Protokoll:
18040

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 40

  • date_rangeDatum: 6. Juni 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 15:23 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/40 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 40. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 I n h a l t : Begrüßung des Präsidenten der Parlamentari- schen Versammlung der Organisation für Si- cherheit und Zusammenarbeit in Europa, Herrn Ranko Krivokapic . . . . . . . . . . . . . . . . 3489 A Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Er- leichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und geduldete Aus- länder Drucksache 18/1528 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3489 B b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schutzbedarf von Roma aus Westbal- kanstaaten anerkennen Drucksache 18/1616 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3489 C Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3489 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 3491 D Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3493 B Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3495 B Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 3497 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 3499 A Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3500 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3501 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 3502 C Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3505 A Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 3506 C Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen Drucksache 18/1115 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3508 B Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 3508 C Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 3510 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . 3512 A Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 3513 A Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 3513 D Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3516 A Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 3517 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3518 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 3519 D Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3520 D Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 3522 A Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 3524 A Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3524 B Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 3525 D Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabe- Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 satzes (Künstlersozialabgabestabilisierungs- gesetz – KSAStabG) Drucksache 18/1530 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3528 A Gabriele Lösekrug-Möller, Parl. Staats- sekretärin BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3528 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 3529 A Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 3530 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 3531 B Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3532 A Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 3533 B Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Multidimensionalen In- tegrierten Stabilisierungsmission der Ver- einten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2013 Drucksache 18/1416 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3534 D Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3535 A Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 3536 C Achim Post (Minden) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 3537 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3538 C Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 3539 C Dirk Vöpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3540 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 3541 B Tagesordnungspunkt 30: Erste Beratung des von den Abgeordneten Kai Gehring, Özcan Mutlu, Beate Walter- Rosenheimer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über befristete Ar- beitsverträge in der Wissenschaft (1. Wiss- ZeitVG-ÄndG) Drucksache 18/1463 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3542 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3542 B Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) . . . . . . 3543 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 3545 B Dr. Simone Raatz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3546 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3546 C Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 3548 A Dr. Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 3549 C Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) . . . . . . . 3550 D Tagesordnungspunkt 31: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der „United Nations Inte- rim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 und folgender Resolutio- nen, zuletzt 2115 (2013) vom 29. August 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Drucksache 18/1417 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3552 A Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3552 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 3553 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3554 D Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3556 A Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 3557 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3557 D Thomas Hitschler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 3558 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 3559 D Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3560 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . . 3561 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ernst-Dieter Rossmann und Andreas Schwarz (beide SPD) zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans- Christian Ströbele und der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Geset- zes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfas- sungsgerichts (Drucksache 18/1662) (39. Sit- zung, Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . 3562 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3563 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3489 (A) (C) (D)(B) 40. Sitzung Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3561 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 06.06.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 06.06.2014 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 06.06.2014 Bulmahn, Edelgard SPD 06.06.2014 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 06.06.2014 Freitag, Dagmar SPD 06.06.2014 Dr. Friedrich (Hof), Hans-Peter CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 06.06.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 06.06.2014 Golze, Diana DIE LINKE 06.06.2014 Grindel, Reinhard CDU/CSU 06.06.2014 Groß, Michael SPD 06.06.2014 Gunkel, Wolfgang SPD 06.06.2014 Hänsel, Heike DIE LINKE 06.06.2014 Hartmann, Sebastian SPD 06.06.2014 Dr. Hendricks, Barbara SPD 06.06.2014 Hinz (Essen), Petra SPD 06.06.2014 Hochbaum, Robert CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Hoppenstedt, Hendrik CDU/CSU 06.06.2014 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 06.06.2014 Kampeter, Steffen CDU/CSU 06.06.2014 Klare, Arno SPD 06.06.2014 Klingbeil, Lars SPD 06.06.2014 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.06.2014 Lange (Backnang), Christian SPD 06.06.2014 Dr. Lauterbach, Karl SPD 06.06.2014 Lay, Caren DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 06.06.2014 Mast, Katja SPD 06.06.2014 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 06.06.2014 Möhring, Cornelia DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 06.06.2014 Nietan, Dietmar SPD 06.06.2014 Pilger, Detlev SPD 06.06.2014 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.06.2014 Rüthrich, Susann SPD 06.06.2014 Schavan, Annette CDU/CSU 06.06.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Schockenhoff, Andreas CDU/CSU 06.06.2014 Schwabe, Frank SPD 06.06.2014 Steinke, Kersten DIE LINKE 06.06.2014 Tank, Azize DIE LINKE 06.06.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 06.06.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.06.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 06.06.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 06.06.2014 Wiese, Dirk SPD 06.06.2014 Ziegler, Dagmar SPD 06.06.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 3562 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Ernst-Dieter Rossmann und Andreas Schwarz (beide SPD) zur Abstim- mung über den Änderungsantrag der Abgeord- neten Volker Beck (Köln), Lisa Paus, Ulle Schauws, Luise Amtsberg, Kai Gehring, Katja Keul, Renate Künast, Monika Lazar, Irene Mihalic, Özcan Mutlu, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Ge- setzes zur Anpassung steuerlicher Regelungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts (Drucksache 18/1662) (39. Sitzung, Ta- gesordnungspunkt 18) In einer aufgeklärten Gesellschaft ohne Diskriminie- rung versteht sich die vollständige Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe von selbst. Gleichwohl lässt sich dieses Selbstverständnis nicht verordnen – es sind Kompromisse zu suchen, über die in einer Demokratie Mehrheiten entscheiden. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wurde für diese Legislaturperiode vereinbart: Sexuelle Identität respektieren – Lebenspartner- schaften, Regenbogenfamilien Wir wissen, dass in gleichgeschlechtlichen Partner- schaften Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende – Dis- kriminierungen von gleichgeschlechtlichen – Le- benspartnerschaften und von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden. Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen. Wir sind froh, dass sich Vereine und Körperschaften für die Rechte Homosexueller einsetzen. Gemäß § 52 Absatz 2 Nummer 7 AO können diese Vereine und Kör- perschaften zur Förderung der Volksbildung als gemein- nützig anerkannt werden. Zu einer vollständigen Gleichstellung gehört auch, dass die Förderung der Lebenspartnerschaft als gemein- nütziger Zweck neben Ehe und Familie explizit in der Abgabenordnung verankert wird; denn sie leisten einen wichtigen Beitrag für die Akzeptanz von Homosexuali- tät in der Gesellschaft. Sie klären auf und unterstützen Homosexuelle bei der Bewältigung von Problemen. Hier die Förderungswürdigkeit in die Abgabenordnung auf- zunehmen, folgt unmittelbar aus der Koalitionsvereinba- rung. Wir bedauern sehr, dass die CDU/CSU dieser Verein- barung noch nicht folgen kann und zwischen den Koali- tionspartnern hier keine Einigung über die Erweiterung der gemeinnützigen Zwecke erzielt werden konnte. Aus Rücksichtnahme auf den Koalitionsvertrag, in dem sich die Koalitionspartner auf ein einheitliches Ab- stimmungsverhalten verständigt haben, können wir dem Antrag der Bündnis 90/Die Grünen-Bundestagsfraktion leider nicht zustimmen. Dieses einheitliche Abstimmungsverhalten ermög- licht es uns, erfolgreich deutliche Verbesserungen für viele Menschen zu erreichen – auch im Hinblick auf ein selbstbestimmtes Leben. Damit wird also – trotz dieses einzelnen Aspekts in der Abgabenordnung – viel er- reicht. Diese Erfolge wollen wir nicht durch Zustim- mung zu dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ge- fährden. Wir werden uns aber weiterhin für dieses Anliegen einsetzen und eine vollständige Gleichbehandlung von Lebenspartnerschaften unterstützen. Mit dem heute ver- abschiedeten Gesetz zur Anpassung steuerlicher Rege- lungen an die Rechtsprechung des Bundesverfassungs- gerichts wird eine steuerliche Gleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft, wie vom Bundesverfas- sungsgericht gefordert, hergestellt. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 922. Sitzung am 23. Mai 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen: – Erstes Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer- Entsendegesetzes – Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Ra- tes zur Aufhebung des Beschlusses 2007/124/EG, Euratom des Rates Darüber hinaus hat der Bundesrat in seiner 922. Sit- zung am 23. Mai 2014 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Num- mer 2 und Satz 3 des Standortauswahlgesetzes in Er- gänzung seines Beschlusses vom 11. April 2014 als Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen – Klaus Brunsmeier (Bund für Umwelt und Natur- schutz Deutschland) und – Jörg Sommer (Deutsche Umweltstiftung) zu Mitgliedern der „Kommission Lagerung hoch radio- aktiver Abfallstoffe“ gewählt. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2013 Drucksachen 18/1046, 18/1379 (neu) Nr. 1.3 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 40. Sitzung. Berlin, Freitag, den 6. Juni 2014 3563 (A) (C) (D)(B) Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu- roparats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2013 Drucksachen 18/1047, 18/1379 (neu) Nr. 1.4 Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitis- mus Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze Drucksachen 17/7700, 18/770 Nr. 2 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht über die Auswirkungen der Regelungen zur Anzeigepflicht gewerblicher und gemeinnütziger Samm- lungen gemäß der §§ 17 und 18 des Kreislaufwirt- schaftsgesetzes (Monitoring-Bericht) Drucksachen 18/800, 18/1042 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unions- dokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Be- ratung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 18/1393 Nr. A.1 EP P7_TA-PROV(2014)0204 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 18/419 Nr. A.7 EP P7_TA-PROV(2013)0383 Drucksache 18/419 Nr. A.8 EP P7_TA-PROV(2013)0389 Drucksache 18/544 Nr. A.7 Ratsdokument 17859/13 Drucksache 18/822 Nr. A.1 EuB-BReg 14/2014 Drucksache 18/822 Nr. A.2 EuB-BReg 15/2014 Drucksache 18/822 Nr. A.4 EuB-BReg 20/2014 Drucksache 18/1048 Nr. A.4 Ratsdokument 7509/14 Drucksache 18/1048 Nr. A.5 Ratsdokument 7536/14 Drucksache 18/1137 Nr. A.1 Ratsdokument 7537/14 Drucksache 18/1393 Nr. A.6 EuB-BReg 38/2014 Drucksache 18/1393 Nr. A.11 EP P7_TA-PROV(2014)0229 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Drucksache 18/419 Nr. A.37 Ratsdokument K(2013)3539 endg. Drucksache 18/419 Nr. A.39 Ratsdokument 11499/13 Drucksache 18/419 Nr. A.54 Ratsdokument 17645/13 Drucksache 18/822 Nr. A.10 Ratsdokument 6113/14 Haushaltsausschuss Drucksache 18/1048 Nr. A.7 Ratsdokument 5398/14 Drucksache 18/1137 Nr. A.2 Ratsdokument 7907/14 Ausschuss für Arbeit und Soziales Drucksache 18/419 Nr. A.100 Ratsdokument 11460/13 Drucksache 18/419 Nr. A.101 Ratsdokument 11474/13 Drucksache 18/419 Nr. A.102 Ratsdokument 11926/13 Drucksache 18/419 Nr. A.103 Ratsdokument 16220/13 Drucksache 18/419 Nr. C.36 Ratsdokument 8040/12 Drucksache 18/419 Nr. C.37 Ratsdokument 15865/12 Drucksache 18/544 Nr. A.37 Ratsdokument 5567/14 Drucksache 18/544 Nr. A.38 Ratsdokument 17367/13 Drucksache 18/544 Nr. A.39 Ratsdokument 17650/13 Drucksache 18/544 Nr. A.40 Ratsdokument 18151/13 Drucksache 18/642 Nr. A.5 EP P7_TA-PROV(2014)0012 Drucksache 18/642 Nr. A.6 EP P7_TA-PROV(2014)0014 Drucksache 18/822 Nr. A.26 Ratsdokument 6220/14 Drucksache 18/1137 Nr. A.4 Ratsdokument 7978/14 Drucksache 18/1137 Nr. C.2 Ratsdokument 6715/12 Drucksache 17/9475 Nr. A.17 Ratsdokument 8042/12 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 18/419 Nr. A.148 EP P7_TA-PROV(2013)0284 Drucksache 18/419 Nr. A.150 EP P7_TA-PROV(2013)0390 Drucksache 18/419 Nr. A.153 EP P7_TA-PROV(2013)0420 Drucksache 18/1393 Nr. A.36 EP P7_TA-PROV(2014)0206 Drucksache 18/1393 Nr. A.37 EP P7_TA-PROV(2014)0253 Drucksache 17/14284 Nr. A.12 EP P7_TA-PROV(2013)0223 Drucksache 17/14284 Nr. A.14 EP P7_TA-PROV(2013)0232 Ausschuss für Kultur und Medien Drucksache 18/419 Nr. A.197 EP P7_TA-PROV(2013)0274 Drucksache 18/419 Nr. A.198 EP P7_TA-PROV(2013)0329 Drucksache 18/419 Nr. A.199 EP P7_TA-PROV(2013)0350 Drucksache 18/419 Nr. A.200 EP P7_TA-PROV(2013)0368 Drucksache 18/419 Nr. A.201 Ratsdokument 10469/13 40. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 26 Asylrecht TOP 27 Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe TOP 28 Künstlersozialabgabesatz TOP 29 Bundeswehreinsatz in Mali (MINUSMA) TOP 30 Befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft TOP 31 Bundeswehreinsatz in Libanon (UNIFIL) Anlagen
Gesamtes Protokol
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804000000

Die Sitzung ist eröffnet.

Der Ältestenrat hat sich in seiner gestrigen Sitzung
darauf verständigt, während der Haushaltsberatungen ab
dem 24. Juni keine Befragung der Bundesregierung,
keine Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden
durchzuführen. Als Präsenztage sind die Tage von
Montag, dem 23. Juni, bis Freitag, dem 27. Juni 2014,
festgelegt worden. Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist offenkundig der Fall. Dann verfahren wir so.

Auf der Ehrentribüne hat der Präsident der Parlamen-
tarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, Herr Ranko
Krivokapić, der auch Präsident des Parlaments von
Montenegro ist, mit seiner Delegation Platz genommen.


(Beifall)


Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut-
schen Bundestages begrüße ich Sie, sehr geehrter Kol-
lege Krivokapić, sehr herzlich. Die Bedeutung der OSZE
wird ja gerade in diesen Tagen der Weltöffentlichkeit
wieder stärker bewusst. Der Deutsche Bundestag fordert
alle Konfliktparteien auf, die Beauftragten der OSZE zu
respektieren und für ihren Schutz Sorge zu tragen. Für
Ihren Aufenthalt bei uns und für Ihr weiteres Wirken in
der Parlamentarischen Versammlung der OSZE beglei-
ten Sie unsere besten Wünsche.


(Beifall)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einstu-
fung weiterer Staaten als sichere Herkunfts-
staaten und zur Erleichterung des
Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und
geduldete Ausländer

Drucksache 18/1528
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Schutzbedarf von Roma aus Westbalkanstaa-
ten anerkennen

Drucksache 18/1616
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
hat das Wort Bundesminister Dr. Thomas de Maizière.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das
Recht auf Asyl hat für uns einen hohen Stellenwert


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehabt!)


und verdeutlicht den Willen Deutschlands, seine histori-
sche und humanitäre Verpflichtung zur Aufnahme von
Flüchtlingen zu erfüllen. Wir sollten klug und verant-
wortungsvoll mit dieser Verpflichtung umgehen. Eine
verantwortungsvolle Asylpolitik muss auch darauf aus-
gerichtet sein, die große Aufnahmebereitschaft, die un-
sere Gesellschaft auszeichnet, für die Aufnahme von
wirklich Schutzbedürftigen zu erhalten. Das gilt umso
mehr, wenn wir uns die aktuelle Entwicklung der Flücht-
lingszahlen anschauen.

Seit einigen Jahren steigen die Zuzugszahlen in
Deutschland wieder stark an. Innerhalb der Europäi-
schen Union weist unser Land heute mit großem Ab-
stand die meisten Asylbewerber auf. Im Jahr 2013 haben
über 120 000 Menschen in Deutschland Asyl beantragt,





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

in Italien waren es 28 000, in Frankreich 66 000, in
Großbritannien 30 000 und in den Niederlanden 17 000.
Vor diesem Hintergrund würde ich Sie, Frau Kollegin
Roth, gerne bitten, dass Sie, wenn Sie die Politik der
Bundesregierung kritisieren, nicht davon sprechen, es
ginge hier um Reste des Asylrechts. Wir sind stolz da-
rauf, das Land in Europa zu sein, das die meisten Asyl-
bewerber aufnimmt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Entwicklung setzt sich in diesem Jahr fort. Von
Januar bis Mai 2014 betrug der Anstieg gegenüber dem
entsprechenden Vorjahreszeitraum erneut mehr als
60 Prozent. Wenn diese Entwicklung so weitergeht, dann
liegen wir am Ende dieses Jahres bei rund 200 000 Asyl-
anträgen. Die Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölke-
rung ist auch angesichts dieser hohen Zahlen ungebro-
chen groß. Das sehen wir am Beispiel Syrien.
Deutschlands Unterstützung für Syrien beläuft sich seit
2012 auf rund 520 Millionen Euro. Insgesamt sind 2011
nahezu 40 000 syrische Staatsbürger nach Deutschland
eingereist, rechnet man die Zahlen aus den Aufnahme-
programmen, die wir gemacht haben, und der Asylbe-
werber zusammen. Auch hier sind wir mit Abstand das
Land, das außerhalb des Krisengebietes am meisten
Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Was passiert im Krisengebiet?)


Seit drei Jahren werden bundesweit keine Menschen
mehr nach Syrien abgeschoben. Auch dafür haben die
Menschen in unserem Land großes Verständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dagegen gibt es ein wachsendes Unverständnis für
die Armutsmigration aus Westbalkanstaaten im Asylver-
fahren. In der Tat, seit Aufhebung der Visumspflicht –
nicht etwa wegen einer veränderten Lage in den entspre-
chenden Staaten – für Serbien, Mazedonien und Bos-
nien-Herzegowina ist in Deutschland ein sprunghafter
Anstieg der Antragszahlen festzustellen.

Im Jahr 2009, also im letzten Jahr vor der Aufhebung
der Visumspflicht, kamen etwa 1 000 Asylbewerber aus
diesen Herkunftsstaaten. Im Jahr 2013 waren es bereits
32 000. Das war ein Viertel aller 2013 in Deutschland
gestellten Asylanträge.

Serbien, meine Damen und Herren, ist im Jahr 2014
das zweitstärkste Herkunftsland aller Staaten, aus denen
Asylbewerber kommen. Die Zahl der anerkannten
Schutzbedürftigen unter den Angehörigen dieser Staaten
liegt jedoch bei unter 1 Prozent.

Der vorliegende Gesetzentwurf, den ich hier heute
einbringe, sieht deshalb vor, Mazedonien, Serbien sowie
Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten nach
dem Asylverfahrensgesetz einzustufen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverantwortlich!)


Für sichere Herkunftsstaaten wird kraft Gesetzes vermu-
tet, dass aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung
und der allgemeinen politischen Verhältnisse dort keine
politische Verfolgung droht.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Roma?)


Dadurch sollen aussichtslose Asylanträge schneller bear-
beitet und der Aufenthalt in Deutschland schneller been-
det werden können.

Die gesetzliche Vermutung der Verfolgungsfreiheit ist
jedoch widerlegbar. Jeder Asylbewerber hat auch danach
weiterhin die Chance, darzulegen, dass er abweichend
von der allgemeinen Lage im Herkunftsland in seinem
konkreten Fall mit Verfolgung rechnen muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-
rung hat sich die Einstufung von Serbien, Mazedonien
und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten
nicht leicht gemacht. Wir haben uns anhand der Rechts-
lage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politi-
schen Verhältnisse ein Gesamturteil über die Verhält-
nisse in diesen drei Staaten gebildet.

In der Begründung des Gesetzentwurfs werden die
Erwägungen für jedes dieser drei Länder ausführlich
dargelegt. Für alle drei Länder jedoch gilt: Nach der Be-
richterstattung des Auswärtigen Amtes, einschließlich
der entsprechenden Asyllageberichte, sowie unter Be-
rücksichtigung der Erkenntnisse lokaler Menschen-
rechtsgruppen, vor Ort vertretener Nichtregierungsorga-
nisationen und auch internationaler Organisationen wie
zum Beispiel des Hohen Flüchtlingskommissars der Ver-
einten Nationen oder des Internationalen Roten Kreuzes,
nach all diesen Bewertungen können Serbien, Mazedo-
nien und Bosnien-Herzegowina wirklich als sichere Her-
kunftsstaaten angesehen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was sagt der UNHCR?)


Serbien, mit dem die EU den Status eines EU-Beitritts-
kandidaten verabredet hat, bittet selbst um die Auf-
nahme in die Liste als sicheres Herkunftsland.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)


Wir teilen die Einstufung der drei Länder als sichere
Herkunftsländer mit vielen unserer europäischen Nach-
barn. Frau Roth, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Ös-
terreich, die Schweiz und Großbritannien stufen Serbien,
Mazedonien und Bosnien-Herzegowina bereits heute als
sichere Herkunftsstaaten ein. Das ist ja nun keine Liste
von Schurkenstaaten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Alle diese Staaten stimmen demnach ganz grundsätz-

lich überein mit der in unserem Gesetzentwurf vorge-
nommenen Einschätzung der Lage in Serbien, Mazedo-
nien und Bosnien-Herzegowina.

Auch wenn wir diese Staaten als sichere Herkunfts-
länder im Sinne des Asylrechts einstufen, so verschlie-
ßen wir nicht die Augen vor den bestehenden Defiziten,
die es gerade im Hinblick auf den Umgang mit Minder-
heiten auch in diesen Ländern gibt.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Sehr wahr!)






Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

Die Bundesregierung setzt sich deshalb kontinuierlich
und intensiv dafür ein, die Lebenssituation der Men-
schen vor Ort zu verbessern. Im Rahmen der bilateralen
staatlichen Entwicklungszusammenarbeit werden die
nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und die verbes-
serte Ausbildung insbesondere junger Menschen geför-
dert. Auf regionaler Ebene werden Regierungen und zi-
vilgesellschaftliche Organisationen im Westbalkan dabei
unterstützt, die soziale Situation benachteiligter Gesell-
schaftsgruppen zu verbessern. Die Integration der Min-
derheiten wird im Rahmen der Regierungsgespräche re-
gelmäßig thematisiert. Das gilt umso mehr für die
Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union mit Ser-
bien, die im Januar dieses Jahres begonnen haben. Es ist
von einem Staat, der Mitglied der Europäischen Union
werden will, nicht zu viel verlangt, dass er seine eigenen
Minderheiten vernünftig behandelt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass es auch
Debatten gibt, zwei andere Staaten, darunter Albanien,
in die Liste sicherer Herkunftsstaaten aufzunehmen; da-
rüber wird in aller Ruhe zu sprechen sein. Dort ist die
Lage teilweise vergleichbar, teilweise nicht ganz ver-
gleichbar. Wir sollten das im weiteren Gesetzgebungs-
verfahren in Ruhe miteinander besprechen.

Der heute von mir vorgelegte Gesetzentwurf enthält
zudem eine Regelung, mit der wir die Situation der
Asylbewerber in unserem Land künftig spürbar verbes-
sern möchten. Die Wartefrist, nach der Asylbewerbern
und Ausländern, die eine Duldung besitzen, die Aus-
übung einer Beschäftigung grundsätzlich erlaubt werden
kann, möchten wir auf drei Monate verkürzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Durch die Verkürzung dieser Wartefrist sollen die Men-
schen früher die Möglichkeit erhalten, durch Aufnahme
einer Beschäftigung ihren Lebensunterhalt zu bestreiten,
und zwar selbst. Auch da gibt es so etwas wie eine Vor-
rangprüfung. Aber man kann nicht einerseits sagen, die
Asylbewerber sollen dem deutschen Steuer- und Bei-
tragszahler nicht auf der Tasche liegen, aber anderer-
seits, wenn es die Arbeitsmarktlage erlaubt und wenn die
Betroffenen arbeiten können und wollen, sagen: Ihr dürft
nicht arbeiten. – Deswegen ist es richtig, diese Frist zu
verkürzen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will die Situation in der Vergangenheit jetzt aber
nicht kritisieren; diese Regelungen haben wir ja schließ-
lich auch beschlossen. Eingeführt wurde diese Frist al-
lerdings vor dem Hintergrund einer ganz anderen Ar-
beitslosenzahl; auch das darf man nicht vergessen. Die
Lage in Deutschland ist da unterschiedlich. In Gegenden
mit einer sehr niedrigen Arbeitslosenzahl war der Druck,
diese Frist zu verkürzen, höher als in anderen Gegenden.
Wie auch immer, es ist jedenfalls richtig, dass wir jetzt
so vorgehen. Es ist auch richtig, die Dreimonatsfrist in
den Blick zu nehmen. Denn nach dem Asylrecht befin-
den sich die Asylbewerber in aller Regel drei Monate in
Erstaufnahmelagern.

(Rüdiger Veit [SPD]: Höchstens!)


Wir wollen durch verschiedene Bemühungen erreichen,
dass die Asylverfahren im Durchschnitt nach drei Mona-
ten abgeschlossen sind, sodass nach diesen drei Monaten
im Grunde klar ist, wer bleibt und wer nicht bleibt. Wa-
rum sollen diejenigen, die bleiben dürfen, nachdem das
Verfahren abgeschlossen ist, nicht arbeiten dürfen, Bei-
träge und Steuern zahlen und sich hier integrieren? Das
haben wir jetzt vor.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um ein kon-
struktives und verantwortungsvolles Mitwirken an diesem
Gesetzgebungsverfahren, das, wie wir alle wissen, mit
der Entscheidung im Deutschen Bundestag noch keinen
Abschluss gefunden hat; das müssen wir alle miteinan-
der bedenken. Ich bitte Sie, in der Tonlage der Debatte
einerseits dem Anspruch und der humanitären Verpflich-
tung, die wir mit dem Asylrecht in Deutschland gerne
übernommen haben, und andererseits mit dem, was viele
Menschen im Hinblick auf Asylbewerber aus bestimm-
ten Ländern bewegt, behutsam und so umzugehen, dass
wir zusammenbleiben und uns nicht von manchen, die
genau darauf spekulieren, auseinanderdividieren lassen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804000100

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804000200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun-

desregierung legt heute einen Gesetzentwurf vor, mit
dem Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Serbien zu
sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen. Das be-
deutet, dass die Asylanträge aller Asylsuchenden aus
diesen Staaten in Zukunft im Schnellverfahren abgelehnt
werden,


(Christine Lambrecht [SPD]: Geprüft werden, nicht abgelehnt!)


weil sie pauschal als unbegründet gelten, und dass sie in-
nerhalb einer Woche das Land verlassen müssen.


(Rüdiger Veit [SPD]: Das ist so nicht richtig!)


Faktisch werden auch jetzt schon Asylanträge von
Antragstellern aus dem Westbalkan im Eiltempo abge-
fertigt und nur oberflächlich geprüft. Trotzdem erhielten
2013 immerhin 60 Asylsuchende aus diesen Ländern ei-
nen humanitären Aufenthaltstitel durch das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge, und weitere 82 erkämpf-
ten sich dieses Recht vor den Verwaltungsgerichten.

Die Linke fordert ganz klar: Es muss weiterhin faire
Asylverfahren für Menschen aus den Staaten im West-
balkan geben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

Ich will hier ganz deutlich sagen: Länder, in denen
schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begangen
werden, dürfen nicht als sichere Herkunftsstaaten einge-
stuft werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus all diesen Staaten kommen vor allem Roma als
Asylsuchende nach Deutschland. 90 Prozent der Asylsu-
chenden aus Serbien sind Roma. Aus Mazedonien sind
es 80 Prozent und aus Bosnien-Herzegowina 65 Prozent.
Es ist bekannt, dass diese Minderheiten dort am Rande
der Gesellschaft leben und Opfer von rassistischen Über-
griffen und Kampagnen sind. Gerade weil wir als Deut-
sche Roma gegenüber eine historische Verantwortung
haben, meinen wir, dass diese Länder nicht einfach als
sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden können.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Über eine halbe Million Sinti und Roma sind während
des Faschismus in ganz Europa umgekommen. Dieser
Gesetzentwurf tut gerade so, als hätte es diesen Teil der
Geschichte, diesen Antiziganismus, nie gegeben. Ich ap-
pelliere an Sie: Handeln Sie, und seien Sie hier nicht ge-
schichtsvergessen!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesen Tagen gibt es erschreckende Meldungen aus
Serbien und Bosnien-Herzegowina. Dort wurden durch
eine Überschwemmungskatastrophe Häuser und ganze
Siedlungen zerstört. Zehntausende Menschen sind ob-
dachlos, und es besteht Seuchengefahr. Die Behörden
versuchen, zu helfen, wo sie können; das ist keine Frage.
Diese Hilfe kommt aber längst nicht bei allen an.

Insbesondere Roma sind von den Fluten betroffen;
denn ihre Siedlungen befinden sich direkt an den Fluss-
ufern. Erst in dieser Woche hat der Ombudsmann für
Bürgerrechte, Saša Janković, in Bosnien-Herzegowina
beklagt, dass dort einer Gruppe von 30 Roma der Zu-
gang zu Aufnahmezentren einfach verweigert wurde,
weil sie Roma waren. Sie wurden stattdessen in einen
Bunker verfrachtet, der durch Rattengift verseucht war –
ohne Toiletten, ohne sauberes Wasser und ohne An-
schluss an das Abwassersystem. Ihnen wurde die Unter-
stützung, die andere Bürgerinnen und Bürger dort selbst-
verständlich erhalten haben, nicht zuteil – und das einzig
und allein, weil sie Roma sind. Das ist die schreckliche
Realität, die auch Sie von der Koalition einfach einmal
zur Kenntnis nehmen müssen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist eine von vielen Geschichten alltäglicher Dis-
kriminierung, die Roma in den Staaten des ehemaligen
Jugoslawien erdulden und erleiden müssen. Ich will
noch weitere Beispiele aus Serbien nennen:

45 000 Roma, Flüchtlinge aus dem Kosovo, leben
dort ohne Personaldokumente und damit völlig rechtlos.
Sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung
und zu Sozialleistungen. Man muss hier ganz deutlich
sagen: Insgesamt gibt es dort 400 informelle Roma-Sied-
lungen. Ein Drittel davon hat keine Wasserversorgung,
70 Prozent der Haushalte sind nicht an das Abwassersys-
tem angeschlossen, und häufig gibt es auch keinen
Strom. Ich glaube, ich muss hier nicht sagen, was das
dort bedeutet – insbesondere für Kinder und für Frauen.
Laut UNICEF ist die Kindersterblichkeit bei Roma in
Serbien viermal so hoch wie im Durchschnitt.

All diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie schmal
der Grat zwischen Diskriminierung und lebensbedrohen-
der Ausgrenzung ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir reden nicht einfach über Armut. Wir reden über
massive Verletzungen der sozialen Menschenrechte.
Nach den Asylrichtlinien der EU muss auch eine Mehr-
fachdiskriminierung zur Anerkennung als Flüchtling
führen.

Herr Innenminister, ich sage es gerne noch einmal:
Wenn diese Menschen in irgendeiner Weise von schwer-
wiegenden Verletzungen eines grundlegenden Men-
schenrechtes betroffen sind, muss auch das zum Schutz
in unserem Land führen, nicht nur die enge Sicht auf die
politische Verfolgung.


(Beifall bei der LINKEN)


Übrigens – auch das hat der Innenminister hier nicht er-
wähnt – hat auch der UNHCR in seiner Stellungnahme
zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf klar gefor-
dert, dass das europäische Recht angewendet bzw. end-
lich in die Praxis umgesetzt werden soll.

In der Begründung des Gesetzentwurfs findet sich zu
all diesen Menschenrechtsverletzungen kein einziges
Wort. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat zu Recht
von einer „Bagatellisierung“ der Menschenrechtslage in
den Westbalkanstaaten gesprochen. In dem vorliegenden
Gesetzentwurf werden die zahlreichen Berichte von
Menschenrechtsgruppen, Institutionen und dem Europa-
rat sowie der US-Menschenrechtsbericht – das soll
schon etwas heißen – ignoriert. Diese Ignoranz der Bun-
desregierung ist meines Erachtens wirklich unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese ganze Debatte vergiftet zusehends das gesell-
schaftliche Klima in der Bundesrepublik. Am Mittwoch
wurden zum Beispiel neue Zahlen einer Studie der Uni-
versität Leipzig zum Rassismus in der Mitte dieser Ge-
sellschaft bekannt. Demnach haben 55,4 Prozent der Be-
fragten ein Problem damit, wenn sich Roma und Sinti in
ihrer Gegend aufhalten. 47,1 Prozent finden, Roma und
Sinti sollten aus den Innenstädten verbannt werden.
55,9 Prozent unterstellen ihnen eine höhere Neigung zu
Kriminalität. – All diese Werte sind im Vergleich zur
Umfrage von 2011 deutlich gestiegen.

Der grassierende Antiziganismus ist auch das Ergeb-
nis dieser unsäglichen Asylmissbrauchsdebatten, die wir
seit mindestens zwei Jahren in dieser Gesellschaft füh-





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

ren, besonders auf der rechten Seite dieses Hauses. Das
ist unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804000300

Frau Kollegin.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804000400

Ja, Herr Präsident, ich komme zum Schluss.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804000500

Das müssten Sie schon längst gekommen sein.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804000600

Man befeuert damit jedenfalls den Antiziganismus in

dieser Gesellschaft.

Ich sage zum Schluss noch einmal: Ziehen Sie diesen
Gesetzentwurf zurück! Beenden Sie die Asylschnellver-
fahren, und erkennen Sie den Schutzbedarf von Roma
aus den Westbalkanstaaten an! Seien Sie mit dieser
Gruppe solidarisch. Ich denke, sie hat es historisch ver-
dient.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804000700

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Rüdiger Veit, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1804000800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um

mit einem Bekenntnis zu beginnen: Ich habe an diesem
Pult und vor Ihnen selten mit so gemischten Gefühlen
gestanden.

Ich beginne mit dem, was aus meiner Sicht uneinge-
schränkt positiv ist und was wir mit unserem jetzigen
Koalitionspartner erreicht haben. Es ist nach dem Vor-
lauf, auf den ich noch zu sprechen komme, in der Tat fast
sensationell zu nennen: Die Dauer des Arbeitsverbotes
für Asylbewerber und Geduldete wurde gekürzt.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU])


Diese Frist beträgt im Augenblick noch 12 bzw. 9 Mo-
nate. Wenn der vorliegende Entwurf Gesetz wird, wird
die Dauer des Arbeitsverbotes in Zukunft auf 3 Monate
verkürzt. Die Betreffenden sind damit in der Lage, sich
und ihre Familien selbst zu versorgen.

Wenn uns das gelingt, dann gelingt uns zugleich auch
die Durchbrechung eines Teufelskreises in anderer Hin-
sicht; denn bei vielen, die hier zwar nicht als Flüchtlinge
oder Asylberechtigte anerkannt werden, die aber nicht
abgeschoben werden oder ausreisen können, ist es heute
noch immer – so möchte man sagen – wie beim
Hauptmann von Köpenick: Wenn du keinen Aufenthalts-
titel hast, bekommst du keine Arbeit. Wenn du keine Ar-
beit hast, bekommst du keinen Aufenthaltstitel. – Auch
diesen Teufelskreis werden wir durchbrechen, wenn die
betroffene Personengruppe nach drei Monaten den Ar-
beitsmarktzugang haben wird.

Ich bin schon lange in der Politik und erinnere mich
daran, dass sogar Otto Schily und Günter Beckstein
– das war wirklich so; das ist kein Missverständnis oder
Hörfehler – in einer gemeinsamen Initiative vor vielen
Jahren gefordert haben, dass das unselige Arbeitsverbot
für Geduldete und Asylbewerber auf sechs Monate ver-
kürzt werden muss. Das hat sich damals nicht durchge-
setzt. Heute ist es endlich so weit. Es hat lange genug ge-
dauert. Meine Kollegin Daniela Kolbe wird noch im
Einzelnen darauf eingehen.

Ich komme jetzt zu dem Teil, der mir zugegebenerma-
ßen wenig Freude macht. Ich darf vorausschicken – ich
bitte um Nachsicht für diese persönliche Bemerkung –:
Ich gehörte innerhalb der hessischen SPD zu denjenigen,
die den Asylkompromiss von 1993, zu dem auch das
Prinzip und Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ge-
hörte und gehört, nachhaltig bekämpft haben. Deswegen
können Sie mir gerne glauben, dass es mir in den Koali-
tionsverhandlungen wirklich schwergefallen ist, der
Union zuzugestehen, dass wir die drei Westbalkanstaa-
ten in die Liste der sicheren Herkunftsländer aufnehmen.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber gemacht haben Sie es dann trotzdem!)


Aber neben diesen grundsätzlichen Überlegungen
und Vorbehalten, die ich auch heute noch gegenüber die-
sem System habe – das will ich nicht verhehlen; wir sind
innerhalb der SPD durchaus unterschiedlicher Meinung,
aber meine Position jedenfalls hat sich im Grundsatz
nicht verändert –,


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Natürlich!)


muss man klarstellend Folgendes sagen: Zunächst ein-
mal ist es nicht so, liebe Ulla Jelpke, dass damit alle, die
aus diesen Ländern zu uns kommen, rechtlos gestellt
werden. Es gibt nach § 36 des Asylverfahrensgesetzes
ein vereinfachtes, beschleunigtes Verfahren, auf das
auch der Herr Minister bereits hingewiesen hat.

Es gibt im Übrigen sogar Praktiker aus den Bundes-
ländern, die bestreiten, dass eine Einstufung als sichere
Herkunftsländer wirklich zu einer nachhaltigen Arbeits-
entlastung des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge führt. Wir allerdings hoffen das und gehen davon
aus.

Es wird aber mit dieser Systematik der sicheren Her-
kunftsländer eine für jeden Einzelnen widerlegbare Re-
gelvermutung begründet, er sei nicht verfolgt. Er kann
also beim BAMF das Gegenteil geltend machen. Er kann
dagegen auch Rechtsschutz in Anspruch nehmen, wenn
auch in kürzester Frist. Das ist richtig.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Eine Woche!)






Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

Er kann auch nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsge-
richtsordnung einstweiligen Rechtsschutz beantragen


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!)


und darf dann, solange darüber nicht entschieden wor-
den ist – auch hierbei gibt es eine kurze Frist –, nicht ab-
geschoben werden.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Individueller Rechtsschutz!)


Angesichts der Tatsache, dass wir es bei den drei
Westbalkanstaaten mit Schutzquoten zu tun haben, die in
den vergangenen Jahren unter 0,5 Prozent gelegen ha-
ben, habe ich durchaus Zutrauen in das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge, in die Qualität, Sorgfalt und
Sensibilität der dortigen Bearbeiter und Entscheider


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sollen zehn Minuten einsparen!)


– ich komme gleich dazu –, dass es gelingt, nach wie vor
die Schutzbedürftigen zu erfassen und sie auch mit Blei-
berechten auszustatten.

Es ist nicht richtig, liebe Kollegin Amtsberg, dass wir
dann ohne Weiteres von 10-Minuten-Anhörungen auszu-
gehen haben. Ich sagte schon: Es gibt sogar Praktiker
aus den Bundesländern, die meinen, das beschleunigte
administrative Verfahren werde letztendlich gar keine
großen administrativen Erleichterungen bringen.

Ich wiederhole – in diesem Zusammenhang danke ich
auch den Mitarbeitern in Nürnberg bzw. dort, wo sie
sonst in der Bundesrepublik tätig sind –: Anders als frü-
her, als die Behörde noch Bundesanstalt für die Aner-
kennung ausländischer Flüchtlinge hieß, aber in Wirk-
lichkeit eher für die Ablehnung von Flüchtlingen eintrat,
ist es heute so, dass unter der sensiblen Amtsführung des
damaligen Präsidenten Albert Schmid und des derzeiti-
gen Präsidenten Manfred Schmidt die Mitarbeiter in der
Lage sind, die Schutzbedürftigen entsprechend heraus-
zufinden. Dafür noch einmal meinen herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Albanien und Montenegro – der Minister hat es an-
gesprochen – ist die Situation etwas anders. Für Antrag-
steller aus Montenegro beträgt die Schutzquote 0,0. Bei
Antragstellern aus Albanien ist sie, anders als bei den
anderen Herkunftsstaaten, über die wir heute reden,
deutlich höher. Das hat aber unterschiedliche Ursachen,
die wir in der Tat sorgfältig beobachten müssen. Dazu
laufen Gespräche. Ich gebe aber keine Erklärungen da-
rüber ab, ob die SPD dazu bereit sein könnte, über die
jetzt vereinbarten drei Staaten hinaus weitere Staaten
aufzunehmen. Aber ich sichere zu, dass wir diesen Kom-
plex weiterhin sachkundig, wie ich hoffe, und ohne
Scheuklappen bearbeiten werden. Dann wird man das
Ergebnis sehen.

Übrigens, was Albanien angeht – liebe Ulla Jelpke,
auch diesen Hinweis will ich geben –, ist es keineswegs
so, dass alle, die aus Albanien zu uns kommen, Roma
sind. Ausgerechnet aus dem Land sind es nur 6 Prozent.
Alle anderen haben eine andere ethnische oder staatsbür-
gerschaftliche Herkunft.

Jenseits dessen, was wir nun damit schaffen werden,
ist dies für mich persönlich ein sehr schwieriger Kom-
promiss gewesen. Aber wir haben in den Koalitionsver-
handlungen gerade im Bereich des Flüchtlingsrechts ei-
niges erreicht. – Nun schaue ich ganz bewusst die beiden
Verhandlungsführerinnen in der Arbeitsgruppe „Migra-
tion/Integration“, Frau Kollegin Maria Böhmer und Frau
Kollegin Aydan Özoğuz, an. Ich denke, wir haben uns
gerade für Flüchtlinge eine Reihe von Verbesserungen
vorgenommen, die sich sehen lassen können. Dazu ge-
hört das stichtagsunabhängige Bleiberecht, dazu gehört
eine Ausweitung des Resettlement-Programms, dazu ge-
hört die Fastabschaffung der Residenzpflicht, dazu ge-
hört die frühzeitige Unterweisung in der deutschen Spra-
che, und dazu gehört natürlich auch die Frage der
Handlungsfähigkeit von 16- und 17-Jährigen, die in Zu-
kunft als Kinder einzustufen sind, was das Asylverfah-
rensrecht angeht. Das alles sind wichtige Maßnahmen
für Flüchtlinge – auf den Arbeitsmarkt bin ich schon zu
sprechen gekommen –, die sich sehen lassen können.
Eine Koalitionsvereinbarung ist immer – wem sage ich
das eigentlich hier im Haus, wer ist denn so unerfahren,
dass er das nicht wüsste – ein Geben und ein Nehmen.
Von daher gesehen ist das letztendlich ein Kompromiss,
zu dem wir Sozialdemokraten stehen.

Ich will einen weiteren Punkt ansprechen. Da ich von
meiner persönlichen Befindlichkeit bei der Ausweisung
von Ländern als sichere Herkunftsländer gesprochen
habe, will ich darauf hinweisen, dass in unseren Reihen,
auch bei unseren Länderinnenministern und Senatoren
der SPD, durchaus die Sorge besteht, die Bundesminister
de Maizière hier artikuliert hat, nämlich dass die Akzep-
tanz für die Aufnahme noch schutzbedürftigerer Men-
schen als derjenigen vom Westbalkan in unserer Bevöl-
kerung schwinden kann, wenn wir alle wieder mit
Größenordnungen konfrontiert sind, die man nur sehr
schwer bewältigen kann. Wir sind zwar weit entfernt von
den Größenordnungen von 1991/92. Damals gab es
450 000 Asylantragsteller und über 400 000 Spätaus-
siedler. Aber man sollte versuchen, die Sensibilität sich
selber zu bewahren und in der Bevölkerung zu erhalten.

Ich füge hinzu: Wenn das nach dem Prinzip kommu-
nizierender Röhren funktioniert und man die Meinung
vertritt, dass diejenigen, die vielleicht weniger schutzbe-
dürftig sind, möglichst zügig in ihre Heimat zurückkeh-
ren sollen, damit wir uns um diejenigen kümmern kön-
nen, die in besonderem Maße an Leib und Leben bedroht
und traumatisiert sind, dann gehört dazu – darum bitte
ich auch unseren Koalitionspartner –, dass wir uns in Eu-
ropa, bezogen auf die Aufnahme syrischer Flüchtlinge,
weiterhin so vorbildlich verhalten, wie wir das bisher ge-
tan haben. Da erwarte ich, Herr Minister, insbesondere
von der nächsten Innenministerkonferenz in Bonn in der
nächsten Woche entsprechende Fortschritte.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Lassen Sie mich noch etwas zur Situation der Sinti
und Roma sagen. Ich weiß nicht, ob nur ich dieser Mei-





Rüdiger Veit


(A) (C)



(D)(B)

nung bin, aber meine Einschätzung ist, dass diese größte
Ethnie bzw. Minderheit überall in Europa schlecht be-
handelt wird, nicht nur auf dem Westbalkan. Ich erinnere
mich an einen Besuch in der Harzer Straße in Berlin-
Neukölln – die Kollegin Kolbe hat ihn freundlicherweise
organisiert –, wo wir mit Betroffenen – dabei hat es sich
um Roma vorwiegend aus Bulgarien und Rumänien ge-
handelt – genauso gesprochen haben wie mit Sozialar-
beitern. Bei diesem Besuch wurde uns noch einmal klar
und deutlich vor Augen geführt: Selbst hier bei uns in
Deutschland – die Zahlen aus der Studie sind eben ge-
nannt worden – gibt es so etwas wie eine Hierarchie der
Fremden. Diejenigen, die nicht zur Stammbevölkerung
gehören, unterteilen sich ungefähr wie folgt – so wurde
es uns gesagt; ich befürchte, dass das so ist –: Relativ
weit oben stehen die Türken, die noch gut emanzipiert
sind. Dann kommen diejenigen russischer Abstammung,
gefolgt von denjenigen arabischer Abstammung oder
Herkunft. Ganz am Schluss dieser Kette, wenn es um
Anerkennung und Integration sowie um die Frage geht,
wie man ihnen begegnet, befinden sich, auch bei uns in
Deutschland, Sinti und Roma. Nach meiner Einschät-
zung ist das in ganz Europa so. Deswegen müssen wir
unsere europäischen Anstrengungen darauf richten, die
Lebensbedingungen, die für diese Ethnie in ganz Europa
wirklich schändlich sind, dort, wo sie sich in erster Linie
aufhält, zu verbessern. Das jedenfalls wäre der gemein-
samen Anstrengungen wert. Das würde unserer histori-
schen Verantwortung dieser Ethnie und dieser Bevölke-
rungsgruppe gegenüber entsprechen. Das wäre eine
Gemeinsamkeit, zu der wir uns zusammenfinden könn-
ten.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804000900

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten

Luise Amtsberg, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804001000

„Sie gehören zu den Verwundbarsten unserer Gesell-

schaft, vor allem wenn es darum geht, sie in unserem …
Umfeld zu integrieren und sie zu fördern.“ Das wurde
bei einem Treffen mit Papst Franziskus gestern Abend
gesagt. Dieses Zitat stelle ich an den Anfang meiner
Rede.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition! Ich
finde es traurig, dass wir heute im Zusammenhang mit
dem ersten Gesetzentwurf der Koalition im flüchtlings-
politischen Bereich eine weitere Einschränkung des
Asylrechts diskutieren und nach meiner Auffassung mit
diesem Gesetzentwurf dem Asylrecht den finalen Todes-
stoß versetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Heute, fast auf die Woche genau 21 Jahre später, brin-
gen Sie einen Gesetzentwurf ein, bei dem mehr als deut-
lich wird, dass Sie erneut die bundesrechtlichen und
europarechtlichen Voraussetzungen auf Kosten der Men-
schenrechte und auf Kosten der europäischen Idee igno-
rieren. Das ist einfach nur enttäuschend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
CDU, wundert es mich nicht. Von Ihnen haben wir ge-
lernt, wie man so eine Grundgesetzverschärfung von
langer Hand plant und vorbereitet. Blickt man zurück
auf das Ende der letzten Legislatur, bekommt man dafür
eine perfekte Handlungsanleitung. Das geht so: Erst las-
sen Sie den damaligen Bundesinnenminister wegen stei-
gender Asylzahlen eine Debatte über die Wiedereinfüh-
rung der Visumspflicht und innereuropäische Grenzen
auslösen. Mal austesten, wie weit es so geht mit unserem
europäischen Bewusstsein. – Na ja, für das Aufstellen
von Schlagbäumen hat es zum Glück nicht gereicht,
wohl aber dafür, das Bundesamt anzuweisen, das Asyl-
verfahren für Menschen aus dieser Region zu beschleu-
nigen.

Dann lässt man die Schwesterpartei und ihr – nun ja –
Flaggschiff Horst Seehofer, der mit seiner Einwande-
rungspolitik wirklich nur noch die Emotionalsten unter
uns zum Kopfschütteln bringt, an den Ball. Der erzählt
dann was vom Missbrauch unseres Sozialsystems – als
ob es in Deutschland keine Gesetze gäbe, die diesen ver-
hindern würden! –, macht mit Betrügergerüchten Front
gegen Bulgaren und Rumänen und vergiftet damit vor
der Europawahl das gesellschaftliche Klima in Deutsch-
land gegenüber Europa.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Damit es dann auch alle glauben, spricht sogar die Kanz-
lerin von Sozialmissbrauch in einer ihrer Regierungs-
erklärungen.

Im letzten Schritt – und das ist wirklich unerträglich,
durchsichtig und perfide – nehmen Sie die niedrigen
Schutzquoten von Menschen aus dieser Region als
Rechtfertigung für diesen Gesetzentwurf und berufen
sich damit auf Fakten, die Sie mit Ihrer vorangegange-
nen Politik selber geschaffen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Man muss schon an Amnesie leiden, um diese Taktik
nicht zu begreifen. Ihnen, liebe Christdemokraten, kann
ich also an der Stelle keine unbedachte oder fahrlässige
Politik vorwerfen; denn das, was Sie hier intendieren, ist
absolut gewollt.

Was aber um alles in der Welt ist eigentlich mit euch
los, liebe Sozialdemokraten?


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Wie konntet ihr nach 1993, als das Grundrecht auf Asyl
seines Inhalts beraubt wurde, mit euren Stimmen – ich
weiß, lieber Rüdiger, dass das vielen von euch noch auf





Luise Amtsberg


(A) (C)



(D)(B)

der Seele liegt –, zulassen, dass an diese Politik jetzt
wieder angeknüpft wird? Ihr wisst doch, dass mit dieser
Grundgesetzänderung das elendige Hin- und Herge-
schiebe von Schutzsuchenden in Europa erst möglich ge-
macht wurde, dass heute nur noch weniger als 2 Prozent
der Asylsuchenden in Deutschland über unseren Verfas-
sungsartikel geschützt werden, dass alle anderen unter
die Dublin-Regulierung fallen und dass niemand in
Deutschland einfach so vom Himmel fällt und Asyl be-
antragt. Wie kann es sein, dass ihr erneut vor der Panik-
mache der CDU vor steigenden Asylbewerberzahlen
einknickt? Ich kann das wirklich nicht glauben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Gesetzent-
wurf schlägt – das wurde noch nicht gesagt – noch in ei-
nem anderen Bereich dem Fass den Boden aus; denn in
dem Gesetz geht es auch um eine zweite Sache, die be-
dauerlicherweise überhaupt gar nichts mit der ersten
Sache zu tun hat – es handelt sich also um eine Art Sam-
melgesetz –: Es geht nämlich auch um den Arbeits-
marktzugang von Asylbewerberinnen und Asylbewer-
bern in Deutschland.

Keine Frage: Die Absenkung der Frist für den Zugang
zum Arbeitsmarkt von neun auf drei Monate ist ein gutes
Anliegen. Aber auch hier, wie auch schon bei der De-
batte über den Optionszwang oder die Residenzpflicht,
gehen Sie nur einen halben Schritt. Eine Lockerung der
Arbeitsverbote macht doch nur dann Sinn, wenn die so-
genannte Vorrangprüfung wegfällt. Wenn dieser Schritt
nicht gegangen wird, dann ist den meisten Asylbewerbe-
rinnen und Asylbewerbern leider überhaupt nicht gehol-
fen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Damit ist dieses zentrale Anliegen, liebe SPD, noch
nicht mal mehr ein Zückerchen, sondern einfach nur
– und das ist bedauerlich – an der Sache vorbei.

Der Gesetzentwurf ist aber auch ein fantastisches
Lehrstück dafür, mit welcher Arroganz große Mehrhei-
ten hier in diesem Parlament Politik machen. Warum hat
man denn an dieser Stelle Birnen und Tomaten in einen
Topf geschmissen? Das kann man wohl nur damit be-
gründen, dass dieser Gesetzentwurf im Bundesrat zu-
stimmungspflichtig ist und man versucht hat, den SPD-
Innenministern in irgendeiner Form Argumentationshil-
fen an die Hand zu geben oder uns als Opposition in die
Enge zu treiben und zu unterstellen, dass wir mit einer
Ablehnung dieses Gesetzes arbeitsmarktpolitische Ver-
besserungen blockieren würden. Ich sage nur: Meine
Fraktion lässt sich nicht erpressen. Ich hoffe, dass es
auch die SPD-Landesinnenminister nicht tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zurück zu den „sicheren Herkunftsstaaten“. Wir wer-
den diesen Gesetzentwurf mit aller Schärfe zurückwei-
sen. Die Logik darin ist nämlich folgende: Wenn die
meisten Anträge auf Asyl von Bewerbern aus der
Region, um die es geht, abgelehnt werden, dann kann es
dort, wo diese Menschen herkommen, ja nicht so
schlimm sein; dann kann man so ein Land auch einfach
als sicher einstufen. Meine Fraktion hat sich schon im-
mer gegen die Praxis der „sicheren Herkunftsstaaten“
ausgesprochen. Denn das Einstufen eines Landes als si-
cher führt zur pauschalen Ablehnung von Asylanträgen
und somit zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt kommen Sie vermutlich und sagen – ich habe es
schon gehört –: Frau Amtsberg, regen Sie sich mal nicht
so auf. Es ist ja nicht so, dass niemand Asyl beantragen
kann. Die Möglichkeit dazu ist nach wie vor vorhanden.
– Das stimmt. Nur, der entscheidende Unterschied ist,
dass die Anträge nicht mehr sorgfältig geprüft werden.
Damit unterwandert dieses Gesetz einen der zentralsten
Grundsätze unseres Asylrechts: das Recht auf individu-
elle und gründliche Prüfung eines Asylbegehrens und
auf effektiven – nicht individuellen, Herr Strobl! –
Rechtsschutz.

Der Hauptkritikpunkt an Ihrem Gesetzentwurf muss
sich zweifelsohne nach meiner Auffassung auf den
Rechtsbruch beziehen, den Sie begehen, indem Sie
nicht, wie nach europäischem Recht vorgeschrieben, alle
verfügbaren menschenrechtlichen Quellen zurate ziehen,
wenn Sie ein Land als sicher einstufen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Denn unser europäisches Recht erlaubt es ohne Wei-
teres, existenzbedrohende Mehrfachdiskriminierung als
Asylgrund einzustufen. Ich sage es mal so: Besonders
vor dem Hintergrund unserer Geschichte – Frau Jelpke
hat darauf hingewiesen – wäre es mehr als angezeigt,
wenn Deutschland diesen Spielraum endlich nutzen
würde.

In all den benannten Ländern finden schwerwiegende
Diskriminierungen statt. Fast alle Menschenrechts- und
Flüchtlingsverbände haben sich dazu geäußert: das
Deutsche Institut für Menschenrechte, Pro Asyl, Am-
nesty International, die Flüchtlingsräte, der UNHCR, das
Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, der Je-
suiten-Flüchtlingsdienst, die Diakonie, der UN-Flücht-
lingshochkommissar, die Kommission; und sogar das
Auswärtige Amt äußert sich dazu sehr deutlich. Sie alle
haben gesagt, dass die menschenrechtliche Lage vor Ort
besorgniserregend ist.

Nur ein Beispiel: In Bosnien-Herzegowina sind An-
gehörige der Romaminderheit gleich mehrfachen Diskri-
minierungen ausgesetzt: Sie stecken in einem Teufels-
kreis aus Armut und Arbeitslosigkeit. Der Zugang zu
Bildung, Arbeit, medizinischer Versorgung oder ver-
nünftigen Wohnverhältnissen ist ihnen verwehrt. Roma
werden häufig Opfer rassistischer Propaganda und Ge-
walt. Die Sterblichkeit von Romakindern ist in allen drei
Staaten, um die es hier geht, doppelt so hoch wie an-
derswo. Die älteren Roma sterben zehn Jahre früher als
der Rest der Bevölkerung. Das ist doch kein Zufall!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Luise Amtsberg


(A) (C)



(D)(B)

Herr Bundesinnenminister, Sie haben recht, wenn Sie
sagen, dass man von Beitrittskandidaten und Ländern,
die es werden wollen, erwarten kann, dass sie den
Rechtsstaat und die Menschenrechte aufrechterhalten
und achten. Der Wunsch und die Erwartung sind fromm.
Ich teile sie. Auch ich habe diese Erwartung; denn die
Achtung der Menschenrechte ist und muss europäischer
Konsens sein.

Aber gerade dann ist es doch fahrlässig, nicht zur
Kenntnis zu nehmen, wie die menschenrechtliche Situa-
tion vor Ort ist, und diese Staaten, in denen die Beitritts-
kapitel zu Justiz und Menschenrechten noch nicht ge-
schlossen sind, einfach als sicher einzustufen. Ein Staat
ist eben nicht einfach sicher, weil man ihn hier so nennt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


In meinen Augen ist das Vogel-Strauß-Taktik: Kopf in
den Sand; denn was nicht sein darf, ist auch nicht.

So macht man keine Politik. Liebe SPD, liebe Innen-
minister der SPD, macht den Rücken gerade und zeigt
eure Verantwortung! Denn jeder Einzelfall ist es wert,
beachtet zu werden. Wir sollten an unseren asylrechtli-
chen Grundsätzen festhalten. Menschen, die Schutz ver-
dienen, müssen ihn hier bei uns auch bekommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804001100

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Thomas Strobl, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1804001200

Herr Präsident Hintze! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Wenn wir in diesen Tagen mit Bürgermeistern
und Landräten in unseren Wahlkreisen sprechen, dann
werden wir sehr häufig auf die steigenden Zahlen von
Asylbewerberinnen und Asylbewerbern angesprochen.
Die Kommunen müssen Unterkünfte bereitstellen. Die
Bürgerinnen und Bürger fragen uns besorgt: Geht dieser
Anstieg immer weiter?

2009 waren es 28 000 Asylbewerber in der Bundes-
republik Deutschland. Im letzten Jahr waren es knapp
100 000 mehr: 127 000. Innerhalb von fünf Jahren gab
es also fast eine Verfünffachung der Asylbewerberzahlen
in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei ist der An-
stieg von Asylbewerbern aus den Balkanstaaten beson-
ders groß: Fast jeder fünfte Bewerber kommt aus Ser-
bien, Mazedonien oder Bosnien-Herzegowina.

Diese Entwicklung ist kein Anlass für Alarmismus.
Ich finde, dass die Koalition heute einen maßvollen Vor-
schlag macht. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wollen wir auch: Wir wollen vor allem sicherstellen,
dass wir unsere Anstrengungen für syrische Flüchtlinge
aufrechterhalten und ausbauen können; denn wenn
Flüchtlinge aus Syrien zu uns kommen und ein Asylver-
fahren durchlaufen, dann liegt die Schutzquote bei
100 Prozent. Bei Flüchtlingen aus den Westbalkanstaa-
ten liegt sie bei nahe 0 Prozent. Deswegen: Wer aus Sy-
rien kommt – Herr Kollege Veit, das möchte ich auch
dem Koalitionspartner, der SPD, zusagen –, dem wollen
wir effektiv helfen. Hier wollen wir den Schutz im Zwei-
fel sogar ausbauen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dafür, meine Damen und Herren, ist es aber erforder-
lich, dass wir unsere Kräfte bündeln und die Ressourcen,
die nicht unbegrenzt sind, entsprechend gezielt einset-
zen. Deswegen verfolgt der Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zwei zentrale Ziele:

Erstens. Wir wollen, dass Asylbewerber und gedul-
dete Ausländer schneller arbeiten können, nämlich
schon nach drei Monaten. Damit soll die Abhängigkeit
von Sozialleistungen reduziert werden. Sie sollen mit ih-
rer eigenen Hände Arbeit ihren Lebensunterhalt oder je-
denfalls einen Teil davon selbst bestreiten können, und
sie sollen auch nicht verdammt sein, tatenlos in den Tag
hineinleben zu müssen. Das ist ein konkreter Fortschritt,
der auch geduldeten Ausländerinnen und Ausländern zu-
gutekommt. Frau Kollegin Amtsberg, das sollten eigent-
lich auch die Grünen anerkennen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich ja auch gesagt!)


Wir wollen zweitens zügige Verfahren bei Bewerbern
aus sicheren Herkunftsstaaten, damit solche aussichtslo-
sen Asylanträge schneller bearbeitet werden und die
Menschen schneller in ihre Heimatländer zurückkehren
können. Das ist ein Kernanliegen, das wir mit diesem
Gesetzentwurf verfolgen; denn wir brauchen zügig – zü-
gig! – eine Verbesserung unseres Asylsystems. Wir er-
warten, dass wir damit auch dem eigentlichen Ziel unse-
res Asylsystems, den tatsächlich politisch Verfolgten
Schutz und einen sicheren Rechtsstatus gewähren zu
können, einen Schritt näher kommen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie ignorieren auch die UN-Richtlinie für Asyl! Das ist ja unglaublich!)


Das bedeutet konkret: Die steigende Zahl von Bewer-
bern stellt unsere Kommunen vor große Herausforderun-
gen. Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen: Stuttgart in-
vestiert augenblicklich 21 Millionen Euro in sogenannte
Systembauten, in denen 1 000 Asylbewerber unterkom-
men sollen. Aber das ist nicht nur ein Problem für die
großen Städte, sondern auch eines für den ländlichen
Raum. Im Ostalbkreis in Baden-Württemberg rechnet
man mit 1 000 Asylbewerbern am Ende dieses Jahres.
Der Landrat und die Kommunalpolitiker arbeiten inten-
siv daran, Unterkünfte zu erstellen. Deshalb brauchen
wir eine Entlastung der Kommunen. Unser Gesetzent-
wurf leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

Den Kommunen ist am meisten damit geholfen, wenn
die Bewerberzahlen aus Staaten zurückgehen, in denen
offensichtlich keine politische Verfolgung stattfindet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD])






Thomas Strobl (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)

Das ist offensichtlich bei Serbien, Mazedonien und Bos-
nien-Herzegowina der Fall. Ich möchte nicht auf jedes
Land im Einzelnen eingehen, aber lassen Sie mich zu
Serbien Folgendes anmerken:

Vor einem Jahr hat der Europäische Rat die Auf-
nahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien beschlos-
sen. Diese Verhandlungen mit Serbien haben im Januar
dieses Jahres begonnen. Die EU verhandelt mit Serbien
auch deshalb, weil man davon ausgeht, dass Serbien in-
zwischen ein bestimmtes Maß an Rechtsstaatlichkeit er-
reicht hat und dort eben keine politische Verfolgung
stattfindet.


(Beifall des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/ CSU])


Serbien ist auf dem Weg in die europäische Wertege-
meinschaft. Deswegen finde ich es sehr bemerkenswert
und begrüße es, dass Serbien selbst um Aufnahme in die
Liste der sicheren Herkunftsländer gebeten hat. Diesem
Wunsch sollten wir doch auch entsprechen. Er deckt sich
im Übrigen, Frau Staatsministerin Böhmer, mit den Ana-
lysen des Auswärtigen Amtes.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sind dabei, Frau Kollegin Amtsberg, auch nicht

allein in Europa:

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Schlimme! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es nicht besser!)


Großbritannien, Frankreich, die Schweiz, Österreich stu-
fen Serbien als sicheres Herkunftsland ein.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum denn?)


Wir befinden uns also in guter Gesellschaft. Ich weise
zurück, dass Frankreich, Großbritannien und Österreich
europäisches Recht brechen, wenn sie Serbien in die
Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufnehmen. Wir
können es auch tun.


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit denen, die eine höhere Schutzquote haben, Belgien zum Beispiel?)


Es gibt neben den drei Westbalkanstaaten auch andere
europäische Staaten, aus denen immer mehr Asylbewer-
ber nach Deutschland kommen. Herr Kollege Veit, wir
sollten diese Entwicklung im Blick behalten und bei den
anstehenden parlamentarischen Beratungen auch genau
analysieren, wie sich etwa die Situation in Montenegro
und in Albanien darstellt.

2010 waren es 39 Asylanträge von Albanern, in den
ersten Monaten dieses Jahres aber schon über 3 000. Die
Zahlen schießen durch die Decke.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie wollten doch keinen Alarmismus betreiben!)


Uns ist bewusst – darauf hat Kollege Veit auch hinge-
wiesen –, dass die Schutzquote bei Albanern in den letz-
ten Jahren über den Quoten der übrigen Westbalkanstaa-
ten lag. Im Augenblick liegt sie bei 2,7 Prozent. Aber sie
geht deutlich nach unten. Albanien ist in Frankreich seit
Dezember 2013 auf der Liste der sicheren Herkunfts-
staaten. Die Zahlen albanischer Bewerber sind in Frank-
reich deutlich zurückgegangen. Bei uns allerdings sind
sie dramatisch angestiegen. Das zeigt aber: Die Einstu-
fung als sicherer Herkunftsstaat wirkt entlastend.

Albanien ist im Übrigen seit 2009 NATO-Mitglied.
Die Europäische Kommission hat gerade dieser Tage
empfohlen, Albanien den Status eines Beitrittskandida-
ten für die Europäische Union zu verleihen. Auch hier
gehen wir in einem anderen Kontext, bei dem es nicht
um Asyl geht, davon aus, dass sich Albanien unserer
Wertegemeinschaft annähert, auch wenn bei rechtsstaat-
lichen Standards und bei der Bekämpfung von Korrup-
tion sicherlich noch einiges zu tun ist. Wir sollten aber
die Entwicklung Albaniens wie auch die Montenegros
genau im Blick behalten und uns ernsthaft fragen, ob
nicht eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten auch
für diese beiden Länder infrage kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Asyl-
bewerber kommen aus Syrien. Dafür haben wir und da-
für haben die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land
großes Verständnis. Was in Syrien täglich geschieht, er-
füllt uns mit Trauer und mit Schrecken. Deshalb begrü-
ßen wir von der Koalition es ausdrücklich, dass der Bun-
desinnenminister Thomas de Maizière mit den Ländern
über die weitere Aufnahme syrischer Flüchtlinge ver-
handelt. Herr Innenminister, wir stehen bei diesen Ver-
handlungen als Koalition hinter Ihnen und ermutigen Sie
ausdrücklich zu diesen Verhandlungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Rüdiger Veit [SPD]: Das höre ich gern!)


Aber nimmt man die drei Balkanstaaten, um die es
hier und jetzt geht, zusammen, dann muss man sagen,
dass von dort derzeit mehr Asylbewerber kommen als
aus Syrien, nämlich 11 600 Bewerber in den ersten vier
Monaten dieses Jahres gegenüber rund 7 500 Asylbe-
werbern aus Syrien: 11 600 Bewerber aus dem westli-
chen Balkan, bei denen die Anerkennungsquote nahe
null ist, 7 500 Syrer, bei denen die Anerkennungsquote,
die Schutzquote 100 Prozent ist. Das ist unseren Bürge-
rinnen und Bürger schwer zu vermitteln.

Damit bin ich beim zweiten Grund, warum wir die
Liste der sicheren Herkunftsstaaten maßvoll erweitern
wollen: Wir wollen unsere Kapazitäten in Deutschland
für alle wirklich politisch Verfolgten wie etwa die aus
Syrien nutzen. Das sind wir den Verfolgten, den tatsäch-
lich politisch Verfolgten, und unseren Bürgerinnen und
Bürgern auch schuldig. Nur wenn unser Asylsystem die
wirklich politisch Verfolgten und die, die aus asylfrem-
den Motiven zu uns kommen, klar differenziert und es
auch unterschiedliche asylrechtliche Konsequenzen gibt,
dann bleibt der Rückhalt in der Bevölkerung für unser
Asylsystem vorhanden. Dann können wir unseren Ver-
pflichtungen als humaner Rechtsstaat nachkommen. Das
wollen wir alle zusammen gerne tun.

Danke fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804001300

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Sevim Dağdelen, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804001400

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Strobl,

Sie sagten, man muss das Asylrecht verbessern. Wenn
diese Aussage von Ihrer Fraktion kommt, dann ist das
ein ernsthafter Grund zu besonderer Besorgnis in diesem
Haus, vor allem, wenn man sich anschaut, was mit dem
Asylrecht in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit Ih-
rer Hilfe geschehen ist.

Der Minister und Sie haben Syrien erwähnt. Deswe-
gen erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zum Thema
Syrien. Vor einer Woche war ich mit dem Außenminister
Steinmeier im Libanon und habe ein syrisches Flücht-
lingslager des UNHCR besucht. Der Libanon hat bei ei-
ner Bevölkerungszahl von 4 Millionen über 1 Million
syrische Flüchtlinge aufgenommen: Ein Viertel der ge-
samten Bevölkerung besteht aus syrischen Flüchtlingen.
Angesichts dessen finde ich es wirklich beschämend,
dass die Aufnahme weniger Tausend syrischer Flücht-
linge in Deutschland meistens zu einer Belastung erklärt
wird.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Sie vorhin nicht zugehört? – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Ich habe gerade gesagt: Wir wollen doch syrische Flüchtlinge aufnehmen!)


Ich finde, hier muss ein Schritt in die Richtung erfolgen,
dass Deutschland deutlich mehr syrische Flüchtlinge
aufnimmt, weil die Anrainerstaaten hoffnungslos über-
lastet sind.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sie müssen doch auch ein bisschen zuhören! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Er hat doch das Gegenteil gesagt!)


Dass Roma und andere Minderheiten in Serbien, Ma-
zedonien und Bosnien-Herzegowina massiv rassistisch
diskriminiert werden, ihnen der Zugang zu Arbeit, zu
medizinischer Versorgung, zu regulären Wohnungen und
oft auch zu sauberem Trinkwasser verwehrt wird, haben
wir schon von meiner Kollegin Jelpke, aber auch von
meiner Kollegin von den Grünen gehört.

Ich möchte mich dem kleinen Feigenblatt des Geset-
zes widmen, den vermeintlichen Erleichterungen beim
Arbeitsmarktzugang, wie es die Bundesregierung nennt.
Wir sind der Auffassung: Auch hier haben wir es mit ei-
ner Mogelpackung der Großen Koalition zu tun. Zu die-
sem Schluss kommt man, wenn man sich die Maßnah-
men anschaut bezüglich des Arbeitsmarktzugangs für
Asylbewerber und geduldete Ausländer. Völlig zutref-
fend heißt es in der allgemeinen Begründung des Gesetz-
entwurfes, dass Asylsuchende und Geduldete durch den
Zugang zum Arbeitsmarkt die Möglichkeit erhalten sol-
len, durch Aufnahme einer Beschäftigung ihren Lebens-
unterhalt selbst zu bestreiten, anstatt auf Leistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen zu
sein. Diese Position vertritt die Linksfraktion seit Jahren.
Aber nach den hehren Worten in der Gesetzesbegrün-
dung vermissen wir die Taten.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Arbeitsverbote werden nämlich nicht abgeschafft.
In der Praxis bleibt es bei dem faktischen Arbeitsverbot.
Es wurde oft von der Vorrangprüfung gesprochen. Diese
möchte ich für die Zuschauer erklären. Bei der Vorrang-
prüfung – sie soll für die ersten vier Jahre bestehen blei-
ben – wird aufwendig geprüft, ob deutsche oder soge-
nannte bevorrechtigte Arbeitslose den Job übernehmen
könnten, auf den sich ein Asylsuchender oder ein Gedul-
deter bewirbt, ungefähr nach dem Motto: Arbeit zuerst
für Deutsche. Das lehnen wir als Linke ganz konsequent
ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Da ist die Frage, lieber Rüdiger, ob das gesetzliche Ar-
beitsverbot drei, neun oder zwölf Monate beträgt, fast
schon zweitrangig. Faktisch kommt diese Vorrangprü-
fung insbesondere in Regionen mit schlechter Arbeits-
marktlage zum Tragen; das sind ja die meisten. Das
kommt einem Arbeitsverbot gleich. Wenn diese Men-
schen auf staatliche Hilfen angewiesen sind, obwohl sie
arbeiten wollen, ist es immer wieder auch die Politik, die
ihnen unter Benutzung der legalen Basis des Arbeitsver-
botes vorwirft, dass sie nur wegen der Sozialleistungen
nach Deutschland gekommen seien. Diese legale Basis
wird sehr oft – ich habe das in meiner Heimatstadt Duis-
burg erlebt, besonders bei den Kommunalwahlen – für
rechtspopulistische Kampagnen gegen Asylsuchende,
gegen Geduldete und gegen Flüchtlinge benutzt. Diesen
Kampagnen muss der Boden entzogen werden, und
zwar, indem wir die gleichen sozialen Rechte allen Men-
schen geben, die in Deutschland leben.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie schon gesagt, führt die Koalition in der Begrün-
dung an, dass die Asylsuchenden und Geduldeten durch
den Zugang zum Arbeitsmarkt die Möglichkeit erhalten
sollen, zu arbeiten, anstatt auf Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz angewiesen zu sein. Da
stellt sich mir die Frage: Wie kann es sein, dass Sie jetzt
vor der Sommerpause wirklich alle Gesetzesvorhaben,
auch in Bezug auf das Staatsangehörigkeitsrecht, durch
den Bundestag jagen, aber nichts in Richtung Umset-
zung des Bundesverfassungsgerichtsurteils in Sachen
Asylbewerberleistungsgesetz unternehmen?


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist ein Skandal!)


Dabei hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Ur-
teil den Bundestag aufgefordert, dieses verfassungswid-
rige Gesetz unverzüglich zu ändern. Das ist im Juli 2014
ganze zwei Jahre her. Ich frage mich: Wo ist denn da ei-
gentlich der Eifer der Bundesregierung?


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804001500

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804001600

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich finde,

man kann Deutschland schlecht als Hort des Humanis-
mus darstellen, Herr Minister, wenn man gleichzeitig die
Menschenrechte mit Füßen tritt. Die Sondergesetzge-
bung – Asylbewerberleistungsgesetz, Sachleistungen,
Residenzpflicht, menschenunwürdige Lagerunterbrin-
gung – muss abgeschafft werden. Wir möchten das
Grundgesetz mit Leben füllen. Die Würde des Men-
schen, nicht die Würde des deutschen Menschen, ist laut
unserem Grundgesetz unantastbar. Ich fordere Sie auf,
der sich aus unserer Verfassung ergebenden Verpflich-
tung nachzukommen.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804001700

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Uli Grötsch, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1804001800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit Be-

ginn dieser Wahlperiode sind die Schicksale von Flücht-
lingen aus Syrien und die Situation der Asylbewerber in
Deutschland auf jeder Tagesordnung des Innenausschus-
ses, und das zu Recht. Das Schicksal von Flüchtlingen
beschäftigt uns aber nicht nur im Bundestag, sondern be-
trifft uns alle auch ganz konkret zu Hause in den Wahl-
kreisen, etwa wenn es um geeignete Unterkünfte für
diese hilfesuchenden Menschen geht. Wir sehen es nicht
als Belastung, sondern als Herausforderung für die
Kommunen in unserem Land, geeignete Unterkünfte zur
Verfügung zu stellen, Frau Kollegin Dağdelen. Seien wir
ehrlich: Es werden vor allem die Abgeordneten aus den
Volksparteien sein, die gemeinsam mit ihren Bürger-
meistern und ihren Landräten in den Wahlkreisen im
ganzen Land dafür werben und nach geeigneten Unter-
künften suchen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie schwer es oftmals für die Behörden ist, in den Kom-
munen noch zusätzliche Unterkünfte für Asylbewerber
und Flüchtlinge zu finden, erfahren wir in vielen Städten
und Gemeinden unseres Landes leider viel zu oft.

Ein Blick auf die von Jahr zu Jahr steigende Zahl von
Asylanträgen zeigt, dass Deutschland ein attraktives
Zielland ist. Das Bundesamt für Migration und Flücht-
linge hat mehr als alle Hände voll zu tun, um die Anträge
und Verfahren sorgfältig zu prüfen, und an dieser sorg-
fältigen Prüfung habe ich keinerlei Zweifel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bislang sind bereits in diesem Jahr knapp 26 000 Erst-
und Folgeanträge beim Bundesamt eingegangen. Damit
stieg die Zahl der Erstanträge – es wurde heute schon öf-
ter erwähnt; es ist aber so wichtig, sodass ich es noch
einmal sagen möchte – um 70 Prozent und die Zahl der
Folgeanträge um fast 100 Prozent. Die Tendenz der ein-
gehenden Anträge ist nach wie vor steigend. Immer
mehr Menschen fliehen vor Verfolgung, Folter und Ver-
treibung aus ihrer Heimat und suchen bei uns in
Deutschland Zuflucht.

Ich begrüße es sehr, dass Deutschland neben Schwe-
den das Land in der EU ist, das die meisten syrischen
Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen hat.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Damit sind wir top in der EU.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Aber wir wollen noch besser werden. Das hat auch Bun-
desaußenminister Frank-Walter Steinmeier erst vor we-
nigen Tagen sehr eindrucksvoll bestätigt, und zwar – das
haben wir alle gemerkt – aus seiner vollsten und tiefsten
Überzeugung. Wir spüren seitens der SPD-Bundestags-
fraktion sehr deutlich, dass das Schicksal der syrischen
Bevölkerung, dass das Schicksal der Flüchtlinge aus Sy-
rien bei Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier
in den besten Händen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist aber auch so, dass viele Menschen ihre Heimat
aus anderen Motiven als die syrischen Flüchtlinge ver-
lassen und nach Deutschland kommen, um Asyl zu be-
antragen. Diesen Menschen droht in ihrer Heimat keine
systematische politische Verfolgung oder gar Folter.

Bei der Prüfung zur Einstufung als sicheres Her-
kunftsland hat sich die Bundesregierung an den Vorga-
ben des Bundesverfassungsgerichts und auch an den eu-
ropäischen Vorgaben orientiert und ist zu dem Schluss
gekommen, dass Serbien, Mazedonien und Bosnien-
Herzegowina als sogenannte sichere Herkunftsstaaten
gemäß § 29 a des Asylverfahrensgesetzes einzustufen
sind. Das heißt, dass zukünftig der Asylsuchende glaub-
haft darlegen muss, dass er in seinem eigentlich sicheren
Heimatland politisch verfolgt wird.

Wir meinen, das ist nachvollziehbar; denn das Bun-
desamt für Migration und Flüchtlinge hat 2013 ins-
gesamt fast 22 000 Entscheidungen über Asylerst- und
-folgeanträge von bosnischen, serbischen und mazedoni-
schen Staatsangehörigen getroffen. Nur drei Menschen
aus einem dieser Staaten wurde Asyl zugesprochen, vier
Menschen wurde Flüchtlingsschutz gewährt, und bei
53 Personen wurde ein Verbot der Abschiebung erteilt.
90 Prozent der vor Gericht verhandelten und abgelehn-
ten Asylanträge von Menschen aus den drei erwähnten
Staaten wurden als unbegründet abgelehnt. Mit anderen
Worten: Nur im Einzelfall haben die Antragsteller aus
den drei Westbalkanstaaten Asyl zugesprochen bekom-
men.

Gegen eine Äußerung aus Ihrem Antrag, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, ver-





Uli Grötsch


(A) (C)



(D)(B)

wehre ich mich ganz entschieden und ausdrücklich: Die
hohen Ablehnungsquoten des Bundesamtes für Migra-
tion und Flüchtlinge seien „ein Indiz für unzureichende
Prüfungen und pauschale Ablehnungen aufgrund politi-
scher Vorgaben“. Das ist eine Unterstellung und wird
dem Engagement der betroffenen Behörden nicht ge-
recht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Laut aktueller Asylgeschäftsstatistik hat das BAMF
bislang in diesem Jahr mehr als 26 000 Entscheidungen
getroffen. Das ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum
eine Zunahme um mehr als 130 Prozent – und das bei
auch dort leider knappen personellen Ressourcen. Wer
schon einmal eine solche Behörde besucht hat, weiß,
was dort geleistet wird. Von dieser Stelle aus möchte ich
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge im Namen der SPD-Bun-
destagsfraktion meine ausdrückliche Anerkennung aus-
sprechen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die genannten Zah-
len belegen eines: Unbegründete Asylanträge binden oh-
nehin erschöpfte Kapazitäten bei Bund, Ländern und
Kommunen und verhindern auch eine noch zeitnähere
Bearbeitung von Anträgen tatsächlich schutzbedürftiger
Asylsuchender beispielsweise aus Syrien, Afghanistan
oder dem Irak. Selbstverständlich muss nach wie vor je-
der Asylantrag gewissenhaft geprüft werden, egal aus
welchem Land die Flüchtlinge stammen.


(Beifall bei der SPD)


Aber es ist angesichts der erwähnten Zahlen, so meine
ich, keine Zumutung für die Asylsuchenden aus den be-
troffenen Staaten, die Menschenrechtsverletzungen ein-
zeln darzulegen, aufgrund derer sie um Asyl ersuchen.
Ja, das ist eine Beweislastumkehr. Sie sollte deshalb in
einem fairen und geordneten Verfahren stattfinden.

Ich möchte auch ganz klar sagen: Wir leugnen nicht,
dass insbesondere Sinti und Roma Anfeindungen und
Diskriminierungen in ihren Heimatländern ausgesetzt
sind. Wir wissen natürlich, dass gerade diese Bevölke-
rungsgruppe in ihren Heimatländern oftmals von sozia-
ler Ausgrenzung und rassistischer Diskriminierung be-
troffen ist. Nicht nur für diese Menschen, sondern
generell auch für andere Menschen, die aufgrund von
Perspektivlosigkeit ihre Heimatländer verlassen, gilt es,
die Bedingungen vor Ort in ihren Heimatländern in den
Blick zu nehmen. Die Verbesserung der gesellschaftli-
chen Realitäten kann die deutsche Asylpolitik nicht leis-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist eine europäische Aufgabe. Ich bin davon über-
zeugt, dass die Bundesregierung im Europäischen Rat
entsprechend darauf hinwirken wird, dass die Regierun-
gen von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzego-
wina ihre Bemühungen entsprechend intensivieren wer-
den. Es steht übrigens auch im Koalitionsvertrag, dass
wir uns gegenüber den Regierungen dieser drei Staaten
und gegenüber der EU-Kommission dafür einsetzen
wollen, rasche und nachhaltige Schritte zur Verbesse-
rung der Lebenssituation vor Ort zu ergreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804001900

Herr Kollege, wenn Sie einen Blick auf die Zeit wer-

fen, werden Sie feststellen, dass sie abgelaufen ist.


Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1804002000

Ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und

Kollegen, wir sind uns unserer Verantwortung ganz si-
cher bewusst. Deutschland kann mehr machen, und
Deutschland wird auch mehr machen. Wir sind aber der
Meinung, dass wir uns angesichts von Bürgerkriegen
und massenhaften Vertreibungen in verschiedenen
Brandherden der Welt schnell und effizient um die akut
Schutzbedürftigen kümmern müssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804002100

Als nächster Rednerin in der Debatte erteile ich der

Abgeordneten Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
war mein Vater, der mir als Kind erklärt hat, was unser
Grundgesetz, die Grundrechte bedeuten: dass die Men-
schenwürde kein Konjunktiv ist, dass die Menschen-
würde ganz ohne Adjektiv auskommt und dass die
Grundrechte jedem einzelnen Menschen gehören. So
verhält es sich auch mit dem Grundrecht auf Asyl. Es ist
ein individuelles Recht. Kein Staat, keine Regierung
kann mich einfach enteignen, und wenn ich es für mich
beanspruche oder einklagen will bzw. muss, dann bin
nicht ich die Missbraucherin. Vielmehr missbrauchen
diejenigen den Geist unserer Verfassung, die Menschen,
die sich um Asyl bewerben, kriminalisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])


Unser Asylrecht wird seit 20 Jahren malträtiert. Herr
de Maizière, es soll jetzt weiter entleert und in sein Ge-
genteil verkehrt werden. Nichts anderes passiert doch,
wenn per Gesetz sichere Herkunftsstaaten definiert wer-
den, wenn per Gesetz politische Verfolgung sowie un-
menschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Be-
handlung ausgeschlossen und als nicht existent
dekretiert werden. Ganz in kafkaesker Logik braucht es
dann ja auch keinen vorläufigen Rechtsschutz mehr;
denn das Recht hat gerade Sicherheit definiert. Man
nennt das unter Juristen, so habe ich mir sagen lassen,
„normative Vergewisserung“. Ich nenne das: Umdefini-
tion der Realität in eine Welt, die es zwar so gar nicht
gibt, die aber perfekt ins politische Kalkül passt.





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Was sind denn das für sonderbare Juristen bei den Grünen? Welche Juristen haben Sie denn da gefragt?)


Ich wundere mich schon, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, dass Sie sich nicht einmal ein bisschen schämen,
das auch noch schwarz auf weiß zu benennen. Da steht
geschrieben: „Deutschland soll … weniger attraktiv wer-
den.“ Also geht es wieder einmal um die Anreizminde-
rung, aber nicht um die Gründe, warum Menschen ihre
Heimat verlassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht: We-
niger Asylbewerber bedeuten mehr Geld in den Kassen
von Bund, Ländern und Kommunen. – Ich befürchte,
dass diese kalte Rechnung uns sehr teuer zu stehen kom-
men wird, weil wir damit das verlieren, was Humanität,
Schutzgewährung und Schutzverantwortung ausmachen:
unseren moralischen Imperativ nach dem Naziterror, der
500 000 Sinti und Roma das Leben gekostet hat.

Ich lese im Gesetzentwurf, dass Menschen aus Ser-
bien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina angeblich
– ich zitiere – „aus nicht asylrelevanten Motiven“ kom-
men. Lieber Herr Minister, waren Sie eigentlich schon
einmal persönlich unter der Autobahnbrücke in Belgrad,
wo die Roma zu überleben versuchen, die ihrer Men-
schenwürde beraubt wurden? Waren Sie im Lager von
Deponija in Belgrad, wo die Menschen, die Roma, wie
Abfall behandelt werden? Waren Sie schon einmal per-
sönlich in Skopje, in Šutka, der wohl größten Romasied-
lung weltweit, einem grauenhaften Ort, der an Bangla-
desch, aber nicht an Europa erinnert? Ich war vor Ort;
ich habe die Not gesehen, ich habe die Verzweiflung er-
lebt, die Angst der Menschen vor rassistischer Gewalt,
vor pogromartigen Angriffen.

„Nicht asylrelevante Motive“? Trotz Diskriminie-
rung, trotz versperrten Zugängen zur Gesundheitsversor-
gung, zum Bildungssystem, zur Arbeit, zur Ausbildung,
trotz einer zehn Jahre geringeren Lebenserwartung?
„Nicht asylrelevante Motive“? Trotz Verweigerung ele-
mentarster Teilhaberechte für Menschen, die oft aus dem
Kosovo vertrieben wurden und alles, aber wirklich alles
verloren haben? Keine gruppenspezifische Verfolgung,
Herr Minister de Maizière? Ich bin, nachdem ich dort
war, wirklich davon überzeugt: Wenn Sie in einem so
menschenverachtenden Umfeld leben würden, dann
würden auch Sie alles dafür tun, Ihre Kinder, Ihre Fami-
lie zu retten und ihnen eine Zukunft in Sicherheit zu er-
öffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Eine vorgestern veröffentlichte Studie zum Rechts-
extremismus in unserem Land, die schon genannt wor-
den ist, hat erschreckende Auffassungen belegt: Über
50 Prozent der Deutschen glauben, dass Sinti und Roma
kriminell sind; über 50 Prozent wollen nicht in ihrer
Nähe leben. Verantwortliche Politik – da gebe ich Ihnen
recht – muss Ängste und Vorurteile sehr ernst nehmen,
aber sie darf sie nicht schüren. Doch genau das tut Ihr
Gesetzentwurf nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deshalb sage ich: Bitte, bewahren wir unser Grundrecht
auf Asyl! Das macht uns als Gesellschaft reich. Und
bitte, spielen wir nicht Flüchtlinge aus Syrien gegen
Flüchtlinge aus anderen Ländern aus!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Errichten wir keine zusätzlichen Mauern, sondern be-
wahren wir unser Grundrecht, und schaffen wir endlich
ein modernes Einwanderungsrecht!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804002200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1804002300

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-

nen! Sehr geehrte Kollegen! Deutschland verfügt über
ein humanes, weltoffenes und tolerantes Asylrecht.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie das eigentlich selber?)


Ich glaube, gerade in einem Gedenkjahr wie diesem
ist es wichtig, dass wir uns ständig unserer historischen
Verantwortung bewusst werden, dass gerade Deutsch-
land jederzeit für jeden offen sein muss, der verfolgt
wird, aus welchen Gründen auch immer, und an Leib
und Leben bedroht ist. Es ist unsere historische Aufgabe,
dass wir jederzeit dem Schutz gewähren, der aufgrund
seiner Religion, aufgrund seiner Ethnie, aufgrund seiner
sexuellen Orientierung oder aus politischen Motiven
verfolgt wird. Ich glaube aber, dass wir mit Fug und
Recht behaupten können: Wir Deutsche haben ein derar-
tiges humanes und weltoffenes Asylrecht.

Kein Land in Europa nimmt so viele Asylbewerber
auf wie Deutschland. Deswegen stimmt es einfach nicht,
Frau Kollegin Roth, dass wir mit diesem Gesetzentwurf
unser Asylrecht malträtieren oder entleeren. Es stimmt
auch nicht, Frau Kollegin Amtsberg, dass wir mit diesem
sinnvollen Gesetzentwurf unserem Asylrecht den Todes-
stoß versetzen. Das Gegenteil ist der Fall. Deutschland ist
offen für alle, die schutzbedürftig sind. Im letzten Jahr
haben wir insgesamt 127 000 Asylbewerber aufgenom-
men. Die Zahlen entwickeln sich weiter rasant nach oben.
Allein im ersten Quartal dieses Jahres hatten wir
50 000 Erst- und Folgeanträge. Wenn sich die Entwick-
lung der ersten drei Monate fortschreibt, dann werden am
Ende dieses Jahres in Deutschland über 200 000 Asyl-
anträge gestellt worden sein.





Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)

Ich glaube, dass es deshalb richtig ist, dass wir uns
Gedanken darüber machen, wo wir die Prioritäten set-
zen. Da unter den sechs Ländern, aus denen die meisten
Asylbewerber nach Deutschland kommen, vier Länder
des westlichen Balkans sind, sollten wir das intensiver
betrachten. Im letzten Jahr gehörten Bosnien-Herzego-
wina, Serbien, Mazedonien und Albanien zu diesen ers-
ten sechs Ländern. Auch in den ersten vier Monaten die-
ses Jahres war das der Fall. Allein aus den drei Ländern
Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien wurden
in den ersten drei Monaten dieses Jahres insgesamt
13 000 Asylanträge gestellt. Im Vergleich dazu waren es
in den ersten drei Monaten des letzten Jahres
5 000 Asylanträge. Die Anerkennungsquote liegt bei al-
len drei Ländern bei 0,0 Prozent. Die Schutzquote liegt,
wenn man die Flüchtlinge und die subsidiär Schutzbe-
rechtigten hinzuzählt, bei maximal 0,4 Prozent. Bezogen
auf Mazedonien, das Land mit der – in Anführungszei-
chen – höchsten Schutzquote, liegt sie bei gerade einmal
0,4 Prozent.

Ich möchte eines klar herausstreichen: Auch mit die-
sem Gesetzentwurf bleibt es bei unserem individuellen
Recht auf Asyl. Es gibt eine widerlegbare Vermutung,
dass Personen aus den drei genannten Ländern, aus Ser-
bien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien, politisch
nicht verfolgt werden. Aber natürlich gibt es für jeder-
mann die Möglichkeit, im Einzelfall nachzuweisen, dass
dies doch der Fall ist.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!)


Es ist nur so: Das Verfahren wird insgesamt unkompli-
zierter, die Klagefrist wird auf eine Woche verkürzt, und
eine Klage hat zunächst einmal zwar keine aufschie-
bende Wirkung, aber die aufschiebende Wirkung kann
natürlich sofort angeordnet werden.

Mit diesem Gesetzentwurf leisten wir einen aus mei-
ner Sicht wichtigen Beitrag dazu, das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge und seine Mitarbeiter zu ent-
lasten. In der vergangenen Nacht hat der Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages richtigerweise den
Beschluss gefasst, dass das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge insgesamt 300 zusätzliche Stellen be-
kommt.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gut!)


Das ist ein wichtiger Schritt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte in diesem Zusammenhang aber auch erwäh-
nen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
900 zusätzliche Stellen als sachgerecht angemeldet hat
und dass derzeit auch 40 Beamte der Bundespolizei ih-
ren Dienst beim BAMF leisten. Um es klar zu sagen:
Diese wären an anderer Stelle mindestens genauso not-
wendig.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ja!)

Aber aus durchaus verständlichen Gründen sind diese
Mitarbeiter derzeit zum BAMF abgeordnet worden; sie
sollen dort die Arbeitsbelastung etwas reduzieren. Wenn
durch die Deklaration von drei Ländern des westlichen
Balkans als sichere Herkunftsländer erreicht wird, dass
die Verfahrensdauer bzw. die Dauer der Einzelprüfung
verkürzt wird, dann wird dies auch zusätzliche Ressour-
cen im BAMF schaffen. Diese Ressourcen sind dringend
erforderlich angesichts der weiterhin rasant wachsenden
Asylbewerberzahlen.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
empfinde es als unanständig von der Fraktion Die Linke,
wenn uns in dem Antrag unterstellt wird, dass die Mitar-
beiter des BAMF erst einmal dazu angehalten werden
müssen, sorgfältig, gewissenhaft und gründlich zu prü-
fen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dafür haben wir Belege, Herr Mayer!)


Das ist kein Affront gegenüber der Bundesregierung und
uns – das würde man im politischen Geschäft vielleicht
noch verstehen –, sondern gegenüber den Mitarbeitern
des BAMF. Es ist, sehr verehrte Kollegin Jelpke, wirk-
lich nicht fair, dass Sie den Mitarbeitern des Bundesam-
tes für Migration und Flüchtlinge, die wirklich keinen
einfachen Job machen und unter einer enorm hohen Ar-
beitsbelastung leiden, unterstellen, sie würden die An-
träge nicht gewissenhaft und gründlich prüfen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte auch noch einmal auf Folgendes hinwei-
sen: Es gibt ein gemeinsames Ziel. Ich hoffe, dass das
Ziel, die Dauer der Asylverfahren zu reduzieren, von al-
len hier im Haus geteilt wird. Derzeit beträgt die durch-
schnittliche Dauer der Asylverfahren neun Monate. Es
gibt die klare Aussage im Koalitionsvertrag, dass wir die
Dauer der Asylverfahren auf drei Monate reduzieren
wollen. Wenn wir nur annähernd an dieses Ziel heran-
kommen wollen, dann ist es erforderlich, diese Länder,
insbesondere die, bei denen die Schutz- und Anerken-
nungsquoten gegen 0,0 Prozent tendieren oder wirklich
0,0 Prozent betragen, als sichere Herkunftsländer zu de-
klarieren.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
sollten uns aber auch die Mühe machen, in dem anste-
henden Gesetzgebungsverfahren intensiv zu prüfen,
noch zwei weitere Länder des westlichen Balkans, Alba-
nien und Montenegro, als sichere Herkunftsstaaten zu
deklarieren. Auch ich bin da für eine vorurteilsfreie und
offene Prüfung. Wenn man sich aber zum Beispiel im
Falle Albaniens ansieht, dass im letzten Jahr insgesamt
1 247 Erstanträge gestellt wurden und allein in den ers-
ten fünf Monaten dieses Jahres 3 204, also fast dreimal
so viel wie im gesamten letzten Jahr, dann sollte dies,
glaube ich, schon Anlass sein, intensiv zu prüfen, ob
nicht auch Albanien ein sicheres Herkunftsland ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist genau andersherum!)






Stephan Mayer (Altötting)



(A) (C)



(D)(B)

Zur Erklärung: Wie kommt es gerade im Fall Alba-
niens zu diesem rasanten Anstieg? Frankreich hat genau
das getan, was wir jetzt bezüglich der drei anderen Län-
der vorhaben.


(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Frankreich hat im Dezember des vergangenen Jahres Al-
banien als sicheres Herkunftsland deklariert.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht es doch aber nicht richtig!)


Das führt jetzt zu den genannten Umlenkungseffekten,
was die Ströme der Asylbewerber anbelangt. Ähnlich ist
es bei Montenegro. Da waren es im vergangenen Jahr
insgesamt 258 Erstanträge und allein in den ersten fünf
Monaten dieses Jahres schon 351.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mir
ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir in unserer Be-
völkerung – aus meiner Sicht; das ist zumindest meine
Wahrnehmung – eine außerordentlich hohe Empathie,
Sympathie und auch ein großes Verständnis für die Si-
tuation von Asylbewerbern und Flüchtlingen haben. Die
Situation der Kommunen ist alles andere als einfach. Ich
möchte noch einmal sagen, Frau Kollegin Roth: Es gibt
mittlerweile auch einige Bürgermeister, die der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angehören. Die ächzen genauso
unter der Notwendigkeit, jetzt händeringend Unterkünfte
für die Asylbewerber finden zu müssen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Das ist für keinen Oberbürgermeister, für keinen Bürger-
meister und für keinen Landrat, egal in welchem Bun-
desland, derzeit eine einfache und angenehme Aufgabe.


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vollkommen richtig! Wir sind ja in den Haushaltsberatungen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser finanziell ausstatten!)


Alle Kommunalpolitiker tun hier ihr Möglichstes, unab-
hängig davon, welcher Fraktion und welcher Partei sie
angehören. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir die
Bereitschaft in der Bevölkerung gerade auch zu ehren-
amtlichem Engagement und zu einer ehrenamtlichen
Unterstützung der Asylbewerber weiterhin auf diesem
hohen Niveau halten.

Die Studie der Universität Leipzig, die vorgestern
hier in Berlin veröffentlicht wurde, ist ja schon erwähnt
worden. Was ich an dieser Studie interessant finde, ist,
dass wir in Deutschland – ich glaube, darauf können wir
auch ein Stück weit stolz sein – einen deutlichen Rück-
gang der Ausländerfeindlichkeit, auch des Antisemitis-
mus, zu verzeichnen haben. Was ich aber aus dieser Stu-
die mit großem Ernst und auch mit einer gewissen Sorge
zur Kenntnis genommen habe – das gebe ich ganz offen
zu –, ist, dass es laut der Zahlen dieser Studie eine
enorme Ablehnung gegenüber Asylbewerbern gibt. In
den neuen Bundesländern liegt sie bei 85 Prozent, in den
westlichen Bundesländern bei 74 Prozent. Ich möchte ei-
nes nicht, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen:
dass wir in Deutschland wieder Zustände bekommen wie
zu Beginn der 90er-Jahre. Ich möchte nicht, dass hier
Brandstifter, politische Hetzer wieder das Sagen bekom-
men. Ich glaube, gerade deshalb müssen wir das gemein-
same Ziel haben, die Empathie, das Verständnis der Be-
völkerung gegenüber Asylbewerbern und Flüchtlingen
auf diesem hohen Niveau zu halten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist daher richtig, sich Gedanken zu machen, für
wen wir prioritär offen sein sollen. Die syrischen Flücht-
linge sind da schon genannt worden. Die größte humani-
täre Katastrophe auf unserem Globus spielt sich aus mei-
ner Sicht derzeit in Syrien und in den Anrainerländern
von Syrien ab. Gerade gegenüber syrischen Flüchtlingen
gibt es in Deutschland eine hohe Aufnahmebereitschaft
in der Bevölkerung.


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Mayer, lassen Sie uns einen Antrag machen! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir machen einen Antrag!)


Frau Kollegin Roth, ich wehre mich dagegen, dass Sie
uns unterstellen, wir würden die Menschen gegeneinan-
der ausspielen oder das eine Schicksal gegen das andere
Schicksal aufwiegen. Aber ich bin schon der Meinung,
dass wir für zusätzliche Kontingente gegenüber syri-
schen Flüchtlingen offen sein sollten. Wir unterstützen
hier unseren Bundesinnenminister in seinen Verhandlun-
gen mit seinen Länderkollegen.

Ich sage ganz offen: Es muss weitere zusätzliche
Kontingente für die Aufnahme von syrischen Flüchtlin-
gen geben.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut!)


Ich füge aber hinzu: Wir bekommen diese Bereitschaft
in der Bevölkerung nur dann, wenn wir die Bevölkerung
nicht überstrapazieren und nicht überfordern. Deshalb
sollten wir, glaube ich, in den nächsten Wochen –


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804002400

Die Zeit, Herr Kollege!


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1804002500

– dieses Gesetzgebungsverfahren gründlich, aber

auch zügig vorantreiben. Insbesondere unsere Kommu-
nen harren dringend darauf, dass wir diese Probleme lö-
sen.

In diesem Sinne freue ich mich auf ein konsequentes,
auf ein gründliches, aber auch auf ein zügiges Gesetzge-
bungsverfahren.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804002600

Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten

Daniela Kolbe, SPD-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1804002700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich werde mich in meinem Redebeitrag auf
den arbeitsmarktpolitischen Teil des Gesetzentwurfs
konzentrieren. Er ist mir ein bisschen zu kurz gekom-
men, und ich finde es wichtig, dass wir uns darüber auch
noch einmal kurz unterhalten.

Mit dem Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, Asylbe-
werbern und Geduldeten bereits nach drei Monaten den
Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. – Viele der
Zuhörerinnen und Zuhörer wissen das vielleicht nicht:
Nach der geltenden Gesetzeslage dürfen Asylsuchende
erst nach neun Monaten arbeiten und Geduldete erst
nach zwölf Monaten. – Die Opposition hat das hier in ih-
ren Redebeiträgen anklingen lassen, aber ein bisschen
kleingeredet. Die Kollegin Amtsberg hat es als „Zücker-
chen“ bezeichnet.


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch nicht einmal!)


Das finde ich, ehrlich gesagt, sehr schade; denn für die
Betroffenen ist das ein riesiger Schritt nach vorn.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir als SPD stehen dafür, dass es ein starkes Recht
auf Asyl geben muss. Frau Roth, da sind wir uns sicher-
lich einig. Wir wollen Schutzsuchenden Schutz gewäh-
ren, und wir müssen das auch tun. Aber wenn wir uns
das gegenwärtige Asylsystem anschauen, dann sehen
wir, dass selbst für die Menschen, die davon profitieren
– das sind doch einige –, das Asylsystem derzeit eine
zeitweilige Sackgasse ist, weil es sie ganz ungewollt in
Passivität und Hilfsbedürftigkeit drängt.

Die Regel, über die wir heute sprechen, dieses zwölf-
monatige Arbeitsverbot, stammt aus dem Jahr 1980.
Damals gab es einen Anstieg der Zahlen der Asylsu-
chenden, auch dadurch ausgelöst, dass mit dem Anwer-
bestopp von 1973 legale Zuwanderungsmöglichkeiten
beseitigt worden waren.

Seither hat sich nicht nur die Welt weitergedreht,
sondern es hat sich auch einiges auf dem Arbeitsmarkt
– und nicht nur da – verändert. Wir reden wieder über le-
gale Zuwanderung, wir reden über Fachkräftebedarf, wir
reden über Globalisierung und eine weltoffene Gesell-
schaft. Insofern ist es schlichtweg anachronistisch, dass
wir Menschen per se von Erwerbstätigkeit ausschließen,
zumal diese vielfach nichts lieber täten, als ihren Le-
bensunterhalt selbst zu verdienen.


(Beifall bei der SPD)


Viele gut ausgebildete Menschen landen im Asylsys-
tem. Bezeichnenderweise wissen wir, ehrlich gesagt, ei-
gentlich gar nicht so richtig, was für eine Ausbildung die
Asylsuchenden mitbringen. Das ist bezeichnend, weil
wir uns bisher in diesem Zusammenhang gar nicht mit
diesen Menschen auseinandergesetzt und uns gefragt ha-
ben, was für Fähigkeiten sie mitbringen. Ich weiß nur,
dass ich in den Heimen, in den Asylbewerberunterkünf-
ten, die ich besuche, auf sehr unterschiedliche Menschen
treffe, vielfach auch auf Ärzte, auf Ingenieure, auf Men-
schen, die vor allen Dingen eines beschreiben: dass sie
es unerträglich finden, dass sie in diese Langeweile, in
dieses Nichtstun, in dieses Ausharren gesteckt werden.
Das empfinden sie wirklich vielfach als das größte Übel,
das sie erleben, wenn sie hier in Deutschland einen Asyl-
antrag gestellt haben. Die Neuregelung ist insofern
längst überfällig. Wir schaffen jetzt das formale Arbeits-
verbot nach einer dreimonatigen Ankunftsphase ab. Das
freut mich sehr.

Das Asylrecht hat bisher den Aufenthaltsstatus von
Asylbewerberinnen und Asylbewerbern grundsätzlich
als vorübergehend angesehen, als Provisorium. Die Rea-
lität sieht aber anders aus. Wir haben heute schon viel
von Schutzquoten gehört. Im Durchschnitt liegt die
Schutzquote bei 25 Prozent. Bei Menschen aus vielen
Herkunftsstaaten liegt sie aber bei deutlich über 50 Pro-
zent, zum Teil bei über 80 oder 90 Prozent, zum Beispiel
bei Menschen aus Syrien.

Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten, den
eigenen Aufenthaltsstatus zu legalisieren. Viele der
85 000 Menschen, die geduldet in Deutschland leben, le-
ben hier sehr lange, jahrelang. Insofern leben die Men-
schen nicht regelmäßig nur vorübergehend hier, sondern
regelmäßig nicht vorübergehend. Auch dieser Denk-
weise werden wir an dieser Stelle mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf gerecht. Denn bisher war es so, dass wir
Tausende Menschen über Jahre hinweg systematisch
vom Arbeitsmarkt desintegriert haben, um sie dann nach
einer positiven Aufenthaltsentscheidung individuell wie-
der zu integrieren. Erst dann gab es Sprachkurse, erst
dann gab es Qualifizierung. Das war viel mühevoller
und hatte viel weniger Aussicht auf Erfolg. Das ist total
widersinnig, teuer, unmenschlich und falsch, sowohl für
die Betroffenen als auch für die Gesellschaft insgesamt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir geben den Betroffenen mit diesem Gesetz ein
Mehr an Selbstbestimmung und die Chance, ihren Le-
bensunterhalt selbst zu verdienen. Die Gesellschaft spart
den Arbeits- und Kostenaufwand, der mit der Wiederein-
gliederung dieser Menschen, die jahrelang nicht auf den
Arbeitsmarkt durften, verbunden wäre.

Richtig ist auch – das ist von der Opposition ange-
sprochen worden –, dass die Vorrangprüfung erhalten
bleibt und die Arbeitsaufnahme im Regelfall nur nach-
rangig möglich ist. Gleichwohl ist das ein deutlicher
Schritt, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Es ist ein ganz
starkes Signal in Richtung der betroffenen Menschen:
Sobald ihr euch nach drei Monaten zurechtgefunden
habt, dürft, könnt und sollt ihr versuchen, auf dem Ar-
beitsmarkt Fuß zu fassen, euren Lebensunterhalt selber
zu bestreiten. – Es gibt auch derzeit schon Bereiche, in
denen Menschen, die noch nicht gut Deutsch sprechen
oder vielleicht auch nicht die erforderliche Qualifikation





Daniela Kolbe


(A) (C)



(D)(B)

mitbringen, händeringend gesucht werden. Das heißt,
trotz Nachrangigkeitsprüfung gibt es Bereiche, in denen
Asylsuchende eine Chance haben.


(Beifall des Abg. Rüdiger Veit [SPD])


Es gibt auch Bereiche, die nicht von der Nachrangig-
keitsprüfung betroffen sind. Da geht es um die Berufs-
ausbildung und Weiterbeschäftigung; auch das sei an
dieser Stelle gesagt.

Ehrlich gesagt ist mir ein Punkt am wichtigsten – er
ist noch gar nicht angeklungen –: Dadurch, dass diese
Menschen nun den prinzipiellen Zugang zum Arbeits-
markt haben, haben sie unabhängig davon, ob sie einen
Job finden oder nicht, Zugang zu Leistungen, zu arbeits-
marktpolitischen Leistungen aus dem Bereich der Bun-
desagentur für Arbeit, dem SGB III, und zu einigen
ESF-Programmen.


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das nicht so laut! – Gegenruf der Abg. Christine Lambrecht [SPD]: Richtig laut sagen wir das sogar!)


– Ich sage das trotzdem, und zwar richtig laut. Ich er-
kläre Ihnen einmal, worum es dabei geht. Es geht um
Beratung, um Vermittlung in Arbeit, um Förderung aus
dem Vermittlungsbudget. Jetzt sage ich Ihnen auf
Deutsch, was das heißt. Dabei handelt es sich zum Bei-
spiel um die Übernahme von Bewerbungskosten, wie
Dolmetscherkosten, und von Kosten für die Anerken-
nung im Ausland erworbener Abschlüsse.

Nach dem SGB III hat man auch ein Recht auf Maß-
nahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung
sowie zur beruflichen Weiterbildung, ein Recht auf Ein-
stiegsqualifizierung und einen Eingliederungszuschuss
und ein Recht auf die Förderung der Teilhabe behinder-
ter Menschen, was für viele Menschen, die als Flücht-
linge nach Deutschland kommen, auch sehr wichtig ist;
denn es kann auch für Menschen mit posttraumatischen
Belastungsstörungen denkbar sein, eine solche Förde-
rung zu bekommen.

Mit dieser Änderung ist im deutschen Asylsystem
beileibe nicht alles gut. Sie kennen ja die SPD: Wir wol-
len noch viele andere Verbesserungen. Es ist aber eine
signifikante Verbesserung für die Menschen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern freue ich mich für die Betroffenen und auch
für die gesamte Gesellschaft von Herzen über diese Ver-
änderungen, wenn wir sie hinbekommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804002800

Als letzte Rednerin in dieser Debatte erhält die Abge-

ordnete Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1804002900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Zahl der Asylbewerber in Deutschland – das haben wir
bereits gehört – steigt seit einigen Jahren deutlich. Zu
den zehn Hauptherkunftsstaaten zählen aktuell nicht nur
Länder mit massiven gewaltsamen innerstaatlichen Kon-
flikten, wie etwa Syrien, Afghanistan, Somalia oder der
Irak, sondern auch Länder aus der direkten Nachbar-
schaft zur EU, wie Serbien, Mazedonien sowie Bosnien
und Herzegowina.

Allein aus den Balkanländern kamen zwischen Januar
und April dieses Jahres 25 Prozent aller Asylantragstel-
ler in Deutschland – und das, obwohl nach verschie-
denen glaubhaften Quellen in diesen Ländern weder
Verfolgung noch andere systematische Menschenrechts-
verletzungen drohen, die ein Asylgrund wären.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht! Hinfahren!)


Zu diesem Schluss kommen entgegen der Kritik in
dem vorliegenden Antrag der Linken nicht nur die Lage-
bilder des Auswärtigen Amtes, das seine Informationen
aus verschiedenen Quellen bezieht, sondern auch die
Fortschrittsberichte der EU-Kommission, die die Ent-
wicklung eines Landes bekannterweise sehr kritisch be-
urteilt.

Die einzelnen Berichte kommen zu der Einschätzung,
dass es in allen drei Ländern keine diskriminierenden
Gesetze gibt. Willkürliche oder unmenschliche Bestra-
fungen sowie staatliche Repression oder Verfolgung ein-
zelner Bevölkerungsgruppen finden nicht statt.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was sagen Sie zu den Menschenrechtsorganisationen?)


Bemerkenswert ist, dass selbst in den Berichten des
UNHCR und von Menschenrechtsorganisationen diese
Länder betreffend nicht von Verfolgung oder schweren
Menschenrechtsverletzungen die Rede ist.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was?)


Um dennoch einen Schutzgrund annehmen zu kön-
nen, wird von den Menschenrechtsorganisationen und
dem UNHCR sowie im vorliegenden Antrag der Links-
fraktion mit dem Begriff der „kumulativen Verfolgung“
aus der EU-Qualifikationsrichtlinie argumentiert. Dem-
nach soll auch die Beeinträchtigung von weniger
schwerwiegenden Rechten einen Anspruch auf Asyl be-
gründen können. Betont werden muss hier allerdings,
dass dies nur dann gilt, wenn die Rechtsverletzungen
oder Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtwirkung einer
schweren Menschenrechtsverletzung gleichkommen.

Meine Damen und Herren, es ist richtig, dass in Ser-
bien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina viele
Menschen – darunter auch viele Sinti und Roma – auf-
grund der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der ge-
sellschaftlichen Probleme in großer Armut leben.
Ebenso ist unumstritten, dass viele Roma in diesen Län-
dern gesellschaftlich diskriminiert werden. Diskriminie-
rung und soziale Ausgrenzung stellen zwar eine erhebli-





Nina Warken


(A) (C)



(D)(B)

che Härte dar, sind aber selten mit Verfolgung und
Schaden im asylrechtlichen Sinn gleichzusetzen.

Um diesem Problem zu begegnen, ist vielmehr drin-
gend ein Prozess des Umdenkens in der Gesellschaft die-
ser drei Balkanländer erforderlich. Dabei muss auch
gesagt werden, dass sich die Regierungen dieser Länder
bemühen, diesen Prozess des Umdenkens voranzutrei-
ben. Es wurden Gesetze zum Schutz nationaler Minder-
heiten verabschiedet, und durch verschiedene Pro-
gramme wird versucht, die Lage der Roma zu
verbessern, auch wenn sie bislang leider noch nicht die
erhoffte Wirkung erzielt haben. Ein solcher Prozess kann
nicht von heute auf morgen Erfolg haben.

Umso wichtiger ist es, dass wir gemeinsam mit unse-
ren europäischen Partnern und Akteuren vor Ort im
Zuge einer koordinierten Entwicklungszusammenarbeit
dafür sorgen, dass die notwendigen Maßnahmen ergrif-
fen werden und die Hilfe bei den Betroffenen ankommt.
Dazu müssen wir die Regierungen der drei Balkanländer
diesbezüglich stärker in die Pflicht nehmen; denn diese
erhalten im Zuge des Stabilisierungs- und Assoziie-
rungsprozesses mit der EU beträchtliche Finanzhilfen
zur Integration ihrer nationalen Minderheiten.

Vor diesem Hintergrund kann die Lage in Serbien,
Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina, auch
wenn sie nach wie vor wirtschaftlich und sozial schwie-
rig sein mag, nicht mit den Auswirkungen für die Betrof-
fenen von Verfolgung oder anderen systematischen
Menschenrechtsverletzungen, wie etwa in Syrien oder
Afghanistan, gleichgesetzt werden. Vielmehr stellt sich
bei der Prüfung der Asylanträge aus den Balkanstaaten
in der Regel heraus, dass Armut und die wirtschaftlich
schwierigen Verhältnisse in diesen Ländern die wahren
Gründe sind, zusammen mit der Gewissheit, dass jeder,
der in Deutschland Asyl auch nur beantragt, bereits So-
zialleistungen erhält. Zu glauben, all dies sei kein An-
reiz, um in Deutschland Asyl zu beantragen, ist naiv. Da-
für sprechen auch die erheblich gestiegenen Zahlen der
Asylfolgeanträge aus den Balkanstaaten. Aus Sicht der
Antragsteller mag dieses Verhalten menschlich nachvoll-
ziehbar sein. Ihnen kann man es nicht verdenken, dass
sie alles tun, um ihre Situation zu verbessern.

Auf der anderen Seite geht dieses Verhalten zulasten
der tatsächlich schutzbedürftigen Flüchtlinge, etwa aus
Syrien, die in ihrer Heimat verfolgt werden und jeden
Tag um ihr Leben bangen müssen. Diese Flüchtlinge
müssen aufgrund der Flut von Anträgen aus den Balkan-
staaten oft länger als notwendig warten, bis über ihre
Anträge entschieden werden kann. Zudem sind mittler-
weile – das haben wir gehört – die meisten Bundesländer
bzw. Kommunen mit ihren Aufnahmekapazitäten
schlicht an ihre Grenzen geraten. Wegen der Antragstel-
ler aus den Balkanstaaten können dort weniger Flücht-
linge aus den Krisenregionen aufgenommen werden.

Konzentrieren wir uns auf die wirklich Hilfsbedürfti-
gen, auf diejenigen, in deren Herkunftsländern Krieg,
Verfolgung, Plünderungen und Unterdrückung herr-
schen. Der Antrag der Linksfraktion differenziert nicht
richtig. Es wird versucht, für alle irgendwie einen An-
spruch auf Aufnahme zu begründen. Damit geht der
Schuss, meine Damen und Herren Kollegen von der
Linksfraktion, am Ziel vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD])


Wir sagen stattdessen: Lassen Sie uns das Augenmerk
auf die wirklich Hilfsbedürftigen richten, damit unsere
Asylpolitik gerecht und durchführbar ist. Vor diesem
Hintergrund ist es richtig und verantwortungsvoll, dass
die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf zur Ein-
stufung von Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und
Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten eingebracht
hat. Wie der Bundesinnenminister bereits erläutert hat,
können durch die Einstufung Asylanträge von Staatsan-
gehörigen aus diesen Ländern schneller bearbeitet wer-
den, da sie grundsätzlich als offensichtlich unbegründet
betrachtet werden. Der Aufenthalt von nicht schutzbe-
dürftigen Antragstellern kann künftig schneller beendet
werden, wodurch den tatsächlich Schutzbedürftigen
mehr Aufnahmekapazitäten zur Verfügung stehen.

Davon unabhängig kann dennoch jeder Antragsteller
weiterhin im Verfahren Beweise vorlegen, dass in sei-
nem konkreten Fall eine schwere Menschenrechtsverlet-
zung vorliegt. Dadurch ist sichergestellt, dass die betrof-
fenen Menschen im Einzelfall nach wie vor Schutz
erhalten.

Gleichzeitig sollen mit dem Gesetzentwurf Asylbe-
werber schon nach drei Monaten Zugang zum Arbeits-
markt bekommen. Das bedeutet für viele Asylbewerber,
die arbeiten können und wollen, eine Chance auf ein
selbstbestimmtes Leben, was dazu beitragen kann, das
Trauma von Flucht und Verfolgung zu überwinden.
Obendrein werden dadurch die Haushalte von Bund,
Ländern und Kommunen entlastet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Akzeptanz
des Asylrechts in der Bevölkerung ist es wichtig, dass
Asyl den tatsächlich Schutzbedürftigen vorbehalten
bleibt. Das ist und muss der Maßstab für die Zuerken-
nung dieses zentralen Menschenrechts bleiben. Ich spre-
che mich deshalb dafür aus, auch die beiden weiteren
Balkanländer Albanien und Montenegro als sichere Her-
kunftsstaaten einzustufen; denn auch für diese beiden
Länder gilt, dass dort keine Gefahr durch Verfolgung
oder schwere Menschenrechtsverletzungen für die Men-
schen drohen und nur in wenigen Einzelfällen Schutz ge-
währt wird.

Trotzdem ist die Zahl der Anträge von Asylbewerbern
aus diesen Ländern in jüngster Vergangenheit stark ge-
stiegen und hat sich innerhalb eines Jahres mehr als ver-
zehnfacht. Besonders auffällig ist, dass es sich bei den
Antragstellern überwiegend um junge Menschen han-
delt, die zuvor schon in Griechenland oder Italien gelebt
haben. Dass es in diesen Fällen vor allem um wirtschaft-
liche Motive geht, liegt aus meiner Sicht auf der Hand.

Mit dieser Einschätzung sind wir in Europa nicht al-
lein. Viele weitere EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich,
Belgien, Luxemburg, Österreich und Großbritannien ha-
ben nicht nur Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und
Herzegowina, sondern auch Albanien und Montenegro
bereits als sichere Herkunftsstaaten eingestuft.





Nina Warken


(A) (C)



(D)(B)

Dem Versuch, die Asylgründe so weit auszudehnen,
dass allein aufgrund von Armut und sozialen Problemen
ein Asylrecht besteht, möchte ich eine entschiedene Ab-
sage erteilen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD])


Unser Asylsystem würde unter dem zu erwartenden An-
sturm kollabieren.

Zudem verwahre ich mich gegen den Vorwurf der
Linken, Roma seien in Deutschland unerwünscht. Ganz
im Gegenteil! Lassen Sie mich dies so klar formulieren
– womit ich dann auch zum Ende kommen möchte –:
Deutschland ist sich seiner historischen Verantwortung
sehr bewusst. Deshalb ist es auch richtig, dass die
Gruppe der Sinti und Roma als nationale Minderheit in
unserem Land anerkannt ist und einen besonderen
Schutz und eine spezifische Förderung erhält. Gerade
deshalb müssen wir unbedingt darauf hinwirken, dass
Roma denselben Schutz auch in Serbien, Mazedonien
sowie Bosnien und Herzegowina genießen.

Meine Damen und Herren, vor Ort kann damit viel
mehr Menschen geholfen und ein Beitrag zur Verbesse-
rung des gesellschaftlichen Zusammenlebens in den si-
cheren Herkunftsstaaten geleistet werden. Lassen Sie
uns das tun.

Lassen Sie mich am Ende der Debatte noch eine An-
merkung an meine Kolleginnen und Kollegen aus dem
Innenausschuss richten und erklären, warum wir bzw.
unser Obmann bislang einem gemeinsamen flüchtlings-
politischen Antrag eine Absage erteilt haben. Ich glaube,
wir führen im Innenausschuss eine sehr moderate und in
Teilen auch konstruktive Debatte zu diesem Thema.
Aber hier wurde heute aus meiner Sicht diametral anders
diskutiert als im Ausschuss.


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt habt ihr endlich eine Begründung!)


Deswegen sehe ich auf dieser Grundlage momentan
keine Veranlassung zu einem gemeinsamen Antrag aller
Fraktionen in dieser Frage.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804003000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/1528 und 18/1616 an die an der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE
Sanktionen bei Hartz IV und Leistungsein-
schränkungen bei der Sozialhilfe abschaffen

Drucksache 18/1115
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Als erster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Katja Kipping, Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804003100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke

meint: Das Existenzminimum, also das Mindeste, was
ein Mensch zum körperlichen und sozialen Überleben
braucht, darf nicht gekürzt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb bringe ich heute den Antrag ein, die Sanktionen
bei Harz IV und Leistungseinschränkungen bei der So-
zialhilfe abzuschaffen.

Wir sagen Ja zur Sanktionsfreiheit. Das ist für uns ein
erster wichtiger Schritt zu einer sanktionsfreien Mindest-
sicherung, und das wiederum ist ein Meilenstein auf dem
Weg zu einer angstfreien Gesellschaft.


(Beifall bei der LINKEN)


Über 1 Million Sanktionen wurden im Jahr 2013 ver-
hängt. Um den Begriff „Sanktionen“ noch einmal zu er-
läutern: Sanktion bedeutet, dass das ohnehin niedrige
Arbeitslosengeld II gekürzt wird, und zwar im ersten
Schritt um 30 Prozent, dann um 60 Prozent, und am
Ende komplett gestrichen wird.

Um Missverständnisse auszuschließen, möchte ich
Folgendes klarstellen: Wenn wir das schikanöse Hartz-IV-
System kritisieren, dann meinen wir damit ausdrücklich
nicht die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der
Bundesagentur und den Jobcentern, die unter schweren
Umständen arbeiten und nach besten Kräften versuchen,
die Betroffenen zu unterstützen. Ihnen gilt unser Dank
und Respekt.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Kritik gilt den politisch Verantwortlichen, also
all jenen Bundestagsabgeordneten, die immer wieder
Nein zur Sanktionsfreiheit gesagt haben. Davon gibt es
leider noch viel zu viele, und ich finde, das muss sich än-
dern.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Gegner der Sanktionsfreiheit bedienen sich unter
anderem, vereinfacht ausgedrückt, folgender Behaup-
tung: Wer suchet, der findet. Also im Klartext: Wer er-
werbslos ist, ist selber schuld. Die Mathematik spricht
eine andere Sprache. Ich habe mich informiert: Das Ver-
hältnis von offenen Stellen zu offiziell Erwerbsarbeitsu-





Katja Kipping


(A) (C)



(D)(B)

chenden war im vergangenen Jahr eins zu neun, wenn
man nur die offensichtlichen statistischen Tricks heraus-
nimmt. Auf eine offene Stelle kommen also neun Er-
werbsarbeitsuchende. Das heißt, egal wie sich diese
neun anstrengen: Acht von ihnen müssen nach mathema-
tischen Grundsätzen leer ausgehen.

Halten wir also fest: Erwerbslosigkeit ist keine indivi-
duelle Schuld; sie hängt mit dieser Wirtschaftsweise zu-
sammen. Deswegen müssen wir da ansetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein weiteres Gegenargument, das ein Redner der
CDU/CSU vor einigen Jahren bedient hatte, lautet:
Sanktionen betreffen nur 3 Prozent aller Leistungsbe-
rechtigten; wenn wir uns darum kümmern, dann machen
wir Politik vom Rande her. Ich finde, das ist eine unge-
heuerliche Ignoranz gegenüber Menschen, die in einer
besonderen existenziellen Notlage sind.


(Beifall bei der LINKEN)


Es stimmt vor allen Dingen nicht, weil die Möglichkeit
einer Sanktion, dieses Damoklesschwert, viele bedroht
und verunsichert.

Die Sanktionen sind auch ein Angriff auf die Mitte.
Deswegen ist die Standardantwort vonseiten der CDU/
CSU so verlogen, man müsse auch an diejenigen den-
ken, die von früh bis abends arbeiten. Ja, wenn Sie die
Mitte steuerlich entlasten wollen, können Sie das ma-
chen. Sorgen Sie mit uns gemeinsam für Steuergerech-
tigkeit! Aber tun Sie nicht so, als ob die Verkäuferin, der
Lehrer, die Kindergartenerzieherin oder der Kranken-
pfleger einen Cent mehr in der Tasche hätten, nur weil
Erwerbslose noch schärfer und weiter sanktioniert wer-
den. Das ist einfach verlogen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir wissen doch: Das Gegenteil ist der Fall. Das ist offi-
ziell durch das IAB belegt worden. Im Zuge von
Hartz IV hat die Bereitschaft zugenommen, schlechte
Löhne und familienunfreundliche Arbeitszeiten zu akzep-
tieren. Hartz IV ist also auch ein Angriff auf das Lohnge-
füge. Deswegen liegt die Abschaffung der Hartz-IV-Sank-
tionen im Interesse sowohl von Erwerbslosen und prekär
Beschäftigten als auch von Kernbelegschaften.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein weiteres Vorurteil lautet, Sanktionen träfen nur
diejenigen, die den ganzen Tag faul vor dem Fernseher
sitzen. Die offiziellen Zahlen sprechen eine andere Spra-
che. 72 Prozent der Sanktionen gehen auf Meldever-
säumnisse zurück. Möglicherweise sind die Betroffenen
nicht zu einem Termin erschienen, weil sie keinen Brief
erhalten haben oder Angst hatten, den Brief zu öffnen,
der in einer Sprache verfasst ist, die für viele bedrohlich
wirkt. Nur 12 Prozent der Sanktionen gehen zurück auf
mögliche Ablehnungen von Maßnahmen oder Arbeits-
plätzen. Darunter sind Maßnahmen, die oft nichts ande-
res als eine fragwürdige Beschäftigungstherapie für Er-
wachsene darstellen.

Ich habe mich mit einer Sozialarbeiterin aus Neukölln
unterhalten. Sie sagte mir: Das SGB sollte doch eigent-
lich ein Sozialgesetzbuch sein. Ich erlebe es zunehmend
als Strafgesetzbuch.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Meine Güte! Jetzt sinkt das Niveau noch tiefer!)


Ja, Sanktionen sind Ausdruck eines paternalistischen Er-
ziehungsstaates. Das steht in der Tradition des Arbeits-
hauses. Erwachsene werden als Erziehungsbedürftige
betrachtet. Wir als Linke sagen Nein zu diesem paterna-
listischen Verständnis. Wir sagen Ja zu einem demokrati-
schen Sozialstaat, der von demokratischen und sozialen
Rechten ausgeht. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn
Erwachsene als Erziehungsbedürftige behandelt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt einen weiteren Grund für uns. Das Regelsatz-
urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt ganz klar:

Das Grundrecht auf Gewährleistung eines men-
schenwürdigen Existenzminimums ist dem Grunde
nach unverfügbar …

Weiter heißt es:

Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausge-
staltet sein, dass er stets den gesamten existenznot-
wendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechts-
trägers deckt.

Ich wiederhole: „Unverfügbar“ und „stets“ muss es den
notwendigen Bedarf decken. Beim soziokulturellen
Existenzminimum handelt es sich also um ein Grund-
recht, und Grundrechte kürzt man einfach nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor einigen Wochen fand im Petitionsausschuss die
öffentliche Behandlung der Massenpetition zur Abschaf-
fung der Sanktionen gegen Inge Hannemann statt. Viele
Betroffene sind zu diesem Termin angereist, um zuzuhö-
ren. Meine Fraktion hat danach die Betroffenen zu ei-
nem Fachaustausch eingeladen. Wir haben Expertinnen
und Experten der Praxis angehört. Ich habe in den zwei-
einhalb Stunden, in denen ich zugehört habe, viele be-
rührende Berichte vernommen, die mir gezeigt haben,
wie sehr Hartz IV Spuren auf den Seelen der Betroffe-
nen hinterlassen hat. Am Ende habe ich die Frage aufge-
worfen: Wir haben uns nun ausgetauscht, wer und was
alles unter Hartz IV leidet. Aber gibt es auch Profiteure
von Hartz IV? Die Antwort lautete: Ja. Denn im Zuge
von Hartz IV ist die Bereitschaft gestiegen – ich sprach
bereits darüber –, schlechtere Arbeitsbedingungen zu ak-
zeptieren. Ja, ein Ziel von Hartz IV war und ist auch,
Menschen gefügig zu machen und die Widerstandsfähig-
keit zu schwächen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oh Mann!)


– Mir ist schon klar, dass Sie das nicht gerne hören.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, ich kann diesen Unsinn kaum noch ertragen!)


Um es auf den Punkt zu bringen: In der Auseinander-
setzung zwischen oben und unten stärkt Hartz IV die Be-
sitzenden und schwächt diejenigen, die nur ihre Arbeits-





Katja Kipping


(A) (C)



(D)(B)

kraft als Ware haben. Deswegen werden wir, die Linke,
uns niemals mit Hartz IV zufriedengeben.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weltweit werden wir geachtet und bewundert für unsere soziale Sicherheit! Machen Sie die Augen auf für die Realität in Deutschland!)


Wir sagen ganz klar: Wer wie wir eine angstfreie Gesell-
schaft möchte, der muss Hartz IV und vor allem die
Hartz-IV-Sanktionen abschaffen und eine sanktionsfreie
Mindestsicherung einführen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804003200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Albert Weiler, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1804003300

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Frau Kipping, ich selbst habe nach
meinen Ausbildungen bei der Eisenbahn Klos geputzt,
ich habe Wagen gereinigt, aus den Aschenbechern Kau-
gummis herausgekratzt und fühlte mich dabei nicht un-
wohl; denn das war meine Arbeit, und ich wollte nicht
arbeitslos werden. Sicherlich wollte ich das nicht auf
Dauer machen, aber ich habe es gemacht, weil ich nicht
arbeitslos werden wollte. Ich fühle mich von Ihnen diffa-
miert. Keine Arbeit ist schändlich. Jeder soll für seine
Arbeit geehrt werden. Das ist wichtig. Ich ehre jeden,
egal was er tut, auch wenn er, wie ich es getan habe,
Aschenbecher saubermacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist wieder einmal so weit. Der obligatorische An-
trag der Linken zur Abschaffung der Sanktionen bei
Hartz IV ist da. Zum wiederholten Mal beschäftigt sich
der Deutsche Bundestag mit diesem Antrag der Linken.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir hören auf, sobald Sie zustimmen!)


Es war sicherlich nicht das letzte Mal.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Er kommt so lange, bis die Sanktionen weg sind!)


Ich habe recherchiert. Allein in den letzten zwei Wahlpe-
rioden ist immer wieder ein derartiger Antrag von Ihnen
eingebracht, diskutiert und abgelehnt worden. Ich sehe,
dass Ihre Führungsspitze nicht da ist; dann ist das wohl
auch Ihnen gar nicht so wichtig. Das ist eher Wahl-
kampfpropaganda. So werden wir auch heute wieder da-
mit verfahren. Lassen Sie uns also die bekannten Argu-
mente, die wir schon so oft ausgetauscht haben, noch
einmal austauschen. Ich bin gerne bereit dazu.

Kopfschütteln und Kommentare wie „Schwachsinn“,
„Geht’s noch?“ und „Man nimmt uns damit das letzte
Mittel, das wir haben“ waren nur ein Teil der Reaktionen
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Jobcentern in
Berlin und Thüringen, denen ich Ihren Antrag vorgelegt
habe und die ich gebeten habe, diesen zu bewerten. Das
Gespräch mit den Fachleuten in den Jobcentern hat mich
darin bestärkt, dass ich mit meinem Gefühl der Ableh-
nung Ihres Ansinnens doch richtig liege.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Argumente, nicht um Gefühle!)


Überall sind Regeln notwendig, in der Schule, im
Verkehr, so auch in der Politik wie hier im Deutschen
Bundestag. Es hat mit Fairness, Gerechtigkeit und Ver-
antwortung zu tun, dass wir ein solches Sanktionssystem
haben. Wir müssen ein solches haben; denn wenn unser
Sozialsystem nicht ausgenützt würde, dann brauchten
wir solche Sanktionen nicht.

Das ist Fairness gegenüber den Arbeitnehmern und
Arbeitgebern, die diesen Sozialstaat erst ermöglichen,
und – das wird oft vergessen – gegenüber den arbeits-
losen Menschen, die sich regelkonform verhalten. Die
Jobcentermitarbeiter bestätigten mir, dass gegenüber
97 Prozent der Hartz-IV-Bezieher keine Sanktionen ver-
hängt werden bzw. verhängt werden müssen. Dieser
Großteil will ernsthaft aus seiner Notsituation heraus-
kommen und einen Job finden. Lediglich 3 Prozent der
Hartz-IV-Empfänger sind von Sanktionen betroffen. Wir
sprechen hier wahrlich nicht von einem Massenphäno-
men, wie Sie es immer wieder darstellen,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wie ich in meiner Rede sagte: Die anderen erleben es als Bedrohung!)


um Wahlkampfpropaganda zu betreiben. Wir haben
schließlich in Thüringen und Sachsen wieder Wahl-
kampf. Jetzt versuchen Sie, die Randgruppen noch wei-
ter an den Rand zu drängen, um zu zeigen, dass Sie die
Guten sind, die gewählt werden sollen. Das tun Sie in
dem Wissen, dass man nichts erreicht; aber Sie wollen
nur Stimmen fischen.

Ich würde mir sehr wünschen, dass die Linken end-
lich damit aufhören, Politik vom Rand aus zu betreiben
und so zu tun, als sei die Mehrheit der Gesellschaft von
diesem Problem betroffen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Von Wohnungslosigkeit sind auch nicht alle betroffen! Wieso interessieren Sie die dann?)


Wir nehmen die gesamte Gesellschaft in den Blick
und sorgen dafür, dass mit unserer Politik die guten Rah-
menbedingungen erhalten bleiben.

Wann bedankt sich die Partei Die Linke eigentlich bei
den über 42 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern,


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben nicht 42 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer! Wir haben 29 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!)






Albert Weiler


(A) (C)



(D)(B)

die durch ihr fleißiges Tun und ihre Steuern und Abga-
ben erst ermöglichen, dass wir überhaupt Hartz IV zah-
len können?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Schauen wir uns doch einmal die Zahlen an. Worüber
reden wir hier eigentlich? 2013 wurden laut Statistik der
Bundesagentur für Arbeit rund 1 Million Sanktionen ge-
genüber Menschen mit Hartz-IV-Bezug verhängt. Circa
726 000 Personen melden sich einfach nicht auf Schrei-
ben der Jobcenter. Frau Kipping hat versucht, das klein-
zureden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie hat es gut erklärt!)


Aber wenn ich Arbeit habe, dann muss ich mich auch
melden, wenn ich krank bin oder nicht kommen kann.
Andere weigern sich sogar, eine Arbeit anzunehmen. Ich
habe selbst auf Stellen gearbeitet, auf denen man nicht
unbedingt arbeiten will, aber ich habe es getan.

Manche weigern sich, eine Ausbildung aufzunehmen.
Rund 5 000 von den vollsanktionierten Personen sind
unter 25 Jahre. Es sind also junge Leute, die nicht arbei-
ten wollen. Das geht nicht.

Die Sanktionen fallen nicht plötzlich und unangekün-
digt vom Himmel. In jeder Einladung zu einem Ge-
spräch mit dem Betreuer im Jobcenter wird schriftlich
darauf hingewiesen, dass bei unentschuldigtem Nichter-
scheinen oder bei Ausbleiben einer Rückmeldung eine
Kürzung von 10 Prozent der Leistungen droht. Dem, der
es dann noch nicht verstanden hat, drohen noch mehr
Kürzungen. Zudem werden die Rechtsbelehrungen im-
mer wieder mündlich im persönlichen Gespräch zwi-
schen dem Betreuer und dem Empfänger vorgetragen.
Es ist sogar so, dass Betreuer und Empfänger gemein-
sam eine Vereinbarung unterzeichnen, in der explizit auf
die Möglichkeit von Sanktionen hingewiesen wird.

Es kann mir keiner erzählen, dass man keine Rück-
meldung auf eine Einladung zum Gespräch im Jobcenter
geben kann. Jeder Arbeitnehmer muss sich beim Arbeit-
geber melden, wenn er krank ist oder einen wichtigen
Termin wahrnehmen muss. Das ist, liebe Freunde, ganz
einfach Ausdruck gesunden Menschenverstands. Den
würde ich Ihnen gerne unterstellen. Im Moment fällt es
mir schwer.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man sich nicht bewerben will, folgen Sanktio-
nen, und das halte ich für richtig. Schließlich muss es
das Ziel sein, einen Arbeitslosen wieder in Arbeit zu
bringen. Es ist nun einmal so, dass die Arbeit nicht vom
Himmel fällt. Ohne Bewerbung kein Job! Deshalb wol-
len wir den Betroffenen helfen, durch Bewerbungen wie-
der Arbeit zu finden.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Was sagen Sie zu den von mir angeführten statistischen Daten?)


Das Stichwort „Mitwirkungspflichten“ findet sich in
allen Zweigen des Sozialgesetzbuches. Ohne die Mitwir-
kung der Menschen, für die die Leistungen des Sozial-
staats angeboten werden – das ist gut so –, können keine
Anträge gestellt, kann keine Untersuchung stattfinden,
kann kein Anspruch geprüft werden, kann aber auch
kein Geld ausgezahlt und keine Leistung erbracht wer-
den. Es kann doch nicht sein, meine Damen und Herren,
dass ich einen angebotenen Job ablehne oder zu Termi-
nen unentschuldigt nicht erscheine und trotzdem unkon-
trolliert Steuermittel von fleißigen Arbeitern einkassiere.
Das geht nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist der Kern des Ganzen: In einer guten Gesellschaft
muss jeder seinen Beitrag leisten. Regeln müssen von al-
len eingehalten werden. Gegen Regeln zu verstoßen und
weiter Geld einzukassieren, ist in unserem Sozialstaat
Gott sei Dank verboten. Das ist nicht lediglich eine
rechtliche Frage, sondern betrifft auch das Funktions-
prinzip der Solidarität. Sie gilt für alle Seiten.

An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank den vielen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den deutschen Job-
centern, die eine hervorragende Arbeit machen. Sie sind
in einem sehr sensiblen Bereich tätig; denn sie haben es
mit arbeitslosen Menschen zu tun, die sich teilweise in
einer sehr schwierigen persönlichen Situation befinden,
und sie müssen sich individuell auf diese Arbeitslosen
einstellen. Das ist für beide Seiten nicht einfach. Dafür
noch einmal vielen Dank an die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter der Jobcenter!


(Beifall bei der CDU/CSU)


An die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke gerichtet – passen Sie noch einen Moment auf; ich
bin gleich fertig –:


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wir sind ganz Ohr!)


Nur weil man einen Antrag immer wieder hervorholt,
wird er nicht besser und nicht richtiger. Noch viel
schlimmer: Mit Umsetzung dieses Antrags würde nicht
ein einziger Langzeitarbeitsloser in Arbeit gebracht.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Mit Ihrer Rede aber auch nicht!)


Gerade das muss unser Ziel sein.

Bitte sorgen Sie dafür, dass sich Firmen in unserem
Land ansiedeln, und bringen Sie Leute in Arbeit. Dann
tun Sie mehr, als nur den Betrieb zu stören.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Also das entscheiden wir in einer Demokratie noch selbst, was für einen Antrag wir einbringen! Was für ein Parlamentsverständnis! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ganz dünnes Eis!)


Gerne diskutieren wir hier mit Ihnen, wie wir Menschen
ohne Arbeit wieder in Lohn und Brot bringen. Ein An-
trag aber, der auf Spaltung der Gesellschaft fokussiert ist
und nur der Wahlpropaganda dient, ist falsch und muss
daher, auch wenn wir Wahlkampf haben, heute zum wie-
derholten Male abgelehnt werden, egal wie leid Ihnen
das tut.

Vielen Dank.





Albert Weiler


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber Sie wissen schon, dass das die erste Lesung ist? Ihr Parlamentsverständnis ist ja sowieso fragwürdig!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1804003400

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang

Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Weiler, Sie haben angekündigt, dass Sie
Argumente gegen den Antrag der Linken vorbringen
wollen. Ich habe kein einziges Argument gehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Waren Sie draußen?)


Stattdessen wird ein Menschen- und Gesellschaftsbild
verbreitet, das eigentlich weder zu unserem Grundgesetz
noch zum gesellschaftlichen Konsens passt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben an dieser Stelle vor zwei Wochen einen
Festakt aus Anlass des 65. Jahrestages der Verkündung
des Grundgesetzes mit einer großartigen Rede von
Navid Kermani erlebt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Artikel 1 des Grundgesetzes beginnt mit den Worten:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das Bun-
desverfassungsgericht leitet aus Artikel 1 und aus Arti-
kel 20 des Grundgesetzes ein Grundrecht auf Gewäh-
rung eines menschenwürdigen Existenzminimums ab.
Ich finde, dieses Grundrecht müssen wir rechtfertigen,
verteidigen und den Menschen tatsächlich gewähren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber die Frage der Sanktionen ist nicht nur eine
rechtliche Frage. Es geht darum: In welcher Gesellschaft
wollen wir tatsächlich leben? Wir Grüne wollen in einer
Gesellschaft leben, die inklusiv ist, in der niemand aus-
gegrenzt wird und in der jeder Mensch ein Recht auf
selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe hat. An die-
sen Maßstäben – Grundrecht auf Existenzminimum und
eine gesellschaftliche Realität, die allen selbstbestimmte
Teilhabe ermöglicht – messen wir auch die Sanktionen.
Wenn wir uns die derzeitige Sanktionspraxis angucken,
stellen wir fest, dass die Sanktionen zurzeit diesen Maß-
stäben nicht genügen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die meisten Sanktionen sind in der Tat demütigend,
sie sind häufig unnötig, und sie sind meist auch kontra-
produktiv. Deswegen sagen wir: Wir brauchen ein Sank-
tionsmoratorium. Die Zeit, in der die Sanktionen ausge-
setzt werden, sollten wir nutzen, um die Sanktionsregeln
so zu ändern, dass sie den Maßstäben des Grundgesetzes
aber auch den Maßstäben einer inklusiven Gesellschaft
genügen, also Menschen nicht ausgrenzt werden und
Teilhabe gefördert wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An der Stelle eine kleine Anmerkung zu den Vorstel-
lungen der Linken. Ich glaube, man muss auch darüber
nachdenken, ob die sofortige Abschaffung aller Sanktio-
nen diesem Anspruch tatsächlich gerecht wird oder ob
nicht die komplette Abschaffung der Sanktionen auch
dazu führen kann – wohlgemerkt: unter den derzeitigen
Bedingungen –, dass Menschen von gesellschaftlicher
Teilhabe und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden.
Ich stelle das einmal als eine Frage in den Raum, über
die man intensiv nachdenken müsste.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Guter Gedanke!)


Was heißt das, wenn wir sagen: „Menschen müssen in
die Gesellschaft hereingeholt werden, dürfen nicht aus-
gegrenzt werden“? Das heißt, wir müssen Barrieren ab-
bauen, wir müssen Hürden abbauen, wir müssen Mauern
einreißen, und wir müssen Türen aufschließen, die ver-
hindern, dass Menschen in die Gesellschaft hineinkom-
men. Die derzeitige Sanktionspraxis schafft das nicht.
Zwei Beispiele:

Totalsanktion. Dass Menschen eine Leistung kom-
plett verweigert wird, das geht unseres Erachtens nicht.
Meines Erachtens ist das auch nicht mit dem vom Ver-
fassungsgericht festgestellten Grundrecht auf Gewäh-
rung eines Existenzminimums vereinbar. Dass Men-
schen gar nichts bekommen, das geht so nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir hatten dazu schon Anhörungen im Ausschuss; da ist
dieser Punkt von allen Experten kritisiert worden, auch
von den Verfassungsrechtlern. Wir haben jetzt die Bun-
desregierung einmal gefragt, wie viele Fälle das eigent-
lich sind. Es sind 9 000 Fälle. Da kann man sagen: Das
sind nicht viele. Aber: 9 000 Menschen, denen das Exis-
tenzminimum tatsächlich verweigert wird – das müssen
wir dringend ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Von diesen 9 000 Menschen sind 5 000 Menschen unter
25 Jahre. Wir finden, gerade bei jungen Menschen muss
man darauf achten und ihnen dabei helfen, dass sie in die
Gesellschaft hineinkommen.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Richtig! Genau so! Ja!)


Zweitens. Wir haben besonders scharfe Sanktionsre-
geln für die unter 25-Jährigen. Das ist von der letzten Gro-
ßen Koalition eingeführt worden. Auch das wurde von al-
len Verfassungsrechtlern als problematisch bezeichnet.
Insbesondere Altersdiskriminierung ist da ein rechtli-
ches Problem. Diese schärferen Sanktionsregeln für un-
ter 25-Jährige gehören also abgeschafft.





Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Schließlich ist es wichtig, noch einmal die Bedeutung
einer Grundsicherung für die Gesellschaft insgesamt zu
betonen. Für uns als Freiheitspartei


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Liberale Seite! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


ist es wichtig, dass die Selbstbestimmung der Menschen
gewährleistet wird. Zur Selbstbestimmung gehört eine
verlässliche Grundsicherung als Existenzsicherung in al-
len Lebenslagen unmittelbar dazu. Eine stabile Grund-
sicherung ist die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes
Leben.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804003500

Vielen Dank. – Für die Sozialdemokraten spricht jetzt

die Kollegin Dagmar Schmidt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1804003600

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Be-
vor ich zu den Sanktionen direkt komme, möchte ich et-
was Grundsätzliches zum Sozialstaatsverständnis sagen,
weil Sie diesen Punkt nicht nur in Ihrem Antrag, sondern
auch in Ihrer Rede angesprochen haben.

Es ist für uns selbstverständlich, dass der Sozialstaat
ein menschenwürdiges Existenzminimum sichern muss.
Aber es sollte genauso selbstverständlich sein, dass alle
Menschen, die es können, auch ihren Beitrag zur Ent-
wicklung und zum Wohlstand unserer Gesellschaft leis-
ten und sich bemühen, ihren Lebensunterhalt selbststän-
dig zu verdienen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass die ganz große
Mehrheit genau das auch möchte.

Die Menschen sind unterschiedlich. Sie haben unter-
schiedliche Voraussetzungen und befinden sich in unter-
schiedlichen Lebenslagen. Man kann nicht von allen das
Gleiche erwarten. Aber dass man etwas von den Men-
schen erwartet, das hat auch etwas mit Respekt zu tun.
Ich will keine Grundsatzdebatte zum bedingungslosen
Grundeinkommen führen. Ich will aber ein paar kleine
Worte dazu verlieren, weil es in Ihrem Antragstext zu-
mindest angedeutet ist.

Chancengleichheit stellt man nicht dadurch her, dass
man Menschen bedingungslos alimentiert, sondern
durch eine aktive, gute und gerechte Bildungspolitik, die
individuell fördert mit Ganztagsschulen und die einen
Nachteilsausgleich für sozial Schwächere vorsieht, und
durch eine gute Familienpolitik, die Familien mit Zeit,
Geld und guter Betreuung unterstützt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Man verändert Arbeitsbedingungen nicht dadurch,
dass man alle Menschen alimentiert und eine eigenstän-
dige Existenzsicherung überflüssig macht, sondern
durch solidarisches gewerkschaftliches Handeln und
durch gute gesetzliche Rahmenbedingungen. Einen gro-
ßen Schritt in die richtige Richtung haben wir gestern
mit der Verabschiedung des Tarifpakets bereits gemacht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Statt den Menschen Scheinfreiheit unbegrenzter eh-
renamtlicher Arbeit zu geben, wollen wir ihnen die Frei-
heit geben, durch eigenes Einkommen ihr Leben selber
in die Hand zu nehmen. Aus Ihrer Sicht ist Fördern und
Fordern Ausdruck eines paternalistischen Sozialstaates,
aus unserer Sicht ist es Ausdruck eines emanzipatori-
schen Sozialstaats.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN)


Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozial-
hilfe hat für viele Menschen die Tür zu Hilfe und Unter-
stützung geöffnet. Wir wollen keinen Sozialhilfestaat
mehr, der Menschen alimentiert und dann links liegen
lässt. Fördern und Fordern heißt: Wir brauchen alle, wir
wollen alle, wir erwarten von allen etwas, aber wir geben
auch allen Hilfe und Unterstützung.

Damit komme ich zu den Sanktionen. Entscheidend
dafür, dass es gelingt, Arbeitslose in gute Jobs zu brin-
gen, ist neben dem eigenen Engagement eines jeden Ein-
zelnen – wir lassen da auch keinen raus – all das, was
wir zur Förderung und Unterstützung zur Verfügung
stellen. „Wir lassen den Einzelnen nicht raus“ heißt aber
auch, dass wir Sanktionen nicht grundsätzlich abschaf-
fen wollen. Ob sie in der jetzigen Form aber die Ziele
erreichen, die wir damit erreichen wollen, ist fraglich.
Darüber muss geredet werden. Deswegen haben wir ge-
meinsam im Koalitionsvertrag verabredet, dass wir uns
vor allem mit der Überprüfung der Sanktionsregelungen
und der Sanktionspraxis für die unter 25-Jährigen be-
schäftigen wollen.

Wir haben darüber hinaus beschlossen, dass wir uns
mit den Ergebnissen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
zur Rechtsvereinfachung im SGB II beschäftigen wer-
den,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Dann bekommen wir eine Verschärfung!)


und zwar dahin gehend beschäftigen werden – das steht
auch so im Koalitionsvertrag –, dass wir Verbesserungen
sowohl für die Arbeitslosen als auch für die Verwaltung
erreichen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese Ergebnisse werden bald auf dem Tisch liegen und
sicher eine gute Grundlage für eine spannende und hef-
tige Debatte werden.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist richtig!)






Dagmar Schmidt (Wetzlar)



(A) (C)



(D)(B)

Ich persönlich kann mir vorstellen, dass wir uns an
der Stelle vor allem über die Frage der Gleichbehand-
lung der unter und über 25-Jährigen unterhalten; denn
die Unterscheidung in Altersgruppen hat sich weder als
gerecht noch als zielführend erwiesen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte an der Stelle der Debatte noch nicht vor-
greifen, aber zumindest möchte ich einen kurzen Ein-
druck davon vermitteln, was nach meinen Vorstellungen
noch auf den Tisch kommen müsste. Auch mit der
Frage, ob die Sanktionen auf den Bereich der Kosten der
Unterkunft ausgedehnt werden sollten, müssen wir uns
beschäftigen. Dies ist nämlich ein Punkt, der ganz hart in
die Existenz von Menschen eingreift.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden uns darüber unterhalten, welche Sanktion
wofür angemessen und was an dieser Stelle zielführend
ist.

Zum Weg in die selbstständige Existenzminderung
gehört Förderung genauso wie eigenes Engagement. Es
gehört dazu, Erwartungen zu formulieren und sich dann
auf Vereinbarungen verlassen zu können. Wenn nicht,
dann muss man auch mit Sanktionen rechnen. Das ist in
anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht anders. Wer
Vereinbarungen, wer Verträge, wer Verabredungen
bricht, muss mit Konsequenzen rechnen. Das ist nicht
paternalistisch, sondern hat etwas mit einem normalen
und respektvollen Umgang miteinander zu tun.


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Aber entscheidend ist dabei doch: Handelt es sich um
eine Verabredung oder eine Verordnung? Deshalb finde
ich andere Fragen viel entscheidender als die Frage der
Sanktion.

Nehmen wir als erstes Beispiel einmal die Eingliede-
rungsvereinbarung. Ich finde, eine Eingliederungsver-
einbarung ist ein Schlüsselinstrument, um Menschen den
Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen, und zwar dann,
wenn eine echte Verständigung stattfindet, die den Wün-
schen der Arbeitsuchenden genauso gerecht wird wie sie
den realistischen Möglichkeiten entspricht, und sich die
Arbeitsuchenden mit ihr auch identifizieren können.
Dann ist sie ein Erfolgsinstrument. Aber sind die Vo-
raussetzungen dafür überall geschaffen? Lässt der Be-
treuungsschlüssel an allen Stellen eine so intensive Be-
treuung und Beratung zu, dass es wirklich klappt?
Stimmt die Chemie zwischen den Beratern und denen,
die Beratung wünschen? Was passiert, wenn das nicht
der Fall ist? Wer hat dann welche Rechte? Das sind für
mich die viel interessanteren Fragen


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und: „Gibt es ausreichend Angebote?“!)


als die, ob man grundsätzlich für oder gegen Sanktionen
ist.
Der zweite Punkt – Sie haben es angesprochen –:
Sind die Schriftstücke, die informieren und darüber auf-
klären sollen, welche Rechte und Pflichten man hat, für
alle wirklich immer so verständlich, dass daraus das
richtige Handeln resultieren kann?

Mit diesen Fragen möchten wir uns gerne in Zukunft
beschäftigen.

Die Reform des SGB II ist ein steter Prozess. Wir alle
haben die Aufgabe, zu überprüfen, ob die angewandten
Mittel die bestmöglichen sind, um zu den Zielen zu füh-
ren, die wir erreichen wollen. Unser sozialpolitisches
Ziel ist es aber eben nicht, Arbeitslosigkeit zu bezahlen
und uns mit Ihnen über die Höhe der Transferleistungen
zu streiten. Unser Ziel ist es, Menschen in Arbeit zu
bringen, und zwar zu guten Bedingungen und so, dass
sie sich und ihre Familien ernähren können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die allermeisten Menschen wollen arbeiten und stolz auf
das Geschaffene sein.

Wir sind der Auffassung, dass „Menschen in Arbeit
zu bringen“ Ausdruck eines emanzipatorischen Sozial-
staatsverständnisses ist. Wir wollen alles dafür tun, die
notwendige Hilfe und Unterstützung zu gewährleisten,
auch und gerade für die, die es besonders schwer haben;
frei nach Abraham Lincoln:

Je schwerer etwas fällt, desto größer die Freude,
wenn es uns gelingt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804003700

Nächster Redner ist der Kollege Professor

Dr. Matthias Zimmer, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katja Kipping [DIE LINKE]: Kommt Lafargue gleich am Anfang Ihrer Rede oder nicht?)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1804003800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Psalm 127

sagt bekanntlich, dass es unnütz sei, früh aufzustehen
und hernach lange zu sitzen, um das Brot mit Sorgen zu
essen, denn den Seinen gebe es der Herr im Schlaf. Ich
fühle mich ein wenig an diesen Psalm erinnert, wenn wir
– nicht zum ersten Mal – auf Antrag der Fraktion Die
Linke die Abschaffung von Sanktionen in der Welt der
Sozialgesetzgebung debattieren. Ich will an einigen
Punkten deutlich machen, warum die biblische Verhei-
ßung und die Solidarität in unserer Gesellschaft zwei
verschiedene Dinge sind, in der Hoffnung – denn diese
stirbt bekanntlich zuletzt –, dass die ganze Debatte ein
wenig von der vordergründigen Perspektive der Fairness
im Einzelfall auf das Grundsätzliche gestellt werden
kann und am Ende die Kolleginnen und Kollegen der
Fraktion, die sich des Themas immer wieder annehmen,
das Irrige ihrer Argumentation einzusehen in der Lage
sind.





Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, jetzt nicht so poetisch! – Zurufe von der SPD: Oh!)


Von der Abschaffung der Sanktionen in der Sozialge-
setzgebung, meine Damen und Herren, ist es ein kaum
noch wahrnehmbarer Schritt zum bedingungslosen
Grundeinkommen. Ich habe sehr wohl wahrgenommen,
dass es hierüber in der Fraktion der Linken wie auch bei
den Grünen sehr unterschiedliche Auffassungen gibt.
Aber ein sanktionsfreies Regime in der Sozialgesetzge-
bung ist ein bereits auf niedrigem Niveau installiertes
Grundeinkommen, das an keine erzwingbaren Bedin-
gungen mehr geknüpft ist. Hiergegen habe ich drei
grundsätzliche Einwände.

Der erste Einwand ist, dass wir durch ein solches Sys-
tem die Bedingungen von Solidarität selbst untergraben.
Solidarität ist ein Sozialprinzip der gesamtschuldneri-
schen Haftung. Es ist aus dem römischen Privatrecht
entlehnt und in der französischen Revolution dann zu ei-
nem politischen Prinzip der Gesellschaftsgestaltung um-
gedeutet worden. Mit anderen Worten: Wir kennen in
der Gesellschaft, im Sozialverband das solidarische Ein-
treten für den Einzelnen, wenn er in Not gerät. Wir ken-
nen hier unbedingte und bedingte Solidaritätspflichten.

Unbedingte Solidaritätspflichten sind solche, die
nicht auf Gegenseitigkeit beruhen oder beruhen können.
Der Mensch, der sich in einer solchen Lage befindet,
kann sich aus eigener Kraft und auch mit Hilfe anderer
daraus nicht mehr befreien. Er bedarf der dauerhaften
Hilfestellung.

Anders in Fällen der bedingten Solidaritätspflichten.
Hier kann sich der Einzelne selbst oder mit Hilfe anderer
aus der Notlage befreien; denn sie ist nicht dauerhaft.
Mehr noch: Die Legitimität der gesellschaftlichen Res-
source Solidarität ist gerade davon abhängig, dass er dies
auch tut, weil er es kann. Solidarität versteht sich hier als
Einstehen für andere in unverschuldeten Notlagen, aber
nicht als eine dauerhafte Subventionierung der Unwillig-
keit, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.

Mein zweiter Einwand ist, dass damit der Wert von
Arbeit selbst diskreditiert wird. Überspitzt formuliert:
Wer arbeitet, ist der Dumme; denn es ginge ja auch an-
ders. Das ist im Übrigen auch mein Haupteinwand gegen
ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Befürworter
rechnen damit, dass sich in der Summe die Anzahl derje-
nigen, die durch produktive Arbeit ein solches Grund-
einkommen finanzieren, nicht verändert.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Kollege, es geht heute nicht um das bedingungslose Grundeinkommen!)


Ich hingegen glaube schon, dass die Anzahl derjenigen,
die sich ohne Arbeit auf niedrigerem Niveau einrichten,
deutlich ansteigt. Die Finanzierung eines Grundeinkom-
mens lebt damit von Voraussetzungen, die sie selbst un-
tergräbt. Das gilt eben auch für die Überstrapazierung
der Solidarität.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Davon steht nichts im Antrag!)

Mein dritter Einwand ist, dass damit Menschen nicht
mehr als selbstständig wahr- und ernstgenommen wer-
den, sondern zum dauerhaften Objekt staatlicher Betreu-
ung werden. Der enge Zusammenhang von Freiheit und
Selbstverantwortung wird aufgelöst. Man kann Freiheit
durchaus denken als dauerhafte staatliche Alimentie-
rung, aber das ist ein Freiheitsbegriff, dem die Dimen-
sion der Selbstverantwortung fehlt. Aus meiner Sicht
– ich glaube, hier spreche ich auch für die Union als
Ganzes – verfehlt ein solcher Freiheitsbegriff den Kern
der Personalität des Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Er nimmt den Menschen nicht als mündig wahr. Wäre es
nicht Aufgabe einer neuen Aufklärung, den Menschen
an seine Mündigkeit zu erinnern und ihn aufzufordern,
aus allen Formen der Unmündigkeit sich zu befreien,
auch wenn diese noch so benevolent als staatliche Be-
treuung daherkommt?

Damit zusammen hängt ein weiteres Argument. Die
Linke behauptet in ihrem Antrag, dass Sanktionen gegen
die Würde des Menschen verstoßen. Wenn wir aber Frei-
heit und Selbstverantwortung ernst nehmen, dann müs-
sen wir auch die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen
ernst nehmen. Wir knüpfen Sozialleistungen an Bedin-
gungen und machen dies auch sehr deutlich; der Kollege
Weiler hat in seiner Rede davon ja ausführlich gespro-
chen. Wenn diese Bedingungen wissentlich und willent-
lich nicht erfüllt werden, und zwar im Wissen um die
Konsequenzen, dann ist das mitnichten ein Verstoß ge-
gen die Würde. Es ist Ausfluss der Entscheidungsfreiheit
des Einzelnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es verstieße, meine Damen und Herren, meines Erach-
tens gegen die Würde des Menschen, diese Entschei-
dungsfreiheit sozialtherapeutisch oder gesellschaftlich
aufheben zu wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hinter dem unscheinbar daherkommenden Antrag der
Linken, die Sanktionen in der Sozialgesetzgebung abzu-
schaffen, verbirgt sich also mehr. Sie, meine Damen und
Herren von den Linken, stellen damit in Wahrheit die
Grundlagen unserer Wirtschafts- und Sozialordnung in-
frage, Sie stellen die Systemfrage.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das stimmt nicht! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In dem Antrag bestimmt nicht!)


Nicht mehr und nicht weniger hatte ich auch von Ihnen
erwartet. Im Wege der heutigen Rede wollte ich Sie wis-
sen lassen: Wir haben es gemerkt und lehnen deshalb Ih-
ren Antrag ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804003900

Nächste Rednerin ist für die Linken die Kollegin

Sabine Zimmermann.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804004000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege Zimmer, es geht in unserem
Antrag nicht um das bedingungslose Grundeinkommen.
Ich glaube, da haben Sie etwas falsch verstanden; denn
beim bedingungslosen Grundeinkommen sollen alle
Geld bekommen, egal ob sie arbeiten, ob sie nicht arbei-
ten, ob sie Millionäre sind oder sonst was. Es geht hier
einfach darum, die Aussage von Artikel 1 des Grundge-
setzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ umzu-
setzen. Um nichts anderes geht es hier.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, über 1 Million Sanktionen
wurden im letzten Jahr wieder gegenüber Hartz-IV-Be-
zieherinnen und -Beziehern verhängt. Das sind alles Ein-
zelschicksale; davon, wie es diesen Menschen geht, ha-
ben die meisten hier im Saal allenfalls eine vage
Vorstellung. Wie ist es denn, wenn von einem Betrag,
der als Existenzminimum gilt, noch etwas weggenom-
men wird? Was heißt denn das überhaupt: Leben unter-
halb des Existenzminimums? Ich frage Sie hier: Kann
man denn mit weniger als dem Existenzminimum über-
haupt noch ein Leben in Würde führen?

Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich kenne viele Men-
schen – zum Beispiel Frauen über 50 –, die vor dem Job-
center stehen, zittern und Angst haben, dort hineinzuge-
hen. Ich habe letztens erst einen alleinerziehenden Mann
getroffen, der Aufstocker ist und 150 Euro gestrichen
bekommen sollte. Der hat nächtelang davor nicht ge-
schlafen. Wissen Sie, wie es den Kolleginnen und Kolle-
gen geht?


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Warum kriegt er die denn gestrichen?)


– Die sollte er ungerechtfertigerweise gestrichen bekom-
men, das ist dann später herausgekommen, was ich rich-
tig finde. Danach konnte der Kollege wieder richtig
schlafen. Vorher hatte er nur noch 700 Euro verdient und
konnte sein Kind nicht mehr ernähren. Das war nämlich
das ganze Problem dabei.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Mit den Sanktionen sollen – so das angebliche Ziel –
Erwerbslose dazu angehalten werden, sich um Arbeit zu
bemühen. Meine Damen und Herren, ich muss Ihnen sa-
gen, dass das ziemlicher Unsinn ist. Ich will es Ihnen
auch belegen. Vor etwas längerer Zeit hat die Bundes-
agentur für Arbeit Arbeitslosengeld-II-Bezieher befragt.
Danach stimmten 76 Prozent der Aussage zu: Arbeit zu
haben ist das Allerwichtigste im Leben. 86 Prozent er-
klärten sogar: Arbeit ist wichtig, weil sie einem das Ge-
fühl gibt, dazuzugehören. Meinen Sie wirklich, diesen
Arbeitslosen müsste man noch mit Sanktionen drohen,
damit sie sich um Arbeit bemühen? – Ich glaube das
eher nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn sie bewirken zudem das Gegenteil: Sie entmutigen
die Betroffenen, und das kann so weit gehen, dass man-
che den Kontakt zu den Jobcentern total abbrechen. Sie
fördern keine Motivation, im Gegenteil, sie machen sie
kaputt. Und das, meine Damen und Herren, ist Ihre Poli-
tik.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Warum das alles? – Die Antwort ist einfach. Sanktio-
nen drangsalieren nicht nur Erwerbslose, sie zwingen
auch dazu, schlechte, unsichere Jobs anzunehmen. Da-
mit üben Sie auch Druck auf die Löhne aus. Erwerbslose
im Hartz-IV-System sind bei der Jobsuche meist zu Zu-
geständnissen bereit. Meine Kollegin Katja Kipping hat
es gesagt. Dazu sagt auch die erwähnte Befragung der
Agentur für Arbeit: acht von zehn Hartz-IV-Beziehern
sind bereit, eine Arbeit unterhalb ihrer Qualifikation an-
zunehmen. Zwei Drittel würden ungünstige Arbeitszei-
ten in Kauf nehmen und knapp die Hälfte ein geringeres
Einkommen.

Dass Sanktionen dazu führen, jede x-beliebige Arbeit
anzunehmen, zeigt auch eine aktuelle Studie des Ar-
beitsministeriums aus Nordrhein-Westfalen. Dort heißt
es: Harte Sanktionen führen häufig nicht zu einem „kon-
tinuierlichen Beschäftigungsverhältnis“, sondern nur zu
einer „kurzfristigen Beschäftigung zur Verbesserung der
finanziellen Situation“.

Wenn Sie glauben, dass ohne Sanktionen Erwerbslose
zumutbare Arbeit ablehnen würden, dann muss ich Ih-
nen sagen, dass nur jede achte Sanktion zustande ge-
kommen ist, weil Arbeit, Ausbildung oder eine Maß-
nahme abgelehnt oder abgebrochen wurden. Wenn Sie
sich diese Fälle einmal ganz genau anschauen, dann er-
kennen Sie, dass in vielen Fällen Erwerbslose miss-
braucht und ihre Rechte mit Füßen getreten werden. Das
ist der Ist-Zustand.

Aber Sanktionen sind nicht nur ein Problem der Er-
werbslosen. Wer einmal Betriebe besucht hat, die in
wirtschaftlich schwierigen Situationen stecken, weiß,
welches Drohpotenzial auch Arbeitgeber damit besitzen,
welche Angst unter den Kolleginnen und Kollegen ge-
schürt wird, auf Lohn zu verzichten, damit sie nicht in
kürzester Zeit in Hartz IV landen; das will nämlich kei-
ner.

Auch der DGB merkte erst kürzlich in einer Stellung-
nahme zu den Sanktionen an, mit Hartz IV und anderen
Maßnahmen der Hartz-Gesetze sollte erklärtermaßen der
Niedriglohnbereich ausgebaut werden. – Das, meine Da-
men und Herren, ist Ihnen wirklich gelungen.

Deutschland hat nach Litauen den zweitgrößten Nie-
driglohnsektor Europas. Sogar die internationale Wirt-
schaftsorganisation OECD hat die Bundesregierung
inzwischen aufgefordert, das Problem des Niedriglohn-
bereichs zu bekämpfen. Das geht nicht, wenn man
Hartz IV außen vorlässt. Nach den derzeitigen Mindest-
lohnplänen sollen die Langzeitarbeitslosen – das sind
1,1 Millionen Menschen – für Löhne unterhalb des vor-
gesehenen Mindestlohns von 8,50 Euro arbeiten. Für uns





Sabine Zimmermann (Zwickau)



(A) (C)



(D)(B)

gilt aber auch hier das Prinzip „Gleicher Lohn für glei-
che Arbeit“.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Großen Koalition und hier insbesondere
von der SPD, wenn es Ihnen wirklich ernst damit ist,
Niedriglöhne zu bekämpfen und für gute Arbeit zu sor-
gen, kommen Sie nicht daran vorbei, die Sanktionen ab-
zuschaffen. Das liegt im gemeinsamen Interesse der Er-
werbslosen und der Beschäftigten. Die Linke bleibt
dabei – jetzt, Frau Pothmer, kommt mein Satz –:
Hartz IV muss weg, und auch das Sanktionssystem muss
weg. Es ist nichts anderes als ein Programm zur Drang-
salierung der Erwerbslosen und zur Disziplinierung der
Beschäftigten. Wir brauchen eine sanktionsfreie, armuts-
feste Mindestsicherung.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804004100

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege

Matthias Bartke.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1804004200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Eines vorweg: Die überwältigende Mehrheit
der Hartz-IV-Empfänger ist gesetzestreu. Es gibt unzäh-
lige Gründe, warum man in den Hartz-IV-Bezug gelan-
gen kann: Verwerfungen am Arbeitsmarkt, Betriebs-
schließungen und persönliche Schicksalsschläge. Nur
einen Grund gibt es fast nie: Unlust oder Faulheit.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Es ist wichtig, dies zu Beginn zu betonen; denn man hat
in der Debatte über Leistungsmissbrauch zuweilen den
Eindruck, dass ein signifikanter Anteil der Hartz-IV-
Empfänger Leistungsmissbrauch betreibt. Ich sage Ih-
nen: Das stimmt nicht; das ist nicht zutreffend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Von Sanktionen sind nach Angaben des IAB im Laufe
der Zeit gerade einmal 5 Prozent der Leistungsbezieher
betroffen, und die ganz häufig nur wegen Meldever-
säumnissen; das wurde eben schon gesagt.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist dann aber doch trotzdem ein Problem!)


Dennoch sind Sanktionen im System des SGB II un-
erlässlich. Grundsätzlich muss man sich vor Augen füh-
ren, dass es sich bei Hartz-IV-Leistungen um Steuergel-
der handelt, die von anderen Menschen hart erarbeitet
worden sind. Gerade die wenig verdienenden Menschen
sind es, die in der Regel am wenigsten Verständnis dafür
haben, wenn Menschen nicht alles daransetzen, aus dem
Leistungsbezug wieder herauszukommen.

Der richtige Grundgedanke, der hinter dem Sankti-
onskonzept steht, ist der Ansatz der fordernden Aktivie-
rung. Damit soll sichergestellt werden, dass die Leis-
tungsberechtigten mit den Jobcentern kooperieren, und
es sollen dadurch Bewerbungsaktivitäten und die An-
nahme von angebotenen Stellen gewährleistet werden.
Wenn man arbeitslos und bedürftig ist und kein ALG I
erhält, bekommt man ALG II. Man muss dafür nicht ar-
beiten; das liegt in der Natur der Sache. Aber man muss
schon die Auflagen des Jobcenters erfüllen. Das ist die
Gegenleistung für staatliche Unterstützung, und das ist,
mit Verlaub, auch richtig.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht der Grundsatz!)


Die Linke fordert in ihrem vorliegenden Antrag, bei
Fehlverhalten von Leistungsbeziehern komplett auf Sank-
tionen zu verzichten. Das, meine Damen und Herren, ist
ein weitgehender Schritt in Richtung bedingungsloses
Grundeinkommen:


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Zurufe von der LINKEN)


Man muss keine Leistung erbringen, man muss keine
Auflagen erfüllen, und man muss nicht arbeiten, aber
Geld vom Staat bekommt man trotzdem. Meine Damen
und Herren, das geht nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Die Große Koalition ist ohne Wenn und Aber gegen ein
bedingungsloses Grundeinkommen, und ich war bisher
davon ausgegangen, dass es auch bei der Linken diffe-
renziert betrachtet wird. In Ihrem Wahlprogramm for-
dern Sie noch eine Enquete-Kommission dazu;


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die haben wir immer gefordert!)


nun fordern Sie aber die völlige Abschaffung der Sank-
tionen im SGB II. Damit setzen Sie einen Kurs fort, den
Sie mit der ziemlich populistischen Kampagne von Inge
Hannemann zum bedingungslosen Grundeinkommen
begonnen haben.


(Zurufe von der LINKEN)


Ich kenne Frau Hannemann; sie kommt aus meinem
Wahlkreis. Ich sage Ihnen: Sie ist zweifellos eine kluge
Frau, die mit ihrer Kritik in vielen Einzelpunkten recht
hat; nur sind die Handlungskonsequenzen – so ist das
häufig bei Kritikern – nicht zu Ende gedacht.

Meine Damen und Herren von der Linken, in Ihrem
Antrag fordern Sie die Totalabschaffung aller Sanktio-
nen im SGB II. Damit hat sich bei Ihnen in dieser zentra-
len Frage der populistische Flügel durchgesetzt. Ich be-
daure das sehr. Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Das





Dr. Matthias Bartke


(A) (C)



(D)(B)

heißt im Umkehrschluss aber keineswegs, dass wir das
Sanktionssystem in seiner jetzigen Form gutheißen.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Da sind wir ja mal gespannt!)


Es ist nicht gut; es ist zu kompliziert, es ist intransparent,
und es wird von vielen Betroffenen als Schikane emp-
funden.


(Zuruf von der LINKEN: Das ist wohl wahr!)


Besonders das verschärfte Sanktionssystem gegen Ju-
gendliche geht gar nicht. Verstöße von Jugendlichen ge-
gen Auflagen der Jobcenter werden stärker geahndet als
die von Erwachsenen. Das ist eine Verdrehung der tat-
sächlichen Notwendigkeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Streichung sämtlicher ALG-II-Leistungen inklu-
sive aller KdU-Leistungen ist bei Jugendlichen deutlich
schneller möglich als bei Erwachsenen. Das setzt häufig
eine Abwärts- und Verschuldungsspirale in Gang, die
niemand wollen kann. Sogar das IAB hat kürzlich fest-
gestellt, dass das zutiefst problematisch ist. Selbst im
Strafrecht werden Jugendliche milder behandelt als Er-
wachsene. Dabei stehen pädagogische Erwägungen im
Vordergrund. Solche Erwägungen müssen auch im
SGB II stärker zum Tragen kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das vorhin schon von Ihnen zitierte Institut für Sozial-
und Gesellschaftspolitik hat dazu festgestellt: Je höher
die Sanktionen bei Jugendlichen, desto stärker schwin-
det ihr Vertrauen in die Berater. Das ist ja auch kein
Wunder.

Das Sanktionssystem des SGB II, insbesondere das
für Jugendliche, gehört auf den Prüfstand. Das hat die
Große Koalition daher auch in ihrem Koalitionsvertrag
festgeschrieben. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Rechts-
vereinfachung im SGB II“ hat sich dieses Auftrags ange-
nommen. Vorgestern haben wir im Ausschuss erfahren,
dass sich die Arbeitsgruppe auf der Zielgeraden befin-
det. Wir werden also in Kürze mit Ergebnissen rechnen
können. Es ist geplant, dass die notwendigen SGB-II-
Änderungen spätestens im kommenden Frühjahr im
Bundesgesetzblatt stehen werden. Das Sanktionssystem
für Erwachsene wird vereinfacht und transparenter, und
das Sanktionssystem für Jugendliche wird völlig geän-
dert. Ich sage: Je schneller das passiert, desto besser.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Na, wir werden nachfragen!)


Meine Damen und Herren, ich komme aus Hamburg.
Wir haben dort das System der Jugendberufsagenturen
entwickelt. Ein Bestandteil dieses Systems ist, dass wir
immer wieder auf Jugendliche zugehen. Wir sorgen so
dafür, dass keiner von ihnen verloren geht. Das, was die
Hamburger Jugendberufsagenturen machen, hat der
Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz einmal fürsorgli-
che Belagerung genannt. Ich sage Ihnen: Eine solche
fürsorgliche Belagerung ist viel wirksamer als Sanktio-
nen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist daher gut, dass die Große Koalition die bundes-
weite Einführung der Hamburger Jugendberufsagentu-
ren im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat.

Unterm Strich lässt sich festhalten:

Erstens. Die ganz überwältigende Mehrheit der Hartz-
IV-Empfänger verhält sich rechtskonform.

Zweitens. Das von der Linken geforderte weitgehend
bedingungslose Grundeinkommen ist ein gesellschaftli-
cher und politischer Irrweg.


(Beifall der Abg. Daniela Kolbe [SPD] – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die fordern das gar nicht!)


Drittens. Das gesamte Sanktionsregularium im
SGB II bedarf dringend der Überarbeitung, insbesondere
hinsichtlich der unter 25-Jährigen.

Viertens. Die GroKo ist dabei. Wir liefern.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804004300

Herr Kollege Dr. Bartke, vielen Dank. – Es spricht

jetzt die Kollegin Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804004400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Weiler ist leider schon gegangen, aber ich möchte trotz-
dem das Argument, das er hier vorgebracht hat, aufgrei-
fen. Herr Weiler sagte: Wo ist eigentlich das Problem?
Es sind doch sowieso nur 3 Prozent aller Arbeitslosen
von Sanktionen betroffen. – Das zeigt, dass er die Wir-
kung von Sanktionen total verkennt; denn wenn 3 Pro-
zent sanktioniert werden, erleben 97 Prozent der Betrof-
fenen die Sorge, ebenfalls von Sanktionen betroffen zu
werden. Sanktionen wirken weit über die Gruppe hinaus,
die von ihnen unmittelbar betroffen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Trotzdem sage ich an dieser Stelle – Herr
Strengmann-Kuhn hat es schon angedeutet –: Die Grü-
nen sind ausdrücklich nicht grundsätzlich und in jedem
Fall gegen Sanktionen. Wir stehen zu dem Prinzip „Soli-
darität ist keine Einbahnstraße“. Da, wo es möglich ist,
müssen diejenigen, die Solidarität erfahren haben, im
Rahmen ihrer Möglichkeiten etwas zurückgeben. Das
finden wir richtig.

Aber dafür müssen die Voraussetzungen stimmen,
und die Voraussetzungen stimmen ausdrücklich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

Sanktionen können nicht nach dem Prinzip „Vogel friss
oder stirb“ ausgesprochen werden.

Herr Zimmer, wir haben die Situation – das können
Sie mir glauben; denn ich bin wirklich Handlungsrei-
sende in Sachen Jobcenter –, dass Arbeitslose jeden Job
annehmen müssen, dass sie jede ihnen angebotene, auch
jede unsinnige, Maßnahme annehmen müssen. Das ist
aus meiner Sicht ein Verstoß gegen die Würde. Ich finde,
das geht gar nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn immer sofort mit der Keule der Sanktionen ge-
droht wird, dann ist das ebenfalls ein Angriff auf die
Würde.

Frau Schmidt, Sie haben hier zu Recht gesagt, dass es
um Fordern und Fördern geht. Aber finden Sie nicht
auch, dass die Balance zwischen Fordern und Fördern,
die herzustellen wir den Menschen versprochen haben,
nie da war und dass das Verhältnis zwischen Fordern und
Fördern im Laufe der Jahre sogar vollständig aus den
Fugen geraten ist? Ich finde, an der Stelle ist es der Staat,
der nicht vertragstreu ist, es sind nicht die Arbeitslosen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Mittel der Arbeitsförderung sind auf der einen
Seite immer weiter gekürzt worden. Auf der anderen
Seite sind die Sanktionen, insbesondere für die unter
25-Jährigen, verstärkt worden. Das ist auch der Grund
dafür, dass dieses Hartz-IV-System in der gesamten Ge-
sellschaft, aber in besonderer Weise von den Arbeitslo-
sen als ein sehr repressives System wahrgenommen
wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, da-
ran ändert die Abschaffung aller Sanktionen schlicht gar
nichts. Dadurch bekommt kein einziger Arbeitsloser
wieder einen Job. Dafür brauchen wir tatsächlich ganz
andere Jobcenter. Wir müssen die Jobcenter umbauen in
Servicecenter für Arbeitslose, aber auch in Servicecenter
für Beschäftigte, die zum Beispiel nach einer neuen be-
ruflichen Perspektive suchen. Wir brauchen Jobcenter, in
denen diejenigen, die vor dem Schreibtisch sitzen, und
diejenigen, die hinter dem Schreibtisch sitzen, tatsäch-
lich auf Augenhöhe miteinander kommunizieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Obrigkeitsstaatliches Verhalten darf da keine Rolle spie-
len.

Wir haben, Herr Zimmer, nach wie vor ein asymmet-
risches Machtverhältnis zwischen den Jobcentern und
den Arbeitslosen. Immer noch kommen sich die Arbeits-
losen in den Jobcentern wie Bittsteller vor. Deswegen
müssen wir die sozialen Bürgerrechte dringend stärken,
und wir müssen die Zumutbarkeitsregelungen ändern.
Daran führt kein Weg vorbei,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


jedenfalls dann nicht, wenn wir wirklich die Potenziale
der Arbeitslosen heben wollen. Wenn wir Arbeitslose
nachhaltig in Arbeit bringen wollen, dann geht das nicht
mit Drohungen, sondern nur dann, wenn Arbeitslose
auch mitarbeiten, wenn ihre Ideen und ihre Vorstellun-
gen in diesen Prozess einbezogen werden, wenn sie auch
einmal Nein sagen können, wenn sie eine echte Wahl-
möglichkeit haben.

Ich sage Ihnen noch etwas: Natürlich gibt es auch Si-
tuationen, in denen ein Arbeitsloser und ein Fallmanager
sich so ineinander verhaken, dass es nicht weitergeht. In
diesem Fall müssen Arbeitslose sich einen anderen Fall-
manager suchen können; da muss es eine Wechselmög-
lichkeit geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich plädiere im Übrigen dafür, dass wir in allen Job-
centern Ombudsstellen einrichten.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ein guter Punkt!)


Ich prognostiziere Ihnen: Das wird die Zahl der Klagen,
die es derzeit vor den Arbeitsgerichten gibt, exorbitant
reduzieren. Das lohnt sich also in jeder Hinsicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, es geht um weniger Büro-
kratie und mehr Freiheit. Es geht um qualifiziertes Per-
sonal. Es geht um bessere und individuelle Förderung.
Am Ende geht es tatsächlich auch um mehr Geld. So-
lange diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, solange
wir diese Arbeitssituation in den Jobcentern haben, wie
sie sich derzeit leider immer noch darstellt, so lange wol-
len wir ein Sanktionsmoratorium. Wenn die Bedingun-
gen sich bessern, dann muss es, finde ich, tatsächlich ein
Projekt auf Gegenseitigkeit werden.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Weder ja noch nein! Enthaltung! Typisch Grün! Lauwarm!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804004500

Nächster Redner ist für die CDU/CSU der Kollege

Matthäus Strebl.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1804004600

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten heute über den Antrag „Sanktio-
nen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der
Sozialhilfe abschaffen“ der Linken. Um es gleich vor-
wegzusagen: Die vornehmste Aufgabe des deutschen
Sozialstaats ist es, einen erwerbsfähigen Leistungsbe-
rechtigten, der nicht in der Lage ist, seinen Lebensunter-
halt aus eigenen Mitteln zu bestreiten, finanziell zu un-
terstützen. An dieser Aufgabe werden wir nach wie vor
festhalten.





Matthäus Strebl


(A) (C)



(D)(B)

Jedem kann es passieren, dass er unverschuldet in
eine Notlage gerät, und dann sollte er nicht allein zu-
rückgelassen werden und nicht sich selbst überlassen
werden.

Wenn wir uns jetzt mit dem Kapitel 1 des Zweiten
Buches Sozialgesetzbuch befassen, müssen wir uns die
Stichwörter Fördern und Fordern als grundlegende Maß-
stäbe vergegenwärtigen. Neben ihrer Regelleistung, den
Kosten für Unterkunft und Heizung, können Bezieher
von Arbeitslosengeld II weitere Unterstützung erhalten.
Ich nenne hier Qualifizierungsmaßnahmen, Umschulun-
gen, finanzielle Unterstützung beim Umzug oder beim
Führerschein und Coaching. Dies sind nur einige der
vielen Maßnahmen, die bei der Eingliederung in den Ar-
beitsmarkt helfen.

Aber wir müssen uns auch dem Stichwort Fordern
widmen. Dabei müssen wir uns vor Augen halten, dass
das Arbeitslosengeld II nur eine temporäre Unterstüt-
zung sein sollte und nicht zur Dauerleistung im Sinne ei-
ner Bürgerrente oder ein bedingungsloses Grundeinkom-
men werden darf.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, darin unter-
scheiden wir uns von der Antragstellerin. Der Arbeitslo-
sengeld-II-Bezieher wird aktiv gefordert, seine Hilfsbe-
dürftigkeit zu beenden. Allein gelassen wird er dabei
auch nicht. Unterstützung erhält er zum Beispiel durch
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Jobcentern
und den Trägern. Dafür muss er Meldetermine in den
Jobcentern wahrnehmen.

Nur in einem persönlichen Gespräch können Qualifi-
zierungsmöglichkeiten oder Stellenausschreibungen an-
geboten werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind bemüht, Meldeversäumnisse zu verhindern. Ein
neuer Weg ist zum Beispiel die kostenlose Erinnerung
per SMS durch das Jobcenter einen Tag vor dem Termin.
Allein im März dieses Jahres wurden fast 500 000 SMS
an Arbeitslosengeld-II-Bezieher versandt. Diese Zahl ist
bezeichnend.

Mit jeder Einladung zu einem Meldetermin erhält der
Arbeitslose auch eine Rechtsfolgenbelehrung für den
Fall, dass er nicht zum Termin erscheint.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Richtig!)


Außerdem erfolgt bei Nichterscheinen nicht gleich eine
Kürzung der Leistung. Der Arbeitslose erhält zunächst
die Möglichkeit einer Anhörung mit einer erneuten
Rechtsfolgenbelehrung. Ihm bleibt somit offen, die Ent-
schuldigungsgründe zu benennen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, entgegen
der weitverbreiteten Auffassung werden Sanktionen
nicht willkürlich und plötzlich erlassen. Liegt kein wich-
tiger Grund vor und die Sanktion wird erlassen, hat das
nicht zur Folge, dass der Arbeitslose keine Unterstüt-
zung mehr bekommt. Er kann dann immer noch ergän-
zende Sachleistungen beantragen.

Außerdem kann von dem Leistungsbezieher erwartet
werden, dass er alles Mögliche unternimmt, um sich aus
dem Leistungsbezug zu lösen. Dazu gehört eben auch,
dass man sich eine Arbeit sucht, die nicht immer den ei-
genen Fähigkeiten oder Vorlieben entspricht. Aber auch
hier werden Grenzen der Zumutbarkeit nach § 10 des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch beachtet. Jeder Leis-
tungsbezieher hat die Möglichkeit, zunächst eine nicht
so beliebte Tätigkeit aufzunehmen, sich aber trotzdem
weiterhin auf andere Jobs zu bewerben. Somit kann eine
Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit verhindert
werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Tätig-
keit ist zum Beispiel dann nicht zumutbar, wenn jemand
körperlich dazu nicht in der Lage ist oder wenn durch die
Ausübung der Arbeit die Erziehung des Kindes gefähr-
det wäre.

Entgegen der Auffassung der Linken teilen wir die
Ansicht, dass Sanktionen weder gegen das Grundrecht
der Berufswahlfreiheit noch gegen das Grundrecht auf
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzmini-
mums verstoßen. Auch bleibt es mir unverständlich,
welchen Weg die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Jobcenter wählen sollen, wenn sich diejenigen, die Leis-
tungen beziehen, jeglicher Mitwirkung entziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei aller Kritik, meine sehr verehrten Damen und
Herren, die an den Sanktionen geäußert wird, darf eines
nicht vergessen werden: Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch sind steuerfinanzierte Leistun-
gen, die von der Allgemeinheit aufgebracht werden. Die
Allgemeinheit kann erwarten, dass jemand, der vorsätz-
lich und in Kenntnis aller Rechtsfolgen nicht dazu bei-
trägt, seine Hilfsbedürftigkeit zu überwinden, mit Kon-
sequenzen rechnen muss. Das ist auch die Grundlage der
sozialen Marktwirtschaft.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, die Rege-
lungen und auch die Praxis der Sanktionen im SGB II
auf ihre Wirkung zu überprüfen. Dieser Aufgabe werden
wir uns effizient widmen. Wir wollen im Herbst erste Er-
gebnisse vorlegen.

Zusammenfassend kann zum Schluss gesagt werden:
Im Ergebnis halten wir an Sanktionen und Leistungsein-
schränkungen im Zweiten und Zwölften Buch Sozialge-
setzbuch fest. Wir werden deshalb den Antrag der Lin-
ken ablehnen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804004700

Vielen Dank, Herr Kollege Strebl. – Für die Sozialde-

mokraten spricht jetzt die Kollegin Daniela Kolbe.


(Beifall bei der SPD)



Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1804004800

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Ich finde, über Sanktionen zu sprechen, ist





Daniela Kolbe


(A) (C)



(D)(B)

mehr als sinnvoll. Immerhin sprechen wir auch über ei-
nen zum Teil sehr massiven Eingriff in das Leben von
Menschen. Deshalb lohnt die Reflexion darüber, auch
als Gesetzgeber, ob wir mit dem Sanktionsregime, das
wir installiert haben, die Ziele wirklich in dem Maße er-
reichen, wie wir uns das vorstellen.

Auch deshalb gibt es derzeit eine Bund-Länder-Kom-
mission mit dem Titel – ob er eingängig ist, darüber kann
man sich streiten – „Rechtsvereinfachung im SGB II“.
Diese Kommission beschäftigt sich auch mit dem Thema
Sanktionen. Wir haben am Mittwoch im Ausschuss für
Arbeit und Soziales einen ersten Zwischenbericht ge-
hört, der sich aus meiner Sicht sehr positiv anlässt. Aller-
dings wird dort nicht die Abschaffung aller Sanktionen
gefordert oder vorgeschlagen, und das ist auch gut so.

Sehr wohl aber deutet sich an, dass die verschärften
Sanktionen gegenüber U25, also unter 25-Jährigen, kri-
tisch gesehen werden. Das sehen wir als Sozialdemokra-
ten ähnlich. Es gibt aus meiner Sicht keine wirklich gu-
ten Gründe, warum unter 25-Jährige härter bestraft
werden sollten als Ältere. Ich finde auch, dass dies Sank-
tionen als erzieherische Maßnahme ein ganzes Stück
überbewertet. Ich bezweifle, dass möglichst scharfe
Sanktionen dazu führen, dass sich bei jungen Erwachse-
nen Verhaltensänderungen einstellen oder dadurch gar
eine Nachsozialisation möglich wird. Scharfe Sanktio-
nen sind dann womöglich gerade eine Maßnahme, die
Türen nicht öffnet, sondern zuschlägt.

Die verschärften Sanktionen haben zudem oft krasse
Auswirkungen auf das reale Leben der Betroffenen. Sie
stehen häufig von einem Tag auf den anderen ohne Res-
sourcen für alltägliche Dinge da. Die verschärften Sank-
tionen widersprechen auch dem gesellschaftlich eigent-
lich weitverbreiteten Ansatz, dass Menschen am Anfang
ihrer Berufskarriere eher eine zweite Chance verdient
haben, als sofort abgestraft zu werden. Deswegen finde
ich den Ansatz der Bundesregierung richtig, einen ande-
ren Weg zu wählen, nämlich diese jungen Menschen ge-
zielt zu fördern und eine viel stärkere Betreuung durch
die Behörden zu organisieren.

Wir orientieren uns dabei an den sehr guten Erfahrun-
gen, die unter SPD-Führung in Hamburg gemacht wur-
den, und an den dort sehr erfolgreich erprobten Jugend-
berufsagenturen. Dort gibt es eine enge Zusammenarbeit
zwischen allen Behörden, die damit zu tun haben: zwi-
schen Jugendämtern, Schulen, Jobcentern, Arbeitsagen-
turen und vielen anderen mehr. Ziel ist ganz klar: Nie-
mand soll durchs Netz fallen, weder nach der Schulzeit
noch dann, wenn es mit der Ausbildung schiefgegangen
ist und man sie abgebrochen hat, noch nach Beendigung
einer Ausbildung. Niemand soll also durchs Netz fallen.
Das ist genau der richtige Ansatz.


(Beifall bei der SPD)


Im besten Fall führt das dazu, dass die jungen Menschen
die Behörden eben nicht mehr als Gegner, wie es manch-
mal mitunter der Fall ist, sondern als Partner wahrneh-
men. Uns als Sozialdemokraten erscheint es zielführen-
der, genau diesen Zustand zu erreichen.
Sanktionen sind allerdings grundsätzlich notwendig.
Wir lehnen die radikale Abschaffung aller Sanktionen
ab. Oft wird in diesem Zusammenhang von den Gegnern
der Sanktionen eine Studie aus NRW ins Feld geführt
– die ich übrigens sehr interessant finde –, die auch im
Antrag erwähnt ist. Man sucht sich aus Studien ja immer
gerne das heraus, was passt. Es stehen aber auch einige
andere Aspekte darin, zum Beispiel, dass die Tatsache,
dass Leistungen des Staates an bestimmte Pflichten ge-
bunden sind, auch bei den Betroffenen auf Zustimmung
stößt und dass der überwiegende Teil der Betroffenen
weiß, warum eine Sanktion gegen ihn oder sie ergangen
ist. 80 Prozent der Betroffenen haben zudem auch die
Rechtsschutzbelehrung verstanden. Sie wissen also, wel-
che Folgen ihr Handeln hat. Am wichtigsten finde ich:
Es gibt ein grundsätzliches Verständnis der Betroffenen
dafür, dass es Sanktionen gibt und warum es sie gibt.

Wir halten Sanktionen als grundsätzlich vorhandenes
Mittel für notwendig, und daran werden wir als SPD
auch weiter festhalten. Trotzdem sagen wir ganz klar:
Veränderungen in diesem Bereich sind notwendig. Ge-
rade wenn es um den KdU-Bereich – Wohnung, Miete,
Heizung – geht, sind Sanktionen oft kontraproduktiv.
Wenn jemand erst einmal obdachlos geworden ist, sind
viel größere Maßnahmen und Ressourcen notwendig.

Ganz grundsätzlich halte ich noch einmal fest: Ziel-
stellung ist, dass die Jobcenter als Partner gesehen wer-
den. Dazu gehört, dass die Jobcenter die Kundinnen und
Kunden als individuelle Personen wahrnehmen können
und wahrnehmen. Das wird zunehmend schwieriger.

Ich will noch einen Aspekt einführen, der noch gar
nicht richtig zur Sprache gekommen ist. Wir erleben
auch eine Veränderung bei den Arbeitsuchenden. Ein
immer größerer Anteil der Kundinnen und Kunden der
Jobcenter ist durch wirklich große Schwierigkeiten be-
lastet und hat es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer. Das
hat unterschiedlichste Gründe: persönliche Gründe, ge-
sundheitliche Gründe, psychologische Schwierigkeiten,
Suchtprobleme, Verschuldung. Ich denke, dass wir alle
mit unserem gesunden Menschenverstand sagen: Bei
dieser Klientel ist einfach nur ein Mehr an Sanktionen
womöglich nicht der richtige Weg; vielmehr sind hier
Verbesserungen in ganz anderer Weise vonnöten. Ich
rede allerdings nicht von der Abschaffung von Sanktio-
nen, sondern es geht zum Beispiel darum, eine bessere
Betreuung durch einen besseren Betreuungsschlüssel zu
organisieren. Die Jobcenter müssen in der Lage sein, auf
jeden Einzelnen wirklich individuell zugehen zu können.
Dazu brauchen sie die notwendigen Ressourcen, aber si-
cherlich auch die richtige Grundhaltung, um jeden, der
kommt, als Individuum zu betrachten. Daneben brau-
chen wir eine bessere Zusammenarbeit der verschiede-
nen Träger in diesem Bereich usw. usf.

Zum Schluss will ich sagen: Das ist ein sehr wichtiges
Thema. Reformen sind nötig, allerdings keine pauschale
Ablehnung von Sanktionen. Insofern lehnen wir an die-
ser Stelle nur Ihren Antrag pauschal ab.

Wir werden die Diskussionen anhand eines Gesetz-
entwurfs, der noch vorgelegt wird – wir haben die Bund-
Länder-Kommission ja nicht zum Spaß eingesetzt –,





Daniela Kolbe


(A) (C)



(D)(B)

fortsetzen. Nach der Sommerpause werden wir dann viel
Gelegenheit haben, miteinander zu diskutieren. Ich freue
mich darauf.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804004900

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Christel Voßbeck-Kayser, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1804005000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist eigentlich schon alles gesagt worden, nur noch nicht
von mir.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Vielleicht ist es ja auch gut, einmal aus NRW-Sicht über
dieses Thema zu reden.

Bis September letzten Jahres habe ich fast 30 Jahre
lang im Sozialpsychiatrischen Dienst gearbeitet – auch
in Zusammenarbeit mit den Jobcentern. Ich fühle mich
durch Ihren Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Lin-
ken, schon auch angegriffen und verärgert. Die Arbeit,
die in den Jobcentern von den Mitarbeitern geleistet
wird, finde ich hier nicht ausreichend gewürdigt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/ CSU]: Das sind alles Theoretiker! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Dazu habe ich gar nichts in meiner Rede gesagt! Das ist eine Unverschämtheit!)


Ich habe in den letzten Wochen öfter hier gestanden und
habe auch immer wieder negative Äußerungen gehört.
Alles wird kaputtgeredet. Das ist wieder Stimmungsma-
che vor anstehenden Landtagswahlen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804005100

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Kipping?


Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1804005200

Nein, ich würde gerne meine Rede zu Ende führen.

Vielleicht erledigt sich die Frage dann von selbst.

Zur Sache. Die Gewährung von Leistungen nach dem
SGB II basiert auf dem Solidaritätsprinzip. Dieses Prin-
zip unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens hat sich
seit Jahrzehnten bewährt. Das ist kein einseitiges Sys-
tem, keine Einbahnstraße. Jedes Mitglied in unserer
Gesellschaft hat Rechte und Pflichten. Ja, in der Gewäh-
rung von Leistungen nach dem SGB II sind Einschrän-
kungen aufgeführt. Aber es kann und wird abgewogen.
Es wird nicht willkürlich gekürzt. Es gibt unterschiedli-
che zeitliche Abläufe, es gibt auch unterschiedliche
finanzielle Abstufungen.
Die Möglichkeit, Leistungen zu mindern, ist sehr
wohl ein arbeitsmarktpolitisches Instrument. Es ist auch
ein pädagogisches Instrument. Mir haben in meiner be-
ruflichen Tätigkeit viele Kunden rückgemeldet: Ja, die
Kürzung war ein Schock. Sie hat wehgetan. Aber sie hat
mich auch wachgerüttelt. – Die Kürzung entmutigt nicht,
und die Menschen werden auch nicht alleine gelassen.
Das Beratungs- und Hilfesystem in Deutschland ist mit
eines der größten. Wer will, kann sich mit den Mitarbei-
tern ein entsprechendes Beratungssystem aussuchen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Studie des Institutes für Arbeitsmarkt- und Be-
rufsforschung ist schon genannt worden. Es wird darin
eindeutig aufgezeigt, dass eine Kürzung, die dazu dient,
Fehlanreizen im System der Arbeitslosenversicherung
entgegenzuwirken, als Maßnahme sehr wohl Früchte
trägt und als Sanktion dazu führt, dass die Leute in die
Gänge kommen. Somit ist Ihre Aussage widerlegt, dass
Sanktionen nicht zu Verhaltensänderungen führen wür-
den. Sie tun es sehr wohl.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber oft in die falsche Richtung!)


Damit die zur Verfügung stehenden Arbeitsmarkt-
instrumente, die den Jobcentern zur Verfügung stehen,
Wirkung zeigen können, bedarf es nun einmal eines re-
gelmäßigen Kontaktes zwischen den Leistungsbeziehern
und den Jobcentermitarbeitern, sonst können die einge-
setzten Maßnahmen nicht wirken.

Leistungsempfänger erhalten nicht nur finanzielle
Unterstützung, sondern sie werden auch aktiv unter-
stützt. Diese aktive Unterstützung heißt Fallmanage-
ment; darüber haben wir uns gestern im Rahmen einer
Debatte zu diesem Thema ausgetauscht. Hier sitzen die
Mitarbeiter der Jobcenter mit Mitarbeitern der Bera-
tungsstellen – ich kann Ihnen das, wie gesagt, aus mei-
nem eigenen Erleben und aus meiner beruflichen Tätig-
keit versichern – zusammen und suchen gemeinsam
nach dem richtigen Instrument für die Zusammenarbeit
mit den Kunden.

Im Rahmen des Fallmanagements, der aktiven Unter-
stützung, gibt es verschiedene Formen. Es gibt die Qua-
lifizierung und Unterstützung zur Eingliederung, sei es
ein Bewerbungstraining, sei es eine fachspezifische Wei-
terbildung, seien es Arbeitsgelegenheiten in unterschied-
lichen Gewerken zur Berufsorientierung.

Die Sanktionen wegen Meldeversäumnissen – der
häufigste Grund für Sanktionen – sind angesprochen
worden. Seit dem vergangenen Jahr versenden die Job-
center Termin-SMS. Von Januar bis Oktober letzten Jah-
res waren das 430 000 Termin-SMS. Ich frage Sie, Kol-
leginnen und Kollegen: Welcher Arbeitnehmer erhält
diese Form der Unterstützung von seinem Arbeitgeber?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wie gesagt, die Personen mit Vermittlungshemmnis-
sen, die wirklich auf Unterstützung angewiesen sind, be-
kommen diese Unterstützung auch. Ich kann doch nicht
sagen: Es gibt in Deutschland kein Hilfe- und Fürsorge-





Christel Voßbeck-Kayser


(A) (C)



(D)(B)

system. – Die Sache ist eher die: Ich muss dort hingehen. –
Darüber hinaus wird auch aufsuchende Hilfe geleistet.
Es werden nicht einfach Sanktionen ausgesprochen und
dann, plumps, steht auf einmal keiner mehr als An-
sprechpartner zur Verfügung. Das ist Unsinn. Das
stimmt so nicht.

Das Prinzip des Förderns und Forderns, insbesondere
das Prinzip des Förderns, habe ich anhand der gerade ge-
nannten Beispiele sehr deutlich gemacht. Aber es darf
doch auch gefordert werden, dass eine Person mithilft,
die eigene Situation nach ihren Möglichkeiten zu verbes-
sern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie die Abschaffung von Sanktionen fordern,
dann erklären Sie uns bitte, was Sie einer Kranken-
schwester, einem Handwerker oder einem Fabrikarbeiter
sagen und damit all denen, die jeden Tag frühmorgens
aufstehen, zur Arbeit gehen, ihrer Arbeit nachgehen und
vielleicht auch noch zwischendurch Familienmanager
sind,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kriegen häufig selber Hartz IV und sind von Sanktionen bedroht! Was für ein blödes Argument!)


also Kinder zur Kita, zur Schule, zu Freunden, zum Kin-
derarzt oder zum Vereinssport bringen, und die hart für
ihren Beitrag zur Sozialversicherung arbeiten. Wie er-
klären Sie ihnen, dass ihre Sozialversicherungsbeiträge
per Gießkannenprinzip verteilt werden, ohne etwas zu
fordern?


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie verhindern doch, dass sie steuerlich entlastet werden, weil Sie die Millionäre nicht stärker besteuern wollen!)


Dieses Gießkannenprinzip können Sie niemandem er-
klären. Es widerspricht auch allen Grundsätzen unseres
Zusammenlebens und der sozialen Gemeinschaft in un-
serem Land. Das alles hat nichts mit einer Solidarge-
meinschaft zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein anderer Aspekt: Hat nicht jeder, der einen Beitrag
für die Solidargemeinschaft leistet, indem er Beiträge
einzahlt, das Recht, dass mit seinem Beitrag verantwor-
tungsvoll umgegangen wird? Ich fände es deshalb we-
sentlich hilfreicher, Kolleginnen und Kollegen der Frak-
tion Die Linke, wenn Sie statt wiederholter Showanträge
zu Sanktionen bei Hartz IV einmal einen konstruktiven
Antrag einbringen würden, der einer Solidargemein-
schaft gerecht wird.

Wir haben im Koalitionsvertrag – meine Vorrednerin-
nen und Vorredner haben es schon erwähnt – gerade die
junge Generation berücksichtigt. Wir wollen uns den
jungen Menschen widmen und Lücken zwischen der Ju-
gendhilfe und anderen Hilfesystemen weiter reduzieren.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist doch höchst intransparent!)

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam konstruktiv an Lö-
sungen und Ideen arbeiten,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie haben uns doch die Mitarbeit in dieser AG verweigert!)


um den Menschen zu helfen, in Arbeit zu kommen und
damit eine geregelte Tagesstruktur zu haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie stellen mit Ihrem Antrag quasi die Jobcentermit-
arbeiter unter den Generalverdacht, nichts Besseres zu
tun haben, als den Leistungsbeziehern immer nur
Schlechtes zu wollen und sie zu sanktionieren. Das
stimmt einfach nicht.

Eben wurde es schon angesprochen: Worum geht es
heute Mittag? Es geht um 3 Prozent der Leistungsbezie-
her.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein! Das ist doch Quatsch!)


– Doch, das ist so. Der Jahresdurchschnitt der Leistungs-
berechtigten mit mindestens einer Sanktion lag im ver-
gangenen Jahr bei 147 000 Personen. Das sind die ge-
nannten 3 Prozent. 97 Prozent der Leistungsberechtigten
sind nicht von Sanktionen betroffen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch falsch!)


Die Mehrheit der Leistungsberechtigten verhält sich ver-
antwortungsvoll. Auch das Instrumentarium der Leis-
tungsminderung wird von den Jobcentermitarbeitern
nicht ausgenutzt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie wirklich schon einmal mit Langzeitarbeitslosen zu tun gehabt?)


Ihr Antrag vermittelt den Eindruck, es gäbe eine ge-
nerelle Ungerechtigkeit im gesamten Leistungsbereich
des SGB II. Ich wünsche mir, wie sicherlich viele andere
Kollegen auch, dass Sie aufhören, Einzelfälle, die nicht
gut laufen, als allgemeingültig hinzustellen und damit
ein Versagen des ganzen Hilfesystems zu unterstellen.
Denn dies entspricht in keiner Weise der Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb lehnen wir auch diesen Antrag, den Sie ein-
gebracht haben, ab. Denn er verstößt gegen den Grund-
satz der Solidargemeinschaft und torpediert das Prinzip
der Solidarität.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804005300

Bevor der Kollege Paschke gleich das Wort ergreifen

wird, hat die Kollegin Kipping die Möglichkeit zu einer
Kurzintervention.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Jetzt wird es kritisch!)







(A) (C)



(D)(B)


Katja Kipping (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804005400

Frau Voßbeck-Kayser, es ist ein beliebtes Spiel Ihrer-

seits: Wir kritisieren die gesetzliche Regelung, und Sie
unterstellen uns, wir würden die Arbeit der Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter nicht würdigen. Ich möchte Sie
an den Beginn meiner Rede erinnern: Ich habe gleich zu
Anfang den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Respekt
und Anerkennung ausgesprochen.


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das war das erste Mal, dass Sie das gemacht haben!)


Meine Fraktion hat darum gekämpft, dass die vielen
befristeten Stellen bei der Bundesagentur in unbefristete
Stellen umgewandelt werden. Wir haben gegen Kürzun-
gen bei der Bundesagentur für Arbeit gekämpft, die den
Mitarbeitern das Leben schwermachen. Wir wissen von
vielen Mitarbeitern, dass sie selber darunter leiden, dass
sie laut Gesetz verpflichtet sind, Sanktionen umzusetzen,
weil sie ansonsten mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen
zu rechnen haben. Das ist nicht nur mein Eindruck.
Meine Kollegin Zimmermann ist in verschiedenen Bei-
räten von Jobcentern tätig und hat das ebenfalls bestä-
tigt. Deswegen sage ich noch einmal: Stellen Sie sich Ih-
rer politischen Verantwortung, und hören Sie auf, sich
hinter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu verste-
cken!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil Sie mir unterstellt haben, dass ich immer nur auf
Einzelfälle verweise, will ich daran erinnern – das sind
die offiziellen Zahlen der Regierung –: Rund 40 Prozent
der Widersprüche gegen Sanktionen wird – je nach Jahr –
in Gänze oder teilweise stattgegeben. Das heißt, allein
bei den falschen Sanktionen reden wir nicht über Einzel-
fälle, sondern über 40 Prozent. Es ist also etwas grundle-
gend falsch. Da muss man ran.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804005500

Frau Kollegin Voßbeck-Kayser, möchten Sie darauf

erwidern? – Das ist nicht der Fall.

Dann hat jetzt der Kollege Markus Paschke, SPD, das
Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Markus, es ist doch alles gesagt!)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1804005600

Nur noch nicht von mir. – Sehr geehrter Herr Präsi-

dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren! Es macht keinen Sinn, wenn
wir uns über den Prozentsatz der Betroffenen streiten.
Gerade bei diesem Thema geht es um Recht, Gerechtig-
keit und Gerechtigkeitsempfinden. Da zählt für mich im
Zweifel jeder Einzelne.

Als ich Ihren Antrag gelesen habe, habe ich sofort den
Eindruck gewonnen – auch wenn Sie das in der heutigen
Debatte immer wieder abstreiten –: Es geht darum, das
bedingungslose Grundeinkommen light einzuführen.


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: So ist es!)


Die Diskussion in der Gesellschaft darüber ist erst am
Anfang. Es gibt aber auch viele, die behaupten, sie sei
schon zu Ende. Jedenfalls finde ich, dass die Einführung
eines solchen Einkommens durch die Hintertür gegen
die gesellschaftlichen und politischen Mehrheiten erfol-
gen würde. Das ginge auch meilenweit an den Interessen
der Menschen vorbei.

Stattdessen sollten wir uns die Frage stellen: Was
wollen wir denn mit dem SGB II und den Sanktionen er-
reichen? Wollen wir Erwachsene erziehen, oder wollen
wir alle motivieren und befähigen, am gesellschaftlichen
Leben – dazu gehört maßgeblich auch die Erwerbsarbeit –
teilzuhaben? Das führt wiederum zu der Frage: Wie er-
reichen wir dieses Ziel am besten? Sind Sanktionen das
beste Mittel, und wenn ja, wann und in welcher Höhe
sind sie angemessen und akzeptiert?


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zumindest einmal die richtigen Fragen!)


Lassen Sie mich das anhand eines Beispiels verdeutli-
chen. Ein junge Frau unter 25 Jahren bezieht seit Jahren
ununterbrochen Leistungen nach dem SGB II. Trotz
Hauptschulabschluss stellt das Amt immer wieder fest,
dass sie keine Ausbildungsreife hat. Verschiedene För-
dermaßnahmen konnten sie weder in eine Ausbildung
noch in eine Anstellung bringen. Hinzu kam, dass die
Mutter sie aus dem gemeinsamen Haushalt geworfen
hatte und die junge Frau daraufhin zu ihrem Vater in eine
Einzimmerwohnung zog. Die Geschichte der jungen
Frau lässt vermuten, dass sie Schwierigkeiten hat, Inhalt
und Bedeutung amtlicher Schreiben zu verstehen und
den Aufforderungen Folge zu leisten.

Zwischen ihr und dem Jobcenter wurde dann eine
Eingliederungsvereinbarung getroffen. Die darin enthal-
tenen Auflagen hat sie nicht vollständig erfüllt. Als Re-
aktion gab es seitens des Jobcenters eine Sanktion: Der
Leistungsanspruch wurde gemindert; die junge Frau be-
kam weniger Geld. Für sie brach die Welt zusammen.
Sie hat keinen Widerspruch eingelegt, aber auch keine
Einladung des Jobcenters mehr angenommen. Kurz und
gut: Es dauerte nicht lange, und ihr Leistungsanspruch
wurde auf null herabgesetzt. Sie bekam also nicht nur
weniger, sondern gar kein Geld. Auch die Mittel zur De-
ckung der anteiligen Miete für die Einzimmerwohnung
und der Heizkosten wurden gekürzt. Damit drohten Va-
ter und Tochter als Bedarfsgemeinschaft die Wohnung
zu verlieren.

Das ist zwar ein Einzelfall, aber wir finden sicher in
jedem Wahlkreis ähnliche Fälle. Es ist eine völlig unan-
gemessene Bestrafung eines Vaters, der seinen Beitrag
leisten wollte, um seiner Tochter zu helfen. Deswegen ist
das für mich ein gutes Beispiel, das zeigt: Es gibt Be-
darf, das bestehende System zu verändern.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Markus Paschke


(A) (C)



(D)(B)

Ein erster Schritt hierzu wäre für mich eine verständ-
liche Sprache in den Schreiben an die Betroffenen.


(Daniela Kolbe [SPD]: Das stimmt!)


Anträge und Bescheide sind rechtlich einwandfrei, aber
für Laien häufig völlig unverständlich verfasst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wie sollen Menschen darauf reagieren, wenn sie nicht
oder nur teilweise verstehen, was man eigentlich von ih-
nen will? Haben Sie schon einmal das Vergnügen ge-
habt, ein solches Schreiben jemandem erklären zu müs-
sen, der es nicht verstanden hat? Manche Sätze muss
auch ich zwei- oder dreimal lesen. Das ging mir aller-
dings bei dem vorliegenden Antrag ähnlich.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber Ihnen droht keine Streichung der Diäten um 30 Prozent! Keine Angst! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt aber nicht nur für Anträge der Linken!)


Zweitens. Bei der Ausgestaltung der Sanktionen be-
steht für mich Handlungsbedarf. Ich finde, Gelder für
Miete und Heizung dürfen nicht gekürzt werden.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen Teilhabe organisieren, nicht Wohnungslosig-
keit.

Drittens. Die Verhältnismäßigkeit des bürokratischen
Aufwands müssen wir überprüfen. Macht es denn wirk-
lich Sinn, alle sechs Monate einen neuen Antrag zu stel-
len? Ich finde, wir sollten weniger verwalten und mehr
unterstützen und fördern.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Viertens. Wir brauchen mehr Klarheit und Verständ-
lichkeit in den Regeln zum SGB II. Wir wollen nicht
Richter und Rechtsanwälte beschäftigen, sondern Men-
schen zur Teilhabe befähigen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich stelle also fest: Die Sanktionspraxis bedarf einer
gründlichen und nachhaltigen Überprüfung. Ich sage be-
wusst: Überprüfung. Denn bei den Leistungen nach dem
SGB II handelt es sich um einen Interessenausgleich
zwischen Leistungsempfängern und Leistungsgebern.
Die Leistungsgeber sind wir alle; das ist unsere Gesell-
schaft. Ich denke, unsere Gesellschaft hat einen An-
spruch darauf, dass sich jeder im Rahmen seiner Mög-
lichkeiten bemüht, diese Unterstützung zu beenden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben aber auch die Pflicht, diejenigen, die sich
bemühen, zu unterstützen, egal in welchem Bereich
diese Unterstützung benötigt wird. Ich persönlich habe
den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren das For-
dern gegenüber dem Fördern deutlich die Oberhand ge-
wonnen hat.


(Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Hier muss wieder eine Balance geschaffen werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb packen wir die Themen in der Großen Koali-
tion an.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, das warten wir mal ab!)


Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, in einem ers-
ten Schritt die gesonderten Sanktionen für junge Men-
schen bis 25 Jahre zu überprüfen. Unterschiedliche Stra-
fen für jemanden, der 25 Jahre alt ist, und jemanden, der
26 Jahre alt ist, sind für mich und für ganz viele Betrof-
fene überhaupt nicht nachvollziehbar.

Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitet bereits
seit letztem Jahr sowohl für den Bereich Rechtsvereinfa-
chung als auch für den Bereich Sanktionen konkrete
Vorschläge für Verbesserungen. Erste Ergebnisse erwar-
ten wir noch in diesem Sommer. Danach werden wir uns
hier im Bundestag mit diesen Vorschlägen auseinander-
setzen. Ich finde, es ist ein gutes parlamentarisches Ver-
fahren, wenn man erst einmal den Rat der Experten ab-
wartet, bevor man politische Entscheidungen trifft.

Gute politische Arbeit bedeutet für uns: motivieren
und fördern statt alleinlassen, einfache und verständliche
Regeln statt Bürokratiemonster – und vor allem: küm-
mern statt verwalten. Bei allem, was wir hier in die
Wege leiten, sollten wir immer die Menschen in den
Mittelpunkt stellen.

In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit
und wünsche allen frohe Pfingsten.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804005700

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist der Kollege Kai Whittaker, CDU/CSU, dem ich
hiermit das Wort erteile.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1804005800

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Heute reden wir über

Sanktionen für Leistungsempfänger – ein Thema, liebe
Linke, das Ihnen am Herzen liegt. Seit Jahren stellen Sie
Anträge hierzu. Man sollte meinen, dass Sie sich mit die-
sem Thema sehr gut auskennen. Ich saß also mit Ihrem
Antrag da und habe überlegt, wie ich das Ganze am bes-
ten kritisieren kann. Zwei Dinge ließen mich dabei nicht
mehr los:





Kai Whittaker


(A) (C)



(D)(B)

Das eine war in der Tat die Reflexartigkeit meiner
Handlung. Ich habe gerade erst hier angefangen, und
schon habe ich mir ein Ritual dieses Hauses angewöhnt:
Da flattern Anträge von der Opposition herein, und noch
bevor man sie gelesen hat, weiß man, dass man sie ab-
lehnen wird. Der Grund ist einfach: Trotz vielleicht wah-
rem Kern glänzen viele der Anträge durch unrealistische
Forderungen. Das ist aus Sicht der Opposition nicht
wirklich schlimm; denn für sie muss Politik nicht realis-
tisch sein, sondern großzügig klingen. Wenn die am
Steuer aussehen wie zynische Geizhälse, dann wird das
gern in Kauf genommen, quasi als Kollateralschaden –
Ziel erreicht!

Unsichtbar für die Außenstehenden werfen dann die
zuständigen Abgeordneten die Selbstverteidigungsma-
schinerien an: Da sitzen dann knapp eine Woche lang
ungefähr 50 emsige Mitarbeiter in unseren Büros und
googeln sich die Finger blutig. Man will alles wissen:
Was für Anträge hat die Opposition in den letzten
100 Jahren zu dem Thema gestellt? Irgendetwas Peinli-
ches? Gibt es irgendwo Widersprüche?


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte zum Thema reden!)


Hauptsache, man kann sie bloßstellen. – Eine hausin-
terne Detektei hätte wahrscheinlich mehr zu tun als un-
ser Wissenschaftlicher Dienst.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Diebisch freut man sich dann über jede Verwundbar-
keit, die da auftaucht, und Suchergebnisse verwandeln
sich in wahre Trefferlisten. Manchmal macht so ein Tref-
fer ja auch Spaß. Auch ich bekenne mich schuldig im
Sinne der Anklage.

Doch, meine Damen und Herren, ich frage Sie ganz
im Ernst: Ist das die Existenzberechtigung der Opposi-
tion?


(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ja, in dem Fall schon!)


Anträge zu schreiben, bloß damit die regierenden Par-
teien schlecht dastehen? Sie hauen hier ein Ding raus mit
meterlangen Begründungen – für zwei magere Forderun-
gen.

Klar, es wäre toll, wenn die Sanktionen wegfielen.


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das ist jetzt widersprüchlich! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Da freuten sich alle Betroffenen – für fünf Minuten.
Aber aus der Arbeitslosigkeit, aus der sozialen Not holen
Sie die Leute damit nicht heraus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie Sie das Problem lösen wollen, dazu sagen Sie
nichts.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dafür haben wir gute andere Vorschläge!)

Wem wäre mit Ihrem Antrag denn wirklich geholfen?
Doch nur Ihrem Profil! Dafür verstopfen Sie den halben
Ausschuss, während wichtige Arbeit liegen bleibt. Das
ist weit unter dem Potenzial, das parlamentarische Ent-
scheidungsfindung leisten kann. Sicher, die eigentliche
Arbeit findet in den Ausschüssen statt. Aber genau die-
ser Moment im Plenum, an dem Sie oder ich hier stehen
und reden, das ist der Moment, in dem die wenigen Zu-
schauer, die wir hier noch haben, den Bundestag erleben.
Lassen Sie uns den Zuschauern doch wirklich einmal et-
was bieten statt der sitzungstäglichen Show,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie das doch endlich!)


die wir hier veranstalten.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben noch kein einziges inhaltliches Argument gebracht!)


Vielleicht wollen uns die Wählerinnen und Wähler etwas
sagen, wenn sie eine Partei mit dem Slogan „Inhalte
überwinden“ wählen. Die Partei mit diesem Slogan hat
bei der letzten Europawahl nämlich 180 000 Stimmen
bekommen.

Ich will hier nicht den Moralapostel spielen; nach so
kurzer Zeit der Zugehörigkeit steht mir das auch nicht
zu. Aber wir sollten aufhören, uns mit uns selbst zu be-
fassen, und wir müssen konstruktiv zusammenarbeiten.
Liebe Linke, bitte geben Sie sich da ein bisschen mehr
Mühe.

Die zweite Sache, die mir auffiel, klang zum Teil
schon durch. Das Thema Sanktionen ist nur ein Bruch-
teil eines großen Problems, das wir alle gemeinsam tra-
gen: Arbeitslosigkeit. Bei diesem Thema hatte ich,
ehrlich gesagt, gar keine Lust, Ihren Antrag auseinander-
zupflücken und in Definitionsorgien zu verfallen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann lassen Sie es doch einfach! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber jetzt müssen Sie mal ein Argument liefern! Sie haben neun Minuten! Sie haben so viel Redezeit!)


Es bringt doch niemanden weiter, ständig Scheindiskus-
sionen über dieses Thema zu führen. Ich bin überzeugt,
dass unsere Gesellschaft hier eine Großbaustelle igno-
riert.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen nicht die ganzen neun Minuten reden!)


Lassen Sie uns wirklich einmal über das Thema Ar-
beitslosigkeit reden. In der Tat werden manche unserer
Gesetze oder auch deren Ausführungen der Realität
nicht gerecht. Fest steht: Bei der Arbeitslosigkeit warten
eine Menge Probleme auf uns. Wenn wir die Langzeitar-
beitslosen in den Blick nehmen, dann sehen wir Folgen-
des: Akribisch verfolgen wir da die Regelverstöße.
Manchmal verlieren wir die aus dem Blick, die statt





Kai Whittaker


(A) (C)



(D)(B)

komplizierter Regeln Hilfe bräuchten. Diesen Menschen
müssen wir ein besseres Angebot machen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ja, aber dann machen Sie mal!)


Wir bieten ihnen momentan nicht sehr viel außer Be-
schäftigungsprogrammen, die eher Ablenkungsmanö-
vern gleichen. Damit geben wir in der Tat eine halbe
Million Menschen in diesem Land einfach auf.

Wir müssen unsere Kriterien der Realität anpassen.
Wir brauchen Regeln, denen die Arbeitslosen gerecht
werden können. Versuchen Sie einmal, einen Ball in ei-
nen Briefkasten zu bekommen: Da können Sie drücken,
so fest Sie wollen, das wird nicht passen. Genauso ist es
manchmal mit unseren Sozialgesetzen, die Vielfalt kei-
nen Raum lassen. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass
wir Menschen mit unterschiedlichsten Problemen
schnell in den ersten Arbeitsmarkt bringen können. Und
eine bessere Bastelstunde ist auch nicht die Lösung. Wir
sollten einsehen, dass manch einer nur langfristig wieder
zum Arbeitsmarkt findet und wir eine Arbeitsvermitt-
lung brauchen, die Wirtschaft, sozialpädagogische Be-
treuung und Integrationsbetriebe miteinander verzahnt.

Arbeitslosigkeit macht krank; das wissen wir. Wir
wissen ebenfalls, dass Sanktionen, wie wir sie jetzt ha-
ben, nicht so effizient sind, wie wir uns das wünschen,
dass manche jungen Menschen Schwierigkeiten bekom-
men und aus dem System auch verschwinden, bis sie
vielleicht auf der Straße oder gar im Gefängnis wieder
angespült werden.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was schlagen Sie vor?)


Aus rechtlicher und aus volkswirtschaftlicher Perspek-
tive müssen wir dieses System tatsächlich in einigen Be-
reichen überdenken.


(Zurufe von der LINKEN: Überdenken Sie mal! – Wohin denn?)


Da wir gerade bei der Wirtschaft sind, möchte ich
gern einen Vorschlag machen: Warum nicht auch An-
reize setzen? Eine Menge an Belegen deutet darauf hin:
Mit einer durchdachten Anreizstruktur schafft man Mo-
tivation und Ziele für die, denen keiner mehr etwas zu-
traut. Man kann, wenn man will, sanktionieren ohne die
ganzen negativen Effekte. Wo wirkliche Belohnungen
gegeben werden, können wir sie auch wieder nehmen.

Fazit: Wir dürfen die Leute nicht einfach so abschrei-
ben. Unsere Gesetzgebung und unsere Verwaltungs-
strukturen müssen Möglichkeiten schaffen, haushaltsge-
recht und bedürfnisgerecht zu fördern.

Ein weiteres Problem, meine Damen und Herren,
sehe ich bei der Messung unserer Ergebnisse. Die Bun-
desagentur kann mir zum Beispiel nicht sagen, wie lange
ein Langzeitarbeitsloser insgesamt unter dem System
des ALG II betreut wurde.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gibt es Statistiken vom IAB!)

Wenn jemand zum Beispiel sieben Wochen krank ist,
fängt seine offizielle Betreuungsdauer wieder bei null
an. Das halte ich wirklich für absurd. So kann der Bun-
destag, so können wir nicht effektiv sehen, wie unsere
Maßnahmen wirken. Für ein klares Bild darüber, wie er-
folgreich wir sind, brauchen wir bessere Erfolgskrite-
rien, transparentere Daten und das gesammelte Know-
how all jener, die sich mit Arbeitslosen beschäftigen.

Nachdem wir angefangen haben, unsere Arbeitslosen
in den Agenturen und Jobcentern „Kunden“ zu nennen,
sollten wir sie nun auch so behandeln und sie in den Mit-
telpunkt unserer Bemühungen stellen. So könnten wir,
wenn wir uns denn dafür entscheiden, Politik zur Dienst-
leistung für den Bürger machen – eine Sichtweise, die
der britischen Verwaltungsstruktur übrigens Millionen
einspart. Denn wenn ich den Kunden im Blick habe,
schaffe ich ein Produkt, das jeder versteht, das einfach
wirkt und die versprochene Leistung bringt.

Aber konkret noch einmal zu Ihrem Antrag, liebe
Linke. Sie haben vielleicht gemerkt: Den innersten Kern
Ihres Antrags zu den Sanktionen habe ich gehört. Ableh-
nen muss ich Ihren Antrag trotzdem. Lassen Sie mich im
Geiste der Großen Koalition hier einen SPD-Politiker,
Kurt Schumacher, zitieren:


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Wesen der Opposition ist der permanente Ver-
such, an konkreten Tatbeständen mit konkreten
Vorschlägen der Regierung und ihren Parteien den
positiven Gestaltungswillen der Opposition aufzu-
zwingen.

Sie haben zwar einen Teil des Problems im Ansatz
richtig benannt, aber den positiven Gestaltungswillen
konnte ich nicht finden.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Die notwendige Einordnung in den Kontext und einen
echten Lösungsvorschlag bleiben Sie uns schuldig. Da-
mit bewegen Sie sich weit unter Ihren Möglichkeiten als
Opposition. Nehmen Sie mir das nicht krumm; das ist
konstruktiv gemeint.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Danke schön!)


Ich sage Ihnen auch ganz eindeutig: Ich lasse mich
nicht in die Ecke drängen, dieses Parlament in die Guten
und die Bösen aufzuteilen. Wir machen hier Bundespoli-
tik und müssen die Verantwortung für die viertstärkste
Wirtschaftsnation der Welt sowie für 80 Millionen Men-
schen übernehmen. Sowohl unsere Anträge als auch un-
ser Gebaren müssen das widerspiegeln; denn die Men-
schen bezahlen uns nicht für rhetorische Schaukämpfe.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Nehmen Sie das bitte mal zur Kenntnis!)


Daher biete ich Ihnen an, liebe Kollegen: Schalten Sie
die automatische Wiedervorlage für „Antrag stellen:
Sanktionen abschaffen“ aus,





Kai Whittaker


(A) (C)



(D)(B)


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wenn wir das gemacht hätten, gäbe es den Mindestlohn nicht!)


und lassen Sie uns gemeinsam ein System überarbeiten,
bei dem es offensichtlich Probleme gibt und das den
Menschen in unserer Republik nicht hilft! Dafür werden
wir alle gewählt. Ich denke, das ist eine angemessene
Aufgabe für ein selbstbewusstes Parlament wie uns.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804005900

Damit sind alle vorgesehenen Redebeiträge zu diesem

Tagesordnungspunkt gehalten, und deshalb schließe ich
die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1115 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe, dass sich
kein Widerspruch dagegen erhebt. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sta-
bilisierung des Künstlersozialabgabesatzes

(Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz – KSAStabG)


Drucksache 18/1530
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin ist für die
Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretärin
Gabriele Lösekrug-Möller, der ich hiermit das Wort er-
teile.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


G
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1804006000


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir wissen: Ohne die Ge-
staltungskraft der Künstler und Kreativen wäre unser
Land nicht so lebenswert und um einiges ärmer. Aber
auch für unsere Wirtschaft ist diese Branche ein wichti-
ger Impulsgeber. Immerhin 143 Milliarden Euro Umsatz
machte die Kreativwirtschaft allein im Jahr 2012 – Ten-
denz steigend.

Hinter diesen Zahlen stehen mehr als 1 Million
Frauen und Männer, die ihren Beruf mit ganz besonde-
rem Einsatz und viel Herzblut ausüben. Viele von ihnen
nehmen dafür soziale Risiken auf sich: selbstständige
und abhängige Beschäftigung, die sich abwechseln oder
überschneiden, projektbezogene und unvorhersehbare
Arbeit und nicht zuletzt unregelmäßiges Einkommen,
das oft kaum zum Leben reicht. Aufgrund all dieser Un-
sicherheiten brauchen Künstler und Designer, Kreative
und Werbefachleute, Schriftsteller und Publizisten eine
soziale Absicherung, auf die sie sich verlassen können.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Einführung der Künstlersozialkasse vor 30 Jahren
war dafür ein Meilenstein. Heute leisten wir mit dem
Gesetz zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesat-
zes dazu einen weiteren wichtigen Beitrag. Es sind vor
allem zwei Ziele, die wir mit diesem Gesetzentwurf er-
reichen: erstens echte Abgabengerechtigkeit zwischen
den Unternehmen und zweitens einen stabilen Abgabe-
satz. In den letzten beiden Jahren musste der Künstlerso-
zialabgabesatz deutlich angehoben werden: von 3,9 auf
5,2 Prozent. Einen weiteren Anstieg werden wir mit die-
sem Gesetzentwurf durch einen effektiven Prüfmecha-
nismus verhindern, und zwar ohne dass unnötiger büro-
kratischer Aufwand entsteht.

Die Rentenversicherung wird die Künstlersozialab-
gabe bei den alle vier Jahre stattfindenden Sozialversi-
cherungsprüfungen mitprüfen. Das ist effizient, weil
keine zusätzlichen Kontrolltermine notwendig sind. Zu-
gleich wird die Rentenversicherung die Arbeitgeber um-
fassend informieren und beraten. Von den Unternehmen,
die weniger als 20 Beschäftigte haben, werden nur die-
jenigen geprüft, bei denen das Bestehen einer Abgabe-
pflicht am wahrscheinlichsten ist. Arbeitgeber, die nicht
geprüft werden, müssen bestätigen, abgabepflichtige
Sachverhalte von sich aus zu melden. Genau damit wird
der Verwaltungsaufwand für kleinere Betriebe gegen-
über flächendeckenden Prüfungen deutlich reduziert.
Gleichzeitig aber stellen wir sicher, dass alle abgabe-
pflichtigen Arbeitgeber erfasst werden.

Darüber hinaus führen wir eine Bagatellgrenze ein.
Wer zum Beispiel zu Werbezwecken kleinere Aufträge
an einen selbstständigen Designer erteilt, die unterhalb
von 450 Euro im Jahr liegen, ist nicht abgabepflichtig.
Das erleichtert die Anwendung des Künstlersozialversi-
cherungsgesetzes. Es schafft auch mehr Rechtssicherheit
für Unternehmen ohne nennenswerte Einnahmeausfälle.
Wir stellen also sicher, dass es gerecht zugeht. Aber wir
verlieren auch nicht die Lebenswirklichkeit in den Un-
ternehmen aus den Augen. So haben wir es im Koali-
tionsvertrag vereinbart, und so setzen wir es um.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Künstlersozialkasse und die Rentenversicherung
werden bei der Arbeitgeberprüfung eng zusammenarbei-
ten. Die Künstlersozialkasse erhält zudem ein eigenes
Prüfrecht, um branchenspezifische Schwerpunktkontrol-
len und anlassbezogene Prüfungen selbst durchzuführen.
Gleichzeitig wird sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter der Rentenversicherung mit ihrem Wissen über die
Kultur- und Kreativwirtschaft, eine ja besondere Bran-
che, unterstützen. So verbessern wir Fachkompetenz vor
Ort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine starke, innova-
tive Kulturbranche braucht eine zukunftsfeste Künstler-
sozialkasse. Mit diesem Gesetz sorgen wir dafür, dass
Künstlerinnen, Künstler und Kreative Zeit für das haben,
was sie am besten können, ohne sich ständig Sorgen
über ihre soziale Absicherung machen zu müssen; denn
wir wissen: Nur wer den Kopf frei hat, kann wirklich
kreativ sein. Das wollen wir erreichen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804006100

Es steht dem Präsidenten nicht zu, die Bundesregie-

rung oder andere zu loben, aber ich muss doch feststel-
len, dass Ihre Rede bezüglich der Redezeit eine Punkt-
landung war, nämlich auf die Sekunde.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nächste Rednerin ist die Kollegin Sigrid Hupach, Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804006200

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Ich freue mich, dass die jetzige Koalition im
Gegensatz zur vorherigen endlich den so dringend not-
wendigen Gesetzentwurf zur Stabilisierung des Künst-
lersozialabgabesatzes vorgelegt hat.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Gesetzesnovelle war überfällig und ist ein erster
Schritt in die richtige Richtung. Das Gesetz stellt klar,
dass geltendes Recht auch umgesetzt werden muss. Es
ermöglicht eine gegenüber der bisherigen Praxis deutlich
ausgeweitete Überprüfung von Unternehmen. Diese re-
gelmäßige Überprüfung der Abgabepflicht ist unabding-
bar und sollte eine Selbstverständlichkeit sein:


(Beifall bei der LINKEN)


für die Deutsche Rentenversicherung als Überprüfende
genauso wie für die Unternehmen. Aber von dieser
Selbstverständlichkeit sind wir beim Thema Künstler-
sozialkasse leider noch weit entfernt.

In den letzten Jahren haben sich so viele Unterneh-
men ihrer Abgabepflicht entzogen, dass 2014 der Abga-
besatz von 4,1 Prozent auf 5,2 Prozent hochgesetzt wer-
den musste. Wir, die Linke, fordern schon lange eine
flächendeckende Überprüfung der Verwerter, sprich: der
Unternehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn wir brauchen Abgabegerechtigkeit. Die gibt es nur
mit einem gesetzlich festgelegten Prüfrhythmus. Es kann
nicht sein, dass die Unternehmen, die ehrlich zahlen,
letztendlich mit einem höheren Abgabesatz bestraft wer-
den, weil andere ihre Beiträge nicht zahlen.
Gut finde ich, dass Rentenversicherung und Künstler-
sozialkasse zukünftig enger zusammenarbeiten sollen.
Effektivere Abläufe helfen sicherlich, auf Unterneh-
mensseite das Verständnis für die Abgabe zu verbessern.
Akzeptanz ist wichtig; denn fatalerweise steigt oder fällt
die Akzeptanz der Künstlersozialkasse mit der Höhe des
jeweiligen Abgabesatzes. Es darf aber nicht sein, dass
bei jeder neuen Festlegung des Beitragssatzes über die
Zukunft der Künstlersozialkasse neu diskutiert wird.
Leicht hatte es die Kasse nie. Immer war sie massiven
Angriffen von Arbeitgeberseite ausgesetzt. Für eine der-
artig großartige sozialpolitische Errungenschaft wie die
Künstlersozialkasse ist es aber verheerend, wenn die
Debatte um eine potenzielle Erhöhung des Abgabesatzes
jedes Jahr neu zur Existenzfrage wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Hier brauchen wir endlich Stabilität, nicht zuletzt für un-
sere Künstlerinnen und Künstler.


(Beifall bei der LINKEN)


Warum, zeigt ein Beispiel, das der Deutschlandfunk
vor einiger Zeit sendete: Sonntagnachmittag in einem
Kindertheater in Köln. Auf der Bühne: Hänsel und Gre-
tel. Gretel heißt eigentlich Sophie. Die 28-Jährige spielt
diese Rolle mehrmals im Monat, allerdings ohne festes
Bühnenengagement. Gerade einmal 50 Euro brutto ver-
dient sie pro Auftritt. Der Weg in die Selbstständigkeit
war für sie nur machbar, weil sie sich günstig sozial absi-
chern kann, wie eine Angestellte. Möglich ist das nur mit
der Künstlersozialversicherung. So wie Sophie sind in
Deutschland fast 180 000 Kreative sowie Publizistinnen
und Publizisten versichert. Laut Künstlersozialkasse ha-
ben sie ein durchschnittliches Einkommen von circa
14 500 Euro im Jahr. Das ist nicht gerade üppig. Deswe-
gen gibt es diese Kasse.

Ich verstehe nicht, dass die Wirtschaft schon wieder
sagt, dass das neue Abgabeverfahren zu kompliziert und/
oder der Aufwand zu hoch sei. Die Abgabepflicht der
Unternehmen wird schließlich nicht durch eine neue Ge-
setzeslage begründet, sondern besteht seit Jahren. Ich
plädiere zudem dafür, dass in einer neuen gesetzlichen
Regelung auch die Grundlagen für ein elektronisches
Meldeverfahren geschaffen werden. Dies könnte dem
Argument des potenziell zu hohen bürokratischen Auf-
wands den Wind aus den Segeln nehmen.

Der heute debattierte Gesetzentwurf ist ein Kompro-
miss, ein Kompromiss vor allem mit der deutschen Ren-
tenversicherung, deren völlig überzogene Zahlen maß-
geblich für das Scheitern einer Überprüfungsregelung im
letzten Sommer mit verantwortlich waren.

Die grundsätzlichen finanziellen Probleme der Künst-
lersozialkasse kann dieses Gesetz allein aber nicht lösen,
und ob es sich bewährt, wird die für das Jahr 2019 ge-
plante Evaluation zeigen.

Will man die Künstlersozialkasse dauerhaft erhalten,
müssen wir weitergehen, als es dieses Gesetz heute tut.
Da wäre einerseits über den Bundeszuschuss zu reden,
andererseits über die Weiterentwicklung und den Zu-
gang zur Künstlersozialkasse. Denn in ihr spiegelt sich





Sigrid Hupach


(A) (C)



(D)(B)

ein gesamtgesellschaftliches Problem wider: Viele Men-
schen sind heute kurzfristig beschäftigt oder in wech-
selnden Erwerbsformen tätig. Vor allem betrifft dies
Freiberufler und Selbstständige, vorwiegend im künstle-
rischen Bereich. Für die soziale Absicherung und Alters-
vorsorge dieser Menschen brauchen wir dringend Lö-
sungen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804006300

Nächste Rednerin ist für die CDU/CSU die Kollegin

Jana Schimke.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jana Schimke (CDU):
Rede ID: ID1804006400

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Die Künstlersozialversicherung hat eine Sonderstel-
lung in der deutschen Sozialversicherung, und das aus
gutem Grund; denn den Raum für das Andersdenken zu
garantieren und Freiheit von Kunst und Kultur zu för-
dern, ist das Prinzip der Bundesregierung. Es ist Arbeits-
auftrag und Verpflichtung zugleich.

Künstlerinnen und Künstler in Deutschland – das sind
zahllose Schriftsteller, Musiker, Grafiker, Fotografen,
Tänzer oder auch Schauspieler. Sie leben von ihren krea-
tiven Leistungen, und die Gesellschaft lebt von und mit
ihnen. Kunst und Kultur sind mehr als eine Bereicherung
für unsere Gesellschaft, sie haben identitätsstiftende
Kraft. So sorgen der föderale Aufbau Deutschlands und
die Kulturhoheit der Länder für eine Vielzahl kultureller
Einrichtungen und eine reiche Kulturszene in Deutsch-
land. Mehr als 100 Opernspielstätten gibt es bundesweit,
so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Ebenso
gehört unser Land mit über 94 000 neuen und neu aufge-
legten Büchern pro Jahr zu den großen Buchnationen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gehe davon aus,
dass alle hier Anwesenden mindestens eine Tageszeitung
am Tag lesen. Die insgesamt etwa 350 Tageszeitungen
und die enorme Zeitschriftenvielfalt in Deutschland sind
nicht nur der Beleg für eine lebendige Medienlandschaft.
Sie sind der Beleg für Meinungsfreiheit und für Vielfalt,
die sich täglich in der Arbeit unserer Journalistinnen und
Journalisten ausdrückt. Kunst und Kultur existieren
nicht einfach so, sondern sie entstehen überhaupt erst
durch die Arbeit der Künstler. Wir brauchen unsere
selbstständigen Künstlerinnen und Künstler in Deutsch-
land. Sie sind Voraussetzung für diese lebendige Kultur-
landschaft.

Das alles geht nicht ohne einen Schutz in der Sozial-
versicherung. Die Künstlersozialversicherung bietet die-
sen Schutz in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und
insbesondere Rentenversicherung. Sie ist eine bedeu-
tende Einrichtung für die soziale Absicherung und
Altersvorsorge der deutschen Künstler. Der heute disku-
tierte Gesetzentwurf zur Stabilisierung des Künstlerso-
zialabgabesatzes ist eine Antwort auf die Entwicklung
der letzten Jahre.
Zum 1. Januar stieg der Beitragssatz über 1 Prozent-
punkt von 4,1 Prozent auf 5,2 Prozent. Jetzt schaffen wir
Abgabengerechtigkeit und Beitragssatzstabilität und set-
zen damit die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages
um. Dazu werden wir auch die Prüfungen durch die
Träger der Rentenversicherung erheblich ausweiten.
Denn unser Ziel ist es, einen weiteren Anstieg der
Künstlersozialabgabe zu vermeiden und die Künstler-
sozialkasse zu stabilisieren.

Das Ziel der Stabilisierung des Abgabesatzes ist
wichtig und richtig. Wir wissen alle, dass die Höhe von
Abgaben und das Ausmaß von Bürokratie Arbeit in
Deutschland verteuern können. Deshalb ist es wichtig,
an die Unternehmen und insbesondere an unsere kleinen
Unternehmen zu denken. Sie erteilen oft Aufträge nur
zum Zweck der Eigenwerbung und werden jetzt über die
Einführung der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro
entlastet. Auch die Begrenzung auf stichprobenartige
Prüfungen bei kleinen Betrieben ist positiv und zeigt,
dass wir bei den Anforderungen kleine Betriebe berück-
sichtigt haben.

Natürlich kann man immer darüber nachdenken, wo
weitere Entlastungen geschaffen und Vereinfachungen
erzielt werden müssen. Ich halte deshalb auch die Anre-
gungen der Wirtschaft für wichtig, künftig unter ande-
rem über die Höhe der Geringfügigkeitsgrenze oder auch
über die Anzahl der Aufträge, an die diese Grenze ge-
koppelt ist, zu sprechen. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir
diese neuen Regelungen im Jahr 2019 einer Prüfung un-
terziehen werden. Sie wissen, wir reden gerade auch im
Rahmen der Mindestlohndebatte darüber, wie und wann
wir evaluieren. Ich glaube, das ist etwas, was alle Ge-
setzgebungsverfahren kennzeichnen sollte.

Eine Evaluation ist auch deshalb geboten, da der Auf-
wand und die zusätzlichen Einnahmen durch die ver-
stärkte Prüftätigkeit sehr unterschiedlich eingeschätzt
wurden. Ich denke, wir sind mit der jetzigen Reform auf
dem richtigen Weg. Dennoch sollten wir auch für wei-
tere Diskussionen und alternative Regelungen offenblei-
ben.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Kritik, dass Un-
ternehmen die Künstlersozialabgabe auch zahlen müs-
sen, wenn Künstler nicht in der Künstlersozialversiche-
rung versichert sind. Diese Regelung ist kritikanfällig,
da weder der Auftraggeber noch der Künstler oder die
Künstlerin selbst von diesem Beitrag profitieren. Sie er-
innern sich vielleicht an die Diskussion um das Renten-
paket und die Einführung der Flexirente. Auch da haben
wir diese Frage im Zusammenhang mit der Beschäfti-
gung älterer Arbeitnehmer und der Beschäftigung von
Rentnern diskutiert. Sie tritt hier erneut auf. Ich denke,
die Debatte sollte deswegen auch in Zukunft aufgegrif-
fen, geführt und bewertet werden.

Auch die Ausweitung des Künstlerbegriffs und die
Frage „Was ist Kunst?“ sind letztendlich gerechtfertigt.
Ebenso müssen wir abwarten, wie sich die Schaffung ei-
nes eigenen Prüfrechts auf die Künstlersozialkasse aus-
wirken wird. Mit der Reform im Jahr 2007 wurde die
flächendeckende Prüfung der Abgabepflicht explizit auf
die Deutsche Rentenversicherung übertragen, um Abga-





Jana Schimke


(A) (C)



(D)(B)

begerechtigkeit herzustellen. Unser zukünftiger Auftrag
wird deshalb sein, zu beobachten, wie dieser Prüfauftrag
wirkt.

Auch sollten wir über grundlegende Fragen wie zum
Beispiel über die des Verwerters im Gespräch bleiben.
Verlage, Theater oder auch Musikproduzenten können
als Verwerter angesehen werden. Trifft dies aber auch
auf das kleine Unternehmen zu, das sich die Homepage
von einem Webdesigner gestalten lässt, der nicht in der
Künstlersozialversicherung versichert ist?

Die Künstlersozialversicherung ist ein kompliziertes
Konstrukt für eine spezifische Gruppe der Selbstständi-
gen. Unser Ziel und Auftrag für die Zukunft sollte daher
sein, weiterhin über die grundsätzlichen und sozialpoliti-
schen Fragen der Künstlersozialversicherung im Ge-
spräch zu bleiben.

Heute aber leisten wir einen wichtigen Beitrag für die
Rechtssicherheit in der Künstlersozialversicherung und
für den Fortbestand der Kunst und Kultur in Deutsch-
land.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804006500

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Wolfgang

Strengmann-Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Künstlersozialversicherung ist ein typisches Beispiel da-
für, wie soziale Sicherung eine Grundlage für selbstbe-
stimmte Tätigkeit, für Freiheit, für Kreativität und für
die Förderung von Innovationen sein kann. Ich glaube,
dass man das nicht stark genug betonen kann, weil oft
Freiheit, Kreativität, Selbstbestimmung und soziale Si-
cherung als Widerspruch gesehen werden. Sie ist aber
geradezu die Voraussetzung für tatsächliche Freiheit und
Selbstbestimmung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man sollte auch über eine Sozialversicherung nicht
nur für diese Gruppe der Selbstständigen, sondern viel-
leicht für alle Selbstständigen nachdenken im Sinne ei-
ner Bürgerversicherung für alle Selbstständigen. Aber
das ist ein anderes Thema, das wir an anderer Stelle si-
cher noch einmal diskutieren müssen.

Wichtig ist, dass eine Einrichtung wie die Künstler-
sozialversicherung auch gesellschaftliche Akzeptanz fin-
det. Dazu ist es wichtig, dass die Abgabensätze nicht ins
Uferlose steigen. Es ist wichtig, dass die finanzielle Sta-
bilität gewährleistet ist, dass die Mittel vernünftig flie-
ßen. Zu diesem Zweck leistet dieser Gesetzentwurf tat-
sächlich einen wichtigen Beitrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])

Man darf das aber auch nicht überschätzen. Es ist ein
wichtiger Beitrag, aber nicht der Einzige. Ich möchte an
dieser Stelle übrigens nicht nur der Bundesregierung
danken, der es – im Gegensatz zur letzten Bundesregie-
rung – gelungen ist, jetzt einen Gesetzentwurf vorzule-
gen, sondern auch den über 70 000 Menschen, die eine
Petition an den Deutschen Bundestag gerichtet haben, in
der das, was jetzt umgesetzt worden ist, gefordert wurde.
Das ist ein Zeichen lebendiger Demokratie und zeigt
noch einmal, wie wichtig der Petitionsausschuss für un-
sere Demokratie ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wie gesagt: Manches, was im letzten Jahr in der Dis-
kussion gesagt worden ist – es hieß, durch das fehlende
Gesetz würde die Existenz der Künstlersozialversiche-
rung gefährdet oder sie quasi abgeschafft –, halte ich für
übertrieben. Andererseits ist es aber auch übertrieben, zu
behaupten, dass mit dem Gesetz, das wir hoffentlich bald
verabschieden können, alle Probleme gelöst sind. Viel-
mehr gibt es weitere strukturelle Probleme bei der
Künstlersozialversicherung. Man muss schauen, wie
sich der Beitragssatz weiterentwickelt und wovon sonst
die Abgabenentwicklung abhängt. Ich glaube, wir soll-
ten hier ohne Tabus herangehen. Es gibt da wichtige
strukturelle Fragen, die wir tatsächlich angehen müssen.
Auch so etwas wie der Bundeszuschuss darf meines Er-
achtens kein Tabu sein; möglicherweise muss man auch
an der Stelle nachjustieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Einnahmeseite ist nicht das einzige Problem im
Hinblick auf die Akzeptanz einer Sozialversicherung;
auch die Ausgabenseite, die Leistungsseite, ist wichtig.
Es ist schon angesprochen worden: Die Einkommenssi-
tuation von Künstlerinnen und Künstlern ist in vielen
Fällen mehr als prekär. Das Durchschnittseinkommen
der in der Künstlersozialversicherung Versicherten liegt
bei ungefähr 16 000 Euro, in manchen Berufsgruppen
– Musiker, bildende Künstler – deutlich darunter.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Im Jahr!)


Das heißt, die Armutsbedrohung ist bei Künstlerinnen
und Künstlern sehr groß. Viele von ihnen haben Angst
vor Altersarmut. Wir haben mit der Garantierente ein
Konzept vorgelegt, das auch für diese Gruppe eine gute
Absicherung bedeuten würde, weil 30 Versicherungs-
jahre reichen würden, um das Minimum der Garantie-
rente zu erhalten. Die Künstlersozialversicherung gibt es
jetzt seit über 30 Jahren. Wer dauerhaft in der Künstler-
sozialversicherung war, hätte also nach unserem Modell
Anspruch auf ein Minimum in der gesetzlichen Renten-
versicherung. Auch bei der solidarischen Lebensleis-
tungsrente – wenn sie denn überhaupt mal kommen
sollte – müsste dieser Aspekt berücksichtigt werden, da-
mit sie für Künstlerinnen und Künstler überhaupt er-
reichbar ist; ich habe da meine Zweifel.

Ich will die letzte halbe Minute meiner Redezeit nut-
zen, um auf ein weiteres Problem aufmerksam zu ma-





Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn


(A) (C)



(D)(B)

chen. Nicht nur Altersarmut ist für Künstlerinnen und
Künstler ein Problem, sondern auch Armut im aktuellen
Leben, während sie erwerbstätig sind und Kunst schaf-
fen. Auch da müssen wir über Lösungen nachdenken,
wie vielleicht innerhalb der Künstlersozialversicherung,
aber vielleicht auch mit anderen Maßnahmen dafür ge-
sorgt werden kann, dass das Existenzminimum von
Künstlerinnen und Künstlern gewährleistet wird. Denn
Hartz IV ist für Künstlerinnen und Künstler sicherlich
nicht die perfekte Existenzsicherung. Wir brauchen da
andere Maßnahmen, um die Existenz zu sichern und da-
mit tatsächlich Freiheit und Kreativität in dieser Gesell-
schaft zu fördern; davon brauchen wir noch mehr.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804006600

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege

Ralf Kapschack.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1804006700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein

Gruß an die Zuschauer auf der Besuchertribüne! „Kunst
ist schön, macht aber viel Arbeit“ – diese Erkenntnis
stammt von Karl Valentin, dem genialen bayerischen
Künstler, der am Mittwoch 132 Jahre alt geworden wäre.
Ja, Kunst und Kultur machen Arbeit, aber sind auch Ar-
beit; sie sind für viele Künstlerinnen, Künstler und freie
Autoren – auch um sie geht es heute – Quelle des Le-
bensunterhalts. Sie leben häufig in prekären Verhältnis-
sen. Deshalb ist es notwendig, ihnen einen sicheren Zu-
gang zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung zu
gewährleisten;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


das war die Idee, als die Künstlersozialversicherung
1981 ins Leben gerufen wurde.

Der SPD-Abgeordnete Egon Lutz hat den Gesetzent-
wurf damals so begründet – mit Genehmigung des Präsi-
denten zitiere ich aus dem Protokoll –:

Nichts zu tun und die Künstler und Publizisten wei-
terhin ohne jeden sozialen Schutz zu belassen, wie
er für die weit überwiegende Mehrheit der Bevölke-
rung längst schon eine Selbstverständlichkeit ist,
das ist in einem gewissen Umfang … schändlich.

Aus heutiger Sicht wäre es also schändlich, durch
Nichtstun die Künstlersozialversicherung vor die Wand
fahren zu lassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Künstlersozial-
versicherung ist einzigartig in Europa, und sie ist Aus-
druck der Wertschätzung für die vielen Kulturschaffen-
den, die mit ihrer Arbeit diese Gesellschaft bereichern
und etwas lebenswerter machen.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Zurzeit sind 180 000 von ihnen über diesen Weg abgesi-
chert.

Die Finanzierung der Künstlersozialversicherung ist
eine solidarische: über die Beiträge der Versicherten,
über den Bundeszuschuss und über die Beiträge der Un-
ternehmen und Einrichtungen, die Aufträge an freischaf-
fende Künstler und Publizisten vergeben, die sogenann-
ten Verwerter. Genau da liegt der Hase im Pfeffer: Es ist
offensichtlich, dass einige Unternehmen ihrer Zahlungs-
pflicht nicht nachkommen. Die schwarz-gelbe Bundes-
regierung hat es noch abgelehnt – das ist schon erwähnt
worden –, eine gesetzliche Überprüfung durch die Deut-
sche Rentenversicherung auf den Weg zu bringen. Die
Große Koalition dagegen hat vereinbart, die Künstler-
sozialkasse zu erhalten und zu stabilisieren.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb ist der vorliegende Gesetzentwurf konse-
quent. Er ist ein konkreter, dringend notwendiger Schritt
hin zu mehr Abgabengerechtigkeit und damit zur Bei-
tragssatzstabilität; denn durch die verstärkten Prüfungen
werden auch die Verwerter herangezogen, die sich bisher
ihrer Zahlungspflicht entzogen haben. Davon profitieren
alle – wir haben es schon gehört –, weil die Chance, den
Beitragssatz stabil zu halten, mit höheren Einnahmen
größer wird.

In der Diskussion ist mir in der Tat das Argument be-
gegnet, durch die Ausweitung der Prüfungen würden
Unternehmen unter Generalverdacht gestellt. Das ist na-
türlich völliger Unsinn.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass der Staat kontrolliert, dass geltendes Recht durch-
gesetzt wird, ist für mich nicht besonders bemerkens-
wert, sondern eigentlich selbstverständlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Mangelnde Kontrolle hat dazu geführt, dass längst
nicht alle Unternehmen, die dazu verpflichtet wären, die
Abgabe zahlen. Das kann aus Unkenntnis, aber auch aus
anderen Gründen so sein. Beim Deutschen Kulturrat ist
uns erzählt worden, dass Steuerberater ihre Unterneh-
men animiert haben, sich der Zahlungspflicht zu entzie-
hen, weil ja gar nicht geprüft würde. An diesem Beispiel
kann man sehen, dass da einiges im Argen liegt. Durch
die regelmäßige Prüfung, alle vier Jahre, wird der Druck
erhöht, der Zahlungspflicht nachzukommen. Wir finden
das gut so.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gleichzeitig gibt es eine Bagatellgrenze, um den bü-
rokratischen Aufwand für die Verwerter in einem ver-
tretbaren Rahmen zu halten. Das ist für eine ganze Reihe
von ihnen eine deutliche Entlastung. Aus unserer Sicht





Ralf Kapschack


(A) (C)



(D)(B)

gibt es auch einen ausreichenden Schutz der ehrenamt-
lich Tätigen, zum Beispiel der Musikvereine. Wir sehen
hier keine unzumutbare Belastung und auch keine Not-
wendigkeit für Sonderregelungen. Wir werden gleich
möglicherweise noch etwas dazu hören.

Es taucht immer wieder die Frage auf: Brauchen wir
die Künstlersozialkasse eigentlich als eigene Einrich-
tung? Unsere Antwort ist: Ja. Als Ziel haben wir Sozial-
demokraten allerdings nach wie vor die Ausweitung der
Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversiche-
rung, in der dann auch alle Selbstständigen pflichtversi-
chert wären.


(Beifall bei der SPD)


Bis dahin steht die SPD zur Künstlersozialversiche-
rung. Aber wir wissen natürlich – das ist vom Kollegen
Strengmann-Kuhn vorhin schon angesprochen worden –,
dass das nicht reicht, um die soziale Lage der Künstler
und freischaffenden Publizisten grundlegend zu verbes-
sern. Wir sind uns dessen durchaus bewusst. Zu einer
Verbesserung gehört zum Beispiel ein leichterer Zugang
zum Arbeitslosengeld I. Darüber werden wir in nächster
Zeit sprechen. Mit großem Interesse wird im Kulturbe-
reich auch unser Plan zur solidarischen Lebensleistungs-
rente verfolgt.

Kultur fällt uns nicht wie eine reife Frucht in den
Schoß. Der Baum muß gewissenhaft gepflegt wer-
den, wenn er Früchte tragen soll.

Das hat Albert Schweitzer gesagt. Es gibt noch einiges
zu tun. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das in die-
sem Haus mit einer großen Mehrheit hinbekommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1804006800

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein,
CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1804006900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf der Tri-

büne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Was macht die
Kunst?“, fragt der Prinz in Lessings Emilia Galotti den
Hofmaler Conti. Dieser antwortet: „Prinz, die Kunst geht
nach Brot“, was so viel heißt, wie: Erst einmal muss man
satt werden, bevor an die Kunst zu denken ist. Lessing
war nicht der einzige Schriftsteller, der das Einkommen
und die soziale Lage von Künstlern und Publizisten the-
matisiert hat. Johann Wolfgang von Goethe hat dem
Thema bekanntlich mit seinem Torquato Tasso gleich ein
ganzes Stück gewidmet. Im Vordergrund dieser Werke
stehen die Abhängigkeiten der Künstler und Dichter von
Mäzenen und Monarchen. Ohne die war Künstlerleben
damals nicht denkbar. Nun gibt es heute keine Prinzen,
Fürsten und Könige, keine Friedrichs und Ludwigs
mehr, welche die Kunst und deren Erschaffer nach eige-
nem Gusto aus der Staatsschatulle fördern könnten. Das
ist ja im Prinzip auch ganz gut so. Doch umso mehr Ver-
antwortung für die Entwicklung von Kunst und Kultur
liegt nun beim Demos, beim Volk, also bei uns.

Nun ist die Bundesrepublik Deutschland ja bekannt-
lich nicht nur ein Sozial- und Rechtsstaat, sondern auch
ein Kulturstaat, worauf wir immer wieder gern und zu
Recht verweisen. Wir haben deshalb eine ganz beson-
dere Verantwortung. Das bedeutet ausdrücklich nicht,
dass wir alle Künstler alimentieren müssten. Eine Ali-
mentierung kann nicht Aufgabe eines freiheitlichen Kul-
turstaates sein. Sie würde neue Abhängigkeiten schaffen,
die wir nicht wollen. Was wir aber tun können, ist, den
Boden zu schaffen, den Kultur braucht, um gedeihen zu
können.

Das Kunstwerk, zum Beispiel einen Roman oder ein
Gedicht, das der Künstler oder Publizist schafft, verste-
hen wir oft als öffentliches Gut. Die soziale Absicherung
des Künstlers ist aber Privatsache. An genau diesem
Punkt greift die Künstlersozialversicherung. Seiner Auf-
gabe kann der Künstler oder Publizist nämlich nur ge-
recht werden, wenn auch seiner sozialen Situation Rech-
nung getragen wird. Diese unterscheidet sich zum Teil
ganz erheblich von der anderer Berufsgruppen. Die
Erwerbsbiografien von selbstständigen Künstlern und
Publizisten sind risikoreich. Das zeigen auch die Werde-
gänge berühmter Künstler und Dichter, die eben oft auch
brotlose Künstler waren und sind. Die Einkommensver-
hältnisse unterliegen überdurchschnittlichen Schwan-
kungen – und das oft auf niedrigem Niveau. Die Gründe
hierfür sind vielschichtig, zum Beispiel die Abhängig-
keit vom Publikumsgeschmack oder von geistigen Mo-
deströmungen, die wirtschaftliche Situation des öffentli-
chen Kulturbetriebes und die Fördermöglichkeiten von
Bund, Ländern und Kommunen, Stiftungen und Banken.

Umso wichtiger war die Einführung der Künstlerso-
zialversicherung vor gut 30 Jahren. Mit ihr wurde es den
freischaffenden Künstlern und Publizisten de facto erst
ermöglicht, die größten Lebensrisiken abzusichern. Sie
bekamen Zugang zur Kranken-, Renten- und Pflegever-
sicherung zu Konditionen, die sie sich leisten konnten.
Damals betrat Deutschland Neuland. Bis heute ist die
Künstlersozialversicherung ein weltweit einmaliges
Konstrukt, aber eben auch eine herausragende sozial-
politische Institution in der deutschen Kulturlandschaft,
um die wir im Übrigen von vielen Ländern beneidet wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Genauso einmalig wie die Versicherung selbst ist die
Finanzierung. Die Hälfte der Kosten tragen die versi-
cherten Kulturschaffenden selbst, 20 Prozent trägt der
Bund, und 30 Prozent übernehmen die Verwerter, also
die Unternehmen, welche die künstlerische Leistung in
Auftrag geben.

So weit, so gut. Aber es gibt ein Problem, sonst wären
wir heute nicht hier. Der Abgabesatz für diese abgabe-
pflichtigen Verwerter steigt gerade rasant an, allein in-
nerhalb der vergangenen beiden Jahre von 3,9 auf





Dr. Astrid Freudenstein


(A) (C)



(D)(B)

5,2 Prozent. Das liegt zum einen an der stark steigenden
Mitgliederzahl der Künstlersozialversicherung, zum an-
deren an der ausbaufähigen Zahlungsmoral einiger Un-
ternehmen bei der Künstlersozialabgabe, was oft daran
liegt, dass die Unternehmen noch nicht einmal wissen,
dass sie abgabepflichtig sind. Ein steigender Abgabesatz
gefällt jedoch niemandem und gefährdet die Stabilität
der Versicherung als Ganzes.

Genau hier setzt der vorliegende Gesetzentwurf an,
den wir von der Union ausdrücklich begrüßen. Im Kern
des Entwurfs wird festgelegt, dass ab 2015 ein strenge-
res Prüfverfahren eingeführt wird, das die Finanzierung
auf solide Beine stellt und für Abgabegerechtigkeit
sorgt. Mehr Unternehmen werden regelmäßiger auf ihre
Abgabepflicht hin geprüft. Denn wir bleiben dabei: Wer
von der Arbeit freischaffender Künstler profitiert, muss
sich auch an deren sozialer Sicherung beteiligen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Entscheidend war für uns dabei von Anfang an die
Art und Weise der Prüfungen. Wir wollen ein Prüfver-
fahren, dass effektiv und effizient ist. Das ist, meine ich,
mit dem Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, gut ge-
lungen. Im Rahmen der alle vier Jahre stattfindenden Ar-
beitgeberprüfungen werden alle bei der Künstlersozial-
kasse erfassten Unternehmer und alle Arbeitgeber mit
mindestens 20 Beschäftigten auch auf die Künstlerso-
zialabgabe hin geprüft. So wird sichergestellt, dass Un-
ternehmen ihre Abgabepflicht aufgrund fehlender Prü-
fungen nicht vernachlässigen.

Von den kleineren Arbeitgebern mit bis zu 19 Be-
schäftigten werden im Kalenderjahr mindestens 40 Pro-
zent geprüft. Jene Arbeitgeber, die nicht Teil des Prüf-
kontingents sind, werden von den Prüfern der Deutschen
Rentenversicherung beraten und bestätigen schriftlich,
dass sie abgaberelevante Sachverhalte melden werden.

So erreichen wir – das war uns wichtig –, dass klei-
nere mittelständische Unternehmen im Schnitt nur alle
zehn Jahre geprüft werden. Das bedeutet weniger Auf-
wand für diese und hält die allgemeinen Bürokratiekos-
ten im Rahmen.

Trotzdem: Die Rentenversicherung benötigt und be-
kommt dafür zusätzliches Personal. Die Mehrkosten
werden jetzt auf 12,3 Millionen Euro geschätzt. Dem
stehen erwartete Mehreinnahmen in Höhe von 32 Mil-
lionen Euro gegenüber. Aufwand und Ertrag stehen also
in einem akzeptablen Verhältnis zueinander.

Das alles sind Schätzungen, daher können wir nicht
genau sagen, wie sich die neuen Regelungen letztlich
tatsächlich in der Praxis auswirken werden. Deshalb ist
es gut und richtig, dass wir nach einem vierjährigen
Prüfturnus eine Evaluation vorsehen. Denn erst dann
sind klare Aussagen über das Kosten-Nutzen-Verhältnis
möglich.

Ein weiterer wichtiger Punkt im Gesetzentwurf ist die
Einführung einer Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro.
Wer innerhalb eines Jahres Aufträge erteilt, die insge-
samt diese Summe nicht überschreiten, wird von der Ab-
gabe befreit. Mit dieser Bagatellgrenze schaffen wir
Rechtssicherheit; denn in diesem Punkt war das Gesetz
bisher missverständlich.

Nebenbei hat diese 450-Euro-Grenze auch den Effekt,
dass insbesondere kleine Unternehmen – etwa Hand-
werksbetriebe –, die nur in geringem Umfang Aufträge
an Künstler erteilen, entlastet werden.

Der Gesetzentwurf berücksichtigt damit die Aspekte
der Abgabegerechtigkeit, der Effektivität und der Effi-
zienz. Er beinhaltet die richtigen Instrumente, um die
Künstlersozialversicherung kurz- und mittelfristig zu
stabilisieren. Die regelmäßige Überprüfung, die nun
festgeschrieben wird, ist notwendig, um das System in
dieser Weise in Deutschland zu erhalten.

Wir müssen aber auch überlegen, wie wir die Künst-
lersozialversicherung langfristig stabilisieren können.
Dabei darf eine kritische Überprüfung der Kriterien für
die Aufnahme in diese Versicherung kein Tabu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch die Abgrenzung zwischen ehrenamtlicher und
künstlerischer Arbeit, wie wir sie uns im Koalitionsver-
trag vorgenommen haben, steht noch auf der Agenda.
Das Ehrenamt, das die kulturelle Vielfalt in unserem
Land wahrt, darf nicht über Gebühr belastet werden.

Doch nun wollen wir mit dem Gesetz zur Stabilisie-
rung des Künstlersozialabgabesatzes einen ersten und
sehr, sehr wichtigen Schritt tun. Künstler und Publizisten
wären in früheren Jahren vermutlich heilfroh gewesen,
wenn sie eine Künstlersozialversicherung gehabt hätten.
Man stelle sich einmal vor, wie viele Werke der Weltlite-
ratur hätte Friedrich Schiller wohl noch schreiben kön-
nen, hätte er eine ordentliche Krankenversicherung ge-
habt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Während einer seiner etlichen Erkrankungen soll er
seine Nachwelt aufgefordert haben: Sorgt für eure Ge-
sundheit, ohne diese kann man nicht gut sein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804007000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/1530 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der Multidimensio-
nalen Integrierten Stabilisierungsmission der
Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf
Grundlage der Resolution 2100 (2013) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen vom
25. April 2013
Drucksache 18/1416





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe.

D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1804007100


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung ersucht heute um Ihre Zustimmung
zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der Multidimensionalen Integrierten Sta-
bilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali,
MINUSMA. Die Entwicklung der Sicherheitslage im
Norden Malis ist beunruhigend und zeigt, dass eine Sta-
bilisierung des Landes weiter notwendig ist. Bedauerli-
cherweise sind durch die bewaffneten Auseinanderset-
zungen immer wieder Opfer zu beklagen, die durch
einen durch alle Seiten getragenen Vermittlungs- und
Versöhnungsprozess vermieden werden könnten. Mehr
denn je sind wir deshalb gefordert, die uns zur Verfü-
gung stehenden Mittel einzusetzen, um die Lage in die-
sem westafrikanischen Staat zu verbessern.

Mit dem vorliegenden Mandat zu MINUSMA stehen
wir auch weiterhin zusammen mit unseren europäischen
und internationalen Partnern zu der durch uns übernom-
menen sicherheitspolitischen Verantwortung für die Re-
gion. Das Ziel unseres gesamten Engagements in Mali
bleibt es, die malischen Streitkräfte selbst in die Lage zu
versetzen, die wiedererlangte territoriale Integrität Malis
aufrechtzuerhalten und nachhaltig für Stabilität zu sor-
gen. Wir Deutsche engagieren uns im europäischen Ver-
bund für die Menschen in Afrika, damit sie ihre Pro-
bleme selbst lösen können. Das ist und bleibt der richtige
Ansatz. Ihn verfolgen wir weiter, liebe Kolleginnen und
Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen uns weiterhin bewusst sein, dass der mili-
tärische Beitrag zu dieser VN-Mission nur ein Teil des
mit unseren Partnern abgestimmten mehrdimensionalen
Ansatzes zur Stabilisierung der Region sein kann. Insbe-
sondere im Norden Malis bleibt die Lage fragil. Eine
zentrale Herausforderung bleibt vor diesem Hintergrund
die Stabilisierung der großen Bevölkerungszentren im
Norden des Landes.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die humanitäre
Lage in Mali hat sich seit dem Beginn der internationa-
len Bemühungen insgesamt verbessert. Ein ungehinder-
ter Zugang zu allen Regionen Malis ist für die Entwick-
lungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe aber
weiterhin noch nicht vollständig sichergestellt. Insbeson-
dere die langfristigen Aufgaben der Entwicklungszu-
sammenarbeit im Norden Malis können bisher nur sehr
begrenzt umgesetzt werden. Zur Stabilisierung des Lan-
des als Grundvoraussetzung zur Verbesserung der Si-
cherheitslage bleibt deswegen das weitere Engagement
der internationalen Gemeinschaft auch im Rahmen der
VN-geführten Mission MINUSMA erforderlich.

Der Einsatz im Rahmen von MINUSMA bleibt Teil
eines umfassenden Engagements der Bundesregierung
für Mali im Rahmen eines vernetzten Ansatzes. Damit
stellen wir einen Teil der Voraussetzungen zum Einsatz
von Krisenpräventionsmitteln, von Entwicklungshilfe,
dem Ausstattungshilfeprogramm der Bundesregierung
und der Ausbildung von Polizei und Sicherheitskräften
im Rahmen der EU- und VN-Missionen.

Die kürzlich durch die Bundesregierung verabschie-
deten afrikapolitischen Leitlinien haben einen Bogen für
unser Engagement in Afrika aufgespannt, aus dem wir
bei weiterer Verbesserung der Sicherheitslage noch wei-
tere Instrumente im Rahmen eines regionalen Ansatzes
zum Einsatz bringen können. So sollen Konfliktursachen
bekämpft und die malischen Behörden und Sicherheits-
kräfte in die Lage versetzt werden, Sicherheit und staat-
liche Souveränität selbst aufrechtzuerhalten. Entspre-
chende Beschlüsse, zum Beispiel für das Engagement im
Rahmen von EUTM Mali, sind auf europäischer Ebene
bereits gefasst. Auch darüber hinaus wird uns ein kom-
plementär und umfassend angelegter Ansatz langfristig
fordern, gerade im Bereich der direkten Stabilisierung
des Landes und beim Aufbau von Sicherheitskräften als
Grundvoraussetzung eines insgesamt erfolgreichen Vor-
gehens.

Meine Damen und Herren, die Entsendung bewaffne-
ter deutscher Streitkräfte steht unter dem Vorbehalt der
konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages.
Die Fortsetzung erfolgt auf der Grundlage der Resolu-
tion 2100 (2013) des Sicherheitsrates der Vereinten Na-
tionen vom 25. April letzten Jahres. Aller Voraussicht
nach wird der UN-Sicherheitsrat nach Ende Juni eine
Verlängerung des Mandats um ein Jahr bis zum 30. Juni
2015 beschließen. Im Rahmen des deutschen Engage-
ments bei MINUSMA können bis zu 150 Soldatinnen
und Soldaten eingesetzt werden, solange ein Mandat des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und die konsti-
tutive Zustimmung des Deutschen Bundestages vorlie-
gen, längstens jedoch bis zum 30. Juni 2015.

Das Mandat der Mission MINUSMA soll inhaltlich
unverändert bleiben. Die deutsche Beteiligung soll im
zweiten Mandatszeitraum vergleichbar zum bisherigen
Rahmen beibehalten werden.

MINUSMA, die wesentlich von afrikanischen Trup-
penstellern getragen wird, verfolgt eine umfassende Sta-
bilisierung des Landes. Sie bildet den unverzichtbaren
Gesamtrahmen für den fokussierten Beitrag der EU zum
Aufbau der Streitkräfte.

Das Mandat umfasst die Unterstützung bei der Wie-
derherstellung der staatlichen Autorität im gesamten
Land, die Unterstützung für die Umsetzung des Fahr-
plans für den Übergang, die sogenannte Roadmap, den





Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe


(A) (C)



(D)(B)

Schutz von Zivilpersonen, die Förderung und den Schutz
der Menschenrechte, die Unterstützung für humanitäre
Hilfe, die Unterstützung für die Erhaltung des Kultur-
guts und die Unterstützung für die nationale und interna-
tionale Justiz.

Diese abgestimmte Aufgabenteilung mit besonderer
Einbeziehung regionaler Akteure, ergänzt um vielfältige
Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit und wei-
terer nationaler und internationaler Bemühungen, illus-
triert unsere Vorstellung davon, wie eine ganzheitliche
Stabilisierung eines Landes mit einem Konfliktherd ge-
staltet werden kann, nämlich umfassend, multidimensio-
nal und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet.

Seit Beginn der internationalen militärischen Mission
und des darüber hinausgehenden umfassenden Engagements
der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung der
malischen Sicherheitskräfte bei der Wiederherstellung
der staatlichen Integrität Malis und der nachhaltigen Ver-
besserung der Sicherheitslage sind bereits beachtliche
Fortschritte erzielt worden. Der für die Lösung des Kon-
flikts entscheidende politische Prozess hat auch seit dem
Beginn der Mission wesentliche Fortschritte gemacht.

Mali verfügt nach den weitgehend friedlich verlaufe-
nen freien und demokratischen Präsidentschafts- und
Parlamentswahlen wieder über eine demokratisch legiti-
mierte Regierung, die den Reform- und Aufbauprozess
in die Hand genommen und sich den Aussöhnungspro-
zess zwischen den Volksgruppen im Land als wichtiges
Ziel gesetzt hat. Die Gespräche dazu dauern weiter an,
wobei unstrittig ist, dass man diesen Prozessen Zeit ge-
ben muss.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich finde, es ist wichtig, dass wir uns immer
wieder vor Augen führen bei all den Problemen, die es in
Ländern gibt, in denen wir uns entwicklungspolitisch
und auch militärisch engagieren, dass diese Probleme
nicht durch die Bundeswehr ausgelöst worden sind, son-
dern dass unsere Soldatinnen und Soldaten im Gegenteil
einen Beitrag dazu leisten, dass diese Probleme gelöst
werden. Sie können sie nicht alleine lösen, aber sie leis-
ten einen Beitrag zur Problemlösung, und sie haben die
Probleme nicht verursacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Weil dies so ist und weil unsere Soldatinnen und Sol-
daten in Mali einen sehr wichtigen Beitrag zur Stabilisie-
rung des Landes, zum Aufbau selbsttragender Streit-
kräfte und für die Zukunft der Menschen in der Region
leisten, ist es gut, dass unsere Soldatinnen und Soldaten
dort sind. Sie sind in unserem Auftrag dort.

Um die Zustimmung zur Verlängerung dieses Auftra-
ges bittet Sie die Bundesregierung. Ich bitte Sie um Un-
terstützung dieses Antrags.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804007200

Das Wort hat der Kollege Jan van Aken für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan van Aken (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804007300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als

Frankreich im Januar 2013 im Alleingang in Mali inter-
venierte, haben wir das scharf kritisiert. Wir haben da-
mals auch kritisiert, dass die Bundesregierung Frank-
reich sofort militärische Unterstützung angeboten hat;
denn damals wie heute – das ist Ihnen wahrscheinlich
genauso klar wie mir – ging es Frankreich nicht um die
Menschen in Mali. Es geht nicht um den Schutz der Zi-
vilbevölkerung oder um die Menschenrechte, sondern
als ehemaliger Kolonialmacht geht es Frankreich natür-
lich um regionalen Einfluss und auch um den Zugriff auf
die Ressourcen in der Region.

Leider hat der UNO-Sicherheitsrat vor einem Jahr
beschlossen, Frankreich mit einem Militäreinsatz
– MINUSMA – zu unterstützen. Diesen wollen Sie
heute verlängern, und wieder einmal sind Ihre beiden
Argumente – das läuft doch gut und ist erfolgreich und
außerdem weiterhin nötig – falsch. Das wissen Sie auch.


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Und Sie wissen wieder mal alles besser!)


Ein Blick in den jüngsten Mali-Bericht des UN-Gene-
ralsekretärs spricht hier eigentlich Bände: Die Sicher-
heitslage im Norden des Landes ist katastrophal. Die Ge-
walt durch bewaffnete Gruppen hat in den letzten drei
Monaten massiv zugenommen; es gab allein 25 Raketen-
angriffe, und das, obwohl mehr als 7 000 MINUSMA-Sol-
daten und zusätzlich 3 000 französische Soldaten im
Land sind!


(Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das ist zu wenig!)


In Kidal, im Nordosten des Landes, gab es am
17. Mai 2014 wieder offene Kämpfe zwischen mali-
schen Soldaten und der MNLA. Die MNLA, die Natio-
nale Befreiungsbewegung für Azawad, ist eine überwie-
gend aus Tuareg bestehende Bewegung. Sie will im
Norden einen eigenen Staat errichten. Der Anlass am
17. Mai 2014 war der Versuch des malischen Premiermi-
nisters Moussa Mara, die Stadt Kidal zu besuchen. Am
Ende gab es an die 50 tote malische Regierungssoldaten.
Das Erschütternde daran ist, dass all das unter den Au-
gen und sogar mit der Billigung der Franzosen stattge-
funden hat.

Sie wissen: Nach dem Waffenstillstand im letzten
Jahr hätte die MNLA schon lange Kidal verlassen und
die Waffen abgeben müssen, und die malische Regie-
rung hätte Kidal übernehmen müssen. Es waren die
Franzosen, die dafür gesorgt haben, dass die MNLA die
Waffen nicht abgegeben und weiter die Kontrolle über
Kidal behalten hat. Der Grund dafür ist relativ simpel:
Zum einen kämpfen die Franzosen gemeinsam mit der
MNLA gegen die Islamisten, und zum anderen verhan-





Jan van Aken


(A) (C)



(D)(B)

deln die Franzosen gerade mit der MNLA über die Aus-
beutung der Ressourcen im Norden Malis. Das ist die
Wahrheit.

Um das Ganze einmal auf den Punkt zu bringen – das
muss ich mir immer wieder vor Augen halten –: Sie
schicken jetzt Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung
der malischen Regierung, um gegen die MNLA zu
kämpfen, die wiederum von Frankreich unterstützt wird.
Das kann doch nicht wirklich Ihr Ernst sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Es kommt noch schlimmer. Ich habe gesagt: Bei den
Kämpfen um Kidal sind 50 malische Regierungssoldaten
getötet worden. Das sind genau die malischen Soldaten,
die Sie gerade in einer anderen Mission, EUTM Mali,
ausbilden. Da wird es für mich am Ende vollkommen
absurd.

Ich fasse das einmal zusammen: Sie bilden malische
Soldaten für den Kampf gegen Separatisten aus, die von
Frankreich unterstützt werden. Sie unterstützen wiede-
rum Frankreich im Kampf gegen die Islamisten, die wie-
derum von Katar unterstützt werden, einem Land, das
wiederum Sie mit Waffen beliefern. – Irgendwann fin-
den Sie sich auf beiden Seiten des Konfliktes wieder. Es
ist doch vollkommener Irrsinn, was Sie da machen. Eine
Friedensmission ist das jedenfalls nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie wissen auch: Nach einem Jahr können Sie
MINUSMA nicht als Erfolgsgeschichte verkaufen. Das
Land ist nicht friedlicher geworden. Die Probleme sind
nicht einmal im Ansatz gelöst. Das ist auch kein Wun-
der: Militärisch – das haben Sie selbst gesagt, Herr
Brauksiepe – lassen sich die Probleme nicht lösen, aber
für einen politischen Prozess haben Sie im letzten Jahr
nullkommanichts getan.

Sie reden hier immer von einem vernetzten Ansatz
– das haben Sie auch eben wieder getan –, in dem
MINUSMA nur ein Baustein sei. Aber ich sehe nur Mili-
tär. Ich sehe Bundeswehrsoldaten, die andere Soldaten in
das Einsatzgebiet fliegen. Ich sehe Bundeswehrsoldaten,
die französische Kampfflugzeuge auftanken. Ich sehe
Bundeswehrsoldaten, die malische Soldaten ausbilden.
Ich will einmal konkret hören: Wo sind die anderen Bau-
steine? Wo sind die politischen Maßnahmen? Was haben
Sie getan?

Es gibt in Mali ganz viele Partner für zivile Konflikt-
lösungen. Hier sehe ich bei Ihnen gar nichts. Warum set-
zen Sie sich zum Beispiel nicht dafür ein, dass die jetzt
wieder neu gebildete Wahrheits- und Versöhnungskom-
mission nicht wieder so eine Farce wird wie die Vorgän-
gerkommission, sondern dieses Mal funktioniert? Setzen
Sie sich doch einmal ganz konkret und knallhart dafür
ein, dass in dieser Wahrheitskommission auch die zivil-
gesellschaftlichen Organisationen mitreden und auch
wirklich mitbestimmen können; denn diese gibt es dort,
und sie machen eine gute Arbeit.

Setzten Sie sich doch endlich für ein vernünftiges
Programm zur Beseitigung der Ursache der Krise ein.
Die Ursache – das wissen Sie so gut wie ich – ist die
Ausgrenzung des Nordens und die Armut im Norden
Malis. Auf diesem Gebiet tun Sie gar nichts.

Anstatt jetzt weitere 15 Millionen Euro in einen Bun-
deswehreinsatz in Mali zu versenken, sollten Sie diese
15 Millionen Euro in eine zivile Konfliktbearbeitung in
Mali investieren. Damit könnten Sie wirklich für eine
friedliche Situation vor Ort sorgen. Das aber verweigern
Sie.

Zum Abschluss muss ich sagen: Es gäbe in Mali so
viel Gutes zu tun. Aber dieser Militäreinsatz gehört ganz
sicher nicht dazu. Beenden Sie die Beteiligung an
MINUSMA! Vor allem: Sorgen Sie dafür, dass Ihr
Bündnispartner Frankreich endlich mit dieser blutigen
Interessenpolitik aufhört!


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland
keine Waffen mehr exportieren sollte. Ich will noch hin-
zufügen: im Moment nicht nach Frankreich und nach
Mali sowieso nicht.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804007400

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Achim Post das

Wort.


(Beifall bei der SPD)



Achim Post (SPD):
Rede ID: ID1804007500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege van Aken, die Sache mit dem
Export von Waffen nach Frankreich überlegen wir uns
noch einmal. Wenn wir keine Waffen mehr nach Frank-
reich liefern und nicht mehr mit den Franzosen zusam-
menarbeiten dürfen, frage ich mich, mit wem wir als
Bundesrepublik Deutschland Ihrer Ansicht nach über-
haupt noch zusammenarbeiten dürfen.


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Das ist unser Bündnis! Es ist nicht sein Bündnis!)


Ich fange einmal ganz anders an. Was ist in der Au-
ßen- und Sicherheitspolitik das wichtigste Gut oder eines
der höchsten Güter? – Vertrauen und Verlässlichkeit.
Das gilt gerade in dieser Debatte. Das macht gerade der
Antrag der Bundesregierung deutlich; denn wir gewähr-
leisten beides mit der Fortsetzung der Beteiligung be-
waffneter deutscher Streitkräfte in Mali.

Fast alle hier wissen: Mali galt bis 2012 als Muster-
beispiel der Demokratisierung in Afrika.

Ende 2012 drohte dieses Land in die Hände von radi-
kalen islamistischen Gruppen und Terroristen zu fallen.
Gewalt, Vertreibung, Hunger und Tod gingen mit dem
Vormarsch dieser Rebellengruppen einher. Es ist vor al-
lem Frankreich zu verdanken, dass der Vormarsch der
Rebellen gestoppt werden konnte.

Seit Beginn des internationalen Engagements gibt es
Fortschritte: die weitgehende Wiederherstellung der ter-
ritorialen Integrität des Staates, die Verbesserung der Si-
cherheitslage und die Präsidentschafts- und Parlaments-





Achim Post (Minden)



(A) (C)



(D)(B)

wahlen im Spätsommer 2013. Ich bin fest davon
überzeugt: MINUSMA und der deutsche Beitrag haben
erheblich zu diesen Fortschritten beigetragen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, sowohl Mali als auch
unsere UN-Partner verlassen sich auf unseren Beitrag.

Es ist richtig: Es bleibt noch sehr viel zu tun. Die si-
cherheitspolitische Lage in Mali ist fragil. Die Ziele der
Mission werden nur schrittweise erreicht. Der Dialog-
und Versöhnungsprozess läuft unstet. Die Bemühungen
um die Friedensverhandlungen wurden durch die Aus-
einandersetzungen in Kidal unterbrochen. Immer noch
sind Hunderttausende Menschen auf der Flucht.

Warum ist die Verlängerung des Mandats notwendig?
Lassen Sie mich für die SPD-Fraktion vier Kernpunkte
nennen.

Erstens. Mali braucht Unterstützung bei der Umset-
zung des Aktionsplans der Regierung, das heißt bei der
Schaffung starker und glaubwürdiger Institutionen, bei
der Wiederherstellung der Sicherheit, bei der Umsetzung
einer aktiven Politik der nationalen Versöhnung, beim
Wiederaufbau des malischen Schulwesens und beim
Aufbau einer aufstrebenden Wirtschaft.

Die malische Regierung kann all diese Herausforde-
rungen noch nicht alleine bewältigen. Deshalb geht es
darum, die politischen Probleme auch politisch zu lösen.

Zweitens. Mali braucht die langfristige Entwicklungs-
zusammenarbeit – das hat der Herr Staatssekretär gerade
ausgeführt – in der Landwirtschaft, bei der Dezentrali-
sierung, bei guter Regierungsführung und bei der Was-
serversorgung. Deshalb ist die Erhöhung der Mittel für
die staatliche Entwicklungszusammenarbeit auf 120 Mil-
lionen Euro für 2013/2014 richtig. Ich glaube, dass es im
Interesse des gesamten Hauses ist, dass Mali ein
Schwerpunktland der deutschen Entwicklungspolitik
bleibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Drittens. Mali braucht eine nachhaltige sicherheits-
politische Stabilisierung. Dabei leisten die genannten
Missionen der EU gute Arbeit.

Viertens. Mali braucht einen Friedensprozess und ei-
nen strukturierten Dialog zwischen den Konfliktpar-
teien. Die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkom-
mens in Kidal vor zwei Wochen ist ein erster Lichtblick.

Das gilt es zu nutzen. Wir brauchen verstärkten diplo-
matischen Druck auf die malische Regierung und die Or-
ganisationen der Rebellen, um die zügige Implementie-
rung von Friedensverhandlungen zu erreichen.

Ich fasse zusammen, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Deshalb braucht diese Mission internationale Unterstüt-
zung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Diese Mission braucht eine umfassende politische Stra-
tegie, und sie braucht einen steten und zügigen Dialog
zwischen den Konfliktparteien.

Deshalb unterstützt meine Fraktion den Antrag der
Bundesregierung und die vorgeschlagene Mandatsver-
längerung. Mali hat ein Recht auf Vertrauen und Verläss-
lichkeit.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804007600

Das Wort hat der Kollege Uwe Kekeritz für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804007700

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Herr van Aken, eigentlich habe ich mir geschworen,
nicht auf Sie einzugehen. Aber ich habe gestern einen
Fehler gemacht: Ich habe nämlich Ihre Rede vom
23. Juni 2013 gelesen. Dabei habe ich gelernt, wie Sie
Ihre Reden zusammenstellen: Sie gehen dabei modular
vor. Die Rede, die Sie damals gehalten haben, „fits for
all those questions“. Das ist ganz phantastisch.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Welche Rede?)


– Vom 23. Juni 2013.


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Fits for all?)


– Ja, das ist ein Basismodul, das sich immer für solche
Themen eignet. Sie müssen es nur ein bisschen individu-
ell anpassen.


(Zurufe von der LINKEN)


– Ja, da sind Sie jetzt durcheinandergekommen.

Mit der französischen Intervention und dem vorgese-
henen Mandat sind die Gefahren in Mali bei weitem
nicht gebannt. Die Lage – das wurde schon gesagt – ist
erschreckend. Nichtsdestotrotz können wir heute sagen,
dass das Mandat seine Aufgabe in einer noch akzeptab-
len Weise erfüllt.

Die Alternative zu diesem Mandat und der französi-
schen Intervention wäre ein radikaler islamistischer
Staat gewesen, in dem die Terrorherrschaft zum domi-
nierenden Regierungsprinzip geworden wäre. Es gibt gar
keinen Grund zu der Annahme, dass bei einer erfolgrei-
chen Einnahme Malis der Ausdehnungswille der Terro-
risten gestoppt gewesen wäre. Es wäre verantwortungs-
los gewesen, Burkina, Mauretanien, Niger und die
anderen angrenzenden Staaten einer schleichenden terro-
ristischen Unterwanderung oder einer offenen militäri-
schen Konfrontation auszusetzen.

Die Beispiele Boko Haram und Lords Resistance
Army und viele andere Terrorgruppen mit ihren War-
lords zeigen doch deutlich, dass solche Terrorgruppen,
so sie einmal Fuß gefasst haben, nicht mehr oder kaum
mehr unter Kontrolle zu bringen sind und welche Gefah-
ren mit ihnen verbunden sind. Boko Haram – Sie wissen





Uwe Kekeritz


(A) (C)



(D)(B)

es – hat in den letzten Jahren 4 000 Menschen ermordet.
Beim Kampf gegen die terroristischen Islamisten in Mali
ging es deshalb nicht nur um die Situation in Mali. Es
musste unbedingt eine Destabilisierung der gesamten
Region verhindert werden, genauso wie das Entstehen
eines gefestigten, erstarkten Terrorbandes von Mali bis
Nigeria.

Wir alle in diesem Hause wissen, dass durch dieses
Mandat allein keine langfristige Stabilisierung erfolgen
wird. Wir müssen in Mali Menschenrechte etablieren
sowie soziale und ökologische Gerechtigkeit entwickeln.
Deshalb begrüßen wir es natürlich sehr, dass vor zwei,
drei Wochen in Bamako die Wiederaufnahme der
entwicklungspolitischen Zusammenarbeit beschlossen
wurde, und auch, dass diese Zusammenarbeit europäisch
koordiniert werden soll. Ich bedanke mich in diesem Zu-
sammenhang beim Parlamentarischen Staatssekretär
beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung, Herrn Fuchtel.

Zwei Schwerpunkte der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit sind besonders zu begrüßen. Den einen
Schwerpunkt bildet die ländliche Entwicklung. Dabei
geht es vor allem um Wasserversorgung und Wasserent-
sorgung sowie die Ernährungssituation im Land. Den
zweiten Schwerpunkt bildet das Thema Good Gover-
nance.

In Mali könnte Good Governance tatsächlich sehr
schnell große Wirkung erzielen. Das mag Sie etwas ver-
blüffen, weil Good Governance in vielen Entwicklungs-
ländern eigentlich zu den Bereichen gehört, in denen nur
wenige Fortschritte zu erzielen sind. Im Sinne von Good
Governance müssten bestehende Altverträge gerade im
Bergbaurecht überprüft werden. Ich fordere den Staats-
sekretär Fuchtel auf, dafür zu sorgen. Ich spreche ganz
besonders den Goldabbau an. In Mali werden jährlich
circa 90 Zentner Gold gefördert. Tatsächlich verbleiben
von diesem Goldwert in Mali gerade einmal 1 bis 2 Pro-
zent, ein erschreckender Wert. Dies reicht noch nicht
einmal aus, um den ökologischen Schaden, der durch
den auf unqualifizierte Art und Weise betriebenen Gold-
bergbau entstanden ist, auszugleichen. Bei einer fairen
Besteuerung des Goldabbaus mit 60 oder 70 Prozent
– bei Gold und Diamanten sind solche Sätze durchaus
üblich und legitim – ließe sich der Haushalt Malis inner-
halb eines Jahres schlichtweg verdoppeln. Der Staatsse-
kretär hat vorhin gesagt, dass eine Eigenleistung Malis
erwünscht ist und auch erbracht werden muss. Eine sol-
che Besteuerung wäre ein sehr guter Weg dorthin.

Wir müssen allerdings feststellen, dass es Freihan-
delsverträge gibt, die Investitionen enorm schützen. Da
haben wir ein riesengroßes Problem. Diese Freihandels-
verträge sorgen dafür, dass Investitionen einen höheren
Stellenwert als ökologische, soziale oder menschen-
rechtliche Aspekte haben. Das verhindert natürlich eine
vernünftige Entwicklung in Mali. Deswegen sollten wir
uns Gedanken darüber machen, welche Möglichkeiten
wir haben, alte Abbauverträge zu kündigen. Es kann
nicht sein, dass wir, global gesehen, Milliarden in Form
von Investitionen oder Hilfeleistungen zur Verfügung
stellen und gleichzeitig zulassen, dass die eigentlichen
Werte, über die dieses Land verfügt, zum Beispiel das
Gold, das Land verlassen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804007800

Kollege Kekeritz, Sie sind schon weit über Ihre Rede-

zeit.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804007900

Herr van Aken hat mir meine Redezeit geklaut.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804008000

Er nicht.


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804008100

Ich bedanke mich bei Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804008200

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Philipp

Mißfelder das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804008300

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen!


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Der stiehlt uns die Zeit!)


– Ich kann Ihnen, Herr van Aken, nur sagen: Hören Sie
genau zu! Von dem, was unser Kollege von den Grünen
gerade gesagt hat, konnten Sie etwas lernen, was verant-
wortungsvolle Opposition und Politik angeht.

Sie wiederholen bei jeder Rede Ihr „ceterum censeo“,
dass Karthago zerstört werden muss. Es lohnt sich
schon, das Ganze genauer zu betrachten. Sie können na-
türlich eine radikalpazifistische Position vertreten, aber
Sie können uns gerade im Fall von Mali nicht unterstel-
len, dass das ein interventionistischer Vorstoß der Bun-
desregierung sei. Ganz im Gegenteil, wir sichern mit
dem, was wir tun, unsere gesamten humanitären Aktivi-
täten ab. Darum geht es an der Stelle, um nichts anderes.
Deshalb ist es ein Zerrbild, was Sie gezeichnet haben.
Vor dem Hintergrund weise ich das, was Sie sagen, zu-
rück.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich behaupte angesichts der Komplexität des Kon-
flikts nicht, dass Sie mit allem, was Sie sagen, unrecht
haben. Deshalb prüfen wir auch ganz genau, inwiefern
dieses Mandat Sinn macht oder nicht. Wir können ein
Jahr nach Beginn des MINUSMA-Mandats sagen: Der
Einsatz war richtig, und er ist es immer noch. Deshalb
unterstützen wir die Verlängerung und werden diesem
Mandat auch zustimmen.

Die Ereignisse der vergangenen Wochen – ich ver-
weise auf die Ausschreitungen in der nordmalischen





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Stadt Kidal am 17. Mai – machen deutlich, dass die Lage
weiterhin fragil ist, selbst wenn die Medien sich nicht in
dem Umfang damit beschäftigen, wie wir das hier im
Deutschen Bundestag mit Blick auf das Mandat tun müs-
sen.

Wir sind in einer schwierigen Situation. Es sind noch
immer über 200 000 Menschen auf der Flucht. Davon
befinden sich rund 140 000 Menschen in den Nachbar-
ländern Malis, sodass die Gefahr besteht, dass der Kon-
flikt übergreift. Vor dem Hintergrund haben wir die Ver-
antwortung, uns um diese Nachbarländer zu bemühen,
sie zu stabilisieren und ihnen die Möglichkeit zu geben,
mit der Flüchtlingsproblematik klarzukommen.

Das Mandat MINUSMA, wozu Deutschland konkret
einen sehr bescheidenen Beitrag leistet, ist eine beruhi-
gende und stabilisierende Maßnahme. Wir beteiligen uns
mit bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten. Davon sind
zurzeit 77 im Einsatz. Das ist wie jedes Bundeswehr-
mandat eine nicht ungefährliche Mission. Deshalb danke
ich all denjenigen, die für unser Land dort ihren Dienst
tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir beteiligen uns darüber hinaus mit einer polizeili-
chen Komponente, die aus bis zu zehn Polizisten besteht.
Die Hauptaufgabe der deutschen Soldaten liegt weiter-
hin, auch beim neuen Mandat, darin, den Lufttransport
und die Luftbetankung zu unterstützen und in Führungs-
und Verbindungsstäben Beratungs- und Unterstützungs-
aufgaben zu übernehmen. Das ist wichtig; denn das zeigt
den Charakter des Mandats und wie wir in diesem Land
vorgehen, nämlich unterstützend und nicht interventio-
nistisch.

Das gehört aus meiner Sicht zu den Kernaufgaben der
Bundeswehr und fügt sich in das ein, was die Bundesre-
gierung mit ihrer Afrika-Strategie anstrebt. Auch das ist
– das sage ich hier ganz deutlich – an manchen Stellen
noch ausbaufähig. Wir diskutieren und ringen darum,
welcher Weg der beste für Afrika sein soll. Ich schließe
nicht aus, dass auch militärische Maßnahmen zur Kon-
fliktlösung gehören können. Sie sind aber nicht ein
Allheilmittel. Das hat im Übrigen auch niemand von un-
serer Fraktion oder von der Regierung gesagt. Insbeson-
dere der Beitrag von Staatssekretär Brauksiepe hat ge-
zeigt, dass sich dieses Mandat in ein Gesamtkonzept
einfügt, das entwicklungspolitische und diplomatische
Maßnahmen umfasst.

Vor dem Hintergrund können wir diesem Mandat zu-
stimmen. Wir hoffen, dass in den nächsten zwölf Mona-
ten dieses Mandat einen kleinen stabilisierenden Beitrag
für das Land leistet.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804008400

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dirk Vöpel das

Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Vöpel (SPD):
Rede ID: ID1804008500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Afrika wird unterschätzt. In weiten Teilen des Konti-
nents vollzieht sich ein dramatischer, wenn nicht gar
epochaler Wandel zum Besseren. Es ist noch nicht lange
her, da hätte das niemand für möglich gehalten, da galt
die Wiege der Menschheit als hoffnungsloser Fall. Der
Name Afrika war nur ein anderes Wort für Hunger, Ge-
walt, Stagnation und millionenfaches Elend. Natürlich
gibt es nach wie vor Regionen, auf die das alles zutrifft;
aber in seiner Einseitigkeit ist dieses Afrika-Bild, das
viele Menschen noch immer im Kopf haben, definitiv
falsch.

Viele Länder Afrikas erleben eine ökonomische und
soziale Gründerzeit, die in ihrer Dynamik vielleicht nur
mit dem Aufbruch der asiatischen Tigerstaaten ver-
gleichbar ist. Mali gehört zu den Ländern, die nach wie
vor auf der Schattenseite dieses afrikanischen Aufbruchs
stehen. Es ist eines der ärmsten Länder der Welt und
stand vor zwei Jahren unmittelbar vor dem Staatszerfall.

Eine Rebellion im Norden und ein Putsch im Süden
hatten den westafrikanischen Staat innerhalb eines Vier-
teljahres von einer scheinbar stabilen Demokratie in ei-
nen neuen internationalen Krisenherd verwandelt. Nur
das Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, insbe-
sondere der Franzosen im Rahmen der Operation Serval,
hat den Absturz in das völlige Chaos verhindert. Seit
dem Anlaufen der VN-Mission MINUSMA, die von
afrikanischen Partnern ganz wesentlich mitgetragen
wird, ist die Gesamtsituation in Mali nicht schlechter,
sondern besser geworden. Staatsgewalt und territoriale
Integrität sind im Wesentlichen wiederhergestellt, wenn
man von den weiten Wüstengebieten im Norden absieht.
Diese sind schon aus geografischen Gründen nur sehr
schwer zu kontrollieren.

Die Sicherheitslage und damit auch die Arbeitsvo-
raussetzungen für die zivilen Aufbauhelfer konnten im
Süden und in der Mitte des Landes erheblich verbessert
werden. Die politische Stabilisierung hat mit den Präsi-
dentschafts- und den Parlamentswahlen im letzten Jahr
ebenfalls große Fortschritte gemacht. Nur wo sich die re-
gionale Sicherheitslage entspannt, verbessert sich auch
die humanitäre Situation. Es gibt also Hoffnung für
Mali; aber es ist noch lange nicht über den Berg.

Die Unterstützung durch die internationale Gemein-
schaft und damit auch durch Deutschland bleibt notwen-
dig. Sie bleibt notwendig, um das bisher Erreichte abzu-
sichern und weitere Fortschritte überhaupt erst in
Reichweite zu bringen. Gerade die besorgniserregenden
Ereignisse der jüngsten Tage im Norden Malis zeigen
überdeutlich, dass die Fähigkeiten auch zu einem robus-
ten Vorgehen zurzeit nicht verzichtbar sind, wenn man
den mühsam erkämpften Erfolg nicht aufs Spiel setzen
will.





Dirk Vöpel


(A) (C)



(D)(B)

Diese Ereignisse zeigen aber auch, dass der stockende
Friedensprozess wieder in Gang kommen muss. Seit den
Wahlen sind hier leider keine sichtbaren Fortschritte er-
zielt worden. Eine Befriedung des Nordens hängt aber in
hohem Maße gerade von diesen politischen Fortschritten
ab. Jetzt ist weiterer diplomatischer Druck auf die mali-
sche Regierung und die MNLA sowie auf deren Verbün-
dete zwingend erforderlich.


(Beifall bei der SPD)


Heute liegt uns der Antrag der Bundesregierung auf
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der MINUSMA-Mission der Vereinten
Nationen in Mali vor. Das deutsche Engagement bleibt
hinsichtlich der Instrumente und des entsandten Perso-
nals im Rahmen der Gesamtoperation MINUSMA eine
kleine Mission. Die Bereitstellung von taktischen Luft-
transportkapazitäten wie auch – im Anforderungsfall –
die zugesicherte Fähigkeit zur Luftbetankung gehören
jedoch zu den Kompetenzen, ohne die eine solche Mis-
sion kaum durchgeführt werden könnte.

Bemerkenswert und vorbildlich finde ich die konse-
quente entwicklungspolitische Unterfütterung und Flan-
kierung des MINUSMA-Einsatzes. Es ist sehr erfreulich
und markiert durchaus einen beachtlichen Fortschritt,
dass mit den deutsch-malischen Regierungsverhandlun-
gen Mitte Mai nun auch ganz offiziell die vollständige
Wiederaufnahme der entwicklungspolitischen Zusam-
menarbeit in Mali erfolgen kann.

Auch die Mission EUTM Mali und die zivile EU-
Mission EUCAP Sahel Mali zeigen deutlich, dass der
Lösungsansatz für Mali gut vernetzt und breit aufgestellt
ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für unsere interna-
tionalen Partner, aber vor allem für Mali ist unsere Un-
terstützung auch weiterhin wichtig und notwendig.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804008600

Der Kollege Florian Hahn hat nun für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Achim Post [Minden] [SPD])



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1804008700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! In Malis Norden liegt die Oasenstadt Timbuktu:
Zentrum islamischer Gelehrsamkeit, geprägt vom Sufis-
mus, Heimat Tausender Handschriften aus dem Mittelal-
ter, Standort vieler Heiligengrabmäler, Moscheen und
Bibliotheken, UNESCO-Weltkulturerbe der Menschheit.

Erinnern wir uns an das Frühjahr 2012: Die Regie-
rung in Bamako wird gestürzt. Tuareg und Söldner aus
dem libyschen Bürgerkrieg erobern die Stadt Timbuktu.
Nach wenigen Tagen werden die Tuareg von Islamisten
der Gruppe Ansar al-Din aus der Stadt gejagt. Zusam-
men mit al-Qaida des Islamischen Maghreb versuchen
diese, die Scharia in ihrer strengsten Form durchzuset-
zen. Es beginnt ein Regime des Terrors und der Verwüs-
tung. Mehrere berühmte Mausoleen wurden als „unisla-
misch“ zerstört, eine Bibliothek mit unersetzlichen
Handschriften wurde in Brand gesetzt.

Erst Ende Januar 2013 machte die Militäraktion Ser-
val der Franzosen diesem Spuk Gott sei Dank ein Ende –
ein gutes Beispiel, das zeigt, warum in bestimmten Fäl-
len auch kurzfristige militärische Interventionen uner-
lässlich sein können.

Ziel der Mission MINUSMA in Mali ist es nun, Be-
völkerungszentren zu stabilisieren, staatliche Autorität
im ganzen Land wiederherzustellen und den Übergangs-
fahrplan zu unterstützen, vor allem den nationalen politi-
schen Dialog.

Der deutsche militärische Beitrag dazu ist im Schwer-
punkt taktischer Lufttransport mit zwei Flugzeugen vom
Typ Transall, die in Dakar im Senegal und in Bamako
bereitstehen. Sie bilden die German Airlift Support
Group und fliegen fast täglich Transporte in den unruhi-
gen Norden zur Versorgung der UN-Truppen. Außerdem
stellen wir optional Luftbetankung für französische
Streitkräfte bereit, und Einzelpersonal ist in den Füh-
rungsstäben bzw. als Verbindungsoffizier tätig.

Nicht alle Probleme sind mit militärischen Mitteln
lösbar – schon gar nicht ethnische Konflikte. Aber wir
müssen als Übergangslösung so viel Stabilität und Si-
cherheit schaffen, dass ein geordneter Neuaufbau von Si-
cherheitskräften und Verwaltungsapparat beginnen kann.

Im nichtmilitärischen Bereich hilft Deutschland durch
die Bereitstellung von Krisenpräventionsmitteln – allein
2013 10 Millionen Euro – für Versöhnung und Entwick-
lung im Norden Malis, durch humanitäre Hilfe, insbe-
sondere Nahrungsmittelhilfe – hierfür sind 8,1 Millionen
Euro ausgegeben worden – und die Entwicklungszusam-
menarbeit: Hier werden allein 2013/2014 120 Millionen
Euro aus den Mitteln der staatlichen Entwicklungszu-
sammenarbeit und 20 Millionen Euro über nichtstaatli-
che Träger bereitgestellt. Außerdem beteiligen wir uns
an der Ausbildung von Polizei und Sicherheitskräften.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Unsere Trans-
portflieger leisten unter extremen Bedingungen Heraus-
ragendes. Wir müssen auch hier unserer Fürsorgepflicht
nachkommen und sicherstellen, dass bei den Einsatzbe-
dingungen, was Material und Einsatzzeiten angeht, die
Belastungsgrenze nicht überschritten wird.

Militärische Unterstützung und Ausbildung in Mali
stehen für uns nicht allein; wir verfolgen zu Recht einen
ganzheitlichen Ansatz beim Staatsaufbau. Versöhnung
aller Volksgruppen und Beteiligung aller Regionen am
Staatswesen sind Voraussetzungen für langfristige Stabi-
lität. Die jüngsten Rückschläge im Norden zeigen deut-
lich: In Mali werden wir einen längeren Atem brauchen.
Aber unser Engagement ist wichtig und notwendig für
Mali, für die Menschen dort und ist nicht zuletzt auch in
unserem eigenen Interesse.





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)

Den zivilen und militärischen Beteiligten an der Un-
terstützung in Mali wünsche ich Gesundheit, Erfolg und
Gottes Segen bei ihrem Tun.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804008800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1416 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu ander-
weitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

Erste Beratung des von den Abgeordneten Kai
Gehring, Özcan Mutlu, Beate Walter-
Rosenheimer, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über befristete Ar-

(1. WissZeitVG-ÄndG)


Drucksache 18/1463
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Kai Gehring für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804008900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vor zwei Wochen hat dieses Haus gegen die Stimmen
der grünen Bundestagsfraktion ein milliardenschweres,
aber ungerechtes Rentenpaket verabschiedet. Aber was
ist mit der jungen Generation? Was tut die Bundesregie-
rung für den wissenschaftlichen Nachwuchs in Deutsch-
land, der mit seinem Wissen und Können für dringend
benötigte Innovationen sorgt? Die Antwort ist: bisher
nichts. Wenn es um verlässliche Perspektiven für Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen geht, zeigt sich
diese Koalition erschreckend ideenlos und erschreckend
tatenlos. So darf es nicht bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind
Herzstücke unseres Wissenschaftssystems. Sie müssen
attraktive Arbeitgeber mit guten und zukunftsfähigen
Arbeitsbedingungen sein.

Schauen wir uns den Gesetzentwurf an, den wir heute
debattieren. Ich möchte zunächst fragen: Liebe Koali-
tion, warum muss diese Initiative zur Novellierung des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eigentlich aus der Op-
position kommen? Sie selbst kündigen doch im Koali-
tionsvertrag eine Novelle des Gesetzes an.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das werden wir auch machen!)


Der Gesetzentwurf, den wir heute in den Bundestag ein-
bringen, wurde schon im Frühjahr 2013 von grün-rot
und rot-grün regierten Ländern in den Bundesrat einge-
bracht. Sie – und hier meine ich vor allem die Kollegin-
nen und Kollegen der SPD – hätten längst handeln kön-
nen. Ihre Zögerlichkeit als Koalition schadet dem
wissenschaftlichen Nachwuchs.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Dr. Simone Raatz [SPD]: Ach jemine!)


Meine Fraktion hat die prekären Arbeitsbedingungen
des wissenschaftlichen Nachwuchses schon mehrmals
im Bundestag zum Thema gemacht. Sie kennen die Zah-
len: Beinahe neun von zehn Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern an den deutschen Hochschulen und
Forschungseinrichtungen sind befristet beschäftigt. Das
gilt auch für die Phase nach der Promotion, in der
51 Prozent der Verträge an den Hochschulen und 40 Pro-
zent der Verträge in den Forschungseinrichtungen eine
Laufzeit von unter einem Jahr haben. Das sind Zustände,
die sich kein Unternehmen leistet, das genauso wie der
Wissenschaftsbetrieb auf Spitzenpersonal angewiesen
ist. Hier ist etwas aus dem Lot geraten, und das müssen
wir ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen hier
durchaus von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
lern, die gut und gern ihr viertes, teils sogar fünftes Le-
bensjahrzehnt erreicht haben. Diese erfahrenen Kräfte
wollen Sie weiter mit kurzfristigen Verträgen hinhalten.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nein, wollen wir nicht!)


Mit einer solchen Politik schafft man keine Innovationen
und kein wettbewerbsfähiges Wissenschaftssystem, das
kreative Menschen an sich bindet. Man schafft vielmehr
Frustration und riskiert das Abwandern dieser klügsten
Köpfe in die Wirtschaft oder ins Ausland. Das kann hier
niemand ernsthaft wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das tut auch keiner!)


Mit unserer Novelle des Wissenschaftszeitvertragsge-
setzes schlagen wir konkrete Verbesserungen vor. Dabei
ist uns bewusst, dass es nur ein Baustein ist, den wir im
deutschen Wissenschaftssystem voranbringen müssen.
Im Bereich dieses Gesetzes hat der Bund originäre Zu-
ständigkeiten und Handlungsmöglichkeiten. Deshalb
schieben Sie in der Debatte die Verantwortung nicht nur





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)

auf die Länder und Hochschulen, sondern lassen Sie uns
dort, wo wir es als Bund können, einen klaren Rahmen
setzen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu diesem klaren Rahmen gehört, Mindestvertrags-
laufzeiten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
in der zweiten Qualifizierungsphase einzuführen. Wer
seine Promotion erfolgreich abgeschlossen hat, soll nur
noch in begründeten Ausnahmefällen eine Vertragslauf-
zeit von unter zwei Jahren erhalten. Außerdem soll für
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in allen Qualifizie-
rungsphasen gelten, dass die Laufzeit der Verträge, die
auf Drittmittelbefristung beruhen, mindestens der Lauf-
zeit der Finanzierungsbewilligung des Drittmittelgebers
entsprechen muss. Sorgen wir endlich dafür, dass sach-
grundlose Befristungen Vorrang haben vor Drittmittelbe-
fristungen. Das täte dem wissenschaftlichen Nachwuchs
gut. Mit diesen Vorschlägen können wir einiges tun ge-
gen das Befristungsunwesen in unserem Wissenschafts-
system.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wenn wir schon dabei sind: Lassen Sie uns auch die
Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz aufhe-
ben, um so die Autonomie der Hochschulen zu stärken.
Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreterinnen und -ver-
treter im Wissenschaftsbereich müssen endlich die Mög-
lichkeit erhalten, eigene adäquate Tarifregelungen für
die Wissenschaft auszuhandeln. Es ist aus unserer Sicht
allerhöchste Zeit, dass die Bundesregierung auch junge
Beschäftigte in Deutschland in den Blick nimmt. Promo-
vierende und Postdocs an den Hochschulen und For-
schungseinrichtungen sind Teil einer Generation, von
der sich dieses Land superwichtige Impulse für seine
wirtschaftliche, soziale und ökologische Modernisierung
erhofft.

Um diese Hoffnung zu erfüllen, brauchen Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler verlässliche Perspek-
tiven und planbare Karrierewege. Das beginnt bei der
Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, es geht
weiter bei der Zukunft der Wissenschaftspakte und endet
im Kern bei der dringend notwendigen Verbesserung der
Grundfinanzierung der Hochschulen. Letzterem, liebe
Koalitionäre, haben Sie im Haushalt 2014 und in der
gestrigen Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses
einen Bärendienst erwiesen. Die bei Schäuble zwischen-
geparkte halbe Milliarde Euro fließt nun doch nicht in
Bildung und Forschung, sondern Sie stopfen damit Lü-
cken im Gesamthaushalt.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Fehlinterpretation! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das stimmt nicht!)


Damit hätten Sie so viel für die Wissenschaft tun kön-
nen, unter anderem ein neues Juniorprofessorenpro-
gramm mit Tenure Track auflegen, wie wir es in den
Haushaltsberatungen beantragt haben. Ihre Politik ist da-
gegen unsäglich zukunftsvergessen.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Alte Kamelle!)


– Wenn Sie das „alte Kamelle“ nennen, dann rate ich Ih-
nen: Sprechen Sie einmal mit Vertretern des Wissen-
schaftsbetriebs. Die werden Ihnen sagen, dass ein neues
Juniorprofessorenprogramm Perspektiven schafft,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Die sagen mir etwas ganz anderes!)


wichtig und ein Fortschritt ist. Das könnten Sie machen,
anstatt 500 Millionen einfach so zu versenken.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das stimmt nicht, Herr Kollege!)


Ich sage Ihnen: Es ist dringend notwendig, Wissen-
schaft als Beruf wieder attraktiver zu machen. Wir wol-
len es im Wissenschaftssystem fair statt prekär.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804009000

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin

Alexandra Dinges-Dierig das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alexandra Dinges-Dierig (CDU):
Rede ID: ID1804009100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Das Wichtigste vorweg:
Deutschland ist ein hervorragender und attraktiver For-
schungsstandort. Diesen gilt es weiter zu stärken. Dies
haben wir bei den Haushaltsberatungen ganz deutlich
gezeigt. Die Regierungskoalition aus CDU, CSU und
SPD hat sich ausgesprochen für zusätzliche 3 Milliarden
Euro für die Forschung und, lieber Herr Gehring, für
weitere 6 Milliarden Euro, die sich auf Kita, Schulen und
Hochschulen verteilen. Es bleibt also bei den 9 Milliar-
den Euro, egal bei welchem Posten sie nun stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Unsere politische Verantwortung ist es, den geeigneten
Rahmen für erfolgreiche Forschung zu schaffen. Da sind
wir beieinander, Herr Gehring; das haben auch Sie ge-
sagt. Wir sind auch da beieinander, dass das Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz dazu ein Baustein ist.

Wir debattieren heute das Wissenschaftszeitvertrags-
gesetz auf Wunsch der Grünen noch einmal. Ich muss
aber sagen – Sie haben es selber erwähnt, Herr Gehring –:
Ihr Gesetzentwurf entspricht dem Gesetzentwurf der
SPD aus dem letzten Jahr


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der Bundesratsinitiative!)


– nahezu –; ich vermisse die Ergebnisse der Debatten
und der Anhörungen des letzten Jahres.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Es hätte uns in der Diskussion viel weiter gebracht,
wenn Sie dies konstruktiv eingebaut hätten. Dann hätten
wir jetzt über andere Inhalte sprechen können, nämlich





Alexandra Dinges-Dierig


(A) (C)



(D)(B)

über die Stärkung der Forschung und die Schaffung ver-
lässlicher Karrierewege für Nachwuchswissenschaftle-
rinnen und Nachwuchswissenschaftler.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil es ein Gesetzentwurf von gestern ist, wird die
CDU/CSU ihn auch diesmal wieder ablehnen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt Ihr Änderungsantrag?)


Meine Damen und Herren, Kern des Gesetzes ist – für
diejenigen, die sich damit noch nicht beschäftigt haben –
die Regelung von Möglichkeiten, im Bereich der Wis-
senschaft Arbeitsverträge abzuschließen, die befristet
sind. Das betrifft besonders Nachwuchswissenschaftler,
also Personen, die ihr Studium abgeschlossen haben. Es
geht um die Befristung für einen festen Zeitraum, und
zwar ohne Angabe von Gründen. Natürlich gibt es auch
befristete Arbeitsverträge mit Angabe von Gründen.
Hier geht es insbesondere um Arbeitsverträge mit Be-
fristungsgrund, zum Beispiel bei Drittmittelprojekten
oder auch wegen notwendiger Kinderbetreuung oder
Pflege.

Eine Evaluation aus dem Jahr 2011 und eine Exper-
tenanhörung im vergangenen Jahr haben gezeigt: Das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird in hohem Maße
der projektorientierten Arbeitsweise in der Forschung
gerecht. Es gibt den Arbeitgebern die notwendige
Rechtssicherheit bei Arbeitsverträgen, weil es einfach zu
handhaben ist. Außerdem – für diejenigen, die das nicht
so gerne hören – stößt das Wissenschaftszeitvertragsge-
setz auch bei den jungen Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern aufgrund ihrer individuellen Arbeitsweise
auf hohe Akzeptanz. – Diese Punkte sollten wir nicht un-
ter den Tisch fallen lassen.

Darüber hinaus können wir in Deutschland beobach-
ten: Seitdem wir das Wissenschaftszeitvertragsgesetz
haben, nimmt die Anzahl der Promotionen enorm zu.
Wir liegen in Deutschland inzwischen weit über dem
EU-Durchschnitt. Dass wir international attraktiv sind,
das zeigt der nicht nachlassende Zustrom von Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftlern an unsere Universi-
täten. Das ist eine erfreuliche Entwicklung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich stelle also fest: Das Wissenschaftszeitvertragsge-
setz ist im Kern ein wichtiger und richtiger Baustein. Mit
seiner Hilfe gewinnen wir die Besten der Besten. Gleich-
zeitig – das haben Sie leider nicht erwähnt – können wir
den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs-
wissenschaftlern vermehrt die Möglichkeit des Einstiegs
in eine wissenschaftliche Laufbahn bieten. In dem Zeit-
raum seit 1992 bis heute stieg die Zahl derer immerhin
um 80 Prozent. Das ist ein gutes Zeichen für einen sich
entwickelnden Wissenschaftsstandort.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier um Befristungen!)

Meine Damen und Herren, aber neben viel Licht gibt
es auch Schatten. Dieser Schatten ist die zunehmende
Zahl kurzfristiger Arbeitsverträge. Dies war – und ist –
nicht die Intention des Gesetzgebers in 2007. Ich gebe
Ihnen zu 100 Prozent recht, dass hier Handlungsbedarf
besteht.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Debatten des letzten Jahres haben aber gezeigt, dass
es keine Lösung ist, die Fristen mit Mindestzeiten bei
gleichzeitig begründeter Verkürzungsmöglichkeit zu be-
legen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Denn das wiederum führt zu Starrheit in einem flexiblen
System, zu Rechtsunsicherheit und vor allem zu neuer
Ungerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine kurzfristige Verlängerung der bestehenden Ver-
träge, für sechs Monate, weil jemand mit der Arbeit
nicht fertig ist, weil jemand in die Familienphase eintritt
oder weil ein Überbrückungsvertrag nötig ist, bis ein
neuer Vertrag geschlossen wird, wird extrem schwierig.
Das hemmt unsere Entwicklung. Deshalb sind in meinen
Augen systemfremde Änderungen der falsche Weg.

Der Gesetzentwurf der Grünen, so wie er jetzt vor-
liegt, ist in meinen Augen wieder ein Beispiel dafür, dass
versucht wird, Symptome zu bekämpfen, ohne die Ursa-
chen aufzudecken.


(Lachen des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das sehen wir anders!)


Ich sage es ganz deutlich: Es gibt kein Problem von ge-
setzgeberischer Seite, sondern ein Umsetzungsproblem
in den Ländern. Die Hochschulen haben in vielen Län-
dern nicht den Stellenwert, der ihnen zusteht.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! Das ist auch in Hamburg so!)


Es fehlen – das zeigt auch die Empfehlung der HRK
vom 13. Mai 2014; das ist gerade einmal drei Wochen
her – die rechtlich und finanziell verlässlichen Rahmen-
bedingungen an den Hochschulen. Hier sind die Länder
in der Pflicht.

Lassen Sie mich eines deutlich machen: Die Regie-
rungskoalition von CDU, CSU und SPD hat in den ver-
gangenen Tagen beschlossen, dass der Bund zukünftig
die Kosten für das BAföG vollständig übernimmt. Damit
haben die Länder zusätzliche finanzielle Möglichkeiten,
in Schule und Hochschule zu investieren. Jetzt geht es
darum, dass die Länder dies auch tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn für den wissenschaftlichen Nachwuchs vereinbart? Gibt es Juniorprofessuren?)






Alexandra Dinges-Dierig


(A) (C)



(D)(B)

Im Bereich der Hochschulen zum Beispiel könnte mit
diesen Mitteln eine veränderte, attraktive Personalstruk-
tur aufgebaut werden.

Neben den Ländern sind bezüglich der Umsetzung
des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auch die Hoch-
schulen in der Pflicht. Herr Gehring hat gerade einige
Zahlen genannt; die sind richtig. Ich möchte aber zeigen,
dass, wenn man eine andere Auswahl von Zahlen heran-
zieht, man vielleicht zu einem anderen Ergebnis kommt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804009200

Frau Kollegin, das können Sie gerne tun, aber ab jetzt

geht das zulasten der Kollegen Ihrer Fraktion.


Alexandra Dinges-Dierig (CDU):
Rede ID: ID1804009300

Ich bin auch sofort fertig. – An den Hochschulen ha-

ben wir 53 Prozent kurzfristige Verträge, an Helmholtz-
Instituten nur 23,8 Prozent. An den Hochschulen haben
wir 11 Prozent langfristige Verträge, an Helmholtz-Insti-
tuten 50 Prozent. Das spricht für sich.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was tun Sie für die Hochschulen?)


Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz schafft einen
flexiblen Rahmen. Schwächen in der Umsetzung des
Gesetzes sind bei den Ländern und Hochschulen zu be-
heben. Der Bund will gern dabei unterstützen, dieses zu
ändern. Das werden wir mit der Änderung des Arti-
kels 91 b Grundgesetz auch tun. Die Flexibilität zu neh-
men, ist der falsche Weg. Deshalb werden wir vonseiten
der CDU/CSU, wie zu Beginn ausgeführt, den Gesetz-
entwurf ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804009400

Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804009500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Eine Novelle zum Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz ist überfällig. Es reicht aber nicht, Frau
Dinges-Dierig, nur die Schwächen zu benennen und al-
les andere schönzubeten; Sie müssen handeln.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Haben wir getan!)


Mit dem Handeln ist das bei Ihnen aber so eine Sache:
Sie kündigen an, und es passiert nichts.

Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie mit 19 ein Stu-
dium beginnen, nach Studienabschluss über vier Jahre in
20 Stunden Teilzeit mit Halbjahresverträgen bis zur Pro-
motion angestellt werden, aber real über 40 Stunden im
Labor schuften und abends zu Hause büffeln, um dann
weitere sechs Jahre mit jahresbefristeten Teilzeitverträ-
gen am wissenschaftlichen Fortschritt der Bundesrepu-
blik teilzuhaben und sich anschließend mit Quartalsver-
trägen auf Drittmittelprojekten bis zur Rente hangeln zu
müssen? Ausgebeutet und missbraucht würden Sie sich
fühlen – zu Recht. Deshalb ist es höchste Zeit, dieses
Gesetz zu hinterfragen.


(Beifall bei der LINKEN)

Mit flexibleren Forschungsmöglichkeiten und mehr

Chancen für angehende Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler begründete die letzte GroKo die Einführung
dieses Gesetzes. Was hat es für unseren wissenschaftli-
chen Nachwuchs an den Hochschulen gebracht? Nur
noch einer von zehn Wissenschaftlern hat eine feste
Stelle. 50 Prozent der Befristungen sind kürzer als ein
Jahr. Kettenbefristungen sind die bittere Realität. Damit
haben die Betroffenen oft mehr abgelaufene Arbeitsver-
träge als Lebensjahre. An den außeruniversitären For-
schungseinrichtungen ist die Situation nicht viel besser.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Doch, die ist besser!)


Und die Folgen? Es ist kein Wunder, dass Absolven-
ten die erste Chance ergreifen, in die Industrie oder ins
Ausland zu wechseln.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Was haben Sie gegen die Industrie? Wir brauchen doch auch gute Leute in der Industrie!)


Mehr Geld, mehr Anerkennung und eine planbare Zu-
kunft sind starke Argumente.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Entscheiden sich Akademikerfamilien für die Wissen-
schaft, dann wird Familienplanung verdammt schwer,
und der Kinderwunsch wird häufig zu lange aufgescho-
ben. Ignorieren Sie dies nicht länger! Sie beschädigen
die Zukunft unserer Familien.


(Beifall bei der LINKEN)

Begreifen Sie endlich, dass Sie so auch die Qualität un-
serer Hochschulen und Forschungseinrichtungen ruinie-
ren!

Die ständigen Projektbefristungen bei Verwaltungs-
angestellten und technischem Personal sind für die Linke
ebenfalls inakzeptabel. Unternehmen der freien Wirt-
schaft haben auch keine Auftragssicherheit über mehrere
Jahre. Trotzdem arbeitet die Industrie mit wesentlich
mehr Dauerverträgen. Warum? Weil es strengere Ge-
setze für Befristungen gibt. Ehrlich: Unsere Professoren
sind doch nicht unfähiger als die Manager in der Indus-
trie. Bringen wir Hochschulen und Forschungseinrich-
tungen mit härteren Befristungsvorschriften zum Ab-
schluss von Dauerverträgen! Alle Beschäftigten haben
ein Recht auf eine planbare Zukunft.


(Beifall bei der LINKEN)

Es sind erste gute Schritte, die unsere Kollegen von

Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem Gesetzentwurf vor-
schlagen: weniger Willkür bei Befristung durch die ver-
pflichtende Einbeziehung der Tarifpartner und durch ga-
rantierte Qualifizierungszeiten bei wissenschaftlichen
Befristungen. Das unterstützt die Linke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Ralph Lenkert


(A) (C)



(D)(B)

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Doktoran-
den und das gesamte Personal an Hochschulen und For-
schungseinrichtungen haben für die Linke Anspruch,
erstens, auf eine Mindestbefristungszeit der Verträge
nach Dauer der Qualifizierungsphase, jedoch mindestens
auf zwölf Monate, zweitens, bei Drittmittelprojekten auf
eine Mindestbefristung nach Projektdauer und gesicher-
ter Finanzierung, jedoch mindestens auf zwölf Monate,
und, drittens, einen rechtssicheren Anspruch auf Verlän-
gerung vereinbarter Befristungen um die Länge von Kin-
derbetreuungs- und Pflegezeiten. Wir fordern, dass bei
Drittmittelprojekten das nichtwissenschaftliche Perso-
nal unbefristete Arbeitsverträge erhält. Grundsätzlich
wollen wir die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen für
Personal in Lehre und Forschung an öffentlichen Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen für die Wiederbe-
lebung des akademischen Mittelbaus.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wird höchste Zeit, die Lehr-, Lern- und Forschungs-
bedingungen an öffentlichen Einrichtungen des Wissen-
schafts- und Forschungssystems zu verbessern. Machen
Sie da mit! Verweigern Sie sich nicht; sonst gefährden
Sie den Wissenschaftsstandort Deutschland.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804009600

Das Wort hat die Kollegin Dr. Simone Raatz für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1804009700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Gehring, ich bin schon ein bisschen verwundert,
dass Ihre Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, es wirklich
schafft, einen SPD-Gesetzentwurf aus dem vergangenen
Jahr zu 100 Prozent, nahezu wortwörtlich, als ihren eige-
nen in diese Debatte einzubringen


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine gemeinsame Bundesratsinitiative!)


und dazu nicht ein Wort zu sagen. Man kann das natür-
lich verschmitzt machen. Ich verstehe es ja. Es ist Auf-
gabe der Opposition, ein paar Themen zu setzen und zu
sagen: Guckt mal, das habt ihr vergangenes Jahr ge-
macht. – Aber Sie sollten es wirklich nicht so unkritisch
zu 100 Prozent übernehmen. Vielleicht haben Sie es
nicht ganz zu 100 Prozent übernommen. Dann sind es
99,9 Prozent; denn es sind wirklich nur zwei Punkte an-
ders und auch die haben Sie aus Vorlagen von Nord-
rhein-Westfalen und Hamburg abgeschrieben.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war eine gemeinsame Bundesratsinitiative! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Strategisches Know-how müssen Sie noch lernen!)

Ein bisschen Kreativität hätte ich mir sehr gewünscht,
weil – da stimme ich, wie viele andere auch, mit Ihnen
überein – gute Arbeit in der Wissenschaft ein ganz wich-
tiges Thema ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich denke, dass wir uns des Themas „gute Arbeit in
der Wissenschaft“ in dieser Legislatur unbedingt anneh-
men müssen. Hier wurden schon einige Argumente ge-
nannt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804009800

Kollegin Raatz, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Klein-Schmeink?


Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1804009900

Gerne.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kann ich, nachdem Sie darauf hingewiesen haben,
dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen dem entspricht,
was rot-grün regierte Länder in den Bundesrat einge-
bracht haben, davon ausgehen, dass Sie diesem Gesetz-
entwurf im weiteren Verfahren zustimmen werden?


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Mein Gott! Das ist billige Spielerei! Das ist überflüssig wie nur was!)



Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1804010000

Ich denke, Sie haben verfolgt, dass wir weiter an einer

Vorlage arbeiten werden, gemeinsam mit unserem Koali-
tionspartner. Ich werde in den paar Minuten Redezeit,
die ich habe, schon einige Punkte benennen, an denen
wir über die Bundesratsinitiative hinausgehen. Prinzi-
piell entspricht Ihr Gesetzentwurf dem vom vergangenen
Jahr, den wir damals gerne durchgebracht hätten. Aber
seitdem ist ein bisschen Zeit vergangen, und wir werden
das nun weiterentwickeln. Wir würden uns freuen, wenn
Sie uns dabei unterstützten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Im vergangenen Jahr wurde intensiv über dieses
Thema debattiert; ich war noch nicht dabei, aber konnte
die Debatte nachverfolgen. Die Zahlen haben sich seit-
dem nicht verändert: 83 Prozent der hauptberuflich täti-
gen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
an Hochschulen sind in befristeten Beschäftigungsver-
hältnissen. Auch an außeruniversitären Forschungsein-
richtungen – da muss ich meiner geschätzten Kollegin
Frau Dinges-Dierig ein klein wenig widersprechen –
sieht die Lage nicht besser aus. Sicherlich ist die Situa-
tion an einigen Instituten schon ganz gut – wir hatten ei-
nen Vertreter der Helmholtz-Gemeinschaft im Aus-
schuss zu Gast –, aber an manchen Instituten gibt es eine
Befristungsquote von 80 bis 90 Prozent. Ich kann mir
überhaupt nicht erklären, wie gerade an außeruniversitä-
ren Forschungseinrichtungen solch eine Befristungs-





Dr. Simone Raatz


(A) (C)



(D)

quote zustande kommt. Da muss dringend etwas geän-
dert werden.


(Beifall bei der SPD)


Wenn man sich einmal anschaut, wohin unsere Spit-
zenwissenschaftler gehen,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie kommen nach Deutschland!)


dann sieht man: zum großen Teil in die USA. Warum?
Wie ist da die Befristungsquote? Sie liegt bei 14 Prozent.
Das ist natürlich etwas anderes. In England liegt sie bei
28 Prozent. Ich denke, daran sollten wir uns orientieren
und auch messen lassen.

Es wurde schon gesagt: Die Hälfte der befristeten Be-
schäftigungsverhältnisse an den Einrichtungen in
Deutschland ist auf weniger als ein Jahr angelegt; über
20 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter müssen sogar mit Sechsmonatsverträgen le-
ben. Das können wir nicht fortführen.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das macht deutlich:
Hier ist etwas gewaltig aus dem Ruder gelaufen. Diesem
Missstand müssen und werden wir einen Riegel vor-
schieben. Wir werden mit der Novellierung des Wissen-
schaftszeitvertragsgesetzes – ich denke, dass wir da zu-
künftig unseren Koalitionspartner an der Seite haben –
Mindeststandards einführen; denn dies allein den Hoch-
schulen zu überlassen, hat, wie wir gesehen haben, nicht
zu dem Ergebnis geführt, das wir uns wünschen. Wir
wünschen uns für unsere Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler planbare und verlässliche Karrierewege; das
wurde hier schon gesagt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Drei unserer Kernforderungen, die sich im Gesetzes-
text wiederfinden werden, will ich an dieser Stelle be-
nennen – ich staune und freue mich, dass wir diesbezüg-
lich sogar etwas weiter sind als die Linken –:


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Was?)


Erstens. Wichtig ist für uns, dass zukünftig sowohl in
der ersten als auch in der zweiten Qualifizierungsphase
eine Vertragslaufzeit von mindestens 24 Monaten gilt.
Natürlich können Sachgründe dagegen sprechen – Sie
haben einige genannt –, aber das ist die Ausnahme.
Wenn Sachgründe dagegen sprechen, dann kann man si-
cherlich einmal davon abweichen; aber prinzipiell wol-
len wir in der Qualifizierungsphase Vertragslaufzeiten
von mindestens 24 Monaten.

Zweitens. Die Drittmittelbefristung wird zukünftig an
die Dauer der Drittmittelförderung gekoppelt. Das heißt,
bei Dreijahresverträgen gibt es einen Beschäftigungsver-
trag über drei Jahre.

Drittens ist uns die Tarifsperre sehr wichtig. Die Lin-
ken haben 12 Monate genannt. Ich gehe etwas weiter
und sage: 24 Monate. Das ist doch etwas.

(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Aber immer sicher! Ohne Ausnahme! Nicht wie bei Ihnen: mit Hintertür!)


Ich denke, das allein reicht nicht, um die Situation für
unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach-
haltig zu verbessern. Dazu gehört in jedem Fall auch,
dass die Grundfinanzierung unserer Hochschulen deut-
lich verbessert wird, um dem Stellenkürzungswahn Ein-
halt zu gebieten. In Sachsen – das ist Wahnsinn – sollen
über 1 000 Stellen gestrichen werden; keiner weiß, wie.
Dem muss Einhalt geboten werden. Wir müssen – das ist
unser Ziel – mehr dauerhafte Stellen im Hochschul- und
Forschungsbereich einrichten.


(Beifall der Abg. Gabriele Katzmarek [SPD])


Die komplette Übernahme der Kosten für das BAföG
durch den Bund wurde schon von meiner Kollegin er-
wähnt. Die Aufhebung des Kooperationsverbots steht
auch bevor. Das eröffnet zeitnah Spielräume für die Län-
der. Dieser Spielraum muss – da bin ich ganz an Ihrer
Seite – aber auch genutzt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Für Sachsen bedeutet das 84 Millionen Euro. Damit
kann man doch etwas machen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Damit muss man etwas machen!)


Bei der Verlängerung des Paktes für Forschung und
Innovation sollten wir auch daran denken, mit den außer-
universitären Forschungseinrichtungen messbare Ziel-
vereinbarungen zu treffen, die eine wirklich signifikante
Reduzierung der Befristungsquote sicherstellen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, es ist ei-
niges zu tun. Ein erster wichtiger Schritt wurde bereits
unternommen. So haben wir die Novellierung des Wis-
senschaftszeitvertragsgesetzes gemeinsam mit der Union
im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Wir sind uns also
einig, dass es hinsichtlich der prekären Beschäftigungs-
verhältnisse in der Wissenschaft einen dringenden Hand-
lungsbedarf gibt. Der nächste Schritt wird sein, gemein-
sam mit unserem Koalitionspartner und im Dialog mit
den Betroffenen und den Fachgemeinschaften von GEW
oder Verdi in den nächsten Monaten an einer Lösung zu
arbeiten, die attraktive Beschäftigungsverhältnisse
schafft und so das deutsche Wissenschaftssystem inter-
national wieder wettbewerbsfähiger macht. Anderenfalls
werden wir – das wurde schon gesagt – unsere Spitzen-
leute und guten Nachwuchswissenschaftler verlieren,
weil sie aus dem System ausscheiden oder abwandern.
Ich denke, damit wäre keinem geholfen.

Ich lade also die Fraktionen, aber auch Sie persönlich,
Herr Gehring, ganz herzlich dazu ein, sich jetzt in den
Prozess der Ausgestaltung des Wissenschaftszeitver-
tragsgesetzes konstruktiv einzubringen,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Nicht nur abschreiben, sondern mitarbeiten!)


(B)






Dr. Simone Raatz


(A) (C)



(D)(B)

und zwar nicht durch Abschreiben von Gesetzentwürfen,
sondern mit eigenen Ideen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind auf Ihre gespannt!)


Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804010100

Der Kollege Tankred Schipanski hat für die Fraktion

der CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1804010200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf

die Debatte an dieser Stelle wieder ins richtige Fahrwas-
ser führen. Insbesondere nach dem Beitrag der Linken
scheint es nötig zu sein, den Sachstand aufzuzeigen und
den Fahrplan der Koalition in dieser Frage zu skizzieren.

Lassen Sie mich Folgendes voranstellen – das wurde
schon gesagt –: Herr Gehring, ich finde es einfallslos, ei-
nen Gesetzentwurf einzubringen, der fast identisch ist
mit einer Vorlage, über die in der letzten Legislaturpe-
riode diskutiert wurde und die mit sehr guten Argumen-
ten abgelehnt worden ist.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit schlechten Argumenten!)


Von daher knüpfe ich argumentativ gerne an meine Aus-
führungen in der letzten Legislaturperiode an. Ich darf
Sie herzlich einladen, unsere Debatten vom 10. April
und vom 27. Juni letzten Jahres in den Parlamentsproto-
kollen nachzulesen. Der Eindruck, der in dieser Debatte
vermittelt wird, die Politik würde ein als wichtig erkann-
tes Problem nicht lösen, ist grob falsch. Ich finde es un-
verantwortlich, dass die Grünen hier einen solchen Ein-
druck erwecken, zumal Ihnen, lieber Herr Gehring, die
verschiedensten Maßnahmen bekannt sein müssten, da
Sie in der letzten Legislaturperiode dabei waren.

Ausgangspunkt und Impuls dieser gesamten Debatte
waren die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsge-
setzes durch die HIS GmbH im Jahre 2011 sowie der
Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs im Jahr
2013.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Zahlen habe ich Ihnen ja vorgesagt!)


Die Kernbotschaften waren damals: Dem wissenschaftli-
chen Nachwuchs in Deutschland geht es gut. Die Ar-
beitsbedingungen sind insgesamt zufriedenstellend.
Noch nie strömten mehr Wissenschaftler an unsere Uni-
versitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen. Noch nie schlossen so viele junge talentierte Men-
schen eine Promotion ab. Noch nie entschieden sich
mehr junge Menschen für eine Karriere in der Wissen-
schaft.


(Beifall bei der CDU/CSU – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was steht da drin zum Befristungsunwesen?)


Liebe Frau Raatz, die Leute verlassen Deutschland als
Forschungsstandort nicht, sondern sie kommen zu uns,
weil wir die attraktiveren Bedingungen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Berichte benennen zwei Probleme, unter denen
junge Wissenschaftler in Deutschland leiden. Das ist
zum einen die Personalstruktur, die derzeit als einziges
Karriereziel die Vollprofessur bietet.


(Dr. Simone Raatz [SPD]: Genau das müssen wir ändern!)


Das ist zum anderen die überbordende Befristungspraxis
– wir haben es gehört –: Stellensplitting, Vertragslaufzei-
ten von teilweise unter einem Jahr, Kettenverträge. Jeder
kennt Beispiele aus seinem Bekanntenkreis.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie dagegen?)


Die christlich-liberale Koalition hat daher in der letz-
ten Legislaturperiode konkrete Maßnahmen ergriffen
und vor allen Dingen mit Blick auf die Universitäten
– Sie kennen die Vorlage, die wir hier behandelt haben –
konkrete Verbesserungen vorgeschlagen. Stichwortartig
darf ich Ihnen nennen: Associate-Professuren, befristete
Assistenzprofessuren mit Tenure-Track-Option, also ein
ganz ausgewogenes Karrieremodell neben der Vollpro-
fessur und nicht irgendwelche aufgewärmten Juniorpro-
fessorenprogramme. Das sind Modelle, die sich in der
Praxis bewähren. Wir können das an der TU München
sehen, die diese Personalstruktur eingeführt hat. Das ist
praxistauglich. Jede andere Uni kann dieses Modell ein-
führen. Es bedarf keiner Änderung des Wissenschafts-
zeitvertragsgesetzes, um hier planbare Karrierepfade zu
ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum zweiten Problem, der überbordenden Befris-
tungspraxis, hat die christlich-liberale Koalition in die-
sem Hohen Hause im Jahre 2013 sowie bereits 2012 im
Ausschuss einen Antrag beschlossen, in dem wir die
Verantwortlichen auffordern, die Vertragslaufzeiten „an
die Laufzeit der Qualifikationsphase bzw. der Projekte
zu koppeln, in denen die wissenschaftlichen Nach-
wuchskräfte beschäftigt sind. … Das Stellensplitting in
Einheiten von weniger als einer halben Stelle muss gänz-
lich unterbleiben“. Wir wissen zudem um die Notwen-
digkeit, auf den immer schneller werdenden Wissen-
schaftsbetrieb mit flexiblen Personallösungen zu
reagieren. – Adressiert waren diese Forderungen an die
Forschungseinrichtungen und Hochschulen, die darauf-
hin Leitlinien erlassen haben für die Ausgestaltung
befristeter Beschäftigungsverhältnisse mit ihrem wissen-
schaftlichen Personal, sogenannte Selbstverpflichtungs-
erklärungen. Wir werden schauen, ob sich die Einrich-
tungen an diese Selbstverpflichtungserklärungen halten
oder nicht. Das evaluieren wir jetzt.





Tankred Schipanski


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Simone Raatz [SPD]: Das klappt doch nicht! Das wissen wir alle!)


Sind die Missstände in der Befristungspraxis aufgeho-
ben, werden wir nicht reagieren. Sind sie nicht aufgeho-
ben, bedarf es eventuell einer gesetzlichen Regelung.
Diese gesetzliche Regelung – meine Kollegin von der
SPD hat es angesprochen – haben wir im Koalitionsver-
trag als „flankierend“ bezeichnet.

Sie haben es angesprochen, liebe Frau Raatz: Wir
können uns auch vorstellen, dass der Bund bei der Aus-
gestaltung der Pakte lenkend einwirkt. Aber darüber
können wir erst entscheiden, wenn wir wissen, wie es
um die Selbstverpflichtungserklärungen steht. Der Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung hat in der letzten Legislaturperiode einen ähn-
lichen Gesetzentwurf diskutiert und am 12. Juni letzten
Jahres eine Sachverständigenanhörung dazu durchge-
führt. Im Rahmen dieser Anhörung wurde eindeutig auf-
gezeigt, dass mit den vorgeschlagenen Änderungen an
diesem Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein Missbrauch
der Befristungsmöglichkeiten nicht ausgeräumt werden
kann.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wurde als Fortschritt bezeichnet!)


Vielmehr müssen die einschlägigen Landeshochschulge-
setze geändert werden; Frau Dinges-Dierig hat das hier
zu Recht betont.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich waren wir in unterschiedlichen Anhörungen!)


Die damalige Expertenanhörung – das kann ich Ihnen
nicht ersparen – hat zudem gezeigt, dass der Grund für
die überbordende Befristungspraxis nicht dieses Gesetz
ist, sondern die mangelnde finanzielle Planbarkeit der
Hochschulen. Um diese zu verbessern, dürfen die Län-
der auf gar keinen Fall bei der Grundfinanzierung spa-
ren. Die Redner der Koalition haben es angesprochen:
Wir haben vereinbart, das BAföG komplett zu überneh-
men. Das ist eine milliardenschwere Entlastung der Län-
der. Das Geld können sie in die Grundfinanzierung ihrer
Hochschulen investieren. Somit setzen wir auch unser
Versprechen im Koalitionsvertrag um, uns an der Grund-
finanzierung zu beteiligen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch noch nicht mal vereinbart!)


Die Verfassungsänderung im Hinblick auf Artikel 91 b
haben wir im Blick.

Meine Damen und Herren, das sind Meilensteine in
der Wissenschaftspolitik, die natürlich auch positive
Auswirkungen auf den wissenschaftlichen Nachwuchs
haben werden. Ich darf den Grünen nur empfehlen, sich
hieran konstruktiv zu beteiligen und nicht alte Gesetz-
entwürfe aufzuwärmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann legen Sie endlich was vor!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804010300

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Dr. Daniela De

Ridder das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1804010400

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! In einer Großen Koalition ist man miteinander
verpartnert, Herr Schipanski. Das bedeutet auch – so
kenne ich das aus meiner Ehe –, dass man gelegentlich
beim Abendessen, beim Frühstück eine hitzige Diskus-
sion führt. Auf die mit Ihnen im Ausschuss, auch jen-
seits des Ausschusses, freue ich mich,


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Abends oder morgens?)


weil ich Sie gerne davon überzeugen möchte, dass wir
hier wirklich Änderungs- und Handlungsbedarf haben.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Einladung steht. Sie können das auch gleich heute
einlösen.

Heute sprechen wir aber zunächst – scheinbar – über
die Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen, die sich ja
inhaltlich weitestgehend bei jenem Gesetzentwurf be-
dient haben, den die SPD im vergangenen Jahr in dieses
Hohe Haus eingebracht hat.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gemeinsam mit den Grünen!)


– Es freut mich doch, liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, dass Sie unseren Gesetzentwurf offen-
sichtlich so klasse fanden, dass Sie ihn fast eins zu eins
übernommen haben.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja schon gehört!)


Worum ging es bei diesem Gesetzentwurf? Wir woll-
ten gegensteuern, weil im wissenschaftlichen Bereich in
der Tat prekäre Beschäftigungsverhältnisse zunehmend
zum Standard zu werden drohen. Davon werden wir Sie,
Herr Schipanski, auch noch überzeugen. Fast der ge-
samte akademische Mittelbau arbeitet nämlich befristet,
meist projektbezogen, häufig sogar mit Arbeitsvertrags-
laufzeiten von unter einem Jahr. Am Ende stehen dann
die meisten vor der ungeklärten Frage, wie ihre Jobpers-
pektiven aussehen. Gelingt der Aufstieg zur Professur,
oder folgt der Abstieg in die Arbeitslosigkeit?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Sozialdemokra-
tinnen und Sozialdemokraten haben keineswegs verges-
sen, was wir gesagt haben. Heute, ein Jahr danach, wis-
sen wir noch besser, was wir wollen. Es ist nämlich
unser Gesetzentwurf aus dem vergangenen Jahr, der die
Grundlage für die Arbeit in dieser Legislaturperiode





Dr. Daniela De Ridder


(A) (C)



(D)(B)

legt. Wie gesagt: Sie sind alle herzlich eingeladen, mit
uns darüber zu diskutieren, um mit uns für den wissen-
schaftlichen Nachwuchs den besten Weg zu entwickeln.


(Beifall bei der SPD)


Mich stimmt es sehr optimistisch, wenn wir hier zu einer
großen Übereinstimmung kommen. Die werden wir her-
stellen; davon bin ich felsenfest überzeugt. Denn es geht
um faire Arbeitsbedingungen; das wollen wir für unsere
Wissenschaft weiterentwickeln.

Beim Wissenschaftszeitvertrag, lieber Herr Gehring,
geht es um die Perspektive für die Jüngeren. Unser wis-
senschaftlicher Nachwuchs braucht bessere Arbeitsbe-
dingungen. Wer heute als junger Mensch einen sicheren
Job will, dem kann man in der Tat kaum empfehlen, an
der Uni zu bleiben.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ja!)


80 Prozent – ich wiederhole: 80 Prozent – der wissen-
schaftlich Beschäftigten unter 30 Jahren arbeiten auf be-
fristeten Stellen. Das sind die Zahlen des Statistischen
Bundesamtes. Das ist, ehrlich gesagt, alles andere als
Planbarkeit. Das gilt nicht nur für den wissenschaftli-
chen Nachwuchs, sondern umso mehr für die Universitä-
ten und Forschungseinrichtungen; denn die wollen ihre
Talente bewahren können.

Wer also Exzellenz will, insbesondere wissenschaftli-
che Exzellenz, muss lebensnahe und faire Arbeitsbedin-
gungen schaffen. Das gilt im Übrigen auch – lassen Sie
mich das aus meiner Perspektive betonen – für die Fami-
lienfreundlichkeit an Hochschulen. Schon vor rund
20 Jahren habe ich mich als Gleichstellungsbeauftragte
an einer Hochschule für mehr Familienfreundlichkeit
eingesetzt. Am Ende meiner Wünsche bin ich heute
noch lange nicht; aber das Ziel – da bin ich ganz sicher –
scheint heute näher zu rücken. Wir müssen dafür sorgen
und klarstellen, dass die sogenannte familienpolitische
Komponente deutlich häufiger angewandt wird. Die er-
laubt nämlich, dass der Arbeitsvertrag, den Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler haben, aus familiä-
ren Gründen pro Kind um jeweils zwei Jahre verlängert
werden kann. Beschäftigte – das ist unser Problem, Herr
Schipanski – haben darauf bislang aber noch keinen ver-
bindlichen Rechtsanspruch.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Leider, ja!)


Das ist ein Problem, und deshalb müssen wir hier tätig
werden und nicht nur die Länder.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/ CSU]: Steht aber nicht im Gesetz!)


– Weil es nicht im Gesetz steht, haben wir hier Hand-
lungsbedarf. Wie gesagt: Ich überzeuge Sie gern davon,
dass das eine Perspektive ist, die wir gemeinsam disku-
tieren müssen. Kommen Sie also ruhig mit mir! Ich
trinke gerne Tee oder Kaffee. Über anderes reden wir
dann noch.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Die SPD wird in der Diskussion dafür Sorge tragen
– das versichere ich Ihnen –, dass an den Hochschulen
Elternzeit, Betreuungs- und Pflegezeiten ernster genom-
men werden als bisher. Denn unser Versprechen – Sie
kennen es – lautet: gesagt, getan, gerecht. Ich lade Sie
alle, die Sie sich als Bildungspolitikerin bzw. -politiker
verstehen, dazu ein. Dies ist eine Situation, die wir her-
stellen müssen, insbesondere in der Bildungspolitik.

Wer, wie wir in der SPD, will, dass wir möglichst vie-
len jungen Menschen mehr Chancen geben, der darf
doch vor den Toren der Hochschulen nicht haltmachen.
Wer will, dass unsere Talente, unsere Wettbewerbsfähig-
keit und unser Innovationspotenzial in einer globalis-
ierten Welt konkurrenzfähig bleiben – denn darum geht
es –, der lässt nicht zu, dass der wissenschaftliche Nach-
wuchs ausgebeutet wird. Wir sollten deshalb klar benen-
nen, welche Stressfaktoren in der wissenschaftlichen Ar-
beitswelt leistungssteigernd und welche blockierend
wirken.

Wir haben – das bleibt eine Tatsache – zu viele Be-
schäftigungsverhältnisse, die am Menschen vorbei nur
negativen Stress produzieren. Deshalb brauchen wir
faire Arbeitsbedingungen. Dazu werden wir Mindest-
standards entwickeln –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804010500

Kollegin De Ridder, Sie müssen bitte zum Schluss

kommen.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1804010600

– das tue ich – und positive Anreize setzen, mit mehr

Planungssicherheit.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Das gilt im Übrigen für alle Phasen der wissenschaftli-
chen Qualifikation. Wir machen das – davon bin ich
überzeugt – gemeinsam, wohlüberlegt, zeitnah und im
Konsens. Ich lade Sie alle herzlich ein, daran mitzuwir-
ken.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804010700

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege

Dr. Wolfgang Stefinger.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Simone Raatz [SPD]: Los, Herr Stefinger, jetzt mal etwas Freundliches! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nehmen Sie meine Einladung an! Sie sind mit gemeint!)



Dr. Wolfgang Stefinger (CSU):
Rede ID: ID1804010800

Liebe Frau Kollegin De Ridder, wenn ich richtig in-

formiert bin, haben wir bereits einen Termin ausge-
macht.





Dr. Wolfgang Stefinger


(A) (C)



(D)(B)


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Michaela Noll [CDU/CSU]: Aha, jetzt hat er die beiden geoutet!)


Nach Ihrer Rede freue ich mich umso mehr auf das Mit-
tagessen mit Ihnen.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Danke schön!)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Den Beginn meiner heutigen Rede möchte ich
nutzen, um mich bei unseren Wissenschaftlern für die
Innovationskraft zu bedanken, mit der sie Deutschland
im Forschungsbereich international wettbewerbsfähig
halten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


– Ja, da darf man ruhig klatschen.

Zahlreiche Studien und Berichte der letzten Zeit bele-
gen: In vielen Bereichen ist die deutsche Wissenschaft,
sind unsere Wissenschaftler Weltspitze. Unser Wissen-
schaftssystem scheint attraktiv zu sein. Welche Zahlen
könnten dies eindrucksvoller belegen als die der auslän-
dischen Wissenschaftler, die gerne zu uns kommen, um
hier zu forschen und sich weiterzuentwickeln?

Wir wissen nämlich: Spitzenwissenschaftler gehen
dorthin, wo sie die besten Arbeitsbedingungen vorfin-
den. Sie wollen unter optimalen Bedingungen arbeiten
und Grundlagenforschung betreiben. Hervorragende Be-
dingungen bieten auch unsere außeruniversitären Ein-
richtungen. Sie genießen weltweit ein hohes Ansehen
und sind national wie international begehrte Arbeitgeber.

Ja, unsere Einrichtungen ziehen Wissenschaftler an.
Dies liegt zum einen an ihrem weltweit hervorragenden
Ruf und zum anderen auch an den Arbeitsbedingungen;
davon konnte ich mich bei meinen Besuchen in For-
schungszentren überzeugen. Denn das Ziel unserer For-
schungseinrichtungen ist und muss es sein, als attrakti-
ver Arbeitgeber im deutschen Wissenschaftssystem
wahrgenommen zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gute Entwicklungsmöglichkeiten gehören selbstver-
ständlich dazu.

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat hierfür die
Rahmenbedingungen geschaffen. Unsere Einrichtungen
wissen – davon bin ich überzeugt –, dass sie eine Verant-
wortung haben: nicht nur eine Verantwortung gegenüber
dem Staat oder den Drittmittelgebern, die für die For-
schung bewilligten Gelder zu rechtfertigen, sondern
auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft,
mit neuen Erfindungen und durch die Erforschung von
Ursachen Probleme zu lösen, Krankheiten zu bekämp-
fen, neue Technologien zu entwickeln und ressourcen-
schonende Werkstoffe zu erfinden. Sie wissen auch um
ihre Verantwortung für ihre Mitarbeiter und deren Fami-
lien. Genau diese Verantwortung spiegelt sich in den
Leitlinien der Forschungsorganisationen wider. Viele
Einrichtungen haben in diesen nämlich geregelt, dass sie
verantwortlich und nachvollziehbar mit der Befristung
von Arbeitsverhältnissen umgehen.

(Dr. Simone Raatz [SPD]: Es wäre schön, wenn sie es auch machen würden!)


Wenn ich mit den Einrichtungen spreche, dann sagen
mir diese auch: Bitte engt uns mit gesetzlichen Vorgaben
nicht zu sehr ein. Wir brauchen eine gewisse Flexibilität,
um an Themenfelder herangehen zu können.

Bei meinen Besuchen treffe ich auch Wissenschaftler,
die nur an einem Teilbereich eines Forschungsprojektes
mitarbeiten möchten und von sich aus nur sechs, acht
oder zwölf Monate mitforschen wollen.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Die kenne ich nicht!)


Hier stelle ich mir die Frage: Wollen wir für diese hoch-
motivierten Forscher wirklich eine Begründungspflicht
einführen? Brauchen wir wirklich ein Mehr an Bürokra-
tie?


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weniger Befristung brauchen wir!)


Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Gerade als jun-
ger Mensch weiß ich natürlich, wie wichtig es ist, Per-
spektiven zu haben und sich Ziele zu setzen. Natürlich
ist es notwendig, ein Stück weit berufliche Planungssi-
cherheit zu bekommen, vor allem dann, wenn es an die
Familiengründung geht. Aus diesem Grund werden bei
der Weiterentwicklung unserer großen Wissenschafts-
pakte auch verlässliche und planbare Karrierewege in
der Wissenschaft eine wichtige Rolle spielen.

Wir wollen die bisherigen Bemühungen der Wissen-
schaftsorganisationen durch eine maßvolle Novellie-
rung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes unterstützen
und nicht belasten.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Immerhin!)


Das 2007 in Kraft getretene Gesetz wurde 2011 eva-
luiert. Die gesetzlichen Befristungsvorschriften haben
sich, so das Ergebnis der Evaluation, im Grunde be-
währt.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Na, na! – Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Nicht ganz!)


Auf einer seiner nächsten Sitzungen wird sich der
Wissenschaftsrat mit den Perspektiven des wissenschaft-
lichen Nachwuchses befassen. Ich denke, dessen Stel-
lungnahme sollten wir abwarten.

Eines ist klar: Wo Anpassungen sinnvoll sind, werden
wir diese vornehmen,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist ein Wort!)


aber mit Maß und Ziel.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804010900

Ich schließe die Aussprache.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/1463 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der „United Nations
Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) auf
Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom
11. August 2006 und folgender Resolutionen,
zuletzt 2115 (2013) vom 29. August 2013 des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Drucksache 18/1417
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD])


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1804011000


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Entwicklungen in Syrien und darüber hinaus im gan-
zen Nahen und Mittleren Osten verdienen unverändert
unsere ganze Aufmerksamkeit; denn das Leiden der Be-
völkerung in Syrien geht weiter. Millionen von Flücht-
lingen haben das Land bereits verlassen und suchen Zu-
flucht in den Nachbarstaaten.

Erst kürzlich hat deshalb der Deutsche Bundestag aus
guten Gründen mit großer Mehrheit einer Beteiligung
deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz für
die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen zuge-
stimmt. Das ist aus Sicht der Bundesregierung weit mehr
als nur ein symbolischer Beitrag. Wir leisten einen akti-
ven Beitrag dafür, dass Massenvernichtungswaffen ver-
nichtet werden, und ich bin dankbar, dass es dafür eine
so große Zustimmung hier in diesem Hohen Hause gege-
ben hat. Wer dem nicht zugestimmt hat, hat hinsichtlich
der Bekämpfung von Massenvernichtungswaffen wirk-
lich jede politische Glaubwürdigkeit verloren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ursprünglich eine reine Beobachtermission, machte
UNIFIL den Waffenstillstand zwischen Israel und dem
Libanon vom 14. August 2006 erst möglich. Seitdem ist
diese robuste VN-Mission ein entscheidender Stabilitäts-
faktor in der Region.

Der Auftrag der Mission ist es letztlich, den Rahmen
für politische Lösungen offener Fragen zwischen dem
Libanon und Israel zu bieten. Es gilt, die Beziehungen
zwischen diesen beiden Nachbarn stabil zu halten und
damit zur Stabilität der gesamten Region beizutragen.
Genau das ist das, was wir tun können. Man kann als
erster Redner nicht alles vorhersehen, was nachher noch
gesagt wird. Aber wir haben heute ja schon eine Debatte
über ein Mandat gehabt, und wir haben unsere Erfahrun-
gen.

Es ist wahr: Natürlich sind die Konflikte zwischen
dem Libanon und Israel noch längst nicht gelöst. Aber
diese Konflikte hat nicht die Bundeswehr ausgelöst, die
Ursachen dafür liegen ganz woanders. Wir leisten mit
der Bundeswehr einen Beitrag für einen Rahmen zur
Konfliktlösung. Den Konflikt müssen andere lösen. Wir
tragen zur Konfliktlösung bei.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD])


Es geht aber auch konkret darum, die libanesische Re-
gierung auf Anforderung bei der Sicherung der Grenzen
zu unterstützen und zu verhindern, dass Rüstungsgüter
und sonstiges Wehrmaterial illegal in den Libanon ver-
bracht werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer
wirklich dagegen ist, dass Rüstungsgüter unkontrolliert
und illegal in ein Land verbracht werden, der muss für
dieses Mandat bzw. die Fortsetzung dieses Mandats
stimmen. Nur so kann in dieser Region ein Beitrag zur
Verhinderung der illegalen Verbringung geleistet wer-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Niels Annen [SPD] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Völliger Quatsch!)


Wir sind mit der Bundeswehr seit dem Jahr 2006 an
UNIFIL beteiligt, genauer gesagt: am damals neu aufge-
stellten Marineeinsatzverband der Mission. Auftrag un-
serer Soldatinnen und Soldaten ist es, die seeseitigen
Grenzen des Libanon zu sichern. Wichtiger Teil des
deutschen Beitrags ist aber auch der Fähigkeitsaufbau
der libanesischen Marine. Wir wollen die libanesische
Marine so weit ausbilden und ausstatten, dass sie den
Schutz der seeseitigen Grenzen künftig selbstständig
durchführen und gewährleisten kann. Es ist durch deut-
sche Unterstützung in den vergangenen Mandatszeiträu-
men bereits ein bemerkenswerter Fähigkeitsaufbau bei
der libanesischen Marine erreicht worden.

Als letztes großes Projekt wurde bisher im vergange-
nen Jahr der Aufbau der Küstenradarorganisation mit
deutschen Mitteln abgeschlossen. Heute sind acht Statio-
nen personell besetzt und bereits voll funktionsfähig.
Zusätzlich haben wir seit dem Jahr 2007 drei Patrouil-
lenboote, Schiffssicherungsausstattung, Anlagen für eine
Maschinenwerkstatt und Schulmöbel an die libanesische
Regierung übergeben. Zudem wurde eine hochmoderne
Navigations- und Radarausbildungsanlage beschafft.





Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe


(A) (C)



(D)(B)

Auch für dieses Jahr ist wieder ein wichtiges Projekt
geplant. Ressortübergreifend werden durch das Auswär-
tige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung
drei Elektronikwerkstätten sowie ein Werkstattfahrzeug
aufgebaut und ausgerüstet. Damit soll die libanesische
Marine in die Lage versetzt werden, die Ausbildung und
Durchführung von Wartung und Instandsetzung elektro-
nischer Anlagen künftig eigenständig wahrzunehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherheitslage
im Nahen und Mittleren Osten ist nach wie vor ange-
spannt. Innenpolitische Probleme vieler Länder und der
Konflikt in Syrien fordern unverändert unsere ganze
Aufmerksamkeit. UNIFIL ist dabei einer der wichtigsten
Stabilitätsanker in der Region. Er kann nicht allein die
Probleme lösen, aber er ist und er bleibt ein wichtiger
Stabilitätsanker. Deswegen ist es gut, dass wir mit unse-
ren Soldatinnen und Soldaten zu dieser Stabilität beitra-
gen.

Deswegen ist es naheliegend und nicht erstaunlich,
dass sowohl der Libanon als auch Israel eine Fortsetzung
der Mission wünschen. Sie legen ausdrücklich großen
Wert auf eine fortgesetzte deutsche Beteiligung an dieser
so nachhaltigen Mission. Gemeinsam mit ihren Kamera-
den aus 36 anderen Nationen haben unsere deutschen
Soldatinnen und Soldaten für UNIFIL viel geleistet und
für die Region eine Menge erreicht.

Unsere Soldatinnen und Soldaten auf unseren
Schnellbooten, unsere Stabs- und Unterstützungskräfte
in Limassol auf Zypern, unsere Soldaten in den Stäben
des UNIFIL Force Headquarters im Libanon sowie un-
sere Ausbilder im Libanon erfüllen die ihnen zugewiese-
nen Aufgaben gewissenhaft und erfolgreich. Sie können
stolz auf das Geleistete sein. Wir können dankbar für das
sein, was unter diesen schwierigen Bedingungen geleis-
tet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ein bisschen mehr Leidenschaft kann man erwarten!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch unsere viel-
fältigen Beiträge haben sich über die letzten acht Jahre
intensive Kontakte zwischen Deutschland und dem Li-
banon entwickelt. Deutschland wird heute als vertrau-
ensvoller Partner in der Region geschätzt. Auch in Zu-
kunft wird es noch eines starken internationalen
Engagements bedürfen, um die Lage vor Ort zu stabili-
sieren und den Aufbau der libanesischen Streitkräfte vo-
ranzubringen.

Die personelle Obergrenze für die deutsche Beteili-
gung am UNIFIL-Flottenverband wird bei 300 Soldatin-
nen und Soldaten belassen. In der Realität liegen wir
deutlich darunter. Aber es ist sicherlich sinnvoll, diese
Obergrenze zu belassen; denn sie erlaubt es uns, alle im
Rahmen des Mandats vorgesehenen Aufgaben zu erfül-
len, und sie trägt der unverändert angespannten Sicher-
heitslage in der Region Rechnung.

Wir wollen auf dem bisher Erreichten aufbauen und
weiterhin einen Beitrag zu Stabilität und Sicherheit in ei-
ner Region leisten, die in unserer Nachbarschaft liegt
und diese Stabilität im Hinblick auf eine friedliche Ent-
wicklung ganz dringend braucht. Deswegen ist es der
Wunsch der Bundesregierung, dass das Mandat für die
deutsche Beteiligung an UNIFIL um zwölf Monate ver-
längert wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-
rung bittet Sie daher um Unterstützung für diesen Antrag
im Sinne der Stabilität in unserer Nachbarregion und im
Sinne der Menschen im Nahen und Mittleren Osten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt wäre ich bald eingeschlafen! – Gegenruf von der CDU/CSU: Wir wecken Sie wieder auf!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804011100

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804011200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Staatssekretär, die Unterstützung der Linken werden Sie
auch im neunten Jahr des UNIFIL-Mandates nicht be-
kommen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei dank!)


Die Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen,
aber auch der Grünen, die diesen Einsatz immer be-
fürwortet haben, müssen sich immer dringender die
Frage stellen, ob der Aufwand – bislang hat der Einsatz
330 Millionen Euro gekostet – und der Ertrag dieses
Einsatzes in einem guten Verhältnis zueinander stehen.

Wenn wir uns den Anspruch der Mission, den Waf-
fenschmuggel vor der Küste des Libanon zu unterbin-
den, vor Augen führen, und dann den Blick darauf
richten, wie das Ganze vor Ort gehandhabt wird, dann
müssen auch dem stärksten Befürworter der globalen
Präsenz deutscher Streitkräfte eigentlich Zweifel am
Sinn des Einsatzes kommen.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ganz im Gegenteil!)


Wie sieht die Unterbindung dieses Waffenschmuggels
durch die deutsche Marine aus? Die Bundeswehr meldet
verdächtige Schiffe an die libanesische Küstenwache,
die diese dann im Rahmen ihrer eigenen Kapazitäten
durchsucht. Bei all diesen Aktionen in neun Jahren
wurde rein gar nichts gefunden. Vielleicht muss ich mich
korrigieren: Die UNIFIL-Mission hat doch etwas gefun-
den, nämlich geschmuggelte Zigaretten. Das ist zwar
auch verdienstvoll, aber ich frage mich und Sie: Recht-
fertigt dies aus Ihrer Sicht den Einsatz der Bundeswehr
vor der libanesischen Küste?


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja! Die trauen sich nicht mehr!)






Sevim Dağdelen


(A) (C)



(D)(B)

Ich denke, das ist keine Rechtfertigung. Die Linke je-
denfalls will diesen kafkaesken Einsatz beenden. Das
Geld, das für den Schiffsdiesel der Bundeswehrflottille
hinausgeblasen wird, könnte weitaus besser verwendet
werden als dafür.


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Fraktionsmittel für die Linke, oder was?)


Dass bei dem Einsatz rein gar nichts an Waffen gefun-
den wurde, ist nicht weiter verwunderlich, meine Damen
und Herren. Der Einsatz ist nämlich so angelegt, dass
nichts gefunden werden kann.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Jetzt kommen wieder Verschwörungen!)


Bei unserem Besuch letzte Woche mit Außenminister
Steinmeier im Libanon hatten wir Abgeordneten die Ge-
legenheit, die Bundeswehroffiziere der UNIFIL selbst zu
befragen. Zu unser aller Überraschung wurde uns mitge-
teilt, dass es trotz des Ausbruchs des Syrien-Krieges und
erhöhten Waffenschmuggels auch für diesen Krieg bis-
her keine gesteigerte Aktivität von UNIFIL gibt,


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein! Die Seegrenze ist dicht!)


und dies, obwohl wir wissen, dass ein Gutteil der Waffen
für den Syrien-Konflikt über den Libanon und seine
Küste kommt.

Ebenso verwunderlich ist diese Aussage vor dem
Hintergrund, dass Auseinandersetzungen im Libanon im
Kontext des Syrien-Krieges bereits über 400 Menschen
das Leben gekostet haben. Die Hisbollah jedenfalls gilt
bereits seit mehreren Jahren trotz der peniblen Kontrol-
len der Bundeswehr als viel stärker ausgerüstet als vor
dem Waffengang 2006. Auch diverse andere paramilitä-
rische Akteure im Libanon sind bis an die Zähne bewaff-
net.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Es gibt auch Landgrenzen!)


Letzteres kann man auch an den immer wiederkeh-
renden gewaltsamen Aktionen der saudi-arabisch und
vor allen Dingen US-amerikanisch finanzierten islamis-
tischen Fatah al-Islam ablesen, als Teil des Syrien-Kon-
fliktes, der in den Libanon hineingetragen wurde.

Die Bevölkerung des Libanon braucht deshalb ganz
dringend die Lösung des Syrien-Konflikts.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bevölkerung des Libanon braucht keine Bundes-
wehrschiffe vor der Küste, die nach Phantomen jagen.

Nachdem die angebliche Aufgabe von UNIFIL mitt-
lerweile schon fast in Vergessenheit geraten ist, verän-
dern Sie nun auch noch den Fokus. Die verschiedenen
westeuropäischen Soldatenkontingente wollen nämlich
jetzt verstärkt auf die Ausbildung der libanesischen Ar-
mee setzen. Was dieser neue Schwerpunkt bedeuten
könnte, haben jüngst wieder die italienischen UNIFIL-
Soldaten gezeigt. Vergangene Woche haben italienische
Soldaten zum wiederholten Mal libanesische Soldaten
im Bereich Riot Control, also in der Bekämpfung ziviler
Aufstände, ausgebildet. Was der Libanon tatsächlich
braucht, ist Hilfe für die vielen Flüchtlinge im Land und
nicht eine Armee, die das Zerschlagen von Demonstra-
tionen trainiert.


(Beifall bei der LINKEN – Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das ist ja wohl eine Unverschämtheit!)


Wenn wir heute über den Libanon sprechen, müssen
wir auch darüber sprechen, dass wir dringend eine politi-
sche Lösung des Syrien-Konflikts brauchen. Unsere li-
banesischen Gesprächspartner jedenfalls haben sich in
diesem Zusammenhang über die neue Initiative des US-
amerikanischen Präsidenten Obama zur verstärkten Auf-
rüstung der Aufständischen entsetzt gezeigt, weil sie da-
von ausgehen, dass dies die Region noch mehr destabili-
sieren und noch mehr Blutvergießen bedeuten wird. Die
Bundesregierung schweigt sich dazu bislang leider öf-
fentlich aus. Ich finde, das ist wirklich absurd. Ein Teil
der Waffen wird an der libanesischen Küste angelandet,
wo sie die Bundeswehr selbstverständlich wieder einmal
nicht finden wird. Deshalb lautet unser Appell: Beenden
Sie lieber diesen Einsatz! Die beantragten 23,6 Millio-
nen Euro für diesen UNIFIL-Einsatz wären an anderer
Stelle viel besser aufgehoben, zum Beispiel für eine sub-
stanzielle Unterstützung des libanesischen Roten Kreu-
zes oder eine stärkere Unterstützung bei der Aufnahme
von Flüchtlingen im Libanon. Der Libanon hat bei einer
Bevölkerung von rund 4 Millionen Einwohnern über
1 Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Hier und
nicht bei der Bundeswehr sollte ein substanzieller Bei-
trag geleistet werden.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN – Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Das ist doch ein substanzieller Beitrag!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804011300

Das Wort hat der Kollege Niels Annen für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1804011400

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und

Herren! Liebe Kollegin Dağdelen, Sie haben die berech-
tigte Frage nach dem Verhältnis von Aufwand zu Er-
trag gestellt. Ich glaube, diese Frage lässt sich relativ
eindeutig beantworten. Wir sollten uns zurückerinnern,
welches der Anlass für die maritime Komponente von
UNIFIL war. Ich erinnere Sie an das Jahr 2006. Damals
gab es Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Dieser
Krieg hat weit über 1 000 Tote gefordert und wichtige
Teile der libanesischen Infrastruktur zerstört und ist in
einer ökologischen Katastrophe gemündet. Frau Kolle-
gin, darf ich Sie daran erinnern, dass es der damalige und
heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier gewe-
sen ist, der mit unermüdlichen diplomatischen Anstren-
gungen mit dafür gesorgt hat, dass es zu einem Waffen-





Niels Annen


(A) (C)



(D)(B)

stillstand gekommen ist, der bis heute hält! Kernelement
dieses Waffenstillstands und der entsprechenden Verein-
barung ist die maritime Komponente von UNIFIL, über
die wir heute diskutieren. Aufwand und Ertrag stehen
also in einem hervorragenden Verhältnis zueinander,
Frau Kollegin Dağdelen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe bei der logischen Argumentation, die Sie
vorgetragen haben, genau zugehört. Sie haben aus einem
Gespräch berichtet, an dem ich teilgenommen habe. Ich
habe in den letzten Monaten zweimal die Gelegenheit
gehabt, mit UNIFIL-Soldaten zu sprechen. Bei einem
Gespräch waren Sie dabei. Das war ein Briefing am
Rande des Besuchs von Außenminister Steinmeier. In
der Tat sind bislang keine Waffen gefunden worden.
Wenn das Ziel dieser Operation ist, den Küstenschutz
insgesamt zu stabilisieren und die lokale Marine in die
Lage zu versetzen, diese Aufgabe eigenständig wahrzu-
nehmen,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das steht aber nicht im Mandat!)


und alle sagen: „Wir sind in die Lage versetzt worden
und haben in einer ganz schwierigen Situation dafür ge-
sorgt, dass dieser Seeraum inzwischen kontrolliert wird
und kein Schmuggel mehr stattfindet“, dann ist das doch
ein Erfolg und nichts, was man kritisieren sollte. Ich
finde Ihre Logik ein wenig merkwürdig.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will die Gelegenheit nutzen, auf Folgendes auf-
merksam zu machen – der Staatssekretär hat bereits da-
rauf hingewiesen –: Wir diskutieren nicht über eine iso-
lierte Mission, sondern über einen deutschen Beitrag in
einer Region, in der wir einen Konflikt erleben, der in-
zwischen biblische Ausmaße angenommen hat, eine Ka-
tastrophe von ungekannter Intensität, die uns alle hier
betrifft, wenn es um Flüchtlinge und regionale Stabilität
geht. Da haben Sie, Frau Kollegin, wie ich finde, zu
Recht auf die prekäre Lage im Libanon hingewiesen.
Man kann die Zahlen gar nicht häufig genug wiederho-
len. Es sind inzwischen über 1 Million Flüchtlinge, die
ein Land mit etwas über 4 Millionen Einwohnern auf-
nimmt. Das ist eine gigantische Leistung. An dieser
Stelle muss man vielleicht auch sagen: Ohne den Beitrag
der Vereinten Nationen und ihrer Unterorganisationen,
UNHCR, Welternährungsprogramm, aber auch UNIFIL
im Libanon, wäre dieses Land überhaupt nicht in der
Lage, mit diesem immensen Druck klarzukommen.

Deswegen will ich Ihnen Folgendes berichten: Ich
habe mir die Arbeit des deutschen Einsatzkontingentes
in Nakura angeschaut. Vielleicht erinnert sich der eine
oder andere an diesen Krieg 2006. Damals gab es eine
Vereinbarung über eine sogenannte Waffenstillstandsli-
nie. Das ist nicht die völkerrechtliche Grenze zwischen
Israel und dem Libanon, sondern es ist eine vereinbarte
Grenze, die dort markiert wird. Das ist ein ganz schwie-
riger, im Grunde genommen technischer Prozess. Es
geht darum, dass weithin sichtbare, blau angemalte Ton-
nen verankert werden, um diese Linie zu markieren.

Ich würde das nicht erläutern, wenn es sich nur um ei-
nen technischen Prozess handeln würde. Es handelt sich
um einen Prozess, auch wenn die libanesische Seite das
offiziell in dieser Form nicht eingesteht, in dem UNIFIL,
Israel und der Libanon zusammenarbeiten. Sie, Frau
Kollegin, werden bei unserer gemeinsamen Reise in den
Libanon festgestellt haben, dass dort über viele Pro-
bleme geredet worden ist; aber über ein Problem ist nicht
mehr geredet worden, nämlich über den andauernden
Konflikt mit Israel. Der Süden des Libanon ist heute
– das muss man einmal sagen – im Grunde genommen
der sicherste und stabilste Teil des Landes.

Ist der Libanon deswegen ein stabilisiertes Land?
Nein, natürlich nicht, weil die Konflikte jederzeit wieder
aufbrechen können. Aber die Präsenz von UNIFIL unter
professioneller und engagierter Beteiligung unserer
deutschen Soldatinnen und Soldaten leistet dazu einen
essenziellen Beitrag. Wir sollten dazu beitragen, dass
diese Arbeit fortgesetzt werden kann.

Deswegen will ich auf Folgendes hinweisen: Die un-
terschiedlichen Komponenten – einmal die Präsenz der
Vereinten Nationen, gerade in diesem ehemals so um-
strittenen und umkämpften Teil im Süden des Landes,
der technische Vorgang der Markierung, der ein prakti-
scher Beitrag zur Vertrauensbildung ist, und die mari-
time Komponente, über die wir hier diskutieren – gehö-
ren zusammengedacht. Deswegen ist es richtig, dass die
Bundesregierung diesen Antrag hier vorgelegt hat.
Gleichzeitig tragen wir dazu bei, dass die technischen
Fähigkeiten der libanesischen Marine verbessert werden,
dass die Soldatinnen und Soldaten ausgebildet werden,
dass technisches Gerät angeschafft und auch die Fähig-
keit vermittelt wird, dieses Gerät eigenständig zu warten
und einzusetzen. Ich halte das für ganz essenziell.

Ganz am Ende meines kurzen Beitrages will ich noch
Folgendes sagen: Die libanesische Armee genießt etwas,
was im Libanon kaum jemand genießt, nämlich Ver-
trauen von allen Seiten, und das in einem Land, in dem
es weiterhin intern massive Probleme gibt. Die soge-
nannte Antiterroroperation, begonnen in Tripoli im Nor-
den des Landes, dann in der Bekaa-Ebene und im Süden
und in der Hauptstadt des Landes fortgeführt, ist von al-
len Teilen des politischen Spektrums im Libanon mitge-
tragen worden.

Riot Control ist etwas, was die libanesische Armee
beherrschen muss, um den Terrorismus beispielsweise in
Tripoli zu bekämpfen, und zwar mit Unterstützung der
gesamten Regierung. Das ist geschehen. Wenn die italie-
nischen Soldaten dazu einen Beitrag geleistet haben, ha-
ben sie einen Beitrag zum Frieden geleistet.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804011500

Vielen Dank, Herr Kollege. – Herzlich Willkommen

von meiner Seite aus zum Endspurt.

Die nächste Rednerin ist Dr. Franziska Brantner für
Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe
Kollegen! Liebes Publikum! Aus dem Nahen Osten
kommen seit geraumer Zeit eigentlich nur schlechte
Nachrichten. Zwischen Israel und Palästina scheint nach
den gescheiterten Verhandlungen ein friedliches Neben-
einander weiter entfernt denn je, in Ägypten hat sich ge-
rade der Exmilitärchef zum Präsidenten „wählen“ las-
sen, der sich anschickt, sein Land in die Vor-Mubarak-
Ära zurückzuführen, auch in Syrien gibt es einen „Wahl-
sieger“, Baschar al-Assad, obwohl die Schreckensherr-
schaft weitergeht.

Direkt betroffen von diesem Krieg ist eben nicht nur
Jordanien, sondern auch der Libanon. Es wurde von
Niels Annen gerade schon gesagt: Vom Libanon wurden
über 1 Million Menschen aufgenommen. Jeder Fünfte
im Libanon ist Flüchtling, die Nachbarstaaten Syriens
nehmen gerade ungeheure Belastungen – so hat es Herr
Steinmeier bezeichnet – auf sich.

Leider ist nur selten Positives zu vermelden. Ich
glaube, man kann sagen, dass der UNIFIL-Einsatz, der
den Waffenstillstand zwischen Israel und dem Libanon
absichert, positive Auswirkungen hat. Man darf nicht
vergessen, was zu diesem Einsatz geführt hat. Nach jah-
relangen blutigen Auseinandersetzungen im israelisch-
libanesischen Grenzgebiet stellte dieser Einsatz, be-
schlossen im Jahr 2006, eine Möglichkeit dar, dort we-
nigstens für weniger Tote und für etwas Frieden zu sor-
gen. Man sollte auch daran erinnern, dass die meisten
Leidtragenden der Auseinandersetzungen damals Zivi-
listen waren. Viele von ihnen kamen durch diesen Kon-
flikt ums Leben.

Es geht um eine Mission, die sich in dieser sich täg-
lich weiter destabilisierenden Region um zumindest et-
was Stabilität bemüht. Ich glaube, wenn diese Mission
heute aufhören würde, würden die Spannungen zwi-
schen Israel und dem Libanon sofort wieder aufflackern,


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sofort!)


weil die Grenzstreitigkeiten noch nicht endgültig beige-
legt sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir wissen ja durch Gerüchte oder schon bewiesene
neue Informationen über Rohstoffquellen in diesem Ge-
biet, dass der Konflikt dort nach Abzug von UNIFIL be-
stimmt nicht kleiner würde; vielmehr könnte es zu einer
Verschärfung der Auseinandersetzungen über Grenzfra-
gen kommen. Deswegen ist UNIFIL heute immer noch
genauso wichtig wie zuvor.
Ein Abzug von UNIFIL wäre politisch nicht nur ein
fatales Signal für den Libanon, sondern auch für die
ganze Region. Das bedeutet nicht, wie ich finde, dass
wir der internationalen Gemeinschaft oder Europa Ver-
sagen im Hinblick auf den Konflikt in Syrien vorwerfen
müssen, auch wenn es die internationale Gemeinschaft
nicht schafft, dort für Frieden und damit für ein Ende der
wirklich grausamen Situation – sie ist nicht akzeptabel
und nicht länger ertragbar – zu sorgen. Ich habe mich ge-
wundert, als ich gelesen habe, dass Gerd Müller, immer-
hin einer unserer Minister, der Europäischen Union in
der Syrien-Krise ein Aussitzen vorgeworfen hat. Ich
habe mich da schon gefragt: Was trägt die deutsche Bun-
desregierung denn dazu bei, diesen Krieg wirklich zu be-
enden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Was ist denn der Vorschlag der Grünen? Mit Truppen dort einmarschieren, oder was? – Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Schlagen Sie doch mal was vor!)


– Wir glauben, dass man über Dialog in dieser Region
wesentlich mehr erreichen könnte und dass man sowohl
auf die russische Seite als auch auf die Partner Saudi-
Arabien und Katar wesentlich mehr Druck ausüben
müsste.


(Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Dann fangen Sie damit mal an! Sehr wegweisend!)


Beide Seiten sorgen dafür, dass der Konflikt dort anhält
und sich somit für sie lohnt, weil sie Waffen dorthin lie-
fern können. Für uns ist klar: Beide Kriegsparteien in
Syrien haben Akteure hinter sich, die dafür sorgen, dass
man von dem Krieg dort profitiert und man sich nicht
auf eine friedliche Einigung einlässt.


(Wilfried Lorenz [CDU/CSU]: Wenn Sie jetzt noch sagen, wie Sie den Druck ausüben wollen! – Gegenruf der Abg. Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jedenfalls nicht mit Waffenlieferungen!)


– Nicht mit Waffenlieferungen; die dürfen auf jeden Fall
nicht stattfinden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Erlauben Sie mir am Ende meiner Rede noch einen
kritischen Hinweis zu dem Mandat, über dessen Verlän-
gerung wir abstimmen. Nicht nur bei der Debatte über
dieses Mandat haben wir festgestellt, dass die Bundesre-
gierung im Antrag auf seine Verlängerung darauf ver-
zichtet, wichtige Angaben, zum Beispiel die völker- und
verfassungsrechtlichen Grundlagen, den Auftrag, die
einzusetzenden Fähigkeiten, den Rechtsstatus und das
Einsatzgebiet, explizit zu nennen. Stattdessen verweist
sie einfach nur auf die Fortgeltung der Regelungen der
acht Mandatsbeschlüsse seit 2006. Wir bitten wirklich
darum, dass die Bundesregierung dem Bundestag künf-
tig Mandate vorlegt, die zumindest die im Parlamentsbe-
teiligungsgesetz aufgeführten Angaben enthalten. Im In-
teresse aller Abgeordneten wünschen wir uns, dass uns





Dr. Franziska Brantner


(A) (C)



(D)(B)

diese Angaben wieder vollständig und korrekt vorgelegt
werden.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Nicht bitten, sondern fordern muss man das!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804011600

Danke, Frau Kollegin Brantner. – Nächster Redner

für die CDU/CSU-Fraktion ist Philipp Mißfelder.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804011700

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau

Dr. Brantner, ich kann mich noch daran erinnern, dass
vor nicht allzu langer Zeit hier einmal eine Abgeordnete
– sie ist heute Ministerin – gestanden und ein Lied ge-
sungen hat; singen kann ich nicht so gut wie sie. Ich
kann nur sagen, dass der Inhalt des Liedtextes in etwa
dem entsprach, was Sie gerade an außenpolitischer Kon-
zeption aufgezeigt haben: Sie malen sich die Welt, wie
es Ihnen gefällt. Nichts anderes machen Sie.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn?)


Den wegweisenden und bahnbrechenden Hinweis, man
solle jetzt auf Dialog setzen, nehmen wir gern auf. Nur:
Das tun wir seit Ausbruch des Konflikts.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn?)


Angesichts dessen bin da ein bisschen sprachlos. Ich
weiß nicht, was wir da noch tun sollen. Ich weiß nicht,
wie lange Sie jetzt schon dabei sind, Frau Brantner – ich
habe nicht im Volkshandbuch nachgesehen –, aber lassen
Sie sich von einem zweifellos älteren Abgeordneten sa-
gen:


(Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ist Ihnen das Argument nicht zu billig?)


Auch in der vorherigen Koalition haben wir auf Dialog
gesetzt. Ich habe hier schon mehrmals zum Thema ge-
sprochen, das letzte Mal vor ein paar Tagen, als wir den
gemeinsamen Antrag zu Syrien auf den Weg zu bringen
versucht haben.

Der Konflikt, was Syrien angeht, hat sich natürlich
auch insgesamt verändert. Man ging von einer ganz an-
deren Ausgangssituation aus. Wir haben über Monate
hinweg Treffen mit den sogenannten Friends of Syria ge-
habt, die wir für die – in Anführungszeichen – „Richti-
gen“ gehalten haben, zumindest für solche, die hehre
Motive für die Zukunft ihres Landes haben. Nur: Wäh-
renddessen hat sich der Konflikt verändert, wie Sie ja
selbst sagen. Von außerhalb des Landes sind zusätzliche
Spieler hinzugekommen – mit eigenen Interessen und
mit einer eigenen Agenda.
Die Alternative zu unserer Dialogbereitschaft damals
wäre Intervention gewesen. So schlimm das Leid in
Syrien auch ist: Ich bin froh, dass wir nicht interveniert
haben, weil ich mir sicher bin, die Situation wäre da-
durch nicht besser geworden.


(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Deshalb sage ich, dass es von uns richtig war, von An-
fang an die militärische Option vom Tisch zu nehmen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804011800

Herr Mißfelder, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung des Kollegen Omid Nouripour? Er ist ein
bisschen älter als Sie.


(Heiterkeit)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804011900

Selbstverständlich, Frau Präsidentin.


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Aber er schaut jünger aus! – Heiterkeit – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat noch nie jemand über mich gesagt!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804012000

Wollen Sie eine Bemerkung dazu machen, Herr

Mißfelder? – Nein. Gut.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804012100

Nein; ich nehme das einfach so hin.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804012200

Herr Nouripour, bitte.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804012300

Herr Kollege Mißfelder, herzlichen Dank, dass Sie

die Zwischenfrage zulassen.


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804012400

Selbstverständlich.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804012500

Ich glaube nicht, dass jemand im Hohen Hause sagen

würde: Es gibt eine klare militärische Lösung für die Si-
tuation in Syrien. – Aber das, was die Kollegin Brantner
angesprochen hat, blieb unbeantwortet. Die Frage war
doch – und das ist gerade auch aus Ihren Reihen gekom-
men –: Wie kann man denn Druck auf Staaten machen,
die doch einiges an Unheil ins Land bringen? Zu nennen
sind auf der einen Seite die Russen und die Iraner, auf
der anderen Seite die Golfstaaten. Wir sagen ja – nicht
meine Fraktion, aber die Bundesrepublik sagt es die
ganze Zeit –, dass genau diese Golfstaaten unsere Part-
ner sind.

Also: Welche Vorstellung haben Sie davon, wie wir
Druck auf Saudi-Arabien und Katar machen können?
Das sind Staaten, von denen wir wissen, dass sie, wäh-
rend wir ihnen gleichzeitig Waffen liefern, Gruppierun-
gen finanzieren, die nicht nur Terror nach Syrien brin-





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

gen, sondern auch in Ländern wie Afghanistan oder Mali
Gruppen finanzieren, die auf Bundeswehrsoldaten schie-
ßen. Wie wollen Sie diesen Druck überhaupt aufbauen
und aufrechterhalten?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804012600

Sie sprechen die Problematik zu Recht an. Das betrifft

unsere Partner in Peace und unsere Partner im Kampf
gegen den internationalen Terrorismus ganz klar. Die Ja-
nusköpfigkeit manch unserer Partner in der Region ist
uns schon bewusst. Sie ist ja auch Ihnen bekannt; Sie
sind ja bei den Besprechungen dabei, Herr Kollege
Nouripour.

An einer Stelle muss ich Sie korrigieren. Wenn Sie
per se sagen: „Saudi-Arabien unterstützt das, Katar un-
terstützt das“, dann ist das nicht ganz korrekt; das wissen
Sie selbst. Es sind zum Teil Einzelpersonen, die konkrete
Aktionen unterstützen. Ich würde sie nicht gleichsetzen
mit dem Staat. Davor würde ich warnen. Das ist gerade
der Balanceakt, den man in der gesamten Golfregion
schaffen muss. Es ist ja so, dass wir die Golfstaaten nicht
als Partner abschreiben wollen, sondern mit ihnen zu-
sammenarbeiten wollen, wissend, dass es schwierige
Partner sind und dass Einzelpersonen, wenn nicht sogar
größere Gruppierungen in einzelnen Ländern, Leute, die
sehr viel Einfluss haben, konkret hinter solchen Aktio-
nen stecken. Wir können die ja zum Teil genau lokalisie-
ren und auch konkret benennen, wer das ist. Aber ich
würde trotzdem nicht sagen: Der Staat Saudi-Arabien
selbst ist hier die treibende Kraft. – Das würde ich schon
differenzierter darstellen. Was die Art und Weise der Zu-
sammenarbeit angeht: Ich kann Ihnen da – wir haben da-
rüber schon oft gesprochen – nur recht geben. Es gibt
halt kein Schwarz und Weiß in dieser Region; es gibt
aber Interessen.

Wir reden hier über UNIFIL. Denken Sie nur daran
zurück, wie UNIFIL auf den Weg gekommen ist.
UNIFIL ist – Niels Annen hat es angesprochen – auf den
Weg gekommen, weil wir damals einen Beitrag dazu
leisten wollten, das Existenzrecht des jüdischen Staates
Israel zu sichern. Das war der Ausgangspunkt. Bei uns
lief die Debatte damals eigentlich in die falsche Rich-
tung. Bei uns haben alle ausgeschlossen, dass Deutsch-
land in dieser Region militärisch tätig werden könne,
während der damalige israelische Premierminister
Olmert uns öffentlich aufgefordert, eingeladen und drin-
gend gebeten hat, tätig zu werden. Wir wurden tätig,
aber nicht mit Landstreitkräften, sondern mittels eines
sehr moderaten und, wie ich finde, gelungenen Beitrages
im Rahmen von UNIFIL. Deshalb ist dieses Mandat
auch eine Erfolgsgeschichte.

Wenn wir über die Region insgesamt reden, dann dür-
fen wir die deutschen Interessen nicht außen vor lassen.
Dazu gehören auch wirtschaftliche Interessen und vieler-
lei andere Aspekte. Definitiv gehört aber auch der
Schutz Israels dazu.

Wir beschäftigen uns mit der Menschenrechtssitua-
tion in Saudi-Arabien eingehend. Es ist zum Teil sehr
schwer nachvollziehbar, was dort passiert. Aber aus stra-
tegischen Gründen gilt: Saudi-Arabien ist und bleibt ein
wichtiger Verbündeter und Partner für uns, wenn es da-
rum geht, den Hegemon Iran teilweise in seine Schran-
ken zu weisen. Das möchte ich an dieser Stelle deutlich
sagen. In welchem Grad Unterstützung und Kooperation
stattfinden kann, das wird im Bundessicherheitsrat – das
steht ja in der Zeitung – offenbar sehr lebhaft diskutiert.
Wir im Parlament spiegeln diese Diskussion wider und
tun uns deshalb mit Rüstungsexporten insgesamt sehr
schwer. Niemand trifft hier leichtfertige Entscheidungen.

Ich komme zum UNIFIL-Mandat zurück. Ich halte
dieses Mandat, wie gesagt – ich wiederhole mich – nach
wie vor für eine Erfolgsgeschichte. Es zeigt, wie einsatz-
fähig unsere Streitkräfte mittlerweile sind und zu welch
großartigen Leistungen sie in der Lage sind. Ich sehe
diesen Einsatz auch deswegen als Erfolgsgeschichte an,
weil es nicht jeden Tag Vorkommnisse gibt. Ehrlich ge-
sagt, wünsche ich mir das auch nicht. Lieber berate ich
hier über ein Mandat, bei dem es nur wenige Zwischen-
fälle gibt und das nach außen weniger spektakulär zu
sein scheint. Ich werte dieses Mandat also als vollen Er-
folg und sage im Namen meiner Fraktion die Unterstüt-
zung für dieses Mandat zu.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804012700

Vielen Dank, Herr Kollege Mißfelder. – Nächster

Redner ist Thomas Hitschler für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Hitschler (SPD):
Rede ID: ID1804012800


Sie sagten viel, sie schrieben viel,
Tränenschiffe und Seidenlandschaften.
Gedichte, die das Ende der Erde erreichten,
verwundete Gedichte.

Sie sagten: Die Heimat des Taubengurrens verfällt,
die Heimat der Zeit, die abermals baute und lehrte.
Und die Erde weinte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Diese Zeilen stammen von der libanesischen
Sängerin Fairuz. 1978 veröffentlichte sie das Lied „Der
Vogel kehrt zurück“, zu einer Zeit, als sich ihr Heimat-
land mitten in einem blutigen Bürgerkrieg befand.
Fairuz hat sich damals bewusst nicht für eine Seite ent-
schieden. Sie engagiert sich für die Einheit von Norden
und Süden, von Arm und Reich, von allen Menschen im
Libanon und für den Frieden. Dies ist ein wichtiger Bei-
trag in einem Land, das wie kaum ein anderes in der Re-
gion von verschiedenen Konfliktlinien durchzogen und
geteilt wird. Nicht zuletzt deshalb gilt Fairuz als eine der
beliebtesten und am meisten respektierten Persönlichkei-
ten in der arabischen Welt.

Im Jahr 1978 startete die Mission UNIFIL, über die
wir gerade beraten. Heute ist es jedoch der Bürgerkrieg
im benachbarten Syrien, der die Sicherheit im Libanon
bedroht – zusätzlich zu allen anderen Problemen, die





Thomas Hitschler


(A) (C)



(D)(B)

dieses Land hat. Wir haben die Zahlen heute schon das
eine oder andere Mal gehört: Etwa 1 Million Flüchtlinge
aus Syrien sind im Libanon, eine enorme Belastung für
ein Land mit gerade einmal 4 Millionen Einwohnern.
Zum Vergleich: Deutschland müsste die gesamte Bevöl-
kerung Australiens aufnehmen, um eine ähnliche Quote
zu erreichen.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Die Australier wollen aber nicht!)


Bei uns finden aber gerade einmal 40 000 syrische
Flüchtlinge Zuflucht. Ich meine, Deutschland müsste da
einiges mehr tun. Frank-Walter Steinmeier hat in der
vergangenen Woche angekündigt, mehr Menschen aus
Syrien nach Deutschland zu holen und ihnen damit
Schutz zu gewähren. Gut, wieder einen echten Außen-
minister zu haben, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)


Es muss auch unser Anliegen sein, den Libanon zu
entlasten. Die großen Flüchtlingsströme haben enorme
Auswirkungen auf die Lage der Gesellschaft, Auswir-
kungen auf das fragile Gleichgewicht zwischen den
Konfessionen. Auch hier müssen wir helfen.

Die Syrienkrise hat auch enorme Auswirkungen auf
die wirtschaftliche Entwicklung des Libanon, und sie ist
in hohem Maße sicherheitsrelevant, nicht nur, weil die
Hisbollah an der Seite Assads und sunnitische Kräfte
aufseiten der Rebellen direkt in den Konflikt eingreifen.
Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass der syrische
Bürgerkrieg noch nicht auf den Libanon übergegriffen
hat.

Die aktuelle Situation im Libanon gleicht, wenn man
das vergleichen darf, dem Spiel „Jenga“, bei dem man
kleine Bausteine aus einem Turm ziehen muss. Wenn der
Turm umfällt, hat man verloren. Nur gewinnen würde im
Libanon niemand. Mit den genannten Konfliktlinien, mit
Akteuren wie der Hisbollah, mit den demografischen,
wirtschaftlichen und sozialen Problemen und dem Bür-
gerkrieg vor der eigenen Haustür schwankt der libanesi-
sche Turm gewaltig. UNIFIL mag dabei nur ein kleiner,
ein stabilisierender Baustein sein. Wer ihn in dieser Si-
tuation jedoch wieder herauszieht, riskiert den Zusam-
mensturz des gesamten fragilen Gebildes mit schlimmen
Folgen für die Region.


(Beifall der Abg. Gabi Weber [SPD])


UNIFIL ist ein Beitrag zu mehr Stabilität. Bei allen
Zwischenfällen an den libanesischen Grenzen möchte
ich mir nicht ausmalen, wie die Lage ohne die Mission
aussehen würde. Dass sich die libanesische und die is-
raelische Armee bei regelmäßigen Treffen im UNIFIL-
Hauptquartier direkt austauschen können, ist ein von al-
len Seiten hochgeschätzter Beitrag zu mehr Stabilität.
Der Aufbau der Marine mit dem Ziel einer eigenständi-
gen Sicherung der Seegrenzen ist ein langfristiger Bei-
trag zu mehr Stabilität.

Wir müssen die Kräfte in der Region stärken, die sich
für mehr Stabilität einsetzen. Wir müssen den Dialog
und die Zusammenarbeit zwischen allen gesellschaftlich
relevanten Akteuren unterstützen. Und wir müssen wei-
terhin helfen, tragfähige Sicherheitsstrukturen aufzu-
bauen. Dazu wird auch der deutsche Beitrag zu UNIFIL
benötigt, der sowohl von den Vereinten Nationen als
auch von der libanesischen und der israelischen Regie-
rung ausdrücklich begrüßt wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Mission UNIFIL
ist eine der ältesten UN-Missionen überhaupt. Ange-
sichts dieser langen Zeit wäre es naiv, zu hoffen, dass sie
schon bald überflüssig sein könnte. Nicht aufgeben will
ich aber die Hoffnung, dass ein erneuter Bürgerkrieg im
Libanon verhindert werden kann, dass der Frieden und
die Vögel zurückkehren bzw., um es mit den Worten von
Fairuz zu sagen:

Aber wir kehren zurück.
Wir kehren aus Bränden zurück.
Aus Straßen unter Geschossen.
Der wahre Libanon kehrt zurück,
räumt gefärbte Geschichte
und falsche Versprechen weg.
Und der Winter nimmt sie fort.
Liebe Heimat,
der Fluss glüht vor Freude,
und mit der Morgendämmerung wird das Leben
strahlen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804012900

Vielen Dank, Herr Kollege, auch für die schönen Zi-

tate, die Sie gebracht haben. Wie heißt das Spiel, das Sie
genannt haben? Ich habe neugierige Blicke gesehen.


Thomas Hitschler (SPD):
Rede ID: ID1804013000

Jenga.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804013100

Jenga. Gut, beim nächsten Mal werden wir es spielen.

Mal schauen, welcher Turm dann einstürzt.

Letzter Redner in der Debatte ist Florian Hahn für die
CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1804013200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bevor ich zum Thema komme, möchte ich
kurz Stellung nehmen zu dem Zwischenruf, den ich vor-
hin gemacht habe. Ich möchte nämlich nicht, dass der
Kollege Mißfelder frustriert in die Ferien geht. Ich
meinte natürlich, dass der Kollege Nouripour jünger aus-
sieht, als er ist. Das war nicht auf dich gemünzt, lieber
Philipp; nur, damit da nichts aufkommt.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD):

Aha!)

Als letzter Redner vor den Pfingstferien, darf ich viel-
leicht eins sagen: Spätestens nach Ihrer Rede, Frau
Dağdelen, bin ich urlaubsreif. Die Mischung aus Ideolo-
gie, Weltverschwörungstheorie und Unsinn ist so un-





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)

glaublich anstrengend – das war leider nicht das erste
Mal in dieser Woche –, dass ich froh bin, dass wir gleich
in die Ferien gehen können.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Von mir aus können Sie sofort gehen!)


Meine Damen und Herren, wenn wir über die interna-
tionalen Mandate sprechen, stellen wir naturgemäß den
deutschen Beitrag ganz besonders heraus. Ich möchte
aber heute mit Brasilien beginnen. Wenn man über Bra-
silien redet – aktuell denkt man hier vor allem an den
Fußball und die kommende Fußballweltmeisterschaft;
darüber hinaus fallen einem vielleicht noch andere Bra-
silienklischees ein –, vergisst man meistens, dass es um
ein aufstrebendes Schwellenland geht, das internationale
Verantwortung übernimmt und sich im Rahmen der Ver-
einten Nationen militärisch engagiert. Schon seit Anfang
2011 führt Brasilien den Flottenverband, die Maritime
Task Force, im Rahmen von UNIFIL an. Dafür möchte
ich an dieser Stelle Brasilien ganz herzlich danken.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daneben sind noch viele andere Nationen vor der
Küste des Libanon beteiligt. Insgesamt haben schon
15 Nationen die Maritime Task Force unterstützt. Zur-
zeit sind etwa 10 500 Soldatinnen und Soldaten im
UNIFIL-Einsatz, davon etwa 1 000 im Flottenverband.
Dieser besteht aus drei Fregatten aus Brasilien, Indone-
sien und Bangladesch sowie vier Patrouillenbooten aus
Bangladesch, der Türkei, Griechenland und Deutsch-
land. Hier ist das Schnellboot „Wiesel“ unterwegs.

Die Operation UNIFIL dient als Friedensmission zum
einen der Begleitung der Waffenruhe zwischen dem Li-
banon und Israel und zum anderen der Unterstützung der
libanesischen Regierung bei der Grenzsicherung. Der
deutsche Beitrag dient im Schwerpunkt dem Ausbau der
Fähigkeiten der libanesischen Marine, Küste und Terri-
torialgewässer zu überwachen, damit sie sie irgendwann
einmal selbstständig überwachen kann. Unsere Beteili-
gung soll bis zum 30. Juni 2015 mit einer unveränderten
Personalobergrenze von 300 Soldatinnen und Soldaten
fortgesetzt werden.

UNIFIL war bislang erfolgreich. Die Mission ist aber
noch nicht abgeschlossen. Damit ein nachhaltiger Erfolg
sichtbar wird, müssen wir das Engagement fortsetzen.
Aufbau und Training der libanesischen Marine sind
wichtig, damit der Libanon seine Sicherheitsaufgaben
künftig eigenverantwortlich wahrnehmen kann. Hierbei
wurden erste Erfolge erzielt.

Hervorzuheben ist, dass Israel ebenso wie die libane-
sische Regierung und die Vereinten Nationen weiterhin
größten Wert auf eine deutsche Beteiligung am UNIFIL-
Flottenverband legen. UNIFIL wird auch als Forum für
Vertrauensbildung und Austausch zwischen Israel und
Libanon genutzt.
Die Beteiligung am Flottenverband ist – wie bei prak-
tisch allen unseren Mandaten – nur ein Teil eines umfas-
senderen Engagements für den Libanon und die gesamte
Region. Deutschland hilft dem Libanon bei der Durch-
führung des nationalen Dialogs, beim Hariri-Tribunal,
bei der Verbesserung der Flüchtlingssituation, bei der
Grenzsicherung, beim Wiederaufbau der Wasser- und
Abwasserinfrastruktur sowie bei der Berufsausbildung.

Der deutsche Beitrag im Rahmen von UNIFIL ist ein
wichtiges Element im Hilfskonzept für den Libanon und
die Region. Für mich ist er durch den klar greifbaren
Nutzen, die erkennbaren Fortschritte bei der libanesi-
schen Marine, ein besonders überzeugender Beitrag.
Wie bei vielen anderen Einsätzen zeigt sich auch hier,
wie viel man mit einem konsequenten und durchdachten
Einsatz bewegen kann. Dies wird auch auf libanesischer
Seite anerkannt. Gerade in dieser zerrissenen Region, in
diesem Land am Abgrund, ist dieses enge Zusammen-
wirken ein kleines, ermutigendes Signal.

Hier ist in den Jahren seit 2006 nicht nur eine pro-
fessionelle Beziehung vertieft worden, sondern auch
Freundschaft gewachsen. Im letzten November pflanz-
ten deutsche und libanesische Soldaten im Marinestütz-
punkt Beirut eine deutsche Steineiche als Geschenk an
die libanesische Marine. Der deutsche UNIFIL-Kon-
tingentführer merkte an: „Wir pflanzen einen jungen
Baum, der so groß und stark werden soll wie die Freund-
schaft zwischen unseren Marinen“. Die Tafel neben dem
Baum trägt die Inschrift: „Wo Freunde sind, da ist
Reichtum“.

Ich wünsche Ihnen allen schöne Pfingstferien.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804013300

Vielen Dank, Herr Kollege Hahn.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1417 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ja. Dann ist die Überweisung so beschlos-
sen.

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Dienstag, den 24. Juni 2014, 10 Uhr, ein.

Ich wünsche Ihnen, meine Kolleginnen und Kollegen,
aber auch unseren Gästen und den Mitarbeitern des Hau-
ses ruhige, friedliche und schöne Pfingsttage. Wer daran
glaubt: Hoffentlich schickt uns der Heilige Geist ziem-
lich viel Erleuchtung. Schöne Pfingsten und bis zum
nächsten Mal!

Die Sitzung ist geschlossen.