminister handelt, sondern bei denen verschiedene Fachminister Verantwortung für dasselbe Gebiet der Politik tragen. Selbst wenn man unterstellt, daß die Bundesregierung die Politik der einzelnen Fachminister zusammenzuführen hat, fehlt es an einer einheitlichen Verantwortung für diese Bereiche der Politik. Es wächst die Gefahr, daß das Ziel, bestimmte Aufgaben nach einheitlichen Grundsätzen zu messen und zu regeln, gefährdet wird oder gar verlorengeht.Als Beispiele nenne ich den Bereich des Schutzes der Umwelt oder den Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle oder der Gleichstellung der Frau oder der Zusammenarbeit in Europa.Der Deutsche Bundestag hat bisher geeignete Gremien, die dem Anspruch einer einheitlichen Politik auf diesen Gebieten Genüge tun, nicht geschaffen. Er hat sich bisher damit begnügt, durch Mitberatung und darauf gegründete Zusammenarbeit der Fachausschüsse solchen ressortübergreifenden Bereichen gerecht zu werden. Das ist unzureichend.Nehmen Sie als Beispiel den Verfassungsauftrag der Gleichstellung der Frau. Eingelöst werden muß dieses Verfassungsgebot in allen Lebensbereichen. Es ist weder eine Aufgabe nur der Rechtspolitik noch nur der Arbeitsmarktpolitik noch nur der Sozialpolitik und auch nicht allein der Familienpolitik oder auf dem Gebiet des Rechtes des öffentlichen Dienstes. An keiner Stelle wird der verfassungsrechtliche Auftrag bislang politisch zusammengeführt.Für den Bereich des Schutzes der Umwelt muß Gleiches festgestellt werden. Als Bestandteil der Wirtschaftspolitik oder der Finanzpolitik oder der Landwirtschaftspolitik oder auch der Rechtspolitik oder der Arbeitsmarktpolitik kommt der ebenfalls aus der Verfassung abzuleitende Auftrag des umfassenden Schutzes der Umwelt ins Hintertreffen.Wir müssen deshalb überlegen und prüfen, wie wir den neuen Aufgaben in angemessener und geeigneter Form gerecht werden. Wir müssen neue Wege suchen, die uns in den Stand versetzen, unabhängig von vorgeformten fachlichen Notwendigkeiten die Fragen aufzunehmen, die übergreifende Bedeutung haben.Die Bundestagsfraktion der SPD macht dazu keine bestimmten Vorschläge. Wir wünschen eine offene und unvoreingenommene Erörterung und Suche nach der besten Form. Man könnte an gemeinsame Unterausschüsse der ständigen Fachausschüsse ebenso denken wie an die regelmäßige Ein-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 33
Jahn
Setzung von Enquete-Kommissionen. Dem Einfallsreichtum sollen jedenfalls keine Grenzen gesetzt sein. Das Präsidium wird von meiner Fraktion gebeten, die Aufgabe zu übernehmen, geeignete Vorschläge zu sammeln und selber zu erarbeiten, um sie dann im Einvernehmen mit dem Ältestenrat vorzulegen. Mindestens für die Gebiete der Umwelt, der Abrüstung und Rüstungskontrolle, der Gleichstellung der Frau und der Zusammenarbeit in Europa müssen wir uns im Deutschen Bundestag unverzüglich die Gremien schaffen, die es uns erlauben, der parlamentarischen Verantwortung auf diesen Gebieten gerecht zu werden. Dazu erbitte ich für die Fraktion der SPD Ihre Unterstützung und Zustimmung. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Fischer.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der GRÜNEN bringt einen Änderungsantrag ein, der sich auf Ziffer I des Antrags der CDU/CSU-Fraktion bezieht. Wir wünschen eine Änderung wie folgt: Die Anzahl der Mitglieder des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, des Verteidigungsausschusses, des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit und des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit wird jeweils auf 29 erhöht.
Ich möchte das seitens meiner Fraktion kurz begründen.
Offensichtlich scheint es so zu sein, daß selbst da, wo interfraktionelle Vereinbarungen möglich sind, mittlerweile eine solche Vereinbarung behandelt wird gewissermaßen als ein Preis für Wohlverhalten, verlangt von der Mehrheitsfraktion. Es war eine interfraktionelle Vereinbarung in Aussicht gestellt, die Zahl der Mitglieder dieser Ausschüsse über 29 hinaus zu erhöhen. Es hätte bedeutet, daß wir dort mit zwei Mitgliedern vertreten gewesen wären.
In Fortsetzung jener theatralischen Merkwürdigkeiten allerdings, die die Mehrheitsfraktion schon anläßlich der Sitzverteilung im Vorfeld der konstituierenden Sitzung uns hat erleben lassen, haben wir gestern erfahren, daß offensichtlich vor allen Dingen im Verteidigungsausschuß
die CDU/CSU besondere Probleme hat, zwei Abgeordnete der GRÜNEN dort sitzen zu sehen. Mir scheint, daß der Verteidigungshaushalt offensichtlich freigehalten werden soll für eine Politik, die man auch hier als das bezeichnen muß, was sie ist: eine Politik forcierter Aufrüstung.
— Es paßt doch nicht zu Ihrem Aufzug, wenn Sie hier so randalieren! Glauben Sie mir das doch. Das paßt doch nicht.
Sie bezeichnen uns als Spinner und ähnliches, werfen uns vor, wir würden der Würde nicht gerecht werden, verschanzen sich aber hinter Schlips und Kragen und benehmen sich in einer Art und Weise, die Sie uns immer vorwerfen. Nun hören Sie doch einmal zu. Ich war doch nicht bei Marcos.
Das war doch Herr Strauß, der dort deutsche Wertarbeit in Form einer Pistole einem Diktator, der selbst von der katholischen Kirche als das bezeichnet wird, was er ist, nämlich ein Mörder, überreicht hat.
Einen Moment, Herr Abgeordneter. Seien Sie so nett und reden Sie zur Sache.
Ich rede sehr wohl zur Sache, Frau Präsidentin, zu der Sache nämlich, daß wir diesen Ausschuß nicht als Reiseausschuß begreifen und daß wir es als wesentlich ansehen, unser Verhältnis zur Dritten Welt auf eine neue Basis zu stellen, fernab des privaten oder staatlich organisierten Waffenhandels.
Das ist die Begründung für unseren Änderungsantrag. — Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäuble.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Fischer, es wird Ihnen nicht gelingen, uns zu provozieren. Wir sind bei dem Tagesordnungspunkt „Einsetzung von Ausschüssen". Darüber debattieren wir. Über alles andere debattieren wir dann, wenn die Zeit und die Stunde gekommen sind, um darüber zu sprechen.Nur muß ich Ihnen sagen: Wir haben von vornherein erklärt, daß wir, die CDU/CSU, nicht die Absicht haben, wegen des Einzugs einer weiteren Fraktion in den Deutschen Bundestag die Geschäftsordnung und die Regeln, die in diesem Bundestag gelten und die sich über neun Legislaturperioden bewährt haben, zu ändern. Daran halten wir uns.
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Dr. SchäubleDies gilt insbesondere zum Schutze der Minderheit.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU weiß sehr genau, daß die Geschäftsordnung insbesondere die Minderheit, die Opposition, und das Recht der Opposition, hier zu Wort zu kommen, schützen muß. Wir haben nicht die Absicht, den Schutz der Minderheit in der Geschäftsordnung unseres Bundestages abzubauen. Wir haben allerdings auch nicht die Absicht, die Geschäftsordnung zu ihren Gunsten zu verändern. Sie sind gegen Manipulation. Wir auch. Wir lassen es so, wie es ist, und so, wie es sich bewährt hat. Und dies dient Ihrem und unserem Schutz.
Nun haben wir über den Tagesordnungspunkt „Einsetzung von Ausschüssen" keine interfraktionelle Vereinbarung erzielen können, weil eine Fraktion eine von der Auffassung der anderen Fraktionen abweichende Meinung hat. Dies ist Ihr legitimes Recht. Aber dann gibt es keine interfraktionelle Vereinbarung, sondern dann gibt es einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP.Die Ausschüsse, bei denen Sie jetzt eine Erhöhung der Zahl der Mitglieder beantragen, haben in der zurückliegenden Legislaturperiode dieselbe Zahl von Mitgliedern gehabt, wie wir es beantragen. Dies hat nichts mit der Fraktion der GRÜNEN zu tun. Deswegen haben wir nicht die Absicht, an der von uns beantragten Zahl etwas zu ändern. Wir lehnen Ihren Änderungsantrag auf Erhöhung der Zahl der Mitglieder in den von Ihnen genannten Ausschüssen ab.Nun möchte ich auch zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Jahn und zu dem Antrag der Fraktion der SPD einige Bemerkungen für die Fraktion der CDU/CSU machen. Es ist völlig richtig und völlig unbestritten, daß wir in diesem Hause neben den ständigen Ausschüssen, über deren Einsetzung wir jetzt beschließen, zusätzliche Gremien brauchen, um bestimmte Themen und Sachbereiche abzuklären. Dazu gibt es eine Vielfalt von Instrumentarien, die in der Geschäftsordnung des Bundestages, die wir gestern beschlossen haben, vorgesehen sind. Es gibt die Möglichkeit, Sonderausschüsse einzusetzen; es gibt die Möglichkeit, Unterausschüsse, auch ausschußübergreifende Unterausschüsse, einzusetzen; es gibt die Möglichkeit, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, Enquete-Kommissionen einzusetzen. All dies haben wir.Herr Kollege Jahn, ganz haben wir noch nicht verstanden, warum wir auf Grund eines Antrags beschließen sollen, daß wir darüber nachdenken, was wir tun. Wir denken ebenso wie die Kollegen, die vor uns im Bundestag waren, ständig darüber nach, was wir tun.
Und neu, Herr Kollege Jahn, ist das alles ja nun auch nicht. Zum Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle haben wir im vorigen Deutschen Bundestag einen Unterausschuß gehabt. Der Vorsitzende hat Ihrer Fraktion angehört. Das müssen Sie dochwissen. Wir brauchen doch wirklich nicht das Präsidium zu bitten, darüber nachzudenken. Zum Thema Gleichstellung der Frau haben wir während zwei Legislaturperioden eine Enquete-Kommission gehabt. Deren Bericht liegt uns vor und ist noch lange nicht in allen einzelnen Punkten in den ständigen Ausschüssen des Bundestages abgehandelt.
Wir müssen erst einmal das machen. Das ist viel wichtiger. Wir müssen unsere Hausaufgaben aus den vorigen Legislaturperioden noch erledigen. Aber da braucht das Präsidium wirklich nicht zusätzlich nachzudenken. Wir waren uns im 9. Deutschen Bundestag unter den Fraktionen einig, daß wir für das Thema „Zusammenarbeit in Europa" eine zusätzliche Form der institutionellen Behandlung brauchen. Wir haben damals eine Art interparlamentarische Kommission einsetzen wollen. Wir werden darüber nachdenken.Das heißt, Herr Kollege Jahn: Die CDU/CSU- Fraktion lehnt Ihren Antrag nicht ab. Aber wir halten ihn für in der Sache eigentlich gar nicht abstimmungsfähig, weil er etwas Selbstverständliches zum Inhalt hat. Wenn Sie beantragen, wir sollen beschließen, daß 2 + 2 = 4 ist, können wir dem nicht widersprechen. Aber eigentlich finden wir, daß wir solche Anträge nicht brauchen. Sie sind wirklich überflüssig.
Wir werden, wenn Sie auf der Abstimmung bestehen, Ihrem Antrag nicht widersprechen, sondern wir werden ihn passieren lassen, wir werden ihm vielleicht auch zustimmen. Aber ich appelliere noch einmal an Sie, zu überlegen, ob Sie ein solches Nullum hier wirklich zur Abstimmung stellen wollen.Meine Damen und Herren von der SPD-Fraktion, Sie erwecken hier den Eindruck, als hätten wir diese Themen in den zurückliegenden Legislaturperioden des Deutschen Bundestages nicht behandelt. Dies ist ein völlig falscher Eindruck.Es gibt eine zusätzliche Fraktion im Deutschen Bundestag. Wir haben gestern gesagt — und das gilt —: Wir sind für jede Anregung und für jeden Verbesserungsvorschlag dankbar, und wir werden das alles sorgfältig prüfen. Aber wir werden nicht die Verbeugung machen, den wahrheitswidrigen Eindruck zu erwecken, als hätten wir bisher über diese Themen nicht nachgedacht. Dies ist nicht notwendig.Deswegen bitten wir Sie, Ihren Antrag zurückzuziehen.
Meine Damen und Herren, es ist noch immer etwas schwierig mit den Verständigungsmöglichkeiten. Ich bitte herzlich um Nachsicht.Es liegt noch ein weiterer Antrag der GRÜNEN vor, der noch begründet werden muß.Dazu hat Frau Abgeordnete Potthast das Wort.
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Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Liebe Frauen!
34 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes, in dessen Art. 3 Abs. 2 die Gleichberechtigung von Männern und Frauen festgeschrieben wurde, sieht die Realität immer noch so aus, daß die Mehrheit der bundesrepublikanischen Bevölkerung von einer Minderheit regiert und diskriminiert wird.
Obwohl Frauen über 53 % der Bevölkerung stellen, sind sie in diesem politischen Entscheidungsgremium — sprich Bundestag — mit knapp 10 % vertreten. Diese für die letzten Jahre sogar noch relativ hohe Anzahl
kommt wohl auch nur dadurch zustande, daß der Frauenanteil bei uns GRÜNEN mit 40 % wohl überdurchschnittlich hoch ist, wenngleich auch diese Anzahl für uns Frauen bei den GRÜNEN nicht zufriedenstellend ist. Das allerdings drastische Mißverhältnis von insgesamt 10 % Entscheidungsträgerinnen im Bundestag zu einem Frauenanteil von 53 % in der Gesamtbevölkerung kann wohl kaum im Sinne der vier Mütter des Grundgesetzes gewesen sein.
Daß Frauen nicht die gleichen Chancen haben wie Männer, daß Frauen diskriminiert und daß Frauen ungleich behandelt werden, wird in keinem Programm der im Bundestag vertretenen Parteien bestritten. Sie, meine Herren, bestätigen ersteres durch Ihre Unaufmerksamkeit und durch Ihre lauten Zwischenrufe voll.
Nicht umsonst hat sich eine Enquete-Kommission schon seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt. Nur: Analysen gibt es und gab es schon seit Jahren wie Sand am Meer. Wir vermissen in erster Linie die praktischen Konsequenzen, die aus all den umfangreichen Erkenntnissen gezogen werden müssen, Konsequenzen, die zwingend notwendig werden, wenn wir uns die Analysen zum Thema Gewalt gegen Frauen, zum Thema Hausarbeit und zum Thema Erwerbsarbeit ansehen.
Ein etwas heikles Thema in diesem Saal ist wohl die Vergewaltigung. Vergewaltigung ist eine der schlimmsten Formen von Gewalt gegen Frauen, aber es ist nur die Spitze dieser menschenverachtenden Diskriminierung.
— Wenn Sie möchten, warte ich auch so lange, bis sich hier ein bißchen Ruhe ergeben hat.
Frau Präsidentin, können Sie vielleicht dafür sorgen, daß es sich etwas beruhigt?
Verehrte Kollegin, es ist nicht ganz so einfach. Versuchen Sie doch einmal fortzufahren. — Ich bitte wirklich um etwas mehr Ruhe.
Es gibt vielleicht ein paar Analysen, die Sie, meine Herren von der CDU, besonders interessieren, denn Sie gelten j a als die Vertreter dieser Heim- und Herd-Ideologien, insbesondere aber der Familien-Ideologie.
Jährlich werden Tausende von Frauen in der Bundesrepublik vergewaltigt — der überwiegende Teil davon: in der Ehe.
Jährlich werden zirka 4 Millionen Frauen mißhandelt — der überwiegende Teil davon von ihren Ehemännern. Bezeichnenderweise treffen Delikte nach § 177 — Vergewaltigung — und nach § 178 StGB — Sexuelle Nötigung — nach wie vor auf den außerehelichen Bereich zu. Das heißt im Klartext: Der im Grundgesetz verankerte Grundsatz des Art. 1 Abs. 1, der die Würde des Menschen garantieren soll, gilt für Frauen in der Ehe nicht. Die Würde von Frauen — gerade in der Ehe — ist antastbar. Und das ist sogar noch gesetzlich verankert.Frauen sind unter derartigen Lebensbedingungen gezwungen, in Frauenhäusern Schutz zu suchen. Da diese jedoch nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind, bleiben die Frauen häufig jahrelang in einer Situation, in der sie gedemütigt werden, in der sie psychische und physische Gewalt in der Familie tagein tagaus ertragen müssen.Hier müssen Lösungen gefunden werden, und zwar nicht im Sinne einer Friede-Freude-Eierkuchen-Familien-Ideologie; denn gerade die Familie entpuppt sich als der Ort, wo Frauen der männlichen Gewalt am häufigsten ausgeliefert sind.
Der Bereich, in dem Frauen immer noch und in der Hauptsache tätig sind, ist der der Familie. In der Bundesrepublik und in West-Berlin kommen Vollhausfrauen und Feierabendhausfrauen auf 45 bis 50 Milliarden Arbeitsstunden, Gratisarbeitsstunden, im Jahr. Das sind fast genauso viel, wie bei der gesamten Lohnarbeit geleistet werden. Daß Frauen darüber hinaus noch zu 30 % an der Erwerbsarbeit beteiligt sind, heißt, daß sie im Jahr zwei Drittel der gesamtgesellschaftlich notwendigen Arbeit leisten. Und sie werden dafür dadurch belohnt, daß sie im Erwerbsleben die niedrigsten Löhne und die schlechtesten Ausbildungsbedingungen erhalten.
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36 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983
Frau PotthastHier sind Veränderungen absolut notwendig. Das heißt, wir brauchen nicht noch eine weitere Alibi-Kommission, die dafür sorgt, daß noch mehr Analysen und noch mehr Empfehlungen ausgearbeitet werden, sondern wir brauchen einen Frauenausschuß,
einen Frauenausschuß, der dafür sorgt, daß Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes zumindest ansatzweise umgesetzt wird. Wir bezweifeln, daß die zu leistende Arbeit in den anderen Ausschüssen mit der Dringlichkeit behandelt würde, mit der sie gemacht werden müßte.Das Argument, daß in diesem Parlament die wenigen Frauen in diesen Ausschuß abgeschoben würden, lassen wir nicht gelten; denn wir sehen gerade in der Arbeit in einem Frauenausschuß — auch im Hinblick auf die Frauen der anderen Fraktionen — ein Moment praktischer Frauensolidarität, die darin besteht, dafür zu sorgen, daß traditionelle Strukturen so verändert werden, daß Frauen der Zugang zu politischen Entscheidungsgremien überhaupt erst ermöglicht wird.
Meine Damen und Herren, das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Ich bitte darum, daß wir uns auch am zweiten Sitzungstag an die Geschäftsordnung halten, die wir gestern beschlossen haben. Wir beraten hier einen Antrag oder Anträge — ich weiß es nicht —, der oder die nicht vorliegen und die wir inhaltlich nicht kennen.
Es ist für uns, für mich nicht möglich, Anträgen zuzustimmen oder sie abzulehnen, wenn sie hier nicht vorliegen, nicht für jeden sichtbar auf dem Tisch liegen.
Meine Fraktion nimmt die Bundestagsarbeit so ernst, daß sie Anträge in aller Form in Fraktionssitzungen zu beraten wünscht, weil die Zustimmung oder die Ablehnung oder die Enthaltung sachlich, inhaltlich begründet sein müssen. Es genügt nicht, wenn man vorher darüber etwas in Zeitungen hat lesen können oder wenn etwas gesprächsweise erwähnt worden ist.
— Ich habe wie Sie — das sage ich jetzt für mich — warten müssen, bis ich einen Raum bekommen habe. Auch ich habe die Geschäftsführerarbeit schon zu einem Zeitpunkt übernommen, als mein Vorgänger den Raum, den ich bekommen sollte, noch nicht räumen konnte, so daß ich das Büro mit ihm gemeinsam benutzen mußte. Ich habe mich dadurch nicht benachteiligt gefühlt. Man konnte doch
die Abgeordneten, die bis Montag Mitglieder des Bundestages waren, nicht aus ihren Zimmern hinausschmeißen.
Jemand, der neu gewählt ist — ich bin zufällig einer,
hat vor der Sitzungsperiode keinen Anspruch auf einen Raum. Die objektiven Schwierigkeiten, die es dann mit den ganzen Umzügen gibt, kennen Sie sowieso.
Ich will zu dem zurückkommen, was den Antrag betrifft. Meine verehrten Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie reden von „Transparenz" und geben weder uns noch der Öffentlichkeit die Möglichkeit, überhaupt zu sehen, was Sie wollen. Das wäre auf einem Blatt Papier rechtzeitig zu schreiben gewesen.
Deswegen meine Bitte und mein Antrag, über den erwähnten Antrag heute nicht zu entscheiden. Ich sage aber: Er ist damit nicht vom Tisch
— er ist damit politisch nicht vom Tisch —, denn Sie haben die Möglichkeit, das in einer der nächsten Sitzungen des Bundestages — Sie können selbst auswählen, in welcher Sitzung — wiederum auf die Tagesordnung zu setzen. Wir sind uns darüber einig, daß natürlich, auch wenn die Liste der Ausschüsse beschlossen ist, in späteren Sitzungen eine Ergänzung oder Änderung möglich ist. — Recht vielen Dank.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Fischer.
Herr Kollege Porzner, Sie haben mit dem, was Sie gesagt haben, zweifellos recht. Nur sollten Sie, wenn schon die Handhabung der Geschäftsordnung seitens der GRÜNEN bemängelt wird, daß die Anträge nicht rechtzeitig gekommen seien, daß die Transparenz mangelhaft sei, eines bedenken: Die Fraktionsführung und die Geschäftsführung der GRÜNEN lebt seit Wochen aus dem Koffer. Entsprechend gestalten sich die Ergebnisse.
— Wir sind halt nicht so gut versorgt wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU.
Ich finde, wir sollten Verständnis dafür haben und fair genug sein, daß am Anfang wahrscheinlich einiges in eine schwierige Richtung laufen und verbockt werden wird.
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Fischer
Herr Kollege Porzner, es geht nicht darum, etwas intransparent zu machen. Wir werden in Zukunft — ich hoffe, wir bekommen die Räume für unsere Fraktionsführung sehr schnell — versuchen, die Anträge genauso auf den Tisch des Hauses zu bringen, wie es die anderen Fraktionen auch tun. Das ist alles.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir sind j a geduldig, aber ich glaube, wir können nicht noch geduldiger werden.
Der Punkt ist folgender. Sie haben gestern formgerechte Anträge vorgelegt, über die man sich informieren und über die man dann tatsächlich auch debattieren konnte. Warum kann das nicht auch heute der Fall sein? Ich sehe keine Möglichkeit, daß wir hier in dieser Weise unterschiedlich verfahren. Ein nicht vorgelegter Antrag kann nicht debattiert und über ihn kann auch nicht beschlossen werden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Seiters.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem die Fraktion der GRÜNEN auch heute wieder in dieser Diskussion zur Frage der Raumverteilung Stellung genommen und dies bereits in der Öffentlichkeit getan hat, möchte ich als Vorsitzender der Raumkommission folgendes klarstellen.
Die Grünen sind besser behandelt worden als etwa die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, die neu in den Deutschen Bundestag gekommen sind.
Wir haben rund 20 Abgeordnete, die noch nicht über einen Raum im Deutschen Bundestag verfügen. Ich darf erklären, daß die Fraktion der SPD in den ersten Tagen sofort 14 Räume im Vorgriff für die Fraktion der GRÜNEN zur Verfügung gestellt hat. Die FDP-Fraktion und auch die SPD-Fraktion haben dies zusätzlich getan.
Ich meine, daß Sie von den GRÜNEN über etwa 25 Räume bereits jetzt verfügen; legen Sie mich nicht auf eine Zahl fest. Sie haben einen vorläufigen Fraktionssaal bekommen. Sie haben andere Räumlichkeiten. In der Sitzung der Raumkommission hat der Vertreter der GRÜNEN durchaus positiv anerkannt, daß sich die Vertreter der Fraktionen in der Raumkommission zusammen mit der Bundestagsverwaltung intensiv darum bemühen.
Ich kann nur sagen: Ich fühle mich durch Ihr Auftreten in der Öffentlichkeit nach zwei Sitzungen der Raumkommission getäuscht!
Ich kann nur sagen: Wir hatten nach jeder Bundestagswahl diese Probleme zwischen den Fraktionen, die Räume zu bekommen haben, und jenen, die Räume abzugeben haben. Wir werden den Schutz der Minderheiten auch in diesem Bereich garantieren. Sie werden im April auch Ihre Räume bekommen. Nur, eines geht natürlich nicht: daß wir, die Parteien, die seit vielen Jahren im Parlament sitzen, unseren Kollegen sagen müssen, sie müßten zurückstehen, nur weil Sie an uns übertriebene und überzogene Forderungen stellen.
Jede Fraktion hat zur Geschäftsordnung gesprochen. Damit sind die Möglichkeiten, zur Geschäftsordnung zu sprechen, erschöpft.
Gemäß § 25 der Geschäftsordnung stelle ich jetzt den Antrag, die Beratung über die Änderungsanträge auszusetzen, zur Abstimmung. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP „Einsetzung von Ausschüssen", I und II auf Drucksache 10/9. Gibt es dazu Bemerkungen? — Keine weiteren Bemerkungen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ist dieser Antrag mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der SPD „Einsetzung von Gremien", Drucksache 10/8. Wird dieser Antrag noch einmal begründet? — Das ist nicht der Fall. Wer dem Antrag zu entsprechen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen einige Stimmen und bei einigen Enthaltungen ist das so angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde zu dem Thema „Volkszählung"
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hecker. Sie haben fünf Minuten Redezeit, wie Sie wissen.
Liebe Gäste!
Meine Damen und Herren! Am 27. April 1982, also heute in genau vier Wochen, wird nach dem derzeitigen Stand der Dinge der Stichtag für die sogenannte Volkszählung sein. Jeder Mensch, der die verschiedenen Fragebögen mit offenen Augen durcharbeitet, wird mit mir darin übereinstimmen, daß es sich hier nicht um eine Volkszählung, daß es
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Heckersich vielmehr um die totale Erfassung der Daten des einzelnen Bürgers handelt.Nach dem Gesetz wird dabei zwischen administrativen und statistischen Daten unterschieden, und diese sollen auch unterschiedlich behandelt werden. Aus meiner eigenen beruflichen Erfahrung kann ich sagen — das wird Ihnen jeder bestätigen, der sich mit dem Programmieren elektronischer Datenverarbeitungsanlagen befaßt hat —: Die Möglichkeiten dieser Anlagen im systematischen Verarbeiten, Suchen und Einordnen sind so groß, daß eine Trennung von persönlichen und statistischen Angaben jederzeit unterlaufen werden kann, daß also für die Benutzer der Daten — das ist nach dem Gesetz praktisch allen Behörden und sogar Privatfirmen möglich — auch die persönlichen Daten des einzelnen zugänglich sind. Ich halte das für einen untragbaren Zustand, der mich bitterernst an die Situation in Orwells Buch „1984" erinnert.Ganz offensichtlich haben auch die Unternehmer ein ähnliches Gefühl gehabt, als sie erklärten, daß sie Umsätze ihrer Firmen ebenfalls nicht offenlegen wollten. Wie Sie wissen, ist dieser Tatsache ja dann auch durch Änderung des Gesetzes Rechnung getragen worden.Nicht Rechnung getragen wurde dagegen den Bedenken vieler Bürger. Erst der Einzug der GRÜNEN in den Bundestag führt dazu, daß von diesem Redepult aus der Widerstand in dieses Parlament hineingetragen werden kann. Das ist auch bitterernst nötig. Denn Hunderttausende von Bürgern und Bürgerinnen haben sich inzwischen zusammengefunden, die sich dieser Totalerfassung widersetzen wollen. Sie wollen durch einen Boykott der Volkszählung verhindern, daß am 27. April die Durchleuchtung, Überwachung und Verplanung des einzelnen Bürgers möglich wird. Wir alle, die wir zum Boykott der Volkszählung aufrufen, halten dieses Sammeln von Daten über den einzelnen für unerträglich. Hier wird von einem Staat, dessen interne Vorgänge für den einzelnen Bürger schon lange nicht mehr verständlich, lange nicht mehr transparent sind, völlige Transparenz sogar der privaten Sphäre des einzelnen gefordert.So dürfte es auch nicht verwundern, daß für viele Menschen ein Zusammenhang besteht zwischen der Verweigerung des Staates, die Stationierungsorte für die neuen Atomraketen zu nennen, die gegen den Widerstand eines Großteils der Bevölkerung aufgestellt werden sollen, und der Verweigerung, Auskünfte über Einzelheiten unseres Lebens zu geben — ein weiterer Schritt in den Überwachungsstaat.
Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal sehr konkret werden. Erstens. Die GRÜNEN werden dem Bundestag eine Gesetzesinitiative zuleiten, die die Aufhebung des Volkszählungsgesetzes zum Ziele hat. Zweitens. Die GRÜNEN sind sich darüber im klaren, daß auf Grund der Geschäftsordnung ohne Ihre Hilfe — ohne die Hilfe eines Drittels der Abgeordneten — eine Diskussion über eine Aufhebung des Gesetzes vor dem Stichtag 27. April nichterfolgen kann. Drittens. Wir appellieren an jeden, sich selbst ein Bild über die Volkszählung und über einen möglichen Boykott zu machen, sich bei den Volkszählungsboykottinitiativen Informationen einzuholen und die Konsequenzen der Volkszählung selbst zu erkennen.Wir halten die individuelle Freiheit des einzelnen für ein so hohes Gut, daß Widerstand des einzelnen nötig ist, wenn der Staat sich an diesem Gut vergreift.
Das Wort hat der Abgeordnete Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Volkszählungsgesetz 1983 ist am 2. Dezember 1981 von diesem Bundestag nach rund vierjähriger Beratung im Innenausschuß einstimmig verabschiedet worden. Es ist mit zwei unwesentlichen Änderungen vom Bundesrat gebilligt und dann als Gesetz in Kraft gesetzt worden. Vier Jahre lang hat der Deutsche Bundestag sich im Innenausschuß kontinuierlich mit den Fortgängen der Verwaltungsarbeit zu diesem Gesetz beschäftigt.
Der Fragebogen hat im Entwurf dem Innenausschuß vorgelegen. Wir haben eine Anhörung von Interessenten an den Daten und von solchen Personen veranstaltet, die der ganzen Erhebung und manchen Einzelfragen kritisch gegenübergestanden haben.
Die Datenschützer waren in großer Zahl beteiligt, haben unsere Beratungen begleitet und haben am Ende zugestimmt. Denn hätten sie einen wesentlichen Einwand erhoben, ich kann Ihnen versichern, dieses Gesetz wäre so überhaupt nicht beschlossen worden.
Einer der in der Anhörung anwesenden Sachverständigen — Professor Krupp aus Berlin — hat viel weitergehende Vorstellungen über die Weitergabe von statistischen Daten an wissenschaftliche und andere Institute vorgetragen.
Ich wüßte nicht, was Herr Vogel, der Herrn Dr. Krupp j a eine wesentliche Rolle in seiner Regierung zugedacht hatte, heute täte, wenn er die Wahl gewonnen hätte. Ich glaube nicht, daß er das, was er vorhat, verwirklichen könnte: eine Verschiebung der Volkszählung zu beantragen, weil gerade sein Wirtschaftsfachmann die Notwendigkeit der Volkszählung — wie kein anderer, möchte ich fast sagen — im Innenausschuß vertreten hat.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Probebefragungen, die wir von Gesetzes wegen vorgeschrieben haben, haben ergeben, daß die Bevölkerung den Fragebogen vernünftig und die Fragen
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Broilangemessen findet. Es sind inzwischen über 50 000 Bürger probebefragt worden. Sie sollten sich diesen Fragebogen ansehen. Gott sei Dank haben ja nun neuerdings auch die Presse und die anderen Medien Interesse an diesen Dingen gewonnen, während ich damals als Redner zu diesem Thema beklagt habe, daß meine Rede nicht auf der ersten Seite der Zeitung erwähnt worden war — zugegebenermaßen. Wenn Sie diese beiden Fragebögen begucken, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie keine einzige Frage sehen, von der Sie sagen könnten, Sie beträfe den intimen Bereich des Menschen.
Nichts von dem, was auf der ersten Seite zu finden ist — Name des Haushaltsvorstands, Zahl der Angehörigen, Straße, eventuell freiwillig Telefonnummer — wird überhaupt gespeichert. Diese ganze erste Seite verschwindet, sobald die vielen tausend Helfer bei den Haushaltungen gewesen sind und die Einzeldaten in ihre Sammelakten übertragen haben. Ich sehe absolut nicht ein, — —
— Lieber Herr Kollege, die Geschäftsordnung sieht Zwischenfragen in der Aktuellen Stunde nicht vor.— Ich hoffe, daß der Bundestag den Kollegen der GRÜNEN die Geschäftsordnung zugestellt hat.Persönliche Daten, die irgendwie durch Datenschutz berührt werden können, werden im Grunde schon gar nicht erhoben. Das Statistikgeheimnis ist in der Bundesrepublik nebst dem Beichtgeheimnis, möchte ich sagen, das bestgehütete Geheimnis. Es gibt kein einziges Beispiel seit 1949, daß ein Befrager in irgendeiner Weise gegen das verstoßen hat, was ihm als öffentlich Verpflichtetem obliegt.Ich weiß nicht, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, was Sie von Eid und öffentlicher Verpflichtung halten. Was Sie bisher gezeigt haben, war sehr diffus.
Ich verlange, daß unseren öffentlichen Bediensteten und all den ehrenamtlichen Helfern, die sich bereitfinden, bei der Volkszählung mitzumachen, der Respekt gezollt wird, den sie verdienen.
Sie haben Anspruch darauf, daß wir ihrer Ehrlichkeit und ihrer Treue vertrauen, so, wie wir es bisher zu Recht getan haben.
Der Innenausschuß hat die Zahl der Fragen sogar fast halbiert, wenn Sie das einmal mit dem vergleichen, was im Jahre 1970 oder ein paar Jahre später zur Wohnungszählung gefragt worden ist.Wir haben die Zahl der Fragen dieser Volkszählung, die sicher für den Bürger lästig ist, so gering wie möglich gehalten, um dennoch das nötige Material zu bekommen. Deswegen fordere ich erstens die Kollegen von der SPD auf: Verfallen Sie bitte nicht der Versuchung, auf eine Kampagne hereinzufallen und bei ihr mitzumachen, die das zerstört, was Sie Selbst bis zum letzten Augenblick hier im Bundestag mitgemacht haben.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist beendet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Abgeordneten der GRÜNEN fordere ich auf, sich wesentlichere Themen auszusuchen, um den Staat unregierbar zu machen. Mit diesem Thema schaffen Sie es nicht.
Die Bürger bitte ich — —
Ihre Redezeit ist beendet!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bürger bitte ich zum Abschluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, jenes Maß an Treue und Opferbereitschaft für den Staat aufzubringen, das nötig ist, um unseren Staat mit guten Daten zu versorgen. Zehn Minuten Arbeit an der Volkszählung bedeuten zehn Jahre bessere Grundlage für Politik.
Die Redezeit ist abgeschlossen. Verehrter Herr Kollege, Sie haben das Ende der Redezeit erreicht. Sie wissen: Das ist bei dieser Debatte wichtig.
Herr Abgeordneter Schäfer, Sie haben das Wort.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aktive staatliche Arbeitsmarktpolitik, vorausschauende Strukturpolitik, zukunftsweisende Energiepolitik, der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sind, um nur einige wichtige Politikbereiche zu nennen, ohne aktualisierte statistische Daten nicht möglich.
Kein moderner Staat kann also auf Planungsdaten verzichten. Dazu ist auch die Volkszählung notwendig.
Deshalb haben wir Sozialdemokraten in der 8. und 9. Legislaturperiode am Volkszählungsgesetz konstruktiv mitgearbeitet, deshalb haben wir diesem Gesetz auch zugestimmt, deshalb bejahen wir unverändert die Notwendigkeit statistischer Erhebungen.Die vorgesehene Durchführung des Gesetzes läßt freilich gravierende Fehler erkennen. Der Vollzug des Gesetzes entspricht in wesentlichen Punkten nicht dem Willen des Gesetzgebers. Einige Punkte will ich nennen. Abzulehnen ist beispielsweise der Einsatz von Polizeibeamten als Zähler.
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Schäfer
Hier finden wir uns in Übereinstimmung mit der Gewerkschaft der Polizei, die einen solchen Einsatz ausdrücklich ablehnt.Abzulehnen ist das In-Aussicht-Stellen von sogenannten Kopfprämien.
Es ist ein schlimmer Vorgang, wenn die Stadt München für nicht gemeldete deutsche Staatsbürger 2,50 DM Belohnung und für ausländische Staatsbürger 5 DM Belohnung in Aussicht stellt. Hier wird zudem noch die Ausländerfeindlichkeit geschürt.
Der mangelhafte Fragebogen muß überarbeitet werden. Durch die Gestaltung des Fragebogens muß sichergestellt werden, daß die unverzichtbare Trennung zwischen Statistik und Verwaltungsvollzug wieder hergestellt wird. Dies ist im Interesse eines Datenschutzes unverzichtbar.
Es muß durch verbindliche Verwaltungsvorschriften sichergestellt werden, daß die Daten erst dann zu statistischen Zwecken weitergeleitet werden, wenn die personenbezogenen Angaben gelöscht sind.
All dies hat unser Fraktionsvorsitzender in einem Brief an den Bundeskanzler festgehalten. Diese Forderungen wären rechtzeitig zu verwirklichen gewesen, wie das Beispiel der Länder Hamburg und Berlin zeigt. Es hätte einen ländereinheitlichen, datenschutzfreundlichen und bürgerfreundlichen Vollzug gewährleistet. Statt dessen hat die Bundesregierung auf stur geschaltet. Wir haben angesichts der datenschutzfeindlichen Äußerungen der Herren Zimmermann und Spranger Verständnis dafür, daß vielen Bürgern das Ehrenwort des Herrn Zimmermann nicht genügt, es würde kein Mißbrauch mit Daten der Bürger betrieben werden.
Angesichts der gravierenden Mängel, angesichts der Tatsache, daß der Erfolg der Volkszählung nur dann gewährleistet ist, wenn möglichst vollständige Angaben zu erwarten sind, ist eine Verschiebung die einzige sachgerechte Möglichkeit, um einen ländereinheitlichen datenschutzfreundlichen, bürgerfreundlichen, und vor allem auch vollständigen Erfolg der Volkszählung erreichen zu können.
Sie von der CDU/CSU und FDP haben die Mehrheit, Sie tragen die Verantwortung, wenn der Erfolgder Volkszählung gefährdet ist. Sie tragen die Verantwortung dafür, daß rund eine halbe Milliarde DM Steuergelder verschwendet werden.
Niemand kann sagen, eine Verschiebung sei nicht möglich. Wir haben in der 8. Legislaturperiode, alle insgesamt, die damals im Bundestag vertreten waren, plus alle Länder, plus die Bundesregierung, einer Verschiebung der Volkszählung zugestimmt, weil man sich nicht einigen konnte, wie die Kosten der Volkszählung zwischen Bund und Ländern zu verteilen seien. Jetzt, wo es darum geht, den Termin der Volkszählung um einige wenige Monate zu verschieben, um die Volkszählung datenschutzfreundlich, bürgerfreundlich durchzuführen, um den Erfolg der Volkszählung nicht zu gefährden, sperren Sie sich. Sie tragen die Verantwortung dafür, wenn die Volkszählung zu einem Reinfall wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hirsch.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich das hier höre, habe ich den Eindruck, daß die Volkszählung benutzt werden soll, um alle möglichen Rechnungen zu begleichen.
Ich möchte erst einmal die Vaterschaftsfrage klären. Als wir das Gesetz gemacht haben, waren wir umlagert von Wohnungsbauern, Raumordnern, den zuständigen Ausschüssen, dem Ministerium, das damals der verehrte Kollege Haack unter sich hatte, das unerbittlich weitere Daten wollte, von den kommunalen Spitzenverbänden, von den Gemeinden, von den Statistikern, von den Kirchen, und zu allem haben, wie ich gehört habe, die Alternativen in Berlin noch draufgesattelt, weil ihnen das Fragevolumen überhaupt nicht ausgereicht hat.
Wir haben von keinem rechtliche Bedenken gehört, sondern wir haben immer nur gehört: Das reicht eigentlich nicht aus. Ich möchte, daß sich alle, die dafür waren, daß diese Fragen erhoben werden, nicht hinter der Fichte verbergen und die Vaterschaftsfrage plötzlich verschleiern wollen. Sie sollen sich zu ihren Kindern bekennen, sie sollen offen auf die Lichtung treten und dafür sorgen, daß das etwas wird, was wir gemacht haben.
Es gibt eine Gruppe von Leuten, die das überhaupt nicht wollen. Da hat eine Verschiebung und eine Vertagung überhaupt keinen Sinn. Das kann man nur zur Kenntnis nehmen. Wir müssen um die Bürger werben, die einen Sinn für Datenschutz und für Privatheit entwickelt haben und die sich nicht damit zufrieden geben, daß sie eigentlich nichts zu verbergen haben. Ich könnte meine Daten auch an einem schwarzen Brett irgendeines Ministeriums
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Dr. Hirschaufhängen, wenn der Innenminister es zuläßt. Nur habe ich ein Gefühl dafür, daß das eigentlich niemenden etwas angeht. Wir müssen dafür sorgen und bei diesen Bürgern dafür werben — nicht mit einer Strafdrohung — sondern damit sie den Sinn dieses Unternehmens sehen —, daß sie erkennen, daß die Daten notwendig sind, daß sie bereit sind mitzuwirken und daß sie wissen und darauf vertrauen können, daß die Daten anonym behandelt werden.Ich sage: Von einer Totalerfassung kann überhaupt keine Rede sein. Die Daten, die angefragt werden, sind notwendig für Wohnungsbau, für Bildungswesen, für Straßenbau, für Bevölkerungsprognosen und für unsere sozialen Systeme. Wir brauchen sie selbst. Daran kann eigentlich keiner ernsthaft zweifeln.Nun haben wir, was den zweiten Teil angeht, nämlich die Frage der Anonymität, in der Tat nicht alles in das Gesetz hineingeschrieben, was man hätte hineinschreiben können. Es kommt also in besonderer Weise auf die Durchführung dieses Gesetzes an.
— Herr Kollege Schily, ich kann leider auf Ihre Zwischenfrage nicht antworten, weil ich sie nicht verstanden habe.
— Es wird kein Mensch in dieser Frage privilegiert, sondern die Daten werden nur anonym verwendet und nur für die Zwecke, für die sie nach dem Gesetz bestimmt sind, nämlich für statistische Zwecke.
Was die Durchführung des Gesetzes angeht, hat der Innenminister von Nordrhein-Westfalen eine, wie ich finde, vorbildliche Regelung vorgeschlagen: bessere Aufklärung der Bürger über den Sinn, auch über ihre Rechte, die Beschränkung bei der Auswahl der Zähler — bestimmte Berufsgruppen, nämlich Polizeibeamte und Finanzbeamte, werden nicht hinzugezogen —, keine zusätzlichen Fragen durch die Gemeinden — was in München passiert ist, ist in der Tat grotesk —, die Beschränkung des Vergleichs mit den Melderegistern, seine Durchführung durch die Zählungsdienststellen und die Vernichtung der Fragebogen und der Kennummern, sobald das statistisch möglich ist — das kann ab 1984 geschehen.Diese Regelungen halte ich für außerordentlich sinnvoll. Wir müssen zum einen an Bund und Länder appellieren, daß sie sich auf ein einheitliches Verfahren in dem Sinne, wie von Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen, verständigen.
Unsere Aufforderung an den Bundesinnenminister geht dahin, dafür zu sorgen, daß die Innenministerkonferenz baldmöglichst zusammentritt, um das sicherzustellen. Wir sind bereit, eine Novelle zu unterstützen, die z. B. das Enddatum für die Vernichtung der Unterlagen sichert. Das setzt nicht voraus,daß die Volkszählung deswegen verschoben wird.Ich appelliere an die Kollegen der SPD, nicht den,,schlanken Fuß zu machen" und sich der Verantwortung zu entziehen, daß wir diese notwendigen Daten bekommen und daß der Bürger darüber auch aufgeklärt wird, daß die Daten notwendig sind.
Wir appellieren schließlich an den Bürger, sich dieser notwendigen Aufgabe in unser aller Interesse nicht zu entziehen.
Das Wort hat der Bundesminister des Innern.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Notwendigkeit der Volkszählung und den anderen wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Fragen wird mein Kollege Otto Graf Lambsdorff für die Bundesregierung antworten. Ich möchte auf einige Argumente eingehen, die hier gebracht worden sind.Herr Kollege Schäfer, zunächst einmal muß ich Ihrem Informationsstand auf die Beine helfen. Das, was München tut, nämlich den Zähler bei Zählung von ausländischen Haushalten mit einer zusätzlichen Prämie zu belohnen, ist ein Beschluß des Münchener Stadtrates, dem die SPD-Fraktion des Münchener Stadtrates zugestimmt hat.
Es ist nämlich ein großer Unterschied für einen Zähler, ob er einen Normalhaushalt oder einen schwierigen Haushalt vor sich hat — mit Übersetzungsschwierigkeiten oder anderen Problemen —, wo er den doppelten oder dreifachen Aufwand hat, um dafür zu sorgen, daß der Fragebogen sachverständig und richtig ausgefüllt wird.Was zweitens den Vollzug betrifft, so wissen Sie ganz genau, daß die Bestimmung des Zählers erst Sache der Länder und dann der Gemeinden ist. Jedes Land kann sich also verhalten, wie es will. Es kann Beamte, öffentliche Angestellte, Polizeibeamte, Steuerbeamte nehmen oder weglassen. Es kann Privatpersonen einsetzen. Der Bund hat darauf nicht den geringsten Einfluß. Das sollte man hier nicht verschweigen.Ein weiteres betrifft die Praxis eines anderen Landes. Es ist nicht Hamburg und nicht Bremen, sondern ein sozialdemokratisch regiertes großes Flächenland. Da schreibt mir der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen:Sehr geehrter Herr Bundesminister!Für Ihr Fernschreiben zur Volkszählung danke ich.Die Haltung der Landesregierung ist eindeutig. Die Landesregierung hat sich mit Beschluß vom 15. März 1983 nochmals für die Durchführung der Volkszählung ausgesprochen. Sie ist
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Bundesminister Dr. Zimmermannauch mit dem vorgesehenen Stichtag 27. April 1983 einverstanden.Ihr Johannes Rau.Daran sollten Sie sich ein Beispiel nehmen,
anstatt hier so billig und heuchlerisch zu polemisieren.
Sie wissen doch ganz genau, daß es nach § 9 des Volkszählungsgesetzes ganz klar ist
— dafür, was „unglaublich" ist, bieten Sie minütlich ein Beispiel, verehrte gnädige Frau —, daß Einzelangaben nicht für Vollzugszwecke im Einzelfall verwendet, nicht an die Polizei, nicht an den Verfassungsschutz, nicht an das Finanzamt, nicht an das Wohnungsamt, nicht an das Sozialamt gegeben werden dürfen.
Sie dürfen auch nicht der Wirtschaft für deren Zwecke zur Verfügung gestellt werden. Alle anderen Behauptungen sind falsch.Die einzige Möglichkeit, Einzelangaben für den Verwaltungsvollzug zu verwenden, bringt die Zulässigkeit des Vergleichs mit den Melderegistern. Sie dürfen nur für diesen Zweck des Vergleichs mit den Melderegistern verwendet werden. Dieser Registerabgleich war nicht nur bei allen vergangenen Volkszählungen zulässig, sondern er ist auch absolut notwendig, vor allem für die Gemeinden.Es besteht ein allgemeines Interesse daran, daß die Melderegister der Gemeinden wegen ihrer vielfältigen Funktionen richtig sind. Die Melderegister haben auch eine besondere statistische Bedeutung, da zukünftig nach den Angaben im Melderegister hinsichtlich der Hauptwohnung die Zahl der Einwohner einer Gemeinde ermittelt werden soll.Der Münchener Oberbürgermeister hat mir an drastischen Beispielen klargemacht — nicht nur er —, wie notwendig es für ihn ist, nicht nur die Zahl der Hauptwohnungen, die Zahl der vermieteten Wohnungen, die Zahl der Sozialwohnungen, die Zahl der Notunterkünfte, die Zahl der Werkswohnungen, die Zahl von Ausländerwohngemeinschaften, die Zahl ausländischer Haushaltsvorstände — —
— Ja, die ganz besonders. Es ist außerordentlich notwendig und wichtig, zu wissen, ob wir in der Bundesrepublik Deutschland 4,7 oder 5,3 Millionen Ausländer haben.
Wir brauchen also aktuelle Einwohnerzahlen, und wir brauchen die Daten über die Struktur der Bevölkerung bei der letzten Wahl. Wir sind jetzt 13 Jahre von der letzten Volkszählung entfernt. Bei der letzten Wahl hat sich gezeigt, daß — ich sage es vorsichtig — Zehntausende von Wahlscheinen doppelt ausgegeben worden sind. Man stelle sich einmal vor, zu welchen Unzuträglichkeiten das bei einer Kommunalwahl führen könnte, wenn möglicherweise wenige Stimmen über die Zuteilung oder Nichtzuteilung eines Mandats entscheiden können.Unter allen denkbaren Gesichtspunkten — das kann ich nur noch einmal sagen — ist es notwendig, diese Volkszählung durchzuführen. Jeder von uns, meine Damen und Herren, weiß doch: Wenn die Volkszählung jetzt um ein paar Monate verschoben würde, wären die Argumente, die wir bisher gehört haben, die gleichen. Keines ist überzeugend gewesen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wernitz.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn die Bemerkung von Herrn Zimmermann zurückweisen, daß unsere Position und unsere Darstellung „billig und heuchlerisch" sei. So gehen wir hier nicht miteinander um.
Meine Damen und Herren, jeder moderne Staat, der seinen Aufgaben und Verpflichtungen entsprechend den Gesetzen und der Verfassung gerecht werden will, der braucht möglichst genaue und aktuelle Angaben und Planungsdaten. Deshalb sollen alle über den Tag hinaus denkenden Politiker — das sage ich klar und deutlich — den Mut haben, auch jetzt zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer Volkszählung zu stehen.
Man kann unter den Bedingungen des modernen Rechts- und Sozialstaats nicht bei vollem staatlichen Service auf allen Ebenen und in allen Lebenslagen Robinson spielen. Das geht nicht.
Allerdings nehmen wir die in der Bevölkerung entstandenen Bedenken und Zweifel an der geplanten Volkszählung in der jetzigen Form ernst. Aber ich sage hier auch mit vollem Ernst und großem Nachdruck: Der Boykott eines gültigen Gesetzes wäre Rechtsbruch. Dazu sollte von diesem Pult nicht aufgerufen werden.
Meine Damen und Herren, der Bund und die Länder müssen sich allerdings vorhalten lassen, daß sie es versäumt haben, die Bürger rechtzeitig
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Dr. Wernitzund hinreichend über die Volkszählung aufzuklären.
So sind z. B. entsprechende Forderungen und Vorstöße des Deutschen Städtetages nach rechtzeitiger Öffentlichkeitsarbeit gegenüber der Bundesregierung seit April 1982 nicht erfolgreich gewesen — bis in die letzten Wochen hinein. Eine intensive, anschauliche und seriöse Aufklärungsaktion von Bund und Ländern ist unabhängig von der Verschiebung oder Nichtverschiebung unverzichtbar.Eine weitere vertrauensbildende Maßnahme könnte es sein, wenn im Rahmen der Innenministerkonferenz alle kritischen Fragen bezüglich der Durchführung der Volkszählung beraten und notwendige Maßnahmen bundeseinheitlich ergriffen würden. Hier ist leider wertvolle Zeit vertan worden. Das muß ich auch einmal sehr deutlich sagen.Meine Damen und Herren, das Engagement der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern ist im Zusammenhang mit den Diskussionen der letzten Wochen und der letzten Tage außerordentlich positiv zu werten. Dies verdient anhaltende Unterstützung und Förderung, auch von seiten der Politiker hier im Parlament.
Die Akzeptanz der Volkszählung wäre beim Bürger sicher größer gewesen, wenn sich die zunächst im Parlament beschlossene Fassung des Gesetzes behauptet hätte. Die Reden draußen, daß wir dieses und jenes nicht erkannt hätten, gehen an den Tatsachen vorbei. Hier hat der Kollege Broll absolut Recht mit dem, was er gesagt hat. Ich bitte diejenigen, die hier kritisch eingestellt sind, auch das bei ihren Diskussionen zu berücksichtigen.Meine Damen und Herren, die im Vermittlungsverfahren durchgesetzte Fassung ist in manchen Punkten nicht unproblematisch und ohne Zweifel verbessungswürdig. Hier ist einiges schon gesagt worden. Ich wäre froh darüber, wenn die Umsetzung, die Auswertung und damit das Aufbewahren der einschlägigen personenbezogenen Daten nicht erst nach 18 Monaten, sondern zu einem früheren Zeitpunkt beendet bzw. gelöscht werden könnte. Ich würde weiter vorschlagen, daß bundesweit sichergestellt sein sollte, daß zur Übermittlung von Daten an eine Gemeinde das Bestehen einer Datenschutzsatzung Voraussetzung ist, über den Rahmen des gültigen Gesetzes hinaus.Und schließlich muß alles getan werden, um die Gestaltung des Fragebogens streng nach Geist und Buchstaben des Gesetzes zu regeln. Dies scheint mir wichtig zu sein. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, daß der Kollege Hirsch für seine Fraktion gesagt hat, eine Initiative, die wir einbringen wollen, um eine Weitergabe der erhobenen Daten nach strengeren Regeln zu sichern, würde von Ihnen eventuell konstruktiv mitgetragen. Hierzu rufe ich alle Fraktionen des Bundestages auf.Wir werden uns im Parlament — ob nun verschoben wird oder nicht — mit der Durchführung, mit der Umsetzung und der Auswertung dieses Gesetzes auf allen Ebenen des Deutschen Bundestages sehr gründlich zu beschäftigen haben. Das sind wir uns, dem Bürger und der Akzeptanz dieser notwendigen Gesetze schuldig. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laufs.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt Gruppierungen in unserem Land, die aus den staatsbürgerlichen Pflichten aussteigen wollen, aber gleichzeitig auf allen Rechtsansprüchen der sozialen Fürsorge und Daseinsvorsorge, von der Sozialhilfe bis zum Umweltschutz, bestehen bleiben.
Unsere Aussage dazu ist: Ohne ein Mindestmaß an Solidarität, Pflichterfüllung und Vertrauen der Bürger gegenüber ihrem Staat ist unser Sozialstaat nicht lebensfähig.
Zu diesem Mindestmaß gehört die Bereitschaft der Bürger, die Volkszählung 1983 mitzutragen. Es ist unerhört, was da an Volksverunsicherung und Falschinformation in die Welt gesetzt wird.
Ihre klaren Aussagen, Herr Kollege Wernitz, zu den Boykottaufrufen und der Angstmacherei begrüßen wir. Aber die öffentliche Begleitmusik von seiten der SPD — ich erinnere an den Kollegen Schäfer — zur, wie Sie gesagt haben, sturen datenschutz- und bürgerfeindlichen Haltung der Bundesregierung
ist ebenso unverantwortlich.Nach einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen Mitte März sollen viele Bürger befürchten, daß ihre Angaben mißbraucht werden könnten.
Das ist auch uns Anlaß zur Sorge. Natürlich läßt sich Mißbrauch bei keinem Gesetz mit absoluter Sicherheit ausschließen. Aber der vorgesehene Schutz des Bürgers durch das Statistikgeheimnis und die datenschutzrechtlichen Vorschriften ist gut und belastbar. Ich sage dies nach allen eingehenden Beratungen im Innenausschuß, die sich j a über Jahre hingezogen haben.
Es wird gefragt: Kann sich der Bürger auf diesen gesetzlichen Schutz aber wirklich verlassen? Professor Bull, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, der gewiß nicht im Verdacht steht, jemals einer Regierung nach dem Munde geredet zu haben, sagt dazu:
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Dr. LaufsDarüber wachen die Landesbeauftragten und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz. Unsere Erfahrungen zeigen, daß das Statistikgeheimnis zu den am besten gehüteten Geheimnissen gehört. Es ist kein einziger Verstoß dagegen bekanntgeworden, obwohl es bekanntlich sehr viele Statistiken gibt.An anderer Stelle sagt Professor Bull:Ich bin überzeugt, kein Bürger braucht zu befürchten, daß seine personenbezogenen Daten mißbraucht werden.
Es ist unsere Pflicht und es ist die Wahrheit, den Bürgern draußen zu sagen, das altbewährte Statistikgeheimnis sichert die Geheimhaltung der Volkszählungsdaten. Der Datenschutz beim Vollzug des Volkszählungsgesetzes durch die Länder und Gemeinden — dazu brauchen wir keine zusätzliche Gesetzesänderung —
wird sorgfältig beachtet werden.
Wir unterstützen alle Vorschläge, z. B. der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, zur optimalen Sicherung des Datenschutzes, wo es um die Auswahl der Zähler geht, wo es um die Aufbereitungsverfahren, die frühzeitige Trennung von Namen und sonstigen Daten oder wo es um die Vernichtung der Erhebungsbögen und die Löschung der Kennummern nach der elektronischen Speicherung geht und vieles andere mehr.Wir begrüßen, daß die Vertreter des Bundes und der Länder am 24. März dieses Jahres betont und festgestellt haben, daß Vorbereitung und Durchführung der Volkszählung den Verfahrensvorschlägen soweit wie möglich entsprechen, wie sie die Konferenz der Datenschutzbeauftragten zum Volkszählungsgesetz 1983 vom 22. März 1983 zum Ausdruck gebracht haben. Diese Stellungnahme der Datenschutzbeauftragten schließt mit dem Satz: „Wird diesen Forderungen der Datenschutzbeauftragten Rechnung getragen, so sind nach ihrer Überzeugung die Sorgen der Bürger im wesentlichen unbegründet."
So wurde es vor wenigen Tagen gesagt.Des weiteren begrüßen wir, Herr Schily, daß der Bund und die obersten Landesbehörden vorgeschlagen haben, den Melderegisterabgleich nicht in den Meldebehörden vorzunehmen, sondern in den Erhebungsstellen. Die Grunddaten für den Registerabgleich — das sind sehr wenige Daten — sollen also nicht an die Meldeämter übermittelt werden, sondern diese sollen zu den Erhebungsstellen kommen. Dieser Vorschlag geht noch über den Forderungskatalog der Datenschutzbeauftragten hinaus, aber auch ihn bejahen wir. Deshalb kann ich Ihre Aufregung überhaupt nicht verstehen.
Wir wollen die Sorgen der Bürger sehr ernst nehmen und alle Fragen sorgfältig aufklären. Es ist unser Wille, uns im zuständigen Innenausschuß ins einzelne gehend über die Durchführung des Volkszählungsgesetzes auch von den Ländern unterrichten zu lassen.Die Volkszählung, Herr Kollege Schäfer, wird kein Reinfall werden. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Graf Lambsdorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe den Bundesregierungen angehört, die dieses Gesetz verabschiedet haben. Ich bin immer wieder Mahner und Treiber gewesen. Denn nach meiner Überzeugung kommt es drei Jahre zu spät. Es ist damals an finanziellen Bedenken gescheitert, nicht an inhaltlichen Einwendungen. Ich habe mich natürlich darauf verlassen, daß besonders die Kollegen Justizminister der früheren Regierungen, die Herren Dr. Vogel und Dr. Schmude, die Rechtsförmlichkeit dieses Gesetzes für in Ordnung befunden und auch die Innnenminister das so gehandhabt haben.
Wenn jetzt gegen die verwaltungsmäßige Durchführung Bedenken erhoben werden, stelle ich zu meiner Zufriedenheit fest, daß man sich offensichtlich darauf verständigen und einigen kann, diese zu beseitigen. Besonders der Vorschlag, die Daten nach einer bestimmten Zeit wirklich und garantiert zu vernichten, scheint mir sehr bedenkenswert zu sein.Richtig ist es, daß wir z. B. im Jahr 1970 bei der Volkszählung als Ergebnis gefunden hatten, daß es in der Bundesrepublik Deutschland 860 000 Menschen weniger gab, als wir bis damals wußten. Richtig ist, daß wir jetzt schätzen, daß wahrscheinlich im Jahr 1983 1 Million Menschen weniger in der Bundesrepublik leben, als wir annehmen. Allein der Wohnraum dafür bedeutet ein Investitionsvolumen von 53 Milliarden DM.
Wie soll ein Staat, wie soll eine Politik planen, wenn sie auf so unsicheren Planungsgrundlagen stehen?
Wir können keine vorausschauende Wirtschafts-, Wohnungsbau-, Struktur-, Arbeitsmarkt-, Renten- und Finanzpolitik betreiben, wenn wir hier nicht mehr wissen, wenn wir uns hier — ich sage das sehr deutlich — volkswirtschaftlich und statistisch auf den Zustand eines Entwicklungslandes zubewegen. Das darf nicht geschehen. Politische Entscheidungen erfordern eine umfassende, aktuelle und sichere Datenbasis.
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Bundesminister Dr. Graf LambsdorffDas gilt ganz besonders für die Arbeitsstättenzählung. Sie spielt eine zentrale Rolle für die Erfassung der mittelständischen Wirtschaft und eine zentrale Rolle für die Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Zonenrandförderung, die wir z. B. mit der Europäischen Kommission wegen der Genehmigungsbedürftigkeit zu diskutieren und zu beweisen haben. Sie spielt eine zentrale Rolle für die Ersatzarbeitsplätze, die wir durch regionale Wirtschaftspolitik schaffen wollen. Ohne gesichertes Zahlenmaterial gibt es diese Ersatzarbeitsplätze nicht. Es gibt sie nicht für die Stahlarbeiter in Dortmund, für die Textilarbeiterinnen in Gronau und für die Werftarbeiter in Bremen und Hamburg. Sie brauchen dazu diese Daten.
— Herr Schily, wenn Sie sich durch Zwischenrufe hier so intensiv betätigen, hätte ich diese Energie gewünscht, als Ihre Freunde in Berlin auf die Fragen draufgesattelt haben. Da haben Sie sie nicht gezeigt.
Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist eine zentrale Aufgabe dieser Bundesregierung und auch dieses Bundestages. Ohne gesicherte Erkenntnisse geht das nicht.Ich bitte alle Bürger im Lande, daran mitzuwirken. Wer uns daran hindert, bekämpft nicht Arbeitslosigkeit; er verlängert Arbeitslosigkeit. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Leute!
Wenn man den Wirtschaftsminister hier so hört, dann muß man glauben, daß in diesem Land deswegen so schlecht regiert wird, weil nicht genug Fakten bekannt sind. Ich bin der Auffassung, daß durchaus genug Fakten vorliegen, um gute Regierungsreformen zu machen, daß sie aber aus ganz anderen Gründen nicht gemacht werden.Ich bin auch der Auffassung, daß der Widerstand der Bevölkerung gegen diese Volkszählung sehr, sehr groß ist. Auch die Umfragen im Fernsehen haben das deutlich gemacht. 50 % der Bevölkerung glauben nicht an das Versprechen, dieses Ehrenwort, das Innenminister Zimmermann gegeben hat, daß die Daten nicht mißbraucht werden. Und bis zu 25% sind durchaus bereit, Widerstand gegen diese Volkszählung zu leisten.
Die Volkszählung mit ihren enormen Kosten treibt auf ein Fiasko zu, und sie wird unserer Meinung nach auch ein grandioser Mißerfolg werden.
Ich möchte aber noch auf einen besonderen Gesichtspunkt bei der Volkszählung, wie sie ja offiziellheißt, hinweisen. Das sind die Folgerscheinungen, die in dieser Frage auf die Ausländer zukommen. Man will nicht wissen, ob 4,5 Millionen oder 5,3 Millionen Ausländer in diesem Lande leben, sondern es geht hier darum — das hat die CDU in ihren Erklärungen ganz deutlich gemacht —, daß die CDU die Zahl der Ausländer in diesem Lande um mindestens die Hälfte herunterdrücken und daß sie die Ausländer wieder aus dem Lande heraustreiben will, nachdem sie sie einmal als Arbeitskräfte geholt hat, damit sie das Land aufarbeiten.Unsere Ausländergesetze stempeln die Ausländer zu Menschen zweiter Klasse. Eine ganze Reihe von restriktiven Maßnahmen bestimmen ihre Realität. Beruflich und kulturell können sie nicht das durchsetzen, was sie wollen. Sie sind sozial und rechtlich benachteiligt.
Nicht einmal das kommunale Wahlrecht wird den Ausländern zugestanden. Doch sind sie hier in der Bundesrepublik inzwischen als Arbeitseinwanderer, als Arbeitsemigranten anzusehen.Bei der Volkszählung rechnet man sie plötzlich zum Volk; da gehören die Ausländer ganz selbstverständlich dazu, und sie werden verpflichtet, ihre Lebensverhältnisse genau offenzulegen. Sie haben auch mit Bußgeldbescheiden zu rechnen, wenn sie bei der Volkszählung nicht mitwirken. Diese Bußgeldbescheide werden dann in die Register der Ausländerbehörde eingetragen. Auch Herr Zimmermann kann nicht dafür garantieren, daß diese Eintragungen später nicht dazu führen werden, daß das als eine gegen die Belange der Bundesrepublik gerichtete Maßnahme angesehen wird, wenn Ausländer um eine Verlängerung ihrer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis nachsuchen, mit der Folge, daß sie ausgeliefert oder ausgewiesen werden.Die Datenerhebung der Volksaushorchung wird den Behörden genaue Hinweise liefern können, ob Ausländer gegen die verschiedenen Bestimmungen verstoßen haben, z. B. ob sie in den Gebieten wohnen, wo sie wohnen sollen, oder ob sie auch alle Kinder angegeben haben, die sie wirklich haben.
Daß das Mißtrauen berechtigt ist, ob die Angaben ordnungsgemäß und nur zu statistischen Zwecken verwendet werden, beweist sehr deutlich ein Skandal um Angaben, die Asylanten im Rahmen des Asylverfahrensgesetzes gemacht haben, der jetzt durch ein Gerichtsurteil in Berlin aktenkundig geworden ist. Alle diese Asyl-Daten wandern über die Tische deutscher Behörden, über die Tische des BND und des Verfassungsschutzes; es gibt eine Fülle von Hinweisen, daß diese Daten dann an Geheimdienste in der Türkei, im Irak und Iran weitergegeben wurden, was dazu geführt hat, daß aus der Bundesrepublik Ausgelieferte später mit Gefängnis, Verhaftung und sogar mit Hinrichtungen haben rechnen müssen.
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46 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983
Schneider
— In der Türkei z. B. ist es ganz deutlich geworden.— Die CDU/CSU hat deutlich gemacht, daß sie die Zahl der Ausländer drastisch verringern will.
Herr Abgeordneter Schneider, ich muß Sie leider bitten, die Rede sofort abzubrechen,
weil die fünf Minuten um sind.
Ich sage nur noch meine Schlußsätze.
Nein, das können Sie leider nicht. In dieser Debatte ist das nicht möglich.
— Einen Satz zum Schluß, gerne. — Bitte.
Ich möchte zum Schluß sagen: Der Wert einer Demokratie bemißt sich danach, wie man mit Minderheiten umgeht.
Wir sind durch unsere Vergangenheit gewarnt, und wir müssen darauf achten, daß wir nicht wieder in Denk- und Handlungsformen von gestern zurückfallen. Es gibt ungezählte Menschen; sorgen wir dafür, daß das so bleibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Niegel.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vor allem im Namen der Politiker, die im Bereich Raumordnung, Bauwesen und Städtebau tätig sind, darauf hinweisen, daß die mit dieser Volkszählung verbundene Wohnungszählung unbedingt notwendig ist. Wir haben seinerzeit einstimmig — auch die Kollegen der SPD haben zugestimmt —
dies beschlossen.
— Ich darf Ihnen das seinerzeit Beschlossene noch einmal vorlesen, Herr Schäfer:Die Volkszählung dient mit ihrem gesamten Zählungsprogramm dem Informationsbedarf von Bund, Ländern und Gemeinden. Besonders ausgeprägt ist das Interesse des Bundes an der geplanten Grundstücks-, Gebäude- und Wohnungszählung.Ich sage diese drei bewußt.Ohne diese durch die geplante Grundstücks-, Gebäude- und Wohnungszählung erhobenen Daten lassen sich seitens des Bundes die wohnungspolitischen, städtebaulichen und raumordnerischen Aufgaben nicht erfüllen, zumaldie letzte Zählung bereits aus dem Jahre 1968 stammt.Das ist der Wortlaut des Beschlusses, der einstimmig gefaßt worden ist. Und das möchte ich diesem Hohen Hause auch bekanntgeben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Notwendigkeit ergibt sich schon daraus,
daß man in der Wohnungspolitik nicht weiß, wie viele Familien vorhanden sind, die Wohnungen brauchen, wie viele Wohnungen vorhanden sind, die leer stehen, die renovierungsbedürftig sind usw. Und da wundert es mich gar nicht, daß am 17. Oktober 1974 in diesem Hause ein Gesetz beschlossen wurde, das sogenannte Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz, das auf fehlenden Daten basierte, das zu diesem Zeitpunkt gar nicht notwendig gewesen wäre. Wir wissen heute eben nicht, wie viele leer stehende Wohnungen vorhanden sind. Wir wissen heute nicht, wie viele unterbelegte Wohnungen vorhanden sind, wie viele Wohnungen modernisierungsbedürftig sind.Da die Wohnungspolitik gerade im letzten halben Jahr zur Wiederankurbelung der Wirtschaft eine große Rolle gespielt hat, meine ich, sollte auch das mit im Zentrum der Volkszählung stehen.
Früher hatten wir eine eigene Wohnungszählung, die letzte im Jahre 1968. Diese Wohnungszählung sollte später wiederaufgelegt werden. Aber das war nicht möglich. Man hat sie jetzt mit der Volkszählung verbunden, in einem sogenannten HuckepackVerfahren, wie man das so schön sagt.Wir wollten sogar — und deshalb habe ich vorhin den Beschluß zitiert — eine Gebäude-, Grundstücks- und Wohnungszählung haben. Aber das ist dann nicht möglich gewesen, wegen der Bemühungen um Vereinfachung und der Kosten wegen, nicht etwa wegen nicht vorhandener Notwendigkeit — das will ich ganz klar sagen.Ich möchte noch eines hinzufügen: Wir Wohnungsbau- und Raumordnungspolitiker könnten es vielleicht so ähnlich wie Karl Valentin ausdrücken: „Wollen haben wir schon mögen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut." — Deswegen sind erhebliche Teile des Volkszählungsprogramms reduziert worden. Es ist alles zusammengepreßt worden. Es ist nur noch das Notwendigste enthalten, so viel, daß man mit diesen Zahlen gerade noch etwas anfangen kann. Eine Maßnahme weniger, und die Zählung würde uns schon nicht mehr die notwendigen Zahlen bringen.Ich meine, wie sollten die Zählung in dieser Form durchführen. Auf Einzelheiten brauche ich jetzt nicht mehr einzugehen. Was in diesem Bogen letztlich erfragt wird, insbesondere was die Miete, den Wohnbedarf usw. angeht, ist etwas, was keineswegs
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Niegelin den Intimbereich hineinreicht. Die Fragen sind sehr eindeutig. Man muß wissen, oh eine Wohnung mit einer Küche ausgestattet ist oder ob nur eine Kochnische vorhanden ist.
Man muß wissen, ob eine Etagenheizung vorhanden ist oder Einzel- oder Mehrraumöfen, mit welchen Brennstoffen geheizt wird. Das letzte muß z. B. der Wirtschaftsminister wissen, wenn er mit den Ölländern verhandelt. Das ist für eine gesunde Wirtschaftspolitik notwendig. — Aber der Intimbereich als solcher wird doch nicht berührt. Das hat, glaube ich, auch der Herr Bundesinnenminister eindeutig zu verstehen geben.
Auf noch eines darf ich hinweisen: Es gibt viele Städte, denen das Befragungsprogramm zu gering ist. Wir haben im Bundesgebiet etwa 70 Städte, die zu den Fragen auf diesem Bogen noch weitere Angaben auf eigenen Bögen erheben wollen, damit sie Gebäude, Grundstücke erfassen können. Das ist meines Erachtens auch notwendig. Dazu reicht ein sogenannter Mikrozensus nicht mehr aus.
Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich an alle Bürger in diesem Lande appellieren, diese Volkszählung so ernst zu nehmen, wie es Joseph aus Nazareth vor rund 2 000 Jahren getan hat,
der mit seiner Maria nach Bethlehem gegangen ist. Ich meine, alle Bürger sollten am 27. April diesen Bogen ausfüllen, diese zehn Minuten Zeit dazu aufwenden, damit wir als Politiker die Unterlagen haben, um die notwendigen Entscheidungen treffen zu können. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was mich bei der Diskussion um die Volkszählung draußen und zum Teil leider auch hier am meisten ärgert, sind die maßlosen Übertreibungen. Sagt die eine Seite, der Rechtsstaat sei in Gefahr, kontert die andere Seite mit Sicherheit, es gehe darum, Staatsfeinde aufzustöbern, es gehe darum, diese „maßlose Heuchelei" zurückzuweisen.Meine Damen und Herren, in Wirklichkeit geht es darum, wie wir sicherstellen, daß die notwendigen Planungsdaten, die Bund, Länder und Gemeinden brauchen, auf eine sinnvolle Art erhoben werden können.
„Sinnvoll" heißt: unter Beachtung der Freiheitsrechte des einzelnen; „sinnvoll" heißt: unter Beachtung des Datenschutzes. „Sinnvoll" heißt natürlich auch, daß wir es nicht in das Belieben eines jeden einzelnen stellen können, ob er die Fragen beantwortet oder nicht. Aber es heißt auch, daß wir es gegen die Bevölkerung und ohne die Bereitschaft der Bevölkerung, mitzumachen, ohne die Einwilligung der Bevölkerung nicht durchziehen können und auch nicht sollten.
Anderenfalls entsprächen die Antworten nicht der Wahrheit. Dann wären 370 Millionen DM umsonst ausgegeben. Wir hätten hinterher höchstens eine Vielzahl von Bußgeldverfahren, die die Gerichte auf Jahre hin vollstopfen. Das kann doch nicht unser Wille sein.Deshalb müssen wir die Ängste und das Mißtrauen der Bürger ernst nehmen. Deshalb müssen wir darauf achten, daß die Verbesserungsmöglichkeiten, die es gibt, genutzt werden. Tun Sie doch nicht so, als sei ein Gesetz, das wir einstimmig beschlossen haben, nicht noch verbesserungsfähig. In den letzten vier Monaten ging es doch bei Ihnen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, im Zusammenhang mit dem Hickhack um die Zwangsanleihe nach dem Motto „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln".
Daß Sie, Herr Hirsch, hier so tun, als sei das Gesetz nicht verbesserungswürdig, verstehe ich gar nicht, da Sie doch an den Innenminister geschrieben haben, daß es nicht nur verbesserungswürdig, sondern sogar verbesserungsbedürftig sei. Dann tun wir es doch auch!
Unser Kollege Schäfer hat schon darauf hingewiesen, daß das, was wir zur Verbesserung des Gesetzes einbringen werden, die Erhebung der Daten gar nicht unmittelbar verzögert. Wir müssen die Volkszählung aber verschieben, wenn wir sie sinnvoll durchführen wollen, weil die Durchführungsmängel bisher nicht behoben wurden.Herr Innenminister Zimmermann, warum treten Sie eigentlich den Wünschen nach Verbesserung der Durchführung nicht mit sachlichen Argumenten entgegen? Warum antworten Sie auch hier mit nichts als dieser unglaublichen Arroganz der Macht?
Warum erklären Sie — und das auch noch falsch —, und entschuldigen damit, daß man in München Kopfprämien für Ausländer brauche, weil es mehr Arbeit mache, obwohl Sie wissen, daß für Deutsche 2,50 DM und für Ausländer 5 DM gezahlt werden?
Warum sagen Sie nicht von diesem Pult aus, daß Sie Polizeibeamte, Vollzugsbeamte und Steuerbeamte nicht einsetzen wollen? Warum sagen Sie nicht sehr deutlich, daß es bei der Volkszählung nicht darum geht, Staatsfeinde — das „Boykottpotential" — aufzuspüren? Das sind doch die Dinge,
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Frau Dr. Däubler-Gmelindie wir von Ihnen hören wollen. Das sind doch die Dinge, die draußen das Mißtrauen hervorrufen.
Warum sagen Sie nicht, wenn die Sinti und Roma wegen der Zähleranleitung Sorge haben, sie würden wieder wegen „Zigeunerlagern" erfaßt, daß die Bundesregierung das nicht wolle und daß sie das rückgängig machen werde?Wir haben Sie vor einiger Zeit aufgefordert, diese Durchführungsmängel zu beheben. Aber Sie haben es nicht getan.Jetzt zu einem letzten Punkt. Die Frage des Datenschutzes ist einer der Punkte, die den Bürgern Sorge machen. Warum denn? — Weil doch die Bürger nicht vergessen haben, wie der jetzige Staatssekretär Spranger im Jahre 1980 den damaligen FDP- Innenminister, von dem wir heute gar nichts hören,
als „Freiheitsrisiko", als „Sicherheitsrisiko" dargestellt hat, weil er sich um die Rechte des einzelnen kümmere, und das im Zusammenhang mit dem Datenschutz.
Meine Damen und Herren, es wäre gut, wenn der Datenschutz bei Ihnen einen höheren Stellenwert bekäme. Es wäre gut, wenn Sie das sichtbar machten. Es wäre gut, wenn wir die Verschiebung der Volkszählung gemeinsam beschlössen, um die statistischen Angaben in einer vernünftigen Weise zu bekommen. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Sie hören also noch von mir, auch zu diesem Thema.Ich stehe zu diesem Gesetz und halte es rechtsstaatlich nach wie vor für unbedenklich. Wir haben es mit dem Datenschutzbeauftragten sorgfältig beraten. Ich verhehle jedoch nicht, daß ich einige Bedenken habe, was die Verwaltungspraxis angeht.
— Die haben wir mehr oder minder ja alle hier geäußert. —
Ich möchte, daß in Bund, Ländern und Gemeinden dafür gesorgt wird, daß wir jetzt eine einheitliche Verwaltungspraxis bekommen.
— Das ist aber ohne Verschiebung möglich, Herr Kollege Schäfer.Ich verstehe Ihren Antrag nicht; denn auch die von Ihnen regierten Länder haben deutlich gemacht — das Land Nordrhein-Westfalen gestern mit den Vorschlägen von Herrn Schnoor und das Land Hessen mit den Vorschlägen von Herrn Simitis —, daß man die Erhebung durchaus innerhalb des Zeitrahmens durchführen kann; und ich füge hinzu: auch durchführen muß.Ich möchte an Sie appellieren, meine Damen und Herren von der SPD, jetzt die Gemeinsamkeit, die wir bei dem In-Gang-Setzen dieses wichtigen Unternehmens praktiziert haben, nicht aufzugeben, sondern sich mit uns gemeinsam zu bemühen, daß diese Erhebung, deren Notwendigkeit ja kein Mensch hier bestritten hat, auch durchgeführt werden kann.
Ich begrüße die Sensibilität der Bürger in Sachen Datenschutz. Sie wissen, wir haben 1976 gemeinsam das erste Datenschutzgesetz Westeuropas verabschiedet. Wenn ich sage „wir", dann meine ich dieses Haus insgesamt. Heute gibt es andere europäische Länder, die sich bei ihren Überlegungen an unserem Gesetz orientieren.Wir leben nicht in einem Überwachungsstaat; das hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Herr Bull, gesagt. Ich stimme dem zu, obwohl es natürlich Übergriffe gibt. Aber die werden j a nun genannt und hier auch besprochen. Die Volkszählung hat nicht das Ziel einer totalen Ausforschung des Bürgers. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, doch wirklich, jetzt zur Sachlichkeit zurückzukehren. Das ist nicht der Weg in einen Überwachungsstaat. Der Staat will nicht in die Privatsphäre des Bürgers eindringen, sondern er braucht Planungsdaten. Diese zu bekommen ist der Sinn des ganzen Unternehmens.Wenn ich jetzt davon spreche, daß die Verwaltungsmodalitäten streng kontrolliert und auch eingegrenzt werden müssen, so beziehe ich mich beispielsweise auf die Empfehlungen von Herrn Simitis in Hessen. Ich möchte daraus einige Dinge nennen. Die Übermittlungen mit Personenbezug sind auf ein Minimum zu beschränken. Sie dürfen grundsätzlich nur faktisch anonymisierte Einzelangaben enthalten. Beim Melderegisterabgleich dürfen nur solche Verfahren praktiziert werden, bei denen den Meldebehörden nur die ausdrücklich vom Volkszählungsgesetz vorgesehenen Daten zur Kenntnis gebracht werden. Das ist ja schon sichergestellt.Bei der Auswahl der Zähler muß sorgfältig verfahren werden. Polizeibeamte dürfen dafür nicht in Frage kommen. Der Hinweis der Freiwilligkeit muß dort gemacht werden, wo die Angaben freiwillig sind. Die Erhebungsunterlagen sind zu vernichten, sobald die dafür vorgesehenen Daten auf elektronische Speicher übernommen sind. Wir brauchen Satzungen der Gemeinden, die den Datenschutz betreffen. Der Auskunftspflichtige muß auch die Möglichkeit haben, ohne Angaben von Gründen seinen ausgefüllten Erhebungsbogen im verschlossenen Umschlag bei der Zählstelle abzugeben.Kehren wir bitte in dieser Diskussion zur Sachlichkeit zurück. Ich möchte die Bundesregierung im
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BaumNamen meiner Fraktion bitten, eine gemeinsame Anstrengung von Bund, Ländern und Gemeinden in Zusammenarbeit mit den Datenschutzbeauftragten zu unternehmen — am besten eine Innenministerkonferenz —, um den Bürgern dieses Verfahren noch einmal deutlich zu erklären — hier hat es an Aufklärung gefehlt; sie ist viel zu spät erfolgt — und den Bürgern klarzumachen, daß die Datenschutzregelungen eingehalten und noch verbessert werden. Das ist der Wunsch meiner Fraktion.Wir wollen, daß die Volkszählung aus der Polemik herauskommt. Wir wollen, daß wir dieses Unternehmen gemeinsam zu Ende führen.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es übersieht niemand, daß diese heutige Aktuelle Stunde dazu benutzt werden soll, für die Ferienzeit noch entsprechendes Material zur Verunsicherung unserer Bürger hier aufzubereiten. Ich möchte gerade an die Adresse der Kollegen von der SPD die Bitte richten, doch zu sehen, daß es hierbei zwar um eine Kampagne der Verunsicherung geht, daß diese Kampagne aber mehr sein wird, nämlich eine Kampagne, die zum Vertrauensverlust in die Arbeit dieses Parlamentes führt.Ich möchte Sie herzlich fragen, ob wir denn nicht alle miteinander über zwei Perioden hinweg sehr sachgerecht und sorgfältig — und alle miteinander doch eifrig bemüht — an dem Gesetz gearbeitet haben. Es ist ein Gesetz, das einstimmig auch von diesem Hause verabschiedet worden ist. Wenn Sie meinen, Sie müßten nicht mehr zu dem stehen, was Sie einmal veranstaltet haben, wenn Sie meinen, Sie müßten sich selber kasteien, dann wird es auf Sie zurückfallen. Sie können auf einen Zug aufspringen, wenn Sie meinen, Sie könnten noch zügig mitfahren; Sie müssen aber wissen, daß es der falsche Zug ist. Das sollten Sie gerade aus der letzten Wahl wissen.Liebe Freunde, ich stelle auch die Frage, was wir eigentlich von den zuständigen und verantwortlichen Kollegen in den Ländern halten, wenn wir ihnen nicht zutrauen, daß sie all das machen können, was wir hier angesprochen haben, was notwendig ist, um dieses Gesetz sachgerecht unter Wahrung der Interessen und der Rechte der Bürger durchzuführen. Wir hören doch aus den Ländern wirklich Stimmen, die uns das Vertrauen geben können, daß dieses Gesetz sachgerecht durchgeführt wird. Und es wird selbstverständlich durchgeführt werden. Ich sage auch an die Adresse all derer, die meinen, sie würden in einer breiten Front der Verweigerung stehen; sie werden ganz einsam dastehen, und niemand wird ihnen dann helfen, wenn sie die Solidarität verweigern.Denn darum geht es j a doch letztendlich: daß wir unsere Bürger bitten, uns sachgerechtes Materialzur Verfügung zu stellen, damit wir sachgerechte Planungsentscheidungen treffen können.
Ich glaube, es ist jetzt die Stunde all derer, die sich mit Recht darüber erregen, daß in unserem Staat vielfach Fehlplanungen stattfinden, daß Fehlinvestitionen vorgenommen werden. Darüber erregen sich doch unsere Bürger. Ich bitte diejenigen, sich jetzt zu Wort zu melden. Wir bitten jetzt um den Solidaritätsbeitrag aller. Es sind zehn Minuten Solidaritätsbeitrag aller Bürger, die wir brauchen, damit wir sachgerechtes Material für unsere Entscheidungen haben. Wir verlangen kein Ausplaudern von Geheimnissen. Ich kann allerdings einem, der Angst hat, wir könnten ihm auf irgend etwas draufkommen, nicht garantieren, daß wir es übersehen. Das sage ich ganz offen. Aber niemand hat auch das Recht, im Dunkeln zu munkeln.
Das ist, glaube ich, doch eine Forderung, um die wir uns hier nicht zu grämen brauchen.
— Wenn Sie sich zum Sprecher derer machen wollen, die im Dunkeln auf Kosten der Solidargemeinschaft munkeln wollen, dann sagen Sie es bitte laut und deutlich.
Ich meine, daß kein anderer Bürger wegen dieses Gesetzes Angst zu haben braucht, auch nicht wegen etwaiger Meldeversäumnisse. Ich bin gestern darauf gekommen, daß ich mich eventuell selber auf die Ausnahmeregelungen in diesem Gesetz berufen muß, weil auch ich vergessen habe, mich hier in Bonn anzumelden. Ich hoffe, daß ich hier Gnade finde, wie es in dem Gesetz darinsteht.Es sind all diejenigen gefordert, die wollen, daß wir sachgerecht planen. Ich möchte nur folgende Beispiele nennen. Es regen sich so viele Leute über Fehlplanungen in unserem Bildungswesen auf. Sie sollen uns doch bitte jetzt die Chance geben, daß man, auf sachgerechten Zahlen aufbauend, eine Abschätzung des Lehrerbedarfs, eine Analyse der bisherigen und der geplanten bildungspolitischen Entscheidungen vornehmen kann. Es gibt so viele, die sich über die fehlende Effektivität unserer Arbeitsverwaltung aufregen. Sie sollen uns doch jetzt helfen, Arbeitsmärkte zu erkennen, Arbeitskräfteangebote zu steuern und den Erwerbsbedarf in den einzelnen Berufen abzuschätzen. Und es regen sich so viele über Fehlentwicklungen in der Infrastruktur auf. Sie sollen uns doch jetzt bitte mit Informationen ausstatten über den Bedarf an Schulen, Krankenhäusern, Wohnungen und Arbeitsplätzen. Schließlich müssen wir auch eine sachgerechte Verkehrspolitik machen. Wir haben keine Vorstellungen darüber, wie viele Mitbürger bei uns täglich pendeln müssen, wie die Pendlerströme laufen, in welchem Umfang hier Bürger sind, um die wir uns in nächster Zeit verstärkt kümmern müssen. Ich meine auch, wir sollten unser Gemeinwesen nicht
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50 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983
Fellnerständig als ein Staatswesen verdächtigen, in dem dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet ist.
All diejenigen — —
Kommen Sie bitte zum Ende, Herr Kollege.
Ja. All diejenigen, die sich bereit erklären, hier mitzuzählen, sind unsere Mitbürger, die unter Strafe verpflichtet sind, das nicht zu mißbrauchen. Ich darf nur die Bitte an alle Bürger richten, dem Gemeinwesen diese zehn Minuten zur Ausfüllung des Fragebogens zu opfern und uns Material für sachgerechte Entscheidungen zu liefern. — Danke schön.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmude.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Uns allen, die wir vor einem Jahr dieses Gesetz einstimmig beschlossen haben, muß zu denken geben, was inzwischen an Sorgen und Bedenken gegen das Gesetz und gegen seine Durchführung aufgekommen ist.
— Wir haben uns auf Fragen der Rechtsförmlichkeit konzentriert, die mit diesen Bedenken nahezu nichts zu tun haben. Wir haben uns konzentriert auf Fragen der Bezahlung. Aber was uns heute begegnet, ist ein gesteigertes Bewußtsein für die Empfindlichkeit der Privatsphäre, für die Empfindlichkeit des Datenbestandes aus dem individuellen Bereich. Wir sollten die Fähigkeit haben, uns damit selbstkritisch auseinanderzusetzen.
Freilich sollte diese Entwicklung auch denen zu denken geben, die heute die Aktuelle Stunde beantragt haben; denn auch von Ihnen, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, hat man vor Beginn dieses Jahres nichts von den jetzigen Bedenken gehört, die Sie hier so lautstark vortragen.
Ich muß Ihnen sogar vorhalten: Sie haben das Aufkommen dieser Stimmung im Wahlkampf sehr gut zu nutzen verstanden.
Aber nun, nachdem der Wahlkampf vorbei ist, sollten wir uns gemeinsam um Lösungen bemühen.
Freilich muß man einräumen, daß Ungeschicklichkeiten in der beabsichtigten Durchführung die Ängste und Bedenken bestärkt haben, die hier aufgekommen sind — etwa, daß die Personaldaten nicht von diesem Fragebogen abtrennbar sind,
etwa, daß in einzelnen Ländern Vollzugsbeamte als Zähler eingesetzt werden sollen, und gar noch diese Idee mit der Kopfprämie.Da ist es verdienstvoll, wenn einzelne Länder wie Nordrhein-Westfalen — durch seinen Innenminister Schnoor — versuchen, Fehlentwicklungen zu vermeiden, indem sie bestimmte sicherstellende Weisungen geben. Sie können aber eine einheitliche, bedenkenfreie Anwendung damit nicht herbeiführen. Die Aufklärung, von der Herr Baum und andere zu Recht sagen, sie komme zu spät, ist — das sollten wir erkennen — zu spät gekommen. Sie wird jetzt nicht mehr gelingen. Dazu braucht man mehr Zeit. In dieser Situation einen rigorosen Durchmarsch zu machen, wäre falsch. Er würde das Scheitern des Unternehmens begünstigen.
Nehmen Sie doch zur Kenntnis, meine Damen und Herren von CDU und CSU und auch von der FDP, daß es nicht nur die befragten Bürger, sondern daß es auch die Zähler sind, die sich inzwischen weigern, und zwar bis hin zu einem Diakonischen Werk in Westfalen, das darum bittet, seine Mitarbeiter nicht als Zähler einzusetzen.Da sollten wir die Konsequenz ziehen, daß die Ängste zwar übertrieben sein mögen, daß sie aber real sind und am 27. April eine große Rolle spielen werden. Ich wehre mich gegen Übertreibungen — wie meine Vorredner — und sage: Panikmache und Dämonisierung bringen uns überhaupt nicht weiter. Wer meint — wie hier der Antragsteller —, die individuelle Freiheit des einzelnen sei bedroht und da sei nun Widerstand geboten, der vergreift sich in der Dimension, der vergreift sich — so meine ich — auch in den Begriffen.
Der Widerstand sollte uns ein zu wichtiger Begriff sein, als daß er zu so kleiner Münze gemacht wird.
Lassen Sie uns die Zeit einer Verschiebung zu einem gemeinsamen Neuanfang nutzen, um das Vertrauen der Bürger zu erwerben, das bisher offenbar nicht vorhanden ist. Lassen Sie uns nicht öffentlich darüber diskutieren, wie hoch das Bußgeld sein muß oder sein kann, sondern wie wir wirklich um die Einsicht werben, von der Sie, Herr Kollege Hirsch, gesagt haben, daß sie beim Bürger notwendig sei.Und noch einen letzten Gedanken. Herr Bundesinnenminister Zimmermann, wenn Sie eine vertrauensbildende Maßnahme ergreifen wollen, sorgen Sie für die Klarheit, daß der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Herr Bull, in seinem Amt bleibt. Damit werden Sie vielen einen erheblichen
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983 51
Dr. SchmudeTeil des Vertrauens geben, das bisher nicht vorhanden ist.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Aktuellen Stunde.
Wir haben noch über einige andere Dinge zu befinden.
Der Bundestag tritt heute in die Osterpause ein. Seine nächsten Sitzungen sind für die Woche vom 2. Mai 1983 vorgesehen. Wir müssen deshalb heute beschließen, daß, wie die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP vorschlagen, in dieser Woche, in der die Regierungserklärung abgegeben und debattiert wird, von Fragestunden abzusehen ist. Mit dem vorgeschlagenen Verzicht auf Fragestunden würde von der Geschäftsordnung abgewichen. Nach § 126 der Geschäftsordnung setzt diese Abweichung einen Beschluß mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder des Bundestages voraus.
Ich darf diejenigen um ihr Handzeichen bitten, die mit dieser Regelung einverstanden sind. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Eindeutig haben zwei Drittel der anwesenden Mitglieder diesen Antrag angenommen. Ich stelle noch einmal ausdrücklich fest, daß die Abweichung mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen ist und in der Woche vom 2. Mai 1983 keine Fragestunden stattfinden.
Bevor ich die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. Mai 1983, 10 Uhr einberufe, erteile ich dem Herrn Abgeordneten Stratmann das Wort zu einem von ihm eingebrachten Antrag zur Geschäftsordnung.
Liebe Bürgerinnen und Bürger! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag beantragt eine Sondersitzung des Bundestages am Donnerstag, den 14. April 1983, um 9 Uhr. Tagesordnung: Beratung und Beschlußfassung zu einem Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag,
dessen Substanz in § 1 zum Ausdruck kommt: „Das Volkszählungsgesetz 1983 wird aufgehoben. Die nach dem Volkszählungsgesetz vorgesehenen Zählungen finden nicht statt."
Dieser Gesetzentwurf wird heute dem Bundestagspräsidium zugeleitet. Wir beantragen gleichzeitig, auf der Sondersitzung alle drei notwendigen Beratungen vorzunehmen und die Beschlußfassung herbeizuführen.
Begründung: Angesichts des Termins der anberaumten Volkszählung ist klar, daß sie nur innerhalb der nächsten 14 Tage verhindert werden kann. Unser Antrag ist also eilbedürftig. Wir bitten insbesondere die Abgeordneten der SPD, diesem Antrag zuzustimmen, weil ich denke, daß es ihrer politischen Absicht zumindest auf Verschiebung der Volkszählung entgegenkommt, die Möglichkeiten zu nutzen, die Durchführung dieser Volkszählung
am 27. April 1983 zu verhindern. Darin besteht unser gemeinsames Interesse, wenn wir auch weitergehende Vorstellungen als die SPD haben. Ich bitte Sie deswegen, diesem Antrag zuzustimmen.
Um die Eilbedürftigkeit noch einmal drastisch vor Augen zu führen, möchte ich einen Kollegen von der CDU zitieren, den ich mit folgender Passage aus der „Emsdettener Volkszeitung" auf der dort erwähnten Veranstaltung selbst erlebt habe, nämlich Herrn Abgeordneten Heereman. Er wird in der „Emsdettener Volkszeitung" mit Ausführungen auf einer CDU-Wahlkampfveranstaltung am 17. Februar 1983 in Emsdetten zitiert — Herr Heereman, Sie erinnern sich —: „Der CDU-Wahlkreiskandidat erklärte unmißverständlich, ,daß wir denen auf die Finger klopfen werden, die unseren freiheitlichen Rechtsstaat zerstören wollen`". Herr Heereman verschwieg, ob er sich damit selbst meinte.
Weiter im Text: „Im Gegensatz zu den GRÜNEN, die einen Volksaufstand gegen die Volkszählung wollten, ist er der Auffassung, ,daß wir sie brauchen, um festzustellen, wo die Feinde unserer Republik stecken', erklärte er unter großem Beifall der Zuhörer."
Ich denke, es ist deutlich geworden — damit schließe ich —, daß unser Antrag auf Abhaltung einer Sondersitzung eilbedürftig ist, um diesen versteckten Intentionen, die hinter der Volkszählung stecken, entgegenzuwirken. — Danke schön.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Porzner.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion ist nicht der Meinung, daß eine Sondersitzung stattfinden soll. Die Argumente sind jetzt ausgetauscht. Herr Stratmann, es ist nicht so, wie Sie sagen, daß Sie uns mit diesem Antrag entgegenkommen. Sie wollen etwas anderes als wir. Wir wollen eine zeitliche Hinausschiebung der Volkszählung. Sie wollen die Volkszählung generell ablehnen.
Meine Fraktion spricht sich also nicht für eine Sondersitzung aus. Opposition heißt, daß wir uns mit der Regierung voll und hart in der Sache auseinandersetzen werden,
ebenso wie mit allen Fraktionen. Dafür brauchen wir die Regierungserklärung. Die Regierungserklärung wird am 4. Mai abgegeben.
Das ist mit unserer Zustimmung so vorgesehen, auf unseren Wunsch sogar, nicht in der letzten Aprilwoche. Es ist nicht notwendig, in dieser Sache eine Sondersitzung abzuhalten.
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52 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 3. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 30. März 1983
Meine Damen und Herren, wir stimmen über den Antrag ab, der nach § 20 gestellt worden ist und mit dem eine Sondersitzung für den 14. April beantragt wurde.
Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 4. Mai 1983, 10 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen eine angenehme Osterzeit.
Die Sitzung ist geschlossen.