Gesamtes Protokol
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich einige Mitteilungen machen.Zunächst möchte ich eine Botschaft verlesen, die der Präsident der Vereinigten Staaten vor einigen Tagen an mich gerichtet hat. Aus Anlaß der 25. Wiederkehr der Verkündung des Marshallplans hat dieses Haus vor fünf Jahren einstimmig beschlossen, als Zeichen des Dankes für die amerikanische Nachkriegshilfe 150 Millionen DM in 15 Jahresraten für die Errichtung einer Deutschen Marshall-Stiftung zur Verfügung zu stellen. Die Stiftung wurde mit dem Ziel gegründet, Amerikanern und Europäern zu helfen, voneinander und von anderen zu lernen, die den modernen Industriegesellschaften gemeinsamen nationalen und internationalen Probleme besser zu verstehen und zu bewältigen.In diesen Tagen nun konnte die Deutsche Marshall-Stiftung zusammen mit dem 30. Jahrestag des Marshallplans von 1947 ihren 5. Gründungstag feiern und dabei auf eine erfolgreiche Tätigkeit in den letzten Jahren verweisen. Sie hat diese Fünfjahresfeier im Zeichen der Verbundenheit beider Länder hier in Bonn veranstaltet.Bei dieser Gelegenheit übermittelte mir der amerikanische Präsident Jimmy Carter die folgende Botschaft:Zum dreißigsten Jahrestag des Europäischen Wiederaufbauprogramms möchte ich den Dank des amerikanischen Volkes für das großherzige Geschenk der Bundesrepublik Deutschland vor fünf Jahren, das die finanzielle Grundlage für die Errichtung der Deutschen Marshall-Stiftung geschaffen hat, zum Ausdruck bringen.Vor drei Jahrzehnten wurde es Europäern und Amerikanern durch den Marshallplan möglich, zusammenzuarbeiten, um in der schweren Nachkriegszeit die essentiellen- menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen, um Städte wiederaufzubauen und Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Heute sind die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme, die Europa und Amerika und andere Regionen bedrücken, weniger deutlich erkennbar und weniger spektakulär. Aber sie sind verwickelter und tieferge-hend, und sie werden ebenso große gemeinsameAnstrengungen erfordern wie der Marshallplan.Regierungen und internationale Organisationen können diese Probleme nicht allein lösen. Wir sind auf die Hilfe privater Institutionen wie die der Stiftung angewiesen, die der Aufgabe dienen, Amerikaner und Europäer bei ihrer Zusammenarbeit zur Lösung unserer gemeinsamen Probleme zu unterstützen.Unsere Industriegesellschaften können viel voneinander und von den anderen Staaten in der Welt lernen. Durch das einzigartige Geschenk des deutschen Volkes wird es kommenden Generationen von Europäern und Amerikanern ermöglicht, bei der Bewältigung der Probleme, vor denen unsere Völker stehen, Gedanken und Erfahrungen auszutauschen. Dem Marshallplan könnte kein besseres Denkmal gesetzt werden.
Ich habe dem amerikanischen Präsidenten für seine Botschaft gedankt und dabei aus Anlaß der 30. Wiederkehr der Verkündung des Marshallplans noch einmal unseren Dank für die damalige großzügige Hilfe des amerikanischen Volkes zum Ausdruck gebracht.Meine Damen und Herren, es ist mir eine ganz besondere Freude, eine Delegation des isländischen Althing in der Bundesrepublik und jetzt hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu begrüßen.
Die Präsidentin des Unterhauses des Althing, Frau Ragnhildur Helgadottir, und die Delegation des Ober- und des Unterhauses haben auf der Diplomatentribüne Platz genommen. Ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen und Sie herzlich willkommen zu heißen.Ich darf dem Hause mitteilen, daß mir Frau Helgadóttir gestern abend namens des isländischen Althing für den Deutschen Bundestag eine sehr wertvolle Reproduktion erster Handschriften, in denen isländische Sagas aufgezeichnet sind, übergeben hat. Es handelt sich um einen prachtvollen Band, den ich für eine Weile gern in der Wandel-
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2228 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Präsident Carstenshalle des Deutschen Bundestages ausstellen möchte, damit ihn möglichst viele Kollegen sehen können. Ich möchte der Frau Präsidentin Helgadóttir auch bei dieser Gelegenheit für dieses sinnreiche Geschenk unseren herzlichen Dank sagen.
Als Nachfolger für den durch Verzicht am 6. Juni 1977 ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Nothhelfer hat der Abgeordnete Kolb am 10. Juni 1977 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße den neuen Kollegen sehr herzlich und wünsche ihm eine erfolgreiche Mitarbeit im Bundestag.
Auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU sollen im Vermittlungsausschuß folgende Mitglieder bestellt werden: an Stelle des Abgeordneten Pfeifer als ordentliches Mitglied der Abgeordnete Franke, an Stelle des Abgeordneten Dr. Wallmann, der gestern aus dem Deutschen Bundestag ausgeschieden ist, als ordentliches Mitglied der Abgeordnete Rawe, als Stellvertreter des Abgeordneten Rawe der Abgeordnete Dr. Häfele und als Stellvertreter des Abgeordneten Vogel der Abgeordnete Dr. Lenz (Bergstraße). Ich frage das Haus, ob es damit einverstanden ist. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann stelle ich fest, daß die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder so, wie ich es soeben verlesen habe, bestellt worden sind.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll Punkt 9 der Tagesordnung — Entwurf eines Gesetzes über die Zeitbestimmung — abgesetzt werden. — Das Haus ist auch damit einverstanden, und damit ist es so beschlossen.Amtliche Mitteilungen ohne VerlesungDer Bundesrat hat in seiner Sitzung am 3. Juni 1977 zu den nachstehenden Gesetzen keinen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 GG gestellt:Gesetz zur Änderung sachenrechtlicher, grundbuchrechtlicher und anderer VorschriftenGesetz zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von StaatenlosigkeitAusführungsgesetz zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit
In der gleichen Sitzung hat der Bundesrat ferner verlangt, daß zu den nachstehenden Gesetzen der Vermittlungsausschuß einberufen wird:Neuntes Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes
Gesetz zur Zwanzigsten Rentenanpassung und zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung
Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung
Seine Schreiben sind als Drucksachen 8/551, 8/556 und 8/557 verteilt.Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat mit Schreiben vom 27. Mai 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Fundre, Frau Schuchardt, Dr.-Ing. Laermann, Möllemann, Lattmann, Dr. Meinecke , Voigt (Frankfurt), Weisskirchen (Wiesloch) und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Numerus clausus und Lehrverpflichtungen an deutschen Hochschulen (Drucksache 8/430) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/527 verteilt.Der Bundesminister der Justiz hat mit Schreiben vom 2. Juni 1977 im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Langner,Erhard , Dr. Klein (Göttingen), Dr. Hammans und der Fraktion der CDU/CSU betr. Berufsaussichten junger Juristen (Drucksache 8/438) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/550 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 7. Juni 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Warnke, Dr. Unland, Dr. von Bismarck, Niegel, Baron von Wrangel, Dr. Waffenschmidt, Röhner, Dr. Ritz, Dr. Kunz , Dr. Köhler (Wolfsburg), Böhm (Melsungen), Nordlohne, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Seiters, Frau Tübler, Schröder (Lüneburg), Sauer (Salzgitter), Dr. Waigel, Frau Benedix, Dr. Jenninger und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Haushaltsmittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (Drucksache 8/459) beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 8/564 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat mit Schreiben vom 8. Juni 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hauser , Dr. Zeitel, Lampersbach, Dreyer, Schmidhuber, Sick, Feinendegen, Dr. Hüsch, Dr. Bötsch, Krey, Neuhaus, Haberl, Dr. von Geldern, Frau Pieser, Frau Hoffmann (Hoya), Gerstein, Daweke, Dr. Pinger, Helmrich, Tillmann, Würzbach, Biehle, Franke, Dr. George und Genossen und der Fraktion der CDU/CSU betr. Schwerbehindertengesetz (Drucksache 8/477) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/573 verteilt.Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 14. Juni 1977 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Friedmann, Glos, Carstens , Dr. Waigel, Dreyer, Ey, Hauser (Krefeld), Frau Pieser, Niegel, Dr. van Aerssen, Dr. Jenninger und der Fraktion der CDU/CSU betr. Möglichkeiten der Unterstützung mittelständischer Betriebe bei Exportgeschäften (Drucksache 8/476) beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 8/578 verteilt.Der Vorsitzende des Ausschusses für Forschung und Technologie hat mit Schreiben vom 12. Mai 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß auf eine Beratung der nachstehenden, bereits verkündeten Vorlage verzichtet hat:Vorschlag eines Beschlusses des Rates zur Festlegung eines Forschungsprogramms auf dem Gebiet Behandlung und Verwendung von Klärschlamm .Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat mit Schreiben vom 25. Mai 1977 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehende, bereits verkündete Vorlage zur Kenntnis genommen hat:Verordnung Nr. 845/77 des Rats vom 25. April 1977 zur Aufrechterhaltung der Regelung, nach der die Einfuhren bestimmter Unterkleidung aus Gewirken mit Ursprung im Königreich Thailand und in der Republik Philippinen nach Frankreich und in das Vereinigte Königreich genehmigungspflichtig sind (Drucksache 8/289).Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Energiebedarf und friedliche Nutzung der Kernenergie— Drucksachen 8/156, 8/569 —b) Große Anfrage der Abgeordneten Stahl , Egert, Konrad, Dr. Meinecke (Hamburg), Meininghaus, Dr. Spöri, Urbaniak, Wolfram (Recklinghausen), Dr.-Ing. Laermann, Dr. Graf Lambsdorff, Wolfgramm (Göttingen), Hoppe und der Fraktionen der SPD, FDPEnergiepolitik— Drucksachen 8/188, 8/570 —Das Wort zur Begründung und als erster Redner in der Aussprache hat der Abgeordnete Dr. Riesenhuber.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-Fraktion möchte ich die Große Anfrage zum Thema „Energiebedarf und friedliche Nutzung der Kernenergie" begründen. Wir haben unsere Große Anfrage in einer Zeit widersprüchlicher Absichten der Regierung und der sie tragenden Parteien eingebracht. Herr Friderichs hält 30 000 MW Kernenergie bis 1985 für erforderlich. Herr Matthöfer hält 15 000 bis 20 000 MW für möglich. Der Wirtschaftsminister des größten Bundeslandes, Herr Riemer
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Dr. Riesenhuber
, forderte die vorläufige Ablösung der Kernenergie durch die Kohle. Herr Eppler spricht vom Nullwachstum. Der Parteitag der SPD Niedersachsens und nun auch die FDP Baden-Württembergs verlangen den Baustopp für Kernkraftwerke. Der Bundeskanzler erklärt sich für zügigen Ausbau. Der SPD-Vorstand Schleswig-Holsteins will den Ausbau der Kernenergie beenden.
— Wir haben die Große Anfrage eingebracht, Herr Kollege Stahl, um Klarheit über die Absichten der Bundesregierung zu schaffen; denn die Bundesregierung regiert in diesem Land, und sie hat die Klarheit ihrer Politik, zu begründen.
Wir wollen vor allem klären, ob sich die Politik der Bundesregierung in dieser Frage Energiepolitik noch auf die Parteien stützen kann, die die Bundesregierung tragen.
Die Antwort der Bundesregierung hat diese Klarheit nicht gebracht.
— Die Bundesregierung zitiert Prognosen der Insti-tute, und die haben wir sehr wohl gelesen. DieBundesregierung sagt nicht, ob sie diese Prognosen ihrer Politik zugrunde legt. Die Bundesregierung sagt nicht, welche politischen Ziele sie aus diesen Prognosen ableitet. Die Bundesregierung bekräftigt nicht einmal ihre eigenen Grundlinien und Eckwerte der Energiepolitik.
Wir bedauern das.Wesentlichen Zielen, wie die Eckwerte sie festlegen, stimmen wir zu.
Wir vermissen ein definiertes Gesamtpaket von Maßnahmen. Die Bundesregierung prüft, und während die Bundesregierung prüft, verfestigt sich die Arbeitslosigkeit, und es werden schätzungsweise Investitionen in Höhe von 30 Milliarden DM wegen der Verzögerung der Genehmigung von Kernkraftwerken, und genauso von Kohlekraftwerken, nicht vorgenommen. Das ist mehr, als Konjunkturprogramme bewegen können.Wir sind für sorgfältige Prüfung, aber was diese Regierung an Entscheidungen heute versäumt, das bezahlt das ganze deutsche Volk.
— In den fünfziger und sechziger Jahren haben wir der internationalen Konkurrenz standgehalten.
— Wir wollen doch nicht darüber streiten, ob wir Produktivitätsfortschritt brauchen. Produktivitätsfortschritt heißt auch Freisetzung von Arbeitskräften.Um neue Arbeitsplätze zu schaffen, brauchen wir Wirtschaftswachstum. Seine Qualität wandelt sich ständig nach den Entscheidungen des Marktes und des Staates.Wirtschaftswachstum aber bedeutet auch Wachstum des Energiebedarfs.Um den Energiebedarf zu sichern, brauchen wir Kontinuität bei den notwendigen energiepolitischen Entscheidungen. Nur dann können die gesetzlichen Maßnahmen, die das Wachstum überhaupt erst ermöglichen, aufeinander abgestimmt werden.Nun gibt es Leute in der SPD, die meinen, auf Wachstum könne man verzichten. Tatsächlich aber brauchen wir jedes Prozent eines Wachstums, das in den nächsten Jahren ohnehin allenfalls durchschnittlich 5 % erreichen kann.Heinz Oskar Vetter erklärte für den DGB — ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten —:Es kann nicht sein, daß die Arbeitnehmer für energiepolitische Versäumnisse und Kurzsichtigkeiten mit dem Verlust ihres Arbeitsplatzes haftbar gemacht werden sollen.Genauso ist es. Hier liegt ein Maßstab für die Politik der Bundesregierung, an dem sie gemessen werden wird.
Unsere Chance, Arbeitslosigkeit zu beseitigen, liegt im Wachstum. Das Zahlenwerk der Bundesregierung selbst weist nach, daß das Netz unserer sozialen Sicherheit überhaupt nur hält im Wachstum. Umweltschutz ist nur finanzierbar unter den Bedingungen des Wachstums. Das gilt nicht nur für künftige neue Fabriken, das gilt auch für den Ausgleich früherer Vergeudung der Umwelt, für den Abbau der Überlastung unserer Flüsse, für den Ersatz umweltbelastender alter Steinkohlekraftwerke. Die Politik trägt die Verantwortung für die Qualität dieses Wachstums.Wenn wir aber Wirtschaftswachstum brauchen, wenn wir Energiewachstum brauchen, dann sind unsere Wahlfreiheiten begrenzt. Der Beitrag der großen heimischen Energieträger, Steinkohle und Braunkohle, ist grundlegend.
Wir brauchen sie. Wir wollen die Förderkapazität erhalten, bei der Steinkohle langfristig ausbauen. Die jüngsten Verträge zur Steinkohleverstromung und zur Planung des Braunkohleeinsatzes haben gezeigt, wo für absehbare Zeit die Grenzen liegen.
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2230 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr. RiesenhuberErdgas wird knapper. Die deutschen Reserven sind wie beim Erdöl gering.Die Grenzen der Erdölreserven zeichnen sich weltweit ab. Erdöl ist Rohstoff. Es kann auch Waffe sein und wurde als Waffe benutzt. Die Abhängigkeit von den Förderländern müssen wir stetig vermindern.Wir haben die Bundesregierung nach dem möglichen Beitrag der Kernfusion gefragt.
— Wenn wir regieren, geben wir die Antworten. Wenn aber die Bundesregierung regiert, soll sie die Antworten geben, oder sie soll abtreten.
— Zu den Alternativen nur eine Bemerkung: Sie reden dauernd davon. Wir stellen hier fest, daß wir in wesentlichen Zielen übereinstimmen. Es geht nur darum, ob die Bundesregierung imstande und bereit ist, diese Ziele durchzusetzen, und ob auch die Parteien, die die Bundesregierung tragen, diese Ziele vertreten. Genau das aber ist heute nicht mehr gesichert, und das gefährdet unsere Politik auf diesem Gebiet.
Wir haben nach dem möglichen Beitrag der Kernfusion gefragt. Wir halten diese Forschung für dringlich. Sie darf nicht an europäischen Spannungen scheitern. Ihr Erfolg ist offen. Ein Beitrag ist vor der Jahrtausendwende kaum zu erwarten.Wir haben die Bundesregierung nach den neuen, nichtnuklearen Energien, nach der Sonnenenergie auch in Form von Wind und Gezeiten, von Boden, Wasser und Luft gefragt. Ihr Beitrag kann auf absehbare Fristen nicht groß sein. Doch diese Energien sind umweltfreundlich und unerschöpflich. Sie zu erschließen, ist großer Anstrengungen wert. In ihrem Energieforschungsprogramm und besonders gern in der Öffentlichkeit spricht die Bundesregierung von diesen neuen Energien. Tatsache bleibt, daß 94 0/o der Forschungsmittel für Kernspaltung, Kernfusion und Kohle, aber nur 6 % für die neuen, nichtnuklearen Energien vorgesehen sind.
Wir respektieren den hohen technischen Sachverstand des Energieforschungsprogramms. Die Fülle der Projekte und ihre Qualität sind eindrucksvoll. Was wir aber brauchen, ist ein Programm, wie diese neuen Energien im Rahmen unserer sozialen Marktwirtschaft in die Praxis umgesetzt werden.Der Streit geht um die Prioritäten. Das gilt für die neuen, nichtnuklearen Energien. Das gilt aber auch für die Großprojekte. Nach den heute vorliegenden Planungen werden wir den Hochtemperaturreaktor und seine Prozeßwärme früher, den Schnellen Brüter gegebenenfalls später brauchen, als die heutigenZeitpläne es vorsehen. Mittelfristig bleibt der rationelle Einsatz von Energie.Die Bundesregierung stellt fest, daß der Energieverbrauch, den wir für jedes Prozent Wirtschaftswachstum benötigen, bis 1985 abnehmen wird. Wenn dies erreicht wird, ist es nicht vor allem Leistung der Bundesregierung. Es ist ein Erfolg der Industrie, die den spezifischen Energieeinsatz unter dem gesunden Zwang der Marktwirtschaft ständig gesenkt hat.
— Wir wissen genau, was Sache der Parteien, was Sache des Marktes und was Sache der Regierung ist. Wir wären sehr dankbar, wenn Sie dies immer in der gleichen Präzision unterscheiden könnten.
Was vorgelegt wird, ist eine Fortschreibung von Trends zur teilweisen Sättigung des Energie- und besonders des Strombedarfs des Haushalts. Was wir aber brauchen, ist ein umfassendes, realistisches Konzept für die Einsparung von Energie, auch wenn wir wissen, daß wir damit nur die Zuwachsraten mindern können. Dieser Maßnahmenkatalog liegt nicht vor.
Will die Bundesregierung z. B. darauf hinwirken, daß Dampferzeuger der Industrie über WärmeKraft-Koppelung in die Stromversorgung einbezogen werden? Was bedeutet dies für das Wegerecht beim Strom? Was bedeutet dies für die Vorschrift über Kohlefeuerung von Stromerzeugern mit einer Leistung von über 10 MW?Hat die Bundesregierung ein Konzept, wie der Wärmeverbrauch der Haushalte — einer der größten Blocks unseres gesamten Energiebedarfs —langfristig nicht nur durch Einzelvorschriften gemindert, sondern überhaupt gesichert werden soll?
— Wenn ja, so soll sie es vorlegen.
Welche Rolle spielen hier Strom, Gas und Fernwärme, wenn der Kampf um die letzten Kohlenwasserstoffe tatsächlich schon vor dem Ende des Jahrhunderts ausbricht?
Hat die Bundesregierung eine Vorstellung davon, was dies für die Planungsrechte der Länder und Gemeinden, für Anschlußzwang und für Versorgungspflicht bedeutet?Die Bundesregierung prüft. Sie prüft seit Jahren. Sie kündigt uns neue Prüfungen an. Das kann kein Ersatz für Politik sein.
Rationeller Einsatz von Primärenergie ist —das wissen wir sehr wohl — nicht schon Einsparung von Strom. Einsatz elektrisch betriebener Wärmepum-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2231
Dr. Riesenhuberpen spart insgesamt Energie, verbraucht aber zusätzlich Strom. Kraftwerke mit Fernwärmeerzeugung sparen Primärenergie. Sie kosten Stromkapazität. Diese Lücke ist zu schließen.Am 13. Mai 1976 hat der Bundestag eine gemeinsame Entschließung verabschiedet. Für uns gilt diese Erklärung nach wie vor. Wir treten für die friedliche Nutzung der Kernenergie unter Bedingungen des Schutzes von Leben und Gesundheit ein. Wenn aber die damals geforderte Gesamtstrategie zur Sicherung der Energieversorgung nicht bloße Deklamation bleiben soll, dann muß der Beitrag der Kernenergie konkret und in Zahlen ausgewiesen werden.Kernspaltung hat uns eine sichere Energiequelle erschlossen. Kernspaltung ist heute die Energie, bei der der Preis des Brennstoffs am kleinsten und der Wert des Sachverstands am höchsten ist. Kernenergie trägt nicht deswegen wesentlich den Zuwachs, weil sie billig ist. Sie ist die einzige Alternative, die uns für mittlere Fristen bleibt.Es ist offen, welche Energie langfristig die Zukunst sichert — eine Brüterwirtschaft, Kernfusion oder die Sonne. Aber Kohle und Kohlewasserstoff sind unersetzliche Rohstoffe der Chemie, groß in der Menge, was die Kohle betrifft, aber begrenzt und nicht regenerierbar. Uran hingegen hat keinen anderen Einsatz als für Energie. Es schont unsere Kohle, aber auch Erdöl und Gas. Es kann unsere Abhängigkeit von Lieferländern vermindern. Es kann sie verteilen.Dies alles setzt voraus, daß die Regierung ihre Uranpolitik klärt. Das Atomprogramm hat Aussagen hierzu enthalten. Das Atomprogramm ist ausgelaufen. In den Eckwerten ausführliche Kapitel über Erdöl, Kohle und Gas. Kein Wort über Uran. Exploration soll ab 1980 laut Forschungsministerium nicht mehr gefördert werden. Die letzten Monate ermutigen nicht unbedingt, auf einen frei funktionierenden Markt allein zu vertrauen.
Wir halten die Probleme für lösbar.
Aber worauf setzt die Regierung? Die Regierung muß festlegen, welchen Anteil — das hat sie im Atomprogramm gesagt — sie glaubt, auf dem Markt kaufen zu können, welchen Anteil aus eigenen Quellen mit deutscher Beteiligung, und wie diese Beteiligung zu sichern ist.Kernspaltung kann helfen, eine kritische Zeit am Ende der Ara des Erdöls zu überbrücken. Unsere Verantwortung ist, daß sie eingesetzt wird ohne Gefahr für Gesundheit, für Leben, für uns, für unsere Kinder und Enkel.Die Messung der Emissionen an laufenden Kraftwerken sind in Ordnung. Was wir brauchen, ist die höchste Sicherheit, die technisch vernünftig erreichbar ist, gegen jede Störung des Betriebs. Wenn wir mit den Anforderungen an Sicherheit heute international in der Spitze liegen, dann ist das nicht das Ende einer Entwicklung, sondern die beste Grundlage für eine weitere Sicherheitsforschung. Sie wird betrieben,Hier steht die grundsätzliche Diskussion zu den fortgeschrittenen Reaktorsystemen noch aus. Die Einführung von Schnellen Brütern und Hochtemperaturreaktoren wird sich auch daran entscheiden, wie die Frage ihrer Sicherheit zu beantworten ist.Wir brauchen Wiederaufarbeitung. Sie ist technisch zu bewältigen. Sie muß und sie kann im Strompreis bezahlt werden. Wir wollen sie nicht deshalb, weil sie Spaltstoff zurückgewinnt. Sie bringt Plutonium an die einzig sichere Stelle: in den Reaktor, wo es verbrennt. Sie erbringt Endabfälle, die sicher gelagert werden können, die nicht in Jahrzehntausenden, sondern in Jahrhunderten zerfallen.Das Konzept, Wiederaufarbeitung und Endlagerung an eine einzige Stelle zu setzen, ist richtig. Wir vermeiden Transport und Risiken. Die Salzstöcke Niedersachsens sind zur Endlagerung vorzüglich geeignet. Das bestimmt den Standort.
Die Landesregierung Niedersachsens prüft mit großer Sorgfalt den Standort Gorleben.
— Herr Stahl, was wir erwarten und nach den geltenden Gesetzen erwarten dürfen, ist, daß die Bundesregierung sich definitiv zum Standort äußert. Das ist die Verpflichtung der Bundesregierung,
und hier soll sie entscheiden. Das sagen die Gesetze.Erstmalig vor einem Jahr hat die Bundesregierung erklärt, die Entsorgung könne Bedingung für die Genehmigung neuer Kernkraftwerke sein, erstmalig vor einem Jahr! Die Bürgerinitiativen griffen es auf. Die Gerichte sind dem gefolgt. Wenn heute die Zeit drängt, dann offensichtlich doch wohl deshalb, weil die Bundesregierung sich über Jahre nicht hinreichend um die Entsorgungsprobleme gesorgt hat. Ich spreche hier nicht von der Förderung der Projekte, sondern ich spreche von der Einbindung in eine langfristige Planung, die ein Konzept zum Wirtschaftswachstum und ein Konzept zum Umweltschutz vernünftig zusammenfaßt.Zwischenlagerung der Brennelemente ist möglich, Wiederaufarbeitung ist nötig. Aber aus ihrem Zeitplan ergibt sich kein logischer Zwang zum Baustopp der Kernkraftwerke. Sorgfältige Prüfung in Niedersachsen gewährt größtmögliche Sicherheit der Endlagerung, aber auch die technische Lösung noch anstehender Einzelfragen. Verkürzung der Zeitpläne auf Kosten der Sicherheit lehnen wir ab.
So haben wir die Möglichkeit einer Technik, diewir verantworten können. Wir brauchen den Zu-
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2232 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr. Riesenhuberwachs an Energie. Was fehlt, sind die eindeutigen politischen Zielgrößen.
— Ich habe es sehr wohl gelesen, und ich habe auch festgestellt, daß in den Grundlinien und Eckwerten präzise Ziele genannt werden, die hernach nur noch als Prognosen der Institute zitiert werden, mit denen die Bundesregierung sich insoweit nicht identifiziert.
Die Zeitpläne für den Kraftwerksbau, ohnehin langfristig, sind längst nicht mehr wirtschaftlich oder technisch bestimmt. Terminführend ist heute das Genehmigungsverfahren. Es begründet das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat. Es ist unverzichtbar. Wieweit es aber die Zeitpläne verzögert, weiß heute niemand mehr. Zu welchem Ergebnis die Verfahren führen, wird zunehmend unberechenbar.Wir brauchen klare Normen und rechtsverbindliche Verordnungen. Das gilt für Sicherheit und für Umweltschutz, und das gilt für Kohle ebenso wie für Kernkraft. Wo klare Normen fehlen, werden die Gerichte überfordert. Die Rechtssicherheit wächst nicht, sie nimmt ab.Was wir brauchen, sind durchsichtigere und straffere Genehmigungsverfahren.
Wie aber will die Bundesregierung die Notwendigkeit dieser Straffung dem Bürger überzeugend begründen, der die Verkürzung seiner Rechte befürchtet, wenn sie nicht gleichzeitig klarstellt, wie viele Kraftwerke bis wann sie für nötig hält? Die Undeutlichkeit des politischen Willens der Regierung ist zu einer Belastung all unserer Planung in der Wirtschaft geworden.
— Politische Entschlüsse werden nicht durchgehalten, und das wissen Sie, Herr Stahl, genauso wie ich. An einem Freitag erklärt die Bundesregierung im Ausschuß, die Entwicklung des Schnellen Brüters werde unverändert fortgeführt, ein Entscheidungsbedarf bestehe nicht. Nach dem Wochenende erfahren wir aus der Zeitung die Absicht, 122 Millionen DM zu sperren. Das ist keine Frage des Schnellen Brüters. Das ist eine Frage der politischen Kraft, Entscheidungen zu fällen und nach der Einsicht in ihre Notwendigkeit auch durchzuhalten. Nur auf dieser Grundlage geht Politik.
Eine Regierung, die sich von sechs Abgeordneten erpressen läßt, regiert nur noch partiell.
Sie hat den Führungsauftrag, den sie vom ganzen deutschen Volk erhalten hat, teilweise an eine Minderheit abgetreten und damit ihre grundsätzlichen Rechte verfehlt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Jawohl.
Herr Kollege Riesenhuber, geben Sie zu, daß selbst Mitglieder Ihrer Fraktion im Ausschuß dem Fragenkatalog teilweise zugestimmt haben, den wir zum Thema Schneller Brüter aufgestellt und sogar noch durch Anregungen Ihrer Fraktionskollegen erweitert haben, und daß weitgehend Einverständnis darüber bestand, daß wir den Komplex Schneller Brüter sehr genau prüfen sollten und derzeit noch keine klare Entscheidung gefällt werden könne? Offensichtlich wollen Sie das jetzt nicht mehr wahrhaben.
Herr Abgeordneter Stahl, ich möchte Ihnen eindeutig sagen: In der Sache kann man nach der einen oder der anderen Seite entscheiden. Unmöglich ist, daß Herr Minister Matthöfer vor dem Ausschuß erklärt, was die Bundesregierung will, und diesen Beschluß der Bundesregierung nach offensichtlichen Pressionen aus der Partei über das Wochenende ohne Sachberatungen im Ausschuß modifiziert. So können wir miteinander keine Politik machen. Das ist die Antwort auf Ihre Frage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Bitte sehr, Herr Minister.
Herr Abgeordneter Riesenhuber, stimmen Sie mir zu, daß es nicht Aufgabe der Bundesregierung ist, 122 Millionen DM zu sperren, sondern daß das Aufgabe des Deutschen Bundestages, nämlich seines Haushaltsausschusses, ist und die Bundesregierung mit dieser Debatte insofern nicht das geringste zu tun hatte
— ich verstehe, Herr Abgeordneter Riesenhuber, daß Sie als junger Parlamentarier vielleicht noch nicht die Arbeitsteilung kennen — —
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, stellen Sie bitte eine kurze Frage; so sieht es die Geschäftsordnung des Bundestages vor.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2233
Jeder Abgeordnete hat das Recht, eine Frage zu stellen. Wenn er dabei durch Zurufe aus den Reihen hinter ihm gestört wird, ist das unhöflich.
Ich frage Sie noch einmal, Herr Abgeordneter Riesenhuber: Stimmen Sie mir zu, daß es Aufgabe des Haushaltsausschusses ist,
Mittel zu sperren oder nicht zu sperren, daß die
Bundesregierung solche Anträge nicht zu stellen hat,
sondern daß sie ihre Vorlage zu vertreten hat und daß der Haushaltsausschuß im vergangenen Jahr Mittel für den Hochtemperaturreaktor gesperrt, in diesem Jahre aber keine Mittel für den Schnellen Brüter gesperrt hat?
Herr Minister, ich möchte zunächst feststellen, daß wir die Rechte des Parlaments nie bestritten haben. Ich möchte zweitens feststellen, daß die Bundesregierung nach dem Wochenende eine klare Meinungsäußerung in der Sache geändert hat. Das vermisse ich: daß die Bundesregierung das, was sie am Freitag für richtig gehalten hat, auch noch am Montag vertritt. Hierüber streiten wir uns.
Die Regierung ist nicht imstande, die Großen Anfragen zur Energiepolitik zeitgerecht zu beantworten. Das Wirtschaftsministerium erarbeitet Kompendien für die FDP, das Forschungsministerium — Ihr Haus, Herr Matthöfer — einen Leitfaden für die SPD. Die Frage ist, ob sich die Regierung heute vordringlich mit dem Widerspruch innerhalb der Regierungsparteien oder mit den Existenzfragen des deutschen Volkes befaßt. Diese Frage ist von der Regierung nicht beantwortet worden, und die Antwort darauf ist auch nicht aus der Beantwortung der Großen Anfragen erkennbar geworden.
Hier ist ein Ursprung der Sorge vieler Bürgerinitiativen. Sie richten sich vordergründig gegen Kernkraft und Kohle.
— Es freut mich, daß Sie meine Rede vorher sorgfältig gelesen haben. Die Qualität Ihrer Zwischen-rufe wurde dadurch allerdings nicht unbedingt erhöht.
Unabhängig davon, ob die Sorgen der Bürgerinitiativen vordergründig der Kernkraft und Kohle gelten: sie sind zugleich Zeichen eines Mißtrauens gegen die Verantwortlichkeit der Verantwortlichen. Außerparlamentarische Opposition ist schon einmal entstanden. Sie entsteht dann, wenn sich der Bürger in der offiziellen Politik nicht wiedererkennt. Außerparlamentarische Opposition wird gefährlich, wenn sich das Parlament nicht artikuliert. Deshalb haben wir auf dieser Debatte zu diesem Zeitpunkt bestanden. Außerparlamentarische Opposition wird vor allem gefährlich, wenn der Standort der Regierung nicht klar erkennbar ist. Hier liegt der tiefere Grund dafür, daß — und das ist eine Tatsache — die Zweifel an der Kernenergie in den letzten Monaten gewachsen sind. Es ist eine weitere Tatsache, daß diese Zweifel unsere künftige Energiepolitik und damit unsere gesamte Wirtschaftspolitik beeinträchtigen können.Bürgerinitiativen können eine wichtige Funktion haben. Wir anerkennen das moralische Engagement der Idealisten. Wir werden nicht dulden, daß es von Extremisten ausgebeutet wird. Wir achten die Entscheidung zur Askese bei jedem, der sie für sich selbst trifft. Deshalb dulden wir nicht die Gewalt. Wenn der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins in Brokdorf für unsere rechtsstaatliche Ordnung eintritt,
dann handelt er mutiger und zugleich humaner als eine Regierung, die nur beschwichtigt.
Denn in einem haben die Idealisten der Bürgerinitiativen recht: Energiepolitik ist nicht nur Sache der Technik, der Wirtschaft oder der Politik. Was die Bürgerinitiativen sagen, ist, daß Energiepolitik auch sei eine Frage der politischen Moral. Die Frage nach der Moral unserer Entscheidungen darf nicht technokratisch abgeschmettert werden.
— Ich glaube, daß der Mut, für eine richtige Entscheidung einzutreten, das moralisch Richtige ist.
Ich glaube, daß es falsch ist, sich vor einer Entscheidung zu drücken. Hier unterscheiden wir uns.
Regieren heißt, Ziele aus Werten zu begründen und durchzusetzen. Moral aber heißt, verantwortlich die Erde zu nutzen, nicht Verzicht auf Gestaltung. Deshalb Kernkraft, aber gesichert. Deshalb Entsorgung. Deshalb Steinkohlekraftwerke, aber ent-
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Dr. Riesenhuberstaubt und entschwefelt. Deshalb rationeller Energieeinsatz, deshalb die Forschung nach neuen Energien. Die Moral, die die Bürgerinitiativen fordern, heißt auch, die Chance zu mehr Gerechtigkeit zu eröffnen. Gerechtere Verteilung des Wohlstands in Deutschland und unter den Völkern der Erde ist schwer genug, wenn Zuwachs verteilt werden soll; sie ist fast unmöglich bei Stagnation.Eine ethisch begründete Politik bedingt Rücksichtnahme auf die sich entwickelnden Länder. Sie brauchen die Chance zur eigenen Industrie. Sie brauchen den Zugang zur Energie. Sie haben keine Chance im Wettlauf um die letzten Erdölreserven, wenn die Industrieländer Energie nicht sparen und Kernenergie nicht einsetzen. Sie haben schon jetzt in steigenden Erdölpreisen mehr verloren, als die gesamte Entwicklungshilfe gebracht hat.Wir tragen die Verantwortung für unsere Kinder und Enkel. Der Planet, den wir vererben, darf kein Planet der verwüsteten Umwelt und der erschöpften Reserven sein. Die Rückkehr zur Idylle ist uns verschlossen. Es bleibt die Pflicht, Technik zu entwickeln und die Randbedingungen politisch rechtzeitig und eindeutig zu setzen.Deutschlands Bodenfläche ist klein, Deutschland ist dichtbesiedelt, klimatisch nicht besonders günstig gelegen, mit schmalem Zugang zum Reichtum des Meeres. Deutschland ist arm an Bodenschätzen — mit Ausnahme der Kohle. Deutschlands Kapital sind langfristig die praktische Vernunft, der Sachverstand und die sichere, umweltfreundliche, wirtschaftliche und insgesamt konkurrenzfähige Technik.
Deutschland will Partner sein für viele Länder. Partnerschaft heißt Gegenleistung und Leistung.Was wir einbringen können, ist Kapital, sind vor allem aber auch die Kenntnisse unserer Facharbeiter, unserer Wirtschaftler, unserer Wissenschaftler, Diese Leistung kann nur dann entstehen, wenn wir alle Bürger unseres Landes mit der Technik aussöhnen. Dies wird gelingen, wenn aller Sachverstand zu ihrer Sicherheit, zu ihrer Weiterentwicklung und zur Prüfung der Alternativen eingesetzt wird. Dies setzt eine sachgerechte, entschlossene, einmütig vertretene Politik derer voraus, die jeweils Verantwortung tragen. Für eine solche Politik sind wir zur Partnerschaft bereit. Eine Regierung, die ihre Pflicht nicht tut, eine Regierung, die nicht tatkräftig regiert, hat uns zum Gegner.
Diese Debatte soll klären, wo die Regierung steht. Deshalb haben wir die Große Anfrage eingebracht, und deshalb legen wir heute dem Hohen Haus unseren Entschließungsantrag vor.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir, die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten in diesem Hause, haben unsere Große Anfrage an die Regierung aus zwei Gründen gestellt: erstens natürlich, weil wir wissen wollten, wie in diesem Augenblick die Bundesregierung zu den Themen, nach denen wir fragen, steht, welchen Wissens- und Erkenntnisstand sie jetzt besitzt und was wir, die wir in diesem Hause die politische Verantwortung unserem Volke gegenüber tragen, an Schlußfolgerungen für jenes ja noch kommende entscheidende energiepolitische Unternehmen, die Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung, ziehen können.Wir, die Sozialdemokraten und die Freien Demokraten in diesem Hause, meinten zweitens, es sei richtig und vernünftig und ein guter Dienst an den 60 Millionen Bürgern unseres Landes, daß wir umgekehrt die Regierung wissen lassen, spüren und erkennen lassen, wie zu den Themen der Anfrage, aber nicht nur dazu, die Haltung der Fraktionen dieses Hauses ist.Wir führen nach unserer Ansicht eine wichtige Debatte. Von der Energiepolitik hängt mehr ab, als wir uns manchmal in der Hektik unserer täglichen Pflichterfüllung eingestehen können und als sich manche in unserem Land auch eingestehen wollen. Wir meinten auch, daß die heutige Diskussion um diese lebenswichtigen Fragen nicht nur für die, in deren Dienst wir unmittelbar stehen, d. h. für die jetzigen Bürger unseres Landes, sondern auch für die, die nach uns kommen, eine wichtige, eine außerordentlich bedeutsame Signalfunktion haben kann und nach unserer Meinung sogar haben soll, damit die vielen gutwilligen und bereitwilligen Menschen in unserem Lande auch jetzt, vor der Fortschreibung des Energieprogramms, eine Orientierung für ihr ganz persönliches Verhalten bekommen; denn davon hängt vieles ab.Es kommt, meine Kolleginnen und Kollegen, heute wie überhaupt in der Energiepolitik zwar natürlich in vorderster Linie, aber nicht nur darauf an, daß man logische, vernünftige, richtige Gedanken und Argumente austauscht. Bei dem Engagement vieler Bürger in unserem Land kommt es, wenn wir unserer Führungsrolle gerecht werden wollen, verehrter Herr Kollege Riesenhuber, sehr darauf an, wie wir unsere Gedanken austauschen und wie wir miteinander umgehen. Falls es uns gelingt — wir Sozialdemokraten rechnen damit, daß es uns gelingt —, über dieses für die Bürger in unserem Land lebenswichtige Thema, wenn schon darüber gestritten werden muß, in nobler Form zu diskutieren, dann wird eine gute Signalwirkung nach draußen gehen und dann werden viele, die sich engagiert haben, sich nicht nur an dem Argument als solchem, sondern, wie wir fest glauben, auch an der Art und Weise orientieren, wie wir einander diese Gedanken und Argumente zurufen. Von den heutigen wie von künftigen energiepolitischen Unterhaltungen und Debatten in diesem Haus kann eine nachhaltig positive Wirkung ausgehen. Unser Beitrag soll sein, daß sie von heute in der Tat ausgeht,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2235
Schmidt
Meine sozialdemokratischen Fraktionskolleginnen und -kollegen begrüßen wie ich die Antworten, die uns die Bundesregierung auf unsere Fragen gegeben hat. Diese Antworten sind — wie wir das Gemälde betrachten — gut, weil sie realistisch und problembewußt sind, weil sie darauf verzichten, spektakuläre Augenblickserfolge einzufahren, und weil sie statt dessen nüchtern und realistisch auf einem logischen wirtschaftlich vernünftigen Weg bleiben. Sie bestätigen uns: Diese Bundesregierung will und wird das Gesetz des Handelns in der Hand behalten.Ich denke, Herr Kollege Riesenhuber, damit kann ich auf mehr Worte über Ihr in der Sache für mich sehr nachdenkenswertes, in der Polemik recht beklagenswertes Referat verzichten.
— Sie brauchen überhaupt keinen Kummer zu haben; bis ich empfindlich werde, sind viele von Ihnen verhungert. Das wird überhaupt nicht passieren. Denn warum sollten diejenigen, die in diesem Haus die Regierung tragen, insbesondere wir Sozialdemokraten, nervös oder empfindlich werden? Dazu gibt es doch weiß Gott bei nüchterner Betrachtung überhaupt keine Veranlassung.
— Ich bin sicher: wenn Sie nachdenken, wird Ihnen das Lachen vergehen.
Diese Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen haben die Energiepolitik in Deutschland überhaupt erst begonnen.
— Wenn Sie fertig sind, fahre ich fort. Oder, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sollte Ihnen schon jetzt aus der Erinnerung geraten sein, daß in der Zeit, als Sie regierten, schon aus einem „einfachen Strukturwandlungsprozeß" von Kohle zu 01 unser Staatswesen in Gefahr geraten war?
— Jetzt müßte ich eigentlich umgekehrt fragen: Warum sind Sie so empfindlich, wenn man an die Geschichte erinnert?
Es wird Ihnen doch überhaupt kein Vorwurf gemacht, daß die Strukturkrise in die Zeit fiel, als Sie regierten. Ihnen muß aber der Vorwurf gemacht werden, jedenfalls den damals in Ihrem NamenHandelnden, daß sie nichtstuend zugeschaut haben, wie sich eine Krise entwickelte.
Lassen Sie uns doch einfach ohne Nervosität darüber sprechen. Ich bin nicht empfindlich, seien Sie es auch nicht.
— Es ist gar nicht unser Wort, verehrter Herr Vogel, es ist gar nicht, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, das Wort eines meiner Freunde, sondern es stammt, wie ich glaube, von Dr. Rainer Barzel, der damals sagte: „Der Rhein bei Bonn hat nicht Wasser genug, um das Feuer zu löschen, was an der Ruhr zu brennen beginnt."
Glauben Sie wenigstens ihm, wenn Sie mir schon nicht glauben wollen. Das verstehe ich zwar; aber es ist nicht gerade geschichtsbezogen.Lassen Sie uns einen Blick in die Geschichte werfen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lenzer, Herr Abgeordneter?
Schmidt (SPD) Aber gerne.
Herr Kollege Schmidt, nachdem wir uns gegenseitig bescheinigt haben, daß wir nicht empfindlich sind, darf ich einen Beitrag zur Auflockerung durch eine Frage leisten: Könnten Sie versuchen, sich bitte endlich einmal über die Namen unserer Kollegen klarzuwerden, nachdem eben der Kollege Dr. Riesenhuber mit Schmidhuber angeredet wurde und jetzt der Kollege Dr. Jenninger mit Vogel, indem Sie einen Blick in das Bundestagshandbuch werfen, bevor wir weiterreden?
Ich bitte Sie, verehrter Herr Kollege, und Sie, verehrter Herr Kollege, herzlich um die Gewährung mildernder Umstände. Ich bin aber sicher,
daß Sie wie er gewußt haben, mit wem ich rede.
Wenn das geklärt sein sollte — das ist ja ein wichtiger energiepolitischer Beitrag, den Sie da leisten —,
dann lassen Sie uns unseren Gang durch die Geschichte fortsetzen. Das ist ein wichtiger Punkt, auch für uns und nicht nur an diesem Tage. Die meisten von unseren Kolleginnen und Kollegen haben doch die Tage miterlebt — Herr Riesenhuber und ich ganz sicher nicht —: 8 November 1967, Große Koalition. Jetzt werden Sie ja sicherlich friedlich bleiben, denn da haben Sie ja mitregiert. Der Eintritt
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2236 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Schmidt
der Sozialdemokraten in die Bundesregierung bewegte gesetzgeberisch die Energiepolitik. Die Kolleginnen und Kollegen haben seinerzeit den Gesetzentwurf zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlenbergbaus beraten, ein für die damalige Zeit außerordentlich wichtiger energiepolitischer Vorgang, initiiert und bewegt — ich denke, das darf man mit Stolz sagen — von den neu in die Regierung eingetretenen Sozialdemokraten. Wir haben, nicht allein, sondern mit anderen im Hause und natürlich auch mit der Wirtschaft, die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß auf der größten zusammenhängenden europäischen Steinkohlenlagerstätte an der Ruhr am Ende des 20. Jahrhunderts eine den Verhältnissen, die der Herrgott unter Tage geschaffen hat, angepaßte Organisation zustande kommt, die so rationell und so kostengünstig wie möglich unser kostbares Gut Kohle abbauen kann. Wir haben darüber hinaus mit diesem Gesetz und mit anderen Maßnahmen neue Möglichkeiten für die Strukturpolitik eröffnet, die die Steinkohlenreviere in Deutschland durch die Strukturveränderungen im Bergbau nicht zu Schaden kommen ließen.Zweite Regierungserklärung von Willy Brandt: Das war die erste Regierungserklärung, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der eine energiepolitische Gesamtkonzeption gefordert wurde.
Sehr bald danach, nämlich am 26. September 1973, haben wir in diesem Hause das erste Energieprogramm der Bundesregierung debattiert. Es lohnt sich, nicht nur hieran zu denken, meine Kolleginnen und Kollegen; ich denke, es ist wert, in die Erinnerung gerufen zu werden: Dies ist in vernünftiger, führungsbewußter, vorausschauender Verantwortung geschehen, längst vor der Energiekrise im Oktober 1973.Wir alle waren froh — nicht nur wir hier, auch die Menschen in unserem Lande —, daß wir, als das Ereignis am 17. Oktober 1973 über uns kam, wohl als einziges europäisches Land ein Instrumentarium in der Schublade hatten, das erste Energieprogramm, das die Bundesrepublik Deutschland, unser Vaterland, hatte. Das, meine Damen und Herren, nenne ich nicht, kann ich nicht, verehrter Herr Kollege Riesenhuber, Verzicht auf die Führungsverantwortung nennen. Dies nenne ich und, denke ich, müssen alle nennen: kluge, selbstbewußte, vernünftige Vorsorge für den Fall, der dann, leider Gottes, zu früh eingetreten ist. Kein Land Europas ist mit den schlimmen Folgen der Ölkrise vom Oktober 1973 so schadlos für seine Bürger fertig geworden wie die Bundesrepublik Deutschland
unter der Führung der sozialliberalen Bundesregierung und der sie tragenden Parteien in diesem Hause.
— Das können Sie halten, wie Sie wollen. Ich sage Ihnen: Sie klittern die Geschichte, wenn Sie solche Bemerkungen machen. Schade, daß sie nicht jeder hören kann.
Auch wenn der politische Gegner der Initiator von Erfolgen ist, sollten wir nicht nur deswegen, meine ich, Erfolge zu Niederlagen zu machen versuchen, weil wir uns nicht selbst die Feder des Verursachers an den Hut stecken können. Das ist für die Bürger in unserem Lande nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage für sie ist: Ist und wird alles in guter und richtiger Vorausschau, Vor- und Fürsorge von heute für die Zukunft getan?
Wir haben am 23. Oktober 1974 dann als Antwort auf die Energiekrise, auf die Ölkrise die erste Fortschreibung unseres jungen Energieprogramms vorgenommen. Wir haben den Mineralölanteil herabgesetzt, wir haben neue, zuverlässige und sichere Positionen für die deutsche Kohle, insbesondere die Steinkohle, geschaffen, wir haben die beschleunigte Nutzung von Erdgas, Braunkohle und Kernenergie in der Fortschreibung vorgesehen, wir haben die verstärkte Energieeinsparung durch rationellere Nutzung von Energie in unser Programm geschrieben, wir haben neue Prioritäten insbesondere für die Energieforschung geschaffen, und wir haben eine wesentliche Verbesserung der Krisenvorsorge durch eine höhere Bevorratung in der ersten Fortschreibung unseres Energieprogramms vorgenommen und damit die Konsequenzen aus der Ölkrise gezogen.Dazu kommen eine Reihe weiterer gesetzgeberischer Maßnahmen, die, initiiert von den Koalitionsfraktionen oder von der Bundesregierung, vom Deutschen Bundestag nicht selten — Gott sei Dank, sage ich — einstimmig verabschiedet worden sind.Wir haben aber auch zu beobachten, meine Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, daß energiepolitische Probleme heute vor allem im Zusammenhang mit der Frage der Kernenergie und den Problemen des wirtschaftlichen Wachstums in der Öffentlichkeit eine sehr breite Diskussion einnehmen. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen markiert in der allgemeinen energiepolitischen Debatte eine wichtige Zwischenstation auf dem Weg zur zweiten Fortschreibung unseres Energieprogramms, die noch in diesem Jahr ansteht. Wir werden zu gegebener Zeit und aus diesem Anlaß erneut die Möglichkeit haben, uns durch die Erfahrungen der ersten Fortschreibung klüger zu machen.Energiepolitik der Zukunft ist in ihrer engen Verbindung mit Fragen des wirtschaftlichen Wachstums, der sozialen Sicherheit und damit der Funktionsfähigkeit unseres Staates ohne jede Übertreibung ein fundamentaler Bestandteil unseres politischen Handlungsrahmens geworden. Weil wir diese Bedeutung erkennen und wissen, wie entscheidend die Bereitstellung ausreichender Energie für die Zukunft sein wird, sollten wir unsere Fähigkeiten wie
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2237
Schmidt
auch unsere Möglichkeiten für eine zuverlässige und objektive Debatte nutzen, meine Kolleginnen und Kollegen.Meine Damen und Herren, mit der Großen Anfrage zur Energiepolitik will meine Fraktion nicht nur ein Auskunftsrecht gegenüber der Bundesregierung wahrnehmen. Wir wollen Ansatzpunkte bekommen, die uns, die politischen Mandatsträger, in den Stand setzen, Entscheidungsgrundlagen für unser Handeln zu finden. Damit gibt es für meine politischen Freunde eine Fortsetzung energiepolitischer Sach- und Fachgespräche auf der Parlamentsebene.Im April dieses Jahres haben wir, die Mitglieder der SPD, in Köln einen energiepolitischen Kongreß veranstaltet, auf dem in aller Öffentlichkeit von Mitgliedern unserer Partei, von Fachleuten aus den Gewerkschaften, den Bürgerinitiativen wie der Wirtschaft und der Wissenschaft diskutiert werden konnte. Auf diesem Kongreß ist mehr als eines deutlich geworden, aber in jedem Fall dies: Wer auch immer welchen Standpunkt in die Debatte einbrachte und vertrat, — aus dem Blickfeld konnte bei niemandem geraten, daß in der Bundesrepublik Deutschland, in unserem Vaterland, die Weichen für eine gute Entwicklung unserer Energiewirtschaft seit langem gut gestellt sind. In Köln hat sich allerdings auch gezeigt, daß wir alle noch sehr viel tun müssen, um die Bürger zu überzeugen, damit wir ihre Zustimmung für notwendige energiepolitische Entscheidungen bekommen. Und eben gerade dies ist so außerordentlich schwierig, weil es nicht einmal unter den Fachleuten oder den sogenannten Fachleuten, nicht einmal unter den Wissenschaftlern ein ganz einmütiges Urteil, einen ganz einmütigen Rat gibt. Wir, die Sozialdemokraten, stellen mit sehr stolzem Selbstbewußtsein fest, daß wir in unserem Lande bisher die erste und bis jetzt die einzige Partei sind, die sich so öffentlich, wie wir das in Köln getan haben, den Rat von vielen erbittend, um den rechten Weg zum richtigen Ziele bemüht.
Ihr Leistungsnachweis, meine Damen und Herren, steht in diesem Kapitel noch aus.
Sie haben die gute Gelegenheit, ihn heute zu erbringen. Daß Sie das versuchen wollen, dessen bin ich sicher. Ich hoffe für Sie, es gelingt Ihnen.
Viele Organisationen und Verbände haben sich ebenfalls dieser gewiß recht schwierigen Aufgabe gestellt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich wie der Bundesverband der Deutschen Industrie, viele Einzelgewerkschaften und viele einzelne Arbeitgeberorganisationen, viele Bürgerinitiativen und viele andere Vereinigungen mit dieser wichtigen Frage beschäftigt. Ich halte das Papier, das es seit Anfang April dieses Jahres gibt, das der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes für die 16 in ihm vereinigten Gewerkschaften und damit für mehr als 7 Millionen Arbeitnehmerbeschlossen hat, für außerordentlich wichtig und richtig. Ich halte es in seiner Klarheit und in seiner Ausgewogenheit für beispielhaft, weil es deutlich macht, wo die Arbeitnehmer in unserem Lande stehen und was ihr, der Arbeitnehmer, Anliegen ist. Dies ist von der Sache her zu begrüßen. Es ist aber auch deswegen zu begrüßen, weil damit manchem im Lande, dem bisher das Erlebnis der Arbeit erspart geblieben ist, der aber die Formel von der Arbeit und dem Arbeiter häufig benutzt und nicht selten mißbraucht, der Wind aus den Segeln genommen ist, wenn er behauptet, daß ein anderer als die Arbeitnehmer selbst für sie reden.
Für einen ähnlichen Weg hat sich die Bundesregierung bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage entschieden, in der sie die Zusammenhänge zwischen einer leistungsfähigen Energiewirtschaft, Fragen des Wachstums, der Sicherheit der Arbeitsplätze und dem Streben nach mehr Lebensqualität aufzeigt. Ich begrüße das namens meiner Fraktion ausdrücklich. Diese Zusammenhänge lassen erkennen, daß Energiepolitik unserer Zeit in gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Dimensionen konzipiert und durchgeführt werden muß.So gesehen, meine Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, können die einzelnen Antworten der Bundesregierung nichts Endgültiges sein. Ich glaube, sie erheben auch nicht den Anspruch darauf, so etwas sein zu wollen. Aber sie können und werden den Klärungsprozeß, in dem wir uns befinden und in dem wir miteinander diskutieren, deutlicher ausleuchten. Für meine Fraktion liegt die Bedeutung der Regierungsantworten in erster Linie in dem konsequenten Versuch, für die Bundesrepublik, für unser Vaterland vielfältige energiepolitische Optionen zu schaffen und zur rechten Zeit zu nutzen. Da geht es z. B. um die Erforschung und Erprobung neuer Technologien, um Energieeinsparung in den verschiedensten Bereichen, um die Nutzung heimischer Energien als Sicherheitsgarant für die kontinuierliche Versorgung sowie die Abstimmung auf dem Gebiete der internationalen Energiepolitik, besonders auf europäischer Ebene.Meine Damen und Herren, für viele in unserem Lande liegt die Definition des Wohlstandsbegriffs nicht nur oder nicht mehr in einem Höchstmaß materieller Bedürfnisbefriedigung. Maßstäbe für den Wohlstand sind heute ebenso der Zustand unserer Umwelt, unsere Gesundheit, die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit oder der dauerhafte soziale Friede in unserem Lande. Erst in sinnvoller Kombination solcher Werte ist es möglich und wird es auch weiterhin möglich sein, die Bundesrepublik in ihrer stabilen Währung als einen hohen Garanten demokratischer Stabilität zu festigen.
Ich würde mir wünschen, dies ließe sich mit solcher Gelassenheit und ohne jede Übertreibung für mehr europäische Länder und Staaten aussprechen.
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2238 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Schmidt
Für uns Sozialdemokraten ist Wachstum kein Selbstzweck. Wir sind auch nicht daran interessiert, selbst wenn man uns manchmal diese Plakette ankleben möchte, Wachstumsfragen als die gesellschaftspolitische Gewissensfrage hochzustilisieren. Aber wir bekennen uns zu einem wirtschaftlichen Wachstum, das an qualitativen Maßstäben orientiert sein muß, weil Wohlstand für die große Mehrheit der Bevölkerung von der materiellen Entfaltungsfreiheit abhängt.
Die Lösung der aktuellen und zukünftigen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Sachprobleme setzt Wachstum voraus. Wachstumsbeschränkungen oder gar ein „Nullwachstum" frieren die bestehenden sozialen Besitzstände ein und bestrafen die Menschen, denen die besondere Fürsorge meiner Partei und meiner Fraktion gehört.
Ich jedenfalls, meine Kolleginnen und Kollegen, will im Interesse der arbeitenden Menschen keine Schwächung unserer Wirtschaft. Ich will auch nicht, daß unser soziales Gefüge, auf das wir stolzer sein könnten, als wir es in der Tat sind, zusammenbricht.
Um diese oder eine ähnliche Entwicklung zu verhindern, treten wir für Wachstum als Ziel der Wirtschaftspolitik ein. In diesem Sinne werden wir die Energiepolitik in den gesamtwirtschaftlichen Datenkranz einbinden, wie es die Bundesregierung bei der Beantwortung unserer Fragen getan hat.Das Wachstum des Sozialprodukts wird nicht immer die gleichen Zuwachsraten wie in den Aufbaujahren haben können. Wir brauchen auch nicht vom ewigen Wachstum oder so etwas Ähnlichem zu reden, weil wir heute schon erkennen können, daß uns die Begleiterscheinungen möglicherweise die Wachstumserfolge verleiden. Ich denke, nicht nur ich, sondern viele von uns haben die Studie gelesen, die es in den Vereinigten Staaten von Amerika gibt
und die aussagt, daß, würde man die bisherigen Stromzuwachsraten hochrechnen, im Jahre 2100 die ganzen Vereinigten Staaten nur noch aus Kraftwerksblöcken bestehen würden.Kurz- und mittelfristig brauchen wir Wachstum, um mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden. Wir, die Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag, begrüßen die deutliche Aussage, daß die Bundesregierung ein Wachstum sichern will, das insbesondere die nachhaltige Verbesserung der Arbeitsmarktlage bewirken soll.Wachstum und Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik sind ohne steigenden Energieverbrauch nicht denkbar. Sie sind ohne dies nicht möglich. In den zurückliegenden Jahren wuchs der Energieverbrauch fast parallel mit dem Anstieg des Bruttosozialprodukts — ein Phänomen, das nicht mehr aufdie Zukunft übertragbar ist. Wir sind uns mit der Bundesregierung und den großen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten einig, daß eine deutliche Lokkerung in der Relation zwischen dem Bruttosozialprodukt und dem Primärenergiebedarf bis 1985 und ganz sicher auch danach abzusehen ist.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier einige Worte zu einem Thema sagen, das — jedenfalls nach meiner Philosophie — wegen seiner Vielschichtigkeit, aber auch wegen der direkten Einwirkungen auf die Verbraucher und ihre Gewohnheiten vorsichtig behandelt werden sollte. Ich rede vom Kapitel „Energie einsparen". Hätten wir hier miteinander nicht schon Gesetze gemacht, die diesen Namen tragen, würde ich heute sehr darum ringen, daß wir eine andere, richtigere Formel finden, um den gleichen Tatbestand zu treffen. Es geht in Wahrheit nämlich um die Beendigung der unverantwortbaren Energieverschwendung in unserem Lande.
Ich fürchte, daß wir mit dem Sparbegriff manchem die Freude an dem verleiden, was wir eigentlich erreichen wollen. Dennoch bleibt das Sparen von Energie in unserem Lande und seinen historisch gewachsenen Strukturen, die man selbst dann nicht verändern kann, wenn man sie verändern möchte, eine der wenigen Möglichkeiten, in eine bessere Energiebilanz zu kommen. Aber in unserem Lande reagieren weder die Menschen noch ihre Einrichtungen auf Druck, sondern sie reagieren nach eigener Entscheidung auf Sog. Daher muß über das erwartete Ergebnis der möglichen Energieeinsparungen sehr sorgfältig nachgedacht werden. Sparen, auch Energie sparen läßt sich nicht durch einen Beschluß in diesem Hause oder anderswo verordnen, läßt sich nicht durch Druck auf einen Knopf auslösen. Beim Sparen brauchen wir die Einsicht aller rund 60 Millionen Bürger, damit sie freiwillig und die Sache erkennend ihre Verhaltensweisen möglicherweise ändern.Sparen ist aber deswegen so bedeutsam, weil zirka 40 0/o der Energie auf die Raumheizung verwandt werden. Wir haben miteinander zu überlegen und wahrscheinlich länger darüber zu reden, ob die Raumtemperaturen nun unbedingt und ausschließlich, wie es bisher jedenfalls weitgehend der Fall war, durch das Offnen und Schließen der Fenster reguliert werden müssen und ob es nicht andere Möglichkeiten gibt. Ich wollte Sie bitten, mit mir, mit allen darüber nachzudenken, was man jetzt, in unserer Zeit, realistischerweise als Bilanzergebnis einsetzen darf.
— Ich weiß nicht, wo der Zwischenruf herkam. Wenn er für mich gemeint gewesen sein sollte, will ich bekennen: Sie haben keine Ahnung von mir!
Meine Damen und Herren, andere Stichworte in diesem wichtigen Kapitel wie beispielsweise Einfluß über die Energiepreise, um den Knappheitsgrad wiederzugeben, oder Verstärkung energiesparender Elemente in den Stromtarifen oder Kraftfahrzeugbe-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2239
Schmidt
steuerung müssen realistisch ausgelotet werden. Auch hier wollen und werden wir mithelfen, nach einer kritischen Prüfung eine wirksame Therapie mitzugestalten. Aber diese Sachverhalte sind äußerst kompliziert und nicht konfliktfrei. Wir werden dies jedenfalls bedenken.Im übrigen sind wir, was den internationalen Vergleich betrifft, ein gutes Stück weiter als andere Länder. Wir verbrauchen je Kopf der Bevölkerung weniger Energie als der Durchschnitt der Mitgliedsländer der Internationalen Energieagentur. Bei etwa gleichem Lebensstandard verbrauchen die Amerikaner rund doppelt soviel Energie pro Kopf der Bevölkerung wie wir. Der amerikanische Präsident wird es nicht leicht haben, seine neue Energiepolitik durchzusetzen. Wir sollten nicht verkennen, wir sollten nicht daran vorbeisehen, daß wir, was den Gebrauch und den Verbrauch von Energie angeht, ein gutes Stück weiter sind als andere.Naturgemäß ist der Energieverbrauch in einer Volkswirtschaft sehr eng mit der industriellen Struktur verknüpft. Programme zur Einsparung von Energie müssen Rücksicht auf diese Strukturen nehmen, weil unser Land mit seiner Wirtschaft und den von ihr abhängigen beschäftigungsmäßigen Auswirkungen auf Massenproduktionen nicht verzichten kann. Der Übergang zu Produktionsstufen höherer Technologien ist aus sehr verschiedenen Gründen bereits vorprogrammiert. Aber, meine Kolleginnen und Kollegen, ich jedenfalls möchte nicht, daß bald Aluminium nur noch in Kanada und Stahl nur noch in Australien produziert werden kann.
Eine konkrete, unmittelbare Chance, Energie zu sparen, liegt in der zügigen Förderung von Wärme-Kraft-Koppelung und im Ausbau von Fernwärmeschienen vor allem in den Ballungszentren. An der Ruhr ist ein erster Anfang gemacht worden, der hier wie anderswo auch bei erkannten Schwierigkeiten fortgeführt werden muß.Jedenfalls wird meine Fraktion, werden die Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag die Bemühungen der Bundesregierung unterstützen. Der Wille zur Energieeinsparung muß, ohne den Blick für die Realitäten zu verschließen, jene Möglichkeiten sehen und nutzen, die eine rationellere Energieverwendung ohne Einbuße an Lebensqualität für den einzelnen Bürger bewirken. Dieser Weg fordert eben jenes gute und rechte Augenmaß, von dem ich eben gesprochen habe.In dem Kräfteverhältnis zwischen erfolgreicher Energieeinsparung und höherem Energiebedarf, werden wir, so wie ich die Entwicklung sehe, keinen Ausgleich zustande bringen. Weitere Rationalisierungsbemühungen in der Wirtschaft, der Abbau der schweren körperlichen Arbeit wie auch die Verbesserung des Umweltschutzes gestalten eine moderne und umweltfreundliche Produktion mit einem höheren Energiebedarf.Die Wärmepumpe, die ich wegen ihrer vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten für eine erstrebenswerte Energietechnologie halte, sowie die WärmeKraft-Koppelung werden helfen, 01 und Gas einzusparen. Sie erfordern aber mehr Strom zu ihrem Betrieb.
Das gilt beispielsweise auch für eine wirksame Abgasreinigung und eine funktionierende Rauchgasentschwefelung. Hier wird erkennbar, daß der Trend zu einer höheren Stromproduktion vorgezeichnet ist. Diese Umstellung schafft aber auch unvermeidbare Angriffspunkte für eine Schwächung der Wirtschaftstätigkeit und für mögliche Gefährdungen unserer wirtschaftlichen und politischen Stabilität — Stichwort: Kernenergie. Ich werde später noch darauf zurückkommen.Die Sicherstellung unserer langfristigen Energieversorgung muß grundsätzlich durch die Inanspruchnahme der gesamten Energiepalette erreicht werden. Bei der Festlegung dieses Spektrums durch Regierung und Parlament stehen wir gemeinsam vor der Verantwortung, die Grundvoraussetzungen für ein Leben in gesicherten sozialen Verhältnissen überzeugend und spürbar, d. h. erlebbar zu schaffen.Eine dieser Grundvoraussetzungen ist die zuverlässige Versorgung mit Energien auf lange Sicht 01 und Gas als Primärenergieträger sind politischen Handlungen und Absichten unterworfen, auf die wir keinen oder nur einen geringen Einfluß haben. Trotz vieler Bekenntnisse von den Regiepulten der Erdölproduzenten bleibt das 01 ein unzuverlässiger Partner, auf den wir uns nicht verlassen können. Die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland kann auf 01 nicht verzichten. Wir würden mit dem Verzicht in einen Wettbewerbsrückschlag kommen. Wir müssen aber die Tatsache der Unzuverlässigkeit dieses bedeutenden Energieträgers sehen. Ich habe da meine Sorgen, weil ich an dem Kräfteverhältnis zwischen der politischen Forderung: „Weg vom 01" und dem Marktgeschehen keine Übereinstimmung erkennen kann. Jedenfalls ist in der Bundesrepublik Deutschland der Anteil des Öls im Jahre 1976 wieder auf 53 % angestiegen.Auch die Steigerung des Verbrauchs von Erdgas sollte mit aller gebotenen Vorsicht eingeplant werden. Erdgas ist heute schon im wesentlichen eine Importenergie mit allen erdenklichen Risiken. Wenn mehr Erdgas eingesetzt werden muß, dann kommen für den Mehreinsatz meines Erachtens nur Haushalte oder aber die chemische Industrie in Frage. Deshalb ist uns, den Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag, der Grundsatz im Energieprogramm, daß auch in Zukunft keine Genehmigung für den Bau von Öl- und Erdgaskraftwerken erteilt werden, so außerordenlich wichtig.Weil die fossilen Energieträger nie mehr erneuerbar, zudem 01 und Gas schon in zirka 30 Jahren weitgehend erschöpft sind, müssen unsere technologischen Aktivitäten zwangsläufig auch auf die sogenannten regenerativen Energieträger wie Sonnen-, Wind- und geothermische Energie konzentriert werden. Dies ist auch dann wichtig und nötig, wenn wir von heute auf morgen keinen Erfolg verzeichnen können. Der Fortschritt ist immer eher in kleinen Schritten als in großen Sprüngen erreicht worden. Das ist auch für die Energieforschung richtig.
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2240 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Schmidt
Aber auch bei der Nutzung der Kernspaltung liegen noch wichtige Forschungsaufgaben vor uns, ohne deren Lösung wir eine weitere Entwicklung der Kernenergie für aussichtslos oder für unverantwortlich halten. Die Tatsache, daß sich die bedeutendsten deutschen Elektrizitätsversorgungsunternehmen am Hochtemperaturreaktor beteiligen wollen, ist ein Schritt zur großtechnischen Realisierung. Was den Schnellen Brüter betrifft, sind wir von diesem Punkt noch weit entfernt, wenn die notwendigen Sicherheitsvorschriften beachtet werden sollen. Auch der Nachweis einer betriebssicheren Wiederaufbereitungsanlage, deren Baugenehmigung nach meiner persönlichen Überzeugung v o r neuen Entscheidungen für Kernkraftwerke liegen muß, macht noch erhebliche Forschungsanstrengungen notwendig.Nach wie vor sind unsere Steinkohlenvorkommen unsere bedeutendsten energiepolitischen Sicherheitspfeiler. Die derzeitige Situation, daß mehr Kohle gefördert als verbraucht wird, daß die Arbeitnehmer Kurzarbeit verfahren, darf nicht daran vorbeitäuschen, daß die Kohle weltweit wie national als Energie- und Rohstoffanbieter eine steigende Rolle spielen wird. Der Steinkohlenbergbau unseres Landes und mit ihm seine Beschäftigten richten sich auf diese größere Aufgabe ein.Die überragende Bedeutung der deutschen Steinkohle für eine gedeihliche langfristige Entwicklung in unserem Lande liegt aber in der Tatsache, daß es keinen anderen Rohstoff gibt, aus dem die Nachfolge- und Ersatzenergien für 01 und Gas gewonnen werden können. Die Kohle muß uns als chemischer Rohstoff zur Verfügung stehen und zu flüssigen und gasförmigen Brennstoffen verarbeitet werden. Zur wirtschaftlichen Gestaltung der Kohlevergasung brauchen wir die Kernenergie; denn es wäre eine nach meinem Dafürhalten unvertretbare Verschwendung, wenn man dann, wenn die Kohle noch kostbarer geworden ist, sie zur Erzeugung von Prozeßwärme verwenden würde.In der Kooperation zwischen Bergbau und Stromwirtschaft ist ein entscheidender Durchbruch erzielt worden. Meine Fraktion hat mit großem Interesse das Engagement der Verantwortlichen in der Bundesregierung und in den Ressorts zur Kenntnis genommen, auf Grund dessen der privatrechtliche Vertrag über die zehnjährigen Kohlenlieferungen an die Elektrizitätswirtschaft zustande gekommen ist. Ich bin ganz fest überzeugt, daß mit diesem Schritt eine Aufgabe gelöst worden ist, die wir schon in wenigen Jahren als ein gutes Beispiel vorsorglicher Aktivitäten für unsere energiewirtschaftliche Weiterentwicklung anerkennen werden.
Ich möchte zugleich im Namen meiner politischen Freunde denen danken, die für die Bundesregierung diese schwierige Arbeit geleistet und kooperativ mit an sich widerstrebenden Interessenvertretern der Bergbau- und Energiewirtschaft so verhandelt haben, daß am Ende die Einsicht in die Richtigkeit und in die Notwendigkeit des Vertrages obsiegte.Hier ist wohl nicht ein einziges Mal von der Marktwirtschaft gesprochen worden. Hier ist aberein entscheidender Beitrag zur Erhaltung marktwirtschaftlicher Mechanismen im Rahmen des gesamten Datenkranzes geleistet worden. Es ist besser, nicht von den Dingen, die gut und richtig sind, zu reden; es ist besser, sie in lebende wirtschaftliche Wirklichkeit zu verwandeln. Das haben die für die Regierung Tätigen in diesem Falle in sehr eindrucksvoller Weise getan.So ergibt sich, daß wir jetzt schon durch Unternehmens- wie energiepolitische Entscheidungen die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, daß die erforderliche Bergbaukapazität dann zur Verfügung steht, wenn wir sie brauchen. Das ist eine der zentralen Aufgaben unserer Energiepolitik. Ich bin dankbar, daß sowohl aus den Grundlinien und Eckwerten der Bundesregierung vom März dieses Jahres wie aus den Antworten zu unseren Großen Anfragen deutlich geworden ist, daß das von der Bundesregierung ganz genauso gesehen wird. Es kann für unser Land nur gut sein, wenn alle im Lande, insbesondere die in der Bergbauwirtschaft Beschäftigten, wissen, welchen Stellenwert die Bundesregierung ihrem Wirtschaftsbereich im energiepolitischen Kranz einräumt.
Unser leistungsfähiger Steinkohlenbergbau erlaubt es uns zur Zeit auch, meine Kolleginnen und Kollegen, neben der Gewährleistung seines energiepolitischen Sicherheitsbeitrags die durch Einsprüche und andere Verzögerungen beim Ausbau von Kernkraftwerken eingetretenen Lücken zu schließen, allerdings auf begrenzte Zeit. Dabei ist erforderlich, daß neue Steinkohlenkraftwerke gebaut werden, die weit über den Rahmen des alten 6 000-MW-Programms hinausgehen. Es bleibt auch schwer zu verstehen, meine Damen und Herren, meine Kolleginnen und Kollegen, daß just in unserer Zeit, in der wir uns so viel Mühe geben, die Umwelt lebenswerter zu gestalten, so viel alte Kohlekraftwerke die Umwelt belasten, wo wir die Chance hätten, neue, umweltfreundliche aufzubauen.
Unsere Bitte an die Bundesregierung ist, in diesemSinne initiativ, kreativ und aktiv tätig zu bleiben.Hier läßt sich auch gut das Bedürfnis von Regionen in energiepolitische Gesamtplanungen einbeziehen. Wir Sozialdemokraten in diesem Hause begrüßen die Initiative des Landwirtschaftsministers von Nordrhein-Westfalen, Dr. Riemer, sehr, mit einem Kreise von unmittelbar Beteiligten eine, wie er sie nennt, Ibbenbüren-Konferenz durchzuführen, an deren Ende der Neubau eines umweltfreundlichen Kohlekraftwerks auf der nördlichsten Steinkohlenlagerstätte im Tecklenburger Land bei Ibbenbüren stehen sollte.
Hier würden sich mehrere Fliegen mit einer Klappeschlagen lassen. Die bestehenden Hindernisse, die
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2241
Schmidt
man weder verniedlichen noch verschönern darf, sind ausräumbar.Ich möchte zusammenfassen und feststellen: Erdöl und Erdgas werden schon am Ende des nächsten Jahrzehnts nicht mehr in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Neue Verfahren zur Bereitstellung von Energie, etwa die Kernfusion, werden dann noch nicht anwendungsreif oder, beispielsweise die Sonnenenergie, zur Stromerzeugung in Mitteleuropa aus sehr vielfältigen und prinzipiellen Gründen nicht ausreichend nutzbar sein. Der Einsatz der heimischen Steinkohle zur Primärenergieversorgung wird eine wachsende Bedeutung erlangen, kann allein allerdings niemals den Bedarf der Bundesrepublik decken.Daraus, meine Kolleginnen und Kollegen, folgt: Auf den Einsatz von Kernenergie kann nicht verzichtet werden.
Gegner wie Befürworter dieser Feststellung stehen vor der zur Zeit noch unbeantworteten Frage, oh die Voraussetzungen für eine funktionierende Wiederaufbereitung und sichere Endablagerung der abgebrannten Brennelemente sachgerecht und fristgerecht geschaffen werden können.
Ich persönlich, meine Kolleginnen und Kollegen, halte die Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes, vor der Erteilung der Baugenehmigung für die Wiederaufbereitungsanlage keine Baugenehmigung für neue, jetzt in der Planung befindliche Kernkraftwerke mehr zu erteilen, für klar, für präzise und für richtig.
Nach der uns gegebenen Antwort haben sich die Positionen der Bundesregierung und des Deutschen Gewerkschaftsbundes einander angenähert. Ich wünsche unserem Lande sehr, daß die heutige Diskussion dazu beiträgt, daß auch andere Standpunkte einander näherkommen.Aus zwei für mich bestimmenden Gründen müssen begonnene Vorhaben zu Ende geführt werden: erstens damit die Beschäftigung der vielen tausend hochqualifizierten Arbeitnehmer, die in der Planung, in der Entwicklung, im Bau und im Betrieb von Kernkraftwerken tätig sind, gewährleistet bleibt; zweitens damit Exportchancen nicht zerstört werden.Aus der Gesamtschau, meine Kolleginnen und Kollegen, ziehe ich dieses Fazit: Unsere Energieversorgung läßt sich nur auf der Basis einer Strategie sichern, in der Kohle und Kernenergie gleichzeitig und gemeinsam ihre Rolle haben. In diesem Rahmen gebieten mir die Lebensgewohnheiten und -erwartungen unserer Bürger und, so meine ich, erlauben mir energiepolitische und technologische Zusammenhänge die Feststellung: So wenig wie möglich Kernenergie, aber zu der, die wir brauchen, müssen wir uns auch bekennen. Ein solches Konzept kann meines Erachtens mit dem Vertrauen der Bürger in unserem Lande rechnen und ihre Zustimmung finden.Wir Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag ermuntern die Bundesregierung sehr, wie bisher auf nationaler, auf supranationaler und auf internationaler Ebene kreativ, initiativ und aktiv tätig zu bleiben. Wir ermuntern Sie, meine Damen und Herren der Bundesregierung, sich nicht durch die Schwierigkeiten irritieren zu lassen, die sich gelegentlich insbesondere im supra- und im internationalen Bereich einstellen. Ich denke, Ihre und unsere Argumente sind logisch und richtig und werden sich durchsetzen.Alle Menschen in unserem Lande sollen wissen: Wir Sozialdemokraten, die wir ein Stück der Verantwortung gern und freiwillig tragen, machen uns die Gestaltung der Energiepolitik nicht leicht. Wir haben Sorgen. Alle sollen wissen, daß wir uns im Dienste unserer Wähler und Bürger, aber auch derer, die nach uns kommen, der Lösung dieser schweren Aufgaben stellen. Und alle sollen wissen, daß wir uns von niemandem und durch nichts auf unserem Wege irritieren oder von ihm abbringen lassen wollen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist heute morgen in der Debatte schon auf die entscheidende Frage der Bürger unseres Landes hingewiesen worden, nämlich auf die Frage, ob die Anliegen dieser Bürger und die sie bedrängenden Fragen auch von den politischen Repräsentanten — und dies ist das Parlament, ist dieses Hohe Haus — erkannt und vertreten werden. Dies zeigt sich ganz besonders deutlich an der Entwicklung und den Diskussionen um die Fragen der Energiesicherung und insbesondere um die Fragen der Kernenergie.Die Sicherung der Energieversorgung einerseits und die Umweltbeeinträchtigung beim Einsatz und Verbrauch von Energie, insbesondere aber die Fragen zur Nutzung der Kernenergie und zu den damit verbundenen Risiken andererseits haben auf breitester Grundlage zu öffentlicher Diskussion, zu Diskussionen innerhalb gesellschaftlich relevanter Gruppen — auch innerhalb von Bürgerinitiativen —, aber auch innerhalb der Parteien geführt. Damit ist diese Diskussion aufs neue in die Parlamente hineingetragen worden. Dabei ist in jüngster Zeit festzustellen, daß die Situation durch eine starke Sensibilisierung auch der breiten Öffentlichkeit gekennzeichnet ist.Ich stelle für meine Fraktion fest, daß es dringend geboten ist, zu abschließenden grundsätzlichen Entscheidungen in den Fragen der Energiepolitik zu kommen, die mit der notwendigen Abgewogenheit der Interessen und unter Berücksichtigung der Komplexität des hier und heute in der Debatte anstehenden Problembereichs zu treffen sind.
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2242 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr.-Ing. LaermannVon einem sehr hohen Niveau des Lebensstandards in den Industrienationen aus, das erst durch die Nutzung technologischer Entwicklungen möglich wurde, werden heute in der öffentlichen Auseinandersetzung vielfach Notwendigkeit und Vertretbarkeit des technologischen Fortschritts in Frage gestellt, ohne daß man sich in vollem Umfang über die Folgen im klaren ist.Andererseits muß seitens der parlamentarischen Gremien wie auch der darin vertretenen Parteien selbstkritisch erkannt werden, daß sie sich offenbar nicht rechtzeitig mit den drängenden Fragen der Bürger in unserem Land auseinandergesetzt und nicht deutlich genug diese ungelösten Probleme im Zusammenhang in einer allgemein für den Bürger verständlichen Sprache — nicht in der Sprache der Spezialisten — dargestellt haben.Es ist Aufgabe des Parlaments, die Diskussion draußen, die sich entwickelt hat, zu versachlichen und den grundsätzlichen Zielkonflikt zwischen der Sicherung der Energieversorgung und der Erhaltung einer intakten Biosphäre und Umwelt aufzulösen.Deshalb haben die Koalitionsfraktionen ihre Große Anfrage zur Erarbeitung und Abstimmung ihrer Standpunkte insbesondere im Hinblick auf die anstehende zweite Fortschreibung des Energieprogramms eingebracht, zu der die Regierung nun ihre ausführlichen Antworten vorgelegt hat.Zu einem Einwand des Kollegen Riesenhuber möchte ich feststellen, daß die die Regierung tragenden Fraktionen dieses Hauses selbstverständlich ihre Kontrollfunktion auch gegenüber der eigenen Regierung wahrzunehmen haben.
Es ist eine unbestrittene Aufgabe der Bundesregierung, das Energieprogramm fortzuschreiben und den Entwicklungen, insbesondere den wirtschaftlichen, anzupassen. Dies ist als eine permanente Aufgabe der Bundesregierung aufzufassen. Aber keinesfalls kann und darf das Energieprogramm etwa als ein Fünf- oder Zehn-Jahres-Plan verstanden werden. Dies würde unseren liberalen wirtschaftlichen Vorstellungen nicht entsprechen. Daher ist nachdrücklich zu unterstreichen, daß — wie die Bundesregierung in ihrer Antwort darlegt — in der jeweiligen Fortschreibung des Energieprogramms die quantifizierenden Aussagen nicht als zu erfüllende Planzahlen, sondern als Orientierungshilfe und als Darlegung der Tendenzen und Größenordnungen anzusehen ist.
Dabei kann sie sich verständlicherweise nur auf Prognosen stützen, muß aber die Prämissen und Voraussetzungen klarstellen und gegebenenfalls die mögliche Bandbreite und den dadurch gegebenen Entscheidungsspielraum darstellen. Diese Prognostizierungsproblematik — auf die mein Kollege Zywietz im einzelnen eingehen wird — wird dadurch vergrößert, daß nach heutiger Erfahrung und Situation die Zeitspanne von der Planungsentscheidung für ein Kraftwerk bis zu seiner Inbetriebnahme zwischen acht und zehn Jahren beträgt, das heißt einen Zeitraum umfaßt, der an der Grenze der vorhersehbaren Bedarfsentwicklung liegt.Darüber hinaus hat die Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, daß sie die aus der politisch-parlamentarischen Diskussion über die Energiepolitik folgenden Ergebnisse bei der Fortschreibung berücksichtigen wird. Lassen Sie mich, Herr Kollege Riesenhuber, dazu feststellen, daß es eine der selbstverständlichen Rollen des Parlaments sein muß, aus dem parlamentarischen Raum heraus auf die Entwicklung solcher entscheidenden Programme Einfluß zu nehmen und nicht nur das Ergebnis der Regierung zur Kenntnis zu nehmen.
— Ich werde mich um die Klarheit und um die Kürze bemühen, Herr Kollege Lenzer. Ich folge da Ihrem Beispiel.Deshalb halten wir dies für notwendig. Damit ist aber auch gleich festgelegt, daß sich das Parlament selbst in die Pflicht nehmen muß.Für die FDP-Fraktion darf ich feststellen, daß wir bereit sind, zusammen mit der Bundesregierung intensiv die zweite Fortschreibung des Energieprogramms zu entwickeln. Ich meine, daß die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage geeignet ist, als Einstieg in die parlamentarische Behandlung und Entscheidungsfindung bezüglich der Fortschreibung zu dienen.Ich möchte mich im folgenden mit einigen grundsätzlichen Positionen kritisch wertend auseinandersetzen. Die Sicherung der Energieversorgung ist unter verschiedenen zeitlichen Aspekten zu betrachten. Während in der gegenwärtigen Situation noch in gewisser Weise von einem Energieüberangebot gesprochen werden kann, ist es mittelfristig aus allgemeinen politischen wie besonders wirtschafts- und sozialpolitischen Gesichtspunkten unerläßlich, wegen des hohen Importanteils der Primärenergieträger durch eine Diversifizierung die vorhandenen einseitigen Abhängigkeiten abzubauen.Die Energieversorgung kann aus eigenen Primärenergievorräten, vorwiegend Steinkohle und Braunkohle, nicht gesichert werden. Dies ist bereits vom Herrn Kollegen Schmidt dargelegt worden. Die Importabhängigkeit selbst kann also nicht abgebaut werden, sondern durch den Einsatz verschiedener Primärenergieträger, auch des Urans, durch die Abstützung auf verschiedene Lieferländer nur störungsunempfindlicher gemacht werden; denn eine störungsfreie und sichere Energieversorgung ist eine Grundvoraussetzung für die Erhaltung der Wirtschaftskraft unseres Landes und damit für die Sicherung unseres sozialen Systems wie die Erhaltung des derzeitigen Lebensstandards.
Dabei spielen für die Diskussion die Frage des Wachstums und — damit in engem Zusammenhang stehend — die Frage des Energiebedarfswachstums sicher eine große Rolle. Vor dem Hintergrund lang-
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Dr.-Ing. Laermannfristiger Betrachtungen und Entwicklungen halte ich jedoch die Diskussion darüber, welches prozentuale Wachstum notwendig, wünschenswert oder realisierbar ist, für politisch sehr wichtig, für die unbestreitbar langfristigen energiepolitischen Entscheidungen jedoch für wenig hilfreich. Denn selbst, wenn die Industriestaaten, rein theoretisch, auf jeden Zuwachs des Energiebedarfs verzichteten, würde der Weltenergiebedarf im Hinblick auf die sich vollziehenden Strukturentwicklungen in den Entwicklungsländern langfristig global und mit steigender Wachstumsrate zunehmen. Die im „World Energy Outlook" der OECD niedergelegten Zahlen belegen diese Tatsache wohl eindeutig und unbezweifelbar.Ohne nun auf die mengenmäßige Unterschiede der verschiedenen Schätzungen über die Weltvorräte an sogenannten nichterneuerbaren Energieträgern, den fossilen wie mineralischen Energieträgern, einzugehen, muß von deren quantitativer Begrenztheit in den langfristigen Ansätzen ausgegangen werden, wie auch davon, daß derzeit mehr als zwei Drittel der erschlossenen Vorkommen von nur rund 15 % der Weltbevölkerung genutzt werden. Diese Vorräte an nichterneuerbaren Primärenergieträgern wie auch an anderen Rohstoffen müssen aber zukünftig von immer mehr Ländern dieser Erde genutzt und ausgebeutet werden. Gleichzeitig ist auch zu bedenken, wie die wesentlichen Lagerstätten auf der Welt verteilt sind und welche Restriktionen sich unter Umständen aus den politischen Konstellationen ergeben können.Daß das Erdöl, als politisches Instrument eingesetzt, die davon abhängigen Volkswirtschaften empfindlich treffen kann und ein die Marktsituation beherrschendes Kartell über die Ölpreisgestaltung in die nationalen Wirtschaftsabläufe in den Industriestaaten wirkungsvoll eingreifen kann, darf in der energiepolitischen Konzeption nicht vernachlässigt werden.In diesem Zusammenhang muß auch bedacht werden, daß den fossilen Energieträgern eine große Bedeutung im nichtenergetischen Bereich, also als Rohstoff an sich zukommt. Dieser Rohstoff ist zu wertvoll — lassen Sie mich das etwas salopp sagen —, um mit einem bisher sehr geringen Ausnutzungsgrad unter Verursachung schwerwiegender Umweltbelastungen bei der Umwandlung in Nutzenergie, also z. B. bei der Verstromung, verbrannt zu werden.Es ist unbestritten, daß in diesem Zusammenhang die Kohle als der heimische Energieträger von erheblicher Bedeutung auch in regional-strukturbezogener Hinsicht unserer besonderen Beachtung bedarf und daß es notwendig ist, auch im Hinblick auf die zukünftige vielleicht bessere Nutzung und weitergehende Ausnutzung, ihre Förderkapazität zumindest zu erhalten.Vor dem Hintergrund dieser Situation wird offenbar, daß der Einsatz neuer Energieträger und die Entwicklung neuer Technologien eine zwingende Notwendigkeit für die zukünftige Sicherung der Energieversorgung und damit für die Erhaltung derj Lebensbedingungen im weitesten Sinne ist. Es mag sicher verständlich und zulässig sein, in einem noch einigermaßen überschaubaren Zeitraum davon auszugehen, daß die bisher eingesetzten fossilen Energieträger durch bessere Umwandlungstechnologien, die bessere und rationellere Energienutzung und der Einsatz erneuerbarer Energiequellen den Einsatz einer neuen Energiequelle, der Kernspaltungsenergie, überflüssig machen und deshalb die Lichter bei uns noch lange nicht ausgehen müssen, wie vielfach drohend argumentiert wird.
Aber die völlige Aufgabe der Entwicklung im kerntechnischen Bereich, die uns — auch dies sei hier in aller Deutlichkeit gesagt — eine Fülle noch nicht endgültig und befriedigend gelöster Probleme bringen, zu denen besonders die Behandlung radioaktiver Abfälle und deren endgültige säkulare Lagerung, die Beherrschung der Zurückhaltung radioaktiver Gase, die Frage der physical protection, die Beherrschung von ernsthaften und schwierwiegenden Störfällen gehören, würde bedeuten, die Option auf langfristige Lösungen zu verlieren. Niemand von uns, niemand auf der Welt ist Prophet und kann auf Jahrzehnte, ja, auf Generationen hinaus die Entwicklungen absehen. Die Fortentwicklungen, die Verbesserungen, die weiteren Reduzierungen und Minimierungen der vorhandenen Risiken neuer Technologien werden nur möglich sein, wenn diese nicht nur theoretisch, nicht nur in Blaupausen erfolgen; sie müssen in der praktischen Erprobung erfolgen. Dabei wird es entscheidend auf den Umfang und auf das Tempo des Ausbaues ankommen. Die politische und wirtschaftliche Zukunft besonders der Bundesrepublik wie auch der anderen EG-Staaten wird wegen ihrer Abhängigkeit von Rohstoffen nur zu sichern sein, wenn es gelingt, den technologischen Vorsprung zu halten, neue Technologien bis zur Anwendungsreife zu entwickeln und damit einen unverzichtbaren Beitrag auch für die wirtschaftliche Entwicklung der Entwicklungsländer zu leisten, wenn es gelingt, ein wichtiger und unverzichtbarer Partner dieser Länder zu bleiben.Welche Konsequenzen ergeben sich nun weiterhin und zwangsläufig aus einer Aufgabe der Option auf den Einsatz von Kernspaltungstechnologien in der Bundesrepublik?Erstens. Durch den Betrieb von derzeit sechs Kernkraftwerken sind wir bereits gezwungen, wesentliche Probleme der Sicherheit, der Sicherheit gegen terroristische Eingriffe, der Entsorgung, also der sicheren und endgültigen Lagerung radioaktiven Abfalls zu bewältigen. Wir sitzen also, wenn ich dies so formulieren darf, bereits auf einem fahrenden Zug, von dem wir nicht ohne weiteres abspringen können, ohne seine Fahrt vorher zu verlangsamen.Zweitens. Ein nationaler Alleingang würde die grundsätzlichen Bedenken und Probleme nicht beseitigen, wenn in den Nachbarstaaten in Ost und West der weitere Ausbau der Kernenergie erfolgt, zum Teil unter wesentlich geringeren Sicherheitsanforderungen, als dies in unserem Lande geschieht.
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Dr.-Ing. LaermannHier darf ich besonders hervorheben, daß die Anforderungen und Genehmigungsauflagen für kern- technische Anlagen in unserem Land die derzeit weitestgehenden und beispielhaften in der Welt sind und nach dem Stand von Wissenschaft und Technik aktualisiert werden und aktualisiert werden müssen.Drittens. Eine völlige Aufgabe weiterer Entwicklungen würde unser Land einerseits wirtschaftlich lähmen und langfristig in eine totale politische Abhängigkeit führen, ohne uns andererseits von den Risiken und Problemen der friedlichen Nutzung der Kernenergie zu befreien. Selbstverständlich sind — das darf ich hier nachdrücklich betonen — aus dem wohlverstandenen ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis die eigenen Entwicklungen unerläßlich, um auch den Einfluß auf die internationalen Diskussionen und die Festlegung internationaler Sicherheitsstandards nicht zu verlieren. Wir müssen uns in aller Deutlichkeit vor Augen führen, daß ein Kernkraftwerk 5 km jenseits der Grenzen der Bundesrepublik für uns den gleichen Risikofaktor darstellt wie eines 5 km diesseits der Grenzen.Viertens. Eine Weiterentwicklung der Kerntechnologie mit höherer Sicherheit in Richtung auf neue Reaktortypen wie z. B. den Hochtemperaturreaktor mit seiner Möglichkeit, insbesondere die heimischen Primärenergieträger Steinkohle und Braunkohle umweltverträglicher und mit fast doppelt so hohem Nutzungsgrad wie bisher einzusetzen, die Entwicklung beispielsweise eines Uran-Thorium-Kreislaufs, aber auch die Lösung der möglichen und heute schon absehbaren Probleme beim Einsatz von Kernfusionstechnologien, der allerdings frühestens erst zu Beginn des nächsten Jahrhunderts zu erwarten sein dürfte, wären damit ausgeschlossen.Aber auch aus dieser Darstellung der Notwendigkeit, die Option, den Zugriff auf den Einsatz der Kernspaltungsenergien für die zukünftige Deckung des Energiebedarfs offenzuhalten, kann und darf nicht geschlossen werden, daß ein bedingungsloser und forcierter Ausbau der Kernkraftwerkskapazität ohne vorherige weitgehende Absicherung der Risiken und ohne weitgehende Sicherung der Akzeptanz dieser Technologie durch die Menschen in unserem Land möglich wäre. Hingegen sind alle denkbaren Alternativen intensiver, als es bisher geschehen ist, zu verfolgen, zu entwickeln und zu nutzen.
Ein maßvoller und zurückhaltender weiterer Ausbau der Nutzung der Kernenergie wird nur möglich und politisch durchsetzbar sein, wenn verdeutlicht und gesichert wird, daß auch alle anderen Möglichkeiten genutzt werden und der Energiebedarfszuwachs insbesondere an Primärenergie auf das ökonomisch und ökologisch vertretbare Maß reduziert wird.
Dabei sollte noch einmal die grundsätzliche Position von Bundestag und Bundesregierung bekräftigt werden, daß die Sicherheit und der Schutz von Leben und Gesundheit absoluten Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen hat. Das wird wohl von niemandem in diesem Hause bezweifelt oder bestritten.
Wie auch in der Antwort der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht wurde, ist es in erster Linie erforderlich, die Bemühungen um die rationellere und bessere Energienutzung zu intensivieren, um dadurch den Energiebedarfszuwachs und damit den Energiebedarf so weit wie nur irgend möglich zu reduzieren. Dieser sehr umfassenden Aufgabe muß eine wesentlich höhere Priorität eingeräumt werden, als es bisher geschehen ist. Das muß sich auch in politischen Entscheidungen dieses Hauses deutlicher als bisher niederschlagen.Zweitens ist der Einsatz alternativer, erneuerbarer Energiequellen verstärkt zu fördern, wobei auch solche Möglichkeiten zu nutzen sind, die nur einen geringen Anteil an der Deckung des Nutzenergiebedarfs haben werden. Dabei darf nicht verkannt werden, daß in Teilbereichen noch intensive Forschung und technologische Entwicklungen erforderlich sind. Entsprechende Konsequenzen sind bereits im Energieforschungsprogramm der Bundesregierung gezogen worden, bedürfen aber nach unserer Meinung einer noch deutlicheren politischen Gewichtung.Drittens sind die Fragen der Entsorgung, d. h. insbesondere der Wiederaufarbeitung und der auf Dauer gesicherten Endlagerung des entstehenden radioaktiven Abfalls, so zu lösen, daß dadurch auch für kommende Generationen kein Gefährdungspotential aufgebaut wird.Zur Frage der rationellen und besseren Energienutzung möchte ich einige besondere Ausführungen machen. Ich möchte dabei nicht so sehr, wie es ein Vorredner schon getan hat, auf den Begriff des Sparens eingehen, da es hier in erster Linie darauf ankommt, Primärenergie und auch Nutzenergie besser zu nutzen. Das Sparen wäre ein zweiter Schritt. In erster Linie kommt es darauf an, die Umwandlungsverluste bei den derzeitigen Kraftwerkswirkungsgraden zu reduzieren. Dies sind umweltbelastende Verluste, die 60 % bis zu 70 % des Energiepotentials der Primärenergie betragen. Es sind Umweltbelastungen, die sich vorwiegend in Wärmebelastungen niederschlagen. Betrachtet man nun, daß insgesamt der größte Anteil unseres Energiebedarfs im Bereich der Niedrigtemperaturwärme anfällt — das sind etwa 70 % des gesamten Nutzenergiebedarfs —, so dürfte sich hier durch die Ausnutzung der Wärmekraftkopplung, durch den weiteren Ausbau des Fernwärmesystems, allerdings wirtschaftlich vertretbar wohl auf Gebiete mit hoher Wärme-und Siedlungsdichte beschränkt, eine enorme Möglichkeit abzeichnen, den Wirkungsgrad der Kraftwerke zu verbessern, Primärenergie besser zu nutzen, die Umweltbelastungen zu reduzieren und vor allen Dingen auch durch den Fortfall der Immissionsgrundbelastungen aus den schlecht gefeuerten Einzelheizungsanlagen nunmehr Freiräume für neue emittierende Industrieansiedlungen zu schaffen, um im ganzen die Belastungen unterhalb der zulässigen und festgelegten Grenzwerte zu halten. Ich glaube,
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Dr.-Ing. Laermanndaß wir uns diesem Problem auch unter beschäftigungspolitischen Aspekten und auch unter dem Aspekt verstärkt zuwenden müßten, daß hiermit eine Standortfrage angesprochen ist; denn hier ist wohl davon auszugehen, daß solche Kraftwerke in nicht allzu großer Entfernung von den Versorgungsgebieten errichtet werden müßten.Den Maßnahmen der Bundesregierung auf diesem Gebiet kann man voll zustimmen. Wir sind der Meinung, daß in diesem Sinne fortgefahren werden sollte. Eventuell gehören hierzu auch gesetzliche Schritte zur Absicherung der hohen Investitionen, gegebenenfalls zur rechtlichen Regelung des Anschlußzwanges und damit auch zur Absicherung der Abnehmer, d. h. der Verbraucher. Hier möchte ich auch den landwirtschaftlichen Bereich nicht ausklammern, z. B. die Nutzung der Abwärme zur Reduzierung der Umweltbelastungen etwa zur Beheizung des Unterglasanbaues. Hier möchte ich auch auf die von der Bundesregierung als Forschungsprojekt geförderten Maßnahmen zum Projekt Agrotherm hinweisen.Auch im Bereich der Nutzenergie geht es darum, zur besseren Energienutzung zu kommen, ohne daß es vorerst notwendig erschiene, auf Konsum oder Komfort in Gestalt der Haustechnologie und deren Entwicklung zu verzichten. Um uns die Bedeutung dieses Problembereiches klarzumachen, müssen wir einmal darstellen, wie sich die Nutzenergie auf die drei wesentlichen Sektoren, Industrie, Verkehr und Haushalt aufteilt, und welche Verlustquoten hier im ganzen anfallen. Die Verlustrate der Nutzenergie ist bei der Industrie aus verständlichen Kostengründen die geringste. Beim Verkehr, insbesondere beim Individualverkehr, sind die Verlustquoten abenteuerlich hoch; sie betragen über 80 %. Beim Haushalt und Kleinverbrauch betragen die Verlustquoten etwa 50% Unter Berücksichtigung der prozentualen Anteile dieser drei Sektoren am Gesamtnutzenergieverbrauch zeichnen sich hier erhebliche Einsparungsmöglichkeiten ab, die insgesamt zu einer Reduzierung des Energiebedarfs, des Nutzenergiebedarfs und damit auch des Primärenergiebedarfs führen. Hier ist besonders der Bereich der Raumheizung anzusprechen, der ungefähr 80 °/o des im Sektor Haushalt anfallenden Gesamtenergiebedarfs ausmacht. Die Möglichkeiten zur Reduzierung sind von der Bundesregierung in ihrer Antwort sehr deutlich dargestellt worden. Wir sind der Meinung, daß es zu diesen Darstellungen und zu diesen Möglichkeiten nun auch eine geschlossene Gesamtkonzeption geben müsse und daß wir diese Absichten der Bundesregierung auch aus dem politischen Raum heraus deutlicher und nachdrücklicher unterstützen müssen: Herabsetzung der Energieintensität, also bessere Wärmeisolierung, Wärmedämmung der Häuser, möglicherweise, statt die Belüftung der Häuser durch das Öffnen und Schließen von Fenstern zu regulieren, den Einbau von Wärmeaustauschern, die Herabsetzung des spezifischen Energiebedarfs durch Nutzung der Abwärme aus den Gebäuden und der Abwärme des Brauchwassers. Hier sind eventuell auch neue Haustechnologien zu entwickeln und einzusetzen, die wieder unter konjunktur- und beschäftigungspolitischen Aspekten durchaus ihre Bedeutung haben können.Schließlich — ohne hier weiter in die Details zu gehen — scheint es notwendig und — ich spreche hier für meine Fraktion — möglich, zu einer Gesamtkonzeption zu kommen, zu einem Bündel von Maßnahmen. Nicht die Einzelmaßnahme wird hier zum Tragen kommen, sondern die geschlossene Gesamtkonzeption. Hier ist auch der Verbraucher in die Pflicht zu nehmen, ist an seine Einsichtigkeit zu appellieren. Wir sind nicht der Meinung, daß diese Möglichkeiten der besseren Energienutzung par ordre de Mufti durchgesetzt werden könnten oder sollten, sondern hier ist auch eine Aufgabe und eine Verantwortung der Bürgerinitiativen zu sehen; hier müssen sie sich auch einmal im positiven Sinne einschalten. So berechtigt das Anliegen der Bürger ist, daß eine intakte Umwelt erhalten wird, so müßten sie sich darüber im klaren sein, daß sie selbst durch ihr unreflektiertes Verbraucherverhalten ja vielfach Anlaß zu stärkerer Belastung der Umwelt geben, da ihre Bedürfnisse und Anforderungen erfüllt werden müssen.
Das sollten wir auch in den Diskussionen draußen in aller Deutlichkeit sagen. Ich habe den Eindruck, die Mehrzahl der Bürger ist sehr viel einsichtiger und gegenüber diesen Fragen aufgeschlossener, als viele meinen. Lassen Sie uns diese Situation nutzen und deutlich machen, daß Energiepolitik nicht nur von der Erzeugerseite aus betrieben werden muß, sondern ganz nachdrücklich auch von der Verbraucherseite aus.
Natürlich spielt in diesem Zusammenhang die Information eine entscheidende Rolle. Daher fordere ich das Parlament auf, die Bundesregierung in ihrem Bemühen zu unterstützen, bessere und wirkungsvollere Informationsinstrumentarien zu entwickeln und dabei auch den Einsatz der Medien, insbesondere des Fernsehens, ins Auge zu fassen. Ich erinnere mich an eine Fernsehsendung vor einiger Zeit, in der zum Abschalten überflüssiger Lampen aufgefordert wurde, was sofort zu einem Energieabfall von 130 MW — das ist der Strombedarf einer Stadt wie Hagen — geführt hat. Ich bin der Meinung, wir sollten vor Sendungen mit hohen Einschaltquoten Fernsehspots ähnlich dem „7. Sinn" bringen, die immer wieder verdeutlichen, wie wichtig die Energiesicherung und die Rolle des Verbrauchers sowie sein konsumbewußtes Verhalten ist.
Wir bauen zunächst auf die Einsicht, meinen aber, daß es auch der Unterstützung durch administrative Maßnahmen, in gewissem Umfang auch durch gesetzliche Vorschriften bedarf. Die Bundesregierung ist hier auf dem richtigen Wege, sie muß auf diesem Wege nur konsequent fortschreiten.In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht noch ein Wort zu den alternativen Energiequellen sagen. Ihre Bedeutung sollte auch bei relativ geringem Anteil am Gesamtbedarf nicht unterschätzt werden.
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2246 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr.-Ing. LaermannHier ist besonders an die dezentrale Nutzung der Sonnenenergie im Bereich der Niedrigtemperaturen, also bei Raumbeheizung und Brauchwasser, zu denken. Aber auch die Windenergie und, in geringerem Umfang, die Geothermie spielen für unser Land durchaus eine beachtenswerte Rolle. In diesem Zusammenhang ist auch der Einsatz von Wärmepumpen zu bedenken. Dabei sollte man sich nicht nur den elektrisch betriebenen, sondern auch möglichen gas- und dieselbetriebenen Wärmepumpen zuwenden. Ich bin sehr dankbar und froh, daß die Industrie, wie aus Informationsschriften von Industrie- und Handelskammern zu entnehmen ist, insbesondere die kleine und mittelständische Industrie, sich dieses Problembereichs schon angenommen hat und hier neue wirtschaftliche Möglichkeiten sieht. Die Entwicklung ist hier schon in einem technologisch einsetzbaren Stadium. Wir sollten alle Instrumentarien, die wir im politischen und administrativen Raum haben, einsetzen, um diese Entwicklungen weiterhin zu fördern.Solartechnik und Windenergie werden aber in der dezentralen Nutzung, also zunächst einmal weniger bei der Stromerzeugung, eine besondere Bedeutung für den Export haben. Denn es ist wohl klar, daß die Entwicklungsländer, die noch nicht über eine ausreichende Infrastruktur zur Verteilung der beim Aufbau von Kernkraftwerken massiert anfallenden Energie verfügen, über ein dezentrales und differenziertes System erst einmal eine Infrastruktur aufbauen müssen, die dann möglicherweise die Grundlage und Ausgangsbasis für eine kontinuierliche wirtschaftliche Entwicklung sein kann. Hier gilt es, die Exportchancen, die sich bieten, zu nutzen. Wir sollten im Rahmen der weltweiten Kooperation, in der wir begriffen sind — solche Entwicklungen werden in Japan, den USA, in Kanada ebenso wie in anderen Industrienationen betrieben —, alle sich bietenden Möglichkeiten nutzen. Ich möchte hier gleichzeitig darauf hinweisen, daß in Gebieten der Erde mit stärkerer und intensiverer Sonneneinstrahlung daran gedacht werden sollte, die Sonnenenergie zentral zur Stromerzeugung oder zur Gewinnung des Wasserstoffs als Energieträger zu nutzen. Forschungs- und Entwicklungsbemühungen in dieser Richtung sollten nachdrücklich unterstützt werden, auch wenn eine solche Nutzung für unsere nationalen Bereiche nicht in Frage kommt.Die Fragen der Forschungsförderung möchte ich nur ganz kurz streifen. Wir sind der Meinung, daß eine Umsetzung der Forschungsmittel, wie sie sich im Energieforschungsprogramm der Bundesregierung abzeichnet, in den Bereich nichtnuklearer Energieforschung in verstärktem Maße notwendig ist und mit der gebotenen Kontinuität sowie mit Rücksicht auf die bisherigen Entwicklungen fortgesetzt und verstärkt werden muß. Wir müssen die finanziellen Mittel vorsichtig umsetzen, vor allen Dingen auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es zunächst einmal notwendig ist, entsprechende Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in diesen neuen Bereichen aufzubauen. Dies ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage der Verfügbarkeit von Einrichtungen und vor allenDingen von personalen Kapazitäten. Bei diesen Forschungsprogrammen sollten wir uns auch die Option auf die Entwicklung der Schnellen Brüter erhalten. Zum Hochtemperaturreaktor habe ich mich bereits geäußert. Grundlage für die Entwicklung fortgeschrittener Reaktortechnologien, Grundlage auch für die Entwicklung der Kernfusion — ich erinnere hier an JET — ist wohl zweifellos die internationale Kooperation. Wir meinen — ich stelle dies für meine Fraktion fest —, daß sich die Bundesregierung hier auf dem richtigen Weg befindet.Durch die Vierte Novelle zum Atomgesetz ist die Verantwortung und Zuständigkeit der Energieversorgungsunternehmen für die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente eindeutig festgelegt worden. Die Endlagerung liegt danach in der Verantwortung und Zuständigkeit der Bundesregierung. In diesem Zusammenhang muß hier aber erwähnt werden, daß die verfassungsmäßigen Zuständigkeiten der Landesregierungen hinsichtlich der Standortfestlegung bedacht werden müssen. Zu dem Gesamtkomplex der Entsorgung liegt ein umfassendes Konzept der Bundesregierung vor, das in der derzeitigen Diskussion über den weiteren Ausbau der Kernenergie sowie über Zeitraum und Handhabung der Genehmigungsverfahren einen bedeutenden Schwerpunkt darstellt. Ohne hier weiter auf Einzelheiten einzugehen, da dies schon von meinem Vorredner sehr ausführlich getan worden ist, möchte ich feststellen, daß die Fragen der Entsorgung unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz der Nutzung der Kernenergie und der unverzichtbaren Sicherheitsanforderungen gelöst werden müssen.Zur Frage der Genehmigung weiterer Kernkraftwerke gibt es eine Reihe von Stellungnahmen und deutlich markierten Positionen. Uns allen — insbesondere nach den vorhergehenden Ausführungen des Herrn Kollegen Schmidt — ist die Stellungnahme des DGB zu dieser Frage bekannt. Ebenso sind uns die Äußerungen verschiedener Sprecher auf der Fachtagung der SPD in Köln zu dieser Frage bekannt. Wir kennen auch die mehrheitliche Meinung der Ministerpräsidenten der Länder. Die FDP-Fraktion wird bei der Fortschreibung des Energieprogramms ihre abschließende Meinung zu diesem Komplex darlegen. Ich persönlich möchte bei dieser Frage zu bedenken geben, ob im Hinblick auf die auch von der Bundesregierung für vertretbar gehaltenen Reduzierungen der bisher vorgesehenen Ausbaukapazitäten durchaus nicht auch Alternativlösungen unter Berücksichtigung der Größenordnungen und der zeitlichen Erfordernisse möglich sein könnten.
Die Darlegungen der Bundesregierung zu den internationalen Problemen des sensitiven Bereiches, also der Anreicherung von Uran, der Wiederaufarbeitung und der Endlagerung im Zusammenhang mit dem Nichtweiterverbreitungsvertrag sind nachdrücklich zu begrüßen und werden von uns wohl unterstützt. Die Vereinbarungen sind mit dem eindeutigen Ziel weiterzuentwickeln, die Kontrollmaßnahmen zu verbessern, den Mißbrauch der Technologien zur friedlichen Nutzung der Kernenergie für
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2247
Dr.-Ing. Laermanndie Herstellung von atomaren Waffen sicher zu verhindern, ohne den Schwellenländern die Nutzung neuer Technologien vorzuenthalten, aber auch ohne diese Technologien zu einem Instrument im harten internationalen Wettbewerb zu machen. Die zeitlichen Aspekte solcher Weiterentwicklungen und der eventuell möglichen internationalen Lösungen auf dem Gebiete der Entsorgung sollten meiner Meinung nach auch in der nationalen Diskussion stärker berücksichtigt werden. Grundsätzlich möchte ich feststellen, daß Regierungen und Parlamente um die notwendige Klarheit ihrer Positionen zur Gewährleistung zeitlicher wie inhaltlicher Entscheidungsräume für die investierende Wirtschaft im Hinblick auf kerntechnische Anlagen und emittierende Industrieanlagen grundsätzlich bemüht sein müssen.Meine verehrten Damen und Herren, wir in der FDP-Fraktion diskutieren die Fragen der Sicherung der Energieversorgung und des Einsatzes der Kernenergie auch unter langfristigen Aspekten im Hinblick auf die Begrenztheit der Rohstoffvorkommen, im Hinblick auf die ökologische, die wirtschaftliche und soziale Bedeutung, im Hinblick auf die beschäftigungspolitischen Auswirkungen mit großem Ernst und mit allem gebotenen Nachdruck. Dabei halten wir es für eine politische Verpflichtung, eine Versachlichung des Themas, wenn Sie so wollen, eine Entemotionalisierung herbeizuführen.
Die innerparteilichen Diskussionen, die in Beschlüssen der Parteigremien zum Ausdruck kommen, sind ein verständliches Spiegelbild der kontroversen Diskussion in der allgemeinen Öffentlichkeit und sind für uns, die Fraktion, insoweit Gradmesser der Ausgewogenheit und Schlüssigkeit unserer endgültigen und abschließenden Stellungnahme. Wir sind — dies bekenne ich hier in aller Offenheit — mit dieser Diskussion noch nicht zum Abschluß gelangt. Aber wir betrachten dies nicht etwa als eine Schande, nicht als Mangel an Entscheidungsfähigkeit, sondern dies geschieht aus tiefstem Verantwortungsbewußtsein vor der Bedeutung des anstehenden Problemes und vor der Bedeutung, die dieses Problem in der Öffentlichkeit und für die Bürger unseres Landes hat.
Wir lassen uns dies von niemandem vorwerfen, denn wir sind der Meinung, daß es sich hierbei um so bedeutende und so langfristig anzusetzende Entscheidungen handelt, daß kurzfristige, nicht genügend ausgewogene Lösungen politisch nicht vertretbar sind.
Es müssen — um dies ganz deutlich zu sagen — abschließende, eindeutige und nicht ausdeutbare Lösungen gefunden werden.Wir werden zur anstehenden Fortschreibung des Energieprogramms die notwendigen Entscheidungen rechtzeitig treffen. Wir werden sie geschlossen und gemeinsam mit der Bundesregierung vertreten.
Das Wort hat Herr Bundesminister Dr. Friderichs.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen, meine Herren! Die Bundesregierung begrüßt die Gelegenheit, in der Debatte zu den Antworten auf die beiden Großen Anfragen der Fraktionen der CDU/CSU sowie von SPD und FDP noch einmal ihre Energiepolitik darlegen zu können, wobei sie nicht verkennt, daß eine Debatte über Große Anfragen primär die Stunde des Parlaments ist, denn die Regierung selbst hat ja ihre Meinungen in den Antworten versucht darzulegen, wobei aber offensichtlich Fragen offengeblieben oder in den Antworten enthaltene Aussagen bezweifelt werden.Die Bundesregierung glaubt, daß langsam erkannt wird, daß die Weltvorräte an verwertbaren fossilen Energierohstoffen begrenzt sind. Im vergangenen Jahr war erstmals die Menge des neu gefundenen Mineralöls weltweit geringer als der Verbrauch. Dies hat es bisher noch nicht gegeben. Es ist heute international anerkannt, daß dieses Problem besteht. Die Grenzen der Vorräte sind nach unserer Meinung in Sichtweite gekommen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe stellt in einem Gutachten hierzu fest, daß in den 90er Jahren bei 01 regional erste Produktionshöhepunkte überschritten werden. Die Bundesrepublik Deutschland und die Industrieländer müssen über den Tellerrand auch der nächsten Jahre hinaussehen und mit den vorhandenen Ressourcen sparsam umgehen. Das gilt insbesondere für 01 und Gas, aber letztlich auch für die Gott sei Dank reichlicher vorhandene Kohle. Das erfordert unsere Verantwortung für künftige Generationen. Deswegen muß das ein zentrales Postulat der Energiepolitik bleiben.Nicht zuletzt haben ja die Ankündigungen und dramatischen Appelle des amerikanischen Präsidenten ein Schlaglicht auf die Gefahren geworfen, die in den 80er und 90er Jahren entstehen. Niemand soll glauben, sich durchmogeln zu können mit der Meinung, bis dahin fließe noch viel Wasser den Rhein herunter. Übrigens: wenn dieses Wasser sauberer werden soll, brauchen wir auch Energie. Ich will es an einem konkreten Beispiel sagen: Allein die neue Kläranlage eines großen Chemiewerkes am Main, der bekanntlich in den Rhein fließt, braucht 9 MW, ebensoviel wie eine Kläranlage für 1,6 Millionen Einwohnergleichwerte.Wir entscheiden jetzt unmittelbar darüber — das macht manchen die Entscheidung schwer, manchen die Vertagung leicht —, was in zehn Jahren politisch passiert oder was eben nicht passiert. Wir diskutieren heute über erste Baugenehmigungen für Kernkraftwerke, die Mitte der 80er Jahre in Betrieb gehen sollen.Auch wenn man kein Pessimist ist: die Gefahrensignale an den Weltenergiemärkten sind unseres Erachtens nicht zu übersehen. Das gilt besonders für 01, das ja heute — wir können sagen „leider" — eine überragende Rolle bei der Energieversorgung hat. Die wichtigsten Untersuchungen der letz-
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2248 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Bundesminister Dr. Friderichsten Zeit von Internationaler Energieagentur und OECD stimmen darin überein, daß nur dann Verknappungen beim Öl vermieden werden können, wenn weltweit die Einsparpolitik forciert und die Entwicklung der anderen Energien beschleunigt wird. Aber am Schicksal des Carterschen Programms in seinem eigenen Parlament sehen wir ja schon, wie schwierig Einsparpolitiken offensichtlich sind — in Ländern, die einen doppelt so hohen Energieverbrauch wie wir pro Kopf der Bevölkerung haben.Auf jeden Fall müssen die Industrieländer und muß auch die Bundesrepublik Deutschland ihre Ansprüche an den Ölmarkt begrenzen. Der Anteil des Öls an der Energieversorgung muß zurückgedrängt werden. Dies liegt im eigenen Interesse. Denn 01 wird nicht nur physisch in überschaubaren Zeiträumen knapper. Gerade beim Ö1 sollten wir im Winter 1973/74 gelernt haben -- ich hoffe, es haben noch nicht alle vergessen —, daß politische Faktoren und Abhängigkeiten hier eine bittere Realität sind; also nicht nur ökonomische, die, wenn Sie so wollen, ein bißchen kalkulierbarer sind als politische.Westeuropa und auch die Bundesrepublik Deutschland gehören in Wahrheit zu den Habenichtsen. Daran ändert auch die Nordsee nichts. Ihre Reserven sind zu gering. Um es in Zahlen auszudrücken: Sie decken nach heutigem Explorations-stand den fünffachen Jahresbedarf Westeuropas. Das heißt, alles, was in der Nordsee als bekannt vorausgesetzt werden kann, deckt den Bedarf Westeuropas für ganze fünf Jahre.Wir dürfen uns durch die heutige entspannte Energiemarktlage nicht täuschen lassen. Führende Vertreter der Erdölförderländer betonen z. B. immer wieder, daß sie nicht bereit sind, die Produktion unbegrenzt zu erhöhen. Lassen Sie mich hinzufügen: Vertreter von Erdölförderländern, die es mit den westlichen Industrienationen sehr gut meinen, sagen das in aller Klarheit. Ich darf den Wortführer Scheich Jamani aus dem letzten Gespräch zitieren, das ich mit ihm in Riad hatte. Er hat klar gesagt: „Wir sind ganz einfach nicht bereit und de facto politisch auch nicht in der Lage, unsere Produktion nur nach eurem Verbrauch auszurichten; dies, was wir haben, ist unser einziger Reichtum, und wir müssen ihn so einsetzen, daß die Entwicklung unseres Landes möglich ist, und nicht so, daß wir uns nichts anderes als eigene inflationäre Prozesse über die Produktion ins Land holen."Es gibt immer wieder Stimmen, die die Notwendigkeit der Sicherung des steigenden Bedarfs an Energie bezweifeln. Es wird vom Nullwachstum oder auch davon gesprochen, daß eine Ausdehnung des Energieangebots zu Arbeitslosigkeit führe. Heute ist nicht der Zeitpunkt für eine Wachstumsdiskussion, aber ich möchte anmerken: Die Lösung der aktuellen und der durch die künftige Bevölkerungsentwicklung bedingten Beschäftigungsprobleme ist die wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe. Sie ist letztlich nur über die Schaffung neuer Arbeitsplätze, d. h. durch Wachstum, zu erreichen. Dieses Wachstum erfordert als eine der unerläßlichen Voraussetzungen Energie. Ich betone: als e i n e. Ich halte nichts von den Unterstellungen, die da verbreitet werden, mehr Energieverbrauch produziere Wachstum. Das hat die Bundesregierung nie gesagt. Aber mehr Wachstum erfordert auch einen Zuwachs an verfügbarer Energie.Dabei ist richtig — darüber ist einiges gesagt worden, auch vom Abgeordneten Laermann unmittelbar vor mir —, daß durch Rationalisierung Arbeitsplätze entfallen können und daß es keinen festen Zusammenhang zwischen Wachstum und Energieverbrauch gibt. Entscheidend ist aber die Tatsache, daß die Rationalisierung gleichzeitig doch auch die Schaffung neuer wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze begünstigt. Das ist deswegen wichtig, weil — abgesehen von der Rationalisierung — durch Strukturveränderungen in der Wirtschaft auch ständig Arbeitsplätze verlorengehen. Ein zu knappes Energieangebot würde verhindern, daß für diese verlorengegangenen Arbeitsplätze neue entstehen. Dabei dürfen wir nicht ganz vergessen, daß Rationalisierung kein Selbstzweck ist, sondern der Erhaltung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit einer exportabhängigen Wirtschaft und damit wiederum der Sicherung der Arbeitsplätze auf mittlere Sicht dient.Ich brauche nicht zu wiederholen, daß ein ausreichendes gesamtwirtschaftliches Wachstum aus folgenden stichwortartig aufgezählten Gründen nötig ist. Einmal, um unser Sozialversicherungssystem zu finanzieren, das dynamisch angelegt ist; zum anderen, um die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren; weiterhin, um die Strukturprobleme der Wirtschaft und der Einkommens- und Vermögensverteilung zu lösen — denn es läßt sich aus Zuwachs eben leichter und auch leichter anders verteilen als aus Substanz —; um die Umweltschutzmaßnahmen zu finanzieren; und schließlich, um einen Beitrag zur gesunden Entwicklung der Weltwirtschaft über den Abbau der Zahlungsbilanzdefizite wichtiger Handelspartner zu leisten. Das sind Aufgaben, die im Falle eines zu geringen Wachstums oder gar bei Nullwachstum entweder nicht oder nur bei sinkendem Realeinkommen, also zu deutsch: bei sinkendem Lebensstandard, erfüllt werden können. Das kann nicht Ziel von Politik sein.Lassen Sie mich zum, zentralen energiepolitischen Ziel zurückkommen, nämlich der Begrenzung der Ansprüche der Energieländer an den Weltölmarkt. Seine Verfolgung ist ebenfalls unerläßlich im Interesse der Entwicklungsländer. Die Entwicklungsländer haben Nachholbedarf an industrieller Entwicklung, und hierzu benötigen sie Energie. Diese Energie wird in den Entwicklungsländern auf absehbare Zeit vor allem 01 sein müssen. Nicht umsonst haben daher gerade die Entwicklungsländer auf der Konferenz für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, dem sogenannten Nord-Süd-Dialog, in Paris die Entwicklung alternativer Energien zum 01 und der Kernenergie — nicht zur Kernenergie, sondern: und der Kernenergie — nachdrücklich gefordert.Zu den wesentlichen Ergebnissen der internationalen Energiesituation gehört, daß eine ausreichen-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2249
Bundesminister Dr. Friderichsde Energieversorgung der Welt langfristig ohne den Einsatz der Kernenergie nach Meinung der Bundesregierung nicht erreichbar ist. Dabei sind eine verstärkte Einsparung und eine verstärkte Nutzung der Kohle bereits unterstellt; denn es ist keine alternative neue Technologie in Sicht, die den Beitrag der Kernenergie in absehbarer Zeit voll ersetzen könnte. Das ist nicht nur die Auffassung der Bundesregierung, sondern das ist die einmütige Ansicht aller großen Industriestaaten und der sich mit Energie befassenden internationalen Organisationen. Der gestrige Ministerrat in Brüssel hat einstimmig — einstimmig, d. h. mit Zustimmung aller neun Mitgliedsländer — diese Auffassung bekräftigt.Ein Verzicht auf die friedliche Nutzung durch die Industrieländer würde einen weiteren, sprunghaften Nachfrageanstieg nach anderen Energieträgern und vor allem 01 bedeuten und die Situation für die Weltenergieversorgung und besonders auch für die Dritte Welt dramatisch verschlechtern.In den vergangenen Wochen ist eine beachtenswerte Untersuchung unter Leitung des MIT erschienen, bei der Wissenschaft, Industrie, Regierungsexperten von Industrieländern, Erdölförderländern und Entwicklungsländern zusammengearbeitet haben, die sich mit globalen Aspekten der Energie zwischen 1985 und dem Jahre 2000 befaßt. Hierin ist die energiepolitische Aufgabe in einem Satz zusammengefaßt. Erlauben Sie mir, diesen Satz zu zitieren. Er heißt:Die Aufgabe für die Welt ist, den Übergang von der Ölabhängigkeit zu größerer Abstützung auf andere fossile Energien, Kernenergie und — später — regenerative Energien zu managen.Die Bundesregierung unterstreicht jedes Wort dieses Satzes, weil diese internationale Aussage mit ihrer Energiepolitik übereinstimmt.Die Bundesregierung hat die Problematik der langfristigen Energieversorgung — jedenfalls bildet sie sich das ein, wenn ich das einmal so formulieren darf — früher erkannt als andere Staaten. Das könnte an Beispielen verdeutlicht werden. Zusammenfassend gilt: Vor dem ersten Energieprogramm des Jahres 1973 spielten bei den Schutz- und Hilfsmaßnahmen für die deutsche Kohle Gründe der Versorgungssicherheit eine zunehmende Rolle. Maßnahmen wie Mineralölsteuer — mit bedeutender Einsparwirkung auf diesen Primärenergieträger — bestehen seit langem. Das kurz vor der Ölkrise des Winters 1973/74 von den Bundesregierung beschlossene Energieprogramm — ich betone: vor der Energiekrise des Winters 1973/74 — stand deutlich unter dem Grundtenor „Kurz- und langfristige Sicherheit der Energieversorgung". In der ersten Fortschreibung des Energieprogramms 1974 wurde die Politik unter dem Schlagwort „Weg vom Öl!" verstärkt, eine bewußte Politik der rationellen und sparsamen Energieverwendung eingeleitet. Gleichzeitig wurde 1974 ein erstes nichtnukleares Energieforschungsprogramm verabschiedet. Die Kontinuität dieser Energiepolitik wird deutlich. Der mittel- und langfristige Rahmen — allerdings bei Flexibilität in der Anpassung an kurzfristige Entwicklungen war gesteckt. Er enthielt ein Ja zur Kohle, die langsame Abkoppelung unserer Volkswirtschaft von der Ölabhängigkeit und die Entwicklung alternativer Energien, einschließlich des Zubaus von Kernenergie.Diese Politik, meine Damen und Herren, wurde nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von einer breiten Mehrheit dieses Parlaments und der Öffentlichkeit getragen. Manche Diskussionen der letzten Monate lassen dies vergessen erscheinen, wenigstens scheint es so. Dies gilt auch für die Kernenergie. Sie wurde 15 Jahre lang auf der Basis einer praktisch einmütigen Befürwortung in der Öffentlichkeit und durch die Parlamente entwickelt, nicht von Regierungen an Parlamenten vorbei.Jetzt besteht die Notwendigkeit, das Programm erneut fortzuschreiben. Denn die langfristigen Risiken der Weltenergiemärkte sind deutlicher geworden, die Wirtschaftsentwicklung dürfte langsamer verlaufen, als vor zwei Jahren noch angenommen wurde, und die Energiemarkteinschätzungen müssen angepaßt werden. Es müssen zusätzliche Schwerpunkte, vor allem bei der Energieeinsparung, gesetzt werden. Nicht zuletzt muß auch auf die Beunruhigung der Bevölkerung wegen möglicher Risiken der Kernenergie eine Antwort gegeben werden. Die Position der Kernenergie innerhalb der Energieversorgung muß neu definiert, die Investitionsunsicherheit dadurch beseitigt werden. Die Bundesregierung hat am 23. März dieses Jahres als erste Basis und Diskussionsgrundlage die Grundlinien und Eckwerte für die zweite Fortschreibung des Energieprogramms beschlossen.Ich war überrascht, Herr Abgeordneter Riesenhuber,
daß Sie behauptet haben oder glaubten, darlegen zu sollen, die Antworten auf die Großen Anfragen enthielten keinen Bezug auf die Eckwerte und Grundlinien, und daraus eine Art Diskontinuität der Politik der Bundesregierung darlegen wollten. Ich vermag dies nicht zu sehen, denn auf Seite 3 der Drucksache 8/569 heißt es nach der Darlegung der Grundlinien der Energiepolitik — ich zitiere wörtlich —:Mit dieser Zielsetzung hat die Bundesregierung am 23. März 1977 „Grundlinien und Eckwerte" für die Zweite Fortschreibung ... beschlossen.Und es geht weiter:Die Antworten auf die Großen Anfragen der Fraktionen der SPD, FDP und der CDU/CSU geben Gelegenheit, die energiewirtschaftlichen Zusammenhänge und energiepolitischen Spielräume sowie den Standpunkt der Bundesregierung weiter zu verdeutlichen.
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2250 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Bundesminister Dr. FriderichsDeutlicher kann man auf vor wenigen Monaten verabschiedete Eckwerte nicht Bezug nehmen als dadurch,
daß man sie erst zitiert und dann sagt: Die Debatte gibt die Gelegenheit, über die Eckwerte hinaus den Standpunkt der Regierung zu verdeutlichen. Ich möchte nur bitten, daß wir nicht Gegensätze in einem schwierigen Gebiet konstruieren, wenn sie nicht vorhanden sind.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Dr. Riesenhuber?
Ja, selbstverständlich.
Herr Minister, bedeutet das, daß die Bundesregierung uneingeschränkt von den Eckwerten ausgeht, sie somit nicht nur für erwünscht hält, sondern sie auch zur Zielsetzung und Grundlage ihres politischen Handelns macht?
Ja.
Sie sind ein entscheidender Schwerpunkt, wobei Grundlinien und Eckwerte dazu da sind, interpretiert zu werden — dafür stehe ich jetzt hier; das haben wir klar gesagt —,
und dazu da sind, Voraussetzung für die Fortschreibung des Programms zu sein. Es war mein Ziel, die Meinung der Regierung, d. h. des Gesamtkabinetts, in einigen wichtigen Punkten, ohne die eine Fortschreibung des Programms praktisch in der Luft gehangen hätte, zu kennen. Das war die Überlegung.
Einen entscheidenden Schwerpunkt wird in der nächsten Fortschreibung die Politik der sparsamen und rationellen Energieverwendung erhalten. Es ist keine Frage, daß es hier langfristig bedeutende Spielräume gibt; der Abgeordnete Professor Laermann hat — wie andere Vorredner auch — darauf hingewiesen. Bisher ist der Energieverbrauch bei einem Prozent gesamtwirtschaftlichen Wachstums um ebenfalls ein Prozent gestiegen. Dieses Verhältnis von gesamtwirtschaftlicher Entwicklung und Energieverbrauch halten wir nicht für unabänderlich; es ist kein Naturgesetz.
Vielmehr läßt es sich im Laufe der Zeit in bestimmten Grenzen im Sinne eines geringeren Zuwachses des Energieverbrauchs verbessern, nämlich infolge von Sättigungstendenzen z. B. in den Haushaltungen, aber vor allem auch dann, wenn und soweit Möglichkeiten zur besseren Energienutzung realisiert werden.Aber, meine Damen und Herren, so leicht dies klingt, so muß ich doch im Interesse einer erfolgreichen Einsparpolitik für Nüchternheit plädieren. Ich halte nichts davon, Dinge an die Wand zu malen, bei denen man schon während des Malvorgangs weiß, daß man sie teilweise wieder abkratzen muß. Es darf nämlich nicht vergessen werden, daß es eine Reihe von allseits erwünschten neuen Technologien z. B. zur Verbesserung des Umweltschutzes gibt, die nicht weniger, sondern mehr Energie verbrauchen.Ich hatte eine Diskussion mit einem anerkannten Wissenschaftler über die Frage, ob es möglich ist, das Verhältnis des Energieverbrauchs zum Wirtschaftswachstum, das im Augenblick einen Koeffizienten von 0,94 hat — bis zur Energiekrise war er 1 —, für den Zeitraum 1985 bis 1990 auf 0,6 zurückzudrücken: 1 %reales Bruttosozialprodukt mehr bedeutet 0,6 %mehr Energieverbrauch. Das ist Ziel in den Eckwerten. Der betreffende Wissenschaftler, der Naturwissenschaftler ist, der in allen sonstigen Fragen meinen Thesen zustimmte, hat in diesem einzigen Punkt ein Fragezeichen gemacht, und zwar mit einer einzigen Begründung. Er sagte: Herr Friderichs, dann, wenn über die internationale Diskussion die Rohstoffe entweder verknappt oder dramatisch verteuert werden — oder gar beides —, Sie also, gerade bei metallischen Rohstoffen, zu einem schnelleren Rohstoffrecycling gezwungen werden, halte ich es unter Umständen für nötig, bei diesem Recycling-Prozeß ein so hohes Maß an Energie zusätzlich einzusetzen, daß das gesteckte Ziel von 0,6 möglicherweise nicht erreicht werden kann.Meine Damen und Herren, ich will damit nur deutlich machen: Mit solchen Risiken muß man leben. Und die Zukunft hat ja den Vorteil, daß sie eben nicht bis zum letzten vorherbestimmbar ist. Ich empfinde dies als Vorteil, denn ich könnte mir vorstellen, daß unser eigenes Leben unangenehmer verliefe, wenn wir die Zukunft exakt wüßten. So bleibt uns wenigstens noch die Abteilung „Hoffnung" oder „Optimismus".Entscheidend ist, daß die sparsame und rationelle Energieverwendung kein Feld für kurzfristige Erfolge ist. Effektive Energieeinsparungen bedeuten nämlich Änderungen der Struktur der Wirtschaft und Änderungen der Verhaltensweisen der Investoren und der Verbraucher.Lassen Sie mich ökonomisch aussprechen, was sich technisch manchmal leichter sagt: Da gibt es z. B. Konflikte zwischen der weiteren konjunkturellen Belebung und der Beschränkung für den Autofahrer. Natürlich kann ich beim Kraftfahrzeug sehr leicht und sehr schnell Energiebeschränkungen verfügen oder durchsetzen. Aber wie sie sich konjunkturpolitisch auswirken, muß doch wohl der dafür Verantwortliche ebenfalls ins Kalkül ziehen. Ich will mich damit nicht vor Energieeinsparungen da-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2251
Bundesminister Dr. Friderichsvonstehlen, sondern die beiden Seiten derselben Medaille aufzeigen.Die sparsame und rationelle Energieverwendung darf — lassen Sie mich auch dies sagen — nicht zum Trojanischen Pferd für die Einführung von Dirigismen und Bürokratisierung in allen Lebensbereichen werden.
Auch dies muß gesagt sein. Ich halte nichts davon, schöne Debatten über Ordnungspolitik und Marktwirtschaft abzuhalten und Wahlkämpfe gegen Bürokratismus zu führen — die geographische Mitte dieses Hauses hat das ja getan —,
ohne sich darüber klar zu sein, daß man, sobald man Energieeinsparungen über die „pretiale Steuerung", also über den Preis, nicht erreichen kann, unverzüglich mit Ge- und Verboten arbeiten muß, die sehr häufig zusätzliche bürokratische Erfordernisse mit sich bringen. Das muß der Bevölkerung gesagt werden. Lassen Sie uns das alles einmal deutlich sagen. Dies ist nicht der Ort, große polemische Gegensätze auszutragen. Wir sollten den Versuch machen, die Chance zu nutzen, in diesem Parlament die Probleme darzulegen, damit die Bevölkerung sie erkennt und, wie ich hoffe, mit uns tragen wird.Wir prüfen zur Zeit, welche Maßnahmen ergriffen werden können, durch staatliche Vorschriften über Preise oder finanzielle Anreize das vorhandene Potential auszuschöpfen. Schwerpunkte werden sein: private Haushalte, Gebäude, Industrie, Verkehr, vor allem Beratung der Verbraucher.Die Effekte der über den Markt, die erhöhten Energiepreise und den technischen Fortschritt zu erwartenden rationelleren Energieverwendung sind in unseren Prognosen enthalten. Die Effekte durch zusätzliche Maßnahmen — ich muß das klar sagen — können erst bei der Fertigstellung des Programms voll quantifiziert werden; denn erst dann, wenn ich das Programm mit seinen Details auf den Tisch lege, kann ich die Quantifizierung vornehmen.Erste Berechnungen gehen von etwa 10 Millionen Tonnen Steinkohleeinheiten 1985 aus. Durch diese niedrig erscheinende Zahl zeigt sich plastisch, daß Einspareffekte langfristig, aber eben nur langfristig, erreichbar sind. Die Einspareffekte der heute konzipierten Maßnahmen steigen allerdings mit der Länge der Zeit progressiv. Man soll also nicht nur den Bilanzstichtag sehen.Herr Abgeordneter Riesenhuber, Sie haben u. a. gesagt, Sie erwarteten ein umfassendes und realistisches Konzept zur Einsparung; dieses liege nicht vor. Richtig ist, daß das Gesamtkonzept in der Fortschreibung enthalten sein soll und sein wird. Richtig ist aber auch, daß eine ganze Reihe von Maßnahmen längst durchgeführt ist, nämlich seit dem Programm von 1973 und erst recht seit der Fortschreibung. Ich darf zitieren. § 4 a Investitionszulagengesetz von 1975: Einziges Ziel: rationellere Verwendung; finanzielle Hilfen für Energie sparendeInvestitionen im Rahmen aller Konjunkturprogramme; Altbausanierung und Energieeinsparungsgesetz vom Juli 1976. Der Katalog der ergriffenen Maßnahmen ist in den Antworten enthalten.Aber auch das sollte man diesem Haus und der Öffentlichkeit nicht vorenthalten: Jeder spricht zwar von Einsparungen. Aber lassen Sie mich an einem Beispiel schildern, wie es in der Praxis aussieht. Am 22. Juli 1976 wurde das Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden vom Bundestag einstimmig beschlossen und vom Bundesrat einstimmig gebilligt. Dies war gut, aber, meine Damen und Herren, damit war konkret noch nichts passiert. Um es zu erreichen, mußten die Wärmeschutzverordnung, die Heizungsanlagenverordnung und die Heizungsbetriebsverordnung in Kraft treten.
Diese drei Verordnungen — ich darf das eben noch ausführen, weil es zusammenhängt — wurden ein dreiviertel Jahr nach der Verabschiedung des Gesetzes durch Bundesrat und Bundestag am 23. März vom Bundeskabinett verabschiedet. Nun können Sie sagen, das sei zu lange gewesen. Dazu muß ich sagen, wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat. Es waren 100 Verbände anzuhören,
außerdem die Institutionen der Länder und der Gemeinden. Nun sollte man meinen, daß nun die Verordnungen schnell in Kraft treten können. Meine Damen und Herren, in den Ausschüssen des Bundesrates sind zu diesen drei Verordnungen der Bundesregierung, basierend auf einem vom Deutschen Bundestag einstimmig verabschiedeten Gesetz, 60 Änderungsvorschläge eingebracht worden.
Ein Teil des Bundesrates — ich mache hier keine Parteipolitik — wollte das Inkrafttreten der Verordnungen, das wir für den 1. November vorgesehen hatten — sprich: für diese Heizperiode — auf die kommende Heizperiode verschieben.
Inzwischen ist es gelungen, mit wirklichen Kraftakten und Verhandlungen zwei der Verordnungen am 3. Juni im Bundesrat zu verabschieden. Die dritte Verordnung ist nicht verabschiedet worden. Der Öffentlichkeit soll auch nicht vorenthalten werden, warum sie nicht verabschiedet worden ist: Hier stößt Deutschland auf sein Schornsteinfegerproblem. Was meine ich damit? Die Verordnungen sahen vor und sehen vor, daß die Messungen in den Heizungsanlagen der privaten Haushalte nicht nur von den Schornsteinfegern, die einen regionalen Gebietsschutz haben, wie Sie wissen, durchgeführt werden können, sondern auch durch private Unternehmen des Heizungsgewerbes nach bestimmten Kriterien.
Herr Bundesminister, gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage?
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2252 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Ich bin sofort fertig. Dieser Idee haben sich die Schornsteinfeger widersetzt, und sie werden auf breiter Basis von Politikern auch dieses Hauses, insbesondere aber auch des Bundesrates unterstützt. Auf Antrag eines Bundeslandes — ich glaube, es war Schleswig-Holstein — ist daher die Verabschiedung dieser Verordnung im Bundesrat ausgesetzt und von der Tagesordnung abgesetzt worden.
An diesem einen Beispiel, wo es um die Nebenfrage der Überwachung und Messung von privaten Heizungsanlagen geht und wo wir, die Regierung, der Meinung waren, auch private Handwerksbetriebe, die die Fähigkeit dazu besitzen, sollten bei diesen Messungen mitwirken, wollte ich zeigen, daß daran diese Einsparverordnung für die nächste Heizperiode zu scheitern droht. Ich wollte Ihnen damit nur einmal deutlich machen, wie schwierig es ist, in einer Demokratie, wenn der Preis als Steuerungselement nicht zur Verfügung steht, mit Geboten und Verboten Energie einzusparen. — Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie so lange habe warten lassen.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riesenhuber.
Herr Minister, stimmen Sie mir darin zu, daß das Problem der Schornsteinfeger nicht verhindern darf, daß die Bundesregierung ein umfassendes Konzept vorlegt? Haben Sie ebenso wie ich verstanden, daß Professor Laermann, Ihr Kollege aus der FDP-Fraktion, eben dieses umfassende Konzept gefordert hat, und nehmen Sie nicht an, daß gerade wegen dieser erheblichen Schwierigkeiten, die Sie angesprochen haben, die rechtzeitige Vorlage eines derartigen umfassenden Konzepts von seiten der Bundesregierung unabdingbar und dringlich ist?
Auch hier sage ich ein klares Ja, muß Sie aber auch darauf hinweisen, daß die Diskussion innerhalb der Bundesregierung und danach mit Parlament und Ländern nicht einfach wird, denn es wird sich zeigen — ich will nur ein Beispiel nennen —, daß z. B. in den privaten Haushalten die Preisreagibilität nicht ausreicht, um die nötigen Einspareffekte zu erzielen. Die Industrie hat auf die Vervierfachung der Erdölpreise klassisch, wie ich als Marktwirtschaftler sagen möchte, reagiert, die privaten Haushalte haben es nicht getan. Dies liegt an einer Reihe von Gründen. Das fängt mit der Nichttransparenz der Stromrechnungen und dem Lastschriftverfahren an, wo man ja gar nicht mehr genau merkt, wenn man nicht genau hinsieht, was sich da eigentlich so tut. Das geht weiter — ich meine das sehr ernst, weil das Gefühl für diese Ausgabe wegen der Technik des Systems nicht so ausgeprägt ist, als wenn man an die Ladentheke geht und einkauft — mit der Behauptung von mir, daß das deutsche Mietrecht für die Energieeinsparung deswegen einProblem beinhaltet, weil der Vermieter die Investitionskosten, der Mieter die Verbrauchskosten zu tragen hat. Worin soll das Interesse des Vermieters liegen, wenn er das Ergebnis des Minderverbrauchs nicht in seine Tasche bekommt? Das alles sind Probleme, die hier eine Rolle spielen, neben einer Fülle von Fragen der Subventionierung direkter und indirekter Art.Das Energieeinsparprogramm wird kommen. Es wird Schwerpunkt der Fortschreibung sein. Aber wir sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß es nicht einfach sein wird.
Der zweite Schwerpunkt: Forschung für neue Technologien. Dem hat die Bundesregierung im April dieses Jahres durch die Verabschiedung des Energieforschungsprogramms Rechnung getragen. Ich will hierzu im einzelnen nichts sagen. Der Kollege Matthöfer wird dazu sicher noch Gelegenheit haben. Aber auch hier gibt es sicherlich ein Zeitproblem.Dritter Schwerpunkt wird die Definition der Rolle der Kernenergie sein. Ich habe bereits begründet, daß die Kernenergie für die Energieversorgung der Welt und unseres eigenen Landes in den kommenden Jahrzehnten eingesetzt werden muß. Aber das scheint mir auch nicht der Streitpunkt zu sein; denn ein Ja zur Kernenergie haben doch wohl alle Fraktionen des Deutschen Bundestages in verschiedenen Legislaturperioden und alle bisherigen Bundesregierungen in verschiedenen Zusammensetzungen gesagt. Ich nenne die Verabschiedung des Atomgesetzes, seiner Novellen, die Entschließung vom Mai vorigen Jahres, Energieprogramme etc.
Ich glaube vielmehr, daß sich die Frage darauf konzentriert, wieviel Kernkraft wir brauchen und wann wir sie am Netz brauchen.Ich will hier nicht auf die Probleme der Sicherheit der Kernkraft eingehen, weil ich unterstelle, daß der Kollege Maihofer noch sprechen wird. Ich will nur wiederholen: Die Sicherheit der Bevölkerung hat Vorrang. Dies ist seit langem die Politik der Bundesregierung, und sie zeigt sich daran, daß wir mit unseren Sicherheitsstandards und unseren Anforderungen doch offensichtlich in der Welt an der Spitze liegen, nicht nur in Europa. Das wird auch international nicht bestritten.In der Antwort auf die Großen Anfragen hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß sie den „stetigen Ausbau der Kernenergie in dem für die Sicherheit der Stromerzeugung erforderlichen Ausmaße" — ich habe zitiert — will. Wir stehen zu dieser Aussage.Dabei kann der Beitrag der Kernenergie, den die Bundesregierung in den „Grundlinien und Eckwerten" vom 23. März mit einer Größenordnung von 30 000 MW für 1985 als energiepolitisch wünschenswert bezeichnet hat, nicht als exakte Planzahl verstanden werden. Es handelt sich um eine Trendaus-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2253
Bundesminister Dr. Friderichssage. Es wäre energiepolitisch auch nicht sinnvoll, angesichts der Veränderungen der Weltenergiemärkte andere als Trendzahlen zur Orientierung von Wirtschaft und Verbrauchern zu geben. Ebensowenig wie ein Unternehmer seine Unternehmens-und Investitionsentscheidungen von einem am 31. Dezember erreichten Status abhängig macht, macht die Bundesregierung ihre energiepolitischen Entscheidungen von einem Stichtag abhängig.Nur auf diesem Hintergrund ist es verständlich, daß die Bundesregierung in den „Grundlinien und Eckwerten" gleichzeitig darauf hingewiesen hat, daß die eingetretenen Verzögerungen beim Bau und bei der Genehmigung von Kernkraftwerken befürchten lassen — wir haben wörtlich gesagt: „befürchten lassen" —, daß die Kapazität in dieser Größenordnung 1985 noch nicht voll bereitstehen wird.In dieses Bild gehört, meine Damen und Herren, daß Kernenergie und Kohle weder Gegensätze noch Alternativen im Sinne eines Entweder- Oder sind. Diese Bundesregierung hat mit großen finanziellen Opfern des Steuerzahlers den deutschen Steinkohlenbergbau stabilisiert und das Vertrauen der Bergarbeiter in ihre Arbeitsplätze wiederhergestellt. Unsere Aussage lautet daher auch konsequent: Kohle und Nuklearenergie. Der Beitrag der Kohle zur Stromerzeugung wird bis 1985 steigen, ein Anstieg übrigens, der sich nach meiner Überzeugung in der zweiten Hälfte der 80er Jahre im Anstiegswinkel steiler gestalten wird, d. h. beschleunigen wird. Durch den zwischen Energiewirtschaft und Kohlebergbau vor kurzem abgeschlossenen Vertrag ist jedenfalls auch ein ansteigender Steinkohleeinsatz von jährlich durchschnittlich 33 Millionen Tonnen gesichert.Eine der Schlüsselfragen ist der Platz, den die Lösung der Entsorgung im Rahmen der Genehmigungsverfahren einnehmen soll. Die Bundesregierung hat diesen Komplex unter Einschaltung zahlreicher Fachleute mit größter Intensität geprüft. Im Verlauf dieser Überprüfung hat sich die Überzeugung gefestigt, daß die in Aussicht genommenen Lösungen so sicher sind, daß die Fortsetzung des Ausbaus der Kernkraft auch weiterhin verantwortet werden kann.Trotzdem hat das Bundeskabinett beschlossen, die Erteilung neuer, erster Baugenehmigungen für Kernkraftwerke an zusätzliche Voraussetzungen zu binden. Neben der Auswahl des Standorts für die Wiederaufbereitungs- und Entsorgungsanlagen muß auch das positive Urteil von Strahlenschutzkommission und Reaktorsicherheitskommission zum technischen Konzept der Wiederaufbereitungsanlage vorliegen. Damit rechnen wir im Verlauf dieses Jahres. Kollege Maihofer wird dazu etwas sagen. Dieses Konzept wurde in einem detaillierten Sicherheitsbericht dargelegt.Zusätzlich sollen in Zukunft — ich will auf diese kritischen Fragen hier sehr offen eingehen — Betriebsgenehmigungen für diese neu zu genehmigenden Kraftwerke mit der Erteilung der ersten Teil, errichtungsgenehmigung für das Brennelementeingangslager verknüpft werden. Das heißt, um es ganz einfach zu sagen, Voraussetzung für die neuen Genehmigungen sollen nach Meinung der Bundesregierung sein: Standort für die Entsorgungsanlage, positives Votum der Reaktorsicherheitskommission, positives Votum der Strahlenschutzkommission. Aber die dann zu gebenden neuen Genehmigungen sollen mit der Auflage versehen werden, daß eine Betriebsgenehmigung nur erteilt wird, wenn bis zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme auch die erste Teilgenehmigung für den Bau der Entsorgungsanlage gegeben ist.Meine Damen und Herren, ich will offen zugeben, daß es hier in einer Nuance einen Unterschied zu dem gibt, was Herr Abgeordneter Schmidt vor mir gesagt hat. Eine neue Teilerrichtungsgenehmigung soll nämlich nach seinen Worten erst dann gegeben werden, wenn die erste Genehmigung für die Entsorgungsanlage erteilt ist. Dies würde gravierende Probleme für Energiewirtschaft und Reaktorbauindustrie aufwerfen. Daher sagt die Bundesregierung: Neue Genehmigungen dann, wie eben beschrieben, aber Betriebsgenehmigungen für die neuen Kraftwerke erst dann, wenn die erste Teilerrichtungsgenehmigung für die Entsorgungsanlage gegeben ist. Das ist die Position der Regierung, die ich hier zu vertreten habe.Natürlich wird die Bundesregierung bei der Fortschreibung unseres Energieprogramms auch den heutigen Debattenverlauf noch einmal in ihre Überlegungen einzubeziehen haben. Aber, meine Damen und Herren, ich bin der Meinung — hier kann ich nur für mich sprechen —, daß das Junktim, das wir, die Kollegen Maihofer, Matthöfer und ich als die drei Federführenden, jetzt gefunden haben, einen Vorteil enthält: Es übt einen Druck auf diejenigen aus, die die Entsorgungsanlage betreiben sollen, auf diejenigen, die sie genehmigen sollen, und auf diejenigen, die sie bauen sollen. Denn mit diesem System kommt ein zusätzlicher institutioneller Druck hinein, den ich für richtig halte, weil wir die Entsorgungsanlage wollen, ohne daß wir den Bau neuer Kraftwerke in einem Ausmaß verzögern, welches energiepolitisch nicht vertretbar wäre. Das ist die Position der Regierung, die ich hier darlegen durfte, weil sie so beschlossen ist, jedenfalls bisher; ich hoffe, daß es dabei bleibt.Ich hoffe, daß die Bundesregierung in der Lage ist, in Kürze den entsprechenden Antrag durch eine Bundesanstalt stellen zu lassen.Herr Abgeordneter Riesenhuber, Sie sprachen im Zusammenhang mit dieser Frage von einer definitiven Äußerung zum Standort usw. Da wäre ich als Mitglied der CDU aber ein bißchen vorsichtiger gewesen.
— Ein bißchen, nicht viel. — Sie wissen doch, wie schwierig die Standortdiskussion zwischen Bonn und Hannover war. Ich mache das der Landesregierung in Hannover nicht zum Vorwurf. Lassen wir das heute einmal alles beiseite, was da Taktik, was da Strategie und was da bittere Notwendigkeit war. Aber eines steht doch fest: Für die Bundesregie-
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2254 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Bundesminister Dr. Friderichsrung gibt es nach den bisherigen geologischen Erkenntnissen mehr als einen geeigneten Standort. Offensichtlich sagt aber die Landesregierung: Nicht drei oder vier oder wieviel, sondern einen! Wir haben lange, sehr lange darüber gesprochen.
— Ich bitte um Entschuldigung. Ich will hier jetzt keine Verwirrung stiften. Aber theoretisch wäre es doch genauso gut denkbar gewesen, in das Genehmigungsverfahren nicht einen, sondern zwei oder drei Standorte einzubeziehen und am Ende den zu nehmen, der sich — — usw. Ich habe den Eindruck, daß sich die Bundesregierung in diesem Punkt den Notwendigkeiten oder wie man das bezeichnen mag in Niedersachsen zu beugen bereit ist.Sie ist nicht mit Vergnügen dazu bereit; das muß ich gleich dazusagen.
— Warten wir es ab! Dann ist das Verfahren einzuleiten. Ich gehe davon aus, daß die Entscheidungen, die wir zu treffen haben, in den nächsten vier Wochen getroffen werden können. Ich hoffe aber, daß dann die Landesregierung, auf deren Mitwirkung wir bei der Durchführung dringend angewiesen sind — sie wird am Ende beim Genehmigungsverfahren das entscheidende Wort mitzusprechen haben —, sich nicht auf Grund von vordergründigen Motiven zu einer Verzögerung entschließt, die wir energiewirtschaftlich nicht gebrauchen können.
Ich gehe hier — das werden Sie merken — in diesem schwierigen Gebiet nicht auf Konfrontation, sondern auf Kooperation; aber ich hoffe, daß es so klappt.Eine Alternative zum Bau des Entsorgungszentrums in Niedersachsen durch eine Entsorgung im Ausland besteht nach Meinung der Bundesregierung nicht. Aus Niedersachsen wird uns das immer wieder empfohlen. Wir dürfen nicht — das ist die Meinung der Regierung — die Abhängigkeiten, die wir bei Ö1 und Gas beim Import haben und die wir in einem anderen Ausmaß auch bei der Uranversorgung nicht übersehen, zusätzlich dadurch vergrößern, daß wir uns bei der Entsorgung total vom Ausland abhängig machen.
Dabei ist es egal, von welchem Land diese Abhängigkeit entstünde.Schließlich hat der Präsident der Vereinigten Staaten deutlich gemacht, daß für ihn eine deutsche totale Entsorgung in den USA nicht in Frage komme. Subsidiär sieht das anders aus. Deswegen steht auch in der Antwort, daß bei der Genehmigung neuer Kraftwerke die Entsorgung auch durch eine ausländische Entsorgung nachgewiesen werden kann; aber dies kann uns nicht daran hindern, selbst dafür zu sorgen, den Müll schadlos zu beseitigen, der hier produziert wird. Das ist die Auffassung der Regierung, und ich glaube, meine Damen und Herren von der Opposition, hier dürfte an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen werden.
Würde die neu formulierte, verschärfte Genehmigungspraxis nicht akzeptiert und der Bau der Entsorgungsanlage verzögert, dann müßten wir nicht allein mit Export- und Beschäftigungsschwierigkeiten in einigen großen Industriezweigen mit zahlreichen Zulieferern rechnen — solche Überlegungen haben Gewicht, aber das ist nicht das Hauptproblem, vor dem wir stehen —, sondern mir scheint es von größerer Bedeutung zu sein: Wer die Entsorgung verzögert, setzt den Schutz und die Sicherheit der Bürger bereits jetzt aufs Spiel; denn wir haben schon Kernkraftwerke in Betrieb. Der Entsorgungsfall tritt bei ihnen jährlich ein, er tritt nicht nur bei neuen ein. Der Entsorgungsfall tritt bei jedem betriebenen Kernkraftwerk jährlich dann ein, wenn die Brennelemente gewechselt werden. Wir müssen deshalb auf eine dauerhafte Entsorgung bedacht sein. Die Bundesregierung will mit ihrem Gesamtkonzept ein Höchstmaß an Sicherheit für die Bevölkerung erreichen, mehr Sicherheit bei der Versorgung mit Energie, aber ebenso mehr Sicherheit bei der Entwicklung und beim Ausbau neuer Energiequellen.Ich will Ihnen nicht vorenthalten, daß wir das einzige Land der Welt sind — das hat auch die gestrige Debatte in Luxemburg bewiesen —, das sich mit einer solchen Intensität mit der Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie und der Entsorgung beschäftigt. Unsere europäischen Nachbarn denken im Augenblick überhaupt nicht daran, sich vor die Entscheidung stellen zu lassen, was sie endgültig tun. Wir sind die einzigen, die sagen: Zur Verantwortung der Nutzung gehört auch die Verantwortung der Entsorgung.
Wir bleiben dabei, aber man muß es auch in die internationale Dimension rücken. Die gestern geführten Beratungen haben dies gezeigt. Sie haben im übrigen gezeigt, daß wir im Ausbautempo der Kernenergie exakt im Mittel der europäischen Staaten liegen.Niemand, der Energiepolitik ernsthaft und verantwortungsvoll betreibt, leugnet das qualitativ Neue und die Gefahren, die auch mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie einhergehen. Herr Abgeordneter Riesenhuber, Sie haben versucht, Ihren Redestart mit Hinweisen auf divergierende Beschlüsse aus Fraktionen und Parteien, die diese Regierung tragen, zu untermauern. Ich habe mit einem Abgeordneten Ihrer Fraktion, der anwesend ist, der ein Buch geschrieben hat — —
— Moment, warum reagieren Sie denn so? Ich polemisiere nicht gegen Herrn Gruhl. Da brauchen Siekeine Sorge zu haben. Ich habe mit ihm nicht eine,
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Bundesminister Dr. Friderichssondern mehrere Diskussionen gehabt. Er vertritt einen fundamental anderen Standpunkt, als ich ihn vertrete. Da ich aber glaube, daß er ihn aus Überzeugung vertritt, werde ich ihn hier nicht diffamieren. Nehmen Sie das zur Kenntnis!
Sie sollten sich vielleicht einmal überlegen, ob die Methode der Diffamierung angebracht ist bei einem so schwierigen Punkt, bei dem Teile der Öffentlichkeit orientierungslos sind, bei dem dieses Parlament eine hohe Führungsverantwortung hat, ob wir nicht besser daran tun, anders geartete Meinungen, die ich für falsch halte — ich will das gleich dazu sagen —, wenigstens zu respektieren, statt sie zu diffamieren.
Das ist meine herzliche Bitte an Sie von der Opposition.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?
Dr. Friderichs, Bundesminister: Obwohl das mein Schlußsatz war, bitte.
Herr Bundesminister, würden Sie einmal sagen, wo konkret der Kollege Dr. Riesenhuber irgendein Mitglied dieses Hauses oder die Bundesregierung diffamiert hat.
Dr. Friderichs, Bundesminister: Herr Abgeordneter, ich empfand — dies mag subjektiv sein — die Eingangsbemerkungen über Beschlüsse hier und da als den Versuch einer Diffamierung.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Bundesminister?
Herr Bundesminister, könnten Sie auch nur eine Passage aus der Rede des Kollegen Riesenhuber nennen, in der die vorgetragenen Fakten nicht den Tatsachen entsprechen?Dr. Friderichs, Bundesminister: Nein, Herr Abgeordneter. Das, was er gesagt hat, bestreite ich gar nicht. Ich habe doch nur gesagt, daß ich die Form des Vortrages so empfunden habe. Wenn Sie das stören sollte, bin ich aber sofort bereit, das Wort „Diffamierung" zurückzunehmen.
Denn es kommt mir überhaupt nicht darauf an, hier in irgendeinem Punkt einen vermeidbaren Konflikt hervorzurufen. Wir haben alle miteinander alle Hände voll zu tun, diejenigen Bürger zu unterrichten — nicht im schulmeisterlichen Sinne, sondern im Sinne von Information —, die dieser neuen Technologie, dieser neuen Energieart mit großer Skepsis und mit Angst gegenübertreten, die nicht durchschauen können, wo die vermeidbaren und unvermeidbaren Risiken sind und wie das schreckliche Wort „Restrisiko" zu interpretieren ist. Wir haben überhaupt keine Veranlassung, uns hier wechselseitig in irgendeiner Form Vorwürfe zu machen. Nur dies störte mich an den Eingangsbemerkungen, die auch aus anderen Teilen des Hauses als polemisch empfunden wurden. Nur das wollte ich sagen. Wenn der Ausdruck Sie stören sollte, nehmen Sie ihn weg. Ich bleibe bei meiner Aussage: Wir haben keinen Grund, hier nichtvorhandene Gegensätze aufzubauen.Wir haben allerdings allen Grund — lassen Sie mich dies deutlich sagen — den Versuch zu machen, die Debatte über diese Fragen auch und insbesondere dort zu führen, wo sie hingehört: in diesem Parlament.
Wir haben eine repräsentative Demokratie. Ich begrüße die Anfragen der Fraktionen des Deutschen Bundestages.Lassen Sie mich noch etwas hinzufügen: Wir haben nach meiner Meinung auch allen Grund, dafür zu sorgen, daß sich die Entscheidung in so wichtigen Fragen nicht zunehmend in Bereiche verlagern, die einer parlamentarischen und politischen Verantwortung nicht unterliegen.
Damit meine ich Behörden, Experten und Gerichte. Ich weiß, daß wir in einem Rechtsstaat. leben und daß das Recht besteht, die Gerichte anzurufen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber die Verantwortung, die hier auf uns lastet — und sie ist größer, als es selbst mancher leichtfertige Befürworter wahrhaben will —,
liegt auf uns in diesem Parlament und in der Regierung.Lassen Sie mich hinzufügen: Parteien — ich selber bin stellvertretender Vorsitzender einer solchen— tun sich da vielleicht ein bißchen leichter, weil sie sehr häufig nicht unter dem Entscheidungszwang per Termin stehen. Dieses Parlament tut sich deswegen leichter, weil auch heute wieder keine konkrete Entscheidung ansteht.
— Ich bitte um Entschuldigung, auch über die letzten beiden Energieprogramme brauchten Sie nicht zu entscheiden, weil es hier keine Entscheidungs-
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Bundesminister Dr. Friderichskompetenz gibt. Ich kritisiere das doch gar nicht, sondern stelle es nur dar. Die Bundesregierung selbst — der Kollege Maihofer, der Kollege Matthöfer und ich — stehen permanent per Termin vor Entscheidungen. Wir können die Akten nicht auf Wiedervorlage legen. Diese Verantwortung muß man tragen. Ich trage sie, um es ganz klar und deutlich zu sagen, nach reiflicher Abwägung des Für und Wider und indem ich versuche, mir die Expertenmeinung zu meiner Meinungsbildung hilfreich zu machen, aber nicht, indem ich versuche, meine Entscheidung auf politisch nicht verantwortliche Gremien oder Personen zu delegieren.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich dies als Letztes sagen. Wir werden nicht an unseren Entscheidungen in dieser Legislaturperiode gemessen. Das erschwert Entscheidungen in der Demokratie. Ob diese Regierung, ob dieser Deutsche Bundestag der Verantwortung gerecht geworden ist, wird sich Mitte der 80er Jahre und nicht heute zeigen.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie aber sehr herzlich — auch das ist gottlob Politik —, für die Zukunft Verantwortung zu tragen und dann, wenn man Fehler gemacht hat, dies einzugestehen und Konsequenzen zu ziehen. Ich hoffe, daß die Debatte des heutigen Tages in diesem Sinne verläuft.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Narjes.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Diese Debatte soll die Klarheit in die deutsche Energiepolitik bringen, die ihr seit Jahren in einem besorgniserregenden Maße abhanden gekommen ist. Diese Debatte ist zwar eine Stunde des Parlaments, aber sie gibt auch der Bundesregierung Gelegenheit zu eindeutigeren Antworten auf die Frage nach der künftigen Verfügbarkeit des Produktionsfaktors „Energie". Die Bundesregierung hat uns eine Fülle von Material geliefert. Die 150 Schreibmaschinenseiten, mit denen die Bundesregierung die Großen Anfragen von Koalition und Opposition beantwortet hat, haben aber gleichwohl nur den Wert einer Stichwortsammlung ohne roten Faden. So viel ungelöste Probleme gibt es in ihrem Kreise.Unsere Energiepolitik ist zunehmend weniger kalkulierbar für die Verbraucher und Produzenten, für die Länder und Gemeinden, ja sogar für die Umwelt-, Wirtschafts-, Finanz- und Forschungspolitik selbst geworden. Dabei wäre es nicht einmal schwierig, allgemeine Ziele der deutschen Energiepolitik so zu formulieren, daß alle Parteien ihnen zustimmten. Eines dieser Ziele könnte wie folgt formuliert werden: die verläßliche Bereitstellung einer ausreichenden Versorgung mit umweltverträglicher Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen. Es wäre auch nicht schwer, einige Hauptstoßrichtungen der mittelfristigen Politik so zu beschreiben, daß es wenig Widerspruch gibt. Ich denke an die Aufgaben der Minderung unserer Abhängigkeit vom Importöl, an die Notwendigkeit eines umfassenden Energiesparprogramms und an Maßnahmen zur Erschließung alternativer Energiequellen. Zu allen diesen Punkten enthalten die Eckdaten und die Reden von heute morgen in ihren analytischen Bemerkungen und in ihren Ansätzen möglicher Politik manches, was von allen Seiten unterschrieben werden könnte.Was uns aber trennt — lassen Sie mich dies hier jetzt so deutlich sagen —, ist folgendes: erstens die mangelhafte Einordnung der deutschen Energiepolitik in den auch für uns schicksalhaften Datenkranz der Weltenergiepolitik; zweitens die unzureichende Abstimmung der Energiepolitik der Bundesregierung mit den Erfordernissen einer dynamischen mittelfristigen Wirtschaftspolitik; drittens vor allem aber das fehlende Durch- und Umsetzungsvermögen der energiepolitischen Absichten in konkrete Handlungen und deren konsequenten Vollzug in Schlüsselbereichen und viertens die aus parteipolitischer Schwäche herrührende Bereitschaft der Bundesregierung, längere Engpässe, wenn nicht gar Lücken unserer Stromversorgung in den 80er Jahren mit schwerwiegenden Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Was unter diesen Gesichtspunkten hier geboten wird, ist bestenfalls ein Abriß von Energieästhetik für Technokraten.Die Energiepolitik muß unter den Bedingungen des auslaufenden Ölzeitalters und der bedrohlich zunehmenden Vermachtung der Weltenergiemärkte in langen Fristen konzipiert und angelegt sein. Wer heute ein Kernkraftwerk zu bauen beschließt, muß wissen, daß er den ersten Strom aus diesem Werk allerfrühestens 1987 an das Netz wird geben können. Wer heute einen neuen Schacht abteufen will, wird kaum vor 1987 Steinkohle verkaufen können. Wer heute eine neues Braunkohlenfeld aufschließen möchte, dürfte kaum vor 1990 daraus Nutzen ziehen können. Vergleichbare und sogar längere Fristen gibt es für viele Maßnahmen der Energieersparnis sowie der Entwicklung alternativer Energiequellen.Der Bezugsrahmen 1985, den die Bundesregierung ihren energiepolitischen Aussagen noch als Regelfall gesetzt hat, ist deshalb für eine umfassende Analyse zu kurz gegriffen.
Viele Entscheidungen für 1985 sind so oder so schon heute gefallen. Sie können nicht mehr korrigiert werden. Der Horizont 1990 ist deshalb richtiger, wenn wir zugleich die längerfristige Entwicklung etwa bis zum Jahr 2000 im Auge behalten, so wie es zunehmend erfreulicherweise die internationalen Gesellschaften und die großen Studiengruppen praktizieren. Diese langen Fristen sind keine Einladung zur Flucht aus der Gegenwart. Allein die gründliche Beschäftigung indessen mit den langfristigen Entwicklungstrends vermitteln uns zutreffende Maßstäbe für die Arbeit mit praktikablen Zwischenhorizonten und für die Vorbereitung der auf sie abgestellten Einzelentscheidungen.
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Dr. NarjesWer sich wie die Bundesregierung die langfristigen Entwicklungen nur ungenügend erschließt, verengt seinen Zeithorizont und läuft die Gefahr von Fehlentscheidungen. Wir alle kennen die Ungewißheiten, die das Bemühen um Langzeitprognosen und realistische Zukunftsszenarien belasten. Diese Grundhaltung verbietet uns Aussagen von jener demagogischen Präzision, mit der zuweilen die Öffentlichkeit verunsichert oder in eine ungerechtfertigte Selbstzufriedenheit geführt werden soll. Unsere Prognosen produzieren keine Plansollzahlen nach der Art des Ostblocks. Sie sollen orientieren und, soweit sie vom Staat für seine Politik übernommen werden, ihn selbst verpflichten, damit sie das zureichende Vertrauen aller schaffen, deren Entscheidung von seinen Daten abhängig ist. Prognosen dieser Art sind weder Planung noch Absage an das Wettbewerbsprinzip. Für die CDU/CSU bleibt der Wettbewerb der Energieträger und der Energieversorgungsunternehmen der ordnungspolitische Regelfall und sind nur unvermeidbare Einschränkungen die Ausnahme.Zu den Daten der Weltenergiewirtschaft. Die gegenwärtige Situation von Angebot und Nachfrage auf dem Weltölmarkt wird sich im Verlaufe der 80er Jahre grundlegend ändern. Darüber scheint es weltweit kaum Meinungsverschiedenheiten zu geben, und wenn ich die Redner der Koalition richtig verstanden habe, auch nicht in diesem Hause. Die Frage ist allein, wann die Ölnachfrage stärker gestiegen sein wird als die Weltölproduktion und wann damit der Verkäufermarkt durchschlägt. Die neuen Felder in der Nordsee und, lassen Sie mich hinzufügen, auch in Alaska, von denen soviel berichtet wird, bringen uns nur einen Aufschub von wenigen Jahren, nach denen sich die ganze Last der Erweiterung der Erdölproduktion wieder auf die OPEC-Staaten und vor allem auf Saudi-Arabien verschieben wird.Eine Reihe von Faktoren bestimmen diese Entwicklung. Wenn der Energieverbrauch in den Vereinigten Staaten unverändert weiter steigt, wird der Importbedarf der Vereinigten Staaten allein schon Mitte der 80er Jahre die voraussehbare Höchstproduktion Saudi-Arabiens übersteigen. Dieser Krisenpunkt wird sich in dem Maße in die Zukunft verschieben, wie das Programm des amerikanischen Präsidenten Carter vom Kongreß akzeptiert wird. Die vorliegenden Nachrichten lassen indessen, so fürchte ich, schon mit Sicherheit Abstriche erwarten.Ein größeres Gewicht kommt auch dem Wachstum der übrigen OECD-Länder und dem sich daraus ergebenden wachsenden Ölbedarf zu. Sodann ist es auch denkbar, daß die Sowjetunion in absehbarer Zeit als Ölexporteur auf den Weltmärkten ausfällt und selbst zum Ölimporteur wird. Die energiepolitischen Anstrengungen der Staaten der Dritten Welt schließlich kommen nach allgemeiner Ansicht erst später zum Zuge und werden, bevor die größere mexikanische und ägyptische Produktion erwartet werden kann, nicht ausreichen, um mittelfristig ein Steigen der Ölnachfrage auch dieser Länder zu verhindern. Wie immer diese verschiedenen Nachfragetrends sich auch entwickeln, ein gefahrvolles Ungleichgewicht auf dem Weltölmarkt ist für die 80er Jahre schon heute eindeutig erkennbar.Diese Prognose wird von der kürzlich veröffentlichten internationalen Studie des Workshop on Alternative Energy Strategies ebenso geteilt wie von der im April veröffentlichten CIA-Studie. Bei alledem ist unterstellt — ohne daß wir darüber irgendwelche Gewißheit haben; im Gegenteil, Bundesminister Friderichs hat ausdrücklich von seinem gegenteilig ausgerichteten Gespräch mit dem Scheich Jamani berichtet —, daß die Ölproduzenten ihre ganze Wirtschaftskraft engagieren werden, um unablässig neue Felder zu erschließen und ihre Produktion auszuweiten, also darauf verzichten, ihre eigenen Ölreserven für die Zukunft zu schonen.Zu diesem Mengenproblem dürfte mit Sicherheit ein Preisproblem hinzukommen. Die heutige Preisführerschaft Saudi-Arabiens beruht auf seiner augenblicklichen Fähigkeit, kurzfristig ungenutzte Kapazitäten zu mobilisieren, wenn andere Produzenten höhere Preise durchsetzen möchten. Diese Preisführerschaft endet spätestens Mitte der 80er Jahre. Wir werden dann in den Märkten zu Knappheitspreisen gelangen, die meines Erachtens wesentlich höher sein werden, als gegenwärtig in den Prognosen angenommen wird. Diese Preisbewegung dürfte das Marktgeschehen auch früher als angenommen bestimmen, nämlich sobald der Verkäufermarkt definitiv erkennbar und vom Markt vorweggenommen wird.Präsident Carter hat deshalb zu Recht festgestellt, daß wir die gesamten bekannten Vorräte der ganzen Welt bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts verbraucht haben werden, wenn die Weltnachfrage unverändert wie bisher um jährlich 5 % steigt. Er hat aus dieser Situation konsequent geschlossen, daß die Vereinigten Staaten damit vor der größten innenpolitischen Herausforderung stehen, die diese Nation zu den Lebzeiten der gegenwärtigen Generation zu bestehen haben wird. Die Alternative zu einer entschlossenen Änderung der amerikanischen Energiepolitik wäre nach Carter eine Katastrophe. Abgesehen von der Verhütung des Krieges, gibt es für Carter und für die Vereinigten Staaten keine größere Aufgabe als die der Energiepolitik.Verglichen mit dieser einzig möglichen verantwortlichen Sicht dieses energiepolitischen Existenzproblems der amerikanischen Nation bietet die Bundesregierung heute dem deutschen Volk eine klägliche Mischung von blindem Provinzialismus, biederer Technokratie und Entschlußlosigkeit an.
In welcher Welt leben Sie, meine Herren Minister?
Glauben Sie im Ernst, daß Sie mit Ihrer schlecht zu-bereiteten und kraftlosen Hausmannskost unsere
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2258 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr. Narjesnationalen Lebensinteressen hinreichend wahrnehmen können?
Für die CDU/CSU folgt aus dieser erkennbaren Entwicklung auf den Weltenergiemärkten zwingend eine alles andere überragende Maxime unseres energiepolitischen Handelns:
am knappsten ist der Faktor Zeit, wir haben keine Woche mehr zu verlieren.
Nahezu vier kostbare Jahre wurden vertan. Wir sind in eine Gefahrenzone gekommen, in der uns Knappheit und extreme Preisentwicklungen ohne hinreichend lange Vorwarnzeiten schneller erreichen können, als notwendige Abwehrmaßnahmen möglich sind. Die Bundesregierung verweigert ihre Pflicht, sich der Weltmarktentwicklung mit einer der amerikanischen vergleichbaren Weitsicht und Entschiedenheit zu stellen und Deutschland auf die Nachölwirtschaft vorzubereiten.
Wenn die Bundesregierung nicht unter kriegswirtschaftlichen Bedingungen, die wir nicht wollen — arbeiten in mehreren Schichten und drastische Verkürzung aller Verfahrensfristen und Instanzenzüge —, arbeiten und das Problem noch lösen will, muß sie neben ihren eigenen Anstrengungen jetzt sogar noch vermehrt die Instrumente der internationalen Zusammenarbeit einsetzen und nutzen, damit wenigstens durch abgestimmte harte Maßnahmen zur Drosselung des Energieverbrauchs ein wenig mehr Zeit zur Anpassung an die Wirklichkeit der 80er Jahre gewonnen wird.Die Bundesregierung sollte auch prüfen, wieweit sie mit unserer Entwicklungspolitik mehr als bisher möglichst vielen Entwicklungsländern helfen kann, eine eigene Energieproduktion aufzubauen und ihre Energie sparsam zu verwenden. Unter diesem Gesichtspunkt wäre eine Aufstockung der hierfür zur Verfügung stehenden Mittel zugleich auch gute deutsche Energiepolitik.Eine zweite Konsequenz ist ebenfalls fällig. Sie betrifft die Sicherung unserer Versorgung in politischen Krisen, etwa nach einem Lieferboykott oder vergleichbaren Erscheinungen. Wir stehen heute ins-. gesamt kaum besser da als 1973. Man komme uns nicht mit der selbstgefälligen Behauptung, die damalige Krise sei ein einmaliger und aufgebauschter Vorgang des Winters 1973/74 gewesen. Die politische Situation in den Hauptölländern ist viel zu labil, als daß die Wiederholung von Embargomaßnahmen ausgeschlossen werden kann. Schon das letzte Wahlergebnis in Israel hat ausgereicht, um verschiedene arabische Minister zu einer erneuten Drohung mit der Ölwaffe zu veranlassen.
Auch Saudi-Arabien hat sich ihren Gebrauch immer wieder ausdrücklich vorbehalten. Wir können uns vor ihr nur durch sehr hohe Vorräte und theoretisch durch die Sicherung von ausreichenden Bezugsquellen außerhalb des OPEC-Raumes schützen. Letzteres dürfte auch bei sprudelnden Nordseequellen nur sehr begrenzt möglich sein. Es bleibt allein die Vorratshaltung.Wir halten es für leichtfertig, wenn die Bundesregierung darauf verweist, daß das in der Europäischen Gemeinschaft und in der Internationalen Energieagentur vereinbarte Vorratsziel von 90 Tagen bald — wann immer das sein mag — erreicht sein werde. Vorräte für 90 Tage dürfen für uns nur eine Mindestmenge sein. Diese Verpflichtung hindert uns nicht, das zu unserer Versorgungssicherheit Notwendige zu tun. 90 Tage reichen nicht für die durchaus denkbaren spezifisch deutschen Gefährdungen ;aus.Wir befinden uns im Einklang mit der Analyse des amerikanischen Präsidenten Carter, die ihn zu dem Entschluß führte, eine nationale Ölreserve von einer Milliarde Barrel Öl anzulegen, obwohl die Vereinigten Staaten immer noch eine große eigene Ölproduktion aufweisen, in der Kohle- und Uranversorgung autark sind und wohl wegen ihrer Macht und ihrer Geographie einer wesentlich geringeren Bedrohung ausgesetzt sein dürften als Deutschland. Eine Milliarde Barrel Öl bedeuten wenigstens zehn Monate Versorgung und sichern damit mehr politischen Handlungsspielraum, als ihn Vorräte für 90 Tage Deutschland je geben können.Es wäre auch verhängnisvoll, wollte sich die Bundesregierung in diesem Fall auf die Solidaritätsverpflichtungen der IEA oder auch der EG verlassen. Es sind Situationen denkbar — die im einzelnen hier aufzuzeigen nicht der Ort ist —, in denen wir, ähnlich wie 1973/74 Holland, selektiv boykottiert und wohl auch effizienter isoliert werden können, als das der OPEC damals gegenüber den Niederlanden gelungen ist. Unter Umständen hätte die Bundesregierung in einem solchen Fall nicht einmal genügend Schiffsraum, um auch nur das heranzutransportieren, was irgendwo in der Welt verfügbar wäre. Mehr noch: unsere Vorratsschwäche könnte sogar einmal als eine Einladung zu solchen Maßnahmen wirken, so wie große Vorräte abschrecken dürften. Die Gleichgültigkeit der Bundesregierung gegenüber der Aufgabe der Sicherung unserer Versorgung im Krisenfall ist — das sage ich gerade im Hinblick auf die Anstrengungen der Vereinigten Staaten, die doch wohl in derselben Welt wie wir leben — schlicht verantwortungslos.
Daß sich auch Probleme der Sicherheit unserer Uran- und Gasversorgung stellen, will ich nur der Vollständigkeit halber erwähnen. Beides jedenfalls, die Blindheit gegenüber den bedrohlichen Trends auf den Weltenergiemärkten und die Gleichgültigkeit in bezug auf eine angemessene Krisenvorsorge, steht in einem krassen Gegensatz zu der so gern von
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2259
Dr. Narjesder Bundesregierung sonst in Anspruch genommenen Schaurolle des dozierenden Weltökonomen.
Die Antworten der Bundesregierung auf die Zusammenhänge zwischen Wachstum der Volkswirtschaft und dem damit verbundenen Wachstum des Primärenergieeinsatzes und Stromverbrauches haben wir zur Kenntnis genommen. Wir möchten aber auf einen Punkt aufmerksam machen, nämlich darauf, daß die von der Bundesregierung angesetzten Verbesserungen der Relationen zwischen beiden Wachstumsentwicklungen sehr ehrgeizig gewählt sind — ich glaube, Herr Bundesminister Friderichs hat darauf angespielt — und daß die in diesen ehrgeizigen Relationen zum Ausdruck kommenden Sparziele unter Umständen erst zwei oder drei Jahre später erreicht werden können. Die Bedarfsprognosen sind also schon aus diesem Grunde äußerst knapp kalkuliert.Was nun die Wachstumsraten von 4,5 % bis 1980 und 4 % für den Zeitraum 1975 bis 1985 selbst anlangt, so müssen wir sie in einem wirtschaftspolitischen Gesamtzusammenhang würdigen. In diesen Annahmen liegt bereits für die Zeit bis 1980 und deutlicher noch bis 1985 der Verzicht auf eine wirtschaftspolitische Maximalstrategie, die, um in den Alternativen des Instituts der Deutschen Wirtschaft zu sprechen, notwendig wäre, um die Arbeitslosigkeit bis 1980 auf etwa 600 000 herunterzudrücken. Wie will die Bundesregierung bei der Annahme von 4 °/o durchschnittlichen realen Wachstums die Investitionen der privaten Wirtschaft jährlich um durchschnittlich etwa 8 °/o bis zu diesem Endzeitpunkt steigen lassen, ohne die wir aus der gegenwärtigen Stagnation der Beschäftigung nicht herauskommen und den Stau des Strukturwandels nicht abbauen können? Die Bundesregierung muß sich doch darüber klar sein, daß sich eine so knapp bemessene Energiepolitik später einmal als Investitions- und Wachstumsbremse und damit als Hemmnis einer dynamischen Vollbeschäftigungspolitik, also der seit langem fälligen Vorwärtsstrategie, auswirken kann. Ich sage dies gerade in bezug auf die von Bundesminister Friderichs gesetzten Maßstäbe: Mitte der 80er Jahre werden wir sehen, was wir heute entschieden oder versäumt haben.Und hier liegen für uns die entscheidenden Einwände gegen Ihre Eckwerte. Es ist für uns ein unerträglicher Gedanke, daß wir im nächsten Jahrzehnt an der dynamischen Entfaltung unserer Produktivkräfte gehindert sein könnten, weil wir uns heute — unnötigerweise — ein energiepolitisches Zwangskorsett zulegen.
Die Energiepolitik muß — auf absehbare Zeit jedenfalls — den Zielen des Wachstums und der Vollbeschäftigung untergeordnet sein. Wir sind nicht bereit, einen einzigen Arbeitsplatz einer entschlußlosen Energiepolitik zu opfern.
Es ist nicht so, daß diese Zusammenhänge in der Bundesregierung etwa nicht gesehen werden. Wir haben vielmehr den Verdacht, daß SPD und FDP — in Schwäche vereint — unseren Energiebedarf so knapp wie nur irgendwie plausibel darstellbar vorausschätzen,
damit sie in der internen Diskussion ihrer Parteien vor den prinzipiellen Gegnern der Kernenergie bestehen können.
Sie rechnen deshalb fortlaufend opportunistisch
und werfen viele tausend Megawatt Kapazitäten der 80er Jahre heute Ihren inneren Gegnern hin, damit Sie jetzt — zu Lasten der Allgemeinheit — Ruhe haben.
In dem Maße, in dem SPD und FDP dieses Spiel treiben, spielen sie mit dem Wachstum und den Arbeitsplätzen der 80er Jahre.Lassen Sie mich an dieser Stelle, um das gleich hinzuzufügen, Herr Kollege Wehner,
vor der Versuchung warnen, die verschiedenen Bereiche der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik mit Hilfe unterschiedlicher Wachstumsprognosen taktisch zu manipulieren. Wir sind nicht bereit, diese Fassade der Widersprüche zu stützen, und werden unablässig auf Klarheit dringen.
Es darf auch keinen Engpaß in der Stromerzeugung geben. Zusätzlich nämlich zu dem weltweiten Wettlauf mit der Zeit gibt es in Deutschland einen speziellen Kampf gegen die Uhr unserer künftigen Stromversorgung. Dieser mögliche Engpaß ist die Folge des faktischen Zusammenbruchs der Standortauswahl- und -genehmigungsverfahren für neue Kraftwerke sowohl der Kernenergie wie auch der fossilen Primärenergieträger, vor allem also auch der Kohle. Der Engpaß kann sich aber auch aus einer halbherzigen Kohlepolitik oder einer unklaren Kernenergiepolitik dieser Bundesregierung ergeben, und dieser Engpaß ist ausschließlich made in Germany, hausgemacht, kann also auch nur hier behoben werden.
Zur Kernenergie will ich nicht die einzelnen Stadien der Problementwicklung nachvollziehen aber zwei Feststellungen herausheben. Erstens: SPD und FDP haben ein Stück der gemeinsamen Entschließung
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2260 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr. Narjesvom 13. Mai 1976 aufgegeben, ohne daß irgendwelche neuen naturwissenschaftlichen oder technischen Erkenntnisse vorliegen. Der verworrene Diskussionsstand in beiden Parteien läßt nicht erkennen, wo sie tatsächlich stehen.
In beiden Koalitionsparteien fehlt jedenfalls heute ein ausreichender energiepolitischer Konsens. Die Bundesregierung ist deshalb heute faktisch kernenergiepolitisch nur beschränkt handlungsfähig.
Zweitens. Niemand, der sich um eine vernünftige, verantwortungsvolle Beurteilung der Lage bemüht, vermochte bisher eine künftige Energiepolitik aufzuzeigen oder zu entdecken, die die friedliche Nutzung der Kernenergie entbehrlich machen könnte. Es ist auch ein verbreiteter Irrtum, zu meinen, der amerikanische Präsident Carter habe auf die friedliche Nutzung der Kernenergie verzichtet.
Sein Programm sieht vielmehr zu den 63 dort schon laufenden Reaktoren den Bau von 70 weiteren Reaktoren bis zum Jahre 2000 vor,
durch die zusätzlich 360 000 MW Leistung an das Netz gebracht werden sollen. Das ist das Zwölffache der von der Bundesregierung für 1985 noch gewünschten, aber keineswegs mehr gesicherten Menge.
Auch die Vertreter des sogenannten Nullwachstums müssen erkennen, daß auch eine „Nachölwirtschaft" ohne Wachstum nicht ohne Kernenergie auskommen könnte, weil es auf Jahrzehnte keine anderen Substitutionsmöglichkeiten für 01 in hinreichender Quantität geben wird. Dasselbe gilt für diejenigen, die das Wachstum des Primärenergieverbrauchs so weit vom Wirtschaftswachstum abkoppeln möchten, daß letzteres ohne steigenden Energieeinsatz möglich bleibt.Das wichtigste Nahziel zur Orientierung der durch die lebhafte Kernenergiediskussion bundesweit aufgewühlten öffentlichen Meinung ist für uns eine möglichst konzertierte Anstrengung aller, die irgendwie öffentliche Verantwortung tragen — in der Politik, in den Gewerkschaften, in den Medien und im Bildungswesen oder in den Kirchen —, mit dem Ziel, die Kernenergiediskussion wieder auf das Gleis der Vernunft und der Sachlichkeit ohne Agitation und Haß — zu bringen.
Und ich freue mich darüber, daß ich in den Reden der Kollegen Schmidt und Professor Laermann etwa dieselben Gedankengänge gefunden habe.
Eine handlungsfähige Bundesregierung, die sich ihrer Führungsverpflichtung bewußt wäre, hätte diese Aufgabe schon längst offensiv begonnen, innerhalb der sie stützenden Parteien wie in der Öffentlichkeit. Da es sie nicht gibt und da sie ihre Stühle auch nicht zu räumen braucht, weil sie in einer früher gar nicht erkannten Form zum Nutznießer der die Regierungsstabilität sichernden Vorschriften unserer Verfassung geworden ist, sollten alle Meinungsführer auch ohne eine Führung durch die Bundesregierung handeln. Vielleicht gelingt es ihr jedenfalls, das für eine solche umfassende Informationskampagne notwendige Material bereitzustellen.Auch die Bürgerinitiativen können einen wertvollen Beitrag zu dieser Diskussion liefern. Nur müssen wir sie bitten, sich sehr deutlich von den zu ihrer Unterwanderung geschickten Elementen der radikalen Linken zu trennen, denen es nicht um eine kritische Bewertung unserer Energiepolitik geht, sondern ausschließlich um Ansatzpunkte für eine Massensolidarisierung gegen unseren demokratischen Staat.
Der Zweck des Bürgerprotests gegen bestimmte Anlagen oder Standorte heiligt unter keinen denkbaren Umständen eine Allianz mit den Feinden unserer Verfassung und unseres demokratischen Staates.
Wie zynisch diese Gegner denken, leuchtet jedem ein, der die Loblieder auf die Fortschritte der Kernenergie im Ostblock mit ihrer scheinbaren Abneigung gegen dieselbe Kernenergienutzung in den westlichen Demokratien vergleicht.
Dieselben Gruppen, die sich freuen würden, wenn sie fortschrittliche und besonders sichere deutsche Reaktortechnologie nach Königsberg bekommen könnten, treten unter Bürgerkriegsumständen gegen den Bau einer gleichen Anlage in Deutschland auf.
Aber auch in der nicht kommunistisch Linken gibt es einige Töne, die die Vermutung nahelegen, daß für sie der Kampf gegen die Kernenergie in erster Linie ein Vorwand für den Kampf gegen die Soziale Marktwirtschaft ist und daß sie anders denken und handeln würden,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2261
Dr. Narjeswäre die freiheitliche Ordnung einmal durch den Sozialismus überwunden.
Für sie scheint sozialistische Radioaktivität eine andere physikalische Qualität zu haben als die des „kapitalistischen" Systems.
Beide Gruppen der Linken haben sich damit selber aus der notwendigen rationalen Diskussion ausgeschlossen.
Die Forderungen nach Pausen im Denken und nach Moratorien sind deshalb für diese Kräfte Forderungen nach einer möglichst unbegrenzten Pause im Handeln.
Und diese Pause soll für sie der Anfang vom Ende der friedlichen Nutzung der Kernenergie sein.Die verwaschene Haltung des Bundesinnenministers,
die ihnen faktisch schon ein Jahr Aufschub bei der Genehmigung neuer Anlagen gewährt hat,
ist für sie schon ein ermutigender Start- und Teilerfolg. Angesichts des großen Zeitmangels, unter dem wir leiden, kann sich die seit mehr als einem Jahr vom Bundesinnenminister betriebene Kernkraftverhinderungsstrategie unter Umständen als eine der verhängnisvollsten Fehlentscheidungen der Nachkriegszeit erweisen.
Ihre Motive werden uns immer rätselhaft bleiben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Ich bitte um Verständnis, daß wir nach dreieinhalb Stunden Debatte auch einmal einen zusammenhängenden Beitrag bis 13 Uhr abwickeln möchten.
Statt die erwähnte gemeinsame Erklärung vom 13. Mai 1976 als grünes Licht für einen umsichtigen Ausbau der Kernenergie zu nutzen, wie sie gemeint war, verhängte Herr Bundesminister Maihofer faktisch ein Moratorium für neue Kernkraftwerke und ließ die Konfusion über die Planung und Genehmigung von Kohlekraftwerken weiterlaufen.
Was hat sich seither eigentlich ereignet? Welche neuen Erkenntnisse sind aufgekommen, die den Bundesinnenminister zu einem so einschneidenden
Kontinuitätsbruch veranlaßt haben? Die CDU/CSU
steht jedenfalls zu ihrem Beschluß vom 13. Mai 1976.
Wie immer wir die Einlassungen und Antworten der Bundesregierung zur Genehmigungs- und Standortproblematik bewerten, sie bleiben Ausdruck des Unvermögens, mit diesen Problemen sachgerecht fertig zu werden. Seit Jahren erschöpft sie sich in Ankündigungen. Durchsetzungsvermögen und Durchsetzungswille fehlen. So hat Bundesminister Friderichs an dieser Stelle bereits vor zwei Jahren die Einführung eines gesonderten Atom-Planfeststellungsverfahrens angekündigt, das es bei sinnvoller Ausgestaltung erlauben würde, Standorte auch ohne Zeitdruck zu sichern.
Nichts ist bis heute geschehen. Seit Jahren bekundet das Bundesministerium für Wirtschaft Sympathie mit dem Gedanken der Standardisierung der Zulassung von Kernkraftwerken. Wir warten immer noch. Für die Kohlekraftwerke stehen wir auf Grund der Immissionsschutzgesetzbestimmungen vor einem vergleichbaren Dilemma.
Wir stimmen dem Landesminister Riemer in Düsseldorf durchaus zu, wenn er die bestehende Rechtsunsicherheit in der Umweltschutzgesetzgebung beklagt und Rechtssicherheit fordert. Es wäre aber zweckmäßig, wenn er seine Forderungen nicht an einen Unbekannten, sondern an den Alleinverursacher, seinen Parteifreund Professor Maihofer, richtete. Um so unverständlicher ist mir allerdings, daß er es angesichts der notorischen Standortknappheit unterlassen hat, den sofort verfügbaren Standort Ibbenbüren zu nutzen. Die Menschen dort haben es verdient und würden eine solche Entscheidung mit Erleichterung aufnehmen, lieber noch als eine erneute Bekräftigung der bestehenden Verfahren, Herr Kollege Schmidt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Friderichs?
Ich bitte um Verständnis, daß ich bei meiner Ablehnung von Zwischenfragen bleibe.
Wie beurteilt eigentlich der Verfassungsminister Maihofer den Umweltschutzminister Maihofer, wenn in Bergkamen der Betreiber eines Kraftwerkes keinen anderen Ausweg mehr sieht als den der hohen Geldzuwendung an die Führer einer Bürgerinitiative? Das ist verwaltungsrechtliche Selbstjustiz aus der Brieftasche als Ersatz für verweigertes hoheitliches Handeln.Der Höhepunkt der Verwirrung findet sich aber in den kaum noch nachvollziehbaren Arabesken der
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2262 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr. NarjesVerknüpfung von Entsorgung und Standortgenehmigung für Kernenergieanlagen auch in der FDP.
Ich erinnere mich an Meldungen und hörte heute morgen mit Interesse, daß es Beschlüsse der Bundesregierung sind, auf die das zurückgeht, wonach Herr Bundesminister Genscher — inzwischen wird das wohl von der ganzen Bundesregierung getragen —bei der Formel gelandet ist, nach der die definitive Betriebserlaubnis für Kernkraftwerke mit der rechtskräftigen Teilendgenehmigung für Entsorgungsanlagen verknüpft werden soll.
Ich weiß nicht, ob die Urheber solcher Formeln schon jemals in ihrem Leben die Verantwortung für eine große Investitionsentscheidung getragen haben und deshalb ermessen können, was ihre Formel für diejenigen bedeutet, die über den Bau von Kernkraftanlagen entscheiden, also für Milliardeninvestitionen verantwortlich sind und geradestehen müssen.
Sie riskieren doch mehr als ihr Grundkapital. Glaubt man denn im Ernst, daß irgend jemand auf Grund einer solchen Formel auch nur eine einzige Million ansetzen kann?
Die Genehmigungsverfahren und damit die Investitionsentscheidungen sind mit dieser Formel noch stärker als bisher ein reines Glücksspiel, an dem sich bestenfalls Hasardeure beteiligen. So geht es nicht!
Derartige Überlegungen kommen einem energiepolitischen Offenbarungseid gleich und provozieren im Prinzip die Frage nach der Position des verantwortlichen Bundesministers in der FDP.
Noch etwas anderes wird von diesen neuen Kavalieren der Energiepolitik gerne übersehen: die betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Kosten ihrer Geschäftigkeit.
Betriebswirtschaftlich kann etwa eine einzige stillgelegte Baustelle je nach Baufortschritt einen jährlichen Verlust von 20 Millionen DM oder mehr nach sich ziehen. Betriebswirtschaftlich wäre das Verbot der Inbetriebnahme eines fertiggestellten 1 200- MW-Leichtwasserreaktors von keinem deutschen Energieversorgungsunternehmen zu tragen. Volkswirtschaftlich bedeutet das faktische Moratorium, daß im Augenblick Investitionsentscheidungen in Höhe von vielleicht mehr als 30 Milliarden DM nicht vollzogen werden können. Sie verhindern damit einen durch nichts zu ersetzenden Impuls für Wachstum und Vollbeschäftigung. Auch die Bundesbankhat in ihrem Jahresbericht 1976 auf diesen Zusammenhang eindringlich hingewiesen. Wir zahlen schon heute mit einem Teil unserer Arbeitslosigkeit für den desolaten Zustand dieser Regierung, die mit ihrer linken Hand einreißt, was sie mit der rechten geschaffen zu haben scheint.
Wenn die Bundesregierung dann noch elf Landtagsdebatten über Kernenergiepolitik und Standortplanung für Kraftwerke draufsatteln will,
dann würden selbst die Spezialisten der VereintenNationen für die Beseitigung chaotischer Zustände,Herr Kollege Wehner, die Sie anzurichten pflegen,
diese Aufgabe als unlösbar zurückgeben.
Die sich abzeichnenden Veränderungen auf den Weltenergiemärkten berühren unmittelbar die Zukunft der Steinkohle, deren Bedeutung als Basis der nationalen Energieversorgung wir voll würdigen und niemals außer acht gelassen haben. Von ihr wird schon auf mittlere Sicht ein verstärkter Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung erwartet. Dies hat die schon erwähnte Workshop-Studie ausdrücklich auch mit Blick auf Deutschland festgestellt. Eine weit über den jetzt gesicherten Einsatz der Steinkohle zur Verstromung hinausgehende Kohlekonzeption ist deshalb nötig. Die Zeit des verschleierten Gesundschrumpfens der Kohle ist vorüber. Die Gewißheit einer in ihren technischen Konturen schon deutlich erkennbaren zweiten Kohlezeit ist gegeben.
Diese Perspektive steht nicht im Widerspruch zu der Notwendigkeit, eine hoffentlich nur wenige Jahre umfassende Durststrecke zu überwinden. Sie wird um so kürzer sein, je stärker die Bemühungen um neue Technologien, vor allen Dingen auch um den Hochtemperaturreaktor, vorangetrieben werden. In der Zwischenzeit hat die Kohle Anspruch auf Solidarität.
— Wir werden uns wiedersprechen, meine Herren, wenn es um die Zahlen geht.Ich fasse diesen Teil zusammen: Sind mithin die Energiebedarfsprognosen zu knapp bemessen, fällt der Bau neuer Kernkraftwerke der Konfusionsstrategie des Bundesinnenministers zum Opfer, steht schließlich dem Bau konventioneller Kraftwerke die komplette Planungsungewißheit entgegen, so sehen wir heute nicht mehr, wie die Bundesregierung noch rechtzeitig die sich für Anfang der 80er Jahre abzeichnenden Versorgungsengpässe, vielleicht sogar Versorgungslücken, schließen kann. Sie ist hierauf
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Dr. Narjesschon von den Spitzenverbänden hingewiesen worden. Wir werden die Schwelle der 80er Jahre in 30 Monaten überschreiten.
Bis dahin kann die Bundesregierung keinen grundlegenden Wandel mehr herbeiführen. Wie kann man diese Situation anders zusammenfassen als in der Feststellung, daß die Energiepolitik der Bundesregierung gescheitert ist?Noch einige Sätze zur sparsamen Energieverwendung.
Zwischen Regierung und Opposition ist die Notwendigkeit einer umfassenden Politik zur sparsameren Verwendung der Energie und der Entwicklung alternativer Energiequellen unstreitig. In beiden Bereichen ergibt sich aber dasselbe unbefriedigende Bild: gute Absichten und wenig Taten, aus welchen Gründen auch immer. Wenn im Herbst die ersten beiden Verordnungen zum Energieeinsparungsgesetz in Kraft treten, werden vier Jahre seit der Ölblockade von 1974 ins Land gegangen sein. Für die übrigen Aufgaben der sparsamen Energieverwendung haben wir an diesem vierten Jahrestag bestenfalls ein Programm. Was muß eigentlich geschehen, bis die Bundesregierung den Bonner Amtsschimmel und — ich füge hinzu — auch den des Bundesrates zum Traben bringt? Spüren Sie nicht den Kontrast zwischen dieser Behäbigkeit und dem bitteren Ernst, mit dem dasselbe Thema etwa in den Vereinigten Staaten abgehandelt wird?Ich will der weiteren Debatte um die Einzelheiten nicht vorgreifen, aber folgende Punkte herausstellen. Erstens: Alle diese Maßnahmen kosten mehr Zeit, als die Öffentlichkeit vermutet. Zweitens: Viele von Ihnen bringen ein geringeres Nettosparergebnis, als die Bürger im Lande meinen. Dies ist kein Grund, sie zu unterlassen. Keine wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit sparsamerer Energieverwendung darf unterbleiben, weil sie gesamtwirtschaftlich nur einen begrenzten Effekt hat. Die Wirkung des ganzen Bündels der notwendigen Maßnahmen wird über den Erfolg der Strategie entscheiden. Aber jede einzelne wird dazu beitragen, die Verhaltensweise der Bürger bewußt zu beeinflussen und das öffentliche Bewußtsein für eine rationellere Energieverwendung zu schärfen. Darüber scheinen nach den Beiträgen des heutigen Morgens auch keine Meinungsverschiedenheiten mehr zu bestehen.Es wäre aber ein folgenschwerer Denkfehler, alle Maßnahmen der sparsamen Energieverwendung oder der Suche nach neuen Energiequellen über die Schreibtische der Forschungsbürokratie zu dirigieren. Das kann nur dort sinnvoll sein, wo von der Größe der Aufgabe her oder aus anderen Gründen eine rechtzeitige oder konzentrierte Anstrengung der Wirtschaft nicht erwartet werden kann.Wir sind deshalb hier an einem Punkt angekommen, der die Neuausrichtung unserer Forschungspolitik notwendig macht. Sie muß wieder einen erkennbaren Schwerpunkt der indirekten Forschungsförderung erhalten,
der ihr in den letzten Jahren aus verschiedenen, ich vermute, auch aus ideologischen Gründen genommen worden ist. Nur durch breit angelegte und lohnende allgemeine Forschungsanreize werden wir die ganze Fülle des Wissens unserer Ingenieure, den Einfallsreichtum unserer Konstrukteure und den, Gott sei Dank, immer noch hohen Stand unserer Naturwissenschaften energiepolitisch mobilisieren können. Das hat nichts mit blinder Technologiegläubigkeit zu tun, wohl aber mit einem großen Vertrauen in das Leistungsvermögen unserer Ingenieure, Forscher und Wissenschaftler, ob sie in kleineren oder größeren Unternehmen arbeiten, in Forschungsinstituten oder Universitäten. Ihnen klare Signale zu geben, ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer energiepolitischen Existenzsicherung.Meine einzige erfreuliche Feststellung ist die völlige Übereinstimmung mit der Bundesregierung in der Frage des Exports von Nuklearanlagen unter den erklärten Bedingungen der Sicherheit und der Vorsorge gegen den Mißbrauch und die Verbreitung von militärisch nutzbarem nuklearen Wissen, aber auch unter deutlichem Hinweis auf die den Nichtnuklearmächten nach dem Nichtverbreitungsvertrag zustehenden Rechte. Wir sind nicht bereit, darauf zu verzichten.Daß wir inzwischen über eine Kerntechnik verfügen, die höchsten Sicherheitsstandards gerecht wird, daß wir einen inzwischen sehr erfolgreichen Export der Reaktorindustrie verzeichnen können, auch das verdankt die Bundesrepublik ganz wesentlich unseren Physikern und Ingenieuren.
Herr Bundeswirtschaftsminister, ich möchte zum Schluß auf eine Rede zurückkommen, die Sie vor einigen Wochen in Mannheim gehalten haben. Ich darf daraus zitieren:Wenn wir also wirklich glauben und überzeugt sind, daß diese Primärenergie nötig ist für dieses Land, für die Rolle, die es in der Welt zu spielen hat, dann muß man dafür kämpfen, und wenn man den Kampf verliert, muß man die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
Ich bin zusammen mit meinen Kollegen bereit, den Kampf aufzunehmen.
Hoffentlich folgen uns dabei auch die Mitgliederan der Basis der Parteien; denn da haben wir
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Dr. Narjessicher ein Problem. Ich spreche das zum erstenmal öffentlich aus.
Wo leben wir denn, wenn das Parlament ja gesagt hat
— ich zitiere Friderichs —zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und wenn dann Kräfte aus den eigenen Reihen vor Ort gegen die Unternehmen oder gegen die Regierung, d. h. gegen ihre eigene gewählte Repräsentanz, zu Felde ziehen?Herr Bundesminister, wir haben vor diesen Sätzen hohen Respekt.
Wir sind aber der Überzeugung, daß Sie nach allem, was hier angedeutet werden konnte und dargestellt worden ist, diesen Kampf um eine vernünftige Energiepolitik nicht mehr gewinnen können. Das Maihofer-Moratorium, das, verbunden mit der von Ihnen heute morgen vorgetragenen Formel, doch bis zu drei oder fünf Jahre Aufschub des Baus neuer Kraftwerke bringen kann — wenn Sie die Praxis sehen —,
und die Weigerung des Bundesinnenministers, die verschiedenen Genehmigungsverfahren schnell und sachgerecht zu rationalisieren, stehen in einem unauflösbaren Widerspruch zu den von Ihnen selbst propagierten Zielen der Wirtschaftspolitik und zu unserem nationalen Interesse an einer schnellen Anpassung an die Nach-Öl-Wirtschaft. In beiden Koalitionsparteien schwindet Ihre politische Basis für eine solche Energiepolitik.
Jeder Monat, in dem Sie in erzwungener Passivität verharren, macht Sie zum Mitschuldigen einer verhängnisvollen Entwicklung.Wir erwarten deshalb nunmehr die von Ihnen selbst angekündigten Konsequenzen.
Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Um 14 Uhr beginnt die Fragestunde. Die Debatte wird um 15.30 Uhr fortgesetzt.
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 8/571 —
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. de With zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Frau Abgeordneten Simonis auf:
Treffen Berichte zu, wonach die Bundesregierung Erwägungen anstellt, die im neuen Mietgesetz geschaffenen Vorschriften zum Schutz des Mieters wieder abzuschaffen, um den Wohnungsbau anzuregen, und auf Grund welcher gesicherten Erkenntnisse wird der Zusammenhang zwischen Mieterschutz und Bautätigkeit gesehen?
Von der Bundesregierung werden Erwägungen der in Ihrer Frage genannten Art nicht angestellt. Nach einer Entschließung des 7. Deutschen Bundestages anläßlich der Verabschiedung des Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetzes soll die Bundesregierung nach Ablauf von vier Jahren seit dessen Inkrafttreten, d. h. Anfang 1979, über die Auswirkungen des Gesetzes berichten. Mit dem Deutschen Bundestag hält die Bundesregierung diese vierjährige Beobachtungsphase für erforderlich, um hinreichende Erfahrungen über die Auswirkungen des neuen Rechts in der Praxis zu sammeln und zuverlässige Schlußfolgerungen für eine eventuelle Anpassungsbedürftigkeit des Mietrechts ziehen zu können. Die bisherigen Erfahrungen reichen hierzu nach Auffassung der Bundesregierung nicht aus.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß bestimmte Äußerungen eines Kabinettsmitgliedes in der Presse geradezu diesen Eindruck erwecken konnten, den ich in der Frage aufgeworfen habe, daß nämlich die Bundesregierung schon ganz konkrete Vorstellungen darüber hat, daß zwischen Mietpreis, Mieterschutz und mangelnder Bautätigkeit im Bereich des sozialen Wohnungsbaus doch ein Zusammenhang besteht?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Mir sind derartige Auswirkungen nicht bekannt. Ich habe meine Antwort auf Ihre Frage gegeben und darf wiederholend darlegen, daß wir zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür sehen, in Erwägungen einzutreten, die Sie angedeutet haben.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir erlauben, noch einmal auf diese Frage zurückzukommen, wenn ich Ihnen einen entsprechenden Artikel zuschicke?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Sicher.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die Mieterschutzgesetze keinen Bezug auf die Miethöhe bei Erstvermietung oder Wie-
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Conradidervermietung einer Wohnung haben und daß deshalb die von den Haus- und Grundbesitzerverbänden und ihrer Lobby ins Gespräch gebrachte Behauptung, der Mieterschutz schränke die Neubautätigkeit ein, sachlich und rechtlich falsch ist?Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen gern bestätigen, Herr Kollege, daß der Vermieter bei Erstvermietung in der Festsetzung der Miethöhe frei ist und daß es praktisch nur nach § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes — Mietwucher — eine Begrenzung gibt. Im übrigen darf ich noch hinzufügen, daß der Vermieter nach dem hier in Rede stehenden Gesetz die Betriebs- und Kapitalkostensteigerungen umlegen kann und daß dasselbe im Prinzip bei der Modernisierung und der entsprechenden Erhöhung der Miete gilt. Ich kann nicht davon ausgehen, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Mietrecht im Sinne des Mieterschutzrechtes und dem zu beobachtenden Stagnieren der Investitionen in diesem Bereich gibt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schneider.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Gerichte wiederholt Vermieter deswegen mit erheblichen Bußgeldern belegt haben, weil sie bei Neuvermietungen eine Miete von 10 °/o über der örtlichen Vergleichsmiete verlangt haben?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schneider, ich meine, ich hätte auf die Frage von Herrn Kollegen Conradi dargelegt, daß der Erstvermieter in der Festsetzung der Miete frei ist, daß diese Freiheit nur in § 5 des Wirtschaftsstrafgesetzes ihre Grenze findet, in dem Bestimmungen über den Mietwucher zu finden sind. Mir ist bekannt, daß es hierzu verschiedene Urteile gibt, die von Prozentsätzen ausgehen. Man kann generell nicht von einem Satz von 10% ausgehen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kunz .
Herr Staatssekretär, können Sie dem Hohen Hause sagen, worin die Ursachen dafür liegen, daß der Mietwohnungsbau nahezu völlig zum Erliegen gekommen ist?
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, es wäre eher Aufgabe des von mir erwähnten Berichts, hierzu genaue und detaillierte Angaben zu machen. Aber nach dem, was wir beobachten können, gibt es folgende Faktoren, die hier eine Begründung sein könnten: die allgemeine Abflachung der wirtschaftlichen Entwicklung, der Rückgang — ein gewisser Rückgang jedenfalls — der Investitionsneigung in der Gesamtwirtschaft — wir hoffen, daß dieser Rückgang bald überwunden sein
wird — und die Preisentwicklung auf dem Wohnungsbausektor. Besonders erwähnen darf ich außerdem den an einzelnen Orten bereits vorhandenen unvermietbaren Wohnungsbestand, der einfach darauf zurückzuführen ist, daß an den Bedürfnissen vorbei gebaut wurde. Und schließlich wird es die Investitionsneigung sicher nicht fördern, wenn von gewissen Interessenvertretern gesagt wird, das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz sei ein Mietpreisstopp-Gesetz.
— Wenn das eine Zusatzfrage war — ich werte es so, Frau Präsidentin —, will ich sie gern beantworten.
Wenn Sie sie beantworten wollen, dürfen Sie es.
Dr. de With, Parl. Staatssekretär: Sehr gern.
Ich glaube, die Mieten, die, sofern es keine Erstmieten sind, derzeit nach dem Zweiten Wohnraumkündigungsschutzgesetz festzulegen sind, entsprechen in etwa der Marktmiete. Dagegen kann wohl eigentlich niemand etwas haben. Eine ganz andere Frage ist, was es kostet, eine entsprechende Mietwohnung zu bauen, und wie sich hier eine Rendite ergibt. Jedenfalls bleibt festzuhalten, daß es überhaupt keinen Grund dafür gibt, das Zweite Wohnraumkündigungsschutzgesetz in irgendeiner Form zurückzunehmen. Niemand wird bestreiten, daß es sich sehr segensreich ausgewirkt hat.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär de With, für die Antworten und für das Übersoll.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Haack zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Schneider auf:
Welche konkreten Erfahrungen liegen der Bundesregierung über die Arbeit und den Erfolg kommunaler Wohnungsvermittlungsstellen vor, inwieweit sieht sich die Bundesregierung durch die Ergebnisse einer vom Deutschen Städtetag durchgeführten Untersuchung über die Arbeit kommunaler Wohnungsvermittlungsstellen veranlaßt, ihre positive Bewertung dieser Einrichtungen, die sie ausdrücklich in der Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU in der letzten Legislaturperiode begrüßt hat, zu überprüfen, und welche sonstigen Konsequenzen ist die Bundesregierung bereit, aus der Untersuchung des Deutschen Städtetags zu ziehen?
Herr Kollege Schneider, der Deutsche Städtetag hat unlängst eine erneute Anfrage bei den Städten über ihre Erfahrungen mit kommunalen Wohnungsvermittlungsstellen für den Zeitraum von Juli 1974 bis Ende 1976 durchgeführt. Die eingegangenen Arbeiten werden gegenwärtig vom Deutschen Städtetag erst ausgewertet. Dies wird eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Die Bundesregierung wird das Ergebnis dieser Auswertung prüfen. Sie hat bis heu-
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Parl. Staatssekretär Dr. Haackte keine Veranlassung, die in der Beantwortung der Kleinen Anfrage zu den kommunalen Wohnungsvermittlungsstellen dargelegte Auffassung zu ändern. Im übrigen darf ich erneut darauf hinweisen, daß es sich bei der kommunalen Wohnungsvermittlung um eine Selbstverwaltungsaufgabe der Gemeinden zur Daseinsvorsorge handelt, auf die die Bundesregierung keinen Einfluß nehmen kann.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat Anfang 1975 die Ergebnisse einer eigenen Untersuchung über kommunale Vermittlungsstellen vorgelegt. Kann sie nicht auch auf Grund eigener Erfahrungen bestätigen, daß der Anteil der von den Wohnungsämtern vermittelten Sozialwohnungen weiterhin stark rückläufig ist, so daß die kommunalen Vermittlungsstellen auch im Hinblick auf ihren erheblichen Verwaltungsaufwand keine Daseinsberechtigung mehr haben?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Soweit wir es im Moment überblicken können, ist nach unseren Unterlagen die Situation in verschiedenen Städten unterschiedlich zu bewerten. Wir wollen, wie gesagt, jetzt diese Auswertung des Deutschen Städtetages abwarten. Ich weiß noch nicht, welches Ergebnis sie haben wird. Es gibt darüber bisher auch unterschiedliche Informationen in der Öffentlichkeit. Aber, wie gesagt, Herr Kollege Schneider, es ist eigentlich nicht Aufgabe der Bundesregierung, sich intensiv mit diesem Problem zu befassen. Es ist Sache der Gemeinden, ob sie diese Möglichkeit, solche kommunalen Wohnungsvermittlungsstellen einzurichten, tatsächlich ergreifen wollen, oder, wenn sie solche Stellen bereits eingerichtet haben, diese Tätigkeit wegen schlechter Erfahrungen nicht mehr fortführen.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Schneider auf:
Welche konkreten Erfahrungen liegen der Bundesregierung über die Anwendungspraxis des Verbots der Zweckentfremdung von Wohnraum nach Artikel 6 § 1 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen vom 4. November 1971 vor, treffen insbesondere Pressemeldungen über eine unterschiedliche, teilweise sogar mißbräuchliche Anwendung in den einzelnen Ländern und Gemeinden zu , und inwieweit sieht sich die Bundesregierung veranlaßt, die bereits in der letzten Legislaturperiode in Aussicht gestellte Überprüfung des Zweckentfremdungsverbots mit dem Ziel einer Änderung bzw. Aufhebung dieser Bestimmung nunmehr vorzunehmen?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Über die Praxis der Anwendung des Zweckentfremdungsverbots nach Art. 6 des Mietrechtsverbesserungsgesetzes von 1971 liegen der Bundesregierung selbst keine umfassenden Erfahrungen vor, da die Durchführung bei den Ländern liegt. Diese haben bisher weder über negative Erfahrungen allgemeiner Art noch über mißbräuchliche Anwendungen durch die zuständigen Gemeindeverwaltungen im Einzelfall berichtet.
Die in der Zeitung — in Ihrer Frage beziehen Sie sich auf „Die Zeit" vom 27. Mai 1977 — gebrachten
Ausführungen betreffen zwar, die Richtigkeit der Darstellung unterstellt, derartige Einzelfälle. Mißbräuchliche Anwendungen des Zweckentfremdungsverbotes sind jedoch offenbar durch Gerichte korrigiert worden. Auch die Länder selbst sind im übrigen befugt, den Ermessensspielraum der Gemeinden, namentlich auch hinsichtlich der Auferlegung von Zahlungsverpflichtungen, einzuschränken.
Es trifft zu, wie Sie in Ihrer Frage sagen, daß die Bundesregierung vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Februar 1975 eine Konkretisierung des Art. 6 erwogen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung nicht nur die in Art. 6 enthaltene Ermächtigung für verfassungskonform erklärt, sondern auch hinsichtlich der Auslegung des Art. 6 nähere Ausführungen gemacht. Soweit es trotzdem noch Auslegungsschwierigkeiten gibt, z. B. über die Anwendung des Zweckentfremdungsverbotes beim Abbruch von Wohnraum, ist zur Zeit ein Rechtsstreit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig, dessen Ausgang abzuwarten ist. Die zuständigen obersten Landesbehörden haben im Frühjahr dieses Jahres übereinstimmend erklärt, daß sie gegenwärtig eine Änderung des Art. 6 nicht für notwendig halten. Deshalb sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, die gesetzlichen Ermächtigung für die Länder zu ändern.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nach einem neueren Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist auch der Wohnungsabbruch Zweckentfremdung. Andererseits sieht das Bundesbaugesetz ausdrücklich ein Abbruchsgebot vor. Ergeben sich nach den Erfahrungen der Bundesregierung aus dem Verhältnis der beiden Rechtsvorschriften zueinander Schwierigkeiten, und sieht sich die Bundesregierung von daher veranlaßt, die Gesamtproblematik einheitlich zu regeln und das Zweckentfremdungsverbot auch unter Berücksichtigung des Modernisierungsgesetzes sinnvoll in das Wohnungsrecht einzuordnen?
Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Wir werden diese neueste Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch genau prüfen. Wir werden sie auch in die Erörterungen mit den Ländern einführen. Ich wies gerade darauf hin, daß die Länder bisher keine solche Änderung oder Konkretisierung wollten. Diese Rechtsprechung muß aber berücksichtigt werden. Es muß dann geprüft werden, ob eventuell Änderungen in der von Ihnen in der Frage angedeuteten Richtung vorzunehmen sind. Unsere Überlegungen sind aber noch nicht so weit gediehen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung bestätigen, daß die Genehmigungen für eine Zweckentfremdung durchgehend von der Zahlung von Ausgleichsabgaben abhängig gemacht werden und daß die Gemeinden
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Dr. Schneiderdie Genehmigungen zunehmend als willkommenes Finanzierungsinstrument einsetzen und damit das eigentliche Ziel des Gesetzes, den Wohnungsbestand zu schützen, unterlaufen?Dr. Haack, Parl. Staatssekretär: Wir haben gewisse Anhaltspunkte dafür, daß dies tatsächlich in Einzelfällen geschieht. Wir haben keine Unterlagen darüber, daß es generell geschieht. Wenn sie aber diesbezüglich genauere Erkundigungen wünschen, bin ich bereit, diese Frage nochmals den Ländern zu stellen und um genaueres Informationsmaterial zu bitten, das ich Ihnen dann zusenden würde.
Keine Zusatzfrage? — Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär Haack.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Engholm zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Trifft es zu, daß in einzelnen Bundesländern — beispielsweise in Baden-Württemberg — unter mißbräuchlicher Berufung auf Bestimmungen des Hochschulrahmengesetzes versucht wird, die Selbstverwaltungsrechte der Hochschulen zu beschneiden, die Lehr-, Prüfungs- und Mitbestimmungsbefugnisse von Dozenten, akademischen Räten und Assistenten einzuschränken, die verfaßte Studentenschaft abzuschaffen, mit dem Ordnungsrecht ein Sonderrecht für Studenten einzuführen und ohne Studienreform rigorose Regelstudien einzuführen, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung gegebenenfalls diesen Fehlentwicklungen entgegenzuwirken?
Herr Kollege Thüsing, Ihre Frage läßt sich aus der Sicht der Bundesregierung im gegenwärtigen Zeitpunkt aus unterschiedlichen Gründen noch nicht definitiv beantworten.
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß eine verbindliche Äußerung der Bundesregierung erst möglich ist, wenn das Hochschulrahmengesetz voll in Landesrecht umgesetzt ist; das ist zur Zeit noch in keinem Bundesland der Fall. Die Umsetzungsarbeiten haben in der Mehrzahl der Bundesländer erst das Stadium des Referentenentwurfs erreicht; erst in zwei Ländern liegt den Landesparlamenten ein Regierungsentwurf vor.
Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß das Hochschulrahmengesetz in vielen Bereichen dem Landesgesetzgeber Spielräume läßt, die von ihm auf Grund eigener Entscheidung in der einen oder anderen Richtung ausgefüllt werden können. Es ist Aufgabe der Landtage, die hierzu notwendige hochschulpolitische Diskussion zu führen und die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Ich darf das an einigen Beispielen deutlich machen.
Die Entscheidung etwa, ob die verfaßte Studentenschaft eingeführt oder beibehalten wird, stellt das Hochschulrahmengesetz absolut den Landesgesetzgebern frei.
Hinsichtlich des Ordnungsrechts trifft das HRG nur insofern eine verpflichtende Regelung, als das Landesrecht für Gewalthandlungen einen befristeten
Ausschluß vom Studium ermöglichen muß, einen unbefristeten jedoch nicht zuläßt.
Welche Maßnahmen für Behinderungen unterhalb dieser Schwelle getroffen werden, ist wiederum allein landesrechtlichen Entscheidungen vorbehalten.
Nicht durch das Hochschulrahmengesetz gedeckt wäre es, wenn der vom Gesetzgeber hergestellte Zusammenhang von Studienreform und Regelstudienzeit aufgelöst würde. Genauer gesagt, nach dem Hochschulrahmengesetz setzt das Wirksamwerden der Regelstudienzeit eine Studienreform voraus.
Rechtliche Möglichkeiten, etwaige Fehlentwicklungen zu korrigieren, hat die Bundesregierung naturgemäß erst nach Verabschiedung der betreffenden Landesgesetze. Als allerletztes Mittel kommt eine Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht in Betracht, die die Bundesregierung wegen Unvereinbarkeit von Landes- und Bundesrecht beantragen kann. Das wäre dann der Weg über die abstrakte Normenkontrollklage.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Thüsing auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung gegebenenfalls die Auswirkungen der genannten Maßnahmen auf die notwendige Öffnungspolitik der Hochschulen für die geburtenstarken Jahrgänge und die Freiheit von Forschung und Lehre?
Engholm, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Thüsing, nach dem eben Gesagten hat die Bundesregierung zur Zeit keinen Anlaß, zu bestimmten Maßnahmen bestimmter Länder im gegenwärtigen Zeitpunkt Stellung zu nehmen. Sie möchte aber generell darauf hinweisen, daß sie im Rahmen der von ihr verfolgten Politik der Öffnung der Hochschulen gefordert hat, daß den Hochschulen bei der Realisierung von Zusatzlastmaßnahmen ein hohes Maß an Eigenverantwortung für einen effizienten und flexiblen Mitteleinsatz im Rahmen der staatlichen Verwendungsvorgaben verbleibt. Insoweit besteht also doch zwischen der Öffnungspolitik und der Sicherung der Selbstverwaltungsrechte der Hochschulen ein unmittelbarer Zusammenhang, von dem wir hoffen, daß er nicht durch bürokratische Reglementierungen oder vermeidbare Konflikte gestört wird.
Keine Zusatzfrage. Dann danke ich Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Engholm.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Brück.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Böhm auf:
Haben Mitarbeiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit im November des vergangenen Jahres in Bolivien an einer Konferenz teilgenommen, auf der über eine Umsiedlung deutschstämmiger Bürger aus Namibia nach Bolivien gesprochen worden ist, obwohl mir die Bundesregierung mitgeteilt hat, daß es „keinerlei Grundlagen" für Berichte gibt, die von einer solchen Umsiedlungsaktion sprechen?
Herr Kollege
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Parl. Staatssekretär BrückBöhm, die Bundesregierung bestätigt nochmals, daß keine Planungen für die Umsiedlung von Namibia-Deutschen bestehen. Im November 1976 fand in Costa Rica eine Tagung des Intergovernmental Committee for European Migration statt. Anläßlich dieser Tagung wurde Herrr Ministerialrat Jelden (BMZ) auf Grund von Presseveröffentlichungen auf den von Ihnen erwähnten Fragenkomplex angesprochen. Herr Ministerialrat Jelden erklärte, er sei weder über den Sachverhalt der Presseveröffentlichungen informiert noch zu Erörterungen bevollmächtigt. Bestrebungen, die Frage der Namibia-Deutschen auf die Tagesordnung zu setzen, wurden abgewehrt.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß die Bundesregierung alles unternehmen wird, um den deutschstämmigen Siedlern in Namibia in ihrer angestammten Heimat das Lebensrecht zu erleichtern?
Brück, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung, Herr Kollege Böhm, geht davon aus, daß die deutschen Staatsbürger, aber auch die Deutschstämmigen in Namibia ihren Beitrag zum Aufbau eines unabhängigen Namibia leisten werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich außerdem davon ausgehen, daß die Bundesregierung auch in Zukunft fest entschlossen ist, keine der erwähnten Umsiedlungsaktionen zu unterstützen oder finanziell zu fördern?
Brück, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Böhm, es kann gar nicht Aufgabe der Bundesregierung sein, wenn irgendein deutscher Staatsbürger, der sich im Ausland aufhält, oder ein Deutschstämmiger den Wunsch hat, in ein anderes Land umzusiedeln, hier etwas zu tun.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, kann 'die Bundesregierung den Verdacht entkräften, der sich aus der beabsichtigten Schließung des deutschen Konsulats in Windhuk ergibt, daß Maßnahmen wie die in der Frage des Kollegen Böhm angesprochenen eben doch erwogen werden?
Brück, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jäger, die Schließung des Konsulats Windhuk hat mit dieser Frage nichts zu tun.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Spranger.
Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß bereits die Diskussion über Umsiedlungsaktionen eine unerträgliche Verachtung des Heimatrechts der dadurch Betroffenen darstellt?
Brück, Parl. Staatssekretär: Diese Auffassung teilt die Bundesregierung nicht. Sie hält es für natürlich, daß man auch darüber nachdenkt, was geschehen könnte, wenn Namibia-Deutsche Namibia verlassen wollten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Wohlrabe.
Herr Staatssekretär, teilen Sie nicht die Meinung, daß die Ausführungen, die Sie hier machen, den Eindruck erwecken können, daß der Schutz, den die Bundesregierung generell jedem Deutschen gewähren sollte, egal, ob er im In- oder Ausland — z. B. auch in Namibia — wohnt, durch das, was Sie gesagt haben, nivelliert wird?
Brück, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung wird deutschen Staatsbürgern in aller Welt den Schutz gewähren, den sie zu beanspruchen haben.
Keine weitere Frage. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär Brück.
Ich rufe nunmehr den Bereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staatssekretär Baum.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Wohlrabe auf:
Für wann ist der Besuch des „Umweltbusses" der Bundesregierung im Rahmen der 60-Städtetour durch die Bundesrepublik Deutschland in Berlin vorgesehen, um auch in der alten deutschen Hauptstadt, in der das Umweltbundesamt nunmehr seinen Sitz hat, innerhalb der Bevölkerung für ein stärkeres Umweltverständnis zu werben?
Herr Kollege Wohlrabe, der vom Bundesinnenministerium auf die Reise geschickte „Umweltbus" wird vom 23. bis 25. September 1977 in Berlin an der Joachimstaler Straße vor dem Allianz-Hochhaus stehen. Berliner Bürger können sich über Umweltschutz überdies regelmäßig in einer Dauerausstellung des Umwelt-Bundesamtes informieren, die seit Anfang Juni dieses Jahres dort gezeigt wird.
Keine Zusatzfrage?
Doch. — Warum war das nicht von Anfang an möglich?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Bus ist am Ende seiner Reise in Berlin und geht vorher durch die Städte der Bundesrepublik. Es ist gar nichts Ungewöhnliches, daß dies erst am Ende geschieht. So haben wir das auch vorgesehen. Es bedurfte also nicht dieser Intervention oder dieser Frage, um den Bus in Berlin zu zeigen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2269
Weitere Zusatzfrage?
Ihr letzter Satz, Herr Staatssekretär, veranlaßt mich nun aber doch, zu fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß in Ihrem Hause ganz andere Erwägungen waren. Nichtsdestotrotz herzlichen Dank, daß Sie sich jetzt anders besonnen haben.
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, auf Erwägungen kommt es meines Erachtens nicht an. Es kommt darauf an, wie man sich endgültig entscheidet. Die Entscheidung habe ich vorgetragen.
Frage 8 des Herrn Abgeordneten Schwencke. — Herr Kollege Schwencke ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet, ebenso seine Frage 9. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 10 des Herrn Abgeordneten Laufs auf:
Sind der Bundesregierung deutsche und ausländische Sterblichkeitsstatistiken bekannt, die sich auf Beschäftigte in Kernkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen beziehen , und welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den verschiedenen Krebshäufigkeiten unter den Atomwerkern im Vergleich zum allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitt?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung mißt der beruflich bedingten Strahlenexposition von in kerntechnischen Einrichtungen Beschäftigten besondere Bedeutung bei. Dies kommt in den sehr restriktiven Grenzwerten, vor allem in den strengen physikalischen und ärztlichen Überwachungsvorschriften der geltenden Strahlenschutzverordnung zum Ausdruck.
Die Ergebnisse dieser Überwachung stellen eine umfassende Gesundheitsdokumentation der in kerntechnischen Einrichtungen Beschäftigten dar. Gleichwohl hält die Bundesregierung es zumindest derzeit
noch für verfrüht, eine ausführliche statistische Auswertung dieser Dokumentation im Hinblick auf Wirkungen vorzunehmen, die eindeutig auf die beruflich bedingten Strahlenexpositionen zurückzuführen wären.
Die von Zahl, Beschäftigungsdauer und jährlicher individueller Strahlenexposition der in kerntechnischen Einrichtungen Beschäftigten abhängige beruflich bedingte Gesamtstrahlenbelastung ist in der Bundesrepublik Deutschland für eine solche statistische Auswertung viel zu gering. Die Fehlerbreite der durch eine solche Auswertung zu erwartenden Ergebnisse wäre bereits auf Grund der Gesetze der Statistik so hoch, daß durch sie keine andere quantitative Ausage zu gewinnen wäre als die, daß, wenn überhaupt eine erhöhte Krebshäufigkeit auftritt, diese gegenüber der spontanen Krebshäufigkeit nicht nachzuweisen ist.
Der Bundesregierung sind Versuche statistischer Nachweise von Wirkungen beruflich bedingter Strahlenexpositionen bekannt, so z. B. auch die erwähnten Untersuchungen der Britischen Atomenergiebehörde. Wie auf Grund der oben geschilderten
Zusammenhänge nicht anders zu erwarten, haben diese Untersuchungen jedoch zu keinem Nachweis des Zusammenhanges zwischen den vorgekommenen beruflichen Strahlenexpositionen und der aufgetretenen Krankheits- bzw. Krebshäufigkeit geführt.
Trotzdem wird die Bundesregierung die Gesundheitsdokumentation über beruflich Strahlenexponierte im Zuge des weiteren Ausbaus der Kernenergie und der Nutzung der Kerntechnik und im Rahmen des durch das Strahlenschutzrecht vorgeschriebenen strengen Überwachungssystems vervollständigen, um im Laufe der Zeit eine schlüssige Aussage über die Vergleichbarkeit insbesondere der Krebshäufigkeit unter den in Atomwerken Beschäftigten mit derjenigen des allgemeinen Bevölkerungsdurchschnitts zu erhalten.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung voraussehen, bis wann das statistische Zahlenmaterial so weit angewachsen sein wird, daß eine schlüssige und zuverlässige Beurteilung der im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt höheren Strahlenexposition der Beschäftigten in kerntechnischen Anlagen möglich ist?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Laufs, Sie können sich vorstellen, daß wir alle interessiert wären, darüber eine Aussage zu bekommen. Ich habe Ihnen aber dargelegt, daß die Erfahrungswerte, die wir haben, so wenig schlüssig sind, daß man sicher noch mit einigen Jahren rechnen muß, bevor man zu halbwegs greifbaren Ergebnissen kommt.
Zweite Zusatzfrage.
Kann ich Ihrer Antwort, Herr Staatssekretär, auch entnehmen, daß das heute vorliegende Zahlenmaterial die von gewisser Seite geäußerte Vermutung nicht stützt, daß sich die Gefahren durch emittierte künstliche Radionuklide von denen in der Natur vorhandener strahlender Stoffe grundsätzlich unterscheiden?
Baum, Parl. Staatssekretär: Davon kann man heute ausgehen. Eine andere Erkenntnis ist zur Zeit nicht möglich.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Möller auf:Wieviel Schutzplätze entsprechend den Richtlinien für den Grundschutz stehen für die zivile Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland heute zur Verfügung, und zwar ohne Einrechnung der Schutzplätze für Personal der Deutschen Bundespost, der Deutschen Bundesbahn, der Bundeswehr und der Krankenhäuser?Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich möchte, wenn Sie gestatten, die Beantwortung beider Fragen zusammenfassen.
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2270 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Möller auf:
Wieviel Schutzplätze können in den Jahren 1978 und 1979 auf Grund der im Bundeshaushaltsplan vorgesehenen Mittel fertiggestellt werden?
Baum, Parl. Staatssekretär: An Schutzplätzen für die zivile Bevölkerung stehen zur Verfügung in Wohngebäuden 64 750, in Gebäuden der Länder und Gemeinden 40 000, in öffentlichen Schutzräumen 1 221 180, zusammen also 1 325 930 Plätze. Mit den 528 000 Schutzplätzen in Behördenbauten des Bundes — Bundeswehr, Bundespost, Bundesbahn, Bundesgrenzschutz — ergeben sich insgesamt 1 853 930 Schutzplätze. Von diesen haben jedoch 863 000 in ehemaligen Schutzbauwerken keine Belüftungseinrichtungen.
In den Jahren 1978 und 1979 werden voraussichtlich insgesamt ca. 20 000 Schutzplätze fertiggestellt werden.
Im übrigen wird sich die Bundesregierung demnächst mit dem Gesamtkomplex der zivilen Verteidigung auf der Grundlage einer Kabinettsvorlage des Bundesinnenministers befassen. Zu den dann zu erörternden Themen gehört auch die Form der Weiterführung des Schutzraumbaus unter Berücksichtigung der Bedrohungs- und Krisenannahmen für die 80er Jahre.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß diese relativ geringe Zahl den Notwendigkeiten eines hinreichenden Schutzes der Zivilbevölkerung gerecht wird?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dieser Auffassung kann sie nun wirklich nicht sein; denn das ist eine Zahl, die der Zahl unserer Bevölkerung nicht entspricht. Auf diesem Gebiet sind in der nächsten Zeit politische Entscheidungen notwendig, die, wie ich gesagt habe, auch in Aussicht genommen sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hält die Bundesregierung das Verhältnis von militärischer Verteidigung — etwa 19,4 % des Bundeshaushalts — zu ziviler Verteidigung — gleich 0,33 0/e des Haushaltes — für vertretbar?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß dieses Verhältnis früher einmal von diesem Hause anders festgelegt worden ist, nämlich günstiger für die Zivilverteidigung. Die Entscheidungen, die dieses Haus und auch die zuständigen Ausschüsse getroffen haben, sind in eine andere Richtung gegangen. Ob das korrigierbar ist, werden die Entwicklungen der nächsten Monate zeigen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die neue Konzeption erwähnt. Wann können wir mit der Vorlage dieser Konzeption der Bundesregierung rechnen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Noch in diesem Jahr, Herr Kollege.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, bezieht die Bundesregierung in ihre Überlegungen auch den Schutz etwa von Nahrungsmitteln und Wasser vor Strahleneinflüssen ein?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist Teil der Konzeption, von der ich eben gesprochen habe.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Dr. Hennig auf:Ist der Bundesregierung bekannt, daß der KJB, die Jugendorganisation des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands, am 21. Mai in Ristedt, Landkreis Grafschaft Hoya, eine Geländeübung durchgeführt hat, die Schießübungen in einer Kiesgrube einschloß, und was gedenkt die Bundesregierung gegen paramilitärische Übungen linker Gruppierungen in aller Öffentlichkeit zu unternehmen?Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Hennig, der Bundesregierung ist der von Ihnen angesprochene Sachverhalt bekannt. Der Kommunistische Jugendbund, KJB, eine Nebenorganisation des Kommunistischen Bundes Westdeutschlands, KBW, führte in der Tat am Nachmittag des 21. Mai dieses Jahres in Ristedt im Landkreis Grafschaft Hoya ein sogenanntes — muß man wohl sagen — Geländespiel durch. Im Rahmen dieser Veranstaltung, an der sich etwa 40 Personen beteiligten, wurden in einer Kiesgrube auch Schießübungen mit Luftgewehren durchgeführt. Die beiden hierfür benutzten Gewehre wurden durch Polizeibeamte beschlagnahmt und ihre Träger zur Personalienfeststellung vorläufig festgenommen. Strafanzeigen wegen Verstoßes gegen Bestimmungen des Waffengesetzes wurden erstattet.Derartige Aktionen des KBW und seiner Nebenorganisationen müssen vor dem Hintergrund der Zielsetzung und der öffentlichen Erklärungen und der Taten des KBW gesehen und beurteilt werden. Der KBW bekennt sich offen zum gewaltsamen Umsturz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Daher beobachten die Bundesregierung und die zuständigen Sicherheitsbehörden der Länder die Entwicklung dieser und anderer militanter extremistischer Gruppen und ihre Aktivitäten sehr sorgfältig. Die Bundesregierung sieht derzeit in der vollen Ausschöpfung von polizeilichen und strafrechtlichen Maßnahmen die angemessene Reaktion der staatlichen Stellen auf Aktionen der geschilderten Art.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2271
Zusatzfrage? — Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger.
Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß sich Vertreter dieser Organisation vor wenigen Tagen in einer Fernsehsendung des deutschen Fernsehens ganz offen zur bewaffneten und gewaltsamen Auseinandersetzung im politischen Raum der Bundesrepublik Deutschland bekannt haben?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das ist ein bedenklicher Vorgang. Aber das ist, was diese sogenannten K-Gruppen und auch die hier in Rede stehende Gruppe angeht, keine Neuigkeit, sondern ein Phänomen, das wir schon seit längerem mit Besorgnis verfolgen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Spranger.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht auch, daß die sorgfältige Beobachtung, wie Sie es nannten, solcher gefährlichen Gruppen nicht ausreichend ist, sondern daß die Bundesregierung auch von den rechtsstaatlichen Möglichkeiten, z. B. in Karlsruhe, Gebrauch machen sollte, gegen solche Organisationen, im Grunde kriminelle Vereinigungen, vorzugehen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie wissen, daß dies ein Thema ist, das uns in diesem Hause — nicht nur hinsichtlich dieses Falles — schon öfter beschäftigt hat. Sie wissen sicher genauso gut wie ich, daß nicht nur die Bundesregierung berechtigt wäre, hier initiativ zu werden. Antragsberechtigt sind ja auch die Länder, ist der Bundesrat. Sie wissen, daß hier eine Diskussion stattgefunden hat und stattfindet, die bisher nicht zu Ergebnissen der von Ihnen angedeuteten Art geführt hat. Wenn solche Überlegungen angestellt werden sollten, halte ich es im übrigen nicht für nützlich, darüber öffentlich zu diskutieren, jedenfalls nicht im Vorfeld.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Wüster auf. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Spranger auf:
Ist der Bundesregierung zwischenzeitlich bekannt, wie die im Fall Traube aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesministerium verschwundenen Akten zum „Spiegel" geraten konnten, und wann ist mit dem Abschluß der Ermittlungen zu rechnen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Spranger, der Bundesregierung liegen noch keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, wie im Fall Dr. Traube der Inhalt von geheimen Vorgängen aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz oder dem Bundesministerium des Innern an das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" gelangt ist.
Am 1. Juni 1977 hat die Staatsanwaltschaft Bonn in dieser Sache umfangreiche Unterlagen des Bundesministeriums des Innern und des Bundesamtes für Verfassungsschutz angefordert, die sie im Interesse einer umfassenden Sachaufklärung auf Grund früheren Erfahrungen für erforderlich hält. Wann mit dem Abschluß des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gerechnet werden kann, ist heute noch nicht abzusehen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, muß nicht aus der Tatsache, daß man hier nun dreieinhalb Monate lang erfolglos ermittelte, der Schluß gezogen werden, diese streng geheimen Akten seien entweder einem unkontrollierbaren Bereich von Leuten zugänglich gewesen oder die Bundesregierung habe ihrerseits kein Interesse an einer raschen Aufklärung gezeigt?
Baum, Parl. Staatssekretär: Das letztere möchte ich entschieden zurückweisen, Herr Kollege. Andere Schlüsse lassen sich daraus nicht ziehen, auch nicht der, den Sie in dem ersten Teil Ihrer Frage gezogen haben.
Eine zweite Zusatzfrage.
Da Sie die beiden Möglichkeiten ausgeschlossen haben, möchte ich Sie fragen: Wollen Sie damit sagen, daß die mit der Ermittlung befaßten Beamten unfähig gewesen seien, die Ermittlungen erfolgreich abzuschließen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Ich möchte in der Öffentlichkeit überhaupt keine Schlußfolgerung ziehen, bevor das Verfahren abgeschlossen ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kunz.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann den Sachverhalt, daß die Dokumente bzw. der Inhalt von Akten des Innenministeriums im „Spiegel" erscheinen?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe soeben schon erklärt, daß Schlußfolgerungen oder Erklärungen nicht möglich sind, weil die Ermittlungen bisher zu keinem Ergebnis geführt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ey.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung hinsichtlich der Wahrung der Ordnungspflicht der Redaktion des genannten Hauses tätig geworden oder nicht?
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2272 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Baum, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, wasSie mit dieser Frage bezwecken, Herr Kollege. Was verstehen Sie unter „Ordnungspflicht der Redaktion"?
Die Sorgfaltspflicht, die jedem Verlag und jedem Redakteur obliegt, gesetzlich obliegt. Meine Frage lautet: Ist die Bundesregierung dieser Frage nachgegangen und auf dem Sektor tätig geworden?
Baum, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe keinen Anlaß, mich hier zur Sorgfaltspflicht einer Redaktion zu äußern.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Broll.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich dann, daß der Bundesinnenminister bereits vor zehn bis zwölf Wochen im Innenausschuß erklären konnte, man stehe kurz vor der Aufklärung dieser Dinge?
Baum, Parl. Staatssekretär: Es gab, Herr Kollege, in der Tat Anzeichen, die eine solche Hoffnung damals gerechtfertigt erscheinen ließen. Aber es ist, wie Sie sehen, sehr schwierig, ein konkretes Ermittlungsergebnis zu erhalten. Eines möchte ich noch einmal ganz deutlich klarstellen: Wir haben ein sehr starkes Interesse daran, zu einem Ergebnis der Ermittlungen zu kommen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Schäfer.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie der Auffassung sind, daß es sich hier um ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft handelt und Sie es nicht nur für untunlich, sondern geradezu für unzulässig halten, sich dazu zu äußern, solange die Staatsanwaltschaft ihrerseits ihre Pflicht tut?
Baum, Parl. Staatssekretär: Ja, genau das habe ich ausgeführt, Herr Kollege. Ich danke Ihnen für Ihren unterstreichenden Hinweis.
Keine weitere Zusatzfrage? — Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär Baum.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Offergeld zur Verfügung. Ich rufe Frage 16 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
Wie oft hat die Bundesregierung in den letzten beiden Jahren von ihrer Anhörungspflicht gemäß § 47 des Kreditwesengesetzes Gebrauch gemacht, und was hat sie gegebenenfalls auf Grund von Anhörungen gegen wen unternommen?
Herr Kollege Ey, nach § 47 Abs. 2 des Kreditwesengesetzes hat die Bundesregierung
die Deutsche Bundesbank zu hören, bevor sie durch Rechtsverordnung ein Moratorium für einzelne Kreditinstitute oder die gesamte Kreditwirtschaft anordnet oder die Wertpapierbörse vorübergehend schließt.
Der Erlaß einer solchen Rechtsverordnung setzt nach § 47 Abs. 1 des genannten Gesetzes voraus, daß wirtschaftliche Schwierigkeiten bei Kreditinstituten schwerwiegende Gefahren für die Gesamtwirtschaft, insbesondere für den geordneten Ablauf des allgemeinen Zahlungsverkehrs, erwarten lassen. Derartige allgemeine wirtschaftliche Gefahren sind bisher von Schwierigkeiten einzelner Kreditinstitute nicht ausgegangen; die Bundesregierung brauchte deshalb § 47 des Kreditwesengesetzes noch nicht anzuwenden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung im Rahmen der Anhörungs- und Aufsichtspflicht auch geprüft, ob und inwieweit eine Tochter der Hessischen Landesbank noch kürzlich in großzügiger Weise auf Kreditrückzahlungsforderungen in zweistelliger Millionenhöhe ohne Ausschöpfung der Rechtsmittel verzichtete?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darauf hatte die Bundesregierung im Rahmen der von Ihnen angesprochenen Vorschrift nicht zu achten. Mir ist das nicht bekannt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung im Rahmen der Aufsichtswahrnehmung nach dem KWG auch Kenntnis von Grundstücksgeschäften bekommen, in die die Hessische Landesbank und die Bank für Gemeinwirtschaft im Zusammenhang mit dem gigantischen Verwaltungsneubau miteinander involviert sind?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Ey, ich sehe keinen Zusammenhang mit der von Ihnen gestellten Frage. Ich bin deswegen auch nicht darauf vorbereitet, zu diesem Sachverhalt, den Sie hier erfragen, Stellung zu nehmen. Mir ist das nicht bekannt.
Keine weitere Zusatzfrage. — Frage 17 wird auf Wunsch der Fragestellerin, der Abgeordneten Frau Simonis, schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Röhner auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage `abgedruckt.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2273
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 19 des Abgeordneten Schröder auf:Teilt die Bundesregierung die Sorge zahlreicher Inselbewoh ner an der deutschen Nordseeküste, daß bei Inkrafttreten der sechsten EG-Mehrwertsteuerrichtlinie die ohnehin schon hohen Fahrkosten im Inselverkehr erheblich steigen werden und neben sozialen Härten auch negative Auswirkungen für die Entwicklung des Fremdenverkehrs befürchtet werden müssen?Offergeld, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schröder, auf Grund der 6. Mehrwertsteuerrichtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften ist die Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich verpflichtet, auch die Beförderungen zu den deutschen Nordseeinseln der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Die Bundesregierung hat Verständnis dafür, daß die Bewohner der Nordseeinseln eine Erhöhung ihrer Fahrtkosten vermeiden möchten. Die Bundesregierung befürchtet nicht, daß die Besteuerung des Beförderungsverkehrs zu den deutschen Nordseeinseln negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Fremdenverkehrs haben wird. Auch die übrigen EG-Mitgliedstaaten müssen entsprechende Regelungen treffen.
Eine Zusatzfrage? — Keine. Dann rufe ich Frage 20 des Abgeordneten Schröder auf:
Ist die Bundesregierung bereit, in Anerkennung dieser Bedenken von der Möglichkeit der Ausnahmeregelung entsprechend Artikel 28 Abs. 3 b dieser Verordnung Gebrauch zu machen und gemäß Anlage F Ziffer 17 zunächst für eine Übergangszeit von fünf Jahren die Beförderung von Personen im Inselverkehr von der Mehrwertsteuer freizustellen?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zur Zeit läßt sich noch nicht überblicken, ob die Bundesregierung den gesetzgebenden Körperschaften vorschlagen wird, die Steuerbefreiung für den Beförderungsverkehr auf inländischen Wasserstraßen, zu dem auch der Inselverkehr gehört, für eine Übergangszeit beizubehalten. Die Frage wird derzeit mit dem Bundesverkehrsministerium und den Bundesländern geprüft.
Keine Zusatzfrage. Dann rufe ich Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Kreile auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal; die Frage wird schriftlich beantwortet, und die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Für die Fragen 22 und 23 ist vom Fragesteller, dem Abgeordneten Carstens , schriftliche Beantwortung erbeten worden, so daß die Antworten ebenfalls als Anlage abgedruckt werden.
Ich rufe Frage 24 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf:
Mit welcher Zuweisungshöhe des Brennkontingents können die Kartoffelgemeinschaftsbrennereien für das Brennjahr 1977/78 rechnen, und welche Mengen an Agraralkohol wurden im vergangenen Jahr aus welchen Ländern der EG und von außerhalb eingeführt?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kunz, Ihre Frage besteht aus zwei Teilfragen, die ich wie folgt beantworten möchte:
Erstens. Die Bundesregierung beabsichtigt, im Betriebsjahr 1977/78 das Jahresbrennrecht der Eigenbrennereien, also auch der Kartoffelgemeinschaftsbrennereien, auf 90 % des regelmäßigen Brennrechts
festzusetzen. Diese auf Grund des Absatzrückganges der Bundesmonopolverwaltung infolge von Alkoholimporten notwendige Brennrechtskürzung hat das Bundesfinanzministerium mit dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten abgestimmt. Die Bundesmonopolverwaltung hat den Verbänden der Branntweinwirtschaft die beabsichtigte Brennrechtskürzung mit Schreiben vom 29. April 1977 bekanntgegeben. Auch in der Fachpresse ist bereits auf diese Maßnahme hingewiesen worden.
Zweitens. Im Jahr 1976 wurden nach Aufhebung des Einfuhrverbots für unverarbeiteten Alkohol insgesamt 270 440 hl Agraralkohol aus EG-Ländern eingeführt. Die Einfuhren gliedern sich wie folgt auf: Italien 195 022 hl, Frankreich 42 654 hi, Belgien 25 974 hl, Niederlande 6 790 hl reinen Alkohols. Aus Drittländern wurde kein unverarbeiteter Alkohol eingeführt. Die Alkoholeinfuhren halten auch 1977 an. Bis zum 8. Juni 1977 wurden insgesamt 62 899 hl reinen Alkohols aus EG-Ländern, vornehmlich aus Italien, eingeführt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, mit welchem Übernahmepreis rechnen Sie für das vor uns stehende Brennjahr?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Ich gehe zunächst einmal vom gleichbleibenden Übernahmepreis aus.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, welche Regelungen sie in den nächsten Jahren in diesem Zusammenhang treffen wird?
Offergeld, Parl. Staatssekretär: Sie meinen die Festsetzung des Jahresbrennrechts?
Für das Jahr 1977 habe ich Ihnen die Antwort gegeben, Herr Kollege. Wie die Entwicklung im kommenden Jahr verlaufen wird, kann man im Augenblick nicht übersehen. Ich will mich darüber nicht in Spekulationen ergehen. Wir werden die weitere Entwicklung zunächst abwarten müssen.
Keine Zusatzfrage mehr.Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär.Ich rufe nunmehr die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft auf. Zur Beantwortung steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Grüner bereit.Die Fragen 25, 26, 27, 30 und 31 sind gemäß Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde nicht zulässig.
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2274 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Vizepräsident Frau FunckeIch rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Hauser auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz auf.Trifft es zu, daß wie die Bundesregierung behauptet , im Zonenrandgebiet eine Förderung von Investitionen in Höhe bis zu 33% möglich ist, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen und wie oft bzw. mit welchem Anteil geniessen an allen Förderfällen im Zonenrandgebiet solche Prozentsätze zu verzeichnen waren?Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
Herr Kollege, die von Ihnen zitierte Behauptung der Bundesregierung ist mir nicht bekannt; ich konnte sie leider auch nicht in der von Ihnen angegebenen Quelle finden.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage ist zu sagen, daß bei Investitionen im Zonenrandgebiet sich eine Kumulation ergibt, wenn die in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" für das Zonenrandgebiet vorgesehene Spitzenförderung von 25 °/o mit der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen zusammenfällt; das Ausmaß der Kumulation hängt wesentlich von der jährlichen Ertragssituation, von der Art der Wirtschaftsgüter und der gewählten Bilanzierung ab. Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß Sonderabschreibungen mit Zuschüssen nicht vergleichbar sind, weil sie eine zeitliche Verzögerung der Ertragsbesteuerung bewirken. Da diese Berechnungen von betriebswirtschaftlichen
) Daten wesentlich bestimmt werden, kann die Bundesregierung über etwa tatsächlich eingetretene Kumulationswirkungen der Sonderabschreibungen keine Angaben machen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, schließen Sie aus, daß Herr Staatssekretär Höhmann diese Zahl von 33 °/o als möglichen Fördersatz für das Zonenrandgebiet genannt hat?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Da ich in dieser Zeitungsmeldung keine Grundlage für Ihre Anfrage finden konnte, kann ich mich dazu nicht äußern.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn Sie — wie Sie in der Beantwortung der Frage ausgeführt haben — infolge der Kumulation diese Förderungshöhe für möglich halten, können Sie dann annäherungsweise entweder zahlenmäßig oder prozentual bekanntgeben, wie viele Investitionsvorhaben im Zonenrandgebiet einen so hohen Fördersatz erhalten?
Grüner, Parl. Staatssekretär: Das ist leider nicht möglich. Denn Voraussetzung dafür wäre, daß man die Situation, die Sonderabschreibungen und die Bilanzierungsart des einzelnen Betriebs feststellen würde. Darüber haben wir keine Unterlagen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ist der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann im Saal? — Das ist nicht der Fall. Wenn er da wäre, hätte ich seine Frage vorweg aufgerufen.
So muß ich leider bitten, die Fragen 32, 33 und 34 wegen Abwesenheit der Fragesteller schriftlich zu beantworten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär Grüner.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Gallus zur Verfügung. Ich rufe Frage 35 des Herrn Abgeordneten Lampersbach auf:
Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, in welchem Umfang Arbeitsplätze und selbständige Existenzen im Lebensmitteleinzelhandel bedroht sind, wenn der Bundesernährungsminister unter Hinweis auf die Sicherung von 2000 Arbeitsplätzen auch weiterhin gegen den Widerstand seiner EG-Amtskollegen für die Aufrechterhaltung sogenannter „Butterfahrten" in Norddeutschland eintritt, und wenn ja, wie vereinbart die Bundesregierung diese Erkenntnisse mit ihrem Eintreten für die „Butterfahrten"?
Frau Präsident, ich bitte, die Fragen 35 und 36 gemeinsam beantworten zu dürfen.
Bitte schön, wenn der Herr Abgeordnete einverstanden ist, rufe ich auch die Frage 36 auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß durch die erneute Genehmigung sogenannter „Butterfahrten" dem Staat jährlich nicht nur Steuereinnahmen in Millionenhöhe entgehen, sondern insbesondere im stationären Einzelhandel kleine und mittlere Unternehmen einer verzerrten Wettbewerbssituation gegenüberstehen, die der erklärten Absicht der Bundesregierung, „verbesserte Rahmenbedingungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit" zu schaffen diametral entgegenstehen, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es trifft nicht zu, daß die Bundesregierung für ,die uneingeschränkte Aufrechterhaltung der Abgabenbefreiung bei „Butterfahrten" eingetreten ist. Richtig ist vielmehr, daß die Bundesregierung einer Aufhebung der Abgabenbefreiung bei „Butterfahrten" zugestimmt hat, jedoch unter der Voraussetzung, daß eine Übergangsfrist mit stark reduzierten abgabenfreien Mengen an Agrarwaren eingeräumt wird, damit sich die betroffenen Wirtschaftskreise auf die veränderte Situation einstellen können.Strittig ist noch der Termin für das Auslaufen der Übergangsregelung. Die Kommission sieht nunmehr als Endtermin den 31. Dezember 1978 vor. Im Gegensatz dazu fordert die Bundesregierung, daß die Übergangsregelung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens einer generellen EG-Regelung über Abgabenfreiheit im Luft- und Schiffsreiseverkehr — ich verweise hier besonders auf die duty-free shops — enden soll. Sie ist der Auffassung, daß die Vergünstigungen der „Butterfahrten" solange nicht verboten werden können, als andere Vergünstigungen, z. B. im
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2275
Parl. Staatssekretär GallusLuftreiseverkehr, von denen hauptsächlich einkommensstärkere Bevölkerungsschichten Gebrauch machen, bestehenbleiben.Mit der von der Bundesregierung angestrebten Regelung einer baldigen Reduzierung der abgabenfreien Mengen an Agrarwaren bei „Butterfahrten" um etwa die Hälfte wird der Lebensmitteleinzelhandel seine Wettbewerbsposition verbessern können. Unter diesen Voraussetzungen hält die Bundesregierung eine Gefährdung von Arbeitsplätzen und selbständigen Existenzen im Lebensmitteleinzelhandel für nicht gegeben. Sie ist im übrigen der Überzeugung, mit der von ihr angestrebten Lösung allen Aspekten des Problems am besten gerecht werden zu können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich kann Ihre Antwort also so verstehen, daß die Äußerungen von Herrn Bundesminister Ertl keine ausdrückliche Duldung oder Unterstützung oder gar Werbung für derartige „Butterfahrten" sein sollten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich weiß nicht, um welche Äußerungen es sich handelt, Herr Kollege. Ich habe Ihnen unsere Auffassung dargelegt. Es ist keineswegs so, daß die Bundesregierung oder Herr Minister Ertl für „Butterfahrten" werben.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Bundesregierung und auch Ihr Ministerium sind sich sicher darüber im klaren, daß die Ausbildungsplätze gerade im Einzelhandel gefährdet werden könnten, wenn wir auch in den grenznahen Bezirken Einzelhandelsgeschäfte verlieren, weil der Raum jenseits der Grenze zur Kompensation, wie Sie sagten, dient und weil duty-free shops und auch andere Einkaufsmöglichkeiten in besonderer Weise gefördert werden.
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin der Auffassung, daß die angestrebte Regelung eine Verbesserung in dem von Ihnen vorgeschlagenen Sinne darstellt, indem nämlich die Menge der Agrarwaren, die bei „Butterfahrten" weiterhin gekauft werden kann, um etwa die Hälfte reduziert wird. Das kommt Ihren Bemühungen entgegen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 37 des Herrn Abgeordneten Ey auf:
In welchem Umfang bzw. zu welchem Anteil dienen die in der Öffentlichkeit oftmals kritisierten Aufwendungen zur Förderung der Landwirtschaft ausschließlich, überwiegend oder zum großen Teil der Erhaltung einer gesunden Landschaft?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Aufwendungen zur Förderung der Landwirtschaft dienen zum einen zur unmittelbaren Stärkung der Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft. Zum anderen kommen sie nicht nur den Landwirten allein, sondern allen Menschen im ländlichen Raum zugute. Als Beispiele möchte ich die Flurbereinigung, die Abwasserbeseitigung und den Küstenschutz anführen. Alle für die Landwirtschaft unmittelbar und mittelbar wirksamen Maßnahmen tragen somit zur Erhaltung einer funktionsfähigen Kulturlandschaft bei.
Daneben sollte jedoch nicht außer acht bleiben, daß auch andere Politikbereiche ihren Beitrag zur Erhaltung einer gesunden Landschaft leisten, wie z. B. die regionale Wirtschaftspolitik, die Raumordnungspolitik und der Umweltschutz.
Es ist erfahrungsgemäß außerordentlich schwierig, im einzelnen zu quantifizieren, inwieweit Förderungsmittel zugunsten der Landwirtschaft oder eines anderen Wirtschaftsbereiches der Erhaltung einer gesunden Landschaft zugute kommen. Entscheidend ist, daß die Förderungsmittel in ihrer Gesamtheit dazu dienen, den ländlichen Raum funktionsfähig, attraktiv und lebenswert zu erhalten.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung angesichts der in der Öffentlichkeit häufig zu hörenden Vorwürfe, für die Landwirtschaft würden zu viele Mittel aufgewandt, bereit, in detaillierterer Weise als bisher gegenüber der Öffentlichkeit exakt darzulegen, in welchem Umfang die Aufwendungen nicht nur den Menschen im ländlichen Raum, sondern allen Menschen, die innerhalb einer Region leben, zugute kommen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zum ersten Teil Ihrer Frage kann ich Ihnen sagen: die Bundesregierung ist nicht der Auffassung, daß für die Landwirtschaft zuviel getan würde.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage habe ich Ihnen schon die Antwort gegeben, daß wir, insgesamt gesehen, alles tun, um unsere Bevölkerung über die positive Rolle der Landwirtschaft im Zusammenhang mit dem Umweltschutz aufzuklären. Aber eine exakte Quantifizierung ist leider nicht möglich.
Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Müller auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf:Wie beurteilt die Bundesregierung den Rückgang des Milchverbrauchs an Schulen zugunsten von anderen Erfrischungsgetränken, und welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, den Milchverbrauch wieder zu erhöhen?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kuhlwein, die Bundesregierung bedauert den regional zwar unterschiedlichen, insgesamt aber doch deut-
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2276 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Parl. Staatssekretär Galluslichen Rückgang des Milchverbrauchs an den Schulen. Der Wert der Schulmilchspeisung liegt vor allem in der langfristigen Gewöhnung der Kinder und Jugendlichen an den Milchkonsum. Ich sehe darin einen wesentlichen Beitrag zu einer gesunden Ernährung.Die Erfahrungen der letzten Jahre — belegt insbesondere durch eine im Auftrag meines Hauses durchgeführte Untersuchung — zeigen, daß für die Nachfrage der Schüler nach Milch vor allem der Preis, die Vielfalt des Angebots, die Organisation der Abgabe und nicht zuletzt die Einstellung von Lehrern, Hausmeistern und Eltern zur Schulmilchspeisung von Bedeutung sind.Alle Maßnahmen zur Erhöhung des Milchverbrauches in Schulen müssen auf diesen Erkenntnissen aufbauen. Dazu zählen u. a. attraktive Aufmachung und zeitgemäßes Angebot, zweckmäßige Organisation des Verteilungssystems, zielbewußte Aufklärung von Eltern, Lehrern und Schülern über den Wert der Milch für den Heranwachsenden, ausreichende Entlohnung des Hausmeisters für den Verkauf der Milch, preisliche Anreize zur Verbesserung der Wettbewerbsstellung der Milch im Verhältnis zu anderen Erfrischungsgetränken.Die vom Ministerrat der Europäischen Gemeinschaften beschlossene gemeinschaftliche Finanzierung von Schulmilchprogrammen dürfte nach Auffassung der Bundesregierung ein wirksamer Ansatz sein, um den Milchverzehr in den Schulen wieder zu erhöhen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, denkt die Bundesregierung auch daran, vielleicht im Rahmen der gesundheitlichen Aufklärung unter den Multiplikatoren den Verbrauch von Milch im Bildungsbereich besonders zu fördern?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ja.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zu prüfen, ob man eventuell durch geeignete Forschungsvorhaben dafür sorgen könnte, daß die Möglichkeiten des Milchabsatzes in der Schule, etwa durch die Entwicklung von Automaten, verbessert werden?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Wir werden dies prüfen. Nach meinem Erkenntnisstand sind darüber schon eingehende Untersuchungen in allen Bereichen angestellt worden, nicht nur in den Schulen. Hier gilt es, zum Teil erhebliche Probleme zu bewältigen.
Eine Frage, Herr Kollege von Geldern.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung auch heute der von Ihnen in der letzten Fragestunde geäußerten Ansicht, daß es ihr verwehrt sei, sich an einem Schulmilchprogramm der Europäischen Gemeinschaften finanziell zu beteiligen?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich halte diese meine Meinung aus einer der letzten Fragestunden voll aufrecht, und zwar deshalb, weil wir auf Grund der Finanzreform zwischen Bund und Ländern eine Kompetenzverteilung haben, wonach die Verantwortung zur Durchführung solcher Maßnahmen bei den Ländern liegt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller .
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Meinung, daß die Länder den Schulmilchverbrauch durch eigene Zuschüsse anregen könnten?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ja, ich bin dieser Auffassung. Sie sind auf Grund des Schulmilchprogramms, das nun von der EG verabschiedet worden ist, und auf Grund der Verfassungslage aufgefordert, der Schulmilchspeisung schnellstmöglich ihre Zustimmung zu geben.
Keine Zusatzfrage mehr.Dann rufe ich die Frage 40 des Abgeordneten Dr. von Geldern auf:Trifft es zu, daß die Bundesregierung nach wie vor die niederländische Raubfischerei in den deutschen Küstengewässern als einen Zustand andauern läßt, den der Leiter des niedersächsischen Fischereiamts in Bremerhaven, Hagena, damit beschreibt, daß niederländische Fischkutter in ganzen Rudeln" in der 12-Meilenzone erscheinen, dort rechtswidrig "mit 1 500 bis 1 800 PS starken Kuttern" die teuren Seezungen und Schollen fischen und dabei mit ihrem schweren Geschirr den Meeresboden aufreißen und die Brut und das Biotop auch für andere Lebewesen vernichten, und wenn ja, was wird die Bundesregierung dagegen unternehmen?Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege von Geldern, die Bundesregierung ist weiterhin durch verstärkten Einsatz von Fischereiaufsichtsfahrzeugen vor der deutschen Nordseeküste in der Zone zwischen 12 und 3 Seemeilen darum bemüht, die verbotswidrige Fischerei von Schollen und Seezungen durch ausländische Schiffe zu verhindern. Die ständigen Kontrollfahrten deutscher Fischereischutzboote haben dazu geführt, daß niederländische Kutter seit Ende Mai die im Rahmen der Fischereikommission für den Nordostatlantik vereinbarte Schutzzone von 12 Seemeilen vor der deutschen Nordseeküste einhalten. Bekanntlich hatten sich die Unterzeichnerstaaten darauf geeinigt, in einem 12 Seemeilen breiten Gebiet vor den Küsten Belgiens, der Niederlande, der Bundesrepublik Deutschland und Dänemarks die Schleppnetzfischerei auf Schollen und Seezungen mit Schiffen über 50 Bruttoregistertonnen oder 300 PS zu verbieten und bestimmte Quoten zu beachten.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2277
Parl. Staatssekretär GallusDurch den ständigen Einsatz von Aufsichtsfahrzeugen des Bundes ist eine laufende Kontrolle gewährleistet. Entsprechende Bemühungen unternehmen auch die betroffenen Küstenländer für die ihrer Fischereiaufsicht unterliegende 3-Seemeilen-Zone.Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür ein, daß die in den vergangenen Wochen von den zuständigen Kontrollbeamten festgestellten Verstöße auch geahndet werden. Die Bundesregierung hält engen Kontakt mit der niederländischen Regierung, die ihr zugesichert hat, daß niederländische Fischer, die verbotswidrig die Schollen- und Seezungenfischerei vor der deutschen Küste betreiben, von den niederländischen Behörden belangt werden.
Eine Zusatzfrage,-bitte.
Herr Staatssekretär, ist die in diesem Hause bereits einmal geäußerte Ansicht nach Ihrem heutigen Erkenntnisstand richtig, daß die deutschen Fischereischutzfahrzeuge im Verhältnis zu den niederländischen Kuttern weit untermotorisiert sind?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Ich kann diese Ihre Auffassung nicht absolut bestätigen. Ich darf Ihnen sagen, daß wir bis jetzt fünf Fischereischutzboote haben. Sie haben zwischen 850 und 1 800 PS. Die Schnelligkeit liegt zwischen 12 und 15 Knoten. Ich habe damals gesagt: Wenn unsere Fischereischutzboote nicht ausreichen, müssen wir ein neues bauen. Dieses ist bereits so weit fertiggestellt, daß es in der ersten Oktoberwoche in Dienst gestellt werden kann. Es handelt sich um ein stärkeres und größeres Boot mit 2 800 PS und der noch höheren Geschwindigkeit von 15,5 Knoten. Es wird 1 637 Bruttoregistertonnen haben.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die niederländischen Kutter mittlerweile weiter nach Norden ausgewichen sind? Und wie wollen Sie diesen Zustand, der bis heute andauert, beenden, solange das neue Fischereischutzboot noch nicht in Dienst gestellt ist?
Gallus, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat dafür gesorgt, daß eine lückenlose Kontrolle möglich ist. Ich kann Ihnen die Einsatzpläne nachher schriftlich überreichen. Sie reichen vom 30. Mai bis zum 10. August. Dann geht es fortlaufend weiter. Eingesetzt werden dabei unsere bisherigen Fischereischutzboote „Roter Sand", „Meerkatze", „Poseidon", „Minden" sowie das Forschungsschiff „Solea".
Keine Zusatzfrage mehr. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär Gallus.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der Herr Parla-
mentarische Staatssekretär Buschfort zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 41 der Abgeordneten Frau Hoffmann auf:
Stimmt es, daß vor dem 1. Januar 1977 im Wege der Familienzusammenführung nachgereiste Jugendliche aus Nicht-EGLändern unter bestimmten Voraussetzungen, d. h., wenn keine deutschen Arbeitskräfte in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, eine Arbeitserlaubnis erhalten sollen, und wann werden diese Arbeitskräfte gegebenenfalls beispielsweise für das Gastgewerbe, das zu Saisonbeginn einen erhöhten Bedarf hat, zur Verfügung stehen?
Frau Abgeordnete, es trifft zu, daß vor dem 1. Januar 1977 im Wege des Familiennachzugs in das Bundesgebiet eingereiste Jugendliche aus Nicht-EG-Ländern künftig unter Beachtung des allgemeinen Vorrangs deutscher Arbeitnehmer eine Arbeitserlaubnis erhalten können. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit am 31. Mai 1977 gebeten, die für die Erteilung der Arbeitserlaubnis zuständigen Arbeitsämter entsprechend zu unterrichten. Im Rahmen dieser Regelung kann eine Arbeitserlaubnis auch für das Gastgewerbe erteilt werden.
Keine Zusatzfrage.Dann rufe ich die Frage 42 des Abgeordneten Höpfinger auf:Welche Faktoren haben die Entwicklung der Beitragseinnahmen bei der gesetzlichen Rentenversicherung im einzelnen in jeweils welchem Umfang beeinflußt, wie groß ist insbesondere der Betrag zu veranschlagen, der noch für 1976 verbucht wurde, weil durch die Lage der Feiertage mehr Arbeitstage zur Verfügung standen als im Durchschnitt der Jahre?Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Höpfinger, abgesehen vom Beitragssatz ist für die Entwicklung der Einnahmen aus Pflichtbeiträgen die Höhe des der Beitragsbemessung unterliegenden Einkommens und die Zahl der pflichtversicherten Personen von Bedeutung. Im einzelnen gilt dabei im Jahre 1977: Auf rund 200 000 Pflichtversicherte entfallen knapp 1 Milliarde DM an Beitragseinnahmen. 1 Beitragsprozent führt zu rund 5 Milliarden DM Beitragseinnahmen, und ein Lohnzuwachs von 1 v. H. ergibt Beitragseinnahmen von knapp 1 Milliarde DM. Die Höhe der Einnahmen der Versicherungsträger aus freiwilligen Beiträgen hängt davon ab, in welchem Umfang die freiwillig Versicherten von der Möglichkeit der freiwilligen Beitragsentrichtung Gebrauch machen. Die verschiedenen Faktoren, die für die Höhe der freiwilligen Beitragszahlungen durch den einzelnen Versicherten ausschlaggebend sind, z. B. Höhe der bereits erreichten Sicherung, Wahl verschiedener Alterssicherungsformen, steuerliche Absetzungsmöglichkeiten, lassen sich im einzelnen nicht quantifizieren.Es ist auch nicht möglich, den Betrag zu veranschlagen, der auf Grund der Lage der Feiertage im Dezember 1976 von den Rentenversicherungsträgern zusätzlich gegenüber dem Durchschnitt früherer Jahre vereinnahmt worden ist. Aus dem außerordentlich hohen Beitragszuwachs im Dezember 1976 gegenüber Dezember 1975 ist jedoch zu schließen, daß die Entwicklung der Beitragseinnahmen im De-
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2278 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Parl. Staatssekretär Buschfortzember 1976 durch die Lage der Feiertage beeinflußt worden ist.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, die Mindereinnahmen an Beiträgen im ersten Quartal 1977 wurden u. a. damit begründet, daß das neue Abbuchungsverfahren dazu geführt habe. Kann man schon sagen, wie sich die Beitragseinnahmen in den ersten Monaten des zweiten Quartals gestalten und ob sich diese Schwierigkeiten behoben haben?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es ist richtig, daß die Umstellung von den Beitragsmarken zum Beitragseinzug die Auswirkungen gehabt hat, die Sie vorhin nannten. Es mag auch so sein, daß ein Teil der Beiträge, die noch im Dezember 1976 den Rentenversicherungsträgern zugeflossen sind, sonst in den Januar hinübergezogen worden wären. Ich bin gern bereit, Ihnen einmal die monatlichen Daten schriftlich zuzustellen, damit Sie ein lückenloses Bild über die Beitragseinnahmen einschließlich des Monats Mai erhalten.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 43 des Herrn Abgeordneten Höpfinger auf:
Wie hoch ist der Anteil der freiwilligen Beiträge im Verhältnis zum gesamten Beitragsaufkommen, und in welchem Umfang hat sich absolut und prozentual dieser Anteil durch die bevorstehende Umstellung von der Markenkleberei auf das Abbuchungsverfahren im Jahr 1976 vergrößert oder vermindert?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Höpfinger, in der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten betrug der Anteil der freiwilligen Beiträge am Beitragsaufkommen insgesamt 5% im Jahre 1974, 5,5% im Jahre 1975 und 6,3 % im Jahre 1976. Aus diesen Einnahmen entfallen auf den Verkauf von Beitragsmarken 2,1 % im Jahre 1974, 1,6 % im Jahre 1975 und 1,7 % im Jahre 1976. Die freiwillige Beitragsentrichtung war 1976 mit 3,6 Milliarden DM und der Markenverkauf mit 1,3 Milliarden DM an dem Gesamtbeitragsaufkommen von 77,3 Milliarden DM beteiligt. Beitragsmarken werden ab 1. Januar 1977 nicht mehr verkauft, weil seit dem Zeitpunkt nach der neuen Beitragsentrichtungsverordnung Beiträge auf diese Weise nicht mehr entrichtet werden können.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Kraus auf:
Zu welchen Änderungen der Vorausberechnungen gibt die bis jetzt zu registrierende Lohnentwicklung Anlaß, und welche durchschnittliche Arbeitslosenzahl legt die Bundesregierung ihren Vorausberechnungen nunmehr mit welchen Wirkungen auf die Entwicklung der Beitragseinnahmen in der gesetzlichen Rentenversicherung zugrunde?
Bitte schön.
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kraus, die Bundesregierung hat den Vorausberechnungen im Rentenanpassungsbericht 1977 alternative Durchschnittannahmen über die künftige Lohn- und Beschäftigtenentwicklung zugrunde gelegt. Auf Grund der Kombination dieser Annahmen sind 15 verschiedene Varianten über die finanzielle Entwicklung durchgerechnet worden. Die derzeitige Entwicklung hält sich im Rahmen dieser Varianten.
Der Rentenanpassungsbericht enthält außerdem eine Berechnung über die finanzielle Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung. Er berücksichtigt die Vorschläge der Bundesregierung zur langfristigen Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversicherung und beruht auf den Annahmen der Bundesregierung zur mittelfristigen Wirtschaftsentwicklung. Auch hierbei handelt es sich um durchschnittliche Annahmen, die mit der tatsächlichen Entwicklung in einzelnen Monaten des vorausberechneten Zeitraums vielfach nicht übereinstimmen. Die derzeitige Lohn- und Beschäftigungsentwicklung gibt keine Veranlassung, diese abgestimmten mittelfristigen Durchschnittsannahmen zu korrigieren. Diese liegen im übrigen auch der mittelfristigen Finanzentwicklung in Bund, Ländern und Gemeinden zugrunde.
Zur Vorlage des nächsten Rentenanpassungsberichts wird die Bundesregierung auf Grund der weiteren Entwicklung die bisherigen mittelfristigen Annahmen überprüfen und diese mit der Bundesbank, den Rentenversicherungsträgern und dem Bundesrechnungshof abstimmen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie aber bitte bestätigen, daß die ursprünglich angenommenen Zahlen, die der Sanierung der Rentenversicherung zugrunde lagen, in diesem Jahr voraussichtlich nicht erreicht werden können, d. h., daß für das Jahr 1977 gegenüber den Annahmen wahrscheinlich, wie sich die Situation im Augenblick darstellt, ein echtes Defizit entstehen wird?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Ich kann das nicht bestätigen. Dies können wir erst am Ende des Jahres feststellen. Hinsichtlich der Einkommenserwartung ist die Entwicklung bisher so, daß die Zahlen durchaus erreicht werden können. In bezug auf die Arbeitsmarktdaten bin ich selber ein wenig vorsichtiger. Aber die Frage, ob nicht doch im Durchschnitt beider Bereiche, die hier zugrunde gelegt werden, das angenommene Finanzvolumen erreicht wird, vermag ich jetzt nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten. Sie haben sicher auch Verständnis dafür, daß ich, nachdem diese Daten auch im Zusammenhang mit der mittelfristigen Finanzplanung in Bund, Ländern und Gemeinden prognosemäßig einmal festgelegt sind, heute hier nicht sagen kann, sie seien überholt.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Müller.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2279
Herr Staatssekretär, dann trifft es also nicht zu — was neuerdings gemeldet wird —, daß die Berechnungen bis zum Jahresende 1977 nicht mehr stimmen, wenn nicht ab sofort Lohnerhöhungen um mindestens 9 °/o vorgenommen werden?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben diese 9 % nie zugrunde gelegt. Folglich ist eine 9%ige Erhöhung auch nicht unsere Voraussetzung gewesen.
Das ist ein Mißverständnis! Würden die Schätzwerte nicht erreicht, wenn nicht Lohnerhöhungen von 9 °/o erfolgen?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, eine Festlegung auf 7,5 %ist ja auch nur eine Annahme. Wenn wir 9 %erreichten, würde sich das für die Rentenversicherung entsprechend positiv auswirken, und darüber wären wir natürlich sehr glücklich.
Keine weitere Zusatzfrage.
Die Fragen 45 bis 49 werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Friedmann auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um einem Mißbrauch der Arbeitslosenunterstützung in der Art, daß zumutbare Tätigkeiten unter nicht stichhaltigen Gründen abgelehnt werden, entgegenzuwirken?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Friedmann, mit dem Haushaltsstrukturgesetz hat der Deutsche Bundestag auf Vorschlag der Bundesregierung die arbeitslosenversicherungsrechtlichen Regelungen über die Verfügbarkeit geändert. Dabei wurde insbesondere der Kreis der Tätigkeiten näher abgegrenzt, die dem Arbeitslosen zugemutet werden. Vor allem wurde auch klargestellt, daß ein Arbeitsloser eine Arbeit nicht allein deshalb ablehnen kann, weil die Arbeitsbedingungen ungünstiger sind als bei der bisherigen Beschäftigung. In diesem Zusammenhang möchte ich bemerken, daß die Sperrzeiten, die wegen Ablehnung einer zumutbaren Tätigkeit verhängt wurden, von rund 44 000 im Jahre 1975 um etwa 40 % auf 62 000 im Jahre 1976 gestiegen sind.
Am 25. Mai hat die Bundesregierung beschlossen, den gesetzgebenden Körperschaften Maßnahmen vorzuschlagen, die den Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung noch wirksamer als bisher verhindern sollen. Insbesondere sollen Sperrzeiten wegen unbegründeter Arbeitsaufgabe oder Ablehnung einer zumutbaren Arbeit auf die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld angerechnet werden. Der Gesetzentwurf wird zur Zeit vorbereitet und in Kürze den gesetzgebenden Körperschaften zur Beratung und Beschlußfassung zugeleitet werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie groß schätzt die Bundesregierung den Personenkreis, der im Augenblick zu Unrecht Arbeitslosenunterstützung bezieht und nach Ihrer Regelung künftig für diese Unterstützung nicht mehr in Frage käme?
Buschfort, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, zu Unrecht bezieht kein Arbeitsloser seine Arbeitslosenunterstützung; denn wenn sie gewährt wird, ist sie Rechtens. Den Personen, die sich fehlverhalten haben, wird eine Sperrfrist auferlegt, und sie erhalten dann keine Unterstützung. Wie ich bereits dargelegt habe, ist im Jahre 1976 in 62 000 Fällen eine Sperrzeit verhängt worden. Würde diese Zahl auch für die Zukunft zutreffen, so bedeutet das, daß 62 000 Personen einen Monat lang keine Arbeitslosenunterstützung erhalten werden oder daß ihnen die Unterstützung gänzlich versagt wird.
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär Buschfort.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Frage steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär von Bülow zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 51 des Herrn Abgeordneten Pawelczyk. — Der Herr Abgeordnete ist nicht im Saal. Dann wird die Frage 51 ebenso wie die von Herrn Abgeordneten Pawelczyk eingebrachte Frage 52 schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 53 und 54, die von dem Herrn Abgeordneten Biehle eingebracht wurden, und die Fragen 55 und 56, die von dem Herrn Abgeordneten Würtz eingebracht wurden, sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe dann die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Voss auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die endgültige Höhe der Kostenberechnung für den Flug des SPD-Parteivorsitzenden Brandt nach Tel Aviv auf Grund der vor einigen Wochen angekündigten Verhandlungen mit dem Bundesrechnungshof bekanntzugeben?
Herr Kollege Voss, der Kern Ihrer heutigen Frage war bereits Gegenstand meiner Ausführungen in der Fragestunde vom 25. Mai dieses Jahres. Ich möchte die rechtlichen Hintergründe der Angelegenheit nochmals präzisieren.Durch die Richtlinien für den Einsatz von Luftfahrzeugen der Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums zur Beförderung von Personen des politischen und parlamentarischen Bereichs vom 16. Dezember 1974 ist festgelegt, daß der Bundespräsident, die Präsidenten des Deutschen Bundestages und Bundesrates, die Mitglieder der Bundesregierung und unter bestimmten Voraussetzungen die des Deutschen Bundestages die Luftfahrzeuge der Flugbereitschaft unentgeltlich in Anspruch neh-
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2280 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Parl. Staatssekretär Dr. von Bülowmen können. Das Bundesministerium der Verteidigung strebt an, den Kreis der Berechtigten auch auf führende Persönlichkeiten des politischen Bereichs — z. B. die Vorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien — auszudehnen, deren Sicherheit bei Beförderung mit Luftfahrzeugen des öffentlichen Linienverkehrs gefährdet ist. Eine solche Regelung bedarf der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen. Die notwendigen Verhandlungen unter Beteiligung des Bundesrechnungshofes sind noch nicht abgeschlossen. Vom Ergebnis dieser Verhandlungen hängt auch die kostenmäßige Abwicklung des Fluges des SPD-Vorsitzenden Brandt nach Israel ab, da beabsichtigt ist, diesen Fall in die künftige allgemeine Regelung einzubeziehen. Es ist mir daher zur Zeit nicht möglich, Ihnen die Höhe der Kostenrechnung für den Flug des SPD-Vorsitzenden Brandt nach Tel Aviv mitzuteilen. Ich werde Sie jedoch zu gegebener Zeit vom Ergebnis dieser Verhandlungen unterrichten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, was gedenkt die Bundesregierung — nachdem mehrere Wochen ins Land gegangen sind, die Verhandlungen mit dem Bundesrechnungshof angekündigt worden sind, aber bisher, wie ich Ihrer Antwort entnehme, kein Ergebnis vorliegt — zu tun, um nun recht bald zu einem Ergebnis zu gelangen, damit nicht der Eindruck entsteht, daß hier eine Regelung verschleppt wird?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Es wird keine Regelung verschleppt. Es hängt aber sicher von verschiedenen Umständen ab, wann Vereinbarungen und eine solche Regelung getroffen werden können. Ich gehe davon aus, daß ich eine Frage in dieser Richtung, die Sie nach der Sommerpause noch einmal stellen können, dann positiv bescheiden kann.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Damm auf:
Entspricht die Rücknahme der Genehmigung der Prüfungsordnung für die Hochschule der Bundeswehr in Hamburg durch den Senator für Kunst und Wissenschaft, Bürgermeister Prof. Biallas, Geist und Buchstaben der Abmachungen, wie sie zur Gründung der Hochschule von der Bundesregierung und dem Hamburger Senat vereinbart worden sind?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Die Antwort auf diese Frage lautet nein.
Ich rufe dann die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Damm auf:
Erwägt die Bundesregierung, die im Herbst fälligen Prüfungen der in Hamburg studierenden Offiziere an die Hochschule der Bundeswehr in München zu verlegen?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Die Antwort auf diese Frage lautet: Die Bundesregierung erwägt zur Zeit nicht, die im Herbst fälligen Prüfungen der in Hamburg studierenden Offiziere an die Hochschule der Bundeswehr in München zu verlegen. Wohl erwägt sie, gegen den Bescheid des Präses der Behörde für Wissenschaft und Kunst, Bürgermeister Professor Dr. Biallas, vom 31. Mai 1977, mit dem die Genehmigung von drei Prüfungsordnungen widerrufen worden ist, Anfechtungsklage zu erheben, sofern die gegenwärtig laufenden Verhandlungen mit der Freien und Hansestadt Hamburg nicht zum Erfolg führen sollten. Ich habe gestern in Hamburg selber Verhandlungen geführt und gehe davon aus, daß wir zu einer vernünftigen Einigung kommen werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, unterstellt, daß Ihre Hoffnung sich nicht erfüllen sollte: Müßte die Bundesregierung nicht alle prüfungsmäßigen und sonstigen Vorkehrungen treffen, um die Prüfungen im Herbst gegebenenfalls in München abnehmen zu können?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Nein, wir haben ja das Recht, Prüfungen in Hamburg abzunehmen, keineswegs verloren. Wir würden also auf jeden Fall in Hamburg selbst prüfen. Wir würden durch eine Anfechtungsklage sicherstellen, daß die aufschiebende Wirkung hergestellt wird, so daß diese Prüfungen abgehalten werden und auch die öffentliche Anerkennung erhalten können. Darüber hinaus wird vielerlei überlegt. Man kann sich auch noch andere Alternativen vorstellen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie sind also sicher, daß den studierenden Offizieren am Ende kein Schaden entsteht?
Dr. von Bülow, Parl. Staatssekretär: Davon gehe ich aus. Wir werden, wenn wir klagen, nicht nur im Interesse des Verteidigungsministeriums, sondern auch im Interesse der studierenden Offiziere klagen.
Keine Frage mehr. Dann danke ich Ihnen, Herr Staatssekretär von Bülow.
Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um angesichts des anhaltend hohen Zigarettenkonsums den gesundheitlichen Gefahren der Raucher durch Hilfen bei einer Entwöhnung zu begegnen?
Herr Kollege Jaunich, Rauchern, die ihre gesundheitsschädigende Gewohnheit aufgeben wollen, werden von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung fortwährend Hilfen angeboten. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlicht Informa-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2281
Parl. Staatssekretär Zandertionen über die Schädlichkeit des Rauchens und gibt Verhaltenstips. Die Bundesregierung hat 1972 einen Forschungsauftrag vergeben, um die bekannten Therapieformen auf ihre Wirksamkeit bei der Raucherentwöhnung zu vergleichen sowie eine Methode zu entwickeln, Raucher zu entwöhnen und zu stabilisieren. Diese Experimente führten zur Entwicklung der Selbstkontrolltechnik. Ihre Ergebnisse sind in der Schriftenreihe des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, Band 35, veröffentlicht worden. Darüber hinaus wurde für Therapeuten eine Anleitung zur Selbstkontrollmethode bei der Raucherentwöhnung herausgegeben, die in Band 27 der genannten Schriftenreihe bekanntgegeben worden ist. Zur Zeit wird ein Großversuch mit dieser Selbstkontrolltechnik zur Raucherentwöhnung an Volkshochschulen, Gesundheitsämtern und anderen Institutionen vorbereitet. Mit einem Probelauf wird das neu entwickelte Anleitungsheft für entwöhnungswillige Raucher auf seine Brauchbarkeit überprüft. Ab 1978 werden diese Entwöhnungskurse über die Volkshochschulen und Gesundheitsämtern allen Interessierten zur Verfügung stehen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, da ich selbst zu der Personengruppe der Raucher gehöre, denen die Schädlichkeit bewußt ist, frage ich Sie, wer konkret die Möglichkeit haben wird, an solchen Kursen teilzunehmen.
Zander, Parl. Staatssekretär: Grundsätzlich hat jeder, der das Rauchen aufgeben möchte, die Möglichkeit, an solchen Kursen teilzunehmen. Es kommt natürlich darauf an, wie ihn die Information darüber erreicht, daß dort, wo er wohnt, ein solches Angebot etwa über die Volkshochschule zur Verfügung steht. Dafür wird sowohl von den Volkshochschulen selbst und von den anderen Institutionen, die diesen Versuch mittragen werden, als auch von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung geworben werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie Angaben darüber machen, welche Kosten Teilnehmern solcher Kurse durch ihre Teilnahme entstehen können?
Zander, Parl. Staatssekretär: Das kann ich deshalb nicht, weil die Kursgebühren, die die Volkshochschulen für einzelne Lehrgänge erheben, unterschiedlich sind. Aber zusätzliche Kosten für eine solche Teilnahme an derartigen Lehrgängen entstehen nicht über die Gebühren hinaus, die normalerweise von den Institutionen für ähnliche Lehrgänge erhoben werden.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zu prüfen, ob sie einen Sonderkursus für Abgeordnete des Deutschen Bundestages veranstalten könnte?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, dazu besteht keine Veranlassung, es sei denn, die Volkshochschule der Stadt Bonn wird einen Sonderkursus, der Rücksicht auf die besonderen Zeitbelastungen der Abgeordneten nimmt, hier einrichten.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Lampersbach.
Herr Staatssekretär, können Sie die Frage des Herrn Kollegen Jaunich vielleicht so beantworten — und könnte es durchgerechnet werden —, daß die eingesparten Zigaretten die Kosten der Entziehungskur in etwa kompensieren?
Zander, Parl. Staatssekretär: Darüber könnte man erst Auskunft geben, wenn der von mir genannte Probelauf über einen längeren Zeitraum durchgeführt ist, Herr Kollege.
Eine Frage der Frau Abgeordneten Eilers.
Herr Staatssekretär, bestehen schon irgendwelche Vorstellungen darüber, wie lange ein solcher Kurs dauern wird, wieviele Tage und gegebenenfalls in welcher Abfolge?
Zander, Parl. Staatssekretär: Wir haben bei dem Probelauf vorgesehen, daß er sich insgesamt über etwa 10 Wochen hinziehen wird. Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, an wievielen Tagen oder Abenden die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen notwendig ist. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auf unsere Schriftenreihe verweisen, auf die ich eben hingewiesen habe. Dort sind die Einzelheiten zu ersehen.
Eine Frage des Herrn Abgeordneten Spitzmüller.
Herr Staatssekretär, bestehen schon Berechnungen, wie der Haushalt ausgeglichen werden könnte, wenn alle Raucher über Nacht das Rauchen einstellten?Zander, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Spitzmüller, derart kühne Berechnungen bestehen nicht. Aber was die Kosten des Rauchens angeht, darf ich auf die Beantwortung der Großen Anfrage durch die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode hinweisen. Dort sind Zahlenangaben enthalten.
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2282 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Welche Erfolgsquoten weisen die vom Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit finanzierten Raucherentwöhnungsmethoden auf?
Zander, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Jaunich, 66 °/o der Raucher, die sich nach der Selbstkontrollmethode entwöhnt und die sich selbst als Therapieziel gesetzt hatten, Nichtraucher zu werden, rauchten nach Abschluß der Therapie nicht mehr. 86 °/o von denjenigen, deren Therapieziel es war, höchstens bis zu zehn Zigaretten täglich zu rauchen, erreichten dieses Ziel. Der entscheidende Vorteil der Selbstkontrolltechnik liegt darin, daß sie weniger Rückfälle aufweist als alle anderen Raucherentwöhnungsmethoden, die wir kennen. Während die anderen miteinander verglichenen Methoden vierzehn Monate nach Beendigung der Behandlung einen Anteil von etwa 20 °/o Nichtraucher nachweisen konnten, waren es bei der Selbstkontrolltechnik 58 % der Gruppe, die nicht mehr hatten rauchen wollen. 75 °/o der Weniger-Raucher rauchten auch nach vierzehn Monaten nur höchstens bis zu 10 Zigaretten. Mit der Selbstkontrolltechnik gelingt es also, langfristig mehr Raucher als Nichtraucher oder Wenig-Raucher zu stabilisieren als mit anderen Verfahren.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich angesichts solcher Erfolgsquoten davon ausgehen, daß die Bundesregierung über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ihre Aufklärungsbemühungen zur Inanspruchnahme solcher Methoden verstärken wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ja. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, daß wir ab dem kommenden Jahr, 1978, in sehr vielen Institutionen solche Entwöhnungskurse unterstützen werden, und wir werden die Werbung dafür selbstverständlich zum Teil über die Bundeszentrale durchführen.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wird aus der Werbung auch in etwa hervorgehen, wie die Therapie angelegt ist, damit derjenige, der an einem solchen Kurs teilzunehmen beabsichtigt, auch von vornherein weiß, auf was er sich einzustellen hat?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich kann Ihnen über den Inhalt der Werbung verständlicherweise nichts sagen. Es kommt ja in solchen Fällen immer sehr darauf an, jemanden, der den Schritt tun will, sich das Rauchen abzugewöhnen, in diesem Vorhaben zu stabilisieren und ihm zu zeigen, daß es mit dieser Methode möglicherweise einfacher geht — oder leichter ist — als auf anderen Wegen, die er beschritten hat. Ob man im Detail alle Schritte der Therapie in der Werbung verwenden wird, vermag
ich nicht zu sagen. Das ist eine Zweckmäßigkeitsfrage.
Keine weitere Frage.
Frage 62 — des Herrn Abgeordneten Hofmann — soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe Frage 63 der Abgeordneten Frau Eilers auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Pharmaindustrie zu veranlassen, daß die Beschreibungen, die den Medikamentenverpackungen beigefügt sind, einmal für Normalverbraucher verständlicher abgefaßt sind und auf lateinische Bezeichnungen verzichten, zum anderen aber auch für Sehbehinderte besser als bisher lesbar sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Zander, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Eilers, das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 24. August 1976 schreibt in § 11 vor, daß jedem Fertigarzneimittel eine Packungsbeilage, die als Gebrauchsinformation zu kennzeichnen ist, beigegeben wird. Diese soll eine sachgerechte Anwendung des Arzneimittels gewährleisten. Die Angaben müssen in deutscher Sprache und in deutlich lesbarer Schrift gemacht werden. Das Gesetz tritt am 1. Januar 1978 in Kraft.
Die Bundesoberbehörde, also das Bundesgesundheitsamt, kann durch Auflagen gemäß § 28 des Arzneimittelgesetzes anordnen, daß bei der Gebrauchsinformation verständliche Begriffe verwendet werden. Soweit möglich, soll auf die lateinischen Bezeichnungen in dieser Laieninformation ganz verzichtet werden. Das Bundesgesundheitsamt wird im Rahmen der Zulassung den Formulierungen in der Packungsbeilage und der Forderung nach deutlich lesbarer Schrift besondere Aufmerksamkeit widmen und prüfen, ob durch Auflagen in Einzelfällen die Packungsbeilagen verständlicher und lesbarer gemacht werden können.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist eventuell schon in der Praxis festzustellen, daß sich bereits heute die einzelnen Industrien auf die Gegebenheiten von 1978 einstellen, und wieweit zeitigen sich da schon erste Erfolge?
Zander, Parl. Staatssekretär: Das kann ich Ihnen im einzelnen zur Zeit nicht bestätigen. Ich würde mich freuen, wenn es so wäre.
Keine weitere Frage.Dann rufe ich die Frage 64 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz auf. — Frau Dr. Martiny-Glotz ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Das gleiche gilt für ihre Frage 65. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe Frage 66 der Frau Abgeordneten Dr. Neumeister auf:
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2283
Vizepräsident Frau FunckeAus welchen Gründen hat die Bundesregierung bis heute einen Gesetzentwurf über die Neuordnung der Ausbildung nichtärztlicher Heilberufe noch nicht vorgelegt, und wann ist mit der Vorlage nunmehr zu rechnen?Bitte, Herr Staatssekretär.Zander, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin Neumeister, die Bundesregierung hat seit 1975 umfangreiche Vorarbeiten für ein Gesetz über nichtärztliche Heilberufe in der Geburtshilfe und in der Krankenpflege geleistet. Ein Referentenentwurf des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit vom Juli 1975 wurde mit den Beteiligten erörtert. Wegen einer Reihe seitens der Länder noch offener Grundsatzfragen konnte bisher kein neuer Entwurf vorgelegt werden.Probleme ergeben sich vor allem hinsichtlich der Einordnung der Ausbildungen. Der Frage, ob die Ausbildungen in einem dualen bzw. in einem diesem angenäherten System oder in schulischer Form durchgeführt werden, kommt insbesondere wegen der erheblichen und je nach der Finanzträgerschaft unterschiedlichen Konsequenzen entscheidende Bedeutung zu. Diese Fragen erhalten auch wegen der Notwendigkeit, für die Zeit ab 1. Januar 1982 die Finanzierung der Ausbildungen auf neue Grundlagen zu stellen, ihr besonderes Gewicht. Nach diesem Zeitpunkt können die Kosten der Ausbildungsstätten auf Grund der geltenden Fassung des Krankenhausfinanzierungsgesetzes nicht mehr in die Pflegesätze eingehen.Die Bundesregierung ist bemüht, die Grundsatzfragen baldmöglichst zu klären. Sie geht davon aus, daß die notwendigen Klärungen mit den Ländern und den Beteiligten so rechtzeitig abgeschlossen werden können, daß der Entwurf für ein Gesetz über nichtärztliche Heilberufe in der Geburtshilfe und in der Krankenpfege dem Bundesrat noch in der ersten Jahreshälfte 1978 zugeleitet werden kann. Mit dem Gesetz soll ein Anfang für eine zusammenfassende gesetzliche Regelung für alle nichtärztlichen Heilberufe gemacht werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, werden Sie die Vorschläge aller Beteiligten berücksichtigen und eventuell von der Verschulung der Krankenpflegeausbildung Abstand nehmen und in Ihrem neuen Entwurf sowohl bei der Krankenpflegeausbildung als auch bei der Hebammenausbildung eine praxisbezogenere Regelung vorsehen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Es ist selbstverständlich, Frau Kollegin, daß die Vorschläge der Beteiligten, soweit das möglich ist, berücksichtigt werden. Ich sage: soweit das möglich ist, weil sie ja manchmal einander ausschließen, d. h., von den verschiedenen Interessierten bzw. Beteiligten gegensätzliche Vorschläge gemacht werden.
Was die Klärung der Frage schulische oder duale Ausbildung — um es vereinfacht zu sagen — angeht, so werden wir keine Entscheidung treffen, die nicht von den Ländern mitgetragen wird; denn sie
tragen im wesentlichen diejenigen Institutionen, auf die es bei dieser Ausbildung — bei ihrer Gliederung und hinterher auch bei der Einstellung der Ausgebildeten — entscheidend ankommt. Das heißt also: keine Entscheidung in dieser Sache ohne die Länder. Die Unklarheit, die zur Zeit herrscht, ist darin zu suchen, daß die Bundesländer unterschiedliche Meinungen vertreten. Wir bemühen uns darum, daß bald ein gemeinsamer Nenner gefunden wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sehen Sie eine Möglichkeit, eine bessere Koordinierung aller Ausbildungsgänge für nichtärztliche Heilberufe durchzusetzen?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich sehe grundsätzlich eine solche Möglichkeit. Vorangehen müßte aber natürlich eine sehr gründliche Untersuchung des künftigen Bedarfs, der Anforderungen in einzelnen Berufen sowie der Frage, wie man mit Grundbildung und Weiterbildung arbeiten kann. Diese Fragen sind noch nicht restlos geklärt, so daß man auf dem Wege zu diesem Ziel nur Schritte tun kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jaunich.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung denn Aufträge vergeben, um Bedarfsanalysen anstellen und Ausbildungsinhalte miteinander vergleichen zu können, so daß die Frage, die die Kollegin Neumeister eben gestellt hat, in absehbarer Zeit beantwortet werden kann?
Zander, Parl. Staatssekretär: Diese Frage, Herr Kollege Jaunich, ist, wie Sie wissen, bereits in der letzten Legislaturperiode diskutiert worden. Selbstverständlich hat die Bundesregierung Aufträge in der Richtung, wie Sie sie beschrieben haben, vergeben.
Keine weitere Zusatzfrage.Ich rufe die Frage 67 der Frau Abgeordneten Neumeister auf:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Reform der Hebammenausbildung inzwischen so dringlich geworden ist, daß sie notfalls vorab in Angriff genommen werden sollte, sofern mit der Vorlage eines die anderen nicht-ärztlichen Heilberufe umfassenden Gesetzentwurfs nicht in nächster Zukunft gerechnet werden kann?Zander, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß eine Neuordnung des Hebammenrechts dringlich ist. Die Bundesregierung hält an der vorgesehenen Zusammenfassung der Bereiche Geburtshilfe und Krankenpflege in einem Gesetz fest. Angesichts der eben erläuterten Absicht, den Entwurf eines Gesetzes über die Ausbildung in der Krankenpflege möglichst bald vorzulegen, erscheint eine gesonderte Regelung für die Hebammen nicht erforderlich.
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2284 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie es angesichts der Tatsache, daß wir eine verhältnismäßig hohe Säuglingssterblichkeit haben und die Zahl der Risikogeburten immer mehr zunimmt, verantworten, daß die Neuregelung der Hebammenausbildung noch mindestens bis zum Jahre 1980 — das ergibt sich aus Ihren Aussagen — aufgeschoben wird?
Zander, Parl. Staatssekretär: Ich bestreite nicht die Dringlichkeit dieser Regelung. Aber ich darf noch einmal auf die Antwort von vorhin verweisen, daß wir vorgesehen haben, dem Bundesrat Anfang 1978 einen entsprechenden Entwurf vorzulegen. Schneller geht es beim besten Willen nicht, selbst wenn wir die Bereiche trennen würden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 68 des Abgeordneten Horstmeier auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Marschall auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird ebenso wie die Frage 70 des Abgeordneten Marschall schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Wüster auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Ich bedanke mich bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Zander.
Meine Damen und Herren, wir kehren zurück zu Tagesordnungspunkt 2 a und b: Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betreffend Energiebedarf und friedliche Nutzung der Kernenergie und Große Anfrage der Fraktionen der SPD und der FDP betreffend Energiepolitik.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfram.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Was wir vor der Mittagspause gehört haben, war die erste Rede des neuen energiepolitischen Sprechers der CDU/CSU-Opposition. In der sehr sachlichen Debatte des Vormittages waren wir alle gespannt, was die Opposition zu dem sehr aktuellen und wichtigen Thema der Energiepolitik zu sagen hat. Vor allem erwarteten wir — sicherlich auch die Öffentlichkeit — wenigstens die Ansätze eines energiepolitischen Konzepts der Opposition. Aber es kam nichts. In einem undifferenzierten Rundschlag hat Herr Dr. Narjes die Bundesregierung, die Koalitionsfraktionen, die SPD und FDP, unqualifiziert angegriffen, selbst aber keine konkreten energiepolitischen Aussagen gemacht.
Es gibt zwei Deutungsmöglichkeiten zum Verhalten von Herrn Dr. Narjes. Er ist zwar im Augenblick nicht anwesend, aber ich hoffe, er kommt noch. Denn ich würde ihn gern persönlich ansprechen. Die erste Deutungsmöglichkeit ist die: Herr Dr. Narjes wollte Herrn Strauß beweisen, daß er von der Konfliktstrategie à la Kreuth etwas versteht. Die zweite Möglichkeit — sie ist in der Mittagspause scherzhaft kolportiert worden —: Herr Dr. Narjes hat sich selbst als alternative Energiequelle präsentiert: Er hat viel Wind produziert.
Einen ernst zu nehmenden Diskussionsbeitrag hat Herr Dr. Narjes jedenfalls nicht geleistet. Er hat ein Horrorgemälde gemalt. Er hat das Urteil von Bundesminister Friderichs, es werde diffamiert — das aus CDU/CSU-Reihen bestritten wurde —, schlagkräftig bestätigt. Seine Unterstellungen sind unberechtigt und falsch.
Es gibt keine mangelhafte Einordnung der deutschen Energiepolitik in die internationale Energiepolitik. Richtig ist vielmehr, daß unsere Energiepolitik für viele Länder Vorbild ist. Initiativen des Bundeskanzlers und des Bundeswirtschaftsministers auf internationaler Ebene haben zu einer verbesserten internationalen Zusammenarbeit geführt. Unsere Energiepolitik ist zentraler Bestandteil unserer Wirtschafts-, Struktur- und Beschäftigungspolitik.
Die Bundesregierung setzt ihre energiepolitischen Vorstellungen im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten und Zuständigkeiten und unter Berücksichtigung ordnungspolitischer Vorstellungen durch. Die Unterstellung von Herrn Dr. Narjes, wir würden aus parteipolitischer Schwäche Engpässe und Lücken in der Stromversorgung hinnehmen, ist unerhört. Gerade wir Sozialdemokraten sind es in den letzten Jahren gewesen, die immer wieder auf die Notwendigkeit des Baues neuer Kraftwerke, vor allem Kohlekraftwerke, hingewiesen haben.
Wir haben das Lob von Dr. Narjes für Carters Energieprogramm mit Interesse zur Kenntnis genommen. Aber es würde uns interessieren, von Ihnen zu erfahren — Herr Schmidhuber, Sie kommen ja nach mir und können antworten —, ob die Opposition alle in Carters Programm enthaltenen dirigistischen Elemente befürwortet.
Endgültig abgewertet hat sich Herr Dr. Narjes mit seiner Aussage, „die Bundesregierung biete dem deutschen Volk eine klägliche Mischung von blindem Provinzialismus, biederer Technokratie und Entschlußlosigkeit". Er hat sich abqualifiziert mit seinen Angriffen auf die Minister Friderichs und Maihofer. Hier hört jedwedes Verständnis auf.
Hier kann ein Mann wie Dr. Narjes, der es als langjähriger Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses besser wissen müßte, nicht mehr in Anspruch nehmen, doch ernst genommen zu werden.
Sie, Herr Dr. Narjes, sind nach dieser Rede kein ernst zu nehmender energiepolitischer Diskussionspartner.
Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31! Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2285
Wolfram
Dieses Urteil wird noch dadurch verstärkt, daß in der Rede nicht eine einzige konkrete Alternative enthalten war. Wir — das sage ich für die sozialdemokratische Fraktion — bedauern das, weil wir gehofft hatten, daß es zwischen Regierungskoalition und Opposition zu einem ernsten Dialog in diesen für unser Volk lebenswichtigen Fragen kommt. Bislang jedenfalls hat die Opposition die Chance nicht genutzt.
Lassen Sie mich ein Wort zu den Ausführungen des Kollegen Dr. Riesenhuber sagen, der heute seine Jungfernrede im Parlament gehalten hat, wozu wir ihn beglückwünschen. Herr Dr. Riesenhuber war widersprüchlich. Er hat einerseits behauptet, die Antworten seien unbefriedigend, in den Antworten stehe nichts Konkretes. Auf der anderen Seite und im gleichen Zusammenhang hat er erklärt, die CDU/CSU stimme den meisten Punkten zu. Das paßt ja wohl nicht auf eine Latte.
Sie, Herr Dr. Riesenhuber, haben kritisiert, die Bundesregierung prüfe zuviel, und Sie haben den von uns aufmerksam zur Kenntnis genommenen Satz ausgesprochen, „daß die Salzstöcke in Niedersachsen für die Endlagerung besonders geeignet wären". Sie haben im gleichen Atemzuge verschwiegen, daß Ihr Parteifreund, der niedersächsische Ministerpräsident, prüft und prüft und prüft und keine Stellung bezieht.
— Ja, ja, einen, ja, natürlich.
Wissen Sie, ich nehme für mich in Anspruch, ein fleißiger Arbeiter zu sein, und ich unterstelle Ihnen das gleiche. Ich nehme auch hier in Anspruch, fleißig gearbeitet zu haben.
Herr Dr. Riesenhuber, wenn auf energiepolitischem Gebiet alles so einfach wäre, wie Sie sich das vorstellen, sähe die Welt besser aus.
Ich frage mich einmal mehr, meine Damen und Herren von der Opposition: Woher nehmen Sie eigentlich den Mut, dieser Bundesregierung vorzuwerfen, sie würde energiepolitisch nicht handeln? Sie wissen doch genauso gut wie wir, daß CDU und CSU ein hohes Maß an Verantwortung für viele der Schwierigkeiten tragen, mit denen wir es heute zu tun haben.
Professor Erhard, ein geschätzter Kollege, hat doch auf energiepolitischem Gebiet — das darf man bei allem Respekt vor diesem Mann in Erinnerung rufen — völlig versagt. Professor Erhard hat einen ruinösen Wettbewerb, einen Verdrängungswettbewerb des Öls gegenüber der Kohle zugelassen. Er hat Zechenstillegungen und Kapazitätsvernichtungen als ein Gebot — ich zitiere wörtlich — „vernünftigen wirtschaftlichen Verhaltens" bezeichnet. Er hat Schutzmaßnahmen, deren Zweck es gewesen wäre, den Bestand des Fördervolumens zu gewährleisten, abgelehnt. Er hat alle Warnungen, Ratschläge und Forderungen der Sozialdemokraten, vor allem von Dr. Heinrich Deist und Walter Arendt, „aus volkswirtschaftlichen Gründen den heimischen Bergbau zu stützen und zu fördern", „die Kohle als wichtigen Rohstoff zu erhalten und die Förderkapazität auszubauen", „den Bergbau gegen Störungen am Weltmarkt zu schützen", „ihn zum Kampf gegen die Mineralölwirtschaft zu rüsten" — alles wörtliche Zitate aus Bundestagsdebatten —, in den Wind geschlagen, und nichts anderes haben sein Nachfolger Schmücker und die gesamte CDU/CSU getan.
Meine Damen und Herren, zu diesem Kapitel ist nur zu sagen: Wir zahlen heute für die Sünden und Unzulänglichkeiten der CDU/CSU-Politik in den 50er und 60er Jahren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?
Aber gern!
Herr Kollege Wolfram, wollen Sie hier tatsächlich sagen, es handele sich um eine realistische Möglichkeit einer Bundesregierung — ganz gleich, wer sie trägt —, daß man den privaten Verbraucher und auch die Wirtschaft durch staatlichen Zwang von einem wesentlich konkurrenzfähigeren, weil billigeren Energieträger fernhalten kann?
Nein, das habe ich nicht behauptet, und das will ich auch nicht ausdrücken. Was ich sagen wollte, ist folgendes. Ich knüpfe an Dr. Narjes an, der zu Recht gesagt hat, die heutigen Entscheidungen müssen in 10, 15, 20 Jahren stimmen. Daran knüpfe ich an. Das ist die erste Bemerkung.Die zweite Bemerkung ist: Sehen Sie, das, was wir heute in bezug auf den Beitrag der heimischen Energiequellen für richtig halten, ist von Sozialdemokraten schon vor 10, 15, 20 Jahren in diesem Hause gesagt worden; nur ist es bei Ihnen auf taube Ohren gestoßen. Das ist das Problem, das ich aufzeigen wollte.
Meine Damen und Herren, wie schaut es denn mit der CDU/CSU-Politik heute aus? Wenn Sie sich die Erklärungen führender Energiepolitiker der Opposition in den letzten Wochen und Monaten ansehen, stellen Sie doch fest: Funkstille in der Sache. Da hat Herr Dr. Probst „klare Direktiven" gefordert. Ich nehme doch wohl nicht an, daß er Dirigismus meint.
Da verlangt Herr Windelen „konkretes Handeln".Herr Windelen, Sie wissen doch, die Bundesregie-rung hat Monat für Monat energiepolitisch gehan-
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Wolfram
delt. Da spricht Herr Schmidhuber von der „Handlungsunfähigkeit der Koalition", und Herr Dr. Jenninger spricht von einem „Skandal", weil die Diskussion nicht mehr vor der Sommerpause stattfinden könne. Wir haben sie doch heute. Und Sie, Herr Kollege Gerstein, Bergwerksdirektor und Bergassessor, haben den Vogel abgeschossen, wenn Sie jüngst erklärt haben, die „Haltung der Bundesregierung gegenüber der Kohle sei unverbindlich und sei unerträglich", und wenn Sie der Bundesregierung „unentschuldbaren Leichtsinn" vorgeworfen haben. Ich frage Sie: Wo haben Sie eigentlich in den letzten zehn Jahren gelebt?Wenn ich diese Ihre Aussagen lese, dann erinnere ich mich an einen Witz. Das bezieht sich aber nur auf Sie, verehrter Herr Kollege. Die anderen Bergassessoren mögen mir das nicht übelnehmen. Ich weiß, inzwischen gibt es auch Bergassessoren, die in der SPD sind. Als die russischen Kosmonauten auf dem Mond landeten, fanden sie auf der Rückseite plötzlich einen Deutschen vor und waren ganz überrascht. Sie stellten fest: Es war ein deutscher Bergassessor. Sie fragten: Wie kommt das? Wir haben doch in der Presse gar nichts davon gelesen? — Und dieser deutsche Bergassessor — das könnten fast Sie gewesen sein; ich hoffe, Sie haben ein bißchen Humor — antwortete: Wissen Sie denn nicht, daß die deutschen Bergassessoren schon immer hinter dem Mond gelebt haben?
So ähnlich mutet mir Ihre Aussage über die Energie- und Kohlepolitik an.Meine Damen und Herren von der Opposition, ich kann Ihnen nur sagen: Nutzen Sie doch die Chance, heute noch Ihre konkreten energiepolitischen Vorstellungen darzulegen!
Wir sind jedenfalls gewillt, in dieser ganztägigen Debatte zu unterstreichen, wie ernst es die von uns getragene Bundesregierung und die beiden Koalitionsfraktionen mit der Energiepolitik und deren Bedeutung und Stellenwert in der deutschen, der europäischen und der internationalen Politik meinen. Diese Bundesregierung hat — das hat mein Freund Adolf Schmidt schon geschildert — überhaupt erst ein Erstes Energiekonzept vorgelegt. Ich kann Sie nur ermuntern: Folgen Sie dem sozialdemokratischen Beispiel und veranstalten Sie einmal eine Fachtagung, wie wir sie in Köln durchgeführt haben, wo sehr kontroverse Meinungen sachlich vorgetragen und ernsthaft diskutiert und abgewogen wurden, um in unsere energiepolitischen Vorstellungen und Überlegungen einzugehen. Nutzen Sie die Chance! Machen auch Sie es! Dann wüßten wir endlich, wo die CDU/CSU auf dem energiepolitischen Gebiet steht.
— Den habe ich mit Interesse gelesen. Vorhin hat mich ein Kollege gefragt: Was machen wir denn damit? Müssen wir darüber abstimmen? Wir sind uns ja einig: Wir überweisen ihn den zuständigenFachausschüssen. Was Sie in dem Entschließungsantrag geschrieben haben, ist eine über Nacht zusammengeschusterte Abschrift energiepolitischer Vorstellungen der Bundesregierung, die weitestgehend längst verwirklicht sind.
Darin ist doch nicht ein einziger originärer Gedanke enthalten. Das ist Tatsache. Lesen Sie Ihren Entschließungsantrag mal selber und vergleichen Sie ihn mit den Energieprogrammen, mit der Fortschreibung und mit den Antworten auf die Großen Anfragen.Wir Sozialdemokraten nehmen den Dialog mit dem kritischen und engagierten Bürger ernst. Wir wissen: Es geht nicht so einfach, wie Herr Dr. Narjes es sich vorstellt. Bei ihm wird ex cathedra diktiert, und alle anderen müssen marschieren. Wir sind anderer Meinung: Hier muß mit dem Bürger über das Für und Wider dieser oder jener Alternative vernünftig gesprochen werden.Für uns Sozialdemokraten ist — wie Herbert Wehner richtig formuliert hat — die heutige Debatte keine Schlußdebatte, sondern die logische Fortsetzung der Beschäftigung mit dem wichtigen Thema. Unsere Überlegungen werden in die Zweite Fortschreibung des Energieprogramms eingehen. Wir informieren und diskutieren problemorientiert. Wir sind uns unserer Verantwortung gegenüber den heutigen und den künftigen Energieverbrauchern, den industriellen wie den privaten bewußt.In der Debatte hat die Opposition den Eindruck erweckt, es liege nur an der Bundesregierung. Sie wissen doch alle, daß die Bundesregierung allein nicht sämtliche Fakten der Energiepolitik bestimmt oder beeinflußt. Da sind die Bundesländer, die man auffordern muß, zu einem konzertierten Verhalten auf energiepolitischem Gebiet zu kommen. Da sind die Energieversorgungsunternehmen, die endlich ihre überwiegend unternehmensorientierte Politik durch das notwendige Mitwirken bei der Verwirklichung energiepolitischer Ziele ergänzen müssen. Da sind die Energie und Rohstoff produzierenden Länder, das OPEC-Kartell, die Multis und viele andere. Und da sind nicht zuletzt die Energieverbraucher, von denen wir hoffen, daß sie sich auf Grund einer sachlichen Information zu einem energiebewußten Verhalten entschließen. Was die Energiepolitik betrifft: Die Bürger können sich auf uns verlassen.Zu den zwei Großen Anfragen und den Antworten stelle ich fest, daß wir der Bundesregierung für ihre Stellungnahmen danken. Die Stellungnahmen sind die konsequente Fortsetzung des energiepolitischen Leitfadens der sozialliberalen Koalition.Wir gestehen offen: nicht alle Antworten sind für jeden von uns vollständig und befriedigend. Wie könnte es auch anders sein! In unserer Partei und unserer Fraktion spiegelt sich selbstverständlich die Vielschichtigkeit der öffentlichen Meinung wider. Aber wir werden die noch offenen Fragen sachlich diskutieren, und wir werden bei der zweiten Fortschreibung konkret Position beziehen.
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Wolfram
Lassen Sie mich deshalb in dieser Debatte einige Feststellungen treffen:Erstens. Wir Sozialdemokraten begrüßen das geschärfte öffentliche Problembewußtsein auf energiepolitischem Gebiet.Zweitens. Wir treten ein für eine sachliche, emotionslose Diskussion und vor allem für eine gewaltlose Auseinandersetzung um den richtigen energiepolitischen Weg. Das Wort des Bundeskanzlers gilt: Bei uns darf man demonstrieren, aber nicht demolieren.Drittens. Wir sind uns vorhandener Zielkonflikte zwischen Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung, Umweltschutz und Energieversorgung bewußt. Wir sind weder Lobbyisten der Energieproduzenten noch lassen wir uns das Gebiet des Schutzes der Natur und der Umwelt von anderen besetzen.
Vorrangige Ziele unserer Energiepolitik sind: gesicherte zukünftige Energieversorgung, Verringerung der Energieimportabhängigkeit insbesondere bei Öl und Gas. Entwicklung alternativer Energiequellen. Ausschöpfung aller realistischen Möglichkeiten, mit der Energieverschwendung Schluß zu machen, oder um Professor von Weizsäcker zu zitieren: intelligenter Umgang mit der Energie. Wir sind für verstärkten Ausbau und Nutzung der heimischen Energiequellen, für verstärkte und beschleunigte Förderung neuer Technologien zur Kohleverflüssigung und -vergasung und für zügigen Bau umweltfreundlicher Kohlekraftwerke.Viertens. Beseitigung rechtlicher Unsicherheiten, insbesondere in bezug auf die TA Luft und das Bundesimmissionsschutzgesetz und eine Beschleunigung des Planungs- und Entscheidungsprozesses in bezug auf Standortwahl und Genehmigungsverfahren, ohne daß berechtigte Bürgerinteressen darunter leiden. Wir sind für einen bundesweiten Abstimmungsprozeß bei der Standortplanung und für grenzüberschreitende Standortabstimmung. Wir begrüßen die entsprechenden Vorschläge der Bundesregierung, und wir bitten die Bundesregierung, den Vorschlag von Minister Farthmann zur Vereinfachung der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf diesem Gebiet zu prüfen.Wir werden die Reform des Energiewirtschaftsrechts, vor allem der Konzessions- und Durchleitungsrechte als eine wichtige Aufgabe in dieser Legislaturperiode anpacken. Dem Mißbrauch der Monopolstellung durch einzelne EVUs muß begegnet werden. In diesem Zusammenhang Überprüfung der Stromtarife mit der Zielsetzung, rationelle Verwendung von Strom zu honorieren und nicht Energieverschwendung zu prämiieren.Wir erwarten verstärkte Initiativen und Aktivitäten auf europäischer Ebene. Herr Dr. Narjes hat doch völlig zu Unrecht dieser Bundesregierung Vorwürfe gemacht. Er müßte doch wissen, daß woanders in Europa auf energiepolitischem Gebiet blockiert wird. Wir bitten vor allem die Bundesregierung, sich um eine bessere Koordinierung der EG-Energieimportpolitik zu kümmern. Es ist nach meinem Dafürhalten unzumutbar, daß in einemdenkbaren Krisenfalle und bei einer Mangellage die Bundesrepublik nach dem Montan-Vertrag zu Kohlelieferungen verpflichtet ist, in Zeiten des Überangebotes aber keine Abnahmeverpflichtungen der übrigen Gemeinschaftsländer bestehen.Meine Damen und Herren, wir sind uns in diesem Hause offensichtlich in der Beurteilung einig, daß der Energiebedarf für die übersehbare Zukunft weiter, wenn auch langsamer als bisher, wachsen wird und daß wir diese Energie zur Sicherung des Wirtschaftswachstums benötigen. Die Deckung dieses steigenden Bedarfs wird nur möglich sein, wenn wir es mit der Verringerung der Abhängigkeit von den Importenergien Mineralöl und Erdgas ernst meinen und wenn wir alle Möglichkeiten der Energieeinsparung ausschöpfen. Überall in der Welt ist inzwischen unbestritten, daß zur Sicherung der zukünftigen Energieversorgung verstärkt auf die Kohle gesetzt werden muß, und zwar vor allem ab Anfang der 80er Jahre. Das hat auch die jüngste Studie der Arbeitsgruppe für alternative Energiestrategien bewiesen.Allerdings hat die Steinkohle augenblicklich eine Durststrecke durchzustehen. Zur Überbrückung gibt es nur ein energiepolitisches Instrument, nämlich die Nationale Kohlenreserve von 10 Millionen Tonnen auf 15, eventuell sogar 20 Millionen Tonnen zu erhöhen. Deshalb muß die Energiepolitik im Bereich der Steinkohle auf diese längerfristigen Erfordernisse ausgerichtet sein und die notwendigen Dispositionsgrundlagen für langfristige Investitionen schaffen.Wer es ernst meint mit der Verringerung des Abhängigkeitsgrades bei Importöl und -gas, der muß mehr auf die sichere und in ausreichenden Mengen für lange Zeit verfügbare Kohle setzen.Die technische Förderkapazität des deutschen Steinkohlebergbaus beträgt zur Zeit rund 100 Millionen Tonnen. Die langfristige Stabilisierung dieser Kapazität muß entscheidend für unsere Energiepolitik sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß das Dritte Verstromungsgesetz sehr bald novelliert werden muß. Der Rahmenvertrag zwischen dem Steinkohlenbergbau und der Elektrizitätswirtschaft muß unverzüglich durch individuelle privatrechtliche Abnahmevereinbarungen ausgefüllt werden. Wir fordern die Elektrizitätsversorgungsunternehmen auf, sofort — zumindest dort, wo die Genehmigungen erteilt sind — ich nenne stellvertretend Ibbenbüren und Bergkamen — mit dem Bau neuer Kohlekraftwerke zu beginnen.
Zu lange ist auf Ersatz-, Neu- und Zubau verzichtet worden. Im übrigen, meine Damen und Herren, wer gegen Kernkraftwerke ist, muß logischerweise anerkennen, daß wir Ersatz durch neue Kohlekraftwerke brauchen. Ich füge hinzu: nicht nur an der Ruhr, sondern auch in anderen Bundesländern.
Die Bundesländer wären deshalb gut beraten, anStelle einer Reihe ursprünglich geplanter Kern-
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Wolfram
kraftwerksstandorte alternative Kohlekraftwerksstandorte auszusuchen. Wir brauchen neue Steinkohlenkraftwerke mit einer Kapazität von mindestens 10 000 MW.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Zeit läuft einem in solch einer Debatte leider immer davon. Ich stelle abschließend fest, daß die allgemeine Forderung „Weg vom Öl!" sehr schnell erhoben werden kann. Sie in unserem Wirtschaftssystem praktisch umzusetzen ist wesentlich schwieriger. Deshalb meine ich: Wir müssen sparen. Adolf Schmidt hat darauf hingewiesen. Aber er hat auch die Grenzen aufgezeigt. Wir müssen alternative Energiequellen entwickeln. Wir müssen vor allem aber der Kohle die Möglichkeit eröffnen, daß sie in der Zukunft ihren steigenden Versorgungsbeitrag leisten kann. Das ist nicht nur energiepolitisch notwendig, sondern ist auch aus Gründen der Beschäftigungs- und Strukturpolitik, der Sicherung und Schaffung neuer Arbeitsplätze von größter Bedeutung. Wir müssen die Option auf die Kernenergie aufrechterhalten.Wir die sozialliberale Koalition und die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, werden unseren klaren energiepolitischen Kurs konsequent fortsetzen. Die Bürger, die heutigen und die zukünftigen Energieverbraucher, können sich auf uns verlassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidhuber.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Beginn seiner energiepolitischen Jubeladresse ist der von mir sehr geschätzte Kollege Wolfram leider in eine alte, wie ich meinen möchte, schlechte Gewohnheit verfallen, den Vorredner der anderen Fraktion mit einigen Schmähungen zu bedenken. In seinen einleitenden Bemerkungen wimmelt es von Ausdrücken — gemeint war der Kollege Dr. Narjes — wie „nicht ernst zu nehmen", „sich selbst abqualifiziert", und welche Sprüche es da sonst noch gibt. Meine Damen und Herren, dies ist meist die einzige Art und Weise, in einer Debatte in diesem Hause auf den Vertreter einer anderen Meinung einzugehen.
Und dann trägt man anschließend an diese einleitenden Bemerkungen sein Manuskript vor. Ich will gar nicht verschweigen, daß es bei mir ähnlich ist. Trotzdem sage ich das.
— Natürlich ist es so. Das ist doch systembedingt, meine Herren.
Man sollte sich vielleicht doch einmal überlegen, ob man erneut einen Anlauf machen sollte, die Geschäftsordnung zu ändern, um zu erreichen, daß diese Art der Debattenführung nicht mehr möglich ist.
Ich nehme an, Sie werden mir zustimmen, Herr Kollege Schulte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr!
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die von Ihnen angestrebte Geschäftsordnungsänderung noch vom letzten Bundestag verwirklicht worden wäre, wenn nicht Ihre berühmten Kreuther Beschlüsse dazwischengekommen wären und die Opposition in dieser Frage nicht handlungsunfähig geworden wäre?
Herr Kollege, da sind Sie etwas falsch informiert. Ihnen ist offenbar nicht bekannt, daß ich als damaliges Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses an der Planung dieser Geschäftsordnungsreform mitgewirkt habe.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zur Sache kommen. Der Kollege Wolfram handelte nach dem alten strategischen Grundsatz: „Der Angriff ist die beste Verteidigung". Ich habe auch Verständnis dafür, daß Sie in unseren Presseerklärungen gewühlt haben, um Widersprüche zu entdecken. Wie Sie unter Beweis gestellt haben, ist Ihnen das aber nicht gelungen. Wir hätten es dagegen viel leichter. Wir könnten stundenlang aus den widersprüchlichen Stellungnahmen von Vertretern der SPD und FDP zitieren. Aber wir wollen die Zeit damit nicht verschwenden; wir wollen uns in erster Linie mit der Bundesregierung auseinandersetzen.Lassen Sie mich bloß noch eine ganz kleine Bemerkung zum Ablauf der bisherigen Debatte machen. Nach dem Fernsehfilibuster von heute vormittag kommt jetzt offenbar die Oppositionsbeschimpfung dran.Meine Damen und Herren, es sind die mangelnden energiepolitischen Vorstellungen der Opposition kritisiert worden. Es ist gefragt worden: Wo bleiben die? Wer der Rede des Kollegen Dr. Narjes zugehört hat, weiß, welche Vorstellungen wir haben. Aber lassen Sie mich da doch einmal eine andere Frage stellen: Wann hat denn diese Bundesregierung die Antworten auf unsere Großen Anfragen vorgelegt? In der letzten Woche! Sie hat uns zugemutet, uns mit diesen mehr als 150 Seiten in so kurzer Zeit vertraut zu machen, was wir auch intensiv getan haben.Die Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen von Koalition und Opposition wurden übrigens mit einem bemerkenswerten Unterschied an Akribie erstellt, d. h. mit der Beantwortung der Anfrage der Opposition hat man sich weniger Mühe gegeben.
Schmidhuber— Auf diesen Zuruf habe ich gewartet, Herr Kollege Wolfram. Er ist so intelligent, daß man dazu nichts zu sagen braucht.
Die Antworten werden dem Ernst der Lage, der Schwierigkeit des Problems „Sicherung der Energieversorgung" und seinen gesamtpolitischen Verflechtungen in keiner Weise gerecht. Die Antworten bringen zwar eine Fülle interessanter Daten und Fakten — darauf hat Herr Kollege Dr. Narjes schon hingewiesen —, aber es fehlt ihnen die politische Substanz, und zwar in dreierlei Hinsicht.Es fehlt eine umfassende und überzeugende Darstellung der mutmaßlichen Entwicklung des Weltenergiemarktes und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die zukünftige Entwicklung unserer Energieversorgung und damit für das weitere Schicksal unserer Wirtschaft und unseres Volkes.Weiter fehlt eine Darlegung der großen Dringlichkeit der uns gestellten Aufgabe, die künftige Energieversorgung unserer Volkswirtschaft zu sichern. Wir stehen unter einem enormen Zeitdruck, der durch die Tatenlosigkeit der Bundesregierung mitverursacht worden ist.
Zum dritten fehlt in den Antworten jeglicher politische Gestaltungswille der Bundesregierung. Die Antworten sind Dokumente der Handlungsunfähigkeit dieser Koalition. Die Äußerungen der Bundesregierung zeigen keine politische Perspektive auf, wie man auf die größte Herausforderung, der sich die industrielle Gesellschaft bisher gegenübersah, antworten kann, geschweige denn ein konkretes politisches Programm.
— Wenn ich auf Ihre Zwischenrufe eingehen soll, müssen Sie etwas lauter sein.Es wird geprüft und untersucht, und das bei einigen Vorschlägen schon seit mehreren Jahren. Aber man handelt nicht.Lassen Sie mich diese Feststellungen nun begründen. Spätestens seit der Ölversorgungskrise des Spätherbstes 1973 hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Befriedigung eines schnell wachsenden Weltenergiebedarfs immer schwieriger werden wird und daß es hierzu großer Anstrengungen nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Regierungen auf nationaler und internationaler Ebene bedarf.Hinsichtlich der Versorgung mit Erdöl, Erdgas und auch mit Uran sind von verschiedenen Seiten eindringliche Warnungen ausgesprochen worden, die jedoch von der Bundesregierung in ihren öffentlichen Verlautbarungen auffallend kurz behandelt bzw. ignoriert worden sind. Ich möchte auf einige dieser Warnungen noch einmal ausdrücklich hinweisen:1. Erklärungen der multinationalen Ölgesellschaften über Verknappungen bei Erdöl möglicherweise bereits in den 80er Jahren,2. die Untersuchung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe über das Angebot von Energierohstoffen, abgeschlossen im März 1973,3. die Verlautbarungen der Internationalen Energieagentur in Paris über die Möglichkeit künftiger Versorgungsschwierigkeiten,4. die Studie des amerikanischen CIA über die künftigen Probleme der Versorgung mit Energie,5. die Hinweise führender Politiker aus OPEC-Staaten, die Lieferbereitschaft der Erdölförderländer nicht zu überschätzen.Als weitere Tatbestände, die in dramatischer Weise erkennen lassen, daß die Mehrzahl der bisherigen energiewirtschaftlichen Annahmen hinfällig geworden sind, sollen genannt werden:1. der Beschluß der Niederlande, eines der bedeutendsten Erdgasförderländer, über eine systematische Konservierungspolitik bei Erdgas — Holland wird ab Anfang der 90er Jahre kein Erdgas mehr exportieren —,2. die Konservierungspolitik Norwegens bei Erdöl und Erdgas und die Konservierungspolitik Großbritanniens bei Erdgas,3. die Erdgaskonservierungspolitik des Iran, also des Landes mit den zweitgrößten Erdgasreserven der Welt,4. die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Natururan. Zunehmend ist bei wichtigen Uranförderländern die Tendenz zu verzeichnen, ihre Uranvorkommen teilweise oder sogar weitgehend der eigenen Versorgung vorzubehalten,5. die Unwägbarkeiten bei der Beschaffung von angereichertem Uran.Die Daten und Tendenzen der Weltmärkte für Erdöl und Erdgas zeigen eine starke Verflechtung dieses Bereiches unserer Außenwirtschaftspolitik mit außenpolitischen Fragen. Zwei Drittel ihres Rohölbedarfs beziehen die westlichen Länder aus einer Weltregion mit Krisenerscheinungen und Hochrüstung. Die Importabhängigkeit von dort wird sogar noch weiter steigen. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute selber das Wort von der Erpreßbarkeit der Industrieländer gebraucht. Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß der mittlere Osten ganz unabhängig vom 01 zu den Konfliktgebieten der Welt gehört, weil es sich aus geopolitischen Gründen um eine Region handelt, in der Machtansprüche von Großmächten ausgetragen werden bzw. ausgetragen werden können.Die strategische Weltkarte des Öls läßt auf einen Blick erkennen, daß die Kap-Route in diese Überlegungen mit einzubeziehen ist. Im vergangenen Jahr wurden etwa 950 Millionen Tonnen Rohöl auf dieser Route verschifft. Der Zeitpunkt ist abzusehen, wann es die doppelte Menge sein wird.Eine verantwortungsbewußte und vorausschauende Politik kann also unsere Versorgung mit Erdöl und auch mit Erdgas aus diesen Ländern nicht nur rein wirtschaftlich sehen. Zu dieser Problematik ist der Bundesregierung, so nachzulesen auf Seite 20 der Drucksache 8/570, nicht viel eingefallen, näm-
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2290 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Schmidhuberlich nur die Stichworte: Diversifikation der Ölbezugsquellen und das weltweit gewachsene Bewußtsein einer gegenseitigen Interdependenz.Dieses Szenario des künftigen Weltenergiemarkts ist nicht in ausreichender Weise in die Eckwerte der Bundesregierung vom 23. März 1977 und, auch nicht in die Antwort auf die Anfragen eingegangen, die heute zu diskutieren sind.Vor diesem Hintergrund klingt der vom Bundeswirtschaftsminister oft wiederholte Hinweis auf die im Vergleich zu anderen Staaten relativ reibungslose Bewältigung der Ölkrise des Herbstes 1973 etwas hohl. Mit diesem Argument hat der Herr Bundeswirtschaftsminister die letzten beiden Energiedebatten dieses Hauses bestritten; es ist unserer Ansicht nach verbraucht.Daß die Verknappungserscheinungen auf dem deutschen Mineralölmarkt verhältnismäßig rasch abklangen, beruhte nicht nur auf dem Ergebnis der ordnungspolitisch sicher konsequenten Politik des Bundeswirtschaftsministers, sondern auch auf den Auswirkungen anderer Einflüsse, z. B. des Rückgangs des Energieverbrauchs infolge der schwachen Weltkonjunktur und der energiesparenden Wirkungen zweier aufeinanderfolgender milder Winter. Diese vorübergehende Entlastung, die von einem anderen schweren Nachteil, nämlich von einer hohen Arbeitslosigkeit, begleitet war und ist, darf uns nicht vergessen lassen, daß wir als ein in hohem Maße importabhängiges Land unsere Energieversorgung auf neue Grundlagen stellen müssen und daß dazu tiefgreifende und weitreichende energie- und wirtschaftspolitische Maßnahmen und die dazu erforderlichen politischen Meinungs- und Willensbildungsprozesse keinen weiteren Aufschub mehr dulden.In einer freiheitlich demokratisch verfaßten Gesellschaft sind Maßnahmen, die einer großen Zahl von Bürgern Belastungen auferlegen oder eine Änderung der Lebens- und Verbrauchsgewohnheiten herbeiführen, nur zu verwirklichen, wenn vorher in einem unter Umständen höchst mühseligen Meinungsbildungsprozeß die Einsicht in die Notwendigkeit, in die Unabweisbarkeit derartiger Maßnahmen geweckt wird. Die Mehrheit der Bevölkerung muß davon überzeugt werden, daß Energie ein knappes und immer knapper werdendes Wirtschaftsgut ist, mit dem gespart werden muß, und zwar nicht nur vorübergehend wie im Falle einer Versorgungskrise, sondern als dauernde Anstrengung.Diese Einsicht hat sich in unserem Lande, aber auch in vielen anderen Industriestaaten, nur sehr langsam durchgesetzt. Es ist ohne Zweifel das Verdienst der ersten Studie des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums", die Öffentlichkeit auf die Endlichkeit, ja auf die drohende rasche Erschöpfung unserer Ressourcen hingewiesen zu haben. Der 01-schock von 1973 hat diese Sorge um Energie und Rohstoffe schlagartig zu einer allgemeinen Erkenntnis werden lassen. Leider hat es aber den Anschein, daß dieses Energiebewußtsein — ich meine die Einsicht in die Knappheit der verfügbaren Energie — infolge der Normalisierung der aktuellen Versorgungslage wieder etwas abgenommen hat.Anders verhält es sich dagegen mit der Besorgnis hinsichtlich der Gefahren der Kernenergie. Diese Bedenken und Besorgnisse bewegen eine zunehmende Zahl von Bürgern. Die Themen Sicherheit der Kernenergie und mögliche Folgen eines Störfalls werden in den Medien breit erörtert. In manchen Kreisen hat diese Diskussion starke Emotionen geweckt und irrationale Züge angenommen.In der öffentlichen Debatte über die Probleme der Energiepolitik, insbesondere der Notwendigkeit der Nutzung der Kernspaltung zur Energiegewinnung, sind noch andere Elemente wirksam geworden wie etwa:1. Die Auflehnung gegen die Bedrohung der Umwelt durch die industrielle Massengesellschaft und ihre Begleiterscheinungen. Dabei werden die in abstracto unleugbaren Gefahren der Kernenergie umgesetzt in apokalyptische Visionen des „größten denkbaren Reaktorunfalls" oder der Auslösung einer Kettenreaktion.2. Die Auflehnung gegen die industrielle Wohlstandsgesellschaft als solche, deren angeblich nackter Materialismus die menschliche Existenz entleere und verkümmere.3. Die Auflehnung gegen den Verwaltungsstaat, gegen den für den einzelnen Bürger nicht mehr durchschaubaren Entstehungsprozeß administrativer Entscheidungen. Hinzu kommt das Gefühl der Ohnmacht des einzelnen, der sich dem Räderwerk der Verwaltungsmaschinerie hilflos ausgeliefert fühlt.4. Die Auflehnung gegen den Parteienstaat. Den Parteien gelinge es nicht mehr in ausreichender Weise, die Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte der Menschen zu artikulieren, weshalb Interessen in anderen sozialen Formen, z. B. in Bürgerinitiativen, manifestiert werden müssen.Die Auseinandersetzung um die Kernenergie ist daher mehr als eine wirtschaftspolitische Streitfrage. Sie ist eine gesellschaftspolitische Krisenerscheinung, vergleichbar der Studentenrevolte von 1968. Man kann ihre Bewältigung daher nicht den wirtschaftspolitischen Fachleuten oder den eingeschüchterten Direktoren der Kraftwerksgesellschaften. überlassen. Sie stellt eine Herausforderung der politischen Führung dar.
Sie löst sich sicher nicht von selbst durch Zeitablauf, durch hinhaltendes Taktieren, sondern sie erfordert eine große politische Anstrengung auf vielen Handlungsebenen.
Weder die Äußerung von betulichem oder geheucheltem Verständnis für die Sorgen der Protestierenden noch die Feststellung der Unrichtigkeit oder Anfechtbarkeit der von den Bürgerinitiativen vertretenen Parolen hilft weiter. Die politischen Parteien und die Regierung von Bund und Ländern müssen ihrer Rolle als Meinungsführer gerecht werden, die politischen Optionen darlegen und ihre Entscheidungen begründen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2291
SchmidhuberDie Bundesregierung und die Koalition müssen sich fragen lassen, ob sie das ihnen Mögliche getan haben, um die erforderliche Zustimmungsbereitschaft einer Mehrheit der Bürger für die Notwendigkeiten einer Energiepolitik für morgen und übermorgen herzustellen und um die Debatte über die Notwendigkeit und die Gefahren der Kernenergie zu versachlichen und sie in den Zusammenhang der anderen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Risiken zu stellen, die einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft immanent sind. Beide Fragen müssen mit Nein beantwortet werden.Die „Chance des Ölschocks" wurde nicht sofort zu einer konsequenten Politik der Einsparung von Energie und der Energiesicherung genutzt. Dadurch ist kostbare Zeit verlorengegangen.In der Frage der Kernenergie bieten die Koalition und die sie stützenden Parteien SPD und FDP ein Bild der Zerrissenheit. Den Parteiführungen fällt es offenbar immer schwerer, eine einheitliche politische Haltung ihrer jeweiligen Parteien herbeizuführen.
— Weil wir ihn nicht nötig haben.
Darauf werde ich noch zu sprechen kommen, Herr Kollege Wolfram.Die bis jetzt unüberbrückbaren Gegensätze innerhalb von SPD und FDP in der Energiepolitik spalten nicht nur die Anhängerschaft dieser Parteien. Das ist Ihre Sache! Sie irritieren auch die Öffentlichkeit und erschweren somit den dringend notwendigen Konsens in dieser zentralen politischen Frage.
Der Kollege Schmidt mit seinem sympathischen Pathos und später auch der Kollege Wolfram haben heute unter Hinweis auf die energiepolitische Konferenz in Köln vom 28./29. April 1977 für die SPD in Anspruch genommen, daß sie sich als einzige Partei in einer umfassenden öffentlichen Diskussion um den richtigen Weg in der Energiepolitik bemüht habe.
Der Kollege Schmidt hat weiterhin bemerkt, daß der Leistungsnachweis der CDU/CSU in dieser Frage noch ausstehe. Ich muß Ihnen sagen: Auf diese Art von Leistungsnachweis à la SPD legen wir überhaupt keinen Wert.
Wir haben ihn nämlich nicht nötig, da wir im Gegensatz zu Ihnen in der Energiepolitik Kurs gehalten haben. Im übrigen ging es ja in Köln erst in zweiter Linie um Energiepolitik. Das war doch nur das Medium der Auseinandersetzung. Es ging vielmehr um die Flügelkämpfe in Ihrer Partei. Das einzig greifbare Ergebnis von Köln war nicht die Einigung auf ein energiepolitisches Konzept. Das haben Sie auf Ihren Parteitag im November verschoben. Das einzige, worauf Sie sich zwar nicht geeinigthaben, aber was herausgekommen ist, war doch, daß der linke Flügel Ihrer Partei jetzt einen Führer hat, und der heißt Erhard Eppler.
Ihre Würdigung der Konferenz von Köln, Herr Kol-lege Schmidt, erinnert mich an das lateinische Sprich-wort: Ut desint vires, tarnen est laudanda voluntas.
— Selbstverständlich, das kommt natürlich noch: Wenn schon die Kräfte zu einem energiepolitischen Konzept fehlen, dann wollen wir doch für die gute Absicht gelobt werden, daß wir unseren Streit in der Öffentlichkeit austragen.
— Jetzt kommt das Schlagwort vom Demokratieverständnis. Herr Kollege Wolfram, wir arbeiten ja schon seit vielen Jahren zusammen. Dabei ist mir immer aufgefallen, daß Ihre öffentlichen Äußerungen zwei Schlagworte enthalten. Das eine ist Kreuth, seit es diese Möglichkeit gibt — früher haben Sie immer von Sonthofen gesprochen —, und das andere ist das Demokratieverständnis. Sie sollten sich einmal etwas Neues einfallen lassen.Meine Damen und Herren, der Konflikt innerhalb von SPD und FDP lähmt die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Dies ist das entscheidende politische Faktum.
In den vorliegenden Antworten stellt die Bundesregierung Fakten zusammen, weist auf Probleme hin, kündigt die Prüfung von Maßnahmen an, aber sie handelt nicht. Sie legt kein energiepolitisches Konzept vor, ja sie verweigert sogar wichtige Orientierungsdaten.Sie legt nicht einmal fest, wann die zweite Fortschreibung des Energieprogramms vorgelegt wird. In der Antwort auf unsere Anfrage heißt es: demnächst. Was heißt aber demnächst? Im September beim Zusammentritt des Bundestages nach der Sommerpause oder vielleicht vor Weihnachten, also nach dem SPD-Parteitag? Das letztere halte ich allerdings für wesentlich wahrscheinlicher. Es ist heute schon voraussehbar, daß auf dem Gebiet der Energiepolitik in diesem Jahr nichts mehr geschieht, vielleicht mit einer einzigen Ausnahme, nämlich der Novellierung des Dritten Kohleverstromungsgesetzes. So möchte ich wenigstens hoffen.
— Das kommt darauf an, wie hoch die Ansprüche geschraubt werden, Herr Kollege Wolfram.Das gesamtwirtschaftliche Problem, das es zu lösen gilt und wofür die Bundesregierung noch kein Lösungskonzept vorgelegt hat, wird im Schlußbericht der internationalen Studiengruppe über alternative Energiestrategien, der sogenannten MIT-Studien, genannt. Es wird dort knapp und treffend
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2292 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Schmidhuberwie folgt formuliert; ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten:Die Umstellung von einer vom Erdöl beherrschten Energiewirtschaft auf eine Energiewirtschaft, die sich in der Hauptsache auf andere Energiequellen stützt, erfordert die nachhaltigsten Bemühungen, vor allem im Hinblick auf einen wirksameren Einsatz von Energie, welche jetzt anlaufen müssen, da es 5 bis 15 Jahre dauern wird, den stufenweisen Mehrbedarf an Energie in Mengen bereitzustellen, die in der Größenordnung von Millionen Barrels Erdöl je Tag liegen.Jeder wirtschaftspolitischen Vorausschau, meine Damen und Herren, haftet, wie wir wissen und oft in der Praxis erfahren haben, der Ruch des Spekulativen an. Es liegt in der Natur der zur Verfügung stehenden statistischen und mathematischen Methoden, daß die Schätzfehler und Unschärfefelder überproportional mit der Länge des Prognosezeitraums wachsen. Die mutmaßlichen Auswirkungen der angestrebten Senkung des Energiekoeffizienten durch rationelleren Energieeinsatz ist dabei ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor. Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat heute in seiner Intervention selbst darauf hingewiesen, daß die Senkung des Energiekoeffizienten auf 0,6 in den 80er Jahren ein sehr ehrgeiziges Ziel sei. Er hat in diesem Zusammenhang hier auch das Prinzip Hoffnung bemüht. Wir können uns in dieser Hoffnung nur anschließen, aber leider auch nicht mehr.Deshalb habe ich Verständis dafür, daß die Bundesregierung ihre Vorausschätzungen über den Energiebedarf für 1985 und die folgenden Jahre und seine Befriedigung schon mehrmals revidiert hat. Dies haben auch andere Regierungen getan. Bedenklich, meine Damen und Herren, wird es aber, wenn Änderungen nicht nur auf Grund neuer ökonomischer Daten vorgenommen werden, sondern aus Gründen der politischen Opportunität oder einfach aus mangelnder politischer Handlungsfähigkeit.
Die energiepolitischen Äußerungen aus den Reihen der Koalition haben in den letzten Monaten die Form einer Lotterie der Megawatt-Zahlen angenommen. Um die erhitzten Gemüter in den eigenen Reihen und anderswo zu beruhigen, gibt jetzt die Bundesregierung die Parole vom maßvollen und stetigen Ausbau der Kernenergie aus. Über das Ziel, über die benötigte installierte Kraftwerksleistung zu einem bestimmten Zeitpunkt, werden nur noch vage Angaben gemacht. Zunächst schafft sich die Bundesregierung durch die Verkündung einer neuen Erkenntnis Luft, nämlich durch die folgende Feststellung. Ich zitiere aus der Antwort zu III.1 der Anfrage der CDU/CSU-Fraktion:Es ist energiepolitisch falsch, die Debatte über die Entwicklung der Kernenergie in unserem Land an Hand einer bestimmten Kapazitätszahl zu einem bestimmten Kalenderzeitpunkt zu führen.
Dies bedeutet einen Bruch der bisherigen Übung der Energiepolitik, nämlich Orientierungsdaten zu nennen und damit bestimmte wirtschaftspolitische Zielvorstellungen zum Ausdruck zu bringen.
Das ist der unbeholfene Versuch, darüber hinwegzutäuschen, daß die Bundesregierung nicht mehr in der Lage ist, eine Orientierungsgröße für die Stromdarbietung zu nennen; nicht etwa weil sie darüber keine Vorstellungen hat, sondern weil es ihr mit Rücksicht auf die grundsätzlichen Kritiker der Kernenergie in den Reihen der Koalition nicht opportun erscheint, eine Richtgröße zu nennen.
Diese Auflösung des zeitlichen Horizonts 1985 kommt der Bundesregierung auch deswegen gelegen, weil sie andernfalls eingestehen müßte, daß sie weder willens noch in der Lage ist, die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Schaffung einer zusätzlichen Kraftwerkskapazität von zirka 30 000 MW bis zum Jahr 1985 zu schaffen.
— Der Herr Gruhl wird vielleicht in dieser Debatte noch das Wort ergreifen und wird seinen Standpunkt darlegen. Aber Sie sollten den Herrn Kollegen Gruhl nicht immer als Alibi für die Uneinigkeit in Ihren eigenen Reihen mißbrauchen.
— Sie sollten doch solche Sache wie Brokdorf und Grohnde überhaupt nicht in den Mund nehmen.
Denn wenn ich mit Ihrer Diktion spräche, müßte ich sagen: Was haben wir denn für eine Bundesregierung — heute vormittag ist nämlich auch von der „Bundesregierung Erhard" gesprochen worden —, unter der in unserem Lande bürgerkriegsähnliche Zustände möglich sind?
Herr Abgeordneter Schmidhuber, darf ich Sie einen Augenblick unterbrechen.Ich bitte die Zwischenrufer, nicht in so großer Vielfalt auf einmal die Zwischenrufe anzubieten. Es ist gänzlich ausgeschlossen, daß der Redner dann darauf eingehen kann.Im übrigen sieht die Geschäftsordnung vor, daß Mikrophone im Saal sind, und Sie können gerne von dort aus Fragen stellen.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2293
Ich bedanke mich, Herr Präsident.
78 Professoren, darunter Fachleute mit Weltruf wie die Professoren Krelle und Hans-Karl Schneider, haben der Bundesregierung gestern in einem Manifest vorgeworfen, daß sie bisher auf eindeutige Entscheidungen verzichtet habe und einzelne Ressorts sich kontrovers äußerten. Hier ist der Bundeskanzler angesprochen: Machen Sie endlich Schluß mit der Megawattlotterie Ihrer Kabinettsmitglieder.
Herr Abgeordneter Schmidhuber, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel?
Herr Kollege, gestatten Sie, daß ich der Aufforderung des Präsidenten Folge leiste und eine Zwischenfrage stelle.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß für die von Ihnen mit gröblicher Übertreibung angesprochenen bürgerkriegsähnlichen Zustände die Landesregierungen verantwortlich sind? Und hätten Sie vielleicht die Güte, die parteipolitischen Zusammensetzungen dieser verantwortlichen Landesregierungen bekanntzugeben?
Herr Kollege Gansel, ich bestreite selbstverständlich nicht Ihre Kompetenz in Sachen Energiepolitik. Die haben Sie ja gegenüber dem Bundesminister Matthöfer in deutlicher Weise in den letzten Wochen demonstriert.
Ich darf zu Ihrer Frage nur folgendes sagen. Natürlich steht nach unserer Verfassungsordnung die Polizeigewalt, wenn Sie das meinen, den Bundesländern zu. Aber darauf kommt es doch überhaupt nicht an. Wer ist denn für die Erzeugung des geistigen Klimas verantwortlich, in dem sich diese ganzen Dinge entwickeln konnten?
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl. — Also, so sollten meine Bemerkungen nicht verstanden werden.
Herr Kollege Schmidhuber, nachdem wir die doch sehr stramme Rede Ihres Kollegen Narjes gehört haben, frage ich Sie: Stimmen Sie mir zu, daß derartige Reden dazu beitragen, daß diejenigen Bürger unseres Landes, die unserer Debatte nachdenklich folgen, zu dem Schluß gelangen, das, was im Plenum gesagt werde, sei nicht Rechtens, d. h., daß solche Reden eigentlich mehr schüren und weniger ausgleichend wirken, was gerade bei diesem schwierigen Thema notwendig wäre?
Herr Kollege Stahl, wir nehmen für uns in Anspruch, in all diesen Fragen nicht geschürt zu haben. Ganz im Gegenteil: Wir haben sehr viel dazu beigetragen, daß sich die Situation beruhigt hat.
— Soll ich Ihnen vorlesen, was der Kollege Pensky über den Polizeieinsatz in Grohnde im Pressedienst Ihrer Partei veröffentlicht hat?
— Ich fürchte, daß ich mich jetzt wiederholen muß. Der Kollege Gruhl wird im übrigen für sich selber sprechen. Aber ich möchte jetzt in meinen Ausführungen fortfahren.Bei der Darstellung des Stromverbrauchs für 1985 durch die Bundesregierung wird nicht genügend Nachdruck auf die Tatsache gelegt, daß für die Abdeckung eines eventuellen zusätzlichen Strombedarfs— etwa durch ein stärkeres Ansteigen des wirtschaftlichen Wachstums, das wir alle wünschen — praktisch nur die Kernenergie und in einem sehr begrenzten Ausmaß die Steinkohle in Frage kommen. Der Anteil der Primärenergien 01 und Erdgas an der Stromversorgung — das ist auch heute vormittag wieder ausdrücklich gesagt worden — sollte keineswegs gesteigert werden. Die Energieträger Braunkohle und Laufwasser sind bereits voll eingesetzt. Sogenannte neue Energieträger dürften in den 80er Jahren noch nicht zur Verfügung stehen.Wenn aber die Kernenergie die Hauptlast dieser Puffer- und Reservefunktion erfüllen soll, dann dürfen die Kernenergiekapazitäten nicht zu knapp kalkuliert werden, wenn man Engpässe bei der Stromversorgung vermeiden will. Die Bundesregierung betrachtet den Ausbau der Kraftwerkskapazitäten und damit die Sicherung der Stromversorgung in den 80er Jahren mit kühler Distanz, mehr wie ein Arzt, der eine Prognose über den Verlauf einer ihm nur oberflächlich bekannten Krankheit abgibt, nicht wie ein verantwortlich handelndes politisches Entscheidungsgremium. Von dem Entscheidungsdruck, von dem der Herr Bundeswirtschaftsminister geplagt ist, wie er uns heute vormittag berichtet hat, merke ich in diesen Papieren nichts. Die Verantwortung wird vielmehr auf andere abgeschoben, wenn formuliert wird: „Es ist Aufgabe der Versorgungsunternehmen— jedes ist auf sich gestellt und auf sein Versorgungsgebiet beschränkt —, den Beitrag der einzelnen Energieträger und Kraftwerkstypen dem Bedarfsrhythmus anzupassen."Natürlich werden Kraftwerke nicht von der Bundesregierung, sondern von den Kraftwerksunternehmen gebaut. Das ist doch nicht das Problem. Es fehlt ja nicht an Bauvorhaben, sondern in ihrer konkreten Realisierungsmöglichkeit, weil die Bundesregierung und die Koalition nicht die politischen Bedingungen und rechtlichen Voraussetzungen für
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2294 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Schmidhuberdie Verwirklichung dieser Vorhaben schaffen bzw. gewährleisten.
— Kommt schon noch. Gemach, gemach, Herr Kollege.Die Bundesregierung stellt hierzu fest: „Energiewirtschaftlich ist wichtig — und hier liegt die politische Aufgabe —, daß die Elektrizitätsunternehmen wissen, bei Erfüllung welcher Sicherheits- und Entsorgungsnachweise sie die atomrechtliche Genehmigung erhalten. Der Ablauf der Investitionen muß" — hören Sie gut zu — „wieder zügiger und vorhersehbar werden."Haben die Bundesregierung und die Koalition diese selbst gesetzte politische Aufgabe erfüllt?
— So leicht ist das? — Die Bundesregierung verweist auf den Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 6. Mai 1977 und die dort entwickelten Entsorgungsgrundsätze. Danach wird die Bundesregierung weitere erste Teilerrichtungsgenehmigungen für Kernkraftwerke erteilen, wenn für Standortvorauswahl und Einleitung des Genehmigungsverfahrens für das Entsorgungszentrum ein positives Urteil der Reaktorsicherheits- und Strahlenschutzkommission über ihre grundsätzlich sicherheitstechnische Realisierbarkeit vorliegt.
Ich will dabei zunächst unberücksichtigt lassen, daß die Landesregierung des größten Bundeslandes, nämlich Nordrhein-Westfalens, diesen Standpunkt nicht teilt. Ich bedauere es deshalb sehr, daß Herr Ministerpräsident Kühn heute vormittag nicht das Wort ergriffen hat. Dort will man bekanntlich keine weiteren ersten Teilerrichtungsgenehmigungen erteilen, ehe nicht eine erste Teilerrichtungsgenehmigung für das Entsorgungszentrum erteilt worden ist, was auf einen faktischen Genehmigungsstopp für mindestens fünf Jahre hinausläuft.
Diese Haltung der Bundesregierung bedeutet die Verlagerung der Verantwortung auf Sachverständigenkommissionen und eine Pause in den atomrecht- lichen Genehmigungsverfahren auf unbestimmte Zeit. Außerdem haben wir sehr sorgfältig registriert, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner Rede heute vormittag weitere Verzögerungen vorsichtig angedeutet hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Steger?
Bitte sehr!
Herr Kollege Schmidhuber, ich möchte Sie fragen: Sind Sie bereit, diesem Hohen Hause darzulegen, wie groß der Anteil des Herrn
Albrecht aus Niedersachsen an diesen möglichen Verzögerungen ist, weil er in dieser wichtigen Frage eben nicht bereit ist, den Bürgern in Niedersachsen die Wahrheit zu sagen, sondern versucht, über die Landtagswahlen hinwegzutaktieren? Das ist doch der Grund für die Verzögerungen.
Herr Kollege, dazu möchte ich zwei Bemerkungen machen. Erstens: Unter der vorherigen Landesregierung von Niedersachsen, die unter sozialdemokratischer Führung stand, sollte Niedersachsen zum Atomkraftwerksland par excellence ausgebaut werden.
Das liegt ja statistisch fest. Das ist die erste Bemerkung. Zweitens: Die Landesregierung von Niedersachsen, die ich hier weder zu verteidigen noch anzugreifen habe,
hat einen Standort für das Entsorgungszentrum bereitgestellt.
So ist die Lage. Im übrigen ist es doch so, daß Verzögerungen nicht nur beim Bau von Kernkraftwerken, sondern auch beim Bau von thermischen Kraftwerken auftreten. Seit Jahren wird der Bau neuer Zechenkraftwerke bekanntlich be- und verhindert.
Die Bundesregierung kann die Verantwortung auch nicht auf die durch Tausende von Verfahren überlasteten Verwaltungsgerichte abschieben.
Es ist schließlich Sache des Gesetzgebers, die Normen zu erlassen, an die die Gerichte gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes gebunden sind. Es ist nun schon wieder einige Jahre her, seit durch Gerichtsentscheidungen zum Immissionsschutzgesetz deutlich wurde, daß es dem Bundestag nicht gelungen war, seine Vorstellungen hinsichtlich der zulässigen Umweltbelastung hinreichend klar auszudrücken. Bis heute fehlen Vorschläge der Bundesregierung zur Präzisierung dieser Vorschriften, die sich als unklar erwiesen haben. Auf die Frage nach den bisherigen Erfahrungen mit den Genehmigungsverfahren für Kraftwerke hat die Bundesregierung bezeichnenderweise nur mit allgemeinen Hinweisen geantwortet.
Die Antwort in der Sache selbst ist sie schuldig geblieben. — Das können Sie ja in der Bundestagsdrucksache nachlesen, wenn Sie es nicht glauben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß kommen. Sie haben ja verschiedentlich gefordert, daß wir konkrete Elemente eines energie-
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Schmidhuber
politischen Programms nennen sollen. Lassen Sie mich nun einige dieser Elemente nennen.
Wir haben zwar auch in der Entschließung darauf Bezug genommen, aber lassen Sie mich das noch weiter konkretisieren. Gegenwärtig steht das Problem der Sicherung der Stromversorgung im Vordergrund der energiepolitischen Diskussion. Dabei sollten aber andere wichtige Fragen nicht übersehen werden, auf die ich im folgenden noch kurz hinweisen möchte. Wir werden Mineralölprodukte für die Verwendung als Kraftstoff im Verkehr und für die Verwendung als Rohstoff in der Petrochemie auf absehbare Zeit nicht ersetzen können. Infolge partieller Verwendungsverbote für schweres Heizöl in der Stromerzeugung können die Raffinerien bei ihrer derzeitigen Struktur nicht mehr voll ausgelastet werden, so daß der Importanteil bei Mineralölprodukten seit längerer Zeit steigt. Seit Jahren wird der Bau von Konversionsanlagen gefordert, um das schwere Heizöl zu Leichtfraktionen weiterverarbeiten zu können. Bisher ist der Bau solcher Anlagen wegen der hohen Investitionskosten und der unsicheren Ertragserwartungen nicht genügend vorangekommen. Gleichwohl besteht am Bau solcher Konversionsanlagen ein erhebliches volkswirtschaftliches Interesse. Es wäre meiner Meinung nach eine wichtige Aufgabe desjenigen deutschen Mineralölunternehmens, an dem der Bund maßgeblich beteiligt ist, ein solches Projekt schneller und zügiger voranzutreiben.
Es bestehen auch gewisse juristische Hemmnisse, die einer rationelleren Energieverwendung entgegenstehen. Ich möchte hierfür nur zwei Beispiele anführen. Die Einführung dezentraler Energiesysteme in Form von durch Dieselmotoren betriebenen Heizkraftwerken und Wärmepumpen scheitert oft an der hohen Besteuerung des hierzu erforderlichen Dieselkraftstoffs.
Meine Fraktion hat in der Vergangenheit schon wiederholt Vorstöße unternommen, die Besteuerung des Dieselkraftstoffs für diese Zwecke zu ermäßigen, was bisher immer an fiskalischen Bedenken gescheitert ist. Die Antwort der Bundesregierung läßt hoffen, daß diese Frage in Zukunft anders beurteilt wird.
Ähnliche Hemmnisse stehen der industriellen Wärmekraftkopplung in Gestalt des Dritten Verstromungsgesetzes entgegen, das ein Verwendungsverbot von schwerem Heizöl für derartige Anlagen über 10 MW vorsieht. Eine Heraufsetzung dieser 10-MW-Grenze wäre der industriellen Wärmekraftkopplung und damit auch einer rationelleren Energieverwendung sicherlich förderlich.
Nach wie vor gilt unsere Sorge auch den regionalen Disparitäten in der Energieversorgung.
Wir halten an unserer Forderung nach Abbau dieser
Disparitäten fest. Dies gilt für die Standortwahl für
die nationalen Steinkohlereserven sowie für das
dringliche Projekt einer Verbindung der nord- und der süddeutschen Pipelinenetze und für die Einbeziehung des Baus von Wasserkraftwerken in die Förderung nach § 4 a des Investitionszulagengesetzes.
Wir wollen bei der Novellierung des Kohleverstromungsgesetzes für ein Erhebungssystem der Ausgleichsabgabe eintreten, das die Strompreisunterschiede nicht weiter verstärkt, sondern die Unterschiede im Sinne einer Ausgeglichenheit der Wettbewerbsverhältnisse eher einebnet.
Dies sind nur einige wenige Vorschläge für ein umfassendes Energiekonzept. Meine Damen und Herren, wir erwarten von einer handlungsfähigen Bundesregierung, daß sie die geistige Führerschaft in der Energiepolitik wieder zurückgewinnt, daß sie das Notwendige rasch möglich macht, daß sie dem Gemeinwohl gegenüber den Partikularinteressen Geltung verschafft und daß sie dadurch die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes dauerhaft sichert. Wir haben allerdings starke Zweifel daran, daß die gegenwärtige Bundesregierung hierzu in der Lage ist.
Das Wort hat der Abgeordnete Zywietz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich leider nicht auf ein Grußwort beschränken wie es hier gewünscht wurde, auch wenn ich gerne feststelle, Herr Kollege Lenzer, daß wir auch bei dieser Energiedebatte keinen Zuwachs an Interesse feststellen können. Das Interesse ist gering, aber es ist konstant. Wenn das für die Energiepolitik generell zuträfe, hätten wir einige Probleme weniger.
Hier ist heute morgen bei der Begründung der Großen Anfrage und beim Eingehen auf die Antwort vom Sprecher der Opposition getreu geübter Praxis zunächst einmal dargelegt worden, welche energiepolitischen Widersprüche es angeblich bei den Parteien der Koalition gebe.
Ich meine, es kann kein Genuß ohne Reue sein, wenn man gewillt ist, seine eigene Leistung oder Nichtleistung auf diesem Gebiet etwas selbstkritisch zu überprüfen. Denn Sie haben sich, glaube ich, bestenfalls auf der Basis eines energiepolitischen Nullprogramms einigen können.
Weil das möglicherweise ein Trauma ist, suchen Siejetzt die Perfektion anderswo. Wir können Ihnenda vielleicht nicht mit Perfektion dienen, wohl aber
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2296 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Zywietzmit einem guten Konzept, auch wenn das hier wiederholt in Abrede gestellt worden ist.
Das ist Ihr Nullprogramm. Das sind — wie an dieser Stelle schon gesagt worden ist — Darlegungen, die in vielen Äußerungen der Regierungsfraktionen wiederzufinden und zu einem guten Teil bereits verwirklicht sind. Das kann doch nicht für sich in Anspruch nehmen, als ein energiepolitisches Programm der Oppositionspartei zu gelten, jedenfalls nicht mit Anstand.
— Ich habe nur wenig Zeit; wir können ja darauf nur kurz eingehen. Es handelt sich um solche Allgemeinplätze, daß daran nichts falsch sein kann. Es kommt darauf an, wie man etwas konkret auslegt und was man nachher daraus macht. Wenn man sich auf solche Formeln einigt, können wir uns im Plenum sicher von ganz links bis ganz rechts einigen. Aber für die politische Gestaltung haben wir nichts Konstruktives hinzugefügt. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Wenn man sich nichts vornimmt, kann man auch nichts verkehrt machen.
— Man kann das auch in Platt sagen.Hier ist bei der Begründung eine geistige Anleihe bei Ausführungen des Kollegen Dr. Gruhl, und zwar mit dem Hinweis auf den Planeten, den wir möglicherweise in schlechtem Zustand — die Sorge muß man teilen — als Erbhinterlassenschaft übergeben. Andererseits ist hier auch sehr anklagend und kritisierend dargestellt worden, daß 30 Milliarden Investitionen nicht sofort ihrer sinnentsprechenden Nutzung zugeführt werden können. Sie sprechen einmal von der Marktwirtschaft und von dem, was der Markt in vielen Bereichen, auf die noch zurückzukommen sein wird, hier leisten soll. Aber im gleichen Atemzug wird, wenn ich das richtig im Ohr habe, verlangt, den voraussichtlichen Beitrag der Kernenergie in exakten Zahlen anzugeben. Ich weiß nicht, ob ich das zu naiv sehe. Aber vielleicht muß man manches auf den wesentlichen Kern zurückführen.
— Das ist heute morgen in der Begründung gesagt und wiederholt gefordert worden.Hier muß ich mich doch ganz einfach fragen: wieviel Markt oder wie wenig Markt wollen Sie denn? Wollen Sie in diesem Bereich klare Zahlenvorgaben möglichst zehn Jahre im voraus? Ich kann so etwas eigentlich nur als Investitionslenkung, und zwar sehr großen Stils, bezeichnen. Das sind so die Formeln, die Sie etwas ausloten und auskosten müssen, was entschieden werden soll und was an diesem Ort entschieden werden kann.Auf der anderen Seite ist allerdings hier gleichzeitig die Absenkung des Energiebedarfs gefordert worden. Darüber könnten wir uns einigen. Aber dann ist die Durchführung und Praktizierung ausschließlich der Industrie und den marktwirtschaftlichen Mechanismen überlassen worden. Ich bin dafür, daß sich die Industrie Mühe gibt. Aber ich möchte diesen Appell an alle beteiligten Verbraucher richten, nicht nur an die industriellen. Diese Einschränkung ist mir eindeutig zu eingrenzend. Ich hätte es gern ein wenig umfassender.
— Ich beziehe mich jetzt nicht auf Ihre Entschließung, sondern auf die Ausführungen des Kollegen, der heute für die Opposition als erster gesprochen hat. Ich habe mich bemüht, diesen Ausführungen genau zuzuhören. Dabei habe ich diese Widersprüche festgestellt.Wir haben das Thema Energie doch nicht erst heute hier entdeckt. In der Debatte ist gesagt worden, wir hätten nichts oder allenfalls Unzureichendes getan. Ich kann mich noch ganz genau erinnern, daß erst die FDP in der Koalition dafür gesorgt hat, daß nach der früheren Einzelbehandlung der Kohle, des Öls und anderer Detailbereiche nun erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ein energiepolitisches Konzept vorgelegt worden ist. Wir nehmen doch nicht für uns in Anspruch, es sei unter allen Aspekten so gut, daß daran nichts zu verbessern sei. Das konnte es in der damaligen Situation 1973 und in der Fortschreibung 1974 auch gar nicht so sein. Aber die Strukturen sind in Ordnung. Und zu diesen Strukturen stehen wir.Wir haben allerdings auch den Mut — und das ist ein Zeichen einer lebhaften Demokratie, das wir nicht verstecken, sondern ganz offensiv darlegen möchten —, auf neue Informationen, neue Erkenntnisse und auf eine belebende Diskussion in weiten Bereichen der Öffentlichkeit aktiv einzugehen.Wenn Bürger innerhalb und außerhalb der Parteien und Bürgerinitiativen kritische Fragen stellen, dann sollten wir genau zuhören und auch antworten und nicht einfach darüber hinweggehen, wie es manchmal geschehen ist. Ich glaube, daß wir diese Diskussion hier haben, verdeutlicht, daß wir gewillt sind, unsere Vorstellungen zu aktualisieren. In weiten Bereichen können wir den Ausführungen der Regierung zustimmen, mit einigem Vorbehalt aber in dem Punkt, daß wir nämlich das Thema Kernenergie hier und da vielleicht noch etwas vertiefen müssen. Wir werden dann die Entscheidung nach einer Generaldebatte heute und nach einer verdeutlichenden Aussprache zu dem Zeitpunkt fällen, für den wir uns das vorgenommen hatten, nämlich im Herbst dieses Jahres hier in diesem Hause.Nun sprach der Oppositionsvertreter auch von Bürgerinitiativen. Vielleicht kommt hier wieder ein Einwand; aber ich habe das sehr genau festgehalten. Er hat sehr sorgfältig getrennt zwischen Idealisten und Extremisten und in diesem Zusammenhang die Politik und die politischen Verhaltensweisen des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Herrn Dr. Stoltenberg, sicherlich im Hinblick auf die Ereignisse in Brokdorf, sehr gelobt. Ich meine, daß ein solcher tiefgekühlter Formalismus, wie er beispielsweise vom Ministerpräsidenten Schleswig-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2297
ZywietzHolsteins gegenüber besorgten Bürgern praktiziert wurde, keine hinreichende Antwort sein konnte.
Es ist nicht daran vorbeizukommen, daß der Ton die Musik macht. Wenn man erst über Bedenken, über den Wunsch nach Information und Dialog hinweggeht, dann darf man sich über heftige Reaktionen hinterher nicht wundern. Etwas aus der Nähe betrachtet — ich möchte das hier sagen — habe ich manchmal den Eindruck, daß diese Form der Behandlung auch dazu führen kann, daß man aus Idealisten — und ich bin nicht bereit, alle Demonstranten vorab in eine bestimmte Ecke zu stellen — Extremisten macht. Wenn Sie sich genau umschauen, werden Sie sogar feststellen — ich habe sie jedenfalls kennengelernt —, daß auch viele dabei waren, die sich dort als Idealisten zu Wort gemeldet haben, die Mitglieder Ihrer Partei sind. Es gibt in dieser Frage keinen Grund zur Selbstgerechtigkeit.
— Das braucht nicht bestritten zu werden;
das ist ein Faktum einer verkehrten Politik, die dort betrieben worden ist.
Sie wollen natürlich nicht hören, was verkehrt gemacht worden ist, und die Argumentation immer am Ende beginnen. Das sind Ursachen, die zu viel Diskussionsstoff und auch zu viel Ablehnung und Widerstand in bezug auf energiepolitische Themen geführt haben, weil die Verhandlungsweise und die Behandlungsweise von Bürgern in diesem Land verkehrt war, exemplifiziert an dem Thema Kernenergie. Das lasse ich mir nicht wegdiskutieren, schon gar nicht mit Zwischenrufen, weil ich das lange genug beobachtet habe.
— Sie sagen: „Atomstaat" und „Traube". Ich will nicht dramatisieren; aber wir haben auch durch Diskussionen und Ereignisse ein wenig Vorschub geleistet, daß andere im Trüben fischen können, die sicherlich andere Vorstellungen und keine Bedenken im kernenergiepolitischen Bereich haben. Das ist dann aber eine Folge, nicht die Ursache. Die Ursache lag in der verkehrten Politik.
Man muß dafür sorgen, daß die Idealisten und dieExtremisten deutlich erkennbar sind und als solcheauch zu behandeln sind, und man sollte sie nichtdurch eine solche verkehrte Politik zusammentreiben.
— Wer das tut? Darauf brauche ich wirklich nicht einzugehen. Das ist deutlich genug.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?
Herr Kollege Zywietz, könnten Sie mir einmal den Unterschied klarmachen zwischen der in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers erhobenen Forderung, daß zwar demonstrieren erlaubt sei, aber nicht demolieren, und der konkreten Handlungsweise des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Stoltenberg, der dort die rechtsstaatliche Ordnung verteidigt hat?
Diese Frage trifft nicht den Kern. Wer will denn Gewalt? Wir ganz gewiß nicht. Man darf sich aber nicht über Reaktionen wundern, wenn man vorher auch nicht das Bemühen an den Tag gelegt hat, in einen Dialog einzutreten und ehrlich und offen zu informieren, so wie man das verlangen kann.
Durch diese Verwischung kommen Ergebnisse zutage, die nachher scheinheilig beklagt werden. Da liegen doch die Ursachen. Ich zumindest sehe sie und spreche sie so an und aus.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich nehme an, es wird nicht mehr viel Zeit übrigbleiben.
Das wird Ihnen gutgeschrieben.
Ich hoffe, auf das richtige Konto. — Bitte!
Herr Kollege, darf ich Sie fragen, ob Sie die Rede von Herrn Ministerpräsident Stoltenberg hier im Parlament gehört haben und ob Sie auch gehört haben, daß er mitgeteilt hat, daß die schleswig-holsteinische Landesregierung im Vorfeld der Standortauswahl und Standortbestimmung für das Kernkraftwerk Brokdorf der Bevölkerung dort — wie er wörtlich sagte — mit Tonnen von Informationsmaterial und auch an Informationsabenden zur Verfügung gestanden hat.
Wissen Sie, dieses „tonnenweise" ist schon sehr bezeichnend. Das zu dem einen. Zum anderen darf ich Ihnen sagen, daß ich seine Ausführungen hier im Plenum verfolgt und mir auch die
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2298 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
ZywietzMühe gemacht habe, einmal in den Schleswig-Holsteinischen Landtag zu fahren, als dort ebenfalls eine energiepolitische Debatte geführt wurde. Ich habe es mir da nicht ganz leichtgemacht. Ich kenne auch ein bißchen die Umgebung. Ich lasse mich nicht davon abbringen, daß das, was geschehen ist und was wir selbstverständlich auch bedauern, weitgehend ein Reflex auf verkehrte Verfahrens- und Behandlungsweisen war, die sehr formalistisch und stocksteif waren.
Manchmal muß man sich gegenüber neuen Situationen etwas unkonventioneller, etwas flexibler, etwas menschlicher verhalten, als das dort geschehen ist. Das ist der Punkt.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Narjes?
Herr Kollege Zywietz, können Sie mir aus der Informationspolitik der schleswig-holsteinischen Landesregierung irgendeinen konkreten Fall der Verweigerung von Information, der Verweigerung eines Dialogs oder des unmenschlichen Umgangs mit der Bevölkerung nennen?
Dann müßten wir gemeinsam nach Wilster und in andere Orte fahren, wo ich an Versammlungen teilgenommen habe und wo mir das so gesagt wurde. Dazu haben sich auch Leute bekannt, die Mitglieder der CDU sind. Ich gebe das so wieder, wie ich es dort erfahren habe. Wir können gern die Probe aufs Exempel machen.
— Ich habe bisher für mich in Anspruch genommen, daß ich noch etwas Vertrauenswürdigkeit auf meiner Seite habe und mich zumindest an das erinnern kann, was ich dort vor Ort erfahren habe.
Wenn Sie, Herr Kollege Narjes, abwertend vom „Hörensagen" sprechen, dann liegt das für mich etwas unterhalb der Gürtellinie. Ich kann mich an diese Dinge sehr gut erinnern.
— Wie gesagt, ein Ablenkungsmanöver. Aber auf der anderen Seite sind das Fakten, die in diese energiepolitische Debatte und in die Strukturen, in denen wir uns bewegen, mit hineingehören.Ich möchte mich mit einigen wenigen Hinweisen auf die Analyse der Situation konzentrieren, der dann auch energiepolitische Aktionen entspringen sollen. Hier haben wir sehr hilfreiche Antworten der Bundesregierung. Wir können nur begrüßen, daß das, was hier heute erörtert wird, im Hinblick auf die Fortschreibung des Energieprogramms auchkonstruktiv aufgenommen und verarbeitet werden soll.Wenn man das Szenario, in dem wir uns mit diesem Fragenkomplex bewegen, nur einmal ganz grob sichten will, dann muß man von einigen Fakten ausgehen. Zunächst einmal ist unbestritten und nicht zu bezweifeln, daß wir für eine bestimmte wirtschaftliche Entwicklung — was auch die einzelnen Parteien darunter verstehen — zwingend notwendig Energiebedarf haben. Das ist vollkommen klar. Es besteht eine Verknüpfung von Wachstumsmöglichkeiten, qualitativer Ausprägung des Energiebedarfs für ein bestimmtes Wachstum und beschäftigungspolitischen Konsequenzen. Daß diese Verbindung besteht, ist unbestritten. Das wird von uns gern unterschrieben. Aber es ist immerhin noch eine lohnende Aufgabe, über die Intensität und die Qualität dieser Verbindung einmal nachzudenken und politische Initiativen zu ergreifen. Das heißt ganz konkret: Es ist sehr nötig, dafür zu sorgen, daß ein bestimmtes Wirtschaftswachstum mit weniger Energieeinsatz als in der Vergangenheit realisiert werden kann. Ich teile auch nicht die pauschale Auffassung, die hier in den Raum gestellt wurde, daß eine rationelle Energieverwendung unbedingt zu Lasten der Beschäftigungssituation gehe. Ich sehe hingegen auch viele Möglichkeiten, nicht zuletzt in der Dritten Welt neue Technologien und neue Märkte — insbesondere auch das, was angesprochen wurde — aktiv aufzubauen, was einen positiven Beschäftigungseffekt hätte.Zweitens. Es ist nicht zu bestreiten, daß ein Industriestaat wie die Bundesrepublik energiepolitisch sehr importabhängig ist, nämlich zu insgesamt zwei Dritteln, bezüglich des Mineralölbereichs zu über 50 %, hiervon wiederum zu 95 % von einer bestimmten Region. Das sind Abhängigkeiten, die wir zunächst einmal als Ausgangsdaten in unsere Überlegungen einzubeziehen haben. Nach meiner Meinung werden wir aus einer starken Importabhängigkeit nicht herauskommen können. Wir werden uns aber bemühen müssen, eine andere Diversifikation, eine andere Balance der Energieträger und auch der Bezugsregionen anzustreben.
— In einer Viertelstunde kann man nicht auf alle Fragen eingehen und das Thema nicht erschöpfend behandeln. Wir werden in diesem Dialog ja noch verbleiben können und haben hinreichend Gelegenheit, darüber zu sprechen.Drittens. Es ist festzustellen — das ist für mich ebenfalls ein Ausgangsdatum —, daß, ob wir das nun für gut befinden oder nicht, auf den Weltenergiemärkten eine ständig zunehmende Politisierung stattgefunden hat und daß hier — aus unserer Sicht zu einem gewissen Bedauern — mit marktwirtschaftlichen Aktionen und Reaktionen die Vorsorge nicht mehr komplett sichergestellt werden kann. Diese Politisierung hat zugenommen. Wir werden uns auf sie einzustellen haben. Das Öl ist ja in indirekter Form als Waffe, wenn man so sagen darf, schon eingesetzt worden,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2299
ZywietzViertens. Nach meinen Überlegungen und Informationen kann ich die manchmal dramatischen Akzente nicht voll teilen, die hinsichtlich der Energielücken, insbesondere bei der Elektrizität, bis 1985 gesetzt werden. Ich meine aber, daß ein sehr ernst zu nehmendes Energieproblem für die Zeit danach sichtbar wird, auch wenn man es nicht genau auf ein Jahr terminiert.Aber diese Problematik wird gewiß noch in zwei Bereiche zu unterteilen sein. Einmal geht es um die Frage — da fehlt es noch etwas an Darlegungen —, wie sich eigentlich die Versorgungskapazität insbesondere im Elektrizitätsbereich darstellt. Da möchte ich gern noch weitere hilfreiche Auskünfte der Regierung haben. Ich möchte wissen, wie die Kraftwerkskapazität, die Auslastung der Stromverbundnetzkapazitäten, die Möglichkeit ihrer Erhaltung und Ausweitung sowie gewisse Erhaltungsinvestitionen konkret aussehen.Denn für mich stellt sich die Energieproblematik letztlich zwischen zwei Begriffsgrößen dar, einmal nach der Bedarfsnotwendigkeit, die weitgehend durch das Wirtschaftswachstum definiert wird, den Energiekoeffizienten und den Chancen und Möglichkeiten der rationellen Energieverwendung auf der einen Seite und nach einer Reihe von Möglichkeiten der Bedarfsdeckung auf der anderen, die vielfache Risiken in sich bergen: Geologische Risiken, Risiken der Umweltbelastung, Preisrisiken, Risiken nicht der geologischen Knappheit, aber, wie ich meine, der politischen. Daher muß man, wenn man es grob zusammenzieht, zu dem Schluß kommen, daß zu einem Energiehochmut keine Veranlassung besteht und daß wir im Grunde genommen alle Möglichkeiten, die sich darbieten, intensiv nutzen müssen. Dabei müssen wir eine Umsteuerung versuchen, um den Bedarf durch rationelle Energieverwendung zu senken. Das erscheint unumgänglich.In diese Gedankenkette gehört ebenfalls die Bevorratung. Und da habe ich Sie, Herr Kollege Dr. Narjes, heute gar nicht verstanden, als Sie der Koalition unterstellten, im Bereich der Mineralölbevorratung nicht oder nicht ausreichend tätig geworden zu sein.
Wir haben Gesetze hierfür. Wir haben eine „Bevorratung" sogar im Kohlebereich, wir haben eine im industriellen und eine im staatlichen Bereich des Mineralölsektors. Wir haben eine staatliche Bevorratung auf den Weg gebracht. Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, eine Form zu finden, die dieses Anliegen möglichst wettbewerbsneutral regelt. Aber man kann doch nicht übersehen, daß hier geradezu ein energiepolitischer Schwerpunkt gelegen hat. Insofern habe ich Ihren Vorwurf in dieser Angelegenheit überhaupt nicht verstanden.Was hinsichtlich der Förderung der heimischen Energie — mit Blick auf die Uhr möchte ich das nur andeuten --- zu sagen ist, ist hier vom Vorredner schon formuliert worden. Ich meine aber, daß die Förderung der nichtnuklearen Energie mit größerer Intensität vorangetrieben werden muß und daß wir auch überprüfen sollten, wo es bisher Anwendungsrestriktionen gibt. Ich nenne beispielsweise das Energiewirtschaftsgesetz als Stichwort und die Frage — das sage ich nicht nur als Norddeutscher —, warum es Importkohlenkontingente gibt, während wir angeblich mit so viel Knappheitsproblemen, zumindest längerfristiger Art, zu tun haben. Das scheint mir prüfenswert zu sein.Zum Schluß möchte ich verkürzte Ausführungen zur Situation der Kernenergie anschließen. Hier muß man nicht nur die Bedarfszahlen für ,die Energie insgesamt, sondern die Prognosezahlen für den Elektrizitätsbereich als Ausgangspunkt betrachten. Hierbei würde mich im weiteren Verlauf allerdings interessieren, warum der Strombedarfszuwachs auf lange Sicht so zwingend mit 6 % kalkuliert werden muß, während beim Bruttosozialprodukt und auch beim Energieverbrauch ein Wachstum von 4 % angesetzt wird, wobei mir auch Reduzierungen möglich erscheinen, denn für mich sind Risiken der Kernenergie einmal neu dimensionierte Risiken, und zum anderen sind es auch Risiken, die etwas mit der Quantität, mit der Anzahl der Einrichtungen dieser Art, zu tun haben. Ich glaube — so habe ich das den Stellungnahmen aus der Bevölkerung entnommen —, es gibt ein legitimes Interesse, dafür zu sorgen, wenn man sich auf den Standpunkt stellt — auf diesem befinde ich mich —, daß Kernenergie in der friedlichen Nutzung eine Realität ist. In dieser Hinsicht haben wir die Unschuld verloren und werden sie auch nicht wieder bekommen können. Es geht hierbei nicht um die Frage, ob die Kernenergie bejaht oder abgelehnt wird, sondern es muß geklärt werden, in welcher Menge, wann, in welcher technischen Ausprägung, mit welchen sicherheitsmäßigen Vorkehrungen die Kernenergie eingesetzt werden soll. Erst dann wird aus der Sache ein Schuh. Ich meine, allein im Hinblick auf die bestehenden, in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke und für die, die im Bau weit fortgeschritten sind, ist es zwingend nötig, Entsorgungslösungen für den Atommüll definitiv zu finden und sicherzustellen, ehe man dem Gedanken nähertreten kann, weitere Genehmigungen auszusprechen.Diesen Punkt hat der eine oder andere schon hervorgehoben, ich möchte ihn aber auch meinerseits verdeutlichen. Nach meiner persönlichen Auffassung bedarf die Formulierung, die sich in den Antworten der Bundesregierung hierzu befindet, noch einer Vertiefung. Die FDP und die Koalition tragen die in den Antworten zum Ausdruck gekommene energiepolitische Argumentation, die an dieser und vielleicht auch an der einen oder anderen Stelle im nächsten halben Jahr noch einer erweiterten Ausformung bedarf. Wir dürfen bei all dem nicht nur leichthin sagen „Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit" und bei der Verwirklichung dieser Aussage vielleicht stückweise davon abrücken. Ich meine, das wäre eine verkehrte Entscheidung.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
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2300 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der uns vorliegende Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU zeigt eine vollständige Übereinstimmung der Opposition mit der Regierungspolitik.
— Ich komme gleich darauf zu sprechen. Der Antrag könnte so, wie er hier steht, wörtlich aus dem BMFT stammen. Wenn er mit einigen stilistischen Änderungen von mir unter meinem Namen im SPD-Pressedienst erschiene, würde er nichts als Gähnen erwecken, weil all dies hundertmal gesagte und bekannte Dinge sind. Sie haben sich auch hier lediglich als Abschreiber betätigt — das kommt auch auf anderen Gebieten vor —, und deshalb ist diese Entschließung völlig überflüssig.
— Solche Auszüge aus unseren eigenen Veröffentlichungen können wir auch selber machen. Das zeigt uns, daß wir es hier mit einer schlappen, saft-, kraft-, ideen- und konzeptionslosen Opposition zu tun haben,
die zudem noch in sich völlig zerstritten und nicht in der Lage ist, eigene Vorstellungen vorzulegen.
— Es werden ja noch Redner der Opposition sprechen; dann werden Sie Gelegenheit haben, weiterzulachen.Also muß man — wie Herr Dr. Riesenhuber heute morgen — versuchen, Gegensätze im Regierungslager zu erfinden.
— Natürlich stimme ich auch mit vielen Punkten seiner Ausführungen überein, z. B., wenn er die Qualität des Energieforschungsprogramms ausdrücklich als gut bezeichnet. Das gilt auch für die Bedeutung, die er energiesparenden Techniken und Maßnahmen beigemessen hat. Ich teile auch die Auffassung, daß es nicht genügt, technische Entwicklungen voranzutreiben, sondern daß es erforderlich ist, volkswirtschaftliche Randbedingungen so zu verändern, daß eine Nutzung energiesparender Verfahren durch die einzelnen Bürger begünstigt wird.Ich darf Ihnen aber nun vielleicht ein Beispiel für einen erfundenen Gespensterkonflikt bringen. Das ist die Geschichte mit dem berühmten Sperrungsantrag, mit den 122 Millionen DM. Da erklärt also Herr Dr. Riesenhuber hier:An einem Freitag erklärt die Bundesregierung im Ausschuß, die Entwicklung des Schnellen Brüters werde unverändert fortgeführt, ein Entscheidungsbedarf bestehe nicht. Nach dem Wochenende erfahren wir aus der Zeitung die Absicht, 122 Millionen DM zu sperren.Sie, Herr Lenzer, haben dann ja noch eine Ihrer kräftigen Erklärungen im CDU-Pressedienst von sich gelassen.
— Sie sollten das, nachdem ich dies hier gesagt haben werde, noch einmal lesen und dann vielleicht in sich gehen und sich durch den Kopf gehen lassen, ob es richtig ist, solche Dinge von sich zu geben.Was war denn der Vorgang? — Im vergangenen Jahr, im März 1976, stellte der Mitberichterstatter, Herr Kollege Dr. Stavenhagen — Sie werden sich daran erinnern —, im Haushaltsausschuß den Antrag, Mittel sowohl für den Hochtemperaturreaktor als auch für den Schnellen Brüter zu sperren. Nicht wahr, Herr Dr. Stavenhagen? — Sie nicken; das freut mich. Dazu haben wir als Ministerium vorgetragen, daß dies wohl nicht gehe, weil da unvertretbare finanzielle Konsequenzen entstehen würden. Wir haben dann von uns aus vorgeschlagen, Mittel für den Hochtemperaturreaktor zu sperren, weil wir natürlich das legitime Begehren des Haushaltsausschusses, diese Frage noch einmal zu diskutieren, in keiner Weise geringschätzen. Im Gegenteil, wir freuen uns ja, wenn die neuen Reaktorlinien endlich einmal irgendwo diskutiert werden. Wir freuen uns, wenn sich der Haushaltsausschuß gründlich darum kümmert. Wir haben dann später einen Bericht vorgelegt. Die Sperren wurden aufgehoben. Alles ging planmäßig voran.Dieses Mal passierte folgendes. Am 3. Februar, lange, lange vor diesen Meldungen — Herr Kollege Lenzer, Sie werden sich erinnern — hat Ihr Ausschuß uns den Auftrag erteilt, eine Problemliste über den Schnellen Brüter und über den Hochtemperaturreaktor zusammenzustellen. Das haben wir gemacht. Es hat ein bißchen länger gedauert. Wir haben die Liste Ende April vorgelegt. Mit dieser Liste waren Sie unzufrieden. Das stimmt doch auch? Dann haben uns sowohl die Sozialdemokraten als auch die Christdemokraten im Ausschuß eine lange Liste mit Fragen vorgelegt. Es ist dann mit den Stimmen der Sozialdemokraten und den Stimmen von Christdemokraten ohne Gegenstimmen beschlossen worden, dies sei eine problematische Sache. Der Ausschuß war sich nicht sicher, ob das, was die Bundesregierung da vorträgt, richtig ist. Er hatte zusätzliche Fragen. Danach beschließt nun die Arbeitsgruppe Haushalt der FDP und der SPD: Wenn da noch diese Fragen sind, dann wollen wir das auch einmal im Haushaltsausschuß diskutieren. — Ist das richtig so? — Und dann wird auf Antrag der Koalitionsfraktionen und bei Stimmenthaltung der Opposition ein Protokollvermerk beschlossen— keine Sperre —, der neue Zusagen über die weitere Förderung der industriellen Entwicklung der Brutreaktortechnologie von einer Beschlußfassung des Ausschusses im Herbst dieses Jahres abhängig macht. Dafür hat der Ausschuß einen Bericht angefordert.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2301
Bundesminister Matthöfer— Herr Kollege Stavenhagen, ich darf vielleicht noch kurz zwei Sätze sagen. — Dies ist haushaltsrechtlich keine Sperre, da Haushaltsmittel und Verpflichtungsermächtigungen des Haushalts 1977 überhaupt nicht betroffen sind. Auch die laufenden Großprojekte der fortgeschrittenen Reaktorlinien sind nicht beeinträchtigt. — Herr Kollege Stavenhagen, wenn Sie jetzt fragen wollen.
Herr Bundesminister, können Sie uns erklären, was für ein Unterschied zwischen diesem beantragten Protokollvermerk und dem besteht, was am 24. März in das Protokoll des Haushaltsausschusses hineingeschrieben worden ist, nämlich daß wir im Herbst, nachdem Sie eine Vorlage erarbeitet haben, ausführlich über die Finanzierung der beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien diskutieren wollen und vorher keine Verbindlichkeiten eingegangen werden sollen, die uns festlegen?
Herr Kollege Dr. Stavenhagen, es ist doch nicht meine Sache, Beschlüsse des Haushaltsausschusses zu kommentieren. Sie wissen doch genau, daß ich in der von Ihnen erwähnten Sitzung gesagt habe, es genüge der Wunsch des Haushaltsausschusses; dann würden wir mit allen Fachleuten kommen und dort vortragen und diskutieren. Gleichwohl hält es der Haushaltsausschuß — ich kritisiere dies nicht — in solchen Fällen für besser, Sperrvermerke anzubringen. Das ist in den vergangenen Jahren in unserem Haushalt oft vorgekommen. Hieraus nun die Schlußfolgerungen zu ziehen, die die Herren Riesenhuber und Lenzer vorgetragen haben, ist einfach unzulässig und ist eine Mißachtung des Willens des Parlaments.
Das Parlament hat ein Recht darauf, über eine so komplizierte Technologie wie die des Schnellen Brüters und ein so umfangreiches und kostspieliges Projekt wie das des Schnellen Brüters zu diskutieren.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenzer?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, ich glaube, ich brauche nicht zu betonen, daß wir uns in der letzten Schlußfolgerung, was die Rechte des Parlaments betrifft, einig sind. Aber können Sie bestreiten, daß es zunächst nicht um einen Protokollvermerk, sondern um einen Sperrungsantrag ging? Wollen Sie allen Ernstes verneinen, daß ein Zusammenhang mit der vorher weit und breit überall in der Presse zu lesenden Absicht einer Gruppe von SPD-Abgeordneten besteht, wenn über die Frage des Schnellen Brüters nicht in diesem Sinne verhandelt würde, dem Einzelplan 30, also dem Haushalt Ihres Ministeriums die Zustimmung zu verweigern?
Herr Kollege Lenzer, ich wiederhole noch einmal: Der Ausschuß hätte im März 1976 auf Antrag Ihres Kollegen Stavenhagen
— der Haushaltsausschuß — einen solchen Sperrvermerk für beide Reaktorlinien beschließen sollen. Herr Kollege Stavenhagen nickt noch einmal mit dem Kopf. Es ist doch überhaupt keine neue Sache, daß das Parlament und einige Abgeordnete über dieses Projekt diskutieren wollen. Wenn es Schleswig-Holsteiner Abgeordnete geben sollte, die darüber ebenfalls diskutieren wollen und dann Pressemeldungen von sich geben — in Gottes Namen, ich bin froh darüber. Ich bin froh darüber, wenn hier im Parlament endlich einmal über den Schnellen Brüter diskutiert würde, und zwar hoffentlich bei besserer Besetzung als heute, weil es sich nämlich um eine sehr teure und eine sehr gefährliche Technologie handelt.
Das deutsche Volk hätte ein Recht darauf, daß seine Vertreter hier ausführlich über die Technologie des Schnellen Brüters diskutieren und daß sie nicht technokratisch von oben herunter diktiert wird.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Lenzer?
Bitte schön.
Herr Bundesminister, darf ich Sie bitten, noch einmal zur Kenntnis zu nehmen, daß es nur darum geht, . den Tatbestand deutlich zu machen, daß von einer Gruppe von SPD-Abgeordneten die Drohung ausgesprochen wurde, dann, wenn Sie sich in der Frage des Schnellen Brüters nicht in einer bestimmten Richtung bewegten, Ihren gesamten Forschungsetat abzulehnen, und daß erst daraufhin diese ganze Entwicklung in Gang gekommen ist. Würden Sie mir das bitte bestätigen?
Lieber Herr Lenzer, ich bin gerne bereit, Ihnen noch einmal die anderthalb Jahre lange Geschichte des geplanten Sperrvermerks, der dann ja überhaupt nicht zustande gekommen ist, zu dem ich überhaupt nicht Stellung genommen habe, darzulegen. Herr Lenzer, ich habe in der Arbeitsgruppe Haushalt der FDP und SPD erklärt, daß wir die Regierungsvorlage verteidigen. Wenn der Haushaltsausschuß den Wunsch hat, über irgend etwas zu diskutieren, so stehen wir als Ministerium bereit und bringen alle Informationen vor. Das hat mit irgend
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2302 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Bundesminister Matthöferwelchen Presseerklärungen irgendwelcher Abgeordneten überhaupt nichts zu tun. Das geht schon aus der Chronologie hervor.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Stahl?
Herr Bundesminister, würden Sie dem Herrn Kollegen Lenzer bitte einmal ins Gedächtnis zurückrufen, daß der gesamte Ausschuß für Forschung und Technologie, was die Forschung über den Schnellen Brüter und seine Kostenentwicklung betraf, sehr, sehr große Bedenken hatte und daß wir eine gemeinsame Entschließung im Entwurf erarbeitet hatten, die besagte, daß dieses Thema im besonderen den Ausschuß noch mehrmals beschäftigen müßte, ehe nun eine endgültige Entscheidung gefällt werden könnte?
Herr Kollege Stahl, ich hoffe, daß das schon durch Ihre Frage dem Herrn Kollegen Lenzer ins Gedächtnis zurückgerufen worden ist, so daß eine Wiederholung meinerseits sicher nicht nötig ist.
Es ist doch ganz klar, daß die Sicherheitsprobleme des Schnellen Brüters von der Volksvertretung mit allergrößter Sorgfalt geprüft werden müssen. Andererseits hat er natürlich auch Vorteile. Der Brüter stellt eine in dieser Größe aus heutiger Sicht einzigartige Chance zur Sicherung der Energieversorgung eines rohstoffarmen Industrielandes dar. Aber die Entscheidung pro oder die Entscheidung contra darf nicht leichtfertig getroffen werden. Die Bundesregierung hat mehrfach betont, daß die Entscheidung über Zeitpunkt und Umfang der kommerziellen Brüternutzung in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gefallen ist. Sie steht auch jetzt noch nicht an. Ein weiteres Brüterprojekt in der Bundesrepublik wird erst nach Vorliegen von Betriebserfahrung mit dem SNR 300, d. h. frühestens 1983 begonnen werden. Da sage ich Ihnen doch gar nichts neues. Insofern besteht und bestand kein Entscheidungsbedarf irgendwelcher Art. Aus diesem Grunde begrüße ich die Entscheidung des Haushaltsauschusses.Andererseits ist die Bundesregierung der Meinung, daß wir die Option der Brüternutzung aufrechterhalten müssen und daß wir in der Forschung fortfahren müssen, gerade damit wir neue Erkenntnisse für die Entscheidung, ob wir diese Technologie nutzen wollen oder nicht, gewinnen können. Übrigens hat die Brüterentwicklung — das kann ja jeder nachlesen — einen festen Platz im Programm „Energieforschung — Energietechnologie 1977 bis 1980". Daran halten wir auch in unseren Haushaltsanforderungen fest, wie Sie der mittelfristigen Finanzplanung entnehmen können.Ich darf also noch einmal klarmachen: Ich habe keine Sperre beantragt, wie hier behauptet worden ist. Wie käme ich dazu?
Ich habe die Regierungsvorlage zu verteidigen. Ich habe lediglich Fragen von Abgeordneten zu den finanziellen Planungen beantwortet und werde dies auch in Zukunft immer wieder tun, weil das Parlament ein Recht darauf hat, diese Fragen zu stellen. Sie werden das nicht verurteilen. Ich halte an den Planungen für den Haushalt und für das Energieforschungsprogramm fest, nicht aus Rechthaberei, sondern aus der Überzeugung, daß wir uns die Option auf die Nutzung einer großen Energiequelle durch die Weiterführung der technischen Entwicklung offenhalten wollen. Ich begrüße eine parlamentarische Diskussion, hoffentlich auch einmal im Plenum — sie würde sicher das Informationsniveau vieler Abgeordneter heben —, über diese wichtige und in der Öffentlichkeit umstrittene Technologie. Ich meine, das müßte man doch schon auseinanderhalten können.
Nun hat Herr Dr. Riesenhuber etwas gesagt, in dem ich ihm sehr zustimmen möchte. Es handelt sich um eine Passage, die mir sehr gefallen hat und die ich mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren möchte:Der Planet, den wir vererben, darf kein Planet der verwüsteten Umwelt und der erschöpften Reserven sein. Die Rückkehr zur Idylle ist uns verschlossen. Es bleibt die Pflicht, Technik nicht nur zu entwickeln, sondern die Randbedingungen politisch rechtzeitig und eindeutig zu setzen.Das ist, von einem CDU-Vertreter kommend, eine höchst interessante Bemerkung, eine Weiterentwicklung Ihrer Position, daß die Bundesregierung die Verpflichtung hat, die politischen Randbedingungen der Entwicklung der Technik eindeutig und rechtzeitig zu setzen. Das ist doch eine Sache! Nun muß man nur noch darüber sprechen, wie. Er sagt weiter — und ich stimme ihm zu —:Deutschlands Bodenfläche ist klein.— wer könnte das verneinen? —Deutschland ist dicht besiedelt, klimatisch nicht besonders günstig gelegen,— da würde ich Streit mit ihm suchen; mir gefällt das Klima, aber was soll's? —mit schmalem Zugang zum Reichtum des Meeres. Deutschland ist arm an Bodenschätzen, mit Ausnahme der Kohle.
Deutschlands Kapital sind langfristig die praktische Vernunft, der Sachverstand und die sichere, umweltfreundliche, wirtschaftliche und insgesamt konkurrenzfähige Technik.Ich hätte das ein bißchen anders formuliert. Ichhätte auf die Bedeutung der arbeitenden Menschen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2303
Bundesminister Matthöferdieses Landes hingewiesen, auf ihre Kreativität, auf ihre Qualifikationen, auf die Vernunft ihrer gewerkschaftlichen Organisationen.
Aber für einen CDU-Abgeordneten ist das gar nicht schlecht. Es ist ein guter Einstieg. Ich halte das für richtig und überzeugend.Die Politik der Bundesregierung trägt dem Umstand Rechnung, daß die Umstellung unserer Wirtschafts- und Lebensformen auf ressourcenerhaltende Prozesse nicht von heute auf morgen, Herr Dr. Gruhl, zu bewerkstelligen ist. Daß heißt nicht, daß wir uns darauf verlassen könnten, mit der Zeit würden sich schon alle Probleme von selber lösen. Unsere Aufgabe als Politiker ist es, die Anpassung unserer Wirtschaft an die wirkliche Energievorratssituation in einer Weise zu fördern, die vermeidbare Schäden oder gar Katastrophen wie Massenarbeitslosigkeit in unserem Lande und von seinen Arbeitnehmern abwendet.Die Position der Bundesregierung wird von vielen nachdenklichen Menschen in unserem Lande durchaus mitgetragen, die die Risiken und Probleme der Kernenergie nicht leicht nehmen. Wir wollen die Kernenergie nicht um ihrer selbst willen oder nur um der Arbeitsplätze willen zur dominierenden Energiequelle machen. Uns geht es darum, die Grundlinien einer ausgewogenen Energieversorgungfür die Zukunft sichtbar zu machen und zu entwikkeln für eine Zeit, in der die fossilen Energieträger weitestgehend geschont werden müssen, alle Einsparpotentiale genutzt und die Möglichkeiten alternativer Energiequellen voll ausgeschöpft werden sollen.Wir sehen die Gefahr, daß ein Verzicht auf die Option Kernenergie nicht nur die Entfaltung eines solchen optimalen Energieversorgungssystems, sondern unsere wirtschaftliche Existenz, auf jeden Fall aber ,die Vollbeschäftigung in diesem Lande aufs Spiel setzen würde.Die Ihnen vorliegenden Antworten und die Grundlinien und Eckwerte der Bundesregierung und das Ihnen vorliegende Energieforschungsprogramm zeigen, daß zumindest mittelfristig ein gewisser Teil des Energiebedarfs durch Kernenergie gedeckt werden muß, wenn wir nicht auf einen strategisch wichtigen Pfeiler, der Vollbeschäftigung und Wohlstandssicherung stützt, verzichten wollen.
— Ja, Herr Lenzer, wenn Sie mich dabei unterstützen wollen, dann überlegen Sie sich doch auch mal die Methoden, wie Sie das tun. Dieser völlig überflüssige Angriff, über den wir vorhin gesprochen haben,
der nicht auf Tatsachen beruhte, in der Terminologie übertrieben und insgesamt wenig nützlich war, war sicher keine Unterstützung.
— Ich bin ja selbst ein Linker.
Sie brauchen mich gegen unsere Linken nicht in Schutz zu nehmen.
Die haben mich bisher auf allen Parteitagen in den Parteivorstand der SPD gewählt und werden das auch weiter tun.
Die Ziele der Energieforschungspolitik orientieren sich an dieser Einschätzung. Sie lassen sich definieren als eine am Maß des unbedingt Notwendigen ausgerichtete Förderung der Kernenergie, eine auf möglichst große Perfektion abzielende Reaktorsicherheitsforschung, eine dem Wachstum technologischer Kapazitäten und der Marktentwicklung harmonisch angepaßte Förderung alternativer Energiequellen, die Bereitstellung technologischer Mittel und Wege zur rationellen Energieverwendung und zum Energieeinsparen, die auch eine Fortentwicklung der jetzigen Konzeption der Bundesregierung erleichtern werden.Es nimmt nicht wunder, daß sich bei der Verfolgung dieser im Grundsatz ja völlig unbestrittenen Zielsetzung — das sehen wir auch hier in diesem Hause — neben großen Erfolgen auch Widerstände einstellen. Kritiker melden immer wieder Bedenken gegenüber dem scheinbaren Mißverhältnis zwischen der Fördersumme für nukleare Technologien einerseits und nichtnukleare andererseits an. Das hat ja auch der Herr Dr. Riesenhuber heute morgen getan. Ich war mir nicht ganz klar, ob er die Kohle nun zur nichtnuklearen oder zur nuklearen Technologie rechnet.
— Lesen Sie es mal nach, Herr Spies! Es war sehr schwierig. Wie man auf die 6 % kommt, wenn man Kohle- und Energieeinsparung mitrechnet, das weiß ich nicht. Es ist falsch. Jedenfalls hat sich das Verhältnis nuklearer zu nichtnuklearer Energie in den letzten Jahren ganz drastisch verändert. Ich will es Ihnen mal sagen; Herr Dr. Stavenhagen wird sich noch mehr dafür interessieren. 1972 standen jeder Mark, die für die nichtnukleare Energieforschung ausgegeben wurde, 79 DM gegenüber, die für die nukleare Forschung ausgegeben wurden. In diesem Jahre ist das Verhältnis schon 1 : 3,6, und 1980 wird es 1 : 2,7 betragen. Das heißt, wir haben hier eine dramatische Veränderung der Struktur der Forschungsausgaben zugunsten der nichtnuklearen Forschung zu verzeichnen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stavenhagen?
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2304 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Bitte.
Herr Bundesminister, ist es zutreffend, daß Sie sich bei den Zuwachsraten in der nichtnuklearen Energieforschung im wesentlichen auf die Fernwärmeschienen Ruhr und Saar stützen, daß die übrigen Bereiche aber, die so wichtig sind, nämlich Solarforschung und andere, in ganz bescheidenen Raten gewachsen sind?
Nein, überhaupt nicht. Sie sollten als Mitberichterstatter des Haushaltes, Herr Dr. Stavenhagen, solche Fragen nicht stellen. Nun muß ich Ihnen nämlich z. B. einmal die Zahl für das umweltfreundliche Kohlekraftwerk nennen: weit über 300 Millionen DM — das ist doch eine ganze Menge Geld —; das sollten Sie eigentlich wissen.
— Die Fusion habe ich bei den Zukunftstechnologien angesiedelt.
— Nein, nicht bei der nichtnuklearen Energie. Es gibt doch eine Diskussion in diesem Lande, in der u. a. gesagt wird: Ihr gebt zuviel Geld für die Kernspaltungsenergie aus und tut zuwenig — —
— Davor habe ich überhaupt keine Angst. Ich möchte nur — mit Ihrer freundlichen Erlaubnis, Herr Dr. Probst — dazu beitragen, daß die Zahlen bekannt werden. Wir können uns ja streiten, wir können ja unterschiedlicher Meinung sein, solange wir uns über die offen zutage liegenden Tatsachen einig sind. Die muß man doch anerkennen. Die kann man nachschlagen, nachsehen. Ich kann nachweisen, daß wir für die Fusion etwas weniger als 100 Millionen DM im Jahr ausgeben. Ich halte das für nicht zuviel. Das ist eine angemessene Ausgabe für die Entwicklung einer Technologie mit völlig ungewissem Erfolg, aber mit riesigen Chancen, falls es uns jemals gelingen sollte — was bis heute ja noch nicht gelungen ist —, eine kontrollierte Kernfusion mit einem Nettogewinn an Energie herbeizuführen.
Eine andere Technologie, die wir mit hohem Aufwand gefördert haben — Herr Stavenhagen hat mit Recht darauf hingewiesen —, ist die der Fernwärme. Hier sehen wir uns in dem Maße, wie wir uns größeren Realisierungsmöglichkeiten nähern, wachsenden Widerständen gegenüber. Vor drei Jahren war es ja noch nicht so, daß in diesem Hause die einheitliche Meinung bestand, daß Kraft-WärmeKopplung gut ist. Ich freue mich darüber, daß jetzt auch alle Redner der CDU, soweit ich das registrieren konnte, gesagt haben, daß Wärme-Kraft-Kopplung eine gute Sache ist. Nun wollen wir mal sehen, ob Sie uns auch dann noch helfen, wenn die Widerstände kommen. Abstrakt kann ja jeder einsehen, daß die Kraft-Wärme-Kopplung nicht nur aus Gründen der Energieökonomie, sondern auch aus Umweltschutzgesichtspunkten, wegen der Sicherung unserer Energieversorgung usw. eine vernünftige Sache ist und dem öffentlichen Wohl dient. Aber für die Elektrizitätsunternehmen, für die Gaswirtschaft, für Stadtwerke, für viele, die in unseren Gemeinden politische Verantwortung tragen, sieht vieles anders aus.
Die Bundesregierung ist sich über die Komplexität der in der kommunalen Versorgung auftretenden Probleme im klaren. Niemandem ist damit gedient, Stadtwerke einer ruinösen Konkurrenz auszusetzen und ihnen mit einem Anschluß- und Benutzungszwang zugleich untragbare Versorgungspflichten aufzubürden. Die Bundesregierung ist bereit, mit Mitteln der Forschungsförderung Modellentwicklungen zu fördern, die zeigen, wie kommunale Versorgungssysteme unter Einbeziehung der Fernwärme optimiert werden können.
Wir haben eine ganze Menge getan. Ich will das nicht im einzelnen vortragen. Die Herren des Ausschusses, die hier ja vor allem vertreten sind, kennen das ja auch alle.
Bei der Entwicklung neuer Technologien zur Erschließung nichtnuklearer Energiequellen steht nach wie vor die Kohle im Mittelpunkt. Wir sollten bei aller wiedergewonnenen Wertschätzung unserer Kohle nicht vergessen, daß in den 50er Jahren die Förderung der Kernenergieforschung mit dem Argument begründet wurde, man müsse mit dem Raubbau an der Kohle Schluß machen. Alle aktuellen Absatzsorgen sollten uns nicht den Blick dafür verstellen, daß der fossile Rohstoff Kohle grundsätzlich natürlich ebenso begrenzt ist wie das 01 und daß man nicht minder schonend mit ihr umgehen sollte. Langfristig werden daher Veredelungstechnologien die gegenwärtig im Vordergrund stehenden Verfahren zur umweltfreundlichen Kohleverstromung verstärkt ergänzen müssen. Vor allen Dingen dürfen wir in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, die Arbeitsbedingungen des Bergmannes unter Tage, die immer noch durch schwerste Belastungen gekennzeichnet sind, weiter zu verbessern. Deshalb spielen die Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Bergbau in unserem Programm „Humanisierung des Arbeitslebens" eine ganz wichtige Rolle.
Von zunehmender Bedeutung unter den neuen Energiequellen ist vor allem die Sonnenenergie. Wer der Bundesregierung auf diesem Gebiet Versäumnisse vorwirft, wie das in der Debatte leider auch geschehen ist, sollte sich rückblickend fragen, wie er selbst vor drei Jahren — das ist ja noch gar nicht so schrecklich lange her; einige in diesem Hause werden sich noch an die Zeit vor drei Jahren erinnern können — die Chance dieser Energiequelle beurteilt hat. Damals stand die Bundesregierung mit ihrer positiven Einschätzung der solaren Wärmeproduktion noch ziemlich allein auf weiter Flur. Wir haben hier aber exemplarisch zeigen können, daß finanziell relativ geringfügige forschungspolitische Hilfen große Wirkungen auslösen können, wenn sie zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle
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Bundesminister Matthöfer
eingesetzt werden. Wir befinden uns wenige Jahre — zweieinhalb Jahre, drei Jahre — nach Förderungsbeginn bei der solaren Wärmeerzeugung derart offenkundig an der Schwelle zu wirtschaftlicher Produktion und Anwendung, daß viele Unternehmen ihre Entwicklungen bereits selbst finanzieren. Es ist doch so, daß wir durch die direkte Finanzierung — ich komme damit jetzt auch zu Herrn Dr. Narjes mit seiner indirekten Förderung — von Prototypen —9,8 Millionen DM für das Haus in Aachen, gemeinsam mit Philips, das Vierfamilienhaus in der Nähe von Essen, das Schwimmbad in Wiehl im Bergischen Land — auf diesem Gebiet einen beachtlichen Schritt nach vorn gemacht haben. Das wäre mit Hilfe indirekter Förderung doch niemals gebaut worden. Dies hier ist doch eine Sache, bei der sich direkte Förderung ebenso bewährt hat wie bei der Kerntechnik. Die Leichtwasserreaktortechnologie wäre ohne die direkte Förderung nicht entwickelt worden. Die neuen Linien würden nicht entwickelt. Alle Entwicklungen im Brennstoffkreislauf — von der Anreicherung bis zur Wiederaufbereitung — sind nur durch die direkte Förderung zu finanzieren.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Narjes?
Ja.
Herr Bundesminister, sind Sie so freundlich, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich eine sehr deutliche Unterscheidung zwischen den Forschungslinien gemacht habe, die zentral und konzentriert durch den Staat betrieben werden müssen, und denen, die durch indirekte Förderung einen größeren Nutzen ziehen können?
Herr Dr. Narjes, das habe ich sehr wohl bemerkt. Nur: das, was Sie fördern, gibt es nicht. Sie müssen sich einmal die Praxis ansehen! Wer betreibt denn Forschung und Entwicklung in diesem Lande? Das sind doch im wesentlichen die ganz Großen.
— Sehen Sie sich doch die Untersuchungen an! Es wird einer Firma wie Siemens völlig gleich sein, ob wir sie direkt oder indirekt fördern. Es wird ungefähr das gleiche herauskommen. Also sind die wahrscheinlich auch für indirekte Förderung. Denn dann haben sie niemanden, der ihnen sagt: Wenn ihr das macht, kriegt ihr 50 % dazu. Das ist die Lage dort. Die kleinen und die mittleren Unternehmen haben, wie gesagt, meist keine eigenen Forschungskapazitäten. Man sollte sie auch nicht in jedem Fall ermuntern, sie aufzubauen, weil sie nicht in der Lage sind, sie kontinuierlich auszunutzen. Unterhalten Sie sich doch einmal mit den Leuten von der Fraunhofer-Gesellschaft! Herr Dr. Stavenhagen,
klären Sie Ihren Kollegen Dr. Narjes doch einmal über das auf, was wir in der Uhrenindustrie gemeinsam gemacht haben,
daß wir nämlich dort durch direkte Förderung viele tausend Arbeitsplätze geschaffen und das Überleben einer Industrie gesichert haben. Die kleinen und mittleren Unternehmen — wir werden ja nach dem uns selbst erteilten Auftrag hier ein Konzept vorlegen; Sie können sich dann die Förderung ansehen — profitieren durch die direkte Förderung und nicht umgekehrt.
Zum Schluß möchte ich noch auf den überflüssigen Entschließungsantrag der CDU/CSU eingehen. Dieser und der bisherige Verlauf der Debatte zeigen mir: Die Energiepolitik der Bundesregierung und insbesondere auch ihre Energieforschungspolitik sind auf dem richtigen Wege. Es gibt zu ihr keine Alternative. Wir werden sie mit Stetigkeit und Entschiedenheit fortsetzen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Freiherr Spies von Büllesheim.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundesminister Matthöfer, heute morgen hat Ihr Fraktionskollege Adolf Schmidt in seiner langen Rede darauf hingewiesen, diese heutige Debatte sei doch eine solche, die nicht nur für diejenigen bestimmt sei, die hier im Raum sitzen, sondern auch für die vielen, die sie mithören werden — das Fernsehen ist allerdings jetzt, aber vielleicht Gott sei Dank, nicht mehr eingeschaltet —, auch für die vielen interessierten und besorgten Bürger, die das Protokoll dieser Debatte lesen werden. Er hat deswegen besonders dazu aufgerufen, diese Debatte doch — so hat er, glaube ich, gesagt — nobel, wie Gentlemen in einer fairen Weise zu führen. Nachdem ich jetzt Ihren Beitrag gehört habe, muß ich sagen, daß Sie dagegen wieder gröblich verstoßen haben.Der Herr Kollege Schmidhuber hat gerade gesagt, es sei immer so, es sei hier in diesem Parlament systemimmanent, daß jeder seine Ausführungen damit beginne, den Vorredner mit Schmähungen zu bedenken.
Ich will das wirklich nicht tun. Aber ich möchte an folgendes erinnern: Jeder kann im Parlamentsprotokoll der Debatte vom 22. Januar 1976, in der wir uns auch über Kernenergie unterhalten haben, nachlesen, daß das damalige Mitglied Ihrer Fraktion Frank Haenschke ein ganz hohes Debattenniveau in dem von Herrn Adolf Schmidt angesprochenen Sinne vorgegeben hatte, und auch damals, Herr
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2306 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr. Freiherr Spies von BüllesheimMinister Matthöfer, haben Sie dieses Niveau nach unten hin verlassen. Es mag Sie nicht interessieren, ich möchte es aber sagen: Sie haben das Niveau damals am 22. Januar nach unten hin verlassen, und Sie haben es auch heute wieder getan. Und ich sage Ihnen nur eines: Ich werde Ihnen darin, so sehr das auch reizen könnte, nicht folgen.
Sie haben zu unserem heute vorgelegten Entschließungsantrag Stellung genommen und haben, soweit ich mir das habe mitschreiben können, gesagt, wir hätten uns als Abschreiber betätigt, das Programm sei konzeptions- und ideenlos, und die Opposition sei zerrissen. Sie haben aber gleichzeitig gesagt, daß das Programm von Ihnen verfaßt sein könnte. Wir sind also mit Ihnen einig — was sich ja im übrigen bereits aus dem Vorwurf des Abschreibens ergeben hat.Herr Minister Matthöfer, wenn wir in dieser Frage so einig sind, sollten Sie uns doch sagen, warum Sie denn dieser Entschließung nicht zustimmen wollen. Das können Sie doch nicht mit ganz allgemeinen Bemerkungen abtun!
Sagen Sie uns doch genau, was an diesem Programm falsch ist; wir können uns darüber unterhalten, wir können dann sagen, wir ändern es da und da, und dann fassen wir diese Entschließung gemeinsam. Ich stelle Sie vor die Frage: warum denn nicht, wenn das so ist? Warum kritisieren Sie denn die Einigkeit in einer Frage? Ich bin doch nicht der erste Redner in dieser Debatte, der weitgehende Einigkeit feststellt; darauf ist doch von allen Parteien hingewiesen worden. Und ich sage Ihnen, Gott sei Dank ist es doch so, daß in der Frage der Energiepolitik, dieser lebensentscheidenden Frage, die Parteien hier in den Grundzügen einig sind. Und wenn wir einig sind, warum sollten wir diese Einigkeit nicht auch einmal demonstrieren, und sei es auf Grund einer Entschließung der Opposition? Diese Frage müssen Sie sich stellen lassen.
Es würde mich natürlich unendlich reizen, auf die Frage des von Ihnen so genannten Gespensterkonflikts einzugehen. Aber ich will das nicht tun, weil ich gemerkt habe, daß Sie auf die Frage nach der beabsichtigten Sperrung der 122,5 Millionen sehr empfindlich reagiert haben. Aber die Mitglieder des Ausschusses für Forschung und Technologie wissen, daß wir doch in der Frage „Schneller Brüter oder HTR?", in der Frage dieser beiden fortgeschrittenen Reaktorlinien über alle Parteien hinweg einer Meinung waren
und, so glaube ich, auch sind. Nur kommen die Bedenken jetzt aus einer ganz anderen Ecke.
Wir haben nämlich seit Jahren die Bedenken, ob die zunehmende Mittelbindung, die ungeheure Mittelbindung für den Schnellen Brüter mit seinen enorm gestiegenen Kosten im Haushalts-Einzel-plan 30 des Ministeriums noch zu verantworten ist, ob nicht etwa die HTR-Linie, die wir zur Kohlevergasung, für die Fernwärme etc. brauchen, dadurch geradezu erschlagen wird. Alle Kollegen von der SPD werden mir zugeben: Das war doch der Kernpunkt,
daß wir uns fragten: Sollen wir hier nicht einmal etwas strecken und zurücklegen, um mehr in die nichtnukleare Energieforschung und für den HTR zu geben und etwas mehr auszubalancieren? Ich glaube, in diesem Punkt sind wir heute noch einig. Man sollte da nicht andere Hintergründe hineinbringen.Ich erinnere daran, daß wir gegen Ende der 7. Wahlperiode im Ausschuß für Forschung und Technologie einen wegen seiner Einstimmigkeit denkwürdigen Beschluß gefaßt haben. Der Bundesminister für Forschung und Technologie wurde aufgefordert, bis zur Arbeitsfähigkeit des 8. Deutschen Bundestages keine weiteren Mittelbindungen für den Schnellen Brüter einzugehen. Sie haben sich damals gegen diesen Beschluß gewehrt, Herr Minister Matthöfer. Aber dieser Beschluß hatte doch seine Vorgeschichte, nämlich daß wir immer der Meinung waren, man solle mit dem Schnellen Brüter etwas zurückhaltender sein, während Sie und vor allem Ihr Haus immer der Meinung waren, man solle den Schnellen Brüter über alles hinweg besonders stark fördern. Ich will nicht auf technische Einzelheiten ,eingehen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stahl?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte.
Herr Kollege Spies von Büllesheim, wenn das, was Sie hier eben in bezug auf den Schnellen Brüter ausführten, Tatsache sein soll, dann frage ich Sie allen Ernstes, warum die CDU/CSU-Fraktion dem Bundesminister vorhin derartige Vorwürfe gemacht hat — zwar Sie selber jetzt nicht, aber Ihre Vorredner. Dies zeugt doch davon, daß Sie Ihre Fraktion gar nicht über den Sachverhalt der gesamten Verhandlungen und Beratungen über den Schnellen Brüter aufgeklärt haben. Zumindest sollten Sie, verehrter Herr Kollege, sich dann beim Herrn Bundesminister wegen der Replik, die Sie eben geäußert haben, entschuldigen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Stahl, ich glaube, Sie verwechseln da etwas. Ich habe gesagt: Ich will das nicht ansprechen, weil der Herr Bundesminister da vielleicht besonders empfindlich ist. Aber Ihre Frage zwingt mich dazu. Ich kann Ihnen die Antwort geben. Die Antwort lautet, daß diese Sperrung vielleicht ganz auf der Linie der gerade dargestellten Politik des Ausschusses gelegen hätte, daß wir als Union aber nicht bereit sind, Schritte in dieser Richtung, die wir vielleicht aus Sachgründen gewünscht haben,
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2307
Dr. Freiherr Spies von Büllesheimnur deswegen zu vollziehen, um den Bundesminister Matthöfer vor sechs Kollegen in Schutz zu nehmen, die ohne eine solche Sperrung seinen Haushalt ablehnen wollten. Das war doch die Frage!
So ist es in der Presse erschienen. Ich wollte es nicht wiederholen. Ich habe auch das Interview genau nachgelesen, das Herr Minister Matthöfer der ARD gegeben hat. Da wurde von ihm diese Tatsache nicht bestritten. Sind wir denn dazu da, in einer Frage, die vielleicht einen sachlichen Hintergrund hat — wenn auch, wie ich dargestellt habe, aus ganz anderen Gründen —, den Herrn Minister Matthöfer vor den Kollegen aus seiner eigenen Fraktion zu schützen? Das lehnen wir ab.
Ich habe am Anfang gesagt, daß diese Debatte für den Bürger draußen mit all seinen Sorgen wichtig ist. Der Bürger wird ja schon durch den Satz verunsichert, die friedliche Nutzung der Kernenergie sei das größte Abenteuer, das die Menschheit in ihrer Geschichte jemals unternommen habe. Abenteuer? — Ja. Denn Abenteuer ist jede Inkaufnahme einer Gefahr oder eines Risikos um eines Zieles willen. Aber: größtes Abenteuer? Die Kernenergie ist 1938 erfunden worden. 1942 ist der erste Reaktor kritisch geworden. Seit dieser Zeit ist das Ziel der Beherrschbarkeit und der Sicherheit der friedlichen Nutzung der Kernenergie von einer ganzen Generation von Wissenschaftlern, Technikern und Forschern als eine der größten wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen empfunden worden. Das Bewußtsein des Risikos hat jeden Schritt der Entwicklung begleitet. Der Mensch hat hier, wie wir alle wissen, höchst bedeutsame Fortschritte erzielt.Ich will das verbleibende Restrisiko nicht in eine unmittelbare Beziehung zu den Kriegen, den Seuchen, den Krankheiten, Hundersnöten und Naturkatastrophen der Vergangenheit bringen, die die Menschheit überstanden hat, und ich will auch nicht von den Toten reden, die die Zivilisationsgefahren heute noch täglich fordern. Ich möchte aber doch auf die vielen erkannten und vielleicht noch unerkannten anderen Gefahren verweisen, die das moderne Leben nun einmal geschaffen hat und die auch menschliches Leben auf diesem Planeten bedrohen können. Denken wir an die Gefahr für die die Erde umgebende Ozonschicht, denken wir an die Folgen befürchteter Klimaveränderungen, an eine mögliche CO2-Katastrophe, an die organische Eiweißchemie, an Gefahren der Erbgutveränderung oder an Gefahren, die im Weltraum, den wir uns von der Erde aus erschließen wollen, noch auf die Menschheit lauern mögen.Ich will mit diesen Beispielen weiß Gott nicht dem oft von der Kernenergie gezeigten Schreckensbild ein weiteres oder weitere hinzufügen. Ich möchte aber mit diesen Beispielen meine Meinung unterstreichen, daß man die oft so intensiv ausgemalten Gefahren der Kernenergie in dem ausgedehnten Gefahrenspektrum sehen muß, welches das moderne hochtechnisierte Leben des Menschen nuneinmal mit sich gebracht hat. Wir geraten in Gefahr, eine einzelne Gefahr, nämlich die Kernenergie theoretisch so zu übersteigern, daß vielleicht der Menschheit später die Wohlstandsquelle und die Lebensquelle fehlen könnte, die zur Überwindung der anderen Gefahren gerade erforderlich sein könnte.Alle diese Gefahren sind eine Folge des technischen Fortschritts. Der technische Fortschritt besteht ja leider gerade darin, die natürliche Umwelt zu verändern. Aber wer von uns und von den Bürgern, die darüber reden, kann denn und möchte denn gerne aus dieser hochtechnisierten Welt aussteigen, vielleicht in einer abgelegenen Provinz Indiens oder Pakistans leben, in der sich in solcher Hinsicht vielleicht noch sorgenfreier leben läßt, dafür aber umgeben von bei uns längst vergessenen Sorgen und Gefahren wie Hunger, Seuchen und hoher Sterblichkeit?Schon die Erfindung des Rades mag ein Werk des Teufels gewesen sein oder damals von anderen als solches betrachtet worden sein. Schon diese Erfindung des Rades hat Segen und auch Gefahren gebracht, wie alle Technik seitdem. Das intelligente Wesen Mensch wird immer weiter forschen, arbeiten und streben und dabei Wohlstand und lebensannehmlichkeiten suchen und gewinnen, sich aber dafür auch Gefahren einhandeln. Das ist doch ein unaufhaltsamer Prozeß. Ich halte es für gefährlich, ihn im Bereich der Energieerzeugung bewußt und abrupt abbrechen zu wollen.In dieser Debatte ist klargestellt worden, warum wir die Kernkraft nach der Situation, in die wir gestellt sind, brauchen. Es ist nicht meine Aufgabe, das zu vertiefen. Die Feststellung, daß wir Kernenergie brauchen, mag unangenehm und unpopulär sein. Den Umstand aber, daß sie von der überwiegenden Mehrheit aller Parteien in diesem Hause getragen wird, mag man doch und mag die Öffentlichkeit als einen Hinweis dafür nehmen, daß die nach aller Voraussicht verbleibende Restrisiken wegen der Vorteile oder wegen der ohne Kernenergie eintretenden Nachteile hingenommen werden können.Inzwischen haben wir weit mehr als 1 000 Reaktorjahre hinter uns. Aber wir sollten doch nie den Fehler machen, um der Unpopularität der Kernenergie willen die mit der Kernenergie nach allem Bemühen noch verbleibenden Restgefahren und Restrisiken abzuleugnen. Die Entscheidung für die friedliche Nutzung der Kernenergie, die dieses Haus längst vorher getroffen hat, zuletzt am 13. Mai 1976 mit zwei Enthaltungen bestätigt hat und die sich auch heute wieder ergeben wird, wird vielmehr im Bewußtsein der notwendigen Güterabwägung aus voller Verantwortung getroffen. Sie wird — und darauf muß verwiesen werden — in dem Wissen getroffen, daß Behörden, Politiker, Techniker und Forscher bereits in der Vergangenheit alles getan haben und auch in Zukunft alles tun werden, um die Restgefahren zu minimieren — soweit das nur irgendwie möglich ist.Daß der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit hinter dem Grundsatz der Sicherheit zurückzustehen hat, daß jede gesparte Einheit Energie weit höher zu
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2308 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr. Freiherr Spies von Büllesheimveranschlagen ist als eine neu erzeugte Einheit, daß wir alternative Energiequellen erschließen wollen, daß das alles so weiter betrieben werden soll, darüber sind wir doch einig. Das ist heute mehrfach, und zwar von allen Seiten, neu bekräftigt worden. Wichtig ist nur, daß dieses Parlament darüber wacht, daß diese Grundsätze auch eingehalten werden.
Es ist leicht erklärbar, daß die öffentliche Diskussion um die Kernenergie in der Bundesrepublik Deutschland besonders kräftig geführt wird. Dieses Land mit höchstem Bildungsstand, völliger Freiheit der Meinungsäußerung, voller Wahrung der Bürgerrechte, ohne Rohstoffe
und Raum und mit hochentwickelter Technik ist mit der Frage der Kernenergie vor die Notwendigkeiten seiner Entwicklung gestellt, aber auch deutlich vor ein neues Gefahrenpotential.Dies ist der Grund für die zahlreichen Bürgerinitiativen und die wache kritische öffentliche Meinung, nicht dagegen die Befürchtung, daß hier etwa bedenkenlose denkfaule Politiker, möglicherweise um des eigenen Vorteils willen und über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg, sich voreilig und leichtfertig anschicken würden, unheilvolle Entscheidungen zu treffen. Immer, wenn aus Bürgerinitiativen — oder sonst — Behauptungen in dieser Richtung aufgestellt werden, müssen sie auch von dieser Stelle aus als törichte, vergiftende und zugleich empörende Äußerungen zurückgewiesen werden. Wer so argumentiert, kann für sich keine Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmen.Ich als Abgeordneter dieses Hauses und Mitglied des seit Jahren mit diesen Fragen intensiv befaßten Ausschusses für Forschung und Technologie nehme jedenfalls für mich selbst und für alle Kollegen selbstbewußt in Anspruch, daß wir unsere Entscheidung in großer Verantwortung treffen, eine Entscheidung, der Zweifel, Information und auch viel gedankliche Arbeit vorausgegangen sind.
Dieses Haus kann in dieser Frage nicht in verantwortungsbewußte und weniger verantwortungsbewußte Abgeordnete, in solche mit mehr gutem Willen und solche mit weniger gutem Willen unterteilt werden. Wer von uns bietet denn überhaupt Anlaß zu einer solchen Annahme? Wer kann denn im Ernst glauben, daß der Abgeordnete X, der zur gestellten Problematik keine andere Beziehung hat als jedes Mitglied einer Bürgerinitiative, aus welchen Gründen auch immer, etwa dazu beitragen möchte, seine Zukunft oder die seiner Kinder oder Enkel in irgendeiner Weise zu beeinträchtigen? Das gilt doch für jeden von uns hier im Hause.Wir Politiker haben aber Anlaß zu der Frage, warum eine nicht kleine Minderheit unseres Volkes diese Zweifel an der Richtigkeit unserer Entscheidung hat. Da ist einmal die Assoziation mit Hiroshima, also der nicht zutreffende Gedanke, ein Kernkraftwerk könne etwa wie eine Atombombe explodieren.
— Herr Kollege Gansel, mit diesem Denken verbindet uns nichts und Sie auch nichts. Ich weise nur darauf hin, daß der Gedanke, ein Atomkraftwerk könne explodieren wie die Bombe von Hiroshima, falsch ist.
Diesen Gedanken sollten Sie nicht vertreten.
Da ist die besondere Unheimlichkeit der mit menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbaren Strahlungsgefahr. Da ist die unbestimmte Angst des einzelnen, auf den Zug einer Entwicklung aufzusteigen, der nicht mehr zu bremsen ist. Da ist die zunehmende unbestimmte Sehnsucht des modernen Menschen nach dem einfachen Leben, und da ist die Angst, die aus dem ohnmächtigen Gefühl entsteht, bereits jetzt in einer Zwangsläufigkeit zu stehen. Da werden die schwerwiegenden Folgen einer Energieknappheit verniedlicht oder nicht voll erfaßt. Da ist vor allem die Schwierigkeit, sich in dieser unendlich schwierigen Materie auch nur einigermaßen zutreffend zu informieren.Hier liegen auch Versäumnisse dieser Regierung. Wenn diese Regierung seit 1970 eine Informationspolitik betrieben hätte, wie sie erst vor einem Jahr begonnen wurde, so würde das Bild in der öffentlichen Meinung heute sicherlich anders aussehen.Aber die Versäumnisse liegen auch darin begründet, daß die Politiker angesichts oft überzogener und einseitiger Informationen durch Kernenergiegegner und öffentlicher Emotionen ihre eigene Entscheidung für die Kernenergie nicht tief genug begründen und sie nicht so klar in einen weiten Rahmen stellen, wie es eine solche Entscheidung erfordern würde, wenn der Zweifelnde beruhigt werden soll.Sicherlich mangelt es auch an dem Willen der Mehrzahl der Politiker, stets populär zu sein. Wir haben doch alle erlebt, daß Aussagen, die wir in den Ausschüssen gehört haben, in der Öffentlichkeit plötzlich ganz anders klangen.Natürlich wollen wir nicht mehr Kernenergie haben als notwendig. Aber dies gilt nicht nur für die Kernenergie, sondern auch für jeden anderen Energieträger. Alle Energieträger haben ihre Nachteile und Gefahren. Ich denke nur an die Umweltverschmutzung, an den steigenden CO2-Gehalt der Luft bei der Verbrennung fossiler Energieträger, an Tankerunglücke, an die Ölpest auf dem Meer, an Grundwasserkatastrophen, an die jahrzehntelange Verwüstung ganzer Landstriche mit kaum kalkulierbaren Auswirkungen beim Abbau von Braunkohle, an Bergschäden, an Importabhängigkeiten, an die Gefahren eines Staudammbruchs bei der angeblich so harmlosen Wasserkraft. Jede Energieerzeugung ist mit einem Gefahrenpotential verbunden. Wir wollen deswegen überhaupt nicht zuviel Energie. Aber die Frage des Zuviel stellt sich für uns nach meiner Überzeugung vorläufig nicht.
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2309
Dr. Freiherr Spies von BüllesheimBürgerinitiativen haben es ja so einfach, weil sie nur einem eng gesteckten Ziel dienen, also z. B. der Verhinderung der Kernenergie oder sogar nur eines bestimmten Kernkraftwerks. Weil dieses Ziel so eng gesteckt ist, ist es für Bürgerinitiativen auch nicht notwendig, sich mit den Folgen einer Energieknappheit, mit den Gefahren von Alternativenergien, mit der Frage der zeitlichen Möglichkeit ihres Einsatzes wirklich ernsthaft auseinanderzusetzen. Das ist keine Argumentation gegen Bürgerinitiativen. Wer aber ein Ziel unbedingt anstrebt, wie es diese Initiativen tun, der muß so verfahren, um Gefolgschaft zu gewinnen. Der verantwortliche Politiker hingegen muß die volle Breite der Problematik sehen und sie in seine Beurteilung einbeziehen. Er kann sich nicht an den Fragen „Was dann?" oder „Was sonst?" vorbeimogeln. Er kann die Entwicklung nicht dem Zufall überlassen, sondern muß aus der Gesamtschau aller Fragen und Zielkonflikte konkret entscheiden.Bürgerinitiativen tragen auch keine unmittelbare Verantwortung, weil sie einfach nicht in die Verantwortung genommen werden können. War es aus späterer Einsicht falsch, ein Kraftwerk oder eine Wiederaufbereitungsanlage überhaupt oder an dieser Stelle zu verhindern, treten Gefahren auf oder fehlt der Strom, entsteht ein Unglück, dann können Parlamente, Parteien und auch einzelne gewählte Politiker zur Verantwortung gezogen werden. Die Bürgerinitiativen, die damals gegen das Kraftwerk oder die Wiederaufbereitungsanlage waren, haben sich nach ihrem Erfolg längst verflüchtigt; sie sind nicht mehr zu fassen.Wir müssen die Bürgerinitiativen ernst nehmen. Sie haben Anspruch darauf, gehört zu werden. Wir müssen ernsthaft unsere Auffassung von ihnen immer wieder in Zweifel ziehen lassen. Aber weil Bürgerinitiativen immer nur eine so begrenzte Zielsetzung haben, weil sie keine demokratische Legitimation haben, weil sie nicht zur Verantwortung gezogen werden können, dürfen sie nach meiner Überzeugung auch keine formelle Institution im Entscheidungsprozeß werden. Das oft erörterte Institut der zusätzlichen Verbandsklage ist abzulehnen. Über eine Verbandsklage als Zusammenfassung von sonst nicht organisierten Einzelklagen mit allgemeinem Inhalt sollte sicher nachgedacht werden.Ich komme zum Schluß. Man darf die Frage stellen, wie jener Geschichtsforscher, der die Protokolle der Kernenergiedebatten unserer Jahre in hundert Jahren einmal nachliest, über diese Debatten wohl denken wird. Politik ist Handeln für die Zukunft, für viele Fragen — dies ist eine solche — für eine unabsehbare Zukunft. Sind die Zweifel, die wir uns bei unserer Entscheidung vorgelegt haben, nicht auch gleichzeitig Zeichen einer Hybris, der Meinung des Menschen, daß wirklich er die Zukunft der Menschheit oder unseres Planeten gestalten kann? Fehlt uns nicht auch die Demut vor den Gewalten der Natur? Wer Christ ist, hat einen besonderen Zugang zu dieser Demut, weil er sich in der Hand Gottes empfindet und die Zukunft für ihn mehr von dem allmächtigen Gott als schließlich von ihm selbst bestimmt wird. Ich scheue mich nicht, das zu sagen,und ich glaube, das kann in einer solchen Debatte gesagt werden.Uns Menschen ist es schließlich nur vorgegeben, unsere Entscheidungen aus ehrlichem Herzen, nach bestem Wissen und Gewissen, im Bewußtsein großer Verantwortung, aber auch im Bewußtsein der Grenzen menschlicher Erkenntniskraft zu treffen. Da die Entscheidung auf die Zukunft gerichtet ist, können wir ihre Wirkungen nicht ermessen. Was immer der Historiker des Jahres 2077 von unserer Entscheidung für die Kernenergie halten mag, wir wollen hoffen und beten, daß es die richtige Entscheidung war, daß sie richtig vollzogen worden ist und daß sie auch später noch als eine Entscheidung erscheint, die von großem Ernst und großem Verantwortungsgefühl dieses Parlaments getragen war, und daß es auch aus einer späteren Sicht dem Segen und dem Glück der Menschen gedient hat, diese neue Kraftquelle, die die Erde uns freigegeben hat, auch zu erschließen.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich sehe mich gezwungen, meinen eigenen Standpunkt — nicht den meiner Fraktion — in nur 15 Minuten zusammenzufassen.Die wirtschaftlichen Prognosen und die Energieprognosen der letzten Jahre verdienen den Nobelpreis für Fehlleistungen. Man verkündete z. B. ein Energieprogramm auf 13 Jahre, und schon 4 Jahre später finden wir in den „Eckdaten" den behaupteten Mehrverbrauch um 49,2 %R, also um die Hälfte, nach unten revidiert! Wenn das so weitergeht, dann wird die Prognose im Jahre 1981 bei einer Steigerung von Null angekommen sein. Die einzige richtige Aussage in der Energiedebatte vom 22. Januar 1976, die eingetroffen ist, war meine damalige Forderung nach einem Moratorium im Bau neuer Kernkraftwerke; dieses Moratorium haben wir heute.Die Bundesregierung baut ihr Energieprogramm auf der Wunschvorstellung eines vierprozentigen Wirtschaftswachstums auf, das mit Sicherheit nicht eintreffen wird. Sollte eine ähnliche Rechnung des Instituts der Deutschen Wirtschaft mit 5 % Steigerung bis 1990 und anschließend 4 °/o eintreffen, dann würde sich das Bruttosozialprodukt bis zum Jahre 2007 vervierfachen. Hat sich schon jemand überlegt, wo aus aller Welt wir dann die vierfache Menge nicht nur an Energie, sondern auch an allen mineralischen Rohstoffen herbekommen sollen? Denn auch die übrigen Industrienationen leben in der Utopie fortwährender Steigerungsraten. Eine solche Politik der Steigerung ist ein Amoklauf in die totale Abhängigkeit von anderen Völkern dieser Erde. Die Bundesregierung tut so, als beherrsche sie die ganze Welt und als brauche sie nur Ziele zu setzen. In Wirklichkeit wird die Weltentwicklung nicht mehr von Europa, sondern von den Ländern bestimmt werden, die noch Bodenschätze haben. Was hier fälschlich „wirtschaftliches Wachstum" ge-
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2310 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Dr. Gruhlnannt wird, ist in Wirklichkeit überhaupt kein Wachstum, sondern ein ständiger Verzehr, ja eine Vernichtung von einmaligen Vorräten dieser Erde, deren Merkmal es gerade ist, daß sie nicht nachwachsen. Den Industrieländern gelingt es heute noch, die Rohstoffe aus allen Winkeln der Erde und der Weltmeere herbeizuschaffen, aber nur auf Kosten anderer Völker und auf Kosten der Zukunft aller.Sogar der Präsident der reichsten Nation dieser Erde, Carter, legte daraufhin ein rigoroses Sparprogramm vor. Den deutschen Verantwortlichen fehlt dagegen der Mut, ein solches Programm überhaupt aufzustellen. Die Politiker berufen sich darauf, daß ihre Wähler die Verbrauchssteigerung heute fordern. Sie haben aber noch nie den geringsten Versuch unternommen, dem sonst als „mündig" bezeichneten Bürger den Ernst der Lage darzustellen, damit er die entsprechenden Schlußfolgerungen ziehen kann. Hier wird immer noch dem Volk die immer bessere Zukunft vorgegaukelt.Auch wir müssen die Sparsamkeit zum obersten Grundsatz erheben, um die Zeiten des Mangels möglichst hinauszuschieben. Sparsamkeit heißt aber nicht, den Verbrauch hochtreiben zu wollen, sondern ihn niedrig zu halten.Die Menschheit hat noch nie so viel Energie verbraucht wie in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Und gerade in diesen Jahren spricht sie ständig von einer „Energiekrise". Wenn die angestrebte Steigerung des Energieverbrauchs gelingen sollte, dann wird die Krise um das Jahr 2000 um so größer und um so unlösbarer werden.Auch Uran ist nur ein vorübergehend verfügbarer Brennstoff. Er wird noch früher aufgezehrt sein als das Erdöl. Besitzerländer wie Kanada halten Uran bereits heute zurück. Wie groß werden die Versorgungsschwierigkeiten erst werden, wenn jährlich die zehn- bis zwanzigfache Menge gebraucht wird? Darum sollte man die Reaktorlinien fördern, die eine bessere Ausnutzung haben, und zugleich die Abwärme nutzen wie beim Hochtemperaturreaktor. Dagegen verschwendet man das wenige Uran in den Leichtwasserreaktoren zugunsten einer kurzfristigen Energieerzeugung heute, während man unzähligen Generationen die radioaktiven und giftigen Überreste vererbt.Der verstorbene Bundespräsident Gustav Heinemann sagte in seiner Abschiedsansprache von dieser Stelle aus:Es kann uns nicht beruhigen, daß wir noch so gut dran sind. Wie sollen Kinder und Enkel auf einer Erde leben können, die wir ausrauben und zerstören?Welch ein gefährliches Risiko die Kernkraftwerke im Verteidigungsfall sind, das hat jetzt sogar Ulrich Fack von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung begriffen, der wenige Monate vorher noch den Bürgerinitiativen die Gewerkschaften auf den Hals wünschte, damit sie diesem „Spuk" ein Ende machen sollten. Die Bürgerinitiativen wissen, daß es noch viele andere ungelöste Sicherheitsfragen gibt.300 Milliarden DM sollen bis 1985 in die Energieerzeugung investiert werden, davon rund 100 Milliarden DM in die Kernenergie — allein zu dem Zweck, den höchsten auch nur denkbaren Bedarf an Strom zur Verfügung zu haben. Man muß doch den Menschen dieses Landes auch einmal die Kehrseite des Programms darstellen: Wenn nämlich nachher der Strom nicht abgenommen wird, dann ist dies eine gigantische Fehlinvestition der Volkswirtschaft, für die der Kapitaldienst aufgebracht werden muß; dann sind dies verschleuderte Gelder, die für sinnvolle Maßnahmen fehlen werden.Es ist auch unwahr, daß die Atomkraft die Abhängigkeit vom Erdöl mindert, denn sie erzeugt nur elektrischen Strom. Die meisten Verkehrsmittel laufen mit Erdöl, und die Bundesregierung fördert dort den Erdölverbrauch, indem sie einige tausend Kilometer Bundesbahn stillegt und den Transport auf Busse und Lkw verlagert!Die einzige mögliche Verlagerung von Erdöl auf Kernenergie wäre die Umstellung der Heizungen von Öl auf elektrischen Strom. Jeder Fachmann weiß aber, daß die Elektroheizung die allergrößte Primärenergieverschwendung bedeutet. Die Elektroversorgungsunternehmen allerdings sehen hierin die einzige noch mögliche Stromausweitung. Darum wollen die Elektroversorgungsunternehmen im Jahre 1985 im Umfang von 30 000 MW Heizstrom liefern. Dies ist ein volkswirtschaftlicher Unsinn, der unterbunden werden muß! Das wissen die Elektroversorgungsunternehmen selbst, und darum hielten sie diese Studie unter Verschluß — aber auch aus dem Grund, weil dort 19 Fachleute der Elt-Werke selbst zu dem unangenehmen Schluß kamen, daß zwischen 1980 und 1985 der normale Stromverbrauch der Haushalte nur noch um 1,5 % jährlich steigen werde. Wäre diese Studie veröffentlicht worden, dann hätten sich die Elektrizitätswerke mit ihrer Horrorkampagne von den „ausgehenden Lichtern" sofort lächerlich gemacht.Die Niedertemperaturen für Heizung und Warmwasser können aus der Abwärme der Kraftwerke als Fernwärme und aus der Sonnenenergie gewonnen werden. Eine Verringerung der benötigten Mengen ist durch zusätzliche Wärmedämmung der Gebäude möglich. Alles zusammen ergibt eine Einsparung an elektrischem Strom von mindestens 20 000 MW.Wenn nun die Elektroversorgungsunternehmen auch noch den angebotenen Strom der privaten Kraftwerke abnehmen würden, statt sie — wie geschehen — mit ihrer Monopolpolitik auf die Hälfte zu drosseln, dann hätten wir 1985 zuviel Strom; denn es sind ja auch noch Kraftwerke mit einer Kapazität von rund 15 000 MW im Bau. Diese Kapazität ist gesichert, auch wenn kein neues Kernkraftwerk mehr begonnen wird. Eine Studie der UNO-Wirtschaftskommission für Europa kommt zu dem Ergebnis, daß die Primärenergie den doppelten Wirkungsgrad erreichen könnte. Damit ist sogar eine beträchtliche Steigerung des Wirtschaftswachstums auch ohne Kernenergie möglich.Dr. GruhlAll die vorhin genannten Maßnahmen schaffen viel mehr Arbeitsplätze, als die Kernindustrie selbst jemals schaffen könnte. Auch die Elektrizitätserzeugung aus Kohle schafft eine größere Zahl von Arbeitsplätzen. Die Kohlekraftwerke müssen natürlich mit den entsprechenden Filtern und der Rauchgasentschwefelung ausgestattet werden; auch das schafft Arbeitsplätze.Energie allein schafft dagegen keine Arbeitsplätze. Sie dient der Rationalisierung, d. h. dem Ersatz des Menschen durch Energie und Maschine. Dies erfordert aber dann Steigerungsraten, die keine Nation der Welt mehr schaffen kann, da unsere Erde endlich ist. Die heutige Wegwerfwirtschaft führt in ihrem Endstadium dazu, daß auch der Mensch ein Wegwerfgut wird. Die Verschwendungswirtschaft führt zur Verschwendung von Menschen. Die zwei entgegengesetzten Ziele „ständige Erhöhung der Güterproduktion mit immer weniger Menschen" einerseits und „Unterbringung von immer mehr Menschen auf Arbeitsplätzen" andererseits schließen einander aus.Gegenwärtig wird die Politik von der Ideologie beherrscht, daß es der Sinn des Menschenlebens sei, immer mehr zu produzieren, auf das er mehr konsumieren könne, daß er aber auch immer mehr konsumieren müsse, um wieder mehr produzieren zu können. Eine so dumme Ideologie hat es in der Geschichte selten gegeben. Je länger diese Ideologie herrscht, um so schneller wird sie zum Bankrott der Marktwirtschaft und zur Katastrophe unserer Versorgung überhaupt führen.Die nächsten Jahre werden nicht nach den völlig unrealistischen Wunschvorstellungen verlaufen, die auch heute hier wieder vorgebracht worden sind. Um Schlimmeres zu verhüten, sollte ein unbefristetes Moratorium für Kernkraftwerke beschlossen werden. Während dieser Zeit sollten zukunftsträchtige und Arbeitsplätze schaffende Arten der Energie gefördert werden, die unser Land nicht heute zu einem atomaren Pulverfaß machen und künftige Generationen unabsehbar belasten, wozu wir heute überhaupt kein Recht haben.Meine Damen und Herren, zum Schluß möchte ich mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, daß auch diese Debatte heute so wenig Aufmerksamkeit gefunden hat und daß der Herr Bundeskanzler dieser Debatte nur eine knappe Stunde beigewohnt hat.
— Ich nehme Ihre Bemerkung sehr wohl zur Kenntnis. Mir ist das allerdings auch aufgefallen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stahl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben der Rede des Kollegen Gruhl mit großem Ernst zugehört. Aber, verehrter Herr Kollege Gruhl, bei aller Ernsthaftigkeit des Themas, das wir hier heute diskutieren,muß ich Ihnen doch sagen, daß die Zahlen, die Sie hier genannt haben, mehr als fraglich sind. Sie sollten, glaube ich auch, da Sie diesem Hause angehören, zumindestens einmal anerkennen, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland, was die Sicherheit der Kernkraftwerke anbetrifft, einen sehr hohen Level und wohl den höchsten Standard in der Welt haben. Wenn Sie bedenken, daß der Präsident Carter in den USA, der nun wirklich ein Mensch ist, der im Glauben verhaftet ist, trotzdem im Kernenergiebereich zur langfristigen Versorgung seines Landes mit Energie 75 Reaktoren zusätzlich bis 1985 zuläßt, dann sollten Sie in der einen oder anderen Sache etwas nachdenklicher werden.Meine Damen und Herren, nach der heutigen langen Debatte, die wir geführt haben, ist es vielleicht notwendig, einmal rückblickend etwas zu sagen. Ich möchte mich damit vor allen Dingen an die Kollegen der Opposition wenden. Es wird Ihnen doch hoffentlich nicht entgangen sein, daß der Deutsche Bundestag im Januar und im Mai vorigen Jahres in seinen Debatten und in seiner Entschließung mit allem Ernst auf unsere prekäre Energiesituation hingewiesen hat. Wir hatten damals gemeinsam betont, daß die Notwendigkeit der Nutzung der Kernenergie ebenso wie der Bau weiterer Kohlekraftwerke im Rahmen eines Gesamtkonzeptes der Energieerzeugung festzulegen sind. Die ersten Schritte, dies zu tun, sind mit der Vorlage der Grundlinien und Eckwerte für die Fortschreibung des Energieprogramms und des Energieforschungsprogramms erfolgt. Mir scheint nach den Debattenbeiträgen einiger Kollegen der Opposition, daß diese Gemeinsamkeit, die wir in diesem Bereich immer betont haben, langsam auf dem Rückweg ist.In den Debatten des vorigen Jahres ist Übereinstimmung zwischen allen Fraktionen über eine ganze Reihe von Problemen erzielt worden. Lassen Sie mich deshalb dies in fünf Punkten zusammenfassen, damit wir Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen führen. 1. Gewährleistung des Grundsatzes vom Vorrang der Sicherheit vor der Wirtschaftlichkeit beim Bau und beim Betrieb von Kernkraftwerken; 2. Priorität der Energieeinsparung und Aufstellung eines entsprechenden Maßnahmenkatalogs; 3. Verstärkung der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur umweltfreundlichen Nutzung nichtnuklearer Energieträger; 4. Fortsetzung der Bemühungen um die mittel- und langfristige Versorgung von Industrie und Bevölkerung mit sicherer und preiswerter Energie; und 5. Versachlichung der Auseinandersetzung über den Bau von Kraftwerken in der Öffentlichkeit.Sie werden sicherlich fragen: Warum sagt der Kollege der Regierungsfraktion dies? Verehrter Herr Kollege Narjes, nach den Ausführungen, die Sie heute morgen in Ihrer strammen Art gemacht haben, habe ich Zweifel, daß die notwendigen Gemeinsamkeiten hinsichtlich der langfristigen Sicherung des Lebensstandards in unserem Land — dazu gehört nun einmal die Energie — tatsächlich gegeben sind.
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2312 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Stahl
Die Antwort der Bundesregierung insbesondere auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zeigt, daß wir auf diesem Wege sind. In beiden dem Hohen Hause vorliegenden wichtigen Dokumenten, den Grundlinien und Eckwerten für die Fortschreibung des Energieprogramms und dem Energieforschungsprogramm, hat die Bundesregierung doch deutlich gemacht, daß die Ziele ihrer Politik mit den von allen Fraktionen des Bundestages beschlossenen Orientierungspunkten übereinstimmen.Gleichwohl werden in der Öffentlichkeit aus verschiedenen Motiven immer wieder Bedenken gegen diese Orientierungspunkte laut. Wir, die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, nehmen die Sorgen und Vorbehalte ernst, die viele Menschen in unserem Lande gegenüber den Kernkraftwerken, aber auch gegenüber den Kohlekraftwerken haben. Diese Sorgen und Vorbehalte sind ernsthaft zu prüfen. Sie sollten nicht allein mit der Begründung der technischen Notwendigkeit weggeschoben werden.Wir müssen uns um die offene Diskussion, um die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Menschen bemühen. Risiken, die mit dem Ausbau der Energieversorgung verbunden sind, sind abschätzbar. Hier stimme ich dem Kollegen Spies von Büllesheim sicherlich zu. Aber, verehrter Herr Kollege Spies von Büllesheim, wir müssen sie besser erklären und in ihrem Umfang mit Sachlichkeit und Gründlichkeit verdeutlichen, um zu einem Konzept zu gelangen, das von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung dieses Landes gestützt und getragen wird. Dabei ist es sicherlich notwendig, auch den Menschen, die uns nicht folgen, einmal aufzuzeigen, daß man in dieser wichtigen Frage der langjährigen Energiesicherung über den Tellerrand des eigenen Landes und über das nächste Jahrzehnt hinaus schauen muß.Die Rede von Herrn Narjes hat nicht dazu beigetragen, diese Bereitschaft vieler Menschen verstärken zu helfen. Es ist nicht damit getan, hier im Deutschen Bundestag Horrorgeschichten aufzubauschen, die bei näherem Besehen und bei sachlicher Abwägung nicht haltbar sind. Die kontroversen Diskussionen um die Probleme der Energiepolitik in diesen Tagen und Wochen sind nicht immer sachlich. Es ist nicht zu leugnen — wer des öfteren zu diesen Themen spricht, merkt es —, daß die Vertrauensbasis zwischen vielen Bürgern und Politikern ins Wanken geraten ist.Für uns von den Koalitionsfraktionen der SPD und der FDP war ein Motiv, die Große Anfrage zur Energiepolitik einzubringen, die Grundlagen für eine sachliche, für eine offene Diskussion über alle Fragen der Energiepolitik erweitern zu helfen. Diese Anfrage zielt jedoch nicht nur auf den Stand der Entwicklung im Energiebereich seit 1973 ab, sondern auch auf die künftigen Bedarfsstrukturen über das Jahr 1985 hinaus. Es ist wohl richtig, was Herr Minister Matthöfer vorhin auf eine Anfrage hier erklärte: daß z. B. der Fusionsreaktor, den wir mit öffentlichen Geldern fördern, wohl einer der Reaktoren sein kann, die etwa im Jahr 2025 oder 2050 mit zur Energiesicherung beitragen. Wir nehmen damit den vom Grundgesetz gegebenen Auftrag auch in diesem Punkt sehr ernst, an der politischenWillensbildung der Bevölkerung mitzuwirken. Die Kölner Tagung hat dies im besonderen gezeigt. Nur, meine Damen und Herren von der Opposition: von Ihrer Seite aus erwarten wir so etwas ähnliches für die Aufklärung in diesem Land.Besonders laute und viele Vorbehalte werden derzeit in der Öffentlichkeit immer wieder gegen den Ausbau und die Forschungsförderung im Bereich der Kernenergie vorgebracht. Dabei wird argumentiert, es sei vernachlässigt worden, die Möglichkeiten nichtnuklearer Energietechniken zu fördern. Ich will mir ersparen, hierzu eine ganze Menge zu sagen. Der Bundesminister hat schon vieles dazu ausgeführt. Mit der Vorlage des Energieforschungsprogramms durch Minister Matthöfer für die Jahre 1977 bis 1980, in dem diesmal alle Bereiche der Energieforschung zusammengefaßt sind, wird deutlich, daß der Forschung im nichtnuklearen Bereich wachsende Bedeutung beigemessen wird. Natürlich werden und müssen bestehende Entwicklungen und Verpflichtungen im Kernbereich aus diesem Programm zu Ende geführt werden. Neue Projekte sind aber in großer Zahl hinzugekommen. Lassen Sie mich nur einige nennen.Es erfolgt eine verstärkte Förderung von Projekten im Bereich der Energieeinsparung, verstärkte Erprobung der Kohlevergasung — wer weiß nicht, wieviel an Mitteln gerade aus dem Bundesforschungshaushalt für diesen sicherlich zukunftsträchtigen Bereich fließen —, verstärkte Bemühungen um eine mögliche Nutzung von Ölschiefer auch in unserem Lande. Stillegung und Beseitigung von Kernenergieanlagen sollen verstärkt untersucht werden.Der Finanzansatz von über 6,5 Milliarden DM für die Jahre 1977 bis 1980 zeigt doch ganz deutlich an, welche Bedeutung die Bundesregierung diesem Bereich der Politik beimißt. Die große Anzahl von Forschungsvorhaben auf vielen Gebieten hilft mit, die Energieversorgung langfristig zu gewährleisten. Sie tragen dazu bei, der Wirtschaft technologische Erkenntnisse zu vermitteln und damit Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Sie helfen mit, die Chancen für unsere Wirtschaft im Export wesentlich zu verbessern.Innerhalb des neuen Forschungsprogramms hat sich eine Verschiebung der Prioritäten ergeben. Während das Verhältnis der Aufwendungen für nichtnukleare zu denen für die nukleare Energieforschung 1974 noch 1 : 8,4 betrug, wird es nach der derzeit gültigen Finanzplanung 1977/80 etwa 1 : 2,4 betragen. Diese Verschiebung der Ausgaben zeigt deutlich, daß zur Sicherung unserer künftigen Energieversorgung nicht um jeden Preis auf Kernenergie gesetzt wird, sondern der Ausbau nur in dem unbedingt notwendigen Rahmen erfolgen soll und kann. Dazu hat die Bundesregierung ja in ihrer Antwort auch eine klare Stellungnahme abgegeben.Bei der Kernenergie stehen derzeit zwei Problemkomplexe im Mittelpunkt der Diskussion. Der erste: die Weiterentwicklung der fortgeschrittenen Reaktorlinien; der zweite: die Fragen, die sich mit der Entsorgung, der Wiederaufbereitung und Endlagerung von nuklearem Material stellen,
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Stahl
Die Diskussion über die Entwicklung des Schnellen Brüters z. B., jener fortgeschrittenen Reaktorlinie, die aus Uran mehr Brennstoff erzeugt, als sie verbraucht, und damit die Vorräte, wie Fachleute darstellen, sechzigmal besser nutzt, befindet sich derzeit in einer Phase, in der Vorbehalte und Zweifel angemeldet werden. Sie beziehen sich nicht auf den bei Kalkar im Bau befindlichen Prototyp des Schnellen Brutreaktors 300 und die Verpflichtungen, die die Bundesregierung bereits eingegangen ist. Es handelt sich hier vielmehr um Folgeprojekte, vor allem um die Entwicklung und den Bau des großen Schnellbrutreaktors SNR II mit etwa 2 000 MW. Das ist, glaube ich, doch ein Punkt, über den wir im Parlament sicherlich noch lange werden reden müssen.Nicht zuletzt aus dem Schwanken der USA bei der Entwicklung der Brütertechnologie haben sich Zweifel ergeben. Das gilt aber ebenso für die Vorbehalte, die beispielsweise bei dem Expertengespräch geäußert worden sind, das das Ministerium für Forschung und Technologie am 19. März dieses Jahres veranstaltet hat. Vor diesem Hintergrund hat der Ausschuß für Forschung und Technologie auf Antrag der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition den Beschluß gefaßt, das Bundesministerium für Forschung und Technologie aufzufordern, keine neuen Verpflichtungen im Rahmen des Schnellbrüter-Entwicklungsprogramms für den SNR II einzugehen. Die noch offenen Fragen sind zu klären; zusätzlich sind Verhandlungen mit den Elektrizitätsversorgungsunternehmen über deren stärkere finanzielle Beteiligung an den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für diesen Reaktortyp zu führen. Die bisherigen Ausgaben der Energiewirtschaft, insbesondere der Elektroverstromungsunternehmen, für Forschung und Entwicklung und damit auch für Zukunftsaufgaben sind nicht ausreichend. Es hat mich eigentlich gewundert, daß die Mitglieder der Opposition, die sonst in dieser Sache auch der Meinung der Regierungskoalition waren, unserem Vorhaben nicht zugestimmt haben.Ich darf zum Vergleich einmal zwei oder drei Branchen anführen, um zu zeigen, daß es möglich sein muß, auch von seiten der Elektrizitätswirtschaft im Forschungsbereich mehr zu tun.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stavenhagen?
Bitte schön.
Herr Kollege, wissen Sie, daß ein leitender Beamter des Forschungsministeriums in Anwesenheit des Bundesforschungsministers gesagt hat, daß eine Sperre zu 90% die Fertigstellung des SNR-300 betreffen würde? Dies steht dann direkt im Gegensatz zu dem, was Sie hier soeben ausgeführt haben.
Herr Kollege Stavenhagen, es hat einen Antrag der Opposition gegeben, der nicht zum Tragen kam, der so lautete.
Das, was wir dann im Antrag formuliert haben, bezog sich nicht auf das, was Sie jetzt dargestellt haben.
Meine Damen und Herren, vielleicht noch einmal die Zahlen hinsichtlich der Forschungsmittel: 1971 haben der Stahl-, Maschinen- und Fahrzeugbau 4 Milliarden DM, der Chemiebereich 2,5 Milliarden DM und die Stromwirtschaft ganze knappe 33 Millionen DM für den Forschungsbereich ausgegeben. Dies sollte uns, glaube ich, im Deutschen Bundestag einmal nachdenklich stimmen.
Eine Entscheidung über den weiteren Forschungsverlauf des Schnellen Brüters muß in den nächsten zwölf Monaten gefällt werden. Wir werden also spätestens mit dem Haushalt 1978 deutlich machen müssen, ob wir den SNR II mit öffentlichen Mitteln weiter fördern. Die zweite Reaktorlinie, die derzeit im Gespräch steht und die gefördert wird, ist die Reaktorlinie des sogenannten Hochtemperaturreaktors. Es ist zu hoffen, daß die Bundesregierung bis zum Herbst dieses Jahres für diesen Reaktor ein neues Programm vorlegt und daß die inzwischen wohl ernst zu nehmenden Optionen auch aus unserem Lande mithelfen, bei diesem Projekt schneller voranzukommen. Auch hierzu wird das Bundesministerium dem Parlament noch einiges sagen müssen, um Klarheit zu schaffen.
Herr Kollege, wenn Sie zu Ende kommen würden!
Gleich, Herr Präsident.
Der zweite zentrale Bereich der aktuellen Diskussion über den weiteren Ausbau der Kernenergie betrifft die Fragen, die mit dem Bau und Betrieb des Entsorgungszentrums zusammenhängen. Meine Damen und Herren, die Äußerungen führender CDU-Politiker zu diesen Fragen sind widersprüchlich. So wurde z. B. in Baden-Württemberg gesagt: Bei einem Moratorium gehen die Lichter aus. Gleichzeitig aber hat Herr Albrecht nur einen Standort vorgeschlagen, wenngleich er, hätte er verantwortungsbewußt gehandelt, mehrere hätte vorschlagen müssen.
Dadurch wird unter Umständen der Ausbau der Kernenergie doch sehr wesentlich verzögert, wenn der eine Standort sich als negativ für den Bau ausweist.
Herr Kollege, ich muß Sie jetzt bitten, zu Ende zu kommen.
Abschließend: Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie sich einmal Ihren Antrag, den Sie dem Hause hier vorgelegt haben, ansehen, werden Sie feststellen, daß sich in ihm keine eigene Konzeption widerspiegelt,
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Stahl
sondern daß er völlig einfallslos das wiederholt, was derzeit auch die Ziele der Bundesregierung sind.
— Natürlich, Herr Lenzer! Ich will hier zwar nicht auf Einzelheiten eingehen; aber überprüfen Sie doch einmal, ob es nicht notwendig wäre, in der Darlegung der Ziele z. B. den Satz einzufügen, daß bei der Nutzung der Kernenergie Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung vor der Wirtschaftlichkeit im Vordergrund stehen. Dies haben Sie bei der Begründung der Ziele der Energiepolitik nicht erkannt. Vielleicht haben Sie es vergessen?
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben wenig Zeit gehabt, uns mit den Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen der Unionsfraktionen und der Koalitionsfraktionen zu befassen. Denn wir haben erst vor zwei Tagen die Unterlagen bekommen. Deshalb wundert mich ein bißchen, daß da dauernd gesagt wird, wir hätten abgeschrieben. Wo hätten wir denn abschreiben sollen, wenn wir die Antworten noch gar nicht vorliegen hatten, die die Bundesregierung uns gegeben hat?
Wenigstens an diesem Beispiel sollten Sie uns zugestehen, daß wir versucht haben, hier selber Arbeiten zu leisten.Wenn man die Antworten der Bundesregierung kritisch würdigt, dann muß man feststellen, daß sie auf die Frage nach der Sicherheit der Kraftwerke, insbesondere der Kernkraftwerke, umfangreiche und zum Teil neue Antworten gegeben hat. Gerade für diesen Bereich der Kernkraftwerke sind die Antworten und die damit verbundenen Klarstellungen der Position der Regierung von großer Wichtigkeit. Während im Juni 1976 auf eine Reihe von kritischen Fragen des Kollegen Gerlach noch keine abschließende Antwort gegeben werden konnte, haben wir nun den Eindruck, daß ein Teil der damals gestellten Fragen in der Tat beantwortet ist; manches allerdings bleibt auch heute noch offen.Für uns bleibt die Frage: Wie steht es mit dem Rest der Unsicherheit? Ist er vertretbar, können wir mit dem Rest leben oder nicht? Ich verkenne nicht, daß diese Frage nach dem Rest der Unsicherheit bei der Technik nicht neu ist. Das hatten wir bei vielen technisch-technologischen Entwicklungen. Als die erste Lokomotive fuhr, wurde gesagt: Das ist eine ganz schlimme Sache, das geht nicht gut. Wir wissen heute, daß wir ohne den Zugverkehr als Massentransportmittel für Personen und Güter nicht leben könnten. Oder nehmen Sie die erste Setzmaschine — —
— Mir scheint das wichtig zu sein für die psycho- logische Betrachtung der Frage der Sicherheit unserer Bürger und des Umweltschutzes, und Sie sollten den Ansatz dieser Bemerkungen auch als Sozialdemokraten ernst nehmen; das ist ein Angebot an Sie, zum Teil mit Ihren Leuten fertig zu werden.
— Ich habe nicht Sie gemeint, Herr Schäfer; ich weiß, daß ich da in einigermaßen guter Gesellschaft bin, aber es gibt auch andere bei Ihnen.
Ich meine, daß wir einfach sehen sollten, daß neue technische Entwicklungen psychologische Momente mit sich gebracht haben und daß sich viele dieser technischen Entwicklungen nicht negativ, sondern positiv ausgewirkt haben. Man könnte eine Reihe dieser Beispiele nennen. Mir scheint, daß es wichtig ist, bei der Abwägung der Sicherheit und der wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten der Technik einiges festzuhalten. Primitive Arbeitsformen sind offenbar nicht von Gott gewollt, denn der technische Fortschritt hat in der Vergangenheit die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht immer ärmer gemacht. Der technische Fortschritt hat keine Massenarbeitslosigkeit und keine Verelendung breiter Bevölkerungskreise gebracht, wie das teilweise befürchtet worden ist. Im Gegenteil, der technische Fortschritt hat schließlich — bei den Errungenschaften der modernen Medizin beginnend, über vollautomatische Heizungsanlagen, Autos, Urlaubsreisen, Bildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten bis hin zur fast allgegenwärtigen Elektrizität — eine Fülle von Erleichterungen und Chancen zur Erhaltung und zur Entfaltung des Menschen gebracht. Ich meine, daß wir hier Entwicklungen haben, die aus unserem Leben gar nicht mehr wegzudenken sind; darüber gibt es wahrscheinlich keine Meinungsverschiedenheiten.Das, worüber wir sprechen müssen — und zwar vor allem im Rahmen dieser Debatte —, ist die Frage der Sicherheit. Niemand kann behaupten und niemand wird behaupten, der technische Fortschritt gehe immer und automatisch mit einer absoluten Sicherheitsgarantie einher. Störfälle gebe es nicht, und ein jedes Restrisiko könne ausgeschlossen werden; allerdings gilt, daß mit mehr Technik jeweils auch neue Sicherheitstechniken erfunden werden.Wenn wir als Politiker diese Frage beantworten wollen, stehen wir vor dem Problem, daß wir nicht alle Kernphysiker, daß wir nicht alle Chemiker, daß wir nicht alle Techniker werden können. Wir sind gezwungen, uns der Fachleute zu bedienen, Experten zu befragen, die in die jeweilige Problematik eingestiegen sind, die das Für und Wider prüfen und schließlich auf Grund der Analyse der Möglichkeiten und der Risiken zu einer Empfehlung gelangen. Auf Grund einer Vielzahl solcher — möglichst konkurrierenden — Empfehlungen muß dann eine Entscheidung gefällt werden, aber dies, das notwendige Feld der Entscheidung, ist eine Aufgabe der Politik. Es ist — und dies sage ich besonders an die Adresse
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Schwarzder Regierungsparteien, weil sie noch die Mehrheit haben — eine Aufgabe insbesondere derjenigen, die in diesem Lande jeweils Verantwortung tragen. Und da hilft auch nicht der Auftrag für das tausendste Expertengutachten, für das ich mich eben ausgesprochen habe. Weder Sie noch wir werden an der politischen Verantwortung vorbeikommen, eine Entscheidung zu fällen. So ist es bei der Kernenergie, um die es hier vordringlich geht, so ist es bei den Kraftwerken und in allen anderen Bereichen der Technik. Auch hier stellt sich die Frage: Wie sieht es mit unseren Erkenntnismöglichkeiten aus? Wie gefährlich ist die Kernenergie? Welche Sicherheitsnotwendigkeiten gibt es hier? Wir fördern und begrüßen die Produktion, den Verkauf und den Betrieb von Kraftfahrzeugen und benutzen sie fast ganz selbstverständlich, obwohl dadurch jährlich 16 000 Menschen allein in der Bundesrepublik Deutschland zu Tode kommen. Der Kollege Spies von Büllesheim hat auf den Talsperrenbau und andere Möglichkeiten hingewiesen. Dies alles tun wir. Warum tun wir das? Offensichtlich deshalb, weil unter uns ein Konsens darüber besteht, daß trotz des mit der Technik einhergehenden Risikos diese Folgen der technischen Entwicklung und des technischen Fortschritts in Kauf zu nehmen sind.Wenn wir heute über die Probleme Energiebedarf und friedliche Nutzung der Kernenergie diskutieren, stellt sich natürlich auch in meiner Fraktion die Frage, ob die Notwendigkeit, Energie aus Kernbrennstoffen zu gewinnen, und der Bau entsprechender Kraftwerke die Arbeitsplatzsicherheit und die Sicherheit der Bevölkerung gefährden. Das ist bei dieser Debatte hier die Gretchenfrage.Da bleiben Fragen offen. Mein Kollege Gerlach hat sie konkret in der Debatte über den Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vorgetragen. Auch heute sind noch nicht alle Fragen abschließend beantwortet, obgleich die Bundesregierung aus ihrer Sicht sehr präzise und zum Teil sehr absolut die Sicherheit unserer Kernanlagen als gegeben dargestellt hat. Ich beziehe mich dabei besonders auf die Antworten auf die Fragen nach der Entsorgung und nach der radioaktiven Belastung durch kerntechnische Anlagen sowie auf die Fragen nach der Sicherheit der kerntechnischen Anlagen überhaupt.In der Drucksache 8/569 heißt es dazu -- ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren —, daß der Errichtung und dem Betrieb von kerntechnischen Anlagen nur zugestimmt wird, wenn u. a. die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden getroffen und damit der Schutz der Bevölkerung gewährleistet ist. Ebenso nehmen wir mit Interesse zur Kenntnis, daß die Bundesregierung in der Drucksache 8/570 davon ausgeht, daß — ich darf wieder zitieren — der Schutz der Umwelt und der Bevölkerung vor Belastungen, die mit der Energieversorgung im Zusammenhang stehen, durch die an dieser Stelle im einzelnen aufgezählten Gesetze und die zu diesen Gesetzen ergangenen Verordnungen und allgemeinen Verwaltungsanweisungen gewährleistet ist. Diese Formulierungen sind sehr bestimmt. Ich unter-stelle: Nur wenn wir von diesen Sicherheitskriterien ausgehen, können wir zur Kernenergie ja sagen.Mit den Antworten der Bundesregierung auf die Großen Anfragen ist die Haltung des Deutschen Bundestags vom Mai 1976 nachdrücklich bestätigt worden. Damals hat sich das Parlament einmütig dafür ausgesprochen, für die Stromversorgung einen höheren Anteil der Kernenergie vorzusehen. Ich frage vor allem die Damen und Herren der Regierungsparteien und die Mitglieder der Bundesregierung: Was hat sich eigentlich seit Mai 1976 ereignet? Hat es umwälzende neue technische Erkenntnisse gegeben, die den Bau von Kernkraftwerken weniger sicher als noch vor einem Jahr erscheinen lassen? Wenn ich die Antwort vom 8. Juni richtig verstehe, nicht.Hier stellt sich die brennende Frage: Wenn Kernkraftwerke so sicher sind, wie die Bundesregierung in ihren Antworten darlegt, warum müssen wir dann einen so gravierenden Widerspruch zwischen der Antwort der Bundesregierung und den Äußerungen prominenter Repräsentanten aus SPD und FDP feststellen?
Diese bestimmten Gruppen lassen keine Gelegenheit aus, um die auch bei uns vorhandenen Restfragen zur Sicherheit in einer offensichtlich im Widerspruch zur Antwort der Bundesregierung stehenden Form in der Öffentlichkeit nach Kräften zu dramatisieren. Ich verkenne nicht, daß bei der Kernenergie mehr Unbehagen ist als bei anderen technologischen Entwicklungen. Der Kollege Spies von Büllesheim hat auf die Atombombe von Hiroshima hingewiesen, und viele von uns entsinnen sich noch des Atompilzes bei den Atombombenversuchen. Für uns bleibt die Frage, wenn wir Energie aus all den Gründen, die vorher hier genannt worden sind, brauchen: Ist unsere Forschung, ist unsere Technologie, ist unsere wissenschaftliche Erkenntnis heute so weit, daß wir von einem Risiko reden können, das nicht höher ist, ja, das niedriger sein muß, als in anderen Bereichen unserer hochtechnisierten Welt? Die Bundesregierung sagt uns, das Risiko sei geringer als in anderen Bereichen. Wenn ich dieser Theorie folge und die Ansprüche an die Sicherheit und die an die Kernenergieanlagen in der Bundesrepublik nach Auskunft der Bundesregierung höher liegen als in allen anderen Staaten, in denen Kernenergie genutzt wird, können wir bereit sein und uns darauf verlassen, und dann können wir — typische Unfälle in diesem Bereich sind bisher nicht bekannt — mit den jetzt bekannten Reaktoren leben.Von daher komme ich zu einem wichtigen Element des Umweltschutzes, nämlich der Verpflichtung der politisch Handelnden, das, was sie rational als richtig erkennen, auch politisch zu vertreten.
Da stellen wir die Fragen an die Bundesregierung: Wenn die Kernenergie eine notwendige Energie ist, um unseren Lebensstandard, um unsere Arbeitsplätze zu sichern, um den technologischen Fortschritt zu gewährleisten, um unseren Außenhandel mit Kernkraftwerken aufrechtzuerhalten, dann müs-
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Schwarzsen wir doch davon ausgehen, daß die bei uns gebauten Anlagen einen solchen technischen Sicherheitsstandard haben, daß wir sie anderen zumuten können. Wenn sie diesen Stand nicht haben, dürfen wir Kernkraftwerke bei uns nicht bauen und anderen nicht verkaufen. Da möchte ich von der Bundesregierung wissen, warum sie Zweifel auf der einen Seite beseitigt — da kommen dann die Vokabeln: es ist ein kleines Risiko, es ist gar kein Risiko, es ist Sicherheit gewährleistet — und dann in Beantwortung anderer Fragen immer noch so tut, als ob es doch noch Zweifel gäbe. Denn wie anders soll ich die Worte vom „maßvollen und stetigen Ausbau der Kernenergie in der Bundesrepublik" verstehen? Oder wie soll ich die Ausführungen des Kollegen Schmidt von heute vormittag verstehen, der sich erst eine Dreiviertelstunde über die Notwendigkeit der Sicherheit der Kernkraftwerke verbreitet, um anschließend davon zu reden, daß wir so wenig Kernkraftwerke wie irgend möglich bauen dürfen? Nicht anders hat sich der Kollege Laermann von der FDP verhalten. Auch er preist ausdrücklich die Möglichkeiten, die uns die Kernenergie bietet, um in den letzten fünf Minuten seiner Rede wieder alles in Zweifel zu ziehen und seine eigenen Ausführungen zu relativieren.
Meine Damen und Herren, wenn dies die klare Position der Regierungsparteien zu dieser Frage ist, dann haben sie in dieser Energiedebatte einen negativen Beitrag geleistet.
Meint die Bundesregierung, daß noch Restfragen und Restrisiken in nicht vertretbarem Ausmaß bleiben, dann hätte sie dies aussprechen müssen. Oder meint die Bundesregierung dies nur im Vergleich zu anderen Energiequellen, im Vergleich zur Kohle oder zu neu zu entwickelnden Energien? Hier vermittelt die Regierung leider sowohl in dieser Antwort als noch mehr bei den öffentlichen Veranstaltungen der sie tragenden Parteien ein höchst diffuses Bild.Mein Kollege Riesenhuber hat in seinem Beitrag auf einige konkrete Fälle hingewiesen, und heute sind sie in dieser Debatte wieder genannt worden. Der Herr Bundeskanzler sagt, wir brauchen eine Entsorgungsanlage in Niedersachsen. Die niedersächsische Landesregierung schlägt Gorleben vor. Der Bundeskanzler sagt: Das paßt mir nicht. Er sagt aber nicht, was ihm nicht paßt, warum es ihm nicht paßt. Ist eine solche Anlage sicher, oder ist sie unsicher? Ist es die Unsicherheit, warum ihm die Anlage nicht paßt? Wenn sie aber sicher ist, spielt es dann eine Rolle, ob sie fünf oder zwanzig Kilometer von der Grenze der DDR entfernt gebaut wird? Dies alles trägt nicht dazu bei, die Zweifel gutwilliger und besonnener Bürger zu beseitigen: Das schafft im Gegenteil mehr Unsicherheit in der Bürgerschaft.Die Bundesregierung schiebt auch in einem Teil ihrer Antworten die Verantwortung auf die Landesregierungen. Wir haben heute hier ebenfalls einen Beitrag dazu gehört, daß die bösen Landesregierungen daran schuld seien. Meine Damen und Herren, in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein sind I Kernkraftwerke ohne irgendwelche Schwierigkeiten gebaut worden, als die Bundesregierung von den Unionsparteien gestellt wurde. Für den Bau von Kernkraftwerken hat jeder seine Verantwortung. Da hat die Bundesregierung die Verantwortung in ihrem Bereich. Da hat die Industrie in ihrem Bereich ihre Verantwortung beim Bau sicherer Kernkraftwerke. Da haben die Landesregierungen ihre Verantwortung bei der Festlegung der Standorte. Da haben aber auch die Landesparlamente ihre Verantwortung, indem sie die Entscheidungen der Landesregierung tragen. Im Landtag von Schleswig-Holstein darf dann nicht anders geredet werden als heute in der Debatte des Deutschen Bundestages.
Hier liegt die entscheidende Frage, die nicht beantwortet ist.Meine Damen und Herren, wenn Kernkraftwerke sicher sind, dann verstehe ich manche dieser Fragen, die offengeblieben sind, nicht. Wenn Kernkraftwerke nicht sicher sind, dann dürfen wir trotz aller Energielücken keine Kernkraftwerke bauen. Diese Frage, meine Damen und Herren, ist von Ihnen auch in dieser Debatte nicht beantwortet worden. Hier ist die Bundesregierung in ihrer schriftlichen Antwort nichts schuldig geblieben. Wir möchten nur, daß die Bundesregierung und die Sprecher der Koalitionsparteien auch in den Reden hier keine Antwort schuldig bleiben und nicht wieder relativieren, was uns dort schwarz auf weiß gesagt worden ist.Vor Ort, draußen wo Kernkraftwerke gebaut werden, muß mit der gleichen Zunge geredet werden, wie hier geredet wird. Es darf nicht hier für das Parlament und draußen für die Bürger geredet werden. Diese Kapitulation vor der öffentlichen Meinung, diese Schwäche, diese Nichtführungsbereitschaft der Politiker ist eine der entscheidenden Ursachen für Unsicherheit und Fehler in der Energiepolitik.
Deshalb, meine ich, daß wir bei dem, was von Bürgern zu der Frage gesagt wird, zu unterscheiden haben. Der Kollege Gruhl hat hier seine sorgenvolle Meinung vorgetragen. Sie wird von mir nicht geteilt, aber von einer großen Anzahl von Bürgern, die sich aus großer Sorge um sich selbst und die Umwelt zu Bürgerinitiativen bekennen. Es besteht kein Zweifel, daß wir in den Bürgerinitiativen sehr viele Personen haben, die sich leichtfertig und oberflächlich daran beteiligen. Mit diesen müssen wir reden, und dort müssen wir aufklären. Es besteht aber auch kein Zweifel daran, daß es unter Bürgerinitiativen Gruppen gibt, die Kernenergie sagen und den Staat meinen. Zum Teil sind es die gleichen, die mit „Ami go home" und Vietnam begannen, die heute bei der Kernenergie landen.Das ist eine Herausforderung auch an die Bundesregierung. Diese Herausforderung muß die Bundesregierung annehmen. Sie muß die Diskussion mit ihnen führen und ganz klar ihre Position deutlich machen, um von dorther zwischen radikalen
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Schwarz1 extremistischen und sorgenvollen Bürgerinitiativen sortieren können. Diese Aufgabe zu lösen gehört zum Umweltschutz.Lassen Sie mich eines sagen: Wenn ich so vor mir den Pkw mit der Juso-Rose und mit einer lachenden Sonne mit der Aufschrift „Kernenergie, danke nein" sehe, dann weiß ich, von welcher Seite mit Emotionen gegen die Kernenergie gearbeitet wird. Hier muß das Rationale Platz greifen.
Wer hat recht, die Bundesregierung, die uns hiersehr präzise Antworten gegeben hat, oder andere?Wir von der Opposition wollen den Umweltschutz. Wir wissen, daß wir alle miteinander in der Vergangenheit manche Sünde begangen haben. Hier am Hohen Hause vorbei fließt der Rhein, „Kloake Europas" genannt. Viele waren der Meinung, er kippe um. Wir wissen heute, daß er nicht umgekippt ist, daß wir technologische Möglichkeiten gefunden haben, Besserungen eintreten zu lassen.In der Technik liegen Fluch und Segen eng beieinander. Wir müssen unsere Techniken und Technologien nützen, nicht um den Planeten zu räubern, sondern um uns die Erde untertan zu machen, ein uns sehr gut anstehendes Gebot. Wir wollen die Sicherheit vor Gefahren der Technik. Wir wollen auch Sicherheit unserer Arbeitsplätze heute, auch im Bereich der Kernenergie. Da hilft es Ihnen von Regierung und Koalitionsparteien gar nichts, wenn Sie sagen: Wir machen weiter. Dabei kann dort und dort und dort doch nicht weitergebaut werden. Die Zulieferbetriebe haben dann keine Chance und keinen Arbeitsplatz mehr. Hier reden Sie nicht offen und nicht ehrlich. Auf der einen Seite gibt es de facto das Moratorium, aber auf der anderen Seite in dieser Sparte Arbeitslose. Das ist Ihre Verantwortung, meine Damen und Herren;
Da können Sie die Opposition nicht mit hinzunehmen.In diesem Zusammenhang gehen wir davon aus, daß wir die Technik nutzbar machen können. Deshalb verstehe ich nicht, daß Sie von diesem Papier als von konzeptionslos reden. Bedauern Sie eigentlich, daß wir nicht ein Alternativprogramm im Sinne von Kontrastprogramm vorgelegt haben? Tut es Ihnen eigentlich leid, daß diese Opposition in den Grundfragen der Kernenergie mit Ihnen einer Meinung ist? Warum nehmen Sie das Angebot, Herr Bundesminister Matthöfer, nicht an, das in diesem Papier vorgelegt wird?Meine Damen und Herren, werden Sie in der Frage der Sicherheit bereit sein, unsere These mit zu unterstützen? Diese These lautet: Angesichts der bisher geleisteten umfassenden Risikovorsorge ist zu fordern, daß einem weiteren notwendigen Ausbau der Kernenergie nichts mehr in den Weg gestellt wird, um nachteilige Folgen für die zukünftige Energieversorgung zu vermeiden.Meine Damen und Herren von der Regierung. Hier erhalten Sie eine hervorragende Unterstützung seitens der Opposition. Ist es Ihnen unangenehm, daß wir Ihnen ein Kompliment machen, weil Sie große Vorsorge getroffen haben, Risiken auszuschalten? Brauchen Sie das nicht, weil Sie auf Ihren Rändern mit dieser Entscheidung Arger kriegen? Ich verstehe nicht, warum Sie dieses Angebot der Opposition nicht annehmen und hier nicht zumindest ein paar gute Worte für dieses Papier finden, wenn Sie in der Arroganz der Macht schon nicht mehr daran finden können.Meine Damen und Herren, nicht die sind die Progressiven, die blind dem technischen Fortschritt mißtrauen, und nicht die sind die Progressiven, die in blindem Fortschrittsglauben alles für technisch möglich halten. Wir glauben, daß wir die Technik für unsere Zukunft nutzbar machen sollten. Wir halten den Ausbau der Technik für möglich, wenn man heute schrittweise das tut, was man heute tun muß, um, wie es in unserem Entschließungsantrag heißt, mit neuer Forschung, neuen Technologien bessere zu finden, um die Zukunft unserer Gesellschaft zu sichern.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat Herr Abgeordneter Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die letzten Beiträge haben mich davon überzeugt, daß wir uns wieder in der Energie- und Kernenergiedebatte befinden und nicht in der Haushaltsdebatte. Ich hatte eine Zeitlang den Eindruck, daß wir die Debatte der nächsten Woche vorweggenommen hätten.Die heutige Diskussion hat dazu beigetragen, aus dem „closed shop" der sich widerstreitenden Experten- und Spezialistenmeinungen herauszuführen und die Vor- und Nachteile der Energie und der Kernenergie öffentlich zu behandeln.Die Antwort der Bundesregierung macht deutlich, daß die friedliche Nutzung der Kernenergie kein isoliertes technisches Problem ist, sondern ein Gesamtkomplex technologischer, wirtschaftlicher, sozialer, ordnungspolitischer und ökologischer Probleme.In diesem Zusammenhang begrüßt meine Fraktion, daß die Energiebedarfsprognose der Regierung kein festgeschriebener Wert, keine stichtagbezogene Zahlenaussage und damit kein Expertenplan, sondern eine Tendenzaussage, ein Orientierungsrahmen ist. Die Bundesregierung hat zugesagt, daß sie die Beiträge, die sich aus der politisch-parlamentarischen Debatte hierzu ergeben — dazu zählen besonders auch diese Beiträge heute —, bei der zweiten Fortschreibung des Energie stufenprogramms berücksichtigt. Dies gilt natürlich auch für die Grundlinien und für die Eckwerte.Wie wir den Orientierungsrahmen aber auch immer bewerten mögen, auf den grundsätzlichen Einsatz von Kernenergie können und werden wir
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Wolfgramm
nicht verzichten. Aber dazu müssen wir die Risiken genau kennen, und deren gibt es noch viele. Das ist keine Dramatisierung, Herr Kollege Schwarz.Wir unterstreichen die Antwort der Bundesregierung, in der ausgeführt wird, daß die deutschen Sicherheitsstandards im internationalen Vergleich an der Spitze liegen und z. B. zehnmal höher als in den Vereinigten Staaten sind; aber damit allein sind die Risikofragen noch nicht gelöst. Ist das technisch bereits Erreichte sicher genug?1955 nach der Genfer Atomkonferenz hat uns wohl alle die Euphorie erfaßt, die Kernenergie sei eine optimal sichere Energiequelle, es sei eine absolut umweltschutzfreundliche Energiequelle, die Probleme, die sie biete, würden in aller Kürze vollständig gelöst. So war es damals von den Wissenschaftlern zu hören. Wir haben es gern aufgenommen.In diesem Zusammenhang sehe ich die Diskussion über die Kernfusion vor mir, die im Augenblick eine ähnliche Position einnimmt. Wir alle glauben, daß die Kernfusion im Jahre 2000 oder etwas später die in Zukunft mögliche optimale Energiequelle sein wird. Sie ist sauber, sie wird ohne große Probleme sein, so wird es gesagt. Ich warne bereits jetzt davor. Was sich dort abzeichnet, wird uns in Probleme stürzen, und wir werden uns ähnlich wie bei der Kernenergie mit einer oder mehreren Kernfusionsdebatten zu befassen haben, und wir werden dann eine Fülle von Problemen feststellen.Die Risiken der Kernenergie sind zahlreich. Sie betreffen die innere Sicherheit und den Schutz der Anlagen vor Terroristen. Ich brauche nicht auf die Debatten in der jüngsten Vergangenheit hinzuweisen. Seit 1966 hat es 21 Anschläge durch Terroristen auf Kernkraftwerke gegeben. Wir werden uns in diesem Bereich, wenn wir die Kernkraft ausdehnen, erheblich mehr Schutz durch Polizei und Maschinenwaffen als bisher vorstellen müssen.Wir werden darauf achten müssen, daß der Schutz der zivilen Atomanlagen nicht zu einer Beeinträchtigung der Freiheit der Bürger führt. Das Wort vom Atomstaat ist hier sicher überzogen, aber er ist eine tatsächliche Gefahr.Das Problem des Transportes von radioaktivem Abfall ist zu nennen. Ab 1985 werden etwa 10 000 Kubikmeter leicht- und mittelradioaktiver Abfall und 150 Kubikmeter hochradioaktiver Abfall anfallen. Auch hier werden die Probleme kumulieren.Bei der Kriegsgefahr haben wir die Position, daß es noch keine internationale Konvention gibt, die wenigstens einen bedingten Schutz bieten würde.Die Probleme des Wartungspersonals werden erheblich zunehmen; es werden Fachleute und hochqualifizierte Techniker gebraucht. Man rechnet mit etwa 10 000 bis 20 000 Technikern in diesem Bereich bis zum Jahre 1990, die durch die Herabsetzung der Gefährdung und durch unsere Umweltschutzpolitik in einem stärkeren und häufigeren Maß auszuwechseln sein werden; denn wir haben die Strahlenschutzdosis auf 5 rem herabgesetzt. Wir werden also zu mehr betriebsfremdem Personal kommen, und auch hier liegen die Risiken der Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen auf der Hand, die ineinem Kernkraftwerk, selbst wenn sie sich in einem konventionellen Bereich abspielen, erheblich schwieriger und erheblich kritischer zu bewerten sind und dabei die menschliche Unzulänglichkeit nur unzulänglich berücksichtigen können.Schließlich entstehen die Probleme der Stillegung, mit deren Regelung wir zwar bereits in der vierten Atomnovelle begonnen haben, bei denen wir bis jetzt noch keine technische Durchführung haben. Es werden jetzt zwei Systeme erprobt, aber auch das ist ein Problem, das wir noch tatsächlich lösen müssen.Die Umweltbelastung durch Wärmebelastung ist von dem Kollegen Laermann schon dargestellt worden. Aber auch die spezifische Gefahr der Radioaktivität ist nicht aus der Welt geräumt. Es liegen noch keine genauen Ergebnisse über Jahre hinweg darüber vor, welche Schädigung auch bei kleinen Strahlendosen durch die bei der Kernenergie frei werdenden strahlenden Bakterienteilchen, die sich ins Gewebe einlagern und dort wichtige Organe dauernd bestrahlen, entsteht, im Gegensatz zu der natürlichen Strahlenbelastung, die bis zu 80 % aus materieloser Strahlung besteht. — Sie schütteln den Kopf, aber das sind tatsächlich Probleme und Risiken, die ich nicht so einfach abqualifizieren möchte.Die besonderen Probleme der Entsorgung und Wiederaufbereitung stehen an. Herr Kollege Schwarz, ich meine, wir sollten das Problem Gorleben in sachlicher Weise behandeln. Sie wissen genauso wie ich, welche Probleme dort anstehen und daß die Bundesregierung den Vorschlag gemacht hat, gleich an mehreren Stellen Bohrungen vorzunehmen. Denn wir wissen ja nicht, ob Gorleben nun tatsächlich der geeignete Standort ist. Das erfahren wir ja erst nach den Probebohrungen. Ich bin der Meinung, es wäre sicher richtiger und sinnvoller gewesen, man hätte gleich mehrere Bohrungen an geeigneten und zur Verfügung stehenden Stellen vorgenommen.
— Herr Kollege Schwarz, das ist, glaube ich, die Position, in der man das behandeln sollte. Sie wissen selbst, welche Widerstände dort von wem ausgegangen sind.Der Ausbau der Kernenergie bedeutet also mehr Risiken. Es bleiben Zweifel, Herr Schwarz. Sie sind auch nicht durch ein „ohne Wenn und Aber" auszuräumen. Deshalb ist für uns der Einsatz von Nuklearenergie auf ein absolutes Mindestmaß zu beschränken.Aber die Alternativen, die wir heute diskutiert haben — speziell die Kohle —, sind auch nicht ohne Gefahren.
Das SO2 führt zu ständigen Schädigungen der Bevölkerung. Bei entsprechendem Zuwachs entsteht natürlich auch hier eine Kumulation. Wir fordern deswegen, daß belastete Räume entlastet werden. Das Instrumentarium dazu sollten die Luftreinhaltungspläne sein, von denen Köln bereits einen vorgelegt hat. Zwei weitere werden erstellt, aber es
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Wolfgramm
fehlt eben noch eine ganze Anzahl. Wir fordern hier alle diejenigen, die mit der Erstellung dieser Luftreinhaltungspläne befaßt sind, auf, sie so rasch wie möglich vorzulegen.Wir begrüßen die Antwort der Bundesregierung, daß inzwischen auch bei uns die gleichen technischen Voraussetzungen wie z. B. in Japan — dort gibt es die technischen Möglichkeiten, 100 % Rauchgas zu erfassen und 90 bis 95 % davon zu reinigen — vorliegen, daß also auch bei uns der entsprechende Stand der Technik vorhanden ist. Wir fordern die Wirtschaft auf, danach zu handeln, diese Möglichkeiten auszuschöpfen bei den Zubauten, aber auch bei den alten Kohlekraftwerken, um so möglicherweise auch in bereits belasteten Gebieten zusätzliche Standorte schaffen zu können. Somit muß sichergestellt sein, daß die Emissionen von Kohlekraftwerken durch Anwendung des letzten Standes der Technik unverzüglich reduziert werden.Herr Kollege Narjes — ich glaube, er ist nicht mehr im Raume; ich bedaure das — hat heute vormittag dem Bundesinnenminister ein Kohlemoratorium vorgeworfen. Ich meine, das Beharren auf den Normen des Umweltschutzes ist geboten. Es ist richtig, auf ihnen zu beharren, auch auf Gesetzen, die den einen oder anderen möglicherweise stärker treffen, als er es vermutet hat. Eigentlich ist dieser als Vorwurf gemeinte Redebeitrag des Kollegen Narjes ein Ehrentitel für einen Umweltminister, der seine Pflicht ernst nimmt.
Wir bitten die Bundesregierung, im Zusammenhang mit der Beantwortung der Großen Anfrage, folgende Punkte besonders zu berücksichtigen.Erstens soll die Bundesregierung jährlich einen Bericht über die Situation im nuklearen Bereich, in den Kernkraftanlagen vorlegen und dabei auch die Fortschritte hinsichtlich der Sicherheit der Anlagen, die Uranversorgung und die Entwicklung in der übrigen Welt darstellen.Zweitens bitten wir um die baldige Vorlage der Umsetzung der Rasmussen-Studie auf deutsche Verhältnisse. Wir halten das für unabdingbar. Sie ist in Arbeit, aber sie muß bald kommen; denn sie bildet eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Fortsetzung der Entwicklung der Kernenergie. Daß die Vereinigten Staaten von Amerika auf Grund ihrer weiten Flächen hier eine andere Position haben, ist unbestritten und ist vorhin auch schon Gegenstand eines Beitrags gewesen.Drittens bitten wir um einen Bericht über die Prüfung der Einrichtung und Betreibung von unterirdischen Kernkraftwerken.Wir als Freie Demokraten begrüßen es ganz nachdrücklich, daß die Regierung im Rahmen der 5. Atomnovelle die Verbandsklage für die atomrechtlichen Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke und entsprechende Anlagen nach § 7 des Atomgesetzes einführen wird. Herr Kollege Spies von Büllesheim, wir sehen hier ein echtes Stück Bürgerbeteiligung, und wir halten daran fest.Wir meinen, daß Bürgerbeteiligung auch bereits bei den raumordnerischen Planungen zur Standortvorsorge erfolgen sollte und daß über die Standortplanung endgültig und letztlich von den Landesparlamenten entschieden werden sollte, um auch hier deutlich zu machen, wo die Verantwortung liegt und daß der Gesetzgeber sie sich nicht nehmen läßt und sie nicht von anderen ausüben läßt.Wir möchten gerne, daß die Kontakte im grenzüberschreitenden Bereich stärker gepflegt und zu einem Abschluß geführt werden, der Sorge dafür trägt, daß Sicherheitsstandards vereinbart werden und daß eine Abstimmung der Planung endgültig und tatsächlich erfolgt.Wir möchten letztlich, daß alle Gutachten bei Teilgenehmigungsverfahren und bei Betriebsgenehmigungen und ebenso die TÜV-Wartungsberichte sowie die Unfallberichte öffentlich gemacht werden, um deutlich zu machen, daß wir unsere Probleme vor dem Bürger nicht verheimlichen oder verharmlosen, und um auch deutlich zu machen, daß in vielen Bereichen Mißtrauen nicht geboten ist. Auf diese Weise können wir mögliches Mißtrauen abbauen.Proteste sind nicht durch den Einsatz von Polizei auflösbar. Bürgerinitiativen bestehen nicht nur aus Extremisten, sondern sie bestehen aus Mitgliedern aller gesellschaftlichen Gruppen. Ihnen gehören auch Mitglieder der Oppositionsfraktion an. Ich meine, daß wir die Bedenken von besorgten und betroffenen Bürgern ernst nehmen müssen. Wir müssen die Diskussion offen führen, und wir müssen sagen, welche Risiken den Bürger erwarten. Wir müssen ihm aber auch sagen, welche Schwierigkeiten in der 1 Rohstoffversorgung anstehen und welche Probleme die Alternativenergieträger aufwerfen. Wir müssen an den Bürger appellieren, daß es mit in seiner eigenen Verantwortung liegt, in welchem Maße der Energieverbrauch in der Bundesrepublik steigt, und daß sein Konsumverhalten die Risiken der Zukunft mitbestimmt. Wir Liberalen wollen den mündigen und kritischen Bürger. Wir wollen, daß sich dieser Bürger umfassend informiert und seine Meinung bilden kann. Wir werden seine Einwände und Bedenken ernst nehmen. Wir werden aber die Entscheidung im Parlament treffen und sie nicht delegieren. Koalition und Regierungsfraktionen werden in Verantwortung und Abwägung handeln und entscheiden.
Das Wort
hat der Herr Abgeordnete Gerlach.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte hat sicherlich ein sehr breites Spektrum. Gegen Ende der Debatte muß ich mein Bedauern darüber aussprechen, daß zwei Problemkreise dennoch zu kurz gekommen sind. Der erste ist der der künftigen Entwicklung der Technologie. Vorhin ist auch von einem Bundesminister bedauert worden, daß dieses Problem zu kurz gekommen ist. Er hat beispielsweise lebhaft gefordert, daß die Problematik der Schnellen Brüter hier einmal dis-
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Gerlach
kutiert werden sollte. Was ich noch mehr bedaure, ist, daß die Sicherheitsfragen, die sich im Zusammenhang mit der Kernenergie stellen, hier zwar immer wieder allgemein angesprochen, aber doch nicht ins Konkrete hinein vertieft worden sind. Der Kollege Wolfgramm hat, wenn er persönlich auch sehr zurückhaltend war, in seinem Beitrag eben, wie ich glaube, einige Hinweise und Fingerzeige darauf gegeben, wo hier noch Probleme stecken und wo wir auch in den Antworten auf die beiden Großen Anfragen keine echten Antworten bekommen haben.Es wurde hier heute viel über die Mentalität der Bürger draußen diskutiert, über ihre Sorge, über die Unruhe, die durch Atombombenexplosionen hervorgerufen worden ist, also durch die Tatsache, daß der Mensch das, was der Schöpfer und er aufgebaut haben, in Sekundenschnelle zerstören kann. Ich glaube, es lebt im Menschen einfach auch eine Urangst, wenn er von Atomen hört und wenn er über sie nachdenkt.Deswegen ist der Vergleich mit der bisherigen Entwicklung in der Technologie in diesem Zusammenhang auch sehr kritisch zu sehen. Bisher konnte man in der Technologie die Dinge überblicken. Man konnte messen, wägen. Wenn man sich in Gefahr begab, war es eine persönliche Initiative. Wer in den Verkehr geht, der weiß, daß er dort einen Unfall erleben kann. Aber im Raume der Atomenergie kommt eine Gefahr auf ihn zu, ohne daß er dabei persönlich agiert. Das ist nun einmal die Situation. Das ist die geistige Umweltatmosphäre, wenn Sie so wollen, von der sich der Bürger draußen betroffen fühlt.Ich meine, unter diesem Gesichtspunkt sind einige bohrende Fragen dort zu stellen, wo wir einfach vom Sicherheitsrisiko her noch Fragen haben. Es hat meines Erachtens überhaupt keinen Sinn, über die Probleme mit leichter Hand hinwegzugehen oder nur zu sagen: Wir beachten ja, daß das alles möglichst sicher wird. Es genügt nicht, auf den Rasmussen-Bericht hinzuweisen. Es genügt nicht, nur auf die Relation der Unfälle von 1 zu 17 000, oder wie die Relation auch immer heißen mag, hinzuweisen. Herr Kollege Wolfram deutete an, dieser Rasmussen-Bericht solle einmal auf die Verhältnisse in unserem Land mit der dichten Besiedlung umgesetzt werden. Darauf warten wir. Der hätte schon längst erstellt sein können. Wäre er schon längst erstellt, hätten wir uns einige Sorgen auch in der Diskussion draußen, auch mit den Umweltschutzverbänden ersparen können.Es wurde heute morgen von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister beklagt, daß wir von der Beurteilung durch andere abhängig seien, beispielsweise der Gerichte. Das ist richtig. Aber ich muß die Bundesregierung fragen: Warum sind wir denn abhängig von der Beurteilung durch andere? Warum haben wir es hier im Parlament nicht mehr im Griff? Wir haben es nicht mehr im Griff, weil lange versprochene Ausführungen und Forderungen dieses Parlaments einfach nicht auf den Tisch gelegt werden. Es ist, glaube ich, schon bei der Debatte zur 3. Atomnovelle einiges gefordert worden, bei der 4. wieder. Einiges ist erfüllt. Kollege Schwarz hat darauf hingewiesen.Aber wesentliche Bestandteile sind eben nicht erfüllt worden, beispielsweise die Frage des Versorgungsparkes. Sicher ist, daß auch hier die Industrie lange Jahre gewartet hat, lange Jahre nicht energisch genug zugepackt hat. Lange Jahre hat die Energieindustrie gemeint, das mache die Chemieindustrie. So sind Jahre verzögert, heute müssen wir sagen, vergeudet worden. Das ist richtig. Aber die Bundesregierung hat eben doch auch lange Jahre gewußt, daß sie für die Endlagerung auf jeden Fall zuständig ist. Auch hier hat sie in diesen langen Jahren nichts getan. Jetzt kommen wir gerade in dieser Frage in ein schwieriges Dilemma. Schauen Sie doch einmal die Situation draußen an. Gehen Sie doch zu den Kernreaktoren. Erörtern Sie doch dort einmal die schwierigen Probleme der Zwischenlagerungen. Die Materialien fallen immer stärker an. Es entsteht das Problem, wo jetzt zwischengelagert werden soll. Es entsteht das Problem, wie diese Zwischenlager dann zu schützen sind. Es entsteht dann die Forderung, diese Zwischenlager auch in baulicher Hinsicht aufzustocken. Das ist in der Zwischenzeit in der Lagerkapazität auch längst getan worden.Es ist vorhin davon gesprochen worden, daß die Bundesregierung zur Aufklärung der Bevölkerung doch einiges getan habe. Das ist richtig. Ich muß aber feststellen, diese Latten von Aufklärungen sind nichts wert, wenn sie so gestaltet sind, daß man draußen einfach meinen muß, wir glaubten, wir hätten es draußen mit Leuten zu tun, die von der Sache gar nichts verstehen, oder man hätte es draußen mit Leuten zu tun, denen man einfach Behauptungen vorlegen müsse. Hier müssen Beweise kommen.Herr Bundesminister, wenn beispielsweise in einem konkreten Fall Erfahrungen hinausgetragen werden, daß die Zwischenlager erhöht werden — ich meine Hanau-Wolfgang, was ich persönlich erlebt habe —, und wenn dann in Ihrem Hause angefragt wird: „Wie ist denn das, sind hier Anträge gestellt?", dann bekommt man keine eindeutige Antwort. Da, wo Sie einmal die Chance gehabt hätten, ohne Millionenbeträge auszugeben, den Bürger ganz klar zu informieren, was vor sich geht, wie die Sicherheitsvorkehrungen sind, ob eine große Gefahr für die Bürger, die dort leben besteht, wenn dort mehr Plutonium gelagert wird, warum es keine Gefahr ist, aus welchen Gründen genehmigt werden könne — wenn Sie diese Chance einmal haben, dann versagen Sie sich diese Chance, geben allgemeine Antworten, als wenn nach einer Malzfabrik gefragt worden wäre oder, was weiß ich, nach irgendeiner Fabrikation. Mit diesen allgemeinen Antworten kann man eben draußen nichts anfangen.Was ist aus dieser Informationspolitik geworden? Da entnehme ich dem Aschaffenburger „Main-Echo" vom 13. Juni 1977: „Protest gegen Plutonium und heimliche Zuschüsse". Sie hatten vorher die Chance, das klarzulegen. Nachher kam dieser Artikel und die Aktivität der dortigen Bürgerinitiativen. Dort wird einfach behauptet, daß sich die Mengen von ursprünglich 50 kg auf 460 kg erhöht hätten und daß
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Gerlach
die Lagermenge im Endergebnis auf 5 000 kg erhöht werden solle. Das ist in den Raum gestellt worden. Das glauben auch die Bürger draußen. Hier wird von den Bürgerinitiativen zwar nur angefragt, aber schon in der Anfrage die Festlegung getroffen, daß das ungeheuer gefährlich sei.Dazu kommen Äußerungen, für die natürlich hier im Parlament niemand kann, aber für die Sie durch Ihre falsche Informationspolitik, Herr Bundesminister, geradezu Vorschub geleistet haben. Da kommen Äußerungen wie die des Akem-Geschäftsführers Dr. Stoll, was da gefordert werde, sei „Gehirn durch Beton" ersetzt bzw. es sei „Nuklear-Barock".Ich nehme diese Dinge sehr ernst. Wenn diese Äußerungen tatsächlich gefallen sind, ist das eine Verhöhnung der bisherigen Arbeit der Parlamentarier, auch eine Verhöhnung der Bundesregierung. Das ist ganz eindeutig. Aber wir müssen diese Fragen insbesondere heute in unserer parlamentarischen Debatte ernst nehmen, weil es eine Frage Ihrer Informationspolitik ist. Wir können uns nicht hierherstellen und einfach sagen: die Atomreaktoren bergen auch Gefahren in sich. Wir müssen konkret sagen: Gefahr 1, Gefahr 2, Gefahr 3, und wir haben die Gefahr 1 so gebändigt, wir haben die Gefahr 2 so gebändigt, und wir haben die Gefahr 3 so gebändigt.
Dann sprechen wir vom Restrisiko. Das hört sich so wunderbar an. Aber wir müssen den Menschen draußen sagen: Was ist denn dieses Restrisiko? Da darf es keine Heimlichkeiten geben. Wenn wir das dem Bürger draußen sagen, dann wird er auch, dessen bin ich sicher, aus sich heraus ein bestimmtes Sicherheitsgefühl bekommen; er wird spüren und merken, daß dieses Parlament und die Organe draußen, die für diese Dinge verantwortlich sind, nicht nur so dahinplaudern und vielleicht sogar leichtfertig vom Restrisiko sprechen. Er wird vielmehr verstehen und merken, daß diese Probleme ernstgenommen werden.Dann hört man in Vorträgen: Na ja, die Technik hat ja immer Gefahren in sich. Oder man hört: 14 000 bis 15 000 Tote im Verkehr, das sind in einigen zehn Jahren auch soundsoviel hunderttausend Tote. Damit wird angedeutet, mit wieviel Toten man natürlich rechnet, wenn im atomaren Bereich etwas Ernsthafteres passiert. Die Bürger draußen sind nicht so töricht, diesen Schluß nicht zu ziehen. Oder es wird in Vorträgen gesagt: Wir haben ja auch beispielsweise in Ägypten den Assuan-Damm gebaut, wenn der heute bricht, gibt es auch 500 000 bis 600 000 Tote. So können wir, meine ich, mit dem Bürger nicht umgehen.
Aber daß der Betreiber mit dem Bürger so umgeht,liegt mit in der Verantwortung dieser Regierung,weil sie nicht konkret sagt, wie sie die Dinge sieht.Wir haben ja in den letzten Jahren einige ganz markante Störfälle zu verzeichnen gehabt. Gut, die Betroffenen haben sie — Gott sei Dank — in den Griff bekommen. Wir haben dabei aber festgestellt, daß nicht nur menschliches Versagen, das wir auch künftig nicht ausschließen können, mit dem wir also immer rechnen müssen, sondern auch Materialschäden, Gewährleistungsschäden, Überwachungsfehler vorgelegen haben. Dazu muß doch etwas gesagt werden, Herr Bundesminister. Wie bekommen Sie das in den Griff? Wenn dann noch gleichzeitig registriert werden muß, daß die Überwachungsorgane, die diese Probleme bewältigen könnten, personell zu gering ausgestattet sind, müssen Sie eben bereit sein, das diesem Parlament zu sagen
— Moment, ich habe meinen Satz ja noch nicht beendet — und dann muß man auch bereit sein, das den Ländern zu sagen. Beide — Bund und Länder — sind personell nur mangelhaft ausgestattet. Deshalb muß das selbstverständlich auch den Ländern gesagt werden, weil die jetzigen Überwachungsorgane nicht in der Lage sind, ihren Überwachungspflichten ordnungsgemäß nachzukommen.Eine andere Problematik — sie ist heute auch nur stichwortartig angesprochen worden, sie ist aber sehr ernst zu nehmen —: Wir können positiv registrieren, daß die Betreiber ihre „Mannschaften" gut ausbilden. Ich glaube, da hat es in der Vergangenheit keine nennenswerte Kritik gegeben. Wir wissen aber, daß sie auch Fremdpersonal brauchen. Wir haben doch registrieren müssen, daß es bereits bei den bisherigen Störfällen mit dem Fremdpersonal sehr kritische Momente gab, daß Engpässe auftraten. Nun werden die Anlagen ja größer. Da stelle ich mir die Frage: Wenn heute wieder Störfälle auftreten, was geschieht dann? Wie wollen die Betreiber diese Probleme in den Griff bekommen? Wir haben, wie bereits erwähnt, gleichzeitig die Belastungswerte gesenkt; dem haben wir zugestimmt. Das war, glaube ich, eine notwendige Maßnahme. Aber beides zusammen erzwingt doch, daß wir im Hinblick auf das Fremdpersonal noch einiges tun müssen.
Wenn diese Problematik nicht gelöst wird, gibt es keine Genehmigung. Ja, er sagt sogar, daß dann eine erteilte Genehmigung zurückgenommen werde. Ich stimme dem zu. Aber dann müssen Sie, Herr Bundesminister, auch selbst rechtzeitig etwas dafür tun, damit wir diese Probleme in den Griff bekommen. Wenn es zu einer solchen Situation kommen sollte, dann wäre es bereits zu spät.Lassen Sie mich noch ein letztes Problem ansprechen, das uns vor dem Hintergrund der Ereignisse der letzten Zeit bedrücken muß. Dabei geht es um die Frage der Sicherung nach außen. Ich will nicht so sehr in die Materie eintreten. Es gibt ein altes Sprichwort, daß man schlafende Hunde nicht wekken soll. Daran will ich mich halten. Aber ich glaube, die bestehenden Schutzkonzeptionen müssen auf den neuesten Stand gebracht werden. Das ist unsere Forderung. Wenn das nicht erfolgt, werden wir die eventuell zu erwartenden Terrorfälle nicht in den Griff bekommen können. Wer mit der Situation vertraut ist, weiß, was ich sagen will.
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Gerlach
Ich möchte zum Abschluß feststellen: Diese Forderungen, die ich jetzt in Kürze vorgetragen habe, hat die Bundesregierung bis jetzt in keiner Weise erfüllt. Es sind Andeutungen, erste Schritte gemacht worden. Aber diese ersten Schritte sind bereits vor Jahren versprochen worden. Es muß endlich eine klare Konzeption erarbeitet werden; denn nur dann ist das, was wir auf dem Sektor der Atomreaktoren tun, nach menschlichem Ermessen wirklich ohne Risiko. Es muß vermieden werden, daß gerade die Konzeptionslosigkeit dieser Regierung zum größten Risikofaktor unserer friedlichen Nutzung der atomaren Energie wird.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wollte meine Rede eigentlich mit der Feststellung beginnen, daß sich auch hier im Parlament seit der letzten großen Energiedebatte des Bundestags am 26. Januar 1976 etwas geändert habe, geändert haben sollte, nämlich die Interessenlosigkeit des gesamten Parlaments an dieser für die Zukunft unseres Landes wichtigen Frage. Leider kann ich diese Behauptung hier nicht aufstellen. Trotzdem, meine Damen und Herren, ist festzuhalten, daß sich seit der letzten Debatte eine zunehmende Sensibilisierung, ein neues Energiebewußtsein in weiten Teilen unserer Bevölkerung entwickelt hat. Wichtige gesellschaftliche Gruppen in unserem Lande, z. B. die Kirchen, die Gewerkschaften,
beteiligen sich aktiv an der energiepolitischen Diskussion. Auch die politischen Parteien haben zwischenzeitlich die überragende Bedeutung energiepolitischer Entscheidungen erkannt, zumindest die sozialdemokratische und die freidemokratische Parten. Es ist unbestreitbares Verdienst der Bürgerinitiativen, durch ihren hartnäckigen Protest gegen Kernkraftwerke die Probleme der Energiepolitik, insbesondere der Kernenergie, ins öffentliche Bewußtsein gerückt zu haben. Dafür gebührt den Bürgerinitiativen unser Dank.
Meine Damen und Herren, nach Carl Friedrich von Weizsäcker sind die kommenden Jahrzehnte eine Zeit erhöhter Gefahr für die Menschheit.
— Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
Es besteht Hoffnung, auch in der Gefahr die richtigen Wege zu beschreiten. Das setzt freilich voraus,die erkannten Gefahren offen und öffentlich zu nennen und die entsprechenden Lösungsmöglichkeiten zu verwirklichen. Die Energiepolitik kann aus meinem Verständnis zum Testfall dafür werden, ob wir diese Herausforderung meistern. Sie ist insofern nur ein Teilausschnitt der grundsätzlichen Frage nach der Qualität zukünftigen Lebens. Immer mehr Menschen in unserem Lande erkennen diesen Tatbestand. Sie erkennen auch, daß angesichts der hohen Umweltbelastungen, der damit verbundenen ökologischen Anfälligkeit und der Endlichkeit der nicht regenerierbaren Rohstoffe ein bloßes Fortschreiben der Zuwachsraten der Vergangenheit keine Zukunft, zumindest keine menschenwürdige Zukunft ergibt.Oberstes Ziel der Energiepolitik muß daher die Verringerung der Energieverbrauchszuwachsraten sein. Der in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung angekündigte Maßnahmenkatalog ist zu begrüßen. Er muß freilich erweitert werden. So müssen die Wärmedämmung in Altbauten und der Einbau energiesparender Regeleinrichtungen für Heizungssysteme durch Steuervergünstigungen, Zinsverbilligungen und gesetzliche Vorschriften rasch vorangebracht werden. Mehr als 70 % des gesamten Energieverbrauchs gehen in die Heizung. Schon mit geringen Maßnahmen können hier vergleichsweise hohe Einsparungen erzielt werden.
Wir sind der Bundesregierung dafür dankbar, daß sie hier den richtigen Weg geht. Wir müssen den Stromtarif neu gestalten und Schluß mit dem Unfug machen, daß derjenige, der sich energiebewußt verhält und Energie spart, dafür einen höheren Preis pro Energieeinheit bezahlen muß, während er bei hohem Energieverbrauch einen pro verbrauchte Energieeinheit geringeren Preis zu entrichten hat.
Einer der teuersten Teile der Energieversorgungssysteme, meine Damen und Herren, ist das Vorhalten der Spitzenlast, d. h. des höchsten Energieverbrauchs. Durch Einführung eines Sondertarifs für alle Stromabnehmer, die Spitzenlast verbrauchen, können über den Preis ein Teil der Spitzennachfrage abgebaut und damit die schwankenden Stromnachfragekurven stabilisiert werden. Gleichzeitig damit muß eine breite Verbraucheraufklärung darüber einsetzen, wann die Spitzenlastzeiten sind, damit sich der Verbraucher entsprechend darauf einstellen kann.Ein anderer Punkt rationeller Energieverwendung: Meine Damen und Herren, das heutige System der Kraftfahrzeugsteuer besteuert den Besitz, jedoch nicht den Energieverbrauch und die Umweltbelastungen. Eine Erhöhung der Mineralölsteuer bei gleichzeitigem Wegfall der Kraftfahrzeugsteuer würde über den Preis zu bewußterem Energieverhalten führen und damit nachfragedämpfend und energiesparend wirken.Bei einem Kernkraftwerk werden nur etwa 30 °/o, bei einem Kohlekraftwerk nur etwa 40 % der erzeugten Primärenergie genutzt. Der Rest belastet als Ab w arm e, als Abfallwärme, die Umwelt in unerträglicher Weise. Anerkannte Wissenschaftler
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Schäfer
sprechen von einer Aufheizung der Atmosphäre, die in 60 Jahren — oder, je nach Einschätzung, früher oder später — zu einer nachdrücklichen Veränderung der natürlichen Lebensvoraussetzungen führen kann. ist es eigentlich so abwegig, vorzuschlagen und einzuführen, daß die Stromerzeuger, die die Umwelt als große Abwärme-Mülltonne betrachten, nach dem Muster der Abwasserabgabe eine Abwärmeabgabe zu zahlen haben, um damit zu einer besseren Abwärmenutzung zu gelangen? Neben einer Umweltverbesserung würde dadurch auch ein verstärkter Anreiz für energiesparende Wärmekraftkopplung und andere Möglichkeiten der Abwärmenutzung geschaffen werden.
— Der Strompreis steigt dadurch nicht, weil, verehrter Herr Hammans, das einzelne Kernkraftwerk auf Grund einer besseren Ausnutzung mehr Energie anbieten kann, weil der Verlust nicht so stark ist wie jetzt. Das ist ein mathematischer Vorgang; das kann man vergleichsweise einfach — notfalls mit einem Computer — nachrechnen.Nach dem Bericht der Monopolkommission ist kein Bereich der deutschen Wirtschaft derart monopolisiert und konzentriert wie die deutsche Elektrizitätswirtschaft. Eine Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes ist unumgänglich, um eine bessere Nutzung der vorhandenen Energie zu ermöglichen.Als weitere Maßnahmen bieten sich — stichwortartig aufgezählt an: Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung, die Pflicht zur Einführung von Gürtelreifen, was immerhin 15 °/o des gesamten Einsparungspotentials im Verkehrsbereich darstellen würde, und schließlich eine stärkere Verlagerung des Werkfernverkehrs von der Straße auf die Schiene.
Meine Damen und Herren, den Verfechtern dieser konzentrierten Energieeinsparungspolitik wird oft vorgeworfen, sie würden damit Arbeitsplätze gefährden. Auch heute ist dieses Argument von Oppositionsrednern gebraucht worden. Es wird mit der Behauptung gearbeitet, daß 1 % Primärenergiezuwachs Voraussetzung für 1% Zuwachs des Bruttosozialprodukts sei. Diese Relation ist nicht haltbar. Sie ist nicht starr, sie ist veränderlich; die Bundesregierung weist zu Recht darauf hin. Eine Global-analyse für die Jahre von 1950 bis 1975 in der Bundesrepublik Deutschland weist die Relation zwischen Primärenergieverbrauch und Wirtschaftswachstum mit 0,7% aus.Ähnlich verhält es sich auch mit der undifferenzierten Hypothese, höherer Energieverbrauch schaffe automatisch Arbeitsplätze. Unbestreitbar ist, daß erhöhter Energieeinsatz Arbeitsplätze durch Rationalisierung ersetzen kann. Das gibt übrigens mit erfrischender Offenheit eine Genehmigungsbehörde eines Landes — des Landes Baden-Württemberg —in einem ersten Teilgenehmigungsbescheid zu; da steht in der Begründung — ich zitiere wörtlich —:Danach ist deutlich erkennbar, daß ein zunehmender Strombedarf vor allem infolge der wei-teren Rationalisierung in der Industrie ... notwendig wird.
Nun, meine Damen und Herren, angesichts der knappen Zeit einige wenige Worte zur Kernenergie. Die Bundesregierung legt in ihrer Antwort dar — es ist darauf hingewiesen worden —, daß sie eine Ausbauleistung der Kernkraftwerke in der Größenordnung von 30 000 MW für 1985 für energiepolitisch wünschenswert hält. Sie räumt gleichzeitig die Möglichkeit ein, daß die Kapazität in dieser Größenordnung im Jahre 1985 unter Umständen noch nicht voll zur Verfügung stehen könne, da diese Abschätzung 'der quantitativen Entwicklung lediglich eine Orientierungshilfe, also eine bloße Tendenzaussage, und nicht eine exakte Planzahl darstelle. Dies ist angesichts der Unsicherheit der Prognosen und der Tatsache, daß die Bundesregierung schließlich keine Kernkraftwerke baut, eine vernünftige Feststellung.
Sie hebt sich wohltuend von früheren Behauptungen ab, wonach in der Bundesrepublik die Lichter ausgingen, wenn nicht Kernkraftwerke mit einer bestimmten Megawattleistung bis 1985 gebaut seien. Die Behauptung beispielsweise eines führenden Vertreters der deutschen Energiewirtschaft Anfang Dezember 1974 vor dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages, wir hätten hinsichtlich des Ausbaus der weiteren Kernkraftwerkleistung auf 45 000 bis 50 000 MW gar keine andere Wahl, um weiter „als Staat und in Freiheit existieren zu können", mutet heute wie ein schlechter Witz an.Ich will und kann nicht verhehlen, daß viele Mitglieder meiner Fraktion die 30 000 MW Kernkraftwerkleistung für 1985 aus, wie mir scheint, guten Gründen nicht akzeptieren können. Bei vielen steht dabei des Problem ,der nicht gelösten Entsorgung im Vordergrund ihrer Ablehnung. Angesichts der Tatsache, daß es weltweit keine in großtechnischem Maßstab arbeitende Anlage gibt, die hochgebrannte Brennelemente aufarbeitet, daß das Problem der Konditionierung ,der hochradioaktiven Abfälle allenfalls als lösbar erscheint, aber jedenfalls noch nicht gelöst ist, daß die Zurückhaltung von Krypton 85 noch nicht gelöst ist, und der weiteren noch offenen Fragen im Zusammenhang mit der Entsorgung bis zu den Gefahren der Plutoniumwirtschaft werden — wie mir scheint, zu Recht — die in der Antwort der Bundesregierung genannten Kriterien für eine hinreichende Lösung der Entsorgungsproblematik als nicht ausreichend bewertet.Als Mindestbedingung wird von vielen meiner Fraktionskollegen die Forderung des DGB-Bundesvorstands vom 5. April 1977 angesehen, wonach — ich zitiere — „vor der Erteilung einer Baugenehmigung für die Wiederaufarbeitungsanlage keine Baugenehmigungen für neue, jetzt in der Planung befindliche Kernkraftwerke erteilt werden". — Andere vertreten die Auffassung, angesichts der ungeklärten Entsorgungssituation und der weiteren noch offenen Probleme sei ein Ausbaumoratorium bis zur Klä-
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2324 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Schäfer
rung der noch offenen Fragen die einzige verantwortbare Lösung.Von seiten der Opposition hatte ich jetzt den Zwischenruf erwartet: Gespaltenheit, Nichtgeschlossenheit, Nichthandlungsfähigkeit. Wer so wie vorhin in der Debatte argumentiert, der verkennt die zur Debatte stehenden Probleme. Sie sind nämlich so komplex, daß selbst unter Einsatz von ganzen Computerbataillonen und gigantischen Expertenstäben keine Gewißheit zu erlangen ist, wie kürzlich in einem lesenswerten Kommentar der Süddeutschen Zeitung stand.Es ist deshalb ein Zeichen der Stärke und der Sachbezogenheit, daß über einen gewissen Zeitraum hin eine offene Diskussion geführt wird, in der die unterschiedlichen Positionen — bis hin zur Forderung nach einem Moratorium bis zur tatsächlichen Lösung der noch offenen Fragen — vertreten werden. Jedenfalls ist auch der Innenausschuß des Deutschen Bundestages der Auffassung, daß die Entsorgungsfrage noch keineswegs als gelöst zu betrachten ist. Er hat nämlich für September dieses Jahres eine öffentliche Anhörung zu Problemen der Wiederaufarbeitung und der Entsorgung beantragt.Ich muß es mir leider versagen, auf die vielen noch offenen schwierigen, ungelösten Probleme im Zusammenhang mit der Kernenergienutzung einzugehen. Der Kollege Gerlach und der Kollege Wolfram haben in vielem — aus meiner Sicht zutreffend — die Risiken beschrieben.Ich will noch auf zwei Punkte eingehen und dann zum Schluß kommen.Viele von uns bewegt die Frage nach der Verträglichkeit einer Plutoniumswirtschaft in großtechnischem Maßstab mit unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung. Wenn man bedenkt, daß Plutonium rund 24 000 Jahre lang hochgiftig und zudem uns als Sprengkörper verwendbar überlassen bleibt, gewinnt diese Frage an Gewicht. Wir müssen fragen: Welche Freiheiten des Bürgers sind durch den weiteren Ausbau der Kernenergienutzung eingeschränkt, wie politisch stabil und sozial stabil müssen Staat und Gesellschaft sein, um über Jahrtausende hinweg dieses hohe Gefährdungspotential einigermaßen verantwortbar lagern zu können?Ich komme, um in der Zeit zu bleiben, zum Schluß. Die SPD hält an ihrem Grundsatz fest, daß der Schutz der Bevölkerung vor möglichen Schädigungen absolute Priorität bei der Nutzung der Kernenergie hat. Das ist die Basis unseres Parteitagsbeschlusses von Mannheim. Das ist die Aussage in der ersten Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung. Es stimmt uns nachdenklich, daß die Bundesregierung in ihrer jetzigen Antwort das Wort „absolut" hat wegfallen lassen und nur noch vom „Vorrang" spricht.Meine Damen und Herren, wir stehen in der Entscheidung über den weiteren Ausbau der Kernenergie unter keinem sachlichen oder zeitlichen Zwang. Von einem Energieengpaß kann keine Rede sein, eher gegenwärtig von einer Überkapazität, wie ein Blick auf die Angaben über die Auslastung der Kernkraftwerke in der Antwort der Bundesregierung be-weist. Ein Zwang zum Weitermachen besteht jedenfalls nicht, schon gar nicht zu einem unverantwortbaren Preis.
Mit der politischen Sperre von 120 Millionen DM Haushaltsmitteln zur weiteren Förderung des Schnellen Brüters bis zur inhaltlichen Diskussion und Klärung der noch offenen Fragen hat die SPD-Fraktion einen Markierungspunkt für weiteres Vorgehen in dieser Frage gesetzt.
Im übrigen ermuntern uns die Antworten der Regierung darin, unsere Sorgen in vielen Fragen noch verschärft zu formulieren. Wer die lakonische Antwort auf die Frage nach der Förderung der Schnellen Brutreaktoren liest und dabei erkennt, daß die Fragen der Wirtschaftlichkeit und der Sicherheit völlig außen vor gelassen werden, der kann eigentlich nur bedauern, daß mit einer derart lakonischen Antwort wichtige Fragestellungen gar nicht erst aufgegriffen werden.Wir ermuntern die Bundesregierung in ihrem Bemühen um eine konzentrierte Politik rationeller Energieverwendung. Wir wissen uns einig mit ihr in der verstärkten Nutzung der einheimischen Energieträger, vor allem von Kohle, wir bestärken den Forschungsminister darin, den 1974 eingeschlagenen Weg einer verstärkten Förderung nichtnuklearer Energieträger noch intensiver weiterzugehen, und setzen uns dafür ein, daß von der Bundesregierung eine neue Energiestrategie entwickelt wird, die auch der Möglichkeit Rechnung trägt, ohne einen weiteren Ausbau von Kernkraftwerken auskommen zu müssen.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der fortgeschrittenen Zeit muß ich mich in meinem Beitrag zu dieser Energiedebatte auf zwei Fragen beschränken: die auch in den letzten Debattenbeiträgen angesprochene Frage der Sicherheit der Kernkraftwerke und die damit zusammenhängende Frage der Entsorgung.Für die friedliche Nutzung der Kernenergie gilt viel weitergehend als in irgendeinem anderen Umweltbereich — und ich sage es noch einmal so ausdrücklich — der unbedingte Vorrang des Schutzes von Leben und Gesundheit vor allen Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit.
Unter diesem Vorzeichen steht unsere Reaktorsicherheits- und Strahlenschutzpolitik. Danach unternimmt die Bundesregierung alle menschenmöglichen Anstrengungen, diesen Schutz zu gewährleisten. Tragende Pfeiler ihres Sicherheitskonzepts sind ein mehrstufiges Schutzkonzept zur Störfall-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2325
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferund Betriebssicherheit der Kernkraftwerke, der Standortvorsorge, der Entsorgung des Brennstoffkreislaufes und nicht zuletzt ein System von Gesetzen und Verordnungen, technischen Richtlinien usw. als verbindlicher Rahmen für dieses Schutzkonzept.Die Erfolge dieser Sicherheitspolitik -ich glaube, das kann ich hier so ungeschminkt sagen — finden ihren Ausdruck in der feststellbaren Betriebssicherheit der Kernkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland. Wie sieht es mit dieser Sicherheit bei der heutigen friedlichen Nutzung der Kernkraft in unserem Lande aus? In Hinsicht auf die Reaktorsicherheit, d. h. die Sicherheit der Kernanlagen gegen Störfälle ist zunächst nach einer weltweiten Erfahrung mit 30 Jahren Kernkraftnutzung festzustellen: Bislang ist in keinem Fall durch einen Störfall in irgendeinem Kernkraftwerk eine einzige Person außerhalb der Kernkraftwerksanlage zu Schaden gekommen. Das vergißt man immer wieder in der so diffusen Debatte, die wir gelegentlich führen.Schätzungen des sogenannten Restrisikos eines Störfalls, über weitere Zeiträume betrachtet, können — das ist das einzige, was uns dann bleibt — nur mit Hilfe von Hochrechnungen erfolgen. Sie sehen nach der mehrfach zitierten amerikanischen Rasmussen-Studie wie folgt aus — ich möchte das hier noch einmal ganz präzise vorführen —: Die Wahrscheinlichkeit, daß durch ein Versagen aller Sicherheitssysteme einzelne Personen außerhalb eines Reaktors zu Schaden kommen - was bisher nirgends vorgekommen ist, um es noch einmal zu wiederholen - beträgt 1 : 17 000.
Das bedeutet: Dieser Fall kann einmal in 17 000 Jahren eintreten. Nun könnten Sie natürlich sagen — und das wird jeder Pessimist im Gegensatz zum Optimisten sagen —: Diese 17 000 Jahre beginnen im nächsten Jahr. Deshalb werden Sie mit einer solchen Feststellung auch keinerlei Beruhigung schaffen.Die Wahrscheinlichkeit eines großen Störfalls mit vieltausendfacher Schadensfolge beträgt — nach denselben Hochrechnungen — 1 : 1 000 000 oder gar 1 : 10 000 000. Dies ist das sogenannte Restrisiko im Blick auf den Extremfall.
In Hinsicht auf den Strahlenschutz, d. h., das Risiko der Strahlenexposition im Normalfall des störungsfreien Betriebs einer Kernenergieanlage läßt sich folgendes sagen — diese Zahlen sind weit weniger bekannt als die erstgenannten; sie gelten trotz aller Einschränkungen, die Herr Kollege Wolfram hier in dieser Debatte gemacht hat —: Die jährliche natürliche Strahlenexposition beträgt 110 mrem. Die jährliche künstliche Strahlenexposition, etwa durch Röntgendiagnostik, beträgt, wie Sie wissen, 50 mrem. Die faktische Strahlenexposition durch Kernanlagen beträgt demgegenüber im Mittelwert bundesweit 0,1 mrem. Sie liegt sogar am ungünstigsten Ort, im Umkreis einer Kernanlage, bei 1 mrem im Jahr. Also selbst in dieser unmittelbaren Nachbarschaft eines Kernkraftwerks beträgt sie nicht mehr als die Durchschnittsbelastung der Strahlenexposition durch Industrieprodukte, die wir klaglos als selbstverständliche Risiken unserer Zivilisation täglich in Kauf nehmen.Dieses Restrisiko kann man — wie immer man das betrachtet — als klein, man kann es auch als groß bezeichnen. Das hängt in der Tat von der optimistischen oder pessimistischen Annahme ab. Deshalb ist dieses Risiko letztlich bei aller Kalkulation irrational. Darüber darf man sich keine falschen Vorstellungen machen. Deshalb werden hier säkulare Glaubenskriege unter dem Vorzeichen „für und wider die Kernenergie" ausgefochten. Das ist so, und das wird so bleiben.Was wir tun können, ist, nicht nur über das reale Risiko aufzuklären und immer und immer wieder aufzuklären, sondern auch, dieses Restrisiko für den Normal- und für den Extremfall so gering wie irgend möglich zu halten. Dies geschieht in der Bundesrepublik. Mit unserem Sicherheitsstandard wird ein Risikominimum erreicht, das strenger ist als irgendwo auf der Welt. Unser mehrfaches System unabhängiger Sicherungen und der hohe Schutz auch gegenüber Einwirkungen von außen sind so ausgelegt, daß das Risiko bei unseren Reaktoren in bezug auf diese vitalen Systeme gegenüber denen der USA — im Vergleich der Rasmussen-Studie — um den Faktor 10 geringer sein dürfte als dort.Ich sage es nochmals: Dennoch bleibt ein Risiko. Wenn Herr Gerlach eben gesagt hat: Ohne Risiko, sonst nie, dann verfällt er einer totalen Illusion. Wenn er „ohne Risiko" sagt, dann kann er auch sagen: Nie. Es gibt keine technische Zivilisation — schon gar nicht eine solche fortschreitende — ohne ein gewisses Restrisiko.
Die Frage ist nur, wie man dieses Risiko gegenüber anderen Risiken wertet und wie man sich in dieser Abwägung entscheidet, nämlich: Energieversorgung durch Kernenergie oder Nichtversorgung durch Kernenergie als Voraussetzung von Wirtschaftswachstum, Abeitsplatzsicherung usw. Nur so kann man hier überhaupt rational debattieren, daß man die Risiken wägt und auf Grund ihrer sorgfältigen Abwägung entscheidet. Diese Güterabwägung ist seit 1960 durch die Entscheidung in diesem Parlament so vorgenommen worden, daß man das Risiko der friedlichen Nutzung der Kernenergie angesichts der getroffenen Sicherheitsvorkehrungen im Bereich der Reaktorsicherheit und des Strahlenschutzes für verantwortbar hält. Ich sehe keinen Anlaß, von dieser nun seit über 15 Jahren feststehenden Entscheidung, von der manche tun, als ob sie nie getroffen worden wäre, für die friedliche Nutzung der Kernenergie abzugehen. Es gibt keinerlei neue Fakten oder Daten, die dies rechtfertigen würden; ich kenne nicht ein einziges Faktum.Es gibt allerdings unverminderten Anlaß, unsere eher überstrengen Sicherheitsvorschriften im Hinblick auf Reaktorsicherheit wie auf Strahlenschutz weiter und weiter zu verbessern. Dabei kommt der
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2326 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferständigen systematischen Erfassung und Auswertung von Störfällen jeglicher Art in Kernkraftwerken, auch des Auslands, besondere Bedeutung zu. Die gewonnenen Erkenntnisse tragen dazu bei, mögliche Schwachstellen von Technik und Organisation frühzeitig zu erkennen und eine Wiederholung solcher Störfälle bei anderen Anlagen zu verhindern. Darüber berichten wir fortlaufend und rückhaltlos, ich glaube, wie kaum irgendein Land um uns herum; das muß ich auch zu Herrn Gerlach sagen. Uns sind im Gegenteil immer wieder Vorwürfe gemacht worden, daß wir die Bevölkerung mit immer neuen Hiobsbotschaften verschreckten. Ich denke etwa an Störfälle selbst im konventionellen Bereich — etwa bei Gundremmingen —, wo wir unsere Bevölkerung mit einer wahren Berichtsflut bedacht haben.Nicht minder wichtig ist die ständige systematische Untersuchung von Schwachstellen und daraus abzuleitenden Risiken aller Arten der bei uns eingeführten Kernkraftanlagen. Da gibt es Typen mit diesen oder jenen typischen Risiken. Eben eine solche Risikountersuchung wird derzeit vom Vorsitzenden der Reaktorsicherheitskommission durchgeführt, um zu einer der Rasmussen-Studie vergleichbaren Risikobeurteilung auch für die Bundesrepublik Deutschland zu kommen. Wir hoffen, daß der hierzu erwartete sehr umfangreiche Bericht noch in diesem Jahr vorliegen wird.Besondere Aufmerksamkeit widmet die Bundesregierung — auch das spreche ich an, weil es hier mehrfach in die Debatte eingeführt worden ist — den Maßnahmen zur Sicherung von Kernkraftwerken gegen Gewaltakionen: Kriminalität, Terrorismus, für die Angriffspunkte sowohl innerhalb als auch außerhalb der Anlagen liegen können. Hierfür ist ein integriertes Schutzsystem entwickelt worden, das auf mein Betreiben 1975 in enger Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern durch eine Expertenkommission überprüft und durch eine ganze Reihe zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen verstärkt worden ist. Wir haben gerade auf der Londoner Innenministerkonferenz eine Generaldebatte darüber geführt. Daraus wird sich aller Voraussicht ergeben, daß wir auf der Grundlage dieser Sicherheitsstandards auch europaweit zu einer Harmonisierung der Normen unserer, wie die Fachleute sagen, „physical protection" kommen werden, so daß wir die gleichen Sicherheitsstandards auch insoweit in Fessenheim genauso wie in Biblis gewährleisten.Im Zusammenhang mit Fragen äußerer Einwirkungen auf Kernkraftwerke — das ist der letzte Punkt in diesem Zusammenhang — untersuchen wir seit mehr als zwei Jahren die Möglichkeiten unterirdischer Bauweise, die einen zusätzlichen Schutz gegen Einwirkungen von außen, aber auch gegen die Auswirkungen innerer Störfälle verspricht. Aus den inzwischen vorliegenden Untersuchungsergebnissen wird in meinem Hause gegenwärtig ein Beurteilungsraster für diese Bauweise erarbeitet.Ich komme zum zweiten sicher entscheidenden Problem in der gegenwärtigen Debatte. Stand die betriebliche Sicherheit der Kernkraftwerke lange Zeit im Vordergrund unserer staatlichen Maßnahmen wie der öffentlichen Auseinandersetzungen, so rückte das Entsorgungsproblem ab 1973 in den Vordergrund. Die Notwendigkeit der Entsorgung, d. h. der sicheren Verbringung und Behandlung der abgebrannten Brennelemente und die Notwendigkeit zur Beseitigung radioaktiver Abfälle steht seit Eintritt in die friedliche Kernenergienutzung außer Zweifel. Die Entsorgung der bisher gebauten Kernkraftwerke schien jedoch lange Zeit wegen des Überangebots von Entsorgungskapazität in England, Frankreich und den USA kein vordringliches Problem zu sein. Das änderte sich gegen Ende 1973 als Folge des weltweiten Kernenergiebooms und der daraus sich ergebenden Engpaßsituationen schlagartig. Damit stellten sich jedoch nicht nur die Fragen der technischen und ökonomischen Realisierbarkeit, sondern mit aller Eindringlichkeit gleichzeitig die Fragen nach der Verantwortbarkeit und Sicherheit der erforderlichen Entsorgungsanlagen. Hier kann ich Herrn Gerlach bei allem, was er über die trübe Vorgeschichte unseres Entsorgungsparks in der Bundesrepublik in dieser Debatte ausgebreitet hat, nur zustimmen.Um welche Größenordnungen es sich schon heute in unserem Land bei der Entsorgung handelt, auf den jetzigen Zeitpunkt, um so mehr aber auch auf 1982 bezogen, läßt sich an den Zahlen der bereits in Betrieb befindlichen oder bis dahin in Betrieb gehenden gebauten Kernkraftwerke ablesen, die ich Ihnen kurz in Erinnerung rufen möchte. In Betrieb befinden sich in unserem Land insgesamt neun Kernkraftwerke mit einer Leistung von 6 345 MW, darüber hinaus drei Versuchskraftwerke mit einer Leistung von 89 MW. Bis 1982 werden weitere elf Kernkraftwerke mit einem Leistungsvolumen von insgesamt 13 725 MW in Betrieb gehen. Nach den inzwischen erteilten Baugenehmigungen und dem erreichten Baufortschritt werden alle diese Kraftwerke noch vor 1982 an das Netz gehen können. Dazu kommen bis dahin weitere drei Versuchskraft- werke, die eine Leistung von 656 MW haben. Das sind insgesamt bis 1982 über zwanzig Kernkraftwerke mit einer Leistung von über 20 000 MW, für die auf jeden Fall die Entsorgung im Inland sicherstellen müssen; denn für eine solche Größenordnung gibt es beim besten Willen keine einigermaßen realistische Alternative der Entsorgung im Ausland.In eingehenden Erörterungen mit den Ländern sind inzwischen die Grundsätze zur Entsorgung festgelegt und mit großer Mehrheit angenommen worden, die — das sagt auch die Antwort — als Mindestvoraussetzung für die Zulassung weiterer Baugenehmigungen, d. h. erster Teilerreichtungsgenehmigungen für Kernkraftwerke, die Verknüpfung zwischen der Genehmigung neuer Kernkraftwerke und ihrer hinreichenden Entsorgung herstellen. Danach gilt — ich wiederhole das noch einmal klipp und klar: Es muß erstens die Vorauswahl eines oder mehrerer grundsätzlich geeigneter Standorte für das Entsorgungszentrum getroffen sein, es muß zweitens das Genehmigungsverfahren für die Wiederaufarbeitungsanlage durch Vorlage des Sicherheitsberichts und Beantragung der ersten Teilerrichtungsgenehmigung für das Brennelementeingangsbecken eingeleitet sein, und es muß drittens ein positives Urteil der Reaktorsicherheits- und der Strahlenschutz-
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2327
Bundesminister Dr. Dr. h. c. Maihoferkommission über die grundsätzliche sicherheitstechnische Realisierbarkeit des Entsorgungszentrums auf der Grundlage des Sicherheitsberichts vorliegen. Die ersten beiden Voraussetzungen sind inzwischen erfüllt; die dritte Voraussetzung, also die Voten der Kommissionen, könnten zum Herbst dieses Jahres vorliegen.Außerdem werde ich, in Abstimmung mit den Ländern, sicherstellen, daß eine Betriebsgenehmigung der auf dieser Grundlage zur Errichtung freigegebenen neuen Kernkraftwerke erst dann erwartet werden kann, wenn das für ihre Entsorgung vorgesehene deutsche Entsorgungszentrum zu diesem Zeitpunkt zumindest seine erste Teilerrichtungsgenehmigung erhalten hat. Das bedeutet eine doppelte Rückkopplung, mit der sichergestellt wird, daß in dem Augenblick, wo gefährliches radioaktives Material anfällt — und das geschieht ja überhaupt erst mit der Inbetriebnahme , wir nicht vor einer Entsorgung „open end" stehen. Diese Kopplung unserer Genehmigungspraxis mit der Sicherstellung unseres Entsorgungszentrums wird voraussichtlich Neugenehmigungen von Kraftwerken, die sich auf diese Inlandsentsorgung abstützen, vom kommenden Jahr an gestatten.Die Behauptung von Herrn Narjes — den ich hier leider nicht mehr sehe —, die Entsorgungsrichtlinien der Bundesregierung führten — so hat er heute morgen hier gesagt zu einem fünfjährigen Moratorium, ist völlig haltlos. Herr Narjes mußte sich angesichts der am 6. Mai dieses Jahres erfolgten Zustimmung der großen Mehrheit der Länder —auch der von CDU oder CSU regierten Länder
zu eben diesen Grundlinien unserer Entsorgungspolitik doch die Frage stellen, ob nicht offenbar Bund und Länder ohne Rücksicht auf die politische Couleur — in diesen Entsorgungsrichtlinien eine vernünftige Mittellinie sehen zwischen Energieerfordernissen und Reaktorsicherheitsanforderungen.Und um es auch von der anderen Seite her noch einmal ganz klar zu sagen: Ohne die Kopplung der Neugenehmigungen mit gewissen Mindestvoraussetzungen der Entsorgungsvorsorge wäre ein Anfang mit der Errichtung eines Entsorgungsparks wohl bis heute nicht erreichbar. Dies müssen Sie so buchstäblich nehmen, wie ich es sage.Darum wird die von Herrn Narjes heute morgen als „Konfusionsstrategie" apostrophierte Entsorgungspolitik der Bundesregierung selbst von den Betreibern von Kernkraftwerken als eine notwendige und erfolgreiche Politik begriffen, welche die Arbeiten am Entsorgungszentrum erheblich gefördert und beschleunigt hat. Ich würde allen Kollegen, die sich dafür interessieren — Herrn Narjes eingeschlossen —, vorschlagen, sich einmal das vertrauliche Protokoll des zuständigen Ausschusses des Bundestages anzusehen, in dem die im Frühjahr dieses Jahres hierzu gemachten Äußerungen festgehalten sind. Danach kann man solche Behauptungen, wie sie hier aufgestellt worden sind, nicht ernsthaft vorbringen.Nur so ist auch der von der Opposition bei der Verabschiedung der vierten Novelle zum Atomgesetz doch mitbeschlossene Auftrag des neuen § 9 a des Atomgesetzes zu erfüllen, die Entsorgung durch eine schadlose Verwertung und geordnete Beseitigung der in den Kernkraftwerken anfallenden radioaktiven Reststoffe sicherzustellen, und zwar nach dem Verursacherprinzip sowohl für die Eingangslagerung wie für die Wiederaufarbeitung und nach dem Gemeinlastprinzip — um das einmal so technisch zu formulieren - für die Endbeseitigung, für die ja die Bundesregierung selbst die Verantwortung hat. Nur so ist auch in einem solchen integrierten Entsorgungszentrum der gleichzeitige Auftrag des Staates zu erfüllen, „Anlagen zur Sicherstellung und zur Endlagerung radioaktiver Abfälle einzurichten", wie es im Gesetz wörtlich heißt.Was die Bundesregierung hier tut oder getan hat, ist schlicht und einfach die bestmögliche und schnellstmögliche Erfüllung der von diesem Hause gemeinsam beschlossenen Gesetze.
Deshalb fand ich es einigermaßen erstaunlich, daß wir gerade wegen der Erfüllung dieser Aufträge heute morgen von seiten der Opposition angegriffen wurden.
Auch wenn ich mich auf diese Schwerpunkte unserer Sicherheitspolitik beschränke, übersehe ich keinesfalls andere wichtige Probleme. Trotz der Zeitbedrängnis möchte ich abschließend noch die Notwendigkeit verantwortlicher Beteiligung der Parlamente bei Standortvorsorge und die verstärkte Bürgerbeteiligung insbesondere durch die Schaffung einer praktikablen Form der Verbandsklage im Rahmen der atomrechtlichen Genehmigungsverfahren nennen. Hierüber werden wir uns bei der derzeit in Vorbereitung befindlichen fünften Novelle zum Atomgesetz zu verständigen haben.
Ich meine — dies sage ich gerade im Blick auf einen so bedauerlichen Debattenbeitrag wie den von Herrn Narjes —, bei den hier vor uns stehenden Notwendigkeiten gemeinsamen Handelns in Regierung und Parlament, in Bund und Ländern ohne jeden Unterschied der politischen Couleur sollten wir die bestehenden Gemeinsamkeiten der Energiepolitik im allgemeinen und der Kernenergiepolitik im besonderen nicht leichtfertig und grundlos zerreden. Wir werden diese Gemeinsamkeiten noch kräftig brauchen.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Wir haben noch über den Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/CSU — Drucksache 8/579 — zur Beratung der Großen Anfrage der Fraktion der CDU/CSU zu entscheiden. Ich schlage vor, die Vorlage dem Ausschuß für Wirtschaft — federführend —, dem Innenausschuß und dem Ausschuß für
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2328 Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977
Vizepräsident Dr. Schmitt-VockenhausenForschung und Technologie zur Mitberatung sowie dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung und nach § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf:Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften— Drucksache 8/108 —a) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung — Drucksache 8/563 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Friedmannb) Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses
— Drucksache 8/562 — Berichterstatter:Abgeordneter Dr. Arnold Abgeordnete Frau Dr. Däubler-Gmelin
Ich frage, ob eine Ergänzung der vorgelegten Berichte gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Dann danke ich den Berichterstattern sehr herzlich.Wir treten in die zweite Beratung ein. Ich rufe Art. 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetzentwurf in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — In zweiter Beratung einstimmig gebilligt.Wir treten in diedritte Beratungein. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Arnold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die CDU/CSU-Fraktion darf ich folgende kurze Erklärung abgeben.
Der Entwurf läßt im Grundsatz das geltende Haftungssystem unverändert. Er beschränkt sich im wesentlichen auf zwei Änderungen, nämlich die Erhöhung der Haftungshöchstgrenzen sowie die Anwendung der Vorschriften über die Gefährdungshaftung bei Rohrleitungen auf weitere Gebiete.
Da die jetzt geltenden Haftungshöchstbeträge, die zum Teil schon seit den 40er Jahren in Kraft sind, einen ausreichenden Schutz der Unfallopfer nicht mehr gewährleisten, begrüßen wir es, daß die Sätze nach dem Reichshaftpflichtgesetz und nach dem Straßenverkehrsgesetz verdoppelt und auch die Höchstbeträge nach dem Luftverkehrsgesetz deutlich angehoben werden.
Unsere Billigung findet auch der zweite Hauptpunkt des Entwurfs, die Ausdehnung der nach dem Reichshaftpflichtgesetz für Elektrizitäts- und Leuchtgasleitungen bestehenden Gefährdungshaftung auf sämtliche Leitungsanlagen für Elektrizität, Gase, Dämpfe und Flüssigkeiten. Die bisherige Beschränkung dieses Haftungstatbestandes versteht sich praktisch nur aus der Entstehungszeit der Regelung, zu der die Gefahren durch Leitungsanlagen erst im Bereich der Versorgung mit Elektrizität und Leuchtgas besonders hervorgetreten waren. Diese Einschränkung ist aber überholt, nachdem die Verwendung von Rohrleitungen auch in anderen Bereichen mit hohem Risiko — wie etwa bei Ölpipelines, Sauerstoffleitungen und ähnlichen Anlagen — immer mehr zugenommen hat. Bei allen solchen Leitungsanlagen ist es nicht länger angebracht, die Haftung von einem Verschulden abhängig zu machen, das nachzuweisen dem Geschädigten angesichts der Kompliziertheit der technischen Anlagen heute unzumutbar erschwert ist.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in den Beratungen außerdem dafür eingesetzt, daß es entgegen dem ursprünglichen Vorschlag des Entwurfs bei einer Befreiung der langsam fahrenden Arbeitsmaschinen und Kraftfahrzeuge mit einer Geschwindigkeit von weniger als 20 km/h von der Gefährdungshaft bleibt. Eine Notwendigkeit zur Gesetzesänderung, zur Änderung des geltenden Rechts, ist insoweit nicht überzeugend dargelegt worden. Wir sollten bestehende Gesetze nur dann ändern, wenn sich dafür eine Notwendigkeit klar erweist. Den vorgetragenen finanziellen Bedenken der hauptsächlich betroffenen Landwirtschaft und der Bauwirtschaft kam und kommt insoweit ein größeres Gewicht zu.
Weitere Grundsatzfragen wie z. B. die Einführung eines Schmerzensgeldes in den Fällen der Gefährdungshaftung sowie mehrere Ergänzungsvorschläge des Bundesrates sind in den Beratungen zwar angesprochen, aber nicht berücksichtigt worden, weil sie eine Anzahl schwieriger tatsächlicher, rechtlicher und wirtschaftlicher Fragen aufwerfen, die noch eingehender Prüfung bedürfen. Wir verstehen diesen Entwurf als eine Vorabmaßnahme, begrenzt auf die Regelung einiger wichtiger dringlicher Punkte. Das heißt, wir wollen die noch nicht berücksichtigten Anregungen bei den künftigen Arbeiten auf dem Gebiet des Schadensersatzrechts in die Beratungen einbeziehen.
Meine Damen und Herren, wird sind überzeugt, daß mit dem heute zur Beschlußfassung des Bundestages anstehenden Entwurf, der in einer Reihe von Fragen übersichtlicher und klarer als das geltende Recht gestaltet worden ist, eine Verbesserung des Schutzes der Unfallopfer erreicht wird.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten in diesem Haus haben diesen Gesetzentwurf, der ja ein Regierungsentwurf aus der vergangenen Legislaturperiode ist, vor einigen Monaten aufgegriffen
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Deutscher Bundestag — 8. Wahlperiode — 31. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 15. Juni 1977 2329
Frau Dr. Däubler-Gmelinund erneut in die Beratungen dieses Hauses eingeführt. Daß er heute mit der Zustimmung aller Seiten verabschiedet werden kann, erfüllt uns mit Befriedigung, hauptsächlich deswegen, weil mehr Unfallopfer durch dieses Gesetz höhere und bessere Schadensersatzleistungen erhalten können und damit die Folgen häufig tragischer Unfälle leichter zu tragen in der Lage sind.Nunmehr sind die Opfer von Verkehrsunfällen Menschen, die in Flugzeug- oder Eisenbahnkatastrophen Schäden erlitten haben, ohne daß im Einzelfall Verschulden nachgewiesen werden kann. Diese Personengruppen konnten bisher auf Grund der Gefährdungshaftung Ersatzleistungen nur innerhalb bestimmter Größenordnungen erhalten. Die Höchstbeträge dieser Ersatzleistungen haben wir verdoppelt, zum Teil auch verdreifacht. Was das für den einzelnen Betroffenen tatsächlich bedeutet, das wissen wir seit langem aus Presseberichten und aus vielen Petitionen: Die alten Sätze nach dem Reichshaftpflichtgesetz, dem Straßenverkehrsgesetz und dem Luftverkehrsgesetz deckten eben häufig nicht einmal die Kosten für die Heilung von Gesundheitsschäden, geschweige denn die Renten bei Dauerschäden oder die Versorgung von Hinterbliebenen ohne sozialen Abstieg.Eine weitere Gruppe von Unfallschäden konnten wir ebenfalls angemessener ausgleichen: Pipelines mit Wasser, 01, Gas, Chemikalien, Stromleitungen und sonstige Versorgungsanlagen können undicht werden. Sie können bersten, explodieren oder auf andere Art und Weise Menschen und Sachen zu Schaden bringen. Für alle diese Schäden wird jetzt gehaftet, auch dann, wenn im Einzelfall dem Betreiber ein menschliches Versagen in den durch unsere Gesetze vorgeschriebenen Verschuldensstufen nicht nachgewiesen werden kann.
Das gleiche gilt auch für solche Unfallschäden, die durch schienengebundene Fahrzeuge, Transportmittel oder Schwebebahnen hervorgerufen werden.Für die Geschädigten, meine Damen und Herren, bedeutet dies zweierlei: einmal, daß diese Personengruppe überhaupt Schadensersatz erhält, und zwar in angemessenen Höchstbeträgen; zum anderen aber, daß der langwierige, häufig in schwierige Prozesse ausartende Verschuldensnachweis wegfällt. Der Geschädigte wird also in aller Regel schneller zu dem benötigten Geld kommen.Das neue Gesetz — das ist unser erster Hauptpunkt — bringt somit viel praktische Hilfe, viel Nützliches, unmittelbar Brauchbares für den einzelnen Bürger und ist schon deshalb zu begrüßen.Zugleich aber — das ist mein zweiter Punkt — bewegt auch dieses Gesetz unser Haftungsrecht um einen weiteren Schritt, wie ich meine, in die richtige Richtung. Die Ausdehnung der verschuldensunabhängigen Haftung auf die hier erwähnten Bereiche macht deutlich, daß der Gesetzgeber immer klarer erkennt — und auch die Konsequenzen daraus zieht —, daß der einstmals gültige Zusammenhang zwischen dem Ausmaß und der Intensität von schuldhaftem menschlichen Versagen, also derschädigenden Handlung, und dem Umfang des Schadens und damit dem Umfang der Haftung des Schädigers heute mehr und mehr gelockert ist.Technische Entwicklungen und ihr Einsatz im täglichen Leben können den Umfang der Schädigung ohne Entsprechung beim Verschulden des Schädigers erhöhen. Sie bringen — häufig für Schädiger und Opfer unvermeidbar — höhere Schadensrisiken, die mit den hergebrachten Mitteln des Haftungsrechts allein nicht mehr bewältigt werden können. Um hier Sicherheit zu schaffen, muß auf dem eingeschlagenen Weg zielbewußt weitergegangen werden. Ich weiß — und bin dafür dankbar , daß das Justizministerium auf diesem Gebiet weitere Vorschläge erarbeitet und darf hier nur die Regelung über die Produktenhaftung ansprechen, über die wir uns, wie ich hoffe, sehr bald in diesem Hause unterhalten werden.Es gibt jedoch der Kollege Dr. Arnold hat dar-auf hingewiesen im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch Forderungen, die hier erwähnt werden müssen. Verschuldenshaftung kann zur Zahlung von Schmerzensgeld, zu immateriellen Schadensersatz führen, Gefährdungshaftung nicht; ich möchte in Klammern hinzufügen: bisher noch nicht. Wie ungerecht das im Einzelfall sein kann, wird deutlich, wenn man einmal nebeneinander stellt, daß zwar etablierte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wegen schuldhafter Ehrverletzung häufig hohe Summen an immateriellen Schadensersatz erhalten, daß aber für den in einem unverschuldeten Explosionsunglück abgerissenen Fuß oder für schmerzhafte Brandwunden kein Schmerzensgeld gezahlt wird. Hier mehr Gerechtigkeit, mehr Einheitlichkeit zu erreichen ist und bleibt das Ziel sozialdemokratischer Rechtspolitik. Dieses Gesetz erreicht dieses Ziel nicht, es kommt ihm aber einen Schritt näher.Ich habe schon erwähnt, daß es dem einzelnen Bürger hilft, Folgen von häufig tragischen Unfällen leichter zu tragen.Die sozialdemokratische Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf zu.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Engelhard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon bei der ersten Lesung dieses wieder eingebrachten Entwurfs in der letzten Legislaturperiode waren wir uns einig, daß der Gesetzentwurf nur eine Vorabnahme ist. Es war in der Kürze der Zeit weder babsichtigt noch möglich, bereits jetzt eine umfassende Neugestaltung unseres Schadenersatzrechts vorzunehmen.Was in diesem Zusammenhang alles zur Diskussion stehen würde, hat eben Frau Kollegin Däubler-Gmelin kurz skizziert. Es bedarf in diesem Bereich auch dringend der internationalen Abstimmung, die noch nicht geleistet werden konnte. Der Entwurf hat sich deswegen darauf beschränkt, Änderungen innerhalb des jetzt bestehenden Systems vorzuneh-
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EngelhardI men und eine Reihe von Verbesserungen für die Opfer von Unfällen herbeizuführen.Mit der Ausdehnung der Gefährdungshaftung auf weitere Leitungsanlagen und mit der Heraufsetzung der Haftungshöchstbeträge haben wir dem Umstand Rechnung getragen, daß wir in einer zunehmend technisierten Umwelt leben und die Beherrschung dieser Umwelt dem Menschen in vielen Fällen nicht mehr möglich ist.Zum zweiten wurde dem Umstand Rechnung getragen, daß bei Unfällen im hochtechnisierten Bereich aller Regel nach hohe Schäden entstehen.Drittens wurde berücksichtigt, daß es nicht einsichtig erscheint, daß etwa Schäden, die durch eine Bahn hervorgerufen werden, deren Betreiber regelmäßig im öffentlichen Bereich zu finden ist, weniger gut abgegolten werden sollen, als dies bei Unfällen geschieht, die etwa durch ein Kraftfahrzeug verursacht werden, dessen Betreiber im Regelfalle ein Privatmann sein wird.Ganz nebenbei: Es sollte ein dringendes Anliegen des Gesetzgebers sein, zuweilen auch etwas für die Rechtsanwendung und deren Vereinfachung zu tun. Deswegen begrüßen wir es, daß wir die Verjährungsvorschriften einer ganzen Reihe von Gesetzen den Vorschriften für die Verjährung im Bereich der unerlaubten Handlungen angeglichen und damit die Rechtsanwendung sowohl für betroffene Opfer als auch für diejenigen, die in diesem Bereich beruflich arbeiten, ganz wesentlich erleichtert haben.Bei den Beratungen hat sich ergeben — lassen Siemich das abschließend sagen —, daß es nicht notwendig ist, eine Pflichtversicherung auch für langsam fahrende Kraftfahrzeuge mit einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h vorzusehen. Wir konnten uns bei den Beratungen davon überzeugen, daß hier im Regelfall Betriebshaftpflichtversicherungen bestehen und daß etwa 90 0/o des Wegs, den solche Fahrzeuge zurückzulegen pflegen, außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums zurückgelegt wird. Bedenkt man, welche hohen zusätzlichen Prämienbelastungen die Einführung einer solchen Pflichtversicherung bedeutet hätte, so konnten wir guten Gewissens von deren Einführung absehen, die ja im Entwurf ohnehin nicht vorgesehen war. Ob es allerdings der Weisheit letzter Schluß war, für jene langsam fahrenden Kraftfahrzeuge entgegen dem Entwurf nun auch davon abzusehen, künftig die Gefährdungshaftung vorzusehen, mag mit einigen Fragezeichen versehen sein.Wir werden diesem Gesetz zustimmen.
Das Wort hat der Herr Pralamentarische Staatssekretär de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluß der Beratungen des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicherVorschriften noch einmal unterstreichen, welche Bedeutung die Bundesregierung diesem Vorhaben beimißt. Gewiß handelt es sich bei diesem Entwurf, der inhaltsgleich mit einem von der Bundesregierung bereits in der letzten Wahlperiode eingebrachten, vom 7. Deutschen Bundestag aber nicht mehr verabschiedeten Gesetzentwurf ist, nicht um ein groß angelegtes Reformwerk. Nichtsdestoweniger handelt es sich dabei aber um ein sozialpolitisch bedeutsames Vorhaben, das eine dringend notwendige Verbesserung des Schutzes von Unfallopfern verwirklicht.Mit der vom Gesetz vorgesehenen Ausdehnung der Gefährdungshaftung auf alle Rohrleitungsanlagen wird eine empfindliche Lücke in unserem Haftungssystem geschlossen. Die Erhöhung der Haftungshöchstsummen im Straßenverkehrsgesetz, im Luftverkehrsgesetz und im Reichshaftpflichtgesetz kommt denjenigen zugute, die schwerste Schäden erlitten haben und daher der Ersatzleistung am meisten bedürftig sind.Gegen den Entwurf sind — wenn auch nur vereinzelt — Bedenken wegen seiner kostenmäßigen Auswirkungen geltend gemacht worden. Die Bundesregierung vermag solche Bedenken nicht zu teilen. Wie in der Entwurfsbegründung ausgeführt ist, werden sich diese Auswirkungen in engen Grenzen halten. Das ergibt sich schon daraus, daß die Erweiterung und Ausdehnung der Gefährdungshaftung natürlich nur den Restbestand der Fälle betrifft, in denen bisher eine Haftung mangels Verschuldensnachweises ausschied. Die Erhöhung der Haftungshöchstgrenzen wirkt sich darüber hinaus nur in dem Bruchteil der Fälle aus, in dem wegen des Umfanges der Schäden die bisherigen Haftungshöchstbeträge unzulänglich waren. Die Hinnahme der danach verbleibenden Mehrbelastung von Wirtschaft und öffentlichen Haushalten ist im Interesse der angestrebten Verbesserung des Opferschutzes angemessen und für die Betroffenen zumutbar.Sowohl der Gesetzentwurf der Bundesregierung als auch der vorliegende Fraktionsentwurf haben sich auf einige besonders dringliche Punkte des Haftungsrechts, worauf schon hingewiesen wurde, beschränkt. Das hat in den Beratungen in diesem Hause ebenso wie früher bei unseren Vorbereitungen die Frage aufkommen lassen, ob nicht gelegentlich eines solchen Vorhabens auch andere zur Erörterung anstehende Probleme des Haftungsrechts mit-geregelt werden sollten. Ich erwähne hier nur die Grundsatzfrage der Einführung eines Schmerzensgeldes in Fällen der Gefährdungshaftung oder die Vorschläge des Bundesrates zu einer noch weiteren Ausdehnung der Haftung für bestimmte Rohrleitungsanlagen. Die Ausschüsse sind der Verlockung einer solchen Ausweitung des Themenbereiches nicht gefolgt, sondern haben sich an die Stoffbeschränkung des Entwurfs gehalten. Hierfür möchte ich den Ausschüssen, zumal dem Rechtsausschuß, namens der Bundesregierung ausdrücklich danken.Die notwendige vertiefte Erörterung dieser weiteren Punkte würde das Inkrafttreten der mit dem Entwurf vorgeschlagenen dringlichen und weitgehend unstreitigen Vorabmaßnahmen unangemes-
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Pari. Staatssekretär Dr. de Withsen verzögern. Damit wäre aber den Interessen der Unfallopfer am wenigsten gedient. Es versteht sich im übrigen von selbst, daß alle in den Beratungen angeschnittenen, im vorliegenden Entwurf aber ausgeklammerten Fragen bei künftigen Arbeiten der Bundesregierung auf dem Gebiet des Schadensersatzrechts in die Prüfung einbezogen werden.Lassen Sie mich abschließend allen Beteiligten, vor allem aber dem Vorsitzenden, den Berichterstattern und den Mitgliedern des Rechtsausschusses, für die zügige, weitestgehend einmütige und immer kooperative Behandlung dieses Vorhabens danken. Namens der Bundesregierung bitte ich Sie, dem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Wer dem Gesetz in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige Beschlußfassung fest und bitte Sie noch, die zu dem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bundesärzteordnung
— Drucksache 8/205 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
— Drucksache 8/536 —
Berichterstatterin : Abgeordnete Frau Schleicher
Eine Ergänzung des schriftlichen Berichts wird nicht gewünscht. Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Ich rufe in zweiter Beratung die Artikel 1, 1 a, 1 b, i c, 2, 3 und 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz in der zweiten Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hammans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem von der Bundesregierung am 18. März eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Bundesärzteordnung soll entsprechend den Richtlinien des Rates für die gegenseitige Anerkennung von ärztlichen Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen eineGleichstellung mit den Ausbildungsnachweisen, die die Bundesärzteordnung für das innerstaatliche Recht vorsieht, erreicht werden. Die gegenseitige Anerkennung von ärztlichen Diplomen und Prüfungszeugnissen ist im Interesse der Niederlassungsfreiheit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft nicht nur wünschenswert, sondern notwendig. Mit dieser Maßnahme wird sichergestellt, daß zukünftig unter gegenseitiger Anerkennung der in einem Staat erworbenen Befähigungsnachweise zur Ausübung des ärztlichen Berufes der Grundsatz der Freizügigkeit gewährleistet wird.Lassen Sie mich hier nur kurz anmerken, daß dieser Gesetzentwurf in seinem Juristenkauderwelsch wieder einmal ein typisches Beispiel dafür bietet, wie schwierig es doch wohl für Juristen sein muß, einfache Tatbestände auch in verständlicher Form darzustellen. Für den nicht mit der Materie befaßten Bürger ist es fast unmöglich, sich eine Vorstellung darüber zu verschaffen, welche konkreten Verbesserungen mit dieser Gesetzesvorlage gemeint sind. Dabei geht es doch einfach darum, daß durch diese Vorlage im europäischen Bereich gesetzte Rechtsakte für alle Staaten so verbindlich werden, daß sie jeweils unter Berücksichtigung der nationalen Gesetzgebung so Anwendung finden, daß unterschiedliche Auslegungen zukünftig vermieden werden. Die in den zuständigen Ausschüssen beratene Vorlage wurde zum größten Teil unverändert aus dem Entwurf übernommen.Ein in meiner Fraktion diskutiertes Problem betraf die Frage der Sicherstellung von notwendigen Informationen für die ausländischen Ärzte, die in der Bundesrepublik Deutschland tätig werden. Es ist notwendig, daß sich diese Ärzte auf ihre Tätigkeit dadurch vorbereiten, daß sie sich mit der Gesundheits- und Sozialgesetzgebung ebenso wie mit den hier geltenden Standesregeln vertraut machen. Die Erfüllung dieser Forderung ist Voraussetzung dafür, daß ausländische Ärzte bei uns mit Erfolg wirken können. Wie sollte sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient entwickeln können, wenn der behandelnde Arzt nicht in der Lage ist, den Patienten auch in dieser Frage allgemein beraten zu können?Allerdings ist dieses Problem nicht in der Weise zu lösen, daß die Inanspruchnahme der genannten Informationen zur Bedingung für eine Approbationserteilung gemacht wird; hierfür sind die Voraussetzungen die erforderliche Ausbildung, die Zulässigkeitsnachweise und die entsprechende gesundheitliche Eignung. Hinsichtlich der Vermittlung der erforderlichen Informationen liegt die Regelungskompetenz bei den Ländern. Aus diesem Grunde hat sich der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit dafür ausgesprochen, eine Entschließung einzubringen, in der die Bundesregierung ersucht wird, bei den Bundesländern darauf hinzuwirken, Maßnahmen zu ergreifen, damit die in die Bundesrepublik einwandernden Ärzte die erforderlichen Informationen über die Gesundheits- und Sozialgesetzgebung sowie die in unserem Lande geltenden Standesregeln erhalten können.
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Dr. HammansFestzustellen ist allerdings, daß oftmals die mangelnden deutschen Sprachkenntnisse ausländischen Ärzten bei ihrer Niederlassung erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Diese Verständigungsschwierigkeiten sind durch das umgekehrte Verhältnis zwischen Gastarbeiter und deutschem Arzt hinlänglich bekannt. Es dürfte aber leider nicht möglich sein, in dieser Frage auf diesem gesetzlichen Wege eine Lösung zu finden.Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion begrüßt, daß mit diesem Gesetz ein weiterer Schritt unternommen wird, noch bestehende Hemmnisse bei die Niederlassungsfreiheit im europäischen Bereich zu beseitigen. Wir werden ihm zustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jaunich.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Aus einem mir unerklärlichen Grunde ist im Ältestenrat eine Vereinbarung zustande gekommen, wonach über diesen Punkt der Tagesordnung eine Aussprache stattfinden soll. Vielleicht war das aber der Wunsch eines einzelnen Herrn, Herr Dr. Hammans.
Gleichwohl, ich bin nun in die Lage versetzt, dazu auch noch etwas sagen zu müssen.
- Herr Kollege Kohl, ich kann Sie akustisch — und auch ansonsten oft — nicht verstehen.
— Ich mache es noch kürzer; verlassen Sie sich darauf. Ich orientiere mich an dem, was heute den ganzen Tag über diskutiert worden ist, nämlich Maßnahmen zur Energieeinsparung, und ich werde meine Energie hier ganz sparsam einsetzen.
Der Entwurf — das hat Herr Dr. Hammans hier ja richtig vorgetragen — sieht die Übernahme von Verpflichtungen vor, die wir im Rahmen der EG eingegangen sind; er setzt diese in innerstaatliches Recht um. Weiterhin haben wir mit diesem Gesetz eine Bereinigung hinsichtlich der Voraussetzungen für die Erteilung der Approbation vorgenommen, indem wir hier also nicht mehr das Erfordernis der deutschen Staatsangehörigkeit deklarieren, sondern eben auch den übrigen Bürgern aus den EG-Ländern, soweit sie die übrigen Voraussetzungen erfüllen, das Recht auf Approbationserteilung einräumen. Kurzum, die Vorlage verfolgt das Ziel, die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EG zu realisieren und damit Europa konkret einen Schritt erlebbarer, wirklicher zu machen. Dies ist gut, dies ist richtig; die sozialdemokratische Bundestagsfraktion stimmt dem zu.
Eines wird — dies muß noch angemerkt werden — außerdem geregelt: Wir geben der Bundesregierung die Möglichkeit, in die Approbationsordnung Anmeldefristen für die Haupt- und die Vorprüfungen einzubeziehen. Damit nehmen wir Regelungen auf, die im Hochschulrahmengesetz gefunden wurden. Wir übertragen sie nicht nur auf den Bereich der Ärzte, sondern auch auf den Bereich der Tierärzte, der Zahnärzte und der Apotheker.
Was die Beschäftigung der Ärzte aus dem Bereich der EG, die sich in der Bundesrepublik niederlassen wollen, im Hinblick auf unsere Sozialvorschriften und Gesundheitsvorschriften anlangt, fordern wir die Bundesregierung auf, auf die Länder einzuwirken, daß Entsprechendes geschieht.
Was die Standesregeln betrifft, Herr Kollege Hammans, habe ich so große Sorgen nicht. Die werden sie sehr, sehr schnell begreifen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Anbetracht der in den Ausschüssen hergestellten weitgehenden Einigung möchte ich für die FDP nur eine sehr kurze Erklärung abgeben.
Bei dem zur Abstimmung stehenden Entwurf haben wir es mit einem Gesetz zu tun, das bezüglich der Freizügigkeit der Ärzte in Europa zwei Richtlinien des Rates der Europäischen Gemeinschaft in innerstaatliches Recht umsetzen und außerdem zwei Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Rechnung tragen will.
Wir Freien Demokraten begrüßen es, daß wir auf dem langen, dornenvollen Weg zu einer Europäischen Gemeinschaft, die diesen Namen verdient, mit diesem Gesetz einen Schritt weitergekommen sind.
Gerade in dieser Woche beschäftigen wir uns mit dem deutschen Gesetz zur Einführung der unmittelbaren Wahl des Europäischen Parlaments. Wir alle wissen, welche Schwierigkeiten diese und andere im Rampenlicht der großen Politik stehenden Fragen der europäischen Einigung bereitet haben und noch bereiten werden. So wird auch manchem aufmerksamen Betrachter der politischen Szenerie gelegentlich nicht bewußt, daß sich im Schatten der großen Kontroversen weniger spektakuläre Akte der europäischen Harmonisierung durchaus harmonisch vollziehen.
Lassen Sie es mich bitte mit einem Vergleich ausdrücken: Mögen auf dem Gebiet der politischen Einigung Europas die Bäume auch nicht gerade in den Himmel wachsen und ihre Wipfel von schweren Stürmen zerzaust werden — darunter wächst doch, kaum bemerkt, das Unterholz dieses gemeinsamen Waldes zu einem immer dichteren Geflecht zusammen. Wir sollten nicht die Integrationskraft dieser kleinen, aber wichtigen Schritte unterschätzen,
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Eimer
Die FDP wird deshalb diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung in dritter Beratung. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Beratung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe. — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Wir haben noch über die Ziffern 2 und 3 der Beschlußempfehlung des Ausschusses, auf die der Herr Abgeordnete Jaunich hingewiesen hat, abzustimmen.
Wer zustimmt, den bitte ich um das Zeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Einstimmig so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über den Einsatz von Wahlgeräten bei der Wahl zum 8. Deutschen Bundestag am 3. Oktober 1976
— Drucksachen 8/94, 8/443 — Berichterstatter:
Abgeordneter Berger Abgeordneter Wittmann
Ich danke den Herren Berichterstattern für den vorgelegten Bericht. Eine mündliche Ergänzung ist nicht vorgesehen.
Der Ausschuß schlägt Ihnen vor: Der Bundestag wolle beschließen, von der Unterrichtung durch die Bundesregierung — Drucksache 8/94 — Kenntnis zu nehmen. — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Die Kenntnisnahme ist damit erfolgt.
Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung auf Donnerstag, den 16. Juni, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.