Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich folgende amtliche Mitteilungen zu verlesen.
Erstens. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung ergänzt werden um die Eidesleistung des Bundesministers der Finanzen, des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Dieser Punkt der Tagesordnung soll heute gegen 11 Uhr aufgerufen werden.
Ist das Haus mit der Ergänzung der Tagesordnung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Zweitens. Als Nachfolger für den verstorbenen Abgeordneten Dr. Hubrig hat der Abgeordnete Lagershausen am 29. März 1982 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Der Abgeordnete Baron von Wrangel hat mit Wirkung vom 3. April 1982 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Austerman, am 16. April 1982 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Der Abgeordnete Kiep hat mit Wirkung vom 26. April 1982 auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete Lattmann am 27. April 1982 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich begrüße die neuen Kollegen, von denen uns ja der Kollege Lagershausen kein Fremder ist, denn er war schon im Bundestag, und heiße sie herzlich willkommen. Ich wünsche ihnen eine gute Arbeit und gute kollegiale Zusammenarbeit in diesem Hause.
Drittens. Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß der Abgeordnete Hofmann seit dem 1. April 1982 nicht mehr ihrer Fraktion angehört.
Viertens. Die Amtsdauer des Mitglieds des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank Abgeordneter Schmidt läuft Mitte des Jahres aus. Die Fraktion der FDP, auf deren Vorschlag Abgeordneter Schmidt (Kempten) gewählt wurde, hat ihn zur Wiederwahl vorgeschlagen. Ist das Haus mit die-
sem Vorschlag einvrstanden? — Ich sehe und höre
keinen Widerspruch. Damit ist der Abgeordnete Schmidt gemäß § 7 Abs. 4 des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank erneut als Mitglied des Verwaltungsrats der Lastenausgleichsbank gewählt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Pfeifer, Rühe, Daweke, Frau Benedix-Engler, Ganz , Frau Geiger, Magin, Nelle, Rossmanith, Graf von Waldburg-Zeil, Frau Dr. Wilms, Frau Dr. Wisniewski, Lenzer, Bohl, Dr. Stavenhagen, Dr. Bugl, Gerstein und der Fraktion der CDU/CSU
Zum Ausbau der Hochschulen, zur sozialen Lage der Studenten und zur Förderung des Nachwuchses in Wissenschaft und Forschung
— Drucksachen 9/752, 9/1172 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Aussprache zwei Stunden dauern. Ist das Haus auch mit dieser Regelung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist also so vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Daweke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige hochschulpolitische Debatte findet ungefähr 12 Jahre nach Einrichtung der sozialliberalen Koalition statt. Es lohnt sich, an das zu erinnern, was Bundeskanzler Willy Brandt 1969 von diesem Pult aus zur Bildungspolitik verkündete. Er sagte damals nämlich:Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung stehen an der Spitze der Reformen, die es bei uns vorzunehmen gilt.12 Jahre später findet diese Debatte an einem Tag statt, da die Regierung umgebildet wird. Wir haben im Vorgeplänkel zu dieser Regierungsumbildung gehört, daß man das Bildungsressort unter Umständen mangels Masse, vielleicht auch mangels zuständiger Persönlichkeiten auflösen kann. Herr Engholm, man wird Ihnen j a erzählt haben, welche Witze es in der gestrigen Bundespressekonferenz über die Regierungsumbildung gegeben hat. Ein Teil der Jour-
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5808 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Dawekenalisten hatte sich nämlich gefragt, ob es dann, wenn der Postminister im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme wechseln sollte, nicht sinnvoll wäre, alle Minister, die an dieser Regierung Schaden genommen haben, auch einmal kurzfristig zur Erholung ins Bildungsressort zu schicken.
Offensichtlich ist die Regierung auch an den Erwartungen in der Bildungspolitik gescheitert, die sie selbst geweckt hat. Am meisten erstaunt mich, daß in der Antwort auf die Große Anfrage spürbar ist, daß Sie offensichtlich überhaupt nichts dazugelernt haben. Nach wie vor verkünden Sie hehre Grundsätze. Ich darf einmal einige davon nennen. Sie sagen: „Der Forschung muß auch in der Phase besonders hoher Beanspruchung durch die Lehre Entwicklungsraum bleiben." Oder: „In Zeiten knapper Mittel gilt es vor allem, die Funktionsfähigkeit der Hochschulen zu erhalten. Hierbei hat die Sicherung der personellen Ausstattung zumindest gleiches Gewicht wie der weitere Ausbau." Oder: „Die Studienreform muß vorankommen. Die Beratung der Studienberechtigten bei der Studienauswahl muß unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeiten und Neigungen und ihrer späteren Chancen verbessert werden. Der Nachwuchs an hochqualifizierten jungen Menschen für die Forschung muß gesichert werden." usw. usw. Das sind alles Grundsätze, die sich auch fast so im Original der Regierungserklärung von 1969 und im Bildungsbericht 1970 wiederfanden.Die Frage muß doch erlaubt sein: Wie wollen Sie all das denn sicherstellen? Darauf geben Sie überhaupt keine Antwort. Wie soll das funktionieren? Wie soll das vor allen Dingen in einer Zeit funktionieren, in der Ihnen das Geld ausgegangen ist? Anders ausgedrückt: Ich glaube, Sie haben den Bezug zur Realität verloren. Sie wollen die Realität nicht zur Kenntnis nehmen.
Sie wollen das Bildungssystem vom Wirtschaftssystem und von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abheben. Daran sind Ihre Vorgänger gescheitert, Herr Engholm, und ich glaube, das wird auch dazu führen, daß man Sie bald vergessen wird, wenn Sie nicht mehr regieren.Offensichtlich leben Sie auf irgendeiner Traumhallig — wir haben uns gestern schon im Ausschuß darüber unterhalten —, wo es schön ist, wo die Welt noch in Ordnung ist, wo Sie im Kleinen alles das machen können, was Sie sich erträumen. Aber Sie nehmen nicht Bezug auf die Wirklichkeit, auf die wirtschaftlichen Daten, wie sie sich heute darstellen.Ein Beispiel dafür: Zum Stichwort Hochschulausbau sagen Sie: Beton ohne Menschen, dieses sei nicht angängig; die Länder müßten jetzt kräftig Personalstellen schaffen. Obwohl hier fast nur, nein, ausschließlich CDU-Minister auf der Bundesratsbank sitzen — was ich sehr begrüße —,
darf ich einmal meinen WissenschaftsministerSchwier im Lande Nordrhein-Westfalen anführen:Wie soll denn der arme Kerl eigentlich diese Personalstellen schaffen? Das macht er zur Zeit so, daß er an den Fachhochschulen und an den Hochschulen ganze Abteilungen zumacht, um das Klinikum Aachen überhaupt personell ausstatten zu können. Das ist übrigens das größte Bauwerk seit dem Bau des Westwalls, das die Deutschen jemals angefangen haben,
nur daß sie damit nicht fertigwerden.Es ist völlig unrealistisch, von den Bundesländern zu erwarten, daß sie diese Personalstellen schaffen. Die können das nicht. Also können Sie doch auch nicht ganz keß hier hergehen und sagen: „Wir haben den Beton gebracht; nun bringt ihr die Planstellen." Das Betonbringen ist übrigens wesentlich billiger, als auf Dauer Planstellen vorzuhalten.Auch das ist ein Beispiel dafür, wie Sie durch Ihren fehlenden Realismus eigentlich vernünftige Ziele kaputtmachen, diskriminieren und deshalb nicht mehr ernstgenommen werden.Ich will ein weiteres Beispiel aus der Anwort auf unsere Anfrage bringen. Sie sagen: Abstriche beim Hochschulbau sind noch am ehesten vertretbar. Später sagen Sie, die Zahl — die wir in einer Frage nennen — von 1,3 Millionen Studenten, die wir für die 80er Jahre erwarten, sei unrealistisch; denn die Übergangsquote von den Gymnasien auf die Hochschulen sei nicht feststellbar oder jedenfalls nicht prognostizierbar.Tatsache ist: Zur Zeit gehen 80 % eines Abiturientenjahrgangs auf die Hochschulen. Die Zahl steigt wieder an. Das muß dazu führen — wenn wir der KMK Glauben schenken dürfen; die Zahlen sind ja verifiziert —, daß wir in den 80er Jahren nicht nur 1,3 Millionen, sondern 1,4 Millionen Studenten haben werden. Das heißt also, daß Sie nicht nur 50 Überlast erreichen werden, sondern daß diese Zahl eher noch unrealistisch ist. Konsequenzen ziehen Sie deshalb nicht, weil Sie bereits die Annahmen in Frage stellen und insofern auch von den eigentlichen Problemen gar nicht reden.Sie sagen, neue Vorhaben, also nicht kapazitätserweiternde, sondern neue Vorhaben im Sinne von Großforschungseinrichtungen, im Sinne von sinnvollen Abrundungen bei neuen Universitäten, also gerade bei den Neugründungen der 70er Jahre, könnten seitens des Bundes bis 1986 nicht mehr finanziert werden. Diese Aussage wurde uns auch gestern im Ausschuß noch einmal bestätigt. Nun sagen Sie: Also, liebe Länder, dann müßt ihr neue Vorhaben bitte vorfinanzieren. Auch das ist völlig unrealistisch, zumal es mit dem Ziel kollidiert, das Sie in der Antwort auf unsere Anfrage noch einmal ausdrücklich bestätigen, daß Sie nämlich an einer regional ausgewogenen Hochschullandschaft festhalten wollen. Wenn neue Vorhaben von den Ländern vorfinanziert werden müssen, dann ist das Ziel regionaler Ausgewogenheit nicht mehr herstellbar, weil die finanziell starken Länder weitermachen können, während die anderen Länder einen völligen Baustopp verhängen müssen.
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DawekeAußerdem weisen Sie immer auf die windfall Pro-fits des Landes Niedersachsen hin, die übrigens täglich dreimal „verbraten" werden: Mein Ministerpräsident will sie haben, irgendein anderes Bundesland will Anteile haben, und Sie wollen sie für den Hochschulbau verbrauchen. Ich glaube, das ist ein weiteres Beispiel für die schlimmen Folgen dieser Gigantomanie und das völlig fehlende Augenmaß bei Ihnen.Ich will zu einem zweiten Beispiel kommen, das sich auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses bezieht. Sie sagen in Ihrer Antwort, daß der Forschungsstandard an deutschen Universitäten nach wie vor hoch sei und daß Sie ihn weiterentwikkeln wollen. Am 30. Mai 1979 hat Ihr Vorgänger, Herr Engholm, den Kultusministern geschrieben, er habe einen Leitfaden zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, und Sie selbst haben uns gesagt, irgendwann Ende März dieses Jahres würden Sie Ihre Vorstellungen konkretisieren. Nichts ist passiert. Unbeweglichkeit ist hier das Stichwort. Jetzt sagen Sie, Sie wollten die Chefgespräche mit dem neuen Finanzminister abwarten. Dazu wünschen wir Ihnen allen viel Vergnügen; denn ihn und seine Einstellung zur Bildungspolitik kennen wir noch aus seiner Zeit im Kanzleramt. Sie könnten das Ganze etwas schneller organisieren, wenn Sie unseren Gesetzentwurf weiterverfolgen würden; denn er will im Grunde genommen das gleiche wie Sie.Im übrigen halte ich auch den Hinweis auf die fehlende Finanzierbarkeit, den Sie gelegentlich bringen, für völlig ungerechtfertigt. Solange Sie 60 Millionen DM für Sitzenbleiber beim BAföG ausgeben
— ich weiß, daß Sie das nicht gern hören, weil Ihnen das unangenehm ist und Sie den Arbeitern immer erklären müssen, warum Sie das Geld hier hinauswerfen —, und solange Sie 108 Millionen DM für Modellversuche ausgeben, die unter Fachleuten zum Teil als „Kiki" bezeichnet werden — was immer das sein mag —, können Sie nicht sagen, daß Sie nicht einmal 10 bis 40 Millionen DM für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses haben. Das Problem haben wir alle gemeinsam erkannt. Wir brauchen diese Förderung nicht nur wegen der prinzipiellen Bedeutung der Forschung, sondern auch weil man diesen jungen Wissenschaftlern eine Zukunftsperspektive bieten und ihnen an den Hochschulen auch berufliche Chancen eröffnen muß.
Herr Abgeordneter Daweke, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Daweke, da Sie die Modellvorhaben soeben mit einem sehr interessanten Wort bezeichnet haben, das ich ansonsten von Ihnen im Ausschuß noch nie gehört habe, möchte ich Sie fragen: Wären Sie einmal so freundlich, dem Hohen Hause zu erklären, welche von der CDU oder CSU geführten Länder bisher Modellvorhaben abgelehnt haben?
In meinem sehr einfachen Menschenbild, Herr Kollege Weisskirchen gibt es die Vorstellung, daß Geld sinnlich macht. Insofern bin ich auch den Ministern in den Ländern gar nicht böse. Wenn Sie hier mit einem Füllhorn herumlaufen und sagen: wenn du dieses oder jenes machst, bekommst du von uns 50 bis 80 % der laufenden Kosten ersetzt, so wäre ein Minister eines Landes zu beschimpfen, wenn er nicht versuchte, davon etwas mitzunehmen. Das betrifft aber nicht die prinzipielle Frage, ob man an einer solchen Finanzierung festhalten soll. Ich kann Ihnen ein paar Punkte sagen, wo ich der Meinung bin, daß man dieses Geld sinnvoller einsetzen könnte.Jetzt komme ich noch einmal zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses zurück. In dem Zusammenhang habe ich, Herr Engholm, eine Nachfrage zu unserer Großen Anfrage, die sich auf einen Vorgang bezieht, der wieder aus meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen kommt. Dort beabsichtigt ein Trägerverein, eine private Hochschule aufzubauen. Die Landesregierung ist vom Prinzip her gar nicht abgeneigt, diesen Verein zu fördern, ihn anzuerkennen und dieses Experiment mit Wettbewerb im Hochschulwesen durchzuhalten. Interessanterweise ist der DGB dagegen. Ich will das jetzt nicht bewerten. Nur, an Sie wäre die Frage zu richten: Wird denn die Bundesregierung ein solches Experiment fördern, beispielsweise dadurch, daß sie sich an diesem Verein, der den Träger darstellt, beteiligt? Wie sehen Sie die Chancen einer solchen Hochschule? Und welchen Stellenwert könnte eine solche private Universität haben, die im übrigen ja auch ein interessantes Finanzierungsmodell hat? Dieses ist mir sehr sympathisch, weil jemand, der dort diese wirklich hervorragenden Leistungen in Anspruch nimmt, seine Studiengebühren später durch Zuwendungen an den Verein zurückzahlen muß, solange er Einkommen hat, das ihm dies ermöglicht. Angeblich gibt es auch in Ihrem Haus dazu durchaus Überlegungen, die auch in den Koalitionsfraktionen erörtert worden sind. Es wäre interessant, zu wissen, was Sie hierzu sagen.Ich möchte zum Schluß noch auf zwei Probleme eingehen, die mir eigentlich die Misere der Hochschulpolitik im Bund, aber, ich muß sagen, auch in den Ländern am meisten zu kennzeichnen scheinen.Ich glaube nämlich, daß ein Teil der Lustlosigkeit und der Perspektivlosigkeit bei den Absolventen der Hochschulen dadurch entsteht, daß sie spüren oder — vielleicht manchmal zu Unrecht — zu spüren glauben, daß ihr Studium ihnen eigentlich überhaupt keine Möglichkeiten im Berufsleben eröffnet. In den Jahren von 1970 bis 1978 ist die Zahl der Studenten, die das Lehramt anstreben, von rund 35 auf 48 % gestiegen. Viele, die Lehrer werden wollen, wissen wohl auch, daß das Durchschnittsalter der deutschen Lehrer 42 Jahre ist. Auch das ist keine besonders gute Perspektive, wenn man davon ausgeht, daß in diesem Berufszweig keine Epidemien ausbrechen. Viele Hochschulabsolventen, nämlich 60 %, geben an, daß ihr Ziel in jedem Fall darin besteht, in den Staatsdienst zu kommen.
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DawekeInsofern stellt sich das Problem der Akademikerarbeitslosigkeit, von dem Sie, Herr Engholm, j a auch einmal während der Haushaltsberatungen gesprochen haben, wohl weithin als ein Problem der Lehrerarbeitslosigkeit dar. Denn von anderen Berufen mit Ausnahme der Juristen — der Kollege Langner macht hier Einwendungen — gibt es zur Zeit derartige Schreckensmeldungen nicht.
Ich habe vorhin gesagt, ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen, wo man nach meiner Auffassung beim Bund vielleicht mehr tun könnte. Wie wäre es, wenn Sie die Berufsberatung verbesserten und nicht Leute aus den Beratungsstellen abzögen, um sie in die Leistungsabteilungen zu geben? Wie wäre es, wenn Sie die Prognoseinstrumente für das Beschäftigungssystem verbesserten und den Leuten ihre Berufschancen besser erklärten? Wie wäre es denn, Herr Engholm, wenn Sie sich mal mit Herrn Baum über die Änderung des Laufbahnrechts unterhielten, das ja ein wichtiger Schlüsselbegriff für den Einstieg in den öffentlichen Dienst ist? Wie wäre es, wenn Sie mehr publik machten, welche Alternativen zum Studium Abiturienten haben, damit das Abitur nicht immer in der Einbahnstraße Universität endet? Wie wäre es, wenn Sie mit der Studienreform Ernst machten und vielleicht mehr Druck ausübten, vielleicht durch Gründung mehrerer Privatuniversitäten?Wenn das stimmt, was das DIW kürzlich gesagt hat: daß wir bis zu 150 000 arbeitslose Lehrer in den 90er Jahren haben werden, müßten wir auch einen Vorschlag prüfen, den der Kollege Mayer-Vorfelder kürzlich in die Öffentlichkeit gebracht hat — ich glaube nicht, daß er der erste war, der diesen Vorschlag gedacht hat; aber er hat den Mut gehabt, ihn auszusprechen —: Wie wäre es denn, wenn doppelverdienende Staatsdiener sich mal überlegten, nicht dem SPD-Parteitag zu folgen und eine Solidaritätsabgabe, eine Beschäftigungsabgabe zu entrichten, sondern sich dazu zu entschließen, daß einer von den beiden Doppelverdienern den Staatsdienst für längere Zeit verläßt, um die geburtenstarken Jahrgänge in den Staatsdienst zu lassen? Da könnte der Bund auch mal etwas machen.Wie wäre es denn, wenn Sie im Beamtenrechtsrahmengesetz die Beurlaubungszeiten verlängerten? Ich bin ganz sicher, daß mehr Menschen dieses Angebot annehmen würden. Oder wie wäre es, wenn Sie beispielsweise die Möglichkeit schafften, erwirtschaftete Beamtenpensionsansprüche mitzunehmen, auch wenn man nicht in den öffentlichen Dienst zurückkehrt? Das gäbe vielleicht Luft. Ich will nicht behaupten, daß das eine große Erleichterung für den Arbeitsmarkt gäbe. Aber Sie müßten mindestens einmal prüfen, wie die Wirkung wäre.Ich komme zum Schluß. Ich möchte es mir nicht versagen, noch einmal aus der berühmten 69er Zeit des Aufbruchs zu zitieren. Damals hat die Regierung, nicht ohne Recht, glaube ich, folgenden Satz in den Bildungsbericht 1970 hineingeschrieben:Mit den umfassenden gesellschaftspolitischenZielsetzungen wird Bildungspolitik zu einerAufgabe, die nur in einem gesamtstaatlichen Rahmen und nur in enger Wechselwirkung zwischen den verschiedenen Bereichen der Gesellschafts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik verwirklicht werden kann.Das Problem ist, daß Sie in Ihrer Antwort auf unsere Anfrage von diesen Zusammenhängen zwischen Bildungspolitik und den sonstigen Politikbereichen, Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, überhaupt keine Kenntnis nehmen. Solange Sie das nicht tun, Herr Bildungsminister, werden Sie wohl von Ihren Kollegen, aber auch von der Opposition, nicht ernstgenommen werden. — Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Osswald.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Daweke, ich bin eigentlich von Ihnen Besseres gewöhnt.
Ich fand in dem, was Sie jetzt gesagt haben, nicht sehr viel Linie. Ich möchte nur zu drei Punkten ganz kurz etwas sagen.Ich finde diesen Defätismus im Bildungsbereich nicht sehr hilfreich; denn Sie sind ja in vielen Ländern in der Verantwortung für den Bildungsbereich. Es nützt sicher der Sache insgesamt nichts.Das zweite war, daß die Übergangsquote wieder leicht ansteige. Sie sollten dabei aber erwähnen, daß sie erst einmal um 12 % in wenigen Jahren heruntergegangen ist.Das dritte: Die Gigantomanie im Bau. Darf ich Sie einmal fragen, wer eigentlich die Projekte angemeldet hat?
— Sie haben von Ihrem Bundesland gesprochen, ich darf von meinem reden, Herr Daweke. Wir hatten einen Hochschulgesamtplan. Da war z. B. vorgesehen, daß eine Pädagogische Hochschule in einer Stadt 8 000 Studenten bekommen sollte. Danach sind die Bauten angemeldet worden — mit dem Effekt, daß heute jeder in der Mensa einen eigenen Tisch hat. Dies ist ein Land, das nicht von der SPD regiert, sondern mit einer satten Mehrheit der CDU geführt wird.Wenn wir heute über den Hochschulbereich sprechen, so taucht — und das hat Herr Daweke bewiesen — doch immer wieder Mißmut auf — und Resignation.Ich erinnere mich sehr gut, daß Mitte der 60er Jahre alle Industrienationen den investiven Charakter der Bildung erkannt hatten und danach zu handeln versuchten. Durch den Einsatz finanzieller Mittel sollte Humankapital gebildet werden, das den einzelnen Gesellschaften eine Zukunftschance bieten und die damals so beschworene Bildungskatastrophe abwenden sollte. Alle damaligen Erkenntnisse, auch die bildungsökonomischen, werden heute eigentlich immer noch nicht in Frage gestellt; nur wird in den Zeiten knapper Finanzmittel aus diesen richtigen Erkenntnissen nicht mehr die richtige Fol-
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Dr. Osswaldgerung gezogen. Finanzpolitik hat die bildungsökonomischen Aspekte verdrängt.CSU und CDU haben einen erstaunlichen Wandel hinter sich. In ihrem Schul- und Hochschulprogramm von 1971, das ich noch einmal nachgelesen habe, war die wissenschaftliche Ausbildung mit individuellen und gesellschaftlichen Komponenten gleichrangig gekennzeichnet, Gesamthochschulen waren vorgesehen — das ist erstaunlich, wenn man sich das heute vor Augen führt —, rechtliche Gleichstellung aller in der Forschung Tätigen gefordert. Seit Mitte der 70er Jahre wendet sich die Opposition nun von diesen als richtig erkannten Positionen ab, beschränkt sich auf heute sehr stark ideologisch geprägte Einstellungen. Wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse und Ergebnisse werden nicht mehr zur Kenntnis genommen oder falsch wiedergegeben.Beispiel — Herr Daweke, wenn Sie mal zuhörten, weil Sie das Argument auch schon einmal verwendet haben —: Die uralte Geschichte, daß etwa 50 eines Altersjahrganges studierfähig seien — das war ein wissenschaftliches Ergebnis —, wurde von der CDU propagandistisch verdreht. Das hört man immer wieder in allen Veranstaltungen, wo es um Bildungsfragen geht. Es wurde behauptet, die SPD verlange, daß 50 % eines Altersjahrganges studieren müßten.
— Nein, das ist nicht wahr. Es ist damals von Herrn von Dohnanyi nur ein Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung veröffentlicht worden, wonach die intellektuellen Voraussetzungen in der bundesrepublikanischen Bevölkerung geeignet seien, 50 % der Bevölkerung studieren zu lassen.
Es ist nie die politische Forderung abgeleitet worden, die Hälfte solle studieren. Die höchste Zahl, die ich je gesehen habe, lag irgendwo in der Größenordnung von 25 % eines Altersjahrganges.
— Das ist doch nicht wahr. Aber mit Vorurteilen läßt es sich gut leben. Durch mangelnde Information, Herr Rose, fallen Vorurteile natürlich auf einen sehr fruchtbaren Boden.
Es gibt die Behauptung, Herr Daweke, daß das Beschäftigungssystem nicht alle hochqualifizierten Arbeitskräfte aufnehmen könnte. Sie haben das vorhin wiederholt. Da wird von einem Überangebot von Hochschulabsolventen gesprochen, als ob nicht völlig klar sei, daß eine gute Ausbildung das Risiko, arbeitslos zu werden, eindeutig verkleinert. Das müssen wir uns doch einfach einmal deutlich machen.Die neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventenweisen nur — „nur" soll jetzt bitte nicht zynisch klingen — eine Arbeitslosigkeit von 41 000 auf, davon 13 500 Lehrer. Bei allem Bedauern über Einzelschicksale ist diese Zahl, verglichen mit 1,8 Millionen Arbeitslosen, insgesamt eine wirklich sehr geringe Zahl.Es bleibt der Eindruck — das soll jetzt nicht polemisch klingen, aber es ist wohl doch richtig —, daß vor allem die Leute gern vom „akademischen Proletariat" reden, die ihre Kinder sowieso durch das System durchbringen
und mit Krisengerede mögliche Konkurrenten ihrer Kinder noch von einem Studium abhalten wollen. Da gibt es verstärkt Vorurteile, daß Studenten auf Kosten des Steuerzahlers unendlich lange studieren und womöglich noch Zeit vergeuden durch Demonstrieren oder daß sie als Nutznießer der staatlichen Ausbildungsförderung diese mißbrauchen.Zur Verteidigung gerade von BAföG-Empfängern ist zu sagen, daß so geförderte Studenten im Durchschnitt weniger lange studieren und die Förderzeiten knapp begrenzt sind. Im Gegenteil, die soziale Lage der Studenten ist keineswegs rosig, da die psychischen Belastungen gegenüber früheren Studentengenerationen beachtlich zugenommen haben.Schon in der Schule werden Mitschüler durch den drohenden Numerus clausus oder durch Höchstzahlverfahren als Konkurrenten angesehen. Während des Studiums ist schon der Druck von Abschlußnoten vorhanden. Es werden Nachteile befürchtet bei politischem Engagement, und das Beschäftigungsrisiko hat unumstritten zugenommen. Verbunden damit sind eine sich verschlechternde Wohnraumsituation, zunehmende Anonymität, bedingt durch starke Studentenjahrgänge, eine Entpersönlichung der Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden.Langer Rede kurzer Sinn: Die heutige Studentengeneration verdient — und das sollten wir hier von diesem Platz aus tun — eher mehr Verständnis und nicht die Verstärkung von Vorurteilen.Man muß sich Gedanken machen, wie Bildungs- und Beschäftigungssystem besser aufeinander abgestimmt werden können — das hat übrigens nie eindeutig zueinander gepaßt — unter dem Druck der Tatsache, daß heute viel mehr Angehörige eines Altersjahrganges studieren als früher und diese Zahl, absolut gesehen, noch zunehmen wird. Weiter stellt sich die Frage, wie größere Flexibilität sowohl beim einzelnen als auch bei den Ausbildungsgängen erreicht und dem gesellschaftlichen Wandel angepaßt werden können. Prognosen über den Bedarf an Arbeitskräften mit verschiedenen Qualifikationen werden nicht nur immer schwieriger, sondern fast unmöglich.Wesentliche Anregungen für weitere Überlegungen sind nach wie vor die 22 Orientierungspunkte zur Hochschulausbildung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft vom Juli 1978, Differenzierung innerhalb der Studiengänge, mehr praxisbezogenes Studium, Erhöhung von Flexibilität und
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Dr. OsswaldMobilität, Stoffbeschränkung und angemessene Studiendauer, Verbesserung der Hochschuldidaktik, soziale Öffnung der Hochschulen.Gewonnene Erkenntnisse müssen dazu führen, die Studenten besser zu informieren und ihnen Hilfestellungen zu geben. Viel mehr als bisher wird es zukünftig um die Frage gehen, daß man lernt, wie man lernt.Nicht das Ende der Reformen im Hochschulbereich ist gekommen, wie Konservative aufatmend feststellen möchten, sondern die schwierige Situation verlangt kreativ bewältigt zu werden. Die nächsten Jahre werden nicht weniger, sondern mehr Reformen im Hochschulbereich verlangen. Das ist mit Reizworten sicherlich nicht zu leisten, auch nicht mit der Aufforderung, endlich einmal wieder Volkslieder zu singen.Neben all diesen standortbestimmenden Bemerkungen stehen für mich vor allem zwei Teilaspekte der Großen Anfrage der Opposition im Vordergrund: Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und Förderung der Forschung. Mein Kollege Wallow wird vor allem zur Frage des Hochschulbaues dann Stellung nehmen.Die Fragen der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sind im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf der CDU/CSU hier ausführlich diskutiert worden. Ich möchte die damaligen Argumente nicht wiederholen. Ich beschränke mich auf sechs Punkte, die sozialdemokratische Positionen klarmachen sollen.Erstens. Wir sind einhellig der Meinung, daß auch wissenschaftlicher Nachwuchs eine zentrale Investition für die Zukunft ist.Zweitens. Es gibt kaum unterschiedliche Meinungen darüber, daß neben der Graduiertenförderung im engeren Sinne des Gesetzes eine Fülle von anderen Fördermaßnahmen für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Bundesrepublik angeboten werden. 13 Millionen DM Graduiertenförderung ergaben sich im Jahre 1981, im Vergleich zu etwa 12 Millionen DM für Begabtenförderungswerke. Sicher spielen auch noch die Personalkosten bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses eine wichtige Rolle. Wir müssen aus wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten verhindern, daß durch eine fehlende Förderung die Qualifiziertesten die Grundlagenforschung verlassen und in die Industrie abwandern. Hier sind vor allem aber auch die Länder gefordert — auch wenn Herr Daweke das in Frage gestellt hat, was die Personalstellen anbetrifft —,
die durch eine entsprechende Stellenpolitik an ihren Hochschulen die Beschäftigung von wissenschaftlichem Nachwuchs steuern können.Drittens. Über 40 000 junge Wissenschaftler sind bisher nach dem Graduiertenförderungsgesetz gefördert worden. Wir wollen wieder eine gesetzliche Grundlage schaffen. Wir wollen nicht das Auslaufen über zwei Jahre, obwohl auch diese Möglichkeit erstnach großen Anstrengungen des Ministers als Übergangslösung erreicht werden konnte.Viertens. Wir Bildungspolitiker werden uns weiterhin dafür einsetzen, daß ein Graduiertenförderungsgesetzentwurf etwa folgende Grundzüge aufweist: Möglichkeit der Förderung bei gleichzeitiger Beschäftigung an wissenschaftlichen Einrichtungen. Der belastende Darlehensanteil wird damit vermieden oder reduziert. Dazu kann man sich folgende Typen von Stipendien vorstellen: Anschlußstipendien an eine vorherige wissenschaftliche Tätigkeit, Praktikerstipendien in Einzelfällen für Nachwuchskräfte aus wissenschaftsbezogener Tätigkeit außerhalb der Hochschule, Grundstipendien, Gewährung von Stipendien in Sonderfällen in direktem Anschluß an den Studienabschluß und schließlich Promoviertenstipendien für besondere Fälle.Fünftens. Ich könnte mir die finanzielle Regelung etwa so vorstellen — und darüber gibt es schon konkrete Diskussionen —, daß eine solche neue Graduiertenförderung etwa 50 Millionen DM jährlich umfassen sollte, wovon der Bund 30 Millionen und die Länder 20 Millionen DM zu finanzieren hätten.Sechstens. Es ist unrealistisch, wenn versucht wird, dieses Gesetz so zu gestalten, daß es in seinen finanziellen Auswirkungen über das jetzt auslaufende sehr weit hinausgeht. Wenn man Stellen und Stipendien koppeln kann, ist auch ein Darlehensanteil für die anderen Typen von Stipendien zumutbar. Die späteren Tätigkeiten jener Geförderten sind ja beileibe nicht so dotiert, daß man nicht seinen Verpflichtungen finanzieller Art zur Förderung der nächsten Generation nachkommen könnte.Kurz zur Forschung und Grundlagenforschung. Ich möchte mich hier auf ganz wenige Bemerkungen beschränken.In der Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Bericht der Bund-Länder-Kommission zur Bildungsplanung und Forschungsförderung zur Förderung der Grundlagenforschung in der Bundesrepublik Deutschland heißt es, daß mehr als ein Fünftel der gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben für die Grundlagenforschung aufgewandt werden. Dies ist eine Spitzenposition im Vergleich zu anderen Industrieländern: 20 % der gesamten Forschungsmittel für die Grundlagenforschung. 1980 stand insgesamt ein Betrag von 8 Milliarden DM zur Förderung der Grundlagenforschung zur Verfügung; für die Forschung insgesamt standen 40 Milliarden DM zur Verfügung.Auch die Arbeitsbedingungen werden sowohl nach diesem Bericht als auch nach dem Hearing des Ausschusses für Forschung und Technologie vor wenigen Wochen insgesamt positiv bewertet. Das Hearing hat trotz einiger Kritikpunkte in der Tendenz gezeigt, daß Forschung in der Bundesrepublik annehmbare Bedingungen vorfindet. Bei Abbau einiger bürokratischer Hemmnisse sind hier die Voraussetzungen für die Bedeutung der Forschung für die Gestaltung unserer Zukunft erkannt worden, so daß die Bedingungen weiter verbessert werden können.
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Dr. OsswaldIch komme zum Schluß. Konservative bieten — schon immer — Scheinsicherheiten an. Was Wählerstimmen anbetrifft, so hat sich dies für die Konservativen in der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts einige Male bewährt. Wir hingegen versuchen, die Diskussion über den richtigen Weg anzubieten,
indem wir wollen, daß die Generation ihn mit uns findet.
Wir erheben damit nicht den Anspruch auf die von der CDU/CSU immer wieder geforderte totale geistige Führung. Wir wollen in einer pluralistischen Gesellschaft zusammen mit den betroffenen Gruppen Lösungen suchen und finden.
Zukünftige Generationen werden entscheiden, welcher der beiden Wege den Bildungs- und gesellschaftlichen Erfordernissen angemessen war. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete von Braun-Stützer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt die Große Anfrage der CDU/CSU zu diesem sehr umfassenden Themenkatalog wegen der Möglichkeit, einmal grundsätzlicher über die augenblickliche Situation an unseren Hochschulen zu diskutieren.Was wir allerdings keineswegs begrüßen, ist die Absicht, die ganz offensichtlich hinter dieser Großen Anfrage steckt. Es geht hier um das sattsam bekannte Spiel, dem Bund die Verantwortung für alle Schwierigkeiten im Bildungswesen öffentlich zuzuweisen und gleichzeitig die Gestaltungsspielräume des Bundes immer mehr einzuengen.
Hier in der Hoffnung, daß der Bürger dieses Spiel mit gezinkten Karten nicht durchschaut. Aber da, meine Damen und Herren von der Opposition, da eben täuschen Sie sich.
Die öffentliche und veröffentlichte Meinung hat begriffen, daß hier zu Lasten der Zukunftschancen unserer Schüler und Studenten eine vorhandene tiefgehende Krise unseres Bildungsföderalismus verschärft werden soll — und ich behaupte: mutwillig. Der Föderalismus hat sich vor allem in schwierigeren Zeiten zu bewähren, wenn geburtenstarke Jahrgänge und Sparpolitik gemeinsam verkraftet werden müssen. Gerade dann kommt es entscheidend auf Kompromißfähigkeit an, auf das Prinzip der Gesamtverantwortung von Bund und Ländern, nicht nur dann, wenn Zuwachs zu verteilen ist. Ich behaupte, der Bildungsföderalismus hat diese Bewährungsprobe bisher noch nicht bestanden.Während abstimmungsbedürftige Zentralprobleme unseres Bildungswesens sich zu häufen beginnen, nimmt das egozentrische Denken und Handeln in Zuständigkeitsbereichen, Etats und Parteitaktik immer mehr zu. Dies ist eine außerordentlich bedenkliche Entwicklung, die mit Sicherheit den Föderalismus eher gefährdet als eine mutige und tabu-freie Diskussion über eine sachgerechte Neuverteilung der bildungspolitischen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern, wie sie die Freien Demokraten schon seit langem fordern.Ich erinnere deshalb an den Bericht der Bundesregierung über die strukturellen Probleme des föderativen Bildungssystems, nach dem dem Bund die Zuständigkeit für vier Bereiche übertragen werden sollte: für die Regelung der Dauer der Bildungspflicht, für die Regelung der Übergänge und Abschlüsse im Bildungswesen, für die berufliche Bildung für die Lehrerausbildung und die Anerkennung der Abschlüsse. Auch wenn diese Forderungen in absehbarer Zeit nicht zu realisieren sind, so berechtigt doch gerade die jüngste Fehlentwicklung des Bildungsföderalismus zu einer verstärkten öffentlichen Diskussion dieses Themas. Wir werden Sie aus dieser Diskussion auch nicht entlassen. Der Geist, der hinter der Großen Anfrage der CDU/CSU steckt, ist ein weiterer Beweis für diese Fehlentwicklung des Bildungsföderalismus, für die Abkehr vom Gedanken der gesamtstaatlich verantworteten Bildungspolitik, für die Abkehr vom bildungspolitischen Grundkonsens.
Unsere Hochschulen stehen in der Tat vor dem großen Problem, gleichzeitig mit immer stärkeren Studentenjahrgängen und einer Organisations- und Finanzausstattung fertig werden zu müssen, die nicht im gleichen Tempo mitwächst wie die Studentenzahlen. In den letzten Jahren ist bereits enorm viel investiert und neu geschaffen worden. Aber die finanzwirtschaftlichen Probleme machen sich leider auch beim Hochschulbau bemerkbar. Allerdings — und insofern sehen wir die Kritik der Länder als durchaus berechtigt an — hat der Einbruch in die Rahmenplanung des Hochschulbaus in den letzten zwei Jahren Hochschulen und Länder sicherlich vor zusätzliche Schwierigkeiten gestellt — weniger deshalb, weil überhaupt Änderungen der Rahmenplanung gefordert wurden, sondern deshalb, weil sie so plötzlich abverlangt wurden.Nur sollte man hier auch sachlich bleiben. Zum einen bedeutet dies alles nicht, daß es ab morgen keinen Hochschulbau mehr gibt. Nahezu 2 Milliarden DM jährlich sind eine erhebliche Summe und fast so viel wie in den letzten Jahren schon aufgewandt wurde. Zum anderen war die Revision der Rahmenplanung sicherlich auch heilsam aus der Sicht der Länder. Es spricht für eine sachgerechte Interessenabwägung von Planungsausschüssen und Wissenschaftsrat, daß der Herstellung und der Erhaltung der Funktionsfähigkeit unserer Hochschulen höhere Priorität als den Neubauprojekten eingeräumt wurde.Ebenso unterstützen wir die Verteilung der Finanzmittel nach Sachkriterien und nicht nach Län-
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5814 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Frau von Braun-Stützerderquoten. Daß der Spielraum für neue Vorhaben zunächst sehr gering ist, bedauern wir — übrigens auch wegen der dadurch zusätzlich entstehenden Probleme für die regionale Bauwirtschaft und die regionale Struktur. Das Wichtigste scheint uns zunächst einmal die Fertigstellung der laufenden Bauprojekte, die allerdings die enorme Summe von noch 8 Milliarden DM erfordern wird, die von Bund und Ländern gemeinsam aufgebracht werden muß.Wenig Verständnis allerdings haben wir für das, was sich nun in einzelnen Ländern vollzieht. Die Reduktion des Hochschulbaues wird lebhaft beklagt, geradezu als Katastrophe der Hochschulpolitik dargestellt. Zugleich aber kürzen die gleichen Länder ihre laufenden Mittel für die Hochschulen. Bei allem Verständnis für die sicherlich ebenso schwierige Haushaltslage der Länder geht doch kein Weg an einer einfachen bildungspolitischen Wahrheit vorbei: wenn man die vorhandenen Bauten voll ausnutzen will, dann braucht man mehr Personal- und Sachmittel, nicht weniger.
Wenn also das eine oder andere Bundesland den Bund anklagt und im eigenen Verantwortungsbereich nicht das tut, was für die volle Nutzung der Hochschulbauten erforderlich ist, dann werden wir diesen Trick schonungslos offenlegen.Wir werden uns dafür einsetzen, daß der Hochschulbau weiterlaufen kann und Einbrüche in das laufende Baugeschehen vermieden werden können. Wir werden uns ebenso dafür einsetzen, daß die neuen Hochschulen auch die zusätzlichen Bauten erhalten, die für ihre Funktionsfähigkeit notwendig sind.Wir würden es deshalb begrüßen, wenn die vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und vom Bundesfinanzminister einvernehmlich angestrebte Erhöhung der Haushaltsansätze auf 900 Millionen DM ab 1983 durchgesetzt werden kann. Aber wir müssen die Länder bitten, auch ihrerseits Maß zu halten. Dies gilt ganz besonders für diejenigen Länder, die die Planungen im Hochschulbau in den letzten Jahren nicht erfüllt haben und aus diesem Grunde in der jetzt schwieriger werdenden Finanzsituation aufzuholen versuchen.Schon jetzt verkraften unsere Hochschulen mehr als eine Million Studenten. Diese Zahl wird bis Anfang der 90er Jahre möglicherweise auf 1,3 Millionen Studenten ansteigen und erst einige Jahre später wieder auf das Niveau zurücksinken, das wir heute haben. Erst Mitte oder Ende der 90er Jahre wird also die Zahl der Studenten unter eine Million sinken. Das beliebte Argument, wie man es draußen so häufig hört, wir dürften heute nicht soviel in unsere Hochschulen investieren, weil sie sonst am Ende des Jahrzehnts gähnend leerstünden, ist deshalb falsch und für unsere Hochschulen und Studenten darüber hinaus gefährlich, weil es dazu führt, daß drei bis vier Studentengenerationen unter dem, wie ich finde, beschönigenden Stichwort „ Überlast-phase" zusammengepfercht und so als gesellschaftliches Problem ignoriert werden können. Ehrlich-keit in der Argumentation, so meine ich, sind wir unseren Hochschulen und Studenten deshalb mindestens schuldig, wenn wir diese Generationen schon nicht mit den gleichen Bedingungen ausstatten können wie die Studentengenerationen der 70er Jahre.Schon deshalb ist eine unkonventionelle, phantasievolle Politik der Kapazitätsnutzung unverzichtbar; einige Hochschulen beginnen bereits, sich in dieser Richtung zu entwickeln. Ich möchte an dieser Stelle auch keineswegs bestreiten, daß manche Hochschulen und auch mancher Hochschullehrer auf die Massenbewältigungsprobleme der Gegenwart und Zukunft noch nicht flexibel genug reagiert haben. Warnen möchten wir allerdings vor der Annahme, daß alle Massenprobleme durch eine Politik der effektiven Kapazitätsnutzung beseitigt werden könnten. Die Kapazitätsnutzung kann das Problem bestenfalls mindern. Denn in den naturwissenschaftlichen Fächern beispielsweise werden Labore und sämtliche übrigen Raumkapazitäten schon seit langem sorgfältig und das ganze Jahr über ausgenutzt. Wenn beispielsweise Bibliotheken von 6 Uhr bis Mitternacht offengehalten werden sollen, dann braucht man dafür auch mehr Personal. Selbst in den geisteswissenschaftlichen Fächern, die sicherlich weniger Raum pro Student brauchen, kann auch der tüchtigste Verwaltungsleiter diese Massenprobleme mit Phantasie allein nicht bewältigen. Das heißt: Wir dürfen an diese unbestritten notwendige Politik der effektiven Kapazitätsnutzung keine übertriebenen Erwartungen knüpfen.Das Massenproblem, das unsere Hochschulen zu bewältigen haben, wird zusätzlich noch dadurch erschwert, daß die sogenannten klassischen Hochschulen mit ihrem studentengewohnteren Wohnumfeld und einem auf die Studenten eingestellten Kultur- und Freizeitangebot immer noch wesentlich attraktiver wirken als die neuen Universitäten. Dies hat bedauerlicherweise zur Folge, daß die klassischen Universitäten mit einer 160- bis 180prozentigen Überfüllung fertigwerden müssen, während die neuen Hochschulen in manchen Fachbereichen durchaus noch mehr Studenten verkraften könnten. Diese Entwicklung ist unbestreitbar problematisch, kann aber mit Sicherheit nicht durch dirigistische Maßnahmen verbessert werden, wie sie zur Zeit im Gespräch sind. Das einzig wirksame Mittel, um zu einem Ausgleich zwischen den Belastungsquoten der klassischen und der neuen Hochschulen beizutragen, ist unserer Ansicht nach ein offener Wettbewerb der Hochschulen mit Werbung und mit einem besonderen, attraktiven Studienangebot, das die klassischen Hochschulen nicht machen. Diese Art von Nischenpolitik, wie ich es bezeichnen würde, wie beispielsweise Passau sie mit seinem besonderen Sprachstudienangebot für Juristen entwickelt hat,
die sich für eine Tätigkeit auf europäischer Ebene bewerben wollen, ist mit Sicherheit ein effektiveres Verteilungsinstrument als eine teure, bombastische Verteilungsbehörde.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5815
Frau von Braun-StützerDie Hochschulen sind aufgefordert — hierin liegt auch ihre große Chance —, ein wenig mehr Mut zur Ungleichheit zu entwickeln. Ich bin nicht der Ansicht, daß die gewachsenen Strukturen unserer Hochschullandschaft ernsthaft dadurch gefährdet würden, daß das eine oder andere zusätzliche, attraktive, neue Studienangebot entwickelt wird, sozusagen als Rose am Anzug der Grundausstattung.Die Freien Demokraten betrachten deshalb übrigens auch ein Reformkonzept, wie das der ersten sogenannten Privatuniversität in Herdecke, durchaus mit Interesse. Ebenso wie die Waldorfschulen ganz erheblich zur pädagogischen Bereicherung der öffentlichen Schullandschaft beigetragen haben, ist auch im Fall Herdecke durchaus die Chance gegeben, eine Studienreform und unsere Hochschullandschaft mit einem pädagogischen und wissenschaftlichen Konkurrenzangebot zu bereichern.
Es ist dabei Sache der Kultusminister, die Rahmenbedingungen für eine solche Neugründung eindeutig so zu gestalten, daß nicht eine Hochschule von Privilegierten für die Kinder von Privilegierten daraus wird, sondern eine Hochschule mit wirklich zukunftsweisendem Reformkonzept.Die Studienreform ist eine wesentliche Aufgabe, die viel zur quantitativen und qualitativen Verbesserung der Situation an unseren Hochschulen beitragen kann. So kann beispielsweise ein Kurzstudium, wie es Professor Turner von der Westdeutschen Rektorenkonferenz vorgeschlagen hat, durchaus zu einer Entlastung führen. Der Vorschlag hat seinen Haken allerdings da, wo dieses Examen auch seine Anerkennung im Beschäftigungssystem finden muß. Hier sind die Wirtschaft und der öffentliche Dienst zu wesentlich mehr Flexibilität aufgefordert. Solange ein Akademiker ohne den urdeutschen Vornamen „Doktor" kein Mensch ist und deshalb niedriger eingestuft und bezahlt wird, solange werden die besten Vorschläge zur quantitativen Entlastung der Hochschulen nicht fruchten.
Manche inhaltlichen Vorschläge zur Studienreform haben gleichzeitig auch quantitative Entlastungseffekte, die wir nur begrüßen können, beispielsweise die Förderung des Auslandsstudiums. Andererseits ist nicht zu übersehen, daß auch den Hochschulen — zusätzlich zu den Massenproblemen — auch noch weitere wichtige Aufgaben zukommen, wie beispielsweise der Riesensektor Weiterbildung. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Stellungnahme der Westdeutschen Rektorenkonferenz zur Weiterbildung, die erkennen läßt, daß sich die Hochschulen im Rahmen ihrer schwieriger gewordenen Möglichkeiten dieser neuen Aufgabe durchaus stellen wollen.Die Opposition beliebte, in der bombastischen Überschrift zu der Großen Anfrage auch das Thema „soziale Lage der Studenten" aufzuführen. Sucht man dan im weiteren Text nach dem Bewußtsein für die ganz unbestreitbar schwierige Lage der Studenten, dann wird man feststellen müssen, daß dieses Bewußtsein zwischen dem Diktat der Überschriftund dem Rest der Anfrage offenbar schlicht abhanden gekommen sein muß. Man könnte z. B. durchaus fragen, warum Studienberatung und psychotherapeutische Betreuung der Studenten nicht endlich auf den Stand gebracht werden, der schon seit der letzten Erhebung des Studentenwerkes als notwendig angesehen wird. Aber die soziale Lage der Studenten umfaßt aus der Sicht der Opposition offenbar nur den Studentenwohnraumbau, da auch nur den Neubau und auch da selbstverständlich nur den Teil des Bundes. Da wir uns sowohl im Ausschuß als auch im Plenum bereits hinlänglich mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, belasse ich es hier bei dem Hinweis, daß der Bund von Anfang der Legislaturperiode an darauf hingewiesen hat, daß er sich aus der Finanzierung des Studentenwohnraumbaus zurückziehen werde, was die Länder ja früher durchaus auch gefordert haben.Ich möchte nicht schließen, ohne eine Gretchenfrage an die Opposition zu stellen. Was eigentlich beklagen Sie mehr: die Reduktion des Hochschulbaus oder die sogenannte Überproduktion von Akademikern?
Auf Ihre Antwort bin ich sehr gespannt, denn wenn Sie die Reduktion des Hochschulbaus für so katastrophal halten, dann dürften Sie nicht gleichzeitig kritisieren, daß unsere Hochschulen mehr Studenten ausbilden, und wenn Sie umgekehrt der Ansicht sind, daß die Anzahl von Studenten gesenkt werden muß, dann ist es mehr als unlogisch, gleichzeitig die Reduktion des Hochschulbaus zu kritisieren.
— Dazu wird gleich meine Kollegin Frau Dr. Engel noch Stellung nehmen.Aber es ist längst nicht nur dieser Widerspruch in der Argumentation der Opposition, der erfreulicherweise schon lange an den Hochschulen erkannt worden ist, es ist auch der wirklich erstaunlich entwikkelte Glaube der CDU/CSU an dirigistische Lenkungsmöglichkeiten im Bereich der Bildung und Beschäftigung, die angeblich zu einer Entlastung der Hochschulen führen sollen. Meine Damen und Herren, der einzige Weg, die Hochschulen wirklich zu entlasten, ist nicht die Diskriminierung der akademischen Ausbildung als Überproduktion von Akademikerproletariat,
sondern da hilft ganz eindeutig nur die Steigerung der Attraktivität der nichtakademischen Berufe. Dies ist Aufgabe der Wirtschaft.
Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß die enormen Bildungsinvestitionen der 70er Jahre nicht nur zu einer Steigerung der Studentenzahlen geführt haben, sondern zu einer ganz bedeutsamen Steigerung der Teilnehmerzahlen an allen Bildungsabschlüssen, also zu einer wesentlichen Qualifika-
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5816 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Frau von Braun-Stützertionssteigerung aller Jugendlichen insgesamt. Wer eigentlich will dies ernsthaft kritisieren angesichts der steigenden Qualifikationsanforderungen des Beschäftigungssystems? Wäre es etwa eine Lösung, die Hälfte unserer Studenten — das scheint ja in der Vorstellung einiger Kollegen der CDU/CSU-Fraktion möglich zu sein — in die duale Ausbildung hineinzuzwingen und so die ohnehin problematische Situation im Ausbildungsstellenbereich wesentlich zu verschärfen? Das kann doch wohl seriös niemand fordern.Ich kann der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages deshalb nur empfehlen, das sehr vielschichtige Thema Bildung und Beschäftigung etwas weniger einseitig anzugehen als bisher.
Auch das sattsam bekannte Verfahren, Modellversuche gegen den Studentenwohnraumbau auszuspielen — BAföG gegen Graduiertenförderung —, hilft hier überhaupt nicht weiter und ist im übrigen ein sehr leicht durchschaubarer Trick.Deshalb möchte ich mit der dringenden Bitte an die Opposition um mehr Sachlichkeit schließen, gerade weil die Rahmenbedingungen für die Bildungspolitik in Bund und Ländern schwieriger geworden sind und weil ich meine, daß unsere Schüler, Studenten, Hochschulen und Hochschullehrer dies auch verdient haben. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mir eine Replik auf das leisten, was Herr Daweke gesagt hat. Er hat dasselbe in Grün gestern schon einmal im Ausschuß gesagt. In feiner, ich glaube, niedersächsischer Art hat er sich über die Qualität der politischen Leitung unseres Ministeriums ausgelassen. Ich muß sagen, ich sitze 13 Jahre in diesem Parlament, immer an der gleichen Stelle. Diese Kontinuität müßten Sie als Niedersachse eigentlich zu schätzen wissen.
— Sie sind Westfale. Entschuldigung! — Ich bin in diesem Parlament bildungspolitische Kontinuität. Wenn ich es richtig sehe, habe ich eine ganze Reihe maßgeblicher Kollegen Ihrer Seite bildungspolitisch überlebt. Herr Gölter hat sich rechtzeitig in ein Bundesland zurückgezogen. Wie ich sehe, ist Herr Rühe dabei, gleiches zu tun. Ich werde auch Herrn Daweke überleben.
Ich bin ja nicht ganz so vermessen wie Sie, daß ich sage: Die haben alle die Flucht vor mir ergriffen. Aber irgendwo wird es damit zu tun haben.Nun will ich von dem Ulk, den Herr Daweke in Teilen seiner Rede verbreitet hat, zum Ernst der Sache zurückkommen. Ich darf darauf hinweisen, daß wir in den letzten zwölf Jahren — ich bin keiner, der immer in Leistungsbilanzen schwelgt — 30 Milliarden DM in die deutschen Hochschulen verbaut haben, d. h. Bund und Länder gemeinsam. Das ist eine unglaubliche Gemeinschaftsanstrengung, die Bund und Länder hier bis zum heutigen Tag vollbracht haben.
Und hinter dieser Gemeinschaftsleistung — auch dies muß betont werden — steckt die Masse der kleinen Steuerzahler. Die große Sache ist eine Leistung der kleinen Leute gewesen, denen wir dafür danken müssen.
Ich denke, der Hochschulbau wird auch in den kommenden Jahren nicht zum Erliegen kommen. Wir haben zusammen im Planungsausschuß schwierige Verhandlungen für den Hochschulbau geführt. Ich muß an dieser Stelle dem Wissenschaftsrat und den Kultusministern der Länder für die Bereitschaft danken, an der Vorhabenplanung aktiv und loyal mitzuwirken. Es ist nicht zu leugnen, daß wir finanziell einen Dissens haben. Der Bund kann nicht etwa die Milliarde zur Verfügung stellen, die wahrscheinlich nötig wäre, um alle Wünsche zu erfüllen. Er kann mittelfristig von 82-86 nur fünfmal 900 Millionen DM geben. Wenn mehr gebraucht wird, so haben wir den Ländern angeboten, müssen diese vorfinanzieren.Ich weiß, daß das keine bescheidenen Summen sind, und ich weiß, daß manches Bundesland — z. B. die kleineren — es sehr schwer haben wird, die Vorfinanzierung zu leisten. Umgekehrt muß ich sagen: Es hat Jahre gegeben, in denen der Bund auf freiwilliger Basis bis zu 700 und mehr Millionen DM für die Länder vorgeleistet hat. Wenn wir den Hochschulbau weitertreiben wollen und müssen, dann hoffe ich, daß wir in dieser Frage den Dissens in den kommenden Monaten auch ohne große juristische Streitigkeiten in Karlsruhe überwinden.
Ich will eine zweite Bemerkung zu etwas machen, worauf fairerweise auch alle Redner hingewiesen haben. Wir können noch so viele neue Betonbauten in die Landschaft setzen — was wir uns mit den Hochschulbauten architektonisch zum Teil geleistet haben, schmerzt mich als alten Bildungspolitiker auch heute noch —,
wir können noch so viele Neubauten nach Kapazitätsrichtlinien erstellen, es wird sich nichts an dem immer wieder hinterfragten Innenleben der Hochschulen ändern. Was wir parallel zu einem begrenzten Weiter- und Neubau der Hochschulen brauchen, ist eine Innenausstattung, die es den Studierenden ermöglicht, den Kontakt zu ihren Lehrern auch in der Massenuniversität nicht zu verlieren. Das heißt, der Kontakt von Student zu Lehrer, die pädagogische Dimension müssen in der Hochschule auch in finanziell schwierigen Zeiten erhalten bleiben. Das ist eine Aufgabe, die ausschließlich die Länder zu leisten haben.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5817
Bundesminister EngholmIch sehe aber — ich sage das alles sehr nüchtern — in einem Artikel im „General-Anzeiger", daß an der Universität Bonn zu Beginn der Nachfrage nach Hochschulausbildung durch die geburtenstarken Jahrgänge 29 Stellen gestrichen werden sollen. Ich sehe in einem Artikel der „Stuttgarter Zeitung", daß in Heidelberg über Kürzungen bis zu 45 % bei den Hilfskräften diskutiert wird. Ich lese in der „Süddeutschen Zeitung", daß bei der Technischen Universität München Kürzungen bei den Assistentenstellen geplant sind. Dazu muß man fairerweise sagen, die Länder stehen hier offensichtlich unter einem genauso großen finanziellen Druck wie der Bund. Ich meine deshalb, es lohnt nicht, daß wir uns wechselseitig die Haare ausraufen. Wir haben finanziell gleich schlechte Grundbedingungen. Wir sollten versuchen, die Probleme in einer großen Grundgemeinsamkeit zu lösen.
Ich möchte eine weitere Bemerkung machen. Sie alle werden gestern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" den Artikel gelesen haben, den Herr Adam geschrieben hat. Dort ist ein Bild des deutschen Studenten gemalt, das ich in dieser Form in keiner Weise unterstreichen kann. Da werden so nach dem Motto Impressionen vermittelt, daß die Studenten, die BAföG-Bezieher sind, die neuen Schlotbarone der Bundesrepublik Deutschland seien. Ich finde Artikel dieser Art, die Mißgunst zwischen Studenten und Bevölkerung säen, schlichtweg mies, um das ganz deutlich zu sagen.
Schauen wir uns die deutsche Studentenschaft genau und ohne Nostalgie an. Wir älteren neigen dazu zu sagen: „Zu unserer Zeit, als wir da im Seminar saßen, war alles besser, da waren wir fleißiger, da haben wir mehr gemacht." Die deutschen Studenten sind bei genauem Hinsehen alles andere als faul, behäbig oder unbeweglich. Sie sind im Regelfalle genauso konventionell fleißig wie ihre Väter, die einige Jahre oder Jahrzehnte zuvor studiert haben.Schauen wir uns genau an, was die Studentenschaft heute auf die Beine stellt. Abschlußquoten von 90 % derer, die beginnen, hat es doch auch zu meiner Zeit oder zu Ihrer Zeit kaum gegeben.
Das heißt, wer heute anfängt, studiert meist auch erfolgreich zu Ende. Man sollte die unfreundlichen Ausnahmeerscheinungen, die es in der Studentenschaft gibt, die es auch zu unserer Zeit gegeben hat, nicht zum Maßstab, zum Bild der gesamten deutschen Studentenschaft machen. Hier wächst eine fleißige Generation heran, die weiß, daß sie dieser Gesellschaft nach dem Studium auch etwas schuldig ist.
Ich stimme mit meinen Vorrednern überein, daß der akademische Arbeitsmarkt, ausgenommen einige Spezialarbeitsmärkte, etwa der für Lehrer, nicht das Hauptproblem der Beschäftigungslosigkeit in Deutschland ist. Dennoch verwundert mich aber immer wieder die Tatsache, daß bei Umfragen die Mehrheit der Studenten eine völlig falsche Einschätzung der Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt hat. Viele erwarten für sich automatisch Arbeitslosigkeit und sind dementsprechend bereits in den höheren Semestern des Studiums verdrießlich, haben nicht mehr die entsprechende Motivation. Man muß immer wieder sagen: Trotz der sehr hohen Quoten, der sehr hohen Studienbeteiligung haben unsere jungen Akademiker, wenige Spezialdisziplinen ausgenommen, nach wie vor bessere Arbeitsmarktchancen als junge Ausgebildete aus dem dualen System. Anlaß für übergroße Furcht muß es also bei den Studenten nicht geben.
Umgekehrt bin ich schon der Meinung, daß wir nicht tatenlos zusehen können, wie große Teile etwa bei den Lehrern oder in anderen Bereichen der Jugendarbeitslosigkeit ohne eine adäquate Antwort der Gesellschaft auf der Straße stehen bleiben.Wir haben finanzielle Schwierigkeiten. Aber wir sind deshalb mitnichten eine arme Gesellschaft. Ich meine, es muß mit dem Teufel zugehen, wenn es uns nicht gelingen sollte, der relativ kleinen Zahl beschäftigungsloser Akademiker, aber auch den Jugendlichen ohne Ausbildung in unserem Land eine faire Chance zu geben.
Wir alle, wie wir hier sitzen, müssen mehr tun. Ich habe Ihnen meine Antwort vor langer Zeit gegeben. Ich will die Leute nicht vertrösten, wie manche es tun, indem ich sage: „Irgendwann kommt die große ökonomische Wachstumswelle zurück und wird auch Euch mit erfassen, auch wenn Ihr schlechte Schwimmer seid." Ich meine, daß wir in bestimmten Bereichen der Gesellschaft — dazu zähle ich auch die Politik, die Ministerialbürokratie einschließlich ihrer politischen Spitzen — heute so gut finanziell versorgt sind, auch im Alter, daß wir keine existentiellen Schwierigkeiten hätten, zumindest auf Teile der Zuwächse unserer Möglichkeiten zugunsten der jungen Generation zu verzichten.
Es wäre schade, wenn Sie das, wie das schon einmal passiert ist, mit dem Stichwort „Neid" oder „Mißgunst" belegten.Lassen Sie mich bitte eine vorletzte Bemerkung machen, was das Klima und die Stimmung in den Hochschulen, insbesondere auch in der Hochschullehrerschaft, angeht. Ich habe großes Verständnis dafür, daß viele Hochschullehrer berechtigt darüber klagen, daß sie mit der enorm gewachsenen Zahl der Studenten auch enorm gewachsene Aufgaben zu bewältigen haben. Wenn einer früher 50 oder 100 Diplomarbeiten hatte, heute aber 100 oder 200, wenn einer früher im Seminar 70 Studenten hatte, heute aber 150, wenn einer früher 100 Prüfungsarbeiten pro Semester zu bearbeiten hatte, heute aber 150 oder 200, dann muß er dies mit derselben Substanz verkraften. Das kostet ihn Zeit, das kostet ihn Muße, die er braucht, um in anderen akademischen Berei-
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5818 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Bundesminister Engholmchen wie denen der Forschung zu großen Ergebnissen zu kommen.Dafür haben wir auch im Bildungsministerium Verständnis. Wir haben Verständnis dafür, daß Hochschullehrer über eine zunehmende Papierflut klagen, über eine ganze Reihe von Regelungen, die in der Tat das Akademische — d. h. auch die aktive geistvolle Muße —, das notwendigerweise den Geist der Hochschule mit beherrschen muß, sehr erschweren können.Umgekehrt muß ich sagen: Es gibt auch in der Hochschullehrerschaft manche wirklich überzogene Kritik. Es gibt manche Klage, die keine Begründung hat. Es gibt manche Wehleidigkeit auch in der Diskussion von Hochschullehrern mit der Öffentlichkeit. Ich muß sagen: Überzogene Kritik, Klage und Wehleidigkeit schaden zunächst einmal der Reputation der Hochschullehrer und der Hochschulen selbst. Man sollte dies an den Hochschulen einschränken.
Ich glaube, die Überzeichnung der Probleme an den Hochschulen schwächt den Elan der Hochschullehrer selbst und entmotiviert die Studenten, die eigentlich eine Motivierung viel nötiger hätten. Ich denke, daß, wenn man sich das Einkommen und den Status unserer deutschen Professoren anschaut, manche Klage, die dort geführt wird, ein wenig blasser wird. So schlecht geht es denen, die dort lehren und vom Staat besoldet werden, nicht.
Eine letzte Bemerkung. Die Zahlen über die Forschung in Deutschland sind schon referiert worden. Es ist sicherlich nicht so, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft, daß die Sonderforschungsbereiche heute etwa in eine ganz rosige Zukunft sehen. Mit Zuwachsraten, die bei 4 oder 5 % liegen, kann man die notwendigen Bedürfnisse abdecken, aber man kann nur begrenzt große neue Felder erschließen.Umgekehrt muß man, glaube ich, zum Nutzen und Frommen der bundesrepublikanischen Forschungspolitik sagen: Wir ringen bei uns in Deutschland um die Größenordnung des Zuwachses bei der Forschungsförderung. In Amerika ringt man derzeit um die Größenordnung der Kürzungsbeträge. Das heißt, wir stehen in der Relation — sie muß immer wieder mit im Auge behalten werden — nicht so besonders schlecht da, jedenfalls nicht so schlecht, wie es uns mancher wissen machen möchte.
Ich gebe zu, daß ich eine Achillesferse habe, nämlich das Gesetz über die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Sie aus der Bildungspolitik wissen, daß ich seit einem Jahr unter großen Schwierigkeiten und in wirklich schwierigen Umständen — die Zeiten sind nicht günstig für neue Gesetze, die Geld kosten — mit dem Finanzminister darum ringe, ob wir eine solche Lösung hinbekommen. Ich habe gestern praktisch im ersten Akt dem neuen Finanzminister gesagt, daß ich in Kürze auf ihn zukäme, um das mit Herrn Matthöfer weitestgehend durchgesprochene Konzept mit ihm zu erörtern.
Ich habe die Hoffnung — ich werde jedenfalls alles dafür tun —, daß wir in diesem Sommer eine klare, für jedermann einsehbare Antwort im Blick auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses bekommen.
Meine Damen und Herren, wir mögen und müssen uns in der Frage streiten, ob wir zuviele Studenten haben oder nicht, ob wir zuviel Nachwuchsförderung betreiben oder zuwenig. Wir müssen uns über die Frage streiten, ob die Gesamthochschule eine richtige Einrichtung ist oder nicht. Das alles muß in einer Demokratie sein — bei immer noch tiefen Unterschieden in manchen bildungspolitischen Grundsatzfragen.Ich appelliere gleichwohl zum Schluß an die Grundgemeinsamkeit, die wir nicht verlieren dürfen. Wer sich der notwendigen Grundgemeinsamkeit versagt, der versagt sich letztlich auch der Aufgabe, der jungen Generation in schwierigen Zeiten eine gute Zukunft zu sichern.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Geiger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Engholm, Sie werden mir sicherlich recht geben, wenn ich behaupte, daß die Arbeit in Ihrem Ministerium in früheren Jahren reizvoller und bef riedigender war als heute, da sich für diese Regierung und ihren Bildungsminister in immer kürzeren Abständen ein Mißerfolg an den anderen reiht. Was waren das noch für Zeiten, als Willy Brandt in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 — Herr Daweke hat auch schon darauf hingewiesen — „Bildung und Ausbildung, Wissenschaft und Forschung überschwenglich an die Spitze der Reformen stellte, die es bei uns vorzunehmen gelte". Die Abiturienten- und Akademikerquoten wurden zu einer entscheidenden Schlüsselgröße sozialliberaler Reformpolitik hochstilisiert. Abitur und Studium hatte man geradezu penetrant als Gütesiegel und Garantieschein für den beruflichen und sozialen Aufstieg propagiert. Die Zahl der Abiturienten sollte mindestens verdoppelt werden und die Zahl der Studierenden entsprechend steigen. Für die SPD und die FDP begannen die höheren Weihen des Menschseins ganz offensichtlich erst mit dem Abitur, und unter dem Schlagwort „Bürgerrecht auf Bildung" wurden die Schleusen für die gymnasialen und universitären Bildungsgänge weit geöffnet.Diese massive Propaganda zeigte alsbald Wirkung. Heute bereits haben wir Tausende arbeitsloser Akademiker — über 40 000, wie wir gehört haben —, die sich auf diese falschen politischen Verheißungen eingelassen haben. In den Studiengängen Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Politologie, Soziolo-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5819
Frau Geigergie, Jura und anderen Geisteswissenschaften haben wir heute Hunderttausende von Studenten, von denen nur ein Bruchteil in der Wirtschaft und in den staatlichen Behörden unterkommen wird. Die anderen werden auf der Straße stehen und ein gewaltiges Potential der Unzufriedenheit in unserem Volke bilden.
Es ist wichtig, an diesen Ausgangspunkt sozialliberaler sogenannter Reformpolitik zu erinnern, weil hier die Wurzel einer Fehlentwicklung liegt, die wir heute kaum noch in den Griff bekommen können.
Gerade jetzt, in einem Moment, in dem die Studentenzahlen noch einmal wirklich dramatisch zu steigen beginnen, werden von dieser Regierung die Mittel für den Hochschulbau gekürzt, werden die Mittel für die Ausbildungsförderung und die Graduiertenförderung eingefroren,
werden die Mittel beim Studentenwohnraumbau gestrichen. Ich frage mich, wie man den jungen Leuten, die in gutem Glauben an die Verheißungen dieser Regierung ihr Abitur gemacht haben, nun erklären soll, daß dies alles plötzlich nicht mehr wichtig sei und daß dies alles nicht mehr weitergehen solle. Dadurch wird bei der jungen Generation soviel Vertrauen verspielt, daß es nie wiedergutzumachen sein wird.
Es ist schon ein ungeheuerlicher Vorgang, wie sich die Bundesregierung, die die Länder zwölf Jahre lang mit allen Mitteln auf einen bildungspolitischen Expansionskurs gedrängt hat, jetzt kaltschnäuzig aus der Verantwortung herausstiehlt.
In den Wahlkampfprogrammen von SPD und FDP ist noch ausdrücklich von einer Verbesserung der Lage der Studenten die Rede. Dann, kurz nach der gewonnenen Bundestagswahl, wurde in einer Koalitionsvereinbarung eine Kürzung der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau um 20 % festgelegt. Die Mittel für die Ausbildungsförderung einschließlich der Graduiertenförderung wurden für die kommenden Jahre mit einem Federstrich auf 2,4 Milliarden DM Bundesanteil eingefroren. Den Rückzug des Bundes von dem von Bund und Ländern gemeinsam finanzierten Studentenwohnraumbau hat der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung höchstpersönlich verkündet. Meine Damen und Herren von der SPD und der FDP, das ist eine Bankrotterklärung für Ihre Politik der ungehemmten Bildungsexpansion.
Wer jungen Menschen mehr als zehn Jahre lang predigt, sie sollten unbedingt das Abitur machen und anschließend möglichst auch noch studieren, dann aber kurzerhand den Geldhahn zudreht, der handelt verantwortungslos, der handelt unentschuldbar.
Frau Abgeordnete Geiger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski?
Ja, bitte.
Frau Geiger, Sie haben vorhin beklagt, daß diese Bildungspolitik bewirkt habe, daß soundso viele Akademiker arbeitslos seien, und Sie haben gesagt, die Ursache dafür sei, daß wir so vielen die Möglichkeit gegeben hätten zu studieren.
Halten Sie es für schlimmer, wenn ein Akademiker oder ein Facharbeiter arbeitslos ist?
Ich darf Ihnen dazu sagen, daß gut ausgebildete Facharbeiter bei uns immer noch Mangelware sind,
während vorauszusehen war, daß man Absolventen bestimmter Studiengänge, die ich genannt habe, nicht unterbringen kann. Man hätte das rechtzeitig steuern und die Leute darauf aufmerksam machen müssen. Wenn Sie jetzt sagen, ich wollte nicht, daß die Leute studieren, dann ist das verkehrt. Ich möchte nur nicht, daß man Leute dazu verlockt, etwas zu studieren, und sie dann keine Chance haben.
Die Kultusministerkonferenz hat erst vor wenigen Jahren darauf hingewiesen, daß die Spitze des von den Hochschulen mit Besorgnis erwarteten Abiturientenberges nicht schon im nächsten Jahr, 1983, sondern erst 1987 erreicht sein wird. Bis dahin wird die Zahl der Studienanfänger, die im letzten Jahr noch bei zirka 195 000 gelegen hat, auf zirka 229 000 steigen. Vor dieser Entwicklung, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, stecken Sie jetzt ganz einfach den Kopf in den Sand.Ihnen, Herr Minister Engholm, ist vor Ihrer einseitigen Bildungswerbung immer noch nicht bang geworden. Dabei hat das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel in einer Studie darauf hingewiesen, daß beispielsweise selbst bei der optimistischsten Annahme bis 1990 150 000 ausgebildete Lehrer keine Beschäftigung im Schuldienst finden werden. Dabei ist die Situation des einzelnen Studenten an der Hochschule schon jetzt verzweifelt. In diesen Massenbildungsanstalten fühlt sich der einzelne immer öfter allein, isoliert, ohnmächtig und hilflos ausgeliefert. Er findet in der Masse immer schwerer Ansprechpartner, traut sich nicht, aus der Menge herauszutreten und resigniert. Auch das bedrückt die Studenten heute: Wenn 50 unter ihnen demonstrieren, dann kommt das Fernsehen, dann schreibt jede Zeitung darüber. Wenn aber 50 000 ein Jahr lang ruhig studieren, wie dies die Regel ist, nimmt dies niemand zur Kenntnis. Auch diese große Masse der Studierenden hat ihre täglichen Probleme, die ihnen das Leben schwermachen. Nur weil
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5820 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Frau Geigerdiese Probleme nicht spektakulär sind, kümmert sich niemand darum.Genausowenig wie die wenigen Chaoten unter den Studenten typisch sind, sind die heutigen Studentenvertretungen für die Studentenschaft repräsentativ.
Nur noch 25% der Studenten nehmen überhaupt an Wahlen teil, und diese 25% stimmen dann für eine knappe, sehr linke Mehrheit. Hier wurde vor allem von SPD und FPD, die an den Universitäten kaum noch eigene Studentenvertretungen haben, versäumt, mit den Hochschulen im Gespräch zu bleiben, Meinungen auf demokratischer Basis auszutauschen, in den Studenten Partner zu sehen und sie unserem Staat nahezubringen. Aber für die SPD waren Bildungsfragen und das sogenannte Bürgerrecht auf Bildung in erster Linie immer gesellschaftspolitische Machtfragen. Man hat die Hochschulen und Universitäten zwar bis an die Grenze der Belastbarkeit vollgestopft, hat dabei aber übersehen, daß da junge Menschen kommen, die neben ihrem Recht auf Bildung auch Anspruch auf menschliche Ansprache und individuelle Förderung haben. So alleingelassen, erwarten viele Studenten heute nichts mehr von der Politik. Sie können sich ganz einfach nicht mehr vorstellen, daß Politik zu vernünftigen Ergebnissen führen kann. Sie ziehen sich ins Private zurück und wollen nicht einmal mehr in ihrem direkten Umfeld, in der Hochschule, mitwirken und mitgestalten.Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung, welche Ziele die sogenannte Bildungsreformpolitik hatte: Mehr Bildung für alle wollte man. Heute stellt man immer größere Defizite fest. Es gibt die Quantität, doch kaum noch Qualität. Mehr Mitbestimmung für Studierende wollte man. Heute interessieren sich die Studenten nicht mehr dafür. Mündige Bürger wollte man. Aber der einzelne zieht sich auf sich selbst zurück. Eine traurige Bilanz!Auch beim BAföG ist man an die Grenzen gestoßen. Das 1971 verabschiedete Bundesausbildungsförderungsgesetz sollte noch die Chancengleichheit junger Menschen durch die Gewährung individueller Ausbildungsförderung ermöglichen. Heute fallen durch den auf 2,4 Milliarden DM Bundesanteil eingefrorenen Finanzrahmen und durch die steigenden Löhne und Gehälter immer mehr Studenten aus der Förderung heraus, die sie doch wegen der steigenden Lebenshaltungskosten bitter nötig hätten. Die Ursache ist klar: die desolate und immer noch schlechter werdende Haushaltslage des Bundes.In dieser Situation muß man ganz einfach überlegen, wie man trotz leerer Kassen auch in Zukunft noch diejenigen Studenten fördern kann, die entsprechend begabt und leistungswillig sind und aus sozialen Gründen die Förderung brauchen.Eine von uns schon oft vorgeschlagene Lösung wäre die Umstellung auf ausschließlich Darlehen oder wenigstens auf wesentlich höhere Darlehensanteile. Auch Bundeskanzler Schmidt hat am 26. Februar 1982 beim Kongreß der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen dazu aufgefordert, über dieVergabe des Studenten-BAföG auf Darlehensbasis ernsthaft nachzudenken. Aber dabei blieb es. Ernsthafte Vorschläge von Ihrer Seite stehen immer noch aus.Selbstverständlich ist es für die Betroffenen immer hart, wenn der Staat seine Leistungen zurücknehmen muß. Aber trotz mancher — zugegebenermaßen vorhandenen — Nachteile liegen die Vorteile einer Darlehenslösung auf der Hand. Die staatlichen Haushalte würden mittel- und langfristig entlastet, und die zurückfließenden Gelder kämen der nächsten Studentengeneration zugute. Die Kosten der Ausbildung würden wenigstens zum Teil von denen getragen, die später auch den Nutzen haben. Die Motivation, zügig zu studieren, wäre größer, und die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden würde gestärkt. Schließlich: Ungeeignete und Unentschlossene würden gar nicht erst ein Studium beginnen.Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie sollten sich endlich entschließen, der Aufforderung Ihres Kanzlers nachzukommen und in dieser Frage konkret zu werden.
— Hoffentlich!
Den Kopf vor gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten in den Sand zu stekken, ist auch hier nicht die richtige Strategie.
Eine grundlegende Neuregelung des BAföG böte zugleich eine Chance, dieses Gesetz wieder allgemeinverständlich zu formulieren und seinen Vollzug wieder überschaubar zu gestalten. Das Bundesausbildungsförderungsgesetz ist in den elf Jahren seiner Geltung bereits 15mal geändert worden. Es besteht aus einem Wust von Paragraphen und hat einen Wust von allgemeinen Verwaltungsvorschriften im Gefolge, die selbst langgediente Fachleute nur noch schwer durchblicken; vom normalen Bürger ganz zu schweigen. Gerade bei diesem Gesetz, mit dem viele junge Menschen und ihre Eltern täglich in Berührung kommen, könnte die vielbeschworene Bürgernähe durch eine allgemeinverständliche Neufassung augenfällig praktiziert werden.Ein weiteres trauriges Kapitel ist das Stagnieren des Studentenwohnraumbaus. Fast in jeder Bürgersprechstunde — das können die meisten Kollegen sicher bestätigen — kommen verzweifelte Studenten oder deren Eltern und bitten, sie bei der Wohnungssuche zu unterstützen. Erschwingliche Wohnungen auf dem freien Markt sind praktisch nicht zu haben. Plätze in Studentenwohnheimen gibt es viel zu wenig.In der Antwort auf die Große Anfrage der SPD und der FDP zur Entwicklung des Hochschulbereichs vom 8. Juli 1980 hat die Bundesregierung bekannt, daß das Wohnungsproblem zum größten sozialen Problem der Studenten geworden ist. Nur ist dieser Erkenntnis leider wieder einmal nicht die Tat•
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Frau Geigergefolgt. Ganz im Gegenteil: Die Mittel wurden rigoros gekürzt.Wir haben vorgeschlagen, die Modellversuche zugunsten des Studentenwohnraumbaus zu streichen. Wir stehen weiter dazu. Denn, Herr Minister Engholm, Modellversuche sind zwar sicher manchmal recht informativ und in einzelnen Fällen vielleicht sogar nützlich; aber daß Studenten ein Dach über dem Kopf haben, ist lebensnotwendig und muß Vorrang haben.
Wenn man sich alle diese wenig erfreulichen Fakten in der derzeitigen Hochschulpolitik vor Augen führt und gleichzeitig bedenkt, in welcher Geschwindigkeit die Zahl der Studierenden in den nächsten Jahren noch anwachsen wird, kann man nur bedrückt an die Zukunft einer ganzen Studentengeneration denken. Von diesem Fiasko kann auch die klassenkämpferisch geprägte Öffentlichkeitsarbeit des Bildungsministers nicht länger ablenken.
Herr Minister, Sie sollten sich nicht damit brüsten, Sie müßten die bildungspolitischen Errungenschaften gegen den reaktionären Zugriff der Unionsparteien verteidigen.
— Das war ein Zitat.Sie sind in der Bildungspolitik in einer Sackgasse angelangt. Und auch hier ist die Wende notwendig, eine Wende im Interesse der studierenden jungen Menschen, denen rasch und unbürokratisch geholfen werden muß. Unsere Vorschläge liegen vor. Wir sind zur Mitarbeit bereit. — Danke.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wallow.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man meiner Vorrednerin folgen wollte, dann wäre das, was Frau von Braun-Stützer vorhin vorgeschlagen hat, mehr Kompetenzen für den Bund zu schaffen, bereits Wirklichkeit geworden, dann besäße der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft bereits die Kulturhoheit, die jetzt in der Mehrheit bei den CDU-regierten Ländern liegt; drei Viertel dessen, was Sie hier vorgetragen haben, fällt in deren Kompetenzbereich.Meine Damen und Herren, Ihre Große Anfrage trägt unter anderem den anspruchsvollen Titel „soziale Lage der Studenten". Sie haben ganze zwei Fragen von 36 Fragen dem BAföG gewidmet.
Und wenn ich Ihre Vorschläge zum BAföG höre, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Sie die heutige Studentengeneration für die Studentengeneration von 1968 bestrafen wollen, die mit ihrem Aufbegehren für die Vorbereitung der sozialliberalen Koalition mit beigetragen hat.
— Herr Turner ist ein kluger Mann.
Meine Damen und Herren, angesichts der Situation an den Hochschulen jetzt und in den nächsten Jahren sollten wir, glaube ich, das parlamentarische Rollenspiel von gegenseitiger Schuldzuweisung nicht weitertreiben, sondern vielmehr darüber nachdenken: Wo können wir Ideen entwickeln, wo können wir Gemeinsamkeiten finden, um die in den Mittelpunkt stellen zu können, um den Studenten zu helfen?
Den Hochschulen nützen keine pathetischen Fensterreden; die Hochschulen brauchen jetzt umsetzbare Hilfen.
Bevor ich zum Kernthema Hochschulbau komme, eine Vorbemerkung: Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat schon darauf hingewiesen: Wir haben in den letzten zehn Jahren 250 000 Studienplätze geschaffen. Das hat den Steuerzahler von Bund und Ländern 30 Milliarden DM gekostet. Wir haben insgesamt 25 Hochschulen durchschnittlicher Größe neu eingerichtet. Lassen wir uns durch die Tagesturbulenzen nicht dazu hinreißen, diese großartige Gemeinschaftsleistung zu zerreden.
Es gibt viel zuwenig entwickeltes Bewußtsein dafür, daß Millionen von Menschen diese Leistung erarbeiten mußten. Der Bau der Hochschulen in den letzten Jahren ist ein Jahrhundertwerk. Lassen Sie es uns auch vor der Öffentlichkeit gemeinsam als ein Jahrhundertwerk vertreten!
Die mit der Großen Anfrage angesprochenen Probleme sind etwas differenzierter, vor allen Dingen was den Baubereich oder die Kapazitäten anbetrifft, als es hier streckenweise von Ihnen dargestellt wurde. Heute studieren ca. 1 Million Studenten. Die werden von etwa 110 000 Dozenten betreut. Das Verhältnis von Dozent zu Student betrug 19801 : 30. Für 1960 nimmt man etwa ein Verhältnis von 1 : 53 an. Das Verhältnis hat sich also erheblich verbessert.Man kann davon ausgehen, wenn man die schlechteste Situation annimmt, daß die Zahl der Studenten bis 1986 auf 1,3 Millionen ansteigt, um dann zwischen 1991 und 1993 etwa auf das Niveau von 1980 wieder zurückzufallen. Wenn wir das gleiche Übergangsverhalten zugrunde legen, das jetzt festzustellen ist, dann kommen wir 1999 etwa auf die Hälfte der Studentenjahrgänge, wie wir sie heute haben. Das heißt: Da größere, heute noch nicht begonnene Investitionsvorhaben frühestens 1983 oder
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Wallow1985 begonnen werden, können die Studienplätze — darum geht es uns in der Diskussion vorrangig — heute kein bestimmendes Motiv mehr für die Investitionsentscheidungen der 90er Jahre sein.Konkret heißt das, Kapazitätsprobleme, bedingt durch die geburtenstarken Jahrgänge, werden wir, wie schon gesagt, nicht durch Beton allein lösen können. Wirklich variable Größen sind das Belegsystem, die innere Organisation und natürlich auch das Personal.Problem Nr. 1 ist dabei die unterschiedliche Belastung der Hochschulen in der gesamten Bundesrepublik. Es sind insbesondere die Neugründungen, die eine unterdurchschnittliche Flächenauslastung aufweisen, während die traditionellen Hochschulen in guter Verkehrslage, mit einem guten kulturellen Angebot und einer angenehmen Kneipenkultur aus den Nähten platzen. Wir brauchen deshalb eine ausgewogene regionale Be- und Entlastung, beispielsweise durch Werbung, wie Frau Braun-Stützer es vorhin ausgeführt hat. Das verhindert Fehlinvestitionen und schafft neue Studienplätze, und zwar kurzfristig.Aufschluß darüber, ob die örtlichen Kapazitäten nun wirklich ausgelastet sind, gibt beispielsweise eine Kapazitätsanalyse des Landes Niedersachsen. Zwei wichtige Beispiele als Ergebnis: hohe Überschüsse bei den Hörsaalflächen und hohe Flächenüberschüsse bei den Büroarbeitsplätzen des Personals.Dramatisch wird es aber erst, wenn wir uns vergegenwärtigen, daß wir im Jahre 1981 nur 131 Vorlesungstage hatten. Das bedeutet, daß eine Universität, die nur zu 60 % ausgelastet ist, betriebswirtschaftlich gesehen in einem Jahr zu weniger als einem Drittel genutzt wird. Kein Industriestaat der Welt leistet sich den Luxus einer fünfmonatigen vorlesungsfreien Zeit.
Der Hinweis darauf, daß die Laborplätze in dieser Zeit besetzt sind, befreit uns nicht davon, darüber nachzudenken, wie wir für das Gesamtproblem eine Lösung finden können.Es erscheint mir deshalb im Interesse der geburtenstarken Jahrgänge notwendig, darüber nachzudenken, wie wir zu einer besseren Raumausnutzung, zu besserer Nutzung der vorhandenen Kapazitäten kommen. Man schafft kurzfristig und billig, d. h. preiswert Studienplätze, wenn man z. B. ein Lehrangebot von 8 Uhr morgens bis 22 Uhr abends durchführt.Ich frage mich auch, ob wir nicht von der mittelalterlichen Einteilung in Semester Abschied nehmen müssen. Ich halte den Vorschlag, das Jahr in drei Studienabschnitte von je 14 Wochen aufzuteilen, für pädagogisch und ökonomisch sinnvoller. Ein derartiger Vorschlag ist 1968 von mehreren Seiten, auch von Ihrer Seite meine Damen und Herren von der CDU/CSU gemacht worden. Die „Zeit" schrieb damals, 1968, dazu; ich zitiere:Die Mehrkosten durch zusätzliches Personalwären aber auch durch die hohen Einsparungenim Bereich der Bauinvestitionen mehr als gerechtfertigt.Das war damals richtig und ist heute noch richtig,
denn eine breitere Nutzung schafft mehr Studienplätze, und die brauchen wir.
— Man kann doch nicht ständig nur über Massen lamentieren und sich den Blick davor verschließen, wie die Probleme im Sinne der Studenten und der Universitäten gelöst werden.Die Frage, ob die Studentengeneration der geburtenstarken Jahrgänge eine solide Ausbildung erhält, hängt nicht allein von den Räumen, sondern auch vom Personal ab. Dabei weist der Weg, den Nordrhein-Westfalen aufzeigt — Konzentration —, in die richtige Richtung.
Herr Abgeordneter Wallow, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich habe nur 15 Minuten. — Das nächste Mal.
Meine Damen und Herren, ist es wirklich notwendig, daß man in der Bundesrepublik beispielsweise an 16 Universitäten Indologie studieren kann? Ist es wirklich notwendig, daß man an 13 Universitäten Ägyptologie studieren kann? Mehr Konzentration zugunsten der Massenfächer, mehr Konzentration zugunsten der geburtenstarken Jahrgänge, das schafft auch mehr Studienplätze.
— Sie wissen gar nicht, was das ist.Bei einem stärkeren Wissentransfer von Gastdozenten aus Wirtschaft, Verwaltung und Kultur und auch Politik fallen weniger Kosten für Forschung an, die Studenten lernen in einem stärkeren Praxisbezug, und umgekehrt: die Praktiker müssen viel mehr die Theorie reflektieren.Was ich hier sage, ist beileibe nichts Neues; denn in der Medizinerausbildung wird das j a täglich praktiziert, und ein Blick in die USA zeigt uns auch, daß dort die wenigsten Hochschullehrer über einen beamtenähnlichen Status verfügen; trotzdem oder vielleicht gerade deshalb liegen diese Universitäten in der Weltspitze der Forschung. Wissenstransfer aus der Praxis ist billiger, praxisnäher und schafft auch mehr Studienplätze.Was wir brauchen, sind keine neuen Gesetze; die gibt es nämlich schon dafür.
Wir brauchen mehr Handlungsphantasie der Bildungsbürokratie und brauchen mehr Handlungsfreiheit der Universitäten.
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Wallow
Denn die Klagen über eine Formalisierung, Bürokratisierung und Verrechtlichung sind unüberhörbar.Nun kann man sich die Antwort natürlich so leicht machen, wie Sie das tun, und kann sagen, das liegt alles an der Existenz der sogenannten Massenuniversitäten. Sie sollten mal über unsere Grenzen hinausschauen. Alle Universitäten von Weltruf — beispielsweise hat die Sorbonne 71 510 Studenten, die Universität von Tokio rund 20 000 Studenten; oder nehmen Sie Berkeley oder Harvard —, alle diese Hochschulen sind gut geführte Großbetriebe. Herr Daweke weiß das; er hat dort studiert.Das Problem bei uns ist ein Mangel an Professionalität einer lautlosen Betriebssteuerung innerhalb der Universitäten. Dazu schreibt unter der Überschrift „Sand im Getriebe" in der „Deutschen Universitätszeitung" ein Insider unter Pseudonym — ich zitiere —:Das teilweise fehlerhafte Betriebssystem der Universität erdrückt sehr viel Genialität und Kreativität ... Mangelhafte Betriebssysteme sind eben nicht nur eine Folge schlechter Finanzausstattung, sondern eine Folge dessen, was mit dem Geld gemacht wird, das die Gesellschaft der Universität zur Verfügung stellt. Daß der Großbetrieb Universität heute ohne einen betriebstechnischen Direktor auskommt, ist wirklich erstaunlich.
Ich sage hier, die Effizienz der Lehre und Forschung ist beeinträchtigt, wenn der Lehrkörper, der dafür nicht ausgebildet ist, in der Verwaltung dilettieren muß. Entbürokratisierung, ein besseres Management schaffen bessere Raumausnutzung und vor allem mehr Zeit für die Studenten und damit natürlich auch mehr Studienplätze.Aber die Qualität des Studiums hängt heute eben nicht allein von den materiellen und organisatorischen Voraussetzungen ab. Routinierte unverbindliche Faktenvermittlung führt zu Entfremdung zwischen Lehrenden und Lernenden und damit zum Verlust der Arbeitsfreude auf beiden Seiten. Obwohl sich das Verhältnis von Dozenten zu Studenten, wie ich vorhin schon sagte, erheblich verbessert hat, klagt nach einer Umfrage der Studienstiftung des Deutschen Volkes heute die Mehrheit der Studenten über den desinteressierten, fast unpersönlichen Umgang vieler Professoren mit den Studenten. Symptome dafür sind der Spagat-Professor, der nicht an seiner Hochschule wohnt und zwischen zwei oder drei Hochschulen hin- und herpendelt, oder der „Dimido" ein Spitzname für einen Professor, der sich nur in der Mitte der Woche an der Hochschule sehen läßt. Eine Studentin schrieb mir dazu:Immer häufiger ist an der Hochschule der Typdes Dozenten zu finden, der seinen Arbeitsschwerpunkt in den Forschungsprojektenaußerhalb der Hochschule sieht oder als Diplomingenieur von einer Baustelle zu anderen hetzt, um sich zwischendurch einer lästigen, niveaulosen Lehrverpflichtung an der Universität zu entledigen. Man merkt doch, daß wir für sie nur Nebensache sind.
Ich meine nicht, daß das repräsentativ ist. Aber trotzdem bin ich der Meinung, daß wir gesetzliche Regelungen über die Nebentätigkeit von Professoren brauchen
und daß die Residenzpflicht von Professoren vorgesehen werden sollte. Das schafft nämlich auch mehr Studienplätze und Zeit für die Lehre.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
1. eine bessere Raumausnutzung am Tage, in der Woche und im Jahr, 2. zusätzliche Ausbildungskapazitäten und Sachmittel auf begrenzte Zeit und kein Abbau des Hilfspersonals, 3. stärkere Nutzung des Wissenspotentials aus der Arbeitswelt, Ausbau des Tutorensystems, um die persönliche Verbindung zu halten, 4. Maßnahmen zum regionalen Ausgleich zwischen überbelasteten und unterbelasteten Universtitäten, 5. Bildung von fachlichen Schwerpunkten, 6. Abbau von Bürokratie, mehr Handlungsfreiheit für Universitäten, 7. gesetzliche Regelung der Nebeneinkünfte der Professoren und Einhaltung ihrer Residenzpflicht, 8. Maßnahmen zur besseren Betriebssteuerung der Hochschulen, 9. Ausbau des erfolgreichen Fernuniversitätssystems.
Eine solche Gemeinschaftsinitiative kann natürlich nicht durch Erlaß erzwungen werden. Es bedarf des Sinneswandels aller Beteiligten, auch der Opposition im Deutschen Bundestag. Sie sollten nicht nur immer vom Bund fordern, sondern sie sollten auch auf die Länder einwirken, um notwendige Maßnahmen im Interesse der Hochschulen zu treffen. Auch das schafft Studienplätze und entlastet die geburtenstarken Jahrgänge. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Engel.
Herr Präsident! Meine Herren, meine Damen! Aus dem bisherigen Verlauf der Debatte ist zweierlei deutlich geworden. Erstens: Es herrscht bei den Bildungspolitikern Einigkeit darüber, daß eine grundsätzliche Befassung mit Hochschulproblemen im Deutschen Bundestag, wie sie durch die Große Anfrage der Opposition ausgelöst
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Frau Dr. Engelworden ist, gerade zu diesem Zeitpunkt wichtig und notwendig ist.
Zweitens: Keine Einigkeit hingegen herrscht über die Zielrichtung, auf die hin die Probleme angegangen werden.Wie schon aus der Begründung der Großen Anfrage und der Stoßrichtung der 36 Einzelfragen deutlich und durch die Debattenredner noch unterstrichen wird, versucht die Opposition, die volle Verantwortung für die bestehend en Probleme der Bundesregierung zuzuschieben.
Demgegenüber hat meine Kollegin Frau von Braun-Stützer zu Recht darauf hingewiesen, daß den Einflußmöglichkeiten des Bundes verfassungsmäßig sehr enge Grenzen gesetzt sind und daß gerade die von der Opposition geführten Bundesländer alles daran setzen, diese Grenzen in der Praxis noch enger zu ziehen.Das Scheitern der Fortschreibung des Bildungsgesamtplans muß als ein unübersehbares Signal für eine Krise des Bildungsföderalismus gedeutet werden.
Das Verhältnis Bund/Länder sollte in diesem Zusammenhang neu durchdacht und definiert werden.Zu Recht weist ein renommierter Bildungsjournalist darauf hin, daß es nicht angehe, daß „Fragen von nationalem Rang" aus der Perspektive eines „Provinzialismus der Länder" in Angriff genommen werden.
Die Forderung meiner Partei, daß gewisse Rahmenbedingungen im Bildungswesen durch den Bund gesetzt werden sollten, erweist ihre Stichhaltigkeit gerade an dieser Situation, auch wenn Sie sich darüber aufregen, meine Herren und Damen.
Dabei geht es nicht um Zentralisierung der Bildungspolitik,
sondern darum, ein Mindestmaß an Einheitlichkeit im Bildungssystem zu erreichen. Die Kultusministerkonferenz hat, weil sie auf Einstimmigkeit angewiesen ist, für die Chancengleichheit im Bildungswesen so wichtige Fragen wie z. B. die Anerkennung von Abschlüssen und Übergängen bisher nicht lösen können.
— Oh ja!
Zwar nicht so, wie Sie sie verstehen, aber wie wir sie verstehen. —
Die Bürger in der Bundesrepublik haben aber einen Anspruch darauf, daß ein Ortswechsel für sie bzw. ihre Kinder nicht zu einem schulischen Abenteuer wird.
Selbst für Abiturienten, für die es doch eine Vereinbarung über die Oberstufe an Gymnasien gibt, gilt das. Dieses Abenteuer ließe sich aber nur durch eine bundeseinheitliche Regelung verhindern.
Um ein notwendiges Minimum an Einheitlichkeit in wichtigen Fragen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik zu sichern, brauchen wir nicht nur mehr Kooperationsbereitschaft zwischen allen Beteiligten, obgleich auch das schon schön wäre, sondern auch verbesserte Instrumente. Innerhalb eines solchen vorgegebenen Rahmens blieben den Ländern ausreichend Gestaltungsmöglichkeiten für ihre Vorstellungen. Die Ausuferung des Föderalismus, wie wir sie heute zuweilen antreffen können, geht eindeutig zu Lasten der jungen Generation.Ich bin mir durchaus dessen bewußt, daß man angesichts der Forderung, dem Bund in diesem Augenblick mehr Kompetenzen zuzuweisen, diesen Ball sehr leicht zurückspielen kann mit dem Hinweis, ob denn der Bund die ihm jetzt übertragenen Aufgaben zur Zufriedenheit wahrgenommen habe; darüber konnten wir j a heute morgen schon einiges hören. Es trifft zu, daß der Einbruch bei der Rahmenplanung — so muß man das Geschehen der letzten beiden Jahre auf Grund der Haushaltslage redlicherweise wohl nennen — die Hochschulen und die Länder in Schwierigkeiten gebracht hat. Ein weiteres Beispiel, das Sie bereits moniert haben: Mit der Verabschiedung des Haushalts 1981 hat sich der Bund aus der Mitfinanzierung des Wohnbaus für Studenten zurückgezogen.
Schließlich monieren Sie in Ihrer Großen Anfrage — nach unserer Auffassung zu Recht —, daß die seit 1979 vom Wissenschaftsministerium vorgelegten Leitlinien für die künftige Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses noch nicht in eine Anschlußregelung an das Ende 1981 ausgelaufene Gradurderungsgeseiertenfötz umgesetzt worden sind.
Meine Herren und Damen, ist der in diesen wenigen Punkten angesprochene, in der Tat unbefriedigende Zustand nicht auch ein Ausdruck dafür, daß der Bund zu geringe Kompetenzen hat? Auf Grund der Schmalbrüstigkeit seiner Einflußmöglichkeiten wird der Bildungspolitik auf dieser Ebene nicht der Stellenwert eingeräumt, der ihr auf Grund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zukommt.
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Frau Dr. EngelMeine Fraktion hält das Schwarze-Peter-Spiel in der durch überzogene Kontroversen und mangelnde Kooperationsfähigkeit belasteten Bildungspolitik für schädlich und wenig hilfreich für die Lösung der Probleme. Wir sind dankbar, daß die Bundesregierung die Fragen offen beantwortet hat und Schwierigkeiten nicht beschönigt. Nur eine ehrliche Analyse kann zu einer gezielten Therapie führen. Das ist allerdings nicht gleichbedeutend mit der von der Opposition geradezu mit Wollust geübten Praxis, ein trübes Bild von der Zukunft zu entwerfen. Wir halten gar nichts davon, die Zukunftsaussichten der Jugend in den düstersten Farben auszumalen, um dann zu beklagen, daß diese Jugend deprimiert und resigniert ist.
Das Fabrizieren von Lebensangst ist zynisch; denn nichts ist lähmender als Selbstmitleid.
Es erzeugt ein übertriebenes Sicherheitsdenken, das alle Phantasie beim Studium auf A 13 kanalisiert. Dabei sind gerade in schwierigen Zeiten Selbstvertrauen und Risikobereitschaft die besten Ratgeber. Es ist unredlich, von Leistungsbereitschaft zu reden und im gleichen Augenblick die Zukunft mit Pessimismus zuzumauern.
Zwar kann niemand bestreiten, daß sich die Rahmenbedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs deutlich verschlechtert haben. Die Bildungsexplosion der 70er Jahre hat eine für den Nachwuchs sehr ungünstige Altersstruktur an den Hochschulen zur Folge. Der Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge in das Bildungs- und Ausbildungswesen fällt ausgerechnet mit einer Verknappung des Geldes bei allen öffentlichen Händen zusammen, was wiederum zu einer Stagnation oder sogar zu einem Rückgang an Stellen führt.Ein akademisches Studium ist heute nicht mehr die Garantie für einen qualifizierten, gesicherten Arbeitsplatz. Der Engpaß im Beschäftigungssystem gilt aber nicht nur für die Hochschulabsolventen, sondern für alle Jugendlichen, die jetzt in den Produktionsprozeß eintreten wollen. Daß eine qualifizierte Ausbildung bessere Berufschancen bietet und auch bessere Möglichkeiten, eine Arbeitslosigkeit durchzustehen, läßt sich an den Arbeitslosenzahlen ablesen. Deshalb muß auch in den 80er Jahren die erreichte Öffnung der Hochschulen beibehalten werden.
Ein Rückfall in eine zunehmende Studienplatzbewirtschaftung würde nicht nur die Studienplatzbewerber, sondern mittelbar auch die Chancen derjenigen treffen, die einen betrieblichen Ausbildungs- und Arbeitsplatz suchen.Die Bundesregierung bestätigt in der Großen Anfrage den Zusammenhang zwischen der Förderung des begabten wissenschaftlichen Nachwuchses und der Weiterentwicklung von Wissenschaft und Forschung in unserem Lande. Es trifft zu, daß sich die Bundesrepublik mit den vielfältigen Förderungsmöglichkeiten für angehende oder bereits erprobte junge Wissenschaftler im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen kann. Das wird auch im Ausland so gesehen und anerkannt, vielleicht mehr als bei uns selbst.Die pluralistische Struktur der Begabtenförderung erweist sich als ein System von hoher Effizienz, aber die Notwendigkeit des Sparens kann hier zu empfindlichen Verschlechterungen führen, weil die Zahl der potentiell zu Fördernden weiterhin beträchtlich steigen wird und selbst ein Beibehalten der jetzigen Ausgaben ein Minus bedeuten würde. Die vom Bildungsminister entwickelten ,,Leitvorstellungen für die künftige Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses" enthalten eine Fülle von flexiblen und konstruktiven Möglichkeiten für eine Nutzung innerhalb eines vorgegebenen Rahmens. Wir werden daher den Bundesminister für Bildung und Wissenschaft in seinem Bestreben unterstützen, im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen 1983 eine positive Entscheidung für sein Förderungsprogramm durchzusetzen und auch die entsprechenden Mittel dafür zu erhalten.
Denn wir sind der festen Überzeugung, daß die Forschung auch im nächsten Jahrzehnt Nachwuchskräfte benötigt, daß wir den jungen Menschen auch in der Forschung — als einem bedeutenden Teil des Arbeitsmarktes — Perspektiven bewahren müssen.Noch ein Wort zum Kapitel Modellversuche. Mit Verwunderung habe ich Ihrer Frage 12 entnommen, daß die Opposition hier offensichtlich einen Dekkungsvorschlag für den Studentenwohnraumbau gefunden hat. Die Modellversuchspolitik von Bund und Ländern soll offensichtlich als Experimentiererei abqualifiziert werden. Dabei gibt es kein anderes Mittel, um pragmatische Reformen und Verbesserungen im Bildungswesen vor ihrer Umsetzung in der Praxis zu erproben, als eben Modellversuche. Nur sie können dazu beitragen, daß nicht vom grünen Tisch, praxisfern, geplant wird.
Die Länder sehen das auch so. Es hat nichts mit Ideologie, aber viel mit Schulpraxis zu tun, wenn Regelungen der Zusammenarbeit von Kindergärten und Grundschulen in Bayern und Baden-Württemberg erprobt werden, wenn Orientierungsstufen in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen erprobt werden, wenn der Einführung eines 10. Schuljahres eine Erprobung wie etwa in Berlin und Bremen vorausgeht. Ebenso wichtig ist die Erprobung neuer Formen der Studienberatung, von deren Wichtigkeit j a schon gesprochen worden ist. Für den großen Komplex der Eingliederung der Ausländerkinder in unser Bildungssystem und in unsere Gesellschaft übertragbare Modelle zu entwickeln, kann wohl von niemandem als überflüssig angesehen werden.
Wie nötig die Versachlichung unserer bildungspolitischen Diskussion ist, hat sich heute wieder einmal bestätigt. Wir sollten hier wirklich mit gutem
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Frau Dr. EngelBeispiel vorangehen. Die Probleme, die zur Lösung anstehen, fordern unser aller gemeinsame Anstrengung. — Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen, Herr Bundesminister Engholm, die Sie heute morgen in dieser Debatte gemacht haben, können, auch wenn ich Ihnen in vielem zustimmen kann, nicht darüber hinwegtäuschen, daß Ihre Hochschulpolitik in den zurückliegenden Monaten, gemessen an den Zielen, die Sie im Jahre 1980 selbst verkündet haben, von einigen deutlichen Mißerfolgen gekennzeichnet gewesen ist, von Mißerfolgen, die in Hochschulen deprimierend gewirkt haben.
Das ist in meinen Augen überhaupt das Problem, mit dem Sie es zu tun haben: Sie formulieren Ziele, aber Ihre Politik ist nicht geeignet, diese Ziele zu verwirklichen.
Es ist ja bezeichnend, daß Sie, nachdem die Verabschiedung des Bildungsgesamtplanes nicht zustande gekommen ist, vorgeschlagen haben, man sollte doch die Ziele des Bildungsgesamtplanes veröffentlichen, obwohl Ihnen Ihr eigener Finanzminister immer wieder sagt, daß diese Ziele in den nächsten Jahren realistisch nicht zu finanzieren sind. In meinen Augen ist es notwendig, daß wir die Bildungspolitik und auch ihre Ziele so formulieren, daß sie auf der einen Seite den dringenden Bedürfnissen entsprechen, aber auf der anderen Seite natürlich auch eine Chance besteht, das, was wir formulieren, zu finanzieren. Sonst ist das gegenüber der jungen Generation doch nicht glaubwürdig.
So war es z. B. beim Studentenwohnraumbau. Im Jahre 1980 haben Sie gesagt, 15 % der Studenten sollten in Studentenwohnheimen untergebracht werden. Dann haben Sie die Länder aufgefordert, Anträge für den Studentenwohnraumbau zu stellen. Anschließend haben Sie sich stillschweigend, ohne mit jemandem von den Ländern darüber zu reden, aus dem Studentenwohnraumbau zurückgezogen. Das ist gegenüber der jungen Generation und gegenüber Studenten an unseren Hochschulen doch nicht glaubwürdig.
Völlig ähnlich bei dem Hochschulbau: Ihre Politik formuliert, daß wir damit rechnen müßten, bis Mitte der 80er Jahre an den Hochschulen 1,3 Millionen Studenten zu haben. Tatsächlich haben wir im Augenblick in der Bundesrepublik rund 750 000 Studienplätze. 750 000 Studienplätze für 1,3 Millionen Studenten, das kann doch nur zu einer massiven Verschlechterung der Studienbedingungen oder zu einer Zunahme des Numerus clausus führen. Infolgedessen muß man doch von der Bundesregierungerwarten, daß sie zu diesem Problem etwas Konkretes sagt. Was sagt der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft? Ich habe — sagt er — in den nächsten drei Jahren keine einzige Mark, um mit der Finanzierung eines neuen Hochschulbauvorhabens beginnen zu können. Ja, das wissen doch die Studenten draußen! Das Ergebnis sind eben Resignation und Depression, weil eine solche Politik nicht glaubwürdig ist.
Meine Damen und Herren, man könnte mit einer Fülle solcher Beispiele fortfahren. Ich möchte Sie deshalb dringend bitten, in der Zukunft weniger allgemeine Ziele zu formulieren, sondern auch einmal hier im Parlament zu sagen, was eigentlich von Ihrer Regierung in den nächsten Jahren konkret noch zu erwarten ist, was die junge Generation, was die Wissenschaftler an den Hochschulen konkret noch erwarten können. Ich bin der Meinung, daß Sie dabei manches auch noch einmal überdenken müssen. Ich bin nicht der Meinung, daß man das Ziel 1,3 Millionen Studenten einfach übernehmen sollte. Man könnte sich auch einmal überlegen, ob es nicht sehr viel mehr im Interesse der jungen Menschen wäre, attraktive Alternativen zum Hochschulstudium, vor allem im Bereich der beruflichen Bildung, zu schaffen, um auf diese Art und Weise auch etwas zur Entlastung der Hochschulen beizutragen.
Meine Damen und Herren, ich wollte mich noch zwei anderen Problemen zuwenden. Ein Problem ist in meinen Augen zu Recht von mehreren Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen angeschnitten worden. Ich bin der Meinung, daß viele junge Menschen in den Hochschulen heute am meisten dadurch bedrückt werden, daß sie nicht wissen, wie es bei ihnen persönlich nach dem Studium weitergehen soll. Die doch deutliche Verschlechterung der Berufschancen auch für junge Akademiker hat in nicht wenigen Studienbereichen wesentlich zur Unruhe auch unter der studentischen Generation beigetragen. Das ist deswegen auch eine Ursache für um sich greifende Zukunftsangst, für Pessimismus und zum Teil auch für Resignation.Wenn wir ehrlich sind — ich habe in diesem Punkt heute morgen die Debatte genau verfolgt —, müssen wir am Ende dieser Debatte eingestehen, daß eigentlich von keiner Seite aus eine überzeugende Aussage gekommen ist — sie ist auch schwierig —, die bei den Studenten wieder mehr Optimismus auslösen könnte. Ich stimme Ihnen, Frau von Braun-Stützer und auch Herrn Osswald zu, daß es völlig falsch wäre, die Berufschancen der Akademiker in der Zukunft gänzlich schwarz in schwarz zu malen. Sie haben völlig recht mit Ihrer Aussage: Je besser jemand qualifiziert ist, um so mehr hat er eine Chance, der Arbeitslosigkeit zu entgehen.Nur, einen Gedanken bitte ich doch auch nachzuvollziehen: Hohe Qualifikation ist doch nicht immer mit Hochschulausbildung identisch. Es gibt doch auch in beträchtlichem Maße hohe Qualifikation beispielsweise im beruflichen Bildungswesen.
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PfeiferDas Problem für die jungen Akademiker grenzt sich im Grunde genommen auf folgendes ein: In den 90er Jahren brauchen wir infolge der demographischen Entwicklung eine zunehmende Zahl von hochqualifiziert und qualifiziert ausgebildeten Menschen. Die Probleme, die für junge Akademiker aus der demographischen Entwicklung entstanden sind, sind letztlich Probleme der nächsten zehn Jahre, nämlich wie wir sicherstellen können, daß die jungen Menschen, die wir in den 90er Jahren wieder brauchen, in den 80er Jahren nicht beschäftigungslos werden und in der Beschäftigungslosigkeit versauern.Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß dieses Problem politisch zu bewältigen ist, allerdings nicht mit allgemeinen Grundsätzen, wie sie heute morgen auch von Ihnen, Herr Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, wieder forumuliert worden sind, sondern mit ganz konkreten politischen Handlungskonzepten.
Ich möchte aus meiner Sicht zu dem, was der Kollege Daweke und andere gesagt haben, Sie noch auf zwei Dinge besonders aufmerksam machen.Erstens. Natürlich werden wir dieses Problem nur lösen können, wenn aus der allgemeinen Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik wieder optimistischere Perspektiven für die junge Generation erwachsen. In meinen Augen ist aber vor allem der entscheidende Punkt, wir werden der jungen Generation dieses Landes in der Zukunft nur dann ausreichende Beschäftigungsmöglichkeiten sichern können, wenn Forschung und Innovation in der Bundesrepublik wieder einen wesentlich höheren Stellenwert bekommen, als das derzeit der Fall ist.
Am meisten bedauere ich, daß die Forschung in der Hochschulpolitik des Bundes vernachlässigt wird. Da sind in meinen Augen die gravierendsten Versäumnisse der letzten Jahre. Ich finde, am augenscheinlichsten wird das in der systematischen Vernachlässigung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch die Bundesregierung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die vorhandene Förderung nach dem Graduiertenförderungsgesetz wird auf Null gedreht. Meine Damen und Herren, so kann man in der Bundesrepublik mit jungen qualifizierten Wissenschaftlern in der Zukunft nicht weiter umgehen.
Sage bitte keiner, dies sei in erster Linie ein Problem der Finanzen! In meinen Augen ist das in erster Linie das Problem, ob man richtige Prioritäten setzt oder nicht.
In diesem Zusammenhang muß ich nochmals aufgreifen, was der Kollege Daweke heute morgen gesagt hat. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft zieht um das Bundesausbildungsförderungsgesetz eine absolute Tabuzone. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft verteidigt eisern, daß auch etwa 50Millionen DM im Jahr ausgegeben werden für Schüler, die nicht einmal ihr Klassenziel erreichen. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft verteidigt jetzt auch offiziell, daß Strafgefangene BAföG empfangen können, und gleichzeitig dreht er die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses auf Null. Das sind doch falsche Prioritäten
in einem Land, das wie kein anderes als rohstoffarmes und hochindustrialisiertes Land auf Forschung und Technologie und auf qualifizierte junge Wissenschaftler für die Zukunft angewiesen ist. Ich meine, daß in der Vernachlässigung der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Bundesrepublik eine der Hauptursachen dafür liegt, daß heute von vielen über ein ungutes Forschungsklima in den Hochschulen geklagt wird. Ich bin deswegen der Meinung, daß wir unter allen Umständen dafür sorgen müssen, daß die Forschungspolitik auch in den Hochschulen neue Impulse bekommt: denn wir können es uns auf Dauer nicht leisten, daß — gemessen im internationalen Vergleich — in der Bundesrepublik Spitzenleistungen in der Forschung selten werden, wobei hervorragende Ausnahmen eher die Regel bestätigen.Vor allem, meine Damen und Herren, muß in diesem Zusammenhang eine Rückbesinnung auf das personale Element in der Forschung erfolgen; denn Spitzenforschung gibt es nur, wo hochqualifizierte Wissenschaftler ihre Forschung frei und mit dem notwendigen Gestaltungsspielraum entfalten können. Mich bewegt in diesem Zusammenhang schon die Frage, ob die Entwicklung der Hochschulstruktur in den letzten Jahren nicht auch dazu beigetragen hat, daß mancherorts die Verschwörung des Mittelmaßes gegen die Hochqualifizierten Erfolg gehabt hat. Wenn das der Fall ist, dann muß das umgedreht werden.
Vor allem aber müssen wir wieder erkennen: Qualifizierte, durch Qualifikation ausgewiesene Hochschullehrer ziehen wieder gute Hochschullehrer an. Deswegen müssen wir Abschied nehmen von der Maxime, als ginge es darum, alle Hochschulen in der Bundesrepublik insgesamt gleich zu entwickeln. So problematisch in vielem der Gedanke der Eliteuniversität ist, so richtig ist in meinen Augen, daß wir einzelne Fachbereiche in den Hochschulen unterschiedlich ausbauen müssen und daß wir auch wieder einige hochqualifizierte Fachbereiche in der Hochschullandschaft — vor allem in den naturwissenschaftlichen Fächern, aber auch in den geisteswissenschaftlichen Fächern — für die Zukunft brau-
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5828 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Pfeiferchen, wenn wir mit internationalen Maßstäben Schritt halten wollen.
Schließlich — das halte ich für eine ganz entscheidende Frage —: Wir müssen die Immobilität, die heute in viele Forschungsinstitute Eingang gefunden hat — durch das Dienstrecht, durch das Arbeitsrecht, durch überzogene Reglementierungen auch im Haushaltsrecht und zum Teil auch durch die Rechnungshöfe —, abbauen; denn wenn es in der Zukunft weniger Geld für die Forschung gibt, muß es wenigstens mehr Flexibilität und wenigstens mehr Gestaltungsraum im Umgang mit dem vorhandenen Geld geben.Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt, daß in der Bundesrepublik eine Hochschulpolitik, auch eine Forschungspolitik möglich ist, die der jungen Generation und den Hochschulen wieder mehr Anlaß zu Optimismus gibt, als sie im Augenblick haben. Aber dann muß eben die Politik wieder realistischer werden; vor allem müssen dann wieder die richtigen Prioritäten gesetzt werden. Daran fehlt es im Augenblick.„Mut zur Zukunft" hat es geheißen. Herr Engholm, wenn Sie Ihre Politik fortsetzen, hat die junge Generation in den Hochschulen kaum Grund, Mut zur Zukunft zu haben. Ich möchte deswegen dafür plädieren, daß eine grundlegende Kurskorrektur auch in der Hochschulpolitik des Bundes eintritt.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Bildung und Wissenschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Debatte inhaltlich nicht neu eröffnen, weil wir einen anderen, ganz wichtigen Akt heute vor uns haben. Es wäre besser gewesen, eine Rede dieser Machart heute morgen zu halten, um die Möglichkeit zu eröffnen, darauf zu replizieren.
Die letzten zehn Minuten zu benutzen ist vielleicht nicht der richtige Weg.
Ich will keine inhaltliche Debatte eröffnen, sondern nur sagen: Hier ist einer als Ankläger aufgetreten, der verschwiegen hat, daß er der Wortführer einer großen Garde ist, die die Ausbildungsförderung für Schüler total abschaffen will.
Hier ist einer aufgetreten, der den Bund anklagt, nicht genug Finanzmittel für den kapazitativen Ausbau der Universitäten zur Verfügung zu stellen, der aber auf der anderen Seite durch die Abschaffung
der Schülerförderung dafür sorgt, daß diese Kapazitäten nie mehr genutzt werden können.
Herr Kollege, einer, der in den letzten Monaten in so starkem und zunehmendem Maße verbittert und verbiestert in der Bildungspolitik Ratschläge erteilt, der muß sich, bitte, von mir sagen lassen, daß jemand, der verbiestert ist, die Relation aus dem Auge verliert.
Für den, der die Relation aus dem Auge, aus dem Blick verliert, gibt es ein altes albanisches Sprichwort; das heißt: „Für die Maus ist die Katze ein Löwe." Denken Sie einmal darüber nach.
Herr Bundesminister Engholm, der bisherige Ablauf der Aussprache über die Große Anfrage entsprach einer interfraktionellen Vereinbarung. Sie haben das Wort zum zweiten Male ergriffen.
Damit kann die Aussprache fortgesetzt werden.
Das Wort hat der Abgeordnete Pfeifer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Engholm, das, was Sie im Augenblick teils an persönlichen Angriffen, teils an Angriffen, die gegen die Politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gerichtet sind, hier vorgetragen haben, kann in meinen Augen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Sie im Grunde genommen in der Hochschulpolitik mit dem Rücken an der Wand kämpfen. Denn die Grundprobleme — ich sage es noch einmal —, die junge Menschen in der Bundesrepublik zur Zeit haben, sowohl das Grundproblem „vernünftige Studienbedingungen" als auch das Grundproblem „überschaubare Beschäftigungschancen nach dem Studium", haben bei Ihnen in dieser Debatte keine Antwort erfahren.
Meine Damen und Herren! Ich finde, es ist sehr wohl die Aufgabe der Opposition, das, was draußen im Lande an den Hochschulen unzählige junge Menschen und unzählige Wissenschaftler bewegt, auch hier im Bundestag mit der gebührenden Deutlichkeit anzusprechen.
Das ist das eine, was ich sagen möchte.
Daß es heute für viele junge Menschen zum Problem geworden ist, Beschäftigung zu finden, das hängt einmal mit der gesamten Wirtschafts-, Finanz-und Arbeitsmarktpolitik dieser Bundesregierung zusammen; das hängt aber ebensosehr damit zusammen, daß Sie zehn Jahre lang das Ziel verfolgt
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5829
Pfeiferhaben, die Bildungspolitik von der Beschäftigungspolitik abzukoppeln, obwohl wir immer davor gewarnt haben, einen solchen Weg zu gehen.
Sie können doch nicht so tun, als ob die Situation, die jetzt an den Hochschulen entstanden ist, in der viele junge Menschen stehen, völlig unbeeinflußt davon gewesen ist, daß hier 13 Jahre lang eine Regierung regiert, die gegenüber der jungen Generation nichts von dem eingehalten hat, was am Beginn der Regierungszeit versprochen worden ist.
Ich will auch noch etwas zum BAföG für Schüler sagen. Ich habe zu keiner Zeit erklärt, daß man das BAföG für Schüler völlig streichen soll. Ich habe immer gesagt, daß eine vernünftige, auch im Ausmaß vernünftige Förderung für Schüler, deren Elternhäuser sonst nicht in der Lage sind, die jungen Menschen zum Abitur oder einem anderen Schulabschluß zu bringen, auch in der Zukunft notwendig ist. Aber ich plädiere dafür — in der Situation, die wir heute haben, tue ich das leidenschaftlich —, daß eine solche Förderung in Zukunft wenigstens an ein Mindestmaß von Leistung gebunden wird.
Außerdem — auch das sage ich mit allem Nachdruck — bin ich der Meinung: Wer Förderung aus öffentlichen Mitteln in Anspruch nimmt, der soll sich nicht einfach nur auf einen gesetzlichen Anspruch berufen dürfen, weil dies das Anspruchsdenken der jungen Generation fördert, sondern der muß sich eine solche Förderung auch durch entsprechende Leistungen erwerben.
Sie können in manchem Punkt den Plänen, die wir entwickelt haben, Ihren Widerspruch entgegensetzen; dann kann man darüber reden. Aber für völlig unmöglich halte ich es — das habe ich soeben schon einmal gesagt —, daß Sie einen Schutzzaun um das BAföG herum errichten und auf der anderen Seite keinerlei Initiativen entwickeln, um beispielsweise jungen Wissenschaftlern oder der Forschung in der Bundesrepublik so zu helfen, wie das in der Zukunft eigentlich notwendig wäre. Im übrigen muß in diesem Zusammenhang auch gesagt werden: Als es beim sogenannten Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz darum gegangen ist, die Mittel für die behinderten und für die benachteiligten Jugendlichen, vor allem für die Werkstätten für geistig Behinderte, deutlich zu reduzieren, da habe ich von Ihnen auch keinen Widerspruch gehört.
Deswegen ist nicht jeder, der das BAföG in Frage stellt, gewissermaßen unsozial, sondern ich finde, es ist sozial, wenn man versucht, die unterschiedlichen Aufgaben, die wir in der Bildungs- und Forschungspolitik in diesem Land haben, miteinander in einer vernünftigen Weise in Einklang zu bringen. Aber dafür fehlt im Augenblick in Ihrer Politik in vielen Bereichen auch nur der Ansatz einer Initiative und eines Anstoßes. Deswegen möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Die Situation der jungen Generation wird sich in der Bundesrepublik nicht entscheidend verbessern können, wenn sich die Politik — auch die Hochschulpolitik — der Bundesregierung nicht verändert, und dafür treten wir ein.
Das Wort hat Frau Abgeordnete von Braun-Stützer.
Herr Kollege Pfeifer, ich mache es ganz kurz. Würden Sie mit mir darin übereinstimmen, daß es gerade Ihre Partei ist, die eine sachgerechte Abstimmung aller zentralen bildungspolitischen Themen, bis in den Hochschulbau hinein, zur Zeit über die Länderebene zu verhindern versucht, und sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß wir .uns zur Zeit in der Tat in einer tiefen Krise des Bildungsföderalismus befinden?
— Ich habe gesagt: über die Länder.Sind Sie nicht mit mir der Ansicht, daß das Scheitern des Bildungsgesamtplans, daß die Auflösung des Deutschen Bildungsrates, daß das Versagen der Kultusministerkonferenz bei der endlich notwendigen Abstimmung der Anerkennung der Schulabschlüsse dafür sprechen, daß Ihnen inzwischen der gute Wille fehlt, alle diese zentralen Probleme wirklich abzustimmen?
Herr Pfeifer, damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Jeder Liberale muß von Haus aus für Dezentralisation und für Verteilung von Macht eintreten. Deshalb sind wir für die Stärkung des Föderalismus. Aber gerade das gibt uns das Recht, auf die Fehler und die Krankheiten des Föderalismus hinzuweisen,
damit sie bereinigt werden können.
Das heißt für uns ganz klar: Wir müssen endlich ganz energisch die Forderung nach Neuverteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern auf der Bildungsebene aufgreifen.
Dies ist mehr als notwendig, damit Ihre Partei endlich mit dem, wie ich finde, absolut unanständigen Spiel, einen Bildungsetat gegen den anderen auszuspielen, aufhören muß.
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5830 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weisskirchen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte das nicht verlängern, weil wir noch ganz andere, ganz wichtige Dinge hier heute miteinander erleben werden.
Ich will nur vier Bemerkungen machen.
Erstens. Herr Abgeordneter Pfeifer, die sozialdemokratische, von der Liberalen Partei mitgetragene Bildungspolitik hat — und das hat sich heute hier ganz klar erwiesen — dazu geführt, daß wir in den letzten Jahren eine phantastische Steigerung an den Hochschulen erlebt haben,
eine außergewöhnliche Leistung, die von allen deutschen Steuerzahlern aufgebracht worden ist. Und wir lassen uns das nicht durch demagogische Reden, auch nicht von Ihnen, Herr Pfeifer, kaputtmachen.
Das zweite, was man sagen muß, ist, daß Sie in allen industrialisierten Staaten lange suchen müssen, um eine Forschungspolitik und eine staatliche Leistung für die Forschung zu finden, die es in keinem anderen vergleichbaren Industriestaat gibt wie in der Bundesrepublik Deutschland.
Wir lassen uns — drittens — von niemandem hier zerreden, daß die sozialen Leistungen für die Studenten und für die Schüler in keinem anderen industrialisierten Land so hervorragend sind wie in der Bundesrepublik Deutschland,
Ich sage Ihnen viertens und zum Schluß: Wir haben einen Bildungsminister, Björn Engholm.
und wir haben andere Bildungsminister von den Sozialdemokraten seit Beginn der sozialliberalen Koalition gehabt, die phantastische Arbeit geleistet haben:
für die Schüler, für die junge Generation und für die Studenten und für die Hochschulen in diesem Land.
Und sehen Sie: Nachdem das Licht jetzt wieder an
ist, weil ich das Wort habe, glaube ich, daß wir uns
von niemandem, am wenigsten von denen, die diese
sozialen Leistungen kaputtreden wollen, daran hindern lassen dürfen, der jungen Generation klarzumachen: Diese Sozialdemokraten und die Liberalen stehen zu ihrer Aufgabe, diese Politik fortzusetzen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Zusatzpunkt der Tagesordnung auf:
Eidesleistung der neu ernannten Bundesminister
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom 28. April 1982 mitgeteilt, daß er auf Vorschlag des Herrn Bundeskanzlers den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herrn Dr. Herbert Ehrenberg, den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Antje Huber, sowie den Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Herrn Kurt Gscheidle, aus ihren Ämtern als Bundesminister entlassen hat.
Gleichzeitig hat der Herr Bundespräsident Herrn Bundesminister Hans Matthöfer zum Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Herrn Staatssekretär Manfred Lahnstein zum Bundesminister der Finanzen, Frau Anke Fuchs zum Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit sowie Herrn Heinz Westphal zum Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ernannt.
Nach Art. 64 des Grundgesetzes leisten die Bundesminister bei der Amtsübernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorgesehenen Eid. Ich werde jetzt die Eidesformel vorsprechen und bitte die Bundesminister, sie mit den Worten „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe" oder „Ich schwöre es" zu bekräftigen:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.
Herr Bundesminister Lahnstein, ich darf Sie zur Eidesleistung zu mir bitten. — Sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, Herr Präsident. Ich schwöre es.
Frau Bundesminister Fuchs, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
Ja. Ich schwöre es.
Herzlichen Glückwunsch.Herr Bundesminister Westphal, sind Sie bereit, den Eid zu leisten?
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5831
Ja. Ich schwöre es.
Herzlichen Glückwunsch.
Meine Damen und Herren, die neu ernannten Bundesminister haben den nach Art. 64 Abs. 2 des Grundgesetzes vorgeschriebenen Eid bei der Amtsübernahme vor dem Deutschen Bundestag geleistet.
Ich spreche ihnen im Namen des ganzen Hauses die herzlichen Glückwünsche aus. Ich spreche auch den ausgeschiedenen Bundesministern den herzlichen Dank des Hauses aus und wünsche ihnen weiterhin viel Erfolg.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. von Geldern, Dr. Dregger, Spranger, Dr. Riesenhuber, Dr. Schulte , Dr. Mertes (Gerolstein), Dr. Miltner, Volmer, Dr. Laufs, Boroffka, Eigen, Feinendegen, Fellner, Fischer (Hamburg), Francke (Hamburg), Gerlach (Obernau), Helmrich, von der Heydt Freiherr von Massenbach, Dr. Jentsch (Wiesbaden), Krey, Lenzer, Maaß, Metz, Niegel, Dr.-Ing. Oldenstädt, Dr. Olderog, Regenspurger, Freiherr von Schorlemer, Schröder (Wilhelminenhof), Schwarz, Sick, Dr. Stark (Nürtingen), Bugl und der Fraktion der CDU/CSU
Schutz unserer Gewässer und Küsten
— Drucksachen 9/1043, 9/1384 —
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Aussprache zwei Stunden dauern. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es wird so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Spranger.
— Meine Damen und Herren, darf ich bitten, die Plätze einzunehmen? — Einen Moment, Herr Abgeordneter Spranger! — Herr Abgeordneter Spranger, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum Gewässerschutz verfolgte im wesentlichen vier Ziele. Wir wollten die Bundesregierung veranlassen, eine Übersicht über das Gewirr internationaler und nationaler Regelungen vorzulegen. Wir wollten zweitens erreichen, daß im Vollzug festgestellte Mängel und Defizite aufgezeigt und Vorschläge zur Verbesserung gemacht werden. Wir wollten die Bundesregierung veranlassen, die bisher in Bund, Ländern und Gemeinden aufgewandten Mittel und zukünftig nötigen Finanzmittel offenzulegen und, schließlich, besonders schwerwiegende Probleme im Bereich des Gewässerschutzes, z. B. bei der Verhinderung von TankerUnfällen, die Situation in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen oder die Gewässerverschmutzung bei den grenzüberschreitenden Flüssen darzustellen.Die Antwort der Bundesregierung ist von bernerkenswertem Umfang, allerdings nur teilweise in der Sache befriedigend.
Sie zeigt interessante Einzelheiten auch in bezug auf die Komplexität und die Schwierigkeiten im Bereich des Gewässerschutzes. Für die nicht immer einfache Arbeit, mit der eine Fülle von Fakten zusammengestellt werden mußte, möchte ich allen an der Antwort auf diese Große Anfrage Beteiligten ausdrücklich Dank sagen. Die zusammengetragenen Fakten bringen eine deutliche Darstellung auch der Schwierigkeit der Probleme und entlarven manche wohlfeilen Vorschläge, im Bereich des Gewässerschutzes zu Patentrezepten zu greifen.Dennoch bedarf die Antwort in einer Reihe von Passagen einer Korrektur und einer Ergänzung, insbesondere was die Bewertung der Regierungspolitik der letzten zehn Jahre anbelangt.Die Bundesregierung stellt zwar zu Recht erfreuliche Schritte im Bereich des Gewässerschutzes fest, ihre Behauptung allerdings, diese Verbesserungen seien ausschließlich auf das Umweltprogramm der Bundesregierung von 1971 und auf die Regierungspolitik zurückzuführen, ist schlichtweg falsch. Hier wird die Tatsache unterschlagen, daß bereits viel früher erhebliche Anstrengungen zur Reinhaltung unserer Gewässer unternommen wurden, und es wird schlichtweg unterlassen, darzulegen, daß bereits in den 50er und 60er Jahren die rechtlichen und finanziellen Grundlagen für den Gewässerschutz der 70er und 80er Jahre gelegt wurden — das in einer Zeit, in der vor allem Ernährung und Wasserversorgung sicherzustellen, Wohnungen und Wirtschaft wieder aufzubauen waren. Ich darf hier nur erinnern an die Gesetzgebung zum Wasserhaushaltsgesetz 1957, an die dann anschließenden zwei Modifizierungen bis 1967 und an die Gesetzgebung zur Altölbeseitigung. Das hat dann auch in den 70er Jahren die Voraussetzung dafür geschaffen, daß die tatsächlich eingetretenen Verbesserungen vorgenommen werden konnten.Ich darf aus der Antwort auch entnehmen, daß allein fünf von den elf zum Meeresschutz und acht von zwölf zum Schutz der Binnengewässer abgeschlossenen internationalen Abkommen und Regelungen vor 1970 verabschiedet wurden. Auch das widerlegt die Behauptung, daß der Umweltschutz erst mit dem Umweltprogramm der Bundesregierung 1971 begonnen habe.Daß dann auch in den 70er Jahren Anpassungen an fortgeschrittene Erkenntnisse und an weitere Anforderungen an den Gewässerschutz notwendig waren, ist selbstverständlich. Deswegen auch das Vierte Änderungsgesetz zum Wasserhaushaltsgesetz und das Abwasserabgabengesetz — Gesetze, denen wir zugestimmt haben.
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5832 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
SprangerLassen Sie mich eine zweite Bemerkung zur Richtigstellung einiger in dieser Antwort falschen Aspekte machen. Zweifelsohne sind Gesetzgebungsakte des Bundes wichtig. Sie sind aber nicht die entscheidenden Gründe für die von der Bundesregierung festgestellte Besserung der Gewässergüte. Das ergibt sich klar aus der Tatsache, daß die Abwasserreinigungsleistung im Bund in der Zwischenzeit etwa 70% biologisch gereinigter Abwässer erreicht hat, daß allerdings die Reinigungsleistungen in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen immer noch erst bei 20 % bzw. 10 % liegen. Das beweist ganz klar und eindeutig, daß die Verbesserung des Gewässerschutzes eben ganz entscheidend von der Entschlossenheit und von der Fähigkeit der Länder, der Gemeinden und Städte abhängt, aber auch von Gewerbe und Industrie, Abwassersammler und Kläranlagen zu bauen und die damit verbundenen Lasten auf sich zu nehmen.Noch eine Bemerkung: Nicht den Grünen von heute, sondern den Steuer- und Abgabenzahlern der letzten 30 Jahre haben wir den Gewässerschutz von heute zu verdanken.
Herr Abgeordneter Spranger, erlauben Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Abgeordneter Spranger, es wird ja nun schon klar, daß die Anfrage im wesentlichen in polemischer Absicht gegenüber den Stadtstaaten überhaupt gestellt worden ist. Sind Sie trotzdem bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß Hamburg sein Abwasser zu 85 % biologisch klärt und daß es darüber bereits eine Korrespondenz zwischen den Hamburger Behörden und dem Bundesinnenminister hinsichlich auch der etwas problematischen Form der Beantwortung der Anfrage gegeben hat?
Ich weiß nicht, Herr Duve, was Sie veranlaßt, hier irgend etwas zu unterstellen, wenn von mir lediglich etwas aus der Antwort der Bundesregierung zitiert wurde. Die Fakten, die ich genannt habe, sind in dem Bericht enthalten. Das hat also nichts mit Polemik zu tun. Sie werden anschließend auch von den Kollegen aus Hamburg, Herrn Fischer und Herrn von Geldern, noch im einzelnen hören, wie die Situation in Hamburg zu bewerten ist. Jedenfalls hat die Bundesregierung sie so bewertet, wie ich es wiedergegeben habe. Im übrigen, Herr Duve, darf ich Ihnen sagen, was die Abwasserklärungssituation in Hamburg und Bremen mit 20 % und 10 % anbelangt: es gibt in den Flächenländern — und da sind Bayern, Baden-Württemberg und andere zu nennen — wesentlich höhere Zahlen, die ich Ihnen gleich nennen kann. Insoweit war Ihre Zwischenfrage ganz hilfreich. In Baden-Württemberg beträgt die Klärung 89 %, in Bayern 75 %, in Niedersachsen 77 %, in Rheinland-Pfalz 66 %. Im Gegensatz dazu beträgt die Klärung in Hamburg und Bremen 20 und 10 %. Das macht den Unterschied deutlich. Das macht aber auch deutlich, daß nicht die in der Antwort der Bundesregierung so sehr herausgestellte gesetzgeberische Tätigkeit des Bundes, sondern die Vollzugsleistung der Länder und Gemeinden die entscheidende Voraussetzung für die Verbesserung des Gewässerschutzes war. Und das macht ein Weiteres deutlich: daß nicht, wer am lautesten von Umwelt redet, sondern der, der bereit ist, die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, am meisten für den Umweltschutz tut. Konsequenter Vollzug der Bundesgesetze ist die entscheidende Voraussetzung, was allerdings Geld kostet.
Nun gleich zu der Fähigkeit und der Bereitschaft des Bundes, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen, diese zweifelsohne kostspieligen Investitionen auch zu finanzieren. Da steht die Bundesregierung nach ihrer eigenen Anwort auf unsere Anfrage leider ganz schlecht da. Insgesamt wurde in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren von 1975 bis 1981 die beachtliche Summe von rund 27 Milliarden DM für Gewässerschutz ausgegeben. Davon wurden allein von den kommunalen Gebietskörperschaften 17,8 Milliarden DM aufgebracht, von den Ländern immerhin noch 7 Milliarden DM. Der Bund hat lediglich 1,9 Milliarden DM zugesteuert. Seine Leistungen im Jahre 1981 hat er im Vergleich zum Jahre 1980 drastisch reduziert. Damals waren es noch 360 Millionen DM, 1981 lediglich 153 Millionen. Auch hier gibt es einen weiten Vorsprung der Länder und der Gebietskörperschaften. Die Länder gaben 1981 1,3 Milliarden DM, die kommunalen Gebietskörperschaften 2,5 Milliarden DM. Ganz bedauerlich ist es natürlich, wenn auf die Frage, wie die mittelfristige Finanzierung beim Bund aussehen soll, die Antwort kommt, Angaben dazu könne man zur Zeit nicht machen. Das ist, so muß man es werten, ein peinlicher Hinweis auf den Rang, den die Bundesregierung dem Gewässerschutz hier einräumt. Es zeigt auch, daß die katastrophale Haushaltsführung eine umweltpolitisch vorwärtsweisende Planung und Finanzierung leider nicht mehr möglich macht. Großartige Programme und Ankündigungen bringen nichts, wenn nicht die nötigen Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden.Angesichts dessen muß man die Bundesregierung und die Koalitionsparteien doch auffordern, in Zukunft etwas vorsichtiger mit Anschuldigungen gegenüber Bundesländern zu sein, die finanziell erheblich mehr zum Gewässerschutz beigetragen haben als die Bundesregierung oder Stadtstaaten wie Hamburg und Bremen. Man sollte sich auch überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, künftig die Vorschläge aus den Bundesländern zum praktisch wirksamen Gewässerschutz etwas wohlwollender aufzunehmen und zu prüfen, als dies in der Vergangenheit geschehen ist. Man kann nicht die Länder auf der einen Seite der Demontage des Gewässerschutzes bezichtigen und auf der anderen Seite zu mehr Leistungen auffordern, obwohl die eigene Leistung nicht dem entspricht, was die Länder zu bieten haben. Diese Parteilichkeit macht denen zukünftig das Opfer schwer, die bisher bereit waren, Opfer im Bereich Gewässerschutz zu erbringen.Sosehr also der Vollzug im Grunde die Voraussetzung für einen vernünftigen Gewässerschutz bedeutet, um so klarer muß auch herausgestellt werden,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5833
Sprangerdaß wir einen umfassenden, längergültigen, verläßlichen rechtlichen Rahmen im Bereich des Gewässerschutzes brauchen.Das gilt z. B. im Bereich der Mindestanforderungen nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes. Hier ist der Bund mit der Schaffung dieser Bestimmungen über Jahre hinweg in Verzug. Wir können hieraus nur schließen, daß der Bundesregierung der Wille und die Entschlußkraft fehlen, rechtzeitig sinnvolle Normen zu setzen. Das führt zu Unsicherheit. Das gefährdet nicht nur wirtschaftlich vernünftiges Handeln des einzelnen Bürgers, von Industrie und Gewerbe, sondern das gefährdet letztendlich auch den Schutz der Umwelt und steht im übrigen im krassen Gegensatz zu den Schreckenvisionen von Gefahren, die insbesondere der Bundesinnenminister über Jahre hinweg an die Wand gemalt hat.
Ein wichtiges Problem ist die Verbesserung des grenzüberschreitenden Gewässerschutzes. Wir haben auf den einen Seite eine Fülle von internationalen Regelungen, bei denen wir allerdings feststellen müssen, daß sie weitgehend deswegen ihre Wirkung nicht tun, weil die nationale Rechtsgrundlage in gleicher Weise schon vorhanden war, sie sich also mit den nationalen Vorschriften decken. Im übrigen kommt in der Antwort der Bundesregierung zum Ausdruck, daß die Bundesregierung keinen Hinweis auf die Wirksamkeit des Vollzugs dieser Normen hat. Wir meinen auch, daß hier dem Anliegen der Bundesländer zur stärkeren Betonung des Emissionsprinzips an Stelle des Immissionsprinzips Rechnung getragen werden sollte. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, auch auf diesem Gebiet sich in stärkerem Maße mit größerem politischem Nachdruck im Rahmen der EG für die Durchsetzung von gewässerschützenden Normen einzusetzen. Dazu werden meine Kollegen Herr Dr. von Geldern und Herr Fischer im einzelnen noch Ausführungen machen.Aber nicht nur im Verhältnis zu den EG-Staaten, sondern vor allem auch im Verhältnis zu den östlichen Nachbarn ist ein nachdrücklicheres politisches Auftreten der Bundesregierung zwingend erforderlich. Die DDR und die CSSR betreiben Umwelt- und Gewässerschutz ganz überwiegend nur verbal und zählen im Grunde zu den größten Umweltverschmutzern in den grenzüberquerenden Gewässern. Die Bundesregierung hat dementsprechend eine lange Liste von Umweltverfehlungen vorgelegt. Sie hat auch einräumen müssen, daß die DDR bisher nicht bereit war, auf politische Vorstellungen hin zu reagieren. Hier muß eben die Bundesregierung erheblich nachdrücklicher auf eine Verbesserung des Gewässerschutzes durch die DDR und durch die Tschechoslowakei drängen.
Diese gesundheitsgefährdenden Verschmutzungen z. B. der Röden, der Werra und Ulster, Verschmutzungen in der Elbe mit leicht und schwer abbaubaren Substanzen, giftigen Schwermetallen und ähnlichem können auf die Dauer nicht hingenommen werden. Die CDU/CSU hat das im übrigen wiederholt auf den verschiedensten Ebenen vorgetragen. Beispielsweise hat der bayerische Ministerpräsident am 21. Januar 1982 wegen der Verschmutzung der Röden unter anderem folgendes an den Bundeskanzler geschrieben:Nur scheinbar handelt es sich bei der Verschmutzung der Röden durch DDR-Abwässer in Sonneberg um eine rein lokale und technische Angelegenheit. Tatsächlich ist die Hinhaltetaktik der DDR seit mehr als sechs Jahren ein solcher Skandal, daß die weitere Behandlung dieses Themas durchaus Testcharakter für die innerdeutschen Beziehungen in Anspruch nehmen kann. Es muß geradezu als Hohn empfunden werden, wenn in diesem Zusammenhang das Wort von der guten Nachbarschaft oder der Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen fällt.Ich meine, dem kann man nur nachdrücklich zustimmen.
Bis heute ist auf dem Sektor leider nichts geschehen. Das ist also die Praxis der „Politik der kleinen Schritte".Meine Damen und Herren, es geht auch nicht an, daß sich die Bundesregierung als großzügiger Finanzier der Umweltverfehlungen der DDR und ihrer Sanierung darzustellen beliebt. Es ist ein unmögliches Verhalten, wenn hier — trotz der miserablen Haushaltslage — die von der DDR begangenen Umweltfrevel mit den Geldern der deutschen Steuerzahler saniert werden sollen, wie es in verschiedenen Äußerungen, u. a. von Staatssekretär Bölling, zum Ausdruck kommt.
Wir raten der Bundesregierung dringend, ihre nachgiebige Haltung hier endlich aufzugeben. Nur dann wird sie erfolgreich, mit mehr Erfolg Gewässerschutz bei DDR und CSSR durchsetzen können.
— Ich hoffe, Sie betrachten das nicht als eine Torpedierung dieser sogenannten Entspannungspolitik, wie es der Herr Bundesinnenminister bei jeder Form des Gegensteuerns gegen eine Appeasement-Politik zum Ausdruck gebracht hat. Wir meinen, es ist — auch in Verantwortung gegenüber unseren Steuerzahlern — ein legitimes Interesse, hier eine klare Haltung einzunehmen.
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch einige kurze Anmerkungen: Der Wissensstand über schwer abbaubare organische Stoffe und die meist toxischen Schwermetalle im Bereich der Gewässerverschmutzung ist ungenügend. Es krankt vor allem daran, daß eine Koordinierung in ausreichendem Maße hier nicht stattfindet. Die Forschungs- und
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5834 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
SprangerEntwicklungsförderung wird hier zur Zeit über sechs Ressorts betrieben; das muß koordiniert, geändert werden.Wir bitten des weiteren um Prüfung des Vorhabens, hier Bewirtschaftungspläne aufzustellen. Die Praxis hat gezeigt, daß es damit außerordentlich komplizierte Regelungen gäbe, die kaum anwendbar wären. Wir meinen, daß das vorhandene Instrumentarium ausreichend ist, daß diese personal- und kostenintensiven Pläne überflüssig sind und daß auch beim Bürger immer weniger Bereitschaft besteht, solche staatlichen Detailregelungen, zentral erlassen, anzunehmen.Schließlich: Es zeigt sich in dieser Anfrage, von welch entscheidender Bedeutung für den Gewässerschutz in der Bundesrepublik Deutschland eine gesunde Wirtschafts-, Haushalts- und Finanzlage des Staates ist. Das ist die Grundlage für jeden wirksamen Gewässerschutz. Die dazu notwendigen Aufwendungen können, wie auch der Vergleich mit den Ländern im Ostblock zeigt, eben nur von einer leistungsstarken und effizienten Volkswirtschaft erbracht werden. Wer hier meint, einen Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie konstruieren zu können, hat keine Ahnung von effizienter Umweltpolitik. Nur eine effiziente Volkswirtschaft schafft das Geld für den Umweltschutz. Ohne Geld gibt es eben keinen Schutz für die Umwelt. Wer das nicht begreift, gefährdet weitere Fortschritte im Bereich des Umweltschutzes. Deswegen fordern wir die Bundesregierung auf, ihre Vorstellungen zur besseren Finanzierung der Gewässerschutzinvestitionen so bald wie möglich konkret vorzulegen.Meine Damen und Herren, Gewässerschutz ist eine komplizierte, eine kostenträchtige und lebenswichtige Aufgabe. Mit unserer Großen Anfrage haben wir versucht, eine Diskussion darüber auszulösen, ob die Bundesregierung dem Gewässerschutz den ihm gebührenden politischen Rang einräumt. Verglichen — die Bundesregierung muß sich hier vergleichen lassen — mit den Leistungen der Länder und Gemeinden, der Privaten, der Industrie, des Gewerbes müssen wir leider feststellen: Die Bundesregierung ist den ihr gestellten Aufgaben im Bereich des Gewässerschutzes nicht befriedigend nachgekommen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiehm.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herrn! Das Studium der Antwort der Bundesregierung muß zu dem Schluß führen, daß sich die gemeinsamen Anstrengungen der letzten Jahre gelohnt haben. Es ist ja keinesfalls der Eindruck erweckt worden, hier handele es sich um eine Leistung, die nur die Bundesregierung erbracht habe. Eindeutig steht in diesem Papier, daß Länder und Gemeinden das Ihre getan haben. Ich glaube, es ist auch nicht zu leugnen, daß eine Umdrehung, nun den Bund sozusagen als denjenigen hinzustellen, der das Seine hier nicht getan habe, eine Art derAuseinandersetzung ist, die uns in der Sache nicht weiterhilft.
Wir sollten einfach einmal bedenken, daß allein im Zukunftsinvestitionsprogramm 1,6 Milliarden DM sozusagen außer der Reihe für den Bereich des Gewässerschutzes bereitgestellt worden sind. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Sie haben es in der Hand, meine Herren von der CDU
— meine Damen und Herren von der CDU —, durch die Gemeinschaftsinitiative für Arbeitsplätze, Wachstum und Stabilität, die j a Ihrer Zustimmung bedarf, ebenfalls eine Summe von 1,6 Milliarden DM wieder zur Verfügung zu stellen. Sie dürfen sich nur nicht zieren.
Ein Wort zur grenzüberschreitenden Verunreinigung der Gewässer. Es ist zu beklagen, daß es nicht gelungen ist, mit den Franzosen eine ausreichende Lösung zu finden, um die Verschmutzung des Rheins zu beseitigen. Genauso zu beklagen ist, daß DDR und Tschechoslowakei nicht hinreichend bereit sind, mit uns zu kooperieren. Nur, meine Damen und Herren: mit der Republik Frankreich gibt es eine hinreichende Kooperation, die verfaßt ist. Wir möchten Sie geradezu ermuntern, Ihren Widerstand gegen die Vielzahl der Kooperationen mit der DDR und der Tschechoslowakei aufzugeben, weil wir darin die organisatorische Grundlage für eine Beseitigung dieser Mängel sehen.
Ich möchte mich nun einigen Fragen zuwenden, die die Kompliziertheit der hier angesprochenen Materie zum Ausdruck bringen. Ich glaube, wir beklagen alle, daß hier wie auch in anderen Bereichen des Umweltschutzes immer noch mit Generalklauseln gearbeitet werden muß. Was heißt es denn, wenn da steht: „Menge und Schädlichkeit sind so gering zu halten, wie dies bei Anwendung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren und nach den allgemeinen anerkannten Regeln der Technik möglich ist"? Wenn wir nicht den Schritt weg von der Generalklausel wagen, um über die Grenzwerte hin zu Qualitätsnormen unserer Gewässer zu kommen, dann werden wir keine Maßstäbe zur Verfügung haben, um effizient und gezielt politische Entscheidungen zu treffen.
Ich wünschte mir, daß diese Generalklausel zumindest im Bereich des Gewässerschutzes oder — besser gesagt — des Umweltschutzes insgemein nicht so statisch gesehen würde und daß man — ähnlich wie im Bereich der Kernenergie — den Versuch machte, die unterschiedlichen Standpunkte, die man zu dieser Generalklausel haben mag, darzustellen, die Konsequenzen unterschiedlicher Entscheidungen offenzulegen, um dem Parlament und damit der Öffentlichkeit die Chance zu geben, die unterschiedlichen Voraussetzungen, Techniken und Folgewirkungen kritisch zu bewerten. Sonst werden wir an-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5835
Kiehmgesichts der Fülle der einzelnen technischen Bestimmungen die politische Diskussion nicht mehr haben, sondern wir werden lediglich Diskussionen über technische Details zu führen haben. Das heißt, daß wir die Industrie auffordern müssen, Menge und Schädlichkeit ihrer Produktionsweisen ständig dem neuesten Stand der Technik anzupassen.Kooperation wird von uns als ein Aufeinander-Zugehen verstanden. Ich habe manchmal den Eindruck — Staatssekretär Hartkopf hat das gelegentlich auch einmal ausgedrückt —, daß der Wissensstand der Regierung, die zum Handeln aufgefordert ist, größer sein könnte, wenn hier auch in höherem Maße Kooperationsbereitschaft der Industrie vorhanden wäre.
Daß das natürlich auch ein Problem für die Kommunen ist, meine Damen und Herren, sei hier nicht geleugnet. Wir müssen daran denken, daß die Umstellung alter, überholter Kläranlagen, daß die Ansätze für eine verbesserte Reinigungskraft moderner Methoden nicht vom Abschreibungszeitraum einer solchen Anlage abhängig gemacht werden können. Um einmal eine Größenordnung zu nennen: Ersatzinvestitionen nach DIFU im kommunalen Bereich für Kläranlagenbauten: 8,6 Milliarden DM; Investitionen zur Umstellung auf einen Reinigungsgrad von 95 %: 3,5 Milliarden DM. Wenn wir, so hoffe ich, mit CDU und FDP gemeinsam uns bemühen, die Finanzkraft der Kommunen zu verstärken, ihre Investitionskraft zu stabilisieren, dann leisten wir auch einen Beitrag zu einem aktiven Umweltschutz.Ich habe schon darauf hingewiesen, daß die Abwendung von generalklauselartig formulierten Maßstäben erfolgen muß. In der Tat haben wir insbesondere bei den EG-Richtlinien den Versuch, über Grenzwerte die Emissionsseite sozusagen in den Griff zu kriegen. Ich kann dem Kollegen Spranger nur zustimmen, wenn er sagt: Wir brauchen sozusagen auch den Immissionswert für das Gewässersystem. Das heißt: wir brauchen Qualitätsziele und -normen, die Maßstab für zukünftige Genehmigungsverfahren sein können und die Öffentlichkeit wissen lassen: Wenn ein zusätzlich angesiedeltes Unternehmen zusätzliche Abwässer in Elbe, Weser oder welchen Fluß auch immer leitet, dann wird hier Industrieansiedlung durch zusätzliche Umweltbelastung erkauft. Ich hoffe, diese Normen können für uns ein Mittel sein, uns urteilsfähiger zu machen und damit einen Beitrag für den Gewässerschutz zu leisten.Ich habe mich bislang auf die Argumentation eingelassen, es gebe so etwas wie ein isoliertes Problem des Gewässerschutzes. Aber nun wissen wir aus vielen Einzeldiskussionen, daß Einzellösungen häufig nur zu einer Problemverschiebung, aber nicht zu einer Problemlösung führen. Mit dem Ausstoß von Klärschlamm aus dem Abwasserklärprozeß berühren wir beispielsweise schon den Bereich der Abfallbeseitigung. Zur Vermeidung von Gewässerbelastungen mag manches Produktionsverfahren die Luftreinhaltung vernachlässigen.Hier muß ein gesamtökologischer Rahmen gesehen werden. Ich sehe bei politischen und administrativen Entscheidungen, bei dem Auseinanderfallen von Zuständigkeiten, aber natürlich auch bei unterschiedlich vorhandener Sachkompetenz das gravierende Problem, sozusagen eine gesamtökologische Entscheidungsträgerschaft überhaupt zu organisieren. Schon aus der historischen Entwicklung der Aufgabenverteilung wird das erkennbar.Es ist Sache des Bundes, Rahmenvorschriften für den Wasserhaushalt zu erlassen. 1972 hat man es immerhin verstanden, in der konkurrierenden Gesetzgebung Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung zur Sache des Bundes zu machen. Von Wasserreinhaltung keine Spur! Gerade angesichts dieses gesamtökologischen Zusammenhangs müssen wir uns in einer Zeit, wo wir über Staatszielerweiterung reden, wo wir beklagen, daß EG-Normen nicht hinreichend verfaßt sind, auch der Frage stellen, ob dieses Auseinanderfallen der Zuständigkeiten das Maß an Leistung für den Umweltschutz erbringt, das an sich erbracht werden könnte.Eine Forderung unserer Fraktion geht dahin, sozusagen für das Gewässer das nachzuvollziehen, was wir als Altanlagensanierung bei der Luftreinhaltung haben. Meine Damen und Herren, hier glaube ich, daß auch mit der Gemeinschaftsinitiative ein Ansatz gefunden werden kann, der sozusagen Grundstock für ein Gewässersanierungsprogramm sein kann. Ich hoffe sehr, daß es hier ein Zusammenwirken zwischen der öffentlichen Hand und den vielen einleitenden, gewässerverschmutzenden Privaten gibt.Wir haben immer noch das Beispiel Nordrhein-Westfalen vor Augen. Nach der „Süddeutschen Zeitung" waren 600 Millionen DM Investitionshilfe angeboten. In der Zeitung heißt es, daß jedoch nicht eine müde Mark in Anspruch genommen worden sei. Grund: Die öffentlichen Mittel decken nur die Hälfte der Investitionskosten. Steigende Betriebskosten können — so die Angabe der Unternehmen — nicht untergebracht werden. Ergebnis: Am Ende wird das Kooperationsangebot ausgeschlagen, und wer dann Umweltschutz tatsächlich will, ist darauf angewiesen, das ordnungspolitische Instrumentarium zu Hilfe zu nehmen. Meine Damen und Herren, wir sprechen hier für ein Gewässersanierungsprogramm. Ich hoffe, daß in der Tat das Reden dem Regeln vorgeht. Aber eine Entwicklung, wie sie in Nordrhein-Westfalen deutlich geworden ist, können wir uns auf diesem Sektor nicht leisten.Ich will dann nur noch wenige Bemerkungen machen, die auf den Zusammenhang zwischen Ökonomie und Ökologie hinzielen und auch auf die Frage Wasserwirtschaft und Landschaftspflege eingehen.Ich habe es außerordentlich begrüßt, daß im Zuge einer Debatte im Innenausschuß über die von der CDU so gewollte einschränkende Wirkung der Strukturberichterstattung eine Übereinstimmung darüber erzielt worden ist, daß künftig in der Strukturberichterstattung im höheren Maße als bisher die Fragen der Ökologie, des Umweltschutzes berücksichtigt werden. Ich hoffe, daß sich damit der Nebel lichtet, der hin und wieder bei der Diskussion über
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Kiehmdie inhaltlichen Zusammenhänge von Ökonomie und Ökologie besteht. Es bleibt zu hoffen, daß sich die Kolleginnen und Kollegen im Wirtschaftsausschuß dieser Vorstellung anschließen. Ich denke, daß dann auch ein Instrument geschaffen werden kann, das die Debatte um ökologische und ökonomische Zusammenhänge erleichtert.Zur Wasserwirtschaft und Landschaftspflege. Meine Damen und Herren, ich habe den Eindruck, daß die Wasserwirtschaft sehr häufig völlig unreflektiert von Gesichtspunkten der Effizienz und ihren technischen Möglichkeiten Gebrauch macht und damit die zur Pflege aufgerufene Wasserwirtschaft selbstzerstörerisch wirkt. Der besseren Schlammräumung wegen werden Gehölze an den Wasserläufen niedergemacht, weil es ja so technisch effizient ist, mit dem Bagger heranzufahren. Aus dem sich dahinwindenden Bach mit ökologischem Wert wird schnell ein begradigter Wasserlauf; und wir haben wieder ein Stück Verlust an Natur zu beklagen.Ich appelliere deshalb an die vielen Institutionen der Wasserwirtschaft, ihre Arbeit auch in den Dienst der Landschaftspflege zu stellen. Hier aber auch ein Wort an die öffentlichen Hände, die dort finanziell mitzuwirken haben. Wir müssen auch Voraussetzungen für eine andere Haushaltsgestaltung und Haushaltsführung schaffen. Die Haushaltsführung sollte so möglich sein, daß die öffentlichen Hände aufhören können, in separaten Haushaltsstellen zu denken. Aus Gründen der Kostenersparnis erhält der Bach — statt aufwendiger Reparaturen — ein neues Bett, und zwar aus der Haushaltsstelle Wasserwirtschaft. Weil ökologische Beeinträchtigungen nicht hingenommen werden können, wird nun aus der Abteilung Naturschutz ein Aufwand veranlaßt, der sozusagen den Biotop neu schafft.
Hier können wir auch im administrativen und politisch lenkenden Bereich eine Hilfe leisten.Zuletzt das Kapitel Landwirtschaft. Der Wirtschaftszweig Landwirtschaft mit seinen Wirkungen auf Gewässer und insbesondere auf die Qualität des Grundwassers — das ist wohl unumstritten — ist von mir nicht angesprochen worden. Dieses Thema kann hier wohl vernachlässigt werden. Der Innenminister hat angekündigt, daß er ein Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen über Umweltprobleme der Landwirtschaft vorlegen wird. Ich denke, daß wir bis zu diesem Zeitpunkt die Debatte über diesen Sonderkomplex vertagen können. Ich bin allerdings der Meinung, daß dann nicht nur Fragen im Zusammenhang mit den Gewässern und dem Grundwasser, sondern auch im Zusammenhang mit der Gestaltung des Naturschutzes im Bereich der Landwirtschaft und auch Fragen der chemischen Einwirkung, also das Chemikaliengesetz, in dieser Debatte eine Rolle spielen sollten.Ich hoffe, daß es uns gelingt, Gesichtspunkte des Umweltschutzes über die kleine Gemeinde derer, die ein aktives Interesse zeigen, und über die große Zahl derer, die sich nur noch in erboster Haltung zeigen können, hinaus in unseren Parteien und Fraktionen so zu verbreiten, daß politisches Agieren auch für dieÖffentlichkeit wieder ein interessanter Punkt wird.
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Das Bewußtsein für die Umwelt schärft sich zusehends. Aber wir müssen auch deutlich machen, daß wir hier beachtliche Erfolge erzielt haben.
Das kommt manchmal ein wenig zu kurz. Insofern begrüße ich die Antwort der Bundesregierung besonders, weil sie diese Erfolge noch einmal zusammenfaßt und darstellt und damit auch den Ausblick ermöglicht.Wir haben mit dem vierten Änderungsgesetz zum Wasserhaushaltsgesetz, dem Abwasserabgabengesetz 1976-1981 in Kraft getreten —, mit dem Waschmittelgesetz, der zweiten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz und den Bestimmungen zur Beseitigung des Klärschlamms Entscheidendes an Instrumentarien vorgegeben.Im Hinblick auf das Abwasserabgabengesetz, Herr Kollege Spranger, muß ich Wasser in Ihren Wein gießen, indem ich feststelle, daß in Berlin — CDU regiert — noch kein Landesabwasserabgabengesetz vorliegt. Eine solche gesetzliche Regelung muß von den Ländern beschlossen werden, weil der Bund nur die Rahmenkompetenz hat. Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen und das Saarland — im Saarland sind wir beteiligt, aber augenscheinlich nicht entscheidend genug — haben erst 1981 ihre Ländergesetze beschlossen. Das hat dazu geführt, daß naturgemäß eine Menge derjenigen, die davon betroffen sind — die kommunalen und die industriellen Einleiter —, in Verwirrung geraten sind, weil sie nicht wußten, wie es denn nun werden wird.Der Termin 31. März 1982, der sich auch deswegen ergab, weil diese Ausführungsbestimmungen erst so spät kamen, hat erstmals die Folge, daß die Direkteinleiter, also Kommunen und Industrie, ihre Abgabeerklärung vorlegen müssen. Wir sind nun endlich in Fahrt. Wir sind endlich dabei, daß wirklich etwas passiert.
— Lieber Herr Kollege Laufs, 1976 haben wir, die wir hier sitzen — jedenfalls weitgehend —, die Sache beraten. Wir haben gesagt: 1981 tritt es in Kraft. Das sind fünf Jahre. In diesen fünf Jahren hätten die angesprochenen Länder diese Dinge weiß Gott beschließen können.
Hinterher ist es im Hauruckverfahren gemacht worden. In Niedersachsen ist es schließlich im September 1981 über die Bühne gegangen, mit allen Pro-
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Wolfgramm
blemen, die mit einem solchen schnellen Verfahren zusammhängen.
Ich will begrüßen, daß es nun endlich soweit ist. Aber ich kann es doch nicht begrüßen, daß es so lange dauerte.Die Erfolge, die wir dabei haben, sind zum Teil auch nur Erfolge, den Status quo zu erhalten. Wir wollen hier nicht euphorische Dinge in die Welt setzen und feststellen, daß nun überall alles viel besser geworden ist. Ich meine, es ist schon ein Erfolg, den Status quo bei einer Menge von zusätzlichen industriellen Produktionen, die als Einleiter auftreten, zu erhalten.Die Problemerkenntnis nimmt zu, auch auf Grund der technischen Verfahren. Die technischen Meßverfahren sind inzwischen so diffizil und intensiv geworden, daß wir laufend zusätzliche Erkenntnisse gewinnen, die wir vorher nicht hatten. Auch von daher entstehen natürlich der Anspruch und die Forderung, die Problembewältigung intensiv weiter zu betreiben. Wir brauchen diese intensiven Anstrengungen. Trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten möchte ich hier für die FDP-Fraktion festhalten, daß wir am Umweltschutz und am Gewässerschutz keine Abstriche dulden werden; im Gegenteil: wir wollen das beschleunigen.Nehmen Sie den Bereich Nordsee. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat hierzu ein sehr sorgfältig erarbeitetes und sehr wichtiges Gutachten vorgelegt. Wir haben daraus jetzt schon Schlußfolgerungen ziehen können. Wir haben festgestellt, daß die internationalen Regelungen, die EG-Regelungen, sicherlich eindrucksvoll sind. Wenn Sie die Antwort der Regierung betrachten, dann finden Sie darin — über eineinhalb Seiten — Abkommen aufgelistet, die zeigen, daß man sich in Europa mit dieser Sache sorgfältig befaßt hat. Die Antwort weist auf der anderen Seite aber auch aus, daß hier noch Lücken bestehen, die wir sorgfältig auflisten müssen.Ich habe schon einmal gesagt und möchte das hier als dringlich wiederholen: Wir müssen zu einer Nordsee-Konferenz kommen; wir müssen dann zu einer Nordsee-Konvention kommen, damit wir eine geschlossene gesetzliche Regelung haben, die auch die entsprechenden Kontrollmöglichkeiten enthält, damit nicht diejenigen, die in Deutschland schärferen Bestimmungen unterworfen sind, auf Holland oder andere EG-Länder ausweichen können. Das nützt uns allen nichts und dient vor allem auch der Nordsee nicht, weil sie, wenn dort eingeleitet wird, natürlich denselben Verschmutzungsgrad behält.Beim Rhein hat es mich nicht besonders freudig gestimmt, wenn wir feststellen müssen, daß wir 1976 mit den Rheinanliegerstaaten ein Abkommen geschlossen haben — das Frankreich leider nicht ratifiziert hat —, wonach bei den Franzosen entsprechende Reduzierungen vorgenommen werden sollten. Die Franzosen sind ja mit 165 kg/sec die Haupteinleiter von Salz; das ist eine ganze Menge. Bis 1979 sollte nach diesem Abkommen bereits die zweite Phase eintreten. Danach wollten die Franzosen sofort um 20 kg/sec reduzieren — es handelt sich hier um die Elsaß-Kaliwerke —, und ab 1979 wollten sie auf 60 kg/sec kommen. Jetzt haben wir eine Vereinbarung vom November 1981, in der uns gesagt wird: Die Reduzierung um 20 kg/sec, die eigentlich schon längst hätte vorgenommen werden sollen, wird es demnächst geben. Aber es gibt keine zeitliche Begrenzung dafür.
Ich bitte im Namen der FDP-Fraktion die französischen Kollegen im Parlament sehr dringend, sich dieser Sache noch einmal anzunehmen. Das scheint mir wirklich eine Zeitabfolge zu sein, die auch bei aller Betrachtung der Reibungsverluste und sicherlich auch der Interessen, die ohne Zweifel mit einem finanziellen Aufwand für die Franzosen verbunden sind, nun doch langsam das übersteigt, was für alle Anliegerstaaten zu ertragen ist,
zumal die Holländer, die Rhein-Unterlieger sind, die größten Probleme dabei haben.Was die DDR betrifft, so meine ich, daß wir anstreben müssen — insofern appelliere ich an die DDR —, die DDR dazu zu bewegen, auch alle formalen Probleme, die sie in der Vergangenheit gesehen hat — wir wissen alle, daß das Umweltbundesamt in Berlin dabei eine große Rolle gespielt hat —, nun doch langsam zurückzustellen. Wir müssen zu einem Umweltschutzvertrag mit der DDR kommen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wieso wir uns zwischen zwei deutschen Staaten über Postabkommen unterhalten und diese abschließen, schließlich Verkehrsabkommen schließen, aber nicht dazu kommen, wichtige Bereiche der Gewässerfragen oder der Luftreinhaltefragen endlich in einem Abkommen zu regeln.
— Lieber Herr Kollege, mehr zahlen wird immer derjenige, der es etwas leichter kann. Das ist oft so.
— Aber wenn der Verursacher eben nicht zahlen kann? — Wir haben j a bekanntlich neben dem Verursacherprinzip auch das Vorsorge- und das Kooperationsprinzip. Wir werden sorgfältig prüfen müssen. Ich meine, die DDR hat dasselbe Interesse. Der saure Regen in der DDR ist sicher nicht weniger schädlich als bei uns. 50 % der Schadstoffe bekommen wir vom Ausland, aber immerhin 50 % produzieren wir selber, und das bedeutet, daß wir da weiß Gott alle Anstrengungen unternehmen müssen, um das zu verbessern.Ich habe vorhin eine Anmerkung zum Abwasserabgabengesetz gemacht, das mit Ablauf des 31. März endgültig in Kraft getreten ist. Wir werden sehr genau verfolgen, wie sich die Dinge mit den Werten entwickeln, die wir festgelegt haben, nämlich 12 DM pro Schadeinheit, die sich auf 40 DM im Jahr 1984
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Wolfgramm
steigern, ob das ausreicht und ob damit der gewünschte Anreiz zum Bau von Kläranlagen vorhanden ist. Vorhin sind hier Zahlen über den Anteil genannt worden. 70 % vollbiologische Kläranlagen haben wir, was aber auch heißt, daß wir sie bei 30 noch nicht haben. Im übrigen wissen wir, daß diese vollbiologischen Kläranlagen noch nicht der Weisheit letzter Schluß sind; denn das ist das, was man jetzt sozusagen als Mindestausstattung braucht.Das Problem der Schwermetalle ist noch nicht gelöst. Wir müssen daran intensiv arbeiten; aber das können in dem Punkt weniger wir, sondern das müssen die Wissenschaftler tun, wobei wir ihnen alle Möglichkeiten geben müssen, um unsere Wünsche zu erfüllen. Ich glaube, daß das auch geschieht.Ich komme zum Problem der Absenkung des Grundwasserspiegels. Ich nenne hier die Lüneburger Heide, das hessische Ried. Wir sollten damit sehr, sehr vorsichtig umgehen, und das Interesse eines Bereiches, einer großen Stadt, die ihr Wasser braucht, darf nicht dazu führen, daß ein anderer Bereich, nämlich die Lüneburger Heide, dann in große Schwierigkeiten gerät.
Wir haben jetzt schon Trinkwasserbrunnen, die wir schließen müssen, weil entweder die Absenkung des Grundwassers so intensiv geworden ist oder weil es durch Nitrate und andere Schäden so verunreinigt ist, daß es nicht mehr gereinigt werden kann.Ich begrüße sehr — Herr Kollege Kiehm hat dazu Anmerkungen gemacht —, daß wir dieses Sondergutachten über die Umweltprobleme der Landwirtschaft haben werden. Wir werden dann wie beim Nordseegutachten auch die entsprechenden Schlußfolgerungen ziehen können.Der tägliche Trinkwasserverbrauch hat von 1950 bis 1980 um rund 60 % zugenommen. Das veranlaßt uns schon jetzt zu der intensiven Überlegung, wie wir den Verbrauch von Trinkwasser für den Bereich, für den Brauchwasser ausreicht, reduzieren können. Ich meine, wir sollten nun langsam nicht nur für den Industriebereich, sondern auch für den Haushaltsbereich, jedenfalls bei Neubauten, diese Brauchwasserzirkularleitung einführen. Jetzt muß damit angefangen werden. Ich wage vorauszusehen — ich werde das nachher aus „Global 2000" noch zitieren —, wie sich der Gesamtwasserverbrauch in den Jahren bis 2000 und darüber hinaus darstellen wird. Ich glaube, wir müssen das versuchen, und wir sollten uns damit auch in diesem Hause beschäftigen.Die Problematik macht deutlich, daß wir es hier nicht mit einem Einzelproblem zu tun haben. Es geht also nicht nur darum, das Problem mit dem Wasser zu lösen, sondern das Beispiel des sauren Regens zeigt, daß hier auch entsprechende Schadluft auf das Wasser einwirkt. Der FDP-Parteitag in Köln hat die Zusammenhänge in seinem Ökologieprogramm behandelt.Herr Kollege Spranger, Sie haben sich über die Länderleistungen positiv geäußert. Sie haben aber vergessen, den Rhein-Main-Donau-Kanal zu erwähnen. Es wäre sehr nützlich, wenn Sie da zu derÜberlegung kämen, daß es sich, wie ein Gutachten gesagt hat, um das unsinnigste Bauwerk seit dem Turmbau zu Babel handle.
2,7 Milliarden DM stehen dort noch zur Investition an. Meine Fraktion im bayerischen Landtag hat das sehr sorgfältig aufgearbeitet und ihnen entsprechende Unterlagen zur Verfügung gestellt.
Herr Kollege Wolfgramm, erlauben Sie eine Zwischenfrage.
Mit großem Vergnügen! Beide zusammen, oder jeder einzeln?
Bitte.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Wolfgramm, ist Ihnen bekannt, daß Ihr Parteifreund Herr Gallus vor nicht allzu langer Zeit die Baustellen des Rhein-
Main-Donau-Kanals besichtigt und einen unbedingten Weiterbau gefordert hat?
Also, lieber Herr Kollege: Auch die Liberalen dürfen hier und da unterschiedlicher Meinung sein, wenn es — was ich im Augenblick nicht nachprüfen kann — so wäre. Aber eines ist ganz sicher: Die Mehrheit der Freien Demokraten, der Liberalen, ist hier der Meinung, daß das tatsächlich nicht nur das unsinnigste, sondern auch das überflüssigste Bauwerk seit dem Turmbau zu Babel ist. Und Sie wissen, was für Folgen der Turmbau von Babel gehabt hat. Ich will gar nicht auf die bayrische Sprache eingehen. Das könnte sehr problematisch werden.
Herr Kollege Wolfgramm, der Herr Abgeordnete Spranger möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Bitte. Aber dann wollen wir das beenden.
Bitte.
Herr Kollege Wolfgramm, haben Sie diese Meinung einmal mit dem Herrn Bundeskanzler abzuklären versucht, und was meinen Sie zu der Auffassung des österreichischen Bundeskanzlers, die mit der Meinung des deutschen Bundeskanzlers zu diesem Problem deckungsgleich ist?
Lieber Herr Kollege Spranger, ich will die Verantwortungen hier nicht verwischen. Wenn die bayerische Staatsregierung, die hier zuständig ist, morgen sagt, daß sie dieses Projekt nicht mehr aufrechterhält, ist die Sache
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Wolfgramm
in Ordnung und klar. Und genau das hätten wir gern.
— Ach, Herr Kollege! Wenn wir anfangen, aufzurechnen, was die Kollegen Ihrer Fraktion und Ihre Ministerpräsidenten und Ihre Minister — da will ich gar nicht bis zu den Staatssekretären gehen — so alles Unterschiedliche sagen, dann hätten wir hier ein abendfüllendes Programm.
Ich möchte eine Anmerkung zur Gewässergütekarte machen. Sie zeigt ja eine farbige Pracht. Blau bedeutet: ganz rein. Das kommt übrigens sehr selten vor. Rot bedeutet das Gefährlichste.
— Das hat ganz augenscheinlich nichts mit dem zu tun, was Sie meinen. Denn auch Gelb bedeutet dabei nichts sehr Erfreuliches; und Gelb ist ja eine unserer Farben. Schwarz kommt übrigens nicht vor. Ich meine, wir müssen uns zu dem Wert „leicht verschmutzt" steigern können, nämlich zu der Güteklasse II.Ich erinnere mich übrigens an ein kleines Mädchen, das mir vor einiger Zeit bei der Betrachtung eines Teiches — man könnte auch sagen: eines Tümpels; eines der wenigen Tümpel, die in Göttingens Umgebung vorhanden sind — gesagt hat: Es sei dort sehr verschlammt; da könne das Wassermännchen ja gar nichts sehen. Es war nämlich der Meinung, daß es die dort in diesen kleinen Tümpeln noch gebe. Wir sollten also, wenn wir schon von der schönen Lau in der Donau nicht mehr reden können, wenigstens den Wassermännchen die Möglichkeit geben, bei leicht verschmutzten Gewässern noch einen Durchblick zu haben.
Ich finde etwas sehr gut, was mir die Kollegin Engel vorhin gesagt hat.
— Also, wenn wir das hinkriegen, lieber Herr Kollege Spranger, sind uns auch einige andere sehr dankbar.
Es geht darum, daß der Verband für Vogelschutz das Jahr 1982 zum Jahr des Bach-Biotops erklärt hat. Wir wissen alle, wie wichtig die Erhaltung dieses Bereichs ist.Eine Anmerkung zur Küste, die meine Kollegin Schuchardt aus sehr viel größerer und vor allem unmittelbarer Kenntnis betrachten wird. Es gibt ein Kartenwerk, das die Amerikaner, wie der Bericht zeigt, inzwischen erstellt haben. Es umfaßt die Küste der USA bis nach Alaska. Darin haben sie Spezialkarten für mögliche Ölunfälle erarbeitet. Wir haben einige Aufträge an die Leo Consult, wie ich ersehe, vom Ministerium für Forschung und Technologie. Wir sollten auch diesen Bereich aufnehmen. Denn wir müssen alles tun, um möglichen Ölunfällen an unseren Küsten wenigstens prophylaktisch zu begegnen und sie, falls sie eintreten, so schnell wie möglich zu bekämpfen.Ich möchte noch eine Anmerkung zu einer grundsätzlichen Position machen, nämlich zu „Global 2000". Darin wird für den Zeitraum von 1975 bis 2000 weltweit eine Steigerung des Wasserverbrauchs um 200 bis 300 % erwartet. Unter dem Aspekt, daß wir schon dafür zu kämpfen haben, das, was jetzt da ist, zu erhalten, ist das nicht nur für den Entwicklungsbereich, sondern auch für unseren Bereich eine bedrückende Vorstellung.„Global 2000" sagt weiter:Regionale Wasserverknappung und eine Verschlechterung der Wasserqualität, die schon heute in vielen Teilen der Welt ernste Formen angenommen hat, werden sich bis zum Jahr 2000 wahrscheinlich noch verstärken.Nun möchte ich noch eine Anmerkung machen, die sich — der Kollege Duve ist anwesend — aus der Diskussion des 11. September 1981 über die Nordsee ergibt. Der Kollege Duve hat damals kritische Anmerkungen zum mythologischen Wert der Nordsee gemacht. Er hat kritisch von den „erhabenen Gemälden" gesprochen. Ich habe mir erlaubt — da Nolde ein berühmter Maler der Nordsee ist —, das doch einmal nachzusehen. Da ich dem Plenum nun nicht ein Gemälde zeigen möchte, was sicher auch schwierig wäre — der Bundeskanzler schätzt Nolde sehr und besitzt Noldebilder; aber ich weiß nicht, ob eine Ausleihe hier ins Plenum möglich gewesen wäre —, erlaube ich mir aus der „Deutschstunde" von Siegfried Lenz eine Beschreibung eines Nordsee-Gemäldes — Sie wissen ja, daß Nolde sich hinter dem Namen Max Ludwig Nansen verbirgt — vorzutragen:Da vereinigten sich Himmel und Meer. Da überredete ein weiches Zitronengelb ein lichtes Blau zur Selbstaufgabe. Schwebende Segel ließen Ferne vermuten, ließen eine abgeschlossene Geschichte vermuten und büßten ihr Weiß ein, um die geträumte Vereinigung ganz gelingen zu lassen. Die Segel lösten sich auf und erreichten durch ihre Auflösung, daß nichts mehr übrigblieb als Licht. Und das Licht kam mir vor wie ein Loblied.Damit möchte ich diesen leichten Streit zwischen Duve und mir über ästhetische Fragen mit Lenz beschließen.
Meine Damen und Herren, klares kaltes Wasser zu trinken ist nicht nur für Gourmets ein Hochgenuß. Versuchen Sie es mal heute! Ich jedenfalls wünsche uns, daß wir alle mit aller Kraft daran arbeiten, daß wir es bald wieder wie früher genießen können. —
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5840 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Das Wort hat der Herr Staatssekretär von Schoeler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wer sich an den Widerstand der Opposition gegen das Abwasserabgabengesetz erinnert, der kann eigentlich nur den Mut bewundern, eine solche Anfrage hier einzubringen.
Nun bieten solche Debatten immer zwei Chancen.
— Sie kennen den zentralen Stellenwert des Abwasserabgabengesetzes, Herr Kollege Laufs. Ich werde an einigen Stellen noch darauf eingehen. Die Fortschritte, die wir Gott sei Dank erzielt haben, liegen ganz wesentlich in diesem Abwasserabgabengesetz mit begründet. Deswegen meine ich, ist es schon sinnvoll, das hier zu erwähnen.Nun gibt es in so einer Debatte zwei Möglichkeiten, auch für Sie als Opposition: Die eine ist, man betont die Gemeinsamkeit und versucht damit, diesen Politikbereich zu stärken gegenüber anderen Politikbereichen. Und die andere Möglichkeit ist, man sucht ein neues Feld für polemischen Schlagabtausch. Ich bin mir nach der Rede des ersten Oppositionssprechers noch nicht ganz klar, was hier heute beabsichtigt ist. Da waren Töne für diesen polemischen Schlagabtausch drin, und zwar ganz kräftig und, wie ich meine, an völlig überflüssigen Stellen.Ich will gleich vorweg — ich werde nachher noch etwas zur Elbe-Problematik und zur Werra/WeserProblematik sagen — das Problem der Verhandlungen und Fortschritte auf dem Umweltschutzgebiet im Verhältnis zur DDR aufgreifen. Nach dem, was Sie hier gesagt haben, bin ich mir nicht klar, was Sie eigentlich wollen. Sie sagen, wir sollten mit größerem Nachdruck verhandeln, und Sie sagen, wir sollten auf gar keinen Fall bereit sein, uns auch nur irgendwo an finanziellen Belastungen zu beteiligen, also etwas zu geben. Sie stellen sich offensichtlich Verhandlungen mit einem anderen Staat so vor, daß man diesen Staat auf die Anklagebank einlädt und dann eine Anklageschrift verliest. Daß das keine ergebnisreichen Verhandlungen geben kann, müßte Ihnen eigentlich klar sein. Und deswegen frage ich mich: Sind Sie eigentlich an solchen Verhandlungen interessiert, oder sind Sie daran nicht interessiert?
Wenn Sie nur unsere eigenen Interessen sehen und nur diese in Verhandlungen für akzeptabel halten, werden Sie in Verhandlungen niemals Ergebnisse erzielen.Ich will Ihnen noch eines dazu sagen: Ich muß es schon sehr erstaunlich finden, daß diejenigen, die die Ost- und Deutschlandpolitik dieser Koalition unddieser Regierung immer am hartnäckigsten bekämpft haben, von ihr die größten Erfolge erwarten und einklagen. Das paßt doch nicht zusammen.
Ich glaube auch, daß die Anklänge, die hier in Sachen Bürokratiekritik bei Ihnen in der Rede vorhanden waren, die wir deutlicher noch aus anderen Reden kennen, zurückgewiesen werden müssen. Wir sollten alle davon wegkommen, Umweltschutz immer dann als Investitionshemmnis zu begreifen, wenn er tatsächlich zu greifen verspricht. Mit dem Vorwurf der Bürokratisierung kann man jede Politik, die einem inhaltlich nicht paßt, angreifen. Deswegen sollten wir gerade in der Gewässerschutzpolitik die gemeinsamen Anstrengungen, die wir in Bund und Ländern ergriffen haben, fortsetzen.Ich will ein weiteres Beispiel aufgreifen, Herr Kollege Spranger. Sie haben von den finanziellen Aufwendungen von Bund, Ländern und Gemeinden gesprochen. Die Zahlen treffen zu, sind auch nie bestritten worden. Die Bundesregierung hat auch niemals bestritten, daß im Bereich der gewerblichen Wirtschaft, im Bereich der Gemeinden, im Bereich der Länder große Anstrengungen gemacht worden sind. Aber wenn Sie hier Zahlen nebeneinandersetzen und dann eine Polemik gegen die Bundesregierung entfalten, weil der Bundesanteil in ihrem Zahlenwerk „nur" 1,9 Milliarden DM betragen hat, dann sollten Sie doch um der Ehrlichkeit und um der Bürger willen, die diese Debatte verfolgen und die Details nicht kennen können, hinzufügen, daß der Bund dieses über seinen Zuständigkeitsbereich hinaus freiwillig für eine Aufgabe, die eigentlich von Ländern und Gemeinden zu erfüllen wäre, zugeschossen hat, weil wir das für so wichtig halten.
Aber was soll ich denn davon halten, wenn Sie dann mit einer Polemik ansetzen, die sagt, da sehe man, wir seien mittlerweile in einer Finanzmisere, die nicht einmal mehr Geldausgaben zuließe. Sie können es auch ganz anders sagen. Sie können sagen, der Bund war finanziell in den letzten Jahren so leistungskräftig, daß er über seine eigenen Kompetenzen hinaus die Länder und Gemeinden unterstützt hat, weil wir es mit Ländern und Gemeinden zusammen für eine existentielle Frage der Sicherung unserer Grundlagen in der Umweltpolitik halten, ob wir saubere Gewässer haben oder nicht.
Unbestritten ist die zunehmende Sorge unserer Bürger z. B. über quecksilberbelastete Fische, über die Gefährdung der Trinkwasserversorgung, über die Gefährdung z. B. durch Nitrate oder halogenorganische Verbindungen selbst im Grundwasser. Von biologischen Katastrophen, von Zerstörung des Lebenselements Wasser ist die Rede. Manche dieser Einzelmeldungen mögen verzerrt und übertrieben dargestellt sein. Es bleibt aber insgesamt doch genug an besorgniserregenden Fakten, z. B. über den Gütezustand der Unterelbe, die Versalzung der Wer-
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Parl. Staatssekretär von Schoelerra. Der Rhein ist nicht mehr die Kloake Europas. Es ist dank des Rheinsanierungsprogramms gelungen, die Sauerstoffwerte zu verdoppeln. Die Schwermetallbelastung ist erheblich zurückgegangen. Sorgen machen uns aber noch die schwer abbaubaren Stoffe und die Chlorideinleitungen aus dem Elsaß, zu denen der Kollege Wolfgramm etwas gesagt hat.Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen: Kein anderer Umweltbereich braucht einen so langen Atem wie der Gewässerschutz. Gewässergüteziele lassen sich nur über längere Zeiträume verwirklichen. Unser Ziel, das Ziel des Umweltprogramms der Bundesregierung von 1971, war es, die Güteklasse II für alle Gewässer zu erreichen. Wir sind diesem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. Unsere Bilanz kann sich, wie ich meine, sehen lassen. Mit dem novellierten Wasserhaushaltsgesetz, dem Abwasserabgabengesetz, dem Waschmittelgesetz, dem Chemikaliengesetz und der zweiten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz ist ein leistungsfähiges bundesrechtliches Instrumentarium für den Gewässerschutz geschaffen worden.Aber, und da stimmen wir überein, Gesetze allein stellen das ökologische Gleichgewicht der Gewässer noch nicht wieder her. Viele Regelungen werden erst in Zukunft greifen. Aber auch bis heute haben sie bereits eine Menge bewirkt, und das kann man durch Zahlen untermauern; das will ich an einigen Stellen tun.Erstens. Die Belastung der Gewässer ist verringert worden. Als Beispiel sei genannt: Der Sauerstoffgehalt im Rhein stieg seit 1971 auf mehr als das Doppelte an, der Quecksilbergehalt fiel im gleichen Zeitraum auf ein Sechstel seines Ausgangswertes. Der Hauptgrund: die Quecksilbermenge allein aus AlkalichloridElektrolyse konnte seit 1972 von 40 t auf 2,4 t pro Jahr, das sind immerhin 94 %, reduziert werden. Ähnlich positive Entwicklungen gibt es bei Cadmium und bei Chrom.Zweitens. Bund und Länder haben von 1975 bis 1981 insgesamt 8,82 Milliarden DM an Zuschüssen und 2,13 Milliarden DM an zinsgünstigen Krediten für Abwasserbehandlungsanlagen gewährt.Drittens. Während 1970 erst 40 % der Bevölkerung an biologische Kläranlagen angeschlossen waren, sind es heute 70 %. Mit Hilfe der Länder — ich erkenne das noch einmal ausdrücklich an — konnten so die schlimmsten Auswirkungen einer allzu groben Vernachlässigung unserer Gewässer aus den 50er und 60er Jahren korrigiert werden. Es gibt allerdings nach wie vor ein deutliches regionales Gefälle bei der Durchsetzung dieser notwendigen Abwasserbehandlungsmaßnahmen. Im Interesse eines wirksamen Gewässerschutzes ist es notwendig, diese Defizite bald zu beheben. Es ist eben der zentrale Stellenwert des Abwasserabgabengesetzes, daß es dazu beitragen wird.Nun sollten wir uns alle davor hüten, das, was geleistet worden ist, als Anlaß für das Aufstellen geschönter Bilanzen zu nehmen. Nach wie vor gibt es eine beträchtliche Anzahl von Problemen, und auf diese muß mit der gleichen Deutlichkeit eingegangen werden. Ich will dafür einige Beispiele nennen.Erstens. Viele Gewässer, besonders die Elbe, sind hochgradig mit Schwermetallen belastet. Die Quecksilberkonzentration in der Elbe ist im Durchschnitt mehr als doppelt so hoch wie im Rhein. Bei der Freihaltung von Schiffahrtsrinnen in solchen Gewässern fällt schwermetallhaltiges Baggergut an. Es kann vielfach nicht landwirtschaftlich verwertet werden und verursacht dann hohe Beseitigungskosten. Besonders kritisch ist die Anreicherung von Schwermetallen in Fischen. Viele Fische z. B. aus der Elbe sind vergiftet. Die Elbfischer sind in ihrer Existenz bedroht.Zweitens. Wir müssen uns stärker als bisher mit dem Problem der schwer abbaubaren Stoffe beschäftigen. Vor allem die halogen-organischen Verbindungen bereiten uns große Sorgen. Viele dieser Stoffe sind krebserregend, schaden der Gewässerbiologie und gefährden regional sogar die Trinkwasserversorgung.Drittens. Die Salzbelastung von Werra und Weser ist entschieden zu hoch. Auch im Rhein muß die Salzfracht weiter reduziert werden.Für die Bundesregierung lautet die Konsequenz daraus: Es kommt primär darauf an, die kritischen Schadstoffe möglichst von den Gewässern fernzuhalten, zu verhindern, daß sie überhaupt hineinkommen. Durch den Kläranlagenbau und zusätzliche innerbetriebliche Maßnahmen in zahlreichen Produktionsbereichen sind wir zwar im Hinblick auf die kritischen Schadstoffe ein Stück vorangekommen, aber es darf nicht verschwiegen werden: Der Chemikalienverbrauch hat weltweit gewaltig zugenommen, die damit verbundenen Abfall- und Abwasserprobleme ebenfalls. Die Gewässer sind heute ebenso wie Luft und Boden durch eine Unzahl von Einzelstoffen mit weitgehend unbekannten, unerforschten Wirkungen auf Organismen bedroht. Über die Langzeitwirkung dieser Stoffe mit ihren möglichen Kombinationseffekten wissen wir vielfach noch zu wenig. Wegen der Komplexität der Probleme ist allerdings auch nicht immer damit zu rechnen, daß schon in absehbarer Zeit ein umfassender wissenschaftlicher Überblick über die Gesamtproblematik dieser Schadstoffe in der Umwelt möglich sein wird.Umweltpolitik kann aber nicht so lange warten, bis wir überall klare wissenschaftliche Ergebnisse haben; denn dann wäre möglicherweise schon zuviel versäumt. Wir müssen hier also die wissenschaftlichen Erkenntnisquellen verbreitern. Damit ist der hohe Stellenwert angesprochen, den die Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in diesem Bereich haben. Wir müssen parallel dazu unsere Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen durch Eintrag von Schadstoffen in Gewässer vorantreiben. Anfänge sind gemacht, und eine Reihe konkreter Vorsorgemaßnahmen haben wir ergriffen. Auch dafür Beispiele.Erstens. Wir haben für Kommunen und viele Industriebranchen Mindestanforderungen an das Einleiten von Abwasser festgelegt. Kollege Spranger hat kritisiert, daß ein Teil der Verwaltungsvorschrif-
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Parl. Staatssekretär von Schoelerten nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes betreffend diese Mindestanforderungen noch nicht erlassen sei. Herr Kollege Spranger, Sie müssen wissen und wissen es, glaube ich, auch, warum das so ist. Es ist nicht so, daß es an mangelnder Entschlußkraft oder Entscheidungsfähigkeit dieser Regierung liegt, sondern es liegt genau an dem Problem, das ich eben angesprochen habe, daß wir in vielen Bereichen Daten und Fakten der Wissenschaft abwarten müssen, bevor wir zu Umsetzungen kommen. Wir werden jetzt im Mai, also nächsten Monat, sechs neue Verwaltungsvorschriften nach § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes erlassen. Das kann ich hiermit ankündigen. Ich nehme an, daß damit einiges von Ihren Sorgen entfallen ist.Als zweites Beispiel für das, was in diesem Bereich an vorsorgender Gewässerschutzpolitik betrieben worden und im Gang ist, nenne ich die Begrenzung des Anteils der Phosphate in Wasch- und Reinigungsmitteln. Es gibt erste Anzeichen, die darauf hindeuten, daß eine Abnahme der Phosphatfracht in unseren Gewässern eintritt. Weitere Maßnahmen müssen aber trotzdem folgen.Dieses neue wasserrechtliche Instrumentarium des Bundes reicht aus heutiger Sicht auch zur Lösung der Schadstoffproblematik aus. Die Bundesregierung wird allerdings nicht zögern — das ist mir sehr wichtig —, bei Vorliegen neuer Erkenntnisse dieses Instrumentarium zu novellieren. Wir alle lernen beim Vollzug dazu. Wir werden auch aus den Erfahrungen mit dem Wasserabgabengesetz die notwendigen Konsequenzen ziehen.Lassen Sie mich ein Wort zu den oberirdischen Gewässern sagen, zu den Küstengewässern, vor allem auch der Nord- und der Ostsee. Sie wissen, daß es sich hier je nach den verfassungsmäßigen Zuständigkeiten um Aufgaben handelt, die von den Ländern und dem Bund wahrgenommen werden. Wir haben in diesem Bereich unsere Maßnahmen in den letzten Jahren wesentlich verstärkt. Wir werden diese Verstärkung weiter fortsetzen müssen. Lassen Sie mich zu der Problematik der Nordsee unmittelbar einige Gedanken aufgreifen, die in der Debatte geäußert worden sind. Ich möchte den Vorschlag des Kollegen Wolfgramm ausdrücklich positiv erwähnen. Er hat eine Nordseekonferenz angeregt, was wir im Bundesinnenministerium sehr begrüßen. Wir sollten gemeinsam überlegen, wie man diesen Gedanken weiterverfolgen kann. Wir alle wissen j a, daß wir als Bundesrepublik nur einen Teil der Probleme der Nordsee lösen können. Ich will gleich noch darauf eingehen, was diesbezüglich in der letzten Zeit geschehen ist, auch auf Grund der zahlreichen Initiativen hier aus dem Parlament. Aber es bleibt immer dabei, daß ein wesentlicher Teil dieser Probleme nur durch die Zusammenarbeit aller Anrainerstaaten gelöst werden kann. Den Gedanken einer Nordseekonferenz, den der Herr Kollege Wolfgramm hier in die Debatte eingebracht hat, möchte ich deshalb ausdrücklich positiv aufnehmen.Wir wissen, daß die Abfallbeseitigung auf der hohen See an der Gesamtverschmutzung der Nordsee nur einen geringen Anteil hat. Trotzdem müssen wir dieses Problem ernst nehmen. Die Marschroute derBundesregierung ist dabei klar: sukzessive Verringerung der Abfallbeseitigung bis auf Null. Dieses Ziel Null werden wir voraussichtlich bis Ende der 80er Jahre erreichen.Für Neuvorhaben, die eine Beeinträchtigung der Meeresumwelt befürchten lassen, wird keine Erlaubnis mehr erteilt. Bei bisherigen Einbringungsvorhaben befristen wir Genehmigungen mit dem Ziel der baldigen Einstellung. Erste Erfolge dieser Politik zeichnen sich ab. Die Einbringung von Dünnsäure aus der organischen Pigmentindustrie — bisher jährlich 200 000 t — ist Mitte März auf unser Drängen vollständig eingestellt worden. Von dem in der Titandioxid-Dünnsäure enthaltenen Schadstoff Grünsalz konnte im letzten Jahr bereits über die Hälfte zurückgehalten und verwertet werden. Die Verklappung von Klärschlamm deutscher Herkunft— jährlich 300 000 t — läuft 1983 endgültig aus. Nach diesem Zeitpunkt soll der Klärschlamm verwertet bzw. an Land beseitigt werden.Lassen Sie mich noch ein kurzes Wort zur Elbe-, Werra- und Weser-Problematik sagen. Sie wissen, daß es mehrfache Anstöße der Bundesregierung gegeben hat, um in Gespräche und Verhandlungen mit der DDR einzutreten und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Ich will hier noch einmal erwähnen, daß Voraussetzung für Erfolgschancen einer solchen Politik ist, daß wir insgesamt eine Deutschland- und Außenpolitik betreiben, die auf Entspannung und nicht auf Verhärtung im wechselseitigen Verhältnis setzt. Trotzdem — das ist unbestreitbar— ist es schwierig, hier Fortschritte zu erreichen. Dennoch sind wir in der letzten Zeit vorangekommen. So konnten die Expertengespräche über Lösungsmöglichkeiten zu Einzelproblemen teilweise abgeschlossen werden. Aber wir haben nach wie vor — das sei offen gesagt — Probleme und müssen über finanzielle Fragen reden.Ich möchte ausdrücklich begrüßen, daß Herr Wolfgramm hier noch einmal eine alte Vorstellung aufgegriffen hat, nämlich die eines Gesamtumweltschutzabkommens mit der DDR. Sie wissen, daß das Zielsetzung der Politik der Bundesregierung war. Wir werden mit Beharrlichkeit und Nachdruck darauf hinwirken, insbesondere bei den Problemen der Berliner Gewässer, bei den Problemen der Werra und bei den Problemen der Elbe zu weiteren Fortschritten in dieser Politik zu kommen. Ich glaube, das wird man nur mit Nachdruck und Beharrlichkeit, nicht aber mit lautem Schimpfen erreichen können.
Man wird versuchen müssen, die gegenseitigen Interessen auch hier in Ausgleich zu bringen.
— Herr Kollege Spranger, ich habe den Eindruck, daß Sie sich entscheiden müssen, was Sie wollen.
Wenn Sie sich für eine aktive Umweltpolitik einsetzen wollen, dann müssen Sie unter Umständen auch
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5843
Parl. Staatssekretär von Schoelereinmal Akzente und Gewichte zugunsten der Umweltpolitik setzen.
Wenn Sie aber die Umweltpolitik als Spielwiese für eine polemische Auseinandersetzung mit der Koalition benutzen wollen, dann können Sie auch das haben. Aber dann dürfen Sie nicht mit dem Anspruch auftreten, Umweltpolitik ernsthaft vorantreiben zu wollen.Meine Damen und Herren, allzu lange sind wir sorglos mit Wasser und Gewässern umgegangen. Wasser ist kein freies Gut, das wir unbegrenzt nutzen und belasten können, weil es sich wie von selbst regeneriert. Erst die sozialliberale Koalition hat den Gewässerschutz in ihrem Umweltprogramm von 1971 zu einem Schwerpunkt der Umweltpolitik gemacht. Die Bilanz ist beachtlich; ich habe versucht, das darzustellen. Weitere Fortschritte sind aber dringend notwendig: beim Grundwasser, bei den Flüssen und bei den Seen. Ohne gemeinsames Handeln werden wir die Probleme nicht lösen. Die Verunreinigung der Gewässer macht vor Landesgrenzen und nationalen Grenzen nicht halt. Das darf aber für uns alle kein Grund sein, entschuldigend auf die Mitverantwortung anderer zu verweisen. Wir sind alle aufgerufen, unsere eigenen Möglichkeiten zu nutzen. Auch Gewässerschutz beginnt vor der eigenen Tür. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Geldern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Schoeler, Sie haben hier schon bei Ihren Äußerungen zur Bewertung des Ziels dieser Debatte doch eine ganze Menge Polemik abgeladen.
Das fand ich übrigens ganz überflüssig; denn Sie sollten dankbar dafür sein, daß wir diese Debatte hier heute haben. Es dient j a dem gemeinsamen Ziel, das wir alle, wie ich meine, in diesen Fragen hier verfolgen, daß sich der Deutsche Bundestag heute damit beschäftigt.
Herr Kollege Wolfgramm ist nach seiner ganz und gar deplazierten Polemik zum Thema Rhein-Main-Donau-Kanal, die hier in der Debatte überhaupt nichts zu suchen hatte, am Ende — das war j a sympathisch, was er zum Schluß vorgelesen, zitiert hat — recht poetisch geworden. Bei Herrn Parlamentarischen Staatssekretär von Schoeler war dies nicht festzustellen. Daher muß ich hier nun ein bißchen von seiner Polemik abräumen, z. B. das, was er zum Abwasserabgabengesetz gesagt hat. Ein Gesetz, das hinsichtlich seiner finanziellen Auswirkungen, aber auch hinsichtlich seiner Technik so umstritten war, kann man nicht so einseitig als Segen darstellen, wie Sie das hier getan haben, und daraus dann einen polemischen Vorwurf konstruieren.
Herr Kollege von Geldern, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wolfgramm?
Ja, selbstverständlich gern.
Herr Kollege von Geldern, würden Sie mir freundlicherweise die Frage beantworten, ob die Altmühl, deren Unterlauf durch den Rhein-Main-Donau-Kanal ersetzt werden soll, ein Gewässer ist oder nicht?
Herr Kollege Wolfgramm, ich habe mit meinem Hinweis auf die Art und Weise, wie Sie dieses Thema hier behandelt haben, gemeint, daß man im Rahmen einer Sachdebatte zum Gewässerschutz ein solches Thema wie das Thema des Baus oder Nichtbaus des Rhein-Main-Donau-Kanals mit einer kurzen Polemik nicht angemessen behandeln kann; dabei bleibe ich auch. Es war unangemessen, wie Sie das hier eingeführt haben. Es gibt zu viele Gesichtspunkte, als daß man das hier so abhandeln könnte.Ich möchte zum Thema Abwasserabgabengesetz noch etwas hinzufügen, Herr von Schoeler, was Sie sich vielleicht noch nicht vergegenwärtigt haben. Wenn wir uns hinsichtlich des Verhaltens der Hansestädte Hamburg und Bremen besondere Sorgen machen müssen, dann können wir auch feststellen, daß dieses Gesetz diesen Ländern gegenüber sozusagen völlig ins Leere greift und verpufft. Denn in Hamburg und Bremen werden die hiernach aufzubringenden Mittel nur von einer Tasche in die andere geschaufelt, aber ein irgendwie gearteter Druck kann vom Abwasserabgabengesetz hinsichtlich eines künftig besseren Verhaltens von Hamburg und Bremen überhaupt nicht ausgehen. Das ist übrigens auch ganz interessant in diesem Zusammenhang.Nun zu dem, was Sie hinsichtlich des Verhältnisses der Zahlungen von Bund, Ländern und Gemeinden unter Verwendung der zutreffenden — übrigens aus der Großen Anfrage entnommenen — Zahlen gesagt haben. Herr Kollege Spranger hat diese Zahlen hier genannt. Ich glaube, ich sollte hier noch eine Interpretation dessen hinzufügen, was Herr Spranger gesagt hat. Uns geht es darum, daß die wirklichen Zahlen bekanntwerden, weil es auf diesem Sektor — ich glaube, man darf diesen Ausdruck gebrauchen — eine gewisse Großmäuligkeit der Bundesregierung gibt, die gerne den Eindruck erweckt, als habe sie den Gewässerschutz erfunden und durchgeführt. Das ist eben mit den Tatsachen nicht zu vereinbaren.
Übrigens haben mich auch Ihre Äußerungen zur DDR außerordentlich erstaunt. Wenn man nach vielen Ankündigungen und dem Wecken von Erwartungen im allgemeinen und im besonderen hinsichtlich der Verringerung der von der DDR ausgehenden und auf unser Gebiet gelangenden Umweltbelastungen bis heute noch keinen einzigen greifbaren Erfolg vorzeigen kann, dann sollte man, meine ich, sehr
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Dr. von Geldernviel vorsichtiger sein, als Sie es, Herr Staatssekretär, in der Frage der DDR gewesen sind.Nun gibt es j a — damit komme ich zur Sache zurück, die ein bißchen von dem überschattet worden ist, was Herr von Schoeler hier gesagt hat — zum Glück weder in diesem Hause noch in der Öffentlichkeit einen wirklichen Streit über die Bedeutung des Themas, das auf Grund unserer Anfrage und der Antwort der Bundesregierung hier nun diskutiert wird. Ich möchte aber doch einen Akzent hinzufügen. Wasser ist nicht nur Leben, sondern Wasser ist auch Wirtschaftsgrundlage. Als Vertreter der Küste möchte ich diesen Akzent besonders unterstreichen, denn er kommt, wie ich den Eindruck habe, manchmal etwas zu kurz. Man wird dem Thema nicht gerecht, wenn man es allzu romantisch mit Beschaulichkeiten oder Übertreibungen oder auch mit Shows etwa in der Art von „Greenpeace" — Herr Duve, Sie sind zu Recht aufmerksam — behandelt. Der Rang dieses Themas wird dann verkannt; man ist ihm dann nicht gerecht geworden. Hier geht es vielmehr um eine wichtige Sachproblematik, die uns aus biologischen, aber auch aus ökonomischen und ökologischen Gründen alle gleichermaßen zu Nüchternheit und zu gemeinsamem sachlichen Ringen um die besten Lösungen bringen sollte.In Würdigung der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage möchte ich noch einige Akzente und Aspekte herausgreifen und besonders beleuchten.
— Endlich nimmt einmal einer einen Schluck Wasser, wollten Sie sagen. Vielen Dank, Herr Duve. Das ist der Versuch, das Gefühl zu erleben, das Herr Wolfgramm vorhin beschrieben hat.Meine Damen und Herren, aus dem internationalen Bereich hat die Bundesregierung in ihre Antwort die Hinweise auf die zahlreichen Abkommen, die es gibt, aufgenommen. Ich möchte einmal einige der wichtigsten Abkommen mit den Jahreszahlen versehen. Wir haben das „Übereinkommen über den Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes" von 1974, die Helsinki-Konvention. Sie wurde 1979, also fünf Jahre später, ratifiziert Sie ist seit 1980 völkerrechtlich in Kraft.Wir haben das „Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung vom Lande aus", die Paris-Konvention. Sie wurde von uns 1981 ratifiziert — also erst nach sieben Jahren —, obwohl sie schon 1978 völkerrechtlich in Kraft getreten ist.Wir haben die Oslo-Konvention, das „Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen durch Schiffe und Luftfahrzeuge", 1977 ratifiziert, völkerrechtlich schon seit 1975 in Kraft, unterzeichnet 1972.Als letztes möchte ich die London-Konvention, das „Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen" von 1972 erwähnen, die 1977 ratifiziert wurde und 1980 völkerrechtlich in Kraft trat.Dieser Zeitablauf zeigt schon, daß man von einer von der Bundesregierung — jedenfalls als Möglichkeit — immer wieder angedeuteten Führungsrolle der Bundesrepublik auf diesem Gebiet überhaupt nicht reden kann. Diese Abkommen sind verzögerlich behandelt worden. Wir sind oftmals später daran gewesen als andere Länder. Hier sind — das als Hinweis auf die Zeitabläufe, von denen Herr Wolfgramm vorhin gesprochen hat — Zeiten verschenkt worden, die im Sinne eines entschlossenen Meeresumweltschutzes und Gewässerschutzes nicht hätten verschenkt werden dürfen. Ich glaube, es ist wichtig, diese Zahlen für die Zukunft im Kopf zu haben, damit wir künftig zu einer schnelleren Handlungsweise gelangen, auch was die Rolle der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesregierung gegenüber den anderen Partnern betrifft.Heute ist hier, wie ich meine, zu Recht der Gedanke der Nordseekonferenz angesprochen worden. Wir kennen die Zahlen, wonach Großbritannien, die Niederlande, Belgien, Dänemark zum Teil sehr viel mehr zur Verschmutzung der Nordsee beitragen, als es die Bundesrepublik tut. Warum ist denn bisher nicht einmal der Versuch gemacht worden, durch Gespräche und entsprechende Hinweise an die anderen zu erreichen, daß auch dort gehandelt wird? Warum hat es bisher keinen Versuch der Bundesregierung gegeben, vorbildlich zu handeln und auf diesem Sektor wirklich eine politische Führung zu übernehmen?Die Bedeutung landgebundener Quellen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Im übrigen sind auch die auf See beseitigten Abfälle eigentlich landgebundener Art; sie stammen vom Land. So können wir auf diesem Gebiet nicht sorgfältig genug und nicht mit Nachdruck genug vorgehen.Vorhin ist der saure Regen erwähnt worden. Diese in ihrer schwerwiegenden Bedeutung heute erkannte Erscheinung muß, Herr Kollege Wolfgramm, natürlich auch im Zusammenhang mit unserer gesamten Energiepolitik diskutiert werden. Wenn wir über den sauren Regen sprechen, dann müssen wir auch über veraltete Kohlekraftwerke und über Brokdorf sprechen, und zwar in anderer Weise, als es jetzt der Hamburger Senat getan hat; wir müssen es nämlich in entschiedener und klarer Weise tun.
Ich glaube also, wir haben Veranlassung genug, die uns vorgelegte Antwort auf die Große Anfrage mit einer Reihe kritischer Bemerkungen zu begleiten. Es ist der Sinn der heutigen Debatte, dies so zu tun, daß die Öffentlichkeit für die vor uns liegenden Aufgaben sensibilisiert wird.Ich möchte nun noch einige wenige Bemerkungen zu einem Punkt machen, der schon angesprochen worden ist, aber eine Vertiefung verdient, nämlich zu dem Verhalten von Hamburg und Bremen. Ich entnehme der neuesten Broschüre der Hansestadt Hamburg mit dem Titel „Stadtentwässerung '81" den Satz:Mit dem Ausbau des Klärwerks Dradenau voraussichtlich bis 1988 wird Hamburg sein Abwas-
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Dr. von Geldernser entsprechend den gesetzlichen Auflagen behandeln können.Da kann man nur sagen: Wie schön, daß sich Hamburg anschickt, sich den gesetzlichen Auflagen entsprechend zu verhalten. Ich möchte einmal den Bürger sehen, der einem Gesetz gegenüber diese Haltung einnehmen und sagen würde: Vielleicht bin ich in einigen Jahren bereit, mich gesetzeskonform zu verhalten. — Was wir hier vorfinden, ist schon nahezu höhnisch.Im übrigen finden wir die Auseinandersetzung, die vorhin in Ihrer Zwischenfrage, Herr Duve, schon einmal anklang, inzwischen schriftlich niedergelegt, und zwar in dem Schriftwechsel zwischen dem Bundesinnenministerium und der Hansestadt Hamburg. Es geht um die Frage: Wie sind eigentlich die heutigen Leistungen Hamburgs zu bewerten? Was Sie vorhin unter den Tisch haben fallen lassen, ist das Wörtchen „voll". Hamburg hat tatsächlich lediglich 20 % seiner Abwässer vollbiologisch geklärt. Das ist angesichts eines Bundesdurchschnitts von 70 % einfach unzureichend und kann nicht länger hingenommen werden. Wir müssen das als einen Skandal bezeichnen.Zur Situation der Elbe ist heute zu Recht eine ganze Menge gesagt worden. Ich brauche zu diesem Thema nur noch hinzuzufügen, daß aus der DDR leider nicht nur die erhebliche Belastung der Elbe und der Weser herrührt, sondern auch das Grenzflüßchen Röden und die Flüsse Jeetzel, Leine, Milz, Helling, Kreck, Itz, Föritz und Steinseifelbach — ich will diese Flüsse einmal ausdrücklich beim Namen nennen — durch die DDR in unzulässiger und unerträglicher Weise verschmutzt werden.Ich sage noch einmal: Wir können es uns nicht so leichtmachen, wie es vorhin Herr von Schoeler getan hat. Wir können nicht so tun, als wäre das ein Tatbestand, den man mit großer Geduld ertragen müsse. Wir müssen hier — ich glaube, das ist eine Frage der politischen Entschlossenheit — zu Lösungen kommen, denn dieser Zustand ist nicht länger hinzunehmen.
Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Duve?
Bitte schön.
Herr von Geldern, Sie haben ja gehört, daß es darum geht, Verhandlungsfähigkeit und Verhandlungsbereitschaft nicht zu zerstören. Welches Druckmittel sehen Sie ganz konkret, um eine Bereitschaft der DDR zu erreichen, unseren Forderungen nachzukommen? Mit welchem Druckmittel wollen Sie arbeiten? Könnten Sie das dem Deutschen Bundestag sagen?
Herr Kollege Duve, ich kann mir eine ganze Menge vorstellen. Aber das möchte ich gern einer entschlossenen Verhandlungsführung überlassen. Was ich zu diesem Thema beitragen kann, der ich j a hier nicht stehe, um mit der DDR selbst zu verhandeln, ist, daß ich das zu einem öffentlichen Thema und einem öffentlichen Anliegen mache. Wir sollten nicht kleinmütig sein und nicht darum herumreden, sondern die Dinge ganz deutlich und laut ansprechen, damit auch die Öffentlichkeit mobilisiert wird. Wir brauchen hier einen Druck. Druck ist in jedem Falle gut, wenn eine Aufgabe bewältigt werden muß. Deshalb spreche ich das immer wieder an.
Ich kann mir schon eine ganze Menge Möglichkeiten vorstellen, zu einer Lösung zu kommen. Aber es kann natürlich nicht so weitergehen, daß man sagt: Wir werden verhandeln, und wir wollen verhandeln. Wir sprechen es bei allen Gelegenheiten an. Wir haben es sogar auf Gipfelebene angesprochen; es ist auch Werbellinsee angesprochen worden. — Wenn man dann aber im einzelnen nachfragt oder wenn man sich die Tatbestände und die Wirklichkeit ansieht, ist überhaupt gar nichts festzustellen. Es hat sich nichts, nicht das geringste geändert. Das können wir nicht länger hinnehmen. Deswegen sprechen wir davon.
Meine Damen und Herren, durch die Beantwortung der Zwischenfrage ist die Redezeit jetzt schon abgelaufen. Ich denke, wir haben in der Debatte aber noch einige weitere interessante Beiträge zu erwarten. — Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, zu dem aufgerufenen Tagesordnungspunkt liegen noch drei Wortmeldungen vor. Es ist nicht möglich, sie noch vor der Mittagspause zu erledigen.
Ich unterbreche jetzt die Sitzung. Der Bundestag tritt um 14 Uhr zur Fragestunde wieder zusammen.
Die Sitzung ist wieder eröffnet.Wir kommen zurFragestunde- Drucksache 9/1591 —Die Frage 54 des Abgeordneten Kroll-Schlüter und die Frage 55 des Abgeordneten Dr. Faltlhauser aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung begrüße ich Herrn Staatsminister Dr. Corterier.Ich rufe die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:Wie gedenkt die Bundesregierung die in der BBC-Dokumentation „Germany and the argentine bomb" gegen die Bundesregierung erhobenen Vorwürfe der Zusammenarbeit, insbesondere den Vorwurf der illegalen Lieferung angereicherten Urans, richtigzustellen?
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5846 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Die Bundesregierung hat die in der BBC-Fernsehsendung am 19. April 1982 erhobenen Vorwürfe im Zusammenhang mit der deutsch- argentinischen Kooperation bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie durch den stellvertretenden Regierungssprecher am 19. April 1982 mit Nachdruck als unwahr zurückgewiesen. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, daß an Argentinien illegal angereichertes Uran geliefert wurde.
Die britische Regierung hat in einer offiziellen Verlautbarung am 20. April 1982, also unmittelbar nach der Sendung, die NV-politisch verantwortungsbewußte Haltung der Bundesrepublik Deutschland in ihrer internationalen Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie unterstrichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Thüsing.
Herr Staatsminister, darf ich fragen, warum die mit bundesdeutscher Hilfe gebauten argentinischen Anlagen zur Wiederaufarbeitung und Brennelementeherstellung nicht der Überwachung durch die Internationale Atomenergieorganisation unterliegen, obwohl das in einer Vereinbarung zwischen Argentinien und der IAEO vom 15. Juli 1981, Teil II, Abschnitt 2 c verbindlich vorgeschrieben ist?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, dazu kann ich Ihnen nur sagen, daß es keinerlei Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Argentinien beim Bau dieser Wiederaufarbeitungsanlage gegeben hat.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Thüsing.
Herr Staatsminister, darf ich weiterhin fragen, ob es zutrifft, daß die deutsche Firma Reaktorbauelemente-Union in Hanau Argentinien beim Bau einer argentinischen Fabrik zur Brennelementeherstellung hilft, u. a. auch durch die Lieferung von Bauteilen, obwohl Argentinien diese Anlage nicht der Überwachung durch die Internationale Atomenergieorganisation unterstellt, und daß diese Anlage bereits in diesem Jahr in Betrieb gehen soll?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, dieser Vorgang ist mir unbekannt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Informationen, die Sie offensichtlich haben, zur Verfügung stellten. Dann will ich ihnen gerne nachgehen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Catenhusen.
Trifft es zu, Herr Staatsminister, daß die argentinische Wiederaufarbeitungsanlage in Ezeiza bei Buenos Aires mit Hilfe und Beratung durch das Kernforschungszentrum Karlsruhe
gefördert wird, obwohl diese Anlage nicht der Überwachung durch die Wiener IAEO unterliegt?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich habe diese Frage bereits beantwortet. Es gibt keine solche Zusammenarbeit beim Bau dieser Wiederaufarbeitungsanlage.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Herr Staatsminister, hält die Bundesregierung den Bericht in der Zeitung „einheit" der IG Bergbau und Energie vom 1. April dieses Jahres für glaubwürdig, in dem die Befürchtung geäußert wird, die argentinische Militärjunta erhielte von der Sowjetunion angereichertes Uran, um mittels dieses angereicherten Urans und deutscher Nukleartechnologie Atombomben zu produzieren?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, mir liegen keine Informationen vor, die derartige Befürchtungen rechtfertigen würden.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Dr. Bugl auf:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um den falschen Behauptungen über deutsch-argentinische Zusammenarbeit im Bereich der Nukleartechnik im englischen Fernsehen entgegenzutreten?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Präsident, ich habe diese Frage bereits durch meine Antwort auf die Frage 36 beantwortet.
Sie haben die Antwort gehört, Herr Kollege Dr. Bugl.
Sie haben das Recht, Zusatzfragen zu stellen.
— Bitte sehr.
Herr Staatsminister, trifft eine Meldung der „Welt" vom 24. April zu, wonach eine am Mittwoch letzter Woche eingesetzte interministerielle Ad-hoc-Arbeitsgruppe, die sich aus Vertretern des Auswärtigen Amtes sowie Vertretern des Forschungs-, des Wirtschafts- und des Entwicklungsministeriums zusammensetzt, mit der Formulierung der Fragen und Antworten der Fragestunde zu diesem Thema betraut wurde?
Dr. Corterier, Staatsminister: Davon ist mir nichts bekannt. Ich habe mich bei der Formulierung dieser Antworten nur mit den zuständigen Beamten meines Hauses in Verbindung gesetzt, Herr Kollege.
Wünschen Sie eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Bugl?
Ja, bitte, Herr Präsident.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5847
Dr. BuglHerr Staatsminister, trifft es zu — ich beziehe mich wieder auf die „Welt" vom 24. April —, daß Bundestagsabgeordnete der SPD von der Bundesregierung ermuntert worden sind, zu diesem Thema Fragen einzubringen, deren Beantwortung bereits so gut wie fertig war?
Dr. Corterier, Staatsminister: Mir sind keine derartigen Fragen von SPD-Abgeordneten bekannt. Ich kann deshalb um so mehr nicht Ihre Vermutung bestätigen.
Zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Thüsing das Wort.
Ich habe mich für solche Sachen, die hier unterstellt wurden, nie hergegeben, andere SPD-Kollegen auch nicht.
Aber zu der Zusatzfrage: Herr Staatsminister, ich möchte Sie fragen, ob die Bundesregierung den weiteren Technologietransfer auf kerntechnischem Gebiet daraufhin schärfer überprüfen wird, ob dieser Technologietransfer mit den Zielen der Nichtverbreitung von Atomwaffen zu vereinbaren ist, zumal hier im konkreten Fall argentinische Regierungssprecher und die Sprecher anderer Empfängerländer die Absicht erkennen lassen, daß sie die Atomtechnologie auch zur Herstellung von Sprengsätzen verwenden würden.
Herr Kollege Thüsing, ich bin nicht überzeugt davon, daß die Frage in einem Sachzusammenhang mit der Frage 37 steht. Aber ich überlasse dem Herrn Staatsminister die Beantwortung.
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich sehe auch keinen Zusammenhang, Herr Präsident.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 38 des Abgeordneten Dr. Bugl auf:
In welchem Umfang werden die kerntechnischen Anlagen Argentiniens durch die Internationale Atomenergiebehörde in Wien kontrolliert?
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Internationale Atomenergieorganisation in Wien hat am Montag, dem 19. April 1981, zur Kontrollage in Argentinien wie folgt Stellung genommen:
Die Internationale Atomenergieagentur wendet Sicherungskontrollen in Argentinien auf der Grundlage von elf einzelnen Sicherungsabkommen an. Diese Abkommen erfassen alle signifikanten Aktivitäten, die unter dem Gesichtspunkt der Sicherungskontrollen relevant und der Agentur aus offiziellen oder anderen öffentlichen Quellen bekannt sind.
Herr Davignon, der Vizepräsident der EG-Kommission, hat am 28. April 1982 zu der BBC-Sendung vom 19. April 1982 unter anderem folgendes festgestellt: Die verschiedenen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Argentinien im Bereich der nuklearen Zusammenarbeit befinden sich in voller Übereinstimmung mit den Abmachungen über die friedliche Nutzung der Kernenergie sowie mit den Kontrollen und Verifikationen „vor Ort", wie dies der Euratom-Vertrag, die Londoner Richtlinien und die IAEO vorsehen. Herr Davignon unterstreicht in seiner Erklärung, daß die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Zusammenarbeit mit Drittländern, hier insbesondere mit Argentinien, die von ihr eingegangenen Verpflichtungen auf das genaueste beachtet.
Ich glaube, daß diesen Aussagen von berufenen Sprechern internationaler Organisationen ein größeres Gewicht zukommt als allem, was die Bundesregierung zu dieser Frage aussagen könnte.
Vielen Dank.
Eine Zusatzfrage stellt der Abgeordnete Gansel.
Kann die Internationale Atomenergiebehörde in Wien durch ihre Kontrollmaßnahmen ausschließen, daß Argentinien durch die Kombination von Nukleartechnologie aus der Bundesrepublik und angereichertem Uran aus der Sowjetunion in die Lage versetzt wird, Atombomben zu produzieren, und ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, den Vermutungen der Mitgliederzeitschrift der IG-Bergbau nachzugehen, Herr Staatsminister?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, diese Frage stellt sich deswegen nicht, weil es sich hier um einen Reaktortyp handelt, der nicht mit angereichertem Uran gefahren wird. Allein dieser Reaktortyp wird zur Zeit in Argentinien gebaut.
Herr Kollege Catenhusen zu einer Zusatzfrage.
Sieht die Bundesregierung, auch angesichts der Aussagen argentinischer Regierungssprecher, daß sie die Atomtechnologie eventuell auch zur Herstellung von Sprengsätzen verwenden wollten, die Notwendigkeit, die Mitarbeiter der vom Bund getragenen Kernforschungszentren noch einmal darauf hinzuweisen, daß vor allem eine Beteiligung am Bau der Wiederaufarbeitungsanlage in Argentinien nicht in Frage kommt?Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, zunächst möchte ich feststellen, daß mir die von Ihnen zitierten Aussagen von argentinischen Regierungssprechern nicht bekannt sind. Ich wäre dankbar, wenn Sie mir diese zur Verfügung stellen könnten.
Im übrigen möchte ich auf die von mir bereits gegebenen Antworten hinweisen, aus denen hervorgeht, daß wir nicht am Bau dieser Wiederaufarbeitungsanlage beteiligt sind.
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5848 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Czaja auf:
Wird die Bundesregierung in ihrer Forderung an den NATO-Gipfel, die Entspannungsbestrebungen fortzusetzen, im Einklang mit dem Harmel-Bericht, auf den sie sich beruft, hervorheben, daß im Mittelpunkt jeder wirklichen Entspannung eine gerechte Friedensordnung in Europa stehen muß, die „ohne Lösung der Deutschlandfrage" nicht möglich ist, da so „die grausamste Teilung Deutschlands" (Nummer 8 des Harmel-Berichts) durch die Wiedervereinigung in Freiheit überwunden werden muß (Nummer 11 des Harmel-Berichts)?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. Corterier, Staatsminister: Die Bundesregierung hält in der Tat an dem Konzept der umfassenden Friedenssicherung durch das atlantische Bündnis fest, wie es vor 15 Jahren mit dem Grundkonzept des Harmel-Berichts vereinbart wurde. Indem sie wie in ihrer 14-Punkte-Erklärung nach der Kabinettsitzung am 31. März 1982 darauf hinweist, ruft sie auch die deutschlandpolitische Zielsetzung des Harmel-Berichts in Erinnerung. Die Bundesregierung wird sich auch auf dem Bonner NATO-Gipfeltreffen für Fortsetzung dieser Gesamtstrategie des Bündnisses einsetzen. Sie dient damit ihrem politischen Ziel, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatsminister, da der Harmel-Bericht jahrelang zurückliegt, frage ich: Welche politischen Maßnahmen wurden auf Initiative der Bundesregierung seitens der NATO im Sinne von Ziffer 12 des Harmel-Berichts bisher unternommen, der, wie Sie soeben ausführten, die nach vorn verweisende Aufgabe einer gerechten Ordnung in Europa enthält und der eine Milderung der Folgen der, wie es in Ziffer 8 heißt, grausamsten Teilung in Europa, der Teilung Deutschlands, anstrebt?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, in Ziffer 12 heißt es — ich möchte das zitieren —:
Die Bündnispartner werden laufend politische Maßnahmen prüfen, die darauf gerichtet sind, eine gerechte und dauerhafte Ordnung in Europa zu erreichen, die Teilung Deutschlands zu überwinden und die europäische Sicherheit zu fördern. Dies wird Bestandteil eines Prozesses der aktiven und fortlaufenden Vorbereitung für die Zeit sein, in der eine fruchtbare Erörterung dieser vielschichtigen Fragenkomplexe zwischen Staaten in Ost und West auf bilateraler oder multilateraler Grundlage möglich sein wird.
Ich glaube, daß man feststellen kann, daß das Bündnis diese Ziele, die hier angesprochen sind, im Rahmen seiner Möglichkeiten immer im Auge behalten und gefördert hat. Daß eine endgültige Überwindung der Teilung Deutschlands in der gegenwärtigen politischen Konstellation nicht möglich ist,
wissen Sie genausogut wie ich. Wir können in der gegenwärtigen Lage nur alles daransetzen, um zu versuchen, die Folgen der Teilung zu mildern und möglichst viel für die Verbindung zwischen den Deutschen auf beiden Seiten zu tun.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatsminister, nachdem nicht klar geantwortet wurde, welche konkreten politischen Maßnahmen bisher unternommen wurden, frage ich: Beabsichtigt die Bundesregierung, diesbezüglich realistische Maßnahmen beim Bonner NATO-Gipfel zur Sprache zu bringen?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich glaube oder ich befürchte, daß der Begriff realistischer Maßnahmen von uns nicht einheitlich beurteilt wird.
Ich glaube, daß die gesamte Politik der Bundesregierung darauf ausgerichtet ist, das, was im Augenblick getan werden kann, um den Menschen auf beiden Seiten zu helfen, auch zu tun. Darauf wird sie auch beim Gipfel ihre Aufmerksamkeit richten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hupka.
Herr Staatsminister, wie ist Ihre Antwort zu verstehen, die Sie soeben gegeben haben, daß die Bundesregierung die Deutschland betreffenden Passagen des Harmel-Berichts in Erinnerung rufen wird?
Dr. Corterier, Staatsminister: Wir möchten am Harmel-Bericht in allen seinen Teilen festhalten, weil wir ihn für eine bis heute gültige und unverzichtbare Grundlage unserer Politik halten. Wir sind allerdings der Meinung, daß der Harmel-Bericht in einigen Bereichen, die zeitbedingt — er stammt vom Dezember 1967 — damals noch nicht so gewürdigt worden sind, wie es in der heutigen Lage erforderlich ist, ergänzt und fortgeschrieben werden sollte. Ich rechne dazu vor allem den Bereich der Rüstungskontrolle — um nur dieses eine Beispiel zu nennen.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.Ich rufe die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:Trifft es zu, daß das US-Außenministerium Gespräche — auch mit der Bundesrepublik Deutschland — darüber führt, daß zwischen den USA und ihren Verbündeten ein „neuer Mechanismus" für eine gemeinsame Kreditvergabepolitik im Osthandel geschaffen wird ?Bitte.Dr. Corterier, Staatsminister: Die Kreditbeziehungen zu den Ländern Osteuropas sind seit Jahren Gegenstand eines regelmäßigen Informationsaustausches zwischen der Bundesrepublik Deutschland und ihren westlichen Verbündeten sowohl in multilateralem Rahmen als auch in bilateralen Konsulta-
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Staatsminister Dr. Corteriertionen. Diese Gespräche haben sich in den letzten Monaten intensiviert. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, wie der bereits bestehende Informationsaustausch verbessert werden kann. Die Bundesregierung ist bereit, sich an weiteren multilateralen Gesprächen über dieses Thema aktiv zu beteiligen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, da in dieser Meldung — auch des Info-Funks der Bundesregierung und der französischen Presseagentur AFP — von einem „neuen Mechanismus" die Rede ist, frage ich Sie, ob sich die Gespräche auch auf die verlustreichen staatlichen Hermes-Bürgschaften für Ostkredite beziehen, ohne die ja deutsche Bank-und Exportkredite an Ostblockländer unmöglich wären.
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, in diesen Gesprächen wird der Gesamtkomplex unserer Handelsbeziehungen erörtert. Die Bundesregierung vergibt bekanntlich keine Staatskredite an die Sowjetunion. Die Entscheidungen über Bürgschaften für kommerzielle Kredite im Rahmen des staatlichen Ausfuhrgewährleistungssystems, also der sogenannten Hermes-Bürgschaften, werden unter wirtschaftlichen und, vorrangig, risikopolitischen Gesichtspunkten getroffen. Hierbei spielt die Einschätzung der Wirtschafts- und Transferkraft der Sowjetunion eine besondere Rolle. Sollte sich unter diesen Gesichtspunkten die Frage einer Beschränkung der Bürgschaften stellen, so wird die Bundesregierung sie in Abstimmung mit ihren westlichen Partnern prüfen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Czaja.
Herr Staatsminister, da nach den Feststellungen des amerikanischen Botschafters Burns die von Ihnen bestätigten Gespräche sich auch auf die politischen Konsequenzen beziehen, frage ich Sie, ob sich in diesen Gesprächen eine Annäherung der Standpunkte der USA und der Bundesrepublik abzeichnet und ob es eine westliche Koordinierung über Zwecke und Konditionen solcher Kredite sowie die Gegenleistungen des Ostblocks im Bereich wirklicher Entspannung geben wird?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, ich hatte Ihnen bereits gesagt, daß wir in einem intensiven Meinungsaustausch mit unseren Verbündeten stehen und daß sich dieser Meinungsaustausch sowohl im multilateralen Rahmen wie auch in bilateralen Konsultationen vollzieht. Es ist jetzt noch zu früh, um eine Prognose über die Ergebnisse dieses Meinungsaustausches in der Öffentlichkeit auszusprechen. Das sind — wie Sie mir sicher zugestehen werden — sehr sensitive Gespräche, die im Moment noch vertraulich geführt werden. Ich hoffe, daß zu gegebener Zeit Gelegenheit sein wird, im Auswärtigen Ausschuß über Einzelheiten zu sprechen.
Herr Kollege Hupka, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, daß bis zum Augenblick die Notwendigkeit, Hermes-Bürgschaften bei Krediten für Osteuropa zu beschränken, nicht gegeben ist?
Dr. Corterier, Staatsminister: Wir sehen bis zum Augenblick keine solche Notwendigkeit.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.Ich rufe Frage 43 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka auf:Kann die Bundesregierung die Nachricht bestätigen, daß die Wirtschaftsreferentenstelle an der Botschaft in Korea gestrichen worden ist und daß gleichzeitig die Botschaften der USA über 40 und Großbritanniens über 20 Wirtschaftsexperten verfügen, und gedenkt die Bundesregierung die Bedeutung der Wirtschaft Koreas als eines Schwellenlands für die deutsche Wirtschaft in ihre Überlegungen einzubeziehen?Dr. Corterier, Staatsminister: Es trifft nicht zu, daß die Wirtschaftsreferentenstelle an der Botschaft in Korea gestrichen worden ist. Das Auswärtige Amt ist seit Jahren bestrebt, bei kleineren und mittleren Botschaften den Ständigen Vertreter des Botschafters zum Leiter des Wirtschaftsdienstes zu bestellen. Dies soll gewährleisten, daß der Wirtschaftsbereich von einem Beamten wahrgenommen wird, der dem Rang und seiner Berufserfahrung nach diesem wichtigen Aufgabenbereich voll gewachsen ist und der die Interessen der deutschen Wirtschaft auf entsprechender Ebene mit Nachdruck im Gastland vertreten kann. Aus diesem Grunde wurde nach einer Inspektion im Jahre 1976 der Ständige Vertreter an der Botschaft Seoul zum Leiter des Wirtschaftsdienstes bestellt. Die Botschaft wurde daraufhin um eine Stelle des gehobenen Dienstes verstärkt und eine Referentenstelle abgezogen. Der Wirtschaftsdienst an der Vertretung wurde durch diese Maßnahmen aufgewertet.1981 hat dann der Chefinspekteur des Auswärtigen Amts nach einer weiteren Inspektion empfohlen, die Botschaft um eine vierte Stelle des höheren Dienstes aufzustocken. Im Juli 1982 wird dementsprechend ein weiterer höherer Beamter seinen Dienst an der Botschaft Seoul antreten. Die Vertretung wird damit verstärkt in der Lage sein, alle anfallenden Aufgaben, auch auf dem Gebiet der Wirtschaft, wahrzunehmen. Nach Auffassung des Inspekteurs wäre mit dieser Personalausstattung eine Ausweitung der Tätigkeit möglich. Eine darüber hinausgehende Verstärkung des Stellenplans der Bot-schaf Seoul ist dem Auswärtigen Amt aus Haushaltsgründen derzeit nicht möglich.Nach der letzten dem Auswärtigen Amt vorliegenden Liste, und zwar vom 20.6. 1981, haben in Seoul die USA 63 und Großbritannien 19 Bedienstete zur Diplomatenliste angemeldet. Eine Aufschlüsselung in „Wirtschaftsexperten" und andere Bedienstete, die sich anderen Aufgaben widmen, ist dem Auswärtigen Amt leider nicht möglich. Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß von den 63 Bediensteten der USA über 40 mit Wirtschaftsfragen befaßt sind. Da Groß-
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Staatsminister Dr. Corterierbritannien nur 19 Bedienstete zur Liste angemeldet hat, scheint es ausgeschlossen, daß über 20 Wirtschaftsexperten an der Botschaft tätig sind.
Abschließend wird darauf hingewiesen, daß in Seoul im letzten Jahr eine koreanisch-deutsche Handelskammer eröffnet wurde, die die Erteilung wirtschaftlicher Auskünfte übernommen hat. Ich bin daher der Auffassung, daß die wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland in Korea ausreichend wahrgenommen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hupka.
Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden, daß der Stellvertreter des Botschafters auch die Stelle des Wirtschaftsreferenten einnimmt, aber ein Wirtschaftsreferent selber an unserer Botschaft mit diesem ausschließlichen Auftrag, sich um die Wirtschaft zu kümmern, nicht vorhanden ist?
Dr. Corterier, Staatsminister: Das sehen Sie richtig. Sie müssen bitte berücksichtigen, daß das in Seoul keine allzugroße Botschaft ist. Ich glaube, daß es von daher tatsächlich eine günstige Lösung ist, daß der ständige Vertreter des Botschafters, der in dieser Botschaft eine herausgehobene Position hat, sich den Wirtschaftsfragen widmet. Wenn jetzt ein weiterer Beamter des höheren Dienstes an die Botschaft entsandt wird, dann wird das zu einer Entlastung des Botschafters und seines ständigen Vertreters führen. Das heißt, der ständige Vertreter wird dann sicherlich noch mehr Möglichkeiten haben, sich der Aufgabe, sich der Vertretung unserer wirtschaftlichen Interessen zu widmen, anzunehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie einen Zusammenhang vielleicht darin sehen, daß die Amerikaner und übrigens auch die Franzosen bei einigen entscheidenden Wirtschaftsprojekten den Zuschlag bekommen haben, weil eben diese Botschaften besser besetzt sind als die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland?
Dr. Corterier, Staatsminister: Ich sehe keinen solchen Zusammenhang.
Ich glaube, daß durch die Antwort, die ich Ihnen schon gegeben habe, auch deutlich geworden ist, daß die Zahlen, die Ihnen über die Wirtschaftsexperten an den beiden genannten Botschaften zur Verfügung standen, so wohl auch nicht stimmen können.
Im übrigen muß noch einmal darauf hingewiesen werden — wir haben uns darüber schon öfters im Auswärtigen Ausschuß, aber auch hier in Fragestunden unterhalten —, daß die Bundesrepublik Deutschland, was die Vertretung ihrer wirtschaftlichen Interessen im Ausland angeht, eine besondere, spezifische Organisation hat. Dazu gehören in allererster Linie eben auch die Handelskammern. Und
ich habe darauf hingewiesen, daß wir gerade in Korea seit dem letzten Jahr eine solche koreanisch-deutsche Handelskammer haben, die natürlich ihre Aufgabe in allererster Linie in der Vertretung unserer wirtschaftlichen Interessen sieht.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Duve.
Herr Staatsminister, können Sie mir bestätigen, daß es zur Ausbildung aller deutschen Diplomaten gehört, sich in Wirtschaftsfragen so sachkundig zu machen, wie die Angehörigen des deutschen Volkes ja wirtschaftlich ohnehin sachkundig sind, und daß es möglicherweise auf Unterschiede in der nationalen Nähe zu Wirtschaftsfragen schließen läßt, wenn der Herr Abgeordnete Hupka hier auf die zahlenmäßige Besetzung des Wirtschaftsteils der englischen, der amerikanischen und der deutschen Botschaft so abhebt?
Dr. Corterier, Staatsminister: Also ich kann nur feststellen, Herr Abgeordneter, daß bei der Ausbildung, die wir unseren Beamten im Auswärtigen Amt angedeihen lassen, die Wirtschaft und alle damit zusammenhängenden Fragen einen ganz hervorragenden Platz einnehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Hupka auf:
Wie erklärt es die Bundesregierung, daß die Sowjetunion seit dem letzten Besuch von Generalsekretär Breschnew in Bonn und nach Abschluß des deutsch-sowjetischen ErdgasRöhren-Geschäfts immer weniger Deutschen die Ausreiseerlaubnis erteilt, weshalb im ersten Quartal 1982 ein Drittel weniger Aussiedler zu uns kamen als in dem ohnehin sehr schlechten Jahr 1981 und 400 Prozent weniger als 1976, und was gedenkt sie zu tun?
Dr. Corterier, Staatsminister: Zwischen dem Arbeitsbesuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Breschnew und heute ist die — erhoffte — Trendwende nicht sichtbar geworden. In Erfüllung meiner Zusage vom 4. März 1982, daß wir die sowjetische Regierung drängen werden, zu einer großzügigeren Ausreisepraxis zurückzukehren, wurde unser Botschafter beauftragt, die Angelegenheit unter Hinweis auf die sowjetische Wohlwollenserklärung vom November 1981 mit großem Ernst und Nachdruck auf hoher Ebene in Moskau anzusprechen. Eine Erklärung für die sowjetische Haltung in der Ausreisefrage kann, wie schon meine Kollegin Hamm-Brücher am 11. November 1981 hier erklärte, darin gesehen werden, daß die sowjetische Regierung die Bedeutung der Frage für die bilateralen Beziehungen und den Entspannungsprozeß trotz mehrseitiger und eindeutiger Ansprache auch im November 1981 immer noch nicht richtig einschätzt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hupka.
Herr Staatsminister, können Sie auf Grund Ihrer Informationen oder auf Grund des Gesprächs, das unser Botschafter in Mos-
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Dr. Hupkakau geführt hat, zumindest ankündigen, daß sich hier eine Besserung der Ausreisemöglichkeiten für die Deutschen in der Sowjetunion ergeben könnte?Dr. Corterier, Staatsminister: Das Gespräch hat noch nicht stattgefunden, Herr Abgeordneter. Ich hoffe, daß es in allernächster Zeit stattfinden kann.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Hupka.
Welches mögen die Gründe für die Sowjetunion sein, daß sie in den letzten fünf Jahren die Zahl derer, die die Ausreisegenehmigung bekommen, ständig drosselt, so daß die Zahl, die im Jahre 1976 im Durchschnitt pro Monat erreicht worden ist — 800 —, heute, d. h. für das erste Quartal des Jahres 1982, auf 200 im Monatsdurchschnitt gesunken ist?
Dr. Corterier, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Gründe für dieses Verhalten der Sowjetunion sind mir nicht bekannt.
Zu einer Anschlußfrage Herr Kollege Klejdzinski.
Herr Staatsminister, ist es auch denkbar, daß die Anzahl der Ausreiseerlaubnisse von der Zahl der gestellten Anträge abhängig ist, und ist es deswegen nicht auch denkbar, daß die Tendenz, die in der Frage des Herrn Hupka liegt, insofern eine Irreführung darstellt, als er von Prozentzahlen spricht, ohne gleichzeitig die Bezugsgröße angeben zu können?
Dr. Corterier, Staatsminister: Natürlich ist hier ein Zusammenhang gegeben, aber wir müssen feststellen, daß es eine große Zahl von Ausreiseanträgen gibt. Die Betroffenen und ihre Verwandten in der Bundesrepublik wenden sich j a an uns; sie wenden sich auch an viele Kollegen im Hause, so daß wir alle mit diesen Vorgängen wohl ganz gut vertraut sind. Die Zahlen sind leider in ganz außerordentlichem Maße zurückgegangen, so daß sie sicherlich in keinem angemessenen Verhältnis zur Zahl der gestellten Anträge stehen.
Zu einer Anschlußfrage Herr Kollege Czaja.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß nach den Meldungen des Deutschen Roten Kreuzes über 100 000 unerledigte Ausreiseanträge von Deutschen aus der Sowjetunion vorliegen und daher das Verhältnis zu 200 Ausreisegenehmigungen im Monat außerordentlich niederdrückend ist?
Dr. Corterier, Staatsminister: Diese Frage unterstreicht das, was ich eben bereits ausgeführt hatte, Herr Abgeordneter.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Die Frage 56 des Abgeordneten Dr. Hennig wird auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Die Fragen 57 und 58 des Abgeordneten Conradi sind vom Fragesteller zurückgezogen worden. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz erledigt.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung begrüße ich Herrn Parlamentarischer Staatssekretär Haehser.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Feile auf:
Ist der Bundesregierung die immer wieder zu hörende Kritik an einzelnen Lohnsteuerhilfevereinen und hier insbesondere der Vorwurf bekannt, daß durch höhere Gebühren und Zwischenfinanzierungszinsen vor allem ausländische Arbeitnehmer beim Lohnsteuerausgleich über einen solchen Verein erheblich übervorteilt werden, und sieht die Bundesregierung in dem Vorschlag, die Übertragung von Steuererstattungsansprüchen generell zu untersagen, einen geeigneten Weg, um die erkennbaren Mißbräuche abzustellen?
Herr Kollege Feile, der Bundesregierung ist die Kritik bekannt, die an der Verhaltensweise einzelner Lohnsteuerhilfevereine geübt wird. Das Bundesministerium der Finanzen hat über die obersten Finanzbehörden der Länder, die Oberfinanzdirektionen, die die Aufsicht über die Lohnsteuerhilfevereine führen, gebeten, zu behaupteten Mißbräuchen im Zusammenhang mit der Vorfinanzierung von Lohnsteuererstattungsansprüchen Stellung zu nehmen. An Hand der eingegangenen Berichte wird zur Zeit im Bundesministerium der Finanzen geprüft, ob gesetzgeberische Maßnahmen zur Unterbindung von Mißbräuchen notwendig sind.Der Vorwurf, daß vor allem ausländische Arbeitnehmer durch höhere Gebühren und Vorfinanzierungszinsen übervorteilt werden, kann allerdings nicht gegen die Lohnsteuerhilfevereine gerichtet werden, denn die Vorfinanzierung von Steuererstattungsansprüchen ist diesen Vereinen untersagt. In der Regel wird das Geschäft der Vorfinanzierung von Steuererstattungsansprüchen von Kreditinstituten betrieben.Zur Preisbildung im Bankenbereich will ich Ihnen sagen, daß diese staatlich nicht reglementiert ist. Die Bundesregierung hat daher weder einen Überblick über die Kostengestaltung bei Krediten zur Vorfinanzierung von Lohnsteuererstattungsansprüchen noch kann sie beurteilen, ob und inwieweit die Kostenberechnungen in diesem Bereich betriebswirtschaftlich gerechtfertigt oder möglicherweise im Verhältnis zur erbrachten Leistung überhöht sind.Um Mißstände auf dem Gebiet der Vorfinanzierung von Erstattungsansprüchen aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich zu unterbinden, ist der geschäftsmäßige Erwerb von Erstattungsansprüchen
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5852 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Parl. Staatssekretär Haehserzum Zwecke der Einziehung oder sonstigen Verwertung auf eigene Rechnung gesetzlich durch die Abgabenordnung verboten. Es ist nur noch Kreditinstituten erlaubt, Steuererstattungsansprüche geschäftsmäßig zu erwerben, und zwar nur zu Sicherungszwecken.Damit, Herr Kollege Feile, sind gesetzliche Handhaben geschaffen worden, um den sogenannten Lohnsteuerkartenhandel und andere Formen der Blankoabtretung von Erstattungsansprüchen zu unterbinden. Die Arbeitnehmer, insbesondere auch ausländische Arbeitnehmer, werden weitgehend davor geschützt, ihre Ansprüche aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich unüberlegt, zu unangemessenen Bedingungen oder an unseriöse Kreditgeber abzutreten; denn der amtliche Abtretungsvordruck enthält neben den im Gesetz vorgeschriebenen Angaben zusätzliche warnende Hinweise.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Feile.
Herr Staatssekretär, durch die formularmäßige Bestellung der Lohnsteuerhilfevereine zu Zustellungsbevollmächtigten geht nach der jetzigen Regelung dem eigentlichen Erstattungsberechtigten kein Steuerbescheid zu. Er erhält also keine Kenntnis von der wirklichen Zahlung, die das Finanzamt an ihn leistet. Sehen Sie vor diesem Hintergrund in dem Vorschlag, auch in diesen Fällen in Zukunft einen Erstattungsbescheid zuzustellen, nicht die Möglichkeit, einem etwaigen Mißbrauch vorzubeugen und andererseits — ich möchte das ausdrücklich betonen — denjenigen Lohnsteuerhilfevereinen, die ihre Arbeit sachlich richtig und zur Zufriedenheit machen, zu helfen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Feile, die Tatsache, daß demjenigen, der Geld zu kriegen hat — sagen wir es mal so in einfachen Worten —, der Bescheid, daß er etwas zu kriegen hat, nicht zugeht, bedeutet natürlich nicht, daß ihm dieser Bescheid nicht zugänglich ist. Ich würde auf jeden Fall darauf Wert legen, mich zu erkundigen, was aus meinem eigenen Bemühen oder aus dem Bemühen derjenigen, die es für mich tun, geworden ist. Vielleicht nutzt man diese Fragestunde, dies auch öffentlich zu erklären, damit die Lohnsteuerpflichtigen wissen, welche Rechte und welche Möglichkeiten sie haben.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Feile.
Herr Staatssekretär, nach den gesetzlichen Vorschriften sollen die Lohnsteuerhilfevereine Selbsthilfeeinrichtungen von Arbeitnehmern sein. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund den Vorschlag, künftig nur noch solche Lohnsteuerhilfevereine zuzulassen, die in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht eng z. B. mit Gewerkschaften oder auch mit der kirchlichen Dienststelle zur Betreuung ausländischer Arbeitnehmer verbunden sind?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Der Vorschlag, Herr Kollege Feile, liegt uns in einer gedruckten oder sonstwie gearteten Form nicht vor; aber in der Tendenz beurteilt die Bundesregierung diesen Vorschlag natürlich positiv. Im Grunde genommen dürfen nur seriöse Einrichtungen diese Tätigkeit ausüben, von der wir jetzt gerade sprechen.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Gansel.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, die Anregung des Kollegen Feile noch einmal zu überprüfen, den Bescheid dem Vertreter und dem Vertretenden zuzusenden, da es bereits eine vergleichbare Regelung im Verfahrensrecht des Sozialgesetzbuches gibt und sich als sinnvoll erwiesen hat?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich sage Ihnen diese Überprüfung zu, Herr Kollege Gansel.
Keine weiteren Zusatzfragen? —Ich rufe dann die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Ergebnisse einer ökonometrischen Simulationsstudie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung Essen, wonach die „Operation '82" nicht nur, wie beabsichtigt, den Haushalt im Jahr 1983 um 23 Milliarden DM entlasten, sondern im selben Jahr als unwillkommenen Effekt das Steueraufkommen um rund 7,67 Milliarden DM, das Wachstum des realen Bruttosozialprodukts um 1 v. H., den privaten Verbrauch um 2,2 v. H., die realen Bruttoinvestitionen um 1,4 v. H., die Zahl der Erwerbstätigen um 140 000 oder 0,6 v. H. sowie die Gewinne aus Unternehmertätigkeit um 1 v. H., absenken werde und die konjunkturdämpfende Wirkung der „Operation '82" erst wieder durch das beabsichtigte Beschäftigungsprogramm ausgeglichen werden könne?Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schöfberger, das Rheinisch-Westfälische Institut hat versucht, mit Hilfe seines Konjunkturmodells die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen der sogenannten „Operation '82" und der Gemeinschaftsinitiative nachzuvollziehen und zu errechnen. Dabei handelt es sich also um eine an der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage orientierte Kreislaufberechnung.Andere Wirkungszusammenhänge konnten deshalb nicht berücksichtigt werden. Dies gilt insbesondere für die Veränderung der steuerlichen Rahmenbedingungen, für die Auswirkungen der Operation '82 auf das Zinsniveau sowie auf das wirtschaftliche Klima und die Erwartungen von Wirtschaft und Verbrauchern. Gerade aber diesen Zusammenhängen kommt erhebliche Bedeutung zu.Im übrigen muß natürlich auch zwischen den kurz- und mittelfristigen Auswirkungen unterschieden werden. Die Politik der Bundesregierung zur Überwindung von Strukturproblemen, zur Umschichtung des Sozialprodukts und zur Rückführung der öffentlichen Defizite ist mittelfristig angelegt. Es ist nicht auszuschließen, daß — isoliert betrachtet — durch Ausgabekürzungen kurzfristig nachfragedämpfende Wirkungen eintreten können. Sie können indessen nicht beziffert werden. Dem stehen aber z. B. die positiven Folgen der besseren Zinsentwicklung gegenüber. Mittelfristig überwiegen also
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5853
Parl. Staatssekretär Haehsernach unserer Ansicht die positiven Auswirkungen der sogenannten Operation '82.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schöfberger.
Nachdem sich das genannte Institut über die verteilungspolitischen Wirkungen der Operation '82 nicht geäußert hat, frage ich: Können Sie, Herr Staatssekretär, bestätigen, daß wenigstens die mit der Operation '82 geschaffenen Vermögensverzerrungen zu Lasten der Transfer-Einkommensbezieher mit eigenem kleinen Einkommen und zugunsten der wohlbestalteren Investoren ungeschmälert erhalten bleiben?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen das so nicht bestätigen, Herr Kollege. Ich will nur eines sagen: Die bekundete Auffassung der Bundesregierung, die Kredite zu begrenzen, die bekundete und praktizierte Auffassung der Bundesregierung, Solidität und Sparsamkeit zu üben, wird insgesamt eine positive Wirkung haben. Ich glaube, Sie haben in Ihrer Fragestellung mehr nach den grundsätzlichen Wirkungen gefragt.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Schöfberger.
Nachdem das Parlament bei solchen Gesetzen von der Bundesregierung immer eine Prognose hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen eines solchen Gesetzes, hinsichtlich der unmittelbaren Haushaltseinsparungen bekommt, frage ich, ob es in Zukunft bei ähnlichen Gesetzes-materien möglich sein könnte, dem Bundestag eine globale Übersicht im Sinne einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung bezüglich aller, auch der sekundären Auswirkungen solcher Operationen zur Verfügung zu stellen, damit das Parlament nicht nur die günstigen Auswirkungen, etwa die Haushaltseinsparungen, kennt, sondern auch alle unabwendbaren, aber sicher zunächst nicht beabsichtigten Folgewirkungen solcher Operationen.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schöfberger, ich denke, ich sollte Ihrer Fragestellung nicht die Anregung entnehmen, daß wir neben den Vorblättern, die wir den Gesetzentwürfen voranstellen, nun noch umfangreiche lyrische Werke beifügen sollten.
Die Debatten, die um die jeweiligen Gesetze geführt werden, bringen doch alles das zum Vorschein, was Sie erörtert wissen wollen. Ich erinnere mich gut, daß im Zusammenhang mit der Operation '82 — die ich deswegen „sogenannte" genannt habe, weil sie nie amtlich so genannt worden ist — die Debatten im Haushaltsausschuß, die ich zum Teil selber mitverfolgt habe, alles das aufkommen ließen, was auch in Ihrer Fragestellung aufgekommen ist.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 61 des Abgeordneten Dr. Schöfberger auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die durch Anwendung des „Bauherrnmodells" verursachten Steuermindereinnahmen, und welchen Einkommens- und Vermögensschichten der Bevölkerung sind diese Steuernachlässe vorwiegend zugute gekommen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schöfberger, amtliche statistische Unterlagen über die Anwendung des Bauherrenmodells liegen nicht vor. Vertretbare Steuerausfallberechnungen über Bauherrenmodelle lassen sich deshalb nicht durchführen: weil die Grundlagen dafür fehlen. In solche Berechnungen müßten im übrigen auch die Mehreinnahmen bei der Umsatz-, Lohn- und Einkommensteuer einbezogen werden, die sich in Verbindung mit dem Bauherrenmodell aus der erhöhten Bautätigkeit ergeben. Derartige Berechnungen über Sekundärwirkungen sind jedoch sehr schwierig.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage bemerke ich, daß der größte Teil der Subventionen von Steuerpflichtigen mit hohem Einkommen und Vermögen in Anspruch genommen wird.
Herr Schöfberger, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie den Zustand, den Sie geschildert haben, nämlich die Unmöglichkeit, die fiskalische Auswirkung festzustellen, auch künftig noch für verantwortbar, wenn man davon ausgeht, daß in der Praxis im Einzelfall von den höheren Einkommensgruppen, wie Sie gesagt haben, Millionen auf Kosten des Fiskus auf die Seite gebracht werden, und meinen Sie nicht auch, daß der verantwortliche Gesetzgeber und die verantwortliche Bundesregierung jedenfalls die verteilungspolitischen Auswirkungen solcher Modelle kennen sollten, bevor sie über deren Perpetuierung entscheiden?Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich möchte zunächst, Herr Kollege Schöfberger, ohne irgendeine Schärfe in die Fragestunde bringen zu wollen, sagen, daß das Wort „auf die Seite bringen" hier nicht angebracht erscheint. Das Bauherrenmodell ist eine legitime Form, zum Bauen in der Bundesrepublik Deutschland durch Steuervergünstigungen beizutragen. Man kann sehr unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob das die allerbeste Form ist. Solcher Kritik und solchen Überlegungen gegenüber wäre ich durchaus aufgeschlossen. Aber „auf die Seite bringen" ist, so scheint mir, kein guter Ausdruck.Nun erfährt die Bundesregierung, weil das nicht gefordert wird, natürlich nicht von jedem per Bauherrenmodell errichteten Gebäude oder Gebäudekomplex. Die Baugenehmigungen werden j a auch, wie Sie wissen, nicht von der Bundesregierung erteilt. Gleichwohl bin auch ich der Meinung, daß es angebracht wäre, bessere Daten über die Steuermindereinnahmen, die infolge des Bauherrenmodells anfallen, zur Hand zu haben; um diese werden wir uns bemühen.
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Wünschen Sie das Wort zu einer zweiten Zusatzfrage, Herr Schöfberger? Bitte sehr.
Kann die Bundesregierung bereits jetzt sagen, daß sie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, das ja auch mit der Zählung von Obstbäumen und Schädlingen beschäftigt ist, beauftragen wird, derartige statistische Grundlagen, die ich als Voraussetzung für eine seriöse verteilungspolitische Arbeit des Parlaments betrachte, alsbald zu schaffen, damit wir auf dieser Grundlage weiterarbeiten können?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es liegen Angaben eines Informationsdienstes vor: Kapitalanlage-Informationszentrum GmbH in Oberursel. Wir prüfen, wie tragfähig diese Angaben sind. Sollten sie sich als tragfähig erweisen, könnte es sein, daß sie uns reichen. Sollten sie nicht genügend tragfähig sein, werden wir überlegen, welche Daten wir woher bekommen, die tragfähiger sind. Das könnte durch das Statistische Bundesamt geschehen.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Conradi.
Herr Staatssekretär, können Sie in diesem Zusammenhang ein Zitat des früheren Bundesfinanzministers Hans Matthöfer bestätigen, daß in der Klassengesellschaft auch die Statistik Klassenstatistik ist?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Wenn der Herr Kollege Matthöfer das gesagt haben sollte, könnte ich es bestätigen.
Herr Kollege Gansel zu einer Anschlußfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung in der Lage und bereit, sich durch eine Musterrechnung Klarheit über die verteilungspolitische Wirkung des Bauherrenmodells zu verschaffen, indem sie gegenüberstellt, in welchem Maße ein Facharbeiter Steuerermäßigungen nach dem Bauherrenmodell in Anspruch nehmen kann und in welchem Umfang dies — bei durchschnittlichem Einkommen — z. B. ein Abgeordneter, ein Minister, ein Rechtsanwalt oder ein Zahnarzt könnte?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Gansel, ich weiß natürlich, was in Ihrer Frage steckt, und ich kann das auch alles gut verstehen. Aber man darf nicht den Gedanken ganz untergehen lassen, der mit dem Bauherrenmodell verbunden ist. Dieser Gedanke dreht sich um die Förderung und Verstetigung des Baugeschehens. Es ist eine Binsenwahrheit, daß diejenigen Leute, die Geld haben, mehr zum Bauen beitragen können als diejenigen, die weniger Geld haben. Das brauche ich Ihnen nicht zu sagen; das bestätige ich Ihnen allenfalls. Ich habe über
die Bemerkungen hinaus, die ich gemacht habe, daß wir uns um gute Unterlagen bemühen wollen, nichts hinzuzufügen.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Clemens.
Herr Staatssekretär, es wurde soeben schon ein Zitat unseres früheren Finanzministers Matthöfer betreffend Klassengesellschaft und Klassenstatistik erwähnt. Darf ich Sie fragen, wo Sie, wenn das so geschehen sein sollte, dann z. B. die Gewerkschaftsführer, die Angehörigen der „Neuen Heimat" einrangieren würden?
Herr Kollege, ich weiß nicht, ob der Herr Parlamentarische Staatssekretär diese Frage beantworten will. Schon die Frage des Herrn Kollegen Gansel war meiner Auffassung nach nicht mehr im Sachzusammenhang mit der Frage 61 zu sehen. — Aber bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident und Herr Kollege Clemens, ich sehe nicht den direkten Zusammenhang zu der eingebrachten Frage, aber ich vermute, daß so, wie einige Herren der Neuen Heimat von Bauherrenmodellen Gebrauch gemacht haben, auch Kollegen aus der CDU/CSU-Fraktion und andere aus dem Hohen Hause davon Gebrauch gemacht haben, was auch legitim ist, wie ich vorhin auf eine Frage habe antworten dürfen.
Herr Kollege Duve zu einer weiteren Frage. — Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, einmal durchrechnen zu lassen, wie viele Wohnungen im sozialen Wohnungsbau mit dem Geld gebaut werden könnten, das zusätzlich zur Verfügung stünde, wenn man auf das Bauherrenmodell verzichten würde?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen, Ihren Kollegen und dem Hohen Hause gesagt, daß sich die Bundesregierung gutes, tragfähiges Material über die Wirkungen des Bauherrenmodells beschaffen will. Nur bitte ich eines zu 'bedenken: Es gibt nicht nur einen Weg, den Wohnungsbau in Bundeszuständigkeit zu fördern — vor allen Dingen nicht den von Ihnen beschriebenen — sondern es gibt mehrere Wege. Einer davon ist das Bauherrenmodell und wird es vermutlich auch bleiben, zumal wir es korrigiert haben, Herr Kollege Duve; das dürfen Sie nicht vergessen. Wir haben ja die Umsatzsteueroption beim Bauherrenmodell durch das Zweite Haushaltsstrukturgesetz abgeschafft und damit die Attraktivität dieses Bauherrenmodells ein wenig gemindert, manche meinen: deutlich gemindert.
Das Wort zu weiteren Anschlußfragen wird nicht gewünscht.Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Steger und die Fragen 63 und 64 der Frau Abgeordneten Dr.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5855
Vizepräsident Dr. h. c. LeberLepsius sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Dem wird entsprochen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe Frage 65 des Herrn Abgeordneten Clemens auf:Wie will die Bundesregierung trotz pauschaler Stellenkürzungen die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgaben der Bundeszollverwaltung gewährleisten, wenn von den in der Bundesfinanzverwaltung beschäftigten Beamten, Angestellten und Arbeitern allein 36 806 Mitarbeiter bei der Bundeszollverwaltung und nur 8 285 Mitarbeiter bei sämtlichen anderen Dienststellen beschäftigt werden?Haehser, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Clemens, Ihre Zahlenangaben enthalten auch Behörden und Dienststellen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen, die nicht zur Bundesfinanzverwaltung im engeren Sinne gehören.Es trifft aber zu, daß von den bei Kapitel 0804 insgesamt für die Bundesfinanzverwaltung veranschlagten 36 429 Stellen auf die Bundeszollverwaltung 32 551 Stellen — das sind fast 90 % — entfallen. Entsprechend diesem Anteil sind die vom Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages bei Kapitel 0804 beschlossenen 369 Stelleneinsparungen auf die Dienstzweige Zollverwaltung und Bundesvermögensverwaltung aufgeschlüsselt worden.Diese Stelleneinsparungen werden die Zollverwaltung vor erhebliche Probleme stellen. Um negative Auswirkungen zu vermeiden und um die Erfüllung wichtiger Aufgaben weiterhin sicherzustellen, bleibt nichts anderes übrig, als Prioritäten zu setzen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Clemens.
Vorausgeschickt, daß dies meine siebente Frage zu diesem Komplex ist und Sie nun auch heute wiederum bestätigen, daß Sie Prioritäten setzen wollen, möchte ich Sie nunmehr konkret fragen, wo Sie denn bei den Stelleneinsparungen konkret Prioritäten setzen wollen, wenn, wie Sie eben selber gesagt haben, die Betreffenden zu fast 90 % in der Bundeszollverwaltung beschäftigt werden.
Haehser, Parl. Staatssekretär: Ich möchte hier zunächst einmal ganz deutlich machen, daß ich es eigentlich nicht hinnehmen könnte, wenn in Ihrer Fragestellung Vorwürfe gegen die Bundesregierung laut würden. Denn die Stelleneinsparungen sind nicht von der Bundesregierung, sondern vom Deutschen Bundestag einvernehmlich mit der Bundesregierung beschlossen worden.
Man kann auch nicht dauernd sagen, der Staatsanteil müsse zurückgehen, wenn man z. B. die Stellenzahl gleichzeitig wachsen lassen will. Diese beiden Forderungen würden nicht miteinander harmonieren. Also haben wir die Stelleneinsparungen hinzunehmen, wie sie die Bundesregierung wollte und wie sie das Hohe Haus beschlossen hat.
Nun geht es weniger darum, Prioritäten zu setzen, wo wir einsparen, als Prioritäten dafür zu setzen, wofür der Zoll seine Arbeitskraft hergeben soll. Da nenne ich Ihnen eine Priorität, um ein Beispiel zu nennen: die Rauschgiftbekämpfung.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Clemens.
Ich darf vorweg feststellen, daß es mir nicht um Vorwürfe, sondern um eine Klärung geht. Mir geht es darum, hier festzustellen, ob die Bundeszollverwaltung in Zukunft — —
Herr Kollege Clemens, Sie können hier keine Feststellungen treffen, sondern Sie sollen nach der Geschäftsordnung kurzgefaßte Fragen stellen.
Trotzdem möchte ich meinen Gedanken vollenden: Mir geht es darum, daß die Bundeszollverwaltung funktionsfähig bleibt. Daran anschließend stelle ich eine Frage. Sie wollen Prioritäten setzen. Sie haben aber in Ihrer bisherigen Antwort gesagt, daß Sie im Vollstreckungsbereich, beim Zollfahndungsdienst und beim Grenzaufsichtsdienst keine Einsparungen vornehmen. Daher noch einmal konkret die Frage: Wo werden denn nun Einsparungen vorgenommen?
Haehser, Parl. Staatssekretär: Es gibt entlang der Grenzen des ganzen Bundesgebiets Bereiche, in denen Verdünnungen möglich sind. Ohne Ihnen hier mit Kreide, Tafel und Zeigestock dienen zu können, bin ich überzeugt, daß Sie wissen, welche Bereiche ich meine.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen erledigt. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft.
Die Fragen 66 und 67 des Abgeordneten Menzel werden auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Fragen 68 und 69 des Abgeordneten Schlaga werden ebenfalls auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen beigefügt.
Ich rufe die Frage 70 des Abgeordneten Meininghaus auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Preisentwicklung auf dem Markt für Heizenergiemeßgeräte, und haben sich Befürchtungen des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau über die Auswirkungen des Gesetzes zur verbrauchsabhängigen Heizkostenabrechnung bestätigt, daß nämlich Energiemeßgeräte wegen der Einbauverpflichtung erheblich teurer geworden sind?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär, zur Beantwortung.
Die Preisentwicklung auf dem Markt für Heizenergiemeßgeräte läßt sich durch den Vergleich folgender Quellen beurteilen. In dem vom Lehrstuhl für Unternehmensforschung an der Rheinisch-Westfälischen Technischen. Hochschule Aa-
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5856 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Parl. Staatssekretär Grünerchen vorgelegten Gutachten über wirtschaftliche und technische Möglichkeiten der Energieeinsparung durch Einführung einer umfassenden verbrauchsabhängigen Heizkostenabrechnung sind als Durchschnittskosten für die Ausstattung einer Wohnung mit Wärmezählern 514 DM, mit Heizkostenverteilern nach dem Verdunstungsprinzip 78 DM und 400 DM mit elektronischen Heizkostenverteilern zugrunde gelegt worden. Die Gerätepreise gelten für das Jahr 1980 und für eine Durchschnittswohnung mit 80 qm Wohnfläche und sechs Heizkörpern.Die Stiftung Warentest hat im Märzheft dieses Jahres für die Kosten der Ausstattung einer Durchschnittswohnung mit drei Zimmern und sieben Heizkörpern mit Wärmezählern 700 DM und mit Heizkostenverteilern nach dem Verdunstungsprinzip 90 DM ermittelt. Für die drei inzwischen am Markt befindlichen Fabrikate elektronischer Heizkostenverteiler gibt die Stiftung Warentest Kosten zwischen 370 DM für das preiswerteste und 1000 DM für das im Aachener Gutachten zugrunde gelegte Gerät an.Berücksichtigt man die etwas unterschiedliche Größe der zugrunde gelegten Durchschnittswohnungen sowie die Preissteigerungen in den zwei Jahren zwischen den beiden Untersuchungen, so wird deutlich, daß sich die Preise für Wärmezähler erhöht, die Preise für Heizkostenverteiler nach dem Verdunstungsprinzip eher verringert haben. Die Preise für elektronische Heizkostenverteiler liegen gegenüber dem Stand der Aachener Untersuchung von 1980 inzwischen zwar in einer erheblich größeren Bandbreite — der Preis des seinerzeit untersuchten Geräts hat sich sogar mehr als verdoppelt —, die Ausstattung einer Wohnung mit elektronischen Heizkostenverteilern ist jedoch auch heute noch zu den Kosten von 1980 möglich. Eine erhebliche Verteuerung der Geräte infolge der Einbauverpflichtung nach der Heizkostenverordnung ist demnach nicht erkennbar.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meininghaus.
Herr Staatssekretär, wann will die Bundesregierung der Forderung von Bundestag und Bundesrat nachkommen, um die Vorschriften der Neubaumietenverordnung an die der Heizkostenverordnung anzupassen? Ist sie unter Umständen bereit, die Frist für den Einbau der Meßgeräte besonders für ältere Sozialwohnungen zu verlängern?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat nicht die Absicht, eine solche Verlängerung vorzuschlagen, weil die Notwendigkeit, Energie einzusparen, einer solchen Verlängerung entgegenstehen würde. Meine Ausführungen haben ja sehr deutlich gemacht, daß es auch heute schon durchaus die Möglichkeit gibt, auch mit einem relativ geringen finanziellen Aufwand die verbrauchsabhängige Abrechnung einzuführen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Meininghaus.
Herr Staatssekretär, würden Sie dann bitte zur Kenntnis nehmen, daß Vertreter großer Wohnungsbaugesellschaften meinen, eine flexiblere Handhabung oder eine Verlängerung der Fristen für den Einbau von Meßgeräten sei ratsam, weil zur Zeit noch laufend technisch bessere und kostengünstigere Geräte auf den Markt kommen.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage war Gegenstand eingehender Erörterungen auch zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat. Es war der Bundesrat, der eine Verlängerung der Einbaufristen für richtig gehalten hat. Diesem Gesichtspunkt ist also schon Rechnung getragen worden. Wer auf immer bessere Geräte wartet, verzichtet jetzt auf große Energieeinsparungsmöglichkeiten. Der Gesichtspunkt, Energie einzusparen, hat aber für uns Vorrang.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordneten Meininghaus auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß besonders teure elektronische Systeme angeboten werden, deren Kosten in keinem Verhältnis zu den Kosten der eingesparten Energie stehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nach dem Bericht der Stiftung Warentest vom März dieses Jahres kostet der teuerste elektronische Heizkostenverteiler 1 000 DM je Wohnung. Für dieses Gerät weist das Aachener Gutachten eine Amortisationsdauer von drei bis vier Jahren nach. In diesem Gutachten wird eine Änderung des Verbraucherverhaltens auf Grund der verbrauchsabhängigen Abrechnung unterstellt. Ich betone das, weil nicht etwa der Einbau des Gerätes als solcher eine Einsparung bewirkt, sondern das daraus resultierende und in Versuchen nachgewiesene veränderte Verbraucherverhalten. Es lohnt sich nämlich, sparsamer zu sein, weil die Sparsamkeit am eigenen Geldbeutel fühlbar ist.
Auf Grund der unterstellten Einsparungen ist also 1980 eine Amortisationsdauer von drei bis vier Jahren angenommen worden. Aktualisiert man die Aachener Rechnung auf der Basis des von der Stiftung Warentest angegebenen Preises unter Berücksichtigung der momentanen Energiekosten, so verdoppelt sich die Amortisationsdauer auf rund sieben Jahre. Innerhalb einer Lebensdauer von ca. 10 Jahren läßt sich danach auch der derzeit teuerste elektronische Heizkostenverteiler durch eingesparte Energiekosten generell erwirtschaften.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meininghaus.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß der Einbau von elektronischen Heizenergiemeßgeräten die j a, wie Sie selbst festgestellt haben, im Gegensatz zu anderen Meßsystemen verhältnismäßig hohe Einbau- und Wartungskosten verursachen, bei vielen Mietern und Mieterinitiativen Ärger und Proteste hervorgerufen hat? Gibt es bei Ihnen Erkenntnisse darüber, ob auf dem Markt für elektronische Meßgeräte auch
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5857
Meininghaustatsächlich ein ausreichender Wettbewerb vorhanden ist?Grüner, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat sehr bewußt nicht vorgeschlagen, bestimmte Meßgeräte zum Einbau vorzuschreiben. Sie hat alle veröffentlichten und nach DIN empfohlenen Meßgeräte als für den Zweck der verbrauchsabhängigen Abrechnung ausreichend angesehen. Insofern sorgt der Markt durch einen scharfen Wettbewerb auch unter verschiedenen Meßgeräten durchaus dafür, daß nicht Preise erzielt werden können, die ohne Wettbewerb möglich wären. Die hier genannten großen Preisunterschiede der einzelnen Meßsysteme werden es ja den Vermietern schon nahelegen, im Gespräch auch mit den Mietern zu Systemen zu greifen, die ein optimales KostenNutzen-Verhältnis ermöglichen, wobei ich hinzufüge, daß es eben in allen Bereichen „Gerechtigkeitsfanatiker" gibt, denen eine höhere Meßgenauigkeit einen hohen Preis wert ist. Den Gebrauch auch derartiger Geräte — und solche Geräte sind am Markt — wollen wir nicht verhindern.
Zusatzfrage, Herr Kollege Meininghaus.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin selbst die Untersuchung der Stiftung Warentest angeführt. Dann ist Ihnen auch bekannt, daß dort festgestellt und in Heft 5 dieses Jahres veröffentlicht worden ist, daß jede zweite Heizkostenabrechnung falsch ist. Welche Schlußfolgerungen würden Sie hieraus ziehen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich würde daraus — wenn das zutrifft — die Schlußfolgerung ziehen, daß es der Bemühungen von Vermietern, Haus- und Grundbesitzern und Mietern bedarf, einheitliche, gleichgerichtete und verständliche Abrechnungen zu schaffen, und die Anforderungen, die an Meßgeräte und ihre Auswertung gestellt werden, zu vereinheitlichen und transparenter zu machen.
Im übrigen weise ich darauf hin, daß auch eine falsche Heizkostenabrechnung, weil sie ja für alle Verbraucher in einem Wohnblock die gleichen Fehlerquellen aufweist, nichts an dem hier entscheidenden Grundsatz ändert, daß ich dann, wenn ich weiß, daß mein Verbraucherverhalten meine Heizkostenrechnung beeinflußt, zu sparsamerem Verhalten beim Verbrauch angeregt werde. Das ist das Ziel dieser Verordnung gewesen. Ich betone noch einmal: Transparente, klare, verständliche und richtige Heizkostenabrechnungen sind trotzdem eine Notwendigkeit.
Eine Anschlußfrage, Herr Kollege Gansel.
Herr Staatssekretär, habe ich Ihre vorhergehenden Ausführungen richtig verstanden, daß sich die Amortisationsdauer der Kosten von Heizungsmeßgeräten durch die Verlängerung der Heizungsperiode noch verkürzen läßt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist eine etwas zugespitzte Frage. Aber es ist natürlich klar, daß sparsames Verhalten die Kosten der Investition um so rascher hereinbringen wird, je höher der Energieverbrauch ist. Insofern ist Ihre zugespitzte Frage durchaus richtig.
Das Wort zu weiteren Anschlußfragen wird nicht mehr gewünscht.
— Sie haben nur eine Frage zur Verfügung.
— Ich habe das Gefühl, Herr Kollege Duve springt ein.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Frage des Kollegen Gansel eben beantwortet. Daraus folgt natürlich, falls sich der Bürger Ihrer Logik anschließt und so handelt, daß das grundsätzliche Ziel der Bundesregierung — Energieeinsparung — dann möglicherweise den Bach heruntergeht.
Herr Kollege Duve, Sie wollten etwas fragen.
Stimmen Sie mir in dieser Vermutung zu?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, da kann ich Ihnen nicht zustimmen, Herr Kollege; denn die verbrauchsabhängige Heizkostenabrechnung wird dazu führen, daß der Verbraucher seine individuellen Heizgewohnheiten ändert und die Heizperiode so schnell wie irgend möglich und seinem Gesundheitszustand zuträglich beendet. Das kann er auch individuell tun. Die verbrauchsabhängige Heizkostenabrechnung erlaubt es, ihm dann auch eine Gutschrift zu erteilen.
Das Wort zu weiteren Fragen wird nicht gewünscht. Damit ist Frage 71 beantwortet.
Ich rufe Frage 72 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Waffenlieferungen der Firma Heckler & Koch an die Militärdiktatur Paraguay, über die in der Monitor-Sendung vom 30. März 1982 berichtet wurde, und wie ist im Zusammenhang mit den neuen Waffenexportbeschränkungen die Lieferung von Maschinen zur Herstellung von Waffen durch die gleiche Firma zu beurteilen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Anträge auf Genehmigung zur Lieferung von Kriegswaffen nach Paraguay werden seit dem Frühjahr 1978 abgelehnt. In den Jahren davor hat es Genehmigungen für insgesamt ca. 50 Handfeuerwaffen gegeben. Auch nach den neuen Rüstungsexportgrundsätzen wird sich an der restriktiven Grundhaltung der Bundesregierung gegenüber dem Export von Maschinen zur Waffenherstellung in Nicht-NATO-Länder nichts ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Duve.
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5858 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die von Ihnen eben genannte Firma in Paraguay und auch in anderen Ländern erhebliche Werbeanstrengungen unternimmt, so daß schon dadurch erkennbar wird, daß sie immer bemüht ist, die restriktive Haltung der Bundesregierung zu unterlaufen, und inwieweit beobachtet die Bundesregierung überhaupt diese Firma, von deren Produkten es auch Fotografien z. B. aus den militärischen Auseinandersetzungen in El Salvador gibt?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Die Tatsache, Herr Kollege, daß wir nicht die Absicht haben, Exportgenehmigungen zu erteilen, läßt es ziemlich unwahrscheinlich erscheinen, daß Werbeanstrengungen der Firma darauf gerichtet sind. Sollten sie darauf gerichtet sein, so ist aus meiner Antwort deutlich geworden, daß Genehmigungen nicht erteilt würden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Duve.
Herr Staatssekretär, das führt mich dann doch zu der Frage, wie die Bundesregierung journalistische Recherchen, die ich in meiner Frage angesprochen habe, beurteilt und ob sie überhaupt auf die Bemühungen einer freien Presse und freier Journalisten eingeht, die solche Tatbestände aufdecken, die hier von Ihnen grundsätzlich und sehr theoretisch geleugnet werden.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß nicht, von welchen journalistischen Recherchen Sie sprechen. Ich habe die Frage beantwortet, ob wir Genehmigungen erteilt hätten. Ich habe gesagt: seit 1978 nicht mehr. Bis dahin sind 50 Handfeuerwaffen geliefert worden. Das sind Fakten.
Das Wort zu einer Zusatzfrage, Herr Kollege Gansel.
Herr Staatssekretär, haben Sie den zweiten Teil der Frage des Kollegen Duve zur Kenntnis genommen, in dem vor allen Dingen nach der Lieferung von Maschinen zur Herstellung von Waffen gefragt wurden? Wie ist auszuschließen — wenn sich an der restriktiven Waffenexportpolitik der Bundesregierung nichts ändern soll —, daß die Richtlinien dieser Politik dann schließlich doch durch den Export von Know-how, von Lizenzen, von Patenten, von Fertigungsanlagen und von Komponententeilen umgangen werden kann?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß auch diese Lieferungen genau den gleichen Beschränkungen unterliegen, die hier gerade besprochen worden sind — bisher und auch in Zukunft.
Das Wort zu weiteren Fragen wird nicht gewünscht. — Ich rufe die Frage 73 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
In welche Länder werden nach Erkenntnis der Bundesregierung Ausrüstungsgüter für Waffen- und Munitionsfabriken geliefert, und welche Kontrollmöglichkeiten sieht die Bundesregierung, um diese direkte Hilfe zur Aufrüstung in Militärdiktaturen zu unterbinden?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Anlagen zur Herstellung von Waffen und Munition unterliegen der Genehmigungspflicht nach dem Außenwirtschaftsgesetz. In Beachtung der zur Zeit noch gültigen Richtlinien der Bundesregierung für den Export von Rüstungsgütern werden Genehmigungen für Exporte in NATO- und NATO-gleichgestellte Länder uneingeschränkt, in Drittländer nach eingehender Prüfung des Einzelfalles, in Ostländer und Spannungsgebiete dagegen nicht erteilt. Diese Praxis wird, wie bereits erwähnt, durch die noch nicht verabschiedeten neuen Richtlinien nicht gelockert werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Duve.
Wäre die Bundesregierung, Herr Staatssekretär, daran interessiert, Unterlagen einzusehen, aus denen hervorgeht, daß diese betreffende Firma Ausrüstungen zur Herstellung von Waffen in eine ganze Reihe von Ländern exportiert, die nicht diesen Befreiungen unterliegen, die Sie eben genannt haben?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es versteht sich von selbst, daß wir allen Hinweisen und Informationen nachgehen, die etwa darauf hindeuten, daß unsere Richtlinien und Vorschriften umgangen werden. Insofern bitte ich Sie, uns derartige Informationen, wenn sie tatsächlich vorhanden sind — was ich bezweifle —, zugänglich zu machen.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
— Herr Kollege Gansel, bitte, Sie haben das Wort zu einer Anschlußfrage.
Herr Staatssekretär, für welche Drittländer sind in den vergangenen zwei Jahren in diesem Bereich Ausnahmegenehmigungen erteilt worden? Sind Sie bereit, wenn Sie die Angaben nicht parat haben, diese schriftlich mitzuteilen?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Ich werde Ihnen dazu gern eine schriftliche Antwort geben.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Die Fragen 74 und 75 der Abgeordneten Frau Hürland sind zurückgezogen. Die Frage 76 des Abgeordneten Schulze soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft beantwortet. Herr Staatssekretär Grüner, ich danke Ihnen für die Beantwortung.Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Dazu ist der Parlamentarische Staatssekretär Gallus erschienen.
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5859
Vizepräsident Dr. h. c. LeberIch rufe die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Michels auf:Kann die Bundesregierung bestätigen, daß die von der niederländischen Regierung mit der EG-Kommission ausgehandelte Kompromißregelung über den Abbau des Erdgasvorzugstarifs für den holländischen Gartenbau die Forderungen der Brüsseler Verbotsentscheidung vom 15. Dezember 1981 erfüllt?
Herr Kollege, die niederländische Regierung hat mit der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Verhandlungen geführt, um in der Frage der Anpassung des Erdgasvorzugstarifs für den niederländischen Unterglasgartenbau an den allgemeinen Gastarif für die Industrie eine Kompromißlösung zu finden. Der auf Grund dieser Verhandlungen von den Niederlanden zu erwartende Anpassungsvorschlag, der der Kommission bislang noch nicht vorliegt, bedeutet im Ergebnis eine erhebliche Annäherung an den Industrietarif, jedoch keine vollständige Anpassung an diesen. Hiernach bliebe ein Vorteil von zirka 5 Cent gegenüber dem Industrietarif bestehen. Insoweit würde daher der zu erwartende Kompromißvorschlag der Niederlande hinter der von der Kommission in ihrer Verbotsentscheidung vom 15. Dezember 1981 geforderten Anpassung zurückbleiben. Auch in zeitlicher Hinsicht weicht der Kompromißvorschlag von der Verbotsentscheidung ab, da die vorgesehene Anpassung nicht schon zum 1. Oktober 1982, sondern erst zum 1. April 1983 abgeschlossen sein soll.
Die Bundesregierung kann daher nicht bestätigen, daß die von der niederländischen Regierung vorgesehene Anpassung des Erdgasvorzugstarifs die Forderungen der Verbotsentscheidungen vom 15. Dezember 1981 erfüllt. Sie hat daher zwischenzeitlich die Kommission aufgefordert, an ihrer Verbotsentscheidung vom 15. Dezember 1981 ohne Einschränkung festzuhalten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Michels.
Herr Staatssekretär, kann ich das so verstehen, daß sich die Bundesregierung für den Fall, daß die niederländische Regierung durch den Beschluß von dieser Verbotsentscheidung abweichen kann, entsprechend zur Wehr setzen wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie Sie aus meiner Antwort entnehmen können, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Vorschläge der holländischen Regierung nicht reichen. Wir müssen jetzt erst einmal die Antwort der Kommission auf unsere Intervention abwarten.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würde die Bundesregierung bereit sein, gegenüber den holländischen Importen Maßnahmen einzuleiten, wie sie der Bundeskanzler bei Stahl wegen der Wettbewerbsvërzerrung in der Europäischen Gemeinschaft angedroht hat, da der Kompromiß bedeutet, daß ein weiterer Winter vergehen wird, in dem der holländische Gartenbau einen ganz entscheidenden Wettbewerbsvorteil hat?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine solche Maßnahme könnte die Bundesregierung nicht einseitig ergreifen; denn wir haben innerhalb der EG einen freien Markt. Aber immerhin wäre dann die Frage zu klären, ob nicht eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig gemacht wird, falls es nicht zu einer für uns tragbaren Lösung kommt. Aber es muß, wie gesagt, zunächst abgewartet werden, wie die Kommission auf unsere neuerliche Intervention reagiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Stutzer.
Herr Staatssekretär, Sie verweisen immer auf die Kommission. Haben Sie sich nicht mal mit der Kommission oder einem der Kommissare unterhalten und, wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ob mündlich oder schriftlich, bleibt sich in der Sache gleich. Ich kann Ihnen sagen, daß sich keine andere Regierung so intensiv wie diese Bundesregierung und Bundesminister Ertl dafür eingesetzt hat, daß die Wettbewerbsverzerrungen im Unterglasgartenbau zwischen den einzelnen Ländern in Europa endlich beseitigt werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 78 des Herrn Abgeordneten Michels auf:
Was wird die Bundesregierung veranlassen, um die vom deutschen Obstbau und von der deutschen obstverarbeitenden Industrie beklagten Mängel und Unzulänglichkeiten der EG-Beihilferegelung für in Sirup verarbeitete Kirschen, und zwar durch zu niedrige und von falschen Schutzdaten ausgehende Produktionsquoten, durch das zu starre Auszahlungsverfahren der Beihilfen und durch agrimonetär bedingte Wettbewerbsunterschiede zu beheben bzw. zu beseitigen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung setzt sich in den laufenden Verhandlungen in Brüssel dafür ein, daß die Interessen der deutschen Obsterzeuger und Obstverarbeiter im Rahmen der EG-Produktionsbeihilfenregelung für in Sirup haltbar gemachte Kirschen so weit wie möglich berücksichtigt werden.
Wegen der mit der Produktionsbeihilfenregelung verbundenen möglichen negativen Auswirkungen auf Konkurrenzprodukte und wegen der angespannten Haushaltslage der EG befürwortet die Bundesregierung allerdings grundsätzlich eine Einschränkung dieser Produktionsbeihilfen für alle erfaßten Erzeugnisse. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich im Hinblick auf die laufenden Verhandlungen keine weiteren Angaben zu diesen Fragen machen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Michels.
Herr Staatssekretär, wann kann die deutsche Obstwirtschaft angesichts der
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5860 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
MichelsTatsache mit einer Regelung durch Brüssel rechnen, da die Kirschenernte in einigen EG-Mitgliedsländern schon in wenigen Wochen beginnt?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir warten alle auf Entscheidungen aus Brüssel. Sie wissen selbst, mit welchen Handikaps wir kämpfen, um bei den Preisverhandlungen zu Lösungen zu kommen, wobei in dem Zusammenhang auch über Gebühren und ähnliches mitverhandelt wird. Wir können das nicht vom Zaun brechen, solange die übrigen Staaten nicht einstimmig dafür sind, daß die Entscheidung nun getroffen werden kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Eigen.
Herr Staatssekretär, wann wird sich die Bundesregierung in Brüssel möglicherweise mit der Auffassung durchsetzen, daß diese direkten Subventionen für einzelne Obstprodukte nur zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen verschiedenen Produkten führt und daß die Drittlandpräferenz besser und für die Kasse der Europäischen Gemeinschaft billiger wäre?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann nur schwer eine Antwort auf Ihre allgemeine Frage geben. Es tut mir leid.
Das Wort zu weiteren Zusatzfragen wird nicht gewünscht.
Ich rufe die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß der von der französischen Regierung geplante und staatlich geförderte Ausbau der berufsständischen Marktverwaltung vor allem im Bereich Obst und Gemüse zu organisatorischen Disparitäten im innergemeinschaftlichen Wettbewerb führt, und zwar insbesondere zu Lasten der einheimischen Erzeuger?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident! Erlaubt der Herr Kollege, daß die Fragen 79 und 80 gemeinsam beantwortet werden?
Der Fragesteller ist einverstanden!
Ich rufe noch die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Dr. Meyer zu Bentrup auf:
Welche Maßnahmen im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Obst und Gemüse sind nach Auffassung der Bundesregierung besonders vordringlich, um bessere Marktgleichgewichte auch im Hinblick auf die zusätzlichen Belastungen durch die Erweiterung der Gemeinschaft zu gewährleisten und damit die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Obst- und Gemüseerzeuger ein angemessenes Einkommen über den Markt erwirtschaften können?
Bitte sehr.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bundesregierung ist bekannt, daß die französische Regierung im Rahmen ihrer neuen Agrarpolitik eine Verbesserung der administrativen Grundlagen für die Marktpolitik anstrebt. Dies soll mit Hilfe von Marktämtern geschehen, die auch für den Sektor Obst und Gemüse vorgesehen sind. Eine Diskussion über Organisationsstruktur, Funktionsweise, Befug-
nisse sowie Finanzierung dieser Ämter ist noch nicht abgeschlossen. Das in diesem Zusammenhang beabsichtigte Rahmengesetz ist nicht vor Herbst 1982 zu erwarten. Eine Bewertung in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht ist daher noch nicht möglich. Die Bundesregierung wird darauf achten, daß die Tätigkeit der Marktämter mit den Bestimmungen des Gemeinsamen Marktes in Einklang steht.
Die Bundesregierung setzt sich im Bereich Obst und Gemüse für eine angemessene Preispolitik und gegen eine Ausweitung der Beihilfe- und Interventionsmechanismen ein. Hierdurch sollen Anreize zur Überschußproduktion vermieden und soll zu einer Stabilisierung der Obst- und Gemüsemärkte beigetragen werden. Die Bundesregierung sieht darüber hinaus in einer weiteren Zusammenfassung des Angebots in einer konsequenten Qualitätspolitik wichtige Elemente, damit die Obst- und Gemüseerzeuger ein angemessenes Einkommen über den Markt erwirtschaften können.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Meyer zu Bentrup.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung an der Grundforderung fest, daß die Marktorganisationsvorschriften für Obst und Gemüse als gemeinsame Wettbewerbsregeln in allen Mitgliedsstaaten verbindlich gelten müssen, und lehnt sie deshalb Sonderbehandlungen bzw. Sonderrechte im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation ausschließlich zugunsten der Erzeuger in den Südgebieten der Gemeinschaft ab?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, deshalb sind die Verhandlungen über das Mittelmeerpaket, die zur Zeit stattfinden, so schwierig. Es ist sehr schwierig, eine Einigkeit herbeizuführen.
Die zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Meyer zu Bentrup. Bitte sehr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, teilt die Bunderegierung die Auffassung, daß eine Entlastung der Obst- und Gemüsemärkte und damit eine Einsparung sonst anfallender Interventionskosten nur dann erreichbar sind, wenn endlich die gemeinsamen Qualitätsvorschriften für Obst und Gemüse in allen Mitgliedsstaaten bis hin zum Verbraucher angewendet werden und die Einhaltung dieser Normen kontrolliert wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe in meiner Antwort bereits erwähnt, daß wir für eine konsequente Qualitätspolitik eintreten. Aber Sie müssen immer davon ausgehen: Zur Verwirklichung dessen, was wir anstreben, sind bei den Verhandlungen in Brüssel Entscheidungen notwendig, die auch die anderen Mitgliedsstaaten mittragen.
Eine Zusatzfrage. Herr Kollege Eigen.
Herr Staatssekretär, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß eine solche unterschiedliche Marktorganisation, wie sie zu befürchten ist, schon einmal zu einer erheblichen Wett-
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Eigenbewerbsverzerrung für die deutsche Gemüse- und Obstwirtschaft geführt hat, als das interprofessionelle Abkommen in Frankreich derlei ermöglichte?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß es mir versagen, zu dem Gesamtkomplex ein Urteil abzugeben, bevor in Frankreich überhaupt ein Gesetz vorliegt. Aber Sie konnten aus meiner Antwort auch entnehmen, daß wir in diesen Fragen sehr wachsam sind.
Herr Kollege Eigen, Sie haben nur die Möglichkeit, eine einzige Zusatzfrage zu stellen; aber Sie kommen ja nachher bei Ihren eigenen Fragen 81 und 82 mit Zusatzfragen dran.
— Entschuldigung, Sie haben recht. Sie haben das Wort zu Ihrer zweiten Zusatzfrage. Bitte sehr.
Kann man davon ausgehen, Herr Staatssekretär, daß die Bundesregierung unterschiedliche Gesetzgebungen und Anwendungen in bezug auf die Marktordnung der verschiedenen Länder der EG in Brüssel verhindern wird?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie können davon ausgehen, daß wir alles versuchen und tun werden, um alles zu verhindern, was das Grundprinzip der Gemeinsamkeit verletzt.
Herr Kollege Michels. Bitte sehr.
Eine Zusatzfrage im Anschluß an die Frage des Kollegen Eigen. Angesichts der Tatsache, daß wir durch diese unterschiedlichen Marktgegebenheiten in den letzten Jahren bei der Versorgung unserer Bevölkerung mit Naßkonserven auf 17 % zurückgefallen sind, frage ich: Sehen Sie Möglichkeiten, diesen Abwärtstrend zu stoppen und zu einem höheren Versorgungsanteil unserer Bevölkerung beizutragen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Ihre Frage geht sehr weit. Ich glaube nicht, daß die Probleme, die in diesen beiden Fragen abgehandelt werden, allein ursächlich dafür sind, daß der Marktanteil deutscher Naßkonserven so stark zurückgegangen ist. Hier spielen auch ganz normale Wettbewerbsprobleme zwischen den einzelnen Gebieten Europas eine große Rolle, vor allen Dingen auch Marketing-Probleme und alles, was dazugehört.
Das Wort zu weiteren Fragen wird nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 81 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Welche Haltung vertritt die Bundesregierung bei den Preisverhandlungen des EG-Ministerrats in bezug auf die Höhe der Marktordnungspreise, und warum macht sich die Bundesregierung nicht die Beschlüsse des EG-Parlaments zu eigen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, gestattet der Herr Kollege, daß ich auch diese beiden Fragen gemeinsam beantworte?
Der Fragesteller ist einverstanden.
Dann rufe ich auch die Frage 82 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Ist die Bundesregierung bereit, sich dafür einzusetzen, daß der Grenzausgleich bei den Preisverhandlungen im EG-Ministerrat in Brüssel nur so weit gesenkt wird, daß für die deutsche Landwirtschaft die Preise für die Agrarmarktordnungsprodukte um die so dringend notwendigen 10 v. H. angehoben werden, und was gedenkt die Bundesregierung als Ausgleich für den verspäteten Termin der Inkraftsetzung des Marktordnungsjahrs 1982/83 bei Milch und Rindfleisch zu gewähren?
Bitte sehr.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie werden sicher Verständnis dafür haben, daß ich in Anbetracht der laufenden Verhandlungen in Brüssel die deutsche Verhandlungsposition nicht im einzelnen öffentlich darstellen möchte. Ich kann Ihnen aber zu den von Ihnen gestellten Fragen folgendes sagen: Die in Brüssel zu beschließende Preisanhebungsrate in ECU muß sich im Rahmen des finanziell Möglichen halten. Vor diesem Hintergrund erscheint der jetzt vorliegende Kompromißvorschlag der Kommission, die Marktordnungspreise in ECU um durchschnittlich rund 10,5 % anzuheben, vertretbar. Der vorgeschlagene Abbauschritt beim deutschen Währungsausgleich ist zu hoch. Die Bundesregierung setzt sich bei den Verhandlungen in Brüssel dafür ein, daß ein Abbau des deutschen Währungsausgleichs in einer Größenordnung vorgenommen wird, die der deutschen Landwirtschaft eine angemessene Preisanhebung ermöglicht.
Ein verspätetes Inkrafttreten der Wirtschaftsjahre, insbesondere bei Milch und Rindfleisch, ist bedauerlich, jedoch nichts Ungewöhnliches. In der Vergangenheit ist dies wegen der schwierigen Preisverhandlungen häufiger eingetreten. Die Bundesregierung setzt sich für einen schnellen Abschluß der Preisverhandlungen ein.
Ich muß Ihnen zusätzlich noch sagen: Es ist nur einmal in der Geschichte der Marktordnungen passiert, daß die Preisverhandlungen fristgerecht, vor Beginn der Wirtschaftsjahre, für Rindfleisch und Milch zum 1. April, abgeschlossen werden konnten.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Eigen.
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, Herr Staatssekretär, daß „fristgerecht" eigentlich September des Vorjahres wäre; denn so ist es in der Europäischen Gemeinschaft vorgesehen, nicht zum 1. April des Wirtschaftsjahres, in dem man schon lebt? Aber meine Zusatzfrage dazu: Sind also Pressemeldungen falsch, daß sich die Bundesregierung wie in den früheren Jahren auch
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Eigenin diesem Jahr wieder als Bremser bei der Preisfestlegung bewährt hat?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung betätigt sich in Brüssel nicht als Bremser. Sie vollzieht ganz im Gegenteil den Auftrag des deutschen Parlaments, das am 27. Juni 1979 beschlossen hat, daß der Finanzierungsrahmen der EG-Agrarpolitik in Höhe von 1 % des Mehrwertsteueraufkommens nicht überschritten werden darf. Wir gehen im Augenblick davon aus, daß mit der vorgeschlagenen Preiserhöhung von 10,5 % dieser Rahmen eingehalten wird. Aber niemand kann bis jetzt genau sagen, ob das auch tatsächlich der Fall sein wird. Da sind noch eine ganze Reihe Unbekannte drin, insbesondere auch die Frage, wie sich die Weltmarktpreise bei den einzelnen Produkten entwikkeln werden.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Eigen.
Herr Staatssekretär, bestätigen Sie mir, daß die Europäische Gemeinschaft den Rahmen ihres Budgets, eigene Einnahmen plus bis zu 1 % der Umsatzsteuer, bisher noch niemals gesprengt hat und daß es gut wäre, wenn die Bundesregierung das auch von sich sagen könnte?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich muß Ihnen sagen, daß wir im Jahre 1981 auf Grund der hohen Weltmarktpreise und des hohen Dollarkurses Glück gehabt haben und in der EG relativ gut gefahren sind. Die Dinge können sich aber in dem Wirtschaftsjahr, für das jetzt zu beschließen ist, unter Umständen sehr schnell ändern. Deshalb muß eine vorsichtige Preispolitik getrieben werden. Die Bundesregierung geht aber dieses Mal davon aus, daß die schwierige wirtschaftliche Situation der deutschen Landwirtschaft mit in die Preisverhandlungen eingebracht werden muß. Ich habe in meinen Ausführungen schon dargelegt, daß, wenn mit 10,5 % abgeschlossen werden würde, für Deutschland entscheidend wäre, wie stark der Grenzausgleich abgebaut würde. Daraus resultiert dann das, was für Deutschland übrigbleibt.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Kollege Eigen.
Ich gehe also recht in der Annahme, daß ich feststellen kann, daß die Bundesregierung davon überzeugt ist, daß die Preisanhebung dieses Mal eine Marge erreichen muß, die die tatsächliche Kostenentwicklung der Landwirtschaft auch berücksichtigt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier erklärt, daß die schwierige Kostensituation der deutschen Landwirtschaft mitberücksichtigt werden muß, aber auch, Herr Kollege Eigen — und das dürfen Sie hier nicht als Bremsen auslegen —, die Frage gestellt, ob die entsprechenden Preisbeschlüsse am Markt durchgesetzt werden können, und darauf hingewiesen, daß das Paket finanziert werden muß.
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Kollege Eigen.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, wenn nun die französische Regierung neuerdings wieder zu direkten Einkommensübertragungen schreitet, wenn ihr die Preisanhebungen in Brüssel nicht hoch genug sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat bereits deutlich gemacht, daß sie die Kommission dann auffordern wird, dieses französische Ansinnen abzulehnen. Wir werden hierbei gegenüber Frankreich genauso verfahren wie in der Erdgas-Auseinandersetzung mit Holland.
Man darf allerdings nicht verkennen, daß Frankreich deshalb, wenn Sie so wollen, eine vielleicht in Ihrem Sinne progressive Preispolitik betreibt, weil dort die Inflationsrate wesentlich höher ist als in der Bundesrepublik Deutschland — sie beträgt mehr als das Doppelte — und damit auch die Kostensteigerung viel stärker ist als bei uns.
Das Wort zu weiteren Fragen wird nicht gewünscht. Dann rufe ich auf die Frage 83 des Herrn Abgeordneten von Schorlemer:
Kann die Bundesregierung die Erkenntnis der Tierärzte bestätigen, daß der „Krankheitsdruck" für die Legehennen in Bodenhaltung wesentlich höher ist als in der Käfighaltung, und daß die Wahrscheinlichkeit einer notwendig werdenden Behandlung mit Arzneimitteln entsprechend größer ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Präsident, auch hier möchte ich gern die beiden Fragen, 83 und 84, gemeinsam beantworten.
— Danke schön.
Einverstanden! Dann rufe ich auf die Frage 84:Teilt die Bundesregierung meine Auffassung, daß die tierärztliche Kontrolle in größeren Legehennenbeständen wesentlich leichter möglich ist und auch konsequenter gehandhabt wird als in Kleinhaltungen, und kann sie bestätigen, daß durch die hygienischen Vorteile der Käfighaltung die sogenannten klassischen Hühnerkrankheiten kaum mehr anzutreffen sind?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, nach gegenwärtiger Kenntnis ist das Hygiene-Risiko für Legehennen in Bodenhaltung größer als in der Käfighaltung; damit ist die Wahrscheinlichkeit einer notwendig werdenden Behandlung mit Arzneimitteln bei Tieren in Bodenhaltung größer als in der Käfighaltung.Die Auffassung, daß tierärztliche Kontrollen in größeren Legehennenbeständen wesentlich leichter möglich sind und auch konsequenter gehandhabt werden als in kleineren Beständen, wird in dieser generellen Form nicht geteilt. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß in Betrieben mit größeren Legehennenbeständen auf Grund der Spezialisierung und eines besseren Managements die Tiere nicht selten eine regelmäßigere und intensivere tierärztliche Betreuung erfahren.
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Parl. Staatssekretär GallusUnabhängig von der Haltungsform sind früher häufig aufgetretene übertragbare Hühnerkrankheiten infolge der ständig durchgeführten Hygiene-Programme kaum mehr anzutreffen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege von Schorlemer.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Bundesregierung im Jahre 1975 wegen der optimalen tierhygienischen Voraussetzungen und des dadurch minimalen Seuchenrisikos in der Käfighaltung im Einvernehmen mit den zuständigen Landesbehörden und den Sachverständigen darauf verzichtet hat, eine Verordnung über Massentierhaltung von Geflügel zu erlassen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege, das kann ich Ihnen nicht bestätigen. Es mag unterschiedliche Gründe gegeben haben, warum es bisher zu dem Erlaß einer Verordnung nicht gekommen ist. Das bedeutet bei der Käfighaltung von Hühnern, daß vorher in Celle umfangreiche Untersuchungen angestellt werden mußten, mit einer großen Kommission von Wissenschaftlern, zu denen auf der einen Seite Verhaltensforscher zählten und auf der anderen Seite die klassischen Haltensforscher. Das hat eben seine Zeit in Anspruch genommen. Daß es im Augenblick noch keine Verordnung für die Käfighaltung von Hühnern gibt, liegt daran, daß wir noch die Entscheidungen von Brüssel über den Richtlinienvorschlag abwarten müssen. Diese Auffassung teilt auch der Bundesrat.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege von Schorlemer.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, Ihren Herrn Vorgänger zu fragen, ob er sich daran erinnert, im März 1976 erklärt zu haben, daß derzeit kein öffentliches Bedürfnis für eine Massentierhaltungsverordnung besteht?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Es kann durchaus sein, daß es diese Äußerungen gibt. Aber die Zeit hat sich weiterentwickelt, und wir sind auf Grund des Tierschutzgesetzes gehalten, entsprechende Verordnungen zu erlassen. Das steht zwar seit jeher im Gesetz drin, nur mußten erst die Vorbereitungen getroffen werden mit umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen.
In der Zwischenzeit haben wir dem Bundesrat eine Verordnung zugeleitet, die Verordnung für Kälber- und Schweinehaltung. Die Verordnung ist im Bundesrat abgelehnt worden, und jetzt müssen wir mit diesen Fragen wieder neu beginnen. In bezug auf die Käfighaltungsverordnung für Legehennen habe ich Ihnen den Tatbestand erklärt.
Eine dritte Zusatzfrage, Herr Kollege von Schorlemer.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die Sterblichkeitsrate vor Einführung der Käfighaltung bei
ca. 30 % lag und durch diese Haltungsform auf unter 10 % gesenkt worden ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie können meiner Antwort entnehmen, daß ich im Namen der Bundesregierung grundsätzlich die Auffassung vertreten habe, daß wir nach den Untersuchungen, die insbesondere im Institut für Kleintierzucht in Celle durchgeführt worden sind, bei der Bodenhaltung erheblich mehr Probleme haben, insbesondere mehr Arzneimittel einsetzen müssen, um die Bestände gesund zu erhalten. Daß die Zahlen, die Sie hier vortragen, exakt sind, kann ich von hier aus nicht bestätigen; das tut mir leid.
Eine vierte und letzte Zusatzfrage, Herr Kollege von Schorlemer.
Herr Staatssekretär, können Sie repräsentative Angaben aus dem Jahre 1974 bestätigen, aus denen hervorgeht, daß die durchschnittlichen jährlichen Arzneimittelkosten pro Tier bei Käfighaltungsbetrieben ca. 5 Pf ausmachen, während sie bei der Bodenhaltung ca. 30 Pf betragen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich will Ihnen gern grundsätzlich zugestehen, daß wie ich jetzt mehrmals hier gesagt habe, bei der Bodenhaltung mehr Arzneimittel eingesetzt werden müssen; aber Ihre absoluten Zahlen hier zu bestätigen, das geht mir zu weit. Das muß ich vorher überprüfen lassen.
Herr Kollege Stutzer zu einer Anschlußfrage.
Können Sie mir bestätigen, Herr Staatssekretär, daß unter Krankheitsdruck auch der psychische Druck fällt, und wenn ja, warum haben Sie das in Ihrer Antwort nicht deutlich gemacht?
Psychisch haben Sie gemeint, nicht psychologisch?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich habe die Frage nicht verstanden.
Können Sie bestätigen, daß unter Krankheitsdruck auch der psychische Druck fällt? Dazu haben ja die Verhaltensforscher etwas gesagt. Und wenn Sie das bestätigen können, warum haben Sie dazu in Ihrer Antwort nichts gesagt?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ganz einfach: weil danach nicht gefragt worden ist.
Herr Kollege Stutzer, eine zweite Anschlußfrage.
Herr Staatssekretär, wann erwarten Sie die Regelung auf EG-Ebene?Gallus, Parl. Staatssekretär: Wir hoffen, daß sie sehr bald kommt. Wir sind auch in diesem Bereich,
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Parl. Staatssekretär GallusHerr Kollege Stutzer, diejenigen, die — entschuldigen Sie, daß ich das mal so drastisch sage — den ganzen Karren voranziehen müssen; denn die Auffassung der übrigen Länder zum Tierschutz ist nicht die der Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme einiger weniger Länder. Ich darf Ihnen nur eine Außerung aus dem Wirtschafts- und Sozialausschuß zur Kenntnis bringen, wo wir vehement unsere Auffassung zur Vergrößerung der Käfige vertreten haben: 600 cm/2 pro Huhn anstatt 350 oder 450 cm/2. Dort wurde uns die Antwort zuteil, wir sollten uns in Deutschland gefälligst mehr um die Kinder als um das Geflügel kümmern. Auch solche Meinungen gibt es, gegen die wir uns auf internationaler Ebene — in diesem Falle bei der EG — zur Wehr setzen müssen. Wir tun von uns aus alles, um die Geschichte zu einem befriedigenden Abschluß zu bringen.
Herr Kollege Eigen zu einer Anschlußfrage.
Herr Staatssekretär, kann man sich darauf verlassen, daß mit der Tierschutzgesetzgebung keine neuerliche Wettbewerbsverzerrung bei den Hühnerhaltern zwischen den verschiedenen Ländern der EG entstehen wird, nachdem Sie so positiv geantwortet haben?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Situation, in der wir gegenwärtig stehen, ist folgende. Die Kommission wird zu entscheiden haben, ob sie die neuen Käfigmaße durch eine Richtlinie oder durch eine Verordnung festlegt. Bei einer Verordnung sind alle Länder der EG daran gehalten, sie national unmittelbar anzuwenden. Wenn es eine Richtlinie wird, muß jedes Land diese Maße erst in nationales Recht übernehmen. Was wir zu tun haben, wird also erst nach der Entscheidung der Kommission feststehen.
Eine zweite Anschlußfrage, Herr Kollege Eigen.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, daß Eier aus Legebatterien eine Qualität erreicht hätten, die man sich aus Verbrauchersicht kaum besser vorstellen kann?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kann bestätigen, daß auf jeden Fall die Eier aus der Käfighaltung keineswegs schlechter sind als die aus der Bodenhaltung. Die Tatsache, daß die Verbraucher dem Aufruf des Deutschen Tierschutzbundes, keine Eier zu Ostern zu kaufen, nicht gefolgt sind, sondern im Gegenteil der Eierverbrauch gestiegen ist, bestätigt, daß auch die Verbraucher das glauben.
Das Wort zu weiteren Fragen wird nicht gewünscht. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Die Fragestunde ist damit beendet.
Ehe wir in der unterbrochenen Tagesordnung fortfahren, erteile ich das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung dem Abgeordneten Glos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte folgende persönliche Erklärung abgeben.
Aus Reaktionen nach der Sitzung ist mir bewußt geworden, daß mein spontaner Zwischenruf „Drei Atheisten!" nach der Vereidigung der neuen Bundesminister auch so gedeutet werden kann, als ob ich jemand beleidigen wollte. Dies ist nicht der Fall. Mein Zwischenruf war lediglich ein spontaner Ausdruck des Erstaunens darüber, daß alle neuen Minister bei ihrer vorangegangenen Vereidigung den Zusatz „so wahr mir Gott helfe" trotz Erläuterung durch den Präsidenten wegließen. Mit diesem Zusatz bekennt man sich nach meiner Meinung als Christ. Atheist ist nach meinem Sprachgebrauch jemand, der sich bewußt nicht zu Gott bekennt. Dies wollten die drei Minister nach meinem Eindruck auch deutlich demonstrieren. Dies ist ihr gutes Recht. Im umgekehrten Fall kann ich mir nicht gut vorstellen, daß eine ebenfalls spontane Feststellung des Gegenteils, nämlich „Drei Christen!", zu Mißverständnissen führen kann. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der unterbrochenen Aussprache zu Punkt 3 — Gewässer- und Küstenschutz — fort.
.Als erster Redner hat der Abgeordnete Duve das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten trotz der polemischen Absicht der Großen Anfrage heute morgen eine weithin sachliche Diskussion und Debatte über den Gewässerschutz. Aber bei einigen Beiträgen von der Unionsseite — von Herrn Spranger und Herrn von Geldern — war doch klar zu erkennen, welche Absicht leider mit dieser Debatte verknüpft war. Denn das wohl wichtigste Thema des Umweltschutzes, die Reinhaltung der Gewässer, mußte dazu herhalten, Hamburger Wahlkampfmunition für einen Kandidaten zu liefern, der bisher den Umweltschutz allenfalls durch knatternde Motorräder berührt hat; es ist der, der für die Union in Hamburg zur Wahl ansteht.Was Hamburg anlangt — und über die nachlässige Art, mit der in der Anfrage über Hamburg gesprochen wird —, ist dem Innenminister bereits ein Schreiben der Freien und Hansestadt zugegangen. Ich finde es schade, daß wir hier, anstatt über Gewässerschutz zu reden, darüber reden müssen, was einzelne Gebietskörperschaften an Geld ausgegeben haben. Denn mit den Geldzahlungen allein und der Leistungsbilanz darüber, was man an Geld gegeben hat, weiß der Bürger nicht, welche Gefahren weiterhin dem Wasser drohen und in welchem Zustand sich das Wasser befindet.
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DuveAber da Sie uns nun sozusagen zwingen, hier auch über diese Zahlungen zu reden — ich selber hätte das lieber unterlassen —, möchte ich doch einmal sagen, was Hamburg pro Kopf der Bevölkerung ausgegeben hat — nämlich 790 DM — und was Herrn von Gelderns Niedersachsen ausgegeben hat, das sich weit abgeschlagen am untersten Ende der Skala findet.
— Im Zeitraum von 1975 bis 1981, Aufwendungen von 1975 bis 1981 für Klärwerke. Wenn Sie es genau hören wollen: Hamburg 790 DM, Niedersachsen als elftes Bundesland 162 DM. Alle vier letzten Plätze, meine Herren von der Union, nehmen unionsregierte Länder ein.Ich persönlich — das will ich hier offen sagen — halte solche Aussagen und solche Vergleiche für der Sache nicht angemessen. Ich halte es für falsch, sich vor den Bürgern darüber zu brüsten, wieviel Geld einzelne Gebietskörperschaften ausgegeben haben. Ich halte es für falsch, zu verdecken, daß eine große Gebietskörperschaft wie Hamburg, die vom Wasser lebt und am Wasser gebaut ist, heute Rechnungen begleichen muß, die sie, wenn Sie so wollen, seit Jahrhunderten der Natur schuldet. Da sagen die Flächenstaaten: Hamburg ist noch nicht so weit. Es ist für Hamburg außerordentlich schwer — und ich stehe nicht an, hier auch den Senat zu kritisieren.Hamburg, Niedersachsen, DDR, CSSR, SchleswigHolstein, sie alle verschieben doch nur die Schuldzuweisung von Gebietskörperschaft zu Gebietskörperschaft, statt deutlich zu machen, daß wir auch als Verbraucher die Schadstoffe von der Produktion in den Boden, vom Boden ins Wasser, vom Wasser in die Fische, vonden Fischen in den menschlichen Organismus verschieben, statt deutlich zu machen, wie wir z. B. das Wasser biologisch oder vollbiologisch säubern und dann buchstäblich nicht wissen, wohin mit dem Klärschlamm, der dann dieses Gift enthält. Statt darüber zu reden, daß wir hier ein neues Problem haben, klatschen wir uns die biologischen Klärschlämme um die Ohren; so ist es heute morgen jedenfalls gewesen. Ich meine also, daß diese DMark-Schlachten falsch sind. Wir sollten uns trotz der positiven Leistungsbilanz, die die Beantwortung der Bundesregierung zweifellos enthält und die wir auch nicht verschweigen sollen, überlegen und darüber diskutieren, was bei der Reinhaltung des Wassers ansteht. Ich meine, daß eine ganze Reihe von neuen Gefahren, von neuen Verschmutzungen und Vergiftungen auf uns zugekommen sind, für die wir bisher noch nicht die nötigen Instrumente haben.Wir haben gewaltige Anstrengungen unternommen, das Verursacherprinzip durchzusetzen. Heute wissen wir, daß es immer noch sehr lasch wirkt. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf das Umweltgutachten 1978 hinweisen. Wenn Sie einmal die bei den Wasserbehörden durchgeführten Befragungen nachlesen, die da aufgeführt sind, und die Stellen nachlesen, wo die Wasserbehörden Auskunft darüber geben, wie oft sie durch andere — übergeordnete oder nebengeordnete — Behörden bewegt worden sind, die Augen zuzudrücken, dann gehen einemdieselben, die Augen nämlich, auf. Wir haben das Verursacherprinzip zwar durchgesetzt, aber wir finden in vielen Fällen und an vielen Stellen — das gilt bestimmt auch für Hamburg — bis heute nicht den Verursacher.Wir haben im vergangenen Jahrzehnt nach Grenzwertfestsetzungen höhere Schornsteine gebaut. Wir haben den Grenzwerten also Rechnung getragen, und plötzlich haben wir Gewässer in ganz anderen Regionen beschädigt. Wir haben Flüsse und Bäche begradigt und Land gewonnen, immer weiter Land gewonnen — Schleswig-Holstein macht es jetzt j a noch weiter — wie Kolonisten früherer Jahrhunderte. Wir haben den Wasserbauern ihr Betätigungsfeld weiter überlassen und planen weitere Landgewinnungen. Aber Land gewinnen heißt Wasser verlieren, und Flüsse begradigen heißt Leben beschädigen.Wir haben wahrscheinlich auch eine falsche Brunnenpolitik betrieben, insofern nämlich, als die Industrie — ich meine nicht die Getränkeindustrie, die ihre eigenen Brunnen hat —, in vielen Bereichen selber direkt bohren kann und die städtischen Wasserwerke gezwungen sind, immer größere und immer teurere Wasserbeschaffungsabenteuer zu unternehmen; der Fall Stuttgart und andere Fälle sind bekannt.Ich denke, daß wir das Wasserrecht überprüfen müssen. Wir müssen prüfen, ob es angeht, daß die Industrie Trinkwasser immer weiter benutzt und wir zur Gewinnung von Trinkwasser immer weiter gehen müssen, auch in die Feuchtgebiete. Wir haben das Problem Lüneburger Heide; Herr Wolfgramm hat es heute morgen hier angesprochen; ich habe ihm dabei zugenickt. Es ist schade, daß sich Hamburg vor langer Zeit zu diesem Ausweg Lüneburger Heide gezwungen sah. Das einzig Positive, das man heute vielleicht sagen kann, ist, daß zwischen Niedersachsen und Hamburg vereinbart worden ist, bei der Wasserentnahme sehr vorsichtig vorzugehen und nicht die vereinbarte Wassermenge zu entnehmen.Eines können wir konstatieren, meine Damen und Herren: Der Staat ist beim Wasser, was die Ordnungspolitik anlangt, wesentlich weniger pingelig vorgegangen als in anderen Bereichen. Das heißt: Wenn etwa 50 Arbeitsgruppen für 50 verschiedene Branchen bereits die Definitionen der „Regeln der Technik" ausgearbeitet haben und zwanzig Vorschriften vorliegen, dann können wir sagen: Hier, in diesem Bereich, ist der wichtige Grundsatz, daß man nach den Regeln der Technik und nicht nur nach den Grenzwerten prüft, die ja durch technische Manipulationen verändert werden können, Gott sei Dank sehr fortschrittlich angewandt worden.Wir brauchen aber nicht nur eine Überprüfung der Wasserrechte, sondern auch eine Überprüfung der Verbrauchsstruktur; davon war heute morgen schon die Rede. Wir müssen wohl auch beim Wasser, obwohl sich das Wasser im Kreislauf bewegt und eigentlich nicht verlorengehen kann, das gleiche Umdenken lernen wie bei der Energie. Wir müssen uns auch um die Nutzung und nicht nur um die Versorgung kümmern. Denn wir haben trotz dieses Kreis-
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Duvelaufs bereits Wasserprobleme, d. h. Wasserbeschädigungen, die wir nicht wieder rückgängig machen können. Es ist doch nicht zwanghaft, daß wir in den nächsten 20 Jahren unseren Wasserverbrauch pro Kopf noch einmal verdoppeln sollen. Wer zwingt uns Bürger denn dazu, das zu tun? Nur weil die Prognosen das so sagen? Die Prognosen kommen von den Wasserwerken, die expandieren wollen.Ich komme jetzt zu einem anderen Problem. Ich erinnere an den Fall des kleinen Dörfchens Daldorf bei Segeberg in Schleswig-Holstein, wo vor kurzem die Kinder mit Mineralwasser aus Flaschen versorgt werden mußten, weil das Grundwasser nitratgeschädigt war. Das ist nicht der einzige Fall. Das Bundesumweltamt hat in dem Umweltgutachten eine ganze Reihe von Gemeinden in der Bundesrepublik angegeben, in denen Nitratschädigungen des Wassers festgestellt worden sind. Ich meine, wenn die Landwirtschaft Hauptverursacher der Nitratgefahr ist, dann wird die Landwirtschaftsklausel in den Naturschutzgesetzen nicht nur lächerlich, was sie nach meinem Empfinden in den letzten Jahren ohnehin war, sondern auch zynisch. Ich begrüße es, daß der Umweltminister des Landes Nordrhein-Westfalen ein Programm der Kooperation begonnen hat, in dessen Rahmen Kurse finanziert werden, in denen mit den Landwirten über das richtige Düngen und über die Gefahr der Überdüngung diskutiert wird. Ich denke, daß wir dazu kommen müssen, daß die Landwirtschaft ihre ökologische Rolle wirklich ernsthaft wahrnehmen kann.Wir haben in vielen Bereichen größere Gefahren abwehren können, aber neue Gefahren sind da. Die sichtbare und schmeckbare Verschmutzung haben wir eingedämmt; die unsichtbare und nicht schmeckbare Vergiftung, d. h. die Belastung durch chemische Schadstoffe, die wir nicht mehr mit den Sinnesorganen, sondern nur im Test und im Labor feststellen können, ist schlimmer und gefährlicher geworden als je zuvor. Vergiftung aber heißt, daß die Selbstreinigungskraft der Gewässer beschädigt ist. Sie können sich dann nicht mehr reinigen. — Meine Redezeit ist etwas knapp geworden, und ich möchte jetzt etwas raffen.
Herr Kollege, Sie haben noch fast vier Minuten.
Meine Minuten sind vielleicht kürzer als Ihre, Herr Präsident.
Ich möchte noch einmal auf den Stand der Technik zurückkommen. Wenn ich hier auf den Stand der Technik abgehoben habe, dann habe ich damit gemeint, daß wir z. B. bei der Kupferverhüttung auch wirklich das erzwingen, was technisch möglich ist. Wenn z. B. die Kupferverhüttung ohne Abgabe von Cadmium möglich ist — Cadmium ist hier heute morgen erwähnt worden —, dann sollte das auch durchgesetzt werden, auch in meiner Heimatstadt Hamburg. Ich sage das, weil sich in meinem Wahlkreis ein solches Werk befindet.
Ich möchte zum Meeresschutz nur auf einen Punkt hinweisen. Ich begrüße es, daß die Bundesregierung daran festhält, gasförmige und flüssige Abfälle aus Kernkraftanlagen nicht ins Meer zu geben, wie andere Länder das nach wie vor tun. Ich nenne nur Tritium, Krypton 85, Radium usw. Ich sage sehr bewußt, daß ich dies begrüße und hoffe sehr, daß die Bundesregierung dabei bleibt.
Ich komme zum Schluß. Der Bericht „Global 2000" sagt: „Wir müssen lernen, Wasser als knappe Ressource zu begreifen, wie die Rohstoffe und die Energie, und danach zu handeln. Wasser ist kein freies Gut." Zum pflanzlichen und zum tierischen Leben sagt der Bericht grausam knapp: „Es wird schwierig, wenn nicht unmöglich, den Trend zur Vernichtung der Artenvielfalt im Süßwasser umzukehren."
Meine Damen und Herren, wir als Politiker befinden uns gerade beim Wasser auf einem psychologisch außerordentlich schwierigen Grat. Auf der einen Seite dürfen wir die unbezweifelbaren Erfolge nicht unterschlagen, und auf der anderen Seite müssen wir der Versuchung widerstehen, mit solchen Feststellungen der Beruhigung bequem zu entdramatisieren. Ohne Darstellung der dramatischen Situation der Gewässer kann es überhaupt keine neuen Bemühungen mehr geben — das ist meine Überzeugung —, denn sonst hätten wir schon sehr viel eher Wachsamkeit gehabt.
Die Überdramatisierung kann aber auch zur dumpfen Resignation führen, in der überhaupt nichts mehr geht. „Global 2000" zeigt, daß wir von Daten umzingelt sind, die das Wasser global bedrohen. Die Auflistung der Bundesregierung in der Beantwortung zeigt, daß wir erfolgreich versuchen, uns aus dieser Umzingelung zu befreien, sozusagen die notwendige Aktion „Lokal 2000" hier zu beginnen.
Ich sehe eine Gefahr in der Beruhigungswirkung. Der Druck zum raschen und ehrlichen Handeln könnte nachlassen. Ich sehe auch eine Gefahr in der Dramatisierung.
Herr von Geldern hat hier die Aktivitäten von Greenpeace angesprochen. Ich möchte ausdrücklich noch einmal sagen, daß ich die mutigen Aktivitäten solcher Organisationen begrüße. Ohne sie wären wir in der Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für diese Belange längst nicht so weit. Sie bereiten ihre spektakulären Aktionen durch sachkundige Untersuchungen vor. Wer dies als außerlegalen Druck auf die Institutionen des demokratischen Staates empfindet, sollte dafür sorgen, daß diese Institutionen, daß vor allem der Deutsche Bundestag die Rettung unserer Natur ernster und häufiger diskutieren, als es die Mitbürger in den letzten Jahren haben wahrnehmen können.
Ich fordere einmal jährlich eine Bundestagsdebatte zur „Lage der Natur in Deutschland".
Als nächster Redner hat Herr Abgeordneter Fischer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Duve, die Wasserapokalyse, die Sie eben vorgetragen haben, scheint mir sehr im Widerspruch zu
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Fischer
dem zu stehen, was die Bundesregierung über ihre Leistungen und Fortschritte in der Antwort dargelegt hat. Im übrigen scheinen mir Ihre Ausführungen auch eine Ohrfeige für zwölf Jahre SPD/FDPPolitik zu sein. Ich meine, man sollte sich in der Koalition einmal darauf verständigen, ob das gilt, was in der Antwort steht, daß nämlich bedeutende Fortschritte erzielt worden sind und daß bis auf die großen Probleme in den zwei Stadtstaaten Hamburg und Bremen der Trend äußerst erfreulich ist, oder ob das stimmt, was Sie gesagt haben, daß wir sozusagen das Umkippen nicht erfolgreich verhindert haben bzw. dort, wo ein Umkippen schon erfolgt war, die Dinge nicht haben zurückdrehen können, so daß sich die Entwicklung immer nur negativ fortsetzt.Meine Damen und Herren, wir wissen, daß Gesetz und Realität oft nicht übereinstimmen. Wo gilt das mehr als insbesondere beim Gewässer- und Küstenschutz! Länder und Gemeinden tragen hier die Hauptlast. Herr Spranger hat heute morgen eindrucksvolle Zahlen vorgetragen und gesagt, daß die Leistungen von Ländern und Gemeinden fast 25 Millionen DM betragen, während die Leistungen des Bundes 1,87 Millionen DM betragen. Dieser Vergleich macht deutlich, wo die gewaltigen Finanzanstrengungen in den letzten Jahren gelaufen sind.Dennoch haben wir in Sachen Gewässerschutz nach wie vor ein erhebliches Realisierungsdefizit. Das beste Beispiel — ich deutete es eben an — sind die beiden Hauptsorgenkinder Bremen und Hamburg. Herr Duve, ich sage das nicht mit irgendeiner polemischen Absicht. Vielmehr muß das auf Grund der Tatsachenlage so formuliert werden. Niemand hat es deutlicher formuliert als die Bundesregierung in ihrer Antwort. Das heißt also: Sie unterstellen offenbar auch der Bundesregierung alles mögliche Böse.Meine Damen und Herren, das Problem, das hier durch die unzureichende Abwasserentsorgung z. B. in dem Stadtstaat Hamburg entsteht, pflanzt sich über die Elbe in die Nordsee fort. Wir können z. B. eine Verbesserung der Wasserqualität im küstennahen Bereich nicht erreichen, wenn in Hamburg das System der Abwassersammlung und -klärung nicht entscheidend verbessert wird. Der Zusammenhang muß gesehen werden. Es hat überhaupt keinen Sinn, bei der Nordsee irgendwelche Maßnahmen einzuleiten, wenn wir nicht an der Quelle der Ursache Entscheidendes verbessern.Lassen Sie mich deswegen einige Ausführungen zur Quelle dieser Probleme machen. Wir haben es in Hamburg mit großen Problemen eines veralteten, technisch teilweise problematischen, in weiten Bereichen überhaupt nicht vorhandenen Sielsystems zu tun.
36 000 Hamburger Haushalte haben überhaupt keine Besielung, sondern müssen das Wasser heute in den Boden oder z. B. in die Alster einleiten. Das ist die Hauptursache dafür, daß die Alster heute weitgehend eine Kloake ist, weil es dieser Senat trotz vielerAnträge und Initiativen nicht vermocht hat, Hamburg vollständig zu besielen.Erhebliche Rückstände beim Klärwerksbau, Anschluß- und Folgeprobleme wie die ungelöste Klärschlammentsorgung, kein Konzept für die Verwendung des Hafenschlicks, durch die Probleme bei der Entwässerung ausgelöstes Erfordernis der Trinkwassergewinnung in der Nordheide!Einige Zahlenangaben: Wir haben in Hamburg von 4 500 km Sielnetz 1 300 km sogenanntes Mischwassersielnetz, in das Schmutz- und Regenwasser gleichermaßen gehen. Davon liegen 890 km im innerstädtischen Bereich. Vom Sielnetz ist die Hälfte älter als 77 Jahre,
ein Viertel sogar älter als 100 Jahre. Die Hälfte des gesamten Sielnetzes befindet sich in einem katastrophalen Zustand und kann heute nicht gereinigt werden, weil sonst ein totaler Zusammenbruch befürchtet werden muß. Zur Zeit ist ein Drittel des gesamten innerstädtischen Mischwassersielsystems verstopft und kann aus diesen technischen Gründen nicht gereinigt werden. Das ist die Lage. Dadurch kommt es zur Überflutung, die unmittelbar in das Erdreich oder in Gewässer eingeleitet wird.In einer Broschüre „Stadtentwässerung" des Hamburger Senats vom Jahre 1980 heißt es wörtlich:Mit einer systematischen Erneuerung der Sielanlage muß so bald wie möglich begonnen werden.— Das macht also schon deutlich, wo wir gegenwärtig stehen. —So lange— bis dieses erfolgreich absolviert ist —wird Abwasser ins umgebende Erdreich sickern und das Grundwasser weiter gefährden.Meine Damen und Herren, uns drückt folgendes Problem: Hier gibt es langjährige Versäumnisse. In finanzpolitisch besseren Zeiten, wo man hätte investieren können, ist das unterlassen worden. Gegenwärtig ist für alle Gebietskörperschaften die finanzpolitische Decke zu dünn, jetzt kann nicht investiert werden, jedenfalls nicht im notwendigen Umfange. Die fatalen Folgen zeigen sich. Die finanziellen Rahmenbedingungen sind so schlecht, daß wir nicht von heute auf morgen alle Abwässerprobleme lösen können. Was in zwei Jahrzehnten versäumt worden ist, kann heute nur mühsam und kostspielig nachgeholt werden.Herr Duve, was Sie zu den Pro-Kopf-Sätzen gesagt haben, macht doch nur den Nachholbedarf deutlich. Sie müßten dann über einen viel längeren Zeitraum die Leistungen vergleichen. Denn viele Gemeinden und andere Bundesländer sind viel weiter. Es ist doch logisch, daß diese dann in den Jahren 1975 bis 1981 nicht so viel investieren mußten wie ein Land mit einem extremen Nachholbedarf. Das wird bei den Zahlen in Bremen kaum anders sein.
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5868 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
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Ich meine, höchste Eile und klare finanzielle Priorität im Haushalt sind erforderlich, um diese Probleme in den Griff zu bekommen.
— Im Hamburger Haushalt. Herr Duve, es wird aber mindestens 10 Jahre dauern, bis alles nachgeholt worden ist.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Geldern?
Bitte sehr, Herr von Geldern.
Herr Kollege Fischer, stimmen Sie mir darin zu, daß man bei einem Vergleich von Hamburg mit einem Flächenland wie etwa Niedersachsen natürlich auf der Seite des Flächenlandes auch die kommunalen Aufwendungen zu denen des Landes hinzurechnen müßte, um einen echten Vergleichsmaßstab zu haben?
Das kommt hinzu.Heute morgen hat es einen lebhaften Streit über die berühmte Zahl gegeben, die für die vollbiologische Klärung richtig ist. Die Bundesregierung sagt lediglich 20 % werden in Hamburg bei einem Bundesschnitt von 72,8 % vollbiologisch geklärt. Das ist absolut richtig. Herr Duve bringt die Zahl für die biologische Klärung. Sie wissen, daß das in der Sache einfach ein Fehler ist, Herr Duve. Es gibt zwischen dem Bundesinnenminister und der Baubehörde Hamburg lediglich einen Streit über die Frage, wann man von der Definition her „vollbiologisch" sagen darf. Hamburg sagt: „Wir sagen das erst bei 90%iger Abwässerreinigung."
Herr Bundesinnenminister, Herr Duve, sagt das bei 70 %. Sie haben leider in dieser Frage heute morgen unzutreffende Angaben gemacht. Ich kann also nur bestätigen, daß Herr Spranger hier völlig richtige Zahlen genannt hat.
Er befindet sich in Übereinstimmung mit dem Bundesinnenminister, Herr Duve.Völlig ungeklärt fließen zur Zeit noch mindestens 50 Millionen Kubikmeter Abwasser pro Jahr in die hamburgischen Gewässer. Wenn Ihre wasserpolitische Apokalypse berechtigt gewesen wäre, dann allenfalls für eine solche Situation, in der pro Tag etwa 140 000 Kubikmeter ungeklärt in hamburgische Gewässer fließen. Das ist ungefähr der Inhalt von 75 Schwimmbecken von 50 m Länge und 15 m Breite. Meine Damen und Herren, das ist problematisch.Die Antworten der Bundesregierung zu diesem Sachverhalt sind, wie ich finde, ebenso diplomatisch wie dürftig. Man sagt, Hamburg unternehme gerade in jüngster Zeit Anstrengungen, die Abwassersanierung in wenigen Jahren zum Abschluß zu bringen. Mit anderen Worten: Auch die Bundesregierung ist mit den Leistungen des Hamburger Senats alles andere als zufrieden.
Meine Damen und Herren, ein weiteres Zitat aus der Antwort auf die Große Anfrage. Herr Duve, ich zitiere nur die Bundesregierung; ich brauche ja selbst gar nichts hinzuzufügen. Dort steht:Auch in Hamburg geht der Trend dahin, möglichst viele Industriebetriebe anzuschließen.Ich kann nur sagen: Andernorts ist das schon lange Realität. Dort aber fängt der Trend erst an. Das macht die Lage deutlich. Weiterhin müssen zahlreiche Gewerbe- und Industriebetriebe ihre Abwässer direkt in die Gewässer und Hafenanlagen einleiten. Das ist das Problem.Meine Damen und Herren, ich glaube, die Lage ist ausreichend beschrieben. Die Bewertung ist klar. Wir werden in Hamburg — die Zahl ist genannt worden — frühestens 1988 den gesetzlichen Erfordernissen entsprechen können. Das ist alles andere als ein Tatbestand, über den ich mich als Hamburger Abgeordneter freuen könnte.Ich will das Problem der Klärschlammentsorgung nur kurz ansprechen. Wir wissen, daß nur noch Hamburg Klärschlamm auf hoher See verklappt. Das macht noch nicht einmal Bremen. Nachdem die Deutsche Bucht gesperrt wurde, macht man es mit einer Sondergenehmigung des Deutschen Hydrographischen Instituts 200 Seemeilen südlich von Irland. Dort schmeißt man den Klärschlamm in die hohe See.Ich meine, es muß darauf hingewirkt werden, daß die Forschung vorankommt, beispielsweise im Hinblick auf die mögliche Nutzung für die Düngemittelherstellung oder die mögliche Verbrennung bei der Stahlproduktion. Aber der Termin 1983 für die Ausnahmegenehmigung ist auf jeden Fall einzuhalten.Meine Damen und Herren, der Hafenschlick ist ein Problem, das uns deswegen auch erheblich belastet, weil die Aufbringung auf Spülfelder nicht länger möglich ist. Es hat sich herausgestellt, daß der Schwermetallgehalt zu groß ist und deswegen derartige Dinge in den Nahrungsmittelkreislauf zu gelangen drohen.
Auch hier müssen wir stärkere Anstrengungen im Forschungsbereich unternehmen, um ein Umweltfiasko zu vermeiden. Der Bundesinnenminister und auch der Bundesforschungsminister sind aufgefordert, die Forschungsseite zu intensivieren.
Nun haben wir einen verhängnisvollen Kreislauf. Wir haben eine Beeinträchtigung der Gewässerqualität im Bereich der Elbe. Darüber habe ich ausführlich gesprochen. Aus diesem Grunde fließen nicht nur die Stadtgewässer, sondern auch die verseuchten Elbwässer natürlich in den Untergrund. Demnächst müssen an der Elbe Wasserwerke stillgelegt werden, weil die Grundwasserqualität so miserabel
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5869
Fischer
ist, daß nicht mehr geschöpft werden kann. Das hat zur Folge, daß wir in der Nordheide Wasser entnehmen müssen, mit allen Problemen, wie sie sich in der öffentlichen Diskussion dargestellt haben.Sicher sind wir uns darin einig, daß wir dieses Wasser brauchen. Insoweit war Herr Bundesinnenminister Baum nicht gut beraten, sich im niedersächsischen Wahlkampfeinsatz ein bißchen voreilig einseitig festzulegen. Er hatte sich auch vorher nicht über die Probleme, die es hier gibt, informiert.Meine Damen und Herren, es muß nicht nur alles getan werden, um eventuelle ökologische Schäden abzuwehren durch ein flächendeckendes Meßnetz, das es im Bedarfsfall ermöglicht, die vorgesehene Oberflächenversorgung mit Wasser durchzuführen, sondern wir müssen auch aus diesem Grund alles tun, um die Wasserqualität der Elbe zu verbessern.Ich kann es mir ersparen, weitere Ausführungen über die Problematik der Verhandlungen mit der DDR zu machen. Es ist bereits deutlich geworden, daß die Ankündigung der Bundesregierung seit 1977 immer wieder — — Ich könnte Ihnen eine ganze Chronologie von besänftigenden, teilweise ermutigenden Zitaten verlesen. Ich glaube, die Erfahrungen, die wir hier bei einem ganz praktischen und wohl kaum ideologiebehafteten Thema gewinnen, sind für manchen Euphoriker der Vergangenheit sehr deprimierend und eine bittere Lehre.
Nach meiner Meinung muß die Bundesregierung die Verhandlungen mit Nachdruck fortführen.Ich glaube, daß wir sowohl im Elbe-Bereich als auch an der Nordsee, wo wir immer wieder die Besorgnis der Verunreinigung durch Tankerunfälle oder durch das Ablassen von Altöl haben, auf einem guten Weg sind. Für Hamburg kann das maximale Risiko eines großen Tankerunfalls wohl nur dadurch abgewendet werden, daß das Pipelineprojekt nach Wilhelmshaven realisiert wird. Das ist die Lage.Wir müssen im übrigen dafür sorgen, daß alle technisch irgendwie denkbaren Lösungen realisiert werden. Hier müssen Bund und Länder zusammenwirken. Hier gibt es einen größeren Nachholbedarf, der dringend befriedigt werden muß.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß meiner Ausführungen. Wir können die Bundesregierung nur ermuntern, die Forschungsschwerpunkte, die sie in ihrer Antwort auf die Große Anfrage dargelegt hat, nämlich Forschung bei der Klärschlammverwertung, bei der Hafenschlickentsorgung, bei optimalem Einsatz von Geräten zur Bekämpfung der Meeresverschmutzung durch Öl und andere Chemikalien, intensiv und mit Hochdruck voranzutreiben, damit von der Seite her nicht neue Probleme entstehen.Wir müssen Bundesländer wie Hamburg und Bremen auffordern, in der Finanzpolitik so starke Prioritäten zu setzen, daß der Nachholbedarf noch früher als geplant ausgeglichen werden kann und diebundesrechtlichen Regelungen endlich vollzogen werden können.Wir müssen drittens — ich habe das ausgeführt — die Verhandlungen mit der DDR intensiv vorantreiben — ich unterstütze insoweit Herrn Dr. von Geldern, der sagte, wir brauchten in dieser Frage auch öffentlichen Druck, Meinungsdruck —, damit wir endlich zu einer Verringerung der Schwermetallbelastung des in die Bundesrepublik Deutschland hineinkommenden Elbewassers kommen.Wir müssen durch eine zügige Ausstattung der Einsatzstellen, mit dem geplanten und finanziell bereits abgesicherten Ölbekämpfungsgerät dafür sorgen, daß vor allem in der Nordsee die Ölverschmutzung im Katastrophenfall in Grenzen gehalten und schnellstens und wirkungsvoll bekämpft werden kann.Wenn wir diese Schwerpunkte setzen und uns in diesen Fragen einig sind, dann haben uns die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion und die heutige Debatte darüber wieder einen großen Schritt nach vorn gebracht.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Schuchardt.
• Frau Schuchardt : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, damit die Hamburger Runde komplett wird, möchte auch ich noch einiges dazu sagen.Meine Damen und Herren, die Diskussion der letzten zehn Jahre war ja immer wieder durch die Begrenztheit der Ressourcen bestimmt. Aber damit meinte man dann immer Öl und Kohle. Ich glaube, es gibt ein ganz großes Verdienst des Berichts „Global 2000", der erstmalig deutlich gemacht hat, daß es um die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen auf der Erde geht, die wir vorher immer für beliebig regenerierbar gehalten haben.Herr Fischer, die Antwort, die Sie auf das gegeben haben, was Herr Duve zu diesem Bereich gesagt hat, ging natürlich am Thema vorbei, hat uns aber in erschreckender Weise zur Kenntnis gebracht, daß Sie das Buch „Global 2000" nicht gelesen haben. „Global 2000" ist, wie der Name schon sagt, eine globale Untersuchung. Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich auszurechnen, wo wir landen würden, wenn alle Menschen der Welt das gleiche Verbrauchs- und Verschmutzungsverhalten wie wir an den Tag legen würden.
Das wird hier ja wohl verdeutlicht werden dürfen.Meine Damen und Herren! Dieses Thema der Gewässer- und Küstenverschmutzung macht in besonderer Weise deutlich, daß Wirtschaften nur sinnvoll und möglich ist, wenn die Gesundheit des Menschen geschützt und die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten bleiben. Wir dürfen heute nicht mehr alles, und im Zweifel muß man sich für das höhere Gut einsetzen. Waren bisher Eingriffe in den Naturhaus-
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5870 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Frau Schuchardthalt um der Wirtschaft willen die Regel, so muß heute auch der Eingriff in Wirtschaftsbetriebe zum Schutz der Umwelt möglich sein.
Ob wir wirklich in der Lage sind, der ohne Zweifel bedrohlichen Entwicklung noch rechtzeitig entgegenzuwirken, möchte ich mit Fragezeichen versehen. Wir haben mehr und mehr eine Atomisierung von Verantwortlichkeiten. Hier reden wir jetzt über den Schutz der Gewässer und der Küste, an anderer Stelle, unter einem anderen Tagesordnungspunkt, natürlich mit einem etwas anders zusammengesetzten Plenum, reden wir dann über Wettbewerbsprobleme und darüber weshalb man einmal, was die Belastung der Umwelt betrifft, an dieser Stelle ein Auge zudrücken möge.
Wenn Herr Fischer hier sagt, was man in Hamburg im Sielbereich und was man für die Forschung tun müsse, dann hat das natürlich unmittelbar etwas mit Geld zu tun. Aber die CDU thematisiert in Hamburg nicht etwa diesen Bereich, sondern sie thematisiert dort den Verschuldensbereich, und irgend etwas gehört hier nicht zusammen. Das heißt, man erzählt hier, wenn es um den Haushalt geht, das eine und dort, wenn es um Umwelt geht, das andere.
Deshalb bin ich skeptisch, wenn es darum geht, die Probleme der Zukunft zu bewältigen.
Herr Fischer, ich kann noch eines hinzufügen. Ich stehle mich übrigens nicht aus der Verantwortung, wie das offenbar üblich ist. Überall haben wir alle einmal regiert. Wir waren damals in Hamburg noch in der Mitverantwortung, und als wir die Abgaben für die Sielgebühren erhöhen wollten, um in diesem Bereich nicht nur Kostendeckung für laufenden Kosten, sondern auch Mittel für Investitionen zu haben, ist das auf große Kritik der CDU gestoßen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Fischer?
Ja.
Bitte, Herr Abgeordneter.
Frau Kollegin Schuchardt, sind Sie bereit, nach der Debatte von mir etwa 25 Anträge, Große Anfragen der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg, entgegenzunehmen, die in den letzten Jahren dort auf parlamentarischer Ebene vorgebracht worden sind und die Sie vermutlich noch nicht zur Kenntnis genommen haben?
Ich werde nachher noch darauf eingehen, daß man die Probleme mit Großen Anfragen nicht bewältigt, sondern daß das nur mit konsistentem Verhalten geschehen kann.
Ich kann nicht auf der einen Seite Partei für die Wirtschaft und den Haushalt und auf der anderen Seite, wenn es um dieses Thema geht, Partei für die Umwelt ergreifen. Das geht nicht.
Ich möchte einen zweiten Bereich ansprechen. Ich glaube, wir alle müssen befürchten, daß wir uns an Katastrophen gewöhnen. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ein Tanker mitten in der Elbe auf Grund gelegen hat und wir nur um ein Haar an einer fürchterlichen Katastrophe vorbeigekommen sind. Es ist viel getan worden, was die Große Anfrage gezeigt hat. Aber ich glaube, sie zeigt auch, daß wir immer ein bißchen zu wenig getan haben, um die Probleme tatsächlich zu bewältigen. Ich rede natürlich zuallererst zu diesem Thema, um Hamburg, die Elbe und die Folgen für die Nordsee ein bißchen zu beleuchten. Auch heute funktionierte das SchwarzePeter-Spiel wieder fantastisch. Lange Zeit war es üblich, bei der Elbeverschmutzung immer auf die DDR und die CSSR zu schimpfen. Inzwischen ist Hamburg hinzugekommen. Eines ist dabei ganz sicher: Man beschimpft immer gerade diejenigen Länder, in denen der politische Gegner die Verantwortung hat und selten die eigenen. Ich glaube, deshalb sollte man vielleicht einmal darauf hinweisen, daß natürlich die niedersächsische und die schleswigholsteinische Landesregierung überhaupt nicht pingelig sind, wenn es im Industrieraum Elbe um Sondergenehmigungen für die Industrien in Stade und in Brunsbüttel geht.
Nur kommt da insgesamt nicht so viel zusammen. Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als Betriebe auch aus Umweltgründen, weil in Hamburg schärfere Auflagen gemacht worden sind, ins Umland nach Schleswig-Holstein und Niedersachsen umgezogen sind.
All dies wird heute unter den Teppich gejubelt, was wohl nicht richtig sein kann. Wenn wir wirklich etwas bewältigen wollen, die Zukunftsherausforderungen aufnehmen wollen, müssen wir diese eigenen Fehler auch überall dort eingestehen, wo wir mit in der Verantwortung waren.
Frau Abgeordnete, der Abgeordnete Fischer wollte Ihnen noch eine Zwischenfrage stellen. Sind Sie damit einverstanden?
Ja.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Fischer.
Frau Kollegin Schuchardt, ist Ihnen das Zitat von Herrn Bundesinnenminister Baum aus einer Veranstaltung in Salzhausen in Niedersachsen bekannt, wo er gesagt hat,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5871
Fischer
Hamburg müsse deshalb gezwungen werden, bessere Umweltvorsorge als bisher zu teffen, man dürfe die Schuld für die Elbeverschmutzung nicht nur auf die DDR und die Tschechoslowakei abwälzen,
und in welchem Verhältnis stehen diese Äußerungen von Herrn Baum zu dem, was Sie soeben ausgeführt haben?
Sehen Sie, das Entscheidende ist, daß Herr Baum das gesagt hat, was ich jetzt bestätigen werde. Ich werde nicht etwas verteidigen, was nicht verteidigenswert ist, und ich stehe auch überhaupt nicht an, zuzugeben, daß meine Partei in Hamburg lange Zeit Mitverantwortung getragen hat und aus Fehlern lernen muß. Nur, ich vermisse das gleiche bei Ihnen. Und das ist das Argument, das ich hier gebracht habe.
Ich komme auf das, was Sie geschrieben haben. Hamburg wird den in der Tat erschreckend niedrigen Anteil von 20 % vollbiologisch behandeltem Abwasser schnellstens erhöhen. Deshalb fordert meine Partei — übrigens hier schon seit längerem, nicht erst seit es die Große Anfrage gibt —, die Fertigstellungstermine für die Klärwerkausbauten in Hamburg vorzuverlegen. Es kann keinen Zweifel geben, daß Hamburg auf westlichem Gebiet der Hauptverschmutzer der Elbe ist. Ich finde, dies darf nicht unter den Teppich gejubelt werden.
Ich möchte auf eines noch hinwesen. Verbesserungen des Gewässerschutzes müssen nicht immer teuer sein. Wir müssen beginnen — darauf ist leider wenig hingewiesen worden —, abwasserlose Verfahren ganz entscheidend zu fördern und stärker mit geschlossenen Wasserkreisläufen zu arbeiten. Man muß auch versuchen, im Bereich der Wasserversorgung vor allem das Verursacherprinzip dadurch besser durchzusetzen, daß man vielleicht genauso, wie man es bei der Energieverbrauchsberechnung macht, auch bei Wasser zu individueller Verbrauchsberechnung kommt.
Ich würde gern noch auf die Gefahr von Schiffsunfällen eingehen. Das muß ich mir aus Zeitgründen leider versagen.
Aber doch noch einiges. Das Abwässerproblem ist natürlich nur eine Seite der Medaille. Elbevertiefung, Eindeichung und Feuchtgebiete sind etwas anderes. Man beklagt sich heute über den desolaten Zustand der Elbe und hat gleichzeitig in den Ländern seiner politischen Freunde Planungen, wo man z. B. über neue Häfen in Niedersachsen nachdenkt oder wo man das Mühlenberger Loch, eines der wenigen übriggebliebenen Niedrigwassergebiete der Elbe, weiter reduzieren möchte, weil gerade dort eine Expansion eines Betriebs sein soll — übrigens möchte die CDU auch das weitermachen. Ähnlich verhält man sich gegenüber dem Baggerschlick, in dem leider Schwermetalle sind und wo — darauf hat Herr von Schoeler hingewiesen — die landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr möglich ist. Diese Schwermetalle sind da nicht rein zufällig oder vom lieben Gott geschickt reingekommen, sondern die sind da von uns allen reinproduziert worden.
Wir haben nicht den Mut gehabt, zur rechten Zeit zu sagen, daß die Wirtschaft nicht mehr alles tun darf und auch wir Private nicht mehr alles tun dürfen. Wir dürfen nicht nur immer den unpopulären Teil der Medaille zeigen, sondern wir müssen versuchen, auch den unpopulären Teil der Medaille in der Öffentlichkeit zu vertreten.
Meine Partei fordert ein ökologisches Gesamtkonzept für den Unterelberaum. Es ist außerordentlich bedrückend zu sehen, daß wir hier zwar alle darüber einig waren, man müsse hier die Bundeskompetenz für die Wasserreinhaltung haben, daß aber die Kleinstaaterei im norddeutschen Raum geradezu Blüten trägt.
Wir haben eine Enquete-Kommission gefordert, die sich mit einem ökologischen Gesamtkonzept für den Unterelberaum beschäftigen soll. Diese gemeinsame Initiative ist an Niedersachsen gescheitert. So sieht es in Norddeutschland aus.
Frau Abgeordnete, ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich komme gleich zum Schluß, Herr Präsident. Selbstverständlich!
— Aber sie sind hervorragend unabhängig, vorausgesetzt, man macht sie unabhängig und hält sie unabhängig.
— Herr Stavenhagen, Sie sollten da Ihre persönlichen Erlebnisse wohl hinlänglich berücksichtigen können.Zum Schluß nur noch eines. Der Bürgermeisterkandidat der CDU in Hamburg hat vor kurzem in der Öffentlichkeit erklärt, er wolle gleichzeitig Wirtschaftssenator werden. Ich frage ihn: Wie will er eigentlich politische Entscheidungen im Zweifel für die Umwelt treffen, wenn er selber im Konfliktfall zwischen Umwelt und Wirtschaft im Senat Partei für die Seite der Wirtschaft ist?
Schon durch diese Entscheidung hat die CDU in Hamburg zu erkennen gegeben, daß ihr das Thema, das sie heute hier eingebracht hat, nicht wirklich ernsthaft am Herzen liegt.
Durch Anfragen kann man Probleme nicht lösen — ich hatte das bereits vorhin deutlich gemacht —, sehr wohl aber durch aktive Politik. Es bedarf einer Reihe unpopulärer Maßnahmen, die vielleicht auch wirtschaftlich im Augenblick schwer zu verkraften
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5872 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Frau Schuchardtsind. Aber wir brauchen diesen Mut zur Unpopularität heute.Meine Partei hat ihn. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Riesenhuber, Pfeifer, Dr. Dregger, Dr. Probst, Dr. Stavenhagen, Dr. Dollinger, Gerstein, Lenzer, Kraus, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Engelsberger, Dr. Bugl, Dr.-Ing. Kansy, Magin, Kolb, Prangenberg, Dr. Laufs, Boroffka, Pfeffermann, Neuhaus, Rossmanith, Müller , Frau Geiger, Nelle, Maaß, Dr. Jobst, Dr. Kunz (Weiden), Jagoda und Genossen und der Fraktion der CDU/ CSU Zukunft der Brutreaktortechnologie in Deutschland
— Drucksachen 9/1178, 9/1380 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Aussprache zweieinhalb Stunden dauern. Darf ich fragen, ob das Haus damit einverstanden ist? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Lenzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute, nicht zum ersten Male und sicher auch nicht zum letzten Male, über die Zukunft der Brutreaktortechnologie in unserem Lande. Der entscheidende Eckstein für die weitere Entwicklung ist dabei der Bau des Prototyps SNR 300 in Kalkar. Es handelt sich dabei um ein Kraftwerk, von dem man mit Recht sagen kann: Zwar hat es noch keine einzige Kilowattstunde Strom erzeugt, aber dafür um so mehr Schlagzeilen.
Bisher haben sich die Diskussionen, zum Teil auch in diesem Hause, in reine Alibi-Diskussionen verwandelt.
Ich habe von seiten der Bundesregierung selten so viele Ausreden, so viel Ausweichen, so viel Taktieren und Finassieren und so wenig verbindliche Festlegungen wie in diesem Zusammenhang gehört.
Uns dürfen dabei nicht interessieren: noch so wohlgeformte Reden, noch so schöne unverbindliche Erklärungen, das Gesamtergebnis zählt letztlich.In diesem Zusammenhang will ich Bezug nehmen auf die Antwort auf unsere Große Anfrage. Dort betont die Bundesregierung — ich zitiere —:Die Bundesregierung hält eine eigenständige Brüterentwicklung unter den vier genannten Gesichtspunkten für notwendig. Deshalb unternimmt sie insbesondere alle Anstrengungen, das Projekt SNR 300 zum Erfolg zu führen.
Und weiter führt sie aus, wie wichtig dieses Projekt sei, weil man einmal ein solches genehmigungsfähiges Brüterkonzept vorlegen müsse, weil man die internationale Zusammenarbeit — hier denke ich insbesondere an die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich — in diesem Bereich weiter vorantreiben müsse. Es ist vom Energieversorgungsbeitrag der Schnellbrütertechnologie die Rede. Und letztlich wird damit auch die Hoffnung auf Arbeitsplätze in der deutschen reaktorbauenden Industrie verknüpft. Aber was heißt „zum Erfolg führen"? Diese Frage muß doch erlaubt sein. Und hier trifft dann der alte Spruch zu, daß nicht die Worte zählen, sondern daß man sie bekanntlich an ihren Früchten erkennen soll.
Für unsere Fraktion ist auch diese Antwort auf die Große Anfrage wieder vieles an Verbindlichkeit schuldig geblieben. Sie ist nach meiner Auffassung ein Dokument der Unverbindlichkeit, weil sie jeder klaren und eindeutigen Festlegung ausweicht. Man muß — ohne jemandem zu nahe treten zu wollen — schon vom Stil her diese ganze Schnellbrüter-Debatte — was im Rahmen der Bundesregierung und auch im Rahmen der Koaliton an Für und Wider, an Widersprüchen, an heftigen Diskussionen kommt — fast als absurdes Theater bezeichnen. In der Sache kann, glaube ich, selbst der objektive Kritiker nicht zu einer anderen Wertung als der kommen, zu sagen: Das ist ein weiteres Dokument für das Versagen dieser Bundesregierung in wichtigen Teilen der Politik.
Meine Damen und Herren, solange innerhalb der Koalition, innerhalb der Koalitionsfraktionen — und einige scheinen sich hier auch im Saale zu befinden — noch Leute sitzen, die sich bekreuzigen, wenn der Name Schneller Brüter in den Mund genommen wird, oder aber das Ganze als Teufelswerk ansehen, solange ist für diese technische Entwicklung sicherlich keine Zukunftsperspektive zu erwarten. Es gibt eine Fülle von törichten Formulierungen in diesem Bereich, z. B. die Kernenergie, insbesondere der Schnelle Brüter — den nehme ich als besonders herausragendes Beispiel — dürfe nicht übergestülpt werden. Dabei kann man doch sagen, daß es in kaum einem politischen Bereich über Jahre hinweg eine solche wirklich offene Diskussion gegeben hat. Letztlich kommt es doch darauf an, daß dann eine politische Entscheidung zustande kommt, die zum Ausdruck bringt, was in diese Diskussionen hier aufgenommen worden ist.
Zu diesem Thema werden wir heute noch sehr viel hören. Ich glaube, man kann gute Gründe für eine
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5873
LenzerZumutbarkeit dieses Projekts ins Feld führen, wie das in vielen Dokumenten der Bundesregierung übrigens durchaus geschieht, ohne daß daraus die politischen Konsequenzen gezogen würden, und darauf kommt es an. Das möchte ich heute hier deutlich machen. Nicht die Worte, die Dokumente allein zählen, sondern was diese Bundesregierung, was diese Koalition ganz konkret tut, um dieses Projekt zum Erfolg zu führen, wie sie verspricht. Ich meine, dazu muß es doch zunächst einmal gebaut werden, in Betrieb gehen und seine Chance erhalten, bevor wir weitersehen.Ein weiteres Argument in diesem Zusammenhang ist dieser als so schrecklich aufgezeigte „Einstieg in die Plutoniumwirtschaft". Jeder, auch wenn er kein Experte ist, weiß, daß auch beim Leichtwasserreaktor Plutonium erzeugt wird und daß Plutonium, nebenbei bemerkt, ein ganz wertvoller Kernbrennstoff ist, den es zu nutzen und nicht zu verteufeln gilt. Hier kommt teilweise eine wirklich irrationale Besessenheit in der Ablehnung einer modernen Großtechnologie zum Ausdruck, und ich stelle heute die Frage: Können wir uns eine solche Diskussion leisten angesichts von 2 Millionen Arbeitslosen in unserem Land? Können wir diese „fetten" Sorgen hier diskutieren, während andere die Geschäfte machen? Ich denke dabei an unseren westlichen Nachbarn Frankreich.Auch hier bleibt also festzustellen, die Politik hat versagt. Und auch diese Antwort, ich sagte es bereits, die einer Festlegung aus dem Wege geht, steht exemplarisch für dieses Versagen in der Politik. Ich weiß, daß die Schnellbrüterproblematik weit über die allgemeine Nutzung der Kernenergie zur Belastungsprobe, zu einer der Belastungsproben für die Koalition geworden ist.Ich möchte auch an die Adresse der Bundesforschungsminister gerichtet — hier sitzt j a nur der augenblickliche Amtsinhaber in dieser ganzen Ahnengalerie — sagen: Was hat denn der „Bürgerdialog Kernenergie" in dem Zusammenhang an mehr Akzeptanz gebracht? Diese Frage stellen Sie sich doch bitte einmal.Und lassen Sie uns weiter fragen: Wie konnte es denn überhaupt zu dieser Entwicklung kommen? Hat die Technik versagt, so daß man ihr Vorwürfe machen könnte? Haben sich denn die Wissenschaftler bei diesem sicherlich komplizierten Projekt verschätzt? Und eine Frage, die sicherlich auch berechtigt ist: Wie sieht es mit den Finanzen aus? Wächst uns dieses Projekt — und wenn ja, warum — nicht doch langsam über den Kopf? Im Haushalt stehen jetzt 5 Milliarden DM. Ich glaube, hierauf werden auch andere Kollegen, die Kollegen Kraus und Gerstein, noch eingehen.Der SNR 300 ist nun wirklich ein international anspruchsvolles Projekt. Etwa 10 000 Menschen sind hier in der internationalen Deutschland-BeneluxZusammenarbeit beschäftigt. Bisher sind allein etwa 4 Milliarden DM aufgewandt worden. Er ist ein Musterbeispiel für eine wirklich ausgezeichnete und als exemplarisch anzusehende internationale Zusammenarbeit in einer schwierigen Technologie. Ich meine, diese Entwicklung sollten wir unterstützen.Wenn wir ins Nachbarland, nach Frankreich, schauen und weit darüber hinaus, in die USA, nach Japan, sogar in die Sowjetunion und selbst nach Großbritannien, dann müssen wir doch sagen, wir können nicht so tun, als ob wir hier allein auf der Welt wären, sondern andere sehen die Chancen dieser Technik auch und versuchen sie zu nutzen. Meine Damen und Herren, wollen wir uns aus dieser Technologie verabschieden? Bis heute gibt es doch keinen wirklich wissenschaftlich belegbaren und belastbaren Grund, der uns dies nahelegen könnte.Ein anderes, ebenso törichtes Argument ist das Argument, daß man hier aussteigen könne, weil Frankreich ohnehin einen gewaltigen Vorsprung von zehn Jahren und mehr habe. Ich möchte hier die Frage stellen: Glaubt denn allen Ernstes jemand von diesen Kritikern, man könne international als Partner angesehen und akzeptiert werden, wenn man sich hier einfach selbst verabschiedet und sagt, irgendwann steigen wir ein und kaufen uns das Know-how? In der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geht es doch nun wirklich nicht, auch hierbei nicht, um die Verteilung irgendwelcher sozialer Wohltaten, sondern um eine ganz harte Auseinandersetzung unter Konkurrenzgesichtspunkten. Nur wenn wir selbst den Zugriff auf diese Technik darstellen können, werden uns die anderen als Partner auch akzeptieren, und das mit Recht. Ich warne und weise darauf hin, daß der Vertreter des CEA, also der französischen Kernenergiebehörde, beim Statusseminar in Kalkar ganz eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, daß für ihn die Realisierung des SNR300-Projekts der Grundstein für die deutsch-französische Zusammenarbeit und für die Gleichgewichtigkeit der Anstrengungen überhaupt sei, zu der wir uns ja vertraglich verpflichtet haben.Ich will zu der Kostenexplosion nichts sagen. Das soll hier zu späterer Zeit behandelt werden. Aber von den 1,535 Milliarden DM beim Baubeschluß im Jahre 1972 bis zu den jetzigen 5 Milliarden im Haushalt 1982 ist es ein weiter Weg. Die zuletzt genannte Zahl darf wirklich auch angezweifelt werden. Die Steigerung mag auf Preisgleiteffekte, längere Bauzeit und was es sonst noch sein mag, wie die Bundesregierung j a selbst einräumt, zurückzuführen sein.Die Bundesregierung räumt weiter ein, daß dies überwiegend das Ergebnis — so wörtlich — der fortlaufenden Erörterungen zwischen der Genehmigungsbehörde, ihren Gutachtern, den Betreibern und Herstellern sei. Was steht denn dahinter? Dahinter steht, daß wir ein — ich sage das in dieser Deutlichkeit — wirklich absolut unzureichendes — um nicht zu sagen, unsinniges — Genehmigungsverfahren haben, welches die allgemeinen Kernkraftprojekte behindert, ganz zu schweigen davon, daß es für den Bau eine Prototyps — —Herr Kollege Schäfer, ich sehe, Sie machen sich eifrig Notizen; ich hoffe, daß Sie auf meine Ausführungen eingehen. Deswegen brauchen Sie natürlich nicht gleich vor lauter Schreck vom Sitz zu fallen.
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5874 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
LenzerAber ich freue mich, daß meine Worte offensichtlich eine so durchschlagende Wirkung auf Sie ausüben. Ich erwarte etwas von Ihnen.
— Ja, heute morgen ist schon einmal das Licht aus-gegangen. Kein Wunder, wenn man die friedlicheNutzung der Kernenergie nicht weiter vorantreibt.
— Den Humor können Sie mir überhaupt nicht abgewöhnen; da bin ich völlig immun.Meine Damen und Herren, ohne ein Jota an zusätzlicher Sicherheit — das muß man doch ganz deutlich sehen — wird hier ein Genehmigungsverfahren angewandt, wie es selbst bei einem konventionellen Leichtwasserreaktor, der den Stand der Technik verkörpert, j a nun weiß Gott auch in seiner Wirksamkeit angezweifelt werden kann. Jeder, der gestern im Forschungsausschuß dabei war, als wir über das zweite große Projekt, nämlich den THTR 300, diesen Prototyp eines Thorium-Hochtemperaturreaktors in Schmehausen, diskutierten, der weiß, was ein Genehmigungsverfahren hier anrichten kann. Ich glaube, wir müssen hier zu Lösungen kommen. Ich sah eben noch den Vertreter des Innenministeriums zu Ihrer Linken, Herr Bundesminister. An ihn müßte ich diese Philippika eigentlich in erster Linie richten,
weil sein Haus und die politische Führung dieses Hauses das Investitionshemmnis — sehr richtig, Kollege Stavenhagen — Nummer eins ist. Ich meine, man müßte sich doch einmal Gedanken darüber machen, was dieses Haus tut, um seinen Beitrag zu leisten. Sieht es hier seine Verantwortung? Oder wird es uns dazu zwingen — ich weiß, Sie sehen es genau wie auch ich, Herr Minister von Bülow —, uns aus einer solchen Technik sang- und klanglos früher oder später — auch noch unter enormen finanziellen Verlusten — zu verabschieden? Was soll man denn von einem solchen Genehmigungsverfahren halten, wenn man hier allein für die Vorprüfung schon 40 Tonnen Papier beibringen muß? Der Bürger draußen im Land glaubt uns das doch überhaupt nicht mehr. Er meint, wir wollten ihn auf die Schippe nehmen und versteht es nicht. Mit Recht versteht er es nicht. Ich bitte Sie dringend, Herr Bundesminister von Bülow, sich auf diesem Hintergrund zu überlegen, ob Sie es durch die Verweigerung der letzten Bewilligung von 297,5 Millionen DM, die ja noch durch die jetzt bestehende Finanzplanung abgedeckt ist, riskieren wollen, daß dieses Projekt stillgelegt wird und aus der Baustelle eine Investitionsruine wird. Denn wenn es einmal stillgelegt ist, kommen Sie wiederum in ganz andere Kostendimensionen, und dann können Sie wirklich die Ampeln auf Rot schalten und brauchen sich weiter keine Sorgen mehr zu machen.Nun zum Thema Sicherheit, zum Thema Genehmigungsverfahren. Ich brauche mich hier nicht inbesondere geistige Unkosten zu stürzen, um nachzuweisen, daß zwischen unserem Genehmigungsverfahren einerseits und dem Sicherheitsstandard andererseits schon längst kein sinnvoller Zusammenhang mehr besteht
— keiner mehr, sagte ich —,
um nachzuweisen, daß man mit weniger unter Umständen sogar mehr erreichen könnte.Wenn Sie gestatten, bringe ich hier nur ein einziges Zitat, nämlich das Ihnen j a auch bekannte Zitat des Professors Ziegler, mit dem er sich aus der Reaktorsicherheitskommission verabschiedet hat. Er schreibt dort — ich darf zitieren, Herr Präsident —:Weiterentwicklung der Sicherheit bedeutet im wesentlichen, die Sicherheitseinrichtungen auf Grund der Erfahrungen wirksamer, zuverlässiger, einfacher und billiger zu machen. Ständig neue Forderungen tragen wenig zur Erhöhung der Sicherheit bei. Der jeweils neueste Stand von Wissenschaft und Technik macht unter Umständen auch neue Konzepte mit verbesserten Sicherheitseinrichtungen möglich, was aber nicht besagt, daß die alten Konzepte deshalb den Sicherheitsforderungen nicht mehr genügen. Die ständige Weiterentwicklung der Sicherheit im Sinne einer weiteren Verminderung des Risikos hat ihre Grenzen, wenn das Restrisiko praktisch Null ist.Meine verehrten Kollegen von der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion, das sollten Sie doch bedenken.Aber das größte Hemmnis, das größte Risiko hierbei — auch das will ich deutlich sagen — ist ein politisches Hemmnis, nämlich der in diesem Hause mit Ihrer Mehrheit am 14. Dezember 1978 verhängte — man muß es schon fast in der juristischen Sprache sagen — Vorbehalt für die Betriebsgenehmigung. Sie wollen das Ganze nach wie vor von dem Votum der Enquete-Kommission abhängig machen. Hierzu werden sich noch die Kollegen Kraus und Gerstein äußern. Sie wollen erst dann entscheiden. Ich will hier nicht in Einzelheiten gehen. Dabei war dies nur ein Versuch, sich im eigenen Hause Luft zu verschaffen. Sie werden — das kann ich Ihnen jetzt schon sagen, ohne hellseherische Fähigkeiten zu strapazieren, über die ich ohnehin nicht verfüge — am Ende der Ermittlungen dieser Enquete-Kommission zu der Meinung kommen: Es ist sehr wenig an neuer Erkenntnis über das hinaus beigebracht worden, was ohnehin schon international bei allen Experten auf dem Tisch des Hauses lag.Abgesehen davon haben Sie versucht — auch das werden die Kollegen Kraus und Gerstein vertiefend behandeln —, durch die Hereinnahme sogenannter Skeptiker — oder wie immer Sie das bezeichnen wollen — die Akzeptanz zu vergrößern und dadurch mehr Verständnis in der Öffentlichkeit zu wecken. Da gibt es 1,2 Millionen DM für eine Gruppe von Kernenergiegegnern mit teilweise wirklich zweifel-
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5875
Lenzerhafter wissenschaftlicher Qualifikation. Nun gut, wenn das Ganze nicht ein so teures Vergnügen wäre! Wieviel Arbeitnehmer müssen denn mit ihren Steuergroschen dafür bezahlen, daß dieser teure Luxus finanziert wird?
Glauben Sie denn wirklich, daß Sie damit die Akzeptanz der Kernenergie, insbesondere die Akzeptanz der Schnellbrüterreaktorentwicklung in der Öffentlichkeit vergrößern können?Ich möchte am Schluß meiner Ausführungen kurz überlegen, was wir gemeinsam tun können. Ich möchte Ihnen dabei auch unsere Unterstützung, die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion in diesem Hause anbieten. Das muß auch einmal gesagt werden: Es ist nicht selbstverständlich, daß eine Opposition in einer sicherlich schwierigen politischen Frage ihre Unterstützung anbietet. Wir wollen gemeinsam versuchen, daß das Projekt fertiggestellt wird, daß es auch seine Chance im Betrieb erhält. Lassen Sie uns auch gemeinsam versuchen, den Kostenrahmen einzuhalten. Das geht nicht, indem immer wieder neue politische Forderungen nachgeschoben werden. Oder wir müssen uns zu dem Prinzip bekennen, daß derjenige, der die Musik bestellt, sie auch bezahlen muß. Wenn die öffentliche Hand durch immer neue Auflagen die Dinge erschwert, muß sie gefälligst auch eintreten und die Unterdekkungen übernehmen, die dann in der Finanzierung entstehen. Das müßte sie gegenüber der Öffentlichkeit begründen.Weitere Verzögerungen sind nicht mehr tolerabel. Wir sollten uns deswegen auch überlegen, ob wir weitere Verzögerungen auch im Bereich der Enquete-Kommission hinzunehmen bereit sind. Ich verweise in dem Zusammenhang auf unseren Entschließungsantrag und möchte es damit sein Bewenden haben lassen.Letztlich — auch dies ist ein Novum und sollte zugleich ein Unikum sein — kann es nicht Aufgabe des Deutschen Bundestages sein, über die Betriebsgenehmigung eines einzelnen Kraftwerks zu befinden. Wo kommen wir denn dann hin, meine Damen und Herren? Dies muß ein Unikum bleiben.Besser aber als alle Studien und Gutachten — dabei möchte ich mich niemals gegen eine sinnvolle Studie wenden, die die Erkenntnis erweitert und wirklich neue Aussagen bringt und neue Tatbestände untersucht —, besser als die vielen, vielen Tonnen bedruckten Papiers wäre es, wenn vielleicht heute schon in dieser Diskussion im Deutschen Bundestag gegenüber der Öffentlichkeit deutlich würde, daß wir gemeinsam bereit sind, jetzt aus der Entwicklung der letzten Jahre die Konsequenzen zu ziehen und dieses Projekt ebenso wie das andere Projekt — ich weiß, daß das nicht einfach sein wird — zum Erfolg zu führen, d. h. es zügig fertigzustellen und beiden Reaktoren nach Inbetriebnahme auch die Chance zu geben, die technische Durchführbarkeit dieses Konzeptes nachzuweisen.
Wenn Sie sich dazu entschließen könnten, darf ich Ihnen hierzu unsere Unterstützung nochmals ausdrücklich anbieten.
Ich gebe dem Abgeordneten Schäfer das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Lenzer, Sie haben hier die Arbeitslosenzahl in der Bundesrepublik Deutschland beklagt.
Ich füge hinzu: zu Recht, denn 2 Millionen Arbeitslose in diesem Lande können niemanden ruhig lassen. Aber dann stimmen Sie doch bitte der Gemeinschaftsinitiative der Bundesregierung, den Vorstellungen der Fraktionen der sozialliberalen Koalition zu.
Sie sollten nicht nur den Mund spitzen, sondern sie sollten hier auch j a sagen, wenn es darum geht, tatsächlich einen wichtigen Beitrag des Staates zur Minderung der Arbeitslosigkeit zu leisten.
Diese Politik der Doppelzüngigkeit! Sie mißbrauchen hier Arbeitslose.
Wenn Sie einen Beitrag leisten können, um Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen,
dann stehlen Sie sich davon.
Das zum ersten.
Zum zweiten, meine Damen und Herren: Ich habe Ihnen sehr aufmerksam zugehört, Herr Kollege Lenzer. Wie oft — das will ich Ihnen ausdrücklich zugestehen —, wie fast immer bei Ihnen lohnt sich eine Auseinandersetzung mit Ihren Anregungen. Es wäre bei dieser Fragestellung auch nichts falscher, als wenn wir hier im Bundestag ohne Abwägung und Austausch der Argumente jeweils auf dem eigenen Standpunkt beharren würden.
Eines will ich jetzt allerdings ganz deutlich erklären: Was das Genehmigungsverfahren, genauer gesagt, was die atomrechtlichen Genehmigungsvorschriften angeht, so bin ich von Ihren Äußerungen doch überrascht. Es darf nach unseren Vorstellungen keine Abstriche an den strengen Schutzbestimmungen des deutschen Atomgesetzes geben.
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Es darf, meine Damen und Herren — ich will das noch einmal klarstellen —, nicht sein, daß wir beispielsweise — das ist soeben bei Ihnen angeklungen — beim Schnellen Brutreaktor in Kalkar, wo der Schadstoffinhalt größer ist als beim Leichtwasserreaktor, wo mögliche Unfallfolgen größer sein können als beim Leichtwasserreaktor — ich werde nachher darauf zurückkommen —, andere — nach Ihrer Diktion: weniger strenge — Sicherheitsvorschriften auch nur in Erwägung ziehen.
In einem stimme ich Ihnen zu: Nicht alles, was bei der Ausführung des Atomgesetzes und der entsprechenden Verordnungen praktiziert worden ist, kann gutgeheißen werden.
Gerade deshalb haben wir ja jetzt — gottlob mit Zustimmung des Bundesrates — die Rationalisierung, die Beschleunigung atomrechtlicher Genehmigungsverfahren beschlossen.
— Das gilt generell, verehrter Herr Kollege Laufs, weil unser Atomgesetz zwischen Prototypen und kommerzialisierten Leichtwasserreaktoren zu Recht nicht unterscheidet. Eines will ich hier allerdings für meine Fraktion in aller Deutlichkeit sagen: Wir begrüßen — wir haben es in der Enquete-Kommission am Beispiel des Schnellen Brutreaktors einvernehmlich deutlich gemacht — die Arbeit der Genehmigungsbehörde des Landes Nordrhein-Westfalen ausdrücklich. Wir haben uns am Beispiel des Brutreaktors in Kalkar davon überzeugt, daß dort gründlich, gewissenhaft und sachkundig entschieden wird. Wir sagen auch, daß die oberste Aufsichts- und Genehmigungsbehörde des Bundes, der Bundesminister des Innern, gerade auch für seine Tätigkeit als oberste atomrechtliche Aufsichtsbehörde unser Vertrauen hat. Wir sind froh, hier einen Bundesminister, eine Bundesregierung zu haben, die das Wort „Sicherheit hat Vorrang vor Wirtschaftlichkeit" nicht nur im Munde führt, sondern auch tatsächlich bei der Genehmigungspraxis in die Wirklichkeit umsetzt.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten können die heutige Debatte in der Kontinuität unserer energiepolitischen Positionen führen, auch und gerade was den Schnellen Brutreaktor in Kalkar angeht.
Rückblickend gesagt können wir hinzufügen: Unsere Position war vernünftig, richtig und hat den Baufortschritt nicht im mindesten behindert. Wir, SPD und FDP gemeinsam, haben am 14. Dezember1978 gegen Ihre Stimmen beschlossen, daß die Arbeiten am Schnellen Brutreaktor in Kalkar fortgesetzt werden sollen. Damals ist hier in der Republik ein Baustopp diskutiert worden. Sie haben — aus welchen Gründen auch immer — diesen Antrag damals abgelehnt.Weiterhin haben wir beschlossen, daß es angesichts der auch heute noch bestehenden Sicherheitsbedenken notwendig ist, daß wegen der besonderen Bedeutung einer möglichen kommerzialisierten Nutzung des Schnellen Brüters der Deutsche Bundestag hier ein politisches Votum abgibt, ob der Schnelle Brutreaktor unter Sicherheitsgesichtspunkten in Betrieb gehen kann oder nicht. Das kann, soll und darf nicht die Genehmigungsentscheidung durch die Behörde vorwegnehmen.Meine Damen und Herren, schließlich haben wir zur Vorbereitung dieser Entscheidung eine Enquete-Kommission eingesetzt, wie Sie wissen, übrigens auf dem Hintergrund, daß wir fest davon überzeugt sind, daß langfristige energiepolitische Entscheidungen, wie sie die Energiepolitik nun einmal erfordert — gleichgültig, ob mit oder ohne Kernenergie —, mit Auswirkungen — gleichgültig, welchen Energiepfad Sie wählen — für Generationen nach uns nicht mit Zwentendorfer Mehrheiten — wie in Österreich — gefällt werden können. 51 % waren dafür, 49 % dagegen. Hier braucht man eine breitere Zustimmung. Deswegen plädiere ich nach wie vor für Konsens. Konsens können Sie nur finden, wenn wir als Politiker alles, was an kritischen Einwendungen in der Wissenschaft, in der Gesellschaft vorgebracht wird, auch hier auf den Tisch der parlamentarischen Prüfung bringen. Meine Damen und Herren, deswegen haben wir Wert darauf gelegt und legen auch jetzt noch Wert darauf, daß in der Enquete-Kommission die unterschiedlichen in der Wissenschaft, in der Bevölkerung, in der Gesellschaft insgesamt vorhandenen Positionen eingebracht und bewertet werden können. Dann können wir auch gut entscheiden.
— Die Enquete-Kommission hat, verehrter Herr Kollege Probst, übrigens einstimmig beschlossen, daß es notwendig sei, eine risikoorientierte Analyse in Auftrag zu geben. Diese Analyse ermöglicht erstmals — übrigens weltweit — einen Vergleich des Sicherheitsrisikos beim Leichtwasserreaktor, Typ Biblis B, und beim Schnellen Brüter in Kalkar. Ich sage das deswegen, weil alle bei uns sagen: Das Risiko des Schnellen Brüters muß dem eines Leichtwasserreaktors vergleichbar sein; es darf nicht höher sein. Bislang ist nirgendwo diese vergleichende Untersuchung angestellt worden. Ich sage noch einmal: Diesen Vergleich gibt es noch nicht. Deswegen haben wir gemeinsam die risikoorientierte Analyse beschlossen.Meine Damen und Herren, wenn wir konsensorientierte Politik machen wollen, wenn wir tatsächlich alles auf den Prüfstand bringen wollen, was prüfenswert ist, dann müssen wir auch — das ist unsere feste Position — Wissenschaftler, die qualifiziert sein müssen — dazu sage ich noch etwas —, mit un-
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terschiedlichen Haltungen zur Nutzung der Kernenergie an der Arbeit beteiligen.
Dies haben wir getan.
Ich gehe nachher noch einmal darauf ein.Ich komme auf den Sicherheitsvergleich zurück. Einen solchen Vergleich gibt es noch nicht, meine Damen und Herren. Wir wissen — ich wiederhole mich —, daß der Schadstoffinhalt von Brütern größer ist als der von Leichtwasserreaktoren. Wir wissen auch, daß nach dem gängigen Risikobegriff Eintrittswahrscheinlichkeit plus Schadensauswirkungen das Risiko definieren. Wir kennen die Wahrscheinlichkeit der Störfälle beim Brutreaktor nicht.Wenn ich jetzt höre, meine Damen und Herren, daß erst wenige Tage vor Ostern überhaupt damit begonnen worden ist, die Folgen eines schweren Brüterunfalls, die denkbar sind — wenn auch sehr hypothetisch, aber nicht ganz auszuschließen —, mathematisch zu untersuchen, dann möchte ich wissen, wie Sie, Herr Kollege Lenzer, unter der Rubrik „Sicherheit hat Vorrang" schon heute eine Entscheidung zur Inbetriebnahme des Schnellbrutreaktors treffen können. Wo ist denn die Entscheidungsgrundlage? Wie können Sie sagen, das Risiko sei nicht größer als beim Leichtwasserreaktor?
Meine Damen und Herren, es hat bei der Durchführung der Risikostudie in der Tat einige Terminverschiebungen gegeben. Ich will nicht näher darauf eingehen. Wenn es notwendig ist, werden es die Redner meiner Fraktion nach mir tun.Einige der Gründe — Herr Neuhaus, damit Sie zufrieden sind — sind objektiver Art. Erstmals kam es zur Kommunikation zwischen Wissenschaftlern mit verschiedener Grundhaltung zur Kernenergienutzung in diesem Land. Das kostete Kraft und Zeit. Mit Unverständnis haben wir in der Enquete-Kommission auch registriert, daß das Verfügbarmachen notwendiger Materialien länger gedauert hat, als es eigentlich verantwortbar gewesen ist. Das waren objektive Schwierigkeiten.Es hat auch Schwierigkeiten gegeben, die darin bestanden, daß zur Untersuchung des Risikos des SNR 300 ein völlig neues Arbeitsteam auf seiten der Kernenergieskeptiker zusammengestellt wurde. Das räumen wir ohne weiteres ein. Als der Auftrag vor einem Jahr erteilt wurde, existierte ein solches Team noch nicht einmal. Das ist das eigentliche Problem. Das dauert lange.
— Ja, natürlich dauert das lange, weil in diesem Lande erstmals der Versuch unternommen worden ist, Wissenschaftler mit unterschiedlicher Haltung zur Kernenergienutzung zur Erarbeitung wesentlicher Entscheidungsgrundlagen für den Deutschen Bundestag überhaupt heranzuziehen.Ich äußere mich nicht im einzelnen zur Frage der wissenschaftlichen Qualifikation einzelner Mitarbeiter. Ich bin kein Kerntechniker und kann diese Frage daher nicht im einzelnen beurteilen. Hier sind ja pauschale Verdächtigungen zum Teil von Mitgliedern dieses Hauses vorgenommen worden, über deren Sachverstand ich nicht zu urteilen habe. Ich weiß aber, daß teilweise dieselben Personen, die jetzt an der risikoorientierten Studie arbeiten, in der Enquete-Kommission des 8. Deutschen Bundestages vorzeigbare, vernünftige und aussagekräftige Arbeiten abgeliefert haben. Diese Arbeiten sind im Materialband gut dokumentiert. Sie sind für jedermann einsehbar. Diese Arbeiten haben uns in die Lage versetzt, die Studie anzugehen. Ich halte es daher für müßig, nun zu fragen, ob diese Leute, die uns geholfen haben, die offenen Fragen in der vergangenen Legislaturperiode zu identifizieren, qualifiziert sind.
Die Enquete-Kommission sollte ursprünglich mitten in der Sommerpause ihre Empfehlungen an den Bundestag erarbeiten. Sie, meine Damen und Herren, hätten dann Gelegenheit gehabt, nach der Sommerpause, am 6. September, Einsicht in unseren Bericht bzw. in unsere Empfehlungen zu nehmen. Nun werden wir den Bericht aber spätestens am 23. September vorlegen. Das ist nicht einmal drei Wochen später. Der Fahrplan für die Inbetriebnahmeempfehlung des Deutschen Bundestages wird dadurch letztlich nicht tangiert. Dadurch wird nichts dilatorisch behandelt. Wir haben in den Antrag der Koalitionsfraktionen nicht umsonst die Selbstverpflichtung aufgenommen, bis zum Oktober im Deutschen Bundestag über die Inbetriebnahmeempfehlung zu entscheiden.Meine Damen und Herren, ich darf etwas zu der bevorstehenden Empfehlung sagen. Wir haben dem Deutschen Bundestag bis zum 23. September eine Empfehlung zur der Frage vorzulegen, ob der SNR 300 unter Sicherheitsgesichtspunkten in Betrieb gehen kann oder nicht. Wir werden in dieser Empfehlung nichts zur Einbindung möglicher Energiesysteme in unser Sozialsystem sagen. Wir werden Fragen gesellschaftlicher Auswirkungen verschiedener denkbarer Energiezukünfte nicht behandeln. Wir werden dort nichts zum Problem der Plutoniumwirtschaft und der möglichen Proliferation sagen. Wir werden auch kein grünes Licht für mögliche Folgereaktoren geben und geben können, die dem SNR 300 möglicherweise nachfolgen. Dies ist nach dem Auftrag des Deutschen Bundestages dem Schlußbericht zum 31. Juli 1983 vorbehalten.Wir werden auch nichts zu den gesamtwirtschaftlichen Kosten sagen. Es wäre einmal wert, die Frage zu stellen: Wie teuer wird eigentlich der angeblich billige Brüterstrom? Dauernd wird auf Frankreich hingewiesen: Beim Super-Phénix — in Frankreich liegt der Preis für eine Kilowattstunde Strom um
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den Faktor 2 höher, als wenn dieser mit einem Leichtwasserreaktor hergestellt würde.
Selbst wenn wir in Frankreich Brüterparks hätten,
— ich rede jetzt von der Kommerzialisierung in Frankreich —, läge der Preis noch um mindestens 20 % über dem Preis des von Leichtwasserreaktoren erzeugten Stroms — so eine Aussage des französischen Energieministeriums auf eine Anfrage von mir.Eines will ich jetzt angesichts der Finanzierungsschwierigkeiten beim Hochtemperaturreaktor sagen. Im einzelnen werden meine Kollegen Kübler und Vosen noch darauf eingehen. Uns als sozialdemokratischer Bundestagsfraktion liegt heute daran zu betonen, daß wir an einer Weiterentwicklung der Reaktorlinie Hochtemperaturreaktor äußerstes Interesse haben.
Wir haben jedenfalls kein Verständnis dafür, die Entwicklung der Brüter offenzuhalten und gleichzeitig den Hochtemperaturreaktor zu beerdigen.
Dies ist energiepolitische Absicht der SPD-Bundestagsfraktion. Wir sind aus industriepolitischen, energiepolitischen, technologiepolitischen, exportpolitischen Erwägungen heraus dafür, daß in jedem Fall die Möglichkeit der breiten Nutzung des Hochtemperaturreaktors, gegebenenfalls auch kleinerer Größenordnung, erhalten bleibt. Dies gilt nicht nur wegen der Möglichkeit der Kohleveredlung und Kohlevergasung, sondern auch wegen der Möglichkeit, mit dem HTR über Kraft-Wärme-Kopplung erhebliche Energieeinsparpotentiale nutzbar zu machen. Hinzu kommt noch, meine Damen und Herren, daß wir, was den Hochtemperaturreaktor angeht, weltweit eine technologische Spitzenstellung haben,
und diese Zustimmung sollten wir nicht aufs Spiel setzen.
Wir streiten heute um eine Verlängerung des Abgabetermins um zwei bis drei Wochen. Wer sich — wie Sie von der CDU/CSU — dagegen ausspricht, will nichts zur Sache beitragen. Wo bleibt denn Ihr Aufschrei, daß die Enquete-Kommission „Jugendprotest" ihren Zwischenbericht nicht, wie vorgesehen, zum 31. März abliefern kann, aus einleuchtenden Gründen übrigens?
Wer wie Sie, meine Damen und Herren, die Fristnachbesserung nicht mittragen will, dem ist nicht an konsensorientierter Arbeit gelegen. Wir Sozialdemokraten jedenfalls werden und wollen den mühsamen Weg weitergehen, alles — ich wiederhole noch einmal — auf den Tisch der Prüfung zu bringen, was geprüft werden muß, bevor dann in der Sache entschieden wird.
Uns vorzuwerfen, daß auf diesem Wege Steine, wenn nicht Felsen liegen, ist eine Banalität. Jawohl, meine Damen und Herren, das Aufgreifen von Ängsten und Befürchtungen in der Bevölkerung ist ein mühsames Geschäft. Damit ist eine Aufgabe angesprochen, der wir uns gestellt haben und immer noch stellen werden. Nur wer Ängste aufgreift, kann sie entkräften. Wer Orientierung geben will, muß aufnehmen, um entkräften zu können, was an berechtigten Ängsten vorhanden ist. Ich weiß, meine Damen und Herren, daß dieser Weg vielleicht langwierig ist. Ich weiß auch, daß er unbequem ist. Ich weiß aber auch, daß er in der Sache letztlich effektiver ist als der Weg, den Sie von der Opposition gehen.
Sie gehen lieber, Herr Kollege Probst in Sonderheit, auf Asphaltstraßen und am allerliebsten bergab. Ich hoffe, daß Sie noch rechtzeitig umkehren.
Ich erteile dem Abgeordneten Professor Dr. Laermann das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Probst, wir kennen uns jetzt lange genug; Sie sollten also wissen, daß ich immer sage, was ich denke. Sonst halte ich lieber den Mund.
Der Kollege Lenzer hat davon gesprochen, die Antwort auf die Große Anfrage der Opposition zur Brütertechnologie sei ein Dokument der Unverbindlichkeit. Ich finde das gar nicht. Sie haben die Antwort genau auf die Fragen erhalten, die Sie gestellt haben.Im übrigen haben Sie die Fragen an die Bundesregierung gestellt. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung die Antwort zu vertreten hat. Sie tut das auch.
Aber wir hier sind das Parlament und haben sicher eine andere Aufgabe, Herr Kollege Lenzer. Ich
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Dr.-Ing. Laermannwill hier keine Vorlesung über die Rolle und Bedeutung des Parlaments halten, aber ich halte es für eine Verpflichtung — das ist sicherlich eine neue und schwierige Aufgabe — wir haben an anderer Stelle darüber wiederholt diskutiert —, daß sich ein Parlament mit den politischen Wirkungen neuer technologischer Entwicklungen auseinandersetzt. Das ist der Punkt, um den es hier geht. Es darf doch wohl nicht zugelassen werden — um was auch immer es sich dabei handelt —, daß technologische Entwicklungen die politischen Prozesse entmachten.
Ich gehe davon aus, daß wir darüber Einvernehmen herstellen konnten.Im Sinne von technology assessment, Technikfolgenbewertung, wie Sie sie auch immer fordern, sehe ich eine sehr wirkungsvolle Möglichkeit in dem Instrumentarium „Enquete-Kommission", das uns die Parlamentsreform 1969 beschert hat.
Deswegen ist diese Enquete-Kommission von uns, den Koalitionsfraktionen, beantragt und ins Leben gerufen worden.
Sie soll helfen, Unsicherheiten, Vorbehalte und Ablehnung gegenüber der Kernenergie, insbesondere der Technik des Schnellen Brüters, zu überwinden. Sie soll kritische Fragen, die von Zweifeln befallene Menschen in unserem Land aufgeworfen haben, zu beantworten versuchen. Sie soll der Verantwortung der Politik gerecht werden und deutlich machen, daß sich auch die Legislative so wichtigen Fragen wie der Sicherung der Energieversorgung und der damit verbundenen wirtschaftlichen, aber auch der technischen und ökologischen Risiken mit aller Intensität stellt.Das kann ein Parlament aus seiner normalen Arbeit heraus nicht, sondern hier muß es den Dialog suchen mit Wissenschaftlern, mit Experten, mit Sachverständigen. Hier muß ein Parlament den Mut und die Kraft haben, auch unterschiedliche Haltungen — auch unterschiedliche Haltungen zur Kernenergie — in diesen Diskussionen zusammenzuführen. Das halte ich für eine ganz wesentliche Aufgabe. Im übrigen ist es ein grundlegendes liberales Anliegen, daß wir auch die Meinung von Minderheiten mit in die Entscheidungsprozesse einbeziehen und bereit sind, gegebenenfalls unsere Positionen zu verändern und zu korrigieren.
— Herr Kollege Neuhaus, ich komme darauf noch zurück.Das hat zu der Empfehlung der Einsetzung dieser Enquete-Kommission in der 8. Legislaturperiode geführt. Diese Enquete-Kommission konnte ihre Arbeiten wegen Ablaufs der Legislaturperiode nicht beenden. Sie hat zum Schnellen Brüter eine Empfehlung vorgelegt, die das Parlament und dann auch die Bundesregierung übernommen haben, u. a. eineStudie in Auftrag zu geben, die einmal einen Risikovergleich zwischen dem Schnellen Brüter und dem Leichtwasserreaktor üblicher Bauart — nämlich Biblis — anstellen und eine Vergleichsmöglichkeit geben soll. Es ist also keine Risikoanalyse, sondern sie soll nur einen Risikovergleich ermöglichen.In den Empfehlungen ist im einzelnen festgelegt, was diese Studien enthalten und worüber sie sich auslassen sollen. Es wird ausdrücklich mit Mehrheitsbeschluß empfohlen, daß diese Untersuchungen das laufende Genehmigungsverfahren nicht behindern sollen. Darüber gibt es einen Briefwechsel. Das ist allen bekannt,
auch der Genehmigungsbehörde, die sich also nicht darauf zurückziehen kann: Da kommt ja noch irgend etwas von einer Enquete-Kommission. Das ist ausdrücklich dokumentiert und festgelegt worden. Es ist auch ausdrücklich festgelegt worden im Sinne meiner Ausführungen von vorhin, daß Wissenschaftler zu beteiligen sind, die unterschiedliche Haltungen zur Brutreaktortechnik vertreten.Wenn es nun eine Verpflichtung ist, daß wir unterschiedliche Auffassungen mit einbeziehen, dann besteht auch die Verpflichtung, denjenigen, die begründbare abweichende Meinungen entwickeln, mindestens in vergleichbarem Umfang dazu auch die materiellen Voraussetzungen zuzugestehen. Es ist ein Unding zu sagen: Ihr könnt eure Meinung dazu sagen, wir bitten euch darum, eine Position, eine Studie zu erarbeiten; aber die Voraussetzungen, die notwendig sind, nämlich die finanzielle und personelle Ausstattung sowie die Informationen, enthalten wir euch vor, um euch anschließend zu sagen: „Ihr könnt das alles gar nicht leisten." Das halte ich für unehrlich. Voraussetzung ist: Sie müssen in die Lage versetzt werden, diesen Auftrag auch zu erfüllen.Die Einbeziehung alternativer Auffassungen — das ist meine grundsätzliche Position; die darf ich hier auch einmal äußern — in die wissenschaftlich-technischen Prozesse erachte ich als sehr hilfreich insbesondere zur Vermeidung einer gewissen Einäugigkeit oder Betriebsblindheit.
Das ist wie mit dem Hecht im Karpfenteich; den brauchen wir auch hier. Deswegen brauchen wir auch alternative Positionen in der Auseinandersetzung um die Kernenergie.
Wenn sie wissenschaftlich seriös vorgetragen werden. DieErgebnisse sind wissenschaftlich ebennicht haltbar! — Weitere Zurufe)— Herr Laufs, Sie sind offenbar Hellseher! Ich weiß es nicht. Ich maße mir im vorhinein ein solche Beurteilung nicht an.
Die Enquete-Kommission hat vorn Parlament den Auftrag erhalten, ihre Empfehlungen zur Inbetrieb-
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Dr.-Ing. Laermannnahme des Brüters SNR 300 bis zum 31. Juli 1982 vorzulegen. Darüber hinaus hat das Parlament den Beschluß gefaßt, die Empfehlung der Enquete-Kommission möglichst noch vor der parlamentarischen Sommerpause vorzulegen.Was führt nun zu dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag auf eine Terminverschiebung? Es zeigte sich im Laufe der letzten Monate, daß die mit der Studie beauftragten Gruppen — ich spreche hier ausdrücklich in der Mehrzahl; die eine unter der Leitung von Herrn Professor Birkhofer und die andere geführt von Herrn Professor Benecke, — nicht zum vorgesehenen Termin 31. Dezember 1981 — inzwischen verlängert bis zum 30. April 1982 - ihre Ergebnisse vorlegen können. Insbesondere die Gruppe um Herrn Professor Benecke geriet aus verschiedenen Gründen in Terminschwierigkeiten, die sie zweifellos zum Teil selbst zu vertreten hat. Ich denke z. B. an ein zu weit gefaßtes Arbeitsprogramm oder an die Schwierigkeiten, die dazu notwendigen Unterlagen zu definieren und festzulegen. Zum anderen aber lag es daran — das ist der wesentliche Grund dafür, daß meine Fraktion für eine Verlängerung der Bearbeitungszeit der Studie und damit für eine Verschiebung des Vorlagetermins der Enquete-Kommission auf den Beginn der Herbstsitzungsperiode eintritt —, daß rechtliche Schwierigkeiten und unverständliche administrative Behinderungen bei der Bereitstellung der notwendigen Unterlagen aufgetreten sind. Die Enquete-Kommission und die Bundesregierung, auch beteiligte Landesregierungen haben die Schwierigkeiten nunmehr im wesentlichen gemeinsam mit dieser Gruppe ausgeräumt.Feststellungen oder Vorwürfen, Mitarbeiter in der Gruppe Benecke seien nicht qualifiziert, vermag ich in der Pauschalierung nicht zuzustimmen. Bevor nicht ein beurteilbares Ergebnis vorliegt, Herr Kollege Laufs, maße ich mir nicht an, eine Qualifikationsbeurteilung vorzunehmen. Daß dabei eine unterschiedliche und differenzierte Betrachtungsweise auf Grund unserer bisherigen Erkenntnisse möglich ist, ist eine andere Frage. Aber aus Arbeiten im Hochschulbereich heraus darf ich Ihnen sagen, daß auch dort studentische Hilfskräfte an den Forschungsarbeiten beteiligt werden. Wieso eigentlich nicht? Niemand wird doch wohl anschließend die Qualität einer so erarbeiteten Vorlage in Zweifel ziehen.Was Abrechnungs- oder Vergütungsmodalitäten betrifft, so gehen mich die nichts an. Das ist Sache der Buchhaltung; das soll die Verwaltung machen. Ich glaube, damit halten wir uns besser nicht auf.Aber wenn das Argument der Kosten kommt — es kam ja vorhin schon —, daß jetzt zusätzlich 600 000 DM für die Fortsetzung dieser Arbeiten auf den Tisch gelegt werden sollen,
dann ist dies sicherlich viel Geld; das ist für jeden einzelnen unheimlich viel Geld. Aber bezogen auf die Gesamtkosten des Brüters, die jetzt schon bei 5,5 Milliarden DM liegen, ist dies wenig, ist dies ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Hinblick auf das, was wir damit politisch bewirken wollen, was wir bewirken müssen, ist dies auch vertretbar. Da sollten wir uns über 600 000 DM nicht aufregen, wenn aus anderen Gründen verursachte Terminverzögerungen oder Bauverschiebungen zu zusätzlichen monatlichen Kosten in Höhe von 100 Millionen DM führen.
— Dazu habe ich mich schon geäußert, Herr Gerstein!Meine Fraktion stimmt einer Fristverlängerung, wie beantragt, zu. Uns soll nicht der Vorwurf gemacht werden, wir hätten die Gruppe mit einer ablehnenden Haltung bewußt behindert und die Enquete-Kommission zu einer Farce werden lassen. Ich will nicht verhehlen, daß ich persönlich den Eindruck hatte, zumindest von Einzelpersonen erpreßt zu werden oder unter Druck gesetzt worden zu sein. Aber im Interesse der Sache, um die es geht, stelle ich meine persönliche Betroffenheit hintan. Hier geht es um ganz andere Dinge, nicht um das, was ich persönlich dabei empfinde. Meine Fraktion geht allerdings bei der Zustimmung davon aus, daß keine weiteren Verlängerungen und Verzögerungen vorkommen. Was jetzt an Vorschlägen vorliegt, ist der letzte Termin. Sie geht weiterhin davon aus, daß das Genehmigungs- und Bauverfahren keinerlei Verzögerungen erfährt.Im übrigen möchte ich feststellen, daß die jetzt vorgesehene Verlängerung allenfalls zu einer effektiven Terminverschiebung bis zur Beschlußfassung des Parlamentes über eine Inbetriebnahme des SNR 300, von zwei bis vier Wochen führt. Wenn es uns ernst ist, keine Terminverschiebungen vorzunehmen, könnten wir dies möglicherweise auch noch verkürzen.Dies kann nicht, wie seitens der Kollegen von der Opposition argumentiert wird, zu einer Infragestellung der jetzt getroffenen Finanzierung unter stärkerer Beteiligung der Elektrizitätswirtschaft führen. Aber ich sage ausdrücklich: im Herbst 1982 muß, wie vorgesehen, eine endgültige Entscheidung fallen; denn ich habe volles Verständnis für die Bedingungen derjenigen, die jetzt mehr Geld auf den Tisch legen sollen, daß der Vorbehalt aufgehoben werden muß. Niemand investiert seine persönlichen Mittel gern in ein Haus, das er anschließend nie benutzen darf.Vor allem auch vor dem Hintergrund der Kostenentwicklung ist es notwendig, nun unverzüglich und rasch Klarheit in die Abwicklung der Angelegenheit zu bringen. Die Baukosten sind von 1,5 Milliarden DM, 1972 zu Baubeginn veranschlagt, inzwischen unter baubegleitender Forschung auf 5,5 Milliarden DM gestiegen. Diese Kostensteigerung beruht zum großen Teil auf den Zeitabläufen, auf enormen Verlängerungen der Bauzeiten durch Abstimmungsprozeduren im Genehmigungsverfahren infolge von Gutachterentscheidungen und der daraus abgeleiteten zusätzlichen Genehmigungsauflagen.Ich glaube, hier in diesem Zusammenhang — das ist in den Diskussionsbeiträgen schon angeführt
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Dr.-Ing. Laermannworden — muß auch der THTR, die Situation um den Hochtemperaturreaktor, der sich im Bau befindet, angesprochen werden. Auch hier sind die Baukosten explodiert: von 1970 veranschlagten rund 700 Millionen DM auf jetzt — das ist strittig — 3,7 Milliarden DM. Die Bauzeit hat sich von einstmals geplanten 51 Monaten auf 164 Monate heute verlängert.An einem einzigen Beispiel mag kurz dargestellt werden — man erlaube mir, ein paar Zahlen zu bringen —, wie sich das alles entwickelt hat. Ich nehme das Beispiel des Wasserdampfkreislaufs: 1970 wurden 13 Millionen DM kalkuliert. 1973 ergab sich auf Grund neuer Sicherheitskriterien — Einbeziehung neuer Lastfälle, EVA-, EVI-Lastfälle, Rohrausschlag — ein Plus von 10 Millionen DM, 1975 eine Steigerung um weitere 14 Millionen DM, 1977 ein Plus von 46 Millionen DM. 1976 wurden durch die RSK neue Grenzwerte für Werkstoffanalyse festgelegt, und 1979 kam die KTA-Richtlinie 3201, was zu einem Plus von 107 Millionen DM führte. 1980 zieht die RSK die Rohrausschlagssicherung wieder zurück, die Zugängigkeit der Komponenten muß verbessert werden: plus 152 Millionen DM. 1981 macht ein endgültiges TÜV-Gutachten ein Plus von 125 Millionen DM aus, und 1982 kommt ein Plus von 84 Millionen DM hinzu. Allein eine wesentliche Komponente, ursprünglich auf 13 Millionen DM veranschlagt, ist heute auf 550 Millionen DM gestiegen.
Dazu waren allein ungefähr 400 000 Unterschriften notwendig. Ich frage mich: Wer trägt eigentlich am Schluß noch irgendeine Verantwortung?
Allein für die Prüfunterlagen für Halterungskonstruktionen waren 7 000 DIN-A4-Leitzordner notwendig. Herr Kollege Lenzer, ich stimme mit Ihnen überein: Ich glaube, wir machen das Unternehmen nicht, um die deutsche Papierindustrie zu subventionieren.
Ich stelle hier die Frage — damit gehe ich auf Ihren Einwand ein, Herr Kollege Lenzer —, ob dies noch vertretbar ist, und zwar nicht nur wegen der finanziellen Auswirkungen, sondern auch im Hinblick auf die Sicherheit. Die Frage muß erlaubt sein, ob die Anlage bei der Fülle der Unterlagen und wegen der zahlreichen Veränderungen in sich noch konsistent ist, ob das noch übersehbar ist oder ob dadurch nicht ein neues potentielles Sicherheitsrisiko eingeführt wird.Das Problem, Herr Kollege Lenzer, liegt aber nicht im Atomrecht oder in klar definierten Richtlinien, wie beispielsweise in den KTA-Richtlinien, die im Zusammenwirken aller Beteiligten erarbeitet werden, sondern meines Erachtens in der Auslegung des Begriffs „Stand von Wissenschaft und Technik". Ein Gutachter kann den Stand von Wissenschaft und Technik doch nicht definieren, wenn die Erfüllung der daraus abzuleitenden Auflagen erst wesentliche Grundlagenforschung notwendig macht. Das kann doch nicht als Stand von Wissenschaft und Technik definiert werden.Damit kein Mißverständnis aufkommt: Hier wird nicht einer Reduzierung der Sicherheitsanforderungen das Wort geredet. Aber die Anforderungen müssen erwiesenermaßen zu einer Erhöhung der Sicherheit führen
und dürfen nicht z. B. aus einer wissenschaftlichen Veröffentlichung abgeleitet werden, die irgendwo in der Welt irgend jemand veröffentlicht hat, und sie müssen überschaubare Planungszeiträume und Kostenentwicklungen ermöglichen.Es unterbleiben nachgewiesenermaßen schon heute Investitionen, weil die zeitlichen und finanziellen Risiken der Planungs- und Genehmigungsverfahren neuer technischer Anlagen nicht zu quantifizieren sind. Und es wäre für unsere wirtschaftliche und soziale Entwicklung katastrophal,
wenn aus diesem Grund keine Pilot- und Demonstrationsprojekte neuer technischer Entwicklungen in unserem Land mehr möglich wären.
Dann können wir uns als Industrienation bald vom Rest der Welt verabschieden.
Meine Fraktion steht nach wie vor zu dem Beschluß, die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten an den beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien fortzusetzen.Ganz gewiß ist, daß wir der Einstellung der Hochtemperaturreaktorentwicklung zugunsten des SNR, wie es einige Beamte im BMFT seit längerem schon gern möchten,
unsere Zustimmung versagen werden.
Sicher kann das Forschungsministerium nicht mehr Geld ausgeben, als es hat; und der Forschungsminister kann die beiden Reaktorlinien nicht zu Lasten anderer Forschungsaufgaben und Verpflichtungen finanzieren, und er soll es auch nicht.Hier ist nun, fünf Minuten nach 12, dringend geboten, daß alle Beteiligten, auch Gutachter und Gutachtergremien, sich gemeinsam bemühen, neue technische Projekte wieder kalkulierbar, wieder bezahlbar zu machen.
— Sie haben völlig recht, Herr Kollege Gerstein. Sieerwischen mich da auf einem falschen Bein. Ich be-
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Dr.-Ing. Laermannziehe die laufenden Projekte selbstverständlich in diese Überlegungen ein.
— Ich bedanke mich bei Ihnen dafür ausdrücklich.Nur, wir können an vielem, was dort abgelaufen ist, nichts mehr ändern. Aber wir sollten dafür sorgen, daß derlei in Zukunft unterbleibt.Wir brauchen sichere, überschaubare Planungszeiträume und Kalkulationsgrundlagen auch in der Forschung und der Fortentwicklung neuer großtechnischer Anlagen. — Ich bedanke mich.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Kraus.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Schäfer glaubte, die Debatte damit einleiten zu sollen, daß er uns hier bezichtigte, nicht genug für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu tun. Herr Schäfer, ich halte es für eine Unverfrorenheit, daß ausgerechnet Sie das sagen, ein Mann, der einer Partei angehört, unter deren Regierungsverantwortung wir die höchsten Arbeitslosenraten seit dreißig Jahren haben und die neuerdings in München Vorschläge gebracht hat, die selbst vom ansonsten willigen Koalitionspartner als barer Unsinn bezeichnet wurden. Die Leute von der FDP, Ihre Koalitionspartner, legen doch größten Wert darauf, sich von dererlei ständig zu distanzieren; sie möchten in dieser Frage auch nicht im entferntesten mit Ihnen in Verbindung gebracht werden. Ich halte das also für reine Augenwischerei. Es ist auch nicht das Thema, das heute hier behandelt werden soll.
Niemand von uns, Herr Schäfer, will Abstriche an Sicherheitsbestimmungen. Wir wollen nur nicht, daß hier laufend inkompetente Gutachten produziert werden, die offensichtlich nur dem Zwecke dienen, die Sache selber möglichst lang, wenn möglich, sogar gänzlich zu verhindern.
Wir wollen nicht, daß weiterhin — auch Herr Laermann hat es ausgeführt — unsinnige Sicherheitsbestimmungen praktiziert werden müssen, die lediglich Geld kosten, aber für die Erhöhung der Sicherheit überhaupt nichts bringen.
— Herr Löffler, daß wir als Politiker das nicht genau wissen, ist ganz selbstverständlich.
— Ganz selbstverständlich ist das so. Keiner von uns wird sich das anmaßen.
Aber es gibt eine ganze Menge von Leuten, die durchihre berufliche Vergangenheit bewiesen haben, daßsie davon etwas verstehen. Denen glauben wir mehrals den Studenten, die Sie hier als kritische Wissenschaftler ins Spiel bringen.
Kein Mensch wendet sich auch gegen die seinerzeit einstimmig beschlossene risikoorientierte Studie. Wir kritisieren lediglich, daß diese Studie erstens zu spät in Auftrag gegeben wurde, zweitens offensichtlich — wenn Sie recht haben, Herr Schäfer; ich gehe später noch darauf ein — durch den Auftraggeber nicht richtig betreut wurde — sonst würde sich aus dem, was Sie sagen, kein Sinn ergeben. Zum dritten wollen wir nicht, daß die Termine, die für diese Studie vorgegeben sind, unsinnig verlängert werden, ohne daß etwas in der Sache selbst herauskommt.Ich wollte mich auch noch ganz kurz zur Frage „Strompreis beim Schnellen Brüter" äußern. Natürlich kostet der Strom aus diesen Prototypen sehr viel mehr. — Das weiß man.
Herr Schäfer, wir sind nicht dagegen — Sie sind es doch auch nicht —, daß man auch andere alternative Energieformen entwickelt, von denen wir wissen, daß sie nach dem heutigen Stand der Technik und vor dem Abschluß der Entwicklung auch wesentlich höhere Preise erfordern, als das vielleicht später einmal der Fall sein wird. Derartige Dinge müssen dann einfach in Kauf genommen werden.Ich darf vielleicht auch noch ein Wort zu dem Aufgreifen von Angsten sagen. In unserem Land gibt es meines Erachtens viel zuviele Leute, die ständig vom Aufgreifen von Angsten reden. In Wirklichkeit schüren sie diese Ängste, um sich später beim Löschen des Brandes auszeichnen zu können. Ich habe das Gefühl, die Zahl derer wird zu groß.
Wir sind auch sehr dafür, daß man Minderheiten miteinbezieht, Herr Laermann. Aber diese Minderheiten müssen sich auch einbeziehen lassen. Sie müssen beispielsweise bereit sein, die Spielregeln, die bei uns gelten, anzuerkennen. Was haben wir in der Enquete-Kommission erlebt? Da gibt es Leute, die mit abstimmen. Die Abstimmung verläuft gegen sie. Und was machen sie dann? Sie sagen: So, jetzt packen wir unser Zeug zusammen und gehen heim. Wir spielen einfach nicht mehr mit. — Das ist natürlich auch eine Methode.
Stellen Sie sich vor — das ist jetzt an die Regierung gerichtet —, wir von der Opposition würden uns genauso verhalten. Dann hätten Sie hier überhaupt keine Freude mehr. Diese Art und Weise, sich zu verhalten, läßt nicht darauf schließen, daß diese Minderheiten wirklich bereit sind, sich einbinden zu lassen; sie sind überhaupt nicht bereit, die Spielregeln anzuerkennen.Für uns haben sich die Gründe für die Entwicklung des Schnellen Brüters nicht verändert. Nach wie vor gelten die Gründe, die seinerzeit zum Ent-
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Krausschluß für den Bau von Kalkar geführt haben. Ich nenne nur einige Beispiele: Nach wie vor hängen wir zu sehr vom 01 ab. Wir sind erpreßbar. Die Welt insgesamt hängt von dieser Energieform zu sehr ab. Ich glaube, daß wir alles tun müssen, um, jedenfalls langfristig gesehen, eine größere Unabhängigkeit zu erreichen. Und hier ergibt sich, glaube ich, beim Schnellen Brüter eine besonders günstige Möglichkeit.Der Energiegehalt der kostengünstig gewinnbaren Welturanvorräte bei Nutzung in Leichtwasserreaktoren entspricht in etwa dem der Welterdgasvorräte. Die Kernenergie stellt, so genutzt, zwar eine bedeutende, aber begrenzte Energiequelle dar. Der Schnelle Brüter kann dagegen die Energieausbeute der Welturanvorräte um den Faktor 60 vermehren, so daß damit der Strombedarf für Jahrhunderte gedeckt werden kann. Alle diese Dinge sind hier bekannt und brauchen sicherlich nicht mehr im einzelnen ausgeführt zu werden. Wir jedenfalls meinen, daß auch diese Reaktorlinie weiterverfolgt werden muß.Da sehen wir eben jetzt die Gefahr, daß die Gegner des Schnellen Brüters ihr eigentliches Ziel, den Bau von Kalkar doch noch zu verhindern, allmählich erreichen könnten. Auf Grund all der genannten Schwierigkeiten, insbesondere der langen Bauzeit — ich werde darauf noch näher eingehen —, wird die Anlage langsam so teuer, daß sie nicht mehr finanziert werden kann. Hauptgrund dafür sind die wegen des Genehmigungsverfahrens zu langen Bauzeiten.So sollte der SNR 300 bei Baubeginn im Jahre 1973 bis zu seiner Fertigstellung etwa 1,5 Milliarden DM kosten. Jetzt ist von 5 Milliarden DM die Rede. Kollege Lenzer hat diese Zahl bereits in Frage gestellt. Wir alle sind doch wahrscheinlich der Meinung, daß das im Endeffekt noch mehr werden wird. Aber selbst der Aufwand von 5 Milliarden DM, über eine Errichtungszeit von etwa 13 Jahren verteilt, so hoch er auch erscheinen mag, wird relativiert, wenn man ihn am Maßstab der Preiserhöhungen für das importierte Erdöl mißt.
Quantitativ bringt die Bauzeitverlängerung den überwiegenden Anteil der Preisgleitungsmehrkosten von 1,6 Milliarden DM. Während mit technischem Projektstand vom November 1972 der Ansatz für die Preisgleitung bei geplanter Bauzeit von sieben Jahren 13 % der Gesamtkosten betrug, erhöhte sich der Preisgleitungsansatz auf Basis des technischen Projektstandes vom Dezember 1980 und nunmehr erwarteter Bauzeit von 13 Jahren auf 36 % der Gesamtkosten. Absolut gesehen haben sich die Ansätze für Preisgleitungskosten in dem Zeitraum von 1972 bis 1980 verneunfacht: etwa ein Faktor drei ist direkt auf die Verdoppelung der Bauzeit zurückzuführen. Nun steht zur Debatte, der Enquete-Kommission eine Verlängerung vom 31. Juli 1982 auf spätestens 23. September 1982 für die Empfehlung an den Deutschen Bundestag zur Inbetriebnahme des SNR 300 unter Sicherheitsgesichtspunkten einzuräumen. Diese Terminverlängerung wird begründet mit der Notwendigkeit, die ForschungsgruppeSchneller Brüter ihre Untersuchungen über den Abgabetermin am 30. April 1982 hinaus fortsetzen zu lassen und ihren Bericht erst am Ende der parlamentarischen Sommerpause vorlegen zu lassen.Fünf Mitglieder der Forschungsgruppe Schneller Brüter haben der Enquete-Kommission über Herrn Professor Altner ein modifiziertes Arbeitsprogramm zur Durchführung der „Risikoorientierten Analyse zum SNR 300" vorgelegt. Das Arbeitsprogramm enthält zum Teil Punkte, die bereits im alten Arbeitsprogramm der Forschungsgruppe vom 25. September enthalten waren und die eigentlich praktisch abgeschlossen sein müßten. Neu hinzugekommen sind im wesentlichen die Themen Erdbeben und Flugzeugabsturz.Insgesamt erscheint es äußerst unwahrscheinlich, daß die Forschungsgruppe mit diesem Programm zu belastbaren neuen Ergebnissen kommen könnte, die für den geforderten Risikovergleich von Bedeutung wären. Für eine gewissenhafte Aufarbeitung auf einem dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechenden Niveau sprengt das Programm über alle Maßen die Möglichkeiten solch einer Gruppe.Die Themen des vorgelegten modifizierten Arbeitsprogramms erfordern jedoch ein hohes Maß an Fachkompetenz und selbstkritischer wissenschaftlicher Disziplin. Diese Voraussetzung ist nach Ansicht angesehener Wissenschaftler bei den Antragstellern des modifizierten Arbeitsprogramms auf Grund der bisherigen Erfahrungen in Frage zu stellen.Der Deutsche Bundestag kann bei dieser Terminverschiebung nicht, wie vorgesehen, frühestens Ende September 1982, sondern erst frühestens Ende Oktober 1982 über die Aufhebung des Inbetriebnahmevorbehalts zum SNR 300 abstimmen. Sollte dem Verlangen der Gruppe, eine Terminverlängerung bis Ende August zu gewähren, Rechnung getragen werden, so muß nach unserer Auffassung aber immerhin sichergestellt werden, daß der Bericht der Enquete-Kommission im wesentlichen bis zur parlamentarischen Sommerpause erstellt wird und die weiteren Unterlagen der Gruppe Anfang September nur als Zusatzinformationen einzuarbeiten sind.
— Herr Löffler, daß hier manche komplizierten Sachverhalte vorformuliert werden, ist auch Ihnen nicht ganz ungeläufig.
Bei der ursprünglichen Terminplanung hätte die Enquete-Kommission zwei Monate Zeit für Beratungen und dann etwa zweieinhalb Monate für organisatorische Fertigstellung des Berichts an den Bundestag gehabt. Diese viereinhalb Monate müßten nunmehr auf drei Wochen zusammengedrängt werden, wobei auch noch zu berücksichtigen ist, daß
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Krausnach der Sommerpause an allen Stellen gewisse Anlaufzeitverluste auftreten werden.Schon wenn der — in bezug auf Realisierbarkeit in Frage zu stellende — neue Terminplan beschlossen und eingehalten wird, sind weitere Zwischenfinanzierungsmittel ab Ende September 1982 erforderlich. Verzögert sich aber, was anzunehmen ist, die Entscheidung des Deutschen Bundestages dann um einige Monate, ist mit zusätzlicher Zwischenfinanzierung von zirka 100 Millionen DM pro Monat zu rechnen. Selbstverständlich wird es in diesem Durcheinander dann auch noch zu einer weiteren Bauzeitenverlängerung und damit zu echten Baukostensteigerungen kommen.Deswegen forden wir — ungeachtet des heutigen Beschlusses —, daß Professor Benecke termingerecht zum 30. April 1982 den Teil seines Gutachtens abzuliefern hat, der bereits fertig ist. Und das müßte der weitaus größte Teil sein; er hat ja auch schon fast die gesamte Honorarsumme abgerufen.
— Der Frage, warum die Zahlungen seltsamerweise telegrafisch erfolgten, sollte man vielleicht einmal gesondert nachgehen.Bemerkenswert erscheint mir noch das Verhalten des Bundesforschungsministeriums. Mit Nachdruck, so konnte man lesen, ist Forschungsminister von Bülow dem Vorwurf einiger Mitglieder der Enquete-Kommission entgegengetreten, Brüterkritiker seien bei der Beschaffung von Unterlagen für die Anfertigung einer Risikostudie erheblich behindert worden. Der Minister erinnerte daran, daß der Bundestag für ein ursprünglich bis Ende 1981 vorzulegendes Gutachten bereits Fristverlängerung bis Ende April gewährt habe. Auch wies der Bundesminister darauf hin, daß der Leiter der Kritikergruppe, Professor Benecke, noch im Februar eine fristgerechte Abgabe der Kritikerstudie für April in Aussicht gestellt hat. Erst danach hatten einige seiner Mitarbeiter ihn für den Vorschlag gewonnen, eine zusätzliche Sicherheitsstudie zu fordern.Da stellt sich doch die Frage, wer eigentlich recht hat, der Forschungsminister, der sagt — zumindest sagte er das vor der entscheidenden Fraktionssitzung; wie er sich heute einlassen wird, werden wir vielleicht noch hören —, daß die Wissenschaftler der Gruppe Benecke keineswegs in der Ausübung ihrer Arbeit behindert wurden, oder ob diejenigen in der Kommission recht haben, die genau dies zum Anlaß nehmen, diese Terminverlängerung zu fordern. Sollten die Koalitionsabgeordneten in der Kommission recht haben, so wird man sie ja wohl fragen dürfen, warum denn in dem seit langen Jahren sozialdemokratisch geführten Ministerium, das j a nicht nur Auftraggeber, sondern auch dafür verantwortlich ist, daß die Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung gestellt werden, nicht entsprechende Konsequenzen gezogen worden sind. Gehört hat man davon jedenfalls noch nichts. Wir sind der Meinung, der Steuerzahler hat ein Recht darauf, daß ihm solche Fragen beantwortet werden.
Aber vielleicht ist das j a alles gar nicht die Triebfeder des Handelns, sondern sind es vorgeschobene Gründe. Offenbar ist es so, daß Wahlopportunismus die Hauptrolle spielt. Man will auch noch die letzte grüne Stimme für die Koalition retten, gleichgültig, was das kostet.
Ernsthaft wird von niemandem erwartet, daß durch die verlängerte Tätigkeit der Gruppe Benecke neue Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die die Meinungsbildung etwa umkehren könnten. Dies ist übrigens, wie ich nachlesen konnte, auch die Meinung des Bundesforschungsministers.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Professor Laermann?
Ich bin an sich schon am Ende meiner Zeit. — Bitte schön.
Herr Kollege, würden Sie mir wohl erklären können, bezogen auf Ihre letzten Ausführungen, warum Sie dann in der Enquete-Kommission einen Antrag eingebracht haben, daß die Gruppe Benecke, aber auch die Gruppe Birkhofer, noch begleitend bis zur endgültigen Beratung in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages weitere Erkenntnisse und Ergebnisse ihrer Untersuchung einführen könnten? Also haben doch auch Sie erwartet, daß von daher noch weitere Erkenntnisse zugewonnen werden können und in die Beratung selbst der Bundestagsausschüsse mit eingebracht werden können.
Das ist natürlich überhaupt nicht logisch, Herr Laermann, was Sie sagen. Daß wir sagen, wir seien bereit, alles, was an zusätzlichen Erkenntnissen kommt, aufzunehmen, ist natürlich richtig; denn warum sollte man, wenn wirklich etwas kommen sollte — was zwar völlig unerwartet ist —, das von vornherein ausschließen? Als ausgesprochen konziliante Leute sind wir sowieso bereit, laufend Aussagen entgegenzunehmen, auch wenn nicht gar so viel herauskommt. Bloß wollen wir nicht, daß das so viel kostet, wie es im Augenblick der Fall ist. Die Sache erscheint uns eben insgesamt nicht sinnvoll, jedenfalls nicht sinnvoll im Hinblick auf die zu erwartenden Schwierigkeiten.Wir in der Opposition sind also gezwungen, aus übergeordneten Gesichtspunkten hier einen Teil der Regierungsarbeit zu tun und mit dafür zu sorgen, daß die Dinge vorwärtsgetrieben werden können. Die Koalition ist offenbar nicht in der Lage, einmal als richtig Erkanntes auch durchzusetzen.Wir warnen davor, einer Minderheit in unserem Staat die Chance zu geben, über die Kosten den Schnellen Brüter zu Fall zu bringen und damit für die Zukunft den Einsatz von Kernenergie schlechthin in Frage zu stellen. Wenn es doch noch gelingen sollte, den Schnellen Brüter zu verhindern, müßte von den Gegnern der Kernenergie dieser Fall geradezu als Modell für die erfolgreiche Bekämpfung
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Krausvon Kernkraftwerken angesehen werden. — Danke schön.
Ich gebe das Wort dem Abgeordneten Dr. Kübler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich werde hauptsächlich als Mitglied der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" sprechen, und zwar deshalb, weil wir im März ja so etwas wie ein Frühjahrsdonnern hatten und die wohl einzig entscheidende Frage die ist, wie die Weiterarbeit der Enquete-Kommission erfolgen wird.Lassen Sie mich ein paar Vorbemerkungen machen. Ich möchte ausdrücklich, auch im Namen des Vorsitzenden der Enquete-Kommission, dem Bundesminister für Forschung und Technologie danken, daß er unter dem Vorbehalt der heutigen Entscheidung die Aufträge an die Alternativgruppe erteilt hat. Dafür gebührt ihm — auch im Interesse der Arbeit der Enquete-Kommission — ausdrücklich Dank.
Ich möchte auch den Gedanken von Herrn Kollegen Lenzer, meinem hessischen Kollegen, aufgreifen, der ausdrücklich angeboten hat, zusammenzuarbeiten. Ich glaube, es gibt kein geeigneteres Gremium als die Enquete-Kommission, hier — was die anderen Kollegen angeht, die dort vertreten sind — zusammenzuarbeiten.Ich möchte zu Beginn klipp und klar sagen, daß die Linie der SPD bis einschließlich Münchener Parteitag zur Energiediskussion — beginnend in Hamburg, über Berlin, über die Empfehlungen der ersten Enquete-Kommission und über die Empfehlung der Energiekommission beim Parteivorstand der SPD — eine insgesamt, bei aller Diskussion, geschlossene Linie ist. Das wird auch so bleiben. Alle Versuche, hier immer etwas dazwischenschieben zu wollen, sind einfach durch die Fakten widerlegbar.Wenn wir — das ist ja unsere erste Hauptentscheidung in der Enquete-Kommission — über den Schnellen Brüter zu sprechen haben, eine Empfehlung über die Inbetriebnahme des Prototyps abzugeben haben, so will ich vorausschickend folgendes sagen. Ich habe mir in der Woche nach Ostern in Frankreich die entsprechenden Einrichtungen angeschaut, beginnend in Cadarache über Marcoule bis Creys-Malville. Ich habe feststellen können, daß eine Grundsatzentscheidung über die wirtschaftliche Nutzung des Schnellen Brüters in Frankreich bis jetzt nicht getroffen ist und daß nach den Aussagen der dortigen Herren — ich glaube, Herr Riesenhuber stimmt mir da auch ohne Einschränkung zu — diese Frage nicht vor der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts entschieden wird.
Dies ist ein wichtiges Faktum. Insofern — auch dies muß man festhalten — ist die französische politische Entwicklung keine andere als bei uns. Es mag gewisse Unterschiede in der technischen Entwicklung geben. Was die politische Frage der Entscheidung über die wirtschaftliche Nutzung des Schnellen Brüters angeht, liegen beide Länder gleich.
Man sollte auch hier nach außen hin nicht falsche Eindrücke, was die politische Entscheidung angeht, erwecken.Wir haben in der Bundesrepublik wirklich eine einmalige Chance, durch ein vernünftiges Arbeiten in der Enquete-Kommission tatsächlich so etwas wie Voraussetzungen zu schaffen, um mit Ergebnissen vor die Bevölkerung zu treten, die unsere Energiepolitik überwiegend akzeptabel machen. Sie alle wissen: wir haben deshalb ganz bewußt — und jeder, der dieses Ziel erreichen will, muß dahinterstehen — den personellen, mit Verlaub gesagt, alternativen Ansatz der Enquete-Kommission gewählt. Wir haben auch methodisch bewußt den alternativen Ansatz in der Enquete-Kommission gewählt.Ich will jetzt einmal zwei Worte sagen, die vielleicht einem Sozialdemokraten nicht so leicht über die Lippen gehen. Die erste Aussage ist die: In einer Nation wie der unseren müssen wir uns wohl den vernünftigen Luxus leisten können, über eine so entscheidende Frage uns auch so alternativ und so unterschiedlich informieren zu lassen, um dann auf Grund der Schlüssigkeit des jeweils Vorgetragenen unsere politische Bewertung zu setzen.
Ich stehe auch voll auf dem Standpunkt, daß wir hier die höchste Sachkompetenz und auch die unterschiedlichste Kompetenz zusammenziehen müssen. Das steht uns gut an und ist auch von der deutschen Gründlichkeit her, wie man an Themen herangeht, die mittelfristig und längerfristig die richtigere ist, wohl voll zu akzeptieren.Der Unterschied, über den wir uns streiten und den ich zu Beginn mit „Frühjahrsgewitter" oder „Frühjahrsdonner" kennzeichnen wollte — Frühjahrsgewitter wäre zuviel gesagt, aber Donner —
— Grollen, vielen Dank —, geht tatsächlich — das muß man auch in aller Öffentlichkeit sagen — letztlich um sechs Wochen. Wer den Streit seit dem Früh-jahr bis heute beobachtet, kann den Eindruck gewinnen, als ob wir über die Verlängerung um sechs Wochen nicht zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen können. Dies kann für den, der an die Entscheidung über die Frage der Inbetriebnahme emotionslos und objektiv herangeht, kein Kriterium sein. Im Gegenteil: Wer wirklich zu Ergebnissen kommen will, muß dies akzeptieren, zumal ich auf dem Standpunkt stehe, daß die eigentliche Bundestagsentscheidung deshalb im Ergebnis so gut wie sicher nicht hinausgezögert wird.Lassen Sie mich auch noch einiges zur Arbeit der Enquete-Kommission sagen und als Appell für die
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Dr. KühlerZukunft zum Ausdruck bringen. Es würde unserer Arbeit sicherlich förderlich sein, wenn wir Fragerechte einzelner Kollegen oder Sachverständiger in der Enquete-Kommission nicht zu provinziell und zu kleinlich handhaben und zu stark beschneiden würden,
oftmals noch durch eine formale Mehrheitsentscheidung. Vielmehr sollte man es in einem solchen Gremium, das naturgemäß anders arbeiten muß und Gott sei Dank auch kann, nämlich mit mehr Muße, mit mehr Zeitaufwand, mit mehr Möglichkeiten der Information, wirklich dem einzelnen Sachverständigen oder Mitglied der Kommission überlassen, in welchem Umfang er von seinem Fragerecht Gebrauch macht.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Stavenhagen?
Dr. Stavenhagen: immer gern.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Stavenhagen.
Herr Kollege, da Sie von den sechs Wochen Unterschied gesprochen haben: Halten Sie es für sehr überzeugend, dieser
) Gruppe einen Termin bis Ende der Sommerpause, also bis zum 6. September, einzuräumen und dann am 23. September mit allem fertig zu sein, das alles bewertet zu haben und dann schon Ihr Votum abgeben zu wollen?
Also, ich würde dies sogar bejahen. Nur brauchen wir dies in der Weise nicht einmal zu bejahen, weil wir ausreichend vorgebeugt haben; denn wir führen die Beratungen zu dieser Thematik praktisch seit dem 28. Januar; wir werden sie ab dem 30. April sehr stark intensivieren. Wir werden also vor der Sommerpause schon eine ganze Menge Arbeit geleistet haben, so daß die dann zur Verfügung stehende Zeit ausreicht — bei gutem Willen, in der Enquete-Kommission einen Konsensus zu erreichen —, dies auch tatsächlich zu schaffen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Probst?
Wenn schon, dann natürlich beide.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Es ist eine kurze Frage: Wie werden Sie sich denn verhalten, wenn diese Gruppe eine weitere Fristverlängerung verlangt?
Wenn die Gruppe eine weitere Fristverlängerung verlangt, werden wir diese natürlich nicht mehr akzeptieren können. Es besteht allerdings überhaupt gar kein Zweifel daran, daß eine weitere Fristverlängerung nicht erforderlich sein wird. Im übrigen aber habe ich mich in Cadarache beispielsweise überzeugen lassen, daß deutsch-französische Forschungsvorhaben zu ganz speziellen Sicherheitsfragen des Schnellen Brüters nach heutiger Terminplanung bis 1985/86 laufen, daß wir eben auch in Zukunft neue Erkenntnisse haben werden und daß auch die Franzosen ihren Phénix, ihren Super-Phénix als ständiges Finden neuer Erkenntnisse verstehen. Wenn es gravierende sein werden, werden wir die zu jedem Zeitpunkt — völlig unabhängig von Fristen — berücksichtigen müssen.Ich will ein weiteres Beispiel bringen, wie wir unsere Arbeit — das scheint mir tatsächlich das Entscheidende zu sein — in der Zukunft verbessern können. Wir hatten am Montag dieser Woche den, wie man es auch nimmt, reizvollen Fall, daß beantragt wurde, die Meinungsäußerung der Bischöfe von Straßburg, Basel und Freiburg im Breisgau in die Debatte einzubeziehen.
— Herr Kollege Stavenhagen, es kam dabei leider zu einer strittigen Abstimmung.
Wir waren da deshalb nicht ganz so stark, weil es für uns nicht vorstellbar war, daß man über so etwas abstimmen muß. Ich hatte dann beantragt, es hineinzunehmen, weil dies j a wohl zum Thema gehört. Die Mehrheit aber hat es dann abgelehnt, weil sie meinte, daß es nicht zum Thema gehört. Ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten aus dieser Schrift kurz zitieren:.Aus dieser Einsicht— nämlich daß das Höchstmaß an technischem Fortschritt nicht auch schon das Höchstmaß an menschlichem Leben sei —ergibt sich die nicht aufschiebbare Aufgabe, den Zusammenhang zwischen technischem Fortschritt und ethischem Verhalten deutlicher zu sehen und diese Sicht in die notwendigen Entscheidungen um die Kernenergie einzubringen.Ich hatte das Zitat da leider nicht parat, hoffe aber, daß vor allen Dingen — wir sind ja alle christliche Parteien — auch die christlichen Parteien, die in der Opposition zusammengeschlossen sind, solchen Anträgen in Zukunft positiver gegenüberstehen.Ich appelliere ausdrücklich an die CDU, voll mitzumachen und die einmalige Chance zu wahren, in der Enquete-Kommission Empfehlungen zustande zu bringen, mit denen wir gemeinsam nach außen hin Energiepolitik in dieser nationalen Frage vertreten können.
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Dr. KüblerWir dürfen diese Chance nicht verspielen. Ich appelliere auch an die Energieversorgungsunternehmen
— ich glaube, sie sind so rational, um dies zu akzeptieren —, daß keine Probleme wegen der möglicherweise sechs Wochen später zu erwartenden Entscheidung auftauchen. Ich appelliere auch an alle Sachverständigen — dies sage ich hier in aller Öffentlichkeit —, nur von ihrem Sachverstand her an die Arbeit in dieser Kommission heranzugehen. Wenn uns dies gelingt, dann, glaube ich, können wir das, was wir mit dem Instrument Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik" letztlich politisch wohl alle wollen, auch erfolgreich erreichen. — Vielen Dank.
Ich erteile dem Abgeordneten Timm das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat sich mit einem Beschluß verpflichtet, die Empfehlungen, die Ergebnisse einer Enquete-Kommission zur Kernenergiefrage abzuwarten, um dann zu entscheiden, ob eine Inbetriebnahme möglich sein wird oder nicht. Dazu ist eine Risikostudie zu erstellen. Der Deutsche Bundestag hat darüber hinaus den Beschluß gefaßt, den Schnellen Brüter fertigzustellen. Ich glaube, hierüber darf es im Grunde keinen Streit geben. Die Enquete-Kommission, die wir dafür eingesetzt haben, muß Dinge erledigen, die bisher in dieser Form noch nicht erledigt worden sind, und ich glaube, es ist richtig, daß wir nicht aus politischen Gründen die Ergebnisse einer solchen Untersuchung vorwegnehmen, denn ich glaube, keiner von uns kann sich so ohne weiteres in der Lage fühlen, die ganze Technik zu beherrschen.Wir betreiben mit der Anlage Schneller Brüter genau wie mit der Anlage Hochtemperaturreaktor Forschung. Es kann also gar nicht darum gehen, daß der Deutsche Bundestag hier einen Vorbehalt zur Genehmigung der Inbetriebnahme eines einzigen Kernkraftwerks beschlossen hat, sondern hier geht es um Forschung und Entwicklung in einem Bereich, in dem es Gleiches — bei uns im Lande j eden-falls und für den Hochtemperaturreaktor insgesamt — noch gar nicht gibt. Die Ergebnisse dieser Forschung und auf dem Wege dorthin müssen wir bewerten können, damit wir sicher sind, ob der versuchte oder der beschrittene Weg in der Zukunft der richtige sein wird. Hier vorweg eine Entscheidung zu treffen, wäre unter Umständen für die Zukunft leichtsinnig. Umgekehrt wäre es auch nicht sinnvoll, von vornherein eine Tabuerklärung für irgendein Element dieser Forschung abzugeben.
— Darauf komme ich noch zu sprechen, sehr geehrter Herr Dr. Probst. —Wir haben darüber hinaus internationale Verflechtungen in Forschung und Technologie, und wir haben auch internationale Verpflichtungen. Wenn wir noch ernstgenommen werden wollen von unseren Partnern in diesem Bereich, dann, glaube ich, müssen wir das mit in unsere Beurteilung der Situation und in unsere Entscheidung für die Zukunft einbeziehen.Als der Herr Kollege Lenzer heute nachmittag die Diskussion eröffnete, da kam es mir fast so vor, als sei es wiederum eine Art Generaldebatte nach dem Motto — entsprechend dem Zwischenruf des Herrn Dr. Probst, den er soeben gemacht hat —: „Ihr seid ja sowieso dagegen, wir — die CDU/CSU — sind dafür."
— Ich glaube, Herr Dr. Probst, das ist eben nicht die Position. Sie können in dieser Sache, die auf Ihre Anfrage hin diskutiert wird, doch nicht eine Emotionsdebatte pro und kontra Kernenergie vom Zaun brechen. Wir werden im Herbst wahrscheinlich ohnehin noch eine solche Debatte zu führen haben; zumindest werden Sie sicherlich dafür sorgen. Also war das hier heute nachmittag gar nicht erforderlich.Es kann auch nicht darum gehen, daß wir hier in einen Streit zwischen Ihnen und uns darüber geraten, ob es sinnvoll ist, bei der Beurteilung unserer Hilfen, die wir von der Enquete-Kommission erwarten, eine Kritikergruppe dabei zu haben oder nicht. Wenn wir keine Kritikergruppe mehr vertragen können, dann stehen wir uns selber im Wege.
Ich meine, die Entscheidung für eine Terminverschiebung, die wir im Ausschuß bereits besprochen haben und die dort nur zu Protokoll gegeben worden ist, weil für eine Terminverschiebung das Plenum zuständig ist, ist in der Sache durchaus angemessen. Sie haben sich da wohl etwas schwergetan, weil Sie von der Diskussion heute mehr erwartet haben, als man erwarten konnte. Die Sommerpause war nach allen Unterlagen, die es hierzu gibt, meiner Auffassung nach von vornherein schon mit eingeplant. Es heißt auch nicht so, wie es in Ihrem Entschließungsantrag steht, daß der Bundestag noch rechtzeitig vor der Sommerpause seine Beratungen beginnen kann, sondern es heißt richtigerweise, daß die Enquete-Kommission ihre Empfehlung vor der Sommerpause abgeben solle. Wir wären nach meiner persönlichen Einschätzung ohnehin nicht vor Ende der Sommerpause in die Beratung näher eingetreten. Im Grunde ist der Spielraum, den wir möglicherweise verschenkt haben, nicht sehr groß.Ich möchte noch ein Wort zur Verantwortung der Wissenschaft in diesem Bereich sagen. Ich meine, daß es sich die Wissenschaft uns gegenüber nicht so einfach machen kann, daß am Ende dabei herauskommt: Der Staat bezahlt ja ohnehin, was immer es auch kostet. Ich möchte hier warnend den Finger heben und sagen, daß die Verantwortung der Wissenschaft, die an diesen Projekten arbeitet, mindestens so weit geht, daß nicht — um auch die Genehmigungsbehörde nicht laufend in Schwierigkeiten zu
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Timmbringen — immer wieder andere Vorstellungen auf den Tisch gebracht werden, obwohl vielleicht schon vorher erkennbar war, daß man auch einen einfacheren, nicht so kostenträchtigen Weg hätte beschreiten können.Wir sind j a in der Situation, daß das Ganze sehr viel Geld kostet und wir möglicherweise in eine Verdrückung kommen, dieses Geld in der richtigen Weise und in der richtigen Zeit dafür aufzubringen. Wir müssen allerdings, da es sich hier um Forschungsbereiche handelt, die grundsätzliche Frage mit Ja beantworten. Forschung ist notwendig. Ergebnisse einer Forschung können nicht — von wem auch immer — vorweggenommen werden. Forschung bedarf der staatlichen Unterstützung. Sie dient letztlich in ihrem Ergebnis uns allen und eben nicht nur der bloßen Zufriedenstellung eines Parlaments; manch einer mag den Sinn j a darin sehen.Ich möchte noch auf ein paar Bemerkungen eingehen, die Herr Kollege Kraus vorhin gemacht hat. Herr Kollege Kraus, Sie haben davon gesprochen, daß eine Studie, die u. a. unter Mitwirkung von Studenten erstellt werde, ohnehin keine weitere Verbesserung der Sicherheit oder keine weiteren Erkenntnisse bringen könne. Gleichwohl haben Sie gesagt, die Arbeit einer solchen Gruppe möge noch weiter bis in die Ausschußberatungen hineinwirken.
— Ich habe das hier fast wörtlich aufgeschrieben. Aber wir können es j a nachlesen.
Die Probleme waren uns als FDP-Fraktion bekannt. Sie sind bereits im November 1981 durch Nachfrage auf den Tisch der Diskussion in der Enquete-Kommission gebracht worden. Professor Laermann hat dort einen Antrag auf Vorlage der Arbeitsgruppenberichte zum SNR 300 gestellt, zum Stand der Studien, um festzustellen, ob und wo Schwierigkeiten auftreten würden.Dann frage ich Sie, Herr Kollege Kraus: Warum haben Sie es bei all Ihrer Kritik in der Zeit nicht geschafft, diese Anfrage selbst zu stellen? Ich meine, Sie können nicht auf uns als die Verantwortlichen hinweisen und sagen, wir hätten nichts getan.
Ich will wohl annehmen, daß die Opposition nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat,
auf verschiedene Schwierigkeiten hinzuweisen, die bei so einem Projekt mit Gutachten, mit Studien auftreten können. Aber uns als den in der Regierung verantwortlichen Parteien müssen Sie ebenso zugestehen, daß wir, insbesondere wenn es um die Kritik in unserer Bevölkerung geht, die Verantwortung für die gesamte Bevölkerung haben und nicht nur für den Teil, der pro Kernenergie ist.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Bedeutung des Schnellen Brüters und des Hochtemperaturreaktors für die langfristige Sicherung der Energieversorgung immer hoch eingeschätzt. Sie hat deshalb diesen Reaktortypen in ihrem Energieforschungsprogramm einen hohen Stellenwert eingeräumt. Der Deutsche Bundestag hat sich dieser Einschätzung stets angeschlossen und den Einsatz der erforderlichen sehr großen Finanzierungsbeträge gebilligt.Die beiden Prototypanlagen dieser Linien, der 3NR 300 in Kalkar und der THTR 300 in Schmehausen, sind seit Anfang der 70er Jahre in Bau. Die Baueitverzögerung und die Kostensteigerungen, die seitdem in teilweise schwindelerregenden Sprüngenbeklagen sind, stellen allen Beteiligten nicht die besten Zeugnisse aus. Das muß ganz nüchtern festgestellt werden. Ich warne vor voreiligen und einfachen Schuldzuweisungen.
Beide Reaktortypen stecken in ähnlichen Schwierigkeiten. Bei beiden sind im Laufe der Bauzeit eine große Anzahl unvorhergesehener Genehmigungsauflagen zu erfüllen gewesen. Diese haben eine Fülle zusätzlicher Lieferungen und Leistungen und dlamit beachtliche Bauzeitverzögerungen bewirkt. 313 die Vorwürfe an die Genehmigungsverfahren nit Anforderungen und bürokratisch überfrachteten Abläufen, die letztlich keinen Sicherheitsgewinn bringen, zutreffen, dazu müssen sich die zuständigen Stellen äußern.Die Probleme, die sich aus der Finanzierung der Mehrkosten ergeben, sind beträchtlich. Sie haben lie Projekte in Gefahr gebracht. Ich habe Verständnis für die Frage, die heute auch aufgeworfen worden ist, ob bei uns Staat und Wirtschaft im nationalen Alleingang beide Reaktorlinien jetzt werden verwirklichen können.Beim SNR 300 habe ich darauf aufmerksam genacht, daß der Kalkulation von 5 Milliarden DM, die nir Anfang 1981 vorgelegt wurde, ehrgeizige Randbedingungen zugrunde gelegt worden sind. Eine die-ser Randbedingungen ist leider heute schon in Frage zu stellen, weil die letzte Teilerrichtungsgenehmigung 7/5 nicht, wie geplant, Ende 1981, sondern erst im Sommer dieses Jahres laut Auskunft aus Nordrhein-Westfalen erteilt werden kann.Demgegenüber konnte ich beim THTR 300 bis vor kurzem nach allen mir vom Hersteller und Betreiber zugänglich gemachten belastbaren Informationen lavon ausgehen, daß dieses Projekt vor wesentlichen Bau- und Kostenüberschreitungen bewahrt werden kann, weil der Bau verhältnismäßig fortgeschritten ist.Am 23. März dieses Jahres sind der Bundesregierung und der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom Hersteller des THTR 300 zusätzliche Kosten in Ier unerwarteten Höhe von rund 1 Milliarde DM
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Bundesminister Dr. von Bülow Windelenüber die bisherigen Gesamtkosten von 3 Milliarden DM hinaus bei einem weiterhin offenen Ende angemeldet worden. Diese Mehrkosten rühren laut Darstellung der Hersteller, bestätigt durch die Betreiber, die wir in die Managementfunktionen eingesetzt haben, zum überwiegenden Teil aus Auflagen aus dem bisherigen Genehmigungsverfahren. Risiken aus dem weiteren Verfahren mit neun verschiedenen zu bearbeitenden Positionen und zwei vollen Teilerrichtungsgenehmigungen sind nicht enthalten, d. h. wir haben ein völlig offenes Ende. Unter Einbeziehung staatlicher Bürgschaften, denen bei diesen gesprengten Kostenrahmen der Boden entzogen ist, beträgt die Finanzierungslücke beim THTR damit rund 1,5 Milliarden DM.Noch am 29. Januar dieses Jahres war von Mehrkosten in der Höhe von mehr als 1 Milliarde DM seitens der Betreiber und der Hersteller nicht die Rede. An diesem Tage habe ich mit den Vorständen von Hersteller und Betreiber über die Finanzierung des THTR 300 gesprochen. Ein von den beteiligten Elektrizitätsversorgungsunternehmen unter Führung der VEW angebotener und zu finanzierender Reservefonds in Höhe von rund 200 Millionen DM über die Grenze von 3 Milliarden DM hinaus erschien den Beteiligten ausreichend. Mir wurde in keiner Weise der Eindruck vermittelt, daß größere Termin- und Kostenüberschreitungen bevorstünden.Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese exorbitante Mehrkostenberechnung die Antwort auf unser Drängen nach einem Festpreis Ende letzten Jahres ist. Erst zu diesem Zeitpunkt hat man beim Hersteller und beim Betreiber neu gerechnet, aber — und dies gefährdet die Vertrauensbasis — ich wurde auch auf entsprechende Fragen bis in den März hinein im unklaren gelassen, übrigens auch der Betreiber. Dies erscheint mir auch deshalb bedeutsam, weil wir die Industrie bei beiden Reaktortypen schon vor Jahren bewußt in die Managementfunktionen eingesetzt haben. Es ist nicht das BMFT, das die Reaktorerstellung betreibt, sondern es ist die Industrie selbst, der wir diese Aufgabe übertragen haben.
Ich will an dieser Stelle der Legendenbildung nachdrücklich entgegentreten, ich hätte von diesen Mehrkosten gewußt. Das bezieht sich auf ein Gespräch von Beamten des Bundesministeriums für Forschung und Technologie mit dem Hersteller und Betreiber im Oktober 1981. Beiläufig — Gegenstand des Gesprächs waren ganz andere Punkte — wurden dem BMFT-Vertreter Mehrkosten bis zu 300 Millionen DM genannt.Zunächst muß man den Qualitätssprung auf die heute zur Debatte stehenden Mehrkosten von über 1 Milliarde DM berücksichtigen. Wichtiger noch ist die Tatsache, daß dem BMFT keine konkreten, quantifizierten, nachprüfbaren Mehrkostenberechnungen zur Verfügung gestellt wurden und wir ebenso wie die Betreiber keinerlei schriftliche Unterlagen vor dem 23. März dieses Jahres erhalten haben. Ich muß es ablehnen, mündliche Mutmaßungen über Mehrkosten in einer völlig unverbindlichen Form zu akzeptieren.Wolfram [Recklinghausen] [SPD]: Sehrgut!)Vielleicht verstehen Sie vor diesem Hintergrund meine Kritik an dem Management des Projekts.Nach Bekanntwerden der Mehrkosten habe ich am 25. März Herrn Professor Knizia als einen der Geschäftsführer der Betreiber aufgefordert, mir seine Vorstellung zu Realisierungsmöglichkeiten der Gesamtfinanzierung bei den jetzigen Bedingungen zu übermitteln. Bis sich solche Möglichkeiten abzeichnen, kann ich es aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht verantworten, weitere Mittel des Bundes bereitzustellen. Ich habe daher die letzte beabsichtigte Bewilligung in Höhe von 297,5 Millionen DM noch nicht freigegeben.Eine erste Antwort des Betreibers ist am Montagabend dieser Woche eingegangen. Nach einem ersten Gespräch mit meinem Kollegen Jochimsen als Vertreter des an der Finanzierung beteiligten Landes Nordrhein-Westfalen werden wir in den nächsten Wochen nochmals Verhandlungen mit Industrie und Wirtschaft über die nur gemeinsam mögliche Finanzierung aufnehmen. Ich habe heute VEW aufgefordert, zunächst im Vorgriff auf eine umfassende Finanzierungsregelung selbst bisher bereits in Aussicht genommene Beiträge zum THTR 300, die im Rahmen der SNR-Finanzierung angeboten gewesen sind, jetzt einzusetzen. Damit könnte die Finanzierungssituation für den Verhandlungszeitraum entspannt werden.An dieser Stelle möchte ich noch einmal kurz Grundsätzliches zur Förderung der beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien sagen. Die Anwendungsbereiche der beiden Linien unterscheiden sich wesentlich. Der besondere mögliche Vorteil der Hochtemperaturreaktorlinie, nicht des jetzt entstehenden THTR, der auf die Stromerzeugung gerichtet ist, liegt hauptsächlich in der Erzeugung von Prozeßwärme. Der Schnelle Brüter dagegen zielt auf die Stromerzeugung bei gleichzeitiger Unabhängigkeit von weiteren Uranimporten. Die Linien sind daher keine Parallelentwicklungen und stehen nicht in Förderkonkurrenz zueinander. Bei Entscheidungen über die Förderung sind jeweils für den Reaktortyp spezifische Kriterien angelegt worden. So muß auch künftig verfahren werden.Ich möchte hinzufügen, daß für die staatliche Förderung von Projekten dieser Dimension das Engagement der Wirtschaft, das sich in einer finanziellen Beteiligung und in konkreten Vorstellungen darüber ausdrücken muß, wofür und wie denn die jeweilige Technologie zukünftig weiter angewendet und genutzt werden soll, von erheblicher Bedeutung sein muß. Alles andere wären staatliche Freiübungen im luftleeren Raum, die den Bürger, ohne daß ein Beitrag zu seiner Zukunftssicherung geleistet würde, ziemlich teuer zu stehen kämen.An dieser Stelle möchte ich einflechten, daß wir uns parallel zur Beteiligung der Energieversorgungsunternehmen am Schnellen Brüter seit eineinhalb Jahren bemühen, eine finanzielle Beteili-
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Bundesminister Dr. von Bülowgung auch der an der HTR-Linie interessierten Industrie und der Elektrizitätswirtschaft zu bekommen. Leider haben wir bis auf einen Vorschlag, der eine öffentliche Subvention von 1,4 Milliarden DM zugrunde legt, keine positiven Angebote für Nachfolgeprojekte bekommen. Ich möchte Nordrhein-Westfalen bei dieser Gelegenheit für die Hilfen danken, die bei diesen Bemühungen geleistet worden sind.
Im folgenden will ich auf den eigentlichen Anlaß dieser Debatte, die Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Brutreaktortechnologie, eingehen. Die Bundesregierung ist nach wie vor entschlossen, das Projekt SNR 300 zum Erfolg zu führen. Sie bedarf dabei allerdings der Unterstützung aller Beteiligten; denn es sind außergewöhnliche Anstrengungen erforderlich. Ihr besonderes Augenmerk richtet sich dabei in den kommenden Monaten auf das Parlament und die von ihm eingesetzte Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergie-Politik", wenn die Beratung über die Inbetriebnahme dieses Prototypreaktors ansteht.Im Rahmen der Arbeit der Enquete-Kommission für eine Empfehlung an den Deutschen Bundestag ist es in der Kommission im vergangenen Monat zu Meinungsverschiedenheiten über den Zeitbedarf gekommen, der für die Durchführung einer risikoorientierten Studie erforderlich ist. Diese Studie wurde von der Bundesregierung auf Wunsch des Deutschen Bundestages vergeben. Sie wird von Professor Birkhofer durchgeführt. Den Wünschen der Enquete-Kommission des 8. Deutschen Bundestages entsprechend, werden an ihr auch Wissenschaftler beteiligt, die der Kernenergie und der Brutreaktortechnologie skeptisch gegenüberstehen. Ihre Mitarbeit wird von Professor Benecke als Unterauftragnehmer von Professor Birkhofer koordiniert.Einige an der Studie mitarbeitende Wissenschaftler, die der Kernenergie gegenüber skeptisch eingestellt sind, haben, nachdem sie im Februar die Arbeit eingestellt hatten, im März eine zusätzliche Bearbeitungszeit von sechs Monaten gefordert. Dies entspricht nicht dem ursprünglich mit den Auftragnehmern Professor Birkhofer und Professor Benecke vereinbarten Abschlußdatum für die Studie am 30. April 1982, dessen Einhaltung von beiden noch im Februar dieses Jahres zugesagt worden war. Dies läuft auch auf eine Verschiebung von Terminen hinaus, die der Bundestag, die Enquete-Kommission und der Ausschuß für Forschung und Technologie einmal gesetzt hatten.Eine fachliche Prüfung des vorgeschlagenen zusätzlichen Arbeitsprogramms in meinem Ministerium kam zu dem Ergebnis, daß von den vorgeschlagenen Arbeiten angesichts der außergewöhnlich intensiven Prüfung im Rahmen eines jetzt über zehn Jahre laufenden Genehmigungsverfahrens kaum wesentliche neue Erkenntnisse zur Bewertung des Risikos des SNR 300 zu erwarten seien.
Trotzdem habe ich den Überlegungen, die dem vorliegenden Antrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Terminverlängerung für die EnqueteKommission zugrunde liegen, entsprochen. Ich habe dem Koordinator der gegenüber dem Brüter skeptisch eingestellten Wissenschaftler, Professor Benecke, meine Bereitschaft erklärt, die vorgeschlagenen zusätzlichen Arbeiten parallel zur Beratung der Kommission über die bis zum 30. April abgeschlossene risikoorientierte Analyse zu fördern. Der Grund dafür liegt vor allem darin, daß ich jeden Eindruck vermeiden möchte, der Enquete-Kommission sei auf Grund unvollständiger Unterlagen oder aus Zeitdruck die Abgabe eines möglicherweise nicht ausreichend fundierten Votums zugemutet worden.Ein Industrieland wie die Bundesrepublik darf meines Erachtens nicht versäumen, die Chancen des Schnellen Brüters in Form eines Prototyps zu prüfen. Gegenstimmen hierzu wird man allerdings nur in einem fairen Dialog ausräumen oder in einer respektierten Minderheit belassen können. Insofern bin ich überzeugt, daß der Errichtung des SNR 300 eher durch das in Aussicht genommene Verfahren genützt wird als durch eine Konfrontation zum jetzigen Zeitpunkt.Ich möchte einen fairen Umgang allerdings auch für mich selbst in Anspruch nehmen und nachdrücklich denjenigen widersprechen, die mir aus dem Zusammenhang von Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen eine Pression gegenüber dem Bundestag unterstellt haben. Ich hatte vor inzwischen mehr als einem Jahr die Schwierigkeit zu bewältigen, eine Finanzierung des SNR 300 bei wesentlich gestiegenen Kosten unter Einbeziehung von Mitteln der Energiewirtschaft zu gewährleisten. Die Alternative für mich bestand darin, erhebliche Kahlschläge in anderen Bereichen der Forschungs- und Technologieförderung, auch und gerade im nichtnuklearen Bereich vorzunehmen. Nach langen und sehr schwierigen Verhandlungen ist es gelungen, Finanzierungszusagen der zehn großen deutschen Elektrizitätsversorgungsunternehmen in Höhe von rund einer Milliarde DM zu erhalten. Dies ist meines Erachtens für ein bereits fortgeschrittenes und letztlich auch verzögertes Projekt keine Selbstverständlichkeit. Die Unternehmen haben dabei den Vorbehalt gemacht, daß ihre Zusage erst dann wirksam wird, wenn der Deutsche Bundestag seinen Vorbehalt zur Inbetriebnahme dieses Reaktors aufgehoben hat. Ich habe für diese Bedingung Verständnis.Die Unternehmen sehen ihrerseits übrigens die Entscheidung des Deutschen Bundestages als offen und nicht etwa nur als eine Formsache an. Die vorgesehene Höhe der Beteiligung des Bundes an den Gesamtprojektkosten von 5 Milliarden DM ist im Februar dieses Jahres bereits erreicht worden. Die Zeit bis zur möglichen positiven Entscheidung des Bundestages zur Inbetriebnahme des SNR 300 muß durch die Bundesregierung überbrückt werden; denn erst danach werden die Mittel der Energieversorgungsunternehmen zur Verfügung gestellt werden. Bei dieser Überbrückungsregelung hat sich die Bundesregierung streng an den vom Bundestag selbst für die Beratung dieses Themas gesetzten Daten orientiert und angesichts des für die Enquete-Kommission vorgesehenen Abgabedatums, 31. Juli 1982, die Finanzierung bis zum September/Oktober
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Bundesminister Dr. von Bülowgesichert. Ich wäre deshalb sehr dankbar, wenn der Deutsche Bundestag bei seinen nach der Sommerpause anstehenden Beratungen diesen Zusammenhang von zeitlichem Vorgehen und Stand der Finanzierung des Projekts im Auge behalten würde, wie dies im vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen im übrigen auch zum Ausdruck kommt. Diese Bitte entspringt dem Bemühen, weitere Kostensteigerungen über das unabwendbare Maß hinaus abzuwehren.Ich hatte schon erwähnt, daß die Kalkulation von 5 Milliarden DM für die Errichtung des SNR 300 unter ehrgeizigen Randbedingungen aufgestellt worden ist. Das liegt jetzt mehr als ein Jahr zurück. Ich habe deshalb darauf gedrängt, daß Hersteller und Betreiber eine aktuelle Neukalkulation vorlegen. Dies wird nach Aussage der beteiligten Firmen Mitte des Jahres möglich sein. Eine weitere Erhöhung der Gesamtkosten kann nicht ausgeschlossen werden. Ich will in diesem Zusammenhang allerdings hinzufügen, daß Analysen von Kostenrisiken auch dazu dienen müssen, den tatsächlichen Anfall der Kosten durch alle nur möglichen Anstrengungen zu verhindern.Wie schon in den Antworten zur Großen Anfrage ausgeführt, verhandelt das BMFT mit dem Hersteller vorsorglich über Vereinbarungen zur Eingrenzung und Finanzierung weiterer Mehrkosten. Eine Lösung kann ich erst nach Vorlage und Überprüfung der neuen Kalkulation sowie nach Abschluß der Verhandlungen vorlegen. Ich hoffe, daß bis zum September 1982 die Finanzierung der von den Elektrizitätsversorgungsunternehmen grundsätzlich zugesagten Beträge vertraglich gesichert ist. Das Parlament bitte ich um weitere Unterstützung bei der Abwicklung dieses Projekts in seinen sehr schwierigen politischen, finanziellen und technologischen Aspekten. — Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich mich noch einmal mit der Frage der wahren Bedeutung und Berechtigung der von der Koalition geforderten Fristverschiebung für die Empfehlungen der Enquete-Kommission beschäftige, möchte ich auf einige Beiträge des Forschungsministers und auch des Kollegen Schäfer am Anfang dieser Debatte eingehen.Herr Minister von Bülow, wir haben großes Verständnis dafür, wenn Sie in dieser Debatte über die Große Anfrage der CDU/CSU zum Schnellen Brüter und über die Terminverschiebungen für die Empfehlungen der Enquete-Kommission — ich darf es einmal so sagen — die drohende Pleite im Weiterbau des Hochtemperaturreaktors hier vortragen.
Wir haben allerdings wenig Verständnis dafür, daß es auf diesem Gebiet widersprüchliche Meldungen gibt. Gestern haben Sie im Forschungsausschuß relativ klar gesagt, welche Kostenprobleme hier entstanden sind; aber Sie haben immerhin den Ein-druck erweckt, ein Abbruch dieses Projekts sei weder sofort vorgesehen noch sofort zu erwarten. Heutige Meldungen der Presseagenturen sehen dies ganz anders. Ich weiß nicht, ob die aus Ihrem Haus kommen; es klingt jedenfalls so. Dort ist im Grunde davon die Rede, daß dieses Projekt bereits abgebrochen ist. Ich glaube, dies ist nicht richtig. Hier machen Sie, Herr von Bülow, sich die Sache zu einfach.Wir haben gestern schon im Ausschuß darauf hingewiesen, daß es — die Diskussion, warum die Kosten so gesteigert worden sind und wer das zuerst und wann gewußt hat, ist hier nicht zu führen — jetzt eigentlich darauf ankommt, unter allen Umständen Zeit zu gewinnen und zu vermeiden, daß die Baustelle stillgelegt wird, und den Bewilligungsbescheid zu erteilen und damit sicherzustellen, daß in den nächsten fünf oder sechs Monaten ein neues Gesamtkonzept für die Finanzierung entwickelt werden kann.
Wir als CDU/CSU-Fraktion — und in diesem Fall stimmen wir mit dem überein, was Herr Schäfer an dieser Stelle erklärt hat — erklären auch mit allem Nachdruck, welche Bedeutung wir dieser Reaktorlinie zumessen: eine Bedeutung, die sich über die Frage Kernenergie weit hinaus auf die Frage des Verbundes Kohle, wenn auch vielleicht nicht heute, aber in einer überschaubaren Zukunft, erstreckt.
Ich möchte auch einiges aufgreifen, was Herr Schäfer am Anfang gesagt hat. Herr Schäfer, Sie haben am Anfang Ihres Diskussionsbeitrags wieder die alte Mär verbreitet, im Zusammenhang mit dem Beschluß vom Dezember 1978 seien wir gegen den Weiterbau des Schnellen Brüters gewesen. Davon kann doch — ich stelle das hier nochmals mit aller Deutlichkeit fest — gar nicht die Rede sein.
Wir haben uns dagegen verwahrt; und wir sehen heute, daß wir es zu Recht getan haben, daß der Deutsche Bundestag über die Inbetriebnahme entscheiden soll. Denn wir haben bereits damals gesehen, welche Komplikationen für Weiterbau, Finanzierung und Glaubwürdigkeit des ganzen Projekts entstehen würden.
Dies war damals der Grund, Herr Schäfer, und nichts anderes.Das zweite, Herr Schäfer: Sie haben einige Bemerkungen zu den Sicherheitsvergleichen gemacht, besonders in bezug auf die hypothetischen Schadensfälle. Sie haben das hier ausgemalt. Sie wissen aber doch auch — der Minister hat darauf vorhin dankenswerterweise hingewiesen —, daß vor dem Schnellen Brüter ein jetzt über zehnjähriges Genehmigungsverfahren steht, in dem alle Aspekte der Sicherheit — Sie haben selber von der Glaubwürdigkeit der Genehmigungsbehörden gesprochen — be-
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Gersteinrücksichtigt worden sind. Sie wissen auch — wir haben das in der Enquete-Kommission ja bereits andiskutiert —, daß die risikoorientierte Studie, wie wir sie in der alten Enquete-Kommission haben wollten, doch so gut wie vorliegt. Und Sie wissen auch — das geht doch aus den Protokollen der Beratungen hervor —, daß ein großer Teil dessen, was jetzt noch aus der Gruppe Benecke geschehen soll, darauf hinausläuft, daß gegen jede Verabredung eine Art vollständiger Nachvollzug des Genehmigungsverfahrens in den meisten Punkten geschehen soll.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schäfer?
Bitte schön.
Herr Kollege Gerstein, können Sie mir darin beipflichten, daß es, zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls, weltweit keine Studie gibt, uns jedenfalls nicht bekannt ist, die die Unfallfolgeberechnungen eines hypothetischen Störfalls beim Schnellen Brutreaktor ausweisen könnte; können Sie mir weiter darin beipflichten, daß dies für die Risikobeurteilung im Vergleich SNR 300 und Druckwasserreaktor, Typ Biblis B, eine von notwendigen Voraussetzungen ist?
Der aber in der risikoorientierten Studie mit verarbeitet wird.
Meine Damen und Herren, die Beratungen über die Fristverschiebungen, die von der Koalition beantragt worden sind, geschehen im Grunde trotz einer klaren Beschlußlage des Deutschen Bundestages. Ich darf in Erinnerung rufen, daß das gar nicht so lange her ist, sondern daß wir erst vor vier Monaten in voller Kenntnis der Entwicklungen, auch der Aufträge an die Kritikergruppe und bezüglich der ganzen Gestaltung der Studie, diesen Terminablauf beschlossen haben. Der Technologieausschuß hat sich mehrfach dazu erklärt. Auch aus dem Beitrag des Bundesministers ist deutlich geworden, daß ein Bedürfnis für eine Einhaltung dieses Terminplanes besteht.Nun ist auf die Folgen der neuerlichen Fristverlängerung, auf die Erschwerung der Finanzierung, die möglichen Verzögerungen beim Weiterbau in dieser Debatte bereits mehrfach hingewiesen worden. Ich möchte noch einmal die Frage stellen: Können denn wirklich aus der Fristverlängerung, durch das modifizierte Arbeitsprogramm der Bremer Gruppe für die Sache, um die es uns hier geht, nämlich die Frage, ob man den Schnellen Brüter eines Tages in Betrieb nehmen kann oder nicht, noch Sachargumente herbeigetragen werden? Ich, meine Damen und Herren, bezweifle das sehr.Es gibt, wie ich meine, drei wesentliche Gründe, die gegen diese Annahme und damit auch gegen die Fristverlängerung sprechen. Diese drei wesentlichen Gründe sind: erstens die Erpressung, die nach meiner Auffassung durch die drei Sachverständigen, als sie mit ihren Voten in der Enquete-Kommission nicht zum Zuge kamen, auf dieses Hohe Haus für diese Beschlußfassung ausgeübt worden ist. Zweitens ist das die mangelnde Qualifikation der Kernenergiekritiker in der Gruppe Benecke — ich werde dafür gleich noch die Belege bringen. Drittens ist das die Auffassung, die sich aus den Beratungen der Enquete-Kommission eigentlich immer mehr verstärkt hat, daß wesentliche neue Erkenntnisse aus den Arbeiten der Gruppe Benecke, auch aus dem modifizierten Arbeitsauftrag, nicht zu erwarten sind.Es lohnt sich, meine Damen und Herren, einmal die umfangreichen Protokolle der Verhandlungen in der Enquete-Kommission — am 18. März ist allein ein Wortprotokoll von 223 Seiten entstanden — nachzulesen.
— Das ist nicht eine historische Frage, sondern etwas, auf Grund dessen die Entscheidungen über Fristverlängerungen und Fristverschiebungen hier letzten Endes zu treffen sind. Und darum sind wir ja hier.Aus diesen Protokollen wird eben deutlich, daß in der Enquete-Kommission selbst im Grunde nichts vorgetragen worden ist, was wirklich eine Fristverlängerung gerechtfertigt hätte. Eindrucksvolle Belege dafür sind die Bemerkungen der Sachverständigen, der Professoren Birkhofer, Michaelis, Schneider, Häfele und Dr. Stoll. Und so war es auch nicht verwunderlich, daß sich nach dieser ausführlichen Diskussion in der Kommission keine Mehrheit für einen neuen Arbeitsauftrag an die Gruppe Benecke und die damit verbundene Fristverlängerung gefunden hat.
Was hätte das nun zu bedeuten gehabt? Meine Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen alle, daß dies ein ganz normaler Vorgang ist: Die Enquete-Kommission hätte termingerecht entsprechend der klaren Entscheidung des Bundestages ihre Aufgabe erfüllen und nach Durchsicht und Diskussion der bis zum 30. April vorgelegten Gutachten ihre Empfehlungen für den Deutschen Bundestag zur Inbetriebnahme des Schnellen Brüters vor der Sommerpause abgeben können. Daß dies nun nicht geschieht, wie zu vermuten ist, und wir heute über die Verlängerung entscheiden müssen, ist nicht das Ergebnis sachlicher Überlegungen. Der Grund dafür ist, nach meiner Auffassung, allein die Erklärung von drei Sachverständigen, sie würden ihre Mitarbeit in der Kommission einstellen, falls es nicht zu der von ihnen gewünschten Auftragserweiterung und Fristverlängerung käme. Dieses Verhalten reicht sicherlich in die Nähe einer politischen Erpressung, einer Erpressung mit Erfolg, wie wir heute feststellen müssen, denn die Koalitionsfraktionen sind darauf eingegangen.
Wir haben selbst auch einmal das Erlebnis einerMinderheit gehabt, und ich darf daran erinnern, daß
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Gersteinwir selbstverständlich nicht einmal im Traum daran gedacht haben, auf Grund unserer Minderheitsposition zu sagen: Es tut uns leid, wir machen nicht mehr mit.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schäfer?
Nein. Ich habe eine Zwischenfrage gestattet. Mit Rücksicht auf die Zeit möchte ich das weitere gern im Zusammenhang vortragen.
Gut. Das steht in Ihrem Ermessen. Keine Zwischenfrage!
Ich möchte noch einmal betonen: Dieser Vorgang der Erpressung der Koalitionsfraktionen und, wenn dieser Antrag gleich mit Mehrheit beschlossen wird, dann auch des Deutschen Bundestages durch drei Sachverständige
ist ein im Grunde außerordentlich bedenklicher Vorgang.
— Herr Wolfram, dann greife ich das auf, was der Bundesforschungsminister gerade gesagt hat. Er hat davon gesprochen, daß es einen fairen Umgang miteinander geben müsse; sonst könnten die Dinge nicht geregelt werden. Ich überlasse es Ihrer Beurteilung, ob dieses Verhalten der drei Sachverständigen, die da ausgeschert sind und gedroht haben, wirklich den Anforderungen entspricht, die man an einen fairen Umgang miteinander in der Kommis-sion stellt.
Es kommt hinzu, daß auch der Vorsitzende es nicht versäumt hat, sich an diesem Druck zu beteiligen, indem er in der Kommissionssitzung mehrfach betont hat — ich habe das noch einmal nachgelesen —: Wenn es nicht zu einer Fristverlängerung komme, dann müsse die Kommission ihre Arbeit einstellen. Ich glaube, auch dieses muß man werten. Ich bin der Auffassung, daß durch diesen Zwang die Glaubwürdigkeit der Enquete-Kommission ganz empfindlich gefährdet worden ist.
Der zweite Grund für die Gefährdung der Glaubwürdigkeit der Kommission ist hier schon mehrfach angesprochen worden: daß es nämlich immer mehr ernstliche Zweifel an der Kompetenz und Qualifikation der Bremer Gruppe gibt. Ich möchte hier nur auf den Einwand eingehen, das seien nicht qualifizierte und pauschale Verdächtigungen. Immerhin hat in diesem Zusammenhang der Nestor der deutschen Kernphysik, Herr Professor Maier-Leibnitz, sowohl schriftlich als auch mündlich vor der Kommission gesagt:Eine ähnliche Frage betrifft die gerechte Beurteilung von Literaturstellen. Ich beziehe michals Beispiel auf die im Gutachten häufig erwähnte sogenannte Bremer Vorlage. Die Gutachter weisen gut dokumentiert in ihr— also in der Bremer Vorlage —Fälle nach von Unkenntnis, von Mißverständnissen, von Irrtümern, aber auch von Unterdrückung von Aussagen, die gegen die jeweilige Argumentation sprechen, und von Unterstützung sichtlich falscher Aussagen anderer und von vagen, nicht haltbaren Vorschlägen.Herr Maier-Leibnitz hat dann weiter ausgeführt:Wenn diesen Vorwürfen nichts Positives gegenübersteht, dann dürfte nach den wissenschaftlichen Standards von Objektivität und Selbstkritik, die wir aufrechtzuerhalten suchen, von der Bremer Gruppe kein Hund mehr ein Stück Brot nehmen.So Maier-Leibnitz.
Wir haben — das will ich hinzufügen — uns dann natürlich die Mühe gemacht, in der Anhörung die Frage zu stellen, die Maier-Leibnitz im Anschluß gefordert hat. Er hat nämlich gefragt, ob nicht vielleicht doch aus Bremen Arbeiten vorlägen, die als international beachtete Beiträge zur Sicherheitsdiskussion beim Schnellen Brüter gelten könnten. Diese Frage haben wir gestellt, und wir haben darauf eine klare Antwort bekommen, nämlich: Nein, es gibt solche Arbeiten nicht. Ich meine schon, daß man daraus Schlußfolgerungen auch für die Frage zu ziehen hätte, ob es gerechtfertigt ist, dieser Gruppe noch weitere Aufträge zu erteilen und Fristverlängerung zu genehmigen. Herr Laermann, spätestens an dieser Stelle hätten Sie, der Sie ja diese Dinge immer mit besonderer Wachheit verfolgen, doch ganz hellwach werden und sagen müssen: Wenn das so ist — und niemand hat es widerlegt —, dann ist tatsächlich — lassen wir das mal mit dem Hund und dem Stück Brot weg — jede müde Mark zu schade, die dieser Gruppe noch zugeführt wird, um ihre Bemerkungen zur Kernenergiediskussion zu machen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch den dritten Grund nennen. Hier bin ich in der angenehmen Lage, vor allem das Bundesforschungsministerium zitieren zu können. Es zeigt sich immer mehr — auch aus den Beratungen der Kommission —, daß eben keine für die Sicherheit bedeutsamen neuen Erkenntnisse aus modifizierten und verlängerten Gutachten zu erwarten sind. Darüber wurde schon gesprochen. Es ist hier nicht möglich, die Wortprotokolle alle vorzutragen, aber es ist möglich, vorzutragen, was uns der Forschungsminister durch seine Mitarbeiter im Ausschuß vorgetragen hat und was auch nicht widerlegt worden ist. Es heißt hier:Die im modifizierten Arbeitsprogramm von Professor Benecke vorgeschlagenen zusätzlichen Untersuchungen lassen aber unter Berücksichtigung der Vorbildung und Erfahrung der mitwirkenden Gruppen einerseits und des Umfangs gutachterlicher Detailprüfungen andererseits in einem mehr als zehnjährigen Genehmi-
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Gersteingungsverfahren in einem Zeitraum von sechs Monaten keine über Prüfungsergebnisse aus dem Genehmigungsverfahren hinausgehenden und für die Gesamtbewertung des Risikos des SNR 300 erheblichen neuen Erkenntnisse erwarten.Dies ist nicht widerlegt worden, und ich frage Sie wirklich, wie man es auf dieser Basis verantworten kann, Geld auszugeben, Zeiten zu verschieben und den Weiterbau des Brüters zu gefährden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß noch folgende Bemerkung machen. Mangelhafte Qualifikation und fehlende Sachargumente sind in diesem Falle in der Enquete-Kommission durch politische Erpressung ersetzt worden. Damit ist der Glaubwürdigkeit unserer Politik ein schlechter Dienst getan worden. Ist nicht gerade für die so oft beschworene Akzeptanz und für die Frage, wie wir auch vor der Öffentlichkeit in der Kernenergie bestehen können, die Glaubwürdigkeit eines der wesentlichsten Elemente, auf Grund derer wir Entscheidungen tragen und vertreten können?
Nun wird von Herrn Schäfer und anderen immer so sehr deutlich von der Notwendigkeit des Konsenses gesprochen. Einverstanden, es bedarf des Konsenses, auch derjenigen, die hier politisch zu entscheiden haben. Aber ich glaube, Sie werden mir nicht widersprechen können, wenn ich sage, ein Konsens, der durch Erpressung hergestellt wird, kann keine Basis für die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der Politik sein. Hier ist die Chance, von der der Kollege Kübler gesprochen hat, verspielt worden.Aus diesen drei Gründen und wegen der Gefahr, daß die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit beeinträchtigt wird, bitten wir Sie, dem Antrag der Koalitionsfraktion auf Fristverlängerung nicht zuzustimmen. Nach unserer Auffassung ist die Einhaltung der Termine, wie sie der Bundestag am 10. Dezember vergangenen Jahres beschlossen hat, möglich und geboten. Wir bitten daher um Zustimmung zu unserem Antrag.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Beitrag des Kollegen Gerstein veranlaßt mich, in aller Kürze zwei Feststellungen zu treffen.
Erstens. Wir haben heute kontrovers debattiert, was die Verlängerung der Abgabeempfehlung bis zum 23. September für die Enquete-Kommission angeht. Es sind Argumente pro und kontra ausgetauscht worden. Jeder kann sie bewerten.
Zweite Bemerkung. Der Kollege Gerstein hat eben wiederholt von „politischer Erpressung" gesprochen. Er hat den Begriff in zweifacher Hinsicht gebraucht. Er hat einmal drei Sachverständigen in der Kommission unterstellt, sie hätten politisch erpreßt.
Zweitens hat er der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion unterstellt, wir hätten uns politisch erpressen lassen, wir seien erpreßbar. Wir weisen diese Vorwürfe in aller Ruhe ohne weitere Qualifizierung entschieden zurück.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vosen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte einige Ausführungen zur Finanzierung des Schnellen Brüters und des Hochtemperaturreaktors machen, weil diese wiederholt von meinen Vorrednern angesprochen worden sind.Der Bund hat, was die beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien angeht, in den zurückliegenden Jahren seit Beginn der Forschungsarbeiten Milliardenbeträge aufgebracht, die sich nicht genau beziffern lassen, da in den Kernforschungszentren Karlsruhe und Jülich neben der Kernforschung natürlich auch andere Forschung betrieben wird. Man kann jedoch davon ausgehen, daß für den Hochtemperaturreaktor 1,5 Milliarden DM und für den Schnellen Brüter 2,5 Milliarden DM, also insgesamt 4 Milliarden DM an Forschungsmitteln gezahlt wurden — Forschungsmittel, ohne den Bau des Schnellen Brüters und des Hochtemperaturreaktors. Da der Bund neben der Finanzierung der Forschung für die fortgeschrittenen Reaktorlinien auch hohe Aufwendungen für die Fusionsforschung — rund 1 Milliarde DM — auf nationaler und internationaler Ebene, für die Urananreicherung, Brennelementeentwicklung, Entsorgung und Sicherheitsforschung aufgebracht hat, möchte ich hier an dieser Stelle einfach feststellen, daß im Forschungsbereich der Bund seiner Verpflichtung für die Daseinsvorsorge in Sachen Kernenergieforschung in beispielhafter Weise nachgekommen ist.Auch die Tatsache, daß der Bund mit ausländischen und inländischen Partnern alles in seiner Kraft Stehende getan hat, um die Forschungsergebnisse in die Praxis zu übertragen, wird durch die uns allen bekannten Demonstrationsgroßprojekte Schneller Brüter und Hochtemperaturreaktor bewiesen. So hat der Bund im Falle des Schnellen Brüters bisher feste Zusagen von 2,2 Milliarden DM sowie Investitionszulagen übernommen, die alles in allem rund 3 Milliarden DM ausmachen. Auch für den Hochtemperaturreaktor umfaßt die Initiative des Bundes zum jetzigen Zeitpunkt, auf dem bisherigen Kostenstand von 3 Milliarden DM fußend — wir wissen, daß das in Frage gestellt ist —, zirka 1,6 Milliarden DM, die als gesichert finanziert angesehen werden können.Bundesforschungsmittel für die fortgeschrittenen Reaktorlinien und Engagement für die Demonstrationsprojekte SNR 300 und den Hochtemperaturreaktor in Schmehausen machen demnach im jetzigen Zeitpunkt die Gesamtsumme von 9 Milliarden DM
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Vosenaus. Dazu kommt die Fusionsforschung mit noch einmal 1 Milliarde DM. Das heißt: insgesamt 10 Milliarden DM hat der Bund aufgewandt, um diese Projekte zu realisieren; das wird vor allem die Haushälter hier interessieren.Die jährlichen Zahlungen zur Unterstützung der Kohle in unserem Lande bis zur Kohleforschung und zur Kohleveredelung möchte ich wegen ihrer immensen Höhe nicht unerwähnt lassen. Dies auch deshalb, weil das Land Nordrhein-Westfalen, welches sich sehr stark — im Gegensatz zu anderen Ländern — an der Finanzierung des Hochtemperaturreaktors beteiligt, auch einen großen Teil der Lasten für die Kohle mitträgt. Es waren 1981 1,1 Milliarden DM, plus die Mittel für den Hochtemperaturreaktor.Wir alle wissen, wie die Entwicklung der Kosten beim Reaktorenbau insgesamt in unserem Lande verlaufen ist. So ist z. B. der Baupreis für Leichtwasserreaktoren, die kommerziell hergestellt werden, pro Kilowatt von 2 000 DM auf 5 000 DM für neugebaute Kraftwerke angestiegen. Anders ausgedrückt: kostet ein Leichtwasserreaktor, der jetzt zu Beginn der 80er Jahre fertiggestellt worden ist, noch zirka 2,5 bis 3 Milliarden DM, so werden die geplanten und gegen Ende der 80er Jahre fertiggestellten Leichtwasserreaktoren zwischen 5 und 6 Milliarden DM kosten. Diese Kostenexplosion, die die kommerziellen und, wenn man so will, privaten EVUs und nahezu schon voll typisierten Kraftwerke betrifft, trifft erst recht Prototypanlagen wie den SNR 300 und den Hochtemperaturreaktor. Jeder vernünftige Mensch wird sogar einsehen, daß Festpreise bei Versuchsanlagen, die ja permanent in der Entwicklung sind, unmöglich durchzusetzen sind. Dies heißt jedoch nicht, daß die permanenten Preiserhöhungen beim Schnellen Brüter von ehemals 1,5 Milliarden DM im Jahre 1972 auf nunmehr geschätzte 5,4 Milliarden DM einfach hingenommen worden wären. Diese haben Prüfungen zur Folge gehabt, deren Ergebnisse, soweit bekannt, die Unabweislichkeit der Kostensteigerungen bestätigen. Das gleiche dürfte für die Kostensteigerungen des Hochtemperaturreaktors von ehemals 690 Millionen DM im Jahre 1971 auf bisher bekannte 3 Milliarden DM gelten. Die nunmehr erneut bekannten Kostensteigerungen beim Hochtemperaturreaktor bedürfen natürlich einer eingehenden Prüfung.Es ist eine Tatsache, daß der Bund — aber wohl auch das Land Nordrhein-Westfalen — bei der Finanzierung an einem Punkt angelangt ist, wo die öffentliche Hand allein die jetzt bekannten Kostensteigerungen sowohl beim Schnellen Brüter als auch beim Hochtemperaturreaktor — zumindest nicht aus dem laufenden Forschungshaushalt, aber ich glaube, daß gilt auch für den Gesamthaushalt — nicht mehr tragen kann. Dies ist die Meinung aller Fraktionen, woraus die Aufforderung an die Energiewirtschaft unseres Landes, besonders an die Elektrizitätsversorgungsunternehmen, resultiert, sich an der Finanzierung der Reaktorlinien zu beteiligen. Die diesbezüglichen Bemühungen des Bundesministers Andreas von Bülow haben, was die Finanzierung des Schnellen Brüters betrifft, insofernErfolg gehabt, als sich die Elektrizitätsversorgungsunternehmen mit rund 1 Milliarde DM mehr — ich muß sagen: freiwillig, dankenswerterweise freiwillig —
an den Kosten des Schnellen Brüters in Kalkar beteiligen.
— So ist es.Da für den Hochtemperaturreaktor nunmehr ein Milliardenloch angekündigt ist, stellt sich die Frage, wie ein Hochtemperaturreaktor, der — hypothetisch in den Raum gestellt — anstelle von 3 Milliarden 4 Milliarden DM kosten würde, finanziert werden kann. Öffentliche Mittel aus dem Forschungshaushalt können hierzu, wie gesagt, nicht herangezogen werden. Es stellt sich daher die Frage, ob die am Hochtemperaturreaktor interessierte Industrie nicht bereit ist — ähnlich wie beim Schnellen Brüter —, in die Finanzierung einzutreten. Meines Erachtens kommt in der jetzigen finanziellen Situation die Stunde der Wahrheit für die an beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien interessierte Industrie. Dies gilt besonders für den Hochtemperaturreaktor. Es reicht nicht aus, daß die Industrie bei allen Anhörungen zwar sagt, diesen Reaktortyp können wir gebrauchen, aber nicht bereit ist, sich an der Finanzierung in nennenswertem Umfang zu beteiligen.In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine andere Möglichkeit der Finanzierung hinweisen: Das Land Niedersachsen verzichtet im Bereich der Energiewirtschaft auf erhebliche Einnahmen aus den Abgaben für Förderung von Rohöl und Erdgas, die überwiegend von ausländischen Energiekonzernen durchgeführt wird. Das renommierte energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln errechnete für 1981 einen windfall profit von 4,1 Milliarden DM. Wäre Niedersachsen bereit, den Förderzins — ähnlich wie in den USA und in Großbritannien — zu erhöhen, so würden den öffentlichen Haushalten mehrere Milliarden DM mehr zur Verfügung stehen.
Setzt man dem gewollten Einnahmeverzicht Niedersachsens den Anteil Nordrhein-Westfalens zur Sicherung der Kohleförderung von ca. 1 Milliarde DM jährlich — auch im nationalen Interesse — gegenüber und betrachtet man dies vor dem Hintergrund des bestehenden Länderfinanzausgleichs und der Finanzierungsschwierigkeiten bei den Kernenergiedemonstrationsobjekten SNR 300 und Hochtemperaturreaktor, so könnte man an der mangelnden Solidarität in unserem Lande in einer für uns alle so wichtigen Frage wie der Energiesicherung verzweifeln.
Es wäre vielleicht ganz gut, wir würden für Niedersachsen eine Bohrlochsteuer erheben. Dann würde
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Vosender Bund das Geld ganz alleine bekommen; das wäre auch eine Möglichkeit der Finanzierung.
— Sie brauchen sich nicht zu erregen. Gehen Sie lieber hin und wirken Sie auf Ihre Freunde in Niedersachsen ein, daß die das Geld nicht an ausländische Konzerne verschenken. Dann würden Sie uns helfen.
Kohlepfennig! Auch das müßte geprüft werden. Da gibt es verfassungsrechtliche Gründe. Aber Hochtemperaturreaktor und Kohlevergasung sind zwei Dinge. Man müßte prüfen, ob da nicht etwas drinsteckt.
— Was heißt hier seriös? Ich will Ihnen gleich noch etwas dazu sagen.
— Ich habe nur zehn Minuten, Herr Riesenhuber. Ich würde mich freuen, wenn ich etwas mehr Zeit hätte; dann würde ich Ihnen das eine oder andere noch sagen. —Erwähnen möchte ich noch, auch vor diesem Hintergrund, die hohe Akzeptanz des Hochtemperaturreaktors bei den Bürgern, die der Kernkraft insgesamt kritisch gegenüberstehen; auch die Gewerkschaften tragen den Hochtemperaturreaktor. Dies sollte allen an diesem Reaktortyp Interessierten, der gesamten Kraftwerksindustrie, den EVUs wie der gesamten Energiewirtschaft Grund genug sein, darüber nachzudenken, wie sie zum Fortbestehen des Hochtemperaturreaktors als einer der beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien beitragen können.Ich komme zum Schluß. Herr Lenzer, Sie haben gesagt: Wer die Musik bestellt, muß bezahlen. Das ist ein Sprichwort. Ich antworte Ihnen darauf: Wer in den Genuß von Musik kommen will, der muß entweder Rundfunk- und Fernsehgebühren oder Eintrittsoder GEMA-Gebühren bezahlen. Die Industrie soll mithelfen. Sie kommt in den Genuß. — Besten Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu der Großen Anfrage „Zukunft der Brutreaktor-technologie in Deutschland" liegen Entschließungsanträge der Fraktionen der SPD und der FDP auf der Drucksache 9/1600 und der Fraktion der CDU/CSU auf der Drucksache 9/1601 (neu) vor.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich rufe zuerst den Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksache
9/1600 auf. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Das erste war die Mehrheit.
Meine Damen und Herren, damit erübrigt sich eine Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/1601 .
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Förderung der Solartechnik in der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen 8/3789, 9/1461 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Boroffka Vosen
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache.
Das Wort hat der Abgeordnete Boroffka.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der Debatte über eine wesentliche Energieform, die Kernenergie, nun einige Bemerkungen zu einer Energieform, von der ich sagen möchte: Sie ist eigentlich eine beachtliche und existentielle Belanglosigkeit. Beachtenswert deshalb, weil der Bund allein in den Jahren 1980 bis 1984 rund 600 Millionen DM zu ihrer Förderung ausgibt; existentiell deshalb, weil Leben ohne Sonnenenergie nicht denkbar ist, und belanglos deshalb, weil die angebotene Energiedichte angesichts des Bedarfs des homo technicus eine absolute Nebensächlichkeit ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die direkte Einstrahlung beträgt bekanntlich über das Jahr Bemittelt etwa 100 Watt pro Quadratmeter. Davon könnte man bei 100 %iger Umwandlung gerade eine 100-Watt-Glühbirne erleuchten lassen. Auf diese Art und Weise den Energiebedarf der Stadt Frankfurt zu decken, hieße, eine Fläche in der Größenordnung von ganz Berlin mit Solarzellen zu überdecken und alles, was darunter ist, natürlich zu entfernen, Arbeitsplätze eingeschlossen.Hinzu kommen allerdings neben der Strahlungsenergie möglicherweise Folgeenergien, die über Absorber mit Wärmepumpe gesammelt werden können. Das ist aber bereits eine technisch aufwendige und auch kostenaufwendige Technologie. In jedem Fall ist die Energiedichte, verglichen mit anderen Energieträgern wie Öl, Kohle oder Kernenergie, außerordentlich gering.
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BoroffkaDarüber hinaus bemerkte schon Goethe sehr richtig: Soweit die Sonne scheint, so weit erwärmt sie auch.
Damit sind wir beim zweiten Problem, nämlich bei der örtlich und vor allem zeitlich unterschiedlichen Verfügbarkeit, die bekanntlich dem Bedarf auch noch genau entgegengesetzt ist; wer will schon im Sommer sein Haus heizen!Was hätte also nähergelegen, meine Damen und Herren, als der Speicherung mindestens die gleiche Aufmerksamkeit zu widmen wie der Einsammlung der Sonnenenergie? Jeder Landwirt weiß, daß zwar im Herbst geerntet wird, daß aber das, was man dann erntet, das ganze Jahr über reichen muß. Die Bundesregierung allerdings hat nahezu ausschließlich die „Erntemaschinen" Absorber und Kollektor gefördert und alles andere liegengelassen. Das muß kritisiert werden, auch deshalb, weil durch die fehlende Langzeitspeicherung ein drittes Problem auftaucht: Die kommerziell angebotenen Anlagen sind unwirtschaftlich. Sie setzen sich deshalb nicht durch. Daher kann nicht einmal der geringe Anteil an Sonnenenergie, der ersetzt werden könnte, genutzt werden. Es handelt sich nach Meinung der Bundesregierung nur noch um etwa 1 bis 5 % im Jahr 2000, bezogen auf die Bundesrepublik. Das entspräche aber immerhin 25 bis 30 Millionen t Steinkohleeinheiten. Das ist immerhin etwas, worüber man reden könnte.Ein Wort zu den Prognosen darüber, wann so etwas wirtschaftlich wird. Meist bezieht man solche Aussagen auf den Ölpreis und dessen Steigerung. Hier taucht gleich ein Problem auf. Es gibt j a auch Energiearten, deren Preissteigerungen nicht unbedingt an die Ölpreissteigerungen gekoppelt sind. Ich denke etwa an die Kernenergie. Hoffnungen auf Wirtschaftlichkeit der Solarenergie durch Preissteigerungen bei anderen Energieträgern sind zwar für die Solarindustrie verständlich, die übrige Welt hofft aber, daß die Energieträger möglichst konstante Preise behalten.Meine Damen und Herren, was also not täte oder not getan hätte, wäre eine Förderung der Solartechnik, die auf möglichst einfache, billige Geräte unter Einschluß von Langzeitspeicherung und Markteinführung abgestellt wäre. Die Feststellung, daß andere Projekte mit erheblich höheren Beträgen gefördert werden, ist keine unsinnige Kritik an der Förderung der Sonnenenergie, wie sich Minister von Bülow — der jetzt übrigens nicht anwesend ist — kürzlich auszudrücken beliebte, sondern eine berechtigte Kritik an unsinnigen Fördermaßnahmen.Hierzu nenne ich ein Beispiel. Das Titelfoto einer Broschüre des BMFT über neue und erneuerbare Energiequellen aus dem Jahr 1981 zeigt eine technisch höchst beeindruckende Solargroßanlage zur Erzeugung von Prozeßwärme und Elektrizität mit Energiegewinnung aus einem Feld punktfokussierender Solarkollektoren. Wissen Sie, meine Damen und Herren, wo die Anlage steht? In Kuwait, einemLand, dem es j a nun wirklich an billiger Primärenergie nicht gebricht.
— Ich komme gleich noch darauf zu sprechen, sehr verehrter Herr Dr. Steger.Meine Damen und Herren, damit kein Mißverständnis entsteht: Natürlich wissen wir, daß sich die Bundesrepublik aus dem Kranz der Industrienationen, die die Solartechnik fördern, nicht ausklinken kann. Aber müssen wir wirklich durch die Förderung solcher Projekte, die — Herr Kollege Dr. Steger, das wissen Sie genauso gut wie ich —, wie es das auch in anderen Industriebereichen gibt, manchmal eher dem Prestige als der Energiegewinnung dienen,
unbedingt den Rang 2 unter den Fördernationen einnehmen, nach den USA und weit vor Frankreich, Japan und Großbritannien? Ist denn wirklich, Herr Dr. Steger — jetzt könnte von Ihnen ja das Exportargument kommen —, etwa den technisch weniger entwickelten Völkern mit dem Gasprojekt gedient, das 500 Millionen DM kosten soll? Ist es nicht viel vernünftiger, in diesen Gesellschaften einfache, billige, handhabbare und den Menschen auch verständliche Geräte an die Hand zu geben, die dort übrigens nicht nur den Energieverbrauch mindern. In Teilen der Welt ist das viel schlimmer, weil dort der Raubbau an der Primärenergie tödlich sein kann. Ich erwähne nur das Stichwort weitere Ausbreitung der Wüsten.Die Großanlagen haben auch ein erhebliches Gefährdungspotential. Hier ein Wort über die Umweltgefährdung. Der Rat für Umweltfragen sagt in seinem Sondergutachten ausdrücklich, daß die regenerierbaren Energiequellen keineswegs ohne Gefahr für die Umwelt sind. Ich stelle mir etwa einen Unfall in der Almeria-Anlage vor, deren Wärmeträger Natrium ist, deren Sekundärkreislauf Wasser ist. Ich als Chemiker weiß, was dann passiert. Da kann ich nur sagen: Wer da in der Nähe ist, dem geht es nicht viel anders, als wenn er unter einer Atombombe liegt.Kurzum und abschließend: Sonnenenergie ist wegen der Energiedichte leider keine Alternative. Insofern sind die energiepolitischen Beschlüsse der SPD auf ihrem Bundesparteitag eine schlichte Illusion.
Der Verband der deutschen Elektrizitätswirtschaft hat gerade kürzlich noch einmal eine sehr sorgfältige Abschätzung der Verfügbarkeit regenerativer Energien vorgenommen.
— Liebe Frau Kollegin, ich zitiere nur die Zahlen, dieein Verband vorgelegt hat, dem es wirtschaftlich völlig gleichgültig ist, mit welchem Energieträger er
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BoroffkaEnergie verkaufen kann, der daher nicht einmal ein wirtschaftliches Interesse hat, eine bestimmte Form zu bevorzugen.Dieser Verband kommt dazu, daß im Jahre 2000 allenfalls 8 % — allenfalls 8 %! — der Primärenergie in der Bundesrepublik durch alternative regenerative Energieformen — Herr Dr. Steger, Sie nicken — ersetzt werden können. Nur ist darin die Wasserkraft eingeschlossen, und zwar mit über 60 %, die Wasserkraft, die heute weit ausgereizt ist. So, nun nicken Sie nicht mehr.Meine Damen und Herren, die Sonnenenergie kann also allenfalls als additive und nicht als alternative Energieform genutzt werden, vor allem im Niedertemperaturhaushaltsbereich. Dies ist zu wirtschaftlicher Praxisreife zu entwickeln. Das wäre sinnvoll gewesen. An Zeit und an Geld hat es nicht gefehlt. Der Mangel hat ganz woanders gelegen.
Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, meine Kollegen von der CDU/CSU-Opposition, daß ich Sie heute von hier aus noch einmal sehen darf.
Sie sprachen davon, Herr Boroffka, was not täte. Ich würde sagen, wenn man von diesem Thema spricht, eigentlich nichts anderes als Sonne. Sonne täte not, wenn man von der Solarenergie spricht. Ich glaube, es wäre auch im Sinne der Bevölkerung, wenn endlich einmal bei uns um diese Jahreszeit die Sonne scheinen würde. Aber das ist schwierig.
Bezüglich der Förderung der Solartechnik in der Bundesrepublik herrscht eigentlich Einvernehmen zwischen uns. Ich meine, Herr Boroffka hat hier vorgetragen, als wenn er bei unseren Jusos mitmachen würde. Die reden fast genauso, Herr Boroffka.
Da kann man sehen, wie hoch das Maß der Übereinstimmung ist. Deswegen verstehe ich gar nicht, daß die Sache hier strittig ist.
Es liegt wohl einfach nur an einer technischen Frage, nämlich an den unterschiedlichen Meinungen über die finanziellen Förderungsmöglichkeiten. Nach Meinung der Koalitionsfraktionen reicht die zu verbessernde Förderung der Solarenergienutzung mit Hilfe der geplanten Fortsetzung des BundLänder-Programms zur Förderung heizenergiesparender Maßnahmen aus, um die Solartechnik zur Anwendung zu bringen. Übersehen hat die
CDU/CSU, Herr Boroffka, scheinbar auch, daß es bereits mit der bestehenden Gesetzgebung möglich ist, eine steuerliche Förderung zusätzlich zu der von der SPD/FDP-Koalition beabsichtigten Zuschußförderung zu erhalten. Es ist seit Jahren möglich, auf Grund von § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 10 % der Kosten von Energiesparmaßnahmen, verteilt über 10 Jahre, steuerlich abzusetzen. Unter diese Maßnahme fallen wärmedämmende Maßnahmen, die Installation von Fernwärme, Wärmepumpen und auch Solaranlagen.
Anscheinend sind in der CDU/CSU-Arbeitsgruppe für Forschung und Technologie keine Fachleute für Steuerrecht. Man vermutet es auch in bezug auf andere Arbeitsgruppen und Ausschüsse, daß dort Fachleute fehlen, aber in diesem Fall scheint es, was das Steuerrecht angeht, so gewesen zu sein.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Riesenhuber?
Bitte schön.
Herr Kollege Vosen, ist es Ihnen erinnerlich, daß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Mai vergangenen Jahres einen Antrag eingebracht hat, nachdem genau diese Maßnahmen verstärkt gefördert werden sollen, und zwar mit 50 % im ersten Jahr und mit jeweils 10 % in den folgenden Jahren, daß dieser Antrag in Übereinstimmung steht mit Anträgen aus der letzten Legislaturperiode sowohl im Deutschen Bundestag als auch im Bundesrat und daß wir dort insgesamt ausgeführt haben, warum nach dem von Ihnen angesprochenen Programm überhaupt nur 1 bis 2 % der in Frage kommenden Projekte gefördert werden könnten?
Herr Dr. Riesenhuber, Ihnen wird umgekehrt bekannt sein, daß wir das genau deshalb nicht wollen, weil nämlich mit einer solchen Absetzungsmöglichkeit der gut verdienende Zahnarzt das Fünffache vom Finanzamt zurückbekommt, was der einfache Arbeitnehmer erhält. Das ist der Grund, weshalb wir für solche Regelungen nicht sind.
Trotzdem bestehen Abschreibungsmöglichkeiten.
— Er kann j a Energie sparen, er soll auch eine Solaranlage haben, aber er soll dafür vom Staat nicht mehr Geld beziehen als der einfache Arbeitnehmer. Solaranlage ist Solaranlage, meine Damen und Herren!
Tatsache ist, daß zum jetzigen Zeitpunkt der Einbau von Solartechniken über das Bund-Länder-Programm bezuschußt werden kann und gleichzeitig die Möglichkeit einer steuerlichen Förderung be-
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Vosen) steht, wenn auch in unterschiedlicher Höhe zu Ihren Vorstellungen.Da ich hoffe, daß damit fast die Luft aus unserem Streit heraus ist, möchte ich jetzt ein paar grundsätzliche Ausführungen zur Solarenergie machen. Nach Studien von Prognos, Shell und Frost sind die Marktchancen für Technologien zur Nutzung der regenerativen Energiequellen auf lange Frist außerordentlich groß. Die Solarenergie wird langfristig eine wesentliche und stetig wachsende Bedeutung haben.Aus diesem Grund hat die Bundesregierung in dankenswerter Weise — diesem Urteil sollten Sie sich anschließen — ein umfangreiches Forschungsprogramm im Rahmen des ZIP-Programms beschlossen. So sind 160 Solaranlagen, davon 44 in Liegenschaften der Bundeswehr, errichtet worden bzw. sie werden errichtet. Im Rahmen des EG-Forschungsprogramms, an dem die Bundesregierung beteiligt ist, sind fünf öffentliche Bäder bewilligt, in denen die Solarenergie genutzt wird.Die Solaranlagen werden u. a. auch durch die KFA Jülich meßtechnisch betreut, damit die Erfahrungen mit den Anlagen dokumentiert werden können. Diese Ergebnisse gilt es abzuwarten, bevor man in die weitergehende Förderung als bisher — wie Sie das wünschen — seitens der öffentlichen Hand eintritt — ob man es überhaupt macht, muß man noch sehr gut überlegen —; dies auch deshalb, weil es gilt, sorgsam mit öffentlichen Mitteln umzugehen und darüber hinaus den privatwirtschaftlichen Initiativen — dafür sind Sie ja — Vortritt zu lassen.
Es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß bei der Beurteilung der Möglichkeiten zur Nutzung der Solarenergie Augenmaß nach anfänglicher Euphorie und erwartungsvoller Überschätzung angebracht ist.
Die Solarenergie ist nicht, wie viele in der ersten Begeisterung meinten, eine Alternative zur Kernenergie, zu Gas oder Kohle,
da sie mengenmäßig überhaupt nicht eine Alternative sein kann. Sie ist eine additive Energieform, die zu den bestehenden Energieformen hinzukommt, was natürlich durchaus wünschenswert ist.Die betriebswirtschaftliche Seite der Nutzung der Solarenergie muß sich am Einzelfall orientieren. Von daher kann die Nutzung der Solarenergie in der Bundesrepublik nicht grundsätzlich und für jeden empfohlen werden. Der technologische Reifegrad einer Solaranlage ist ebenfalls entscheidend für diese Seite der Betrachtung.Alle Stadtplaner und Architekten sind aufzufordern, bei der Bauplanung an die passive Nutzung der Sonnenenergie zu denken, d. h. auch durch Sonneneinstrahlung in ein Gebäude mittels einer entsprechenden architektonischen Anordnung möglichst viel Sonnenenergie zu nutzen. Ein entsprechender Architektenwettbewerb wurde mittels des Fraunhofer-Instituts in Karlsruhe durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie gefördert.Die SPD ist der Meinung, daß innerhalb der Bundesrepublik die Erfahrungen der vom Bund geförderten und im Betrieb befindlichen Demonstrationsanlagen nicht nur dargestellt, sondern auch durch Kosten-Nutzen-Analysen belegt werden sollten. Diese Erfahrungswerte müssen in geeigneter Weise einem breiten Kreis interessierter Bürger, Kommunen und Unternehmen zugänglich gemacht werden.Bezüglich der Exportmöglichkeiten der Solarenergietechnik zeigen die bereits von mir zitierten Studien von Prognos etc. große Möglichkeiten auf, die jedoch auch bei den Ländern der Dritten Welt aus rein finanziellen Gründen nicht genutzt werden können. Die haben zwar Sonne, aber kein Geld. Hier bietet es sich an, im Rahmen von ERP-Darlehen, die Finanzierungshilfen für Lieferungen und Leistungen an Entwicklungshilfeländer vorsehen, auch ent- sprechend für die Solarenergie Ansprüche anzumelden. Ebenfalls sollte überlegt werden, ob ein Teil der Kapitalhilfe der Bundesrepublik an Entwicklungsländer zur Mischfinanzierung von Exporten genutzt werden könnte, um damit unter anderem auch der Industrie, die sich mit der Solartechnik befaßt, Hilfestellungen bei Exporten zu gewähren und damit gleichzeitig den Entwicklungsländern bei der Dek-kung ihres Energiebedarfs behilflich zu sein.Herr Boroffka, Sie hatten eben gesagt, die Bundesregierung habe vieles liegengelassen. Ich meine, wenn Sie das einmal vergleichen, da ist nichts liegengelassen worden. Da ist viel getan worden. Das sollten Sie anerkennen.
Ich meine auch, Herr Lenzer, daß Ihr Wort — ein zweites Sprichwort, das ich mir aufgeschrieben habe — von eben stimmt: Nicht an ihren Worten werdet ihr sie erkennen, sondern an ihren Früchten. Das heißt natürlich Taten; aber man kann auch Früchte nehmen. Die Früchte, die hier geerntet worden sind, sind sehr gut, und ich glaube, sie können sich sehen lassen. — Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Bezug nehmen auf die Anmerkung des Kollegen Boroffka und meine, daß es sich in der Tat ganz gut fügt, daß wir nach einer Aussprache über den Schnellen Brüter auch noch einen kurzen Meinungsaustausch über die Förderung der Solartechnik führen können. Aber ich komme zu anderen Schlüssen.Nach meiner Meinung, wenn auch aus unterschiedlicher Betrachtungsweise heraus, sind sowohl die Solarenergie als auch die Brütertechnologie irgendwo eine energiepolitische Hoffnung. Zumindest wenn man Bücher mit diesbezüglichen Prognosen
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Zywietzaufschlägt, wird diesem Thema Solarenergie immer ein breiter Raum gewidmet, zum Teil auch mit Prognosen, die etwas über das hinausgehen, was Sie angedeutet haben. Aber vielleicht lagen hinter den Prognosen, die Sie, Herr Kollege Boroffka, angeführt haben, ein wenig interessengeprägte Ansichten.Es ist doch nicht zu leugnen, daß von dem Stichwort Solarenergie zunächst einmal eine gewisse Faszination ausgeht. Ich kann überhaupt nicht zu dem Schluß kommen, daß dies eine Belanglosigkeit sei. Bei der Brüterfrage — das wurde hier doch gesagt — haben wir einen Ausnutzungsfaktor 60, also eine sechzigmal so gute Ausnutzung des Rohstoffes Uran. Schlägt man einmal die Bücher auf, dann steht da: Über Sonnenenergie verfügen wir, ich hätte beinahe gesagt: in rauhen Mengen. Aus der Literatur geht hervor: 15 000 mal soviel, wie wir pro Jahr verbrauchen. Die Probleme liegen an anderer Stelle. Aber es ist eine Energie, über die wir in Mengen verfügen. Von daher wird man doch als Hypothese zunächst einmal sagen dürfen: Darin steckt vom Ansatz her eine gewisse Hoffnung. Ich verwahre mich dagegen, von Anfang an zu sagen: Das ist eine Belanglosigkeit, über die wir gar nicht allzuviel sprechen sollten.Die Solarenergie hat darüber hinaus gegenüber dem Brüter zumindest den Vorteil, daß sie zum Teil heute schon kommerziell genutzt wird. Das ist eine Frage unter Kostenaspekten, die bei dem anderen Bereich erst noch diskutiert wird und erst in langen Zeitabständen, wenn überhaupt, prognostiziert wird.Berechtigt ist sicher die Frage, ob dieser Hoffnungsträger Solarenergie schon ausreichend genutzt werden konnte und in welcher Zeit er hinreichend genutzt werden kann. Nach meiner Meinung würde es zu weit gehen, bereits heute von enttäuschten Hoffnungen zu sprechen. Aber gewiß ist die Solarenergie auch nicht die Alternative, eher additiv — da stimme ich zu —, oder es ist die Wunschenergie, wie ein Buch über die Solarenergie beschrieben worden ist, vielleicht sogar das Standardwerk zu diesem Themenkomplex.Mit solchen Vokabeln möchte ich die Chancen der Solarenergie nicht einschätzen. Aber eine gewisse Faszination löst diese Energieform von der Menge her und von dem Tatbestand her aus, daß man den Betriebsstoff, wenn man ihn technisch einfangen, wenn man ihn nutzbar machen kann, ohne großen Kostenaufwand hat. Kohle, 01 und Gas müssen Sie nachtanken, nachliefern, kaufen. Die Sonne scheint in unseren Breitengraden zwar wenig; aber wenn sie scheint, nutzen Sie sie als Betriebsstoff ohne Kosten.Das Problem liegt in den Investitionsaggregaten und darin, sie in der Gesamtökonomie halbwegs verträglich bereitzustellen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Boroffka?
Ja, gerne.
Herr Kollege, kennen Sie den Ausspruch des Generaldirektors der französischen Energiebehörde: Gratisenergie ist die teuerste?
In Prognosen und auch in Zitaten habe ich viel geblättert. Ob das richtig ist, ist eine andere Frage. Insofern muß man den Gedanken fortführen und sich fragen, ob Ihr Einwand dann schlüssig sein kann, Kollege Boroffka.Zunächst einmal ist es kein Mengenproblem, und zunächst einmal kann man feststellen, daß das Problem nicht bei den Betriebskosten imVergleich zu anderen Energien liegt, sondern es liegt bei den Aggregaten, der Verwertbarkeit und den immer noch zu hohen Investitionskosten auf dieser Seite. Da ist zu Recht zu fragen: Wo verwenden wir die Sonnenenergie, und welche Möglichkeiten von der Forschung, von der technologischen Entwicklung von der Großserie, von der Kostendegression könnte es geben, welche sind mit welcher Hilfe vorstellbar, um die Investitionsseite günstiger zu gestalten, um das ökonomisch tragbar zu machen?Nun haben wir die Verwendung der Solarenergie in zwei Hauptbereichen. Einmal ist das der Bereich der Niedertemperaturwärme, wo wir sie gut gebrauchen können. Ich meine, daß da weitere Chancen festzustellen sind. Da 40 bis 50 % unseres gesamten Energiebedarfs für die Hauswärme und für die Brauchwassererhitzung aufgewendet werden, hat die Solarenergie gerade in diesem Bereich in nächster Zukunft eine Perspektive, wie ich meine, auch wenn derzeit die Verbreitung etwas rückläufig ist. Dazu werde ich noch kommen. Das liegt nach meiner Meinung im wesentlichen an anderen Faktoren, nämlich daran, daß der Preisauftrieb bei Konkurrenzenergien nicht mehr so hoch war, wie er in der Vergangenheit war und wie er in die Prognoserechnungen eingestellt worden ist. Somit ist da eine gewisse Verlangsamung festzustellen. Aber es ist nach meiner Vorstellung eine voreilige Schlußfolgerung zu sagen: Das hat keine Perspektive. Das hat also im Niedertemperaturbereich durchaus Chancen. Die Umsetzung von Sonnenenergie in Strom, mit Hilfe der Wärmeerzeugung als Vehikel, ist in unseren Breitengraden wohl kaum so chancenreich, sondern eher dort, wo die Sonne reichlicher scheint, um das einmal ein bißchen salopp zu sagen um nicht gleich eine literarisch so gute Adresse suchen zu müssen, wie Sie sie bei Goethe gefunden haben.Hinsichtlich des Bereichs der dezentralen Nutzbarmachung über die Fotozelle, die Umsetzung von Solarenergie in dezentrale Stromverwendbarkeit, höre ich, daß unsere Forschungsanstrengungen mit dem gleichgezogen haben, was auch mit Hilfe der Raumfahrt insbesondere in den Vereinigten Staaten und in Japan, an technologischer Entwicklung geleistet worden ist und daß es hier, wenn auch nicht allzu üppig, durchaus schon wettbewerbsfähige Anwendungsnischen gibt. Ich würde diesen Bereich zumindest in einer Grobsortierung hinsichtlich der Perspektive auf Platz 2 setzen.Wo liegen nun die Probleme? Sie müssen — Herr Kollege Boroffka — offensichtlich per saldo zu einem negativen Urteil gekommen sein. Liegen die
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ZywietzProbleme etwa darin, daß zuwenig Grundlagenforschung betrieben worden ist? Per saldo meine ich, daß das nicht der Fall ist. Sie selbst haben einmal in einem Ausschuß gesagt: Die Forschung bei der Hardware ist zu Ende geführt. Das kann also nicht der Hauptpunkt sein, wenn man eine verbesserte Forschung zur Speicherung der Solarenergie sowohl über kurze Zeiten als auch vielleicht über eine Saison hinaus ins Auge faßt. Ich glaube nicht so sehr, daß mangelnde Anstrengungen seitens des Staates zu beklagen sind. Auch seitens der Wirtschaft ist das nicht der Fall, und hier gilt es festzustellen, daß sich die mittelständische Industrie gerade im Bereich der Nutzung der solaren Energie eigentlich vorbildlich fortschrittlich und aktiv verhalten hat. Somit ist dort auch nicht so sehr Klage zu führen. Hier haben wir uns mancherlei Unterstützung angedeihen lassen: Grundlagenforschung, angewandte Forschung, Demonstrationsprojekte, indirekte Forschungsförderung, was ich hier nennen möchte. Diese Sache haben wir vor zwei Jahren mit dem Ziel begonnen, Produkte, die schon gut sind, noch besser zu machen, damit sie im Markt bestehen können. Das trifft per saldo gerade in diesem Markt der Solarenergie fast hundertprozentig zu.Schwieriger scheint mir die Frage zu beantworten zu sein: Wie ist das ökonomisch mit den Kosten? Salopp gesprochen: Es rechnet sich immer noch nicht. Das mag an dem technischen Vorlauf liegen. Es mag aber auch ein bißchen daran liegen, daß die Abnahme noch nicht stark genug ist. Und die wiederum ist noch nicht stark genug, weil, wie gesagt, konkurrierende Energien in ihrem Preis, Gott sei Dank, nicht so schnell und drastisch davongelaufen sind, wie vielleicht alle noch vor ein paar Jahren befürchtet haben. Das verlangsamt diese Entwicklung. Aber sie bleibt chancenreich.Zum anderen liegt manches auch noch daran, daß für den eventuellen Anwender, für den Bürger, der an der Überlegungsschwelle ist, sich eine Brauchwasseranlage mit Solarerhitzung zu kaufen, die Vergleichbarkeit der Information, die Werbung, die Klärung von Fragen der Haftung, der Dauerhaftigkeit der Aggregate, des ordentlichen Services bei Mängeln und der Koppelung der Regelsteuerung mit bereits vorhandenen Grundversorgungssystemen noch nicht so sind, daß mehr und mehr Bürger sagen: Jawohl, das kann ich machen, auch wenn es einen gewissen Mehrpreis hat. Der Bürger hat offensichtlich noch eine Hemmschwelle, weil hier einiges noch nicht hinreichend attraktiv ist. Aber das ist nicht so sehr eine Frage des Staates, sondern mehr eine Aufgabe für. die Industrie, die Wirtschaft, dies besser zu klären. Bei der Betrachtung dessen, was wir seitens des Staates für die Solarenergie getan haben, und der Bresche, die wir ihr geschlagen haben, kommt man doch zu dem Schluß, daß wir die Gegenargumente, die Sie aus einer alten Vorlage noch mal aufgelistet haben, im Grunde genommen alle — acht, neun oder zehn, oder wie viele es auch sind — abgearbeitet haben. Wir haben fast auf den Tag genau vor vier Jahren hier schon einmal eine Solardebatte geführt. In der Zwischenzeit ist die Schneise breit geworden.Für die weitere Entwicklung wesentlich und dienlich wäre, daß in den Kommunen und in den Ländern — wo Ihre Partei in vielen Fällen sogar die Mehrheit hat und entscheidend ist — bei der Auftragsvergabe auch für die mittelständische Wirtschaft ein offenes Herz und klarer Verstand bewiesen werden und daß nicht nur für andere Systeme und Großprojekte votiert wird.Es kommt wohl auch darauf an, daß hier kein Attentismus auftritt und daß das Energieeinsparprogramm fortgeführt wird. Der Schwerpunkt lag einmal beim Energieeinsparen. Jetzt ist der Schwerpunkt logischerweise die verbesserte Energietechnologie. Damit werden Raum und Chancen für die Solarenergie erweitert. Es liegt bei den Ländern, das Angebot des Bundes kooperativ aufzunehmen und das Instrument, das für die weitere Entwicklung am hilfreichsten ist, als unser Angebot möglichst gemeinsam mit dem Bund positiv zu werten. Dann wird die Perspektive insgesamt für die Solarenergie noch besser. — Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Stahl.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich einige grundsätzliche Ausführungen mache, möchte ich einige Sätze zu dem sagen, was Sie, Herr Kollege Boroffka, ausgeführt haben und was mich sehr nachdenklich gestimmt hat
und was, wenn ich es richtig verstehe, das Gegenteil von dem ist, was der überwiegende Teil Ihrer Fraktion zur Nutzung der Sonnenenergie insgesamt denkt
und was hier im Deutschen Bundestag Herr Kollege Riesenhuber in den letzten Jahren bestätigt hat.
— Denn wenn, Herr Kollege Riesenhuber, Ihr Kollege Boroffka sagt, daß hier über eine ausschließliche Belanglosigkeit in der Energieversorgung bei diesem Thema gesprochen wird, dann widerspricht das ja dem, was Sie in den vielen Anfragen an die Bundesregierung — —
— Doch! So habe ich das verstanden!
— Nun gut. Dann will ich mich korrigieren auf „Belanglosigkeit" oder nicht „mehr als Belanglosigkeit". Ich habe gehört: „ausschließliche Belanglosigkeit".Aber lassen Sie mich folgendes richtigstellen, Herr Boroffka. Sie haben hier Zahlen genannt, die mir nicht ganz verständlich sind. Ich habe im Namen der Bundesregierung dem Vorsitzenden des Aus-
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5902 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Parl. Staatssekretär Stahlschusses für Forschung und Technologie die Zahlen am 22. März 1982 zugestellt. In dieser Aufstellung steht, daß für den Bereich Sonnenenergieforschung insgesamt 333,5 Millionen DM an Forschungsmitteln seit 1974, seitdem wir in diesem Bereich fördernd tätig sind, ausgegeben worden sind. Sie haben von 600 Millionen DM gesprochen, wenn ich die Zahl richtig verstanden habe.Ich darf ferner korrigieren: Sie haben das GAST-Projekt angesprochen und von Ausgaben in Höhe von 500 Millionen DM gesprochen. Es ist unbestritten, daß wir darüber einmal diskutiert haben und daß es Pläne gab. Aber ich darf Ihnen zur Richtigstellung sagen — das dürften Sie eigentlich wissen —, daß wir dieses Projekt gestoppt haben und daß wir nur ein Komponentenprogramm durchführen, um technologische Komponenten zu erforschen, die vielleicht im nächsten Jahrzehnt für die Nutzung der Sonnenenergie, nicht in unserem Lande, aber in anderen Ländern, für die Stromerzeugung sinnvoll sein könnten.Ein Drittes: Sie haben etwas mokant gesagt, daß das Projekt in Kuwait wohl eine verfehlte Förderung wäre. Ich darf Ihnen sagen, daß die Regierung von Kuwait sich mit 50 % beteiligt. Sie werden mir hoffentlich darin zustimmen, daß wir, wenn wir als Industrienation der Sonnenenergie ernsthaft eine Chance geben wollen, in der Praxis Projekte vor allen Dingen auch in den Ländern durchführen sollten, in denen die Sonne jährlich nicht nur 1 600 oder 1 300 Stunden scheint, sondern bis zu 2 400 oder auch bis zu 2 600 Stunden. Ich glaube, Herr Boroffka, daß Sie sich das, was Sie hier eben ausgeführt haben, einmal überlegen und wir im Ausschuß vielleicht etwas sachlicher als hier im Plenum darüber reden sollten.Ich glaube, daß die Bundesregierung sehr deutlich im ersten Energieforschungsprogramm 1977-1980 dargestellt hat, daß es notwendig ist, praktisch alle Techniken, mit denen Sonnenenergie und von ihr abgeleitete Energieformen wie z. B. die Windenergie genutzt werden können, zu untersuchen und zu entwickeln. Ausgangspunkt für die Förderungsmaßnahmen waren dabei nicht kurzfristige Zielsetzungen, sondern die Ausrichtung auf im wesentlichen zwei langfristig zu verwirklichende Aufgaben, denen Sie in diesen Jahren niemals widersprochen haben, erstens die Einbindung von regenerativen Energiequellen in unsere heimischen Energieversorgungsstrukturen und zweitens die Unterstützung der Bemühungen der Entwicklungsländer beim Aufbau ihrer Energieversorgung.In der vor kurzem verabschiedeten Fortschreibung des Energieforschungsprogramms erfolgte die Konzentration auf die aussichtsreichen thematischen Schwerpunkte, und zwar durch Maßnahmen im Forschungs- und Entwicklungsbereich und zur Markteinführung. Viele Anfragen zu diesem Thema, vor allen Dingen von der Opposition, zeigen, daß Ihr Interesse an dieser Forschung und dieser Entwicklung groß ist und daß das, was der Sprecher der Opposition hier erklärt hat, sicherlich nicht der Mehrheit entspricht.In der Zwischenzeit haben wir analysieren können, daß Sonnenenergie in unseren geographischen Breiten zwar nur einen kleinen Teil unseres Energiebedarfs decken kann,
aber ein auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erschließbares und meines Erachtens beachtliches Potential darstellt. Sie haben gefragt: Wieviel? Herr Boroffka hat vorhin die Zahl genannt, der wir zustimmen.
Aber, Herr Kollege Riesenhuber, 25 Millionen t Steinkohleeinheiten im Jahr 2 000 aus diesem Energiebereich
bedeuten immerhin die Förderung von sechs großen Schachtanlagen des Ruhrbergbaus und entsprechen einem Viertel der Steinkohleförderung in unserem Land.
Dann kann man doch nicht sagen, daß man eine derartige Möglichkeit nicht beachten sollte.
Dabei dürfen wir in der Nutzung der Sonnenenergie den Bereich der Warmwasser- und Wärmeversorgung, die zusammen mit rund 50 % den größten Einzelposten im Energiebedarf unseres Landes ausmachen, nicht isoliert von anderen Maßnahmen zur rationellen Energieverwendung und passiven Nutzung der Solarenergie, wie z. B. Wärmedämmung, Wärmerückgewinnung und Wärmepumpen, sehen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riesenhuber?
Bitte schön.
Sehr verehrter Herr Kollege Stahl, können wir uns vielleicht darin treffen, daß wir übereinstimmend — die Bundesregierung schreibt es in der dritten Fortschreibung ihres Programms auch — mit einem Beitrag bis zu 5 % im Jahr 2 000 rechnen können; daß wir zweitens dafür erhebliche Anstrengungen zu erbringen haben, die unseres Erachtens zumindest bei der Markteinführung die Bundesregierung bis jetzt nicht erbracht hat, wobei wir mit Freude feststellen, daß die Bundesregierung gemäß ihrer dritten Fortschreibung auf unsere Vorschläge aus den vergangenen Perioden eingeht; daß drittens der Kollege Boroffka — —
Herr Abgeordneter, ich bitte, eine Frage zu stellen, eine kurze Frage!
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5903
Ich habe gefragt, ob wir uns darin einig sind, Herr Präsident.
Die Fragen sind kurz zu stellen. Bitte!
Ich mache es jetzt sehr kurz. — Ob wir uns schließlich darin einig sind, daß der Kollege Boroffka 25 Millionen Jahrestonnen Steinkohleeinheiten genannt hat? Die sanfte Ironie des Herrn Boroffka ist nicht für jeden ganz verständlich; dies mag ein intellektuelles Problem sein.
Ich frage Sie: Haben Sie es so verstanden, daß es sich wirklich lohnt und der Mühe wert ist?
Herr Kollege Riesenhuber, ich danke Ihnen, daß Sie die Position der CDU/CSU-Fraktion hier so dargestellt haben. Ich danke Ihnen herzlich dafür, denn das, was Ihr Kollege Boroffka gesagt hat, entsprach nicht dem, was Sie jetzt hier zusätzlich dargestellt haben. Die Bundesregierung nimmt das gern zur Kenntnis.
Meine Damen und Herren, Systeme der direkten und indirekten Nutzung von Sonnenenergie werden auch bei heutigen Erkenntnissen zunehmend zur Substitution und Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beitragen können.
Im übrigen möchte ich daran erinnern, daß die Entwicklung im Bereich der Solartechnik auf Grund der vorliegenden Zwischenergebnisse intensiv fortgesetzt wird, zum Beispiel in Richtung auf leistungsfähige und kostengünstige Komponenten und Anlagen sowie die verstärkte Entwicklung von Möglichkeiten zur passiven Solarenergienutzung und klimagerechten Bauweise. Hier stehen trotz einem Jahrzehnt der Forschung die Bemühungen sicherlich erst am Anfang. Fotovoltaische Stromerzeuger z. B. können bereits heute in speziellen Anwendungsfällen — Herr Vosen hat schon darüber gesprochen —, wie z. B. in Meßstationen, nachrichten- und verkehrstechnischen Anlagen sowie in sonstigen leistungsbegrenzten Verbrauchern, wirtschaftlich eingesetzt werden. Die laufenden Entwicklungsprogramme sollen zu einer erheblichen Kostenreduktion in den 80er Jahren führen, und dies scheint mir einer der ausschlaggebenden Punkte zu sein. Darüber haben wir im Ausschuß gesprochen, und es bestand volle Übereinstimmung.
Darüber hinaus kann die Sonnenenergie weltweit einen nicht unwichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse insbesondere in sonnenreichen Ländern der Dritten Welt leisten. Schwerpunkte des Bedarfs liegen hier bei der Wasserversorgung, insbesondere der solaren Meerwasser- und Brauchwasseraufbereitung,
aber auch Pumpsystemen für die Bewässerung landwirtschaftlich genutzter Flächen, der Trocknung und Lagerung landwirtschaftlicher Produkte, der Bereitstellung von Energie für Kochzwecke an
Stelle von Brennholz aus dem schwindenden Waldbestand.
Ich glaube, daß die Konferenz von Nairobi hier einiges aufgezeigt hat, wobei wir als Industrieländer uns verstärkt darum bemühen müssen, derartige Technologien zu entwickeln, damit auch in den Entwicklungsländern das „Weg vom Öl" und das „Weg vom Waldabholzen" in Bewegung gesetzt werden kann. Einer der CDU/CSU-Kollegen hat heute über „Global 2000" gesprochen. Lesen Sie dieses Werk einmal durch, und Sie werden feststellen, daß dies ein besonderer Punkt ist, ein besonderes Anliegen der Entwicklungsländer, wo wir ihnen als Industrieländer mit verhältnismäßig wenig Forschungsaufwand langfristig helfen können
und wo wir darüber hinaus auch der deutschen Industrie insgesamt eine Chance geben, wirtschaftliche Zusammenarbeit vernünftig zu tätigen.
Wenn Sie, meine Damen und Herren der Opposition, eine Momentaufnahme zur Grundlage Ihrer Überlegungen machen, indem Sie z. B. in Ihrer Stellungnahme zum Zweiten Energieforschungsprogramm anmerken, daß, abgesehen von Wasserkraft und Wärmepumpen, nicht erkennbar ist, wie mit Solartechnologien die Wirtschaftlichkeitsschwelle je erreicht werden kann, so muß ich Sie an zwei Punkte erinnern. Erstens, die Entwicklung auf dem Gebiet der Solarenergie ist keineswegs abgeschlossen und als technisch-wirtschaftlich ausgereizt anzusehen. Die Entwicklung von in diesem Bereich tätigen Unternehmen wird fortgesetzt in Richtung auf kostengünstige und leistungsfähige Komponenten und Systeme, z. B. Hochvakuumröhrenkollektoren, bei denen die hochentwickelte Technik der Leuchtröhrenherstellung angewandt wird.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf die sogenannte passive Solarenergienutzung und die Möglichkeit klimagerechter Bauweise, bei deren Erschließung wir erst am Anfang unserer Bemühungen stehen, hinweisen.
Lassen Sie mich aber von hier aus auch einmal einen ernsten Appell an die Wirtschaft unseres Landes richten, an die Entwickler, die in diesem Bereich tätig sind. Mir kommt es darauf an, der Wirtschaft und den Konstrukteuren auch zu verdeutlichen, daß es notwendig ist, mehr einfache, handhabbare Technologien zu entwickeln, die den Entwicklungsländern tatsächlich langfristig Hilfe leisten können.
Ich will Ihnen sagen, ich war in Almeria in Spanien und habe mir das Sonnenkraftwerk angesehen. Hier ist j a ein guter Vergleich möglich, weil eine ganze Palette von Ländern dort — —
Verzeihen Sie, Herr Staatssekretär, ich darf sie darauf aufmerksam machen, daß Sie, wenn Sie Ihre Redezeit überschreiten — die Debattenzeit ist abgeschlossen —, die Aussprache wieder eröffnen. Ich wollte nur darauf hingewiesen haben.
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5904 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Das möchte ich nicht, Herr Präsident; dann will ich gerne abschließen.
Lassen Sie mich sagen: Ich glaube, daß es sinnvoll ist, die deutsche Industrie einmal aufzufordern, stärker darüber nachzudenken, ob es denn unbedingt notwendig ist, gerade in diesem Bereich so hohe technologische Anforderungen einzubringen, die dann später auch eine ganze Menge an Wartung mit allem, was dazugehört, bedeuten.
Was wir in Zukunft brauchen, ist eine ausgewogene Synthese aller zur Verfügung stehenden Energieträger und Energietechniken. Wir als Industrienation sollten nicht hochmütig sein. Wir sollten ehrlich genug sein, wenn wir in diesem Bereich Fehler machen, sie auch einzugestehen und nach Möglichkeit zu verbessern, nicht aber so zu tun, als wenn wir allein den Stein der Weisen hätten. Es gilt, allen zu helfen. — Schönen Dank.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1461 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Entschließung ist angenommen.
• Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen
— Drucksache 9/744 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
— Drucksache 9/1440 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Link Schmitt
Hierzu ist im Ältestenrat eine Debattenzeit von je 10 Minuten vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.
Wünscht einer der Herren Berichterstatter das Wort? — Das ist auch nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schneider.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vermittlungsverfahren über das 2. Haushaltsstrukturgesetz hat zu einer lebhaften öffentlichen Auseinandersetzung über die verfassungsrechtliche Kompetenz des Vermittlungsausschusses geführt. Der Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes sah sich plötzlich politischen und mitunter auch polemischen Angriffen ausgesetzt.Der heutige Beschlußantrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zielt darauf ab, aufgetretene Zweifelsfragen zu klären und für die Zukunft ein Vermittlungsverfahren sicherzustellen, bei dem die Rechte des Bundestages und des Bundesrates eindeutig gewahrt und die Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten für Mitglieder dieser Verfassungsorgane auf die Gesetzgebung in ihrer wesentlichen Substanz erhalten bleiben.Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sah sich bekanntlich schon im Dezember 1981 veranlaßt, dem Herrn Bundestagspräsidenten seine verfassungspolitischen Bedenken gegen das vom Vermittlungsausschuß bei den Beratungen über das 2. Haushaltsstrukturgesetz gewählte Verfahren mitzuteilen, weil dadurch der Auftrag des Deutschen Bundestages, den Gesetzentwurf zum Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen und die Gesetzentwürfe zur Belebung des sozialen Wohnungsbaus und zum Abbau nicht mehr gerechtfertigter Subventionen zu beraten und eine Beschlußempfehlung vorzulegen, gegenstandslos geworden war. Wissenschaftliche Gutachten versuchten, die politische Auseinandersetzung auf eine gesicherte verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen.Der 16. Ausschuß will mit seinem heutigen Beschlußantrag den verfassungsrechtlichen Bestand der Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom 10. Dezember 1981 nicht in Zweifel ziehen. Der Beschlußantrag wendet sich nicht zurück. Er zielt auf künftige Vermittlungsverfahren ab. Der Bundesrat soll gebeten werden, die einschlägigen Bestimmungen der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Vermittlungsausschuß zu prüfen. Der Rechtsausschuß und der Geschäftsordnungsausschuß dieses Hauses sollen beauftragt werden, dasselbe zu tun.Im Rahmen meines zeitlich knapp bemessenen Redebeitrages kann und will ich nicht versuchen, den gesamten damit berührten Verfassungsbereich darzustellen. Schon gar nicht beabsichtige ich, im einzelnen Lösungsvorschläge vorzulegen. Vielmehr will ich den Beschlußantrag erläutern und seine verfassungspolitische Absicht offenlegen.
Dabei lege ich größten Wert auf folgende Feststellungen. Die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit des Vermittlungsausschusses werden nicht bestritten. Der Vermittlungsausschuß ist keine dritte Kammer und schon gar kein Überparlament. Er wurde vom Verfassungsgeber dazu eingerichtet, einen politischen Ausgleich zwischen Bundestag und Bundesrat herbeizuführen.Gegenstand dieser Vermittlungstätigkeit sind gemäß Art. 77 Abs. 1 des Grundgesetzes die vom Bundestag beschlossenen Bundesgesetze. Dabei werden zwei Hauptprobleme sichtbar. Erstens. Darf der Vermittlungsausschuß nur beschlossene Bundesgesetze, also Gesetze, über die eine dritte Lesung im Bundestag stattgefunden hat, in die Vermittlungsverhandlungen einbeziehen? Zweitens. Wie weit darf
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5905
Dr. Schneiderder Vermittlungsausschuß seinen Vermittlungsrah-men spannen, welche Gesetze darf er einbeziehen?In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, daß das Anrufungsbegehren nicht über den Rahmen der durch den Gesetzesbeschluß geregelten Materie hinausgehen darf. Der Vermittlungsausschuß muß sich innerhalb des vom Bundestag vorgegebenen Beschlußgegenstandes und -rahmens halten. Er soll über beschlossene Gesetze vermitteln, nicht aber selbst unter Umgehung von Art. 76 Abs. 1 des Grundgesetzes eigene Gesetzesinitiativen entwickeln. Andernfalls beraubte er die Mitglieder des Bundestages ihres Rechtes, an der Gesetzgebung nach den Bestimmungen des Grundgesetzes mitzuwirken.Im Falle des 2. Haushaltsstrukturgesetzes war der Rahmen des Vermittlungsbegehrens äußerst weit gesteckt. Er erstreckte sich auf fast 50 Gesetze, die gesetzestechnisch zu einem einheitlichen Artikelgesetz zusammengeschnürt waren. Dieses Verfahren, das in zunehmendem Maße angewendet wird, begegnet schwerwiegenden verfassungspolitischen Bedenken.
Auch ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses ist bei solchen Gesetzen dem einzelnen Abgeordneten vielfach und ohne sachliche Notwendigkeit die Möglichkeit genommen, seinen politischen Willen bei der dritten Lesung im Bundestag differenziert und präzise zum Ausdruck zu bringen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Conradi?
Verehrter Herr Kollege Dr. Schneider, finden Sie es nicht auch erstaunlich, daß der Bundespräsident dieses 2. Haushaltsstrukturgesetz unterzeichnet und ausgefertigt hat, obwohl doch dieses Gesetz mit der Regelung betreffend das Taschengeld für Heimbewohner eine Regelung enthält, die nach glaubwürdigen Aussagen aller Fraktionen dieses Hauses von keiner Fraktion gewollt und beschlossen worden ist?
Verehrter Herr Kollege Conradi, ich gehe davon aus, daß der Herr Bundespräsident nach reiflicher sachlicher Prüfung entschieden hat und daß der Herr Bundespräsident ebensowenig in der Lage war, die fast 50 Bundesgesetze in der Kürze der Prüfungsfrist so genau zu untersuchen, daß er dies hätte entdecken können.Die Überladung solcher Artikelgesetze mit Rechtsmaterien unterschiedlichster Art verstößt gegen den Grundsatz der Einheit und Kohärenz der Materie. Dieser Grundsatz ist zwar im Grundgesetz nicht ausdrücklich normiert, er darf aber als übergeordneter Verfassungsgrundsatz gelten, wie das etwa im Schweizer Staatsrecht der Fall ist.Die Überprüfung der Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Vermittlungsausschuß muß sich also auch auf die Frage erstrecken, ob es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, unterschiedlichste Rechtsmaterienvon unterschiedlicher politischer und sachlicher Bedeutung und Zielsetzung rechtstechnisch in einem Gesetzentwurf zusammenzufassen. Wer diese Frage ohne Einschränkung bejaht, schafft für das Vermittlungsverfahren, wenn sich dieses allgemein und uneingeschränkt auf den Gesamtinhalt einer Gesetzesvorlage erstreckt, von vornherein einen äußerst weitgespannten Sachzusammenhang. Durch das Überladen einer Gesetzesvorlage ist es dem einzelnen Mitglied eines Verfassungsorgans in der Schlußabstimmung nicht möglich, seinen politischen Willen sachgerecht und mit der nötigen Unterscheidungsmöglichkeit zum Ausdruck zu bringen.
Dieses Verfahren schränkt das Mitwirkungs- und Gestaltungsrecht des einzelnen Abgeordneten auch in den Ausschußberatungen unvertretbar ein. Für ein und dasselbe Gesetz, das rechtstechnisch eine Einheit ist, inhaltlich aber auf die unterschiedlichsten Rechtsgebiete aufgeteilt ist, kann nach der Geschäftsordnung nur ein Ausschuß federführend sein, obschon er als Fachausschuß nur für einen Teilbereich kompetent ist.
Die mitberatenden Fachausschüsse sind im Verhältnis zu den federführenden Ausschüssen in ihren Mitwirkungsrechten eingeschränkt.Dem hier kritisierten Verfahren liegen zweifellos auch politische Motive zugrunde, die sich aus den politischen Mehrheitsverhältnissen und Spannungen innerhalb der Koalition ergeben. Man handelt nach dem Grundsatz: Wer den süßen Tropfen trinkt, muß auch den bitteren schlucken. Man vermengt die unterschiedlichsten Sachgebiete, schnürt sie zu einem Paket, etikettiert sie mit einer Bundestagsdrucksachennummer, um so sicherzustellen, daß keiner der Koalitionspartner zu Lasten des anderen politische Vorteile ziehen kann.
— Verehrter Kollege, jedes Mitglied dieses Hauses— auch Sie — könnte aus seiner jeweiligen Erfahrung genügend Beispiele dafür bringen.Der Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes wird zutreffend Vermittlungsausschuß genannt. Seine Beratungs- und Beschlußgegenstände müssen also in sich beschlußreife Qualität besitzen; darauf kommt es an. Der Vermittlungsausschuß steht jeweils vor der Schwierigkeit, bei Änderungen und Ergänzungen von Gesetzen die Sachgerechtigkeit, die Rechtsqualität einer Gesetzesvorlage zu erhalten. Dies wird freilich keinesfalls immer erreicht. In fast allen Kommentaren, in fast allen Fachartikeln wird übrigens festgestellt: Der Vermittlungsausschuß soll mit Abgeordneten besetzt sein, die sich nicht in besonderer Weise durch Sachkunde auszeichnen müssen, sondern sie sollen politisch erfahren und einflußreich sein.
— Ja. Gewiß gelangen dieser sachliche und fachliche Ausgleich sowie die Erhaltung der Qualität beim 2. Haushaltsstrukturgesetz nicht. Denn der Bundes-
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Dr. Schneidertag hat sich gegenwärtig schon wieder mit einer Novelle zum Wohnungsbindungsgesetz und zum Wohnungsbaugesetz für das Saarland zu befassen.
Mit diesem Gesetzentwurf — Drucksache 9/1572 — sollen gesetzestechnische Mängel behoben werden, die ganz offensichtlich wegen der Eilfertigkeit der Behandlung im Vermittlungsausschuß unterlaufen sind. Solcherlei „Reparaturnovellen", wie sie sinnvollerweise heißen, schmälern das Vertrauen in die Qualität der Gesetzgebung.Das Vermittlungsverfahren ist nicht öffentlich. Gleichwohl werden Verlauf und Ergebnis des Vermittlungsverfahrens vielfach in die öffentliche Auseinandersetzung gezerrt — dies schon deswegen, weil das publizistische Interesse am Vermittlungsergebnis äußerst groß ist und sich die Beteiligten immer gezwungen sehen, in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen.Meine Damen und Herren, ich darf in wohnungspolitischer Hinsicht doch noch zwei Bemerkungen machen, weil der Herr Bundeskanzler am 19. Januar 1982 von dieser Stelle aus in beschwörendem Tone die Länder aufgefordert hat, die Rückflüsse aus früheren Darlehen für den Wohnungsneubau zu verwenden. Es zeigt sich: In den ersten Wochen sind 740 Millionen DM zurückgeflossen, allein in das Land Nordrhein-Westfalen 400 Millionen DM. Während die anderen Bundesländer Wohnungsbausonderprogramme aus diesen Mitteln „zusätzlich", wie) der Herr Bundeskanzler gesagt hat, finanzieren, liegt aus Nordrhein-Westfalen bis zum heutigen Tag keine Meldung vor, daß man auch dort genauso verfährt.
Ich berufe mich hier auf eine amtliche Auskunft des Bundesbauministers vom 9. Februar 1982. Ich habe gefragt, ob das der neueste Stand sei. Es wurde weiter nichts gemeldet. In Nordrhein-Westfalen verwendet man die Mittel also nicht in dem Sinne, wie es der Herr Bundeskanzler hier reklamiert hat und wie es der Gesetzgeber im Vermittlungsausschuß und auch im Bundestag beabsichtigt hatte.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Bitte.
Herr Kollege Dr. Schneider, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß das Land Nordrhein-Westfalen bereits Anfang vergangenen Jahres, bevor das Ende letzten Jahres beschlossene Gesetz gültig wurde, ein Sonderprogramm in einer Höhe aufgelegt hat, die weit über alles hinausgeht, was andere Bundesländer für den sozialen Wohnungsbau getan haben?
Herr Kollege Müntefering, ich nehme das gerne zur Kenntnis. Ich sage nur, daß der Herr Bundeskanzler erklärt hat — wörtlich:
Ebenso — das will ich hier laut sagen — waren wir uns in dem Appell an die Bundesländer einig, die ihre Mehreinnahmen aus dem Vermittlungsausschußergebnis auf dem Feld der Wohnungswirtschaft nun allerdings zusätzlich in den Wohnungsbau stecken müssen, wie sie es versprochen haben, worauf man pochen muß.
So sprach der Herr Bundeskanzler.
Ich darf zum Schluß kommen und feststellen — —
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Möller?
Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege Dr. Schneider, ist Ihnen inzwischen bekanntgeworden, daß das Land Nordrhein-Westfalen in seinem inzwischen verkündeten Wohnungsbauprogramm für 1982 keine zusätzlichen Wohnungen vorgesehen hat, wie es der Bundeskanzler in seinem Appell, den Sie soeben erwähnt haben, gefordert hat?
Aus den mir vorliegenden Unterlagen kann ich das bestätigen, was Sie hier festgestellt haben. Ein weiteres: Es ist natürlich ein unmögliches Ding! Ich polemisiere in gar keiner Weise gegen den Vermittlungsausschuß, auch nicht gegen seine Tätigkeit, und zwar deswegen, weil er überfordert worden ist. Man kann nicht in wenigen Tagen den Inhalt von fast 50 Gesetzen erfassen, selbst wenn im Vermittlungsausschuß nur Supergenies säßen. Das ist einfach eine Überforderung; das ist gar nicht denkbar. Es ist natürlich auch nicht hinzunehmen, daß durch den Vermittlungsausschuß das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz dadurch verletzt wird, daß beispielsweise bei dem Bonus bei Rückzahlungen von Wohnungsbaudarlehen die Frist nur vom 29. Dezember bis zum 31. Dezember gedauert hat.
Wer durch seine Lebens- und Berufsumstände der Informationsquelle näher war, der zog daraus einen gewaltigen Vorteil, der in die Zigtausende gegangen ist. Das kann auf gar keinen Fall so weitergehen. Wir brauchen den Vermittlungsausschuß. Er ist ein politischer Ausschuß. Er muß aber seiner Funktion dienen und eine politische Vermittlung über überschaubare, qualifizierte Gesetze leisten. Deshalb ist es dringend notwendig, daß wir diese Überprüfung sine ira et studio vornehmen. Es geht hier auch um das Ansehen des Bundestages.
Deshalb bitte ich, daß der Bundestag dem Beschlußantrag des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau zustimmen möge. — Vielen Dank.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und
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Frau Dr. Däubler-GmelinHerren! Sie werden bemerkt haben, daß der Kollege Schneider eigentlich viel weniger zum Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen gesprochen hat als vielmehr zum Vermittlungsverfahren selbst. Ich sage Ihnen gleich: Ich habe das auch vor. Ich glaube nämlich, daß es wirklich wichtig ist, daß sich der Bundestag mit dem Vermittlungsverfahren zum 2. Haushaltsstrukturgesetz hier einmal beschäftigt. Es ist ja nicht nur dieses Vermittlungsverfahren, das uns hier Grund zum Nachdenken gibt.Ich glaube, daß es im wesentlichen drei Gesichtspunkte sind, Herr Kollege Schneider, die uns hier beschäftigen sollten: Einmal gibt es eine ganze Menge von unschönen Begleiterscheinungen im Zusammenhang mit dem letzten Vermittlungsverfahren. Dann gibt es eine Reihe von Bedenken mehr verfassungspolitischer Art, wie ich sie jetzt nennen will, und die haben mit der Gewichtung des Bundestages und der einzelnen Abgeordneten im Gesetzgebungsverfahren zu tun. Schließlich gibt es auch das Bedenken, es könnte die Grenze zwischen dem verfassungspolitisch Unerwünschten und dem verfassungsrechtlich nicht mehr Tragbaren bereits überschritten worden sein oder, wenn wir so weitermachen, in der Zukunft überschritten werden.Lassen Sie mich zu dem ersten Punkt, zu den unschönen Begleiterscheinungen, nur zwei Dinge aufzählen, die mir als besonders ärgerlich aufgefallen sind.Da ist einmal die Tatsache, auf die schon Herr Kollege Schneider hingewiesen hat, daß es auf Grund der Artikelgesetze — ich sehe das auch so — und auf Grund der Notwendigkeit, daß der Vermittlungsausschuß viele Detailregelungen aus vielen Bereichen sehr schnell zu beackern hatte, natürlich zu unvollständigen gesetzlichen Regelungen gekommen ist. Wir haben ihnen allerdings alle zugestimmt, Sie genauso wie wir. Insofern stehen wir mindestens genauso in der Verantwortung wie die Kollegen des Vermittlungsausschusses. Nur bleibt dennoch festzuhalten, daß es zu unvollständigen Gesetzen gekommen ist. Es bleibt festzuhalten, daß wir reparaturbedürftige Gesetze mitgetragen haben. Und diese Feststellungen müßten eigentlich zu der Anregung führen, daß man solche Arten von Vermittlungsverfahren in diesem Umfang vermeiden sollte.
—Darauf komme ich jetzt.Der zweite Punkt ist besonders beschämend, Herr Kollege Jenninger. Es war j a zu bemerken, daß immer dann, wenn es in der Öffentlichkeit darum ging, sich zur Vaterschaft für neue Regelungen zu bekennen, die plötzlich im Vermittlungsverfahren aufgetaucht waren, plötzlich Fehlanzeige war. Wie war das, als es darum ging, wer für die Streichung des Zusatztaschengeldes verantwortlich ist? Wer hat eigentlich seine Vaterschaft zugegeben, als es darum ging, wer die Idee gehabt hatte, man solle die Eltern behinderter Kinder stärker zur Finanzierung der Heimunterbringungskosten heranziehen? Das ist doch etwas, was uns wirklich nachdenklich stimmenmüßte. Plötzlich war niemand mehr da. Jeder hat es auf den anderen geschoben. Politisch hängt das jetzt der Koalition an, obwohl das, wie Sie wissen, nicht gerechtfertigt ist.Nachdenklich machen muß uns an diesem Verschiebebahnhof der Verantwortlichkeiten die Tatsache, daß durch die Anonymität und die Vertraulichkeit der Beratungen im Vermittlungsausschuß, verbunden mit einigen anderen Dingen, so ein Versteckspiel überhaupt möglich ist.
Das ist der zweite Grund, weshalb ich der Meinung bin, daß der Vermittlungsausschuß nicht mehr so weitermachen kann.Was aber macht die Sache verfassungspolitisch bedenklich? Verfassungspolitisch bedenklich wird das alles deshalb, weil sich in den vergangenen Jahren das Gewicht des Bundestages in der Gesetzgebung verschoben hat. Das hat etwas mit der Zahl der Zustimmungsgesetze zu tun. Zustimmungsgesetze sind solche, bei denen der Bundesrat nein sagen kann und dann nur noch die Möglichkeit besteht, den Vermittlungsausschuß anzurufen, wo man sich vielleicht einigen kann, oder das Gesetz tatsächlich scheitern zu lassen. Zustimmungsgesetze bildeten früher die Ausnahme, während die Einspruchsgesetze die Regel waren. Wenn Sie heute einmal das Bundesgesetzblatt durchblättern, werden Sie sehen, daß die Zahl der Zustimmungsgesetze stark zugenommen hat. Damit hat das Gewicht des Bundesrats zugenommen; das Gewicht des Bundestages hat sich zwangsläufig verringert.Dies alles wäre ohne weiters hinzunehmen, wenn der Vermittlungsausschuß, dessen Bedeutung in diesem Zusammenhang natürlich auch gestiegen ist, darauf reagiert hätte, und zwar so, daß er seine Grenzen eher restriktiv gesehen hätte, daß er seine Grenzen wenigstens peinlich genau eingehalten hätte. Unsere Befürchtungen sind eben die, daß er das tatsächlich nicht getan hat
— Herr Dr. Jenninger, bitte erlauben Sie mir, daß ich erst noch ein paar Dinge sage — und daß er diese Grenzen auch in Zukunft nicht sehen wird.Es wäre mir sehr recht, wenn Sie mir gestatteten, noch ein paar Punkte zu sagen, bevor Sie Ihre Frage stellen.Es ist doch folgendermaßen: Wenn sich das Gewicht des Bundestages verschoben hat, dann ist das einmal ein Ergebnis der größer gewordenen Zahl der Zustimmungesetze. Zum anderen ist das ein Ergebnis der Entwicklung, die Herr Schneider hier schon angeführt hat, nämlich daß sich der Typus der Gesetzgebung verändert hat. Wenn es z. B. bei Artikelgesetzen zu Vermittlungsverfahren kommt, ist der Raum für das Vermittlungsverfahren sehr viel weiter.Die Verschiebung des Gewichts ist aber auch das Ergebnis einer weiteren Erscheinung. Heute ist völlig unbestritten, daß der Vermittlungsausschuß, der ja Kompromisse finden soll, seine Vermittlungs-
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Frau Dr. Däubler-Gmelinmasse dadurch erweitern kann, daß er zu dem dem Vermittlungsverfahren zugrunde liegenden Gesetzgebungsbeschluß kraft Sachzusammenhangs andere Regelungen hinzuziehen kann. Das ist völlig unbedenklich, wenn es sich um ein Gesetz handelt, das eine Materie regelt. Bedenklicher ist es schon, wenn es sich um Artikelgesetze handelt, noch bedenklicher dann, wenn man sich die Beeinträchtigung der Bedeutung des Gesetzgebers durch die zunehmende Zahl der Zustimmungsgesetze vergegenwärtigt. Herr Schneider, wir stimmen überein, daß der Vermittlungsausschuß eine sehr sinnvolle Aufgabe hat. Wir stimmen auch darin überein, daß die bestehenden verfahrensrechtlichen Regelungen vernünftig sind: Der Ausschuß muß vertraulich agieren können, wenn er Kompromisse finden soll. Er muß nichtöffentlich verhandeln können. Ich würde mich auch dagegen wehren, daß die Sitzungsprotokolle sofort veröffentlicht werden — nur daß in diesem Punkt Klarheit besteht. Auch wenn wir dieses alles sehen — und anerkennen —, Herr Jenninger, muß doch festgehalten werden, daß — auch als Reaktion auf die Verschiebung der Gewichte im Gesetzgebungsverfahren — das Vermittlungsverfahren nur dort und erst dann Platz greifen darf, wenn das Gesetzgebungsverfahren entsprechend den Bestimmungen des Grundgesetzes stattgefunden hat.
Ich gehe hierbei noch einen Schritt weiter als Herr Schneider. Ich halte ein anderes Verhalten nicht nur für verfassungspolitisch unerwünscht, sondern auch für verfassungsrechtlich bedenklich, und zwar unter zwei Gesichtspunkten: Bitte überlegen Sie sich, warum das Grundgesetz den Bundestag als Hauptgesetzgeber eingesetzt hat. Der Bundestag hat die Pflicht, Gesetze inhaltlich zu gestalten. Das bedeutet, er hat das Recht und die Pflicht sie zu ändern oder nicht zu ändern, sie neu zu gestalten oder das nicht zu tun, sie abzulehnen, ihnen zuzustimmen. Das Grundgesetz hat dem Bundesrat die Rolle zugewiesen, „ja" oder „nein" zu sagen — bei Zustimmungsgesetzen. Bedenken Sie bitte auch, warum die Regelungen des Grundgesetzes Öffentlichkeit für das Gesetzgebungsverfahren vorschreiben, warum wir also jedes Gesetz in mehreren Lesungen im Bundestag öffentlich beraten. Das hat damit zu tun, daß der einzelne Abgeordnete, der hier in die Pflicht genommen ist, vom Volk direkt gewählt wurde, also eine stärkere Legitimation besitzt als der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren. Es hat aber auch etwas mit dem Demokratiegebot zu tun, weil der Bürger sehen muß, wer für welche Regelung verantwortlich ist, wer was will, warum er das will und warum er bestimmte Dinge ablehnt.
Wir sagen nun, daß der Vermittlungsausschuß in Ausübung seiner verfassungsmäßigen Funktion weder in Rechte des Bundestages als Ganzem noch des einzelnen Bundestagsabgeordneten eingreifen kann, wenn er auf seinen Platz achtet. Dieser Platz liegt am Ende und außerhalb des Gesetzgebungsverfahrens. Warum? Wenn das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen ist, mit Öffentlichkeit, mit Gestaltungsrechten und -pflichten, dann kann ein Kompromiß gesucht werden, ohne daß die Unterschiede in der Sache zwischen Bundestag und Bundesrat, die j a Voraussetzung sind, verwischt werden. Dann ist also die Zurechenbarkeit für Regelungen völlig klar, und sie bleibt auch klar. Dann ist auch tatsächlich Platz für ein vertrauliches Verfahren, um einen Kompromiß zu finden. In dem Moment aber, wo der Vermittlungsausschuß entweder direkt — das war z. B. das Problem vor 15 Jahren mit der Verkehrssünderkartei — eine Gesetzesvorlage berät oder eine Vorlage in die Vermittlungsmasse einbezieht, die dem Bundestag noch zur Beratung vorliegt, ersetzt er das Gesetzgebungsverfahren oder Teile davon und hält so seinen Platz nicht ein. Und das ist dann der eine Punkt, wo Öffentlichkeit, Demokratiegebot, unmittelbare Mitwirkung durch den Abgeordneten, durch den Bundestag als Ganzem nicht mehr vorliegen.Ein zweiter — ähnlicher — Punkt ist dann gegeben, wenn der Vermittlungsausschuß solche Vorlagen kraft Sachzusammenhangs in seine Verhandlungsmasse zieht. Das war der Fall mit dem Wohnungsbausubventionierungsgesetz im letzten Haushaltsstrukturgesetz. Ich halte das wirklich für verfassungsrechtlich bedenklich.Nächster Punkt: Initiativrecht. Herr Jenninger, danach kommen Sie wirklich gleich zu Ihrer Zwischenfrage. Wenn sich der Vermittlungsausschuß als Anlaufstelle für neue Regelungen versteht, dann wird dadurch wiederum ein Teil des Gesetzgebungsverfahrens ersetzt, der nach dem Grundgesetz anderen Institutionen zugewiesen ist. Das Grundgesetz normiert die Regelungen — ganz klar —, daß entweder aus den Reihen des Bundestages oder von der Bundesregierung oder vom Bundesrat Gesetzesinitiativen eingebracht werden können. Warum? Auch wegen des Grundsatzes der Öffentlichkeit, der Verantwortlichkeit, der Zurechenbarkeit! Wenn das alles auf den Vermittlungsausschuß verlagert wird, dann geschieht das in Anonymität, unter Vertraulichkeit, dann gibt es keine klare Verantwortlichkeit mehr, keine öffentliche Zurechenbarkeit mehr. Ich bin der Auffassung, auch dann ist die Grenze zwischen dem verfassungspolitisch Unerwünschten und dem verfassungsrechtlich Bedenklichen überschritten.Jetzt Ihre Zwischenfrage.
Sie gestatten eine Zwischenfrage. Bitte sehr, Herr Abgeordneter Jenninger.
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, würden Sie mir in folgenden zwei Feststellungen zustimmen? Erstens. Weder der Vermittlungsausschuß noch der Deutsche Bundestag war der Erfinder dieses Haushaltsstrukturgesetzes, sondern das hat uns die Bundesregierung zugemutet. Zweitens. Es ist ein Unterschied zu machen, ob ein Gesetzentwurf vom Bundesrat, auch wenn es ein zustimmungspflichtiges Gesetz ist, in das Vermittlungsverfahren gebracht werden kann oder gebracht wird, indem nämlich dann der Bundesrat die Möglichkeit hat, ein bestimmtes Vermittlungsbegehren zu einem bestimmten Punkt geltend zu machen, oder ob es der Fall ist, der hier eingetreten ist,
Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode —.97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5909
Dr. Jenninger
daß der Bundesrat das Gesetz als Ganzes ablehnt, dann aber die Bundesregierung den Vermittlungsausschuß anruft, und in diesem letzteren Fall — das ist die Besonderheit dieser Situation — alles zur Disposition steht, was im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf geregelt werden sollte.
Herr Jenninger, zu Ihrer ersten Frage. Natürlich stimme ich Ihnen zu, daß die Bundesregierung die Initiative zum Zweiten Haushaltsstrukturgesetz ergriffen hat. Nur: Ich glaube, es wäre ganz unrichtig zu sagen, daß der Gesetzestypus an sich immer abzulehnen wäre. Er ist unter den Gesichtspunkten, die auch der Kollege Schneider hier vorgebracht hat, bedenklich auf Grund der Tatsache etwa, daß sehr, sehr viele Rechtsmaterien geregelt werden; er ist bedenklich auch auf Grund der Tatsache, daß hier durch eine gemeinsame, meist sehr weite Zielsetzung eine Verklammerung stattfindet; aber doch auch deshalb, weil der Vermittlungsausschuß seiner Aufgabe, kraft Sachzusammenhangs gerade hier nur ganz wenige zusätzliche Punkte heranzuziehen, nicht in jedem Punkt gerecht geworden ist.
Ich bin der Meinung: Natürlich dürfen wir solche Gesetze nicht zur Regel werden lassen. Das ist gar keine Frage.
Sie werden feststellen, daß ich das hier nicht zum erstenmal sage. Nur: Ganz ausschließen können wir sie nicht. Das könnten auch Sie nicht, wenn Sie irgendwann die Regierung stellten. Man wird indes von einem verfassungsrechtlich abgesicherten Organ wie dem Vermittlungsausschuß erwarten müssen, daß er auch in solchen Situationen die Rechte des Bundestages als Gesetzgeber beachtet und auf geänderte Situationen flexibel reagiert.
Zum zweiten Punkt Ihrer Frage. Ich habe mir auch sehr lange überlegt, als ich mich mit der Frage des Vermittlungsausschusses befaßt habe, ob man über die technische Seite der Ausgestaltung der Anrufungsbegehren weiterkommt. Ich glaube das nicht, und zwar aus folgendem Grund. Es wäre absurd, wenn die Bundesregierung, die ja ein Gesetz wie das Zweite Haushaltsstrukturgesetz initiiert hat, oder der Bundestag, dessen Mehrheit den Gesetzesbeschluß gefaßt hat, ihr Anrufungsbegehren auf die Abänderung bestimmter Punkte spezifizierte. Das wäre deshalb absurd, weil dies bedeutete, daß man einen Teil oder mehrere Punkte des Gesetzes, das man selber gewollt hat, jetzt in Frage stellte.
Ein solches — spezifiziertes — Anrufungsbegehren kann nur dann sinnvoll sein, wenn es sich um ein Anrufungsbegehren der Stelle handelt, die nicht zustimmen will. Das heißt, es kommt überhaupt nur beim Bundesrat in Frage,
und das ist dann das Problem, daß der Bundesrat es
beim Zweiten Haushaltsstrukturgesetz nicht einmal
nötig hatte, ein konkretes, umgrenztes, spezifiziertes Anrufungsbegehren zu stellen. Wenn er das
hätte tun müssen, wären wir hier alle glücklicher, und zwar deshalb, weil das Versteckspiel mit den Verantwortlichkeiten in der Öffentlichkeit dann nicht möglich wäre; denn dann hätte er — der Bundesrat — oder einige Länder öffentlich sagen müssen: Jawohl, wir wollen Streichungen, beim Zusatztaschengeld für Altenheimbewohner, jawohl, wir wollen die stärkere Heranziehung der Eltern behinderter Kinder zur Finanzierung der Heimunterbringung ihrer Kinder. So wie das Anrufungsbegehren beim Zweiten Haushaltsstrukturgesetz gelaufen ist, war dieses alles nicht erforderlich.
Das ist einer der Punkte — darauf komme ich gleich noch, weil das auch in dem Antrag des Wohnungsbauausschusses enthalten ist, den ich voll unterstütze -, bei denen man tatschlich sehr sorgfältig prüfen muß, ob man im Rahmen der Gemeinsamen Geschäftsordnung für den Vermittlungsausschuß einige technische Verbesserungen erreichen kann. Möglicherweise geht das wirksam und durchsetzbar.
Lassen Sie mich noch zu einem Punkt kommen, den ich in diesem Zusammenhang auch für wichtig halte.
Verzeihung, Frau Abgeordnete. Ich darf Sie auf die Zeit aufmerksam machen. Wir sind mit der Zeit sehr großzügig gewesen.
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5910 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Noth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verspreche Ihnen, daß ich die Zeit wieder einhole.
Aber ich werde nicht so schnell sprechen wie beim letzten Male.Meine Damen und Herren, das Gesetz über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen hat in der Öffentlichkeit aus gutem Grund, was den Sachgehalt angeht, aber auch was das Zustandekommen der gesetzlichen Regelung angeht, eine breite, zum Nachdenken anregende Resonanz erzielt. Auf letzteres komme ich noch zurück.Zum ersten, also zur Sache: Die Fehlförderung im Bereich des sozialen Mietwohnungsbestandes hatte in der Vergangenheit ein Ausmaß erreicht, das eine langfristige Lösung erforderte. So waren nach den Ergebnissen der Wohnungsstichprobe von 1978, fortgeschrieben auf den Stand von 1980, rund 32 % der Hauptmieterhaushalte fehlbelegt. Bei den Eigentümerhaushalten waren es sogar 44 %. Es bestand daher bei allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien Übereinstimmung darüber, daß dieses soziale Ärgernis nach mehreren vergeblichen Versuchen in der Vergangenheit nun endlich beseitigt werden müsse.Zur Lösung dieses Problems lagen dem Deutschen Bundestag, wie bekannt, zwei Gesetzentwürfe mit zwei grundsätzlich verschiedenen Lösungsansätzen vor. Nach den Vorstellungen der Koalition sollte durch die Einführung einer verwaltungsmäßigen Ausgleichsabgabe die Fehlförderung abgebaut werden, wobei die Ausgleichszahlung nach der Wohnungsgröße und dem Ausmaß der Überschreitung der Einkommensgrenzen pauschaliert bemessen sein sollte. Das Modell der CDU/CSU sah die Anhebung von Zinsen, gestaffelt nach zwei Grenzen von Baualtersklassen, vor.Beide Modelle waren Gegenstand eines groß angelegten und, wie ich fand, auch zeitlich sehr breit angelegten Planspiels und einer Anhörung. Vorzüge und Nachteile, die beide Varianten enthielten, wurden sichtbar.Um zu einer praktikablen politischen Lösung zu kommen, hatte der federführende Ausschuß einen Unterausschuß eingesetzt. Aber noch bevor der Unterausschuß — er verhandelte zur Sache am 2. Dezember übrigens zum ersten Male darüber —, geschweige denn bevor der gesamte Ausschuß seine Beratungen beenden konnte, wurde das Thema „Abbau der Fehlsubventionierung" als Verhandlungsgegenstand in den Vermittlungsausschuß gebracht bzw. — besser gesagt — von diesem als Verhandlungsgegenstand aufgenommen und später mit dem Zweiten Haushaltsstrukturgesetz als Artikel 27 verabschiedet.Die FPD-Fraktion schließt sich den verfassungspolitischen Bedenken, wie sie heute durch meine beiden Vorredner noch einmal deutlich gemacht wurden, vollinhaltlich an. Auch wenn ein Gutachten des Geschäftsordnungsausschusses die rechtliche Verfassungsmäßigkeit feststellt, so wird nach unserer Auffassung die Achtung des Parlaments bei der Behandlung von Gesetzesvorlagen empfindlich beeinträchtigt. Die FDP-Fraktion unterstützt deswegen nachdrücklich die Empfehlung des Ausschusses, die mit dem Gesetzgebungsverfahren zum Zweiten Haushaltsstrukturgesetz aufgeworfenen Fragen dahin gehend zu prüfen, ob künftig konkretere Abgrenzungen der in das Verfahren einbeziehbaren Gegenstände möglich und zweckmäßig sind.
Oder lassen Sie es mich als Nichtjurist verkürzt so sagen: Wir wollten zwar die Fehlbelegung von Wohnraum abschaffen, aber nicht die Fehlauslegung unserer Verfassung einführen.
Dem Bundesrat sollte es für die Zukunft auch zu denken geben — ich betone: für die Zukunft, Herr Schneider —, daß nicht nur Staatsrechtler dieses Gesetzgebungsverfahren intensiv diskutieren. Ich bin froh darüber, daß sich an dieser Diskussion über die Medien hinaus eine Vielzahl politischer Bürger beteiligen. Wir können es täglich in den Besuchergruppen erfahren, wir erfahren es im Wahlkreis, daß das Interesse an dieser Art des Zustandekommens dieses Gesetzes weit über juristische Fachkreise hinaus besteht. Vielleicht trägt dies mehr dazu bei, daß sich der Bundesrat zukünftig des üblichen Verfahrens bedient, nämlich erst nach Beschlußfassung durch den Deutschen Bundestag die Beratungen aufzunehmen, als der berechtigte Protest der hier versammelten betroffenen Parlamentarier.
Von der Sache her stimmt die FDP-Fraktion dem Vermittlungsergebnis zu; denn Zielsetzung der liberalen Politik im sozialen Wohnungsbau ist es, das Kostenmietenniveau des sozialen Wohnungsbaus
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5911
Frau Nothmittelfristig an das Vergleichsmietenniveau heranzuführen, um das Problem der Fehlbelegung dauerhaft zu beseitigen. Die Kombination aus Anhebung der Zinsen und Erhebung einer Abgabe, befristet bis Mitte der 90er Jahre, wird der Zielsetzung der FDP gerecht. Der Verwaltungsaufwand bei der Erhebung einer Abgabe erscheint uns bei Städten über 300 000 Einwohner angesichts der vorhandenen Infrastruktur ohne allzu große Reibungsverluste realisierbar.Umfragen in der jüngsten Zeit, z. B. vom Institut für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen, haben ergeben, daß die Verordnungsermächtigungen von den Ländern recht unterschiedlich umgesetzt werden. Die FDP sieht in dem Schritt, daß den Ländern im Bereich der Wohnungsbaupolitik hier besondere Verantwortung zufällt, eine weitere Zielsetzung ihrer Politik verwirklicht; denn nur die Länder können in enger Zusammenarbeit mit den Gemeinden entscheiden, welche Politik für ihre Region erforderlich und sinnvoll ist. Hier möchte ich die Länder auffordern, den Rahmen, den das Gesetz zum Abbau der Fehlsubventionierung und der Mietverzerrung im Wohnungswesen bietet, auch wirklich auszuschöpfen. Darüber hinaus sind die Länder aufgefordert, den zurückfließenden Teil der Gelder umgehend in den sozialen Wohnungsbau zu investieren und regionale Engpässe in der Wohnungsversorgung zu beseitigen, um zusätzliche positive Impulse für die Baukonjunktur zu geben. — Danke schön.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte nicht die Absicht, hier zu sprechen. Ich verspreche auch, daß das, was ich sage, sehr kurz sein wird. Eine Bemerkung, die mein verehrter Ausschußvorsitzender, Kollege Schneider, gemacht hat, hat mich hierhergerufen. Ich würde hier nichts sagen, wenn ein Vertreter des Landes Nordrhein-Westfalen auf der Bundesratsbank gesessen hätte; denn er hätte sich dann durch sein eigenes Verhalten zu einer Bemerkung, die Sie, Herr Kollege Schneider, gemacht haben, entweder äußern oder nicht äußern können.
Es ist richtig, wie Sie gesagt haben, daß an die Bundesländer der Appell gegangen ist, sie möchten die Rückflußmittel und die Mittel, die aus der Fehlbelegungsabgabe, aus der Zinsanhebung und aus vorzeitigen Ablösungen kommen, für zusätzlichen sozialen Wohnungsbau einsetzen. Wir können gemeinsam bedauern, daß dies nicht in allen Ländern so geschieht und daß auch das Land Nordrhein-Westfalen diese Mittel nicht entsprechend einsetzt. Aber ich glaube, die Fairness gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen gebietet, sehr deutlich zu unterstreichen, daß dieses Land, noch ohne Gewißheit, daß durch eine Entscheidung von Bundestag und Bundesrat, wie auch immer zustande gekommen, eine Finanzierungsquelle zusätzlich aufgemacht werden würde, ein zusätzliches Wohnungsbauprogramm auf eigenes Finanzierungsrisiko beschlossen hat.
Dies sollte man wenigstens mit Anerkennung gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen quittieren, wenn man schon bedauert, daß es die nun zusätzlich fließenden Mittel, die es nicht mit Sicherheit erwarten durfte, nicht noch einmal erneut verwendet.
Ich glaube, die Fairness gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen gebietet auch, darauf aufmerksam zu machen, daß dieses Land unter all den Bundesländern über Jahre hin bereit war, aus dem eigenen Mittelaufkommen für den sozialen Wohnungsbau mehr Mittel einzusetzen, als nach der Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern nötig waren, um den Bundesmitteln die entsprechenden Landesmittel gegenüberzusetzen. Die Fairness gebietet es, darauf hinzuweisen, selbst wenn das Bedauern ein gemeinsames ist; denn weitere zusätzliche Mittel hätten natürlich der Baukonjunktur und der Wohnungsversorgung gedient.
Ich hoffe, Sie nehmen mir diese Hinweise nicht übel. Ich meine, es ist im Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen, dies wenigstens ausgewogen darzustellen. — Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1440 unter Ziffer 1, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen auf Drucksache 9/744 für erledigt zu erklären. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1440 unter Ziffer 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Entschließung ist einstimmig angenommen.Ich rufe die Punkte 7 und 8 der Tagesordnung auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes— Drucksache 9/1482 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
InnenausschußAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und StädtebauErste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Vierzehnten
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5912 Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982
Vizepräsident WurbsGesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes— Drucksache 9/1493 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Ausschuß für WirtschaftHaushaltsausschußWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Der Ältestenrat schlägt vor, die Drucksachen 9/1482 und 9/1493 an Ausschüsse zu überweisen. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung.Ist das Haus mit den Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:Beratung der Sammelübersicht 34 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 9/1469 —Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 9/1469, die in der Sammelübersicht 34 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen.Ich rufe den Punkt 10 der Tagesordnung auf:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klein (Göttingen), Dr. von Geldern, Dr. Götz, Dr. Hupka, Dr. Hüsch, Klein (München), Krey, Linsmeier, Neuhaus, Schwarz, Dr. Schwarz-Schilling, Dr. Stercken, Weirich und der Fraktion der CDU/CSUMedienbericht— Drucksachen 9/877, 9/1477 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Nöbel KreyWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 9/1477, den Antrag der Abgeordneten Dr. Klein , Dr. von Geldern, Dr. Götz und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 9/877 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.Ich rufe die Punkte 11 bis 14 der Tagesordnung auf:11. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVerhandlungen über den Vorschlag einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften betreffend den Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht— Drucksachen 9/449, 9/1472 —Berichterstatter: Abgeordnete Nelle Frau WeyelNeuhausen12. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorlage der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Wissenschaftliche und technische Forschung der Europäischen Gemeinschaften, Vorschläge für die achtziger Jahre— Drucksachen 9/1168, 9/1462 —Berichterstatter:Abgeordnete Dr. Bugl BörnsenZywietz13. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr zu der Unterrichtung durch die BundesregierungVorschlag für eine Verordnung des Rates über die Genehmigung des interregionalen Linienflugverkehrs zur Beförderung von Personen, Post und Fracht zwischen den Mitgliedstaaten— Drucksachen 9/127 Nr. 17, 9/1468 —Berichterstatter: Abgeordneter Bamberg14. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die- BundesregierungVorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen in bezug auf Rückstände von Antibiotika in frischem Fleisch mit Herkunft aus der Gemeinschaft— Drucksachen 9/934 Nr. 30, 9/1460 —Berichterstatter: Abgeordneter FiebigWird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Ich lasse nunmehr über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen der Ausschüsse auf den Drucksachen 9/1472, 9/1462,
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Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 29. April 1982 5913
Vizepräsident Wurbs9/1468 und 9/1460 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlungen sind somit angenommen.Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufedie nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. April 1982, 9 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.