Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur 150. Plenarsitzung in der
laufenden Legislaturperiode, die hoffentlich die letzte in
diesem Jahr sein wird.
Wir beginnen mit dem vereinbarten Zusatzpunkt 9:
Abgabe einer Regierungserklärung durch den
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
zu den Ergebnissen des Klimagipfels in Dur-
ban
Hierzu liegt ein gemeinsamer Entschließungsantrag
der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 90 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit Dr. Norbert Röttgen.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! In den Morgenstunden des vergangenen Sonntags,
des dritten Advents, ist die bislang längste Klimakonfe-
renz nach nächtelangen Verhandlungen zu Ende gegan-
gen. Circa 20 000 Personen waren akkreditiert. Über
zwei Wochen wurde verhandelt. Gerade wegen der Auf-
merksamkeit, die diese Konferenz weltweit bekommen
hat, möchte ich betonen, dass die Konferenz nicht die ei-
gentliche Sache ist und dass man die Konferenz nicht
nur aus sich heraus bewerten darf, wenn man dem
Thema gerecht werden möchte.
Die Konferenz ist nicht die Sache selbst. Die Sache
selbst ist der Klimaschutz. Auch mit den Ergebnissen
)
denen ich eben gesprochen habe, sind keine Verursacher
– so gut wie nicht –, aber sie sind die Betroffenen.
Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit in der Per-
spektive, die die Menschen und die Menschheit haben.
Ich glaube, dass die Vorstellung realistisch ist, dass die
Atmosphäre ein begrenzter Deponieraum für die Auf-
nahme von Treibhausgasen wie CO2 ist. Wenn wenige
Länder durch ihre Entwicklung, durch ihre Art des Le-
bens und Wirtschaftens diesen Deponieraum auffüllen,
dann schneiden wir Milliarden Menschen von der Per-
spektive einer persönlich, wirtschaftlich und individuell
guten Entwicklung ab.
Es geht um die Frage nach globaler Gerechtigkeit, die
aber immer ein menschliches Gesicht hat. Es geht also
um die Abwehr einer fundamentalen Bedrohung für die
Menschen und die Menschheit. Parallel dazu geht es um
die enormen wirtschaftlichen Chancen.
Das ist nicht nur ein defensiver Ansatz, etwas zu ver-
hindern, sondern wenn man die Begrenzung der natürli-
chen Lebensgrundlagen und des Deponieraumes in ein
intelligentes, zukunftsfähiges, nachhaltiges System des
Wirtschaftens einführt, dann entsteht dort auch ein ganz
neuer Wettbewerb, und dann werden diejenigen, die sich
kulturell und technologisch darauf einstellen, die wirt-
schaftlichen Gewinner dieses Jahrhunderts werden. Es
geht um enorme wirtschaftliche Chancen. Man darf sa-
gen, dass wir diese wirtschaftlichen Chancen nutzen
wollen. Das ist ausdrückliches Ziel unserer Politik, für
Deutschland und für Europa in ganz besonderer Weise.
Weil die fundamentale Bedrohung wie die fundamen-
tale Chance und die neue Orientierung von Wirtschaft,
Wettbewerb und Modernisierung so bestehen, haben wir,
die Deutschen und die Europäer, hart verhandelt. Wir ha-
ben uns den Forderungen, Europa solle in jedem Falle
eine zweite Verpflichtungsperiode des Kioto-Protokolls
eingehen – sie sind auch in diesem Haus gestellt worden –,
nicht angeschlossen, mit einem Risiko.
– Herr Trittin sagt: „Das war ein Fehler.“ Nein, es war
kein Fehler. Es war ein Risiko, und zwar das Risiko, dass
die Region Europa, die als einzige Region weltweit
wirklich entschlossen und bereit ist, Verpflichtungen
einzugehen, am Ende noch den Schwarzen Peter be-
kommt, wenn man sich nicht einigt. Dieses diplomati-
sche, außenpolitische Risiko sind wir eingegangen. Wir
sind es übrigens mit großer Unterstützung auch der na-
tionalen und internationalen Umwelt- und Klimaschutz-
verbände eingegangen, weil es ein Scheitern gewesen
wäre, wenn wir uns damit zufriedengegeben hätten, dass
sich nur einige wenige Länder, dass sich nur Europa ver-
pflichtet.
Die Europäische Union und einige zusätzliche Länder
wie Norwegen und die Schweiz decken circa 15 Prozent
der globalen Treibhausgasemissionen ab. Mit einem Re-
gelungsregime, das nur 15 Prozent der Verursacher und
der Verursachung erfasst, können wir nicht 100 Prozent
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as haben die Bundesregierung und die Europäische
nion gemeinsam so verhandelt und auch aufrechterhal-
n.
Ich komme damit zu der Rolle, die Europa auf dieser
onferenz gespielt hat und die ich hervorheben möchte.
ir debattieren in unserer Zeit fast nur über Europa. Eu-
pa hat auf dieser Konferenz etwas gezeigt, was aus
einer Sicht, nebenbei bemerkt, der tiefste Grund für all
nsere Euro-politischen und europapolitischen Debatten
t: Wir haben zusammengehalten. Europa agierte ge-
chlossen. Europa hat mit einer Stimme gesprochen.
eil das so war, war Europa der prägende, konstruktive
art auf dieser Konferenz. Ich glaube, diesen Erfolg
ann man mit großem Glück feststellen.
Europa hat diese Konferenz positiv, konstruktiv ge-
rägt, weil wir unter polnischer Ratspräsidentschaft zu-
ammen mit der Kommission und den Mitgliedsländern
eschlossen agiert haben, weil wir glaubwürdig sind
Europa hat nicht in erster Linie von anderen etwas ver-
ngt, sondern Europa hat gesagt, andere Länder, insbe-
ondere die Schwellenländer, müssen zu dem bereit sein,
u dem wir selbstverständlich auch bereit sind – und
eil wir entschieden waren, nicht alles mitzumachen,
nd eine klare Position vertreten haben.
Ich habe die polnische Ratspräsidentschaft und die
ommission erwähnt, Dänemark, das die kommende
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das alles
ind unsere engsten Partner neben anderen Ländern, aber
h möchte auch hier betonen, dass es auf dem Gebiet
er Klimapolitik eine engste, vertrauensvollste und
uchtbarste Zusammenarbeit insbesondere auch mit
em Vereinigten Königreich gibt. Auf diesem Gebiet ha-
en wir eine besonders enge und wirkungsvolle Partner-
chaft.
Ein Teil und ein wesentliches Element dieser europäi-
chen Strategie, die wir hatten und die funktioniert hat,
eben der Geschlossenheit war, dass wir erstmalig eine
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 17993
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
)
)
strategische Partnerschaft Europas mit den am wenigsten
entwickelten Ländern dieser Welt und mit den sogenann-
ten kleinen Inselstaaten, AOSIS, entwickelt haben, ein-
gegangen sind und auch zur Geltung gebracht haben.
Ohne diese Partnerschaft, ohne das politische und mora-
lische Gewicht dieser Länder und Europas wäre der Er-
folg nicht erreicht worden.
Wir hätten es alleine nicht geschafft. Nur zusammen
mit so kleinen und unter machtpolitischen Gesichtspunk-
ten bedeutungslosen Ländern, die aber eine authentische
Stimme der Betroffenheit und des ehrlichen Engage-
ments haben, wurde dieser Erfolg erreicht, weil die soge-
nannten BASIC-Staaten China, Indien, Brasilien und
auch Südafrika, das die Präsidentschaft innehatte, von
deren Stimme und von deren Anklage – „Ihr lasst uns im
Stich“ – beeindruckt waren.
Darum möchte ich hier sagen – ich glaube, dass wir
darin übereinstimmen; es war ja auch eine Delegation
des Bundestages dort –: Diese strategische Partnerschaft
wird über den Tag dieser Konferenz hinaus Bedeutung
haben. Sie muss sie haben; denn sie ist ein ganz wesent-
licher Ertrag, den wir mit unserer internationalen Klima-
diplomatie erreicht haben. Wir werden diese Partner-
schaft weiter pflegen und einsetzen, weil sie weiterhin
erfolgreich und notwendig sein wird.
Ich möchte auf die einzelnen wichtigsten Ergebnisse
der Konferenz eingehen, sie darstellen und natürlich
auch bewerten. Das, was aus meiner Sicht, aus deutscher
Sicht, aus europäischer Sicht den Erfolg schlechthin aus-
macht, ist, dass es nunmehr ein globales Klimaschutzab-
kommen für alle Länder geben wird. Es war das zentrale
Ziel unserer Verhandlungen, dass es ein Regelungssys-
tem gibt, ein – wir kennen die Redewendung aus den
Kopenhagener Vorverhandlungen und Verhandlungen –
bindendes Rechtsinstrument für alle. Das ist eine funda-
mentale Neuordnung der internationalen Klimapolitik.
Sie war bislang davon geprägt, dass es die Verpflich-
tungen einiger weniger Industrieländer gibt, aus denen
sich immer mehr Industrieländer zurückgezogen haben.
Wir alle haben das inakzeptable Verhalten von Kanada
jetzt zur Kenntnis nehmen müssen, nicht nur die Ankün-
digung wahrzumachen, an einer zweiten Periode nicht
teilzunehmen, sondern auch aus der bestehenden völker-
rechtlichen Verpflichtung der laufenden Verpflichtungs-
periode auszusteigen. Das heißt, es gibt immer weniger
Industrieländer, die tatsächlich zu etwas bereit sind, und
immer mehr Länder, die als Maximum freiwillige Maß-
nahmen ergreifen, aber nicht bereit sind, sich vertraglich
zu verpflichten.
Mit diesem Ordnungsrahmen, mit dieser Rechtsord-
nung aus einer vergangenen Zeit werden und würden wir
das Problem nicht in den Griff bekommen, sondern wir
brauchen diejenigen, die schon heute und immer mehr
große Emittenten von CO2 sind. Das sind die Schwellen-
länder. China mit einer Bevölkerung von 1 200 Millio-
nen Menschen hat schon heute eine Pro-Kopf-Emission
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Wir wollen, dass dieser Fonds sofort mit Leben gefüllt
wird, damit er wirksam werden kann.
Diese Zusage hat jedenfalls auf dieser Versammlung
starken Widerhall, insbesondere bei Entwicklungslän-
dern, gefunden. Es war eine gute Nachricht, dass jetzt
nicht nur etwas auf dem Papier steht, sondern dies auch
mit Leben gefüllt wird. Das ist ganz wichtig.
Deutschland hat auf dieser Konferenz angekündigt,
sich als Sitzstaat für diesen Fonds zu bewerben. Das
drückt unser weiteres Engagement in diesem Bereich
und den Wunsch aus, dabei zu sein, führend zu sein, eine
Gastgeberrolle, eine Förderrolle einzunehmen. Wir wer-
den starke Konkurrenz um diesen Sitz haben, aber wir
sind auch eine starke Bewerbung. Ich weiß nicht, wie es
ausgeht. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass sich
Deutschland mit einem guten Angebot bewirbt. Auch
die Resonanz ist ermutigend.
Auch Klimafinanzierung, Anpassungsfinanzierung
und Klimaschutzmaßnahmen sind elementar. Es geht um
eine elementare Frage der Glaubwürdigkeit der Industrie-
länder: Wenn Industrieländer Versprechungen machen
und sie nicht einhalten, gefährden sie die eigene Glaub-
würdigkeit, gefährden wir, dass sich andere Länder auf
diesen Entwicklungspfad begeben.
Darum ist es selbstverständlich, dass die Bundesregie-
rung ihre Verpflichtungen erfüllt. Die Fast-Start-Finan-
zierung, die wir in Kopenhagen verabredet haben, macht
für Deutschland bis 2012 1,26 Milliarden Euro aus.
– Genauso ist es: neue und zusätzliche Mittel. Es gibt
bislang neue und zusätzliche Mittel in Höhe von knapp
800 Millionen Euro. Wir werden auf Heller und Pfennig
– bislang haben wir etwas übererfüllt – 1,26 Milliarden
Euro neue, zusätzliche Mittel bereitstellen.
Wir erfüllen unsere Versprechungen. Das gehört zum
Selbstverständnis der Bundesregierung und Deutsch-
lands.
– Das mag Ihnen nicht gefallen. Ich verstehe das nicht;
denn es geht darum, dass Deutschland seine Verpflich-
tungen erfüllt.
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h sage Ihnen: 1,26 Milliarden Euro neue, zusätzliche
ittel. Bitte überlegen Sie, wann Sie einem Kollegen
ieses Hauses Unwahrheit vorwerfen. Prüfen Sie diesen
orwurf bitte nach!
ann erwarte ich eine Stellungnahme von Ihnen, ob das
nwahr ist oder wahr.
1,2 Milliarden Euro für Fast Start: Das ist nicht alles,
as wir tun. Darin erschöpfen sich unsere Maßnahmen
icht. Im vergangenen Jahr waren es 1,2 Milliarden
uro. In diesem Jahr werden es 1,8 Milliarden Euro für
ie Klimafinanzierung sein. Wir reden nicht nur, wir
andeln. Es gibt keinen Grund, das in Zweifel zu ziehen.
ir können sagen: Wir sind dabei, auch wenn es darum
eht, arme Länder zu unterstützen. Das ist ein gemeinsa-
es Engagement der Bundesregierung, insbesondere des
ntwicklungshilfeministeriums und des Umweltministe-
ums. Das sind in aller Regel gemeinsam finanzierte
aßnahmen.
Von dem einen Rechtsregime über die Klimafinanzie-
ng bis zum sofortigen Handeln, dieses Ergebnis ist
egweisend. Es ist substanziell. Es ist nicht ausreichend.
s schließt die Lücke nicht. Es ist zu wenig. Aber es
äre unvertretbar gewesen, es links liegen zu lassen,
tatt es anzunehmen. Wir müssen schrittweise vorange-
en. Darum ist es ein Erfolg im Schrittweisevorangehen.
Deutschland ist in diesem Prozess führend, ohne be-
ormundend zu sein. Wir wissen auch, dass wir nicht al-
in auf der Welt sind. Bei manchen Ratschlägen, die
an jetzt erhält, habe ich den Eindruck, dass das nicht
llen klar ist. Deutschland ist nicht allein auf der Welt,
nd wir sollten uns nicht so aufführen, als gäbe es nur
eutschland auf diesem Planeten. Wir sind Partner, und
ir wirken mit in internationalen Systemen: der Euro-
äischen Union und den Vereinten Nationen. Mit diesem
elbstverständnis sollten wir auch nach außen auftreten.
Wir können nach außen mit dem Selbstverständnis
uftreten, dass wir auch zu Hause etwas tun, dass wir zu
ause die Chancen, die in der wirtschaftlich-technologi-
chen Entwicklung liegen, wahrnehmen. Wir haben die
elegenheit genutzt, in Durban über die Energiewende
Deutschland zu reden, mit höchster internationaler
ufmerksamkeit und Interesse, mit Respekt dafür, was
in führendes Industrieland auf diesem Gebiet tut, sich
ämlich selber für eine Transformation der Energiever-
orgung zu entscheiden, weg von der großen zentralen
ersorgung mit wenig Wettbewerb und konventionellen
echnologien hin zu einem dezentralen Wettbewerb und
euen Technologien mit erneuerbaren Energien und
nergieeffizienz. Mit höchster Aufmerksamkeit und ho-
er Kooperationsbereitschaft anderer europäischer Län-
er haben wir zum Beispiel das Projekt SARI beschlos-
en, ein Unterstützungsprojekt für die Entwicklung von
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 17995
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
)
)
erneuerbaren Energien in Südafrika mit Norwegen, Dä-
nemark, dem Vereinigten Königreich und anderen Län-
dern, weil auch andere Länder zunehmend sehen, dass
dies der richtige Weg der Entwicklung ist. Industriepoli-
tisch, innovationspolitisch und ökologisch ist das der
Zukunftsweg. Dafür stehen wir, und darum wollen wir
diesen Weg. Wir werden diesen Weg zum Erfolg führen,
mit allen Akteuren in Deutschland und darüber hinaus.
Wir wollen diesen Dialog der Akteure. Wir wollen das
Handeln der Akteure.
Ich möchte abschließend betonen, dass Klimaschutz-
politik ein Gesamtansatz der Bundesregierung ist.
– Es mag Ihnen nicht gefallen, es ist aber gut für
Deutschland, dass dies gemeinsam vertreten wird und
sich auch darstellen lässt. Im Entwicklungshilfeministe-
rium sind Umwelt und Entwicklung gewissermaßen das
Leitmotiv.
– Ja, so ist es. Das mag Ihnen aus oppositionellen Grün-
den nicht gefallen. Das ist aber so. Das ist auch die
Wahrnehmung von Deutschland in der Welt. Ich habe
sowieso den Eindruck, dass bei Ihnen die provinzielle
Wahrnehmung der Dinge immer weiter zunimmt.
Sie sollten einmal von außen auf Deutschland schauen.
Dann erhalten Sie ein etwas realistischeres Bild. Sie soll-
ten nicht immer nur in Ihrer kleinkarierten Oppositions-
rhetorik verharren und so über die Welt reden, wie sie in
Ihren Vorstellungen existiert.
Ich finde, man sollte sich auch als Opposition ein bis-
schen über deutsche Erfolge freuen können.
Wir sollten uns darüber freuen, dass wir mit Grenada
und Mali zusammengewirkt und auf dieser Konferenz
neue Programme zur Klimaanpassung in Höhe von
15 Millionen Euro ins Leben gerufen haben.
Der Bundesaußenminister hat im Sommer dieses Jah-
res das Thema Klimawandel und internationale Sicher-
heit in den Weltsicherheitsrat unter deutschem Vorsitz
eingeführt. Erstmalig hat der Weltsicherheitsrat aner-
kannt, dass der Klimawandel die politische, wirtschaftli-
che und gesellschaftliche Stabilität gefährden kann.
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Ich eröffne die Aussprache.
Matthias Miersch ist der erste Redner für die SPD-
raktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
icht nur weil Weihnachten ist, sondern auch weil ich
st davon überzeugt bin, Herr Bundesminister, richte
h am Anfang ein Dankeschön an das Verhand-
ngsteam, an all die Beamtinnen und Beamten, die seit
onaten für die Bundesrepublik Deutschland an dem in-
rnationalen Prozess beteiligt gewesen sind. Ich glaube,
iese müssen in den Mittelpunkt gerückt werden. Sie ha-
en die Kleinarbeit gemacht. Insofern vielen Dank für
iese Arbeit.
Auch an dieser Stelle Dank an alle Kollegen, die den
eutschen Bundestag in Durban repräsentiert haben.
17996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Matthias Miersch
)
)
Deswegen, Herr Bundestagspräsident, ein Appell von
dieser Seite. Sie haben beschlossen, zukünftig nur noch
Fraktionsreisen, aber keine offiziellen Delegationsreisen
zu internationalen Regierungskonferenzen zuzulassen.
Ich glaube, das Präsidium ist gut beraten, diesen Be-
schluss zu überdenken; denn es sind letztlich Parla-
mente, die über Beschlüsse der Regierungen abzustim-
men haben, es sind Parlamente, die für einen guten Weg
werben müssen.
Damit ist es mit der Gemeinsamkeit, Herr Bundes-
umweltminister, aber auch schon vorbei. Wenn Sie von
einem großen, wegweisenden Erfolg dieser Klimakonfe-
renz sprechen, dann kann ich Ihnen nur sagen: Groß sind
die Herausforderungen, aber klein sind die Antworten,
die dort gegeben worden sind.
Im Gegenteil: Ich glaube, Schönrederei hilft hier
überhaupt nicht weiter. Sie verdunkelt und sie verkleis-
tert die eigentlichen Herausforderungen, die die Staaten-
gemeinschaft und auch die Bundesrepublik Deutschland
zu bestehen haben. Was ist das für ein Ergebnis, dass
man sich darauf verständigt, bis 2015 zu verhandeln,
dann möglicherweise eine Vereinbarung zu erzielen, wo-
bei man nicht weiß, welche Rechtsverbindlichkeit sie ei-
gentlich haben soll, nach der die ausgehandelten Be-
schlüsse dann 2020 in Kraft treten sollen? Das ist kein
großer Erfolg. Das ist nichts, was sich angesichts der
großen Herausforderungen als solcher darstellen lässt.
Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: „Der grüne
Klimafonds ist beschlossen worden, und er ist arbeitsfä-
hig“, dann sollten Sie auch sagen – das gehört zur Wahr-
heit dazu –, über welche Mittel dieser Klimafonds bis-
lang verfügt: über keinen einzigen Dollar, über keinen
einzigen Euro!
Sie sagen: Die Bundesrepublik Deutschland hat ihre
Verpflichtungen erfüllt. Allerdings erleben wir seit Ko-
penhagen einen Glaubwürdigkeitsverlust: Uns wird,
auch auf internationaler Ebene, vorgeworfen, dass die
Fast-Start-Zusagen nicht eingehalten worden sind; denn
es sind keine zusätzlichen Gelder geflossen, sondern
man hat das Ganze über Verschiebebahnhöfe zustande
gebracht. Lieber Herr Röttgen, Sie haben meine Anfrage
von Mittwoch dieser Woche hinsichtlich der 40 Millio-
nen Euro noch nicht beantwortet, auch heute nicht. Ich
hoffe sehr, dass die Zusage, die Sie dort gemacht haben,
bedeutet, dass tatsächlich zusätzliches, neues Geld be-
reitgestellt wird. Wir werden da genau hinschauen, lie-
ber Herr Röttgen.
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nsonsten fällt uns der Emissionshandel auf die Füße.
Zu der Mehrwegestrategie gehört auch – da ist der
mweltminister wieder der Norbert Röttgen: das Pathos,
ie großen Worte und die Taten –, national Vorbild zu
ein. Die Bundeskanzlerin ist im Moment nicht anwe-
end.
Sie sitzt auf einem anderen Platz.
Frau Bundeskanzlerin, wenn der Bundesumwelt-
inister sagt, die Bundesregierung verfolge eine Gesamt-
trategie, dann kann ich dem nur entgegnen: Beenden Sie
as Trauerspiel der Auseinandersetzung zwischen Wirt-
chaftsministerium und Umweltministerium hinsicht-
ch der Effizienzrichtlinie, das wir in den letzten Wo-
hen hier verfolgen konnten!
utzen Sie Ihre Richtlinienkompetenz! Machen Sie hier
irklich die Tür auf! Es ist die Effizienz, die Vorbild ge-
en kann. Es ist die Effizienz, die gerade die deutsche
irtschaft beflügeln kann; denn es werden die Maschi-
en der Zukunft sein, die weniger Energie verbrauchen.
sofern ist es umso unverständlicher, dass sich ein Bun-
eswirtschaftsminister hinstellt und gegen verbindliche
ffizienzziele votiert. Herr Bundeswirtschaftsminister,
eenden Sie diese Blockadehaltung!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 17997
Dr. Matthias Miersch
)
)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
eins muss uns klar sein: Wir haben die Finanzkrise, und
wir haben die Klimakrise. Beide Krisen müssen gemein-
sam betrachtet werden. Denn diejenigen, die in Wirt-
schaft von morgen investieren, werden auch den Anfor-
derungen in Sachen Energie und Klima gerecht.
Deswegen sind wir als Bundesrepublik Deutschland gut
beraten, einen Schritt weiter zu sein und uns weder auf
die Bremser bei Schwarz-Gelb noch auf die Bremser auf
dem internationalen Parkett zu berufen. Wir haben seit
1998 das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das eine Er-
folgsgeschichte ist. Wir haben bei den CO2-Emissionen
mächtige Fortschritte gemacht. Wir können daran an-
knüpfen. Aber dazu braucht man eine Bundesregierung,
die sich nicht blockiert, sondern handelt.
Deswegen: Dieses Zukunftsfeld muss jetzt beackert
werden. Fangen Sie an! Geben Sie ein Vorbild! Dann
werden auf internationaler Ebene die Staaten auf die
Bundesrepublik Deutschland schauen. Dann wollen sie
nicht in der Ecke stehen und werden dem Erfolg, den wir
in diesem Bereich erzielen können, auch nacheifern. In
diesem Sinne lade ich Sie herzlich dazu ein, mit uns zu-
sammen eine zukunftsgerechte Wirtschafts- und Ener-
giepolitik zu denken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Kauch für
die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die UN-
Konferenz von Durban hat die Erwartungen klar über-
troffen.
– Liebe Frau Künast, Sie sollten ruhig sein.
Anders als die Sozialdemokraten, die sich bei diesen
Verhandlungen verantwortungsvoll verhalten haben, ha-
ben die Grünen in Interviews hier in Deutschland und
auf der Konferenz die deutsche Verhandlungsposition
permanent hintertrieben. Das hat nichts mit Solidarität
bei einer nationalen Aufgabe in solchen Verhandlungen
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Wir haben es geschafft, dass ein einheitlicher Rechts-
hmen für alle Länder vereinbart wurde. Die Schwarz-
eiß-Unterscheidung zwischen Industrie- und Entwick-
ngsländern entfällt. Alle werden sich gemäß ihrer his-
rischen und zukünftigen Verantwortung sowie ihren
ähigkeiten an dem entsprechenden Abkommen beteili-
en. Hieraus ergibt sich der Vorteil, dass Länder, deren
irtschaft sich dynamisch entwickelt wie die Volksrepu-
lik China, die inzwischen 7 Tonnen CO2 pro Kopf emit-
ert, anders behandelt werden als Länder wie Indien, das
ur 1,5 Tonnen CO2 pro Kopf emittiert, aber eben auch
nders als beispielsweise die Länder der Europäischen
nion. Jedes Land wird sich an diesem Abkommen ge-
äß seiner historischen und zukünftigen Verantwortung
owie seinen Fähigkeiten beteiligen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass durch ein sol-
hes Klimaabkommen, das nicht mehr auf irgendwelche
lockzugehörigkeit setzt, Wettbewerbsgleichheit zwi-
chen Industriestandorten hergestellt wird, wenn jeder
ach seiner Verantwortung und seinen Fähigkeiten ver-
flichtend einbezogen wird. Das spiegelt auch die neue
eltordnung wider, in der wir uns bewegen. Wir haben
iele Zentren statt wenige Blöcke. Es gibt neue Spieler
uf der internationalen Bühne – das hat man in Durban
anz klar gesehen –: Die großen Schwellenländer Brasi-
en, Südafrika, Indien und China spielen zunehmend
ine größere Rolle in den Verhandlungen.
as spiegelt auch die wirtschaftliche Dynamik wider,
ie es in Teilen der ehemaligen Dritten Welt inzwischen
ibt.
Deshalb war die Verhandlungsstrategie der Bundesre-
ierung absolut richtig: hart zu sein und zu sagen, dass
ir nicht alles mitmachen. Die Grünen haben uns ja im
egensatz dazu aufgefordert, auf jeden Fall irgendein
bkommen abzuschließen und unbedingt an Kioto fest-
uhalten, egal was die anderen tun. Genau das haben wir
icht getan, und deshalb sind wir erfolgreich gewesen.
ur mit dieser harten Linie konnten wir uns in den Ver-
andlungen durchsetzen.
Meine Damen und Herren, wir müssen aber auch die-
nigen benennen, die nicht mitmachen. Japan, Russland
nd zuletzt Kanada haben schon vor der Konferenz er-
lärt: Egal was ihr hier verhandelt – wir machen bis
020, wenn ein neues globales Abkommen in Kraft tritt,
icht mit. Dazu muss man ganz deutlich sagen: Das
17998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Michael Kauch
)
)
müssen wir als Europäer benennen und deutlich machen.
Man kann nicht in anderen Verhandlungen Interessen
wahrnehmen und sich dann wegducken, wenn man sel-
ber vor Aufgaben steht und Verantwortung übernehmen
muss. Das müssen wir uns im Hinblick auf andere inter-
nationale Prozesse merken. Wenn Kanada sich aus der
Verantwortung stiehlt und sagt „Es ist uns völlig egal,
was mit dieser Welt passiert, Hauptsache, unserer Öl-
schieferindustrie geht es gut“, müssen wir den Kana-
diern deutlich machen, dass sie mit Konsequenzen an
anderer Stelle rechnen müssen.
Das Bedeutsamste in Durban war die neue Allianz der
EU mit Afrika, mit den ärmsten Staaten und den Insel-
staaten. Die Gruppe der G 77 mit China ist erstmals of-
fen aufgebrochen. Das gibt neue Chancen und hat eine
Strahlkraft über die Klimaverhandlungen hinaus. Auch
in anderen außenpolitischen Prozessen können wir nut-
zen, dass es neue Allianzen mit Brasilien, Mexiko und
Südafrika gibt. Deshalb ist Durban ein gutes Zeichen für
die Klimapolitik, aber eben auch für eine neue starke
Rolle der EU in der jetzt bestehenden außenpolitischen
Welt.
Wie haben wir es geschafft, diese Allianz zu bilden?
Die Grünen haben uns gesagt: Wir müssen nur auf das
30-Prozent-EU-Klimaziel gehen, und alles wird gut. –
Nein, wir als deutsche Abgeordnete haben mit der Ver-
handlungsführerin der Gruppe der 77, also mit den Ent-
wicklungsländern, gesprochen. Die Aussage der Ver-
handlungsführerin – Originalton – war: „Das spielt
überhaupt keine Rolle.“ Denn wir sind hier momentan in
einer Debatte um ein Fundament der Klimapolitik. Wir
können uns dann über die Zahlen unterhalten, wenn wir
uns auf 2015 zubewegen. – Oder wir diskutieren über
die Zahlen aus innereuropäischen Gründen. Es gibt viele
gute Gründe, das Klimaziel aus diesen Gründen anzuhe-
ben. Aber so zu tun, als sei dies das entscheidende
Moment bei den Verhandlungen gewesen, ist völlig ab-
wegig. Das entscheidende Moment für diese Klimaver-
handlungen war, dass Europa Vertrauen vermittelt hat,
dass wir es mit der Klimafinanzierung ernst meinen. Das
ist die Botschaft von Durban: Klimafinanzierung ist das
Moment für Kooperationsbereitschaft unserer Allianz-
partner.
Deshalb war es absolut richtig, was die Bundesregie-
rung gemacht hat. Bundesminister Niebel hat während
der Konferenz 120 Millionen Euro für die Energie-
kooperation mit dem südlichen Afrika zugesagt. Bundes-
minister Röttgen hat 40 Millionen Euro für den Green Cli-
mate Fund zugesagt. Das hat Vertrauen geschaffen. Die
Entwicklungsländer hat an unsere Seite gebracht, dass
man sich auf Europa und auf Deutschland verlassen
kann. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Klimazusam-
menarbeit mit den Entwicklungsländern in Zukunft stär-
ken. Jeder Euro, den wir hier investieren, bringt nicht
nur für das Klima viel mehr als jede letzte Maßnahme in
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Meine Damen und Herren, deshalb hat die FDP den
unsch von Bundesminister Niebel unterstützt, zusätz-
ch 100 Millionen Euro aus Haushaltsresten an den
lean Technology Fund der Weltbank zu überweisen.
ir wollten damit insbesondere Indien stärken, das in
iesen Verhandlungen eine ausgesprochen wichtige
olle spielt. Ich bedauere es sehr, dass der Bundesminis-
r der Finanzen nicht zu überzeugen war, dies bis zum
eutigen Kassenschluss zu tun.
mso wichtiger ist es, dass wir in den nächsten Runden,
enn wir uns über die Zukunft des Energie- und Klima-
nds unterhalten, eine absolute Priorität auf die interna-
onale Klimafinanzierung legen. Wenn die Einnahmen
Energie- und Klimafonds geringer ausfallen und wir
eshalb die Ausgaben kürzen müssen, dann müssen wir
ine klare Priorität auf die internationalen Mittel setzen.
as muss gegebenenfalls zulasten nationaler Programme
ehen. Es ist aber im Interesse des internationalen Kli-
aprozesses, dass Deutschland hier einen klaren
chwerpunkt setzt.
Abschließend: Wir dürfen uns nicht nur auf den UN-
rozess verlassen. Wir müssen auch darauf achten, dass
ir Bottom-up-Klimaschutz betreiben. Mexiko, China,
rasilien und Südafrika haben zunehmend fortschrittli-
he nationale Gesetzgebungen im Bereich Klimaschutz.
as müssen wir unterstützen. Deswegen wird diese Bun-
esregierung auf dem Weg voranschreiten, hier mit den
chwellenländern zusammenzuarbeiten, insbesondere
ann, wenn die Vereinigten Staaten sich weiterhin einem
olchen Prozess verweigern.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Die Linke erhält nun Gesine Lötzsch
as Wort.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten
amen und Herren! Der renommierte Kieler Klimafor-
cher Mojib Latif stellt zu den Ergebnissen von Durban
st: Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen hat sich
eit 1990 nicht verringert, sondern er ist um 40 Prozent
estiegen. Sein Fazit – Zitat –:
… es gab Klimaschutz nur auf dem Papier, aber
nicht real.
er Mann hat recht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 17999
Dr. Gesine Lötzsch
)
)
Minister Röttgen, Sie sind stolz auf einen angekün-
digten Vertrag, der erst 2020 in Kraft treten soll. Was
aber beschlossene Verträge wert sind, haben wir leider
nur einen Tag nach der Klimakonferenz in Durban erle-
ben müssen: Kanada hat sich aus dem Kioto-Protokoll
verabschiedet. Kanada hatte – ebenso wie Russland und
Japan – schon im vergangenen Jahr angekündigt, an der
Verlängerung des Abkommens nicht mitwirken und sie
auch nicht unterzeichnen zu wollen.
Die Kioto-Restgruppe besteht nun im Wesentlichen
aus den EU-Ländern, Norwegen, der Ukraine, der
Schweiz, Australien und Neuseeland. Diese Länder ver-
ursachen aber nur 15 Prozent der globalen Emissionen.
Allein China und die USA erzeugen ein Vielfaches.
Mit dem Ausstieg vor dem Jahresende drückt sich
Kanada davor, hohe Geldstrafen zahlen zu müssen. Und
was sagt die Bundesregierung zum skandalösen Ausstieg
Kanadas? Von Gelassenheit war die Rede. Ich frage
mich: Woher kommt diese Gelassenheit? Es wäre doch
zumindest angebracht gewesen, dass der Außenminister
den kanadischen Botschafter in das Auswärtige Amt ein-
bestellt und die Entscheidung kritisiert.
Ich frage mich, Herr Westerwelle: Was machen Sie ei-
gentlich den ganzen Tag?
Viele Menschen in unserem Land finden die Ent-
scheidung Kanadas empörend – und die Bundesregie-
rung reagiert gelassen. Man kann es auch Gleichgültig-
keit nennen. Das geht nicht, Herr Röttgen! Sie haben es
doch selbst in Ihrer Rede gesagt: Es geht um das Leben
von Millionen Menschen auf der ganzen Welt, die von
der Klimakatastrophe schon jetzt direkt betroffen sind.
Da ist Gelassenheit wirklich völlig fehl am Platze.
Ab 2020 soll es nun einen Green Climate Fund geben.
Das ist eine richtige, längst überfällige Initiative. Doch
noch ist völlig unklar, woher das Geld kommen soll. Zu-
sagen von Ministern, die dem Haushaltsausschuss, dem
ich angehöre, nichts vorgelegt haben, sind – wie Sie alle
wissen – völlig wertlos. Herr Kauch, ich habe keinen
Antrag Ihrer Fraktion – wie Sie hier versucht haben, der
Öffentlichkeit weiszumachen – im Haushaltsausschuss
gesehen. Bleiben Sie bitte bei der Wahrheit!
Im Entschließungsantrag von SPD und Grünen wird
nun gefordert, dass der Fonds zum größten Teil aus öf-
fentlichen Mitteln finanziert werden solle, dass aber
auch der internationale Schiffs- und Flugverkehr einen
Beitrag leisten solle. Ich frage mich: Warum sollen in
den Fonds nicht hauptsächlich diejenigen einzahlen, die
die Hauptverursacher der Klimakrise sind – die Ölkon-
zerne, die Stromkonzerne und die Rüstungskonzerne?
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apitalismus und Klimaschutz sind offensichtlich nicht
iteinander vereinbar.
arum brauchen wir andere Gesellschaftskonzepte,
onzepte, die nicht auf Massenverbrauch und Umwelt-
erstörung programmiert sind.
Herr Röttgen, je langsamer der internationale Prozess
erläuft, desto wichtiger ist die Rolle Deutschlands. Um
ine wirkliche Vorbildrolle übernehmen zu können,
uss bei uns in der Bundesrepublik wesentlich mehr
eschehen. Die Halbierung des CO2-Ausstoßes und ein
0-prozentiger Anteil erneuerbarer Energien beim
tromverbrauch bis 2020 müssen das Ziel sein.
Meine Damen und Herren, das Energiesystem in der
undesrepublik braucht eine neue Grundlage: erneuer-
ar, demokratisch und sozial. Ich möchte mich dabei al-
rdings nicht nur auf die Aktivitäten der Bundesregie-
ng verlassen. Meine feste Überzeugung ist: Die soziale
nergiewende braucht mindestens so viel außerparla-
entarische Bewegung und Energie wie der Kampf ge-
en die Nutzung der Atomkraft. Die Linke ist dabei. Pa-
ken wir es an!
Vielen Dank.
Christian Ruck ist der nächste Redner für die CDU/
SU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
lle waren vor der Klimakonferenz von Durban vor dem
18000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Christian Ruck
)
)
klimapolitischen Abgrund. Es gab wenig Aussicht auf
einen verlässlichen Prozess für ein globales Klima-
schutzabkommen. Der Fortgang des Kioto-Protokolls
war unklar. Es gab verhärtete Fronten im internationalen
Dialog zwischen Industrieländern und Schwellen- und
Entwicklungsländern. Durban drohte auf ganzer Linie zu
scheitern. Damit drohte auch ein Abriss des globalen
Klimaschutzprozesses. Vor diesem Hintergrund kann
man wirklich nur feststellen, dass Durban trotz aller Un-
kenrufe ein Erfolg war.
Der Klimaschutz bleibt auf Kurs, wenngleich auf einem
beschwerlichen. Wir haben weiterhin die Chance, die
globale Klimakatastrophe abzuwenden, und der Klima-
schutz bleibt auf der Agenda der Völkergemeinschaft.
Das, was in Durban erreicht wurde, ist jedenfalls viel
mehr als von uns allen befürchtet. Das war auch – wenn
die Mitglieder der Opposition ehrlich sind – der Tenor
unserer Ausschussberatungen: International wurde das
erreicht, was international derzeit möglich ist.
Mich freuen vor allem drei Punkte, die auf der Konfe-
renz in Durban eine Rolle gespielt haben:
Erstens. Es freut mich in der Tat, dass die Trennungs-
linie zwischen Industrieländern auf der einen Seite und
Entwicklungs- und Schwellenländern auf der anderen
Seite – sie lehnten bisher jegliche verbindliche Minde-
rungsverpflichtungen ab – nicht mehr existiert. In der
FAZ wurde davon gesprochen, dass sich die Weltkarte
des Klimaschutzes verändert hat. Die Schwellenländer,
vor allem auch China, haben verstanden, dass sie Verant-
wortung für das Klima haben.
Das wirklich Neue an dieser Konferenz ist, dass alle
Konferenzteilnehmer bis 2015 eine Vereinbarung mit
Rechtskraft beschließen wollen. Das heißt, wir haben
zum ersten Mal alle Emittenten in einem Boot. Nur so
macht es Sinn, dass wir an eine zweite Verpflichtungspe-
riode des Kioto-Protokolls herangehen. Ansonsten wäre
dauerhaft festgeschrieben worden, dass Klimaschutz nur
eine Sache der wenigen ist und die anderen aus der Ver-
antwortung entlassen sind.
Der zweite Punkt – auch das wurde schon angespro-
chen – ist die konstruktive Rolle Deutschlands und der
EU, von Kommissarin Hedegaard sowie Bundesminister
Röttgen und seinem Team. Sie haben die entscheidende
Führungsrolle in Durban übernommen. Deswegen ist
Durban auch ein Erfolg für die europäische und die deut-
sche Klimaschutzpolitik. Allen Skeptikern zum Trotz hat
sich die EU als handlungsfähig erwiesen, sie hat sogar
die Koalition des Verantwortungsbewusstseins ange-
führt. Sie war der Motor einer neuen Dynamik, und zwar
deshalb, weil Europa mit einer Stimme gesprochen hat.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dem Bundesum-
weltminister Norbert Röttgen und seinem Team für sei-
nen persönlichen, hartnäckigen Einsatz für realistische,
aber auch verbindliche Ziele zu danken. Deutschland
bleibt im internationalen Klimaschutz die treibende und
führende Kraft. Dafür von meiner Seite, von unserer
Seite vielen Dank an die Verhandlungsdelegation!
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Der dritte Punkt. Es freut mich persönlich, dass es ge-
ngen ist, eine neue Allianz mit den Entwicklungslän-
ern zu schließen. Die Entwicklungsländer sind natür-
ch Opfer, aber sie sind teilweise auch Täter. Die neue
oalition aus EU, kleinen Inselstaaten und progressiven
ntwicklungsländern hat für einen neuen Schwung in
urban gesorgt. Sie war letztendlich der Schlüssel zum
rfolg der Verhandlungen; denn durch sie wurde ein mo-
lischer Druck auf die Bremserstaaten aufgebaut, der
ringend notwendig war.
Die Allianz ist nicht vom Himmel gefallen. Sie war
as Ergebnis einer langwierigen und intensiven vertrau-
nsbildenden Vorarbeit vor allem der EU und Deutsch-
nds. Diese Allianz gilt es zu halten und auszubauen.
ir gelten als ehrliche Makler, als nicht kolonialbehaf-
t, mit einem ehrlichen Interesse an den Menschen, ih-
r Zukunft und an der Umwelt. Wir gelten auch als
ngjährig verlässliche Partner.
Ich möchte auf die Zahlenspielereien eingehen, die
ie, Herr Kelber – und auch Herr Miersch –, immer bis
um Exzess betreiben.
n Ihnen stelle ich auch den Unterschied zwischen ei-
em Politiker und einem Buchhalter fest, und Sie sind
och dazu ein schlechter Buchhalter. Ich habe Ihnen
chon beim letzten Mal vorgerechnet, wie die Gelder für
ast Start zustande kommen, aber Sie glauben es einfach
icht. Deswegen sage ich es Ihnen noch einmal;
ielleicht glauben Sie mir mehr als dem BMZ. 894 Mil-
onen Euro war der Sockelbetrag; dazu kommen
95 Millionen Euro vonseiten des BMZ zusätzlich
nd 365 Millionen vom BMU zusätzlich. Das macht zu-
ammen mehr als 1,6 Milliarden Euro.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18001
Dr. Christian Ruck
)
)
Ich bitte Sie: Nehmen Sie es einmal zur Kenntnis, oder
gehen Sie selber ins BMZ, suchen die Zahlen und rech-
nen nach. Dann müssten auch Sie auf diese Zahlen kom-
men.
Dieser Aufwuchs der ODA-Mittel und auch die Mit-
tel für Umwelt- und Klimaschutz müssen steigen. Dafür
kämpfen wir Entwicklungspolitiker. Der Aufwuchs der
ODA-Mittel muss vor allem auch in den Klima- und
Umweltschutz gehen: für Technologietransfer, für den
Schutz von Wäldern und Sumpfgebieten, für Agrarmaß-
nahmen, zum Beispiel für eine robustere Landwirtschaft,
für den Schutz der Korallenriffe und vieles andere mehr.
Herr Kollege Ruck, darf der Kollege Kelber eine Zwi-
schenbemerkung machen?
Herr Kelber, das wird auch nichts bringen, aber ich
lasse Ihre Zwischenfrage zu, sonst sagen Sie wieder, ich
hätte Angst vor Ihrem Zahlenwerk. – Bitte.
Sie sagen ja immer, die Tatsache, dass ich nicht rech-
nen könne, hätte ich wahrscheinlich meinem Mathema-
tikstudium zu verdanken. Würden Sie aber folgende
Zahlen akzeptieren, vorgelegt von Brot für die Welt und
Germanwatch? Überschrift: „Der deutsche Beitrag zur
Fast-Start-Zusage von Kopenhagen: Alter Wein in neuen
Schläuchen“. Weiter heißt es: Demnach kommen über
den Zeitraum 2010 bis 2012 nur 152 Millionen Euro
– das entspricht 12 Prozent der genannten Zahlen – an
„frischem“ Geld zusammen. Eklatantestes Beispiel:
500 Millionen Euro, die die Bundesregierung bereits für
den Waldschutz zugesagt hat, werden bei Fast Start er-
neut verrechnet.
Ich akzeptiere die Zahlen nicht. Herr Kelber, ich sage
es Ihnen noch einmal: 894 Millionen Euro beträgt der So-
ckelbetrag; das ist hoffentlich einvernehmlich. 895 Mil-
lionen Euro beträgt der Beitrag des BMZ; das sind sowohl
Mittel für internationale als auch für bilaterale Projekte.
Hinzu kommen 365 Millionen Euro des BMU.
Es ist so, dass manche Mittel, zum Beispiel für den
Waldschutz, gleichzeitig Mittel zum Schutz der Biodi-
versität sind. Das können Sie dem BMZ und uns aber
nicht vorwerfen.
– Ja, das sind neue und zusätzliche Mittel.
Herr Kelber, tun Sie mir einfach einen Gefallen: Gehen
Sie zum BMZ, und machen Sie genau das Gleiche, was
ich gemacht habe: Zählen Sie die Mittel für die einzel-
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ann werden auch Sie sehen, dass unsere Zahlen stim-
en.
Ich sprach über die Partnerschaft mit Entwicklungs-
nd Schwellenländern. Diese Partnerschaft ist keine Ein-
ahnstraße. Ich komme auf den Fall Brasilien zurück,
eil das ein wirklich starkes Stück ist. Mit Brasilien
flegen wir eine jahrzehntelange und kostspielige Zu-
ammenarbeit im Tropenwaldbereich. Die geplante Ent-
aldungsgesetzgebung wäre im schlechtesten Fall mit
iner Freisetzung von 28 Milliarden Tonnen CO2 ver-
unden. Das ist das Dreißigfache dessen, was die Bun-
esrepublik Deutschland im Jahr ausstößt. 28 Milliarden
onnen CO2, das wäre ein Schlag ins Gesicht – für uns
nd für den internationalen Klimaschutz. Wir müssen im
eutschen Bundestag natürlich über Kanada sprechen,
ir müssen aber auch über Brasilien sprechen; denn mit
iner solchen Gesetzgebung macht Brasilien die Rio-
lus-20-Konferenz zu einer Farce. Deshalb müssen auch
ir Bundestagsabgeordnete mit den Brasilianern ein
rnstes Wort sprechen.
Auf der Konferenz in Durban wurde Arbeit eingefor-
ert und Arbeit verteilt: für ein zweites Kioto-Protokoll,
r das beschlossene Aktionsprogramm, für einen ver-
esserten Waldschutz und für den sofortigen Beginn der
rbeit an einem globalen Klimaschutzabkommen. Wir
ls Abgeordnete müssen uns dabei dauerhaft und aktiv
inbringen und dürfen auch eine kritische Auseinander-
etzung mit Bremserstaaten nicht scheuen. Auch ich
alte das Verhalten der Kanadier für einen Skandal.
enn man zuerst die Klimaschutzziele dermaßen ekla-
nt verfehlt – statt minus 6 plus 35 Prozent – und dann
och sagt: „Bevor ich Strafe zahlen muss, mache ich
ich vom Acker“, dann passt das nicht zu einer Nation,
ie mit den Entwicklungsländern Geschäfte mit den na-
rlichen Ressourcen macht, und es passt nicht in diese
eit, in der Kanada den Anspruch erhebt, eine Führungs-
ation zu sein.
Herr Kollege Ruck, darf die Kollegin Bulling-
chröter eine Zwischenfrage stellen?
Nein, jetzt nicht mehr. Ich bin nämlich bei meinem
tzten Punkt angelangt.
Klimaverhandlungen sind wichtig. Wir wissen, dass
ie zäh sind, langsam vorangehen, vor allem im UNO-
ontext, und dass wir deswegen selber handeln müssen,
m andere mitziehen zu können. Genau das tun wir. Un-
ere Energiewende und der damit verbundene gesell-
chaftliche Kraftakt finden vor den Augen der Weltöf-
ntlichkeit statt. Er entscheidet über den Erfolg der
18002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Christian Ruck
)
)
Klimawende, auch international. Alle schauen darauf,
wie wir diese Energiewende gestalten und in welcher Art
und Weise wir wirtschaften.
Dass Deutschland mit seiner Energiepolitik interna-
tionalen Vorbildcharakter hat, hat Durban eindrucksvoll
gezeigt. Das globale Interesse ist groß in Bezug auf un-
sere Energiepolitik und unsere Energietechnologie ge-
rade in den Bereichen der dezentralen Energieversor-
gung, der Wasserversorgung, der Elektromobilität, der
Gebäude- und der Effizienztechnologien, aber auch in
Bezug auf neue Werkstoffe und die Art und Weise, wie
wir diese Energiewende juristisch und administrativ or-
ganisieren. Wir werden zeigen, dass unsere Ener-
giewende kein bloßer Versuch und kein Experimentier-
feld mit offenem Ausgang ist, sondern ein Erfolgsmodell
und damit Deutschlands Exportschlager des 21. Jahrhun-
derts. Wir müssen zeigen, dass diese Energiewende ver-
sorgungssicher und bezahlbar ist, dass sie neue Impulse
für Wachstum und Arbeitsplätze gibt, ja dass es sogar
ein großer Wettbewerbsnachteil für die Konkurrenzfä-
higkeit anderer Länder ist, wenn sie sich dieser Ener-
giewende nicht anschließen. Dieser Dominoeffekt ist ge-
nau das, was wir erreichen wollen, und ist vielleicht
noch viel wertvoller als mühsame und zähe UN-Ver-
handlungen.
Daran, dass diese Energiewende gelingt, arbeitet die
christlich-liberale Koalition mit vollem Einsatz. Wir
kämpfen für den raschen Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien, und dies mit großem Erfolg. 20 Prozent unserer
Stromproduktion erfolgt auf der Basis erneuerbarer
Energien. Wir kämpfen um einen zügigen Netzausbau
und die Gewährleistung der Netzstabilität. Wir kämpfen
um ein Lastmanagement, um den Ausbau der Stromspei-
cherung sowie um Forschung und Entwicklung im Be-
reich der Energiepolitik.
Natürlich müssen wir auch auf die Bezahlbarkeit der
Energiewende achten. Es wäre ein Schuss ins eigene
Knie, wenn wir eine Energiewende machten, die außer
uns keiner bezahlen könnte. Deswegen geht es auch und
vor allem um Energieeffizienz.
Ich bin durchaus bereit, meine Damen und Herren von
der Opposition, über Energieeffizienz im europäischen
Kontext zu reden. Wir brauchen im europäischen Kon-
text mehr Energieeffizienz. Wir haben wichtige Gesetze
vor uns, die uns mehr Energieeffizienz bescheren kön-
nen, zum Beispiel im KWK-Bereich und im Mietrechts-
bereich.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt bitte zum Schluss
kommen.
Jawohl. – Entscheidend ist, dass die Welt auf
Deutschland schaut. Wir müssen beweisen, dass Klima-
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t es sozusagen eine moderne Art des Debriefings, dass
an sich eine Woche danach in Ermangelung anderer
hemen, auf die sich diese Koalition einigen könnte,
chlicht und einfach selber lobt, obwohl es inhaltlich
icht angebracht ist?
lso, ich bin ratlos an dieser Stelle.
s ist bemerkenswert, Herr Röttgen, wie Sie sich selber
elobt haben. Dabei gehört zur Wahrheit auch: Die Bun-
eskanzlerin hatte den ganzen Verhandlungsprozess
chon aufgegeben, bevor das Verhandeln überhaupt be-
onnen wurde. Sie sind hingefahren und haben als Erstes
eine ganz moderne Verhandlungsstrategie und eine in-
ressante Variante, um jemanden zu gewinnen – China
den Hintern getreten
nd haben sich am Ende dies als erfolgreiche Verhand-
ngsstrategie ans Revers geheftet und behauptet, Sie hät-
n quasi dieses große internationale Bündnis geschmie-
et. Wahr ist: Man hat erstens zu spät angefangen, und
weitens hieß der Schmied nicht Röttgen, sondern die
chmiedin war die EU-Kommissarin Hedegaard.
Es ist sicherlich eine gute Strategie, sich gemeinsam
it den Schwellenländern und den am wenigsten entwi-
kelten Staaten dieser Welt gegen diejenigen zu stellen,
ie nicht willens sind, sich zu bewegen. Aber dann frage
h einmal: Wo war eigentlich – außer der Beschreibung,
as für tolle Hechte Sie alle in Durban waren – der Satz
ber das, was man zu tun gedenkt? Dazu hat keiner et-
as gesagt. Von den Koalitionsrednern höre ich nur: Wir
aren ganz toll! Aber wie will man das Eisen mit diesen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18003
Renate Künast
)
)
ganzen Staaten denn jetzt weiter schmieden? Was sind
denn die Angebote?
Wir haben – Herr Kelber hat es gerade noch einmal
gesagt – durch die heutigen Redebeiträge eins gelernt,
nämlich dass die Gelder dreifach oder doch mindestens
zweifach angeboten werden. So kann man natürlich eine
wundersame Geldmehrung machen – einmal ganz abge-
sehen davon, dass vieles von dem, was Sie anbieten,
noch lange nicht im Haushalt steht.
Wenn es aber ans Eingemachte geht, höre ich hier keinen
einzigen Satz, wie Sie denn das Eisen schmieden wollen.
Die am wenigsten entwickelten Länder, viele afrikanische
Länder könnten Sie beglücken, indem Sie keine Rechen-
tricks machen, sondern deutlich machen: Deutschland
sagt Ja zu einer Agrarreform. Weg mit den Exportsubven-
tionen! Wir werden nicht mehr auf Kosten anderer wirt-
schaften.
Doch dazu habe ich von Ihnen an dieser Stelle kein Wort
gehört.
Die richtige Antwort könnte auch sein, jetzt das ambi-
tionierte europäische Klimaschutzziel auf minus 30 Pro-
zent bis 2020 zu setzen. Die richtige Antwort könnte
auch sein, den Green Climate Fund jetzt mit Geld auszu-
statten, anstatt mit Rechentricks zu arbeiten.
Die richtige Antwort könnte auch sein, Klimaschutzini-
tiativen mit anderen zusammen zu starten. Die richtige
Antwort könnte auch sein, zu überlegen, wie und an wel-
chen Stellen wir mit China zusammenarbeiten können.
Herr Ruck, es war ein toller Satz,
dass man mit Brasilien ein ernstes Wort reden müsse,
weil sie die Wälder dort roden. Ich sage Ihnen eins: Mit
dieser Großmannssucht des reichen weißen Mannes
kommen Sie in Brasilien bestimmt ganz weit.
– Welche Kinderstube haben Sie denn?
Wenn Sie mit den Brasilianern ernsthaft reden wollen,
dann müssen Sie auch etwas bringen. Ja, wir wollen,
dass Brasilien den Amazonas-Wald nicht rodet. Aber Sie
müssen an dieser Stelle endlich einmal aufhören, der
Waldwirtschaft in den Hintern zu kriechen.
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Sagen Sie doch: Wir machen eine Agrarreform und
eiben sie in Europa an.
ir wollen nicht mehr, dass da unten Wälder für den
nbau von Soja gerodet werden, den wir dann hier ver-
ttern. Ich weiß, warum Sie so reagieren: Sie merken
ämlich, dass man nicht nur das allgemeine Wortgeklin-
el machen kann, sondern dass man zu Hause auch lie-
rn muss. Man muss zu Hause den Mut haben, Verhal-
ns- und Politikänderungen durchzusetzen.
Ich will gerne noch hinterherschicken: Herr Röttgen
at hier ja eine warme Rede gehalten.
ie können, ohne Zweifel, immer schön reden, Herr
öttgen. Sie haben gesagt, man müsse zu Hause die
hancen für die wirtschaftliche Entwicklung nutzen.
as haben Sie sicherlich nicht in unsere Richtung ge-
agt, denn wir wussten das schon; wir sagen ja ständig,
ass Klimaschutz auch eine wirtschaftliche Chance und
ine Chance für Arbeitsplätze ist. Sie haben es in Rich-
ng Ihrer Koalitionsfraktionen gesagt. Wenn Sie das
ber in diese Richtung sagen, dann muss ich hinterher-
chicken: Unterhalten Sie uns endlich nicht mehr mit
em Spiel von Röttgen und Rösler: Der eine so herum,
er andere so herum.
eden Tag trifft man sich mit Energiekonzernen – einmal
ie, einmal Sie. Man ist nicht einmal in der Lage, sich
emeinsam mit denen zu treffen, weil Sie nicht den
auch einer gemeinsamen Position haben.
Sie reden im Spiegel über die Vision eines Pro-Kopf-
udgets an CO2. Wenn wir dann aber beim BMU nach-
agen, erfahren wir dort, das sei eher hypothetisch ge-
eint. Hypothesen haben wir auch, säckeweise.
ir brauchen aber Taten an dieser Stelle.
Sie sind eh schon am Ende; Sie existieren gar nicht
ehr.
18004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Renate Künast
)
)
– Weil ich höflich bin, Herr Fricke.
Sie müssen zu Hause Ihre Hausaufgaben machen und
vorangehen, wenn Sie die wirtschaftlichen Chancen
wirklich nutzen und den anderen zeigen wollen, dass
sich technologische Entwicklung lohnt.
Zum Beispiel Energieeffizienz. Herr Röttgen, Sie sa-
gen dazu, das sei die intelligenteste Form der Energie-
politik. Dann dürfen Sie nicht mehr zulassen, dass Herr
Rösler die EU-Effizienzrichtlinie blockiert. Wir brau-
chen sie.
Durch ihre Umsetzung könnten bis zu 120 000 neue Ar-
beitsplätze geschaffen werden.
Ich komme zum Schluss. – Energetische Gebäudesa-
nierung: So, wie Sie dieses Thema angehen, schaffen wir
es nicht einmal in 100 Jahren. Wann einigen Sie sich
endlich? Wann schafft es die Kanzlerin, die Ausnahmen
im Emissionshandel, auch im europäischen Emissions-
handel, zu eliminieren? Darüber könnten wir Geld be-
kommen. Warum schicken wir die Gigaliner auf die
Straße statt den Güterverkehr auf die Schiene? Warum
blockiert Deutschland das Weißbuch Verkehr?
Warum bauen wir mithilfe der Gelder aus dem Emissions-
handel neue Kohlekraftwerke? Ich sage eines ganz klar:
Klimaverhandlungen werden in potenziell guten neuen
Bündnissen fortgeführt, wenn Deutschland selber einen
Innovationsschub hat. Aber das kann Schwarz-Gelb
nicht, zumindest nicht der gelbe Teil, und der schwarze
hat auch keinen Mut.
Birgit Homburger ist die nächste Rednerin für die
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben heute Morgen die Möglichkeit, hier über die Er-
gebnisse von Durban zu diskutieren. Liebe Frau Künast,
mich wundert nichts mehr. Ihnen kann man nichts recht
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etzt man das Thema auf die Tagesordnung, dann rekla-
ieren Sie, dass es auf die Tagesordnung gesetzt wurde.
ie wären die Erste gewesen, die uns kritisiert hätte, hät-
n wir heute Morgen nicht darüber diskutiert. Ich sage
nen: Das Thema ist wichtig genug, um es im Deut-
chen Bundestag zu behandeln.
Natürlich war Durban ein Erfolg; denn es wurde ein
ahrplan zu einem Rechtsabkommen mit allen Ländern
ereinbart. Die Grundlage dieses Erfolgs war eine
chlagkräftige Allianz zwischen der EU, den kleinen In-
elstaaten, den ärmsten Ländern und progressiven afri-
anischen und lateinamerikanischen Ländern. Der Red-
er der SPD hat hier heute Morgen erklärt, das sei
chlicht nichts. Dann erklären Sie uns doch bitte einmal,
as Ihre Alternative gewesen wäre. Glauben Sie, Sie
ätten die anderen Länder dazu gebracht, auf dieser Kli-
akonferenz mehr zu vereinbaren als das, was jetzt ver-
inbart wurde? Das glauben Sie doch selber nicht.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Sie können nicht
ermanent alles, was erreicht wird, konterkarieren und
blehnen und dann sagen, dass wir das Weltklima mit
aßnahmen allein in Deutschland retten. Das wird nicht
nktionieren. Deswegen ist es richtig, dass diese Bun-
esregierung so agiert hat, wie sie agiert hat.
Wir wollen, dass es nicht bei Klimadiplomatie bleibt.
as Wichtigste ist, dass jetzt etwas passiert. Das haben
ehrere Redner gesagt; da sind wir uns vollkommen ei-
ig. Deshalb ist es wichtig, dass die Bereitschaft von
ändern wie Mexiko, Brasilien oder auch China, sich
limapolitisch zu engagieren, jetzt von uns unterstützt
ird. Sie muss unbedingt aufrechterhalten werden.
iebe Frau Künast, Sie werden diese Bereitschaft sicher-
ch nicht aufrechterhalten, indem Sie Länder wie Brasi-
en, die sich wirklich anstrengen, hier im Deutschen
undestag verbal verhauen. So werden Sie nicht weiter-
ommen.
Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir die Ge-
präche bilateral weiterführen, nicht nur zwischen der
U und diesen Ländern, sondern auch zwischen der
undesrepublik Deutschland und diesen Ländern. Wir
ollen, dass es mit diesen Ländern bilaterale Koopera-
onen insbesondere in projektbezogenen technischen
ragen gibt. Das wird dazu führen, dass dort das Be-
usstsein für die Notwendigkeit von Klimaschutz ge-
tärkt wird. Es zeigt aber auch die Ernsthaftigkeit, mit
er wir uns um die Zusammenarbeit mit diesen Ländern
emühen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Signal, das
iese Bundesregierung aussendet.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18005
Birgit Homburger
)
)
Wir haben in Durban Zeit gewonnen. Wir wollen,
dass durch pragmatische, projektbezogene und dezen-
trale Schritte zur Emissionsreduktion jetzt etwas pas-
siert. Ich möchte deutlich sagen: Ich finde es sehr erfreu-
lich, dass die Bundesregierung nicht nur geredet,
sondern auch gehandelt hat. Der Bundesminister für
wirtschaftliche Zusammenarbeit hat während der Konfe-
renz in Durban 120 Millionen Euro für Solarprojekte im
südlichen Afrika zugesagt. Er hat eine weitere Zusage
für Förderung durch das BMZ für ein solarthermisches
Kraftwerk in Marokko gemacht.
Das zeigt, dass diese Bundesregierung handelt, dass sie
die Sache ernst nimmt und dass sie diesen Prozess weiter
intensiviert und unterstützt.
Frau Kollegin Homburger, darf die Kollegin Höhn
eine Zwischenfrage stellen?
Bitte sehr.
Frau Kollegin Homburger, Sie sind in den letzten Mo-
naten ja nicht mehr in Erscheinung getreten, wenn es um
Umwelt- und Klimathemen ging. Heute reden Sie dazu.
Könnte ein Grund dafür sein, dass Sie sich um die Nach-
folge von Herrn Brickwedde bei der Deutschen Bundes-
stiftung Umwelt in Osnabrück bewerben wollen?
Sehr geehrte Frau Höhn, das ist eine peinliche Frage,
die Ihre Denke vollkommen offenlegt.
Sie sind offensichtlich der Meinung, dass hinter jedem
politischen Engagement ein persönlicher Vorteil stecken
muss.
Das trifft auf mich nicht zu. Das trifft auch auf die FDP
nicht zu. Ich kann Sie beruhigen: Das interessiert mich
nicht. Dies ist keine Bewerbungsrede. Dass ich hier und
heute zu diesem Thema spreche, ist der Tatsache ge-
schuldet, dass wir in der FDP-Bundestagsfraktion
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er Auffassung sind, dass klimapolitische Fragestellun-
en nicht nur im Umweltausschuss des Deutschen Bun-
estages zu behandeln sind, sondern dass es auch eine
emeinsame Strategie der auswärtigen Politik, der Wirt-
chaftspolitik, der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und
er Umweltpolitik geben muss. Das kommt hier zum
usdruck.
Zur Erreichung der Klimaschutzziele kann aus unse-
r Sicht auch der Mittelmeer-Solarplan einen Beitrag
isten. Es handelt sich hierbei um ein Kernprojekt der
U, mit dem potenzielle erneuerbare Energien rund um
as Mittelmeer erschlossen werden sollen. Dieses Pro-
kt dient nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch der
iversifizierung der Energiequellen und der Unabhän-
igkeit von fossilen Rohstoffen.
In diesem Zusammenhang sind wir der Auffassung,
ass dem Desertec-Projekt eine zentrale Bedeutung zu-
ommt. Wir sind froh, dass die Bundesregierung dieses
rojekt durch Gespräche in den entsprechenden Ländern
ankiert. Mit diesem Projekt können nämlich nicht nur
lima- und energiepolitische Ziele erreicht werden, son-
ern das Projekt hat auch eine wirtschaftspolitische Be-
eutung, nicht nur für die Länder in Nordafrika, die da-
n teilnehmen, sondern auch für die Solarwirtschaft in
eutschland.
An dieser Stelle, meine sehr verehrten Damen und
erren, eine Bemerkung zur Kollegin Lötzsch.
h bin der tiefen Überzeugung: Nur wenn wir es schaf-
n, umweltpolitische Zielsetzungen und wirtschafts-
olitische Zielsetzungen in Übereinstimmung zu brin-
en, und zwar so, dass es beiden Seiten hilft,
erden wir bei der Klimaschutzstrategie Erfolg haben.
or diesem Hintergrund ist die Rede, die Sie heute Mor-
en unter der Überschrift „Wege zum Kommunismus“
ehalten haben, mit Sicherheit nicht hilfreich gewesen.
Um die neue Energiepolitik, die wir im Deutschen
undestag beschlossen haben, umzusetzen, braucht es
ine Beschleunigung des Netzausbaus in Deutschland. Es
raucht einen Zubau neuer und effizienter fossiler Kraft-
erke. Es braucht den weiteren Ausbau der erneuerbaren
nergien, nicht nur in Deutschland, sondern auch in an-
eren Ländern, in denen bessere Bedingungen vorherr-
chen. Es braucht eine Verknüpfung von Umweltpolitik,
irtschaftspolitik, Entwicklungszusammenarbeit und
uswärtiger Politik. Diese Verknüpfung werden wir her-
tellen, um die Klimaschutzziele zu erreichen, gleichzei-
18006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Birgit Homburger
)
)
tig aber auch wirtschaftlich erfolgreich zu sein und wei-
terhin zu bleiben.
Vielen Dank.
Das Wort erhält jetzt der Kollege Frank Schwabe für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
denke, man kann feststellen – das können wir, glaube
ich, übereinstimmend tun, auch diejenigen Mitglieder
des Deutschen Bundestages, die in Durban waren –: Es
hat durchaus Bewegung gegeben, und wir haben eine an-
dere Weltlage, auch im Bereich der Klimapolitik.
Enorme Bewegung gibt es bei vielen kleineren Ländern,
aber auch bei vielen Schwellenländern wie Brasilien,
Mexiko, China und Indien. Angesichts ihrer sehr
schwierigen Rolle finde ich, dass sogar die USA ver-
sucht haben, sich relativ konstruktiv zu verhalten. Ich
will ausdrücklich sagen: Ich sehe durchaus Hoffnungen
und Chancen in diesem Prozess.
Trotzdem müssen wir festhalten, dass der UN-Prozess
nicht ausreichend ist. Er ist aber notwendig. Deswegen
muss er erhalten bleiben. Da der UN-Prozess notwendig
ist, muss man gemeinschaftlich ein klares Wort zu Ka-
nada sagen. Ich verstehe in der Tat nicht, warum der
Bundesumweltminister, aber auch die Bundeskanzlerin
an der Stelle so leisetreterisch und windelweich sind. Bei
aller diplomatischen Zurückhaltung: Das, was Kanada
hier tut, ist ein starkes Stück, und ich finde, dass es wich-
tig wäre, die richtigen Reaktionen in Richtung Kanada
zu senden.
Die Europäische Kommission legt gerade eine neue
Kraftstoffqualitätsrichtlinie vor, weil die Kanadier ihr
schmutziges Öl, aus Teersand und Ölschiefer gewonnen,
nach Europa entsenden wollen. Es ist wichtig, dass wir
als Bundesrepublik Deutschland hier eine klare Haltung
einnehmen. Deswegen habe ich die Haltung der Bundes-
republik Deutschland ausdrücklich abgefragt. Die Ant-
wort habe ich ganz frisch auf den Tisch bekommen. Sie
lautet:
Zum vorgelegten Entwurf der Europäischen Kom-
mission … gibt es noch keine abgestimmte Haltung
der Bundesregierung.
Das ist also die Reaktion Deutschlands auf die Politik,
die Kanada betreibt. Ich glaube, es wäre dringend not-
wendig, dass sich die Bundesrepublik Deutschland klar
auf die Seite der Europäischen Kommission stellt.
Es gab in Durban ganz zweifellos zaghafte Fort-
chritte. Das bewerte ich durchaus so. Es war allerdings
eine Heldensaga, wie der Bundesumweltminister sie
ufführt. Ich weiß nicht, ob Sie etwas übernächtigt wa-
n, als Sie von einem großen, wegweisenden Erfolg ge-
prochen haben. Sie haben aber auch heute wieder von
inem Riesenerfolg geredet. Ich glaube, es könnte auch
twas kleiner gehen.
Es ist nichts anderes gelungen, als dass wir vereinbart
aben, möglicherweise im Jahre 2015 ein internationales
bkommen zu haben, das wir eigentlich schon sechs
ahre vorher in Kopenhagen haben wollten. Wir werden
is zum Jahr 2020 ein jahrelanges Nichtstun der großen
chwellenländer und der USA erleben. Die rechtliche
erpflichtung ist vollkommen unklar. Wir haben kein
eld im Klimafonds und sind auch beim Waldschutz
einen Schritt weitergekommen. Das ist leider die Bi-
nz von Durban.
Herr Minister, eine solche Regierungserklärung, wie
ie sie heute abgegeben haben, hat Vor- und Nachteile.
er Vorteil ist, dass man viel Zeit bekommt – über
0 Minuten – und viel erzählen kann. Man muss aller-
ings innerhalb der Bundesregierung immer alles ab-
timmen, was man hier sagen will. Am Ende wird deut-
ch, dass man nichts zu sagen hat, weil man in dieser
egierung eben nichts abgestimmt bekommt. Ich glaube,
as ist auch bei Ihrer wieder einmal sehr philosophi-
chen, letztlich aber inhaltsleeren Rede deutlich gewor-
en.
Der UN-Prozess ist notwendig, aber er reicht nicht
us; darin sind wir uns einig. Wir brauchen jetzt eine ent-
chiedene Rolle der Europäischen Union und der einzel-
en Staaten der Europäischen Union. Wir brauchen
ündnisse mit anderen Ländern auf der Welt. Dazu, wie
as gelingen soll, haben Sie keinen Satz gesagt.
Vor zwei Wochen haben wir hier im Rahmen einer
ktuellen Stunde eine Debatte über die Weltklimakonfe-
nz geführt. Ich habe damals auf die Debatte über eine
erschärfung des Reduktionsziels auf 30 Prozent inner-
alb der Europäischen Union Bezug genommen. Sie ha-
en heute keinen Satz zum 30-Prozent-Ziel gesagt, Herr
mweltminister.
abei wissen Sie doch ganz genau, dass wir als Europäi-
che Union bis zum 1. Mai des Jahres 2012 ein Ziel
dressieren müssen.
as ist denn die Haltung des Ministers und der Bundes-
gierung dazu? Welches Ziel soll die Europäische
nion bis zum 1. Mai des nächsten Jahres adressieren?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18007
Frank Schwabe
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)
Wir erleben einen Preisverfall innerhalb der Europäi-
schen Union. Der CO2-Preis liegt gerade einmal bei
6,50 Euro. Vor zwei Wochen lag er noch bei etwas über
8 Euro, jetzt sind wir bei 6,50 Euro angelangt. Das heißt,
wir werden in der Europäischen Union in den nächsten
Jahren und Jahrzehnten keine ambitionierte Klima-
schutzpolitik sehen. Wir werden kein Geld im Haushalt
haben. Ich weiß gar nicht, was der Finanzminister dazu
sagt. Sie gehen in Ihren Finanzplanungen von einem
Preis von 17 Euro aus, momentan liegt er bei 6,50 Euro.
Was heißt das denn eigentlich für den Bundeshaushalt?
Herr Umweltminister, Sie haben von einer fruchtba-
ren, engen Zusammenarbeit mit Großbritannien, Däne-
mark und anderen geredet. Chris Huhne, der Minister für
Energie und Klimawandel in Großbritannien, will sich
dafür einsetzen, dass sich die Europäische Union sehr
schnell auf ein 30-Prozent-Ziel festlegt, möglichst wäh-
rend der Ratspräsidentschaft Dänemarks im ersten Halb-
jahr des nächsten Jahres. Was ist denn die Haltung des
Bundesumweltministers und der Regierung dazu? Es
wäre doch wichtig gewesen, das hier heute anzuspre-
chen.
Es gibt jetzt eine Initiative von Unternehmen inner-
halb der Europäischen Union, von Shell, Alstom, Philips
und anderen, die einen Brief an Barroso geschrieben ha-
ben, in dem sie dringend anmahnen, das europäische Re-
duktionsziel anzuheben. Auch dazu gibt es keine Hal-
tung des Bundesumweltministers. Heute hätten Sie in
über 20 Minuten die Zeit gehabt, dazu klare Aussagen zu
treffen.
Ich will Ihnen zum Abschluss ein Zitat vorlesen. Es
lautet:
Als nächsten Schritt schlagen wir vor, dass die EU
ihre Emissionen bis 2020 um 30 % gegenüber 1990
reduziert. … Wir können es uns nicht leisten zu
warten, bis andere sich bewegen.
Was glauben Sie, von wem dieses Zitat war? Es war ein
Zitat von Sigmar Gabriel, damals Bundesumweltminis-
ter. Er hat es vor fünf Jahren bei der Weltklimakonferenz
in Nairobi gesagt, als er sich für das 30-Prozent-Ziel in
der EU eingesetzt hat. Sie, Herr Bundesumweltminister,
schaffen es nicht einmal, dieses Ziel vor dem Plenum
des Deutschen Bundestages zu erwähnen und seine Er-
reichung zu fordern. Das ist zu wenig.
Philosophisch über Dinge zu reden, ist gut; das kann
man machen. Am Ende geht es aber um Taten statt
Worte. Daran werden wir Sie messen. Solange es diese
Taten nicht gibt, werden wir Sie entsprechend kritisie-
ren.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
n! Es gibt in diesen Tagen unterschiedliche Bewertun-
en des Ergebnisses der Klimakonferenz in Durban.
ies mag bei dem einen oder anderen mit der Absicht
usammenhängen, die dahintersteckt. Es hängt aber si-
herlich vor allem mit dem Maßstab zusammen, anhand
essen diese Ergebnisse von jemandem bewertet wer-
en.
Aber eines ist doch völlig klar: Wenn man dieses Er-
ebnis sieht und es an den Erwartungen, die wir vor der
onferenz hatten, und an dem, was realistischerweise
achbar war, misst – wir müssen sehen, es sind über
90 Länder am Verhandlungstisch, und es gilt das Ein-
timmigkeitsprinzip –, kann man sagen, dass dieses Er-
ebnis definitiv ein Fortschritt ist. Es ist ein Erfolg.
s ist vor allem deswegen ein Fortschritt, weil neben ei-
er Reihe von Beschlüssen, die gefasst worden sind, die
rundlage für weltweite Vereinbarungen über die Men-
enbegrenzungen der Treibhausgasemissionen geschaf-
n wurde. Es ist ein Fahrplan vereinbart worden, ein
ahrplan hin zu einem weltweiten Abkommen.
Warum ist genau dieser Punkt, also das weltweite Ab-
ommen, am Ende so entscheidend und so wichtig? Es
t deswegen so wichtig, weil der Klimaschutz ein klas-
isches globales Problem ist. Ein einzelnes Land wie
eutschland, Frankreich, Italien und selbst die Europäi-
che Union insgesamt können dieses Problem alleine
icht lösen. Was wir brauchen, sind weltweite Antwor-
n. Die Staaten müssen miteinander kooperieren. Wir
rauchen weltweite Lösungen und ein weltweites Ab-
ommen.
Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass dieses Ab-
ommen früher als 2020 in Kraft treten kann; das ist
och klar.
ber entscheidend ist, dass es eine Perspektive gibt und
ass der Prozess weitergeht und eben nicht abbricht.
ntscheidend ist, dass alle im Boot sind. Genau deswe-
en sollten wir dieses Ergebnis von Durban jetzt nicht
leinreden, sondern wir sollten es anerkennen als das,
as es tatsächlich ist, nämlich einen maßgeblichen Fort-
chritt.
Wir haben mit anderen Delegationen viele Gespräche
eführt. Es ist in allen Gesprächen deutlich geworden,
ass das Ansehen Deutschlands in diesen internationalen
limaschutzverhandlungen enorm hoch ist. Die Rolle
18008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Thomas Gebhart
)
)
Deutschlands wird positiv gesehen. Ich denke, das wird
hier auch parteiübergreifend niemand bestreiten wollen.
Deutschland und die Europäische Union haben zu
diesem Ergebnis maßgeblich beigetragen. Es war vor al-
lem die Strategie, eine Allianz mit den afrikanischen
Staaten und mit den kleinen Inselstaaten zu bilden, die
Bewegung in die Verhandlungen gebracht hat, die auch
weit über diese Konferenz hinaus positive Auswirkun-
gen haben und neue Möglichkeiten und Optionen schaf-
fen wird. Daran hat auch unser Umweltminister Norbert
Röttgen einen maßgeblichen Anteil. Ich denke, es ist an
dieser Stelle mehr als gerechtfertigt, ihm für seinen Ein-
satz vor und während der Konferenz wie auch all denje-
nigen, die in der Delegation mitgewirkt haben, Danke
schön zu sagen.
Meine Damen und Herren, so unverzichtbar diese
Verhandlungen und Konferenzen unter dem Dach der
Vereinten Nationen sind, so klar ist auch: Wir werden
auf diesem Weg alleine die Probleme nicht lösen. Viel-
mehr muss ein zweiter Punkt hinzukommen: technologi-
sche Innovationen.
Warum ist dieser Punkt so wichtig? Er ist deswegen
so wichtig, weil wir Klimaschutz letzten Endes nur dann
erfolgreich schaffen können, wenn wir ihn mit Wohl-
stand, Wachstum und Entwicklung in Einklang bringen.
Der Schlüssel, um beides miteinander zu verbinden, liegt
in technologischen Innovationen, neuen Technologien
wie Effizienztechnologien und erneuerbaren Energien
und vielem mehr.
An dieser Stelle hat Deutschland eine besondere
Rolle. Wir bauen unsere Energieversorgung um, und
zwar hin zu einer stärker nachhaltigen Energieversor-
gung. Viele in der Welt beobachten zurzeit sehr genau,
was in Deutschland geschieht. Sie beobachten, wie wir
diesen Umbau organisieren und die neuen Technologien
voranbringen.
In allen Gesprächen mit anderen Delegationen ist
auch deutlich geworden, dass das Interesse anderer Län-
der an dem, was wir im Moment in Deutschland machen,
riesig ist. Vor dem Hintergrund dieser Gespräche mit an-
deren Delegationen bin ich mehr denn je überzeugt: Je
besser uns in Deutschland dieser Umbau jetzt gelingt,
desto attraktiver wird dieser Weg auch für andere Län-
der. Je besser wir bei uns im eigenen Land zeigen, dass
Klimaschutz und eine starke Wirtschaft keine Gegen-
sätze sind, sondern dass mithilfe neuer Technologien das
eine das andere unterstützt und mitunter sogar bedingt,
desto mehr tragen wir zum Klimaschutz bei, und zwar
am Ende weltweit.
Für Deutschland als Vorreiter liegen in diesem Be-
reich und in diesen Fragen gewaltige Herausforderun-
gen. Aber die Chancen sind mindestens genauso groß.
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Vertreter aus Bangladesch haben uns geschildert, dass
ie Menschen heute schon von der Küste ins Landesin-
ere umziehen müssen, weil die Folgen des Klimawan-
els den Menschen dort große Probleme bereiten. Auf
idschi ist es genauso. In afrikanischen Ländern machen
en Menschen zunehmend Dürre und Hitze zu schaffen.
s wurde uns berichtet, was es bedeutet, wenn im
ommer Rekordtemperaturen von 50 Grad Celsius herr-
chen. Es wurde uns berichtet, was dies für das alltägli-
he Leben bedeutet.
Dies ist bereits Realität. Deswegen gilt: Klimaschutz
t wichtig und notwendig, aber genauso notwendig ist
n vielen Stellen die Anpassung an die Folgen des Kli-
awandels. Deswegen sollten wir am Ende beide Wege
ehen und beides konsequent voranbringen.
Herzlichen Dank.
Ich erteile der Kollegin Eva Bulling-Schröter für die
raktion Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
urban wurde wieder einmal ein Fahrplan verab-
chiedet, aber – wie die Zeitung Die Welt schrieb – los-
efahren ist niemand. Ich möchte der Bundesregierung
icht die gute Laune verderben; aber was ist eigentlich
0 Jahre nach der Klimarahmenkonvention die Bilanz
ternationaler Klimapolitik? Für fünf Jahre gab es mit
em Kioto-Abkommen ein Einsparziel, aber diese Ver-
inbarung wurde gleich nach der Verabschiedung durch-
chert. So gab es Zugeständnisse an Russland bezüglich
er Anrechnung der Wälder, und es waren die USA, die
ich ganz aus dem Klimaschutz verabschiedet haben.
Wenn das Ziel des Kioto-Protokolls 2012 erreicht
ird, dann wird der Minderungsbeitrag gerade einmal
Prozent der weltweiten Emissionen ausmachen. Ich
de noch nicht einmal über die Schlupflöcher, zum Bei-
piel über CDM, also die anrechenbaren Klimaschutz-
rojekte in Entwicklungsländern. Diese sind noch gar
icht berücksichtigt. Im selben Zeitraum, also seit 1990,
ind die globalen Emissionen um fast 40 Prozent gestie-
en. Ich wiederhole es, damit auch alle es mitbekom-
en: Das Ergebnis aller UN-Klimaverhandlungen be-
teht darin, global einen Beitrag von maximal 1 Prozent
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18009
Eva Bulling-Schröter
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)
Minderung in 20 Jahren zu leisten. Gleichzeitig beträgt
die reale Steigerung 40 Prozent. Der internationale Kli-
maprozess ist gescheitert. Das Ergebnis von Durban än-
dert daran nichts.
Ich möchte aber den Sinn von UN-Klimagipfeln ex-
plizit nicht infrage stellen. Wir brauchen diese Beratun-
gen. Im Detail haben die Verhandlerinnen und Verhand-
ler der EU und auch Deutschlands gute Arbeit geleistet.
Aber die Formel „mehr war nicht drin“ zeigt doch, dass
Klimaschutz offensichtlich an die Grenzen des Gesell-
schaftssystems stößt. Es ist tatsächlich so, wie Herr
Minister Röttgen neulich formuliert hat: Die Klimaver-
handlungen sind im Kern Wirtschaftsverhandlungen. Ich
sage: Sie sind ein Ringen um die globale Verteilung von
Wachstumschancen. Aber nicht nur das: Sie sind auch
ein Ringen darum, in welcher Weltregion von welchen
Konzernen und mit welchen Schranken zukünftig Profit
gemacht werden kann.
Es nützt nichts, wenn wir nur auf China oder die USA
schauen. Wir müssen vor der eigenen Haustüre kehren;
denn Unternehmen aus Deutschland verlagern seit Jahr-
zehnten ihre Industrie in Entwicklungs- und Schwellen-
länder. Diese Länder produzieren nun für unsere Märkte.
Zudem haben die Industrieländer seit der Industriealisie-
rung die Atmosphäre mit Klimakillern aufgefüllt: für
den Wohlstand eines Teils der Bevölkerung, für Firmen-
kassen, für einen zweifelhaften Konsum, für irrwitzige
Verkehrskonzepte und für größenwahnsinnige Infra-
strukturprojekte. Dafür wurde der globale Süden ausge-
beutet, und er wird es noch: für Rohstoffe – dafür wer-
den Kriege geführt – und billige Arbeitskräfte.
Es ist doch kein Wunder, dass sich die Schwellenlän-
der nicht vorschreiben lassen, wie sie sich entwickeln
sollen. Auch sie wollen Chancen, und das ist verständ-
lich. Ich halte es für ziemlich verlogen, wenn Luxus-
karossen und Panzer in alle Welt exportiert werden und
man dann den Leuten sagt: Wir wollen, dass ihr euch
nachhaltig entwickelt.
Das ist vor allem dann unglaubwürdig, wenn gleichzei-
tig Palmöl, Agrosprit, Unmengen von Soja oder Seltene
Erden aus Konfliktgebieten importiert werden, um so
weitermachen zu können wie bisher. Der brasilianische
Regenwald wird abgeholzt, weil es bei uns eine Beimi-
schungspflicht gibt. Meine Frage ist: Wie gedenken wir
damit weiter umzugehen? Ich meine, diese Beimi-
schungspflicht muss abgeschafft werden.
Ich frage mich: Ist dieses globalisierte profit- und
wachstumsorientierte System jemals in der Lage, sich zu
mäßigen? Es klappt ja nicht einmal bei den Finanzmärk-
ten. Welche Hoffnung soll ich da haben? Das auszuba-
den haben – Kollegen haben es geschildert – Menschen
in Afrika, im Tschad, auf den Fidschi-Inseln. Es gibt
viele Menschen, deren Land demnächst unter Wasser
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ir sind verantwortlich, und wir haben diese Verantwor-
ng zu tragen.
Wir haben mit betroffenen Menschen gesprochen.
eine Kollegin Gesine Lötzsch hat gesagt: In Durban
urde allenfalls der Verhandlungsprozess gerettet, nicht
ber das Klima. – Da hat sie recht. Wir müssen den Zu-
ammenhang der verschiedenen globalen Krisen sehen;
enn sie haben dieselbe Ursache.
Frau Kollegin.
Ich sage: Es ist der ungezügelte Kapitalismus; wir
üssen da etwas tun.
Natürlich kann an dieser Stelle niemand außer der Lin-
en klatschen; das ist für Sie ein Reizwort.
Aber ich bin ein optimistischer Mensch und habe
ach wie vor die Hoffnung, dass diese Welt zu retten ist,
ass sie eben nicht untergeht und dass wir das 2-Grad-
iel noch erreichen. Dafür müssen wir gemeinsam etwas
n, und zwar jetzt. Ich sage immer: Es gibt stets Alter-
ativen. Diese Alternativen müssen wir angehen – im In-
resse der Menschen auf anderen Kontinenten.
Hermann Ott ist der nächste Redner für die Fraktion
ündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
t gut, dass in Durban doch noch ein Ergebnis zustande
am, dazu noch, wie es der Zufall wollte, am 11. Dezem-
er, also genau an dem Tag, an dem 14 Jahre zuvor das
ioto-Protokoll angenommen worden ist. Ich kann mich
och gut daran erinnern und auch daran, wie ich die
anzlerin, damals noch Umweltministerin, wissen-
chaftlich beraten durfte. Was damals in Kioto galt, das
ilt heute immer noch.
Wenn man in 100 Jahren auf unser Jahrzehnt zurück-
lickt, dann werden viele der Krisen, die uns heute in
tem halten, nicht viel mehr als eine Fußnote der Ge-
chichte sein. Aber was die Menschen in 100 Jahren
rennend interessieren wird, das ist die Frage, ob wir es
eschafft haben, die menschheitsgefährdende Aufhei-
ung unseres Planeten zu verhindern. Das ist der Maß-
tab, an dem unsere Politik gemessen werden wird.
18010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Hermann E. Ott
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Ich bin davon überzeugt, dass wir es schaffen können,
eine gefährliche Störung unseres Klimasystems zu ver-
hindern. Doch wir brauchen dazu den festen politischen
Willen und die nötige Klugheit. Diese Klugheit ist in
Durban etwas aufgeblitzt: Es war gut, den Schulter-
schluss mit den Ärmsten der Welt zu suchen, um die
USA, Indien und China in die Enge zu treiben. Es wäre
klug, diese Lektion nicht zu vergessen.
Nicht vergessen sollte man auch, dass die Europäi-
sche Union nur im Zusammengehen mit den Ärmsten,
mit den Gefährdetsten dieser Welt etwas bewegen kann.
Da reicht es nicht, auf den Klimafonds zu verweisen, der
zwar eingerichtet worden ist, aber bisher ohne Geld da-
steht. Die Deutsche Bank Research hat ihren Bericht
über Durban mit dem Titel überschrieben: „Die Welt ent-
scheidet sich für Anpassung“. Das ist die fatale Logik
seit Kopenhagen: keine Minderung, aber dafür das In-
aussichtstellen von Finanzierung. Geld gegen Leben, das
darf es nicht geben.
Vor allem dürfen wir nicht vergessen, dass das Ein-
zige, was am Ende zählt, die Taten sind, nicht die Worte.
Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Energiewende in
Deutschland und in Europa richtig gestalten. Herr
Röttgen – ich beziehe mich auf das, was Sie eben gesagt
haben –, kein einziger der Umweltverbände hat die Bun-
desregierung dafür gelobt, dass sie nicht für eine
CO2-Reduktion um 30 Prozent, sondern nur um 20 Pro-
zent eingetreten ist. Das Gegenteil ist der Fall: Alle Um-
weltverbände haben 30 Prozent gefordert. Es ist eine
Schande, dass die Bundesregierung das nicht getan hat.
Wenn Sie Härte beweisen wollen, Herr Röttgen, dann
tun Sie das bitte gegenüber Ihrem Kollegen Herrn Rösler
oder wer auch immer ab morgen Wirtschaftsminister in
diesem Lande ist.
Meine Damen und Herren, die Klimakonferenz in
Durban hat auch gezeigt, dass die Strategie der unter-
schiedlichen Geschwindigkeiten die richtige ist. Daran
muss jetzt angeknüpft werden. Nach den Erfahrungen
von Kopenhagen, Cancún und jetzt Durban scheint es
mir sinnvoll zu sein, einen Prozess parallel zu den Ver-
handlungen im Rahmen der Vereinten Nationen einzulei-
ten, eine Allianz der Ambitionierten zu gründen, wenn
man so will. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist al-
lerdings, dass diese Gruppe nicht versucht, Unwillige ins
Boot zu ziehen, nicht die ewigen Zweifler, Nörgler und
Bremser. Es müssen zwar alle irgendwann ins Boot, aber
eben nicht alle zur gleichen Zeit. Wenn diese Bedingung
missachtet wird, muss diese Gruppe ebenso scheitern
wie alle anderen Bemühungen zuvor.
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ie werden dann wahrscheinlich nicht mehr im Amt
ein. Ich bitte Sie aber darum: Leiten Sie jetzt die ent-
prechenden Prozesse ein, damit wir dann vernünftig die
erhandlungen weiterführen können!
Meine Damen und Herren, die Klimakonferenz in
urban hat ein Fundament gelegt, das nur tragfähig sein
ann, wenn wir es konsequent ausbauen. Lassen Sie uns,
m ein Bild der Vorweihnachtszeit zu gebrauchen, nicht
ur schöne Adventslieder singen – so schön das gestern
uch im Paul-Löbe-Haus war –, sondern lassen Sie auch
aten folgen! Lassen Sie uns die Apfelbäumchen pflan-
en! Lassen Sie uns alles dafür tun, dass der Klimawan-
el in 100 Jahren nur als ehemalige Bedrohung in den
eschichtsbüchern auftaucht und nicht das Leben unse-
r Enkel und Urenkel zur Hölle macht!
Ich danke Ihnen.
Josef Göppel ist der nächste Redner für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
eden derer, die in Durban dabei waren, unterschieden
ich doch etwas von den Reden derer, die nicht in Dur-
an waren. Wer den Verhandlungsprozess verfolgt hat,
er hat die existenzielle Not gespürt, die viele Länder
ewegte und die letztlich auch zum Aufbrechen der alten
löcke geführt hat. Der alte Block der G 77 ist von der
ealität überholt werden. Die afrikanischen Länder und
ie Inselstaaten haben sich daraus gelöst, weil sie ge-
erkt haben, dass ein Land wie China ihre Interessen
icht mehr vertritt.
In meinen Augen ist der größte Erfolg der Konferenz
Durban, dass es eine neue Allianz zwischen den afri-
anischen Ländern, den Inselstaaten und Europa gibt.
as ist vorbereitet worden. Hier hat die deutsche Ver-
andlungsführung eine gute Rolle gespielt.
In meinen Augen hat sich in Durban noch ein Zweites
ezeigt: Die Nichtregierungsorganisationen sind zu ei-
em echten Faktor in den Verhandlungen geworden. Man
ann geradezu von einem Dreieck aus offiziellen Delega-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18011
Josef Göppel
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tionen, Nichtregierungsorganisationen und Medien spre-
chen. Dieses Dreieck hat im Zusammenspiel eine Ver-
handlungsdynamik entwickelt, die letztlich das Scheitern
verhindert hat. Das ist ein Erfolg für sich. Gleichwohl
heißt das noch lange nicht, dass wir uns damit jetzt zufrie-
dengeben können.
Ich habe jetzt zum achten Mal eine Klimakonferenz
miterlebt, am Anfang unter Umweltminister Trittin,
dann unter Sigmar Gabriel und jetzt eben unter Norbert
Röttgen. Jeder Minister hat auf seine Weise in seiner je-
weiligen Amtszeit dafür gesorgt, dass Deutschland eine
drängende Rolle einnimmt. Ich finde, es ist wichtig, dass
wir als deutsches Parlament über Partei- und Koalitions-
grenzen hinweg in dieser Frage einheitlich in eine Rich-
tung arbeiten.
In diesem Zusammenhang, Herr Bundestagspräsi-
dent, habe ich eine Bitte: Ich finde es nicht gut, dass der
Ältestenrat gesagt hat, dass die Genehmigung für die
Teilnahme einer begleitenden Parlamentarierdelegation
an einer Klimakonferenz zum letzten Mal ausgesprochen
wurde. Gerade die Beteiligung der Abgeordneten neben
dem Verhandlungsapparat der Beamten ist eine wichtige
Hilfe und Ergänzung für die Positionierung unserer Bun-
desregierung. Das hat man in Durban ganz besonders ge-
spürt. Deswegen sollten wir diese gute Tradition auch
fortsetzen.
Guter Klimaschutz stärkt unser Land. Wir hatten zum
Beispiel ein Gespräch mit der Delegation von Uruguay.
Auf die Frage an den Umweltminister von Uruguay, was
ihm und seinem Land am meisten nützen würde, kam
prompt die Antwort: Geben Sie uns deutsche Technik. –
Das ist das Entscheidende.
Die Frage von Oppositionskollegen, wie es weiter-
geht, ist die richtige Frage. Ich möchte Sie in dem Zu-
sammenhang aber auf den vor wenigen Tagen erfolgten
Beitrag von Minister Röttgen aufmerksam machen. Da-
rin legt er dar, wie er sich den Masterplan zur weiteren
Umsetzung der Energiewende in Deutschland vorstellt.
Dabei geht es darum, dass die erneuerbaren Energien
eine Größenordnung erreichen, die auch eine Qualitäts-
veränderung bedeutet. Wenn die Erneuerbaren einen An-
teil von über 20 Prozent an der Stromversorgung haben,
kommt diesem Bereich mehr Verantwortung zu. Ich er-
wähne in dem Zusammenhang ein flexibles und nachfra-
georientiertes Angebot sowie die Entwicklung von Spei-
chertechnologien.
Ich finde, es ist wichtig, dass wir Deutsche die tech-
nologische Herausforderung annehmen. Meine Kollegen
Thomas Gebhart und Christian Ruck haben hier schon
gesagt, dass die anderen Länder das deutsche Experi-
ment beobachten und mit einer gewissen Faszination da-
rauf schauen, dass sich ein so starkes Industrieland wie
Deutschland vollkommen auf den Pfad hin zu einer koh-
lenstofffreien Energieversorgung begibt. Das ist eine He-
rausforderung für unser Land, zugleich aber auch eine
Riesenchance für die wirtschaftliche Entwicklung
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s kommt entscheidend darauf an, wo die Europäische
nion die Grenze ansetzt.
Wir haben in Durban sicher eine Atempause bekom-
en und haben die Weichen in die richtige Richtung ge-
tellt. Aber wir müssen jetzt innerhalb unseres Landes
nd innerhalb der Europäischen Union unter Beweis
tellen, dass wir diesen Weg entschlossen weitergehen.
Ich durfte, wie gesagt, zum achten Mal bei einer der-
rtigen Konferenz dabei sein und möchte meinen per-
önlichen Eindruck wiedergeben. Zum ersten Mal habe
h gespürt, dass die Europäische Union bei einer sol-
hen Weltkonferenz das Gesetz des Handelns befolgte
nd die Entwicklung bestimmte. Das wünsche ich mir
uch im nächsten Jahr in Katar. Die Entschlossenheit un-
eres Bundesumweltministers lässt daran keinen Zwei-
l.
Ich möchte auch den Oppositionskollegen, die eben
ier gesprochen haben und in Durban dabei waren, dafür
anken, dass sie die persönliche Leistung des deutschen
undesumweltministers und seinen Anteil am Verhand-
ngserfolg anerkannt haben. Diese Einigkeit stärkt ins-
esamt den Klimaschutz – und damit auch unser Land.
Das Wort hat nun der Kollege Ulrich Kelber für die
PD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
n! In der Debatte vor der UN-Klimaschutzkonferenz in
urban hat die SPD die schwarz-gelbe Klima-, Energie-
nd Umweltpolitik heftig kritisiert, namentlich die Rolle
er Bundeskanzlerin, des Bundeswirtschaftsministers
nd auch des Bundesumweltministers.
Wir haben damals angesprochen, dass es falsch ist,
hne Position zu den Klimaschutzzielen der Europäi-
chen Union dorthin zu fahren. Und in der Tat: Bis Mai
18012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Ulrich Kelber
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wird der Deutsche Bundestag jetzt entscheiden müssen.
Das heißt, das Drücken vor einer Antwort auf die Frage,
ob die Europäische Union die Emission von Treibhaus-
gasen um 30 Prozent reduzieren soll oder nicht, wird bei
Schwarz-Gelb nicht mehr durchgehen können.
Wir haben uns darüber beschwert, dass die nationalen
Fördermittel für erneuerbare Energien im Wärmebe-
reich, für Energieeffizienz und für neue Technologien
erst heruntergefahren und jetzt teilweise wieder hochge-
fahren worden sind. Dieses Hü und Hott hat natürlich
zur Folge gehabt, dass niemand investiert hat, weil sich
niemand darauf verlassen konnte, ob die Zuschüsse
kommen. Hier brauchen wir eine verlässlichere Politik.
Unser Hauptkritikpunkt – der vorhin bereits zu einer
Auseinandersetzung zwischen uns geführt hat, Herr
Bundesumweltminister – betrifft die Nichteinhaltung
von Zusagen. Dies ist mir so wichtig, dass ich es – neben
der Zwischenfrage von vorhin an Sie, Herr Dr. Ruck –
noch einmal erwähnen will: Die Bundesrepublik
Deutschland hat eine Zusage gemacht, 0,7 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe und insbe-
sondere die Armutsbekämpfung dort auszugeben.
– Unter unserer Regierung; und Sie haben es mit über-
nommen und bekräftigt.
Wenn wir dann im Jahr 2009 auf einer Konferenz als
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Bundes-
kanzlerin Merkel, sagen: „Wir werden zusätzliches, fri-
sches, neues Geld einsetzen zur Bekämpfung des Klima-
wandels“, dann ist es unmoralisch, das mit dem Geld zu
verrechnen, das man für die Armutsbekämpfung bereits
zugesagt hatte. Das ist unsere Kritik.
Es ist auch nicht in Ordnung, wenn die Bundeskanzle-
rin im Jahr 2008 auf einer Konferenz sagt: „Ich gebe für
die Erhaltung der Artenvielfalt, der Biodiversität eine
Zusage von 500 Millionen Euro“, und ein Jahr später auf
einer Konferenz sagt: „Ich werde zusätzliches frisches
Geld geben“, und dann diese 500 Millionen Euro mit der
neuen Zusage verrechnet. Auch das ist unredlich. Das ist
unwahrhaftig. Deswegen werden wir das auch in Zu-
kunft eine Lüge nennen.
Anders bewerten wir das Verhalten und die Rolle der
Bundesregierung in Durban. Sie haben eine Unterstüt-
zung der dänisch-deutschen Initiative durch die SPD er-
halten. Wir haben es auch unterstützt, eine harte Linie
gegenüber den Verweigererstaaten wie USA, Kanada
und China zu fahren. Wir haben uns insbesondere ge-
freut, dass der Vorschlag, den wir als SPD in der Debatte
vor Durban gemacht haben – das Thema „Allianzen bil-
den“ –, dort in hervorragender und vorbildlicher Weise
aufgenommen wurde. Darin war Gemeinsamkeit enthal-
ten.
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Es handelt sich nach wie vor nur um die vage Absicht,
in Weltklimaabkommen zu beschließen. Es ist eine
agwürdige Verbindlichkeit. Auch haben wir das Ganze
it dem hohen Preis erkauft, dass in Zukunft die wissen-
chaftliche Basis gefiltert wird, die in der Vergangenheit
ins zu eins an die Öffentlichkeit gegangen ist. Deswe-
en ist es so wichtig, bei dem zu bleiben, was tatsächlich
assiert ist, und nicht bei den Leuten den Eindruck zu er-
ecken, es sei mehr passiert. Schüler, die auf der Tri-
üne sitzen, hören jetzt seit zehn Jahren – seit sie in
rem Leben vielleicht manchmal Nachrichten hören –
mer: Das war der Durchbruch bei den internationalen
limaverhandlungen.
atsache ist aber, dass wir nicht vorankommen. Man
acht die Leute mürbe, wenn man ihnen zu viel ver-
pricht.
Ich glaube, der erfolgversprechendste Ansatz – das
aben wir in Durban gesehen – ist die Frage der Allian-
en; das hatten wir vor wenigen Wochen hier in der De-
atte bereits erwähnt. Diese Allianzen müssen wir vo-
ntreiben. Sie müssen allerdings zu dauerhaften und
efergehenden Allianzen werden; eine einmalige Alli-
nz auf einer Klimakonferenz reicht nicht aus.
Deswegen machen wir den Vorschlag, den Dialog der
20 Staaten fortzusetzen, ihn allerdings zu ergänzen, und
war um eine Klimaschutzallianz der 64 Staaten. Die
ald 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union plus Is-
nd, Norwegen, Schweiz und Türkei holen sich 32 Part-
erstaaten unter den Entwicklungs- und Schwellen-
ndern Afrikas und Lateinamerikas ins Boot. Das
eschieht mit einer klaren Finanzierung von Fast-Start-
itiativen – also Anpassung an den Klimaschutz –, mit
inem Emissionshandel innerhalb dieser Initiative, der
en Finanztransfer regelt, und mit einem tiefgehenden
issens- und Technologietransfer. Gleichzeitig ver-
flichten sich alle auf Begrenzung oder Senkung der
missionen. Damit hätten wir ein echtes Vorbild, wie es
nktionieren kann.
Wir müssen uns tatsächlich überlegen, den Grenzaus-
leich als Druckmittel zu nutzen. Ich glaube, die Formel
Klimaschutz gleich Innovation gleich wirtschaftlicher
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18013
Ulrich Kelber
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Erfolg“ stimmt; aber sie stimmt nicht immer gleichzeitig
in allen Branchen. Wir erleben, dass insbesondere in
Nordamerika in manchen Branchen versucht wird, mit
Ökodumping Wettbewerb zu machen. Da müssen wir sa-
gen: Wer 2015 nicht Unterzeichner einer international
verpflichtenden Vereinbarung werden will, wird damit
rechnen müssen, dass er dadurch auch im internationalen
Handel wirtschaftliche Nachteile hat.
Deswegen brauchen wir einen Grenzausgleich, also
Importzölle auf Waren aus solchen Ländern und einen
Grenzausgleich für Exporte in solche Länder, damit wir
2015 nicht noch einmal ein Weiter-so auf einer inter-
nationalen Klimaschutzkonferenz akzeptieren müssen,
damit wir uns nicht nur auf den UN-Prozess verlassen
müssen, sondern die mutigen, weitsichtigen Staaten vo-
rangehen und damit neuen Druck in die internationalen
Klimaschutzverhandlungen bringen können. Dann kön-
nen die nächsten Verhandlungen ein größerer Erfolg
werden, als es die Konferenz in Durban war.
Vielen Dank.
Der Kollege Andreas Jung hat das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zunächst einmal einen Dank an die Bundes-
regierung aussprechen: Die Bundesregierung, insbeson-
dere Bundesumweltminister Norbert Röttgen als Leiter
der Verhandlungen in Durban,
hat deutlich gemacht: Auch wenn es derzeit große He-
rausforderungen innerhalb der Europäischen Union zu
bewältigen gibt und wir den Kampf um den Euro zu füh-
ren haben, hat der Klimaschutz nicht an Bedeutung ver-
loren. Im Gegenteil: Der Klimaschutz bleibt wichtig; er
ist eine entscheidende Frage und hat in der Politik der
Bundesregierung und der Koalition Priorität, weil es hier
um Lebensgrundlagen, aber auch um wirtschaftliche
Fragen geht. Deshalb ist es richtig, dass unterstrichen
wurde: Für uns hat die Klimapolitik einen hohen Stellen-
wert. Dafür hat man sich vor der Konferenz in Durban
eingesetzt; es wurde in Durban deutlich gemacht. Dafür
ein herzliches Dankeschön.
Es ist im Rahmen der Debatte gesagt worden: Schön-
färberei hilft uns nicht weiter. – Dem stimme ich zu; aber
ich will hier eindeutig sagen: In dieser Debatte und in
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Es wird immer wieder die Koalition der Willigen an-
emahnt. Das Neue an dieser Konferenz ist doch, dass es
der Tat gelungen ist, eine Koalition aus der Europäi-
chen Union und den wenigen engagierten Partnern in
en Industriestaaten sowie denjenigen, die besonders un-
r dem Klimawandel leiden – die Staaten in Afrika und
ie Inselstaaten, bei denen es buchstäblich um die Frage
es Überlebens geht –, zu schmieden. Man hat gemein-
am gesagt: Wir nehmen euch – die Amerikaner, die
hinesen, diejenigen, die bremsen und nicht mitmachen
ollen – in die Pflicht. Erst das hat den moralischen
ruck erzeugt, der es ermöglicht hat, dass es am Ende
tsächlich zu diesem Schritt kam.
Manchmal werden diese Gipfel, die Verhandlungen
nter dem Dach der UN, infrage gestellt: Ist das über-
aupt das richtige Format? Kommen wir da überhaupt
eiter? Wahr ist: Wir kommen auch hier zu langsam vo-
n. Aber alle anderen Alternativen wären nicht besser.
erade diejenigen innerhalb der G 20, die geholfen ha-
en, den Druck zu erzeugen, waren nicht dabei. Es ist
nsere gemeinsame Überzeugung, dass es zu diesem
chwierigen Weg unter dem Dach der UN keine Alterna-
ve gibt. Deshalb müssen wir ihn weitergehen.
Schönfärberei hilft nicht weiter – das behauptet hier
uch keiner –, schlechtreden hilft noch weniger weiter,
chlechtreden schadet. Deswegen habe ich mich über
en einen oder anderen Beitrag gewundert. Einerseits
urde gesagt, ihr wart zu denen, die nicht mitmachen
ollten, zu nett, andererseits wurde gesagt, zu denen, die
18014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Andreas Jung
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nicht mitmachen wollten, wart ihr zu hart. Frau Künast
hat das mit Blick auf China gesagt. Nein, der richtige
Weg ist, dass wir nach Durban den Partnern in allen
Staaten, die mitmachen müssen, sagen: Wir brauchen
euch, wir wollen Verantwortung übernehmen, ohne euch
geht es nicht. Das werden wir zu einem wichtigen Punkt
in der Klimapolitik im Verhältnis zu den anderen Staaten
machen; denn niemand, bei dem der Klimaschutz außen
vor bleibt, kann eine Führungsrolle beanspruchen.
Ich möchte an dieser Stelle speziell zu Frau Künast
eine Bemerkung machen. Sie hat das Plenum offensicht-
lich leider schon verlassen.
So ausdauernd ist also ihr angemahntes Engagement für
den Klimaschutz. Frau Künast hat sich, was ich bemer-
kenswert fand, gleich zweimal mit einem „Hintern“ aus-
einandergesetzt. Das zeigt, dass sie offensichtlich eher
nach hinten schaut.
Wir schauen aber eher nach vorne. Deshalb unterstrei-
chen wir unsere Vorreiterrolle auch in Zukunft.
Dazu gehört, die Glaubwürdigkeit durch Erreichen unse-
rer Minderungsziele zu erhalten.
Es wird eine Klimapolitik mit unterschiedlichen Ge-
schwindigkeiten angemahnt. Die machen wir in Deutsch-
land bereits, egal was die anderen Partner machen. Wir
bekennen uns zu den unbedingten Klimazielen. Wir ha-
ben unser Minderungsziel auf 40 Prozent aufgestockt.
Das ist mehr – der Vergleich wurde gemacht –, als wir in
der Großen Koalition durchsetzen konnten.
Die Große Koalition hatte sich auf 40 Prozent verstän-
digt, aber bedingt, dass heißt, nur wenn die anderen mit-
machen. Wir setzen uns ein unbedingtes Ziel. Aus mei-
ner Sicht ist es jetzt notwendig, dass wir gerade nach
diesem Gipfel für ein 30-Prozent-Ziel werben, um einen
zusätzlichen Impuls zu geben. Wir Deutschen sind Vor-
reiter. Wir sind nicht zögerlich – das muss man in dieser
Debatte klar feststellen –, und so werden wir internatio-
nal wahrgenommen.
Mein letzter Punkt betrifft die Finanzierung des Kli-
maschutzes. Es ist wahr, dass sich unsere Glaubwürdig-
keit daran misst, dass die Zusagen eingehalten werden.
Es war richtig, dass die Bundeskanzlerin in Kopenhagen
diese Zusage gemacht hat. Es ist dort definiert worden,
was „zusätzlich“ heißt, nämlich Mittel für den Klima-
schutz über das bisherige Niveau hinaus bereitzustellen.
Diese Zusage wird eingehalten.
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arauf wird der Bundestag drängen. Wir haben dafür ge-
orgt, dass die Einnahmen aus dem Emissionshandel in
ollem Umfang in den Energie- und Klimafonds fließen.
amit haben wir im Übrigen die Möglichkeit, den Fonds
it Mitteln auszustatten, die nicht der Steuerzahler zahlt,
ondern die Industrie, die CO2 ausstößt.
iesen Weg müssen wir weitergehen.
Es gilt, den Emissionshandel weiterzuentwickeln. Wir
üssen auch den Flug- und den Schiffsverkehr in den
missionshandel einbeziehen, damit diejenigen, die CO2
usstoßen, auch tatsächlich bezahlen. Ich finde, dass wir
it unserer Klimapolitik den richtigen Weg beschreiten,
uch die Bundesregierung wird diesen Weg weiter be-
chreiten. Dabei hat sie die volle Unterstützung der
DU/CSU-Bundestagsfraktion.
Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsa-
en Entschließungsantrag der Fraktionen von SPD und
ündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8154. Wer
timmt für diesen Entschließungsantrag? –
er stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ungsantrag ist abgelehnt bei Zustimmung durch Bünd-
is 90/Die Grünen, SPD und Linke. Dagegen haben ge-
timmt CDU/CSU- und FDP-Fraktion.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 a bis d auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Silvia Schmidt , Anette Kramme,
Gabriele Hiller-Ohm, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Zwanzig Jahre Rentenüberleitung – Perspek-
tiven für die Schaffung eines einheitlichen
Rentenrechts in Deutschland
– Drucksachen 17/5540, 17/7393 –
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Iris
SPD
Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeits-
gruppe zur Vorbereitung eines „Rentenüber-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18015
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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leitungsabschlussgesetzes“ und zur Einrich-
tung eines „Härtefallfonds“
– Drucksache 17/6486 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Iris
SPD
Sofortige Ost-West-Angleichung von pauschal
bewerteten Versicherungszeiten beim Erwerb
von Entgeltpunkten für die Rentenversiche-
rung vornehmen
– Drucksache 17/6487 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald,
Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Korrektur
der Überleitung von DDR-Alterssicherungen
in bundesdeutsches Recht
– Drucksache 17/7034 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Verabredet ist es, hierzu eineinhalb Stunden zu debat-
tieren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die
Fraktion der SPD die Kollegin Iris Gleicke.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Renten-Überleitungsgesetz ist eine Erfolgs-
geschichte.
Es hatte für die ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner
eine positive Wirkung, und das wirkt bis heute fort.
Wenn man sich anschaut, dass das Rentenniveau in Ost-
deutschland bei immerhin 88 Prozent des Westniveaus
liegt, während die Löhne und Einkommen in Ost-
deutschland noch deutlich hinterherhinken – da sind wir
gerade einmal bei knapp 83 Prozent –, dann kann man
diese positive Wirkung feststellen.
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as Renten-Überleitungsgesetz war eine große solidari-
che Leistung der Beitragszahlerinnen und Beitragszah-
r in Ost und in West. Auch das muss an diesem heuti-
en Morgen so gesagt werden.
Die Unterschiede des Rentensystems Ost zum Ren-
nsystem West werden in Ostdeutschland nach 21 Jah-
n aber zunehmend als ungerecht empfunden. Dass wir
lle das als Problem ansehen, wird dadurch deutlich,
ass in den Wahlprogrammen aller im Bundestag vertre-
nen Parteien die Angleichung der Rentensysteme Ost
nd West als Aufgabe für diese Legislaturperiode be-
annt wird. Man könnte meinen, wir seien uns einig.
etzt, kurz vor Weihnachten, nach der Hälfte dieser Le-
islatur, diskutieren wir mal wieder darüber. Aber, eine
chöne Bescherung wird es auch heute nicht geben; denn
iese Bundesregierung ist ganz offenkundig keinen
chritt weiter. Sie schreibt in ihrem Jahresbericht zum
tand der deutschen Einheit 2011: Die Vereinheitlichung
t eine komplexe Aufgabe. Wir prüfen unter verschiede-
en Gesichtspunkten, wie die rechtlichen Regelungen
r eine noch festzulegende Methode der Vereinheitli-
hung der Rentensysteme konkret ausgestaltet werden
önnen. Ein konsensfähiger Vorschlag muss die unter-
chiedlichen Interessenlagen aller Beteiligten berück-
ichtigen.
a klasse. Der Befund ist ja nicht falsch. Das sagen auch
ir schon seit Jahren.
h frage Sie nun: Wie lange wollen Sie denn eigentlich
och prüfen? Sie sind meilenweit davon entfernt, in die-
er Legislaturperiode ein einheitliches Rentensystem in
st und West einzuführen, wie es in Ihrem eigenen Ko-
litionsvertrag steht.
un, wir wissen ja, dass das nicht die einzige Aufgabe
t, die für diese Bundesregierung zu komplex ist.
Für mich ist die Überwindung der unterschiedlichen
entensysteme eine der zentralen Fragen, die in unserem
and einer politischen Lösung bedürfen. Die Rufe nach
iner schnellen Angleichung sind sehr verständlich, man
arf es sich aber nicht zu einfach machen; denn – das
issen wir alle – der Teufel steckt im Detail.
18016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Iris Gleicke
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)
Eine Haurucklösung würde sehr schnell auf eine reale
Benachteiligung der Ostdeutschen hinauslaufen. Ich
sage heute Morgen hier ganz klar: Wer fordert, den Ren-
tenwert Ost sofort auf das Westniveau anzuheben,
schafft eben auch sofort den Ausgleich für das Lohnge-
fälle zwischen Ost und West, den sogenannten Hochwer-
tungsfaktor, ab, und das wäre eine Rentenkürzung für
die kommenden ostdeutschen Rentnergenerationen. Wir
wollen das nicht.
Solange im Osten – je nach Branche – zwischen
15 und 30 Prozent weniger verdient wird als im Westen,
muss am rentenrechtlichen Hochwertungsfaktor bei den
Ostgehältern festgehalten werden; denn sonst hieße es
nichts anderes, als dass die heutige Benachteiligung bei
den Einkommen auch in 20, 30 oder 40 Jahren, wenn die
Menschen in Rente gehen, fortwirken würde. Wir brau-
chen hier eine sachgerechte Lösung. Deshalb orientieren
wir uns bei der Rentenangleichung am Zeitpunkt des
Auslaufens des Solidarpakts II; das ist im Jahr 2019. Bis
zu diesem Zeitpunkt aber müssen wir alle Anstrengun-
gen unternehmen, um gemeinsam mit Arbeitgebern und
Gewerkschaften endlich die Einkommensunterschiede
zwischen Ost und West zu beseitigen.
Dazu brauchen wir – ich glaube, darüber sind wir uns ei-
nig – auch Maßnahmen für eine größere Tarifbindung
der Unternehmen. Dann bedürfte es nämlich nicht mehr
der Aufwertung der Ostlöhne, und es würden keine
neuen Ungerechtigkeiten geschaffen. Keine neuen Un-
gerechtigkeiten zu schaffen, muss das Ziel sein.
Das wäre übrigens auch ein ganz wichtiger Beitrag,
um das Problem der drohenden Altersarmut im Osten
einzudämmen. Ich weiß, dass Altersarmut nicht allein
ein ostdeutsches Problem ist; das ist ganz klar. Aber
durch die nach wie vor bestehenden Lohnunterschiede
ist Ostdeutschland nun einmal besonders betroffen. Aber
auch bei diesem Thema finden sich nur ablehnende For-
mulierungen in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage.
Das ist unerträglich.
Die Bundesregierung hat sich in der langen Beant-
wortungszeit nicht einmal die Mühe gemacht, die auch
in Fachkreisen diskutierten Modelle zur Beseitigung der
Altersarmut wie das Hauser-Konzept wenigstens einer
Kosten-Nutzen-Analyse zu unterziehen. Nicht einmal
dazu sind Sie in der Lage! Wir müssen uns heute hinset-
zen und das Thema Altersarmut besprechen. Wir haben
gestern über die Rente mit 67 geredet. Auch da ist dieses
Thema aufgekommen. Wir müssen unsere Hausaufga-
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-
nächst möchte ich mich bei der SPD für die positive
Einschätzung der Wirkungen des Renten-Überleitungs-
gesetzes bedanken. In aller Höflichkeit darf ich als Re-
gierungsmitglied aber darauf hinweisen, dass in zehn der
letzten zwölf Jahre die SPD den Arbeits-, den Sozial-
und damit den Rentenminister – das waren vier Minister,
wenn ich mich richtig erinnere – gestellt hat
und dass wir jetzt zwei Jahre in der Regierung sind. Sie
hätten also zehn Jahre Zeit gehabt, die entsprechenden
Weichenstellungen vorzunehmen. Das ist aber nicht ge-
schehen.
Sie sind um den heißen Brei herumgeschlichen wie
eine Katze, die sich nicht herantraut. Daraus ergibt sich,
dass die Materie offensichtlich schwieriger ist, als es oft
dargestellt wird. Sie haben es heute recht differenziert
dargestellt. Aber zu glauben, dass durch einen Arbeits-
kreis alles gelöst werden kann, klingt doch nach dem
Motto: Und weil ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich
einen Bundes-Arbeitskreis. – Nützlicher wäre es, wenn
Sie auch Ihre Ministerpräsidenten an den Tisch bekom-
men würden, um zu einer vernünftigen, gemeinsamen
Lösung zu kommen.
Es war in den 90er-Jahren die christlich-liberale Ko-
alition, die die fundamentale Weichenstellung vorge-
nommen hat,
und es ist eine christlich-liberale Koalition, die in der jet-
zigen Zeit diese rentenpolitische Entwicklung mit Au-
genmaß und Vernunft begleitet.
Was damals auf den Weg gebracht wurde, war – Sie
haben es freundlicherweise ja auch angedeutet – ein ge-
nialer Weg.
Sicher sind heute Zuschauerinnen und Zuschauer am
Fernseher, die selber die ganze Situation erlebt haben.
Ich weiß von vielen, wie sie es empfunden haben. Da-
mals wurde es als eine Steigerung der Lebensqualität
über Nacht empfunden. Ich war dabei, als Helmut Kohl
zur CDU/CSU-Bundestagsfraktion kam und diesen Vor-
schlag gemacht hat. Damals gab es auch einige Kritiker.
Diesen Kritikern hat der Kanzler frank und frei gesagt:
Die älteren Menschen in der DDR haben so lange in Un-
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Wenn ich mich richtig erinnere, dann sind die Linken
ie Nachfolgepartei der PDS, deren Vorgänger die SED
ewesen ist. Heute kann man nur noch einmal sagen
und auch das muss in die Annalen der Rentenpolitik
ingefügt werden –: Wenn in der DDR die Rentnerinnen
nd Rentner besser behandelt worden wären, dann hät-
n wir viele der Probleme, die wir heute haben, nicht.
Man hört es mir vielleicht nicht an, aber meine Mutter
t eine Sächsin.
h habe in der Verwandtschaft mitbekommen, wie be-
cheiden die Rentnerinnen und Rentner in der DDR le-
en mussten. Wenn sie nicht einem bestimmten Sonder-
ersorgungssystem angehört haben, haben sie in äußerst
escheidenen Verhältnissen gelebt. Wenn jemand mehr
ekommen hat, wusste man, aus welchen Gründen das
o war. Es ist auch bekannt, dass viele Rentnerinnen und
entner in der DDR nach Renteneintritt noch gearbeitet
aben.
Sie sollten sich mit Ihren Forderungen etwas zurück-
alten. Wenn ich höre, was alles geschehen soll, wenn
h höre, dass die Umsetzung Ihrer Forderungen 6 Mil-
arden Euro kosten würde, dann muss ich sagen, dass
ies nicht im Interesse der Staatsfinanzen, nicht im Inte-
sse der wirtschaftlichen Entwicklung wäre und nicht
u einer weiteren Senkung der Arbeitslosigkeit führen
ürde.
s wäre auch nicht im Interesse der Rentnerinnen und
entner und der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler
diesem Land.
18018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel
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Wir haben 25 Millionen Renten, über 20 Millionen
Rentnerinnen und Rentner und 29 Millionen Sozialversi-
cherungspflichtige. Daher bedarf es einer sehr sorgfälti-
gen Abwägung jedes einzelnen Schrittes. Dies ist nicht
einfach. Es geht nicht nur um das Gefälle zwischen den
Renten in Ost und West, sondern auch um das Gefälle
zwischen Nord und Süd. Es geht um den Unterschied
zwischen Ballungsraum und ländlichem Raum. All das
spielt eine Rolle. Wenn man sich auf den Weg macht,
diese Probleme zu lösen, sollen keine neuen Ungerech-
tigkeiten entstehen. Deswegen ist die Aufgabe nicht so
leicht zu bewältigen, wie manche in der Opposition be-
haupten.
Der gegenwärtige Stand der Bearbeitung der Bundes-
regierung fußt auf verschiedenen Prüfungen, zum Bei-
spiel auf der Prüfung der Fragen, welche Auswirkungen
der demografische Wandel auf den Arbeitsmarkt hat und
wie sich das Lohngefüge entwickeln wird. All das muss
bei einer Lösung berücksichtigt werden und darf nicht
vernachlässigt werden.
Ich bezweifle, dass Sie in diesem Bereich viel bessere
Informationen haben als die Bundesregierung. Wir alle
sind noch dabei, uns zu sortieren; dies dauert eine ge-
wisse Zeit.
Unser Ziel ist es, eine Lösung zu finden, die den un-
terschiedlichen Erwartungen und Interessen in Ost und
West bei Jung und Alt gleichermaßen gerecht wird. Ich
appelliere daher an die Bereitschaft, in nächster Zeit
noch stärker einen Konsens zu suchen, der den gesamt-
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung trägt.
– Ich lasse heute keine Zwischenfrage zu; denn die meis-
ten, die Zwischenfragen stellen – das ist meine Erfah-
rung als langjähriger Abgeordneter –, sind dann freitags
um 14 Uhr nicht mehr im Plenum, wenn die Kollegen
hier noch sitzen müssen.
Ich bitte daher um Verständnis, dass ich heute keine
Zwischenfragen zulasse.
Ich möchte nochmals an Sie appellieren, dass wir ver-
suchen, mit allen Ministerpräsidenten eine Lösung zu
finden. Wenn wir das erreichen, brauchen wir höchst-
wahrscheinlich keinen Arbeitskreis.
Anfang der 90er-Jahre und zu Beginn des neuen Jahr-
hunderts hat das Vertrauen in die Rente sehr gelitten. Wir
haben in den letzten Jahren erreicht, dass das Vertrauen
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär
uchtel, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede über die Katze
esprochen, die um den heißen Brei schleicht. Ich
laube, wir haben in Ihrer Rede ein bildhaftes Beispiel
rlebt,
ie eine Katze bzw. – genauer gesagt – ein Kater um den
eißen Brei schleichen kann.
Ich würde Ihnen gerne eine Frage stellen. In Ihrem
oalitionsvertrag steht ganz klar, dass Sie in dieser Le-
islaturperiode eine Lösung dieses Problems finden wol-
n. Das nehmen wir positiv zur Kenntnis, weil wir das
enauso sehen. Wir wissen auch – das hat Frau Gleicke
eschildert –, wie schwierig der Weg war und dass wir in
en ersten Jahren große Fortschritte erreicht haben.
ber: Wenn Sie sagen, dass es in Deutschland unter-
chiedliche Lohnniveaus gibt, dass das so ist und auch so
leiben wird und dass man die Situation in Ost und West
eswegen nicht schablonenhaft darstellen kann – es gibt
ämlich auch im Osten starke Lohndifferenzierungen –,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18019
Hans-Joachim Hacker
)
)
dann müssen Sie den Betroffenen und uns hier und heute
erklären, ob es noch zu rechtfertigen ist, dass der Ren-
tenwert eines Entgeltpunktes im alten Bundesgebiet ein-
heitlich ungefähr 27 Euro beträgt –
– ja, Herr Rehberg, die will ich nicht vergessen; ich habe
ja gesagt: ungefähr 27 Euro – und dass es im Osten, bei
allen Unterschieden bei Tarifen und Löhnen, einen abge-
werteten Rentenwert eines Entgeltpunktes gibt.
Durch die Rentenpolitik, die Sie betreiben, würden
diese Unterschiede verewigt werden, weil im Osten we-
gen der dortigen Strukturschwäche auf lange Zeit im
Durchschnitt geringere Löhne als im Durchschnitt des
Bundesgebietes gezahlt werden.
Ich möchte Sie fragen – darauf hätte ich gerne eine Ant-
wort von Ihnen –, wie Sie die Unterschiede beim Ren-
tenwert eines Entgeltpunktes noch rechtfertigen können.
Zur Erwiderung, Herr Staatssekretär.
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Fast wäre ich geneigt, Wilhelm Busch zu zitieren, der
einmal gesagt hat:
Wer durch des Argwohns Brille schaut,
sieht Raupen selbst im Sauerkraut.
Meine Damen und Herren, die Koalition hat den Mut
gehabt, die Zusammenführung der Rentensysteme in den
Koalitionsvertrag hineinzuschreiben. Dieser Mut hat
vorhergehenden Koalitionen gefehlt.
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is heute liegt nichts vor.
erter Herr Staatssekretär Fuchtel, so werden Sie keine
inisterpräsidenten an den Tisch bekommen, die mit Ih-
en beraten.
Wenn man den Medien glauben kann, soll heute noch
twas verkündet werden. Aber ich bin doch sehr über-
scht, Herr Fuchtel, dass Sie darauf abgestellt haben,
ass Sie bisher nur zwei Jahre Zeit hatten. Sie tun ja so,
ls ob Sie neu in der Politik sind.
ie haben das Renten-Überleitungsgesetz mit auf den
eg gebracht. In der letzten Legislaturperiode haben Sie
ier Jahre Zeit gehabt, sich damit zu beschäftigen. Also
anz so neu, wie Sie jetzt tun, starten Sie ja nicht.
Wenn man den Medienberichten glauben kann, dann
ird Herr Staatssekretär Bergner heute noch etwas ver-
ünden – wahrscheinlich in der nächsten Debatte als
stbeauftragter der Bundesregierung.
enn das, was bisher schon durchgesickert ist, wahr ist,
ass nämlich in Sachen Rentenüberleitung nichts vorge-
gt wird, sondern nur irgendeine unlogische Lösung für
ie Rentenangleichung gefunden wurde,
18020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Martina Bunge
)
)
dann ist das eine Unverfrorenheit und eine Ignoranz der
Probleme, die mich fast sprachlos macht.
Wenn ich die Betroffenen sehe, die älter und älter wer-
den, kann ich nur wütend werden, verehrter Herr Kol-
lege Rehberg.
Dass nichts zur Korrektur der Rentenüberleitung Ost ge-
tan werden soll, empfinden wir als einen Skandal.
Die Kanzlerin hat von einer Liste geredet, auf der all
die Probleme stehen, die zu lösen sind. Damit sind bei
den Betroffenen natürlich Hoffnungen geschürt worden.
– Sie vor allen Dingen auch, Frau Michalk. – Einige
Unionsabgeordnete und die FDP-Abgeordneten haben
einen Handlungsbedarf konstatiert.
Die heutige Absage ist in diesem Sinne schäbig und eine
tolle Bescherung; das ist ja die letzte Debatte zu diesem
Thema vor dem Weihnachtsfest.
Lassen Sie mich kurz begründen, weshalb ich die Idee
zur Angleichung der Rentenwerte, die herumgeistert, für
völlig unlogisch halte:
Zwischen einer Höherbewertung und einer Anglei-
chung besteht unseres Erachtens überhaupt kein direkter
Zusammenhang.
Die Höherbewertung ist ein Mittel, um die niedrigen
Osteinkommen wenigstens für die Rentenberechnung
anzugleichen und im Prinzip eine gleiche Tätigkeit mit
gleichem Lohn zu bewerten.
Erst wenn die Rente berechnet wird, kommt der Renten-
wert ins Spiel. Das ist unter Umständen erst zehn, zwan-
zig Jahre später der Fall.
Nun frage ich mich: Wieso soll es gerecht sein,
gleichbewertete Arbeit – die niedrigen Osteinkommen
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ber man kann ja hoffen, dass die Zeit dieser Regierung
icht mehr lange währt und sich neue Chancen eröffnen.
Es ist gut, dass durch die Große Anfrage der SPD
eute, nach knapp 20 Jahren Renten-Überleitungsgesetz,
ine Bestandsaufnahme vorliegt.
ie haben zwei Anträge und die Fraktion Die Linke hat
inen Antrag vorgelegt, in denen eine gewisse Positions-
estimmung vorgenommen und gesagt wird, wer was
ie lösen will.
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
aben in Ihrem ersten Antrag von einem Rentenüberlei-
ngsabschlussgesetz und einem Härtefallfonds gespro-
hen. Damit soll erreicht werden, dass die Menschen, die
urch die Rentenüberleitung dazu genötigt wären, zum
rundsicherungsamt zu gehen, das nicht tun müssen.
as ist eine noble Geste.
Liebe Kollegin Gleicke, zu all den weiteren Proble-
en, die es noch gibt und die Sie vorhin erwähnt haben,
ndet sich dort aber nichts. Wo bleibt zum Beispiel die
erechtigkeit für die Beschäftigten des Gesundheits-
nd Sozialwesens, für die in der DDR Geschiedenen, für
ie Ballettmitglieder, für die in der Braunkohleverede-
ng Tätigen, für diejenigen, die Familienangehörige
flegen, für Handwerker und ihre mithelfenden Famili-
nangehörigen, für diejenigen, die einen zweiten Bil-
ungsweg einschlugen, und für ins Ausland mitgereiste
hegatten? Wo bleibt die Anerkennung freiwilliger Bei-
äge? Dazu steht nichts in Ihrem Antrag.
Gucken Sie sich bitte einmal Ihre Begründung an. Sie
tellen nur auf den Ersatz der Grundsicherung und den
ärtefallfonds ab. Ich finde, das ist missdeutbar. Wenn
s so ist, wie Sie heute gesagt haben, dann würde ich
ich freuen, wenn Sie einer Arbeitsgruppe einen solch
mfassenden Auftrag geben würden. Aber der müsste
rst einmal formuliert werden.
Ich denke, wir können all die Probleme, die zum Bei-
piel auch die wissenschaftliche, die medizinische, die
ädagogische, die künstlerische und die technische Intel-
genz hat, nicht auf Ewigkeit ungelöst lassen. Sie haben
as Nachsehen gegenüber Ihren Berufskolleginnen und -
ollegen West, wenn sie nur etwa die Hälfte an Alter-
einkünften erhalten.
Genauso problematisch ist es bei den Eisenbahnern
nd den Postlern. Hier ist die historisch begründete Ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18021
Dr. Martina Bunge
)
)
sorgung verlustig gegangen. Wir müssen uns diese Kom-
plexe insgesamt ansehen; denn es gibt auch neue Pro-
bleme, sogenannte Mix-Biografien: 20 Jahre in der
DDR, 20 Jahre in Gesamtdeutschland. Damit stehen
neuartige Probleme der Nichtanerkennung ins Haus. Ich
finde, es ist legitim, dass sich die Betroffenen nicht da-
mit abfinden, dass ihr gelebtes Leben nicht anerkannt
wird. Wir von den Linken finden, Biografien müssen ak-
zeptiert werden. Deshalb brauchen wir eine umfassende
Korrektur der Rentenüberleitung Ost. Das ist in unserem
Antrag als Arbeitsauftrag an eine Arbeitsgruppe formu-
liert.
Ich würde mich freuen, wenn viele, die so denken wie
wir, daran mitwirken könnten. Das wird garantiert nicht
in dieser Legislaturperiode sein. Aber angesichts der Er-
eignisse der letzten Tage mit ihren Offenbarungen kön-
nen wir auf das Jahr 2012 gespannt sein. Vielleicht dau-
ert das alles nicht mehr so lange, und es gibt neue
Chancen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute.
Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat jetzt für die FDP-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Bunge, mit Blick auf das Jahr 2011 bietet
es sich an, Erich Kästner zu zitieren.
Er hat gesagt:
„Wird’s besser? Wird’s schlimmer?“ fragt man all-
jährlich.
Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefähr-
lich.
Deswegen möchte ich Ihnen zu Optimismus raten. Rich-
ten Sie den Blick nach vorne. Ich kann Ihnen, insbeson-
dere was die Zukunft der schwarz-gelben Bundesregie-
rung anbelangt, sagen: Machen Sie sich da keine
falschen Hoffnungen! Wir arbeiten gut zusammen und
werden das bis zum Ende der Legislaturperiode in 2013
weiter tun.
Interessierte Beobachter wissen, dass die FDP die An-
gleichung des Rentenrechts in Ost und West seit Jahren
für überfällig hält. Ich sage hier ganz deutlich: Ich kann
nur schwer nachvollziehen, dass sich manche so schwer-
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ie haben gesagt: Eine Höherbewertung wollen wir
icht, sondern nur der Rentenwert soll angepasst wer-
en. – Das wird so nicht funktionieren.
Nein, das wird es nicht. Das wäre weder gerecht noch
ürde es funktionieren. Sie wissen auch, dass die daraus
lgende Belastung der Rentenkasse, die man auch nicht
bersehen darf, mit 6 Milliarden Euro pro Jahr eine Di-
ension hat, die den vorhandenen Rahmen deutlich
prengt.
Nein, es ist so: Es gibt diese Unzufriedenheit in unse-
m Land. Die Rentner in den neuen Bundesländern ver-
tehen nicht, warum der Rentenwert Ost niedriger ist.
ie Versicherten in den alten Bundesländern verstehen
agegen nicht das Prinzip der Lohnhochwertung 20 Jahre
ach der deutschen Wiedervereinigung. Deswegen gibt
s Notwendigkeiten anzupassen und Unterschiede in der
ntlohnung zu beseitigen. Hoch- und Niedriglohnge-
iete gibt es, wie gesagt, sowohl im Osten als auch im
esten. Wir stehen zu unseren Initiativen aus der letzten
egislaturperiode, und wir stehen auch zu den Aussagen
es Koalitionsvertrages.
Das will ich aber an die Adresse der Linken richten,
eil sie sich ständig als Rächer und Retter der Entrechte-
n und Enterbten aufspielen: Ohne die deutsche Einheit
nd die Anpassung des Rentenrechts hätte kein Rentner
18022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Heinrich L. Kolb
)
)
in den neuen Bundesländern auch nur annähernd den Le-
bensstandard erreichen können, den er heute hat. Auch
das muss man bei aller Kritik deutlich feststellen.
Ich weise es auch genauso entschieden zurück, dass
Sie immer wieder unsere Rentenüberleitung als Renten-
strafrecht brandmarken. Nein, es ist angemessen und
richtig, dass Privilegien für SED- und Stasiangehörige
beschränkt werden, weil es zu unerträglichen Ergebnis-
sen geführt hätte, wenn wir auf entsprechende Maßnah-
men in der Gesetzgebung verzichtet hätten.
Ich will jetzt nicht die Redezeit überziehen. Es hat auch
niemand eine Zwischenfrage gestellt, was schade ist.
Deswegen will ich die verbleibenden 15 Sekunden nut-
zen, Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nach einem
arbeitsmarkt- und sozialpolitisch anstrengenden und ar-
beitsreichen Jahr eine ruhige Zeit und gute Erholung
zwischen den Jahren zu wünschen.
– Nutzen Sie die Zeit. Wir werden sie auch nutzen, Frau
Kollegin Lötzsch. Machen Sie sich darüber keine Ge-
danken. – Dann werden wir uns hoffentlich bei bester
Gesundheit im Jahr 2012 erneut an die Arbeit machen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-
Kuhn für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es wird jetzt, mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereini-
gung, Zeit, endlich einen rentenpolitischen Schlussstrich
zu ziehen. Deswegen habe ich durchaus große Sympa-
thie für die Vorschläge der SPD,
ein Rentenüberleitungsabschlussgesetz – das könnte
man vielleicht noch ein bisschen knackiger fassen – zu
verabschieden.
Auch der Härtefallfonds ist keine schlechte Idee.
Wir Grünen sind bekanntlich nicht der Meinung, dass
es umfassende Änderungen beim Rentenüberleitungsge-
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Wir haben dazu einen konkreten Vorschlag vorgelegt
es muss aber nicht unbedingt dieser sein –, den wir
ber Steuern finanzieren wollen, weil es rentenrechtlich
icht mehr möglich ist, fiktiv einen Versorgungsaus-
leich durchzuführen. Machen Sie gegebenenfalls bitte
inen anderen Vorschlag.
Die zweite wichtige Gruppe sind die Flüchtlinge aus
er DDR, die auch, zumindest zu einem großen Teil,
urch die Wiedervereinigung benachteiligt sind. Das
alte ich für einen Skandal. Es gab eine lange und breite
ebatte darüber, dass man dieser Gruppe unbedingt hel-
n sollte. Auch dazu gab es einen gemeinsamen Vor-
chlag von SPD und Grünen, der bei der Bundesregie-
ng nicht auf Wohlgefallen gestoßen ist. Auch an dieser
telle möchte ich sagen: Machen Sie bitte einen eigenen
orschlag.
Herr Kollege Strengmann-Kuhn, Herr Kollege Vaatz
ürde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. – Bitte
chön, Herr Vaatz.
Herr Dr. Strengmann-Kuhn, ich habe eine Frage, und
war: Würden Sie es auch für notwendig erachten, einen
leichen rentenmäßigen Ausgleich an Frauen in der
undesrepublik Deutschland zu zahlen, die vor 1974 ge-
chieden worden sind?
Man müsste genauer schauen, an welchen Stellen die
ngleichbehandlung erfolgt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18023
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
Das müsste man im Einzelnen nachprüfen.
Ich habe Sie aufgefordert, einen Vorschlag vorzulegen.
Sie regieren im Moment. Der Bundesrat hat gefordert,
dass für diese Gruppe ein Vorschlag vorgelegt werden
soll.
Dem haben Sie sich bisher verweigert. Sie sagen, dann
müsste man auch für die Leute, die vor 1974 geschieden
worden sind, eine Regelung treffen. Wenn Sie dieser
Meinung sind, dann machen Sie es, wenn nicht, dann
treffen Sie wenigstens eine Regelung für die zwischen
1974 und 1992 Geschiedenen. Wir haben einen Vor-
schlag vorgelegt. Den können Sie gerne ablehnen, aber
dann machen Sie einen eigenen Vorschlag. Helfen Sie
dieser Gruppe, solange sie noch lebt.
Das Gleiche gilt für die Flüchtlinge. Auch dazu sage ich:
Sie müssen unsere Vorschläge nicht eins zu eins über-
nehmen. Wichtig ist, dass diesen Menschen endlich ge-
holfen wird. Tun Sie bitte irgendetwas, um den Flücht-
lingen und Geschiedenen zu helfen.
Ein weiterer Bereich, in dem die Regierung bisher
nichts tut, obwohl es im Koalitionsvertrag steht, ist die
Schaffung eines einheitlichen Rentenwerts in Ost und
West. Das war in der Tat ein ziemliches Rumgeeiere ge-
rade eben. Allerdings muss ich sagen: Bei der SPD ist
das nicht viel anders. Auch von der SPD gibt es keinen
konkreten Vorschlag, wie ein einheitliches Rentenrecht
in Ost und West hergestellt werden kann. Es gibt einen
Vorschlag der Linken, einen der FDP und einen von uns.
Bei den beiden großen Parteien heißt es immer nur: Es
ist kompliziert, und es muss alles abgewogen werden. –
Unsere Position ist klar. Wir wollen möglichst schnell
die Ungleichbehandlung abschaffen. Wir wollen glei-
ches Recht für alle in Ost und West.
Das heißt vor allen Dingen, den Rentenwert Ost auf das
Niveau des Rentenwerts West anzuheben, und zwar
nicht schrittweise bis 2016, wie es die Linke will, oder
bis 2019, wie es die SPD wohl beabsichtigt, sondern in
einem Schritt und möglichst schnell.
Gleiches Rentenrecht für alle heißt aber auch, dass es
in Zukunft keine Aufwertung der Ostentgeltpunkte mehr
gibt. Wer im Osten 3 000 Euro verdient, erwirbt dann
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er Einwand, dass die Löhne im Durchschnitt im Osten
eringer sind, zieht meines Erachtens nicht mehr. Wenn
an sich die Zahlen des Tarifarchivs des WSI anschaut
es ist gewerkschaftsnah, wie man weiß –, dann stellt
an fest, dass das Tarifniveau im Osten mittlerweile bei
6,6 Prozent des Tarifniveaus im Westen liegt. In vielen
arifverträgen ist mittlerweile eine gleiche Bezahlung in
st und West vereinbart. Das ist also in großen Teilen
ar nicht mehr das Problem. Wenn man sich die Ursa-
hen genauer anschaut, warum der Durchschnitt gerin-
er ist – dabei hilft die Tabelle, die in der Antwort auf
ie Große Anfrage enthalten ist –, dann sieht man, dass
as unter anderem daran liegt, dass es im Westen mehr
eiche gibt, was das Niveau im Westen erhöht. Das ist
ein Grund für Handlungsbedarf. Auf der anderen Seite
ibt es einen größeren Niedriglohnbereich in Ostdeutsch-
nd. Das ist richtig. Aber einen Niedriglohnbereich gibt
s auch im Westen. Wer dort 1 000 Euro verdient, sollte
enselben Rentenanspruch erwerben. Ich weiß nicht,
arum jemand, der in Frankfurt am Main 1 000 Euro
erdient, einen geringeren Rentenanspruch erwerben
oll als jemand, der in Ostdeutschland lebt.
Was man tun muss, ist, an die Ursachen heranzuge-
en. Wir brauchen endlich einen flächendeckenden ein-
eitlichen gesetzlichen Mindestlohn in Ost und West.
ir brauchen darüber hinaus mehr branchenspezifische
indestlöhne. Ein Grund für die geringeren Löhne im
sten ist, dass sich die Arbeitgeber vom Acker machen.
ie Tarifflucht muss beendet werden,
um Beispiel dadurch, dass man es erleichtert, Tarifab-
chlüsse für allgemeinverbindlich zu erklären, und durch
ndere Maßnahmen. Es ist ein Fehler, dass es immer
och Tarifverträge gibt, in denen Ost und West unter-
chiedlich behandelt werden.
uch da wäre ein Aufruf der Politik an die Gewerk-
chaften und die Arbeitgeber notwendig. Man sollte auf
leiche Abschlüsse in Ost und West dringen, trotz der
arifautonomie.
Eine wichtige Frage ist: Was ist mit den Rentnerinnen
nd Rentnern, die jetzt Rente beziehen? Wir sind der
einung, dass es weder eine Abschaffung der Aufwer-
ng für die Vergangenheit geben sollte noch einen Auf-
chlag, wie ihn die Linke fordert. Ein solcher Aufschlag
18024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
)
)
würde nämlich neue Ungerechtigkeiten verursachen,
und das Ganze würde 6 Milliarden Euro kosten – 6 Mil-
liarden Euro, die unseres Erachtens besser und sozialer
verwendet werden könnten, zum Beispiel für eine Ga-
rantierente, die gezielt im unteren Einkommensbereich
stützt. Das ist etwas anderes als das, was die Linken for-
dern, die auch den Besserverdienenden zusätzlich etwas
geben wollen. Wir wollen gezielt im unteren Einkom-
mensbereich für bessere Renten in Ost und West sorgen.
Damit bin ich bei dem zentralen Problem im Osten,
nämlich der drohenden Altersarmutswelle. Hier zeigt die
Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
SPD und auch auf unsere im Sommer gestellte Anfrage
zur Altersarmut, dass Altersarmut im Osten zwar noch
geringer ist als im Westen, die Betonung liegt aber auf
„noch“. Die Entwicklung sieht so aus, dass sich der An-
stieg der Altersarmut im Osten jetzt schon beschleunigt.
Bald ist der Zeitpunkt erreicht – vielleicht ist er jetzt
schon gekommen; die Zahlen sind ja von 2009/2010 –,
dass die Altersarmut im Osten größer als die im Westen
ist. Die Zahl der von Altersarmut Betroffenen im Osten
wird massiv ansteigen, weil immer mehr Menschen in
Rente gehen, die lange Arbeitslosigkeitskarrieren hinter
sich haben.
Ich möchte noch etwas zur Zuschussrente sagen, weil
das ganz wichtig ist und dabei auch ostdeutsche Aspekte
eine Rolle spielen. Der Grundgedanke der Zuschussrente
ist gar nicht so schlecht – es gibt durchaus Ähnlichkeiten
mit der grünen Garantierente –: Ein Mindestniveau für
alle, die lange eingezahlt haben, zu schaffen, ist sicher-
lich richtig, und die Integration in die gesetzliche Ren-
tenversicherung ist ebenfalls richtig. Da darf man durch-
aus sagen: Der Grundgedanke ist richtig.
Es gibt in einem weiteren Punkt eine Übereinstim-
mung mit der Bundesregierung; ich meine die Rente
nach Mindesteinkommen. Dazu hat sich die Regierung
kritisch geäußert. Das sehen wir genauso. Die Rente
nach Mindesteinkommen, wie sie die SPD vorschlägt
und die Linke bis vor kurzem vorgeschlagen hat, ist
nicht tauglich. Sie ist nicht zielgenau, nicht effektiv, weil
eine Aufstockung im Wesentlichen unterhalb des Exis-
tenzminimums stattfindet. Sie ist völlig intransparent.
Weil sie nicht zielgenau ist, ist sie auch noch relativ
teuer – bei schwachen Wirkungen. Diese „Rente nach
Murks“ gehört in die Mottenkiste. Da ist sogar die Zu-
schussrente von von der Leyen besser.
Bei der Zuschussrente ist zwar der Grundgedanke
richtig, aber es ist eine ganz schwache Kopie der grünen
Garantierente. Ich will das in der verbleibenden Zeit bei-
spielhaft an drei Punkten erläutern:
Erstens. Die Hürde von 45 Versicherungsjahren ist
viel zu hoch. Damit erreicht man keinen Menschen, der
von Altersarmut bedroht ist.
Mit der von Ihnen vorgenommenen Aufteilung in
35 Jahre und 45 Jahre Beitragszahlung sagen Sie: Kinder-
erziehung ist gut; Bildung und Langzeitarbeitslosigkeit
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Wir Grünen werden nicht nachlassen und werden
eiter Druck machen für ein einheitliches Rentenrecht
Ost und West und für einen besseren Schutz vor Al-
rsarmut, der in Ostdeutschland besonders wichtig ist.
Ich hoffe, dass Sie von den Koalitionsfraktionen und
er Regierung unsere Vorschläge mit in die nächsten
ochen nehmen, noch einmal darüber nachdenken und
ielleicht im nächsten Jahr aktiv werden. Die Hoffnung
tirbt ja bekanntlich zuletzt.
Vielen Dank.
Die Kollegin Maria Michalk hat jetzt das Wort für die
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
s geht in dieser Debatte um ein geschichtsträchtiges
hema, ein Thema, das die Menschen immer wieder be-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18025
Maria Michalk
)
)
rührt. Dass es ein sehr, sehr komplexes Thema ist, hat
die bisherige Debatte schon gezeigt. Das belegen auch
die vier Vorlagen, die Grundlage der heutigen Debatte
sind und die quasi wie vier Adventskerzen auf dem Ad-
ventskranz stehen, der für mich symbolisch für den Ren-
tenangleichungsprozess der letzten 20 Jahre steht.
Unsere heutige Aussprache über die Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zu
„Zwanzig Jahre Rentenüberleitung“ bietet eine gute Ge-
legenheit – dafür bin ich auch dankbar –, sich zu fragen,
ob das Ziel der Rentenüberleitung erreicht wurde, ob
hier alles gelungen ist und ob das auf dem richtigen
Wege ist.
Zum einen haben wir damals uns alle, übrigens frak-
tionsübergreifend, das politische Ziel gesetzt, einen
nachvollziehbaren und verlässlichen Rahmen für die
Überführung der DDR-Renten in ein total anderes Sys-
tem zu schaffen und diesen Prozess so zu gestalten, dass
es denjenigen, die damals schon Rente bezogen, also den
sogenannten Bestandsrentnern, besser geht. Dieses Ziel
ist erreicht.
Zum anderen musste ein völlig unterschiedliches
Lohnniveau in Ost und West bei der gesetzlichen Alters-
sicherung ausgeglichen werden.
Heute reflektieren wir die Frage, ob die Zusammen-
führung von zwei unterschiedlichen Rentensystemen in
Ost und West richtig angegangen wurde und ob sich der
eingeschlagene Weg bewährt hat.
Werfen wir doch einmal ganz nüchtern einen Blick in
die Geschichte. Als wir am 1. Juli 1990 die Wirtschafts-,
Währungs- und Sozialunion einführten, lagen die Renten
im Osten bei 672 D-Mark. Einen Tag zuvor, am 30. Juni,
lagen sie knapp über 400 D-Mark. Es fand also schon da
eine Angleichung statt. Eine Meisterleistung! In den al-
ten Bundesländern hingegen lag die monatliche Eckrente
bei 1 667 D-Mark. Die Ostrenten hatten also zum 1. Juli
1990 ein Niveau von 40,3 Prozent des Rentenwertes in
der gesetzlichen Rentenversicherung.
In der heutigen Debatte wurde vergessen, zu erwäh-
nen – jedenfalls hat es bis jetzt noch niemand gesagt –,
dass wir vereinbart hatten, bis zum 1. Juli 1993 jeweils
halbjährlich Anpassungen vorzunehmen:
zweimal um 15 Prozent, dann um 11,65 Prozent, um
12,73 Prozent, um 6,1 Prozent und um 14,12 Prozent.
Das sind enorme Steigerungsraten gewesen. Es reichte ja
nicht, das nur politisch zu beschließen, sondern das
musste auch ausfinanziert werden. Nach all diesen An-
passungsschritten hatte die Eckrente am 1. Juli 1993 im
Osten einen Verhältniswert von 72,3 Prozent gegenüber
den Westrenten erreicht. Ist das nicht eine Meisterleis-
tung?!
2008 lag das Rentenniveau Ost bei 88,1 Prozent, ak-
tuell liegt es bei 88,7 Prozent. Wir wissen, dass prognos-
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Vergessen wir nicht: Diese rasche Angleichung in den
rsten Jahren nach der deutschen Einheit ist auch Aus-
ruck wirtschaftlicher Stärke unseres Landes, damals wie
eute. Sonst wäre das finanziell gar nicht möglich gewe-
en. Eine ganze Monatsrente ist aus der Rentenreserve für
ie Finanzierung dieser Angleichungen im Zuge der deut-
chen Einheit genommen worden. Hätte die Reserve da-
als nicht 3,5 Monatsraten betragen, wäre das gar nicht
öglich gewesen. Auch das ist Ausdruck einer ausge-
eichneten politischen Entscheidung der Regierung
elmut Kohl. Für diese Entscheidung sind wir noch heute
ehr, sehr dankbar.
Aufgrund der schwächeren Lohnentwicklung im Os-
n – da sind wir uns einig – hat sich dieser Prozess in
en Folgejahren tatsächlich verlangsamt, und die Men-
chen fragen sich: Wann kommt denn nun endlich die
bsolute Angleichung? Sie von der Opposition haben
vielleicht sind wir daran auch selber ein wenig schuld;
uf alle Fälle hat die Linke es immer forciert – immer
en Eindruck bundesweit verstärkt, dass jede Anglei-
hung für jeden persönlich automatisch mit einer höhe-
n Rentenauszahlung verbunden sein muss. Die heuti-
en Redebeiträge haben aber gezeigt, wie differenziert
as zu sehen ist und dass das in der Tat niemals so eintre-
n kann.
Wir haben die politische Prämisse gesetzt: Wie auch
mer in Zukunft gerechnet, verändert und entschieden
ird, es darf zu keiner Verschlechterung der Situation
r die Bestandsrentner in den neuen Bundesländern
ommen. Dafür setzen wir uns ein.
Die jetzige Regelung – so wie sie angelegt ist – si-
hert zwar einen langsamen, aber kontinuierlichen An-
leichungsprozess. Das ist nicht von der Hand zu wei-
en.
edenfalls ist das nicht schlecht.
Wir müssen außerdem im Hinblick auf die Zukunft
afür sorgen, dass die Angehörigen der heutigen renten-
ahen Jahrgänge – da sind wir uns total einig –, die un-
erschuldet viele Jahre lang arbeitslos waren und damit
in niedrigeres Rentenniveau zu erwarten haben, in je-
em Fall besser als diejenigen Schwestern und Brüder
18026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Maria Michalk
)
)
gestellt werden, die freiwillig und ganz bewusst keine
Arbeit aufgenommen haben. Geleistete Arbeit muss sich
auch in Zukunft beim persönlichen Rentenniveau aus-
zahlen. Das ist – auch in der aktuellen Diskussion zum
Rentendialog – die Herausforderung.
Vergessen wir nicht: Nach wie vor ist es so, dass die
Beitragseinnahmen in den neuen Bundesländern nicht
die Rentenausgaben decken. Es gibt also nach wie vor
einen enormen Leistungstransfer. Das ist ein weiterer
Beweis für die anhaltende Solidarität in unserem Land.
Es liegen viele Veränderungsvorschläge vor, die sehr
differenziert und widersprüchlich sind – sie werden von
den Fraktionen unterschiedlich bewertet –, von Sachver-
ständigen, Kommissionen, Parteien und Gewerkschaf-
ten. In der Antwort der Bundesregierung auf die Große
Anfrage der SPD ist darauf auch eingegangen worden.
Bisher hat jede Regierung bekräftigt, dass es keine kurz-
fristige Lösung geben kann, die nicht neue Ungerechtig-
keiten schafft.
Letztendlich ist festzustellen, dass dem 1992 gewähl-
ten Weg eine ausgewogene, optimal-solidarische, zu-
kunftsgerechte Programmatik zugrunde liegt, die nicht
ohne Not – jedenfalls so lange nicht, bis man auch mit
den Ländern einen einvernehmlichen und besseren Weg
gefunden hat – aufgegeben werden sollte. Diesen Weg
gibt es bisher noch nicht.
Man muss sich zum Beispiel, wenn man optimiert
– das ist heute schon gesagt worden –, auch fragen:
Wann soll die Hochwertung der Löhne aufhören? Soll
das geschehen, wenn die Branchen für den Osten im
Rahmen ihrer Tarifabschlüsse eine vollständige Anglei-
chung erreicht haben? Wann soll der Stichtag sein? Und
so weiter.
Ich will ganz genau erklären – das ist heute noch nicht
gesagt worden –, warum ich das nicht ohne Not aufge-
ben möchte: In unserer Formel gibt es eine Schutzklau-
sel, nach der in den Jahren, in denen die Lohnentwick-
lung nicht so erfreulich ist – das gab es in den letzten
Jahren –, die Renten im Osten mindestens so steigen wie
im Westen. Diesen Schutzmechanismus können Sie doch
nicht ernsthaft gefährden wollen. Das kann nicht sein.
Ich finde, dass das System, ehrlich gesagt, wirklich ge-
nial ist. Die Lohnbezogenheit ist gerecht und systemim-
manent.
Ich weise auch darauf hin, dass wir die Meisterleistung
hinbekommen haben, 27 Zusatzversorgungssysteme, 5 Son-
derversorgungssysteme und die lohnbezogene bzw. bei-
tragsbezogene gesetzliche Rentenversicherung der DDR
in ein Rentensystem zu überführen.
Es gab außerdem die Auffüllbeträge; auch das gehört
zur Geschichte. Für die Stasibeschäftigten, die in den
Sondersystemen waren und privilegierte Einkommen
hatten – sie haben sich hier und da eingeklagt –, hat das
Bundessozialgericht in dieser Woche Gott sei Dank noch
einmal bestätigt, –
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h wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Die Kollegin Silvia Schmidt hat jetzt das Wort für die
raktion der SPD.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
amen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ehr verehrte Frau Michalk, Sie haben völlig recht: Es
t eine großartige Leistung gewesen – eine historische
eistung –, die wir da vollbracht haben. Zur Tatsache,
ass dieser Solidartransfer immer noch stattfindet: Ich
laube, dass das die Rentner in den neuen Bundeslän-
ern durchaus wissen und dafür dankbar sind.
Auf der anderen Seite – das haben wir ja in unseren
nträgen geschrieben – gibt es durch das Renten-Über-
itungsgesetz durchaus neue Ungerechtigkeiten, auf die
h eingehen möchte.
Sehr geehrter Herr Fuchtel, Sie haben vorhin gesagt:
ir sind jetzt zwei Jahre an der Regierung. – Wir haben
inmal gemeinsam regiert. Olaf Scholz hat damals den
ändern – sprich: den CDU-Ländern –
inen entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Der wurde
amals von den CDU-Ländern einfach abgelehnt. Das
uss man auch zur Kenntnis nehmen.
Der Minister Sellering und der Minister Böhmer ha-
en ebenfalls Anträge in den Bundesrat eingebracht;
uch das muss man zur Kenntnis nehmen. Das waren
ute Anträge. Auch diese Anträge wurden dort abge-
hnt.
Zur Großen Anfrage will ich weiter nichts sagen. Wir
ennen die Antworten im Grunde alle; das wissen wir
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18027
Silvia Schmidt
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schon seit mehreren Jahren. Das Ganze ist eine Zusam-
menfassung – aber das war es dann auch.
Herr Strengmann-Kuhn, Sie haben gefragt, wieso die
Länder mit ins Boot sollen. Darauf werde ich später kurz
eingehen. Ich zum Beispiel war Mitarbeiterin im medizi-
nischen Bereich, das heißt, ich war Angehörige des öf-
fentlichen Dienstes. Mit Blick auf den öffentlichen
Dienst sind die Länder verpflichtet, ihren Anteil zu leis-
ten, unter anderem für das mittlere medizinische Perso-
nal.
Eine weitere Anmerkung. Es wurden bereits die
Flüchtlinge aus der DDR bzw. die Altübersiedler ange-
sprochen. Ich möchte daran erinnern, dass wir im Aus-
schuss – ich habe die Drucksache jetzt nicht im Kopf;
Ottmar Schreiner hat das vorgetragen – dazu einen An-
trag mit vorbereitet haben. Dieser Antrag wurde von den
Regierungsfraktionen abgelehnt. Auch da haben wir
schon Vorschläge gemacht.
Sie kritisieren, dass die Tarife in Ost und West unter-
schiedlich sind; hier möchte ich nur die Pflegeberufe an-
sprechen: 8,50 Euro und dagegen 7,50 Euro. Sie haben
aber dabei einen Punkt außer Acht gelassen: Selbst wenn
man im Osten dasselbe verdient wie im Westen, muss
man in den neuen Bundesländern dafür länger arbeiten.
Das ist ein weiterer wesentlicher Punkt.
Der Kollege Strengmann-Kuhn hat gestern in der
Debatte über die Rente mit 67 richtig gesagt: Es muss
mehr Ehrlichkeit in die Politik hinein. Vor allem brau-
chen die Menschen ein langfristiges Vertrauen. Dafür
müssen wir sorgen. – Das ist richtig.
Das erwarten auch die Rentnerinnen und Rentner in
den neuen Bundesländern. Diese Ehrlichkeit gehört ein-
fach dazu. Das ist für uns alle eine ernsthafte und sehr
schwierige Aufgabe – das ist uns durchaus bewusst. Wir
von der SPD-Fraktion wollen uns dieser Aufgabe stellen
und die ersten Schritte in diese Richtung gehen.
Ich erinnere noch einmal daran: Das Angleichungsge-
bot von Art. 30 Abs. 5 Satz 3 des Einigungsvertrages gilt
für uns alle. Es ist schon von mehreren Rednern erwähnt
worden: Gerade in den letzten Jahren ist die Anglei-
chung der Löhne und Gehälter zum Stillstand gekom-
men. Das sind die neuen Grundlagen, mit denen wir es
zu tun haben. Wir wissen das alle. Wir wissen auch, dass
das Lohnniveau im Osten und im Westen immer noch
unterschiedlich ist. Wir wissen auch, dass im Osten im-
mer noch 40 Prozent im Niedriglohnbereich tätig sind
und sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen befin-
den. Das heißt, die fehlende Tarifanbindung in den
neuen Bundesländern ist immer noch ein schweres Pro-
blem. Wir müssen jetzt weitere Schritte tun, um die Er-
reichung des Ziels der Angleichung zwischen Ost und
West voranzutreiben und den Einigungsvertrag zu erfül-
len.
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an kann sie nur außerhalb des Rentenrechts lösen.
Auch die Beschäftigten der Braunkohlenveredlung
spenhain – bei Halle – sind zu nennen.
ie hatten großes Vertrauen in die Fürsorge des Staates.
ie mussten unter unglaublichen Arbeitsbedingungen ar-
eiten und große Gesundheitsschädigungen in Kauf neh-
en. Eine abschlagsfreie Bergmannsrente ist seit 1996
icht mehr möglich. Immerhin werden den ehemaligen
eschäftigten der stillgelegten Betriebsteile der DDR-
arbochemie nun von der Bundesknappschaft Berg-
annrenten mit geringem Abschlag gezahlt. Es bleibt
eiter die Frage, warum es keine Gleichstellung der
ergleute unter Tage gegeben hat oder geben kann.
eine Kollegen Anton Schaaf und Wolfgang Tiefensee
hren mit den Betroffenen und der Bundesknappschaft
ute Gespräche. Auch hier steht die Politik in der Pflicht,
u handeln.
Ferner gibt es die Diplomchemiker und -physiker. Sie
urden einfach aus dem Geltungsbereich der Alters-
ersorgung für die technische Intelligenz herausgehal-
n, weil man die Bestimmungen dem Wortlaut nach
usgelegt hat, ohne die Praxis in den Betrieben zu be-
cksichtigen.
18028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Silvia Schmidt
)
)
Und da gibt es den ehemaligen Abteilungsleiter der
DDR-Chemiebetriebe aus Halle, der in seiner Abteilung
mit Ingenieuren zusammengearbeitet hat. Die Ingenieure
hatten keine Versorgungszusage, aber erhalten heute
trotzdem die Rente für die technische Intelligenz. Der
ehemalige Abteilungsleiter – schon zu DDR-Zeiten ein
Sozialdemokrat, der sich gegen die Diktatur gewehrt hat –
erhält diese Rente nicht. Ich muss sagen: Seine Rente ist
für einen Akademiker mit 835 Euro netto relativ gering;
die Ingenieure mit Fachschulabschluss erhalten deutlich
mehr. Das kann es nicht sein. Der ehemalige Abteilungs-
leiter erwartet keinen Revolutionsbonus; er erwartet Ge-
rechtigkeit. Das ist ein Punkt, mit dem wir uns beschäfti-
gen müssen.
Vielleicht noch ein Beispiel: die mithelfenden Famili-
enangehörigen in den landwirtschaftlichen Betrieben;
das sind die Unternehmen, die noch ziemlich lange
selbstständig waren. Da gibt es die unterschiedlichsten
Fälle. So erhält eine ältere Frau, die einen schweren Dia-
betes hat und deren Bein amputiert worden ist, 100 Euro
Rente. Sie hat keinen Anspruch auf Grundsicherung, da
sie ein Eigenheim hat. Leider steht das Eigenheim im
Osten, in einer ländlichen Region; die Frau wird es nicht
los. Sie lebt vom Pflegegeld und von diesen 100 Euro.
Das kann es nicht sein; das nenne ich soziale Härte. Hier
sollen und müssen wir reagieren. Das ist keine Anerken-
nung der Lebensleistung; eine Anerkennung sähe anders
aus. Die Betroffenen erwarten jedoch eine Anerkennung.
Leider kann ich aus zeitlichen Gründen nicht darauf
eingehen, was der Bundesrechnungshof gesagt hat. Ich
warne davor, die Diskussion nach dem Motto zu führen:
Später gibt es mal höhere Renten. Die Menschen im Os-
ten erleben die Diskussion hier im Deutschen Bundestag
und auch in der Presse als Hohn; denn die Rente ist das
einzige Einkommen der Rentnerinnen und Rentner in
den neuen Bundesländern. Sie haben keine zusätzlichen
Einkommen.
Ich bitte Sie, das immer wieder zu bedenken.
Es ist das Ziel der SPD, die Situation zu verbessern.
Deswegen haben wir unsere Anträge eingebracht, etwa
den, in dem wir die Einsetzung einer Bund-Länder-Ar-
beitsgruppe fordern. Denn auch die Länder müssen ein-
bezogen werden; nur so können Kriterien entwickelt
werden. Wir brauchen eine konkrete Datenlage. Das ist
eine Grundvoraussetzung. In unserer Großen Anfrage
haben wir bereits nachgefragt. Antworten gab es keine,
Zahlen auch nicht. Da muss man also noch einmal ganz
genau hinschauen.
Ich komme zu meiner letzten Anmerkung. Die Zu-
schussrente wurde immer wieder angesprochen. Ich
kann nur sagen: Das wollen wir mit unserem Härtefall-
fonds natürlich nicht. Eine Zuschussrente bei 35 Bei-
tragsjahren bzw. 45 Pflichtversicherungsjahren und einer
privaten Vorsorge – ich kann mir nicht vorstellen, dass
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
erren! Es ist mehrfach schon gesagt worden: Es besteht
andlungsbedarf, und es ist 20 Jahre nach der Wieder-
ereinigung an der Zeit, die deutsche Einheit nun auch
Rentenrecht zu vollziehen. Die jetzige Situation ist
in Überbleibsel im Sozialrecht, das noch an die Teilung
eutschlands erinnert. Aber wir leben in einer Gesell-
chaft. Es ist deswegen notwendig, dass Ungerechtigkei-
n beseitigt werden und gleiches Recht für alle gilt, un-
bhängig davon, in welchem Teil des Landes man lebt.
Die Unterschiede in der Rentenberechnung stoßen bei
en Menschen – in Ost wie in West – immer häufiger auf
nverständnis. Nach der gegenwärtigen Rechtslage
ürden noch auf unabsehbare Zeit unterschiedliche Ren-
nsysteme in Ost und West bestehen. Das war aber nie
as Ziel, das kann es auch heute nicht sein; denn diese
rennung ist mittlerweile willkürlich, da es sowohl in
en neuen als auch in den alten Bundesländern Hoch-
nd Niedriglohngebiete gibt. Es stößt bei den Bürgerin-
en und Bürgern auf Unverständnis, wenn aus demsel-
en in einem Erwerbsleben erzielten Einkommen unter-
chiedlich hohe Renten resultieren, je nachdem, ob man
Osten oder im Westen Deutschlands lebt.
Die Förderung eines bestimmten Gebiets innerhalb
nseres Landes ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Für
ns ist die Frage einer Rentenangleichung deshalb nicht
allererster Linie die Frage von Ost und West, sondern
ine Frage der Gerechtigkeit insgesamt. Hier gilt es, die
st-West-Brille abzusetzen und im Sinne der Bürgerin-
en und Bürger zu einem neuen, gemeinsamen Ansatz
u kommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18029
Miriam Gruß
)
)
Dazu haben wir Liberale einen konkreten Vorschlag, den
auch der Sachverständigenrat unterstützt.
Ziel eines einheitlichen Rentenrechts muss sein, dass
die Renten auf vergleichbaren Werten beruhen. Wir wol-
len eine Vereinheitlichung des Rentenrechts in Deutsch-
land mit einem einheitlichen Rentenwert, einheitlichen
Entgeltpunkten und einheitlicher Beitragsbemessungs-
grenze.
Zu einem bestimmten Stichtag würden sich nach unse-
rem Vorschlag alle Renten entsprechend der Entwick-
lung eines einheitlichen Rentenwertes anpassen. Alle zu
diesem Stichtag der Umstellung bestehenden Rentenan-
sprüche bzw. Anwartschaften in Ost und West bleiben in
ihrem Wert erhalten.
Jeder Euro Rentenbeitrag bringt dann ab dem Stichtag
im gesamten Bundesgebiet den gleichen Rechtsanspruch.
Die jährlichen Rentenanpassungen fallen dann in Ost
wie in West gleich hoch aus. Gleiches Rentenrecht für
alle ist ein wesentlicher Beitrag zur Überwindung noch
bestehender trennender Elemente zwischen den Bürge-
rinnen und Bürgern im Osten und Westen unseres Lan-
des.
Mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es nun
höchste Zeit, uns für die wirkliche Vollendung der deut-
schen Einheit einzusetzen. Wir als FDP-Fraktion bleiben
am Ball.
Vielen Dank.
Jetzt spricht Matthias Birkwald für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei der
Angleichung der ostdeutschen Renten auf das Westni-
veau folgt die Linke zwei Grundsätzen:
Erstens. Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung.
Zweitens. Bei der Angleichung der ostdeutschen Ren-
ten auf das Westniveau geht es um Leistungsgerechtig-
keit und nicht um Almosen.
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Nicht nur diese Bundesregierung, sondern alle Bun-
esregierungen in den vergangenen 20 Jahren haben nur
ine Hinhaltepolitik gegenüber den ostdeutschen Rent-
erinnen und Rentnern betrieben. CDU, CSU und FDP
aben in ihrem Koalitionsvertrag eine Regelung noch in
ieser Wahlperiode versprochen. Das steht auf Seite 84.
März des vergangenen Jahres hat der CDU-Bundes-
usschuss dieses Versprechen wieder einkassiert. Wei-
re eineinhalb Jahre später, im Oktober dieses Jahres,
rdreistete sich die Bundesregierung, auf die Große An-
age der SPD zu antworten – ich zitiere –:
Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen.
it vermeintlicher Gründlichkeit können Sie, meine Da-
en und Herren von den Regierungsfraktionen, das
icht mehr erklären.
In der Sächsischen Zeitung von heute steht:
Ostbeauftragter will Rentenangleichung verschie-
ben.
h zitiere:
Die Bundesregierung will offenbar ihr Vorhaben
aus dem Koalitionsvertrag aufgeben, noch bis 2013
ein einheitliches Rentensystem in Ost und West ein-
zuführen.
Ihr Ostbeauftragter, Christoph Bergner , will
nach SZ-Informationen heute im Bundestag dafür
plädieren, in dieser Wahlperiode keine Eingriffe in
das Rentenrecht vorzunehmen.
Das jetzige System habe sich bewährt, kein Alter-
nativmodell sei überzeugend, heißt es in Bergners
Umgebung.
Herr Staatssekretär, sagen Sie doch bitte einmal in
ieser Debatte und nicht in der folgenden etwas zu die-
em Thema.
ie können es auch gleich zugeben: In dieser Wahlpe-
ode wird es nichts mehr mit der Rentenangleichung.
ie wollen die Menschen in Ostdeutschland schlicht und
infach für dumm verkaufen. Das ist nicht nur arrogant,
as ist ein vereinigungspolitischer Skandal.
)
[CDU/CSU]: Das müssen gerade Sie sagen!
Schämen Sie sich!)
Meine Damen und Herren von Union und FDP, es ist
keineswegs so, dass sich die rentenpolitische Ungerech-
tigkeit von allein verflüchtigte, weil sich, wie von un-
sichtbarer Hand geleitet, die Löhne und Gehälter im
Osten an die im Westen anglichen. Das gibt die Bundes-
regierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage selbst
unumwunden zu. Ich zitiere:
In welchem zeitlichen Rahmen sich die Einkom-
mensverhältnisse in den neuen Ländern an die Ein-
kommensverhältnisse in den alten Ländern anglei-
chen, kann heute nicht verlässlich bestimmt werden.
Sie wissen also, was Sache ist.
Trotzdem tun Sie nichts. Sie setzen faktisch auf eine bio-
logische Lösung und darauf, dass sich die Betroffenen in
Ostdeutschland aufgrund ihres hohen Alters bald nicht
mehr werden wehren können.
Mit Verlaub, meine Damen und Herren von CDU und
CSU, das ist alles, nur nicht christlich.
Sie missachten damit die Würde der Ostdeutschen. Hö-
ren Sie endlich auf, Ihre anhaltende Feindseligkeit ge-
genüber der verblichenen DDR an den heutigen Rentne-
rinnen und Rentnern auszulassen. Das ist doch schäbig.
Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten,
Sie fordern mit Ihrem Antrag für einige wenige versiche-
rungsrechtliche Zeiten eine Angleichung an das Westni-
veau. Sicher, Kindererziehungszeiten, die Pflege von
Angehörigen, Wehr- und Zivildienst und die Beschäfti-
gung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung
in Ost und West im Rentensystem einheitlich zu behan-
deln, ist völlig richtig; aber es ist alles andere als ausrei-
chend. Die Verkäuferin, der Fließbandarbeiter oder Kö-
chinnen und Köche zum Beispiel haben für ihre Arbeit
in Halle, Suhl und Dresden dieselbe Gleichbehandlung
verdient.
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Eckhardt Rehberg hat jetzt das Wort für die CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abge-
rdneten! Herr Birkwald, Sie haben sich schon gestern
isqualifiziert, als Sie suggeriert haben – leider sind
ournalisten darauf hereingefallen –, dass eine Tabelle
r über 65-jährige Männer mit 35 Versicherungsjahren –
enn Sie sich alle Tabellen für Ost und West anschauen,
ann stellen Sie fest, dass es immer Sprünge beim Ren-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18031
Eckhardt Rehberg
)
)
tenwegfallalter gegeben hat – etwas mit der Lebenser-
wartung zu tun hat. Dies hat nichts, aber auch gar nichts
mit der Lebenserwartung zu tun.
Einer der großen Erfolge der deutschen Einheit ist, dass
in zwei Jahrzehnten die Lebenserwartung von Männern
und Frauen im Osten um sechs Jahre gestiegen ist.
Einige haben hier gesagt, die Rentner im Osten müss-
ten genau so viel wert sein wie die Rentner im Westen.
Aber das Entscheidende ist nicht die Eckrente, sondern,
was bei den Rentnerinnen und Rentnern im Portemon-
naie ankommt. Seite 18 der Antwort der Bundesregie-
rung auf die Große Anfrage der SPD ist zu entnehmen,
dass 80 Prozent der Ehepaare aus den alten Ländern und
78 Prozent der Ehepaare in den neuen Ländern eine
Rente von 1 500 bis 3 000 Euro beziehen. Das heißt, das,
was wir seit 1990 machen und vereinbart haben, trägt
und kommt im Portemonnaie der Rentnerinnen und
Rentner an. Das ist das Entscheidende.
Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Birkwald zulassen?
Nein.
Herr Kollege Birkwald, ich habe heute viel Zeit. Wenn
Sie heute auch um 15 bzw. 16 Uhr noch hier im Plenum
sitzen, dann herzlich gerne, aber sonst nicht.
Eine weitere Anmerkung zu Ihren Ausführungen,
Herr Birkwald. Ich habe eben die Durchschnittsbeträge
genannt, die fast 80 Prozent der Ehepaare erhalten. Bei
den Renten für alleinstehende Männer und Frauen im
unteren Bereich gibt es übrigens keine Kluft zwischen
Ost und West. Meine Großmutter hat 1983 in der DDR
eine Mindestrente in Höhe von 270 DDR-Mark bekom-
men. Herr Birkwald, Sie haben offenbar nicht erlebt, wie
auf irgendwelchen Parteitagen in der DDR Almosen ver-
teilt wurden. Heute können die Rentnerinnen und Rent-
ner sicher sein, am Wohlstand und am wirtschaftlichen
Erfolg zu partizipieren. Zu DDR-Zeiten waren sie auf
Almosen der SED angewiesen.
Ich finde es sehr erfreulich, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der SPD, dass wir uns in einem Punkt einig
sind. Frau Gleicke, wenn ich Sie richtig verstanden habe,
dann sind Sie der Meinung, dass die Höherbewertung
wegfallen muss, wenn es einen einheitlichen Rechtskreis
Rente Ost/West gibt. Sie haben aber nicht die Frage be-
antwortet, wie man zu einem gesamtdeutschen Renten-
wert kommt. Wenn man die vier Grundrechenarten der
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Diese Operation ist nicht so einfach, wie manche mei-
en. Kollege Strengmann-Kuhn, man kann über Ihren
nsatz durchaus diskutieren.
Natürlich, das ist richtig. Es gibt aber auch einen ande-
n Ansatz, den man zum Beispiel nehmen könnte. Wir
ehen, dass das System mit der Höherbewertung der
öhne von 1990 nicht nur in den 90er-Jahren sehr erfolg-
ich war. Wir sind im Augenblick bei 14,7 Prozent; wir
aren letztes Jahr bei fast 19 Prozent. Wir werden mit der
rwarteten Rentenanpassung zum 1. Juli des nächsten
ahres – West: 2,3 Prozent, Ost: 3,2 Prozent – wahr-
cheinlich auf einen Unterschiedsbetrag von 89,5 Prozent
wischen Ost und West kommen und also um 0,8 Prozent-
unkte abbauen.
Ich will damit Folgendes sagen: Das, was wir in den
0er-Jahren gemeinsam vereinbart haben, ist – ich habe
18032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Eckhardt Rehberg
)
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das am Anfang anhand der Renteneinkommen, die wir
dadurch erreicht haben, bewiesen – ein sehr tragfähiges
System. Ich bin der Kollegin der SPD, Frau Gleicke,
durchaus dankbar, dass sie 2019 als eine Zielzahl ge-
nannt hat. Man kann möglicherweise den Weg gehen,
den Höherbewertungsbetrag von 14,7 Prozent in gleiche
Jahresscheiben bis 2019 aufzuteilen, auf 0 Prozent abzu-
werten und gleichzeitig in den gleichen Jahresscheiben
die 89,5 Prozent, die wir im nächsten Jahr erwarten, bis
2019 aufzuwerten. Auch das wäre eine Möglichkeit.
Aber ich füge hinzu: Es wird auch dann nicht so sein,
dass es keine Benachteiligten geben würde. Jede Lö-
sung, die wir haben könnten, wird – jedenfalls aus mei-
ner Sicht – an der einen oder anderen Stelle Benachteili-
gungen hervorrufen.
Insofern kommt es schon darauf an, dass wir die vor-
handenen gemeinsamen Ansätze, dieses Ziel zu errei-
chen – ich bin an dieser Stelle erfreut, was CDU/CSU,
FDP, Grüne und SPD betrifft –, auch gemeinsam verfol-
gen. Ich möchte aber gleichzeitig deutlich machen: Wer
eine Lösung finden will, der darf nicht nur Ost-West
oder nur Nord-Süd betrachten. Vielmehr reicht Deutsch-
land aus meiner Sicht von der Ost- und Nordsee bis zu
den Alpen und von der französischen bis zur polnischen
Grenze. Wer das bei diesem Thema außer Betracht lässt
und in Berlin anders redet als in Düsseldorf, der wird
dieses Problem nicht lösen.
Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention der Kollege Birkwald.
Herr Kollege Rehberg, Sie haben ja eben wieder die
falsche Behauptung aufgestellt, dass ich mit Zahlen ar-
beite, die nicht korrekt seien.
Diese Zahlen – das sage ich gerne noch einmal – hat die
Bundesregierung geliefert. Sollten sie nicht korrekt sein,
richtet sich das gegen die Bundesregierung.
Ich trage sie Ihnen noch einmal vor, damit Sie jetzt
– ich hatte gedacht, dass Sie vielleicht schon gestern
Abend einmal die Gelegenheit genutzt hätten –, eine
Chance haben, auf Seite 53 des Anhangs der Antwort
der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Linken
zu blicken. Weil wir uns jetzt um Ostrenten kümmern,
geht es jetzt um die langjährig versicherten geringverdie-
nenden Männer in den neuen Ländern, deren Lebenszeit
seit 2001 gesunken ist. Diejenigen, die zwischen der
Hälfte und drei Viertel des Durchschnittes verdient ha-
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ie Rente bezogen haben, die verstorben sind. Diese
ahlen stehen hier schwarz auf weiß. Die einfache Leis-
ng, 65 dazu zu addieren, weil es sich ausschließlich um
ie handelt, die nach dem 65. Geburtstag noch Rente be-
ogen haben, werden Sie wohl schaffen.
Ich halte fest: Bei denjenigen Männern in den neuen
ändern, die zwischen der Hälfte und drei Viertel des
urchschnittsverdienstes erhalten haben, also bei Nied-
gverdienern, ist die Lebenszeit von 77,9 auf 74,1 Jahre
esunken; das sind 3,8 Jahre bzw. 4,9 Prozent.
ei denen, die weniger als die Hälfte des Durchschnitts-
erdiensts hatten, sind es 2,6 Jahre; das sind 3,2 Prozent.
ie Lebenszeit dieser Gruppe ist von 82,5 auf 79,9 Jahre
esunken.
Jetzt frage ich Sie, ob Sie dies endlich zur Kenntnis
ehmen – dann könnte die Debatte hier vor Weihnachten
ersöhnlich enden – oder ob Sie die Zahlen der Bundes-
gierung anzweifeln. Dann kritisieren Sie bitte die Bun-
esregierung.
Herzlichen Dank.
Herr Rehberg zur Antwort, bitte.
Herr Kollege Birkwald, ich lese Ihnen noch einmal
ie Überschrift vor. Es geht um Tabelle 11-01: Renten-
ezugsdauern und -höhen von Altersrentenwegfällen mit
indestens 36 Versicherungsjahren.
35. – Das heißt, Sie nehmen eine ganz kleine Gruppe
eraus, die über 65-Jährigen, die mindestens 35 Versi-
herungsjahre haben, die also sozialversicherungspflich-
g beschäftigt waren. Sie berücksichtigen damit zum
eispiel nicht den öffentlichen Dienst, keine Personen,
ie in Versorgungswerken bei der Post, der Bahn oder
o auch immer waren. Ich will Ihnen entgegenhalten,
ass diese Statistik zwar richtig ist, aber nichts mit der
ebenserwartung zu tun hat. Zur Berechnung der Le-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18033
Eckhardt Rehberg
)
)
benserwartung benötigt man die Daten einer gesamten
Bevölkerungsgruppe. Ihnen sind da leider Journalisten
auf den Leim gegangen.
Ich möchte Ihnen zum Abschluss eine Frage stellen.
Es ist übrigens komisch, dass die Lebenserwartung bei
Frauen nicht gesunken ist. Dazu gibt es einen interessan-
ten Kommentar in der Leipziger Volkszeitung; ich rate
Ihnen, diesen zu lesen. Sie als Linke, die die Interessen
im Osten angeblich so stark vertreten, müssen sich eine
andere Frage stellen: Wo haben diejenigen, die mit 65,
70 oder 75 sterben, den Großteil ihres Arbeitslebens ver-
bracht? Sie haben in der Braunkohle bei der Wismut und
bei der Chemie in Bitterfeld unter unzumutbaren Bedin-
gungen gearbeitet. Diese Frage müssen Sie sich stellen.
Patrick Kurth hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Genau auf das Beispiel Bitterfeld wollte ich ein-
gehen. Auch ich wollte einen Beitrag zum Zahlenspiel
hier leisten. Der Durchschnittsmann hatte in den 80er-
Jahren in Bitterfeld-Wolfen eine Lebenserwartung von
weniger als 60 Jahren.
Wir sprechen jetzt hier über Rentner. Ich kann Ihnen
sagen: Es gibt aktuelle Umfragen, bei denen die Men-
schen in Deutschland nach ihren Befürchtungen gefragt
werden. Sehr weit oben bei den Antworten steht Furcht
vor einer Ideologisierung der Gesellschaft. Eine Ideolo-
gisierung der Debatte haben wir gerade erlebt. Herr
Birkwald, Sie haben einen hervorragenden Beitrag dazu
geleistet, dass die Furcht davor sich vermehrt. Sie ideo-
logisieren hier ein sehr kompliziertes Thema. Die Zu-
sammenführung von zwei völlig unterschiedlichen So-
zialsystemen nach der Wiedervereinigung war und ist
eine der größten Herausforderungen bei der Gestaltung
des Einigungsprozesses.
Sie ist einer der größten Erfolge der letzten 20 Jahre; das
muss man festhalten. Hier wird dieses Thema miss-
braucht und suggeriert, die Renten hätte sich im Osten
sogar verringert. Eine Partei, die im Wahlkampf im östli-
chen Gebiet unseres schönen Landes erklärt, dass die
Rente zu niedrig sei, und im Westen unseres Landes er-
klärt, dass die Ossis durch die Höherwertung bevorteilt
würden, braucht über Gesamtdeutschland überhaupt
nicht zu reden.
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Die Situation der Rentnerinnen und Rentner in der
hemaligen DDR hat sich so sehr verbessert wie bei fast
einer anderen Bevölkerungsgruppe. Von den erbärmli-
hen Rentenhöhen in der DDR sind wir weit, weit ent-
rnt. Das war eine herausragende Kraftanstrengung al-
r Menschen in diesem Land. Auch darauf können wir
tolz sein.
Richtig ist natürlich, dass wir in Sachen Rente noch
icht am Ende des Weges sind, sondern das Ziel der
entenangleichung verfolgen. Die Mammutaufgabe, die
ielen Interessen unter einen Hut zu bringen, betrifft
icht allein die Rentnerinnen und Rentner, sondern alle
ersicherten und Steuerzahler. Bei manchen Vorschlä-
en – das gilt auch für den Schaufensterbeitrag, den wir
ben gehört haben – muss man sich allerdings fragen, ob
ie, wenn wir sie umsetzen würden, tatsächlich den ost-
eutschen Rentnerinnen und Rentner zugutekommen
ürden.
ie Frage, was als erster Schritt zu tun ist, versuchen Sie
u beantworten. Die Frage, was als zweiter Schritt zu tun
t, vernachlässigen Sie aber, nämlich die Höherwertung.
In einer Debatte zum Thema Rente muss auch ange-
prochen werden: Die Ungleichheiten, die heute beste-
en, beruhen nicht nur auf dem Rentensystem an sich,
ondern natürlich auch auf der unterschiedlichen Lohn-
ntwicklung. Wenn wir nur auf das Thema Rentenrecht
kussieren und dort die Stellschraube justieren, dann
acken wir das Problem nicht an der Wurzel. Sie wollen
ur an der Rentenschraube drehen. Wir gehen das Pro-
lem an der Wurzel an.
Wir wollen und müssen dafür sorgen, dass sich die
irtschaftliche Entwicklung im Osten weiter verstetigt.
ir wollen die Unterschiede zwischen Ost und West auf
irtschaftlicher Ebene ausgleichen. Das ist nach 40 Jah-
n Misswirtschaft sehr, sehr schwierig. Vor allen Din-
en in den letzten Jahren sind wir aber vorangekommen.
h will sagen: Wir sind auf einem sehr, sehr guten Weg.
ie Arbeitslosenzahlen sind so niedrig wie noch nie seit
er Wende.
Die Wirtschaftsleistung holt weiter auf. Die Innova-
onsfähigkeit ist sehr hoch. Genau das sind doch die Vo-
18034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Patrick Kurth
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)
raussetzungen, die wir brauchen, wenn die Löhne stei-
gen und die Renten, natürlich auf wirtschaftlichem
Wege, angeglichen werden.
Am Ende will ich sagen: Wenn wir dafür sorgen wol-
len, dass die Menschen mehr Geld in der Tasche haben,
indem wir die kalte Progression abbauen, sodass sie zum
Beispiel privat vorsorgen können, dann kann es nicht
richtig sein, eine kleine steuerpolitische Maßnahme zum
Abbau der kalten Progression im Bundesrat zu blockie-
ren oder in Karlsruhe dagegen zu klagen. Das geht nicht.
Herr Kollege.
Leisten Sie hier einen Beitrag!
Ich bedanke mich sehr herzlich für Ihre Aufmerksam-
keit.
Danke schön.
Der Kollege Peter Weiß hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Soeben hat zwischen dem Kollegen Rehberg und
dem Kollegen Birkwald eine Diskussion stattgefunden,
die hier schon gestern stattgefunden hat. Es ist unglaub-
lich, dass es Herr Birkwald, nachdem ihm gestern meh-
rere Kollegen angeraten haben, die entsprechenden Un-
tersuchungen noch einmal nachzulesen, bis zum
heutigen Tag immer noch nicht geschafft hat, dies zu
tun, und er immer noch seine falschen Behauptungen
aufrechterhält.
Um das noch einmal klar zu sagen: Die Statistik, die
Herr Birkwald zitiert, ist eine Aufstellung der Rentenbe-
zugsdauer bereits verstorbener Rentnerinnen und Rent-
ner;
„Rentenwegfälle“ heißt, diese Damen und Herren sind
verstorben. Sie sagt nichts über die Rentnerinnen und
Rentner aus, die immer noch munter leben und in
Deutschland Rente beziehen.
Ich zitiere aus einer Untersuchung der Deutschen
Rentenversicherung Bund zur Lebenserwartung aus dem
Jahr 2008. Zusammenfassend kommen die Forscher zu
dem Ergebnis:
Die Mortalitätsanalyse für Männer auf Grundlage
der Daten des Forschungsdatenzentrums der Ren-
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as heißt, in allen Entgeltgruppen steigt die Lebenser-
artung. Das ist eine erfreuliche Nachricht. Was Herr
irkwald erzählt, ist schlichtweg die Unwahrheit.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zum Schluss die-
er Debatte will ich noch einmal das festhalten, was Frau
ollegin Gleicke zu Beginn der Debatte gesagt hat. Die
entenüberleitung im Zusammenhang mit der Verwirkli-
hung der deutschen Einheit war und ist die größte so-
ialpolitische Leistung Deutschlands in seiner jüngeren
eschichte, auf die wir gemeinsam stolz sein können.
ätten wir die Rentnerinnen und Rentner in der ehemali-
en DDR nur mit den Ansprüchen, die sie erworben ha-
en, in das vereinte Deutschland übernommen, dann
ürden sie alle heute am Hungertuch nagen und könnten
on ihrer Rente nie und nimmer leben.
Deswegen ist es eine großartige Leistung, dass wir es
it der Vereinheitlichung des Rentenrechts geschafft ha-
en, dass die Rentnerinnen und Rentner, die in der ehe-
aligen DDR gerade einmal 30 bis 40 Prozent ihres
urchschnittlichen Arbeitseinkommens als Rente erhal-
n haben, also eine Minirente, im ersten Jahr nach der
ereinigung bereits auf 35 Prozent einer Westrente
ochgewertet wurden und heute rund 89 Prozent einer
estrente erhalten. Diese Steigerung der Rentenansprü-
he in den neuen Bundesländern ist eine der großen Soli-
arleistungen der Deutschen, die wir an diesem Tag, an
em wir auf 20 Jahre Rentenüberleitung zurückschauen,
ürdigen und anerkennen sollten.
Es ist ja nicht so, dass sich die Arbeitnehmerinnen
nd Arbeitnehmer und die Rentnerinnen und Rentner im
esten jeden Tag erfreut darüber geäußert hätten, dass
ie diese Solidarleistung erbringen, aber sie haben sie er-
racht. Ich glaube, deswegen ist der heutige Tag ein Tag,
n dem wir den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
Deutschland, die mit ihren Beiträgen zu dieser großar-
gen Solidarleistung beigetragen haben, ein herzliches
ankeschön sagen sollten. Danke, deutsche Arbeitneh-
erinnen und Arbeitnehmer, für diese großartige Soli-
arleistung in den letzten 20 Jahren.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18035
Peter Weiß
)
)
Nun muss man in dieser Debatte noch einmal sagen:
In der Tat behandeln wir Arbeitnehmer Ost und Arbeit-
nehmer West – das ist die Methodik des Renten-Überlei-
tungsgesetzes – nicht gleich. Ich nenne Ihnen ein Bei-
spiel: Wenn im Westen jemand einen Jahresverdienst
von 34 000 Euro hat, dann erwirbt er mit seinen Beiträ-
gen einen Entgeltpunkt in der Rentenversicherung. Im
Osten reichen bereits 26 900 Euro Jahresverdienst, um
einen Entgeltpunkt in der Rentenversicherung zu be-
kommen.
Das ist eine Höherwertung. Das heißt, wir stellen ihn
rentenrechtlich besser, und zwar gerade deswegen, weil
er in einer Region lebt, in der durchschnittlich weniger
als im Westen verdient wird. Das wird leider von vielen
verschwiegen.
Beim Rentenwert, das heißt beim Zahlbetrag, mit
dem diese Entgeltpunkte multipliziert werden, gibt es al-
lerdings noch einen Unterschied, der aber mittlerweile
zusammengeschmolzen ist. Der Rentenwert Ost beträgt
fast 90 Prozent vom Rentenwert West. Die Methodik des
Renten-Überleitungsgesetzes war: Wenn sich die Löhne
angleichen, dann entfällt die Höherwertung und dann
werden auch die Rentenwerte Ost und West gleich. Das
war die Idee.
Das heißt, unser gemeinsames Ziel war von Anfang
an und ist auch heute – wir sollten das hier nicht ausei-
nanderdiskutieren –: Wir wollen ein gleiches Renten-
recht in Ost und West. Gleiche Entgelte bewirken die
gleiche Rente in Ost und West: Das ist unser gemeinsa-
mes Ziel.
– Frau Kollegin Gleicke, wir haben uns das schon in der
Großen Koalition – das ist gerade zwei Jahre her – vor-
genommen. Wir haben festgestellt, dass der Anpas-
sungsprozess zwischen Ost und West ins Stocken gera-
ten ist
und das eigentliche Ziel des Renten-Überleitungsgeset-
zes, dass beide Werte gleich sind, möglicherweise nicht
erreicht werden kann.
Der Kollege Rehberg hat vorhin ausgeführt: Gott sei
Dank ist der Angleichungsprozess zwischen Ost und
West wieder in Gang gekommen. Die Rentenwerte glei-
chen sich wieder an. Nächstes Jahr sind wir wieder einen
Schritt weiter.
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ir sollten eine Lösung finden, bei der möglichst viele
ich sage: möglichst alle – mit der Rentenangleichung
wischen Ost und West gut fahren und mit uns als Ge-
etzgeber zufrieden sein werden. Das muss unser Ziel
ein.
Wenn man heute Knall auf Fall sofort gleiche Entgelt-
unkte Ost und West einführen würde, würden sich viele
entnerinnen und Rentner wundern, dass dabei nicht
ehr, sondern weniger für sie herauskommt. Das wollen
ir nicht. Eckhardt Rehberg hat deutlich gesagt: Wir
ollen nicht, dass Rentnerinnen und Rentner im Osten
der im Westen Deutschlands durch die Angleichung ei-
en Verlust erleiden.
Wenn wir das machen, was die Linken wollen, dann
ürde jemand, der im Osten das Gleiche verdient wie je-
and im Westen, automatisch eine höhere Rente als je-
and im Westen bekommen. „Vielen Dank“, sagen dann
ie Rentnerinnen und Rentner im Westen, und sie fra-
en: Wenn ich mit dem gleichen Verdienst im Osten eine
öhere Rente bekomme, wo ist dann die Gerechtigkeit?
eswegen ist der Prozess der Angleichung, den wir
urchführen müssen, so schwierig.
Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit verlängern?
er Kollege Birkwald will Sie etwas fragen.
Gut. Wenn er es immer noch nicht verstanden hat,
ann lese ich es ihm gerne noch einmal vor.
Gut. Wiederholung ist die Mutter der Weisheit.
Herr Kollege Weiß, wir machen das jetzt an einer an-
eren Stelle fest. Sie haben eben behauptet, dass das
urchschnittliche Jahresarbeitsentgelt 34 000 Euro be-
18036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Matthias W. Birkwald
)
)
trüge und jemand dafür in der Rentenversicherung einen
Entgeltpunkt bekäme.
Ich habe jetzt bei der Rentenversicherung nachge-
schaut. Da steht: Durchschnittliches Jahresarbeitsentgelt
2010: 31 144 Euro, 2011: 30 268 Euro und 2012 – das ist
natürlich wie für 2011 geschätzt, weil die Daten noch
nicht vorliegen können –: 32 446 Euro. Sie haben die
Zahl von 34 000 Euro genannt. Deswegen bitte ich Sie,
zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie das mit den Zahlen
nicht so richtig gut können.
Herr Kollege, bitte.
Also, damit der Kollege Birkwald zufrieden ist, Herr
Präsident, erlaube ich mir, ihm jetzt mit den Zahlen zu
antworten, die wir aus dem letzten Jahr, 2010, haben.
2010 hat ein Versicherter im Westen mit einem Jahres-
verdienst von 32 000 Euro einen Entgeltpunkt im Wes-
ten erworben.
Ein Versicherter im Osten mit einem Jahresgehalt von
26 900 Euro hat einen Entgeltpunkt im Osten erworben.
Das heißt, sein Verdienst ist höher gewertet worden als
der im Westen, damit die Differenz der Löhne zwischen
Ost und West ausgeglichen wird. Das ist das, was ich ge-
sagt habe, zu dem ich stehe, was auch richtig ist.
Wenn es ein echtes Problem gibt, dann ist es die Tat-
sache in Ost und West, dass jemand mit geringen Ver-
diensten trotz eines langen Arbeitslebens möglicher-
weise keine auskömmliche Rente erhält. Genau deswegen
haben wir uns in der Koalition zu einem Regierungsdia-
log entschlossen, um ein Modell zu entwickeln, mit dem
wir Geringverdienern, die lange gearbeitet und in die
Rentenversicherung eingezahlt haben, ein Rentenniveau
sichern wollen, das es möglich macht, seinen Lebens-
abend ohne einen Antrag beim Grundsicherungsamt zu
verbringen. Diese Problemstellung will die Koalition in
der Tat angehen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir
können stolz sein auf das Erreichte, was die Rentenan-
gleichung anbelangt. Wir haben noch einen Weg vor uns.
Wir sollten ihn so gestalten, dass es keine Verlierer – we-
der im Osten noch im Westen – gibt, sondern dass wir al-
len Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland eine
wirklich gute Zukunft garantieren können.
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gierung
Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der Deutschen Einheit 2011
– Drucksache 17/7711 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus,
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Staatsminister für Ostdeutschland bestellen
– Drucksachen 17/5522, 17/6242 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Manfred Behrens
Daniela Kolbe
Patrick Kurth
Frank Tempel
Wolfgang Wieland
Zum Jahresbericht der Bundesregierung liegen ein
ntschließungsantrag der Fraktion der SPD und ein Ent-
chließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
ussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Auch
ierzu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir
o.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
arlamentarischen Staatssekretär Christoph Bergner.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18037
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
D
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Nachdem wir im vergange-
nen Jahr anlässlich des 20. Jahrestages der deutschen
Einheit einen umfänglichen Jubiläumsbericht, wie ich
ihn fast nennen möchte, vorgelegt haben, haben wir uns
nach Gesprächen mit Parlamentariern unterschiedlicher
Fraktionen entschlossen, in diesem Jahr den Bericht
straffer zu fassen und uns im Rahmen der Berichterstat-
tung auf aktuelle Handlungsnotwendigkeiten bzw. auf
notwendige Handlungsstrategien zu konzentrieren.
Dabei ist klar, dass das, was mit Blick auf die Zukunft
gesagt werden muss, vor dem Hintergrund einer außer-
ordentlich erfolgreichen Entwicklung erfolgt. Die Trans-
formation Ostdeutschlands in eine Marktwirtschaft ist
abgeschlossen. Die Unternehmen in Ostdeutschland sind
heute wettbewerbsfähig. Die allgemeinen Lebensbedin-
gungen gleichen denen in Westdeutschland weitgehend.
In einer gutachterlichen Stellungnahme von Professor
Rüdiger Pohl heißt es: Die wirtschaftlichen Lebens-
bedingungen der Menschen in Ostdeutschland entspre-
chen heute weitgehend denen in Westdeutschland. Das
betrifft die Verfügbarkeit und Qualität von Produkten,
die Infrastruktur, den Umweltschutz, Wohnraum, medi-
zinische Versorgung, Alterssicherung und Bildungsange-
bote.
Diese Feststellung ist in einem Gutachten enthalten,
das vorgelegt wurde, als wir uns auf Einladung der ko-
reanischen Regierung in Seoul befanden. Es ist der drin-
gende Wunsch der koreanischen Regierung gewesen,
von der deutschen Einheit zu lernen und deshalb ein
deutsch-koreanisches Konsultationsgremium zu Fragen
der deutschen Einheit zu gründen. Ich sage das nur des-
halb, weil das deutsche Erfolgsmodell offenbar so inte-
ressant ist, dass man es von außen durchaus als ein Bei-
spiel für die Lösung ähnlicher Probleme betrachtet.
So viel gewissermaßen als Hintergrund der Erfolge,
auf die wir verweisen können und auf die wir auch stolz
sein sollten.
Nun komme ich zu den aktuellen Handlungserforder-
nissen, die noch vorhanden sind, und den Handlungsstra-
tegien, die damit verbunden sind. Die vollständige Kon-
vergenz, insbesondere die des Produktionsniveaus, ist
noch nicht erreicht. Wir haben viele infrastrukturelle und
andere Projekte abgeschlossen. Das Bruttoinlandspro-
dukt pro Kopf der ostdeutschen Bevölkerung liegt noch
immer circa 25 Prozent unter dem der westdeutschen. In
einigen Anträgen, die von den Oppositionsfraktionen
eingebracht wurden, wird zu Recht darauf verwiesen,
dass sich diese Quote über einen relativ langen Zeitraum
kaum verändert hat. Die entscheidende und wichtige
Frage, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben, lau-
tet: Wie interpretieren wir diese Lücke von 25 Prozent,
und wie gehen wir mit ihr um? Diese Frage hat eine
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Moment! – Deswegen habe ich eine große Skepsis ge-
enüber den Empfehlungen des Sachverständigenrates,
ie aus meiner Sicht – übrigens auch ein Vorschlag der
rünen – den Eindruck erwecken, als ob der Unter-
chied von 25 Prozent ein sozusagen natürlicher Unter-
chied wäre, wie wir ihn auch zwischen den westdeut-
chen Ländern finden. Insofern hat mich die Sächsische
eitung durchaus richtig zitiert. Ich sehe den Haupt-
chwerpunkt der Arbeit darin, die Angleichung der
öhne und Gehälter zu erreichen, damit wir auf diesem
ege die Angleichung auch der Renten erhalten.
as ist für mich der zentrale Ansatzpunkt.
Ich will noch einmal sagen, dass sich bei manch ei-
em, der beim einheitlichen Rentenwert das Pathos der
eutschen Einheit bemüht – das trifft keinen hier im
ause –, feststellen lässt, dass sein Problem nicht der
iedrigere Rentenwert, sondern die Höherbewertung der
stdeutschen Einkommen ist. Wegen dieser Diskussion
estehe ich darauf, dass in der Frage des Vorrangs im
inne des Einigungsvertrages zu handeln ist. Wie immer
ir Termine in der Zukunft, wie sie Frau Gleicke ge-
annt hat, festlegen, ist eine ganz andere Frage. Dies ist
in wichtiger Aspekt, der aus meiner Sicht Beachtung
erdient.
Damit ist eine andere Frage verbunden.
Herr Kollege, Sie müssen allmählich zum Ende kom-
en.
D
Das ist bei der Komplexität der Fragestellung außer-
rdentlich misslich. Ich habe gehofft, dass mir Fragen
estellt werden; dann hätte ich auf diese Weise mehr dar-
tellen können. Herr Präsident, ich will bloß noch stich-
)
18038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
)
)
punktartig vortragen, damit wenigstens die Logik meiner
Gedanken zum Ausdruck kommt.
Wenn es noch immer eine Produktivitätslücke von
25 Prozent gibt, dann müssen wir analysieren, welche
Ursachen diese Produktivitätslücke hat. An dieser Stelle
müssen wir mit unserer Förderpolitik ansetzen.
Die Treiber der Entwicklung sind andere als in den 90er-
Jahren; damals lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf
im Osten Deutschlands bei 43 Prozent des westdeut-
schen Werts. Ich nenne als Stichwort die Kleinteiligkeit
der ostdeutschen Wirtschaft und die gesamten damit ver-
bundenen Besonderheiten.
Meine Damen und Herren, da ich mich genötigt gese-
hen habe, auf die Rentendiskussion einzugehen, habe ich
leider nicht die Gelegenheit, die Dinge im Gesamtzu-
sammenhang darzustellen; aber ich will wenigstens noch
an meine Eingangsworte anknüpfen. Ich habe deutlich
gemacht, dass wir es mit einer Erfolgsgeschichte zu tun
haben, um deren Vollendung es uns jetzt im Einzelnen
geht.
Ich vergleiche diese Vorweihnachtstage mit der Situa-
tion in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1988, die ich
mit meiner Familie in der ehemaligen DDR erlebt habe.
Da fällt es mir nicht schwer, davon zu reden, dass die
letzten 20 Jahre ein gewaltiger Erfolg waren, und Ihnen
allen aus voller Überzeugung eine gesegnete Weihnacht
zu wünschen.
Danke schön.
Das Wort hat nun Iris Gleicke für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Euro-Krise und die Debatte darüber, was die Politik ge-
gen die Finanzmärkte ausrichten kann, überschatten so
gut wie alles. Da kommt der Aufbau Ost fast etwas ver-
schämt und so gut wie unbemerkt daher. Dazu passt,
dass der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der Deutschen Einheit 2011 am letzten Sitzungstag in
der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten quasi abge-
frühstückt wird. Die Rede, die wir gerade gehört haben,
verstärkt diesen Eindruck bei mir noch.
Bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit, nicht zu viel Öf-
fentlichkeit; es gibt schließlich immer weniger zu vertei-
len. Das ist das stille Eingeständnis dieser Bundesregie-
rung, sich vom Aufbau Ost längst verabschiedet zu
haben.
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Meine Damen und Herren, wer Ihr Märchenbuch auf-
chlägt, findet dort romantische Lyrik von einzigartiger
edeutungslosigkeit. Da ist der Aufbau Ost nunmehr an
iner besonderen Wegmarke angekommen und ist die
ervollkommnung der deutschen Einheit auf bestem
ege.
h finde es ja in Ordnung, die Erfolge zu würdigen; aber
an muss schon bei der Wahrheit bleiben, und damit
eine ich die ganze Wahrheit. Zu dieser Wahrheit ge-
ört, dass die ostdeutsche Wirtschaftskraft seit Jahren
ei 73 Prozent des Westniveaus stagniert. Zur Wahrheit
ehört auch, dass das Produktivitätsniveau ebenfalls seit
ahren bei 80 Prozent des Westniveaus verharrt. Im Ver-
leich zu den strukturell schwächeren westdeutschen
ändern, zu denen der Osten nach Ihrer Lesart längst
ufgeschlossen hat, ist der Produktivitätsabstand sogar
och größer geworden.
Dabei ist ganz zu schweigen vom ostdeutschen Ar-
eitsmarkt, der dem in den westdeutschen Ländern nach
ie vor hinterherhinkt. Natürlich sind die Aussichten auf
em Arbeitsmarkt besser geworden. Natürlich ist die Ar-
eitslosenquote zurückgegangen; aber man ist eben noch
ngst nicht auf Augenhöhe mit dem Westen. Die Ar-
eitslosigkeit im Osten ist fast doppelt so hoch, und die
angzeitarbeitslosigkeit dort ist verfestigt. Dazu findet
ich in Ihrem Bericht kein einziges Wort.
ie setzen offenbar darauf, dass die demografische Ent-
icklung den weiteren Rückgang der Arbeitslosigkeit
ewerkstelligen wird. Ich finde das zynisch.
Im Osten müssen die Menschen nach wie vor un-
leich höhere Hürden für den Einstieg in den ersten Ar-
eitsmarkt überwinden, weil sie zum Teil schon 10, 15,
0 Jahre lang arbeitslos sind. Statt zu handeln, kürzen
ie eiskalt die Eingliederungshilfen für Langzeitarbeits-
se: im kommenden Jahr um 600 Millionen Euro, und
Jahr 2013 werden es 800 Millionen Euro sein.
Reden wir einmal über die Angleichung der Löhne;
ie hat auch in der vorherigen Debatte eine Rolle ge-
pielt.
ie Ostdeutschen können auch davon ein Lied singen. Je
ach Branche sind die Löhne um 15 bis 30 Prozent unter
estniveau. Das ist eben kein Standortvorteil Ost, son-
ern die Hauptursache für die Abwanderung aus Ost-
eutschland, und das führt mittlerweile zu einem drama-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18039
Iris Gleicke
)
)
tischen Fachkräftemangel. Wann kapieren Sie das
eigentlich?
Sie spielen nach wie vor das alte Lied von der Be-
scheidenheit und der Zurückhaltung auf der Arbeitneh-
merseite; dann werde schon irgendwie alles gut werden.
Wir haben aber keine Lust mehr auf dieses Lied. So
geht’s nicht weiter. Wo bleibt Ihr Einsatz für eine höhere
Tarifbindung? Wo bleibt Ihr Einsatz für anständige
Löhne in Ostdeutschland?
Jetzt wollen Sie von der CDU ja so eine Art Mindest-
lohn light erfinden. Sie nennen das „Einführung von
Lohnuntergrenzen“.
Diese sollen aber nach Branchen und Regionen unter-
schiedlich gestaltet werden. Wenn das wirklich so kom-
men würde, was der liebe Gott und die Opposition in
diesem Hause verhindern mögen, dann würden die Ost-
deutschen wieder in die Röhre gucken, dann würden die
Unterschiede zwischen Ost und West selbst bei Mindest-
löhnen zementiert. Das ist definitiv nicht hinzunehmen.
Wo bleibt hier eigentlich, Herr Lindner, der Wert der
Arbeit? Entscheidet allein der Ort in unserem Land über
den Preis, über den Wert, über Gewinner oder Verlierer?
Bedeutet Regensburg oben und Finsterwalde unten? Ist
der ostdeutsche Zeitarbeiter, die ostdeutsche Pflegekraft
oder der ostdeutsche Ingenieur auch 21 Jahre nach der
deutschen Einheit immer noch nicht ganz so viel wert in
diesem Land? Es ist doch unser gemeinsames Land.
Das ist nicht das Land, das Sie in Ihrem Bericht be-
schreiben. Ich hätte mir eher eine ehrliche Bestandsauf-
nahme gewünscht. Ich hätte ein paar Hinweise zur Ent-
wicklung der Einkommen und der Renten wirklich gut
gefunden, stattdessen Vertröstungen bis zum Sankt-Nim-
merleins-Tag, stattdessen viel heiße Luft und Zucker-
guss.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage zur
Verlängerung Ihrer Redezeit?
Aber gerne.
Bitte.
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Herr Kollege, Ihre Zwischenfrage macht eigentlich
eutlich, auf welchem Niveau Sie dieses Thema disku-
eren.
uch die Zwischenrufe von Herrn Lindner machen das
brigens sehr deutlich. Meine Großmutter hat immer ge-
agt: Getroffene Hunde bellen.
h sehe in Ihren Reihen sehr viele Lücken. Auch viele
er ehemals ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen auf
rer Seite sind nicht hier.
sofern ist es so: Wer mit dem Finger auf andere zeigt,
uf den zeigen vier Finger zurück. Insofern sollten Sie
ich ganz einfach schämen,
ass Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, eine ver-
ünftige Debatte zu führen, sondern hier nur Klamauk
eranstalten und solche Zwischenfragen stellen.
Für den Ausblick – jetzt kommen wir noch einmal zu
em Bericht zum Stand der Deutschen Einheit – bzw. für
ie Antwort auf die Frage, wie es weitergehen soll mit
em Aufbau Ost, ist auf den insgesamt 110 Seiten gerade
inmal eine halbe Seite Platz. Ich kann ja verstehen, dass
nen das peinlich ist. Niemand erwartet Wunder von Ih-
en. Niemand erwartet Patentrezepte und niemand ein in
llen Regionen wirksames Allheilmittel. Gerade für die
ntwicklung Ostdeutschlands gilt das gute Wort Willy
18040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Iris Gleicke
)
)
Brandts: Lieber kleine Schritte als große Sprünge. – Sie
machen aber einfach gar nichts. Sie haben den Aufbau
Ost von der Tagesordnung genommen. Der Osten ist Ih-
nen egal.
Das zeigt sich an einer nur noch mühsamen und we-
nig verlässlichen Förderpolitik. Das zeigt sich an den
brutalen und unverschämten Kürzungen auch beim Stadt-
umbau Ost und beim Programm „Soziale Stadt“, übri-
gens von besagtem Minister Tiefensee mit eingeführt
und viele Jahre gefördert. Sie kürzen all das zusammen.
So jedenfalls geht Aufbau Ost nicht. So wird das nichts
mit der Vollendung der deutschen Einheit.
Die Ostdeutschen können auf das Erreichte stolz sein.
Von einer wirklichen Angleichung der Lebensverhält-
nisse sind wir aber nach wie vor entfernt. Diese Bundes-
regierung hat sich von diesem Ziel verabschiedet. Sie
setzen die gesamtdeutsche Solidarität zugunsten partiku-
larer Interessen wissentlich aufs Spiel. Das ist eine
Schande.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Patrick Kurth für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Liebe Frau Gleicke, Sie können das wirklich deut-
lich konstruktiver. Das war kein Beitrag, der uns weiter-
gebracht hat.
– Nein, das ging am Thema vorbei.
In diesem Jahr wurde der alljährliche Bericht zur
Deutschen Einheit an einem ganz besonderen Tag he-
rausgebracht, am 9. November, also genau 22 Jahre nach
dem Mauerbau.
– Entschuldigung! Nach dem Mauerfall natürlich. – In
diesen 22 Jahren hat der Osten enorm aufgeholt: Die In-
frastruktur ist auf dem neuesten Stand, bei der Wirt-
schaftskraft wurde enorm aufgeholt, die Lebenserwar-
tung und der Wohlstand sind gestiegen.
Die Arbeitslosigkeit – lange das größte Sorgenkind
und zeitweise doppelt so hoch wie im Westen – ist stark
zurückgegangen, insbesondere in den letzten zwei Jah-
ren. Mein Heimatland Thüringen hat kürzlich das größte
Bundesland überhaupt – Nordrhein-Westfalen – bei der
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Diese Flexibilität und dieser Einfallsreichtum sind
eute gefragt, gerade in Zeiten der Krise. Da kann man
om Osten lernen und profitieren.
Trotzdem haben wir noch große Herausforderungen
u bewältigen. Die Wirtschaftskraft muss weiterhin in
en Fokus genommen werden. Wir haben eine kleintei-
ge Wirtschaftsstruktur. Richtig ist, dass der Osten von
leinen und mittelständischen Unternehmen geprägt ist.
ie Konzernzentralen – damit oftmals übrigens die For-
chungsabteilungen und die sehr guten Arbeitsplätze für
ochqualifizierte – befinden sich im Westen. Das ist
chwierig. Ich finde, da muss der Staat auch eine ge-
isse Verantwortung übernehmen, wenn die Konzerne
as an der Stelle so nicht leisten können. Natürlich ist es,
sgesamt gesehen, auch kein großer Beitrag, dass sich
ie Deutsche Bahn als einziger DAX-Konzern im Osten
efindet. Sie ist nämlich hier in Berlin vom Potsdamer
latz an den Nordbahnhof gezogen. Das ist schwierig
nd nicht hinzunehmen.
Darin liegt aber auch eine Chance. Die kleinen Unter-
ehmen sind beispielsweise viel flexibler als große. Sie
aben ihre Strukturen sehr schnell modernisiert, sind sehr
endig und auch innovativ. Überhaupt ist das Netzwerk
on außeruniversitären Forschungseinrichtungen gerade
Osten sehr stark. Die Ingenieure aus aufgelösten ehe-
aligen Kombinaten haben sich in wirtschaftsnahen For-
chungsinstitutionen etabliert. Das sind kleine, sehr
chnelle „Kampfeinheiten“ – wenn man so möchte –, die
en Mittelständlern, die keine Forschungsleistung erbrin-
en können, unwahrscheinlich viel helfen.
Auf einer Konferenz des Verbandes Innovativer Un-
rnehmen wurde kürzlich gesagt – ich wusste das gar
icht; vielleicht wissen Sie es auch nicht –: Kleine Un-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18041
Patrick Kurth
)
)
ternehmen im Osten mit weniger als 50 Mitarbeitern ha-
ben deutschlandweit die größte Innovationskraft bei
Marktneuheiten. – Marktneuheiten kommen also zum
überwiegenden Teil von kleinen Unternehmen im Osten
mit weniger als 50 Mitarbeitern. Das fand ich außeror-
dentlich erstaunlich. Ich wusste das nicht; dazu sage ich
aber: Herzlichen Glückwunsch!
Meine Damen und Herren, ich fand sehr wichtig, was
diese Bundesregierung umgestellt hat. Sie stellte von ei-
nem reinen Ressortdenken „Aufbau Ost“ – dabei ging es
vor allen Dingen um Bauen, nur im Osten – auf ein Den-
ken in Richtung einer gesamtdeutschen Herausforderung
um. Das ist es ja auch. Wir haben ein demografisches
Problem in Gesamtdeutschland. Das wird zuerst den Os-
ten betreffen, und zwar viel stärker und intensiver als
Westdeutschland. Insofern muss die Bundespolitik na-
türlich darauf reagieren.
Wir haben in diesem Zusammenhang mehrere Kon-
zepte vorgelegt: So wurden gemeinsam mit den ostdeut-
schen Ländern Handlungskonzepte erarbeitet und in
diesem Herbst herausgebracht. Wir haben den Demo-
grafiebericht vorgelegt. Das ist ein sehr wichtiger Be-
richt, an dem alle Ressorts mitgearbeitet haben. Anfang
nächsten Jahres wird die Demografiestrategie der Bun-
desregierung herauskommen.
Damit haben wir – was ich sehr wichtig finde – Fol-
gendes erreicht: erstens eine Abkehr von der bisherigen
staatlichen Reaktion auf die Folgen der älter werdenden
Gesellschaft, zweitens die Einbeziehung aller Fachberei-
che und drittens eine Betrachtung der Problematik im
gesamtdeutschen Kontext. Das ist eine ganz erheblich
andere Weichenstellung, als sie in den Jahren zuvor un-
ter den mittlerweile unbekannten Ostministern Tiefensee
und Schwanitz erfolgt ist.
Meine Damen und Herren, wir setzen nicht auf Rück-
bau, sondern wir setzen jetzt auf Modernisierung. Wir
setzen darauf, dass das verkehrliche Leben auch in aus-
gedünnten und überalterten Regionen aufrechterhalten
wird. Wir setzen insbesondere darauf, dass die Dezentra-
lität der Energieversorgung gewährleistet werden kann
und entsprechend aufgebaut wird. Mit diesem Konzept
wird die Sicherung der privaten und öffentlichen Infra-
struktur in allen Regionen gelingen. Das ist eine riesige
Herausforderung. Wir stellen uns dieser Herausforde-
rung.
Vorhin haben wir über das Lohnniveau gesprochen.
Ich möchte es noch einmal deutlich machen: Der Osten
hat ein erheblich niedrigeres Lohnniveau als der Westen.
In Thüringen verdient man am wenigsten, muss dafür
aber statistisch gesehen am längsten arbeiten. Das ver-
stehen wir nicht. Auf der anderen Seite sind wir in Thü-
ringen sehr arbeitsfreudige Menschen.
Eines ist aber außerordentlich wichtig: Wenn wir als
Koalition beispielsweise einen Plan zur Entlastung eben-
dieser kleinen und mittleren Einkommen vorlegen und
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Westen haben das SPD-regierte Hamburg und das
PD-mitregierte Baden-Württemberg dafür gestimmt.
h sage Ihnen: Das ist ein sehr schwieriges Signal. Wol-
n wir einen Schlussstrich ziehen unter die DDR-Fol-
en?
ann reden wir nämlich ganz schnell auch über den So-
darpakt.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Davor will ich warnen. Überlegen Sie wirklich, wie
ie politisch wo handeln und wo nicht. An dieser Stelle
aben Sie falsch gehandelt.
Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten. Auf eine gute
usammenarbeit im nächsten Jahr!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Dietmar Bartsch für die Fraktion
ie Linke.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
en! Wir haben in dieser Woche – kurz vor Weihnachten –
ehr spannende Debatten zur Europapolitik und zur Fi-
anzpolitik gehabt. Wir haben alle gemeinsam feststel-
n können, dass die Bundesregierung all diese Dinge
icht im Griff hat und dass sie nicht weiß, welchen Kurs
ie einschlagen soll.
18042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Dietmar Bartsch
)
)
Heute, beim Bericht zum Stand der deutschen Einheit
2011, ist zu konstatieren: Diese Bundesregierung kann
auch deutsche Einheit nicht.
Was Herr Bergner hier geboten hat, war wirklich eine
Luschenrede. Damit repräsentiert er die Ostdeutschen
keinesfalls.
Der Jahresbericht, den Sie vorlegen, ist immer noch
sehr umfangreich. Er ist sehr spät eingereicht worden,
und er ist vor allen Dingen ausgesprochen einseitig. Die
Defizite werden entweder überhaupt nicht benannt, oder
sie werden so dargestellt, als wenn das Ganze trotz einer
sehr weisen Politik der Bundesregierung so sein müsste.
Ich kann nur eines ganz klar sagen: Das erinnert mich
fatal an Erfolgsbilanzen und Erfolgsgeschichten, die ich
mir vor 1989 hin und wieder anhören musste.
Die Linke widerspricht dieser selbstgefälligen Dar-
stellung entschieden. Ich will Ihnen auch ganz klar ohne
Wenn und Aber sagen: Wir ignorieren überhaupt nicht
die positiven Entwicklungen. Davon gibt es eine ganze
Menge. Das ist auch die Gelegenheit, den Ostdeutschen
und den Westdeutschen Danke zu sagen für den solidari-
schen Beitrag, den sie geleistet haben.
Ein Blick auf die Infrastruktur in Ostdeutschland
zeigt, dass sie sich wirklich sehen lassen kann. Wir kön-
nen alle gemeinsam stolz sein auf das Erreichte;
aber es ist – das ist klar und eindeutig – kein Verdienst
der Bundesregierung.
Um Ihnen ein anderes Beispiel zu nennen: In dem Be-
richt steht, dass die Betreuungsmöglichkeiten für Kinder
in den neuen Ländern besser sind. Das ist doch wunder-
bar. Warum können wir nicht den Westdeutschen einmal
die Gelegenheit geben, auf Ostniveau gehoben zu wer-
den?
Warum schaffen wir es nicht, dass das auch in den alten
Ländern durchgesetzt wird? Da können Sie doch nicht
das Gegenteil machen, also die ostdeutschen Länder fi-
nanziell strangulieren und ihnen so die Möglichkeit neh-
men, das zu finanzieren. Entscheidend ist: Die Defizite,
die es gibt, existieren auch wegen der Politik dieser Bun-
desregierung und ihrer Vorgängerin. Die Menschen in
den neuen Ländern werden auch nach gut 20 Jahren
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Sie schreiben in dem Bericht, dass die Arbeitslosen-
ahl in den neuen Ländern unter 1 Million liegt. Wenn
ie sich das Ausmaß der Abwanderung aus dem Osten
nd die Zahl der Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich
or Augen führen, dann erkennen Sie, dass man auf die-
es Ergebnis wirklich nicht stolz sein kann. Es ist in der
ealität so, dass das Lohnniveau in den neuen Ländern
mer noch bei 80 Prozent des Niveaus in den alten
ändern liegt. Das ist nicht zu akzeptieren. Es bleibt da-
ei – ich habe es eben gesagt –: Gleicher Lohn für glei-
he Arbeit.
Wir hatten gerade die große Debatte zu den Renten.
err Bergner, das, was Sie hier gesagt haben, heißt im
lartext: Sie wollen keine Veränderung. Sie sagen: Die
ohnentwicklung ist nun einmal so; wir machen nichts. –
h kann Ihnen nur sagen: In Ihrem Koalitionsvertrag
teht, dass die Angleichung der Renten in dieser Legisla-
r vollzogen werden soll. Nichts dergleichen passiert.
s ist immer noch so, dass es ungleiche Renten bei glei-
her Lebensleistung gibt. Es kann nicht sein, dass die
öhe der Rente vom Geburtsort abhängig ist. Das wer-
en wir nicht akzeptieren. Sie werden von uns immer
ieder Anträge dazu im Bundestag vorgelegt bekom-
en, damit diese Ungerechtigkeit zwischen Ost und
est endlich aufhört.
Auf der Besuchertribüne sitzen ein paar Gäste aus
orpommern. Sie könnten ganz viel darüber erzählen,
ie es dort aussieht: Viele Menschen wandern ab, weil
ie keine Chance erhalten. Das würde jetzt aber zu weit
hren.
Die Linke fordert einen Mentalitätswechsel und einen
urswechsel in der Politik für Ostdeutschland.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18043
Dr. Dietmar Bartsch
)
)
Machen Sie endlich Ihre Wahlversprechen von 2009
wahr! Sie müssen den Osten zur Chefsache machen. Sie
können hier nicht mit irgendeinem Staatssekretär agieren,
der lediglich hin und wieder luschig vorträgt. Stattdessen
brauchen wir einen Staatsminister für Ostdeutschland.
Wenn Sie dafür keinen Kompetenten von der Linken neh-
men, dann nehmen Sie zumindest einen Kompetenten aus
Ihren Reihen, damit hier endlich etwas passiert.
Sie müssen erkennen, dass der Aufbau Ost als Nach-
bau West gescheitert ist. Wir brauchen einen Wechsel in
der Politik. Ein selbsttragender Aufschwung ist möglich;
eine nachhaltige Entwicklung Ostdeutschlands ist mög-
lich. Wir haben doch in den neuen Ländern auf vielen
Feldern wirklich einen Erfahrungsvorsprung. Sogar Sie,
Herr Kurth, haben den einen oder anderen Vorsprung ge-
nannt, zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien oder
im Gesundheitswesen. Der Begriff „Poliklinik“ ist in-
zwischen auch vielen Westdeutschen bekannt; da kann
man einiges lernen. Auch im Bereich der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf und nicht zuletzt bei der Moder-
nisierung von schrumpfenden Städten kann man im Os-
ten einiges lernen. Mit einem zwinkernden Auge kann
ich auch sagen – die Bundeskanzlerin würde das sofort
bestätigen –: Wir haben einen kleinen Vorsprung, was
Sprachkompetenz in Russisch und Polnisch betrifft.
Wir sollten ihn wirklich einmal nutzen, gerade auch für
den Aufbau in den neuen Ländern.
Ich kann die Bundesregierung nur auffordern, zielori-
entierter etwas für den Osten zu tun und den grundge-
setzlichen Auftrag, gleichwertige Lebensverhältnisse zu
schaffen, endlich umzusetzen. Denn wir können mit sehr
großem Selbstbewusstsein sagen: Wenn man etwas für
den Osten tut, dann tut man auch etwas für den Westen
und für unser gesamtes Land.
Ich wünsche Ihnen frohe Weihnachten und einen gu-
ten Rutsch.
Danke schön.
Das Wort hat nun Stephan Kühn für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Be-
richt zum Stand der deutschen Einheit ist ein Bericht
ohne Neuigkeiten und Ideen, der uns jedes Jahr routine-
mäßig vorgelegt wird. Auf vielen Seiten werden die
Zahlen einfach nur aktualisiert. Mit vorweihnachtlicher
Stimmung wird der Bericht dann noch schnell im Ple-
num abgearbeitet.
Routine können wir uns angesichts der Herausforde-
rungen und der Probleme, die im Osten Deutschlands
weiterhin bestehen, einfach nicht leisten.
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ir brauchen einen Minister, der sich sichtbar und hörbar
r das Thema Aufbau Ost engagiert und Ideen einbringt.
as setzt übrigens seine Teilnahme an solchen Debatten
oraus. Stattdessen legt er uns einen Bericht vor, in dem
ersucht wird, den Aufbau Ost als reine Erfolgsge-
chichte darzustellen und Probleme einfach zu glätten. In
er Pressemitteilung zum Bericht heißt es zum Beispiel:
Der Bericht belegt, dass das ostdeutsche Brutto-
inlandsprodukt weiterhin ansteigt und sich dem
BIP-Niveau im Westen annähert.
enn man sich die entsprechende Grafik zur Pressekon-
renz anschaut, dann wird deutlich: Seit 1996 gibt es
ei der Annäherung eine Stagnation. Das muss man ehr-
ch benennen.
Es gibt zweifelsfrei wirtschaftliche Erfolgsgeschich-
n; der Wachstums- und Jobmotor erneuerbare Energien
t zum Beispiel eine. Diese werden aber durch die Poli-
k der Bundesregierung gefährdet. In der Pressemittei-
ng zum Bericht werden die erneuerbaren Energien lo-
end erwähnt:
Es gilt, die Chance aus der Energiewende für den
ostdeutschen Arbeitsmarkt zu ergreifen und die
Vorreiterrolle der Neuen Länder bei Umwelttechno-
logien weiter auszubauen.
as hören wir aber von Wirtschaftsminister Rösler? Er
ill die Solarförderung massiv kürzen
nd den Zubau von erneuerbaren PV-Anlagen im nächs-
n Jahr bei 1 Gigawatt deckeln. Letztes Jahr gab es ei-
en Zubau von 7 Gigawatt, dieses Jahr sind es 6,5 Giga-
att. Wenn die Deckelung kommt, bedeutet das: Die
stdeutsche Solarindustrie wird in die Knie gezwungen,
nd Arbeitsplätze werden massiv gefährdet.
Bericht lobt man sich dafür, dass diese Branche ins-
esamt 85 000 Arbeitsplätze sichert.
wischen Tun und Handeln gibt es eine riesige Diffe-
nz. Das wird hier deutlich.
Die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirt-
chaft wird durch falsche Prioritäten beim Infrastruktur-
usbau behindert.
18044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Stephan Kühn
)
)
Eine Studie der TU Dresden hat sich mit der Anbindung
der deutschen Städte an den Schienenpersonenfernver-
kehr beschäftigt. 80 Städte wurden untersucht. Schaut
man sich an, wie es bei den ostdeutschen Städten aus-
sieht, dann stellt man fest, dass Magdeburg als erste ost-
deutsche Stadt auf Platz 53 liegt und auf den letzten zehn
Plätzen – also 70 bis 80 – viele ostdeutsche Städte: Jena,
Dresden, Rostock, Chemnitz und Cottbus.
An dem neuen Investitionsrahmenplan, den uns Herr
Ramsauer in den letzten Tagen vorgelegt hat, wird deut-
lich: Daran wird sich in den nächsten Jahren nichts än-
dern. Das Geld geht nach Bayern. Regionen, die wirt-
schaftlich stark sind und aus Gründen des Wettbewerbs
auf den Fernverkehr und einen funktionierenden Güter-
verkehr angewiesen sind, bleiben weiter abgeschlagen.
In der Region Chemnitz leben 1 Million Menschen.
Seit fünf Jahren haben wir die Situation, dass dort kein
einziger Fernverkehrszug mehr hält, weil die Infrastruk-
tur nicht ausgebaut ist: keine durchgehende Elektrifizie-
rung der Sachsen-Franken-Magistrale, der Mitteldeutsch-
land-Verbindung. Auch auf der Strecke Dresden–Berlin
ist der Ausbau auf durchgehend Tempo 200 km/h nicht
gesichert. All das wird auf die lange Bank geschoben. Das
verhindert, dass die Regionen wettbewerbsfähig sind.
Aus den richtigen Erkenntnissen, die im Bericht dar-
gestellt werden, folgen keine politischen Schlussfolge-
rungen; denn wenn man die Bedeutung der Städtebauför-
derung lobt, dann müsste man die erfolgte Kürzung
zurücknehmen. Das tut man aber nicht.
In anderen Redebeiträgen wurde im Zusammenhang
mit dem Thema Forschung und Entwicklung auf die Un-
ternehmensstruktur hingewiesen, die dafür sorgt, dass
nur 5 Prozent der Forschung in Industrieunternehmen im
Osten Deutschlands stattfinden. Diese Erkenntnis ist
nicht neu. Da stellt sich die Frage: Wie bekommen wir
Innovations-, Wissens- und Technologietransfer bei-
spielsweise von den Hochschulen in die kleinen und mit-
telständischen Unternehmen und schaffen so regionale
Wertschöpfung und sichern damit den Mittelstand?
Gerade die Fachhochschulen sind ein „schlafender
Riese“. Ich will das in Zahlen verdeutlichen. Während
ostdeutsche Universitäten pro Professor 80 000 Euro
Drittmittel einwerben, sind es bei den Fachhochschulen
nur 12 000 Euro. Wenn man überlegen würde, wie man
Fachkräfte in der Region halten will und wie man richtig
in die Infrastruktur investiert, dann müsste man dieses
Potenzial erkennen und bei den ostdeutschen Fachhoch-
schulen etwas tun. Das tun Sie aber nicht.
Sie legen uns regelmäßig Berichte vor. Angesprochen
wurde das Handlungskonzept „Daseinsvorsorge im de-
mografischen Wandel zukunftsfähig gestalten“, in dem
viel versprochen wurde. Die fünf ostdeutschen Länder
und die Bundesregierung waren daran beteiligt. Bei die-
sem Konzept ist es genau so wie bei dem Bericht, über
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In meinem Wahlkreis, in der Börde und im Jerichower
Land, liegt die Quote aktuell bei 7 bzw. 9 Prozent.
Die Tendenz ist erfreulicherweise weiter sinkend; denn
der deutsche Arbeitsmarkt hat sich als robust gegen Kri-
sen erwiesen.
Sachsen-Anhalt betreffend wird aktuell die Infra-
struktur stark verbessert. Die Bundesautobahn A 2 vom
Ruhrgebiet über Magdeburg nach Berlin gilt als bedeu-
tende Ost-West-Achse.
Diese sogenannten autobahnnahen Gewerbeflächen
erhöhen nicht nur das Warenangebot für Bewohner in
der Region, sondern bieten den Menschen auch Arbeit
und Zukunft. Ich freue mich ganz besonders darüber,
dass die Nordverlängerung der Bundesautobahn A 14
von Magdeburg nach Schwerin nunmehr realisiert wird.
Der Ausbau der A 14 ist für die Menschen in der Börde
und im angrenzenden Jerichower Land und auch in der
Altmark von größter Bedeutung; denn die Verkehrspro-
gnose, die vom Bundesministerium in Auftrag gegeben
wurde, besagt, dass auf der A 14 abschnittsweise bis zu
39 000 Fahrzeuge täglich fahren werden.
Diese Tatsache wird den Menschen zugutekommen.
Denn der enge Zusammenhang zwischen Infrastruktur-
ausstattung und regional-wirtschaftlicher Entwicklung
ist bekannt. Die sogenannten autobahnnahen Gewerbe-
flächen werden das Beschäftigungswachstum in den
Branchen Logistik, Verkehr und Großhandel deutlich an-
kurbeln.
Im Ergebnis dürfte damit die Arbeitslosigkeit in Sach-
sen-Anhalt nachhaltig sinken.
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Zudem können neue Wirtschaftsstandorte entstehen
nd potenzielle Investoren angelockt werden. Seitens
er Politik wurde an dieser Stelle ein wichtiger Beitrag
eleistet, um durch eine verbesserte Infrastruktur neue
ukunftsmöglichkeiten entstehen zu lassen.
Die deutsche Einheit wurde 1990 vollzogen. Seither
ächst die Bevölkerung in Ost und West zusammen. Das
eschieht keinesfalls immer geräusch- oder problemlos,
ber es geschieht, und die Politik hilft, unterstützt und
estaltet.
ir sind auch 21 Jahre nach der deutsch-deutschen Wie-
ervereinigung an einem geeinten, wirtschaftlich stabi-
n und lebenswerten Deutschland interessiert.
Ich wünsche Ihnen frohe Festtage und ein erfolgrei-
hes 2012.
Danke schön.
Das Wort hat nun Daniela Kolbe für die SPD-Frak-
on.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
ollegen! Alle Jahre wieder, das ist nicht nur der Titel
ines schönen Weihnachtsliedes, sondern beschreibt
uch ein bisschen die Haltung, mit der diese Bundesre-
ierung den Bericht zum Stand der deutschen Einheit
rmuliert hat. Ich habe ihn mehrfach gelesen. Es han-
elt sich um uninspiriertes und weitestgehend oberfläch-
ches Geschreibe auf über 100 Seiten. Wenn man zum
usblick in dem Bericht kommt und hofft, dass es nun
teressant wird, findet man eine Dreiviertelseite; das ist
icht wirklich viel. Ich lese ein Viertel des Ausblicks aus
em Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deut-
chen Einheit vor:
Die in Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes er-
wähnte Herstellung gleichwertiger Lebensverhält-
nisse in Deutschland bleibt das Ziel. Gleichwertig-
keit bedeutet aber gerade nicht Gleichheit: Trotz
weit fortgeschrittener Einheit werden und dürfen
regionale Unterschiede in Wirtschaft und Gesell-
schaft bestehen bleiben.
as ist also der Ausblick der Bundesregierung.
Sie sagen „richtig“. – Ich interpretiere das Grundgesetz
nders. Nach meiner Auffassung muss die Politik mit al-
r Kraft daran arbeiten, gleichwertige Lebensverhält-
isse herzustellen.
18046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Daniela Kolbe
)
)
Das, was Sie den Ostdeutschen präsentieren, ist schon
ein merkwürdiger Ausblick. Im Bericht spiegelt sich
Ihre Haltung generell wider. Die Quintessenz lautet: Im
Osten ist alles super. Wo es nicht super ist, hat die Bun-
desregierung eine einfache Lösung, oder sie findet sich
mit der Ungleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ab. –
Dieser Bericht ist aus meiner Sicht nichts anderes als die
Verabschiedung von jeglicher Kraftanstrengung für den
Aufbau Ost. Das ist keine frohe Botschaft, sondern eine
verheerende Nachricht für die Menschen im Osten.
Auch eine merkwürdige Haltung zur Realität zeichnet
den gesamten Bericht aus. Alles ist gut. Die Langzeitar-
beitslosigkeit und das Lohnniveau kommen gar nicht
bzw. nur ganz knäpplich vor, genauso wie viele andere
große Probleme in den neuen Ländern. Ob Altersarmut
in Ostdeutschland zum Problem werden könne, könne
man nicht sagen. Ich habe folgende Rückfrage an Sie,
Herr Bergner, und auch an den Minister: Wollen Sie die
Ostdeutschen veralbern?
Ich jedenfalls habe mich nach dem Lesen dieses Berichts
veralbert gefühlt. Es war kein Problem, auf fünf Seiten
unseres Entschließungsantrags mehr Substanz hinzube-
kommen als auf den über 100 Seiten Ihres Berichts.
Wir müssen weiterhin Kraftanstrengungen unterneh-
men, um die kniffligen Probleme zu lösen, die sich stel-
len. Die Lösung des kniffligen Rentenproblems haben
Sie offensichtlich komplett aufgegeben. Aber auch im
Bereich des Arbeitsmarkts sehe ich schwarz. Dabei ha-
ben wir es im Osten mit einem wirklich kniffligen Pro-
blem zu tun.
Einerseits sind wir konfrontiert mit einer verfestigten
Langzeitarbeitslosigkeit und mit Menschen, die Brüche
in ihren Biografien haben und nicht ohne Weiteres wie-
der in Erwerbstätigkeit kommen können; darunter sind
viele Ingenieure, teilweise mit gebrochenem Selbstwert-
gefühl. Andererseits sehen wir uns mit einem Fachkräf-
temangel ohnegleichen konfrontiert. Er wird schon jetzt
sichtbar, und er wird noch deutlich gravierender werden.
Dieses Thema wird auch für die Wirtschaft zu einer Zu-
kunftsfrage werden; es wird zu einer Existenzfrage für
zahlreiche ostdeutsche Betriebe werden.
Ja, dieses Thema findet sich auch im Bericht wieder,
allerdings nur unter dem Aspekt der Kooperationsförde-
rung und der Nutzung von ausländischen Fachkräften.
Natürlich sind beides wichtige Aspekte, und es gibt auch
gute Ansätze, zum Beispiel in der Lausitz, wo kleine und
mittlere Betriebe explizit zum Beispiel in der Frage des
Altersdurchschnitts ihrer Beschäftigten beraten werden
und wo es Kooperationen gibt, damit Betriebe gemein-
sam Fachkräfte weiterbilden und in der Region halten
können. Aber glauben Sie wirklich, dass bei dem gegen-
wärtigen Lohnniveau in den neuen Ländern Fachkräfte
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Wir brauchen jedenfalls nicht einen Minister Friedrich,
er uns erzählt, dass das Lohnniveau im Osten überhaupt
ein Problem darstelle. Er ist eine absolute Fehlbeset-
ung.
Doch, aus meiner Sicht ist er eine absolute Fehlbeset-
ung.
an sollte die Ostdeutschen einmal fragen, was sie von
errn Friedrich als Aufbau-Ost-Minister halten.
Kreativität, Kraft und Engagement wären nötig, damit
ie neuen Länder ein Vorbild für die alten Länder wer-
en können. Denn Fachkräftemangel und demografi-
cher Wandel sind ja auch schon dort in Ansätzen sicht-
ar. Doch bei dieser Regierung: komplette Fehlanzeige!
h kann nur noch einmal sagen, dass dieser Bericht über
en Stand der Deutschen Einheit ein Bericht über den
otalausfall dieser Regierung beim Thema Aufbau Ost
t.
Vielen Dank.
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol-
gen Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion das
ort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
erren! Die Entwicklung in Ostdeutschland kann nur
ann als mangelhaft betrachtet werden, wenn man zwei
esentliche Vergleichsebenen außer Acht lässt. Die erste
bene ist die des Vergleichs mit unseren früheren sozia-
stischen Brüdern und Schwestern in Osteuropa, mit der
ortigen sozialen Differenzierung, den dortigen Wachs-
mszahlen, den dortigen Löhnen und den dortigen Per-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18047
Arnold Vaatz
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spektiven. Die zweite Ebene ist die des Vergleichs mit
der Situation, in der wir 1990 gestartet sind.
Ohne Berücksichtigung dieser beiden Vergleichsebenen
bleibt alles, was wir hier besprechen, Makulatur.
Meine Damen und Herren, es ist uns unterstellt wor-
den, der Osten sei uns egal. Ich spreche für meine Kolle-
gen, die auf der rechten Seite des Parlaments sitzen: So-
fern sie aus Ostdeutschland kommen, haben sie ihren
Entschluss, in die Politik zu gehen, gefällt, weil sie lei-
denschaftlich daran interessiert waren, dass die deutsche
Einheit glückt. Und dabei bleiben wir auch.
– Ich unterstelle auch Ihnen nicht, dass Sie ohne diese
Emotion gekommen sind.
Was uns aber möglicherweise unterscheidet, ist unser
Staatsverständnis. Für uns als christliche Demokraten ist
Ostdeutschland eben nicht ein im Wald verirrtes Kind,
das durch einen allwissenden Staatsminister in die rich-
tige Richtung geführt werden muss.
Vielmehr besteht Ostdeutschland aus Menschen, die
Kraft, Initiative, Selbstbewusstsein und Perspektiven ha-
ben. Diese Perspektiven wollen wir freilegen, und zwar
nicht, indem wir an die Stelle der Menschen treten, son-
dern indem wir dem menschlichen Handeln in Ost-
deutschland Rahmenbedingungen geben, durch die sich
eine menschliche Perspektive entfalten kann. Das ist in
den letzten Jahren hervorragend gelungen.
Noch eine kurze Bemerkung zum Ton
und zur Atmosphäre dieser Auseinandersetzung über
den Bericht zum Stand der Deutschen Einheit. Die Men-
schen in Ostdeutschland erwarten aus diesem Haus ein
Signal, dass man ihre enormen Anstrengungen, ihre Fle-
xibilität und ihre teilweise vorhandene Verzichtsbereit-
schaft anerkennt, dass man also sagt: Das, was ihr in den
letzten Jahren geleistet habt, ist außergewöhnlich und
verdient höchste Anerkennung.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
brauchen die Regierung ja nicht zu loben, aber dieser
Zungenschlag muss eine solche Debatte dominieren und
darf keine Randerscheinung sein.
Das ist doch der Punkt: Wenn wir die Entwicklung in
Ostdeutschland vorantreiben wollen, dann müssen wir in
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Leider ist meine Redezeit fast abgelaufen. Im Laufe
er Debatte habe ich einige Minuten meiner Redezeit
erloren, sodass ich jetzt nicht alle Punkte behandeln
ann wie geplant.
Ich möchte Ihnen aber – mit Ihrer Genehmigung, Herr
räsident – noch einen letzten Satz sagen. Es ist unred-
ch, wenn Sie sagen, dass in den letzten Jahren, beson-
ers im letzten Jahr, in Ostdeutschland eine Stagnation
ingetreten ist und in Westdeutschland alles besser ge-
ufen ist.
s ist im Gegenteil so: Ostdeutschland ist aus der Krise,
ie seit 2008 im Gange ist, im Großen und Ganzen bes-
er hervorgegangen
ls die Regionen in Westdeutschland. Im Übrigen ist es
zwischen in vielen Bereichen auch so,
ass die Situation in Ostdeutschland, zum Beispiel hin-
ichtlich Langzeitarbeitslosigkeit, Löhne usw., der in
estdeutschland entspricht. Wir haben nicht nur in Ost-
eutschland, sondern mittlerweile auch in Westdeutsch-
nd strukturell schwache Gebiete.
aher wird diese Differenzierung zwischen Ost und
est in der Tat zunehmend der Vergangenheit angehö-
n. Wir sollten uns überlegen, wie wir unsere gesamte
örderpolitik und Gesellschaftspolitik auf den Umstand
instellen, dass wir inzwischen zusammengewachsen
ind.
Ich wünsche Ihnen, meine sehr verehrten Damen und
erren, ein schönes Weihnachtsfest und einen guten
utsch ins neue Jahr.
18048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
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Kollege Vaatz, jetzt könnten Sie sich aber bei mir für
meine außerordentliche Nachsicht bedanken.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/7711 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen der
Fraktionen der SPD und der Linken. Interfraktionell ist
vereinbart, über die Entschließungsanträge auf Wunsch
der einbringenden Fraktionen abweichend von der Ge-
schäftsordnung sofort abzustimmen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann verfahren wir so.
Zunächst zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8152.
Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der beiden Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von
SPD und Grünen bei Enthaltung der Linken abgelehnt.
Nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8153.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist mit den Stimmen der vier Fraktionen gegen die
Stimmen der Linken abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 30 b. Abstim-
mung über die Beschlussempfehlung des Innenausschus-
ses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel
„Staatsminister für Ostdeutschland bestellen“. Der Aus-
schuss empfiehlt im seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/6242, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/5522 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von vier Fraktionen gegen die Stimmen der
Linken angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 31 a und b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Dietmar Bartsch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Mietrecht sozial gerecht weiterentwickeln
– Drucksache 17/4837 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Federführung strittig
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katrin
Kunert, Katja Kipping, Dr. Kirsten Tackmann,
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ie sind wirtschaftlich und rechtlich aufeinander ange-
iesen. Deshalb sollten sie auch durch das Gesetz
leichgestellte Vertragspartner sein.
as bestehende Mietrecht war dazu bisher durchaus
weckmäßig. Nun ist es allerdings ein wenig in die Jahre
ekommen.
Nicht nur vor der Wohnungswirtschaft, sondern auch
or der Gesellschaft als Gesamtheit stehen die Aufga-
en, flächendeckend, das heißt in Ballungsräumen und
schrumpfenden Regionen, eine bedarfsgerechte Ver-
orgung der Bevölkerung mit angemessenem Wohnraum
ozialverträglich sicherzustellen, die notwendige energe-
sche Sanierung des Wohnungsbestandes unverzüglich
nd konsequent in Angriff zu nehmen und Wohnungs-
eubau und -bestand auf ein Niveau zu bringen, das den
rfordernissen der demografischen Entwicklung gerecht
ird.
Dazu ist eine Weiterentwicklung des Mietrechts erfor-
erlich, die auf der Erkenntnis basiert, dass nicht die
ieter allein diese großen gesellschaftlichen Herausfor-
erungen meistern können, sondern dass, gerade weil es
ich um gesellschaftliche Herausforderungen handelt,
ie Gesellschaft als Ganzes und damit auch Vermieter
nd Staat stärker in die Verantwortung genommen wer-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18049
Heidrun Bluhm
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den müssen. Die Zeiten, in denen sich Politiker auf die
bequeme Position „Der Wohnungsmarkt in Deutschland
ist gut, und den Rest regelt der Markt“ zurückziehen
konnten, sind definitiv vorbei.
Wir haben deshalb Anträge zur Weiterentwicklung
des Mietrechts und zu Mindeststandards bei der Ange-
messenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung vor-
gelegt, mit denen einerseits vermieden werden soll, dass
die zunehmenden finanziellen Belastungen einseitig an
das Ende der Verbraucherkette verlagert, also eins zu
eins an die Mieterinnen und Mieter durchgereicht wer-
den, und mit denen andererseits auch Vermieter und
Staat entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft
angemessen beteiligt werden können.
Unsere Forderungen, die im vorgelegten Antrag zur
Weiterentwicklung des Mietrechts enthalten sind, zielen
darauf ab, dass erstens Mieterinnen und Mieter über die
Qualifizierung der Mietspiegel die Mietentwicklung in
ihrer Region wirklich nachvollziehen können, also auch
Bestandsmieten zukünftig in den Mietspiegel einbezo-
gen werden, dass zweitens speziell in nachgefragten Re-
gionen keine Mietsteigerungen ohne entsprechende
Wohnwertsteigerung hingenommen werden müssen,
dass drittens Wohnen rechtlich gesichert und nicht zu ei-
nem Armutsrisiko wird und dass viertens die Lasten aus
der notwendigen energetischen Sanierung über die Mo-
dernisierungsumlage gerecht und wirtschaftlich ange-
messen verteilt werden.
Dazu reichen im Übrigen 5 Prozent Umlage, gemes-
sen an den Abschreibungs- und Lebenszyklen der Mo-
dernisierungsgüter, vollkommen aus, zumal die Moderni-
sierungskosten nach etwa neun Jahren durch die
Mieterinnen und Mieter bezahlt sind. Mir ist kein Fall be-
kannt, in dem ein Vermieter nach dieser Zeit die Miete in
Höhe dieser Modernisierungsumlage gemindert hätte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit unserem Antrag
zu den Kosten der Unterkunft wollen wir sicherstellen,
dass alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von ihrem
sozialen Status menschwürdig wohnen können und nicht
aus ihren Wohnungen bzw. Quartieren verdrängt wer-
den, nur weil sie Hartz IV beziehen. Bezieherinnen und
Bezieher von Sozialleistungen dürfen nicht wegen zu ge-
ringer Transferleistungen zum Umzug gezwungen wer-
den oder schlechtere Wohnbedingungen hinnehmen
müssen. In Report Mainz wurde am vergangenen Diens-
tag ja darüber berichtet.
Wir wollen verhindern, dass Hartz-IV-Beziehende nur
in ganz bestimmten Wohnvierteln wohnen und dadurch
vielleicht eine Gettoisierung entsteht. Daher schlagen
wir in unserem Antrag unter anderem ein Verfahren vor,
das bundesweit Anwendung finden sollte und durch das
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nd entsprechend geschützt und geregelt werden muss.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün-
che Ihnen auch im Sinne dieses Themas ein besinnli-
hes Weihnachtsfest.
Das Wort hat nun Jan-Marco Luczak für die CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
nd Kollegen! Frau Bluhm, ich dachte zuerst, Sie kom-
en gar nicht mehr zu Ihrem Antrag, nachdem Sie mit
uter Allgemeinplätzen in das Thema eingeführt haben.
um Schluss haben Sie wenigstens noch ein paar Worte
azu verloren. Das ist an dieser Stelle aller Ehren wert.
Die Linke konfrontiert uns in dieser Legislaturperiode
es Öfteren mit Anträgen zum Mietrecht. Im Prinzip
eht es dabei immer um das Gleiche, nämlich darum, das
ietrecht sozial gerecht auszugestalten. Das ist ohne
rage ein absolut anerkennenswertes Ziel. Auch und ge-
de die christlich-liberale Koalition hat sich diesem Ziel
erschrieben; denn in unserem Land gibt es in der Tat
4 Millionen Mietwohnungen, und für viele Mieter hat
as Thema wirklich eine existenzielle Bedeutung. Des-
egen ist der Erhalt eines ausgewogenen und sozialen
ietrechts für uns, die Union, eine bare Selbstverständ-
chkeit, und ich sage auch: Wir brauchen die Linke
icht, um uns daran zu erinnern.
Wenn wir uns den Antrag der Linken einmal genau
nschauen, dann stellen wir sehr schnell fest, dass hier
on einer sozial gerechten oder gar ausgewogenen Rege-
ng in keiner Weise gesprochen werden kann. Es
ommt sogar noch schlimmer: Wirtschaftlicher Unver-
tand kommt noch obendrauf.
Ich nenne zum Beispiel die qualifizierten Mietspiegel,
ie Sie hier flächendeckend einführen wollen. Ich habe
berhaupt nichts dagegen. Sie können durchaus ein
ichtiger Beitrag dazu sein, dass die Mieterinnen und
18050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Jan-Marco Luczak
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Mieter ein Bewusstsein etwa für die energetische Be-
schaffenheit ihres Wohnraums entwickeln. Qualifizierte
Mietspiegel sind aber bereits nach geltendem Recht
– nach § 558 d Bürgerliches Gesetzbuch – ohnehin mög-
lich. Sie haben in Ihrem Antrag in keiner Weise darge-
legt, wieso die gesetzliche Regelung, die wir schon jetzt
haben, hier nicht ausreichen soll.
Deswegen muss man einmal feststellen: Ihrem Antrag
fehlt es insoweit völlig an Substanz.
Viel wichtiger ist aber: Ich frage mich bei dieser For-
derung nach flächendeckenden Mietspiegeln in Ihrem
Antrag, ob Sie das System der Mieterhöhungsmöglich-
keiten im BGB überhaupt verstanden haben;
denn Mietspiegel dienen dazu, eine ortsübliche Ver-
gleichsmiete festzustellen. Bis zu dieser ortsüblichen
Vergleichsmiete kann ein Vermieter die Miete unter be-
stimmten Voraussetzungen erhöhen. Das heißt, Miet-
spiegel sind gewissermaßen ein Begründungsmittel für
Mieterhöhungen.
Sie wollen die Mietspiegel nun flächendeckend ein-
führen. Das ist so weit auch in Ordnung. Gleichzeitig
wollen Sie aber, dass die Nettokaltmiete nur bei einer
Wohnwertverbesserung erhöht werden kann, also unab-
hängig vom Mietspiegel.
Wozu brauchen wir dann eigentlich noch Mietspiegel?
Sie wollen sie einerseits flächendeckend einführen, an-
dererseits beseitigen Sie aber den Anwendungsbereich.
Hier kann ich nur feststellen: Offenbar wissen Sie nicht
so recht, wovon Sie hier reden.
Mit diesen nicht zu Ende gedachten Forderungen geht
es noch weiter: Die Linke will gesetzlich festschreiben,
dass die Höhe der Wohnkosten für angemessenen Wohn-
raum höchstens 30 Prozent des Nettoeinkommens eines
Mieterhaushalts betragen darf.
Offensichtlich ist die Linke noch immer nicht in unserer
sozialen Marktwirtschaft angekommen, sonst würden
Sie nämlich wissen, dass die Preise hier nicht staatlich
dekretiert, sondern vom Markt im Wege von Angebot
und Nachfrage gebildet werden, und das soll bei uns
auch so bleiben.
Neben dieser grundsätzlichen Kritik: Was passiert ei-
gentlich, wenn ein Mieter plötzlich weniger Nettoein-
kommen hat, weil er zum Beispiel freiwillig Teilzeit ar-
beiten möchte oder weil die Steuern erhöht werden?
Wird die Miete dann automatisch qua Gesetz nach unten
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ie Mieterinnen und Mieter in Deutschland werden sich
ei solchen Fürsprechern bedanken.
Zur Umlage der Modernisierungskosten. Sie schlagen
or, dass diese Umlage auf 5 Prozent begrenzt werden
oll. Momentan liegt die Grenze bei 11 Prozent. Zur
ahrheit gehört – auch das muss man zur Kenntnis neh-
en –, dass 11 Prozent am Markt häufig überhaupt nicht
urchsetzbar sind. Das mag in Berlin und in den Innen-
tadtlagen von München funktionieren, aber zum Bei-
piel in weiten Teilen der neuen Bundesländer können
ie das am Markt gar nicht durchsetzen. Dort sind die
ermieter froh, dass die Wohnungen überhaupt vermie-
t sind. An eine Erhöhung der Miete ist hier in keiner
eise zu denken.
Was würde denn passieren, wenn wir die Umlage
eiter begrenzen würden? Tatsächlich würde es weniger
vestitionen in privaten Wohnraum geben. Wir würden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18051
Dr. Jan-Marco Luczak
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den privaten Wohnraum dem Verfall aussetzen. Die Fol-
gen einer solchen Mietpolitik konnte man 1990 in den
neuen Bundesländern beobachten. Ich weiß nicht, wie es
Ihnen geht: Ich jedenfalls will zu diesem Zustand nicht
zurück.
Ich könnte jetzt noch – damit komme ich zum Schluss –
viele Punkte ansprechen. Da gibt es noch so manchen
Unsinn: die Zumutbarkeit von Modernisierungsmaßnah-
men oder die Vermeidung von Obdachlosigkeit nach ei-
ner Kündigung. Wenn Sie einmal ins Gesetz geschaut hät-
ten – das soll bekanntlich die Rechtsfindung fördern –,
dann hätten Sie festgestellt, dass das bereits geltendes
Recht ist. Insofern sind das populistische Forderungen,
oder Sie wissen es einfach nicht besser. Wenn Sie mich
fragen, so ist beides ziemlich peinlich.
Zum Schluss. Die christlich-liberale Koalition hat ei-
nen in seinen wirtschaftlichen Konsequenzen durch-
dachten Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem genau das er-
reicht wird, was Sie mit Ihrem Antrag verfehlen: Er ist
sozial ausgewogen, er befördert energetische Sanierun-
gen und dient daher dem Klimaschutz, und er führt nicht
zu einer einseitigen Benachteiligung. Wir haben einen
guten Gesetzentwurf und Sie einen schlechten Antrag.
Deswegen lehnen wir ihn ab.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Ingo Egloff für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist bereits das zweite Mal, dass wir uns über
die Frage der Mietrechtsänderung vor dem Hintergrund
der energetischen Gebäudesanierung unterhalten, ohne
dass das Gesetzgebungsverfahren der Bundesregierung
weiter vorangekommen ist. Ich wünsche mir, dass der
Gesetzentwurf endlich in den Ausschüssen vorliegt und
wir dann im Rahmen von Anhörungen klären können,
wie die Sachlage am Markt insgesamt ist und wie wir ei-
nen Ausgleich zwischen den Rechten von Mietern und
Vermietern erreichen können.
Die Ausgangslage ist klar: Wenn wir die Klimaziele
erreichen wollen, kommen wir in Deutschland ohne
energetische Gebäudesanierung nicht aus. Darum gilt es,
hier die Balance zwischen den Klimazielen einerseits
und der Frage sozial angemessener Mieten andererseits
zu halten. Das wird die Aufgabe der vor uns liegenden
Gesetzesänderung sein.
Der vorliegende Antrag der Linken versucht nun,
diese Frage aufzugreifen, wenn auch meiner Meinung
nach mit untauglichen Mitteln. Hier gilt einmal mehr der
Grundsatz: Gut gedacht ist noch nicht gut gemacht!
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ie schießen mit Ihren Forderungen deutlich über das
iel hinaus und würden, wenn das umgesetzt würde, ei-
es nicht erreichen, dass nämlich die energetische Ge-
äudesanierung überhaupt noch stattfindet.
Selbstverständlich muss man über die Frage nachden-
en, ob angesichts der gegenüber bisheriger Modernisie-
ng deutlich teureren energetischen Gebäudesanierung
ie Umlegung von 11 Prozent pro Jahr noch angemessen
t oder ob man nicht auf 9 Prozent heruntergehen
üsste. Die in Ihrem Antrag vorgeschlagene Grenze von
Prozent erscheint mir am Ende nicht praktikabel und
ürde auch nicht zum Ziel führen.
Sie fordern weiter, dass die Miete für angemessenen
ohnraum höchstens 30 Prozent des Nettoeinkommens
etragen darf. Eine generelle Obergrenze soll durch das
undesdurchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen be-
timmt werden. Bei allem Verständnis dafür, dass man
en Anteil des Einkommens, der für die Miete verwen-
et wird, begrenzen sollte, halte ich die Regelung, die
ie vorgeschlagen haben, schlicht und ergreifend für
icht praktikabel. Wer überprüft das denn für die jewei-
ge Wohnlage? Welche Bürokratie muss man dafür auf-
auen? Was ist angemessener Wohnraum? Das alles ist
icht geklärt, und der von Ihnen vorgelegte Vorschlag ist
icht realisierbar.
Zu der Frage, wie das Ganze bei teuren Innenstadtla-
en aussieht, hat der Kollege von der CDU/CSU zu
echt ausgeführt, dass das, was man mit der generellen
egrenzung der Höhe der Wohnkosten auf 30 Prozent
es Durchschnittseinkommens erreicht, alles andere als
ozial gerecht ist. Wenn man schon über Mietobergren-
en nachdenkt, dann sollte man vielleicht die Idee des
eutschen Mieterbundes überdenken, der bei Neuver-
ietungen fordert, dass die Neuvertragsmiete maximal
0 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen
arf und Mieterhöhungen auf maximal 15 Prozent in vier
ahren statt wie bisher auf 20 Prozent in drei Jahren be-
renzt werden sollten. Das erscheint mir viel praktika-
ler als die von den Linken aufgestellte Forderung.
Im Übrigen gilt: Nur wenn wir mehr Wohnungen
auen und mehr Wohnungen auf dem Markt haben, wird
ich der Markt auch bei den Mietkosten entspannen. Das
aben wir in Hamburg von 1991 bis 2001 festgestellt, als
5 000 Wohnungen gebaut worden sind, mit dem Erfolg,
ass die Mieten gesunken sind. Die nachfolgende CDU-
egierung hat diese Wohnungsbaupolitik leider einge-
tellt. Daraufhin sind die Mieten wieder entsprechend
estiegen.
Insgesamt scheinen Sie zu ahnen, dass die Maßnah-
en wahrscheinlich nicht fruchten würden und kein Ver-
ieter mehr bereit wäre, etwas zu tun. Daher bekommt
r nach Ihrem Antrag einmal eben schnell einen Rechts-
nspruch auf öffentliche Förderung. Weil man es sich
infach machen will, wird verlangt, dass es auskömmli-
18052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Ingo Egloff
)
)
che öffentliche Förderprogramme geben soll. Man muss
aber dann auch sagen, wie das zu finanzieren ist.
Ich finde, dieser Antrag ist ein Schnellschuss.
Er wird dem Problem nicht gerecht. Wir werden im Rah-
men der Diskussion über den hoffentlich bald vorliegen-
den Gesetzentwurf der Regierung diese Fragen zu klären
haben und dann versuchen, einen sozialen Ausgleich
hinzubekommen.
Der zweite Antrag findet auch nicht unsere Zustim-
mung. Die SPD-Fraktion will keine Pauschalierung der
Kosten für Unterkunft und Heizung. Das haben wir in ei-
nem Antrag vom 1. Dezember 2010 sehr deutlich zum
Ausdruck gebracht. Wir wollen nicht an dieser Regelung
herumschrauben, sondern wir wollen, dass die Pauscha-
lierung verschwindet. Deswegen findet auch das nicht
unsere Zustimmung.
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Stephan Thomae für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und
Kollegen! Herr Kollege Egloff, ich kann Ihnen mitteilen,
dass der Referentenentwurf für die Mietrechtsnovelle
der Regierung vorliegt. Er ist zurzeit in der Verbändeab-
stimmung. Wie Sie wissen, wird sich Ende des ersten
Quartals 2012 das Kabinett damit befassen, und dann
werden wir den Entwurf im Ausschuss beraten können.
Haben Sie also noch ein klein wenig Geduld: noch ein
paarmal schlafen, dann werden wir ihn auch im Aus-
schuss beraten können.
Einstweilen müssen wir uns heute mit den Vorschlä-
gen der Linken und Grünen zum Thema beschäftigen.
Ich kann erahnen, dass die Grünen vielleicht für vieles,
was wir im Referentenentwurf vorgesehen haben, Sym-
pathie haben werden.
Denn einige Punkte, die Sie vorgeschlagen haben, wer-
den Sie auch bei uns finden.
Erstens geht es zum Beispiel darum, dass energeti-
sche Sanierungsmaßnahmen vom Mieter grundsätzlich
zu dulden sind, weil wir die energetischen Sanierungen
erleichtern wollen.
Zweitens werden wir regeln, dass Mieter Modernisie-
rungsmaßnahmen künftig nicht mehr mit dem Einwand
einer finanziellen Härte aufhalten können. Die finan-
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kommensschwache Haushalte verdrängt werden und so-
ziale Entmischung in vielen Stadtteilen zunehmend die
Folge ist. Aber, liebe Kollegin Bluhm, wenn die Rege-
lungen dazu führen, dass Vermieterinnen und Vermieter
am Ende des Tages sogar noch draufzahlen müssen,
dann führt das zu einem Sanierungs- und Neubaustopp
und verschärft sogar die Situation. Sie wissen so gut wie
ich: Wohnungsmangel treibt die Mietpreise in die Höhe.
Ich finde, Sie ignorieren bei Ihren Vorschlägen auch,
dass das Mietrecht bundesweite Geltung hat und keines-
wegs nur auf den beliebten Wohnungsmärkten im Groß-
raum München oder im Rhein-Main-Gebiet Anwendung
findet. Angesichts schrumpfender Wohnungsmärkte in
einigen Regionen sind viele Vermieter froh, wenn sie
überhaupt noch Mieterinnen und Mieter finden und ihre
Investitionen kostendeckend finanzieren können. Dort
wird zum Großteil schon gar nicht mehr saniert.
Sie schreiben auch, dass Sie „eine ausreichende In-
vestitionsmotivation für die Vermieter“ schaffen wollen.
Genau das kann ich bei Ihren Forderungspunkten nicht
erkennen. Außerdem genügen uns die Vorschläge für die
energetische Gebäudesanierung inhaltlich nicht. Wir fin-
den es gerade bei diesem Thema wichtig, dass die so-
ziale und die ökologische Frage zusammengedacht wer-
den.
Die Mieten an Einkommen zu knüpfen, ist meiner
Meinung nach unmöglich. Wer vermietet dann an wirk-
lich arme Leute? Arme Leute fallen komplett hinten run-
ter.
Sie fordern die flächendeckende Einführung eines
qualifizierten Mietspiegels. Das kann man machen.
Wichtiger finde ich aber, dass man einen ökologischen
Mietspiegel hat und dass die energetische Gebäudebe-
schaffenheit mindestens als Vergleichsvariable in die
ortsübliche Vergleichsmiete aufgenommen wird. Das ist
wichtiger als die Frage, ob es sich um einen qualifizier-
ten Mietspiegel handelt, den viele Kommunen zudem
gar nicht werden bezahlen können, weil er zu teuer ist.
Dann müssten wir uns überlegen, wie wir den Kommu-
nen helfen.
Lassen Sie mich noch einen Satz zu dem Thema der
Übertragung der Zuständigkeiten auf die Bundesländer
sagen. Das ist keine Angelegenheit der Bundesländer.
Die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln, ist Auf-
gabe der Kommunen. Wir sind der Meinung, man sollte
dafür nicht mehr die letzten vier, wie es im Moment der
Fall ist, sondern die letzten sechs Jahre heranziehen. Das
wirkt auch dämpfend auf die Mietpreisspirale.
Wir sind der Meinung, die Kappungsgrenze sollte von
20 Prozent auf 15 Prozent gesenkt werden. Bei der Mo-
dernisierungsumlage habe ich mich ein bisschen über
Sie gewundert: Sie haben noch im Sommer in der Miet-
rechtsdebatte gefordert, diese Umlage von 11 Prozent
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etzt fordern Sie eine Absenkung auf 5 Prozent. Man hat
en Eindruck, dass sie an Ostern ganz abgeschafft wer-
en soll.
as wird so nicht funktionieren. Deswegen sagen wir:
ezielte Absenkung auf 9 Prozent – die 11 Prozent sind
der Tat nicht mehr angemessen –, dafür Konzentration
uf energetische Gebäudesanierung und altersgerechten
mbau.
Staatliche Förderung als verbindlicher Rechtsan-
pruch würde ich so nie befürworten. Staatliche Förde-
ng muss vor allen Dingen an Bedingungen geknüpft
ein. Je mehr Steuergelder in einem Gebäude stecken,
esto besser muss der energetische Standard und desto
iedriger müssen die Mietnebenkosten sein. Ein ver-
indlicher Rechtsanspruch für alle führt jedenfalls aus
einer Sicht nicht zu diesem Ziel.
Ich finde, Sie haben ansonsten ganz interessante Vor-
chläge unterbreitet, die man durchaus diskutieren kann.
assen Sie mich noch ein Wort zu den KdU sagen.
Aber bitte kurz.
Sehr kurz. – Man sollte sich durchaus einmal das Bie-
felder Modell anschauen. Danach trägt die Stadt als
limabonus in Stufen die höhere Nettokaltmiete mit und
finanziert diese Mehrausgaben über Einsparungen bei
usgaben für Mietnebenkosten. Damit werden Woh-
ungswechsel wegen der KdU zwar nicht gänzlich ver-
ieden, aber in ihrer Anzahl zumindest deutlich redu-
iert. Das könnte ein Schritt in die richtige Richtung
ein.
Auch ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachts-
st, hoffentlich ohne vorweihnachtliche Mieterhöhungs-
egehren.
Das Wort hat nun Paul Lehrieder für die CDU/CSU-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
iebe Kollegen! Liebe Frau Bluhm, ich muss die Links-
artei schon einmal darauf hinweisen, dass die Zeiten
er Zuweisung von Wohnraum vorbei sind – seit 21 Jah-
n.
18054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Paul Lehrieder
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Früher wurden Ein- oder Zweiraumwohnungen – der
eine oder andere weiß es noch – zugewiesen. Da war der
Staat der Allmächtige und hat bestimmt, wer wann wo
zu welchen Konditionen wohnen darf. Das hat nicht
funktioniert. Wir sind froh, dass wir einen freien Miet-
markt haben – natürlich müssen wir auch hier soziale
Aspekte zur Geltung bringen –, auf dem privates Kapital
Wohnungen schafft und die energetische Sanierung fi-
nanziert, um diese Wohnungen aufzuwerten. Das ließe
sich staatlicherseits überhaupt nicht machen.
Ihre Anträge gehen leider in die völlig falsche Rich-
tung. Mit dem Antrag „Mindeststandards bei der Ange-
messenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung“ und
Ihren damit verbundenen Forderungen zur Änderung der
Regelungen zu den Kosten der Unterkunft und Heizung
im SGB II verblüffen Sie einmal mehr mit mangelnden
Rechtskenntnissen. Ihrer Ansicht nach sollen der Um-
fang der Kosten der Unterkunft und Heizung sowie die
Anforderungen an kommunale Satzungen festgelegt
werden und zudem Maßnahmen zur Vermeidung von
Zwangsumzügen gesetzlich geregelt werden.
Meine Damen und Herren von den Linken, Sie ver-
kennen schlichtweg, dass die meisten Ihrer Anliegen im
neuen Recht der Kosten der Unterkunft und Heizung be-
reits berücksichtigt worden sind, guter kommunaler Pra-
xis entsprechen oder bereits Teil der Überlegungen im
Gesetzgebungsverfahren waren und aus guten Gründen
abgelehnt worden sind.
Die Satzungslösung nach § 22 Abs. 2 SGB II, um die
es heute geht, wurde in das Gesetzespaket zur Neu-
ermittlung der Regelsätze aufgenommen und verab-
schiedet. Dies war aufgrund der enormen Belastung der
Sozialgerichte und der extrem hohen Zahl an Wider-
spruchsverfahren auch dringend erforderlich. Allein
2010 gab es 900 000 Widerspruchsverfahren zu Hartz-IV-
Bescheiden, wovon sich etwa ein Viertel mit der Thema-
tik der Kosten der Unterkunft beschäftigte. So befasst
sich das Bundessozialgericht in jedem dritten Fall mit
den Kosten der Unterkunft. Dieser Anteil dürfte in den
unteren Instanzen sogar noch darüberliegen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Vergangen-
heit wurden die Kosten der Unterkunft in ihrer tatsächli-
chen Höhe getragen, solange sie angemessen waren. Al-
lerdings gab es hierzu bis dato keine gesetzliche
Definition. Die Beurteilung der Angemessenheit war
von einer Vielzahl von Faktoren, zum Beispiel der An-
zahl der Haushaltsangehörigen, ihrem Gesundheitszu-
stand oder dem örtlichen Mietniveau abhängig.
Ein weiteres Problem resultierte aus dem Anspruch
auf Einzelfallgerechtigkeit, die für jede der knapp
3,5 Millionen Bedarfsgemeinschaften in Deutschland
eine Einzelfallprüfung erforderlich machte. Dieses Sys-
tem krankt an seiner Bürokratie. Im Steuerrecht ist es
doch seit Jahrzehnten anerkanntes Recht und völlig un-
strittig, mit Pauschalen zu arbeiten. Dies machen wir
dort nicht nur bei den Werbungskosten, sondern auch in
dem äußerst sensiblen Bereich des Existenzminimums,
dem Grundfreibetrag.
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Vielleicht ersparen wir uns den einen oder anderen
hnlichen Antrag von Ihrer Seite in Zukunft, wenn Sie
tzt aufpassen.
Das Ziel dieser Pauschalisierung ist eben nicht eine
eistungskürzung, sondern die Einsparung von Verfah-
ns- und Verwaltungskosten und damit ein höheres Maß
n Rechtssicherheit für alle Beteiligten. Im Übrigen
leibt die individuelle Härtefallregelung durch die Sat-
ungslösung unberührt, sodass im Einzelfall auch Kos-
n über die Pauschale hinaus gewährt werden können.
Nur nebenbei bemerkt: Eine bundeseinheitliche
echtsverordnungsermächtigung gab es bereits früher
§ 27 Nr. 1 SGB II. Jedoch ist der Erlass einer solchen
echtsverordnung einvernehmlich von den Bundeslän-
ern vor dem Hintergrund der regionalen Vielfalt des
ohnungsmarktes als nicht zweckmäßig abgelehnt wor-
en. Nehmen Sie als Beispiel die Stadt Regen im Bayeri-
chen Wald. Da sind das Mietniveau und die Mietkondi-
onen ganz andere als in München. Es ist auch in Berlin
in bisschen anders als in Frankfurt/Oder oder in Görlitz.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18055
Paul Lehrieder
)
)
Da müssen wir schon ein bisschen aufpassen, damit wir
hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Lin-
ken, ich bitte Sie, zu bedenken, dass es aufgrund der Ver-
abschiedung des Gesetzes durch den Bundesrat im April
noch keinerlei Erfahrungswerte mit der Satzungslösung
gibt. Wenn Sie also heute diese Regelungen bereits kriti-
sieren, dann ist das so, als ob Sie ein Buch kommentie-
ren, bevor Sie es überhaupt einmal gelesen haben. Wir
sollten den Kommunen also Zeit lassen, dass sie von der
Möglichkeit Gebrauch machen, die Kosten der Unter-
kunft und Heizung durch Satzungsregelungen zu bestim-
men.
Ich wünsche Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest,
den Freundinnen und Freunden von der Linkspartei auch
ein paar schöne – wie heißt das so schön? – geflügelte
Jahresendfiguren. Alles Gute! Viel Spaß unterm Weih-
nachtsbaum und ein gutes Jahr 2012!
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Michael Groß für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kol-
lege Egloff ist ja schon auf die Anträge der Linken ein-
gegangen. Ich möchte mich ein bisschen auf das konzen-
trieren, was die Koalition macht. Eine Mietrechtsreform
ist sicherlich nicht unbedingt das Weihnachtsgeschenk,
auf das wir warten, jedenfalls nicht Ihre Mietrechtsre-
form.
Es ist heute schon mehrfach festgestellt worden, dass
Wohnen mehr ist, als nur eine Unterkunft zu haben, und
es hier auch um die Fragen von Chancengleichheit
und -gerechtigkeit geht. Ich möchte gerne noch einmal
darstellen, was das bedeutet.
Wir haben einen Brief einer Rentnerin aus einer Stadt
in Nordrhein-Westfalen bekommen – das ist kein Einzel-
fall –, in dem sie berichtet, dass sie nach einer Moderni-
sierungsmaßnahme statt 360 Euro 520 Euro zahlen soll.
Das ist eine Steigerung um fast 50 Prozent, die ihr durch
den Vermieter angedroht werden. Dabei hat sie nur eine
Rente von 1 000 Euro. Sie können sich vorstellen, was
dann zum Leben übrig bleibt. Es stellt sich schon die
Frage, ob nicht die Politik in der Verantwortung steht,
dies zu regulieren. Aus meiner Sicht ist klar, wer hier des
Schutzes bedarf. Es handelt sich, wie gesagt, auch nicht
um einen Einzelfall.
Die Argumentation „Sparen durch Sanieren“ kann
auch ein Trugschluss sein. Berechnungen besagen, dass
eine Modernisierung, also zum Beispiel eine energeti-
sche Sanierung, um die 2,50 Euro pro Quadratmeter an
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18056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
)
)
Das Wort hat nun Pascal Kober für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke,
in Ihrem Antrag, in dem es um die Kosten der Unter-
kunft und Heizung geht, fordern Sie umfangreiche Ver-
besserungen für die Bezieher der Grundsicherung für
Arbeitsuchende im Bereich des Wohnens. Ich möchte
das eine oder andere herausgreifen.
Sie fordern beispielsweise:
Bei unvermeidbarem Wohnungswechsel sind den
Leistungsbeziehenden die doppelten Mietzahlun-
gen im Umzugsmonat und die mittelbaren und un-
mittelbaren Umzugskosten zu erstatten sowie Bei-
hilfen für Erstausstattungen der Wohnungen
einschließlich der Haushaltsgeräte zu gewähren.
Bei unvermeidbarem Wohnungswechsel sind den
Leistungsbeziehenden die Kosten für die Schön-
heitsreparaturen bzw. Renovierungsmaßnahmen für
die zu räumende Wohnung zu erstatten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, in Ihrem
gesamten Antrag geht es um höhere Leistungen für diese
Menschen.
Sie beantworten sogar ausnahmsweise, wer das alles be-
zahlen soll. Sie sagen nämlich: Die Bundesbeteiligung
muss entsprechend erhöht werden. Ich möchte Sie an der
Stelle einmal fragen, wie Sie eigentlich insgesamt Ihren
gedachten bzw. gewünschten Sozialstaat finanzieren
wollen. Schon heute ist der Bund an der Gesamtver-
schuldung der Bundesrepublik anteilig mit 64 Prozent
beteiligt. Bei den Ländern sind es 30 Prozent, bei den
Kommunen 6 Prozent.
Irgendwann müssen Sie die Frage beantworten, wie
hoch nach Ihren Vorstellungen die Staatsquote in unse-
rem Land und der Anteil der Sozialausgaben am Ge-
samthaushalt des Bundes sein sollen.
Vor kurzem haben wir den Bundeshaushalt für das
kommende Jahr beschlossen. Allein für die drei Haus-
halte Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bun-
desfamilienministerium und Bundesgesundheitsministe-
rium werden wir 147,8 Milliarden Euro ausgeben. Wir
geben über 48 Prozent des gesamten Bundeshaushaltes
für Soziales aus. Dabei ist noch nicht einmal eingerech-
net, was die Länder und die Kommunen zusätzlich in
diesem Bereich aufbringen.
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llerdings müssen Sie die Frage beantworten, wie Sie
iesen Einzelfällen begegnen wollen,
hne dass die Leistungen des Sozialstaates ins Unendli-
he explodieren. Die Antwort auf diese Frage sind Sie
isher in Ihrer gesamten Sozialpolitik schuldig geblie-
en. Ich bitte Sie, darüber einmal nachzudenken. In einer
ozialen Marktwirtschaft muss das Soziale eben auch er-
irtschaftet werden.
ieses Verhältnis sollten Sie einmal bedenken.
Insgesamt möchte ich an dieser Stelle aber auch ein-
al all jenen in unserem Land danken, die all diese Leis-
ngen mit ihren Steuergeldern erwirtschaften.
enn in diesem Land ist es in der Tat so, dass wir Soli-
arität üben mit den Menschen, die auf Hilfe angewiesen
ind. Da ist es gerade vonseiten der Politik einmal ange-
racht, diesen Menschen einen herzlichen Dank auszu-
chten.
Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlage auf
rucksache 17/4837 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse zu überweisen. Die Federführung ist
doch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der
DP wünschen Federführung beim Rechtsausschuss, die
inke wünscht Federführung beim Ausschuss für Ver-
ehr, Bau und Stadtentwicklung.
Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
orschlag der Fraktion Die Linke, also Federführung
eim Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
er stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
timmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungs-
orschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
DP gegen die Stimmen der Linken bei Enthaltung der
rünen abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
chlag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, also Fe-
erführung beim Rechtsausschuss. Wer stimmt für die-
en Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? –
nthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18057
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
)
)
gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenom-
men. Damit liegt die Federführung also beim Rechtsaus-
schuss.
Die Vorlage auf Drucksache 17/7847 soll an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 32 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Konstantin von Notz, Nicole Maisch, Tabea
Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Grundrechte schützen – Datenschutz und Ver-
braucherschutz in sozialen Netzwerken stär-
ken
– Drucksache 17/8161 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann haben wir das so be-
schlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Konstantin von Notz für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der letzte Ta-
gesordnungspunkt in diesem Jahr: der Datenschutz.
Uns war es wichtig, eines der drängendsten Themen
unserer Zeit noch in diesem Jahr zu behandeln. Es ist ein
Thema, von dem heute praktisch jeder und jede betrof-
fen ist. Wer in diesen Tagen über den Datenschutz
spricht, der sollte auch einen Ausgangsbefund offenle-
gen. Unser Befund deckt sich dabei weitgehend mit dem
der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Län-
der: Es gibt eine anhaltende, teilweise geradezu revolutio-
näre Durchtechnisierung unseres Alltags. Die Technik
hält viele Vorteile und Annehmlichkeiten bereit, die
auch wir, die wir hier sitzen, alle nutzen. Die vermehrte
Nutzung schafft aber eben auch eine stark zunehmende
Abbildbarkeit und Interpretation der Menschen und ihres
Verhaltens.
Das geschieht aus zwei Richtungen. Die Menschen
werden im Hinblick auf ihre Privatsphäre geradezu in
die Zange genommen. Neben dem Staat, der aus Sicher-
heitsinteressen das Netz der Überwachbarkeit immer en-
ger zieht, wollen große Konzerne den gläsernen Konsu-
menten. Wer Persönlichkeit, Vorlieben, Verhalten und
Ähnliches einschätzen kann, der kann eben auch Kauf-
entscheidungen, Konsummotivation und Bedürfnisse ge-
zielter beeinflussen. Genau das ist das Geschäftsmodell
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Die Nutzung dieser Informationen und deren Offenle-
ung durch Dritte sind massive Eingriffe in das Recht
uf informationelle Selbstbestimmung und das Persön-
chkeitsrecht der Menschen. Deswegen steht es in der
erantwortung des Gesetzgebers – in unserer Verantwor-
ng –, hier steuernd einzugreifen. Ziel muss dabei die
icherung von Freiheitsräumen, die gleichberechtigte
arktteilnahme, das selbstbestimmte Handeln der Nut-
erinnen und Nutzer und die freie Kommunikation der
enschen sein.
Gesetzlicher Datenschutz ist angesichts dieser Ent-
icklungen unsere verfassungsrechtlich vorgegebene
aueraufgabe. Sie, meine Damen und Herren der Koali-
on, verschweigen gerne die ständige Rechtsprechung
us Karlsruhe im Hinblick auf die Drittwirkung der
rundrechte und unsere gesetzlichen Schutzpflichten,
om Lüth-Urteil von 1958 bis zum Versicherungsurteil
on 2006.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts,
ndreas Voßkuhle, hat ausdrücklich vor den Risiken der
enutzung von sozialen Netzwerken gewarnt. Ich zi-
ere:
Es spricht jedenfalls einiges dafür, dass das Bun-
desverfassungsgericht in den nächsten Jahren ge-
fordert sein wird, die Bedeutung und Reichweite
der Grundrechte in einer Welt der digitalen Vernet-
zung neu zu bestimmen.
Wenn er das so konstatiert, ist das doch für uns als
esetzgeber ein Alarmsignal.
a ist es ein Armutszeugnis, wenn ein Bundesinnen-
inister kürzlich in einem Kommentar im Handelsblatt
u Protokoll gibt, es gebe keinerlei Handlungsbedarf,
nd die Verbraucherschutzministerin durch das Öffent-
chmachen privater Handlungen in Form ihres einsamen
ustritts bei Facebook nur ihre Untätigkeit dokumen-
ert.
Datenschutz ist auch keineswegs ein Innovationshin-
ernis, obwohl das häufig auf der rechten Seite des Hau-
es behauptet wird. Das Gegenteil ist der Fall: Daten-
chutz wird zum zentralen Vertrauensfaktor der IT-Wirt-
chaft, wie es zum Beispiel der ehemalige BITKOM-
räsident, Herr Professor Scheer, klar festgestellt hat.
ie Rechtssicherheit kommt eben auch den Unterneh-
en zugute.
Das alles ignorieren Sie von der Koalition seit Jahren.
s reicht eben nicht, wohlklingende Sätze in einen Ko-
litionsvertrag zu schreiben. Man muss es auch umset-
en. Das tun Sie aber nicht.
18058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Dr. Konstantin von Notz
)
)
Ich kann Ihnen schon sagen, was jetzt in dieser De-
batte kommen wird: Sie werden selbst keine inhaltlichen
Antworten haben und keinen Gestaltungsanspruch zei-
gen.
– Darauf freue ich mich schon. – Stattdessen werden Sie
auf die europäische Debatte verweisen, an der Sie aber
auch nicht aktiv teilnehmen, obwohl wir Sie seit Jahren
dazu auffordern.
Wir legen hier heute ganz konkret drei zentrale Ele-
mente unseres Konzepts vor: Pseudonyme Nutzungs-
möglichkeiten müssen erhalten bleiben. Wir brauchen
die Vorabinformation und -einwilligung. Wir brauchen
den Datenschutz ab Werk.
Die Reform des Datenschutzes muss jetzt gestaltet
werden. Sie haben dafür weder ein Konzept noch einen
Kompass, weder auf der deutschen noch auf europäi-
scher Ebene.
Ganz herzlichen Dank und ein frohes Weihnachtsfest.
Das Wort hat nun Stephan Mayer für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen!
Sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege von
Notz, nachdem Sie vermeintlich schon wissen, was von-
seiten der Regierungskoalition kommt, werden Sie jetzt
etwas verblüfft sein,
wenn ich zunächst einmal feststelle, dass Sie mit dem
Antrag, den Sie heute vorlegen, teilweise durchaus rich-
tig liegen, was die Analyse der Problemstellungen und
Herausforderungen anbelangt. Ich möchte Ihnen durch-
aus zugestehen, dass Sie den Finger bei den Themen in
die Wunde legen, die derzeit den Datenschutz nicht nur
in Deutschland, sondern auch in Europa und der Welt
betreffen.
Sie stellen die Frage, wie verhindert werden kann,
dass Daten in die Hände von Unbefugten gelangen.
Auch die Gefahr der Profilbildung sprechen Sie durch-
aus zu Recht an. Es ist eine Aufgabe dieses Hauses, uns
damit zu beschäftigen, wie wirklich effektiv kontrolliert
werden kann, dass Daten, die der Nutzer löschen will,
wirklich gelöscht werden. Wir müssen uns auch mit der
Frage beschäftigen, inwiefern das deutsche Datenschutz-
recht zum Beispiel auf soziale Netzwerke, die ihren Sitz
nicht in Deutschland, sondern im Ausland haben, an-
wendbar ist; hier geht es um das Problem der Durchsetz-
barkeit.
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ir sollten hier den Grundsatz der Subsidiarität beach-
n und uns darauf verständigen, dass es in allererster Li-
ie die Aufgabe sein muss, Regelungen zu schaffen oder
orgaben zu machen, die niedrigschwelliger als gesetz-
eberische Vorgaben sind.
Herr Kollege von Notz, Sie machen meines Erachtens
uch einen gravierenden Fehler, wenn Sie sich in Ihrem
ntrag ausschließlich auf die Gewährleistung des Grund-
chtes auf informationelle Selbstbestimmung konzen-
ieren und dabei vollkommen außer Acht lassen, dass es
eim Umgang im Internet auch um andere Grundrechte
eht. Es geht um Kommunikationsfreiheit, Meinungsfrei-
eit, um Berufsfreiheit und auch um das Grundrecht der
llgemeinen Handlungsfreiheit.
Das Bundesverfassungsgericht hat sehr gut daran ge-
n, den Grundsatz der praktischen Konkordanz aufzu-
tellen. Der Grundsatz der praktischen Konkordanz gibt
ns vor, dass wir unser gesetzgeberisches Handeln so
ornehmen sollen, dass man möglichst allen Grundrech-
n, auch wenn sie teilweise divergierend sind, zu einer
rößtmöglichen Ausbreitung verhilft. Mit den Forderun-
en in Ihrem Antrag werden Sie dem Anspruch auf einen
öglichst schonenden Ausgleich aller möglichen
rundrechte nicht gerecht.
Wir sollten uns nicht einseitig auf gesetzgeberisches
andeln verlegen. Sie haben den Präsidenten des Bun-
esverfassungsgerichts zitiert. Ich möchte Ihnen den
inweis geben, dass Sie ihn in Ihrem Antrag falsch zi-
ert haben. Herr Professor Voßkuhle hat nicht die Nut-
ung von Facebook mit einer gefahrgeneigten Tätigkeit
leichgestellt. Er spricht in dem erwähnten Interview im
ocus von einer risikogeneigten Tätigkeit, aber nur inso-
eit, als dass gewährleistet sein muss, dass Daten von
utzern gelöscht werden, wenn die Nutzer dies wollen.
r stellt also nicht die Nutzung von Facebook mit einer
siko- oder gefahrgeneigten Tätigkeit gleich, sondern
ur den speziellen Bereich der Kontrolle über das Lö-
chen entsprechender Daten.
Es wäre meines Erachtens zu einfach und zu anti-
uiert, wenn man der Denkweise nachhängen würde,
ass man den zugegebenermaßen vorhandenen Heraus-
rderungen, die bei der Nutzung des Internets auftreten,
ur mit Verboten und Einschränkungen begegnen kann.
ielmehr erfordert moderner Datenschutz aus meiner
icht eine flexible und anpassungsfähige Strategie.
Die Antworten können in Abhängigkeit von den kon-
reten Angeboten der Unternehmen durchaus variieren.
as ist abhängig davon, ob es sich um VZ-Netzwerke
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18059
Stephan Mayer
)
)
oder um Facebook handelt. Für die christlich-liberale
Koalition bedarf es deshalb eines Dreiklangs, um in Zu-
kunft effektiven Datenschutz zu sichern, wobei ich beto-
nen möchte, dass für mich der Subsidiaritätsgedanke in-
nerhalb des Dreiklangs ganz entscheidend ist; sprich:
Man sollte eine Vorgabe der zweiten oder dritten Stufe
erst dann vornehmen, wenn die auf der ersten Stufe nicht
tauglich ist.
Das erste Element dieses Dreiklangs ist eine Stärkung
der Eigenverantwortung und der Sensibilisierung der
Nutzer für personenbezogene Daten. Es muss unser Ziel
sein, dazu beizutragen, dass die Medienkompetenz der
Bevölkerung gesteigert wird.
Die Bürger müssen informiert sein und selbstbestimmt
handeln können, wenn es darum geht, wem sie ihre Da-
ten anvertrauen. Die Vermittlung der Medienkompetenz
kann dabei durch Schulen erfolgen. Deswegen sind die
Länder einzubeziehen. Das kann auch durch Volkshoch-
schulen und andere Bildungsträger erfolgen.
Ich möchte sehr lobend hervorheben, dass die Euro-
päische Union im Februar jedes Jahres Aktionstage
durchführt, zum Beispiel den „Safer Internet Day“. Da-
mit werden eine bewusste Auseinandersetzung mit den
Chancen und Herausforderungen des Internets und ein
bewusster Umgang mit den eigenen Daten gefördert.
Ein ganz wesentlicher Bestandteil des Paketes im ers-
ten Element muss die Stiftung Datenschutz sein.
Anders als in Ihrem Antrag formuliert, Herr Kollege von
Notz, sind wir in der christlich-liberalen Koalition auf
einem ausgesprochen positiven und guten Weg.
Wir befinden uns in sehr konstruktiven Gesprächen. Ich
darf Ihnen an dieser Stelle auch zusagen: Die Stiftung
Datenschutz wird kommen,
und zwar im Jahr 2012. Es wird eine gute Stiftung sein,
schon allein deshalb, weil zwei ihrer Hauptziele sein
werden, dass zum einen der Selbstdatenschutz der Bür-
gerinnen und Bürger verbessert wird und dass zum ande-
ren die Bildung der Bevölkerung im Bereich des Daten-
schutzes gestärkt wird.
Aber es reicht nicht aus, sich nur auf den Bereich der
Steigerung des Bildungsniveaus und des Selbstdaten-
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ir brauchen freiwillige Selbstverpflichtungen, weil sie
us meiner Sicht eine schnellere Reaktion auf neue tech-
ische Entwicklungen gewährleisten und wesentlich
chneller und flexibler sein können als die Gesetzge-
ung.
rundsatz freiwilliger Selbstverpflichtungen muss im-
er sein, dass zunächst einmal die Datenvermeidung
nd die Datensparsamkeit im Vordergrund stehen. Hier
t lobend hervorzuheben, dass es seit dem 10. Februar
009 Grundsätze für sichere soziale Netze in der Euro-
äischen Union gibt. Man muss erwähnen, dass VZ-
etzwerke – entgegen dem Duktus, der Ihren Antrag
rägt – diese Selbstverpflichtung unterzeichnet haben,
ber auch Facebook, das Sie immer angreifen und in die
efensive drängen wollen, und Google.
In dieser Selbstverpflichtung werden zum Beispiel
orgaben für altersangemessene Angebote gemacht,
ber auch für eine selbstbestimmte Nutzung durch ziel-
erichtete Information der Nutzer über den Schutz ihrer
aten und die Warnung vor möglichen Konsequenzen
res Verhaltens. Diese Selbstverpflichtung wird in re-
elmäßigen Abständen durch die EU-Kommission eva-
iert und fortentwickelt. Die Ergebnisse der letzten
valuation wurden am 30. September dieses Jahres vor-
estellt. Man hat sich sehr stark darauf kapriziert, dass
ie getesteten Websites durchaus auch altersgerechte In-
rmationen für Kinder und Jugendliche zur Verfügung
tellen. Ich glaube, gerade die Minderjährigen müssen
Fokus stehen. Ihnen müssen altersangemessene An-
itungen und Lernmaterialien an die Hand gegeben wer-
en, und es muss eine schnelle Beantwortung der einge-
ichten Fragen gewährleistet sein. Die durchgeführte
valuation hat aber durchaus auch Defizite zum Vor-
chein gebracht, insbesondere bei Voreinstellungen zum
atenschutz. Auch der altersgerechte Schutz von Ju-
endlichen ist verbesserungsbedürftig. Deswegen ist es
chtig, dass diese Selbstverpflichtung fortgeschrieben
ird.
Eine solche Selbstverpflichtung gibt es nicht nur auf
uropäischer Ebene, sondern auch auf deutscher Ebene:
en Verhaltenskodex für Betreiber von Social Communi-
es bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Multimedia
iensteanbieter e. V. Diese stammt vom 11. März 2009.
ier werden umfangreich Fragen des Datenschutzes, des
ugendschutzes und Konsequenzen, die sich aus der
ichteinhaltung von Verhaltensregeln in den sozialen
etzwerken ergeben, geregelt. Bedauerlicherweise – das
18060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Stephan Mayer
)
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möchte ich durchaus konstatieren – ist Facebook dieser
Selbstverpflichtung bisher noch nicht beigetreten.
Ich bin aber erfreut darüber, dass seit wenigen Monaten
im Bundesinnenministerium intensive und konkrete Ge-
spräche über einen nachträglichen Beitritt von Facebook
zu dieser Selbstverpflichtung und über eine Fortschrei-
bung dieses Verhaltenskodexes laufen.
Es ist das erklärte Ziel, dass die Gespräche bis zum Start
der CeBIT im März des kommenden Jahres abgeschlos-
sen sind und Facebook diesem Verhaltenskodex und die-
ser Selbstverpflichtung dann hoffentlich beitritt.
Die beiden von mir jetzt aufgeführten Selbstver-
pflichtungen zeigen exemplarisch, in welcher Form sie
ein wesentlicher und wichtiger Baustein bzw. ein geeig-
netes Instrument für einen effektiven Datenschutz sein
können. Ich möchte aber auch nicht verhehlen, dass ins-
besondere die Evaluation der Grundsätze für sichere so-
ziale Netze in der EU ergeben hat, dass der Schutz durch
Selbstverpflichtungen und durch eine Steigerung der
Selbstverantwortung der Nutzer im Netz allein nicht er-
reicht werden kann, sondern es selektiv durchaus auch
einer stärkeren europäischen und vielleicht auch nationa-
len Gesetzgebung im Bereich des Datenschutzes bedarf.
Das ist das dritte Element unseres Dreiklangs. Man muss
durchaus auch gesetzgeberische Veränderungen vorneh-
men. Ich möchte aber in aller Deutlichkeit betonen, dass
das deutsche Datenschutzrecht im europäischen Ver-
gleich mit Sicherheit höchsten Ansprüchen genügt. Viel-
leicht weist es sogar weltweit neben dem Datenschutz-
recht von Spanien die höchste Qualität auf.
Wichtig ist, dass gesetzliche Regelungen nicht einsei-
tig sind, sondern auch andere Rechtspositionen berück-
sichtigt und gewürdigt werden. In diesem Zusammen-
hang ist zu erwähnen, dass im Rahmen des 6. IT-Gipfels
der Bundesregierung am Montag der vergangenen Wo-
che in München viele Fragen des Datenschutzes disku-
tiert wurden. Im Rahmen dieses IT-Gipfels ist deutlich
zum Ausdruck gebracht worden, dass der Datenschutz
und die Datensicherheit in Deutschland gut aufgehoben
sind und Deutschland in diesen Bereichen, was das tech-
nische Know-how anbelangt, mit Sicherheit Vorreiter ist.
Vor diesem Hintergrund halte ich zahlreiche Forderun-
gen in Ihrem Antrag für vollkommen überzogen und für
unverhältnismäßig. Das betrifft zum Beispiel die von Ih-
nen vorgeschlagene Verschärfung des § 28 Abs. 3 b des
Bundesdatenschutzgesetzes. Sie sprechen sich gegen das
Kopplungsverbot aus. Ein komplettes Verbot der Kopp-
lung würde mit Sicherheit einen schwerwiegenden Ein-
griff in das Grundrecht der Berufsfreiheit nach Art. 12
Abs. 1 des Grundgesetzes zur Folge haben.
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Wir hingegen setzen auf den bereits erwähnten Drei-
lang: erstens die Selbstverantwortung der Nutzer sowie
ie Bildung und Ausbildung der Bevölkerung im Sinne
ines sinnvollen und vernünftigen Umgangs im und mit
em Internet stärken, zweitens Selbstverpflichtungen
wischen dem Staat und der Wirtschaft eingehen und
rst drittens, wenn es gar nicht mehr anders geht, sowohl
uf europäischer als auch auf nationaler Ebene gesetzge-
erisch tätig werden. Das ist ein wesentlich angemesse-
erer, modernerer und flexiblerer Ansatz, den wir Ihrem
ntrag entgegensetzen. Ich kann nur appellieren, Ihrem
ntrag die Zustimmung zu verweigern.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Gerold Reichenbach für die SPD-
raktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
nd Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
oalition, seit zwei Jahren hören wir, dass die Verbrau-
herschutzministerin und der Innenminister – genauso
ie sein Vorgänger – gute Gespräche führen, mit deren
rfolgreichem Abschluss sie demnächst rechnen. Seit
wei Jahren hören wir, dass Sie auf einem guten Weg
ind. Ich sage Ihnen als jemand, der selber wandert:
enn ich mich auf einem Weg so verirrt hätte, dass ich
ach zwei Jahren noch immer nicht am Ziel bin, dann
ürde ich mir Gedanken machen, das aber nicht als gu-
n Weg bezeichnen.
Schauen Sie sich doch einmal die Realität an. Vor we-
igen Tagen hat die unabhängige Bewertungsgesell-
chaft Xamit in einer Studie festgestellt: 2011 haben
urchschnittlich 82 von 100 deutschsprachigen Webauf-
itten gegen das Datenschutzrecht verstoßen. Allein
eim nichtdatenschutzkonformen Einsatz von Webstatis-
ken haben wir einen Zuwachs von 12 Prozent zu ver-
eichnen. Gerade vor diesem Hintergrund enthält der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18061
Gerold Reichenbach
)
)
Antrag der Grünen einige wichtige Forderungen zum
Datenschutz im Internet, insbesondere zum Datenschutz
in sozialen Netzwerken, wichtige Forderungen, die im
Übrigen auch die SPD seit langem erhebt und die gerade
letzte Woche durch die Kampagne des Bundesverbandes
der Verbraucherzentralen erneut proklamiert wurde.
Fast jeder kennt die Situation im Internet: Man
möchte einen Dienst – zum Beispiel für Internetshop-
ping – nutzen, muss aber erst einmal seine persönlichen
Daten angeben. Teilweise muss man sogar viele persön-
liche Daten angeben, um überhaupt das komplette Ange-
bot einer Seite einsehen zu können. Wenn man aber den
Dienst nur einmal nutzen oder sich nur einen Überblick
verschaffen will und danach den Nutzeraccount löschen
möchte, wird es schwierig. Automatische Löschfunktio-
nen sind oft nicht vorgesehen. Den Diensteanbieter zu
kontaktieren, ist schwierig und oft mit dem mehrfachen
Schreiben von E-Mails verbunden. Aber auch nach der
vermeintlich erfolgten Löschung kann man sich nicht si-
cher sein – das wissen wir inzwischen –, dass alle Daten
wirklich unwiderruflich gelöscht sind. Oft wird bloß das
Konto deaktiviert. Daten einzugeben, ist also leicht, die
Herrschaft über die Daten zu behalten, dafür umso
schwieriger.
Auch wenn man selbst aktiv keine Daten eingibt, wer-
den das Surfverhalten, die Seiten und die Inhalte, die
man besucht, mittels Cookies, also kleiner Textdateien,
die auf der Festplatte gespeichert werden, aufgezeichnet
und ausgewertet. Kaum jemand ließe sich gefallen, all
seine Daten angeben zu müssen, wenn er sich in einem
realen Klamottenladen nur einen Überblick über das An-
gebot verschaffen will. Niemand ließe sich gefallen, dass
der Ladenbesitzer heimlich notiert, wie lange der ein-
zelne Kunde in seinem Laden bleibt und welche Sachen
er sich ansieht, oder gar eine biometrische Gesichtser-
kennung durchführt, um weitere Daten über seinen Kun-
den erheben zu können. Wir wären zu Recht empört,
wenn dies automatisch ohne unser Wissen und ausdrück-
liches Einverständnis geschehen würde. Aber genau das
ist im Internet gang und gäbe; das ist Alltag.
Deshalb fordern wir: Auch beim Surfen und Bestellen
im Internet und bei der Nutzung von sozialen Netzwer-
ken muss der Nutzer, ohne dass er Computer-Freak ist
oder Chat-technische Spezialkenntnisse hat, Herr über
seine Daten bleiben und über deren Preisgabe selber ent-
scheiden können.
Es geht bei alldem nicht nur um das Löschen von Ac-
counts. Es geht generell um datenschutzfreundliche Pri-
vatsphärenvoreinstellungen bei Produkten und Diensten.
Insbesondere bei sozialen Netzwerken besteht ein erheb-
liches Risiko bei der Preisgabe persönlicher Daten. In
sozialen Netzwerken werden Kommentare gepostet, Fo-
tos hochgeladen, Freunde getaggt, also mit Namen mar-
kiert, und vieles mehr, ohne dass man genau weiß, was
damit im Hintergrund geschieht. Das ist ein Risiko für
die eigenen Daten, aber auch für die Daten Dritter.
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nd Drei-Säulen-Theorien. Jüngster Beleg, Herr Kollege,
ar Ihr Abstimmungsverhalten in der Sitzung der En-
uete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
m Montag, in der Sie alle konkreten Vorschläge zum Da-
n- und Verbraucherschutz im Internet abgelehnt haben.
Die SPD unterstützt darum die Forderungen des vor-
egenden Antrags der Grünen. Aber leider, liebe Kolle-
innen und Kollegen, ist dieser Antrag in einigen Punk-
n noch ein wenig unausgereift und widersprüchlich.
um einen stellen Sie fest, dass der europäische Rechts-
hmen nicht ausreiche, zum anderen fordern Sie aber,
ass sofort etwas zu tun sei. Das ist ungefähr so, wie
chon einmal in ein leeres Schwimmbecken zu springen,
ur weil man den Hausmeister vorher aufgefordert hat,
asser einzulassen.
Viel wichtiger ist es, der Bundesregierung bei den lau-
nden Verhandlungen zur europäischen Datenschutz-
chtlinie genau auf die Finger zu schauen. Die Bundesre-
ierung hat bereits zugestanden, dass das eine bindende
erordnung werden soll. Deswegen ist es schon interes-
ant, zu sehen, ob die Bundesregierung in den Verhand-
ngen darauf dringt, dass die Vorgaben des Bundesver-
ssungsgerichts auch auf europäischer Ebene Geltung
rlangen, oder ob sie auch jetzt wieder – wie schon früher
n anderer Stelle – eher willfährig den Interessen der
irtschaft folgt.
Darum lassen Sie uns die Bundesregierung bei ihrem
ersuch, die europäische Datenschutzrichtlinie auf deut-
che Standards zu bringen – wenn sie diesen Versuch
18062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Gerold Reichenbach
)
)
denn unternimmt –, unterstützen und sie dabei vorantrei-
ben, und lassen Sie uns national dort tätig werden, wo
das europäische Recht längst weiter als das nationale
Recht ist, nämlich bei der seit einiger Zeit überfälligen
Umsetzung der E-Privacy-Richtlinie. Dabei geht es
darum, dass die eben beschriebenen „Verfolgungs-
Cookies“ nicht ohne ausdrückliches Wissen des jeweili-
gen Surfers darüber, was mit seinen Daten passiert, und
ohne sein Einverständnis gesetzt werden können.
Der Bundesrat hat – übrigens unter Beteiligung einer
ganzen Reihe von CDU-geführten Bundesländern – ei-
nen vernünftigen Vorschlag dafür vorgelegt. Die Bun-
desregierung hat diesen abgelehnt und angekündigt, dass
sie im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes – also
dort, wo es zu regeln ist – einen Vorschlag machen
würde. Was ist passiert? Nichts. Sie sind ja auf einem
guten Weg und haben sich verirrt. Deswegen werden wir
als SPD-Fraktion Ihnen bei diesem konkreten Punkt Ge-
legenheit geben, diesen guten Weg zu Ende zu gehen. In-
sofern brauchen wir nicht auf Europa zu warten. Wir
werden Ihnen einen Gesetzesvorschlag unterbreiten, wie
diese europäische Richtlinie ganz konkret umgesetzt
werden kann. Dann haben Sie einen Regelungsteil, bei
dem Sie nicht mit Ihrer Drei-Säulen-Theorie kommen
müssen, sondern ganz konkret handeln können. Dazu
gibt es Vorschläge, Vorschläge des Bundesrates und eine
Richtlinie auf europäischer Ebene, die Sie seit über ei-
nem Dreivierteljahr nicht umgesetzt haben. Eigentlich
hätten Sie schon im Mai dieses Jahres zu Potte kommen
müssen. Nun werden wir Ihnen dabei helfen. Dann wer-
den wir sehen, ob diese Regierung Datenschutz im Inter-
net wirklich ernst nimmt oder ob es bei dieser Nebulosi-
tät bleibt.
Ich freue mich auf ein schönes neues Jahr, in dem wir
dieses Thema weiter diskutieren werden. Ihnen und all
denen, die jetzt noch am Fernseher zuschauen, frohe
Weihnachten und ein gutes neues Jahr!
Vielen Dank.
Das Wort hat nun Erik Schweickert für die FDP-Frak-
tion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte heute mit
einem Zitat beginnen:
Das Internet ist das erste von Menschenhand er-
schaffene Ding, das der Mensch nicht versteht. Es
ist das größte Experiment in Anarchie, das es je-
mals gab.
Dieses Zitat stammt nicht von einem betagten Panik-
macher, sondern von Ex-Google-Chef Dr. Eric Schmidt.
Im Internet sind die sozialen Netzwerke, die Social Net-
works, für die Verbraucherinnen und Verbraucher zu ei-
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–
Auf der einen Seite müssen wir zur Kenntnis nehmen
nd akzeptieren – auch als Verbraucherschützer –, dass
anch mündiger Verbraucher sein Grundrecht auf infor-
ationelle Selbstbestimmung bewusst so auslebt, dass
s eher einem Akt der Entäußerung entspricht; einige ge-
en ihre eigenen Daten freimütig preis. Beispielsweise
erden bei YouTube jede Minute Videos mit einer
änge von insgesamt 48 Stunden hochgeladen, jeden
ag werden mehr als 200 Millionen Fotos bei Facebook
ingestellt. Auf der anderen Seite beobachten wir, dass
s viele User von Social Networks gibt, die eine hohe
ompetenz in dem Bereich haben. Die Studie der
ITKOM vom November dieses Jahres zeigt: 77 Pro-
ent der User passen aktiv die Grundeinstellungen ihrer
enutzerkonten an, 9 Prozent entscheiden sich bewusst,
ie Voreinstellungen der Netzwerke zu übernehmen.
Wir als Politiker müssen dieses informationelle Selbst-
estimmungsrecht akzeptieren, auch bei denen, die es
her exhibitionistisch ausleben, und wir müssen uns um
ie kümmern, denen die entsprechende Kompetenz fehlt,
eispielsweise Kinder und Personen, die nicht besonders
ternetaffin sind.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag Dinge, die es be-
its gibt und die daher obsolet sind. Sie wollen etwas re-
eln, das heute geltendes Recht ist. Das Erheben und
utzen personenbezogener Daten nichtregistrierter Nut-
er ist schon heute rechtswidrig. Ich bin auch der Mei-
ung, dass die Differenzierung zwischen privat und ge-
chäftlich genutzten Netzwerken völlig an der Realität
orbeigeht.
Wir müssen den Verbraucher für das Thema Daten-
chutz sensibilisieren. Das trägt zur Effizienzsteigerung
es Datenschutzes bei. Wenn die Verbraucher über die
öglichen Gefahren Bescheid wissen, wissen sie auch,
elche Folgen mit der unbedarften Weitergabe von
aten verbunden sind. Wir müssen unser Augenmerk
uf Datensparsamkeit richten. Wir können nicht davon
usgehen, dass jeder Nutzer gleich gut informiert ist.
Wir Liberale setzen in diesem Bereich mehr auf die
elbstregulierung.
Ja, Herr von Notz.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18063
Dr. Erik Schweickert
)
)
– Ganz ruhig bleiben. – Für einen effizienten Daten-
schutz ist es wichtig, dass die Verpflichtung zu regulato-
rischen Eingriffen im privatrechtlichen Bereich nur bei
fühlbar gestörten Ungleichgewichten zwischen den Un-
ternehmen und den Verbrauchern erfolgen darf. Deshalb
steht die FDP für die Stiftung Datenschutz.
Wir als christlich-liberale Koalition gehen dieses Pro-
blem an und warten nicht wie Sie, sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen von den Grünen, sieben Jahre. Wir tra-
gen es nicht wie eine Monstranz vor uns her und machen
dann nichts. Das von Ihnen geforderte Gütesiegel ist eine
gute Idee; das haben Sie bei uns abgeschrieben.
Sie haben die Möglichkeit, es über die Einrichtung einer
Stiftung Datenschutz zu unterstützen. Die Stiftung Daten-
schutz könnte dieses Gütesiegel in Zukunft vergeben.
Was müssen wir tun? Wir müssen den Betreibern um-
fassende Transparenz- und Informationspflichten aufer-
legen und das Ganze mit klarem Menschenverstand tun;
denn Eingriffe in die Privatautonomie bedürfen unseres
Erachtens immer einer erhöhten Rechtfertigung. Wir
müssen auch gesetzliche Vorgaben machen, wenn erheb-
liche Verletzungen des Persönlichkeitsrechtes festzustel-
len oder zu befürchten sind, also zum Beispiel in Bezug
auf die Wirksamkeit der Einwilligung der Betroffenen
hinsichtlich der Tragweite, der Freiwilligkeit und der In-
formiertheit. Außerdem spielen Themen wie Profilbil-
dung und Data-Mining eine Rolle; hier müssen wir tätig
werden.
Aber, Herr von Notz: In Zeiten des Cloud Computing,
der Virtualisierung, des grenzüberschreitendem Daten-
verkehrs und der Digitalisierung werden uns nationale
Alleingänge nicht viel helfen; denn der Großteil dieser
Server steht nicht bei uns.
Vor ein paar Wochen war zu hören – Sie haben es an-
gesprochen –, dass eine neue Datenschutzverordnung
die Datenschutzrichtlinie ablösen soll. Das hätte für un-
ser nationales Bundesdatenschutzgesetz zur Folge, dass
dieses dann keine Anwendung mehr finden würde. Hier
geht es darum – das ist die Aufgabe, die die Bundes-
regierung zu erledigen hat –, darauf zu drängen, dass un-
ser gutes Datenschutzniveau auch auf europäischer
Ebene Eingang findet, sodass es nicht zu einem Absin-
ken des guten Niveaus des Verbraucherschutzes und des
Datenschutzes in Deutschland kommt.
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r spiegelt in vielen Punkten die Positionen wider, die
ie Vertreterinnen und Vertreter von SPD, Grünen und
inken auch in der Projektgruppe „Datenschutz“ der En-
uete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
ertreten haben. Insofern hätten wir uns sogar einen ge-
einsamen Antrag vorstellen können; denn wir sind an
er Sache orientiert. Der Netzpolitik hätte das sicherlich
utgetan.
Eine Studie des Branchenverbandes BITKOM belegt,
ass sich 48 Prozent der Deutschen in sozialen Netzwer-
en befinden. 65 Prozent von ihnen fehlen Informatio-
en zum persönlichen Datenschutz. Das heißt, es gibt bei
en Bürgerinnen und Bürgern ein Problembewusstsein.
em müssen wir uns stellen.
Ich nehme noch einmal Bezug auf die Projektgruppe
Datenschutz“ der Enquete-Kommission „Internet und
igitale Gesellschaft“. Es hat sich gezeigt – das ist hier
chon erwähnt worden –: Die Koalition will dieses
hema nicht angehen. Sie sieht keinen Handlungsbedarf.
as groß angekündigte Rote-Linien-Gesetz ist verscho-
en worden.
18064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Halina Wawzyniak
(C)
)
Sie berufen sich stattdessen auf halbgare Selbstver-
pflichtungen. Das Dilemma mit den Selbstverpflichtun-
gen hat Markus Beckedahl vor einiger Zeit auf netzpoli-
tik.org schön zusammengefasst:
Aus Sicht von Facebook und Google sind solche
Vereinbarungen praktisch: Die Politik ist auf lange
4 300 Wörtern. Das sind zwölf Textseiten. Die Daten-
schutzbestimmungen sind darin noch nicht einmal ent-
halten. Ich bitte Sie: Wer soll das wirklich vorher lesen?
Ich will kurz einen letzten Punkt ansprechen. Auch im
Hinblick auf den Arbeitnehmerdatenschutz ergeben sich
erhebliche Probleme. Die Grünen haben es in ihrem An-
Zeit in der Illusion verfangen, etwas getan zu ha-
ben, die Unternehmen müssen sich nicht wirklich
bewegen und die Durchsetzbarkeit ist gleich null.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Tatsächlich besteht Handlungsbedarf. Das zeigt dieser
Antrag sehr deutlich. Sie können sich auch nicht hinter
der Behauptung verstecken, das deutsche Datenschutz-
recht sei gar nicht anwendbar. Ich sage Ihnen: Wo ein
Wille ist, ist auch ein Weg. Das kann auch ein kurzer
Weg sein, auf dem man sich nicht verirrt.
Trotz der existierenden Datenschutzgesetze ist den
Nutzerinnen und Nutzern unklar, was mit ihren Daten
passiert, wo sie verarbeitet werden und an welche Fir-
men sie weitergegeben werden. Die Erstellung von Nut-
zerprofilen durch die Anbieter von sozialen Netzwerken
ist völlig intransparent. Wie solche Personenprofile er-
stellt werden und wozu sie verwendet werden, ist völlig
unklar. Klar ist einzig und allein: Es geht um zielgerich-
tete Werbung. Ich sage Ihnen: In einem Vertragsverhält-
nis, in dem die Nutzerinnen und Nutzer zwar nicht mit
Geld, aber quasi mit ihren persönlichen Informationen
bezahlen, ist es unzumutbar, dass die Nutzerinnen und
Nutzer nicht wissen, was mit ihren Daten passiert.
Wir als Linke – das gilt auch für mich persönlich –
möchten die sozialen Netzwerke nicht mehr missen. Wir
wollen die Nutzerinnen und Nutzer der sozialen Netz-
werke auch überhaupt nicht einschränken. Wir sagen
sehr deutlich: Wer möchte, soll Bikini- und Sauffotos bei
Facebook hochladen, wie er lustig ist. Aber der Nutzer
und die Nutzerin müssen vorher darüber informiert wer-
den, dass beispielsweise Facebook diese Bilder im Zwei-
fel für Werbezwecke verwendet. Die Nutzerinnen und
Nutzer müssen wissen, was in den Allgemeinen Ge-
schäftsbedingungen steht, und diese müssen in verständ-
licher Sprache formuliert sein. Sie müssen auch wissen,
dass sie, selbst wenn sie ihren Account löschen, gegebe-
nenfalls gar nicht mehr alles löschen können und ihre
Rechte an den Bildern abtreten.
Betrachten wir jetzt einmal Facebook. Die Nutzungs-
bedingungen von Facebook haben einen Umfang von
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Ich empfehle noch einmal den Bericht der Projekt-
ruppe „Datenschutz und Persönlichkeitsrechte“ der En-
uete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
nd vor allen Dingen die Sondervoten der drei Fraktio-
en.
Weil Weihnachten ist, wünsche ich Ihnen einen guten
utsch, frohe Weihnachten und Frieden.
Ich schließe die letzte Aussprache dieses Jahres.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
rucksache 17/8161 an die in der Tagesordnung aufge-
hrten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
erstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann ha-
en wir das auch so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
ung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 18. Januar 2012, 13 Uhr, ein.
Nachdem ich so viele Weihnachts- und Jahreswün-
che gehört habe, will ich mich dem besonders herzlich
nschließen. Ich wünsche Ihnen allen fröhliche Weih-
achten, einen heiteren Jahreswechsel und dass wir uns
esund und munter und in bester Laune im neuen Jahr
iedersehen. Alles Gute für Sie!
Die Sitzung ist geschlossen.