Rede von
Gerold
Reichenbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
nd Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der
oalition, seit zwei Jahren hören wir, dass die Verbrau-
herschutzministerin und der Innenminister – genauso
ie sein Vorgänger – gute Gespräche führen, mit deren
rfolgreichem Abschluss sie demnächst rechnen. Seit
wei Jahren hören wir, dass Sie auf einem guten Weg
ind. Ich sage Ihnen als jemand, der selber wandert:
enn ich mich auf einem Weg so verirrt hätte, dass ich
ach zwei Jahren noch immer nicht am Ziel bin, dann
ürde ich mir Gedanken machen, das aber nicht als gu-
n Weg bezeichnen.
Schauen Sie sich doch einmal die Realität an. Vor we-
igen Tagen hat die unabhängige Bewertungsgesell-
chaft Xamit in einer Studie festgestellt: 2011 haben
urchschnittlich 82 von 100 deutschsprachigen Webauf-
itten gegen das Datenschutzrecht verstoßen. Allein
eim nichtdatenschutzkonformen Einsatz von Webstatis-
ken haben wir einen Zuwachs von 12 Prozent zu ver-
eichnen. Gerade vor diesem Hintergrund enthält der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011 18061
Gerold Reichenbach
)
)
Antrag der Grünen einige wichtige Forderungen zum
Datenschutz im Internet, insbesondere zum Datenschutz
in sozialen Netzwerken, wichtige Forderungen, die im
Übrigen auch die SPD seit langem erhebt und die gerade
letzte Woche durch die Kampagne des Bundesverbandes
der Verbraucherzentralen erneut proklamiert wurde.
Fast jeder kennt die Situation im Internet: Man
möchte einen Dienst – zum Beispiel für Internetshop-
ping – nutzen, muss aber erst einmal seine persönlichen
Daten angeben. Teilweise muss man sogar viele persön-
liche Daten angeben, um überhaupt das komplette Ange-
bot einer Seite einsehen zu können. Wenn man aber den
Dienst nur einmal nutzen oder sich nur einen Überblick
verschaffen will und danach den Nutzeraccount löschen
möchte, wird es schwierig. Automatische Löschfunktio-
nen sind oft nicht vorgesehen. Den Diensteanbieter zu
kontaktieren, ist schwierig und oft mit dem mehrfachen
Schreiben von E-Mails verbunden. Aber auch nach der
vermeintlich erfolgten Löschung kann man sich nicht si-
cher sein – das wissen wir inzwischen –, dass alle Daten
wirklich unwiderruflich gelöscht sind. Oft wird bloß das
Konto deaktiviert. Daten einzugeben, ist also leicht, die
Herrschaft über die Daten zu behalten, dafür umso
schwieriger.
Auch wenn man selbst aktiv keine Daten eingibt, wer-
den das Surfverhalten, die Seiten und die Inhalte, die
man besucht, mittels Cookies, also kleiner Textdateien,
die auf der Festplatte gespeichert werden, aufgezeichnet
und ausgewertet. Kaum jemand ließe sich gefallen, all
seine Daten angeben zu müssen, wenn er sich in einem
realen Klamottenladen nur einen Überblick über das An-
gebot verschaffen will. Niemand ließe sich gefallen, dass
der Ladenbesitzer heimlich notiert, wie lange der ein-
zelne Kunde in seinem Laden bleibt und welche Sachen
er sich ansieht, oder gar eine biometrische Gesichtser-
kennung durchführt, um weitere Daten über seinen Kun-
den erheben zu können. Wir wären zu Recht empört,
wenn dies automatisch ohne unser Wissen und ausdrück-
liches Einverständnis geschehen würde. Aber genau das
ist im Internet gang und gäbe; das ist Alltag.
Deshalb fordern wir: Auch beim Surfen und Bestellen
im Internet und bei der Nutzung von sozialen Netzwer-
ken muss der Nutzer, ohne dass er Computer-Freak ist
oder Chat-technische Spezialkenntnisse hat, Herr über
seine Daten bleiben und über deren Preisgabe selber ent-
scheiden können.
Es geht bei alldem nicht nur um das Löschen von Ac-
counts. Es geht generell um datenschutzfreundliche Pri-
vatsphärenvoreinstellungen bei Produkten und Diensten.
Insbesondere bei sozialen Netzwerken besteht ein erheb-
liches Risiko bei der Preisgabe persönlicher Daten. In
sozialen Netzwerken werden Kommentare gepostet, Fo-
tos hochgeladen, Freunde getaggt, also mit Namen mar-
kiert, und vieles mehr, ohne dass man genau weiß, was
damit im Hintergrund geschieht. Das ist ein Risiko für
die eigenen Daten, aber auch für die Daten Dritter.
c
k
m
m
E
im
s
g
M
u
is
m
„
a
d
p
w
b
d
b
u
w
q
a
te
li
g
te
Z
ra
d
s
n
W
fe
ri
g
V
s
lu
fa
e
a
W
V
s
nd Drei-Säulen-Theorien. Jüngster Beleg, Herr Kollege,
ar Ihr Abstimmungsverhalten in der Sitzung der En-
uete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“
m Montag, in der Sie alle konkreten Vorschläge zum Da-
n- und Verbraucherschutz im Internet abgelehnt haben.
Die SPD unterstützt darum die Forderungen des vor-
egenden Antrags der Grünen. Aber leider, liebe Kolle-
innen und Kollegen, ist dieser Antrag in einigen Punk-
n noch ein wenig unausgereift und widersprüchlich.
um einen stellen Sie fest, dass der europäische Rechts-
hmen nicht ausreiche, zum anderen fordern Sie aber,
ass sofort etwas zu tun sei. Das ist ungefähr so, wie
chon einmal in ein leeres Schwimmbecken zu springen,
ur weil man den Hausmeister vorher aufgefordert hat,
asser einzulassen.
Viel wichtiger ist es, der Bundesregierung bei den lau-
nden Verhandlungen zur europäischen Datenschutz-
chtlinie genau auf die Finger zu schauen. Die Bundesre-
ierung hat bereits zugestanden, dass das eine bindende
erordnung werden soll. Deswegen ist es schon interes-
ant, zu sehen, ob die Bundesregierung in den Verhand-
ngen darauf dringt, dass die Vorgaben des Bundesver-
ssungsgerichts auch auf europäischer Ebene Geltung
rlangen, oder ob sie auch jetzt wieder – wie schon früher
n anderer Stelle – eher willfährig den Interessen der
irtschaft folgt.
Darum lassen Sie uns die Bundesregierung bei ihrem
ersuch, die europäische Datenschutzrichtlinie auf deut-
che Standards zu bringen – wenn sie diesen Versuch
18062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 150. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Dezember 2011
Gerold Reichenbach
)
)
denn unternimmt –, unterstützen und sie dabei vorantrei-
ben, und lassen Sie uns national dort tätig werden, wo
das europäische Recht längst weiter als das nationale
Recht ist, nämlich bei der seit einiger Zeit überfälligen
Umsetzung der E-Privacy-Richtlinie. Dabei geht es
darum, dass die eben beschriebenen „Verfolgungs-
Cookies“ nicht ohne ausdrückliches Wissen des jeweili-
gen Surfers darüber, was mit seinen Daten passiert, und
ohne sein Einverständnis gesetzt werden können.
Der Bundesrat hat – übrigens unter Beteiligung einer
ganzen Reihe von CDU-geführten Bundesländern – ei-
nen vernünftigen Vorschlag dafür vorgelegt. Die Bun-
desregierung hat diesen abgelehnt und angekündigt, dass
sie im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes – also
dort, wo es zu regeln ist – einen Vorschlag machen
würde. Was ist passiert? Nichts. Sie sind ja auf einem
guten Weg und haben sich verirrt. Deswegen werden wir
als SPD-Fraktion Ihnen bei diesem konkreten Punkt Ge-
legenheit geben, diesen guten Weg zu Ende zu gehen. In-
sofern brauchen wir nicht auf Europa zu warten. Wir
werden Ihnen einen Gesetzesvorschlag unterbreiten, wie
diese europäische Richtlinie ganz konkret umgesetzt
werden kann. Dann haben Sie einen Regelungsteil, bei
dem Sie nicht mit Ihrer Drei-Säulen-Theorie kommen
müssen, sondern ganz konkret handeln können. Dazu
gibt es Vorschläge, Vorschläge des Bundesrates und eine
Richtlinie auf europäischer Ebene, die Sie seit über ei-
nem Dreivierteljahr nicht umgesetzt haben. Eigentlich
hätten Sie schon im Mai dieses Jahres zu Potte kommen
müssen. Nun werden wir Ihnen dabei helfen. Dann wer-
den wir sehen, ob diese Regierung Datenschutz im Inter-
net wirklich ernst nimmt oder ob es bei dieser Nebulosi-
tät bleibt.
Ich freue mich auf ein schönes neues Jahr, in dem wir
dieses Thema weiter diskutieren werden. Ihnen und all
denen, die jetzt noch am Fernseher zuschauen, frohe
Weihnachten und ein gutes neues Jahr!
Vielen Dank.