Gesamtes Protokol
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! DieSitzung ist eröffnet.Der Kollege Eckhart Lewering feiert heute seinen60. Geburtstag. Ich gratuliere im Namen des Hauses sehrherzlich und wünsche alles Gute.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundeneTagesordnung um die in einer Zusatzpunktliste aufge-führten Punkte zu erweitern:ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSUHaltung der Bundesregierung zu Berichten über Äuße-rungen des Bundesumweltministeriums, die Vernichtungvon Arbeitsplätzen durch das Dosenzwangspfand sei poli-tisch gewollt
ZP 2 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Marion Seib,Katherina Reiche, Thomas Rachel, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der CDU/CSUFür mehr Wettbewerb und Flexibilisierung im Hochschul-bereich – der Bologna-Prozess als Chance für den Wissen-schaftsstandort Deutschland– Drucksache 15/1787 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
RedetAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H. Carstensen
, Dr. Peter Paziorek, Bernhard Schulte-
Drüggelte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUMultitalent nachwachsender Rohstoff effizient fördern– Drucksache 15/1788 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungc) Beratung des Antrags der Abgeordneten UrsulaKlöckner, Uda Carmen Freia Heller, weitererund der Fraktion der CDU/CSU
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gierungTourismuspolitischer Bericht der Bundesre-gierung – 14./15. Legislaturperiode– Drucksache 15/1303 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Kultur und Medienb) Beratung des Antrags der Abgeordneten KlausBrähmig, Jürgen Klimke, Ernst Hinsken, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSURahmenbedingungen für Geschäftsreisen ver-bessern– Drucksache 15/1329 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
InnenausschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendrFdhtuHputmewIdhiogBf
Burgbacher, Angelika Brunkhorst, Hans-MichaelGoldmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion der FDPRahmenbedingungen, Infrastruktur und Mar-keting für Wassertourismus in Deutschlandverbessern– Drucksache 15/1595 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Tourismus
SportausschussAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitd) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Brähmig, Ernst Hinsken, Edeltraut Töpfer, weite-rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUSchaffung einer familienfreundlichen, ver-kehrsentlastenden und wirtschaftsförderndenFerienregelung– Drucksachen 15/934, 15/1286 –Berichterstattung:Abgeordnete Bettina HagedornZum tourismuspolitischen Bericht der Bundesregie-ung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion derDP vor.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichöre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile Bundesminis-er Wolfgang Clement das Wort.Wolfgang Clement, Bundesminister für Wirtschaftnd Arbeit:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen underren! Ich habe das Vergnügen, Ihnen den tourismus-olitischen Bericht der Bundesregierung zu erläuternnd damit auch zu den Anträgen, die zur Tourismuspoli-ik in Deutschland gestellt worden sind, Stellung zu neh-en.Wir sind uns darüber im Klaren, dass der Tourismusiner der wichtigsten Motoren unserer Dienstleistungs-irtschaft und damit ein handfester Wirtschaftsfaktor ist.ch denke, wir stimmen auch in der Zielsetzung überein,en Tourismus in Deutschland und die Wettbewerbsfä-igkeit unserer Tourismuswirtschaft zu stärken. Geraden der jetzigen wirtschaftlichen Phase ist dies von außer-rdentlicher Bedeutung.Die Reisetätigkeit – ob Urlaubsreisen oder Reisen zueschäftlichen Zwecken – steuert etwa 8 Prozent zumruttoinlandsprodukt in Deutschland bei. Diese Zahlühren sich wenige vor Augen. Vom Tourismus insge-
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Bundesminister Wolfgang Clementsamt hängen direkt und indirekt etwa 2,8 Millionen Ar-beitsplätze ab. Allein in der Hotellerie und in der Gastro-nomie in Deutschland werden etwa 1 Million Menschenbeschäftigt. Die Tourismuswirtschaft hat sich zu einemaußerordentlich wichtigen Ausbildungssektor entwi-ckelt. Etwa 100 000 junge Leute werden in diesem Be-reich ausgebildet.Wenn man den Tourismus von einem anderen Blick-winkel aus betrachtet, dann stellt man fest, dass Deutsch-land neben den USA interessanterweise die wichtigstetouristische Quellregion der Welt ist. Das hört sich etwasvornehm an. Es bedeutet, dass viele Deutsche außerhalbder Bundesrepublik Deutschland Urlaub machen. Als je-mand, der aus dem Ruhrgebiet kommt und die Sehnsuchtdes Reviermenschen nach Mallorca und nach anderenRegionen kennt, weiß ich, was das bedeutet: Ziemlichviel Kraft und Geld werden ins Ausland getragen.Unser Land ist aber gleichzeitig ein bedeutendes Zielfür den Tourismus, und zwar in zunehmenden Maße so-wohl für uns Deutsche selbst – das werde ich noch zei-gen – als auch für Gäste aus dem Ausland. Die Bundes-bürger bewegen bei Reisen in Deutschland jährlich etwa100 Milliarden Euro.Wichtig ist, dass Deutschland als Messestandortweltweit an Platz eins steht, was die nach Deutschlandkommenden ausländischen Gäste anbelangt. Hier neh-men wir eine absolut führende Position im weltweitenVergleich ein.
Die unternehmerischen Strukturen in der Tourismus-branche sind sehr vielgestaltig. Wir haben einerseits dieBig Players des Tourismus wie TUI – wahrscheinlichweltweit das größte Tourismusunternehmen –, ThomasCook und REWE-Touristik. Wir haben mit der Lufthansaund der Deutschen Bahn auch Unternehmen, die ganzüberwiegend im Tourismussektor tätig sind. Andererseitshaben wir auch sehr ausgeprägte kleine und mittelständi-sche Strukturen in Form von Hotels und Gaststätten, Rei-severanstaltern und Reisebüros, Busunternehmen undReedereien. Sie alle sind für die Tourismuswirtschaft vonaußerordentlicher Bedeutung.Das heißt zugleich, dass die Tourismuswirtschaft wieandere mittelständisch strukturierte Bereiche unsererWirtschaft von den mittelstandspolitischen Initiativender Bundesregierung profitiert, etwa von unseren Bemü-hungen zur Unterstützung von Existenzgründung oderum Bürokratieabbau. Sie sind für den kleinstrukturiertenReisebürosektor ebenso wichtig wie für Hotels und Res-taurants. Nehmen Sie als ein ganz kleines Beispiel denAbbau von statistischen Verpflichtungen der Unterneh-men.Über die allgemeine Wirtschaftspolitik hinaus unter-nehmen wir einige Anstrengungen, um den Deutsch-landtourismus gezielt voranzubringen. Reisen in undnach Deutschland kommen nämlich nicht nur der Touris-muswirtschaft unmittelbar zugute, sondern auch anderenBranchen, etwa dem Einzelhandel, der Konsumgüter-industrie, dem Fahrzeugbau oder anderen. Letztlich birgtdas Kommen von Gästen aus dem Ausland immer auchdlDTfDfrdwZ2a–mddcsusgRdlerdaDgDkimsmgTTawanwinErDwsC
Ich denke, dass der Erfolg uns Recht gibt: Die DZTrbeitet vorzüglich und hat sich in den letzten Jahrendas ist, wie ich erfahren habe, allgemein anerkannt –it professioneller Arbeit hohe Anerkennung bei uns iner Politik ebenso wie in der Wirtschaft erworben. Auchie Zahlen, die sie mit beeinflusst, sprechen eine deutli-he Sprache: Die Anzahl der Übernachtungen ausländi-cher Gäste hat in den sieben Jahren von 1996 bis 2002m 17,4 Prozent, bis zum Jahr 2000 – da kam der Rück-chlag durch terroristische Anschläge und anderes – so-ar um ein Viertel zugenommen. Deutschland ist alseiseziel im Aufwind.Wir unterstützen über die Deutschlandwerbung hinausie mittelständische Tourismuswirtschaft, um sie nochistungsfähiger und besser zu machen. Wir tun das mitecht bescheidenen Haushaltsmitteln. Ich meine, dass wiramit recht fruchtbare Anstöße geben können. Ich nennels Beispiele den so genannten barrierefreien Tourismus.abei geht es um Reisen von Menschen mit Behinderun-en, denen wir besondere Aufmerksamkeit schenken.as wirkt sich sehr positiv auf die touristischen Möglich-eiten von behinderten Menschen aus. Wir haben ebenso Themenbereich naturnaher Tourismus Akzente ge-etzt und damit den Deutschlandtourismus gestärkt. Im-erhin verbrachten 58 Prozent der Deutschen im vergan-enen Jahr ihren Urlaub in Deutschland. Dieserourismus wurde natürlich besonders auch durch dieemperaturen begünstigt.Wir machen mit der Tourismuspolitik natürlich nichtn unseren Grenzen Halt. Eine wichtige Aufgabe sehenir darin, neue Quellmärkte zu erschließen, also Gästeus dem Ausland für Reisen nach Deutschland zu gewin-en. Ein besonders hervorhebenswertes Ereignis ist ge-iss der Abschluss eines Memorandum of Understand-g mit der Volksrepublik China Mitte letzten Jahres.s ermöglicht jetzt zum ersten Mal chinesischen Bürge-innen und Bürgern, private Gruppenreisen nacheutschland zu unternehmen. Wir sind ein ganz kleinenig stolz darauf, als erstes Mitgliedsland der Europäi-chen Union einen solchen Status im Reiseverkehr mithina erreicht zu haben.
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Bundesminister Wolfgang ClementEs ist völlig klar, dass China ein besonders interessanterQuellmarkt, wie es so wunderschön heißt, ist und ange-sichts des in der nächsten Zeit wachsenden Potenzialseine besondere Aufmerksamkeit verdient.Wir bemühen uns in ähnlicher Weise um die immerinteressanter werdenden Märkte in Mittel- und Ost-europa; auch diese Märkte sind nicht zu unterschätzen.Die Länder in dieser Region sind sowohl als Zielländerfür den Tourismus aus Deutschland als auch als Quell-länder, deren Bürger in zunehmender Zahl unser Landbesuchen, interessant. Die Zahlen, was gerade den Tou-rismus aus den Beitrittsländern Mittel- und Osteuropasangeht, sind sehr ermutigend.Aber ebenso wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass dieLage nicht immer nur rosig ist. Terroranschläge, derIrakkrieg und die Lungenkrankheit SARS hatten dieTourismuswirtschaft schwer getroffen. Wir haben mitunseren Mitteln und Möglichkeiten versucht, vor allenDingen die Sicherheit im Flugreiseverkehr zu erhöhen.Nachdem wir einige dieser Herausforderungen gemeis-tert haben, scheint es so zu sein, dass die Reiseveranstal-ter und die Fluggesellschaften die Talsohle durchschrit-ten haben.Beim Gipfeltreffen der Tourismuswirtschaft vor we-nigen Wochen in Berlin hat sich gezeigt – das haben die-jenigen Kolleginnen und Kollegen aus dem Parlament,die sich für die Tourismuswirtschaft besonders interes-sierenm miterlebt –, dass die Zuversicht in die weitereEntwicklung zurückgekehrt ist.Ich möchte auch noch gerne darauf hinweisen, dasswir uns in Deutschland angewöhnen sollten, bestimmteEreignisse als imagefördernde Werbung für unser Landund damit auch für tourismuspolitische Belange stärkerzu nutzen, als es bisher der Fall war. Ich denke beispiels-weise an ein Ereignis wie die Fußballweltmeisterschaft2006. Die Bedeutung dieses Ereignisses ist uns vielleichtnicht ausreichend bewusst. In anderen Staaten wird derStellenwert eines solches Ereignisses mehr zur Kenntnisgenommen.Wahrscheinlich ist die Fußballweltmeisterschaft 2006– unsere Nationalmannschaft wird ja daran teilnehmen;wir hoffen, dass sie bis dahin noch einige Fortschritte er-zielt – das wichtigste Ereignis für die BundesrepublikDeutschland innerhalb dieses Jahrzehnts, was das Anse-hen Deutschlands und das Interesse für Deutschland an-geht. Es wird innerhalb dieses Jahrzehnts vermutlichkein Ereignis geben, das weltweit eine solche Aufmerk-samkeit auf Deutschland ziehen wird wie die Fußball-weltmeisterschaft 2006. Angesichts eines solchen Ereig-nisses empfiehlt es sich, alle Register zu ziehen und zuzeigen, was wir in Deutschland leisten können. Wir soll-ten also alles tun, um diese Fußballweltmeisterschaft,deren Austragungsorte in allen Regionen Deutschlandsliegen, zu einer groß angelegten Werbeveranstaltung fürDeutschland zu machen.
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Die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland kannin großartiges touristisches Ereignis für unser Landerden. Das Beherbergungsgewerbe rechnet mit zusätz-ich 5 Millionen Übernachtungen. Ich denke, dass wirieses Ereignis nutzen sollten, um noch mehr füreutschland zu werben. Die Deutsche Zentrale für Tou-ismus bemüht sich schon darum.Ich möchte noch drei Anmerkungen zu Anträgen derppositionsfraktionen zum Tourismus machen. Zum ei-en fordern Sie eine Stärkung der Förderung von Ge-chäftsreisen in die Bundesrepublik. Die DZT, die schonrwähnte Deutsche Zentrale für Tourismus, ist dabei, innger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kongress-üro, dem alle renommierten deutschen Tagungs- undongressstandorte Deutschlands angehören, das ThemaTagungen, Kongresse und Geschäftsreisen“ sehr inten-iv zu bearbeiten. Die DZT hat die Werbung im Auslandür 2003 ausdrücklich unter dieses Thema gestellt.Zum Thema Wassertourismus. Es ist zweifellosichtig, dass wir in Deutschland bisher nicht genügendon dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Im Vergleichit den Niederlanden, mit Großbritannien, den USA undanada nutzen wir das Potenzial des Wassertourismus ineutschland bisher nicht ausreichend. In den Städtennd Ländern müssen in diesem Bereich noch erheblichenvestitionen getätigt werden; das gilt auch für das Land,ür das ich bis vor einiger Zeit die politische Verantwor-ung getragen haben. Wir können in diesem Bereich er-eblich mehr Tourismus, auch internationalen Touris-us, auf uns ziehen. Wir wollen uns jetzt vor alleningen auf softe Themen wie die Charterscheinregelungnd die bundesweite Einführung der „Gelben Welle“onzentrieren.Mit der neuen Sommerferienregelung, die die Mi-isterpräsidentenkonferenz für das Jahr 2005 schon aufen Weg gebracht hat, sind einige Kolleginnen und Kol-egen noch ein wenig unzufrieden. Die Ferienspanneiegt jetzt bei 85 Tagen; das ist nicht das Maximum – sieönnte auf 90 Tage ausgedehnt werden –, allerdingschon deutlich mehr als bei der Ferienregelung, die fürieses Jahr galt und die nicht besonders günstig war, wieu Recht allgemein festgestellt wurde. Die Regelung, dieir jetzt vorliegen haben, ist dagegen eine deutliche Ver-esserung. Deshalb schlage ich Ihnen vor, mit diesereuregelung erst einmal Erfahrungen zu sammeln, an-tatt sie schon jetzt infrage zu stellen.Zum tourismuspolitischen Bericht habe ich die Bitte,ass wir möglichst gemeinsam daran weiterarbeiten, denourismus in unserem Land zu stärken. Ich denke, esohnt sich für unser Land und für alle, die in der Touris-
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Bundesminister Wolfgang Clementmuswirtschaft besondere Interessen haben, wenn wirauch bei diesem Thema an einem Strang ziehen.Ich danke Ihnen sehr.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Ernst Hinsken,
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Zunächst möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen, ver-ehrter Herr Präsident, der Sie gestern Ihren 60. Geburts-tag feiern konnten, auf das Herzlichste – sicherlich imNamen aller hier Versammelten – zu gratulieren.
Nun zur Sache. Die Haupturlaubszeit und die Reise-zeit sind vorbei. Heute wird tourismuspolitisch Bilanzgezogen. Verehrter Herr Minister Clement, Sie habenversucht, vieles schönzumalen. So ist es aber nicht. Ichwerde Ihnen den Beweis dafür bringen. Ich bin dankbardafür, dass gerade heute die Möglichkeit besteht, dieseDebatte im Rahmen der Kernzeit durchzuführen; denndadurch wird die Bedeutung der Tourismuswirtschaft fürdie Bundesrepublik Deutschland besonders unter Beweisgestellt.Machen wir alle uns nichts vor: Der Tourismus ist dieLeitökonomie der Zukunft. Es gab im vergangenenJahr weltweit 715 Millionen Reisende. Die WTO rech-net mit jährlichen Steigerungsraten von 12 Prozent.Weltweit sind 225 Millionen Menschen im Tourismusbeschäftigt. Nach den Rückschlägen durch SARS undandere Umstände – Sie, Herr Minister Clement, habendas angesprochen – ist der Tourismus dabei, sich wiederzu erholen.Ich möchte es nicht versäumen, auch einige Zahlen zunennen, die speziell für uns in der BundesrepublikDeutschland von besonderer Bedeutung sind. 140,6 Mil-liarden Euro Umsatz im Tourismus entsprechen 8 Pro-zent unseres Bruttoinlandsproduktes. Zählt man den vor-und nachgelagerten Bereich hinzu, kommt man auf circa2,8 Millionen Beschäftigte. Das sind dreimal so viel Be-schäftigte wie im Baugewerbe, viermal so viel Beschäf-tigte wie in der Automobilindustrie bzw. sechsmal soviel Beschäftigte wie in der chemischen Industrie. Zu-dem – das ist mir besonders wichtig, gerade in der heuti-gen Zeit – stellt die Tourismuswirtschaft 107 000 Aus-bildungsplätze.
Meine Damen und Herren, ein bisschen Werbung istin diesem Falle durchaus angebracht: Vom Kochlehrlingzum Hoteldirektor, solche Karrieren sind im Tourismuskein Einzelfall.HgbzSasvnhstAgsbUVswa1dhshkiRntdpcbMLpz1dnrgw
ier gibt es die Möglichkeit dazu. Wir müssen die jun-en Leute nur motivieren.Leider ist nicht zu leugnen, dass der Tourismus auchei uns in einer schweren Krise steckt. Wir haben Grundur Sorge: 52 Prozent der Deutschen haben in diesemommer keine Urlaubsreise angetreten. Große Reisever-nstalter schreiben dicke Verluste: Der eine muss fest-tellen, dass sein Verlust doppelt so hoch ist wie imergangenen Jahr; der andere – ohne jetzt Namen zu nen-en – verzeichnet einen gar zwölfmal so hohen Verlust.Wir müssen uns gerade heute die Frage stellen: Wasält die Leute vom Reisen ab? Erstens ist es die Kon-umzurückhaltung, zweitens die Konjunkturflaute, drit-ens die Angst um den Arbeitsplatz und viertens dierbeitslosigkeit. Für diese vier Posten ist die Bundesre-ierung verantwortlich; das möchte ich besonders unter-treichen.
Bei der wichtigsten Zielgruppe in Sachen Tourismus,ei der Gastronomie, ist es besonders katastrophal. Dermsatz im vergangenen Jahr lag bei minus 7,2 Prozent.erehrter Herr Minister Clement, das Jahr 2002 war daschlechteste Jahr für die Gastronomie seit 1949. Leiderahr! Seit 1974 ist die Anzahl der Betriebe von 274 000uf 248 000 geschrumpft. Auch hier also ein Minus von0 Prozent, obwohl die Bevölkerungszahlen nach obeneuten.Ein probates Mittel, um dem Gastronomiegewerbe zuelfen, wäre die Harmonisierung der Mehrwertsteuer-ätze. Herr Minister Clement, bereits auf der ITB 1999at Ihr Vorgänger, Herr Bundesminister Müller, ange-ündigt, dass er sich dafür verwenden werde. Geschehenst nichts. Alles Schall und Rauch! Ein entsprechenderichtlinienvorschlag, aus Brüssel kommend, liegt bei Ih-en auf dem Tisch. Aber Bundesfinanzminister Eichelritt auf die Bremse. Obwohl auch Tourismuspolitikerer SPD und insbesondere unser wichtigster Bündnis-artner in der Europäischen Union, Frankreich, eine sol-he Reduzierung der Mehrwertsteuer in der Gastronomieefürworten, wird das nicht gemacht.
Wie ist es zu rechtfertigen, Herr Schmidt, dass dieehrwertsteuer für Leistungen im Hotelbereich in zwölfändern der EU niedriger ist als bei uns in der Bundesre-ublik Deutschland? In Frankreich liegt sie bei 5,5 Pro-ent und in Österreich bei 10 Prozent. Aber wir sind mit6 Prozent Spitze.Warum ist in zehn Ländern der Europäischen Unioner Mehrwertsteuersatz für Angebote von Freizeitparksiedriger als bei uns? Warum ist in acht Ländern der Eu-opäischen Union der Mehrwertsteuersatz für Leistun-en in der Gastronomie niedriger als bei uns? Wettbe-erbsverzerrungen über Wettbewerbsverzerrungen!
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Ernst HinskenWir alle sind aufgefordert, dem entgegenzusteuernund dafür zu sorgen, dass bestimmte Wirtschaftsbereichebei uns im Vergleich zu denen in anderen Ländern in derEuropäischen Union nicht weiter durch Steuern belastetwerden.
Eine ganz besondere Herausforderung steht vor derTür: Die EU wird erweitert. Tschechien, Ungarn und Po-len treten ein. Diese behalten aber ihre niedrigerenMehrwertsteuersätze bei. Deshalb fordere ich nochmals,darüber nachzudenken, ob es nicht gewisse Korrekturengeben sollte.Auch bei den Kur- und Heilbädern ist ein schärfererWind zu erwarten. Wir sind darüber besorgt, dass bei derLeistungserbringung im In- und Ausland keine einheitli-chen Qualitätsstandards vorhanden sind. Darum solltenwir ganz besonders besorgt sein. Unsere deutschen Kur-orte brauchen vor allen Dingen zusätzliche Einnahmenüber die Gemeindefinanzreform, um Geld für den Aus-bau und den Erhalt ihrer Infrastruktur zur Verfügung zuhaben, damit sie mit den Kurorten in anderen Ländernkonkurrieren können.
Der Gesundheitstourismus gewinnt an Bedeutung.Im Jahr 2030 wird die Zahl der über 60-Jährigen vonheute 17 Millionen auf 26 Millionen angestiegen sein.Schon heute gibt es in der Bundesrepublik Deutschland3,3 Millionen Mitbürger, die älter als 80 Jahre sind. Vorallem die frönen dem Gesundheitstourismus. Aber dieRahmenbedingungen müssen stimmen.Die Senioren gelten übrigens schon heute als Wachs-tumsmotor des Tourismus. 2002 sind mehr als 12 Millio-nen Deutsche über 60 Jahre mindestens einmal im Jahrin den Urlaub gefahren; das waren 67 Prozent. Schätzun-gen gehen davon aus, dass in 20 Jahren 80 Prozent derSenioren in den Urlaub fahren werden. Sie brauchen einauf sie zugeschnittenes Angebot und der Tourismusbe-reich benötigt von uns den politischen Flankenschutz,also Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, für Seni-oren besondere Programme aufzulegen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch etwasausführen, was im Zusammenhang mit dem Tourismusbesonders wichtig ist: Wir brauchen einen funktionieren-den Verkehr. Speziell spreche ich hier das Auto an; denn60 Prozent der Deutschen wählen das Auto, um in Urlaubzu fahren. Verehrter Herr Minister Clement, durch dieÖkosteuer haben Sie das Autofahren nicht gerade billigergemacht. Insofern ist es ein kleiner Luxus, mit dem Autoin den Urlaub zu fahren. Als Beleg dafür nehme ich einenHamburger, Herr Kollege Klimke, der bereit ist, seinenUrlaub im Berchtesgadener Land zu verbringen. 1 000 Ki-lometer hin, 1 000 Kilometer zurück und ein paar Kilome-ter dazwischen ergeben einen Spritverbrauch von etwa200 Litern. Mit der Ökosteuer ziehen Sie dem Bürger200 mal 15 Cent aus der Tasche. Das sind sechs gute Mit-tagessen, die Sie dem Bürger nicht gönnen.IdsmMkttwdBacrngsjgzawdasBmgvzGgeflThdfIrdsw
n diesem Zusammenhang erteile ich der von verschie-ener Seite geforderten PKW-Maut eine Absage, weilie weitere Umsatzeinbrüche beim Gastronomiegewerbeit sich brächte.Eine Bemerkung zur Bustouristik: Verehrter Herrinister Clement, Sie haben dieses Thema hier nur ganznapp abgehandelt, obwohl 6 000 mittelständische Un-ernehmen mit über 65 000 Beschäftigten im Bustouris-ikgewerbe tätig sind. Gerade in der jetzigen Zeit ist esichtig, ein Bekenntnis zur Bustouristik abzulegen, weiler Bus nach wie vor das sicherste Verkehrsmittel in derundesrepublik Deutschland ist; er ist 62-mal sichererls das Auto.An dieser Stelle muss ich auch die Bürokratie anspre-hen. Es passt nicht zusammen, meine Damen und Her-en, wenn ewig von Bürokratieabbau gesprochen, aberichts getan wird. 5 000 Gesetze und 85 000 Verordnun-en machen insbesondere der Tourismuswirtschaft zuchaffen. Es ist doch ein Ding der Unmöglichkeit, dassemand, der in einem Hotel unter Kopfweh leidet, auf-rund des deutschen Arzneimittelrechts von der Hotelre-eption keine Kopfschmerztablette bekommen kann undn die nächste Apotheke, die ein paar Kilometer entferntird, verwiesen werden muss. Hier sind wir alle gefor-ert, etwas zu unternehmen.
Deutschland ist Messeplatz Nummer eins. Zwei Drittelller internationalen Messen finden hier statt. Zusammenind hier 220 000 Aussteller betroffen, die 17 Millionenesucher anlocken. Wir müssen für den Messetourismusehr tun, um unseren Rang, wichtigster Messeplatz deranzen Welt zu sein, behalten zu können. Dies geht nichton selbst; vielmehr ist es erforderlich, das Notwendigeu tun.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.erade die mittelständische Tourismuswirtschaft ist aufünstige Rahmenbedingungen wie zu verkraftende Steu-rn, Arbeitsmarktflexibilität, zügige Genehmigungsver-ahren, weniger Bürokratie, eine ergänzende Ferienrege-ung usw. angewiesen. Wir dürfen nicht nur über denourismus reden, sondern müssen auch entsprechendandeln. Es ist das Gebot der Stunde, dass wir seitenser Politik die vernünftigen Rahmenbedingungen schaf-en.
ch fordere uns alle, insbesondere aber die Bundesregie-ung, vertreten durch Sie, Herr Minister Clement, auf,as Notwendige zu tun, damit dieser wichtige Wirt-chaftszweig auch in der Bundesrepublik Deutschlandieder richtig in Schwung kommt.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Ich erteile das Wort der Kollegin Undine Kurth,Bündnis 90/Die Grünen.Undine Kurth (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren auf den Besucherrängen! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Im Bericht der Bundesregierung sind eineMenge Zahlen genannt worden; im Entschließungsan-trag der FDP sind sie wiederholt worden und auch HerrHinsken hat sich eben zum Teil auf sie berufen. DieseZahlen belegen, einen welch wichtigen Wirtschaftsfak-tor die Tourismuswirtschaft in unserem Lande darstellt.Sie, Herr Minister, haben dankenswerterweise sehr klarformuliert, dass der Tourismus zu den Schwergewichtenunserer Volkswirtschaft gehört und dass die Bundesre-gierung diesen Wirtschaftszweig sehr ernst nimmt.Herr Hinsken, ich kann nicht recht verstehen, warumSie diesen Wirtschaftszweig und seine momentanenChancen schlechtreden.
Ich werde Ihnen eine Zeitung überreichen,
der man nicht nachsagen kann, dass sie den Grünen oderRot-Grün besonders freundlich gesonnen ist. Diese Zei-tung schreibt auf der Titelseite: Reisebranche kann hof-fen, Umsatzplus von 5 Prozent möglich.
Ich glaube nicht, dass ein Wirtschaftszweig so etwas ver-künden würde, wenn er diese Hoffnung nicht hätte. In al-ler Regel neigt man doch dazu, eher zu klagen und vieleÄnderungen zu fordern.
Ich kann wirklich nicht verstehen, wie Sie diese Zahlenheranziehen konnten, um eine Branche, die für unserLand wichtig ist, schlechtzureden.Reisen ist unbestritten eine der schönsten Seiten desLebens und obwohl der Tourismussektor nicht nur ausUrlaubsreisen besteht, sind Fernweh und Urlaubswunschdie wichtigsten Impulse, um diesen zu einem führendenund schnell wachsenden Wirtschaftszweig weltweit zumachen. Gleichzeitig müssen wir aber auch zur Kenntnisnehmen: Der Tourismus ist ein sehr anfälliger Wirt-schaftszweig, der auch Zufällen unterworfen ist. Politi-sche Unruhen, Terroranschläge, spektakuläre Entführun-gen, Krankheiten wie SARS, Naturkatastrophen in denZielregionen, aber auch konjunkturelle Schwankungenin den Herkunftsländern der Touristen können die Nach-frage nach einem Reiseland in kürzester Zeit zusammen-brechen lassen. Die starken Konkurrenzen unter deneinzelnen Reiseländern und ihre zunehmende Aus-tauschbauten machen die Situation zusätzlich schwierigudrmdNgDGiszliVtodgdvbBf7ndmddaddurDjäWRddwzTndgHsrnbGa
Aber auch international haben wir deutliche Anstren-ungen unternommen, um die Zukunftsfähigkeit, alsoie Nachhaltigkeit des Tourismus – auch ich möchte dasiel bemühte Wort verwenden – zu sichern. Ich nenneeispielhaft den im Herbst 2002 mit Unterstützung derundesregierung überarbeiteten Entwurf der Richtlinieür Tourismus und Biodiversität, der jetzt der. Vertragsstaatenkonferenz mit der Empfehlung zur An-ahme vorliegt. Der Entwurf ist eine Art Leitfaden fürie Tourismusentwicklung. Er bezieht sich auf alle For-en und Aktivitäten des Tourismus, sowohl auf den tra-itionellen konservativen Massentourismus als auch aufen Ökotourismus. Darüber hinaus bezieht er sich auflle geographischen Regionen.Wir beweisen mit solchen Aktivitäten, dass wir unser ökologischen Konsequenzen des Tourismus und deraraus resultierenden Aufgaben sehr wohl bewusst sindnd auch handeln wollen. Wir alle wissen: Für den Tou-ismus ist intakte Natur ein überaus wichtiger Faktor.ie von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisenhrlich durchgeführte Reiseanalyse bestätigt, dass derunsch, Natur zu erleben, zu einem der wichtigsteneisemotive der Deutschen zählt. Fakt ist aber auch,ass der Tourismus in erheblichem Maße zu den vorhan-enen Umweltproblemen beiträgt.Ich meine damit zum Beispiel seine allgemeinen Aus-irkungen auf das Klima; sie stellen den direkten Bezugur Ökosteuer her. Der von Deutschland ausgehendeourismus verursachte 1999 mehr als 75 Millionen Ton-en Treibhausgasemissionen. Die chemische Industrie,ie allgemein zu den großen Emittenten zählt, hat imleichen Zeitraum 37,5 Millionen Tonnen, also dieälfte, emittiert. Ich glaube, das verdeutlicht die Dimen-ion des Problems, vor dem wir stehen.80 Prozent der Treibhausgase, die aus dem Tourismusesultieren, verursacht der Flugverkehr. Wenn die Prog-osen der Reiseanalysen zutreffen, wird sich dieses Pro-lem in Zukunft noch verschärfen. Auch aus diesemrund werden wir Bemühungen, attraktive Urlaubs-ngebote in Deutschland zu schaffen, unterstützen.
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5894 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Undine Kurth
Uns ist aber klar: Auch wer nicht das Flugzeug nutzt,muss nicht unbedingt „sündenfrei“ reisen. Immer nochwerden 70 Prozent der inländischen Urlaubsreisen– diese Zahl liegt mir vor – mit dem Auto angetreten,nicht einmal 20 Prozent der Gäste reisen mit der Bahn.Das kann man nicht als Erfolg verkaufen. Wenn es unsgelingt, attraktive und zuverlässige Serviceangebote zumachen, schaffen wir es vielleicht, mehr Kunden zurBahn zu bringen. Herr Klimke könnte dann eventuell dieBahn nutzen und sich ein Essen mehr leisten. Damitwäre doch allen geholfen.
– Das Fahrrad wäre noch eine wunderbare Ergänzung.Es ist in unser aller Interesse, wenn wir nicht in ersterLinie daran denken, den Urlaub mit dem Auto billiger zumachen, sondern überlegen, ob es andere Möglichkeitengibt, den Urlaubsort bequem, gut und zuverlässig zu er-reichen. Schließlich bleibt das nahezu sprichwörtlicheÖkogewissen der Deutschen auch im Urlaub erhalten.84 Prozent der Deutschen legen Wert auf umweltfreund-liches Verhalten im Urlaub. Deshalb war es richtig, dieDachmarke Viabono für umweltorientierte touristischeAngebote zu entwickeln. Sie bietet Verbraucherinnenund Verbrauchern in Bezug auf natur- und umweltver-trägliche touristische Angebote eine einfache Entschei-dungshilfe.Ich appelliere von dieser Stelle aus noch einmal analle Hoteliers, Gastronomen, Betreiber von Bauernhö-fen, Campingplätzen, Naturparks und Heilbädern sowiean die Kommunen: Sie alle sollten überlegen, ob siediese Dachmarke nicht der Natur und ihren Gästen zu-liebe sowie zu ihrem eigenen Vorteil nutzen.
Die ostdeutschen Länder können hiervon besonders pro-fitieren. Hier entstanden in den letzten Jahren durch För-derungen und sehr viel Eigeninitiative zahlreiche neue,moderne touristische Angebote, die sich für eine Verbin-dung mit Viabono geradezu anbieten.Die zur Überweisung anstehenden Anträge will ichangesichts der Kürze der Zeit nicht im Einzelnen behan-deln. Wir haben dazu in den Ausschüssen sicherlich aus-giebig Zeit. Ich möchte nur eines versichern: Wir werdensinnvolle Vorschläge nicht ignorieren, billige Polemikaber freundlich zurückweisen.Ich möchte noch etwas anderes ansprechen, wofürsich die Vielschichtigkeit der eben erwähnten Anträgegut als Beispiel eignet: Hätten wir jetzt ausreichend Zeit,würden wir über Geschäftsreisen, die Ferienregelungenund über den Wassertourismus debattieren, und das si-cher auch zu Recht. Das sind jeweils Aspekte des Tou-rismus, die erheblich in andere Politikfelder hineinrei-chen und die klar machen: Tourismus ist eineQuerschnittsaufgabe. Querschnitt sollte aber nicht hei-ßen: Jeder macht irgendetwas, alle machen es gleichzei-tig, aber keiner hat den Überblick.Isdnvrdlggid–MtebdwndbelizkFghDdahSwdrrDrg
Es freut mich, dass Sie applaudieren, dass wir da einereinung sind.Eine Bündelung der Ressourcen und der Verantwor-ung im eigentlich zuständigen Wirtschaftsministeriumrscheint mir nicht nur sinnvoll, sondern auch erstre-enswert. Ich weiß, dass dazu Umstrukturierungen erfor-erlich sind, und ich weiß, dass das nicht einfach seinird. Das kann aber nicht dazu führen, dass man eine alsotwendig erachtete Aufgabe nicht angeht. Ich glaube,ass wir gemeinsam versuchen sollten, auf diesem Ge-iet etwas zu erreichen, um die vielen guten Ansätze, dies bereits gibt, weiterzuführen und um für diesen wirk-ch wichtigen Wirtschaftszweig in unserem Land etwasu erreichen.Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksam-eit.
Ich erteile dem Kollegen Ernst Burgbacher, FDP-
raktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-en! Ich glaube, die Ausgangsbasis dessen, worüber wireute reden, ist tatsächlich ziemlich kompliziert.
er weltweite Tourismus hat eine große Krise, bedingturch den 11. September 2001, den Irakkrieg, SARS undndere Dinge, hinter sich. Im Augenblick gibt es An-altspunkte dafür, dass es uns gelingt, diese Krise eintück weit zu überwinden. Das bezieht sich aber leidereniger auf die Binnennachfrage. Von daher erfordertie Situation eine sehr differenzierte Betrachtungsweise.Es gibt einige Bereiche, die mir wirklich Sorgen be-eiten. Das ist zunächst der Hotel- und Gaststättenbe-eich, der für mich die Basis jeglichen Tourismus ineutschland ist. Wenn es im Hotel- und Gaststättenbe-eich nicht stimmt, brauchen wir über den Tourismus ei-entlich nicht zu reden.
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Ernst BurgbacherWir müssen zusehen – die Entwicklungen in diesemPunkt betrachte ich mit großer Sorge –, dass sich die Er-tragslage bei den Betrieben wieder so entwickelt, dasssie investieren können. Denn sonst werden sie die Quali-tät nicht bieten können, die sie bieten müssen.
Auch bei den Reisebüros ist die Situation schwierig.In dieser Branche gab es, wie wir wissen, eine Krise, dieweiterhin besteht. Niemand weiß im Augenblick, wiesich die Veränderungen bei der Buchung von Pauschal-reisen – ich nenne nur das Internet – und andere Verän-derungen auf die Reisebüros auswirken werden. Auch indieser Branche stehen viele Tausende von Arbeitsplätzenauf dem Spiel.Es gibt etwas, um das wir, Herr Minister, uns wirklichnoch einmal kümmern müssen, nämlich um die Ferien-regelung. Wir alle miteinander hatten bei der Ferienre-gelung ja schon einen Erfolg erzielt. Aber die Erfahrungin diesem Jahr hat gezeigt, dass das nicht ausreicht. Wirmüssen dieses Thema noch einmal problematisieren undversuchen, die Gesamtzeit etwas auszuweiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird viel Kriti-sches in dieser Zeit gesagt. Lassen Sie mich deswegenauch einmal ein paar lobende Worte sagen. Ich möchtedie leistungsfähige Abteilung Tourismus im Bundesmi-nisterium für Wirtschaft und Arbeit mit ihren hoch enga-gierten Mitarbeitern loben.
Ich bitte Sie, Herr Minister, dieses Lob weiterzugeben.Hier wird hervorragende Arbeit geleistet. Das wissenwir aus unserer Ausschussarbeit.Ich möchte auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegender anderen Fraktionen im Tourismusausschuss, loben.Vieles haben wir gemeinsam versucht. Manches ist unsnicht ganz gelungen. In manchen Fragen sind wir poli-tisch weit auseinander. In manchen Punkten haben Sieleider in der eigenen Fraktion keine Mehrheit gefun-den. – Schade.
Einiges aber ist uns gemeinsam gelungen: Ich freuemich nach wie vor, dass wir es vor allem auf intensivenDruck der FDP in der letzten Legislaturperiode geschaffthaben, dass das Haus einstimmig die Trinkgeldbesteue-rung abgeschafft und damit ein deutliches Zeichen ge-setzt hat.
Ich freue mich, dass wir im Bereich der touristischen Be-schilderung wenigstens einen kleinen Schritt weiterge-kommen sind, auch wenn wir, liebe Kollegin Faße, erheb-lich mehr gewollt haben. Zumindest dieser kleine Schrittist uns aber gelungen. Gemeinsam haben wir Einiges fürdas Schaustellergewerbe in Deutschland getan.enJmJcdBsgmTtdBKnkAdbDWAcgtdwbRifvtGch
Auf anderen Gebieten allerdings waren wir wenigerrfolgreich. Vier Jahre lang haben wir gegen die unsin-ige Rücknahme der 630-Mark-Regelung gekämpft.etzt haben wir eine solche Regelung wieder, zwar mitehr Bürokratie, aber immerhin haben Sie nach fünfahren gelernt. Es ist ein Befreiungsschlag für die Bran-he, dass es jetzt wenigstens die Minijobs gibt. Wenn Sieas fünf Jahre vorher nicht abgeschafft hätten, wäre dieranche heute in einer viel besseren Lage.
Ich sage auch Lob für den Haushalt, was die Deut-che Zentrale für Tourismus anbetrifft. Ich finde esut, dass es gelungen ist, die Mittel dafür zu erhöhen. Ichöchte an dieser Stelle aber auch sagen: Was gestern imourismusausschuss geschehen ist, kann ich nicht mit-ragen. Bei einem Haushaltstitel wurden 100 000 Euroraufgelegt, danach wurden 200 000 Euro in manchenereichen bei drei Organisationen zweckgebunden fürlientel der Grünen. Diese Klientelpolitik werden wiricht mitmachen.
Es gibt Bereiche, bei denen wir leider nicht weiterge-ommen sind: bei den Sperrzeiten insbesondere für dieußengastronomie und beim Jugendarbeitsschutzgesetz;as wird sich vielleicht heut Mittag noch zeigen.Es gibt Vieles, was nach wie vor zu tun ist. Einiges istesonders wichtig.
azu zählt die Förderung des barrierefreien Tourismus.ir haben in der letzten Legislaturperiode eine Großenfrage dazu gestellt. Daraus müssen wir jetzt etwas ma-hen. Wir haben einen Antrag zum Wassertourismus vor-elegt. Ich will dem Kollegen Hinsken beim Thema Bus-ourismus ausdrücklich zustimmen: Es kann nicht sein,ass der Bustourismus durch ungerechtfertigte Wettbe-erbsverzerrungen, zum Beispiel durch die Ökosteuer,enachteiligt ist. Das werden wir immer anmahnen.
Bei allen positiven Zeichen: Tourismuspolitik vonot-Grün ist nach wie vor ideologisch zu verbrämt. Siest viel zu mutlos. Die Rahmenbedingungen sind völligalsch gesetzt. Hierzu gibt es übrigens ein schönes Zitaton Wilhelm Busch: Froh schlägt das Herz im Reisekit-el, vorausgesetzt man hat die Mittel.
enau das ist das Problem.Ich möchte Ihnen einen Satz aus einem vor zwei Wo-hen erschienenen Prognos-Gutachten zitieren. Dorteißt es:Die Reiseausgaben der Deutschen stiegen in den90er-Jahren kontinuierlich, stagnierten 2001 und
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Ernst Burgbachersanken 2002 und 2003 geringfügig. Damit wurdeder mit 25 Prozent Marktanteil wichtigste europäi-sche Quellmarkt ähnlich stark von exogenen Markt-entwicklungen betroffen wie andere Quellmärkte.Die gegenwärtige Entwicklung in Deutschland wirddabei von „hausgemachten“ wirtschaftlichen Hemm-nissen stärker tangiert als die Entwicklung in denmeisten anderen europäischen Staaten, die bereitswieder auf Wachstum eingeschwenkt sind.Herr Minister, hier wird deutlich gesagt: Sie tragen dieVerantwortung dafür, dass es uns im Gegensatz zu allunseren Nachbarn nicht gelingt, beim Tourismus wiederaus dem Tief herauszukommen, und dass die Nachfrage-flaute bei uns nach wie vor bestimmend ist. Das müssenSie auf Ihre Kappe nehmen.
Sie haben es nicht geschafft, Bürokratie abzubauen.Die FDP hat die Aktion „Bürokratie abbauen – Wir ma-chen es einfacher“ gestartet. Wir haben jede Woche ei-nen konkreten Vorschlag für Bürokratieabbau gemacht.Leider haben Sie so gut wie keinem zugestimmt. Wir er-warten, dass Sie endlich nicht nur reden, sondern auchhandeln.
Sie haben nicht dereguliert, sondern mehr reguliert.Vor allem bei den Reformen im Arbeitsrecht, die fürdas Gewerbe wichtig sind, sind sie total blind. Wenn wiran das Arbeitsrecht nicht herangehen, werden wir dieProbleme dieser Branche nicht lösen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss im Bild des Tourismus bleiben: Die Regierungnimmt uns seit 1998 auf eine Abenteuerreise mit. Dabeigab es durchaus einige schöne Strecken; das sei zugege-ben. Insgesamt war es jedoch eine Abenteuerreise. DieReisenden wollen aber etwas anderes. Herr Minister, siewollen das Ziel kennen und wissen, wohin es geht. Dasist das Entscheidende. Die Reisenden wollen auch wis-sen, wie lang eine solche Reise dauern wird.
Sie lassen sich nicht ewig auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten. Es muss ja keine Pauschalreise sein, beider alles vorbestimmt ist. Die Reisenden sind sehr wohlbereit, auch einmal steile Berge zu überqueren und Bau-stellen in Kauf zu nehmen.
Sie wollen dann aber auch wissen, dass sie nach einerabschätzbaren Zeit an dem richtigen Ziel ankommen.Genau das ist Ihr Problem: Weder Zeit noch Ziel sind be-kannt. Deshalb wäre es die beste Maßnahme für denDeutschlandtourismus, wenn wir der Regierung eineFrdKlmnasitIaddudTEwnDTssbbtsmrds
Ich erteile Kollegin Brunhilde Irber, SPD-Fraktion,
as Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undollegen! Dies ist eine Sternstunde für die Tourismuspo-itiker des Deutschen Bundestages, weil wir den touris-uspolitischen Bericht in der Kernzeit debattieren kön-en. Das freut uns und ist der Bedeutung des Tourismusngemessen.
Wir danken der Bundesregierung für diesen sehr aus-agekräftigen Bericht,
n dem erstmals auch der Gender-Gedanke berücksich-igt wird.
n dem Bericht wird der Tourismus unter anderem auchls Wirtschaftsfaktor behandelt. Minister Clement haties soeben sehr ausführlich dargelegt. Deshalb kann icharauf verzichten.Ich möchte hier heute auf die Rolle des Parlamentsnd insbesondere auf die der Regierungsfraktionen füren Tourismus in Deutschland ausführlicher eingehen.Unser Bestreben war und ist es, den Stellenwert desourismus für Wachstum und Beschäftigung bei denntscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft ins Be-usstsein zu bringen. Deshalb kann es als Erfolg bezeich-et werden, dass es gelungen ist, bei den Fraktionen deseutschen Bundestages mehr Aufgeschlossenheit fürourismusthemen zu erzielen, was auch durch gemein-chaftliche Anhörungen mit verschiedenen anderen Aus-chüssen zum Ausdruck kommt. Dafür möchte ich michei den Kolleginnen und Kollegen bedanken.
Erfreulich ist auch, dass der Tourismus nun als Fach-ereich beim Deutschen Industrie- und Handelskammer-ag und beim BDI etabliert ist. Wir erhoffen uns hiervontarke Wachstumsimpulse für den Deutschlandtouris-us.Eine Erfolgsstory ist auch das von der Bundesregie-ung initiierte länderübergreifende Inlandsmarketingurch die Deutsche Zentrale für Tourismus, das nuneit drei Jahren besteht und das sich insbesondere bei der
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Brunhilde IrberHochwasserkatastrophe im letzten Jahr als Instrumentfür die betroffenen Regionen positiv ausgewirkt hat. Ichhoffe, dass es diese Zusammenarbeit auch über 2006 hi-naus geben wird.Ein Blick zurück sei mir dennoch erlaubt. Zur Zeitunserer Regierungsübernahme war die touristische Situ-ation von Stagnation und rückläufigen Zahlen geprägt.
– Nein, Herr Vorsitzender, so ist es nicht. Wenn Sie sichdie Zahlen anschauen, dann werden Sie eines Besserenbelehrt werden.
In Ihrer Regierungszeit hatten Sie geplant, die Mittelfür die Deutsche Zentrale für Tourismus um 11 Millio-nen DM – damals haben wir noch in D-Mark gerechnet –auf 25 Millionen DM zu kürzen. Dies wäre ein Kahl-schlag gewesen.
Das haben wir aufgrund der Änderung der Mehrheitsver-hältnisse in diesem Haus stoppen können.
Wir haben den Haushaltsansatz für die Deutsche Zen-trale für Tourismus von einstmals 25 Millionen DM, dieSie angepeilt hatten, im Jahre 2004 auf 24,474 MillionenEuro erhöht.
Damit haben wir das Ergebnis im Vergleich zu Ihnen fastverdoppelt.
Unter anderem der guten Arbeit der DZT ist es zu ver-danken, dass wir im Jahre 2002 fast 38 Millionen Über-nachtungen von Ausländern in Deutschland hatten. Hierzunur ein Zahlenvergleich: Von 1998 bis zum Jahr 2002 hatsich die Zahl der Übernachtungen in Deutschland trotzSARS, trotz des Irakkriegs, trotz der Ereignisse vom11. September 2001 insgesamt um 24 Millionen erhöht.Dies ist ein Faktum, das Sie nicht wegdiskutieren können.
– Das sind die insgesamt getätigten Übernachtungen inDeutschland. Nur das ist eine aussagekräftige Zahl.
Die Maßnahmen der DZT geben der Branche vielfa-che Wachstumsimpulse. Dadurch werden zielgerichtetPotenziale für den Deutschlandtourismus erschlossen.Ich möchte mich deshalb auch bei Frau Schörcher vonder Deutschen Zentrale für Tourismus und ihren Mitar-beiterinnen und Mitarbeitern bedanken.
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Die aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtesestätigen dies. Nach der Statistiknovelle, die wir ange-egt haben und nach der seit Januar dieses Jahres erst-als die Zimmerauslastung erfasst wird, ist die Auslas-ng der Zimmer im ersten Halbjahr kontinuierlich von7 Prozent im Januar auf 43 Prozent im Juli gestiegen.ie strafen sich also Lügen mit Ihren Aussagen, die Sieier getroffen haben.
nsgesamt kommt man damit für das erste Halbjahr aufine Auslastung von 37 Prozent, bei den Hotels auf mehrls 40 Prozent. Das ist mehr, als in Ihrer Regierungszeitu verzeichnen war.
Von Januar bis August wurden 234 Millionen Gäste-bernachtungen gezählt; das entspricht in etwa dem Vor-hresergebnis. Die Zahl der Gästeübernachtungen imugust ist im Vergleich zu dem entsprechenden Vorjah-esmonat um 6 Prozent bzw. zum Juli dieses Jahres umProzent höher.
er Auslandstourismus hat im August sogar umProzent zugenommen. – Aber ich möchte mich jetzticht weiter mit Zahlen aufhalten.Deutschland ist ein sicheres Reiseland. Deshalb ent-cheiden sich viele Gäste, zu uns zu kommen. Die Bun-esregierung hat in der Zeit nach dem 11. September001 und den vielen anderen Ereignissen mit umfangrei-hen Sicherheitsmaßnahmen dafür gesorgt, dass unserand ein sicheres Reiseland bleibt.Deutschland hat von der Ferienwohnung bis zumünf-Sterne-Hotel gute Unterkünfte, eine gute Küche,östliche Weine und ein gutes Bier, das sich internatio-al messen lassen kann.
eutschland hat ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.ir sind zwar bei den Dienstleistungen bestimmt nocheine Weltmeister, aber wir stärken Qualität durch ver-chiedene Modellprojekte, die der Bund finanziert hat.amit kommen wir dem Ziel „Der Kunde ist König“ nä-er. Deshalb gilt mein Dank allen Dienstleistern im Tou-ismus.
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Brunhilde IrberIn der vergangenen Legislaturperiode haben wir dieTrinkgeldbesteuerung abgeschafft.
– Dass dies auf Initiative der FDP geschah, ist ein Mär-chen. Aber die FDP hat uns dabei unterstützt.
Dadurch haben wir die Beschäftigten im Hotel- undGaststättengewerbe motiviert, höchste Leistungen zu er-bringen. Dies gilt auch für die Betriebsrente, die durchdie Zusammenarbeit der Gewerkschaft Nahrung-Ge-nuss-Gaststätten und des DEHOGA eingeführt wurde.Auf die Mehrwertsteuer will ich nicht mehr eingehen.Da befinden wir uns in Europa in einem guten Mittel-feld. Diese Sache ist es nicht wert, dass man sich damitnoch einmal auseinander setzt; das alles haben wir schonlängst abgehandelt.Deutschland hat vielfältige attraktive touristische An-gebote und eine gute Verkehrsinfrastruktur, die durchden Bundesverkehrswegeplan noch einmal verbessertwerden wird. Deshalb kommen viele ausländische Gästezu uns. China wurde schon erwähnt.
Deutschland hat ein interessantes Kulturangebot.Gerade Ostdeutschland hat die Chance, im Tourismusweiter voranzukommen. Leider wird hierzu im Berichtnichts ausgeführt. Wir werden in einer gemeinsamenAnhörung mit dem Kulturausschuss entsprechende Ak-zente setzen.Deutschland hat – Frau Kollegin Kurth hat es schonangesprochen – viel Natur zu bieten. Familienurlaub inDeutschland wird unser nächstes Thema sein. Ich freuemich, dass wir mit unserem Antrag im Sommer diesesJahres gerade im Bereich des barrierefreien TourismusSchwerpunkte gesetzt haben.Ich sehe, dass meine Zeit abläuft.
Es ist doch nur Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss. – In Deutschland wird sich
das Freizeitverhalten verändern. Deshalb erwarten wir
uns von der von uns in Auftrag gegebenen Herbststudie
„Zukunftstrends im Tourismus“ neue Grundlagen für die
Tourismuspolitik und die Branche. Ich denke, dass wir
diese Klientel im Sinne von mehr Wachstum und Be-
schäftigung stärken können.
Qualität und Qualitätssteigerung, das ist der rote Fa-
den, der sich durch unsere Politik zieht. Nur mit Qualität
werden wir uns auf dem heiß umkämpften Markt be-
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Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Klimke, CDU/
SU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Stu-ieren des Berichtes, aber auch während der einführen-en Worte von Minister Clement bin ich bisweilen anen Katalog eines unseriösen Reiseanbieters erinnertorden, gegen den wir als Bürger und Politiker immerettern.
arin wird ein Zimmer mit Meerblick versprochen, aberas Meer liegt 20 Minuten zu Fuß entfernt.Man kann Ihnen nur den Abschluss einer Schadens-rsatzversicherung empfehlen; denn der Bericht formu-iert Ziele, die nicht erreicht werden können. Es handeltich um Scheinangebote. Ich darf das an vier Beispielenelegen.Ein Beispiel haben wir angesprochen – im Berichtird es nicht erwähnt, Herr Minister –, nämlich die Situ-tion der Geschäftsreisenden. Dieses Reisesegmentird von der Bundesregierung ignoriert. Dabei geht esm 10 Millionen Geschäftsreisende, von denen jeder2 Reisen im Jahr unternimmt. Das sind 50 Milliardenuro Umsatz im Jahr. Das ist fast ein Drittel des Ge-amtumsatzes.
Hinzu kommt noch Folgendes: Im Gegensatz zu denrlaubsreisen, bei denen drei Viertel des Geldes im Aus-and ausgegeben werden, bleiben 70 Prozent des Geldes,ür Geschäftsreisen im Inland. Somit schaffen und si-hern Geschäftsreisen bundesweit ganzjährig Arbeits-lätze, die direkt oder indirekt von diesen Ausgaben ab-ängig sind. Das muss immer wieder deutlich gemachterden.Aber trotz vollmundiger Versprechen, die wir vorhinoch einmal gehört haben, nämlich dieses Marktsegmentu fördern, wird nichts getan. Es heißt in dem Bericht:Darüber hinaus profitiert die Tourismuswirtschaft vonen allgemeinen wirtschaftspolitischen Initiativen derundesregierung, …“
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Jürgen KlimkeDas ist schlicht und einfach eine Drohung für den Tou-rismus.
Schauen Sie sich unseren Antrag an, was die Ge-schäftsreisen betrifft! Richten Sie die Auslandswerbungüber die DZT stärker auf Geschäftsreisen aus! WerDeutschland beruflich besucht, der kommt auch spätersicherlich mit seiner Familie hierher. Hier besteht alsoZuwachspotenzial.
Reduzieren Sie die Bürokratie – das ist ein wichtigesThema, das wir hier immer wieder angesprochenhaben – durch eine Vereinfachung der steuerlichen Be-handlung von Bewirtungs-, Hotel- und Mietwagenbele-gen! Das alles ist im Moment fürchterlich bürokratisch.Ich weiß das. Ermöglichen Sie bessere Ausbildungs-möglichkeiten für Spezialisten im Bereich der Ge-schäftsreisen und professionalisieren Sie dieses Arbeits-platzpotenzial! Denn auch hier ist der Tourismus eineJobmaschine. Weitere Anregungen, Herr Minister, kön-nen Sie unserem Antrag entnehmen.Mein zweiter Punkt betrifft das Defizit beim Haupt-stadtmarketing. Im gesamten Bericht findet sich keinWort dazu.
Ich fordere: Berlin muss als deutsche Hauptstadt touris-tisch endlich in der ersten Liga spielen,
genauso wie Rom, London, Paris oder auch New York,obwohl Letzteres nicht Hauptstadt ist.
Die Bundesregierung aber sagt: Das sollen andere ma-chen, zum Beispiel die Berlin Tourismus MarketingGmbH, bei der wir gestern gewesen sind und die ihreArbeit im Übrigen hervorragend macht. Aber Berlin istfast pleite und hat kein Geld. Zu sagen: „Andere sollendie Arbeit machen“ reicht nicht. Was Berlin fehlt, ist einNetzwerk von Land, Bund und Tourismuswirtschaft.
Dass eine solche Symbiose funktioniert, zeigt dasBeispiel Hamburg. Ich will mich hier nicht dem Ver-dacht aussetzen, meine hanseatische Eitelkeit zu befrie-digen, aber der Erfolg spricht für sich. Dieses Jahr wirdin Hamburg die Zahl der Besucher auf 5 Millionen stei-gen. Hamburg hat als einzige Region in Deutschland mit6 Prozent einen starken Zuwachs, während die Zahlenfür Gesamtdeutschland um 4 Prozent zurückgegangensind. Das muss doch Gründe haben. Es wird auf dieMusicals verwiesen, aber das Entscheidende ist das sogenannte One-Stop-Shopping, das heißt: Alles aus einerHand. So wird die Hamburger Tourismuszentrale vonden wichtigsten Interessenvertretern der Stadt mitgestal-tzwdcuBwGfddhpHsgCehgIitMCdts–üBemblalTAsf
ier stärker zu kooperieren und Berlin stärker als Haupt-tadt zu vermarkten ist eine ganz wichtige Sache,
erade jetzt, wo die EU-Osterweiterung Berlin großehancen bietet, sich stärker als das Zentrum in Mittel-uropa zu profilieren.Das dritte Beispiel ist die Ostseekooperation. Auchier verliert sich die Bundesregierung in Ankündigun-en. Es gebe keine einheitliche Linie, kein einheitlichesmage, beklagte sie. Wird sie jedoch aktiv? – Nein.
Um in der Ostseepolitik Profil zu zeigen, muss auchn dieser Frage eine Zusammenarbeit der Anrainerstaa-en notwendig werden. Es gilt auch hier, die Ostsee alsarke zu verkaufen. In Brüssel gibt es den so genanntenlub Méditerranée. In ihm sind all diejenigen vertreten,ie ein Interesse am Mittelmeer und an dessen Vermark-ung haben. Deutschland liegt aber nicht am Mittelmeer,ondern an der Ostsee.
An der Nordsee, aber auch an der Ostsee. Ich rede jetztber die Ostsee.Schaffen wir doch einen Club Mare Balticum, zumeispiel unter Einbindung der Russen! Damit hätten wirin geeignetes Instrument, um europäischen Belangenehr Aufmerksamkeit zu sichern.
Tourismus darf, wie wir wissen, nicht nur auf Europaeschränkt sein. Auch die Entwicklungsländer sind einohnendes Ziel. In diesem Zusammenhang müssen aberuch Themen wie Ausbeutung, soziokulturelle und öko-ogische Beeinträchtigung, mangelnde Sicherheit fürouristen und – das ist besonders tragisch – die sexuelleusbeutung von Kindern berücksichtigt werden. An die-er Stelle ist der Bericht der Bundesregierung sehr aus-ührlich.
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Jürgen KlimkeWir unterstützen wirkungsvolle Maßnahmen zumSchutz von Kindern. Bei dieser Form der Ausbeutunghandelt es sich nicht um Kavaliersdelikte. Es sind viel-mehr Straftatbestände, die auch in der Bundesrepublikkonsequent verfolgt werden müssen.Ansonsten gilt: Internationaler Tourismus kann nurfunktionieren, wenn er nachhaltig und langfristig ist,wenn die lokalen Wirtschaftssysteme integriert werdenund die Bevölkerung vor Ort in die Planung und Reali-sierung von Projekten einbezogen wird.
Kollege Klimke, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich darf
das Bild des Reisekatalogs, das ich zu Beginn meiner
Rede erwähnt habe, noch einmal aufgreifen. Der Bericht
enthält viele Scheinangebote, ein paar Ankündigungen,
Lockangebote und vielleicht einige Ausrufungszeichen.
Aber der Tourismus als Jobmaschine ist viel zu wenig
berücksichtigt worden.
Herzlichen Dank.
Ich erteile der Kollegin Annette Faße, SPD-Fraktion,
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Polemik und Schlechtreden helfen der Branchenicht.
Was Sie heute Morgen betreiben, wird keinen Boom undAufwuchs bringen. Die Menschen werden vielmehr sa-gen: Mein Gott, warum soll ich eigentlich in Deutsch-land Urlaub machen?Die Bundesregierung hat einen hervorragenden Be-richt vorgelegt, in dem hervorragende Zukunftsperspek-tiven dargestellt werden. Ich möchte allen Menschen, dieuns heute zuhören, Mut machen: Urlaub in Deutschlandlohnt sich!
Ich möchte zu einem speziellen Bereich des Touris-mus Stellung nehmen, und zwar zum Wassertourismus.Wassersport und Tourismus auf unseren Wasserstraßenhaben seit 1990 stark an Bedeutung gewonnen. Aufdiese Entwicklung hat die Bundesregierung umgehendrWcühNwReEz–gvlsdksUüsköBfRwiäs–deVaCSnsrLmL
Ja, auch unter Wasser. Manchmal würde ich auch Sieanz gern einmal unter Wasser sehen, Herr Hinsken.
Die Wassersportwirtschaft nimmt mit einem Umsatzon 1,7 Milliarden Euro eine gute Position ein. Die Zah-en sprechen für sich. Wir haben erkannt, dass sich die-er Wirtschaftszweig zu entwickeln lohnt und dass iniesem Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen werdenönnen.
Die rot-grüne Bundesregierung wird dieses touristi-che Marktsegment weiter fördern. Für Bau, Betrieb undnterhaltung der Wasserstraßen wenden wir jährlichber 1 Milliarde Euro auf. In der Erschließung histori-cher und romantischer Kanäle liegen weitere Möglich-eiten. Ein gutes Beispiel dafür ist der Finowkanal nord-stlich von Berlin, der gemeinsam mit dem Landrandenburg für den Wassersport erschlossen wird.Die zunehmende Nutzung unserer Wasserstraßen er-ordert allerdings auch angemessene Regelungen. Ohneegeln geht es nicht; zu viele allderdings behindern dieirtschaftliche Entwicklung. An dieser Stelle möchtech als Beispiel dafür, dass wir bereits Regelungen ver-ndert bzw. gestrichen haben, den so genannten Charter-chein nennen, den die Bundesregierung im Jahr 2000zunächst als Feldversuch – eingeführt hat. Der Bun-esverkehrsminister hat im April dieses Jahres denrsten Ergebnisbericht vorgelegt. Aus diesem ist eineerordnung hervorgegangen, die gestern im Verkehrs-usschuss beschlossen wurde. Es steht fest, dass sich derharterschein bewährt hat.
omit ist die Befristung aufgehoben und die Ausdeh-ung auf geeignete, weitere Wasserstraßen im Osten un-eres Landes vorgenommen worden. Auch an den bishe-igen Regelungen betreffend die Personenzahl und dieänge eines Bootes haben wir Korrekturen vorgenom-en. Dies ist ein Zeichen gerade für den Osten unseresandes, wo es sehr viele Wasserstraßen gibt.
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Annette FaßeDie Erfordernisse der Sicherheit werden dabei weiter be-achtet. Wir haben die entsprechenden Regelungen erwei-tert: Im Bereich der Schleusen und des Begegnungsver-kehrs gelten neue Kriterien.Wie vielfältig die Urlaubsform „Wassertourismus“ist, verdeutlicht die Grundlagenuntersuchung zum Was-sertourismus, die das Wirtschafts- und Arbeitsministe-rium in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnisse jetztvorliegen. Neben dem Wassertourismus im engerenSinne, zu dem Wasserwandern, Kanutourismus, Segeln,Motorbootfahren, Surfen, Wasserski, Tauchen sowie An-geln und Fischen gehören, gibt es den Wassertourismusim weiteren Sinne, der alle Aktivitäten am Wasser wiebeispielsweise Strand- und Campingtourismus sowieRuderbootverleihe umfasst. Maritime Großveranstaltun-gen, Werftbesichtigungen und Schifffahrtsmuseen wer-den in der Untersuchung als „mit dem Wassertourismusverbundene Segmente“ bezeichnet. Gerade die Großver-anstaltungen, wie wir sie von der Küste her kennen, ha-ben Magnetwirkung. Der ganze Bereich der Fahrgast-schifffahrt, von der Kreuzfahrtschifffahrt über dieFlussschifffahrt bis hin zu der Fährschifffahrt, ist einsehr wichtiges Segment für Nord- und Ostsee, Herr Kol-lege Klimke. Schon im Jahr 1998 gab es tourismuspoliti-sche Kontakte betreffend den Ostseeraum. 1999 gab esdie ersten Modellprojekte. Sie sollten fairerweise zuge-ben, dass auch das im tourismuspolitischen Bericht ent-halten ist.
Lassen Sie mich die Forderungen zum Wassertouris-mus nennen, die sich aus dem Bericht ergeben. Landes-weite Entwicklungskonzepte gibt es leider nicht in allen,sondern nur in einigen Bundesländern. Wir haben unsauch mit Regelwerken auseinander zu setzen, die kei-nem ausländischen Gast verständlich zu machen sind. Soist es einem ausländischen Gast kaum zu vermitteln,dass sein Angelschein nur für die Gewässer eines Bun-deslandes gilt und dass er einen Gesetzesverstoß begeht,wenn er die Grenze zu einem anderen Bundesland über-schreitet und dort angelt.
Nach der öffentlichen Anhörung werden wir an diesemWochenende in Cuxhaven eine Veranstaltung mit aus-ländischen Gästen durchführen; denn bei diesem Themakönnen wir von England, Irland, den Niederlanden undFrankreich lernen.Ich möchte gerne noch ein paar abschließende Sätzesagen. Verkehrspolitik und Tourismuspolitik – HerrHinsken hat in seiner Art schon darauf hingewiesen –haben sehr viel miteinander zu tun.Erstens. Wir sollten ganz deutlich darstellen, dass dieSicherheit der Busse auch nach den Unglücken, mit de-nen wir leider leben müssen, weiterhin große Prioritäthat. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Bun-desländern gehandelt. Dort, wo es notwendig ist, werdenwir die entsprechenden Regelungen ändern. Die Sicher-hwRwwhHsdWstSDbrrdsssDUhS„ESrN
ir sollten gemeinsam daran arbeiten, dass unsere Gästeowie unsere Bürgerinnen und Bürger das Verkehrsmit-el nutzen können, das sie gerne nutzen möchten.Danke schön.
Ich erteile das Wort Kollegen Wilhelm Josef
ebastian, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!er Bericht der Bundesregierung und die heutige De-atte zeigen uns die wirtschaftliche Bedeutung des Tou-ismus in unserem Land. Aber es ist auch zu konstatie-en, dass sich Dinge verändert haben, nicht nur durchen 11. September 2001, sondern auch durch die wirt-chaftliche Lage in unserem Land. Aber es heißt ja sochön: Jede Krise bietet auch eine Chance. – Viele Men-chen in unserem Land haben nun entdeckt, wie schöneutschland wieder ist oder auch immer gewesen ist.rlaub im eigenen Land hat große Vorzüge.Als ich die Ausführungen von Frau Irber eben gehörtabe, fiel mir ein Lied ein, das vor Jahren ein großerchlager war – ich singe es Ihnen einmal vor –:
Wann wirds mal wieder richtig Sommer?“
ine Zeile hieß: „Denn schuld daran ist nur die SPD!“
Als ich Ihnen eben gelauscht habe, habe ich gedacht,ie hätten sagen wollen, der schöne Sommer dieses Jah-es sei allein der SPD zu verdanken.
ein, so ist das wirklich nicht.
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Wilhelm Josef SebastianDer großartige Sommer, den wir gemeinsam erlebthaben, hat vielen Menschen einfach Anlass gegeben, zuHause zu bleiben oder Urlaub im eigenen Land zu ma-chen. Nordsee, Ostsee, Bayerischer Wald, Eifel, Erzge-birge, unzählige Urlaubsziele in unserem Land habenbesonderen Reiz. Die Bedürfnisse der Menschen sindnatürlich anders geworden. Viele Junge fahren immernoch in den Süden, wollen da sein, wo etwas los ist.Aber Ältere – dazu zähle ich mich auch schon –
haben mehr das Bedürfnis, geruhsame Tage zu erleben,gut zu essen, guten Wein zu trinken. Das ist in unseremLand ganz hervorragend möglich.Wir reden seit einigen Wochen über die Strukturver-änderungen im Gesundheitswesen. Dabei spielt Touris-mus für mich auch eine Rolle;
denn in unserem Land gibt es hervorragende Heilbäderund Kurorte, die die Menschen dazu einladen, etwas fürihre Gesundheit zu tun. Wir wissen, dass wir zukünftigselbst sehr viel mehr Vorsorge für unsere Gesundheittreffen müssen und auch mit höheren Eigenanteilenrechnen müssen.Das verändert natürlich auch die Landschaft der Kur-orte und Heilbäder. Die Heilbäder allein sind in derKürze der Zeit nicht in der Lage, die sich veränderndenAnforderungen zu erfüllen. Hinzu kommt – ErnstHinsken hat es angesprochen –, dass es durch die EU-Erweiterung einen stärkeren Wettbewerb gibt. Es mussdafür Sorge getragen werden, dass er unter gleichen Be-dingungen stattfindet,
dass es nicht zu Verschiebungen kommt,
dass nicht in anderen Ländern, in denen andere Stan-dards gelten, Leistungen mit unseren Mitteln gleich ho-noriert werden.
Ein wichtiger Bestandteil des Tourismus – darauf hateben schon die Kollegin Faße hingewiesen – ist derWassertourismus in Deutschland. Ich will kurz daraufeingehen, weil wir bereits im Mai einen Antrag zumWassertourismus in Deutschland eingebracht haben.Heute steht der Antrag der Kollegen der FDP auf der Ta-gesordnung. Das Thema ist zeitgemäß. Nicht umsonststeht das Motto „Faszination Wasser“ im kommendenJahr im Zentrum der Aktivitäten der Tourismusver-bände. Es ist unser Anliegen, auf die Bedeutung diesesäußerst breit gefächerten touristischen Segments auf-merksam zu machen, um den Wassertourismus inDeutschland zu einem noch höheren Stellenwert zu ver-helfen.tDCmBrsWe3GTDmwggssBdDnWDsusVtLt–slmbwDshB
Ich erteile der Kollegin Bettina Hagedorn, SPD-Frak-
ion, das Wort.
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!iebe Kollegen! Ich beschäftige mich hier mit dem An-rag der CDU/CSU zur Ferienregelung. Diese Regelung sie ist von der Kultusministerkonferenz schon 1999 be-chlossen worden – hat uns in diesem Jahr in den Ur-aubsregionen in Deutschland erstmals zu schaffen ge-acht. Im Antrag der CDU/CSU wird ein Problemeschrieben. Ich unterstreiche gerne: Die CDU/CSUird hier, in diesem Haus, breite Unterstützung finden.
as ist auch kein Wunder, Herr Hinsken, weil die in die-em Antrag enthaltene Problembeschreibung weitestge-end abgeschrieben worden ist. Die SPD-Fraktion imundestag hat anlässlich der ITB, die in diesem Jahr im
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Bettina HagedornMärz in Berlin stattgefunden hat, das Thema Ferienrege-lung auf die Tagesordnung gesetzt.
Sie hat dieses Problem im Verbund mit den Tourismus-verbänden in Deutschland lange vor Ihnen behandelt.Außerdem hat sie ihre engen Kontakte zu den Ländern– es war ein Kultusministerbeschluss; also waren dieLänder diejenigen, die erfolgreich handeln konnten – ge-nutzt, um etwas voranzubringen.
– Sehr geehrter Herr Hinsken, wenn Sie „Wir wollen dasauch!“ sagen, dann darf ich Sie daran erinnern, dass ichschon am 4. Juni, als wir dieses Thema im Ausschuss fürTourismus behandelt haben, an Sie appelliert habe, sichin den verbleibenden drei Wochen bei den Ministerpräsi-denten der Länder des Südens – das Problem liegt beiBayern und Baden-Württemberg – dafür einzusetzen,dass sie sich gegen die Kultusminister durchsetzen undden Beschluss der Wirtschaftsministerkonferenz vom14./15. Mai dieses Jahres umsetzen.
Das haben Sie offenbar entweder versäumt oder Sie wa-ren bei den Ministerpräsidenten, denen Sie politischnahe stehen, nicht erfolgreich.
Am 26. Juni hat die Ministerpräsidentenkonferenzletzten Endes einen Beschluss gefasst, der eindeutig indie richtige Richtung geht, auch wenn er keine Maximal-lösung ist. Die Forderung der Wirtschaftsministerkonfe-renz ist mit der des Antrags der CDU/CSU-Fraktion ab-solut identisch. Leider ist es so, dass Sie sich aufgrundder mangelnden Unterstützung der CDU- oder CSU-regierten Länder nicht durchsetzen konnten.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Hinsken?
Ja.
Verehrte Frau Kollegin Hagedorn, sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass sich insbesondere der bayeri-
sche Ministerpräsident Edmund Stoiber nachhaltig für
eine neue Ferienregelung verwandt hat? Sind Sie zudem
bereit, uns bei einem neuen Anlauf, die Ferienregelung
auf mindestens 90 Tage auszuweiten, zu unterstützen?
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Herr Hinsken, die Federführung in der Wirtschafts-
inisterkonferenz – ihr lag ein Antrag vor, der mit dem,
en Ihre Fraktion hier vorgelegt hat, identisch ist – hatte
er schleswig-holsteinische Minister für Wirtschaft, Ar-
eit und Verkehr, Bernd Rohwer. Die Wirtschaftsminis-
erkonferenz ist dieser Vorlage auch gefolgt, die Minis-
erpräsidentenkonferenz leider eben nicht. Ich habe hier
as Ergebnisprotokoll der Besprechung der Regierungs-
hefs der Länder am 26. Juni 2003 in Berlin. Ich möchte
ie darauf aufmerksam machen, dass es dort heißt:
Die Regierungschefs der Länder nehmen den modi-
fizierten Vorschlag der Kultusministerkonferenz
vom 12. Juni 2003 zur Regelung der Sommerferien-
termine zustimmend zur Kenntnis.
Protokollerklärung der Länder Schleswig-Holstein
und Mecklenburg-Vorpommern:
ich muss an dieser Stelle nicht erwähnen, von wem
iese Länder regiert werden –
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern
unterstützen die von der Wirtschaftsministerkonfe-
renz mit Beschluss vom 14./15.05.2003 vorgeschla-
gene Neuregelung der Sommerferientermine.
ie sehen, hierfür gibt es eine breite Koalition.
Es wäre schön, wenn ich jetzt weitersprechen dürfte.
Sie dürfen.
Ungeachtet der Tatsache, dass Frau Irber schon zuecht darauf hingewiesen hat, dass es ausgesprochenositive Anzeichen für eine Verbesserung der Situationei den Übernachtungszahlen gibt – das SommerhochMichaela“ hat sicherlich ein Stück weit dazu beigetra-en –, muss, um die ganze Wahrheit darzustellen, selbst-erständlich auch gesagt werden, dass die Sommer-erienregelung, die 1999 beschlossen worden ist,egative Auswirkungen gehabt hat, die wir dieses Jahrum ersten Mal gespürt haben. Die Zahlen von 2003 hät-en nämlich noch besser sein können. Das soll nicht un-rwähnt bleiben.
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5904 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Bettina HagedornAuf der Basis der Zahlen von Schleswig-Holstein– die bundesweiten Zahlen liegen mir noch nicht vor –kann ich feststellen, dass es in den Monaten von Januarbis Juli ein deutliches Minus von 5 bis 8 Prozent anÜbernachtungen in Pensionen, Ferienwohnungen undJugendherbergen gegeben hat. Man könnte auch andereEinrichtungen betrachten; ich habe aber diese Unterbrin-gungsmöglichkeiten zum Beleg herangezogen, weil sieunter anderem für Familien besonders interessant sind.Das Minus bei den Übernachtungszahlen in diesem Zeit-raum hängt natürlich mit der Ferienregelung zusammen,weil sich ja erst Ende Juli 41 Millionen Einwohner Ba-den-Württembergs, Bayerns und Nordrhein-Westfalensfast gleichzeitig auf den Weg in die Ferien begebenkonnten. Das hat zu dramatischen Engpässen in unserenFerienregionen, auch in Schleswig-Holstein und Meck-lenburg-Vorpommern, geführt und stellte natürlich auchein Ärgernis für die betroffenen Urlauberinnen und Ur-lauber dar. Ich würde mich freuen, wenn die Länder-chefs, die in den südlichen Ländern Verantwortung tra-gen, einen Beitrag zu einer weiteren Optimierung derSommerferienregelung leisten würden.
Tatsache ist aber auch, dass das Supersommerwetter imAugust die Gesamtstatistik noch einmal deutlich verbes-sern wird. Bei den Übernachtungsformen, die ich geradeangesprochen habe, verzeichnen wir in Schleswig-Hol-stein für diesen Zeitraum teilweise ein Plus von bis zu18 Prozent.Zu Ihrem Antrag ist schließlich noch zu sagen: DasUrheberrecht, die Probleme richtig erkannt zu haben, dieSie in Ihrem Antrag darstellen, können Sie nicht für sichbeanspruchen
und die Lösungsvorschläge, die Sie dazu machen, sindvöllig kontraproduktiv. Wir können unter anderem des-halb Ihrem Antrag nicht zustimmen, weil darin gefordertwird, dass sich der Bund in eine Sache einmischt, für diedie Zuständigkeit allein bei den Ländern liegt. MeineDamen und Herren von der CDU/CSU, wir haben ge-rade vor einer Woche gemeinsam eine Kommission insLeben gerufen, die die Zuständigkeiten zwischen Bundund Ländern parteiübergreifend und im Dialog zwischenBund und Ländern neu definieren soll. Da können wir jagemeinsam über diese Dinge diskutieren. Aber sich jetztvon Bundesseite, wie Sie es wünschen, in eine Länder-angelegenheit einzumischen, ist sicherlich nicht der rich-tige Weg. Ein solches Vorgehen würde von den Ländernmit Sicherheit auch nicht begrüßt werden.Darüber hinaus regen Sie an, dass Vertreter der Tou-rismuswirtschaft in Zukunft bei Beschlüssen der Kultus-minister ein Wörtchen mitreden sollen. Damit würdenwir ein völlig systemfremdes Element einführen.
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Es wäre schön, wenn Sie mich ausreden lassen wür-en. – Der Kompromiss, den jetzt die Ministerpräsiden-en erreicht haben, wird ja für eine deutliche Verbesse-ung der Terminierung der Ferienzeiten sorgen. Dasedeutet bei 1,05 Millionen Übernachtungen und einemurchschnittspreis von 69 Euro pro Ferientag ein Plusür die Tourismuswirtschaft von 385 Millionen Euro,as ab 2005, wenn die neue Ferienregelung greift, zu er-ielen sein wird.Es wäre allerdings viel besser gewesen, wenn sich dieirtschaftsminister der Länder Schleswig-Holstein undecklenburg-Vorpommern durchgesetzt hätten. Dannäre es nämlich zu einer Ferienregelung gekommen, dien den nächsten Jahren bis 2010 im Durchschnitt für sie-en weitere Ferientage gesorgt hätte. Das hätte zu einemeiteren Plus von 420 Millionen Euro pro Jahr aufseitener Tourismuswirtschaft geführt.Sie sehen: Wir werden mitarbeiten, die von Herrnurgbacher hier genannten hausgemachten Hemmnisse,ie es in Deutschland gibt, zu beseitigen.
er von Ihnen so gerne erzeugte Eindruck, dass für dieseemmnisse immer die SPD-geführte Bundesregierunguständig ist,
st von mir an dieser Stelle widerlegt worden. Wie so häu-ig gilt: Der Knüppel liegt bei den Ländern des Südens.
s wäre schön, wenn Sie Ihren Einfluss geltend machenürden, an dieser Stelle für Bewegung zu sorgen.Danke.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5905
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Ich erteile dem Kollegen Klaus Brähmig, CDU/CSU-
Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den tourismuspoliti-schen Bericht der Bundesregierung und dankt ausdrück-lich den Mitarbeitern des Tourismusreferats im Supermi-nisterium für Wirtschaft und Arbeit.Dieser Bericht ist eine wichtige Grundlage für die Dis-kussion über die richtigen Strategien, die notwendig sind,Deutschland als Tourismusstandort zu stärken. Bisherwird unser Land in der Öffentlichkeit meist nur als Indus-triestandort wahrgenommen. Diese einseitige Sichtweiseist aber angesichts der beeindruckenden Umsatz- und Be-schäftigungszahlen im Tourismusbereich nicht gerechtfer-tigt.
Die Kollegen, die vor mir gesprochen haben, haben da-rauf schon hingewiesen. So steht Deutschland im inter-nationalen Reiseverkehr bei den Gästeankünften im-merhin auf Platz 10. Wie wir diese Position halten undsogar verbessern können ist Inhalt der heutigen Debatte.Grundsätzlich mangelt es dem vorgelegten Berichtaber an Strategien für die Zukunft; er ist fast ausschließ-lich rückwärts gewandt. Der Teil, der die Ziele und dieInstrumente der Tourismuspolitik der Bundesregierungdarstellen soll, ist mit nicht einmal einer halben Seitenun wirklich sehr knapp, wenig wegweisend und nichtsehr konkret.
Zusätzlich werden ernsthafte Probleme der Touris-musbranche wie etwa die Wettbewerbsverzerrung durchunterschiedliche Mehrwertsteuersätze im Gastgewerbeinnerhalb der EU, die Ökosteuer oder die Probleme beider Nutzung von Urheberrechten totgeschwiegen. DieCDU/CSU-Fraktion schlägt deshalb grundsätzlich diejährliche Vorlage des Tourismusberichts vor, der ne-ben einer reinen Marktbeschreibung auch Zukunftsper-spektiven und Handlungsempfehlungen aufzeigen sollte.Ich nenne zum Beispiel die Probleme bezüglich der De-mographie, Entwicklung der Kaufkraft, Reiseverhalten,neue Trends und anderes mehr.In Verbindung mit fundiertem und umfassendem Zah-lenmaterial – ich nenne zum Beispiel das OSGV-Touris-musbarometer – könnte der Bericht als grundlegendePlanungshilfe für die gesamte Branche dienen. Die Bun-desregierung widmet sich auch anderen Bereichen mitjährlichen Berichten. So gibt es den Waldzustandsbe-richt, den Migrationsbericht, den Agrarbericht und einenStrahlenbelastungsbericht. Warum soll es nicht einenjährlichen Tourismusbericht geben? Leider wird demTourismus vonseiten der Bundesregierung nicht die Be-dmrÜnzgvmrfeFesMgKBadsaWnCrEatgAabdBdtgsgfdz4ldG
it der Koordination tourismuspolitischer Fragestellun-en in den Bundesressorts und der Verbesserung derommunikation mit den zuständigen Ressorts in denundesländern dürfte ein Staatssekretär ausreichendusgelastet sein.In diesem Zusammenhang muss festgestellt werden,ass auch das Fachreferat Tourismus im Bundeswirt-chaftsministerium logistisch und personell zu schlechtufgestellt ist. Durch die Zusammenlegung der Ressortsirtschaft und Arbeit ist die Bedeutung dieses Referatsoch weiter geschrumpft. Aus diesem Grund fordert dieDU/CSU eine deutliche Stärkung der Stellung des Tou-ismusreferats innerhalb dieses Bundesministeriums.
ine der volkswirtschaftlich wichtigsten Branchen mussuch von einem schlagkräftigen Team betreut werden.Herr Clement, Sie empfinden zwar durchaus Sympa-hie für den Tourismus, doch weder Sie noch Ihr Vorgän-er haben sich mehr als einmal im Jahr im zuständigenusschuss blicken lassen. Diese Aussage sollten Sieuch als Einladung auffassen.Wie wichtig es für die Tourismusbranche wäre, dasseim Bund eine zentrale Anlaufstelle zur Koordinierunger Tourismuspolitik installiert würde, zeigt sich ameispiel der Sommerferienregelung. Ich habe gesternen Vorschlag gemacht, eine weitere Anhörung der be-roffenen Branche zu diesem Thema durchzuführen undemeinsam mit den Ländern nach weiteren Lösungen zuuchen. Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen dazu ein.Das Statistische Bundesamt meldet für den Juli 2003 ge-enüber dem Vorjahresmonat – da gab es noch keinen Ein-luss des Hochwassers; dieser kam erst im August – eineneutlichen Rückgang bei den Übernachtungszahlen, undwar um insgesamt 4 Prozent auf – in Euro ausgedrückt –0 Millionen Euro. Diese Entwicklung beruht ausschließ-ich auf der sinkenden Zahl von Übernachtungen inlän-ischer Gäste. Zu Recht hat der Deutsche Hotel- undaststättenverband darauf hingewiesen, dass das unter
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Klaus Brähmiganderem die katastrophalen Folgen der neuen Ferienre-gelung sind. Wegen der Verkürzung des Sommerferien-zeitraums auf 75 Tage durch die Kultusministerkonfe-renz konnten in der ersten Hälfte des Monats Juliwesentlich weniger Bundesbürger in Urlaub fahren.
Ein Teil der Betten hat daher leer gestanden. Im Augustgab es dank des Jahrhundertsommers einen großen An-sturm auf deutsche Reiseziele: Die Zimmer hätten dop-pelt oder dreifach vergeben werden können.Mit dem Beschluss der Kultusministerkonferenz vomJuni 2003 zu einer Neufeststellung der Ferienregelungvon 2005 bis 2010 sind die Probleme aus Sicht derCDU/CSU und der Tourismuswirtschaft noch immernicht befriedigend gelöst. Zu dem von der CDU/CSUgeforderten Gesamtferienzeitraum von 90 Tagen gibt eskeine Alternative.
Die Bundesregierung muss koordinierend tätig werden,wenn auch – das ist uns klar – in vielen Fragen die Zu-ständigkeit bei den Bundesländern liegt.In der Tourismuspolitik beobachten wir seit einigenJahren ein Phänomen, das wir auch aus anderen Politik-bereichen kennen: Hinweise auf sich abzeichnende Pro-bleme und Meldungen über eine negative Entwicklungquittiert die rot-grüne Bundesregierung mit der Argu-mentation, die Opposition rede unser Land schlecht undbetreibe Panikmache.
Tatsache ist aber, dass Hotels, Gaststätten, Reisebürosund Reiseveranstalter gegenwärtig unter der allgemeinenKonsumzurückhaltung, der weit verbreiteten Angstum die Arbeitsplätze sowie steigenden Steuern und Ab-gaben leiden.
Die kurzatmigen Reformversuche der Bundesregierung,die ohne übergreifendes Konzept eine Notfalllösungnach der anderen produziert, verunsichern die Bevölke-rung zusätzlich. Die Folgen: Es wird weniger gereist undviel weniger ausgegeben.
Die nur leicht rückgängigen Übernachtungszahlenzeigen aber noch lange nicht den dramatischen Ernst derLage.
Die Umsatzeinbrüche führen zu Entlassungen, Be-triebsauflösungen in der Tourismuswirtschaft, im Ein-zelhandel und auch im Handwerk sowie im Dienstleis-tungssektor.
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Während wichtige Konkurrenzländer ihre öffentli-hen Ausgaben für touristische Vermarktung massiv er-öhen, bleibt der Mittelansatz im Bundeshaushalt 2004ür die DZT mit einer Erhöhung um 1 Million Euro auf4,5 Millionen Euro vergleichsweise sehr gering.
panien zum Beispiel investiert in die nationale Touris-uswerbung fast viermal so viel öffentliche Mittel wieeutschland, Großbritannien fast dreimal so viel undelbst das kleine Österreich fast doppelt so viel. Beimergleich der Pro-Kopf-Ausgaben für die öffentlicheörderung des Auslandsmarketings bildet Deutschlandnerhalb der Europäischen Union sogar mit Abstandas Schlusslicht.Den Glauben an die Macht des Marketings hat dieot-grüne Bundesregierung schon, aber nur dann, wenns um die eigenen Interessen geht.
ür ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit will sich die Bundes-egierung für 2004 einen satten Zuwachs, von 78 Millio-en Euro auf 88 Millionen Euro, genehmigen – Selbstbe-ienung vom Feinsten.
In diesem Zusammenhang lehne ich auch einen Sub-entionsabbau nach Rasenmähermethode, wie im Koch/teinbrück-Papier vorgeschlagen, ab.
ei den DZT-Mitteln handelt es sich nicht um eineünstliche Maßnahme zur Lebensverlängerung einesicht wettbewerbsfähigen Industriezweiges, sondern umnvestitionen in eine Zukunftsbranche, die vor allemem Mittelstand in Deutschland zugute kommen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5907
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Klaus BrähmigNeben den positiven wirtschaftlichen Effekten ist eineintensivere Werbung für den TourismusstandortDeutschland grundsätzlich auch eine verbesserte Image-werbung, die Deutschland insgesamt als Wirtschafts-,Wissenschafts-, Kultur- und Verkehrsstandort sichertund stärkt.
Mehr Werbung für den Tourismusstandort Deutschlandist auch deswegen wichtig, weil der Tourismus eine be-sonders arbeitsplatzintensive Branche mit Beschäfti-gungspotenzialen auch für gering qualifizierte Arbeit-nehmer ist. Der große Vorteil ist: Diese Arbeitsplätzesind nicht exportierbar. Produziert werden müssen dieseDienstleistung und der Service an Ort und Stelle, alsohier in Deutschland.Sehr geehrter Herr Minister Clement, wenn Sie dieJobmaschine Tourismus wieder flottmachen wollen,müssen Sie als Wirtschaftsminister endlich das Steuerherumreißen. Wir brauchen eine Aufbruchstimmungsowie klare Signale für mehr Wachstum und Beschäf-tigung statt eines kleinkarierten Stopfens von Haushalts-löchern ohne übergreifendes Konzept. Die Tourismus-branche wird zu den ersten Gewinnern in unserem Landgehören, wenn die Verunsicherung der Verbraucher unddie Angst um den Arbeitsplatz von hoffnungsvollerenZukunftsaussichten abgelöst werden.
Meine Damen und Herren, es gibt keine rechte oderlinke Tourismuspolitik, sondern nur eine gute oderschlechte Politik. Es gibt in unserem Land viel zu tun.Lassen Sie uns dies gemeinsam anpacken!
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 15/1303, 15/1329 und 15/1595 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Der Entschließungsantrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 15/1799 soll an dieselben Aus-
schüsse wie die Vorlage auf Drucksache 15/1303 über-
wiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 3 d, Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Tourismus, Drucksache 15/1286, zu
dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU mit dem Titel
„Schaffung einer familienfreundlichen, verkehrsentlas-
tenden und wirtschaftsfördernden Ferienregelung“. Der
Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 15/934
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen der SPD und
des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
CDU/CSU und der FDP angenommen.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Planungs-icherheit ist in der Politik ein hoher Wert. Die Bundes-egierung ist von Planungssicherheit weit entfernt.
ie Halbwertszeit einiger Beschlüsse – ob das in der So-ial-, in der Renten-, aber auch in der Agrarpolitik ist –ird immer geringer. Nur in einem Bereich kann manich darauf verlassen, dass die Feindbilder gleich blei-en: in der Agrarpolitik.
Eines der größten Feindbilder der Regierungskoali-ion ist die grüne Gentechnik. Wer eine Zukunftstech-ologie, wie es die Biotechnologie ist, derart ideologischnd mit Vorurteilen behandelt, wie es die Bundesregie-ung tut, macht sich doppelt schuldig.
um einen werden Investitionen zurückgehalten undum anderen werden Forschungs- und Entwicklungsar-eiten nicht mehr von deutschen Wissenschaftlern undtudenten an den heimischen Universitäten durchge-ührt. Diese wandern vielmehr ins Ausland ab.
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5908 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Peter H. Carstensen
Die Bundesregierung wird damit nicht nur ihrer natio-nalen Verantwortung nicht gerecht, sondern verhält sich,auch global betrachtet, verantwortungslos.Die Gentechnik ist eine der Schlüsseltechnologiender Zukunft und wird helfen, die Welternährung im21. Jahrhundert zu sichern. Dies ist im Übrigen nichtnur meine private Einschätzung, sondern auch die Auf-fassung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisa-tion der Vereinten Nationen.
Fatal und makaber an der momentanen Politik sindzwei Dinge: Zum Ersten werden die Auswirkungen nichtheute, sondern erst übermorgen sichtbar, wenn uns dieEntwicklung der Weltbevölkerung dazu zwingen wird,die Erträge pro Hektar auf ein Vielfaches des heutigenNiveaus zu steigern. Zum Zweiten werden die Leidtra-genden einer falschen Weichenstellung von heute nichtdie Länder der Weichensteller wie die satte Bundesrepu-blik sein, sondern die Länder Afrikas und Südostasiens.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, ich habe mich gefragt, wie Menschen, die inder Verantwortung stehen, gegen gute Argumente so re-sistent sein können. Wenn die besseren Argumente seit1998 immer wieder von der Opposition kommen,
dann kann ich es ja begreifen, wenn eine Regierung sienicht zur Kenntnis nimmt. Aber ich habe kein Verständ-nis für die Taubheit, wenn die gleichen Argumente ausden Reihen von Wissenschaftlern an die Regierung he-rangetragen werden und sie trotzdem nicht zur Kenntnisgenommen werden.
Vonseiten der Grünen und von Teilen der SPD – ichsage ganz bewusst: von Teilen der SPD – wird immerwieder gern behauptet, wir würden das Argument der Si-cherung der Welternährung nur instrumentalisieren, umunsere Vorstellungen in den Gesetzgebungsverfahrendurchzudrücken.
Dazu kann ich nur sagen: Das stimmt. – Aber wenn wirdieses Argument nicht einmal mehr vorbringen dürfenund über grüne Gentechnik nicht gesprochen werdendarf, lieber Kollege Weisheit, obwohl 820 MillionenMenschen auf dieser Erde hungern, dann ist dies eintrauriges Faktum.
Für die Union ist die grüne Gentechnik ein zentralesInstrument, um die Ernährung der Weltbevölkerung im21. Jahrhundert sicherzustellen.
– Engstirnig? Also sind diejenigen, die sich öffnen, eng-stirnig, während diejenigen, die von Ideologie behaftetsgnbApzssdsKgezbrzknsdczMGwnrmwDRTsrosZ
ber bitte unterstellen Sie uns nicht, dass wir die Kom-lexität des Hungers nicht verstünden und davon über-eugt wären, dass die grüne Gentechnik das einzige In-trument zur Lösung des Hungerproblems ist. Spätestenseit der grünen Revolution in Asien wissen wir aber,ass die Weitergabe von Wissen und Technologie einehr wirksamer Ansatzpunkt ist, mit dem der gordischenoten des Hungers zerschlagen werden kann. Dierüne Revolution ist vor allem durch die Entwicklungrtragreicher Reissorten vorangetrieben worden.Wir müssen uns darauf einstellen, dass im Jahre 2020wischen 7 und 8 Milliarden Menschen auf der Erde le-en werden. Diese Bevölkerung ausreichend mit Nah-ung, Wasser, Gesundheitsdiensten, Bildung und Arbeitu versorgen ist die größte globale Herausforderung derommenden Jahre. Dieser Herausforderung werden Sieicht mit Flächenstilllegung und Extensivierung gerecht,ondern dadurch, dass wir auf den begrenzten Flächenie Produktion um 60 Prozent erhöhen.Meine Damen und Herren, die Frage ist erlaubt, wel-he Probleme die Gentechnik mit sich bringen kann. Seitehn Jahren wird sie angewandt und wir machen denenschen immer noch vor, dass es bei uns überall vonentechnik freie Nahrung gäbe. Wir haben bei uns eineneißen Kreis. Aber diejenigen, die Verantwortung über-ehmen wollen, dürfen sich nicht nur fragen, was passie-en wird, wenn Gentechnik eingesetzt wird, sondern sieüssen sich genauso fragen, welche Folgen es habenird, wenn Gentechnik nicht eingesetzt wird.
eswegen empfinde ich es schon als makaber, dass dieeichen und Satten dieser Welt denjenigen eine neueechnologie vorenthalten, die sie brauchen.Herzlichen Dank.
Ich erteile Bundesministerin Renate Künast das Wort.
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-chutz, Ernährung und Landwirtschaft:Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-en! Nach übereinstimmender Auffassung aller internati-nalen Hilfsorganisationen und der Vereinten Nationenind die Hauptursachen für Hunger und Armut fehlenderugang zu Ressourcen wie Land, Saatgut und dem Le-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5909
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Bundesministerin Renate Künastbensmittel Nummer eins, Wasser, das Fehlen geeigneterLager- und Transportbedingungen, unfaire Handelsbe-dingungen und eine unfaire Agrarpolitik sowie Krieg,Korruption und Misswirtschaft.
Man muss deshalb meines Erachtens sagen, dass800 Millionen von Hunger bedrohte Menschen Folge ei-nes tief greifenden Politikversagens sind. Ich freuemich deshalb, aus den Worten des Herrn Carstensenschließen zu können, dass auch er für eine Agrarwendeinnerhalb der EU ist. Na endlich, Herr Carstensen!
Wenn wir bei der Bekämpfung des Hungers erfolg-reich sein wollen, müssen wir bei den konkreten Lebens-und Arbeitsbedingungen der Menschen ansetzen. Wirstellen fest: Von den über 800 Millionen Menschen, dieauf der Welt hungern, leben 70 Prozent im ländlichenRaum; das muss man sich auf der Zunge zergehen las-sen: 70 Prozent der Hungernden leben dort, wo Mannund Frau normalerweise Lebensmittel produzieren.Das besonders Perfide daran ist, dass sie zu einemgroßen Teil sogar in der Landwirtschaft arbeiten. Abersie arbeiten auf großen Plantagen zu extremen Hunger-löhnen, mit denen sie ihre Familien nicht ernähren kön-nen. Sie arbeiten meist auf Plantagen, die Futtermittelherstellen. Herr Carstensen, es sollte uns christlich Erzo-genen eigentlich in der Seele wehtun, dass man in derSojaproduktion zum Beispiel, statt das Produkt zu nut-zen, um viele Menschen zu ernähren, das Prinzip um-dreht und Soja dem Tierfutter beimischt. Statt mit dieserMenge Soja zehn oder 20 Menschen zu ernähren, landetdas Fleisch später als kleines Steak auf unseren Tellern.Das tut mir in der Seele weh.
Das ist falsch organisiert, weil man die gleiche MengeSoja, statt sie durch das Tier zu schicken, nutzen könnte,um viel mehr Menschen zu ernähren.Für diese Menschen ist nicht die erste Sorge, wie siejedes Jahr ohne Nachbaurecht das teure gentechnischveränderte Saatgut kaufen können, sondern ihre Fragelautet: Wie kann ich hier und heute die Ernährung mei-ner Familie organisieren?
Wir wissen, dass die teure grüne Gentechnik für denkommerziellen Landbau entwickelt wurde und ent-sprechend designed ist. Deshalb ist die erste gentech-nisch veränderte Pflanze Soja, Futtersoja.
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och es ging nicht darum, Produkte im Interesse derungrigen zu entwickeln.Es ist mir ehrlich gesagt mittlerweile egal, wie oft Sieie ideologische Keule ins Feld führen.
ie Gentechnikfirmen haben Soja für das Tierfutter undicht die Nahrungsmittel entwickelt, die die Menschenn den Regionen gewöhnt sind.
Sie sagen oft – das steht auch in vielen Werbebro-chüren –, dass zum Beispiel Vitamin-A-haltiger Reiser große Retter in Hungergebieten sei, um mangel-rnährte Menschen vor Blindheit zu schützen.
andana Shiva, die alternative Novelpreisträgerin, hatie Sache klar auf den Punkt gebracht, als sie fragte:enn sich die Menschen in diesen Gebieten nicht ein-al normalen Reis kaufen können, wie sollen sie sich ei-entlich gentechnisch veränderten Reis als Saatgut kau-en können? Das ist eine logische Frage.
r ist teurer, weil man das dazu passende Herbizidraucht
nd weil die Menschen dort kein Nachbaurecht haben.
ie dürfen den Samen nicht selber herstellen, sondernind wegen der Patentrechte verpflichtet, jährlich neu zuaufen.
eshalb ist er teurer.
Das ist nicht falsch. Die in dem von Ihnen so geschätz-en Landwirtschaftsministerium tätigen Mitarbeiter ha-en es recherchiert; deshalb kann es nur richtig sein,err Carstensen. Sie selber sagen doch immer, ich solluf meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hören. Dasue ich.
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5910 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Bundesministerin Renate KünastWir wollen etwas anderes: Wir wollen Hilfe zurSelbsthilfe und nicht neue finanzielle Abhängigkeiten.Deswegen haben wir und hat auch unsere Entwicklungs-hilfepolitik hier einen ganz anderen Ansatz. Ich will Ih-nen sagen, wie das geht: So hat beispielsweise der brasi-lianische Staatspräsident Lula mit einem Aktionsplanzur Bekämpfung von Hunger angefangen.
Auch Sierra Leone hat damit angefangen. Wir meinen,dass nicht immer nur die Eliten in einem Land von Geldprofitieren sollen, sondern dass Aktionspläne zur Be-kämpfung von Hunger tatsächlich ein zwingender Be-standteil von Good Governance werden sollen. Deshalbgibt es jetzt zum Beispiel in Sierra Leone mithilfe derGTZ entsprechende Projekte. Dabei geht es darum, dasregionale Saatgut der Menschen zu sichern und sie imKampf gegen Hunger zu unterstützen.Ich meine – das muss ich an die Adresse der Kolle-ginnen und Kollegen von der CDU/CSU sagen –, Sieversuchen, mit dem Stichwort Hungerbekämpfung einDeckmäntelchen über Ihre Position zur Gentechnik zulegen.
Sie versuchen, an dieser Stelle unter dem Schlagwort„Verantwortung für die Welternährungssituation“ eineganz andere Diskussion zu führen. Das ist aus mehrerenGründen falsch: Wir müssen zunächst – das ist meineLeitlinie – Wahlfreiheit für die Landwirte hier herstel-len. Ihr Text enthält die Aussage: Wir sollen hier ver-stärkt mit Gentechnik veränderte Pflanzen anbauen, da-mit wir das Welthungerproblem lösen können.
– In Ihrem Antrag steht hinter einem Spiegelstrich, dieBundesregierung solle dafür Sorge tragen, hier mehrgentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen, damit soein Beitrag zur Sicherstellung der Welternährung geleis-tet werden kann.Ich sage Ihnen: Die hiesigen Landwirte wollen das zu70 Prozent nicht. Wir müssen hier also die Wahlfreiheitgeben und an dieser Stelle entsprechende Regeln einfüh-ren.
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Carstensen?
Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-
schutz, Ernährung und Landwirtschaft:
Bitte.
Bitte schön.
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Renate Künast, Bundesministerin für Verbraucher-chutz, Ernährung und Landwirtschaft:Ich habe zur Kenntnis genommen, dass Sie die For-chung an dieser Stelle ausweiten wollen. Ich glaubeuch, dass es durchaus gute Forschungsergebnisse gibt.s sollte allerdings nicht wieder für die Tierhaltung, son-ern mit Blick auf eine Lösung der Probleme der Men-chen vor Ort geforscht werden.
err Carstensen, die Frage lautet: Was will man über dieene von Pflanzen wissen?Unter einem Spiegelstrich fordern Sie aber auch dennbau grüner Gentechnik hier in Europa, damit ein Bei-rag zur Bekämpfung des Welthungers geleistet werdenann. Jetzt habe ich Ihren Antrag nicht hier, sondern nureine eigene Rede, sodass ich Ihnen die entsprechendeassage aus Ihrem Antrag nicht vorlesen kann.
ch habe beides in Ihrem Antrag wiedergefunden.Ich meine, Sie sollten den Mut haben, die Debattenber Welternährung einerseits und über die Gentechnikier und ihre Bedingungen andererseits zu trennen. Sieollten auch wissen, dass Sie neue Abhängigkeitenchaffen, wenn Sie hier Nahrungsmittel für andere pro-uzieren.Der richtige Weg heißt Hilfe zur Selbsthilfe. Genausoachen wir unsere Entwicklungshilfepolitik. Die Men-chen sollen in ihren Ländern, in ihren Regionen Nah-ungsmittel anbauen können. Wenn sie hungern, dannollen sie Lebensmittel aus ihren jeweiligen Regionennd nicht aus dem Überfluss des Nordens zukaufen.
ch meine, dass die katholische Soziallehre an diesertelle nicht falsch ist. Auch sie betont: Hilfe zur Selbst-ilfe ist das Prinzip.
In Großbritannien zum Beispiel, einem Land, das nunirklich nicht verdächtig ist, eine kritische Haltung zuroten oder grünen Gentechnik einzunehmen, haben neu-ste Befragungen unter Wissenschaftlern ergeben – aufiese Untersuchungen hat Herr Carstensen gar nicht Be-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5911
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Bundesministerin Renate Künastzug genommen; ich würde mich freuen, wenn Sie auchso etwas einmal sehen würden –, dass sich die grüneGentechnik negativ auf die Artenvielfalt auswirkt. Dawir alle christlich erzogen sind, gehe ich davon aus, dassauch die CDU/CSU die Artenvielfalt erhalten möchte.
Nach all dem kann man meines Erachtens nur einessagen: Der Einsatz gentechnisch veränderten Saatgutszur Bekämpfung von Hunger will gut überlegt sein. Wirsollten uns an dieser Stelle genau überlegen, ob wir gutberaten wären, über die Köpfe anderer hinweg zu agie-ren. Es gilt auch, die Wahlfreiheit der Menschen, diehungern, zu berücksichtigen.
– Herr Carstensen, die haben selber viele gute Forderun-gen wie zum Beispiel die, dass wir unsere Agrarpolitikändern, damit sie Produkte anbauen können und darüberzu Deviseneinnahmen kommen, um in ihren Ländern diehungernde Bevölkerung in den Städten zu ernähren.
– Genau, für solche Gespräche fahre ich nach Brasilien.Ich werde bestimmt mit vielen Informationen für Sie zu-rückkommen.
In Ihrem Antrag hat mich am meisten die Aufforde-rung irritiert, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit Frei-landversuche zu genehmigen und zu unterstützen. Ichkomme ja auf brillante Ideen, aber auf den Gedanken,Freilandversuche mit Gentechnik zwecks Öffentlich-keitsarbeit durchzuführen, bin ich nun nicht gekommenund möchte auch nach Lektüre Ihres Antrags nicht da-rauf kommen.
Die größten Ursachen von Hunger und Elend kannman nur beheben, indem man den Menschen in den Län-dern selbst die Möglichkeit gibt, Anbau zu betreiben.
Damit wir hier zu einem Ergebnis kommen, müssen wirdie guten und positiven WTO-Verhandlungen unterstüt-zen. Es muss ein Recht auf Nahrung geben. Diese Län-der müssen – unterstützt durch unsere Entwicklungshilfeund wirtschaftliche Zusammenarbeit – dafür sorgen,dass die Menschen ihre Lebensmittel selber produzierenkönnen. Darin liegt die Lösung und nicht darin, zu ver-suchen, Umwege über die grüne Gentechnik zu gehen.
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eswegen haben die Menschen der armen Länder bei Ih-en keine Chance. Das kann man sehr deutlich daran er-ennen, dass Sie in einer solchen Debatte als Erstes dierage der Wahlfreiheit thematisieren. Als ob derjenige,er Hunger hat, gerne wählen möchte!
r möchte einfach nur essen und satt werden, nichts an-eres.
Sie haben hier Hilfe zur Selbsthilfe propagiert. Das istichtig. Das ist übrigens ein liberales Prinzip. Aber neh-en Sie bitte zur Kenntnis: 6 Millionen Kleinbauern inen Schwellenländern und in der Dritten Welt bauen be-eits transgene Pflanzen an und haben damit gute Erfah-ungen gemacht; denn jedes Jahr werden es mehr.
Haben Sie die FSE, die Farm Scale Evaluations,irklich einmal gelesen? Dabei geht es nicht um Nega-ivwirkungen transgener Organismen, sondern um nichtseiter als um Unkrautmanagement. Dort, wo wenigereikräuter wachsen und es weniger Tiere und Insektenibt, die auf diesen leben, sind die Erträge höher. Vonaher ist dieses Beispiel absolut ungeeignet.
Die Ernährungsprobleme in der Dritten Welt sindroß. Ursache sind die Armut und die Verantwortungslo-igkeit totalitärer Regime – dazu zählt zum Beispiel dasommunistische Regime in Nordkorea –, aber auch dieachsende Weltbevölkerung, der kaum vermehrbareckerflächen gegenüberstehen. Daraus ergibt sich dieotwendigkeit, die Intensität der landwirtschaftlichenroduktion zu steigern, damit alle Menschen statt wer-en.Die Probleme bei der Welternährung konnten in denetzten Jahrzehnten deutlich verringert werden. Es wur-en neue Sorten entwickelt. Wir können erwarten, dassit gentechnischen Methoden Erträge weiter gesichertnd die Qualität der Nahrungsmittel weiter verbessert
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Dr. Christel Happach-Kasanwird. Deutsche Unternehmen wollen sich ihrer Verant-wortung bei der Entwicklung neuer Sorten stellen. Dafürbrauchen sie praktikable Rahmenbedingungen, die ihnendie rot-grüne Regierung noch immer verweigert.Der Bundeskanzler ist einmal angetreten, im kriti-schen Diskurs eine verantwortbare Position zur Gentech-nik zu finden. Im Zuge von BSE hat ihn der Mut verlas-sen. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, allein IhreAbwesenheit dokumentiert:
Welternährung ist nicht Ihr Thema,
grüne Gentechnik ist es auch nicht mehr.
Sie haben grüne Gentechnik wegen BSE kurz vor demerfolgreichen Abschluss gestoppt. Schade!
– Herr Westerwelle weiß, dass ich eine gute Rede halte.Er muss nicht hier sein.
Dennoch muss der Streit zwischen Frau Künast undHerrn Clement sowie Frau Bulmahn endlich im Sinneder grünen Gentechnik entschieden werden. Herr Bun-deskanzler, nehmen Sie Ihre Richtlinienkompetenzwahr, sprechen Sie ein Machtwort, beenden Sie die Gra-benkämpfe und bringen Sie diese Innovation in Deutsch-land voran!
Mehr als ein Jahrzehnt Erfahrung mit der grünenGentechnik zeigt: Die grüne Gentechnik ist verantwort-bar, durch ihr Innovationspotenzial hilft sie, in Deutsch-land Arbeitsplätze zu schaffen, und sie ist zur Verbesse-rung der Ernährung der Menschen in den ärmstenLändern der Erde ethisch geboten. Daher unterstützt dieFDP den Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Grundsatz.Herr Kollege Carstensen, in einem Punkt widerspre-chen wir dem Antrag aber ausdrücklich:
Kennzeichnungsschwellenwerte oberhalb der techni-schen Machbarkeitsgrenze sind anders, als Sie es sagenund als Sie es in Ihrem Antrag fordern, sehr wohl akzep-tabel.
Bei der Festlegung der Schwellenwerte müssen die tech-nischen Machbarkeitsgrenzen berücksichtigt werden,aber nicht mehr. Dabei orientiert man sich am Umwelt-und Gesundheitsschutz.ssmdrDF„USbziDDMgv4ctKfBr–dglAEDgENDs
Danke, Herr Carstensen.Der jetzige Außenminister hat im Hessischen Landtagie Turnschuhe eingeführt und den Bau der Anlage zurentechnischen Herstellung von Humaninsulin 14 Jahreang verzögert. Mit dieser Lebensleistung wurde er dannußenminister.
Mit dem Kulturpessimismus der Grünen wären diernährungsprobleme Europas nie gelöst worden.
aher ist der Kulturpessimismus der Grünen auch nichteeignet, den Menschen in den ärmsten Ländern derrde zu helfen.
och immer folgen die Grünen ganz treu Karl Valentin:ie Zukunft war früher auch besser.
Warum unterstützt eine SPD, die sich immer auf ihreoziale Verantwortung beruft, diese Politik? Sie ist un-
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Dr. Christel Happach-Kasanethisch, weil sie verhindert, dass die Möglichkeiten dergrünen Gentechnik zur Entwicklung leistungsfähigerSorten genutzt werden. Sie ist umweltfeindlich, weil siedie Potenziale der grünen Gentechnik zur Verminderungdes Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln nicht nutzt. Sieist verbraucherfeindlich, weil sie sich nicht am Wunschder Verbraucher nach sicheren Lebensmitteln orientiert– transgene Sorten werden besser geprüft als andere.Schließlich ist sie unsozial, weil sie die Abwanderungvon Arbeitsplätzen ins Ausland fördert.Ich fordere die SPD auf, eine derartig dem Gemein-wohl zuwiderlaufende Politik des grünen Koalitionspart-ners zu verhindern.
Laufen Sie den Grünen nicht wie die Lemminge hinter-her und springen Sie nicht in den Abgrund!In den letzten zehn Jahren wurden transgene Sortenmit sehr interessanten und für die Ernährungssituationder Menschen in den ärmsten Ländern der Erde wichti-gen Eigenschaften entwickelt. Golden Rice ist das be-kannteste Beispiel; es gibt einige andere mehr. DieFrage, ob transgene Sorten verantwortbar sind, ist beant-wortet: Sie sind verantwortbar. Inzwischen stellt sich dieFrage, ob es ethisch verantwortbar ist, den Landwirten inden Entwicklungsländern diese Sorten weiter zu verwei-gern.
Professor von Weizsäcker hat in seiner Rede zum Car-tagena-Protokoll über ein Beispiel aus Indien berichtet, beidem sich der Anbau einer transgenen Sorte nicht bewährthaben soll. Das mag so sein. Vor solchen Sorten muss aberniemand geschützt werden. Professor von Weizsäcker, ichbedauere sehr, sagen zu müssen: Dieses einzige Beispiel inIhrer Rede zum Cartagena-Protokoll war unter Ihrem Ni-veau. 6 Millionen Landwirte haben im vergangenen Jahrtransgene Kulturpflanzen angebaut. 75 Prozent davon wa-ren Kleinbauern in Entwicklungs- und Schwellenländern.Ihre Anzahl ist von Jahr zu Jahr gestiegen.Der Beauftragte für Welternährungsfragen des Evan-gelischen Entwicklungsdienstes stuft den Beitrag dergrünen Gentechnik zur Sicherung der Welternährung alsgering ein und sieht die Gefahr der Abhängigkeit derKleinbauern von Patentinhabern. Die Realität sieht an-ders aus. Den theoretischen Vorbehalten stehen ganzkonkrete Vorteile der grünen Gentechnik gegenüber, wiezum Beispiel sichere Ernten durch Bt-Mais in China.Das Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften inMünchen hat einen Leitfaden entwickelt, mit dem trans-gene Sorten nach ökologischen, ökonomischen und so-zialen Kriterien individuell bewertet werden können. Einsolcher Leitfaden ist ethisch sehr viel wertvoller als diegrüne Fundamentalopposition gegen die grüne Gentech-nik.
Er ermöglicht es, die Eignung einzelner Sorten zu be-werten, statt alle pauschal zu verdammen. Eine wach-sende Weltbevölkerung stellt steigende AnforderungenawbdetGHSRkarkwgduWnwdFiSvAChmdvme
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!err Carstensen und Frau Happach-Kasan, ich schätzeie beide sehr. Aber ich muss sagen: Nach Ihren beidenedebeiträgen ist, glaube ich, auch dem letzten Zuhörerlar, worum es Ihnen heute Morgen geht: Es geht um daslte Ritual: „Wie beschimpft die Opposition die Regie-ung?“ und das wieder möglichst laut in der Öffentlich-eit. Ich finde es außerordentlich schade, dass Sie dieichtige und ernste Frage der Bekämpfung des Welthun-ers und die Frage, was wir dazu beitragen können, mitiesem Ritual vermischen. Das tut dem Thema nicht gutnd das tut auch dem Deutschen Bundestag nicht gut.
Dabei sind und waren wir schon weiter. Die Frage deselthungers und seiner Bekämpfung beschäftigt Sie ge-auso wie uns im Agrarausschuss. Gerade gestern habenir über einen Antrag – übrigens der SPD – zur Frageer Landreform geredet, die selbstverständlich mit derrage der Bekämpfung des Welthungers zu tun hat; dennn den Entwicklungsländern bedarf es insbesondere dericherung von bäuerlichen Familienexistenzen und einerernünftigen Sozialstruktur. Das fehlt jedoch in Ihremntrag; das wissen Sie auch.Gerade gestern hat der Kollege Deß von der CDU/SU einen sehr bemerkenswerten Beitrag geleistet. Erat darauf hingewiesen, dass auch im Zusammenhangit der Zuckerordnung sehr sorgfältig auf die Sicherunger bäuerlichen Familienbetriebe und damit den Aufbauon Sozialstrukturen in der Dritten Welt geachtet werdenuss, die für die Bekämpfung des Welthungers dringendrforderlich sind. Wo ist denn das in Ihrem Antrag?
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Ich habe den Eindruck, dass Sie wieder einmal einepolemische Diskussion und keine seriöse Diskussions-grundlage gesucht haben. Ich kann das nur bedauern undalle auffordern, das im Zuge der weiteren Diskussion zuändern; denn es ist doch völlig klar: Das Recht auf Nah-rung gehört zu den Grundrechten jedes Menschen. Da-rüber wird sich dieses Haus doch wohl auch im Klarensein.
Wenn Sie, Herr Carstensen, was ich gut finde, die Do-kumente der FAO zitieren, dann tun Sie es doch bitterichtig.
Ich lese es Ihnen gerne noch einmal vor. In der letztenWoche, nämlich am 16. Oktober, war Welternährungs-tag. Am Welternährungstag hat der Generaldirektor derFAO ausdrücklich dazu aufgefordert, gemeinsam eineAllianz gegen den Hunger zu bilden, die die Ursachenfür den Hunger bekämpft. Zu den Ursachen des Hun-gers gibt es eine Menge an wirklich wichtiger internatio-naler Übereinstimmung. So weist zum Beispiel der Welt-ernährungsgipfel deutlich darauf hin, dass „Hungersowohl Ursache als auch Auswirkung von extremer Ar-mut ist, durch den die Armen dieser Welt davon abgehal-ten werden, von neuen Entwicklungen zu profitieren“.Das müssen wir berücksichtigen und angehen.Da spielt natürlich auch die deutsche Agrarpolitik unddie europäische Agrarpolitik eine große Rolle. Wir allewissen ganz genau, dass die Agrarmärkte der Entwick-lungsländer auch durch die Subventionen der EU beimAgrarexport mit kaputt gemacht werden. Mit den Über-legungen, das zu ändern, haben wir uns in diesem Som-mer beschäftigt. Mich ärgert, dass die CDU den deut-schen Bauern immer wieder erklärt, das gehöre zu derschlechten Agrarpolitik dieser Regierung oder der EU.
– Sehen Sie, das ist gerade die Widersprüchlichkeit, diemich dazu bringt, zu sagen: Es geht Ihnen eben um Pole-mik und Rituale, nicht etwa um die Sicherung der Welt-ernährung.
Zur Stabilisierung der Märkte – bitte akzeptierenSie auch das – sind Landreformen in vielen Teilen derWelt notwendig. Wenn Sie das genauso sehen, dann un-terstützen Sie es doch.
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nd Vernebelungstaktik, wo es um klare Feststellungenehen müsste, zum Beispiel bei der Kennzeichnungs-flicht. Darauf werde ich gleich noch eingehen. Au-erdem liest sich Ihr Antrag streckenweise wie der Wer-ewaschzettel der entsprechenden Industrie, die ihrrodukt verkaufen will. Das gilt auch für Functionalood, die ja mit Gentechnik nicht zwangsweise etwas zuun haben muss. Diese Art von Lebensmitteln wird heutechon vielfach ohne Gentechnik hergestellt.Ich finde Ihren Antrag deswegen so ärgerlich, weiler Generalsekretär der Vereinten Nationen in seinemüngsten Bericht, der jetzt in der Generalversammlungiskutiert wird, den Industrieländern viel konkreterichtiges und Verpflichtendes ins Stammbuch geschrie-en hat. Er hat deutlich gemacht, dass die Abhängigkeiter Entwicklungsländer nicht vergrößert werden darf,ondern vermindert werden muss. Was aber finden wir inhrem Antrag? Die Bundesregierung soll sicherstellen,ass Kleinbauern nicht abhängig werden, sagen Sie undollen gleichzeitig deren Abhängigkeit von Patenten er-öhen. Auch Ihr Widerstand gegen die EU-Agrarreformuss in diesem Zusammenhang benannt werden.
ie müssen einmal laut sagen, was Sie wollen, und sichicht in Unverbindlichkeiten ergehen. Lesen Sie einmalach, was Genetiker aus Äthiopien vom „Goldeneneis“ und vor allem von seinen Auswirkungen auf diernährungslage oder die Sozialstruktur im ländlichen
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Dr. Herta Däubler-GmelinRaum halten. Das ist doch keineswegs nur positiv, son-dern sehr problembehaftet.Ich komme zu einem Punkt, der mich zusätzlich är-gert: Ihre Äußerungen zur Kennzeichnungspflicht. Dahabe ich Frau Happach-Kasan überhaupt nicht verstan-den. Ich habe immer gedacht, Sie würden mit mir dieGrundauffassung teilen, dass die Wahlfreiheit der Land-wirte und der Verbraucher ein hohes Gut ist. Wenn Siedie grüne Gentechnik mit Schwellenwerten einführenwollen, von denen Sie gerade gesprochen haben, hat we-der der Verbraucher noch der Landwirt irgendeineChance zu Wahlfreiheit. Sie als Biologin müssten daseigentlich laut sagen. Ich halte nichts davon, den Men-schen – unter welchem Vorwand auch immer – ein X fürein U vorzumachen. Wer Wahlfreiheit und die Chancefür Koexistenz will, darf bei der Kennzeichnung nichtüber die technische Nachweisgrenze gehen.
Ich habe weiterhin den Eindruck, dass Sie mir nicht zu-
gehört haben. Ich habe in meiner Rede darauf hingewie-
sen – das ist Ihnen vielleicht entgangen –, dass die grüne
Gentechnik für die Union ein Instrument ist und sie sehr
wohl um die Komplexität des Themas Hunger weiß.
Können Sie mir aufgrund Ihres landwirtschaftlichen
Sachverstands sagen, wie Sie den Herausforderungen
der nächsten Jahre begegnen wollen? Die FAO spricht
davon, dass wir eine Steigerung der Erträge um 60 Pro-
zent brauchen, davon notwendigerweise 80 Prozent
durch eine Steigerung des Flächenertrags. Wie wollen
Sie diese Steigerung erreichen, wenn Sie den Entwick-
lungsländern nicht moderne Technologien zur Verfü-
gung stellen?
Lassen Sie mich bitte eine letzte Frage stellen. Wenn
das Thema so wichtig ist, wieso gibt es eigentlich keinen
Antrag zu diesem Bereich von der Koalition?
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ch will es dennoch probieren. Lassen Sie mich nochinmal wiederholen: Ich habe jedem Wort, das Sie vor-in gesagt haben, ehrfürchtig, so wie es der Respekt vorhnen gebietet, zugehört. Natürlich haben Sie auch die-en Satz vorgetragen. Jetzt haben Sie ihn wiederholt. Ichin froh darum, weil er dadurch vielleicht eine größereedeutung bekommt. Er hat vorher auch nicht länger ge-auert als wenige Sekunden und Sie haben insgesamtund 7,5 Minuten geredet. Das war der einzige Satz.
ber die Frage Ihrer Gewichtung und der damit verbun-enen Wertigkeit sollten Sie jetzt vielleicht noch einmalachdenken.Der zweite Punkt ist folgender: Eine seriöse Ausei-andersetzung mit dem Hungerproblem – Sie wissen,ass ich gerade bei der FAO in Rom war – zeigt, dass esn der Tat richtig ist, dass die Erwartung von Mitte der0er-Jahre, man könne die Zahl der Menschen, die aufer Welt Hunger leiden, bis 2015 halbieren, im Momentkeptisch beurteilt wird. Wenn man sich anschaut, wel-he Länder der Welt bei der Verbesserung der Hungersi-uation Erfolg haben und welche Länder nicht, danntößt man auf das auch von Frau Happach-Kasan, aller-ings in falschem Zusammenhang, erwähnte Indien.Indien ist ein Land, das seit Jahren GMOs einsetzt,as Nahrungsmittel exportiert und ein steigendes Hun-erproblem hat, trotz all der hervorragenden Ergebnisse,ie Indien unzweifelhaft erreicht hat. Schon diesesüsste jedem sagen, dass das Hungerproblem, was auchuf dem World Food Summit gesagt wurde, ein Vertei-ungs- und Armutsproblem ist. Dass die Technik und derechniktransfer aus den verschiedenen Zonen der Weltine Rolle spielen, ist gar keine Frage, aber keine ent-cheidende. Schauen Sie doch einmal in den Bericht desN-Generalsekretärs! Dann werden Sie genau das fest-tellen. Ich will Ihnen die Passage gerne zitieren, damitie nicht meinen, ich würde etwas Falsches sagen. Dereneralsekretär schreibt in seinem Bericht an die Gene-alversammlung der Vereinten Nationen:
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Dr. Herta Däubler-GmelinBiotechnology has yet to deliver products in agri-culture, health industry and environment in develo-ping countries.
– Er spricht nun einmal Englisch. Ich finde gut, dass Sieso deutlich machen, dass Sie es verstehen.
Ich übersetze es aber bei Bedarf auch gerne. Er führtfort: Es gibt ein bisher ausgesprochen begrenztes Inte-resse des privaten Sektors, transgene Produkte von eini-germaßen großer Bedeutung an die sich entwickelndenLänder zu übergeben.
Das sind die Probleme, mit denen wir es zu tun haben.Da geht es um Geld und Gewinne, nicht um die Über-windung des Welthungers. Das ist in Ihrem Antrag, derdurch Einbahnstraßendenken gekennzeichnet ist, leiderGottes in keiner Weise ersichtlich.
Herr Kollege Heiderich, ich gehe wegen Ihrer Reak-
tion davon aus, dass Ihre Frage bereits vom Kollegen
Carstensen gestellt worden ist. Bitte schön, Frau Kolle-
gin, Sie können fortfahren.
Frau Happach-Kasan hatte sich auch noch gemeldet.
Frau Happach-Kasan hat sich zu einer Kurzinterven-
tion gemeldet, wenn ich das richtig verstanden habe.
Ich bitte um Entschuldigung.
Lassen Sie mich noch einmal Folgendes sagen: Ich
fände es ausgesprochen gut, es gäbe in diesem Haus ei-
nige Zukunftsthemen, die wir von allen Seiten mit ver-
gleichbarer Seriosität behandeln würden, und – –
– Zur Seriosität gehört auch, Herr Goldmann, dass man
zunächst einmal die erste Hälfte eines Satzes anhört, be-
vor man gleich in Jubel oder Klagen ausbricht. Die Be-
kämpfung des Welthungers und die Frage, was wir dazu
beitragen können, gehört ohne Zweifel zu den wichtigen
Zukunftsthemen.
Wie gesagt, das Recht auf Nahrung – dazu gehört auch
die Sicherung der Pflanzen und der so genannten geneti-
schen Ressourcen in allen Ländern – ist ein Menschen-
recht.
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Ich erteile der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan
u einer Kurzintervention das Wort.
Liebe Frau Däubler-Gmelin, Sie haben mich als Bio-ogin nach meiner Meinung gefragt, wofür ich ausge-prochen dankbar bin. Denn ich meine, dass gerade iner grünen Gentechnik Biologiekenntnisse sehr wohlon Bedeutung sind.
Ich habe mich in der Tat mit den Farm Scale Evalua-ions beschäftigt. In diesem Zusammenhang habe ichich mit Botanikern auseinander gesetzt und mich überie tatsächlichen Ergebnisse informiert. Festzustellen ist,ass die Ergebnisse nicht so eindeutig sind, wie Sie unduch Ministerin Künast es darstellen.Aus den Ergebnissen geht schlicht und ergreifend her-or, dass bei dem Anbau von herbizidtolerantem Rapsie Menge der Unkräuter sinkt. Wenn es in einem Raps-eld weniger Beikräuter gibt, ist auch weniger Nahrungür Insekten vorhanden, die auf solchen Beikräuterneben. Von daher ist es richtig, dass die Artenvielfalt ininem Rapsfeld – in dem allerdings ohnehin in ersterinie Raps wachsen soll – dadurch sinkt. Gleichzeitigteigt aber auch der Ertrag, weil der Boden verstärkt demaps zugute kommt statt den Beikräutern.
Das ist eine Frage des Unkrautmanagements; es gehtabei nicht darum, auf welche Art und Weise die Herbi-idtoleranz in einem Rapsfeld hergestellt wurde. Das istit gentechnischen Methoden wie auch mit anderenuchtmethoden möglich. Im Ergebnis kommt es zu einereringeren Artenvielfalt im Rapsfeld. Das bedeutet abericht, dass sie außerhalb des Rapsfeldes ebenfalls sinkt.Von daher rate ich Ihnen Frau Kollegin: Beschäftigenie sich doch ein bisschen gründlicher mit dieser The-atik und fragen Sie auch einen Botanikprofessor nach
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Dr. Christel Happach-Kasander Frage der Artenvielfalt im Rapsfeld, unabhängig da-von, ob es sich bei der angebauten Pflanze um einetransgene Sorte handelt oder nicht!Ich darf auch darauf hinweisen, Frau Däubler-Gmelin, dass sich der Antrag der CDU/CSU-Fraktionauch mit der Sicherung der Welternährung befasst. Wennwir diese Aufgabe Ernst nehmen, dann spielt die Wahl-freiheit, die nur in satten Gesellschaften, nicht aber inder Dritten Welt ein Thema ist, in diesem Zusammen-hang keine Rolle.Das gilt auch für die Kennzeichnungspflicht. Sind Ih-nen die Zahlen bekannt, wie viele Menschen in denärmsten Ländern der Erde lesen und schreiben können?Was hilft diesen Menschen eine Kennzeichnung, wennsie hungrig sind und nicht lesen können?Sie sprechen Punkte an, die in der Auseinanderset-zung in Deutschland an Relevanz gewonnen haben, weilwir eine reiche und satte Gesellschaft sind und es unsleisten können, die Trennung von aus transgenen Pflan-zen und aus anderen Pflanzen hergestellten Lebensmit-teln zu fordern.Ich bitte Sie herzlich, das Thema Welternährung inden Mittelpunkt zu stellen, statt sich an Fragen abzu-kämpfen, die nur in der Auseinandersetzung innerhalbDeutschlands ein Rolle spielen.
Zur Erwiderung hat nun Frau Kollegin Dr. Däubler-
Gmelin das Wort.
Frau Happach-Kasan, Sie wissen, dass ich immer für
Ratschläge dankbar bin. Aber darf ich Ihre geschätzte
Aufmerksamkeit auf den letzten Spiegelpunkt auf
Seite 3 des Antrags der CDU/CSU lenken. Dort wird auf
die Frage der Kennzeichnung ziemlich ausführlich ein-
gegangen. Darauf habe ich mich bezogen. Vielleicht
sollten Sie – wenn ich das zurückgeben darf – den An-
trag einfach einmal lesen. Dann werden Sie feststellen,
dass die Frage der Kennzeichnung sehr wohl angespro-
chen wird. Dort, wo der Kennzeichnungsschwellenwert
als klare Voraussetzung für Wahlfreiheit und Koexistenz
eine Rolle spielen sollte, muss man sich festlegen. Man
kann man nicht argumentieren – das tun Sie bedauerli-
cherweise –: Einerseits, andererseits, ich meine aber gar
nichts! Wer so verfährt, nimmt unseren Bauern jede
Chance für Wahlfreiheit und Koexistenz.
Ich darf Sie darauf hinweisen, dass zum Beispiel der
Träger des Alternativen Nobelpreises des letzten Jahres,
ein Biologe und Genetiker aus Äthiopien, der sicherlich
auch Ihren strengen fachlichen Ansprüchen genügt, sehr
deutlich die Mängel des Goldenen GV-Reises kritisiert
hat. Er meinte auch, das die Grundsätze von Wahlfreiheit
und Nichtabhängigkeit, auf die wir für unsere Bauern
Wert legen, auch für die Bauern in den sich entwickeln-
den Ländern gelten müssten. Er wies auch deutlich auf
die Probleme von GMO beispielsweise für Auswirkun-
gen auf die Sozialstruktur und die Abhängigkeit von ge-
werblichen Schutzrechten hin. Er befürchtet sogar, dass
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Nächster Redner ist der Kollege Helmut Heiderich,
DU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! In we-igen Tagen trifft sich die FAO in Rom, um dort erneutber den „Kampf gegen den Hunger“ zu debattieren. Sieird dort sicherlich die Forderungen betreffend die Nut-ung der Bio- und Gentechnik fortschreiben, die sie be-eits beim Weltgipfel im vergangenen Jahr formuliertat. Frau Künast und Frau Däubler-Gmelin, auch das istestandteil der Forderungen internationaler Organisatio-en. Warum wird genau dieser Punkt von Ihnen in allenhren Reden unterschlagen? Auch das sollten Sie eigent-ich erwähnen.
enn alle Fachleute kommen weltweit übereinstimmendu dem Ergebnis, dass diese Technologie in den nächstenahrzehnten wichtige Beiträge zur Ernährung der Welt-evölkerung leisten kann. Wir behaupten nicht, dass sieie Ernährung der Weltbevölkerung alleine sicherstellenann. Aber sie kann, wie gesagt, einen Beitrag leisten.enn man sie verhindert, dann verhindert man auch eineositive Entwicklung.
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Helmut HeiderichZwei Entwicklungen stehen unverrückbar fest: Ers-tens. Die Weltbevölkerung wird sich in absehbarer Zeitmehr als verdoppeln. Zweitens. Die verfügbare landwirt-schaftliche Nutzfläche pro Kopf wird auf weniger als dieHälfte zusammenschrumpfen. Als Fachleute behauptenwir nicht, dass diese Herausforderungen alleine mit derBiotechnik zu meistern seien. Aber sie werden auchnicht alleine durch Ihren Antrag zur Landreform sowiedas, was Sie jetzt vorgetragen haben, gemeistert werden.Die Erfolge der grünen Revolution haben jedenfalls ge-zeigt, wie deutlich solche neuen Technologien zur Be-kämpfung des Hungers beitragen können.Die Biotechnik steht noch am Anfang, obwohl sie be-reits auf 60 Millionen Hektar eingesetzt wird. Aber siebietet unendlich viele Möglichkeiten, die wir uns geradeerst zu erarbeiten beginnen. Trotzdem, Frau Künast, blo-ckiert die Bundesregierung deren Erforschung, Entwick-lung und Anwendung in Deutschland bereits seit Jahren.Was Sie eben zu den Grenzwerten vorgetragen haben,Frau Däubler-Gmelin, wird diese Blockade weiter erhö-hen.Ich bringe Ihnen einmal eine Warnung der deutschenWissenschaft zur Kenntnis, die aktuell an uns gerichtetworden ist: Mit diesen neuen Gentechnikregeln von FrauKünast wird Forschung zur grünen Gentechnik inDeutschland nicht mehr möglich sein. – Die Leute wis-sen, wovon Sie reden.
Inzwischen ist die Bundesregierung in sich völlig zer-stritten. Die BMBF-Ministerin Bulmahn hat am Montagdieser Woche erklärt: Nach weltweiten Schätzungen wirdim Jahr 2020 jede zweite Innovation mit einem biotechno-logischen Verfahren zusammenhängen. – Der BMWA-Minister Clement – er war vorhin noch hier – sagte imMai 2003 in Washington: Ich werde mit Nachdruck da-für eintreten, dass Europa sein De-facto-Moratorium beigentechnisch veränderten Produkten aufgibt. – LiebeFrau Däubler-Gmelin, würden Sie sagen, dass auch diesebeiden jede Seriosität in der Diskussion um diesesThema vermissen lassen, oder haben Sie da eine andereMesslatte, als wenn Sie über uns reden?
Die positiven Einstellungen werden durch die ideolo-gische Verklemmung von BMVEL-Ministerin Künastständig ausgebremst und konterkariert. Die Ministerinredet öffentlich zwar immer von Wahlfreiheit, meint da-mit aber wohl eher, dass sich jeder in diesem Lande ih-rem einseitigen Weltbild völlig unterwerfen müsse.
Sie haben uns vorhin vorgeworfen, dass wir Polemikin die Diskussion hineinbringen. Ich sage Ihnen: DieRede von Frau Künast war eine einzige Attacke auf un-seren Antrag und auf die Auffassung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Ich will einige wenige Beispiele dazu vortragen, wieir nach unserer Auffassung die Biotechnik hilfreich imampf gegen den Hunger einsetzen könnten. Ich meine,ass wir als Technologienation genau an dieser Stelle et-as leisten müssen, damit die Entwicklungsländer trans-ene Innovationen in ihren landesüblichen Pflanzenan-au einbringen können. Die Labors haben ja schoniniges entwickelt, zum Beispiel Süßkartoffeln mit eineringebauten Virusresistenz, wodurch die heute üblichenrtragsverluste von bis zu 80 Prozent vermieden werdenönnen, oder Bananenpflanzen, die gegen den Sigatoka-ilz resistent sind. Auf Hawaii ist der Papaya-Ringspot-irus durch Gentechnik erfolgreich bekämpft worden.
ie Papayaproduktion auf Hawaii ist heute überhauptur noch möglich, weil eine solche Veränderung stattge-unden hat. Aber das interessiert Frau Künast natürlichicht. Sie redet lieber mit anderen, statt sich solche Ar-umente anzuhören.Ein weiteres Beispiel ist die Bekämpfung der Wur-elunkräuter in der Saharazone in Afrika. Heute müssenie Menschen dort, im Wesentlichen die Kinder und dierauen, jeden Tag auf das Feld gehen und diese Unkräu-er von Hand ausreißen. Trotzdem müssen sie amchluss einen Ernteverlust hinnehmen. Frau Däubler-melin, wo ist da Ihr Blick auf die Sozialstruktur? Ha-en Sie auch einmal über dieses Thema nachgedacht?
Es gibt eine ganze Menge Möglichkeiten, die bereitsorhandenen Entwicklungen auch zum Nutzen der Ent-icklungsländer umzusetzen, aber wir müssen etwas da-ür tun. Da frage ich Sie, Frau Künast: Wo sind der Bei-ag Ihres Ministeriums und der Beitrag Deutschlands alsorschungsnation, um den Entwicklungsländern in die-er Frage zu helfen? Eines ist doch klar: Die großen pri-aten internationalen Organisationen kümmern sich zu-ächst um die weit verbreiteten Nahrungsmittel, weil sie ihren Ertrag erzielen müssen. Aber wir mit unserenniversitäten und Institutionen hätten die Möglichkeit,twas für die für die Entwicklungsländer so wichtigenrüchte und Nahrungsmittel zu entwickeln und mit ih-en gemeinsam so umzusetzen, dass diese Technik dortrfolgreich angewendet werden kann. Hier liegt unsereufgabe. Wir sollten einiges tun, um den Entwicklungs-ndern, wie Sie gesagt haben, Hilfe zur Selbsthilfe zueben.Gerade die kleinen Landwirte dort brauchen keineeue technische Ausstattung. Sie müssen keine großenapitalinvestionen vornehmen, um mit dem biotech-isch fortentwickelten Saatgut Erfolge erzielen zu kön-en. Es geht doch nicht an, dass wir uns verpflichten,en Entwicklungsländern zu helfen – in der letzten Wo-he haben wir den Entwurf eines Gesetzes zu dem Proto-oll von Cartagena verabschiedet –, und gleichzeitig,enn es um diese Fragen geht, außen vor bleiben und
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Helmut Heiderichlieber über Bürokratieabbau in Deutschland statt überErfolge für die Entwicklungsländer diskutieren. Hiersind wir in der Pflicht und hier muss die Bundesregie-rung endlich etwas tun.Schönen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Den Hunger in der Welt bekämpfen, das ist eine
Vorstellung, die wir alle teilen. Den Hunger in der Welt
mit grüner Gentechnologie bekämpfen, das ist eine
große, eine sehr interessante Herausforderung. Aber ist
es eine realistische Herausforderung? Diese Frage muss
erlaubt sein. Ist der Hunger in der Welt zum Beispiel
nicht eher – Frau Ministerin Künast und auch Herta
Däubler-Gmelin haben darauf hingewiesen – ein Pro-
blem der ungerechten Verteilung? Müsste dieses Pro-
blem nicht politisch gelöst werden?
Kann man ein politisches Problem mit einer technischen
Antwort lösen?
Ich glaube, auch das ist eine interessante Frage.
Ich habe meine Zweifel, ob grüne Gentechnologie die
richtige Antwort auf diese Frage ist. Ich will das auch
begründen. Wir haben einigen Optimismus gehört. Wenn
man optimistisch ist, dann kann man sagen, dass der ver-
stärkte Anbau gentechnisch veränderter Organismen und
Nahrungsmittel die Produktion der Entwicklungsländer
erhöhen könnte. Aber ist diese optimistische Sicht realis-
tisch? Ich stelle diese Frage, weil der Zeitraum der Er-
fahrungen, die wir mit grüner Gentechnologie haben, ge-
messen an der Evolution sehr klein ist. Ist es nicht
geradezu notwendig, Pro und Kontra in einer Angele-
genheit, die möglicherweise nicht rückholbar ist, abzu-
wägen?
Herr Carstensen und Sie von der FDP haben heute
wie üblich behauptet, wir seien vorurteilsbehaftet und
ideologieverblendet. Es wird langsam langweilig. Es war
fast herausragend, dass Herr Heiderich auch einmal ein
paar positive Beispiele genannt hat. Ich will Ihnen einige
Argumente nennen, die mindestens zum Nachdenken an-
regen sollten.
Mein Kollege Ernst Ulrich von Weizsäcker hat letzte
Woche von dieser Stelle von seiner Reise nach Indien in
diesem Monat berichtet. Er traf dort Bauern, die eine
gentechnisch veränderte Baumwollart anpflanzen. Die-
ser Baumwollart wurde ein Gen aus einem Bodenbakte-
rium eingepflanzt, das das Insektizid gegen den ärgsten
Feind selbst produziert. Dieses Saatgut ist zwar viermal
so teuer wie das bisher verwandte konventionelle; aber
die Mittel für die höheren Kosten sollten dadurch wieder
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Das Bt-Insektengiftgen ist übrigens eines der Vorzei-
eprodukte der grünen Gentechnologie. Auch wird im-
er propagiert, wie sinnvoll der Einsatz des so genann-
n Bt-Maises gegen den ärgsten Feind des Maises, den
aiszünsler, sein könne. Man ist zunächst geneigt, zu
lauben, dass man im Vergleich zu normalen Maispflan-
en weniger Pestizide, also weniger Insektengift, aus-
ringen muss.
Bt ist übrigens das einzige im ökologischen Landbau
ugelassene Gift. Es wird bei Befall der Pflanzen in sei-
er inaktiven Kristallform auf die Felder versprüht. Erst
Magen der Insekten wird es – diese interessante Vari-
nte kennen wahrscheinlich die wenigsten – in die ak-
ve, giftige Form umgewandelt. Wenn es von den Insek-
n nicht aufgenommen wird, dann wird es vom
onnenlicht binnen weniger Stunden zerstört; das Gift
ann nicht mehr aktiv werden und es bilden sich keine
esistenzen.
Genau das ist der elementare Unterschied zum gen-
chnisch veränderten Mais; er produziert dieses Gift
ämlich ständig in seiner aktiven Form. Untersuchungen
aben gezeigt, dass dieses Gift nach der Ernte im Pflan-
enabfall noch persistent ist. Das führt schlicht und ein-
ach dazu, dass die Gefahr sehr groß ist, dass die Schad-
sekten Resistenzen ausbilden. Wenn Resistenzen
usgebildet werden, dann bedeutet das automatisch das
us für den ökologischen Landbau und die Nutzung des
t-Giftes.
Herr Röspel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Heiderich?
Ja.
Herr Kollege Heiderich, bitte, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Röspel, da Sie hier über die Frage dest-Maises sprechen, sind Ihnen sicherlich auch die Stu-ien aus Nordamerika bekannt, die genau zu diesemroblem der Resistenzen gemacht worden sind. Im End-rgebnis hat man in allen Studien festgestellt, dass eselbst dort nicht zu solchen Resistenzen gekommen ist,o man keine Refuges, also Bt-Mais-freien Zonen,
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5920 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Helmut Heidericheingerichtet hat. So hat sich das Problem, das Sie ebenangesprochen haben, in der landwirtschaftlichen Praxisnicht bewahrheitet.
Das stimmt in dieser Konsequenz nicht. Es gibt zwarin der Tat diese Studien, es gibt aber auch andere Stu-dien, die zu anderen Ergebnissen gekommen sind. Dashat dazu geführt, dass die US-amerikanische Umweltbe-hörde, die für die Zulassung zuständig ist, die EPA, denAnbau von Bt-Mais nur zulässt, wenn ein Insektenresis-tenz-Managementprogramm nachgewiesen wird. Daswiederum beinhaltet, dass auf 20 Prozent jeder Anbau-fläche konventioneller Mais angebaut werden muss. Derwissenschaftliche Beirat bei der EPA hat übrigens einenAnteil von 50 Prozent gefordert, das heißt, man hätte aufder Hälfte der Fläche konventionellen Mais anbauenmüssen, um sicherstellen zu können, dass es zu keinenResistenzen kommt. Gerade aufgrund der Erkenntnissein den USA, dass es Resistenzen gibt, hat die EPA, dienun wirklich nicht technikfeindlich ist, dieses Manage-ment in den USA vorgeschrieben.An diesem Punkt wird deutlich, dass diese Technolo-gie schlicht und einfach nicht dazu geeignet ist, unter inEntwicklungsländern herrschenden Bedingungen ange-wandt zu werden. Dort gibt es in der Regel wenig großeFlächen. Außerdem setzt diese Technologie ein Vorge-hen und eine Kenntnis von Landwirtschaft voraus, dieüblicherweise in den kleinbäuerlichen Strukturen nichtvorhanden sind.
Es gibt übrigens andere Wege – es wird ja immer nachAlternativen gefragt –: 65 000 Kleinbauern in Bangla-desh versuchen künftig, ohne Chemie Landwirtschaft zubetreiben, das heißt auch ohne Abhängigkeit von Impor-ten und großen Konzernen. Sie bauen im WechselFrüchte wie Zwiebeln, Knoblauch, Rettich, Linsen, Kar-toffeln, Kürbisse und Zuckerrohr an. Statt Kunstdüngernehmen sie stickstoffhaltige Hülsenfrüchte oder Was-serhyazinthen; man kann immer noch dazulernen.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,Sie bezeichnen in Ihrem Antrag an anderer Stelle – dashaben wir heute schon mehrfach gehört – den so genann-ten goldenen Reis als mögliche Waffe gegen Vitamin-A-Mangel, der ja leider sehr häufig Kinder in der DrittenWelt betrifft. Was ist das nun für ein Reis? In diesen hatman gentechnisch Betacarotinmoleküle eingebaut, diedie Vorstufe von Vitamin A darstellen. Die Chemikerund Biologen, verehrte Kollegin von der FDP, wissen,dass Betacarotin ein fettlösliches Molekül ist. Das heißt,Sie können es nur für den Körper verfügbar machen,wenn Sie geeignete fettreiche Nahrung zu sich nehmen.Deswegen essen wir den Salat mit Öl, um diese Mole-küle überhaupt mobilisieren zu können. Nun gibt es abergerade in den Bereichen, wo Vitamin-A-Mangel kombi-niert mit anderen Mangelerscheinungen auftritt, keineMöglichkeit, sich fettreich zu ernähren. Das heißt, werwill, dass Golden Rice als Mittel gegen Mangelerschei-nungen geliefert und angebaut wird, muss auch für fett-rhBVfwkuRBdvawdsugsslVtgklsndbFKDiUTsrptDwMbdMvPwn
Eines ist allen Technologien gemeinsam, die wir inie Dritte Welt exportieren: Sie werden einheimische,tandortgerechte, bodenständige, traditionelle Verfahrennd Saatgute verdrängen und neue Abhängigkeiten vonroßen Konzernen der ersten Welt schaffen und wahr-cheinlich kleinbäuerliche Strukturen dauerhaft zer-tören. Es ist nicht zu erwarten, dass diese teure Techno-ogie den Entwicklungsländern dauerhaft gratis zurerfügung gestellt wird. Das Eigeninteresse der Indus-rieländer wird natürlich bestehen bleiben. Einige Kolle-en und ich haben das gestern wieder direkt erfahrenönnen.Wir hatten Besuch von einem Reisbauern aus Thai-and. Dieser Besuch wurde vermittelt von einer Organi-ation, die nicht unbedingt verdächtig ist, der Gentech-ik mit Vorurteilen zu begegnen, nämlich von Misereor,em Hilfswerk der katholischen Kirche. Dieser Reis-auer aus Thailand hat uns nicht nur die Situation seineramilie, sondern auch die Situation von 5 Millionenleinbauern in der Region, in der er lebt, geschildert.iese Bauern leben vom Anbau des Jasminreises. Dasst ein Reis mit einem besonderen Aroma, der in dieSA exportiert wird. Damit erzielen die Bauern eineneil ihrer Erlöse.Die USA versuchen nun im Rahmen eines For-chungsprojekts, diesen Reis mit gentechnischen Verfah-en an die klimatischen Bedingungen in den USA anzu-assen. Gelingt der Anbau in den USA, wird denhailändischen Bauern die Existenzgrundlage entzogen.ann werden wir wieder eine Debatte führen und unsahrscheinlich überlegen, mit welchen gentechnischenethoden wir diesen Bauern helfen können.
Regelmäßig erscheinen neue wissenschaftliche Ar-eiten zu den Auswirkungen der Gentechnologie aufie Umwelt, manchmal mit gegensätzlichen Aussagen:endelsohn et al. relativieren in der September-Ausgabeon „Nature Biotechnology“ die Auswirkungen von Bt-flanzen auf die Umwelt. In Großbritannien gibt es dieeltweit größte Studie zu den Auswirkungen gentech-isch veränderter Nutzpflanzen. Im Rahmen dieser Stu-
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René Röspeldie wird von massiven Auswirkungen auf die Vielfaltvon Ackerkräutern und auf die Insektenfauna gespro-chen. Wir wissen also nicht eindeutig, welche Folgendas Ausbringen von gentechnisch veränderten Pflanzenin die Natur haben kann.Ich habe vor einigen Wochen zusammen mit HerrnBundestagspräsident Thierse von der Aktion „Mensch“das Ergebnis der Kampagne „www.1000fragen.de“überreicht bekommen. Eine der Fragen hat mich sehr be-eindruckt: Dürfen wir ein Spiel spielen, dessen Regelnwir nicht verstehen? Wenn wir nicht wissen, welcheKonsequenzen es haben kann, ein Gen aus einem Bo-denbakterium in eine höhere Pflanze einzubauen, ist esdann nicht sinnvoller, eher zurückhaltend zu sein? Soll-ten wir nicht gerade gegenüber den Entwicklungsländernaufhören, zu glauben, dass unsere Technologie besser seials ihre Tradition?
Mein letzter Punkt. Sie sprechen in Ihrem Antrag da-von, dass Gentechnik helfen könnte, Pflanzen zum Bei-spiel gegen Salz toleranter zu machen. Vielleicht sinddie Entwicklungsländer schon weiter, als wir glauben.Ein thailändischer Forscher hat sich die 7 000 einheimi-schen Reissorten vorgenommen und hat 230 Varietätenunter salzhaltigen Bedingungen in seinem Institut ange-baut. Vier Sorten haben diese salzhaltigen Bedingungenertragen. In ihrem Anbau liegt die Zukunft in dieser salz-haltigen Region: ohne Gentechnik und mit Sorten, diedie einheimischen Bauern bezahlen können und die sieselbst vermehren können, weil diese Sorten seit Jahrhun-derten an die dortigen Bedingungen angepasst sind.Ich hoffe, ich habe Ihnen ein wenig erläutern können,warum ich glaube, dass wir das Problem der Welternäh-rung nicht technisch lösen können. Die wichtigsten Ur-sachen haben andere schon erwähnt. Technik hilft dawenig.
Nächster Redner ist der Kollege Albert Deß, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Bedeu-tung der grünen Gentechnik für die Welternährung gibtGelegenheit, auf die Chancen der modernen Biotechno-logie hinzuweisen und die Öffentlichkeit erneut über dieunsinnige Bremserrolle von Rot-Grün bei der Nutzungdieser Zukunftstechnologie aufzuklären.
Dass immer noch über 800 Millionen Menschen,hauptsächlich in den Entwicklungsländern, an Unter-ernährung leiden, ist schlichtweg ein Skandal. NebeneVaedsdkebvgaTBbVltgsRVKdeRsdwrDgiwlSkgEnspDendzPg
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Höfken,
ündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undollegen! Ich bedanke mich ganz herzlich bei der CDU/SU-Fraktion für die Möglichkeit, diese Debatte heuteu führen. Damit hört der Dank aber auch schon auf;enn ich finde Ihre Argumente wirklich gruselig. Sieind voller Ideologie.
hre Ideologie, die Sie unter dem Deckmantel, das Hun-erproblem in der Welt – das nehme ich Ihnen übel – miter Gentechnik lösen zu wollen, verbreiten, finde ich in-am. Das ist ein leeres Versprechen, von dem keiner sattird.
Ich gehe noch einmal – eigentlich wollte ich es nichtun – auf den Golden Rice, diese angebliche Wunder-affe, ein. Erstens wird er – das Bundesministerium fürerbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hatier nachgeforscht – nicht kostenlos abgegeben.Zweitens ist diese Art von Zwangsmedikation – dasöchte ich den Ausführungen meines Kollegen Röspelinzufügen – keineswegs positiv für die menschlicheesundheit. In der EU wurden extra, von Deutschlandnterstützt, Grenzwerte in Bezug auf Betacarotin einge-ührt, weil die Verwendung von Betacarotin für die Ge-undheit problematisch ist.Drittens beinhaltet das Recht auf Nahrung die Mög-ichkeit – damit komme ich noch einmal auf die WTO-onferenz in Cancun zurück; das möchte ich den Aus-ührungen der Ministerin hinzufügen –, die Zwangsbe-lückung in Form von gentechnisch veränderten Nah-ungsmittelhilfe zurückzuweisen, wie das Sambia nachen Problemen, die in Mexiko bestehen, zu Recht getanat. Das betrifft darüber hinaus die Aspekte der Nach-altigkeit. Denn die Ackerflächen gehen doch aufgrundicht standortgemäßer Bewirtschaftung verloren. Hieruss etwas getan werden.
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Ulrike HöfkenErneuerbare Energien wären zum Beispiel ein gutes Mit-tel, um die Armut in diesen Ländern bekämpfen zu hel-fen und die Hilfe zur Selbsthilfe voranzutreiben.
Den Ausführungen über Indien will ich hinzufügen:Dort ist gerade die gentechnisch veränderte Sorte einesPartners von Monsanto zurückgewiesen worden, weil siedie lokalen bzw. regionalen Sorten gefährdet, die einebessere Resistenz gegen einen dort vorherrschendenSchädling haben.Damit komme ich zum Thema Resistenzen – Sie be-rücksichtigen offensichtlich überhaupt nicht die in die-sem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse –: In denUSA – davon hat der Kollege Röspel gesprochen – gibtes die Erkenntnis, dass es drei neue Mutationen gibt, undzwar im Zusammenhang mit dem Bt-Mais. Auch hiergibt es warnende Schilder, die in Anbaumanagementplä-nen gipfeln und die in allen betroffenen Ländern – auchbei uns – eingeführt werden müssten.Ich möchte auf die Studie aus Großbritannien zu spre-chen kommen. Sie ist die aktuellste; einige Teile liegenseit längerem vor. In ihr werden wesentliche Punkte dar-gestellt: Erstens ist der Einsatz von gentechnisch verän-derten Agrarprodukten und Lebensmitteln – dasdeckt sich übrigens mit unseren Erkenntnissen – unwirt-schaftlich, weil sie unverkäuflich sind. Der Markt willsie nicht; der LEH lehnt sie ab.
– Aber natürlich. Es gibt Dutzende von Untersuchungenin Großbritannien. – Sie sind zweitens unwirtschaftlich,weil sie nicht zu gesicherten höheren Erträgen führen;die entsprechenden Studien kann man zuhauf wiederho-len. Zudem führen sie zu geringeren Kosten.Sie sind drittens umweltschädlich; sogar die Vögelsind bedroht. Die Auskreuzungen sind wesentlich be-drohlicher, als bisher angenommen. Bisher ging manvon 800 bis 900 Metern aus. Jetzt ist in Großbritannienvon 26 Kilometern die Rede. Das heißt, man muss dieseErkenntnisse einbeziehen.Das „Handelsblatt“ schreibt heute: „Die Gentechnikist tot.“ Es verweist darauf, dass Monsanto Großbritan-nien verlassen hat. Ich sage einmal: Monsanto hat eswahrscheinlich getan, weil es sowieso pleite ist.
Wir brauchen – das ist für uns wichtig – klare Rege-lungen zur Sicherung der gentechnikfreien Produk-tion; dies ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Koa-litionsvertrages. Sie ist die Voraussetzung für dieWahlfreiheit der Verbraucher, die Sie doch alle wollen.All das, was an gesetzlichen Rahmenbedingungen dazu-gdvrgvhZmguiWrdribWeDgtdFgdleKeVunjakr
erursachergerechte Haftung, Standortregister, Monito-ing, Schutz der ökologisch sensiblen Gebiete. All diesehört zur Wahlfreiheit. Wer sich diesen Regelungenon der Industrieseite widersetzt – die uns immer gesagtat, die Koexistenz sei möglich, jetzt aber plötzlichweifel äußert und anders lautende Aussagen trifft –, deruss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass dies ein An-riff auf die Demokratie, die Souveränität der Menschennd die Freiheit von Unternehmern und Verbrauchernst. Der Mensch ist, was er isst; das ist seine Intimsphäre.er sie verletzt, verletzt damit auch die Persönlichkeits-echte des Menschen.Deswegen begrüßen wir mit allem Nachdruck, dassie Ministerin Künast in Umsetzung der Freisetzungs-ichtlinie ein neues Gentechnikgesetz
n die Diskussion und in die Ressortabstimmung ge-racht hat. Ihnen, insbesondere denen, die vor allem dieirtschaft im Auge haben, lege ich nahe, was die Bau-rn sagen. Sie sagen, sie brauchten den Frieden in denörfern, sie brauchten Schwellenwerte – die 0,1 Mikro-ramm sind gerade nach den britischen Studien wich-ig –,
ie es in der Praxis ermöglichen, dass man die Food- undeed-Verordnung tatsächlich einhalten kann. Ferner sa-en die Bauern, sie wollten keine Kosten für diejenigen,ie gentechnikfrei produzieren. Ich füge hinzu: Wir wol-n auch nicht, dass der Bundeshaushalt mit weiterenosten belastet wird.Der Bundesverband für Verbraucherschutz lehntbenfalls jede Maßnahme ab, die die Wahlfreiheit dererbraucher gefährden könnte.In diesem Sinne werden wir in die Diskussion gehen,m den Schutz der gentechnikfreien Produktion zu-ächst einmal national zu gewährleisten; die EU hat sich um Regelungen herumgedrückt.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Wir werden – auch unterstützt von der heutigen Dis-ussion; hier bin ich ganz zuversichtlich – damit erfolg-eich sein.Danke schön.
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Nächste Rednerin ist die Kollegin Christa Reichard,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! Ichbeginne mit einer Meldung von gestern: In Deutschlandhaben mittlerweile jedes fünfte Kind und jeder dritteTeenager Übergewicht. Die meisten essen zu viel, zu fettoder zu süß. Mit einer groß angelegten Kampagne willBundesverbraucherministerin Renate Künast nun demÜbergewicht der Jugend in Deutschland zu Leibe rü-cken. Die Welternährungsorganisation meldet zur selbenZeit, dass über 800 Millionen Menschen an Hunger lit-ten und weitere 1,5 Milliarden von Mangelernährung be-troffen seien, und sagt, es seien verstärkte Anstrengun-gen erforderlich, um das Millenniumsziel überhauptnoch erreichen zu können. Diese Meldungen zeigen uns,dass sowohl der Mangel als auch der Überfluss Pro-bleme bereiten.Wir können und dürfen nicht zusehen, wenn Millio-nen von Menschen hungern. Im Gegenteil, wir im rei-chen Norden stehen gerade deshalb in der Verantwor-tung, weil wir mit unserem wissenschaftlichen undtechnischen Know-how dazu beizutragen können, dieseNot entscheidend zu lindern. Fruchtbares Ackerland istin den meisten Entwicklungsländern ein knappes Gut,das durch Wüstenbildung sogar zusätzlich gefährdet ist.Daher muss auf derselben Fläche eine höhere Ernte er-zielt werden, möglichst ohne Böden und Grundwasserstärker zu belasten. Dafür brauchen wir auch neue An-sätze und müssen die Erkenntnisse von Wissenschaftund Forschung für diese Aufgaben nutzbar machen. Na-türlich sind gute Regierungsführung, der Zugang zuWasser und Land und funktionierende Märkte von gro-ßer Bedeutung; das will hier niemand infrage stellen.Aber es wird eben auch die grüne Gentechnik gebraucht.Sie schließt keine der anderen Strategien aus.Mit unserem Antrag wollen wir besonders die Chan-cen der grünen Gentechnik bei der Bekämpfung vonHunger und Mangelernährung in den Mittelpunkt einerparlamentarischen Debatte stellen.
Durch gentechnische Methoden können Pflanzen gegentierische Schädlinge, aber auch gegen Virus- und Pilz-erkrankungen resistent werden. Der Verlust von Erntenließe sich entscheidend reduzieren. Gentechnik kannhelfen, Pflanzen in Bezug auf Einflüsse von Dürre undSalz tolerant zu machen, sodass sie auch auf schlechtenBöden besser wachsen können. Auch die Qualität vonNahrungsmitteln ließe sich deutlich verbessern.Wir haben es schon mehrfach gehört: Durch Vita-minanreicherung im Reis könnte die Kindersterblichkeitum etwa ein Viertel gesenkt werden. Das glaubt nicht ir-gendwer, sondern das ist die Einschätzung der Weltge-sundheitsorganisation.wliusdwSzKardn–SSsDnvgksUmufAFliligIPMFd
Besonders hervorheben möchte ich die positiven Um-eltaspekte. Resistente Pflanzen können zu einem deut-ch reduzierten Einsatz von chemischen Pflanzenschutz-nd mineralischen Düngemitteln führen. Dagegenpricht auch nicht das eine oder andere Beispiel, bei demas nicht der Fall ist. Aber durch diese Technik erhaltenir Chancen.
ie helfen uns, Böden und Grundwasser vor Belastungenu schützen.Ist Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von deroalition, eigentlich klar, dass die grüne Gentechnikuch große Chancen für den Naturschutz bietet? Ertrag-eiche Sorten können helfen, die Rodung von Regenwäl-ern und Savannen zu verhindern. Sie leisten damit ei-en Beitrag zum Klimaschutz.
Das ist überhaupt nicht zum Lachen, Herr Kollege.Vor allem aus ideologischen Gründen verschließenie die Augen vor dieser Schlüsseltechnologie. Lassenie mich auf ein Beispiel aus meinem Wahlkreis verwei-en.
ort will die Bundesanstalt für Züchtungsforschungach langjähriger, öffentlich finanzierter Forschung gen-eränderte Apfelbäume freisetzen, um die Resistenz ge-en Schädlinge zu testen. Grüne Bundestagsabgeordneteämpfen nun gegen die Freisetzung dieser Bäume undtellen damit den Erfolg dieser Investition infrage.
m den Erhalt dieser Forschungseinrichtung hatte ichich vor Jahren erfolgreich bemüht
nd bin über die zukunfts-, forschungs- und standort-eindliche Aktion dieser Abgeordneten entsetzt.Natürlich dürfen wir mögliche Risiken nicht außercht lassen. Auch die Risikobewertung muss Teil derorschung sein und bleiben. Das ist doch selbstverständ-ch. Ich fordere die Bundesregierung auf, die Öffent-chkeit endlich objektiv und nicht einseitig über dierüne Gentechnik zu informieren.
ch erwarte, dass das angekündigte 100-Millionen-Euro-rogramm für Biotechnologieunternehmen, das amontag dieser Woche verkündet wurde, auch für dieörderung der grünen Gentechnik eingesetzt wird.Angesichts der Potenziale der grünen Gentechnik fürie Welternährung und die Umwelt ist eine Politik, wel-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5925
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Christa Reichard
che Forschung, Entwicklung und Anwendung der grü-nen Gentechnik hemmt, einfach verantwortungslos. Wirhaben die Chance, einen Beitrag gegen Hunger undMangelernährung zu leisten. Nutzen wir sie!
Nächster Redner ist der Kollege Reinhold Hemker,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Im Antrag, über den wir heute debattieren, wird mit
Recht auf den Welternährungsgipfel des Jahres 1996 und
seine Abschlusserklärung verwiesen. Es wird im Antrag
deutlich, dass die Nachfolgekonferenz im Jahr 2002
noch einmal die Brisanz der Welternährungskrise be-
wusst gemacht hat. In der Abschlusserklärung wurde
auch betont, dass weltweit kaum Fortschritte erzielt wur-
den.
Vor allem wurden die Rahmenbedingungen national
und international nicht so verbessert, dass mit besseren
Produktionsbedingungen für Nahrungsmittel sowohl in
quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht zu rechnen
ist. Der im Antrag erwähnte so genannte versteckte Hun-
ger, also Mangelernährung, konnte nicht eingeschränkt
werden.
Die Bemühungen im Rahmen des Welternährungs-
programms, auf das verwiesen wird, für und in be-
stimmten Notstandsgebieten haben im Übrigen dazu bei-
getragen – zum Teil mit Miniüberlebensrationen aus
gentechnisch verändertem Mais bzw. Soja –, dass die
Zahl der Verhungerten bzw. Verhungernden vorüberge-
hend zurückgegangen ist und weiter zurückgeht, Herr
Carstensen. Allerdings wurden und werden damit keine
Chancen für ein lebenswertes Leben eröffnet. Aber – das
ist das Entscheidende – insgesamt ist die Produktions-,
Verteilungs- und damit auch die Versorgungssituation
zurzeit so, dass – darauf ist schon hingewiesen worden –
die Ziele des Aktionsprogramms 2015 weltweit auch
nicht annähernd erreicht werden können. Das ist das
eigentliche Problem und der eigentliche Skandal.
Ein Mangel an Nutzung der Chancen der grünen Gen-
technik bestand und besteht in diesem Zusammenhang
– so stellt es auch die FAO dar – nicht, wie es die CDU/
CSU in ihrem Antrag direkt oder indirekt unterstellt.
Aber es besteht nach wie vor ein Mangel darin, die
Auswirkungen der Kolonialzeit abzustellen und die Be-
dingungen der Globalisierung sowie die ungerechte
Welthandelsordnung mit tief sitzenden spürbaren struk-
turellen Problemen zu ändern. Dafür müssen wir uns
einsetzen.
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amit nicht Diktatoren oder solche Leute wie in Sim-abwe, zum Beispiel Herr Mugabe, diese Menschen mo-ilisieren können. Das ist unser Anliegen. Darum geht esei jeder Welternährungsdebatte.Es muss klar sein, dass der größte Teil der Bevölke-ung – das gilt und galt übrigens auch in Simbabwe –einen direkten Zugang zu eigenen nutzbaren Landflä-hen hat. Oder sie haben wie in vielen Entwicklungslän-ern viel zu kleine Flächen – und dann auch noch ohneesitztitel – für eine angemessene, effiziente Produk-ion.Daraus folgt nicht nur für mich – darüber müssen wirei einem solchen Antrag wie dem heute vorliegendeniskutieren –: Die Welternährungskrise ist vor allemurch strukturelle Probleme bedingt. Dieser Aspektuss folglich auch bei den Reformbemühungen als
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5926 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Reinhold Hemkerwesentliche Ursache berücksichtigt werden, an denensich im Übrigen unser Ministerium für Verbraucher-schutz, Ernährung und Landwirtschaft und das Ministe-rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung seit fünf Jahren international und national sehrintensiv beteiligen.
Neben dem Regelungsrahmen der Konvention überbiologische Vielfalt und des Cartagena-Protokolls – da-rüber wurde hier vor einiger Zeit debattiert – ist für dieReformen, die Lösungsansätze und Programme die Ver-einbarung für die Schaffung eines internationalenRechts auf Nahrung von entscheidender Bedeutung.Lieber Kollege Carstensen, dazu haben wir im Übrigenvor einigen Monaten bereits einen Antrag vorgelegt.Ich hoffe nun, dass durch den Druck der USA und derinternational im GVO-Bereich tätigen Konzerne die an-stehenden Vereinbarungen nicht aus wirtschaftlichenund politischen Eigeninteressen boykottiert und das Set-zen auf GVO-Produkte einseitig verfolgt wird, wie dasteilweise in der Vergangenheit der Fall war.Für die Lösungen bedarf es politischer Entscheidun-gen für umfassende Agrar- und Bodennutzungsrefor-men, die nicht durch ein einseitiges – da bedanke ichmich insbesondere bei dem Kollegen René Röspel, weiler die Details schon dargestellt hat – technisches Kon-zept ersetzt werden.
Hinzu kommt: Politische Entscheidungen zur Be-kämpfung der Welternährungskrise müssen zunächst inden Industrieländern getroffen werden; auch darauf istschon hingewiesen worden. Diese müssen darauf zielen,dass Subventionen für solche Produkte Schritt für Schrittgekürzt werden, die von uns aus in den Export und inden Handel gehen, und dass der Import solcher Produktegefördert wird, die mit dem Transfair-Siegel ausgestattetsind und die aus den Ländern der Dritten Welt zu unskommen.Die Bekämpfung der Hungerkrise sollte also vor al-lem durch eine Optimierung der Landnutzung erfolgen,die unter anderem durch eine effektivere und am Stand-ort ausgerichtete Gestaltung der Bodennutzung, durchQualifizierung der Farmbesitzer und der Arbeiter, durchBerücksichtigung des Nachhaltigkeitsaspektes unddurch verbesserte Arbeitsbedingungen erreicht werdenkann.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Carstensen?
Ja, gerne.
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Ich möchte Ihnen deswegen sagen: Es kommt jetztdarauf an, dass wir dies in der parlamentarischen De-batte und dann in den Debatten in den Ausschüssen deut-licher machen.
Herr Kollege Hemker, sehen Sie bitte einmal auf die
Uhr.
Ich beantworte doch die Frage des Kollegen
Carstensen.
Nein, Sie beantworten die Frage des Kollegen
Carstensen schon lange nicht mehr. Ich habe genau da-
rauf geachtet, dass die Uhr während Ihrer Beantwortung
angehalten wurde.
Ich war der Meinung, dass ich noch die Frage beant-
wortet habe.
Ich werde dem Kollegen Carstensen dies im Aus-
schuss noch einmal erläutern, damit er versteht, in wel-
chem Gesamtzusammenhang nicht nur mein, sondern
unser politisches Engagement steht.
Ich komme zum Abschluss.
Nein, Herr Kollege Hemker, Ihre Redezeit ist deutlich
abgelaufen. Bitte schließen Sie schnell ab.
Ja, ich schließe mit drei ganz kurzen Hinweisen aus
einem Papier ab.
Herr Kollege Hemker, ich lasse diese drei kurzen
Hinweise nicht mehr zu. Ihre Redezeit ist abgelaufen.
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nd Welternährung ist mehr als Gentechnik. Schauen Sie
ich die Erklärung von „Misereor“ und „Brot für die
elt“ sehr genau an!
ort wurden kritische Anmerkungen für die Öffentlich-
eit gemacht.
Herzlichen Dank.
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin
ibylle Pfeiffer, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
oodoo, Zauberei, schwarze Magie, Hexenwerk –
anchmal könnte man meinen, man spräche von sol-
hen Machwerken, wenn die grüne Gentechnik ange-
chnitten wird.
Mittlerweile sind wir weit davon entfernt, sachlich
ber die Gentechnik – gar nicht zu sprechen von der grü-
en Gentechnik – diskutieren zu können. Ich muss sa-
en: leider. Die Medien spielen auf dieser Klaviatur
benso gerne mit. Horrorszenarien werden aufgemalt
nd damit Emotionen sowie Ressentiments in der Bevöl-
erung geschürt, die für meine Begriffe der Sache nicht
erecht werden, sondern ihr eher schaden.
Die Prämisse der Bundesregierung, unter der sie ihre
altung zu diesem Thema darlegt, scheint Handeln
urch Nichthandeln zu sein.
m Falle des De-facto-Moratoriums auf europäischer
bene hat die Bundesregierung ebenso durch Nichtstun
eglänzt. Der Vorstoß von Wirtschaftsminister Clement
n diesem Frühjahr war, wie ich meine, richtig. Was ist
amit geschehen? Er wurde unter Protest von Rot-Grün
egraben.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage derollegin Höfken?
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5928 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Ja, gerne.
Frau Kollegin, im „Handelsblatt“ steht heute, dass die
Versicherungen in Großbritannien das Risiko im Zusam-
menhang mit der Gentechnik ähnlich bewerten wie das
Risiko des Terrorismus oder die Gefährdungen durch
Contergan und ähnliche Dinge. Würden Sie das auch als
Voodoo bezeichnen?
Das bezeichne ich nicht als Voodoo, aber es passt zu
dem, was ich vorhin gesagt habe, dass Medien nämlich
sehr gerne – fast ausschließlich und in erster Linie –
Horrorszenarien aufnehmen. Deshalb wurde das logi-
scherweise auch als Erstes aufgenommen.
Im Übrigen stellt unsere Frau Ministerin für Verbrau-
cherschutz Künast Unternehmen der Biotechnologie öf-
fentlich an den Pranger. Frau Ministerin Künast, das ha-
ben Sie auch heute wieder getan. Haben Sie unseren
Antrag überhaupt gelesen? Sie haben nämlich nur herz-
lich wenig dazu gesagt, dass die grüne Gentechnik als
Chance begriffen werden kann. Lehrer würden in diesem
Zusammenhang sagen: Thema verfehlt.
Sie haben mit Recht auf Risiken hingewiesen. Chan-
cen, die zweifelsohne auch vorhanden sind, haben Sie
aber mit keinem Wort erwähnt. Sie haben es ungeprüft
abgelehnt, zur Kenntnis zu nehmen, dass Chancen exis-
tieren. Das halte ich für Ideologie pur.
Es ist der falsche Weg, Unternehmen der Biotech-
nologie schlechtzureden. Die deutschen Unternehmen
der Biotechnologie verlieren ihre Kompetenz, betroffene
Unternehmen wandern ins Ausland ab und der Standort
Deutschland ist um Arbeitsplätze wesentlich ärmer. Dies
nimmt die Bundesregierung billigend in Kauf. Das ist
eine falsche Politik. Sie hilft Deutschland nicht und sie
verdeckt die vorhandenen Chancen der grünen Gentech-
nik völlig. Die Politik ist ideologisch motiviert. Uns,
liebe Frau Kollegin Höfken, Ideologie vorzuwerfen halte
ich doch für etwas verfehlt.
Ich plädiere daher vehement dafür, dass wir zu einer
sachlichen und offenen Auseinandersetzung über das
Thema zurückkehren. Dabei – das sehe ich genauso wie
Sie, meine Damen und Herren von Rot-Grün – dürfen
die Risiken nicht außen vor bleiben. Jede Medaille hat
zwei Seiten, auch diese. Es lohnt sich, beide zu betrach-
ten.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Deß?
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Wir sind uns darin einig, werte Kolleginnen und Kol-
egen, dass die Themen Welternährung und Gesundheit,
unger und Armut auch uns betreffen. Grüne Gentech-
ik kann unter anderem oder auch – das bitte ich zur
enntnis zu nehmen: unter anderem oder auch – als Er-
änzung oder Lösung dafür dienen. Diese Ergänzungen
ur Kenntnis zu nehmen ist, denke ich, auch Ihre Auf-
abe, die Aufgabe von Rot-Grün. Dies sage ich auch im
nschluss an das, was Kollege Deß eben gesagt hat.
Die grüne Gentechnik könnte dem versteckten Hun-
er den Kampf ansagen. Die vielfältigen Möglichkeiten
uss Politik zur Kenntnis nehmen, müssen wir zur
enntnis nehmen. Wir dürfen sie nicht von vornhinein
blehnen. Es geht nicht an, dass wir sie nicht zur Kennt-
is nehmen oder überhaupt nicht darüber diskutieren. Im
egenteil: Man sollte ihnen in Teilbereichen nachgehen.
Ich fordere Sie auf, genau das zu tun, nämlich von Ih-
er kategorischen Ablehnung zurückzukehren zu einer
achlich geführten Diskussion, damit wir nicht mehr
ber Hexenwerk, Teufelswerk, schwarze Magie und
hnliches reden müssen.
Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufrucksache 15/1216 an die in der Tagesordnung aufge-ührten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-erstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisungo beschlossen.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5929
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerIch rufe die Tagesordnungspunkte 19 a bis 19 f sowiedie Zusatzpunkte 2 a bis 2 c auf:19 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur
– Drucksachen 15/1621, 15/1798 –Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
RechtsausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaftAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungHaushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GOb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung des Beschlusses des Ratesvom 28. Februar 2002 über die Errichtung vonEurojust zur Verstärkung der Bekämpfung derschweren Kriminalität
– Drucksache 15/1719 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
InnenausschussAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des Internationalen Übereinkommensvon 1974 zum Schutz des menschlichen Lebensauf See und zum Internationalen Code für dieGefahrenabwehr auf Schiffen und in Hafen-anlagen– Drucksache 15/1780 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
InnenausschussAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Tourismusd) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines FünfunddreißigstenStrafrechtsänderungsgesetzes zur Umsetzungdes Rahmenbeschlusses des Rates der Euro-päischen Union vom 28. Mai 2001 zur Be-kämpfung von Betrug und Fälschung im Zu-sammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln
– Drucksache 15/1720 –Überweisungsvorschlag:Rechtsausschuss
Innenausschusse) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-tokoll vom 28. November 2002 zur Änderungdes Europol-Übereinkommens und des Proto-kolls über die Vorrechte und Immunitäten fürEuropol, die Mitglieder der Organe, die stell-Z
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-trag vom 13. April 2000 zwischen der Bundes-republik Deutschland und der FranzösischenRepublik über die Festlegung der Grenze aufden ausgebauten Strecken des Rheins– Drucksache 15/1650 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-fahrena) Beratung des Antrags der Abgeordneten MarionSeib, Katherina Reiche, Thomas Rachel, weitererAbgeordneter und der Fraktion der CDU/CSUFür mehr Wettbewerb und Flexibilisierung imHochschulbereich – der Bologna-Prozess alsChance für den WissenschaftsstandortDeutschland– Drucksache 15/1787 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter H.Carstensen , Dr. Peter Paziorek,Bernhard Schulte-Drüggelte, weiterer Abgeord-neter und der Fraktion der CDU/CSUMultitalent nachwachsender Rohstoff effizientfördern– Drucksache 15/1788 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungc) Beratung des Antrags der Abgeordneten UrsulaHeinen, Julia Klöckner, Uda Carmen FreiaHeller, weiterer Abgeordneter und der Fraktionder CDU/CSUVerbraucher aufklären und schützen – Inno-vation und Vielfalt in der Produktentwicklungund Werbung für Lebensmittel erhalten– Drucksache 15/1789 –Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft
Ausschuss für Wirtschaft und ArbeitAusschuss für Gesundheit und Soziale SicherungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
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5930 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerEs handelt sich um Überweisungen im vereinfachtenVerfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorge-schlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a und 20 c bis20 j sowie den Zusatzpunkt 3 auf:20 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Einführung einer Übergangsregelung zumKindschaftsrechtsreformgesetz für nicht mit-einander verheiratete Eltern– Drucksache 15/1552 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-schusses
– Drucksache 15/1807 –Berichterstattung:Abgeordnete Christine LambrechtUte GranoldIrmingard Schewe-GerigkSibylle Laurischkc) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrateingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zurÄnderung luftverkehrsrechtlicher Vorschrif-ten– Drucksache 15/1469 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
– Drucksache 15/1793 –Berichterstattung:Abgeordneter Dr. Peter Danckertd) Zweite Beratung und Schlussabstimmung desvon der Bundesregierung eingebrachten Entwurfseines Gesetzes zu dem Vertrag vom 5. März2002 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-land und der Schweizerischen Eidgenossen-schaft über den Verlauf der Staatsgrenze inden Grenzabschnitten Bargen/Blumberg,Barzheim/Hilzingen, Dörflingen/Büsingen,Hüntwangen/Hohentengen und Wasterkingen/Hohentengen– Drucksache 15/1187 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-gen Ausschusses
– Drucksache 15/1717 –Berichterstattung:Abgeordnete Petra ErnstbergerBernd SchmidbauerDr. Ludger VolmerHarald LeibrechtZkdErtfD
ausschusses
Übersicht 4über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-gericht– Drucksache 15/1614 –f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 65 zu Petitionen– Drucksache 15/1701 –g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 66 zu Petitionen– Drucksache 15/1702 –h) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 67 zu Petitionen– Drucksache 15/1703 –i) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 68 zu Petitionen– Drucksache 15/1704 –j) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-ausschusses
Sammelübersicht 69 zu Petitionen– Drucksache 15/1705 –P 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Rechtsausschusses zudem Antrag der Abgeordneten Sibylle Laurischk,Rainer Funke, Ina Lenke, weiterer Abgeordneterund der Fraktion der FDPSorgerecht für nichteheliche Kinder vor In-Kraft-Treten der Kindschaftsrechtsreform re-geln– Drucksachen 15/757, 15/1807 –Berichterstattung:Abgeordnete Christine LambrechtUte GranoldIrmingard Schewe-GerigkSibylle LaurischkEs handelt sich um Beschlussvorlagen, zu deneneine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 20 a: Abstimmung über den voner Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zurinführung einer Übergangsregelung zum Kindschafts-echtsreformgesetz für nicht miteinander verheiratete El-ern, Drucksache 15/1552. Der Rechtsausschuss emp-iehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung aufrucksache 15/1807, den Gesetzentwurf in der Aus-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5931
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastnerschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Stimmenthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit inzweiter Beratung mit den Stimmen des gesamten Hausesangenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Stimmenthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist mit den Stimmen des gesamten Hausesangenommen.Zusatzpunkt 3: Unter Buchstabe b seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 15/1807 empfiehlt derRechtsausschuss, den Antrag der Fraktion der FDP aufDrucksache 15/757 mit dem Titel „Sorgerecht für nicht-eheliche Kinder vor Inkrafttreten der Kindschaftsrechts-reform regeln“ für erledigt zu erklären. Wer stimmt fürdiese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthal-tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-men des ganzen Hauses angenommen.Tagesordnungspunkt 20 c: Abstimmung über den Ge-setzentwurf des Bundesrates zur Änderung luftverkehrs-rechtlicher Vorschriften, Drucksache 15/1469. Zu die-sem Tagesordnungspunkt liegen zwei schriftlicheErklärungen nach § 31 GO vor.1) Der Ausschuss für Ver-kehr, Bau- und Wohnungswesen empfiehlt aufDrucksache 15/1793, den Gesetzentwurf in der Aus-schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmenwollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? –Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiterBeratung mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-men.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-wurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses angenom-men.Tagesordnungspunkt 20 d:Zweite Beratungund Schlussabstimmung über den von der Bundesregie-rung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Vertrag vom5. März 2002 mit der Schweizerischen Eidgenossen-schaft über den Verlauf der Staatsgrenze in bestimmtenGrenzabschnitten, Drucksache 15/1187. Der Auswär-tige Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 15/1717, demGesetzentwurf zuzustimmen. Ich bitte diejenigen, diedem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-ben. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-setzentwurf ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an-genommen.Tagesordnungspunkt 20 e: Beschlussempfehlung desRechtsausschusses auf Drucksache 15/1614 zurÜsleattgggtKFtSgt1) Anlage 2
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gierungBericht der Bundesregierung zum Stand der Be-mühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstungund Nichtverbreitung sowie über die Entwick-
– Drucksachen 15/1104, 15/1800 –Berichterstattung:Abgeordnete Dr. Rolf MützenichRuprecht PolenzDr. Ludger VolmerHarald Leibrechtb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uta
der SPD sowie der Abgeordneten WinfriedNachtwei, Marianne Tritz, Volker Beck ,weiterer Abgeordneter und der Fraktion desBÜNDNISSES 90/DIE GRÜNENVerhinderung der Proliferation von Massen-vernichtungswaffen durch Abrüstung undkooperative Rüstungskontrolle– Drucksache 15/1786 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
VerteidigungsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Uta Zapf, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gestern war ein guter Tag für die Politik der Nichtver-breitung. Wir alle haben mit Erleichterung das Ergebnisder Gespräche der drei europäischen Außenminister– Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands – mitTeheran zur Kenntnis genommen und die gute Nachrichtin den Ausschüssen diskutiert.
Iran sagt zu, das Zusatzprotokoll der InternationalenAtomenergie-Organisation zu zeichnen, das weit rei-chende Inspektionen der Atomanlagen ermöglicht. Iransagt außerdem zu, dieses Protokoll schon vor der Ratifi-zierung zu implementieren. Iran sagt weiterhin zu, dieUrananreicherung und Wiederaufarbeitung auszusetzenugumlEzAsOEpfaoeuSnSNdNelacwrkSClruiwNwvgtfdHhDmt
n dieser Stelle sagen wir aber auch der IAEO für ihretringenten Bemühungen Dank, Iran zu einer völligenffenlegung der Nuklearprogramme zu bewegen. Diesesrgebnis ist möglicherweise ein dramatischer Wende-unkt in der Frage der Eindämmung von nuklearer Proli-eration, vorausgesetzt, diese Vereinbarungen werdenuch umgesetzt. Iran muss seine Zusagen schnell undhne Abstriche erfüllen. Es muss darauf verzichten,inen geschlossenen Brennstoffkreislauf aufzubauen,nd damit auch auf die Option verzichten, waffenfähigespaltmaterial zu produzieren. Tut es dies nicht, stehticht nur die Stabilität einer ganzen Region auf dempiel, sondern auch das ohnehin gefährdete Gefüge desichtverbreitungsregimes.Mich erfüllt die Hoffnung, dass dieses Lösungsmo-ell auch ein Lösungsmodell für den schwierigen Fallordkorea sein kann. Mit dem KEDO-Prozess wurdein solcher Versuch bereits früher unternommen. Er isteider gescheitert. Aber wir haben keine andere Chance,ls einen Dialog und eine Verhandlungslösung zu su-hen.Präemptive Militärschläge stellen keine Lösung dar,eder für Nordkorea noch für Iran oder sonst ein ande-es Land. Sie sind völkerrechtswidrig und führen zur Es-alation und zur Destabilisierung. Sie unterminieren dasystem kollektiver Sicherheit, das Grundlage der UN-harta ist. Es gibt keine Alternative zur Stärkung multi-ateraler Rüstungskontrollregime, wenn die Verhinde-ung der Proliferation von Massenvernichtungswaffennser Ziel ist. Diese Regime müssen gestärkt werden. Esst völlig richtig, wenn die USA die kollektive Verant-ortung aller Teilnehmerstaaten für die Einhaltung derichtverbreitungs- und Abrüstungsverträge einklagen,ie es der Vertreter der USA, Herr Rademaker, soebenor dem Ersten Ausschuss der UN gemacht hat. Gelin-en kann dies allerdings nur, wenn alle Teilnehmerstaa-en ohne Ausnahme ihre Verpflichtungen vollständig er-üllen.
Die Umsetzung der Vertragsbestimmungen, aber auchie Fortentwicklung der Verträge angesichts neuererausforderungen ist notwendig. Daran besteht über-aupt kein Zweifel. Die Universalisierung, also dasrängen auf Beitritt aller Staaten zu den Konventionen,uss ein zentrales Anliegen multilateraler Rüstungskon-rolle sein.
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Uta ZapfLassen Sie mich das einmal am Beispiel des Nicht-verbreitungsvertrages durchdeklinieren. Vor 30 Jahrenhatte man noch befürchtet, dass um das Jahr 2000 etwa25 Staaten über Nuklearwaffen verfügen würden. Tat-sächlich haben aber viele Staaten ihre heimlichen Nukle-arprogramme aufgegeben und sind dem Nichtverbrei-tungsvertrag beigetreten, zum Beispiel Südafrika,Brasilien und Argentinien. Im Jahr 1995 gelang es, die-sen Vertrag unbegrenzt zu verlängern. Das ist ein wichti-ger Punkt.Nicht zuletzt der Abrüstungsprozess zwischen dengroßen Nuklearmächten mag dazu beigetragen haben,aber vor allen Dingen auch das Versprechen der Atom-mächte, alle Atomwaffen abzurüsten. Ein schrittweiserProzess der Einlösung der Abrüstungsverpflichtungenaus dem Art. VI zeichnete sich ab. Der Atomteststopp-vertrag lag auf dem Tisch, ein Mandat zum Abkommenüber den Stopp der Produktion waffenfähigen Spaltmate-rials – das ist der so genannte Cut-off – wurde diskutiert.Im Jahr 2000 einigte sich die Überprüfungskonferenz auf13 Punkte zur Stärkung des Nichtverbreitungsvertragesund zur Einlösung dieser Verpflichtungen.Seither aber gab es leider fast keine Fortschritte. DerAtomteststoppvertrag ist nicht in Kraft getreten, Ver-handlungen zu einem Cut-off finden nicht statt, derABM-Vertrag ist aufgekündigt worden, der START-II-Vertrag zur Abrüstung strategischer Waffen wird nicht inKraft treten. Dafür ist ein Vertrag zwischen Moskau undden USA geschlossen worden, der keine bindende Ver-pflichtung zur Abrüstung von Nuklearwaffen enthält.Die Umsetzung dieses Vertrages ist umkehrbar, nicht ve-rifizierbar und nicht transparent.Indien, Pakistan und Israel sind die einzigen Staaten,die dem Nichtverbreitungsvertrag nicht beigetreten sind.Sie entwickeln stattdessen ihre nukleare Rüstung weiter.Nordkorea hat den Nichtverbreitungsvertrag aufgekün-digt und droht mit nuklearer Aufrüstung. Japan undSaudi-Arabien stellen Überlegungen an, sich nukleareAbschreckungspotenziale zuzulegen. In den USA wer-den Forschungen zur Entwicklung neuer, operativer Nu-klearwaffen angestellt und es ist vielleicht nur noch eineFrage der Zeit, dass das Testmoratorium fällt.Kolleginnen und Kollegen, das alles zeigt, dass esZeit für neues Denken in der Nichtverbreitungspolitik istund dass neue Instrumente notwendig sind.
Die bereits erwähnten 13 Punkte aus dem Überprüfungs-vertrag von 2000 sind zum Teil überholt. Das ist deutlicherkennbar. Deshalb müssen diese 13 Punkte – auch wennnicht alle obsolet geworden sind – überprüft werden. Esgibt dazu bereits Vorschläge, zum Beispiel von derMiddle Powers Initiative, die ich allen Abrüstern undAbrüsterinnen zur Lektüre empfehle.Ich bitte die Bundesregierung an dieser Stelle ganz of-fiziell, in diesem Jahr im Ersten Ausschuss der Resolu-tion der New Agenda Coalition zuzustimmen.
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Das ist hervorragend; noch eine gute Nachricht.Es gibt keinen Multilateralismus à la carte. Bisherigebkommen können nicht selektiv genutzt werden.onsensbildung – so mühsam sie ist – ist nicht ein Aus-aufmodell des Kalten Krieges, wie der bereits erwähntessistant Secretary of State der USA, Rademaker, vorem Ersten Ausschuss der VN erklärt hat. Sie ist viel-ehr eine zwingende Notwendigkeit, wenn man dieelt nicht in gute Staaten und Schurkenstaaten aufteilenill.Multilateralität bedeutet, die Sicherheitsbedürfnisseller Staaten zu beachten, Stabilität durch Vertrauensbil-ung zu fördern sowie Transparenz und Überprüfbarkeiter Einhaltung von Verpflichtungen zu garantieren. Dieeteiligung an multilateralen Abkommen muss einein-win-Situation für alle gewährleisten. Ich glaube, füras jetzt verabredete Prozedere mit dem Iran liegt derharme genau darin, dass für beide Seiten eine absolutein-win-Situation entsteht. Nur dann kann dienoncompliance“ – das heißt die Nichteinhaltung vonerträgen – mit Fug und Recht von der internationalentaatenwelt sanktioniert werden.Die Verhinderung der Proliferation von Massenver-ichtungswaffen auf Staatenebene bleibt die größte He-ausforderung der Nichtverbreitungspolitik. Aber eineiteres Kernanliegen zukünftiger Nichtverbreitungspo-itik muss die Sicherung von atomaren, chemischen undiologischen Stoffen vor unbefugtem Zugriff, zum Bei-piel durch Terroristen, sein.In diesem Zusammenhang möchte ich die G-8-Initia-ive „Globale Partnerschaft“ hervorheben, die auf die-em Felde eine hohe Priorität besitzt. Jeder einzelnetaat, der über solche Stoffe verfügt, trägt selber großeerantwortung für ihre Sicherung. Aber es ist auch innserem eigenen Interesse, anderen Staaten bei der Si-herung dieser Stoffe zu helfen, wenn das für diesetaaten – an dieser Stelle ist Russland namentlich zuennen – mit großen Schwierigkeiten verbunden ist.
Deswegen möchte ich noch einmal darauf hinweisen,ass wir in diesem Bereich schon sehr viel getan haben,um Beispiel mit der Anlage in Gorny zur Vernichtunghemischer Waffenbestände in Russland. Wir werdenas im Rahmen der G-8-Initiative in Kambarka weiter-ühren, wo ein ähnliches Projekt aufgelegt wird. Wirerden des Weiteren in die Sicherung nuklearer Stoffeinsteigen. Ich halte das für einen sehr wichtigen Be-eich, in dem wir in Zukunft noch mehr tun sollten.Darüber hinaus gibt es ein Projekt im Zusammenhangit der Entsorgung von U-Booten, die in der Saida-ucht liegen. Das alles sind sicherlich sinnvolle Pro-ekte. Ich bin dankbar dafür, dass die Bundesregierung
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Uta Zapfeinen Beitrag von 1,5 Milliarden Euro über zehn Jahrezugesagt hat, mit denen diese Projekte vorangetriebenwerden sollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie michnoch kurz die neue Proliferation Security Initiativeanführen, die den illegalen Transfer von Massenvernich-tungswaffen verhindern und zur Stärkung und Verbes-serung internationaler Nichtverbreitungsinitiativen bei-tragen soll. Wichtig ist, dass die Bundesregierung unddie anderen europäischen Regierungen – dafür bedankeich mich – darauf dringen, dass dies immer im Rahmendes internationalen Rechts geschieht. Das ist ein wichti-ger Punkt.Der Jahresabrüstungsbericht 2002 zeigt Erfolge unddie Wichtigkeit multilateraler Nichtverbreitungsabkom-men, aber auch Stagnation, die Rückschläge und die Ge-fährdung des Erreichten auf. Kooperative Sicherheit– das sollte ein Leitgedanke sein – ist kein veraltetesModell des Kalten Krieges, sondern eine Chance, auchden neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zubegegnen. Dazu möchten wir mit unserem gemeinsamenAntrag von Rot-Grün einen Beitrag leisten.Ich danke Ihnen.
Nächster Redner ist der Kollege Ruprecht Polenz,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch dieUnionsfraktion fand, dass gestern, als die Nachricht überdas Einlenken der iranischen Regierung kam, ein guterTag war. Wir sehen das als einen ersten wichtigen Schrittan, der zu Hoffnungen berechtigt. Ich hoffe – ich glaube,das tun wir alle –, dass man im Rückblick das, was ges-tern gelungen ist, als einen entscheidenden Durchbruchbezeichnen wird. Auch wir zollen der Leistung unsererDiplomaten und des Außenministers Anerkennung.
Es gibt aber auch ein Jubiläum. Fast auf den Tag ge-nau vor 20 Jahren, am 22. Oktober 1983, hat die großeDemonstration gegen die Nachrüstung und gegen denNATO-Doppelbeschluss auf den Bonner Hofgartenwie-sen stattgefunden.
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– Klar, aber es kommt noch mehr.Sie haben in Ihrem Antrag eine Strategie, die präemp-tive Militärschläge zulässt, ausdrücklich abgelehnt. Dasist angesichts der Diskussion um das Solana-Papiereine, glaube ich, voreilige Festlegung. In dem Papiersteht immerhin, dass man in Europa eine strategischeKultur entwickeln soll, die ein frühzeitiges, rasches und,wenn nötig, robustes Eingreifen begünstigt. In dem So-lana-Papier heißt es auch: Für eine normgestützte Welt-ordnung gilt, dass die Gesetze mit den EntwicklungenwSEUdgVUdstdadlsswoDdargcukdkdenscs1ledmAcwzsgvnN
Ich mache mir keine Illusionen: Ein Abkommen zurbrüstung ist im Nahen Osten vorläufig nicht zu errei-hen; aber ein Forum könnte dazu dienen, Bedrohungs-ahrnehmungen der beteiligten Staaten auf den Tischu bringen. Syrien könnte, anders als damals, bereitein, teilzunehmen. Es hat nämlich selbst vorgeschla-en, die amerikanischen Vorwürfe, man habe Massen-ernichtungswaffen, nicht bilateral mit den Amerika-ern, sondern im internationalen Rahmen zu behandeln.atürlich müssten, anders als damals, auch der Iran und
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Ruprecht Polenzder Irak – notfalls die dortige Übergangsregierung –dazu eingeladen werden.Solche nahöstlichen Rüstungskontrollgespräche wä-ren auch eine Chance für die USA und den Iran. Es gibtaus unterschiedlichen Gründen für beide Regierungenbisher keine offiziellen Möglichkeiten, sich in bilatera-len Gesprächen auszutauschen; aber im multilateralenRahmen könnte man Positionen gegenseitigen Interessesklären.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Letztlich wäre eine solche Initiative – an ihr müssten
Europäer und Amerikaner nämlich in jedem Fall teilneh-
men – auch ein Signal, dass Frieden und Sicherheit im
Nahen Osten ein gemeinsames transatlantisches Inter-
esse ist.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die Bundesregierung hat jetzt die Staatsministerin
Kerstin Müller das Wort.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht erstseit dem 11. September 2001 wissen wir, dass sich dieSicherheitslage seit dem Ende des Kalten Krieges völ-lig verändert hat. Wir sind mit ganz neuen, komplexe-ren sicherheitspolitischen Herausforderungen konfron-tiert – Kollege Polenz hat einige davon erwähnt –: mitder Terrorismusgefahr, regionalen Instabilitäten, derGefahr der Verbreitung von Massenvernichtungswaf-fen, Failed States. Angesichts dieser neuen, komplexe-ren Herausforderung brauchen wir die Rüstungskont-rolle mehr denn je.Da dabei kein Staat im Alleingang Aussicht auf Er-folg haben kann, setzt die Bundesregierung auf Zusam-menarbeit und natürlich auf Konfliktprävention, unddas vor allem im multilateralen Rahmen.
Ich stimme den Prämissen des Koalitionsantragesganz ausdrücklich zu. Ein Ansatz, der allein auf militäri-sche Mittel zur Gewährleistung von Sicherheit setzt, istverfehlt. Wir müssen die zur Verfügung stehenden inter-nationalen Rüstungskontrollmechanismen effektiv nut-zen und verbessern, um adäquate und wirksame Antwor-ten auf die Verbreitung von Massenvernichtungswaffenzu finden und um vor allem das Risiko zu mindern, dassTerroristen Zugriff auf solche Waffen erhalten könnten.bwzMemZttFvfnsbdDaNLmtsswtAMsddTwrtNwdfhßsKduvtsA
Im Kampf gegen Proliferation spielen aber auch dieusfuhr von kleinen und leichten Waffen, zugehörigerunition und entsprechender Herstellungsausrüstungowie die Lieferungen von Dual-use-Gütern in Drittlän-er eine sehr große Rolle. Sie erlauben, dass ich auch iner Debatte zum Jahresabrüstungsbericht auf dieseshema eingehe. Hier leistet die Bundesregierung einenichtigen Beitrag, weil sie auf diesem Feld eine äußerstestriktive Rüstungsexportpolitik betreibt. So sollen un-er anderem künftig in Drittländern außerhalb vonATO und EU keine neuen Herstellungslinien für Klein-affen oder entsprechende Munition mehr eröffnet wer-en. Ferner beabsichtigen wir, den Exportgrundsatz „neuür alt“ anzuwenden, wo immer dies möglich ist. Daseißt, Lieferverträge sollen so gestaltet werden, dass au-er Dienst gestellte Kleinwaffen zu vernichten sind undo dem Weiterverkauf entzogen werden.
Wir haben für diese Politik auch auf der Ersten VN-onferenz zum Kleinwaffenaktionsprogramm im Juliieses Jahres in New York nachdrücklich geworben undns für die Kontrolle von Rüstungsexporten und Waffen-ermittlungsgeschäften eingesetzt. Dies ist uns eine zu-iefst humanitäre Verpflichtung wie auch unsere fortge-etzten Bemühungen für ein umfassendes Verbot vonntipersonenminen.
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Staatsministerin Kerstin MüllerAußerdem ist die Genehmigungspraxis der Bundesre-gierung bei der Ausfuhr von Dual-use-Gütern, die nebenihrem regulären zivilen Zweck auch für Massenvernich-tungswaffenprogramme missbraucht werden könnten,seit langem sehr restriktiv; sie genießt nicht zuletzt des-wegen internationale Wertschätzung. Mit Blick auf diefortgesetzten Beschaffungsversuche einiger Staaten undauf die Gefahr des Zugriffs von Terroristen auf Massen-vernichtungswaffen arbeiten wir hier aktuell an einerVerschärfung bei der Umsetzung der einschlägigen In-strumentarien der Exportkontrolle.Meine Damen und Herren, zum Schluss will ich Ih-nen allen noch einmal für Ihre Unterstützung bei dieserschwierigen Aufgabe der Abrüstung, Rüstungskontrolleund Nichtverbreitung danken. Ich hoffe, dass wir auchzukünftig mit Ihrem Rückhalt rechnen können, wenn esdarum geht, diese Herausforderungen als ein prioritäresAufgabenfeld für die EU fest zu verankern. Da stehenwir am Anfang. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass wirauch hier weiterkommen und zukünftig eine wichtigeRolle bei Abrüstung und Rüstungskontrolle spielen wer-den.Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Harald Leibrecht von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die Proliferation von Massenvernichtungswaf-fen zu verhindern ist wichtiger und dringlicher als je zu-vor. Das hat die aktuelle Situation im Iran gezeigt. Ichselber war vor wenigen Tagen mit dem AuswärtigenAusschuss im Iran, um mir selbst ein Bild über die Lagevor Ort zu machen. Während dieses Besuchs versuchtedie iranische Führung, uns davon zu überzeugen, dasssie mit ihrem Nuklearprogramm nur zivile Nutzunganstrebt. Wie Sie wissen, waren wir jedoch anderer Mei-nung. Inzwischen scheint die iranische Regierung umzu-denken: Sie wird das Zusatzprotokoll zum Atomwaf-fensperrvertrag unterschreiben und Inspektionen vorOrt zustimmen. Dies, meine lieben Kolleginnen undKollegen, ist in der Tat ein bemerkenswerter Erfolg un-seres Außenministers und seines britischen und seinemfranzösischen Amtskollegen. Hierfür drücke ich die An-erkennung auch der FDP-Fraktion aus.
Wie Sie wissen, ist die FDP mit der derzeitigen deut-schen Außenpolitik nicht immer einverstanden, so auchin der Frage des Kunduz-Einsatzes in Afghanistan. AmDienstag hat sich gezeigt, dass eine einheitliche europäi-sche Außenpolitik erfolgreich sein kann. Bei aller Zu-versicht muss ich dennoch sagen: Der Iran muss denWorten jetzt Taten folgen lassen. Ich hoffe nicht, dassder Iran irgendwann sein Atomwaffenprogramm fort-ssApfcikoghkbowgttbBlDaTtIPDmWBAesRiJdeAmzlSmA
n diesem Antrag ist die Aussage enthalten – Herrolenz hat schon darauf hingewiesen –:Die Rüstungskontrolle befindet sich in einer Kriseund bedarf deshalb neuer Impulse.as ist wohl wahr.Viele der unzähligen Abrüstungsabkommen stam-en in der Tat aus der Zeit, als die Welt noch in Ost undest geteilt war. Sie passen heute nicht mehr. Für dieewältigung der neuen Herausforderungen sind diesebkommen unzureichend. Das ist der Grund dafür, dassinzelne – wie wir wissen: ganz maßgebliche – Länderich nicht mehr auf die multilateralen Instrumente derüstungskontrolle verlassen, sondern auf Bedrohungennzwischen unilateral reagieren.Abrüstungspolitik braucht deshalb – mehr als einahrzehnt nach dem Ende des Ost-West-Konflikts –ringend eine Bestandsaufnahme. Damit meine ich nichtine Auflistung der unterschiedlichen Instrumente; dieseuflistung ist in dem Abrüstungsbericht enthalten. Icheine eher eine ehrliche und kritische Auseinanderset-ung mit den Fragen, was diese Instrumente heute nocheisten können, wie wir sie an grundlegend veränderteituationen anpassen können und wie neue Instrumenteöglicherweise aussehen sollten. Genau das bietet derbrüstungsbericht eben nicht.
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Harald LeibrechtIn der ersten Lesung des Abrüstungsberichts habenS
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir müssen die vorhandenen Abrüstungs- und
Nichtverbreitungsinstrumente stärken und schärfen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, das nicht nur anzu-
kündigen, sondern auch in diesem Bereich zu handeln
und gleichzeitig mit den Partnern auf internationaler
Ebene zu prüfen, ob wir möglicherweise neue, effekti-
vere Instrumente brauchen.
Gerne hätte ich in diesem Abrüstungsbericht gelesen,
was vonseiten der Bundesregierung getan wird, um Rüs-
tungskontrollen in Zukunft zu verbessern.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Petra Ernstberger von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Lieber Kollege Leibrecht, es gibt eine ganzeinfache Möglichkeit, nämlich unserem Antrag zuzu-stimmen.
Auch ich möchte, wie schon viele Vorrednerinnenund Vorredner, Erleichterung über und Dank für den Er-folg zum Ausdruck bringen, den die AußenministerFrankreichs, Deutschlands und Großbritanniens auf ihrerIran-Mission errungen haben.
Man stelle sich nur einmal vor, was passiert wäre, wennder Erfolg ausgeblieben wäre. Der Iran gehört nämlichzu den Unterzeichnern des Nichtverbreitungsvertrages.Die Glaubwürdigkeit vertragsgestützter Abrüstung undRüstungskontrolle steht und fällt doch mit der Bereit-schaft der Staaten, die Verträge, die sie unterschriebenhaben, einzuhalten. Ein Vertragsbruch bzw. der Ausstiegaus diesem Nichtverbreitungsvertrag hätten sowohl fürdie Region als auch für die Politik der Rüstungskontrollezu unabsehbaren Konsequenzen führen können. Sogareine Eskalation bis hin zu einem Krieg wäre denkbar ge-wesen.Im Augenblick können wir aufatmen; aber es ist kei-nesfalls so, dass alle Fragen geklärt wären. Das Zusatz-protokoll bezüglich der Safeguards der IAEO ist nochnicht unterschrieben. Die Urananreicherung ist lediglichausgesetzt. Es bleiben also noch offene Fragen. Es isteine Tür aufgestoßen worden; jetzt muss weitergearbei-tet werden.wgvedewdrkWwgszvdwtUEgrzgutISgwcenDDmcdndddguvE
Deswegen macht es Sinn, die Politik der Deeskalationeiterzuentwickeln. Staaten dagegen zu einer „Achsees Bösen“ zu zählen ist in meinen Augen wenig hilf-eich und kann das Gegenteil von Deeskalation bewir-en. Wir dürfen deshalb nicht darin nachlassen, nachegen einer politischen Einbeziehung zu suchen, auchenn uns der Charakter von bestimmten Regimen nichtefällt. E kommt auf die richtige Mischung aus politi-chem Druck und politischer Einbeziehung an.
Der Abrüstungsbericht der Bundesregierung enthältahlreiche Beispiele dafür, was unter Einbeziehung zuerstehen ist, und zahlreiche Gründe dafür, warum hier-urch Sicherheit und Stabilität zu gewinnen sind. Dieichtigste Maßnahme, um die Sicherheit durch Abrüs-ungs- und Rüstungskontrollverträge zu erhöhen, ist dieniversalisierung bereits bestehender Abkommen.s müssen alle beitreten, liebe Kolleginnen und Kolle-en, eben auch „die Bösen“.Bei der Nichtverbreitung von Atomwaffen ist das be-eits weitestgehend gelungen. Nach dem Beitritt Kubasum Nichtverbreitungsvertrag im letzten Jahr sind es ei-entlich nur noch drei Staaten, die nicht beigetreten sindnd sich somit auch nicht den Verpflichtungen des Ver-rages unterworfen haben, nämlich Indien, Pakistan undsrael. Es ist sicherheitspolitisch sinnvoll, auch diese dreitaaten nicht auszugrenzen oder mit Sanktionen zu bele-en; man muss ihnen vielmehr Möglichkeiten der Mit-irkung beim internationalen Dialog und eine Mitspra-he bei Entscheidungen über globale Sicherheitsfrageninräumen.Indien hatte sich früher beklagt, bei wichtigen inter-ationalen Sicherheitsfragen keine Beachtung zu finden.as hat sich geändert – seit den indischen Atomtests.iese Verquickung können wir nicht wollen. Deshalbüssen wir künftig mehr tun, um sie unattraktiv zu ma-hen.Bei den beiden anderen Massenvernichtungswaffen,en C- und B-Waffen, sowie den Trägersystemen istoch längst keine Universalität erreicht. Insbesondereie Länder des Nahen und Mittleren Ostens müssen ge-rängt werden, die Verträge zu unterzeichnen und denaraus erwachsenden Verpflichtungen nachzukommen.Der Abrüstungsbericht 2002 ist – wie alle seine Vor-änger – informativ und eine gute Basis für die Arbeit innserem Unterausschuss. In diesem Jahr ist er besonderson den Terrorangriffen am 11. September 2001 und denntwicklungen im Irak geprägt. Er spiegelt die Bemü-
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Petra Ernstbergerhungen der Einzelstaaten und der verschiedenen interna-tionalen Organisationen und Allianzen um die Bekämp-fung des Terrorismus wider und thematisiertinsbesondere die Möglichkeit, dass Massenvernich-tungswaffen in die Hände von Terroristen gelangen.Für die Beurteilung all dieser Maßnahmen ist eszweckmäßig, sich die bisherigen Daten über den Einsatzvon Massenvernichtungswaffen durch Terroristen vorAugen zu halten. In den letzten 25 Jahren hat es vier sig-nifikante Angriffe von Terroristen, also nicht von Staa-ten, gegeben, die Giftgas, Krankheitserreger oder radio-aktives Material als Waffe eingesetzt haben. Der ersteFall war 1984, als eine religiöse Sekte im Zusammen-hang mit Lokalwahlen den Salat eines Restaurants inOregon mit Salmonellen vergiftete: 751 Erkrankte. Derzweite Fall war 1990, als die Liberation Tigers of TamilEelam, die LTTE, die Streitkräfte von Sri Lanka mitChlorgas angriffen: 60 Verletzte. Der dritte Fall fand1995 statt, als die japanische Aum-Shinrikyo-Sektedie U-Bahn von Tokio mit flüssigem Sarin angriff. Derletzte Fall fand im September 2001 nach den Terroran-schlägen in den USA statt, als es Angriffe mit Milz-brand- und Anthraxbriefen gab. Im Abrüstungsberichtwerden zusätzlich Ricinfunde in Großbritannien undBlaupausen zum Bau radiologischer Waffen bei nichtnäher charakterisierten Terroristen thematisiert.Dies ist eigentlich eine relativ schmale Datenbasis fürverallgemeinerbare Kenntnisse über die Bereitschaft vonTerroristen, Massenvernichtungswaffen zu erwerben, zuproduzieren oder sie direkt einzusetzen. Entsprechendbeliebig erscheinen die im Abrüstungsbericht aufgeführ-ten Maßnahmen, um dieser Problematik Herr zu werden.Einleuchtend und relativ naheliegend sind alle Maßnah-men, die sich auf die Sicherung von nuklearen Materia-lien, Nuklearwaffen und chemischen Substanzen sowieauf die Vernichtung von C-Waffen in Russland beziehen.Frau Kollegin Zapf hat bereits die Global Partnership er-wähnt, die ein Erfolgsmodell Deutschlands ist, weil wirim Rahmen der Anlage in Gorny Vorarbeit für die Ver-trauensbildung mit Russland geleistet haben.
Dies ist wirklich gut angelegtes Geld; denn die Kon-trolle der Risikobestände von hoch angereichertemUran, Plutonium und der chemischen Waffen in Russ-land ist besonders vordringlich. Ebenso bedeutsam wärees, einen Vertrag über ein Verbot der Produktion vonspaltbarem Material für Waffenzwecke abzuschließen.Auch das Thema Cut-off-Abkommen hat Frau KolleginZapf bereits angesprochen. Diese Verträge, über die imPrinzip schon seit 1978 verhandelt wird, scheitern im-mer wieder daran, dass die Interessenlage Chinas undder USA sehr unterschiedlich ist.Es ist sehr anzuerkennen, dass im vorliegenden Abrüs-tungsbericht nicht nur die Erfolge und die positiven Schritteder bisherigen Abrüstungsarbeit dargestellt, sondern auchverpasste Chancen thematisiert werden. Zu einer dieser ver-passten Chancen gehört die Uneinigkeit über ein brauchba-res Kontrollregime für den B-Waffen-Vertrag und denTeststoppvertrag, die beide nach wie vor noch nicht inKWGmvfRiumdrsArDwtusdhRsS–HSuts
Wenn wir all dies nicht hätten und nicht weiter forcie-en würden, wäre die Alternative, Zwangsmittel einzu-etzen oder militärische Gewalt anzuwenden. Aber wirbrüster können, so glaube ich, einstimmig sagen: Ab-üstung durch Krieg ist für uns völlig unakzeptabel.
iese Position, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnenir aber nur durchhalten, wenn es uns gelingt, Abrüs-ng durch Verträge als eine realistische Strategie darzu-tellen, die zum Erfolg führt.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Karl Lamers von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir redeneute über den Jahresabrüstungsbericht 2002.
üstung und Abrüstung haben schon immer in der Ge-chichte die Geister bewegt. Der britische Journalist undchriftsteller Gilbert Keith Chesterton hat einmal gesagt ich empfehle dieses Zitat Ihrer Aufmerksamkeit –:Es ist nur verständlich, dass die Wölfe die Abrüs-tung der Schafe verlangen, denn deren Wolle setztdem Biss einen gewissen Widerstand entgegen.
So kann es natürlich nicht gehen, meine Damen underren. Abrüstung heißt nicht, dass die Starken diechwachen zur Abrüstung zwingen, um anschließendmso leichtere Beute zu haben. Abrüstung heißt, Ver-rauen zu bilden, Stabilität zu schaffen und Sicherheit zutärken.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
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Dr. Karl A. Lamers
Das wichtigste abrüstungspolitische Ereignis dieserTage war in der Tat die Nachricht aus Teheran, dass derIran eingelenkt und sein nukleares Anreicherungspro-gramm ausgesetzt habe. Das hört sich gut an. Ich bittedie Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass dies im Er-gebnis auch gut wird;
denn der Iran gehört nach dem vorliegenden Abrüs-tungsbericht zu den so genannten Problemstaaten, derenNuklearprogramm nicht eindeutig eine militärische Nut-zung ausschließt. Der Verdacht ist gewiss nicht von derHand zu weisen, der Iran entwickle Nuklearwaffen – einAlptraum für die ganze Welt!Alle Zeitungen haben es berichtet: Der britische, deut-sche und französische Außenminister haben die Zusiche-rung des Iran erreicht, entsprechende Nuklearprogrammeauszusetzen und nur noch friedliche Atomenergienutzungzu betreiben. Ich erlaube mir nur die Frage: Wo war So-lana? Wäre es nicht besser gewesen, Europa mit einzu-beziehen?
Unabhängig davon gibt ihnen der Erfolg Recht.Meine Damen und Herren, dieses Beispiel zeigt, wasgemeinsamer, entschlossener und entschiedener Druckin einer solchen Angelegenheit erreichen kann, wennAmerikaner und Europäer gemeinsam Seite an Seitedeutlich machen, dass sie nicht bereit sind, den Appetitvon weiteren Staaten auf Atomwaffen hinzunehmen.
Genau dies ist im Fall Iran geschehen. Da haben allean einem Strang gezogen: Die Amerikaner auf ihreWeise und die Europäer, die bemerkenswerterweisediesmal zusammenstanden: Deutschland, Frankreichund Großbritannien.Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass man aus Fehlernlernen kann. Wie man sieht, mit Erfolg: Im Irak war dieWeltgemeinschaft gespalten. Besser gesagt, sie wurdegespalten, nicht zuletzt durch den deutschen Bundes-kanzler,
der im Wahlkampf erklärte – das müssen Sie sich anhö-ren, Herr Nachtwei –, egal was die Waffeninspektionenzutage förderten, Deutschland werde sich auf keinen Fallan Maßnahmen gegen den Irak beteiligen, auch nicht imRahmen der Vereinten Nationen.
Das war schlimm; denn hier wurde Außenpolitik innen-politisch instrumentalisiert und die WeltgemeinschaftdDSliHiseHYrslegtrfpOeFaMshUfwsdwiminScDliMsskANwRIddmd
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ver-olgt nach ihren eigenen Worten einen kooperativen undräventiven sicherheitspolitischen Einsatz. Das geht inrdnung. Ich frage aber, ob sie hier nicht schon wiederinen Gegensatz zur Haltung unserer amerikanischenreunde aufbaut, wenn sie in diesem Bericht wörtlichusführt, dass „der Schwerpunkt des US-Ansatzes ... inaßnahmen zur Counterproliferation sowie militäri-cher Abschreckung“ liege, die sich alle Optionen deroch entwickelten US-Militärtechnologie offen halte.“m es klar zu sagen: Ich sehe darin keinen Gegensatz,ür mich gehört beides zusammen.Wir alle wollen eine Welt mit weniger Waffen. Wirollen keine weitere Verbreitung von atomaren, biologi-chen und chemischen Kampfmitteln. In Afghanistan hatie Weltgemeinschaft ein Zeichen gesetzt, dass sie nichtillens ist, Gewalt und Terrorismus hinzunehmen. Auch Irak gibt es ein entsprechendes Signal. Die Welt hat beiden Fällen Verantwortung übernommen. Eincheitern hier wie dort würde das Ende jeder Abschre-kung bedeuten und nur die Falschen ermuntern.Im Jahresabrüstungsbericht sind Erfolge, aber auchefizite und Schattenseiten aufgelistet worden. Bezüg-ch des Iraks habe ich darauf hingewiesen, dass es dieöglichkeit gegeben hätte, gemeinsam erfolgreich zu-ammenzustehen. Nordkorea ist jetzt in der Tat ein Kri-enherd. Ich meine, wir sind alle gut beraten, der nord-oreanischen Regierung ein deutliches Signal zu geben.uch hier muss die Weltgemeinschaft zusammenstehen.ordkorea braucht keine Nuklear- und Langstrecken-affen, um in der Zukunft bestehen zu können, sonderneis, Brot und Energie.
n dieser Welt sind alle Verantwortlichen aufgerufen,em Konfrontationskurs Nordkoreas so zu begegnen,ass es nicht zu einer Katastrophe kommt. Reden wiriteinander und zeigen wir dem Regime in Nordkoreaie Grenzen auf!)
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Dr. Karl A. Lamers
Lassen Sie mich abschließend noch eine Bemerkung zuden Ausführungen über die Entwicklung des Streitkräfte-potenzials in Deutschland machen. In dem Bericht stehtetwas von Reform der Bundeswehr. Von neuen Prioritä-ten und Herausforderungen ist die Rede. Dann aberkommt die Sache mit dem Geld. Wir haben gestern imVerteidigungsausschuss deutlich gemacht, dass wir denVerteidigungshaushalt ablehnen, Herr Staatssekretär – Siewissen das, Sie sind ein ehrlicher Mensch –,
weil wir überzeugt sind, dass Sie mit diesem Haushalt inHöhe von 24,3 Milliarden Euro die alten und neuen Auf-gaben der Bundeswehr nicht bewältigen können.
Wir brauchen einen klaren Auftrag der Bundeswehrund, daraus abgeleitet, das dafür notwendige Geld. Das,was Rot-Grün macht, geht auf keinen Fall. Es könnennicht immer mehr Aufgaben und Einsätze mit deutlichweniger Geld bestritten werden.
So kann man Verteidigungs- und Sicherheitspolitik indiesem Land nicht gestalten.
Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit weit überzo-
gen. Ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.
Einen Satz noch. – Lassen Sie mich mit Robert
Schuman enden, der einmal gesagt hat: Die Abrüstung
der Geister muss der Abrüstung der Waffen vorausge-
hen.
Das entspricht auch meiner Überzeugung.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieBundesregierung hat erneut einen umfangreichen Be-richt zur Abrüstung vorgelegt. Großen Raum nehmendarin die Massenvernichtungswaffen, deren Nichtver-breitung und Rückbau ein. Meine dreiminütige Rede be-zieht sich weniger auf das, was Sie an Positivem auflis-ten, sondern mehr auf das, was Sie schwammigumschreiben oder ganz verschweigen.Erstes Beispiel: Sie verweisen darauf, dass Nordkoreaaus dem Atomwaffensperrvertrag ausgetreten ist. Siekritisieren das zu Recht und warnen vor den unkalkulier-baren Risiken. Sie verschweigen aber, dass Indien, Pa-kzbdKusudsodgBsSgnwsKMKdDwgdDnDgngPdDebdefghMT
Hinzu kommt: Die Wahrscheinlichkeit ist riesengroß,ass sich weitere Länder in ein nukleares Abenteuertürzen, nachdem die USA völkerrechtswidrig einen Er-berungskrieg gegen den Irak geführt haben. Diese Be-rohungen sind nicht minder groß als die von Ihnen auf-elisteten. Daher gehören auch sie in einen seriösenericht.Zweites Beispiel: Sie schreiben mehrfach über bes-ere Kontrollen, um Rüstungsexporte einzudämmen.ie widmen sich in Abschnitt VII des Berichts den soenannten Kleinwaffen, leichten Waffen und Antiperso-enminen. Das tun Sie wiederum zu Recht; denn die be-affneten Konflikte der vergangenen Jahre, zum Bei-piel in Afrika, wurden zu einem großen Teil mit solchenleinwaffen ausgetragen. Jemand hat sie einmal dieassenvernichtungsmittel der heutigen Kriege genannt.Zu den am meisten exportierten und eingesetztenleinwaffen aber zählt neben der Kalaschnikow daseutsche G3-Schnellfeuergewehr von Heckler & Koch.avon wurden 7 Millionen exportiert. In 17 Ländernird es in Lizenz gebaut und in 64 Ländern wird es ein-esetzt. Sie erklären, Sie wollen Rüstungsexporte ein-ämmen. Gut, dann fangen Sie zu Hause, hier ineutschland an und nehmen Sie endlich auch Ihre eige-en Richtlinien ernst.
emnach untersagen Sie sich nämlich selbst, Rüstungs-üter in Krisenregionen zu exportieren. Sie tun es den-och unvermindert, wie auch das Beispiel Israel zeigt.Drittes und letztes Beispiel: Sie widmen im vorlie-enden Bericht dem internationalen Terrorismus viellatz. Das war zu erwarten. Das macht den Bericht aller-ings nicht besser. Die PDS im Bundestag bleibt dabei:en Kampf gegen den Terrorismus kann man gewinnen,inen Krieg dagegen nicht; denn Krieg löst keine Pro-leme, Krieg schafft neue Probleme. Deshalb ist auchie NATO-Strategie falsch, die Sie im Bericht loben,benso die Militarisierung der EU.Da wir hier über wirkliche Abrüstung reden: Die lau-ende Hoch- und Umrüstung der Bundeswehr ist das Ge-enteil davon. Das steht auch nicht in dem Bericht, ge-ört jedoch dazu.Ein letzter Punkt: Eigentlich hätten wir schon heuteorgen in der Kernzeitdebatte, als wir hier das weitehema Tourismus behandelt haben, über einen echten
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Petra PauAbrüstungsschritt reden müssen, nämlich darüber, end-lich das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide zuschließen, statt in ein solches Tourismusgebiet einenBombenabwurfplatz hineinzupflanzen.
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Siegestatten, dass auch ich mit gestern anfange, allerdingsmit gestern vor 20 Jahren, als Hunderttausende vonMenschen in der damaligen Bundesrepublik auf dieStraße zogen, um gegen neue Atomwaffen in der Bun-desrepublik zu protestieren. So viele Positionen sichsonst auch in der Zwischenzeit geändert haben mögen:Dieser Protest damals war und ist richtig. Es war einProtest gegen den Wahnwitz der Atomrüstung.
Heute, 20 Jahre danach, ist der Ost-West-KonfliktGott sei Dank überwunden und sind die riesigen Atom-waffenarsenale erheblich abgebaut worden. In diesemZusammenhang kann ich allerdings nicht verstehen, wa-rum laut Presseberichten noch 64 Atombomben mit ei-ner Sprengkraft von 600 Hiroschima-Bomben in derBundesrepublik lagern. Dies ist ein Überbleibsel desKalten Krieges und meiner Auffassung nach nicht zurechtfertigen.
Zugleich stellt die Verbreitung von Massenvernich-tungswaffen an neue staatliche und nicht staatliche Ak-teure eine neue Herausforderung dar. Der Jahresabrüs-tungsbericht der Bundesregierung macht deutlich, wievielfältig die Bemühungen um Rüstungskontrolle, Ab-rüstung und Nichtverbreitung sind und dass diese sehr zuUnrecht im Schatten öffentlicher Aufmerksamkeit ste-hen.Auch ich will hier nur zwei gute Beispiele nennen, dieweitgehend unbekannt sind: Das ist erstens die G-8-Ini-tiative „Globale Partnerschaft“, die im vorigen Jahrvon Kanzler Schröder und Präsident Putin angestoßenwurde, um mit den Altlasten des Kalten Krieges im Be-reich der Massenvernichtungswaffen aufzuräumen. DieBundesrepublik leistet in diesem Bereich hervorragendeBeiträge. Das erste gemeinsame deutsch-russische Pro-jekt zur Chemiewaffenvernichtung ist das einzige Pro-jekt in Russland, welches in diesem Bereich überhauptfunktioniert.
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Wir müssen aber auch sehr nüchtern feststellen: Dasetzte Jahr war ein schlechtes Jahr für Rüstungskontrolle,brüstung und Nichtverbreitung von Massenvernich-ungswaffen. Die verschiedenen Aspekte sind – das istchon genannt worden – der deutliche Anstieg der Welt-üstungsausgaben, die zerfallenen Staaten mit der priva-isierten Gewalt, Rüstungswettlauf in Asien und – leiderreibend bei der Krise der Rüstungskontrolle – die US-egierung, die mit der Nuclear Posture Review und derntwicklung von Kleinstatomwaffen die Schwelle füren Einsatz von Atomwaffen deutlich absenkt und dereno genannter Präventivkrieg gegen den Irak ein Schlagegen das Völkerrecht und die multilaterale Abrüstungar.
ch kann nicht verstehen, Kollege Lamers, und zwareute noch weniger als damals, dass Sie dieser Art vonölkerrechtswidrigem Krieg im Grunde genommen nochmmer zustimmen. Das sprechen Sie nicht ehrlich undffen aus, aber Sie äußern hier indirekt Zustimmung.
Vor dem Hintergrund der neuen Herausforderungennd der Krise der Rüstungskontrolle ist der Antrag deroalitionsfraktionen von besonderer und höchsterktualität. In ihm wird die Krise der Rüstungskontrolleartnerschaftlich, aber deutlich beim Namen genannt. Eracht deutlich, dass neue Impulse unbedingt notwendigind, um zu einer Stärkung und Universalisierung derultilateralen Abkommen zu kommen.Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, das In-trument der multilateralen Rüstungskontrolle undichtverbreitung wirksamer zu machen. Wodurch soll esirksamer gemacht werden? Erstens kann das über denolitischen Dialog geschehen, bei dem die Sicherheits-nteressen der anderen Seite wahrgenommen werden undei dem man nicht einfach davon ausgeht, dass die ande-en die Bösen sind, die dann sozusagen platt gemachterden. Zweitens kann die Verifikation, also die Über-rüfung, mit Sanktionsmöglichkeiten dazu beitragen.ber politisch wirksam werden diese Maßnahmen nur,enn sie auf dem Boden des Völkerrechts und mit dertärke des Rechts durchgeführt werden.
Ich empfinde es als ausgesprochen ermutigend, dassich die Europäische Union mit ihrem Entwurf einer Si-herheitsstrategie auf diesem Weg befindet. Ich emp-inde es als ausgesprochen ermutigend, dass die Außen-
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Winfried Nachtweiminister von Großbritannien, Frankreich und derBundesrepublik auf dieser Basis gegenüber dem Iranagiert haben und einen ersten Durchbruch erzielt haben.Schließlich finde ich es ermutigend, dass wir in derFrage Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbrei-tung in diesem Hause – vor allem der erste Sprecher derUnionsfraktion hat das deutlich gemacht – weitgehendan einem Strang ziehen.Danke schön.
Das Wort hat nun der Kollege Karl-Theodor Freiherrvon und zu Guttenberg von der CDU/CSU-Fraktion.Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg
:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Verehrter Herr Kollege Nachtwei, ich unter-stütze Sie bei dem, was Sie in Ihrem letzten Satz gesagthaben, dass wir in vielen Punkten weitgehend an einemStrang ziehen.Ich will nicht auf gestern zurückblicken, weil ich dieBewertung mit allen in diesem Hause teile. Ich will abereinen Blick zurück in den vergangenen Juni werfen so-wie einige Kritikpunkte nennen, die sich insbesondereauf den Antrag, den wir heute behandeln, beziehen. Imvergangenen Juni war ein hörbarer Seufzer der Erleich-terung in der Bundesregierung zu vernehmen, dass end-lich und ohne eigenes Zutun der Entwurf einereuropäischen Sicherheitsstrategie auf den Weg ge-bracht wurde. Diese Strategie in Form des Solana-Pa-piers enthält, wie wir gehört haben, wichtige Ansätze zurAbrüstung und Rüstungskontrolle. Diese Strategie ist inihren wesentlichen Inhalten auf die einvernehmliche Zu-stimmung der derzeitigen und kommenden europäischenMitglieder gestoßen. Im Dezember ist aller Voraussichtnach eine Entscheidung bezüglich dieses Papiers zu er-warten.Es gibt viele Punkte in Ihrem Antrag, die sehr lobens-wert sind. Es verwundert aber doch, dass nur vier Mo-nate später und so kurz vor jenem Dezember ein Antragzur Beratung vorliegt, der in elementaren politischenund strategischen Punkten insbesondere im Be-gründungsteil eine Abstimmung mit den VorschlägenSolanas nicht erkennen lässt. So schließt der Text desSolana-Papiers – es mag vielleicht ein wenig schwärme-risch sein, aber nicht minder bedeutsam – mit einem Ap-pell an die transatlantische Zusammenarbeit, nämlich dieeuropäische und die amerikanische Sicherheitsstrategie,die ebenfalls essenzielle Abrüstungs- und Rüstungskon-trollfragen umfasst, aufeinander abzustimmen.Diesbezüglich ist es lohnend, den Begründungsteil Ih-res Antrags zu überprüfen. Im Ergebnis bietet er – daskann ich Ihnen leider nicht ersparen – ein ärmlichesBild, weil hier erneut lediglich Pauschalurteile und Ver-urteilungen mit einer Konzentration auf die VereinigtenStaaten abgegeben werden. Die „nationale Sicherheits-shBzhmltgnPmWdtirßGPühFctteDemptrStatd–swm
enn Sie diese Diktion in Ihrem Antrag beibehalten,ann leisten Sie einen erneuten Beitrag zur Pflege derransatlantischen Verwerfungen. Das wünscht niemandn unserem Haus.
Wie auf diese Weise die notwendige Zusammenfüh-ung und Feinabstimmung der beiden vorhandenen gro-en Strategien bewerkstelligt werden sollen, bleibt Ihreheimnis. Allerdings ist es dann konsequent – diesenunkt konnte ich auch nicht finden –, dass kein wirklichberzeugender Zusammenhang innerhalb der Bedro-ungstrias Proliferation, internationaler Terrorismus undailed States hergestellt wird. Damit fällt es leicht, jegli-hem Einsatz von militärischen Mitteln, so wie Sie esun, scharf entgegenzutreten und diesem im Forderungs-eil durch ein geradezu apodiktisches Nichtnennen einentsprechende Wertung zuteil werden zu lassen.
as mag Ihrer respektablen Überzeugung sicher sehrntsprechen. Allerdings muss man die Frage stellen, oban in diesem Gesamtzusammenhang damit einen euro-äischen Konsens herstellt.Sie schreiben in Ihrem Antrag: Der Deutsche Bundes-ag fordert die Bundesregierung auf – ich darf das zitie-en –,die Erarbeitung einer europäischen Nichtverbrei-tungs- und Sicherheitsstrategie zu nutzen, um dieBedeutung vertraglich verankerter und kooperativerRüstungskontrolle zu stärken …chön und gut und richtig. Weiterhin steht in Ihrem An-rag, dass die internationale Gemeinschaft geschlossenuf Verletzungen von Abrüstungs- und Nichtverbrei-ungsregeln reagieren soll.Wenn Ihr Beitrag zur Geschlossenheit im Begrün-ungsteil in der Nichtbeachtung gewisser gemeinsamer europäischer und amerikanischer – Erkenntnisse be-teht, nämlich dass beispielsweise – was sicherlich nieünschenswert ist – als Ultima Ratio auch der Einsatzilitärischer Mittel nicht ausgeschlossen werden kann,
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5944 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenbergdann leisten Sie – ich sage es noch einmal – keinen ge-wichtigen Beitrag zu jener Geschlossenheit und für dieZusammenführung dieser Strategien. Deshalb darf manschon die Frage stellen – in eineinhalb Monaten stehenwir möglicherweise vor ihr –: Wollen Sie nun Solanaoder nicht? Ich erwarte von der Bundesregierung und derrot-grünen Koalition irgendwann eine Festlegung, damitwir wissen, woran wir hier sind.
Sie fordern zu Recht ein multilaterales Handeln. Ef-fektiver Multilateralismus gründet sich gelegentlich aberauch auf einen angemessenen Tonfall und entsprechendeUmgangsformen mit unseren Partnern. Beides lassen Siein diesem Antrag – wiederum im Begründungsteil – ver-missen. Effektiver Multilateralismus verbietet auch un-reflektierte Pauschalierungen wie Kritiklosigkeit. Natür-lich muss, darf und soll Kritik auch gegenüber unserenPartnern möglich sein. Das müssen wir uns ohne Fragegegenseitig gestatten. Wir müssen nur sehr aufpassen,dass wir in all diesen Dingen Kritik nicht zur Manie wer-den lassen, nämlich dann, wenn man die Suppe vor lau-ter Haaren nicht mehr schmeckt.
Das transatlantische Verhältnis bzw. der Atlantik scheintin meinen Augen aber noch voll von Haaren zu sein.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
gen Ausschusses zum Jahresabrüstungsbericht 2002 der
Bundesregierung, Drucksachen 15/1104 und 15/1800.
Der Ausschuss empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu
nehmen und die Bundesregierung zu bitten, mit der jähr-
lichen Berichterstattung fortzufahren. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung
der beiden fraktionslosen Abgeordneten angenommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1786 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verbraucherschutz,
Ernährung und Landwirtschaft
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung
Waldzustandsbericht 2002
– Ergebnisse des forstlichen Umwelt-
monitorings –
– zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne-
ten Gabriele Hiller-Ohm, Sören Bartol,
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, Ulrike Höfken, weiterer Abgeordneter
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5945
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Wir brauchen dafür keine aufwendigen Aufforstungspro-gramme, keine teuren und umweltbelastenden Pesti-zideinsätze, zum Beispiel gegen die Borkenkäferplageoder gegen schädlichen Pilzbefall. Wir brauchen auchkeine flächendeckenden Düngungen. Sie sind nicht nö-tig, um unsere Wälder in wetterextremen Zeiten wach-sen zu sehen.
Die Lösung ist recht einfach: Wir müssen den ein-geschlagenen Weg der naturnahen Bewirtschaftungunserer Wälder konsequent fortsetzen.
Es hat sich gezeigt, dass Mischwälder mit naturnahemWirtschaftskonzept Trockenperioden deutlich besserüberstehen als Monokulturen. Die gefährlichen Killerkä-fer haben in einem Mischwald sehr viel geringere Chan-cen, sich auszubreiten. Auch Jungbestände, die sichselbst angesamt haben, sind durch Wetterextreme in derRegel nicht gefährdet. Das Geld für Neuanpflanzungenkönnen wir hier also einsparen.
Es ist deshalb richtig, naturnahe Waldbewirtschaftungim Bundeswaldgesetz verpflichtend festzuschreiben.Dafür setzen wir uns ein.
Wir brauchen starke, widerstandsfähige Wälder.
Monokulturen sind in Deutschland Kunstwälder. Sie ge-hören nicht in unser Land. Sie sind zu anfällig, zu teuerund deshalb betriebs- und volkswirtschaftlich höchstproblematisch.
Wälder bilden die wirtschaftliche Grundlage für dievielen Waldbauern und die Holz verarbeitende Industriein unserem Lande. Daher ist es ein wichtiges Ziel – dieshaben wir in unserem vorliegenden Antrag genau be-schrieben –, die Rahmenbedingungen für die Forst-und Holzwirtschaft in Deutschland zu verbessern.
Mehr als 700 000 Arbeitsplätze hängen an diesem wich-tigen Wirtschaftszweig. Das sind mehr als in der chemi-sgnstcWdsnlmdWZfWsgsGawzbzmIDuswdMiegEddGvsUKmd
Wir müssen uns noch mehr anstrengen, die Waldwirt-chaft voranzubringen und als wichtigen Wirtschaftsfak-or in Deutschland zu stärken. Wie können wir das errei-hen?
ir müssen die Schadstoffeinträge weiter reduzieren;as ist gar keine Frage. Wir brauchen hohe Qualitäts-tandards, um auf dem Markt bestehen zu können. Ichenne ein Beispiel: Der Möbelriese Ikea – er ist uns al-en bekannt – will zukünftig nur noch Massivholzmöbelit Qualitätssiegel auf höchstem Niveau verkaufen. An-ere Unternehmen stehen ebenfalls in den Startlöchern.ir dürfen dieses deutliche Signal hin zu hochwertigenertifizierungsstandards in Deutschland nicht verschla-en.
ir müssen uns massiv anstrengen, damit genügend ent-prechend zertifiziertes Holz aus Deutschland zur Verfü-ung steht; denn die Konkurrenz – da bin ich mir ganzicher – schläft nicht, während wir in Deutschland imezänk um Qualitätsstandards wichtige Marktchancenus den Augen zu verlieren drohen. Die Möbelindustrieird ihr Holz dann aus europäischen Nachbarländern be-iehen. Da ist man im Übrigen schon sehr viel weiter alsei uns. Der englische Staatswald ist bereits nach FSCertifiziert. Aber auch über die EU hinaus gibt es immerehr Bestrebungen, sich hohen Standards zuzuwenden.n Russland gibt es immer mehr zertifizierte Betriebe.as sollte uns aufrütteln.Wir brauchen hohe Qualitätsstandards. Wir müssenns zur Stärkung der heimischen Forst- und Holzwirt-chaft aber auch gegen ruinöse internationale Wettbe-erbsverzerrungen zur Wehr setzen. Ich bin sehr froh,ass sich auf EU-Ebene endlich etwas bewegt und dieitgliedstaaten einen Aktionsplan gegen illegale Holz-mporte erarbeiten. Billigholzimporte schwächen denuropäischen und auch den heimischen Holzmarkt undefährden den Bestand der letzten Urwälder auf unsererrde.Die Waldbestände vor allem in den Entwicklungslän-ern sind durch Raubbau enorm zurückgegangen. Inen letzten fünf Jahren wurde eine Waldfläche von derröße Frankreichs vernichtet. Sie ist unwiederbringlicherloren. In Deutschland nehmen die Waldbestände Gottei Dank wieder zu.
ns steht ein jährliches Potenzial von rund 60 Millionenubikmetern Holz zur Verfügung. 20 Millionen Kubik-eter bleiben jedoch zurzeit ungenutzt. Das bedeutet,ass noch enorme Kraftreserven zum Klimaschutz in un-
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Gabriele Hiller-Ohmseren Wäldern schlummern. Diese Kraftreserven müssenwir mobilisieren.
So sichern wir Arbeitsplätze, stützen die heimischeForst- und Holzwirtschaft und tun gleichzeitig etwas fürdie Umwelt.
Wie machen wir das? Das ist eigentlich ganz einfach.Holz ist genug da.
Am Absatz mangelt es. Wir fördern also den Absatz. Wirschmieden ein weitreichendes Aktions- und Organisati-onsbündnis in Deutschland, die Charta Holz, um Holzvor allem in den Bereichen Wohnen, Bauen und Heizenaus seinem derzeitigen Schattendasein herauszuholen.
Die Skandinavier machen uns vor, wie es geht. Sieverbrauchen pro Kopf zwei- bis dreimal so viel Holz wiewir. Da sind also noch enorme Potenziale. Holz als nach-wachsender Bau- und Heizstoff wird bei uns leider nochnicht so akzeptiert und hat sich noch nicht so durchge-setzt, wie es nötig wäre. Das wollen wir ändern. Dasmacht ökonomisch und ökologisch Sinn. Das machenwir mit der Charta Holz. Die rot-grüne Bundesregie-rung hat mit der Charta Holz einen wichtigen Prozess inGang gesetzt. Im Dezember sollen die ersten Ergebnissevorliegen. Ich bin sehr gespannt und ich bin guter Hoff-nung, dass wir hier einen Schritt weiterkommen.
Es ist schon erstaunlich: In Deutschland wird ganz offen-sichtlich der Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen.
Obwohl wir tolle Waldbestände in Deutschland haben,wird Holz bei Bauvorhaben häufig sträflich benachtei-ligt.
Ich nenne ein Beispiel: Es lag ein Angebot vor, die Mes-sehalle in München in Holzbauweise zu errichten, dassogar noch 20 Millionen Euro günstiger als ein anderesAngebot war. Trotzdem hat man sich gegen dieses Ange-bot entschieden. Woran liegt das? Ganz offensichtlich istdie Stahl- und Betonlobby in Deutschland besser aufge-stellt als die Forst- und Holzwirtschaft. Diese Schieflagewollen wir mit der Charta Holz ein wenig geraderücken.Die hohe Qualität von Holz auch bei Großkonstruktio-nen ist inzwischen bewiesen. Ich nenne als Beispiel dasHolzgroßbauprojekt auf dem ehemaligen EXPO-Ge-lände. Diese Halle erhielt das größte Holzdach Europas.Es geht also.ZmDdezWRTHudrCttBketSvbw2wrdgdgkMgwNdJsFmie
arum nutzen wir diesen attraktiven nachwachsendenohstoff nicht noch viel stärker?
un wir es doch! – Ich hoffe, dass wir mit der Chartaolz den Durchbruch in Deutschland schaffen werden,nd bedanke mich.
Das Wort hat jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von
er CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-en! Frau Kollegin Hiller-Ohm, wenn Sie heute dieharta Holz statt eines prosaischen Entschließungsan-rags vorgelegt hätten, dann wären wir einen Schritt wei-er. Ich kann Ihnen nur zustimmen, dass Holz ein idealeraustoff ist und wir Holz viel stärker energetisch nutzenönnten. Aber diese Feststellung, über die wir uns alleinig sind, braucht man nicht zum siebenundzwanzigs-en Mal zu wiederholen. Man muss vielmehr konkretechritte einleiten, damit die Marktnachteile, die zurzeitorhanden sind – was Sie über die Lobby ausgeführt ha-en, kann man auch nur unterstreichen –, ausgemerzterden und wir damit einen Schritt weiterkommen.Wir sprechen heute über den Waldzustandsbericht002. Die Daten, die darin enthalten sind, stammen teil-eise aus dem Jahr 2001 und berücksichtigen nicht dieeale Lage. Frau Hiller-Ohm, Sie haben richtig gesagt,ass der Sommer für alle, die Urlaub machen wollten,ut, für den Wald aber eine Katastrophe war. Deshalb istie Lage erheblich schlechter, als sie in dem jetzt vorlie-enden Bericht, den wir hier diskutieren, zum Ausdruckommt.Aber was braucht der Wald? Notwendig sind konkreteaßnahmen, wenn wir auf die bestehende Situation rea-ieren wollen. Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel,o Sie als Regierung etwas bewegen können. Vieleeuanpflanzungen, die gefördert worden sind, sind iniesem Jahr nicht hochgekommen. Wenn im nächstenahr die Anpflanzung wiederholt werden muss, stelltich die Frage, ob dafür in allen Bundesländern erneutördermittel fließen. Wenn Ihre Ministerin gemeinsamit der Agrarministerkonferenz und den Bundesländernn diesem Zusammenhang entsprechende Regelungenrarbeiten würde, dann wäre das eine konkrete Hilfe.
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Georg SchirmbeckAber wie sieht die reale Lage aus? Festzustellen ist,dass diese Fördermittel, die im Rahmen der Gemein-schaftsaufgabe bereitgestellt werden, gekürzt werden.Das heißt, auch in diesem Bereich, in dem Fördermittelaus dem Bundeshaushalt und aus den Landeshaushaltenzur Verfügung gestellt werden
– ich komme gleich auf diesen Punkt zu sprechen –, istaufgrund der Kürzungen keine zusätzliche Maßnahmemöglich.Entlarvend war Ihre Äußerung, dass im Wald nichtgedüngt werden soll. Unter Düngen verstehen Sie dochwahrscheinlich das Waldkalken. Es ist die erklärte Aus-sage Ihrer Bundesregierung, dass die Waldkalkungenfür die Waldböden, die teilweise sauer wie Essig sind,noch über einen sehr langen Zeitraum notwendig sind.Faktisch finden aber in diesem Jahr keine Waldkalkun-gen mehr statt, weil die Spitzenfinanzierung nicht mehrsichergestellt ist. Wir wissen, dass eine hundertprozen-tige Finanzierung bei der derzeitigen Gesetzeslage nichtmöglich ist. Die Mitfinanzierung über die Kommunen,die in der Vergangenheit üblich war, ist nicht mehr mög-lich, weil die Kommunen wegen Ihrer Wirtschafts- undFinanzpolitik pleite sind. Faktisch finden keine Kalkun-gen mehr statt, sodass eine sinnvolle Sanierungsmaß-nahme nicht mehr umgesetzt wird.Das, was Sie auf den Weg bringen könnten, wenn Siees denn wollten – das gehört zu Ihren Regierungsaufga-ben –, unterlassen Sie. Sie schaden damit unserem Wald.
Sie haben ausgeführt, Ikea werde zukünftig nur nochgutes Holz aus zertifizierten Beständen verarbeiten. Siesollten in diesem Zusammenhang auch zur Kenntnisnehmen, dass im Privatwald durch die Initiative der Ei-gentümer mittlerweile 60 Prozent des Bestandes nachPEFC zertifiziert sind, das das in Europa vorherrschendeSystem ist. Nehmen Sie einmal zur Kenntnis, dass imPrivatwald diejenigen, die ein besonderes Interesse amWald haben, aus eigenem Antrieb tätig sind!In Ihrem Entschließungsantrag fordern Sie, Systemezur Zertifizierung zu unterstützen, die pestizidfrei wirt-schaften. Sie sollten den Grafen Hatzfeld fragen, ob dasfür die FSC-Zertifizierung zutrifft. Die Umsetzung IhrerForderung hätte zur Folge, dass es in Deutschland garkein System zur Zertifizierung mehr gäbe. Sie sollten in-sofern die Realität berücksichtigen, statt Forderungen zustellen, die an den Fakten vorbei gehen.Nach wie vor besteht ein wesentliches Problem darin,dass die Schadstoffe durch die Luft eingetragen werden.Von entscheidender Bedeutung für die Luftqualität sinddie vom Verkehr verursachten Belastungen. Ich habe ge-lesen, dass Sie den Verkehr durch geeignete Maßnahmen– Genaueres bleibt, wie üblich, im Dunkeln – reduzierenwd–JapmnutrBLldhddvddmDdGsNbddWnWBnPiw
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamenta-
ische Staatssekretär Matthias Berninger.
Ma
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-ege Schirmbeck, dann wollen wir einmal von den Re-en zu den Taten kommen.
Ich glaube, dass der Wald es verdient, dass wir inner-alb dieses Hauses einen Konsens entwickeln, nämlichass die Waldpolitik eine stärkere Aufmerksamkeit ver-ient, als sie in den vergangenen Jahren gelegentlichorhanden war. Denn mir fällt immer wieder auf, dassiejenigen, die sich für den Wald interessieren – sowohlie Waldbesitzer als auch die Umweltschützer –, vielehr gemeinsame Interessen haben als Streitpunkte.ennoch ist die politische Diskussion hauptsächlich vonem Streit geprägt.Es ist das konkrete Ziel der Bundesregierung, auf denemeinsamkeiten aufzubauen. Deswegen habe ich michehr darüber gefreut, dass wir in der Diskussion über dasationale Waldprogramm ein sehr umfangreiches Papiereider Seiten bekommen haben, das sich mit der Frageer Zukunft unseres Waldes befasst.Ein wesentlicher Bestandteil – Frau Hiller-Ohm hatarauf hingewiesen – ist die naturnahe Waldwirtschaft.enn sich beide Seiten einig sind, dass die Zukunft dematurnah bewirtschafteten Wald gehört, also einemald, der sich selber regenerieren kann, in dem dieaumarten wieder von selbst wachsen und bei dem manicht auf Monokulturen, sondern auf Vielfalt und aufflanzen setzt, die standortverträglich sind, dann rechnech fest damit, dass Sie unserem Entwurf eines Bundes-aldgesetzes, den wir noch vorlegen werden, zustimmen
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Parl. Staatssekretär Matthias Berningerwerden; denn genau in diesem Gesetzentwurf werdenwir die naturnahe Waldbewirtschaftung zum künftigenStandard erheben. Schließlich wollen wir nicht, dass sichdie Fehler der Vergangenheit – das sind die großenMonokulturen – in der Zukunft fortsetzen. Diese Fehlerbereiten uns ja hauptsächlich Sorgen.
Wann immer Stürme über das Land hinweggefegt sind,wiesen die Monokulturwälder die Hauptschäden auf.Auch bei der momentanen Diskussion über die Problememit dem Borkenkäfer – dazu gibt es eine Anfrage derAbgeordneten Happach-Kasan – stellt man fest, dass dasHauptproblem bei den Wäldern besteht, die wir künftignicht mehr wollen. Unterstützen Sie also unser Ansin-nen, naturnahe Waldwirtschaft künftig nach vorne zubringen.Ein weiteres Beispiel ist die Naturverjüngung vonWäldern. Jeder, der sich mit Wäldern auskennt, weiß,dass der zu hohe Wildbestand uns in den allermeistenWäldern große Probleme bereitet, weil dadurch die Na-turverjüngung enorm erschwert wird. Nun wird aus demBundesjagdgesetz, dessen Reform eine notwendigeMaßnahme ist, um die Naturverjüngung der Wäldernach vorne zu bringen, ein heiliger Gral gemacht. Ange-sichts dessen, was hier abläuft, kann ich manchmal nurden Kopf schütteln. Auch bei dieser sehr konkretenMaßnahme könnte die CDU/CSU-Fraktion im Deut-schen Bundestag statt eine Lobby, die Einzelinteressenvertritt, die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer sowiedie Umweltverbände in Deutschland sehr tatkräftig un-terstützen.
– Herr Kollege Deß sagt gerade, dass die Jäger ganz an-ständige Menschen seien. Diese Meinung teile ich voll-kommen. Wir wollen durch die Reform des Bundesjagd-gesetzes auch nicht die Jagd verbieten, sondern dieJägerinnen und Jäger in die Lage versetzen, den Wald sozu bewirtschaften und in ihm so zu jagen, dass letztend-lich das Gleichgewicht zwischen Wald auf der einenSeite und Tieren auf der anderen Seite zu einer Verbesse-rung der Situation führt. Hier brauchen wir in der Tat dieUnterstützung der Jägerinnen und Jäger, nicht aber der-jenigen, die meinen, dass ein Gesetz, das 1934 vomReichsjägermeister Göring geschaffen worden ist, bis inalle Zukunft zu gelten habe.Ausweislich des Waldzustandsberichts 2002 ist derGesundheitszustand der Eichen relativ gut. Meine bei-den Vorredner haben schon darauf hingewiesen, dass esnächstes Jahr aufgrund der besonderen Situation in die-sem Jahr – es herrschte sehr große Trockenheit – Pro-bleme geben wird. Das kann man schon jetzt aufgrundder Daten für den Waldzustandsbericht 2003 sagen. DieSituation wird insbesondere für die Eichen ernster. Wirwerden hier mit großen Problemen zu kämpfen haben.DbdeoHleDlekPagdwvandBtrufleddtiUeBLdtBLhfW
ies ist nur eines von vielen Beispielen, die mir einfal-n, auf die alle ich aber aus Zeitgründen nicht eingehenann.Wichtig ist mir, dass es uns gelingt, gemeinsam dasrodukt Holz stärker nach vorne zu bringen. Ich denke,uch das ist ein Feld, auf dem wir mit der Charta Holzemeinsame Initiativen ergreifen können. Ich teile Ihreiesbezügliche Einschätzung: Der Worte sind viele ge-echselt. Wir sollten versuchen, den Streit zwischenerschiedenen Zertifizierungsorganisationen produktivufzulösen. Das bedeutet aber, dass wir Standards defi-ieren sollten, an die sich alle halten müssen. Das wirdie Bundesregierung mit der Vorlage einer nationaleneschaffungsrichtlinie in den nächsten Monaten tun.Wir werden Ihnen 2003/04 – das ist im Koalitionsver-ag verankert – die Entwürfe eines Bundeswaldgesetzesnd eines Bundesjagdgesetzes, Zertifizierungsstandardsür den Wald sowie den Entwurf einer Charta Holz vor-gen, die helfen wird, gerade die ökonomischen Fragenes Waldes zu beantworten. Wir haben die Hoffnung,ass wir mit diesen Maßnahmen etwas für die Waldpoli-k tun. Ich habe die herzliche Bitte, dass wir dafür dienterstützung des ganzen Hauses bekommen.Ich danke Ihnen.
Herr Kollege Berninger, erlauben Sie noch sozusagen
ine Abschlussfrage des Kollegen Schirmbeck?
Ma
Ja.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden,
ass Sie durch die nationale Beschaffungsrichtlinie prak-
isch FSC-Standards festschreiben wollen?
Ma
Nein. Ich glaube, dass ich mich anders ausgedrücktabe. Ich möchte, dass wir durch die nationale Beschaf-ungsrichtlinie Standards definieren, die die naturnahealdwirtschaft befördern.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5949
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Parl. Staatssekretär Matthias BerningerIch bin für Wettbewerb der Zertifizierungsorganisa-tionen. Alle die, die diese Standards einhalten können,sollen bei der nationalen Beschaffung besonders berück-sichtigt werden. Wir sind nicht nur für die Forsten, son-dern auch für den Verbraucherschutz zuständig. Was wirnicht wollen, ist eine nationale Beschaffungsrichtlinie,an deren Ende Etikettenschwindel steht.
Wir wollen eine Zertifizierung unterstützen, die eine na-turnahe Waldbewirtschaftung fördert.Ich wünsche mir, dass möglichst viele Waldbauern inDeutschland und auch möglichst viele in Deutschland tä-tige Zertifizierungsorganisationen mitmachen. Bei derZertifizierung gilt das, was in der Waldpolitik insgesamtgilt: Der Konsens unter denen, die sich da bemühen, isteigentlich größer als der Dissens. Wir streiten uns bei derZertifizierung in einem Kleinkrieg über mehrere Fragen,die wir im Detail im Ausschuss diskutieren können undvon denen ich glaube, dass sie lösbar sind. Die Bundes-regierung wird in Abstimmung von Wirtschaftsministe-rium, Umweltministerium und Verbraucherschutzminis-terium handeln. Die Zertifizierungsorganisationenkönnen, denke ich, einen Kompromiss finden, an dessenEnde steht: Mehr Holz aus Wäldern, die naturnah be-wirtschaftet werden, wird bei der Beschaffung des Bun-des und hoffentlich auch der Länder und der Kommunenberücksichtigt.Herzlichen Dank.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Christel Happach-
Kasan von der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esist hier ein kleiner, aber offensichtlich ausgesprochenwaldinteressierter Kreis. Ich hoffe, dass wir ihn in Zu-kunft etwas vergrößern können.
Herr Berninger, Sie haben die Maßnahmen angespro-chen, die sich die Bundesregierung vorgenommen hat.Ich möchte dazu anmerken: Global betrachtet ist der ille-gale Holzeinschlag in vielen Wäldern anderer Erdteiledas gravierende, das ganz große Problem. An diesemProblem ändern wir nichts, wenn wir in Deutschlandweitere Regelungen schaffen. Ihr Waldgesetz wird wei-tere Regelungen und zusätzliche Standards zur Zertifi-zierung enthalten. Wir brauchen ein bisschen mehr Ver-trauen in unsere Waldbesitzer, die ihre Wälder inJahrzehnten ordentlich entwickelt haben. Stattdessensollen sie mit weiterer Bürokratie belastet werden.
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Gleichzeitig – darum kann man nicht herumreden –erden in alten Waldformen deutliche Schäden beo-achtet. Das ist kein Widerspruch. Das eine schließt dasndere nicht aus. Darüber kann auch eine Äußerung voninisterin Künast nicht hinwegtäuschen. Sie hat davonesprochen, dass der Trend gestoppt ist. Leider ist er esicht.Der Zustand der Waldböden ist besorgniserregend.ie Schadstoffeinträge haben die Waldflächen großflä-hig verändert und in ihrer Funktionsfähigkeit stark be-inträchtigt. Als Gegenmaßnahme empfiehlt der Berichtaldkalkungen. Ich möchte Ihnen vorlesen, was diehemalige Ministerin Martini in Rheinland-Pfalz gesagtat:Nichtstun gibt die Waldböden teilweise irrepara-blen Schäden preis und gefährdet die Nachhaltig-keit der Waldwirtschaft und die Qualität unsererWasserressourcen.Ich fordere die Regierungskoalition auf, die Maßnah-en gegen Waldschäden, die im Bericht genannt wer-en, auch zu realisieren. Dazu gehören Waldkalkungen.afür brauchen wir angesichts der schlechten Ertrags-ituation der Wälder eine öffentliche Förderung. Außer-em muss deutlich gemacht werden: Nur gesundealdböden können gesunde Wälder tragen. Andersunktioniert es nicht.Der heiße Sommer hat dramatische Borkenkäferschä-en in den Wäldern zur Folge gehabt. Die Schadbilder,ie ich in den vergangenen Wochen gesehen habe, sindusgesprochen schlimm. Es steht zu befürchten, dass fürinige Bestände der Kahlschlag der einzige Weg ist, dieoraussetzungen für die Neubegründung von Wald zuchaffen. Die Borkenkäferkalamität hat aber auch deut-ich gemacht, dass die eigentlichen Probleme in Fehlernergangener Jahrzehnte liegen – es gibt Wälder, dieicht stabil sind; es gibt Monokulturen, die so nicht wei-er betrieben werden können; deswegen werden wir ja soroße Schäden haben –, dass FSC und die Polarisierungwischen zwei Zertifizierungssystemen nicht die Ant-ort sind, die wir brauchen.Frau Hiller-Ohm, Sie haben darauf abgehoben, dassie die Arbeitsplätze im Wald erhalten wollen. FSC-olz erzielt zurzeit einen geringeren Preis als anderesolz. Damit ist es kaum geeignet, die Arbeitsplätze imald zu erhalten.Solange die Zertifizierungssysteme nicht darauf Rück-icht nehmen, dass in Deutschland eine sehr kleinteiligetruktur gegeben ist – 1,3 Millionen Waldbesitzer –, undolange nicht sichergestellt ist, dass die Standards in deninzelnen Länder gleich sind, kann ein solches Zertifi-ierungssystem meines Erachtens keinen Bestand haben.
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5950 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Dr. Christel Happach-KasanIch fordere die Regierung auf, die Berichte, die sieverfasst, auch wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Wirkönnen es uns nämlich sparen, Geld für solche Berichteauszugeben, wenn sie hinterher nicht konsequent umge-setzt werden.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ein Satz zum Antrag der Regierungskoalition: Er
enthält – ich habe ihn in meiner ersten Rede bewertet –
durchaus Sinnvolles – das will ich hier deutlich sagen –,
aber es fehlt sehr viel und einiges ist überflüssig.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Cajus Caesar von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Der Bedeutung des Waldes muss zukünftig mehr Beach-tung geschenkt werden.Schauen wir uns die positiven Wirkungen des Waldesan. Ich nenne hierzu die Stichworte Luft, Wasser, Klima,Boden, Artenvielfalt und, nicht zu vergessen, die Wirt-schaft; die rund 800 000 Arbeitsplätze in diesem Bereichsind nicht zu vernachlässigen.Der Waldzustandsbericht beinhaltet eine Analyse undeine Zustandsbeschreibung. Beides ist richtig und wich-tig. Wo sind aber die Taten der Regierung? Wir suchensie vergebens. Außer Papier und Reden findet man herz-lich wenig.
Wir haben Erfolge bei der Schadstoffreduzierung zuverzeichnen; aber in der Statistik werden nicht umsonstdie Zeiten der CDU/CSU-geführten Regierung wesent-lich einbezogen. Von 1990 bis 2000 ist die Emission vonSchwefeldioxiden um 85 Prozent zurückgegangen; dieEmission von Stickoxiden ist um 41 Prozent zurückge-gangen.
Dennoch gibt es dringenden Handlungsbedarf; aberSie sind offensichtlich nicht in der Lage, die notwendi-gen Dinge auf den Weg zu bringen. Die Bodenversaue-rung schreitet weiter voran: 80 Prozent der Flächen wei-sen einen pH-Wert unter 5 auf. Einige Standorte weiseneinen pH-Wert unter 3 auf. Sie wissen: Ein Sinken despH-Wertes um zwei Punkte bedeutet eine Verhundertfa-chung der Versauerung. Das hat eine Verdrängung vonPflanzennährstoffen, einen Verlust an Vitalität, die An-rtVgDmkdfSdgt5grh1DGESlVubswbwVphdWFbsHEmdlW
„Keine Zukunft vermag gutzumachen, was man in deregenwart versäumt.“ Das hat Albert Schweitzer gesagt.s ist ein Zitat, das Sie sich zu Herzen nehmen sollten.ie führen stattdessen immer mehr Bürokratie und Be-astungen – Steuern, wie die Ökosteuer, sowie Gesetze,erordnungen, Leitbilder, Richtlinien, Verbote, Gebotend Festsetzungen – ein. Das sind Ihre Handlungsvorga-en. Sie legen mit der Novellierung des Bundeswaldge-etzes und des Bundesjagdgesetzes noch eins drauf. Sieollen dem einzelnen kleinen Waldbesitzer vorschrei-en, auf welchem Quadratmeter er welche Pflanze inelcher Größe und von welcher Sorte pflanzen soll.Gleichzeitig vernachlässigen Sie Ihre internationaleerantwortung. Wo sind denn die Gelder für den Tro-enwald, wo täglich Tausende von Hektar verloren ge-en? Sie kürzen sie doch! Das ist nicht unsere Politik;as ist nicht die Politik der Union.
ir wollen Taten statt Worte: Wir wollen, dass mehrorschung sowie Marketing für Holz und Wald – es tuteiden gut – betrieben wird, dass die vielfältigen Ein-atzmöglichkeiten des nachwachsenden Rohstoffesolz ausgenutzt werden. Das wollen wir voranbringen.s wäre ein Beitrag zur Reduzierung von CO2, zum Kli-aschutz und zur Verbesserung der Ertragslage. Es för-ert die Waldpflege und stärkt insbesondere unserenändlichen Raum.Dies ist eine Chance für unser Holz, für unserenald, für die Biomasse. Diese haben es verdient.
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5951
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Cajus CaesarSie sind gefordert, Ihrer Verantwortung gerecht zuwerden: Bewahren Sie das Erbe eines gesunden Waldesfür die Bürger unseres Landes, aber auch für unsere Kin-der.Herzlichen Dank.
Abschließend hat der Kollege Albert Deß von der
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktio-
nen SPD und Grüne zum Waldzustandsbericht 2003,
über den wir hier bereits im April ausführlich debattiert
haben, bringt nur wohlfeile Waldlyrik. Der Wald wird
dort fast ausschließlich unter dem Ökoaspekt betrachtet.
Die Umweltfunktion des Waldes ist aber nur die eine
Seite. Genauso wichtig ist die wirtschaftliche Funktion
des Waldes.
Fast ein Drittel unseres Landes ist mit Wald bewach-
sen. Durch die Aufforstung weiterer Flächen nimmt die
Waldfläche in Deutschland im Gegensatz zu anderen
Ländern, wo leider riesige Waldflächen gerodet werden,
zu. Allein in Bayern wurden in den vergangenen zehn
Jahren 20 000 Hektar neue Waldfläche geschaffen. Der
Aufwuchs von 1 Festmeter Holz entzieht der Atmo-
sphäre 1Tonne Kohlendioxid. Wird Holz nach dem Auf-
wuchs zum Beispiel beim Bau verwendet, bleibt dieses
CO2 für lange Zeit gebunden. Der vermehrte Einsatz vonHolz in den verschiedensten Bereichen, verbunden mit
einer sinnvollen Waldwirtschaft, gibt uns die Möglich-
keit, eine noch bessere CO2-Bilanz zu erreichen. Weilich immer großen Wert darauf lege, dass Reden und
Handeln zusammenpassen, habe ich beim Umbau mei-
nes Wohnhauses im vergangenen Winter möglichst viel
Holz verwendet; das Ganze schaut auch noch gut aus.
Nur wenn wir das Ökosystem des Waldes bewahren
und stärken, können wir seine für uns ebenso wichtigen
Funktionen als Erholungsraum und Erwerbsgrundlage
dauerhaft nutzen. Der Wald bietet vielfältige Möglich-
keiten zur Entspannung und schafft Einkommen und Ar-
beitsplätze in der Forst- und Holzwirtschaft. Es ist ein
Fortschritt, dass selbst von den Grünen, den Panikma-
chern und -profiteuren der Nation, nicht mehr der
Alarmruf „Waldsterben!“ in den Mund genommen wird.
Es gab in den 80er-Jahren fast keine Veranstaltung der
Grünen, in der das Thema Waldsterben nicht auf der Ta-
gesordnung stand.
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Der Wald stirbt!“ war eine der unverantwortlichen Pa-
olen zu dieser Zeit. Ich bin froh, dass sich die Waldbe-
itzer davon nicht entmutigen ließen und die Pflege ihrer
ngeblich hoffnungslos erkrankten Wälder nicht aufge-
eben haben.
ie haben trotz der grünen Panikmache weiter in die
älder investiert. Damit haben sie einen großen Beitrag
azu geleistet, dass die Situation unseres Waldes trotz
egativer Umwelteinflüsse nicht schlechter geworden
st. Unser Dank gilt deshalb den Waldbauern und den
orstbesitzern, den echten Grünen, die durch unermüdli-
he Arbeit unseren Wald pflegen und erhalten.
Von den selbst ernannten grünen Aposteln braucht
ich die Holz- und Forstwirtschaft nicht vorwerfen las-
en, dass sie den ökologischen Aspekt des Waldes nicht
eachtet. Die Forst- und Holzwirtschaft war es, die den
egriff der Nachhaltigkeit geprägt und seit langem ihre
raxis danach ausgerichtet hat. Nachhaltigkeit in der
orstwirtschaft lässt sich aber nur mit den Betroffenen,
or allem den rund 1,3 Millionen Kleinwaldbesitzern,
erwirklichen und nicht gegen sie.
nsere Waldbauern brauchen keine Belehrungen von
achunkundigen, die mit Modulationsmitteln dem Wald
elfen wollen, die vorher meinen Berufskollegen aus der
asche gezogen wurden.
ie Waldbauern wären schon zufrieden, wenn sie bei der
ewirtschaftung ihrer Waldflächen von Rot-Grün nicht
tändig schikaniert würden.
Überflüssig ist auch die besonders von den Grünen
eforderte Novellierung des Jagdrechts. Ich bin kein
äger. Deshalb kann ich ohne Hintergedanken sagen:
ier wollen sich die grünen Ideologen eine neue Spiel-
iese schaffen, auf der sie ihren Vorurteilen gegen die
agd und Jäger freien Lauf lassen können. Das Jagdrecht
st untrennbar mit dem Eigentum an Grund und Boden
erbunden und darf nicht angetastet werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind
ns alle einig, dass bei der Novellierung des Energieein-
peisegesetzes die Biomasse einen höheren Stellenwert
rhalten kann. Wenn die Bundesregierung und Rot-Grün
ies vorhaben, dann werden wir als Opposition bei die-
em Punkt konstruktiv mitarbeiten.
Herr Kollege Deß, kommen Sie bitte zum Schluss!
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5952 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Ja, Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Die
thermische Verwertung von Holz bietet eine interessante
Perspektive. Wir sollten die Möglichkeiten, die damit
verbunden sind, nutzen.
Ich möchte mich zum Schluss bei allen bedanken, die
heute gekommen sind, um bei dieser Walddebatte dabei
zu sein. Ich möchte mich besonders, ohne dass ich damit
andere zurücksetzen will, bei meinen drei Fraktionskol-
legen Ulla Heinen, Gitta Connemann und Peter Bleser
bedanken, die auf meinen Wunsch hin gekommen sind,
obwohl sie einen anderen wichtigen Termin gehabt hät-
ten.
Vielen Dank, dass ihr gekommen seid.
Herr Kollege Deß, die Anwesenheit von Kollegen be-
darf keines besonderen Dankes. Das gehört zu ihren
Aufgaben.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verbraucherschutz, Ernährung und Land-
wirtschaft auf Drucksache 15/1027 zum Waldzustands-
bericht 2002 und zu dem Entschließungsantrag der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen
hierzu. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis des Wald-
zustandsberichts 2002 auf Drucksache 15/270 den Ent-
schließungsantrag auf Drucksache 15/745 anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung
ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen von CDU/CSU- und FDP-Fraktion angenom-
men.
Ich darf fragen, ob es eine andere Meinung gibt? – Das
ist nicht der Fall.
– Sie können sicher sein, dass abgezählt wurde.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5953
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Das Wort hat jetzt der Kollege Marco Wanderwitz
on der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu-ächst, Herr Kollege Manzewski, sei mir gestattet, Fol-endes zu sagen: Ich finde es sehr erfreulich, dass voner SPD-Fraktion jetzt – im Gegensatz zu der Debatte,ie wir im Juli dieses Jahres geführt haben – zumindestrüfbedarf gesehen wird.
Sie haben damals nicht geredet, das ist richtig. – Wennie das schon etwas früher erkannt hätten, dann hätteuch die Prüfung schon etwas eher erfolgen können.Nichtsdestotrotz: Da ich nicht sicher bin, ob das auchhre Kolleginnen und Kollegen erkannt haben, glaubech, dass zu der Entstehung dieser Regelung noch eini-es gesagt werden sollte.Die hier in Rede stehende Sonderregelung des Art. 2322 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichenesetzbuch erweist sich – das habe ich bereits in meinerede im Juli gesagt – zunehmend als Hemmschuh fürie weitere wohnungswirtschaftliche Entwicklung inen neuen Ländern.iese Regelung verbietet es dem Vermieter, sich bei ei-em vor dem 3. Oktober 1990 abgeschlossenen Mietver-ältnis – das betrifft noch eine große Zahl an Mietern –uf ein berechtigtes Interesse für eine Kündigung zu be-ufen, wenn er durch die Fortführung des Mietverhält-isses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwer-ung gehindert wäre. Die Anwendung des Kündigungs-atbestandes in § 573 BGB, den Sie schon ansprachennd der dies ermöglichen würde, ist für diese Mietver-ältnisse nach der genannten Vorschrift ausdrücklichusgeschlossen.Durch diese besondere Rechtslage wird es den Eigen-ümern erschwert, Gebäude grundlegend zu sanieren,m- oder neu zu gestalten, abzureißen bzw. in ihrer Ge-amtgröße oder in ihrem Gesamtzuschnitt den geänder-en Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt anzupassen.
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Marco WanderwitzDiese Vorschrift gilt, wie schon ausgeführt, nur fürdie neuen Länder; sie geht auf den Einigungsvertrag zu-rück. Zweck war es, wie ebenfalls schon richtig ange-sprochen, Mieter von preisgünstigem Wohnraum in An-betracht der herrschenden Wohnungsknappheit in derehemaligen DDR vor Kündigung zu schützen. Fortge-führt wurden aber auch – ich denke, das sollten wir hiererwähnen – die mietrechtlichen Schutzvorschriften desZGB der ehemaligen DDR, in denen aufgrund der völliganderen Eigentümerstruktur im Bereich des Wohnrau-mes eine Kündigungsmöglichkeit zur Verwertung desGrundstücks nicht vorgesehen war.Wenn man sich nochmals die Wohnraumsituation zumZeitpunkt der Wiedervereinigung vergegenwärtigt, sohatte diese Regelung zu diesem Zeitpunkt durchaus ihreBerechtigung. Mittlerweile hat sich jedoch auf dem Woh-nungsmarkt vieles grundlegend verändert – und das nichterst im letzten halben Jahr. Wir sollten beispielsweise diein großem Umfang getätigten Sanierungen oder die vielenNeubauten und nicht zuletzt den seit Ende der 90er-Jahrewieder erhöhten Abwanderungsdruck im Osten nichtaus den Augen verlieren. Allein in den letzten vier Jah-ren ist der Leerstand, bezogen auf das Gebiet der neuenLänder, um mehr als 300 000 Wohnungen auf nunmehrrund 1,2 Millionen Wohnungen angestiegen. In einigenGebieten steht fast jede fünfte Wohnung leer. Damit ein-hergehend steht genügend preiswerter, sanierter Wohn-raum zur Verfügung.Der Ausschluss der Verwertungskündigung führt nundazu, dass Vermieter, wenn sich Mieter weigern auszu-ziehen – das sind nach meiner Einschätzung leider keineEinzelfälle –, die Gebäude in mehr oder weniger unver-ändertem Zustand erhalten müssen. Mit den Mietein-künften kann aber vielfach nur ein kleiner Teil der Kos-ten für die Gebäudeunterhaltung abgedeckt werden.Gerade die kommunalen Wohnungsbaugenossenschaf-ten und -gesellschaften, die in den neuen Ländern in sehrgroßer Zahl vorhanden sind, sind in ihrer Existenz oft-mals dadurch bedroht, dass gerade Plattenbauten, aberauch andere Altbauten nicht abgerissen werden können.Vielfach bleibt nur die Möglichkeit, den letzten verblie-benen Mieter mit großzügigen Umzugsprämien – wennman sie so bezeichnen will; wenn man mit den Betroffe-nen spricht, ist teilweise von fünfstelligen Summen dieRede – dazu zu bewegen, auszuziehen. Aber selbst da-rauf lassen sich Mieter teilweise nicht ein. Sie bestehenvielmehr darauf, in ihrer Wohnung wohnen zu bleiben.Eigentümer müssen dann Vermögensverluste hinnehmen,denen sie mangels Verkäuflichkeit des Grundstücks – dasist leider traurige Realität – nicht ausweichen können.Ich sage Ihnen ganz deutlich: Diese Sonderregelunggefährdet den Erfolg des „Stadtumbaus Ost“ insgesamt.
Eine Wohnungsgenossenschaft, die ein zum Abriss aus-gewähltes Quartier derzeit nicht leer ziehen kann, wirdresignieren und nicht Jahre später, wenn die Rechtslagegeändert wurde, wieder mit neuen Planungen beginnenund neue Konzepte entwerfen – falls es diese Genossen-sMfLbrÜBs„eGrWsglrsVdwMsKumibMLamtaeAkiNdgvkkfSdtVzdlcz
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5955
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirüssen sehen: Wir haben es hier mit zwei Themen zuun, die sich überlagern. Das eine ist der Anspruch,echtsgleichheit zwischen Ost und West im Mietrechterzustellen – ich habe volles Verständnis dafür, dass dasor allem den Rechtspolitikern sehr wichtig ist –, das an-ere ist der Anspruch, die Probleme des Leerstands imsten und des Stadtumbaus Ost mit dem Instrument dererwertungskündigung zu lösen. Ich möchte sehr deut-ich für Prüfung und Nachdenklichkeit werben und dasuch begründen.Zunächst zur Seite des Eigentümers: Ich finde es inewisser Weise schwierig, wenn der Eigentümer sagt,ine angemessene wirtschaftliche Verwertung könne nuradurch vollzogen werden, dass er ein Haus abreißender einen Teil des Gebäudes zurückbauen muss. Dasat einen komischen Beigeschmack. Ähnlich ist es aufer Seite des Mieters: Auch er hat ein eigenartiges Ge-ühl, wenn ihm zur Verwertung des Objekts gekündigtird und er weiß, dass es um den Abriss des Hauseseht.Es sollte also wirklich geprüft werden, ob das Instru-ent Verwertungskündigung für diesen Zweck – manann sicher darüber diskutieren, ob es für andere Zwe-ke sinnvoll ist – das richtige Instrument ist. Man sollteies vor allem vor dem Hintergrund tun, dass ein we-entlicher Unterschied zwischen Ost und West besteht:m Osten gibt es einen dramatischen Leerstand – daraufaben meine beiden Vorredner schon hingewiesen –, imesten hat es ihn in dieser Weise nie gegeben; die Ver-ertungskündigung war dort glücklicherweise nie einnstrument, das in großem Umfang eingesetzt werdenusste. Dort gab es sie nur für Einzelfälle. Wir wün-chen dem Westen, dass er nie in eine solche Situationommen wird.
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Franziska Eichstädt-BohligMein Hauptanliegen ist: Wir müssen beim StadtumbauOst – das ist eine schwierige Situation für Vermieter undMieter – dafür sorgen, dass der soziale Frieden gewahrtwird. Insofern müssen wir prüfen, welches das richtige In-strument ist. Auf der einen Seite darf der Vermieter nichtin die Situation geraten, dass noch der berühmte letzteoder vorletzte Mieter in seinem Haus wohnt und er dieKosten für die Bewirtschaftung des ganzen Hauses tragenmuss. Auf der anderen Seite aber müssen auch die Inter-essen des Mieters bei einer Kündigung gewahrt bleiben.Nur dann werden die Mieter – das ist bisher der Fall – inkonstruktiver Weise am Stadtumbauprozess mitwirken.Wir dürfen also nicht ein Instrument beschließen, das densozialen Frieden, der zurzeit beim Stadtumbau herrscht,gefährdet. Von daher werbe ich dafür, dass wir mit diesemInstrument sehr achtsam umgehen
und nicht besserwisserisch vorab behaupten, das eineoder andere wäre das Richtige.Ich muss gestehen, dass ich zu denjenigen gehöre, diemeinen, eine Kündigung aus berechtigtem Interesse er-füllt diese Kriterien. Richtig ist – das wurde hier bereitsgesagt –, dass wir noch nicht wissen, wie es mit derRechtsprechung weitergehen wird. Das muss noch ge-klärt werden.Ich möchte noch darauf hinweisen, dass wir wahrschein-lich im Zuge der Novellierung des Baugesetzbuches dieMöglichkeit eröffnen, Stadtumbaugebiete qua kommu-naler Satzung definieren zu können. Auch insofern soll-ten wir prüfen, welches rechtliche Instrument geeignetist, entsprechend zu reagieren.Ich möchte also dafür werben, dies zu prüfen und sichdie Stellungnahme des Bundesgerichtshofes anzusehen.Anschließend können wir § 573 BGB zur Entscheidungbringen. Ich glaube nicht, dass es hilft zu sagen:Rechtsangleichung ist automatisch ein sinnvolles Instru-ment für den Umgang mit dem Stadtumbau Ost. So ein-fach ist es nicht. Wir brauchen den Interessenausgleichzwischen Vermieter und Mieter. Insofern melde ich deut-lichen Beratungsbedarf bei diesem sensiblen Thema an.Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Joachim Günther von
der FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dervorliegende Gesetzentwurf des Bundesrates entsprichtden Vorstellungen der FDP. Das in den neuen Bundes-ländern geltende Sonderrecht, das die Möglichkeit einerVerwertungskündigung ausschließt, wird der heutigenSituation nicht mehr gerecht und sollte schnellstmöglichverschwinden.
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Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich jetzt dem Kollegen Wolfgang Spanier von der
SPD-Fraktion das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Ich betrachte den Gesetzentwurf des Bundesrates aus dem
Blickwinkel eines Wohnungspolitikers. Es ist sicherlich
unsere gemeinsame Überzeugung, dass wir zwischen den
Rechten der Eigentümer und den Rechten der Mieter eine
Balance zu wahren haben. Deswegen war es richtig und
vernünftig, dieses Verbot einer Verwertungskündigung
in den Einigungsvertrag einzubauen. Schließlich war die
Situation damals eine völlig andere; vor allen Dingen
wollten wir Mieterinnen und Mieter nicht verunsichern
und verängstigen.
Problematisch finde ich es allerdings, Mieterschutz-
rechte mit der jeweiligen Situation am Wohnungsmarkt
in Zusammenhang bringen zu wollen. Ich finde, beides
müssen wir unabhängig voneinander betrachten. Deswe-
gen ist für mich auch der Hinweis auf den wachsenden
Leerstand nicht das entscheidende Argument, um hier
über die Aufhebung des Verbots der Verwertungskündi-
gung neu nachzudenken.
Vielmehr müssen wir die Eigentümerrechte unter dem
Aspekt des Stadtumbaus sehen. Das ist für mich ent-
scheidend. Wir müssen nämlich nicht nur die finanziel-
len, sondern auch die rechtlichen Voraussetzungen dafür
schaffen, dass das Programm zum Stadtumbau Ost, das
so erfolgreich angelaufen ist, zum notwendigen Erfolg
führt. Zur Schaffung rechtlicher Voraussetzungen gehört
– Frau Eichstädt-Bohlig hat das bereits angesprochen –,
dass Änderungen im Baugesetzbuch vorgenommen und
Regelungen wie die, um die es heute geht, überprüft
werden.
Dass wir uns im Rahmen der Mietrechtsreform nicht
über eine Änderung verständigen konnten, lag schlicht
und einfach daran, dass sich in dieser Frage damals auch
die neuen Bundesländer uneins waren. Das hat die Re-
gierung in ihrer Gegenäußerung noch einmal bekräftigt.
Heute ist die Situation anders, was wiederum eine ganz
andere Voraussetzung ist.
Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die
Rechtsprechung gezeigt hat, dass Abrisskündigungen
durchgesetzt werden können,
und dass der BGH möglicherweise im nächsten Jahr eine
Grundsatzentscheidung in dieser Frage treffen wird.
Dennoch stimmen wir mit den Rechtspolitikern in der
Koalition überein, dass wir, wie die Bundesregierung
schon angekündigt hat, die neuen Sachverhalte sorgfältig
prüfen müssen. Das ist kein fauler Kompromiss, sondern
ist angesichts der Güterabwägung das einzig Sinnvolle.
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Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-es auf Drucksache 15/1490 an die in der Tagesordnungufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazunderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dannst die Überweisung so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-neten Ernst Burgbacher, Dirk Niebel, KlausHaupt, weiteren Abgeordneten und der Fraktionder FDP eingebrachten Entwurfs eines … Geset-zes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzge-setzes– Drucksache 15/756 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-ses für Wirtschaft und Arbeit
– Drucksache 15/1593 –Berichterstattung:Abgeordneter Wolfgang Grotthaus
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne KastnerNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei dieFDP fünf Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeWolfgang Grotthaus, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Das Thema, so scheint mir, ist unerschöpflich.Gegen eine entsprechende Gesetzesänderung hat sich dieBundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine An-frage der FDP sowie auf Schreiben der DEHOGA undder NGG schon des Öfteren ausgesprochen. Zuletzt ha-ben wir noch am 5. Juni dieses Jahres hier im Plenumdarüber diskutiert. Man könnte also meinen, das Themasei ausdiskutiert.Ich sage gleich zu Beginn, dass wir diesen Antrag derFDP ablehnen werden. Damit könnte die Diskussion füruns beendet sein, weil wir uns schon beim letzten Mal zudieser Thematik ausgetauscht haben. Da ich aber davonausgehe, dass die FDP ihre Argumente noch einmal vor-tragen wird, will ich die Gelegenheit nutzen und dies fürdie SPD auch tun.Neue Erkenntnisse liegen aufgrund der Kürze der Zeitnatürlich nicht vor. Es stellt sich die Frage, was die FDPmit ihrem Antrag will. Gemäß ihrem Gesetzentwurfmöchte die FDP-Fraktion den Beginn der Nachtruhefür Jugendliche im Hotel- und Gaststättengewerbe so-wie im Schaustellergewerbe von bisher 22 Uhr auf24 Uhr und an den Abenden vor Berufsschultagen vonbisher 20 Uhr auf 21 Uhr heraufsetzen. Mit den Ände-rungen – so die Argumentation – soll eine bessere Aus-schöpfung des Ausbildungspotenzials in diesen Bran-chen ermöglicht und so der Jugendarbeitslosigkeitentgegengewirkt werden. In dem Antrag heißt es weiterweiter:Zudem werden die Möglichkeiten von Haupt- undRealschülern für eine Ausbildung … verbessert.Die früheren Reifeprozesse und veränderten per-sönlichen Nachtruhezeiten der über 16-Jährigenlassen diese punktuelle Lockerung der Vorschriftenzu, ohne dass der notwendige Schutz der arbeiten-den Jugendlichen gefährdet würde.Dies hört sich erst einmal gut an, vor allem dann, wennman bedenkt, dass es insbesondere um Ausbildungs-plätze für junge Menschen geht.Wenn man sich die uns vorliegenden Zahlen einmal imDetail ansieht, dann erkennt man, dass sie jedoch eine ganzandere Sprache sprechen. Mit den FDP-Maßnahmen wirdkeine Steigerung der Zahl der Ausbildungsplätze erreichtwerden. Allerdings, so halten wir für uns fest, würden da-mit die Grundwerte des Jugendarbeitsschutzgesetzesüber Bord geworfen. Die FDP spricht von einer Locke-rung, ich spreche von einer Aushöhlung des Jugendar-beitsschutzgesetzes. Die Gewährleistung einer ausrei-chenden Nachtruhe ist insbesondere für jungeMenschen, die in der Entwicklung stehen, wichtig. ImJugendarbeitsschutzgesetz wird den Besonderheiten imGrglakBbGsBw–9gJkg–tblahgwnrHBarse6kddgEBifgGUFsztwn
Herr Burgbacher, Sie sagen, dass da noch viel mehr ge-an werden kann. Auch wir sind dieser Auffassung. Esleibt dem Hotel- und Gaststättengewerbe selbst über-assen, hier noch mehr zu tun. Dies wird sich aber nichtn einer oder zwei Stunden festmachen lassen. – Dieseervorragende Ausbildungsleistung erfolgte trotz deseltenden Jugendarbeitsschutzgesetzes. Negative Aus-irkungen auf die Ausbildungsbereitschaft sind deshalbicht zu erkennen.Die vorliegenden Daten belegen zudem, dass volljäh-ige Auszubildende bei der Einstellung gegenüberaupt- und Realschülern nicht bevorzugt werden. Dieranche bildet erheblich mehr Haupt- und Realschülerls Abiturienten aus. Einige Beispiele: Bei den Restau-antfachleuten sind rund 78 Prozent Haupt- und Real-chüler, bei den Fachkräften im Gaststättengewerbe sinds rund 70 Prozent und bei den Hotelfachleuten sind es4 Prozent usw. usf. Hier ist nicht die Differenz zu er-ennen, die Sie in Ihrem Antrag formuliert haben.Die geltenden Regelungen stellen somit kein Ausbil-ungshindernis dar. Es erscheint mir deshalb wichtig, anieser Stelle nochmals auf den besonderen Wert des Ju-endarbeitsschutzgesetzes im Arbeitsrecht hinzuweisen.in wie auch immer verändertes Ausgehverhalten alsegründung für eine Gesetzesänderung heranzuziehenst nicht stichhaltig. Mögliche Freizeitaktivitäten beein-lussen weder die besondere Schutzbedürftigkeit Ju-endlicher im Erwerbsleben noch den Schutzzweck desesetzes. Zudem, so meine ich, besteht ein wesentlichernterschied darin, dass die Jugendlichen die Dauer ihrerreizeitaktivitäten selbst bestimmen können, währendie sich einer täglichen Arbeitszeit bis 24 Uhr nicht ent-iehen können.Ich fasse zusammen: Die SPD-Fraktion wird den An-rag aus zwei Gründen ablehnen. Zum einen erreichenir mit den von der FDP vorgeschlagenen Maßnahmenicht das angestrebte Ziel. Die zugrunde gelegte Bewer-
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Wolfgang Grotthaustung, das geltende Recht behindere die Schaffung vonAusbildungsplätzen, habe ich anhand der dargestelltenZahlen widerlegt. Zum anderen ist die Begründung, dieJugendarbeitsschutzregelung aufgrund veränderten Frei-zeitverhaltens vernachlässigen zu dürfen, mehr als dürf-tig. Dies gilt für den gesamten Antrag der FDP: Er istmehr als dürftig. Deswegen lehnen wir ihn ab.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang
Meckelburg, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es geht bei dem Antrag nur vordergründig umdie Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes. Das ei-gentliche Anliegen des FDP-Antrages ist es, an einerStelle eine Korrektur vorzunehmen, durch die einHemmnis abgebaut werden kann, um so die Schaffungvon mehr Ausbildungsplätzen zu ermöglichen.Es ist nicht ganz stichhaltig, Herr Grotthaus, dass Siesagen, in diesem Bereich seien es plus 0,3 Prozent. Washindert uns daran, durch eine Regelung einen Beitragdazu zu leisten, dass in dem Bereich plus 0,5 oder plus0,6 Prozent neue Arbeits- bzw. Ausbildungsplätze ent-stehen?
Der Antrag geht in die richtige Richtung; denn er zieltdarauf ab, ein Stellschräubchen zu korrigieren, wodurchein Hemmnis, das im Gaststätten- und Hotelgewerbe ge-sehen wird, abgebaut werden kann.Da ich eine relativ lange Redezeit habe, möchte ichden Versuch unternehmen, in die Betrachtung die Situa-tion einzubeziehen, in der wir uns momentan befinden.Wir haben in dieser Woche das Herbstgutachten derWirtschaftsforschungsinstitute bekommen. Darin wirdfestgestellt, dass die Zahl der Erwerbstätigen in diesemJahr alles in allem um rund 600 000 niedriger sein wirdals im Jahre 2002. Des Weiteren wird festgestellt, dasswir in diesem Jahr im Schnitt 4,4 Millionen Arbeitslosehaben werden und dass diese Zahl um rund 330 000 überder des letzten Jahres liegen wird.Nun sagte die Bundesregierung, vertreten durch Mi-nister Clement, gestern in der Ausschusssitzung undauch hier im Plenum, dass wir in diesem Jahr im Schnitt4,39 Millionen Arbeitslose haben werden. Laut Herbst-gutachten werden wir im nächsten Jahr 4,45 MillionenArbeitslose haben, während die Bundesregierung dieZahl von 4,36 Millionen nennt. Auf den Streit, ob es um60 000 nach oben oder um 30 000 nach unten geht, willich mich gar nicht einlassen. Aber die Frage, ob es imnächsten Jahr 30 000 Arbeitslose weniger sein werden,weHndaStfbs1nASdTSEgdwGpnVtotddu2IBsubukdduAwF1z
Es geht allein um die Frage, ob in bestimmten Fälleneränderungen möglich sind. Ich will an einem konkre-en Beispiel verdeutlichen, worum es geht. Die Frage ist,b ein 17-jähriger Kochlehrling im Hotel- und Gaststät-engewerbe um 22 Uhr den Löffel fallen lassen, durchen Hinterausgang seinen Arbeitsplatz verlassen undurch den Vordereingang wieder hineinkommen kann,m dort zu essen und ein Bier zu trinken, weil er bis4 Uhr ausgehen darf. Dieser Fall ist möglich.
ch will das Freizeitverhalten der jungen Leute nicht alsegründung heranziehen. Ich möchte aber darauf hinwei-en, dass wir offensichtlich beim Jugendarbeitsschutznd beim Jugendschutz mit zweierlei Maß messen. Ineiden Gesetzen sind Schutzgrenzen verankert.Es stellt sich die Frage, ob dieser 17-Jährige im Hotel-nd Gaststättengewerbe einen Ausbildungsplatz be-ommt, weil dort bis 23 Uhr gearbeitet wird. Betriebees Hotel- und Gaststättengewerbes klagen zunehmendarüber, dass dies ein Ausbildungshemmnis für Haupt-nd Realschüler darstellt. Schauen wir uns einmal dasusbildungseintrittsalter im Hotel- und Gaststättenge-erbe an! Ich nenne Ihnen die Zahlen. Im Bereich derachleute für Systemgastronomie sind 85 Prozent8 Jahre oder älter. Bei Hotelkaufleuten sind fast 90 Pro-ent 18 Jahre oder älter. Selbst bei den Hotelfachleuten
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5960 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Wolfgang Meckelburgsind 63 Prozent über der Grenze von 18 Jahren. Sokönnte man alle Berufsgruppen durchgehen. Das heißt,die Auszubildenden sind überwiegend 18 Jahre alt.Diese Regelung ist eine Bremse für Haupt- und Real-schüler.
Sie sind nämlich wesentlich jünger. Dadurch entstehteine Hürde bei der Einstellung. Es geht also darum, dieseHürde abzubauen, nicht darum den Jugendschutz auszu-höhlen. Diese Zahlen haben wir übrigens nicht erfunden,sondern sie stammen vom Bundesinstitut für Berufsbil-dung.Es geht einfach um die Frage, ob wir nicht auch den-jenigen eine Chance geben wollen, die mit 16 oder17 Jahren ihren Haupt- oder Realschulabschluss ge-macht haben und nun eine Ausbildung beginnen wollen.Die FDP stellt einen Antrag, Jugendliche bis 24 Uhr ar-beiten zu lassen. Wir als CDU/CSU haben schon in derersten Lesung einen Vermittlungsvorschlag gemachtund vorgeschlagen, die Grenze bei 23 Uhr festzulegen.Wir wollen nicht um Stunden feilschen, sondern dieseGrenze bei 23 Uhr gibt es schon. Sie wissen, dass inmehrschichtigen Betrieben auch 17-jährige Auszubil-dende bis 23 Uhr arbeiten müssen.Nun frage ich mich ernsthaft, wie Sie das mit demGesundheitsschutz und dem Jugendarbeitsschutz inÜbereinstimmung bringen wollen. Ich möchte Ihnen einBeispiel nennen, um zu zeigen, dass diese Regelungenunlogisch sein können: Es ist erlaubt, dass beiMcDonald’s die Ausbildung bis 23 Uhr dauert. In demkleinen Restaurant nebenan aber ist dies nicht möglich.Mit Gesundheits- und Jugendarbeitsschutz hat diese Re-gelung nichts zu tun; denn in dem kleinen Restaurant istein Auszubildender nicht schützenswerter oder wenigergesund als bei McDonald’s.
– Nein, das ist kein Grund, das abzuschaffen, aber ernst-haft darüber nachzudenken. Warum ist die Arbeit bis23 Uhr in dem einen Bereich erlaubt und in dem anderennicht? Warum ermöglichen wir nicht auch den kleinenund mittelständischen Betrieben, in denen nicht mehr-schichtig gearbeitet wird, Ausbildungsplätze dadurchbereitzustellen, dass Jugendliche länger arbeiten dürfen?An dieser Stelle lohnt sich die Überlegung.Für mich ist das der Testfall, ob Sie sich an dieserwirklich kleinen Stelle, die von der Logik des Jugendar-beitsschutzes vorgegeben ist – dort ist die Uhrzeit von23 Uhr festgeschrieben –, bewegen. Das zeigt, wie re-formfähig wir in Deutschland sind, wenn Rot-Grün ander Regierung ist.Ich fasse zusammen: In dem einen von Ihnen ge-schützten Bereich in Betrieben, in denen mehrschichtiggearbeitet wird, können Jugendliche im Alter von17 Jahren bis 23 Uhr arbeiten, dort gilt der Jugendar-beitsschutz und der Gesundheitsschutz für Jugendliche.In dem anderen Bereich liegt diese Grenze bei 22 Uhr.LDhDLbdkAssük4waIaLsasfbunAkwndliSimuwPerdndv
en Testfall haben wir leider in der zweiten und drittenesung nicht hinbekommen können, in der Ausschuss-eratung auch nicht. Deswegen ist das ein Bereich, inem wir auch mit kleinen Kompromissen nicht weiter-ommen. Wir reden nicht über die großen Reformen dergenda 2010, nicht über Hartz III und Hartz IV. Dasind große Gesetze. Da kann man sich an vielen Stellenchwer tun. Wir reden über ein kleines Stellschräubchen,ber eine Bestimmung, mit der wir einen Beitrag leistenönnten, in diesen kleinen Gastronomiebereichen 300,00 oder 500 Ausbildungsplätze mehr zu schaffen. Dasird nicht gelingen, weil Sie Gesundheits- und Jugend-rbeitsschutz auf zweierlei Art und Weise interpretieren.n dem einen Bereich darf man bis 23 Uhr arbeiten, imnderen nicht.
ogisch ist das jedenfalls nicht mehr zu begründen.Wir haben uns im Ausschuss für die 23-Uhr-Grenzetatt der von der FDP vorgeschlagenen 24-Uhr-Grenzeusgesprochen, um Ihnen eine Brücke zu bauen. Aberelbst dazu waren Sie nicht bereit. Ich kann das jeden-alls keinem Vertreter des Hotel- und Gaststättengewer-es erklären
nd auch keinem 16- oder 17-Jährigen, der mit einemormalen Hauptschul- oder Realschulabschluss dort eineusbildungsstelle haben möchte, sie aber nicht be-ommt, weil das als Ausbildungshemmnis angesehenird. Wenn Sie das versuchen, wird Ihre Logik durchei-ander geraten.
Ich will das jetzt nicht weiter ausführen. Ich wollte aniesem einfachen Beispiel nur zeigen, wo wir die Mög-chkeit hätten, etwas zu ändern. Selbst bei solch kleinentellen gibt es starre Fronten, keine wirkliche Beratung Ausschuss, kein Aufeinander-Zugehen. Wir werdenns heute der Stimme enthalten,
eil wir die 24-Uhr-Grenze nicht wollen. Wir sehen dasroblem auch. Ich war in der vorletzten Periode Bericht-rstatter für Jugendarbeitsschutz und weiß, worüber ichede. Ich lasse mir von Ihnen nicht vorwerfen, dass wiren Jugendarbeitsschutz aushöhlen, ganz bestimmticht. Wir haben deswegen als Vermittlungsvorschlagie 23-Uhr-Grenze angeboten. Die ist im Gesetz schonorgesehen. Sie hätten leicht mitmachen können. Aber
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Wolfgang Meckelburgoffensichtlich ist die Zusammenarbeit auch an kleinenStellen nicht gewollt.Wir haben noch die Möglichkeit, das über den Vermitt-lungsausschuss zu korrigieren. Ich vermute aber, dasswir das da auch nicht hinbekommen werden, weil dannandere Größenordnungen eine Rolle spielen. Ich bedau-ere, dass selbst solch kleine Schritte nicht möglich sind,weil Sie nicht mit uns den Versuch gemacht haben, dieseLogik ins Gesetz zu bringen.
Der nächste Redner ist der Kollege Josef Winkler,
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Zunächst ein Wort an den Kollegenvon der CDU/CSU-Fraktion. Wenn Sie Ihre Reformfä-higkeit dadurch beweisen, dass Sie sich, wenn zwei Vor-schläge auf dem Tisch liegen, enthalten, dann guteNacht, Deutschland.
Jetzt zur FDP. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurfwollen Sie, meine Damen und Herren von der FDP, denBeweis antreten, das unser jetziges Jugendarbeitsschutz-gesetz geändert werden muss, weil es zu starr sei, nichtmehr gut genug sei und sich zulasten der jungen Men-schen auswirke. Die Änderungen, die Sie vorschlagen,wurden jetzt schon mehrfach vorgetragen. Damit wollenSie erreichen, dass die Ausbildungsmöglichkeiten fürHaupt- und Realschüler verbessert werden. Der Ju-gendarbeitsschutz soll aufgeweicht werden, weil der ausIhrer Sicht frühere Reifeprozess von Jugendlichen eineLockerung angeblich zulässt.Ich sage Ihnen klipp und klar: Es stimmt laut Statistiküberhaupt nicht, dass Haupt- und Realschüler benachtei-ligt sind, weil Unternehmer angeblich volljährige Aus-zubildende bevorzugen, die in der besonders arbeitsin-tensiven Phase zwischen 23 und 24 Uhr eingesetztwerden könnten. Alle vorliegenden Daten belegen, dassAbiturientinnen und Abiturienten bei der Einstellung imHotel- und Gaststättengewerbe eben nicht bevorzugtwerden.
Fast drei Viertel aller Auszubildenden sind Haupt- undRealschüler. Ich kann Ihnen das noch einmal aufschlüs-seln. Es geht nicht nur um das Alter, sondern auch da-rum, welcher Ausbildungsgang besucht wurde. 78 Pro-zRGUFbdGUgNBwwksHdtedSJaeliddvteezIainssd
nseres Wissens hat sich kein einziger Schausteller ge-enüber der Bundesregierung für eine Verkürzung derachtruhe ausgesprochen. Insofern ist der angeblicheedarf völlig aus der Luft gegriffen. Weil beide Ge-erbe in § 14 des Gesetzes geregelt sind, haben Sie sichahrscheinlich gedacht – so erkläre ich mir das –, manönne das in einem Abwasch regeln. Ich meine, das warchludrig gearbeitet, meine sehr verehrten Damen underren von der FDP.
Es ist schon mehr als abenteuerlich, dass das verän-erte Ausgehverhalten von Jugendlichen dafür herhal-n soll, sinnvolle Regelungen zum Schutz der arbeiten-en Jugend abzuschaffen. Es liegt in der Natur derache, dass sich das Ausgehverhalten in den letztenahrzehnten verändert hat. Dass meine Großeltern einnderes Unterhaltungsprogramm haben als ich oder alss meine Kindern haben werden, verstehen wir sicher-ch alle.Dadurch wird aber kein Sinnzusammenhang nachem Motto „Wer mit 16 Jahren in die Disko gehen kann,er kann auch bis 24 Uhr kellnern“ erkennbar. Es ist einöllig neuer Aspekt, wenn Sie Arbeit und Freizeitverhal-n in einen Sinnzusammenhang bringen.
Ich habe das bisher immer so verstanden, dass dasine Entspannung und Vergnügen und das andere Kon-entration und harte Arbeit bedeutet.
hre Aussage, wenn das eine möglich sei, dann müsseuch das andere erlaubt sein, tragen wir nicht mit. Denn der persönlichen Freizeitgestaltung kann sich jederelbst entscheiden und gehen, wann er will. Aber hin-ichtlich der täglichen Arbeitszeit ist das doch wohl inen seltensten Fällen möglich.
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Josef Philip WinklerWenn man dann noch berücksichtigt – das wurde be-reits erwähnt –, dass eine Steigerung um fast 50 Prozentauf über 90 000 Ausbildungsverhältnisse stattgefundenhat, ohne dass das Gesetz geändert wurde, dann wird IhrGesetzentwurf endgültig zur Lachnummer.Die CDU/CSU hat in der ersten Beratung im Junifestgestellt: Wir müssen die Jugend vor diesem Gesetzschützen. Richtig ist hingegen, dass wir die Jugendlichenmit diesem Gesetz schützen müssen,
und zwar zum einen, damit die Ausbildungsqualität er-halten bleibt, und zum anderen, weil junge Menschenbesonders geschützt werden müssen, damit ihre Ent-wicklung ungestört verläuft und ihre Gesundheit nichtgefährdet wird.Meine Damen und Herren, hier soll ein Gesetz geän-dert werden, das sich in der Praxis bewährt hat. In Wirk-lichkeit geht es der Opposition nicht um den Abbau vonJugendarbeitslosigkeit, sondern um den Abbau von Ih-nen lästigen Schutzrechten für junge Menschen und da-mit auch von Arbeitnehmerrechten.
Gerade weil junge Menschen in der Regel dasschwächste Glied einer Kette sind, werden wir das nichtzulassen. Insofern lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Nächster Redner ist der Kollege Ernst Burgbacher,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lieber Herr Winkler, Sie hätten die Werturteile, die Siegebracht haben, besser weglassen und sich stärker aufIhre eigenen Argumente konzentrieren sollen.
Ich habe heute Morgen in der Tourismusdebatte fest-gestellt, dass ein Problem von Rot-Grün darin besteht– das ist manchmal unerträglich –, dass Sie manchmaleine ideologisch verbrämte Politik betreiben. Sie habengerade den Beweis dafür angetreten.
Es geht doch nicht um die Ausweitung von Arbeits-zeiten und um den Abbau von Jugendschutzrechten. Siehaben vorhin ausgeführt, Herr Grotthaus, Grundwertedes Jugendarbeitsschutzgesetzes würden über Bord ge-worfen. Was soll dieser Unsinn? Es geht doch um etwasganz anderes. Es gibt Schutzvorschriften und selbstver-ständlich bekennen wir uns alle zum Jugendschutz wiezrgwtZsdaJedcDmeArggnwsmmsInTknhPSdmsasHlidnwt
as ist die Praxis, die auch Sie einmal zur Kenntnis neh-en sollten. Mir wird niemand den Sinn einer Regelungrklären können, wonach ein Jugendlicher, der einenusbildungsplatz will, noch ein, zwei Jahre etwas ande-es machen muss, nur weil er angeblich noch nicht altenug für eine Ausbildung im Hotel- und Gaststätten-ewerbe ist.Ich möchte auf zwei konkrete Beispiele eingehen.Erstens. Viele Hotels, vor allem die Spitzenhotels,ehmen praktisch nur noch Abiturienten, und zwar nichteil sie Abiturienten generell bevorzugen, sondern weilie, wenn sie jüngere Schulabgänger nehmen, Problemeit dem Alter der jugendlichen Auszubildenden bekom-en. – Sie sollten nicht den Kopf schütteln. Sie solltenich lieber die Praxis einmal anschauen.Zweitens. Als ich in bestimmten Betrieben – ich kannhnen gerne die Namen der betreffenden Betriebe nen-en, aber nicht jetzt – darauf hingewiesen habe, dass eineil der Belegschaft, der noch nach 23 Uhr arbeitet,eine 18 sei, wurde mir gesagt, dass die Betreffendenur eingestellt worden seien, weil die Eltern versprochenätten, nichts dagegen zu unternehmen. Auch das istraxis. Ich meine, dass man aus einer sich veränderndenituation Konsequenzen ziehen muss.
Verändertes Ausgehverhalten bedeutet nicht nur,ass Jugendliche durchschnittlich länger aufbleiben. Ichöchte natürlich keinen direkten Zusammenhang zwi-chen Freizeit und Arbeitszeit herstellen. Aber dass esuch hier wesentliche Verschiebungen gibt, sollte manchon zur Kenntnis nehmen. Übrigens hat die Kolleginomburger völlig Recht, wenn sie Sie auffordert, sicheber um die Einhaltung von Lärmschutzvorschriften inen Diskos zu kümmern. Aber hieran wagen Sie sichicht.Auch in der Gastronomie hat sich vieles verändert,eil sich die Zeiten, zu denen man essen geht, nach hin-en verschoben haben. Es war früher bei uns nicht üb-
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Ernst Burgbacherlich, spät zu essen. Das bürgert sich aber immer mehrein. Die Hauptarbeitszeiten der Restaurants sind alsospäter.
Zeigen Sie mir bitte die jungen Menschen, die im Hotel-und Gaststättengewerbe lernen und die um 22 Uhr, wennder Betrieb brummt, sagen: Tschüs, ich muss jetzt ge-hen. – Die meisten jungen Menschen bleiben natürlich.Das wollen sie auch selber; denn zum Glück gibt esnicht nur ideologisch verbildete Jugendliche, die das Ge-setz unter dem Arm tragen, sondern auch Jugendliche,die in den Betrieben vernünftig mitarbeiten wollen.
Ich weiß, dass das nicht in Ihr Weltbild passt. Deshalbmachen Sie auch nichts.
Wo wir nur können, drehen wir im Augenblick an denStellschrauben, um Jugendlichen mehr Chancen zu ge-ben. Hier könnte man eine Veränderung vornehmen, dieniemandem schaden und nichts kosten würde. Trotzdemmacht man nichts. Man belastet die Menschen, wie manwill. Aber hier, wo man etwas machen könnte, tut mannichts, weil es nicht ins Weltbild passt.Lassen Sie mich noch ein paar Takte zur CDU/CSUsagen. Ganz ehrlich, ich verstehe Ihr Verhalten nichtganz. Herr Dr. Göhner hat während der ersten Lesungeine flammende Rede zugunsten unseres Vorschlags ge-halten. Er wollte sogar noch über ihn hinausgehen. Siehaben das im Prinzip auch heute wieder getan. Daherverstehe ich nicht ganz, warum Sie unserem Gesetzent-wurf nicht zustimmen wollen. Natürlich können wir überden Kompromissvorschlag reden, den Beginn der Nacht-ruhe für Jugendliche im Hotel- und Gaststättengewerbeund im Schaustellergewerbe auf 23 Uhr festzulegen.Aber nach allem, was Sie gesagt haben, müssten sie un-serem Gesetzentwurf eigentlich zustimmen.Ich halte es für bedenklich, mit welcher Nonchalanceüber einen Vorschlag hinweggegangen wird – er wirdsogar lächerlich gemacht –, der Jugendlichen zusätzlicheechte Ausbildungschancen bieten könnte, wenn er um-gesetzt würde. Ich stelle wieder einmal fest: Die FDP istdie einzige Partei mit einem klaren Kurs. Ich bin ganz si-cher, dass wir in dieser Legislaturperiode noch einmaldarüber diskutieren werden. Wie in so vielen anderenFällen werden Sie uns auch hier wieder folgen und das,was wir vorgeschlagen haben, mit zeitlichem Verzugumsetzen. Wir werden Sie dabei unterstützen. Dann kön-nen Sie wieder sagen, dass Sie es gewesen seien. Daswird uns aber völlig egal sein, wenn nur unser Vorschlagim Interesse der jungen Menschen umgesetzt wird, dieeinen Ausbildungsplatz suchen.Vielen Dank.
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Herr Burgbacher, Sie von der FDP haben die Forde-
ung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes
ins zu eins übernommen,
nd zwar völlig unreflektiert. Sie beklagen, dass durch
as starre Arbeitsrecht das Ausbildungspotenzial im
aststätten- und Schaustellergewerbe nicht ausgeschöpft
erden kann. Nach der bestehenden Ausnahmeregelung
das haben wir heute schon oft gehört – dürfen Jugend-
iche ab 16 Jahren bereits jetzt bis 22 Uhr und im Schicht-
etrieb bis 23 Uhr arbeiten. Sie fordern, darüber hinaus
ie Beschäftigung bis 24 Uhr zu ermöglichen. Dass ein
edarf für eine solche Gesetzesänderung besteht, ist völ-
ig aus der Luft gegriffen. Ich rate Ihnen, mehr mit den
ugendlichen und Auszubildenden zu sprechen
nd nicht immer nur die Sicht der Arbeitergeber und der
rbeitgeberinnen darzustellen.
Als Jugend- und Tourismuspolitikerin freut es mich,
ass die Ausbildungsquote gerade im Gastgewerbe mit
2 Prozent deutlich über dem Durchschnitt der Wirt-
chaft liegt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
ollegen Meckelburg?
Nein. Was er sagen will, habe ich vorher schon gehört.Im Jahr 2002 gab es im Hotel- und Gaststättenge-erbe 91 968 Ausbildungsverhältnisse.
Ja.
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5964 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Renate GradistanacWährend die Zahl der Beschäftigten in der Branchedeutlich zurückgegangen ist, wurde die Zahl der Ausbil-dungsplätze in den vergangenen zehn Jahren um fast50 Prozent gesteigert. Drei Viertel aller Auszubilden-den – ich führe das noch einmal an; Herr Winkler hat esschon vorhin im Einzelnen deutlich gemacht – sindHaupt- und Realschülerinnen und -schüler.
Diese Daten belegen, dass volljährige Auszubildende,also Abiturientinnen und Abiturienten, im Hotel- undGastgewerbe nicht bevorzugt werden.Seit circa acht Jahren – das wissen auch Sie – werdenverstärkt Abiturientinnen und Abiturienten für Aus-bildungsberufe mit neuen Zusatzqualifikationen, diespeziell auf Abiturientinnen und Abiturienten zuge-schnitten sind, geworben.
Ich nenne die Hotelfachfrau oder den Hotelfachmannmit Euroqualifikation, das heißt mit Kenntnissen indrei Fremdsprachen und im Hotelmanagement. Damitsoll – das haben Sie vorhin auch kurz erwähnt – dieQualität unseres Tourismusstandorts gesteigert werden.Mit großer Sorge erfüllt mich, dass 60 Prozent nachder Ausbildung die Branche wechseln. Beunruhigend istauch die hohe Zahl derer, die – das gehört, finde ich,ebenfalls in diesen Zusammenhang – ihre Ausbildungabbrechen. Die Quote der vorzeitig gelösten Ausbil-dungsverhältnisse im Verhältnis zu den neu abgeschlos-senen Ausbildungsverträgen insgesamt lag in Baden-Württemberg im Jahr 2001 bei 22 Prozent. Die Quote imHotel- und Gaststättenbereich ist mehr als doppelt sohoch. Sie liegt bei 46,4 Prozent. Das muss man sich ein-mal vorstellen!
Als Gründe nennen die Jugendlichen insbeson-dere – ich beziehe mich auf die Antwort der Landesregie-rung von Baden-Württemberg auf eine Große Anfrageder SPD aus dem Jahr 2002 –: Es gibt Schwierigkeitenmit den Vorgesetzten, mit den Ausbildern. Die Ausbil-dung entspricht nicht ihren Vorstellungen. Dabei wirdexplizit erwähnt: unattraktive Arbeitszeiten, keine Wo-chenarbeitszeitpläne.
– Sie müssen sich einmal überlegen, wie das alles so zu-sammenkommt. – Darüber hinaus werden finanzielleGründe angeführt. Das hat etwas damit zu tun, dass dieBezahlung geringer ist als beispielsweise in der Indus-trie. Es geht also darum, wie attraktiv wir diese Berufegestalten. Ich bin der Meinung, dass Sie da ein Stückrückwärts gehen.Auffällig ist, dass es eklatante Verstöße gegen das be-stehende Jugendarbeitsschutzgesetz gibt. Das ist inner-hBkdsr––wgwkzikTlatsZbwFDddpbvFÄse
Aber da gibt es doch eine Tendenz!
Ich habe da wohl einen wunden Punkt getroffen.Herr Burgbacher, Sie führen an – Sie haben es heuteieder getan –, dass sich das Freizeitverhalten der Ju-endlichen verändert hat. Das Argument, das da immerieder kommt, lautet: Wer nachts in die Disko gehenann, kann in dieser Zeit auch arbeiten. – In meiner Frei-eit entscheide ich, wie lange ich ausgehe oder wie langech aufbleibe. Wenn die Arbeitszeit bis 24 Uhr geht,ann ich mich dem nicht entziehen.Wir haben der Branche geholfen, indem wir dierinkgeldbesteuerung abgeschafft und Minijobs ermög-icht haben. Übrigens, späte Arbeitszeiten sind natürlichuch mit Minijobs sehr gut auszufüllen. Anstatt dem Fe-isch der Flexibilisierung beim Jugendarbeitsschutzge-etz anzuhängen, könnte ich mir vorstellen, dass man dieusammenarbeit bei der Bekämpfung der Schwarzar-eit, deren Umfang gerade im Hotel- und Gaststättenge-erbe beschämend groß ist, fördert.
rau Kollegin, Sie haben Ihre Redezeit überschritten.
ie bundesweite Schwerpunktaktion von Zoll und Bun-
esanstalt für Arbeit Ende August 2003 hat ergeben,
ass bei jeder vierten beschäftigten Person Anhalts-
unkte für das Vorhandensein von Unregelmäßigkeiten
estehen. Sie hätten einmal mithelfen sollen, dagegen
orzugehen.
Danke.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung über den von derraktion der FDP eingebrachten Gesetzentwurf zurnderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes, Druck-ache 15/756. Der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeitmpfiehlt auf Drucksache 15/1593, den Gesetzentwurf
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Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastnerabzulehnen. Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzent-wurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Werstimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurfist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions-fraktionen bei Enthaltung der CDU/CSU und gegen dieStimmen der FDP abgelehnt. Damit entfällt nach unsererGeschäftsordnung die weitere Beratung.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenWolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, ThomasStrobl , weiterer Abgeordneter undder Fraktion der CDU/CSUBundesgrenzschutz für die EU-Osterweite-rung tauglich machen– Drucksache 15/1328 –Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Auswärtiger AusschussFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und ArbeitVerteidigungsausschussAusschuss für Verkehr, Bau- und WohnungswesenAusschuss für Menschenrechte und humanitäre HilfeAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeGünter Baumann, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Am 1. Mai 2004 wird die Europäische Unionzehn neue Mitglieder aufnehmen. Deutschland wird da-mit ins geographische Zentrum des vereinten Europasrücken.Dieser Prozess erfüllt uns angesichts der Vergangen-heit Europas, von Kriegszeiten und von Vertreibungengekennzeichnet, mit großer Freude und natürlich auchmit Hoffnungen. Das vereinte Europa bietet für alle be-teiligten Länder, auch für die gegenwärtig wirtschaftlichrecht schwachen Regionen Ostdeutschlands, großeChancen.Es birgt aber auch Risiken. Diesen Risiken könnenund müssen wir durch gezielte Maßnahmen frühzeitigbegegnen, zum Beispiel durch eine Verbesserung der Ar-beit des Bundesgrenzschutzes. Das ist der Kerngedankedes Antrages „Bundesgrenzschutz für die EU-Osterwei-terung tauglich machen“, den die CDU/CSU-Fraktiondem Deutschen Bundestag heute vorlegt.Die Grenzsicherheit ist – ich denke, da stimmen wirüberein – ein unverzichtbarer Faktor der inneren Sicher-heit. Das haben die Fahndungsergebnisse des BGS ge-rade in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen;aber der Grenzschutz steht heute angesichts der EU-Er-weiterung vor neuen großen Herausforderungen, auf dieer aus unserer Sicht noch nicht ausreichend vorbereitetist. Ich erinnere an die gegenwärtigen Probleme der or-gMelndbalgwPdwgndpBdtBdDrtWsliwffdvbda
Dabei sind wir – das möchte ich eindeutig feststel-en – in den vergangenen Jahren ein großes Stück voran-ekommen. An dieser Stelle möchte ich den Chef der Ge-erkschaft der Polizei des Bundes, Knut Paul, zitieren:Der BGS ist eine spezialisierte Fahndungspolizeigeworden mit Erfahrungen bei der Identitätsfest-stellung, der Bekämpfung illegaler Einwanderungund bei Abschiebemaßnahmen. Diese Fähigkeitenwollen wir ausbauen.Die Erfolge des BGS bei der verdachtsunabhängigenersonenkontrolle haben wir hier bereits letzte Wocheiskutiert und, wie ich finde, auch parteiübergreifend ge-ürdigt. Wer noch einmal das Plenarprotokoll vom ver-angenen Donnerstag zur Hand nimmt, der kann erken-en, dass es eine breite parlamentarische Mehrheit fürie Erweiterung dieser Befugnisse gab.Das Protokoll dokumentiert aber auch die sicherheits-olitische Selbstblockade innerhalb der Regierung. Derundesinnenminister sprach sich nämlich ausdrücklichafür aus – Zitat –, „dass wir das Gesetz unbefristet gel-en lassen sollten“.Im Gesetzentwurf der Bundesregierung ist eineefristung von dreieinhalb Jahren vorgesehen. Wir voner CDU/CSU fordern fünf Jahre.
iese Diskrepanz zwischen Rot-Grün bzw. der Regie-ung und uns sollte geklärt werden. Ich denke, wir soll-en uns hier auf eine Frist einigen.
enn der Bundesinnenminister eine sicherheitspoliti-che Koalition der Vernunft in einzelnen Punkten wirk-ch will – ich denke, Herr Staatssekretär Körper, da sindir uns einig –, steht die CDU/CSU mit ihrem sachlichundierten Antrag für eine solche Übereinkunft zur Ver-ügung.
Unser Antrag geht auch auf die Notwendigkeit ein,ie Bekämpfung der organisierten Kriminalität besser zuernetzen. Eine technische Voraussetzung dafür ist undleibt der Digitalfunk. Ich möchte, Herr Staatssekretär,en Disput der vergangenen Woche nicht fortsetzen,ber es ist absolut erfreulich – das haben wir diese
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5966 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Günter BaumannWoche im Innenausschuss diskutiert –, dass das Bundes-innenministerium 2004 mit der Ausschreibung begin-nen will und dafür 5 Millionen Euro einstellt. Dies ent-spricht der Aufgabe des Bundesinnenministers: Er mussunserer Meinung nach bei der Verbesserung der sicher-heitspolitischen Infrastruktur das Tempo vorgeben. Ge-wiss haben dann auch die Länder hierbei einen wichti-gen Teil der Verantwortung mitzutragen. HerrStaatssekretär, Sie können aus dieser Debatte mitneh-men, dass wir mit den von uns regierten Ländern spre-chen werden, um dieses Vorhaben anzuschieben.Deutschland muss in diesen zentralen Bereichen dermodernen Sicherheitstechnik endlich vorwärts kom-men. Der viele Hickhack der letzten Jahre hat uns über-haupt nichts gebracht.
Es wäre auch ein wichtiges Signal für die noch im Auf-bau befindliche EU-Grenzschutzagentur, wenn man sol-che Voraussetzungen schaffte. Es muss jetzt darumgehen, durch gezielte Investitionen in unsere Bundes-polizei BGS Maßstäbe für einen europäischen Grenz-schutz zu setzen, der den Gefahren von Morgen effektivbegegnen kann. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekre-
tär Fritz Rudolf Körper.
Fr
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zur Ein-führung von lagebildorientierten Kontrollen des Bundes-grenzschutzes liegen in der Tat zwei Gesetzentwürfe vor,die jeweils eine Befristung vorsehen: der Koalitionsan-trag dreieinhalb Jahre mit einer entsprechenden Evaluie-rungsmöglichkeit und der Antrag der CDU/CSU fünfJahre. Ich bin der Meinung, dass diese Differenz von an-derthalb Jahren hinsichtlich der Befristung sich nichtdazu eignet, zu streiten.
Bevor man auf die Frage der Einstellung und sachli-chen Orientierung des Bundesgrenzschutzes auf die Er-weiterung der EU eingeht, sollte man – das ist ganzwichtig – das Verfahren kennen. Eine Mitgliedschaft inder EU bedeutet noch lange nicht, dass man auch Mit-glied des Schengenverbundes ist. Hier ist für die neuenEU-Mitgliedstaaten ein von der Ratsgruppe entwickeltesPrüfungsverfahren vorgesehen. Dies dient insbesondereder Sicherheit in Europa. Von daher ist es gut, dass esdieses Verfahren gibt.
Es geht bei dem Verfahren darum, festzustellen, obdas Schengenniveau erreicht ist und ob ein ordnungs-gemäßer Betrieb des Schengener InformationssystemsggeuKdknsugbVndhadgknWBAAbnrFdtaiwbiPagvsf
ngesichts der heutigen technischen und personellenusstattung des Bundesgrenzschutzes kann man dank-ar sein, dass wir diese Möglichkeiten geschaffen haben.
Ich bin sehr froh, dass der Bundesgrenzschutz tech-isch hochwertiges Gerät einsetzen kann, ob das im Be-eich der Hubschrauber oder der Wärmebildtechnik derall ist. Wir haben es erreicht, dass fast alle Angehörigenes Bundesgrenzschutzes, die im operativen Bereich tä-ig sind, mit Schutzwesten ausgestattet sind. Mit Blickuf die Ausstattungsquote in den Länderpolizeien sagech: Auch darauf können wir stolz sein.
Auch was die personelle Vorsorge anbelangt, könnenir uns sehen lassen. Wir haben nicht umsonst ein He-ungsprogramm im Bereich des Bundesgrenzschutzesnitiiert. Auch auf die Möglichkeit, diese Hebungen imersonalbereich vorzunehmen – die Beamtinnen und Be-mten des Bundesgrenzschutzes leisten eine hervorra-ende Arbeit –, sind wir stolz.
Ich bin sicher, dass der Bundesgrenzschutz die inno-ative Fähigkeit hat, sich auf neue Gegebenheiten einzu-tellen. Wir haben Sorge dafür getragen, dass er dies er-olgreich tun kann.Herzlichen Dank.
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Nächster Redner ist der Kollege Dr. Max Stadler,
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Der Bundesgrenzschutz arbeitet gut und erfolg-
reich.
Damit dies auch in Zukunft so bleibt – auch nach der
EU-Osterweiterung –, gilt das, was die FDP ansonsten
im Bereich der inneren Sicherheit als Maxime vertritt.
Wir brauchen die drei Säulen: eine optimale technische,
finanzielle und personelle Ausstattung des Bundesgrenz-
schutzes.
Dann kommt lange nichts. Erst danach kommt die Frage,
ob denn neue gesetzliche Bestimmungen notwendig
sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
leider zeigen Sie immer die Tendenz, diese letzte, in
Wahrheit nachrangige Frage überzubetonen. Wenn man
Ihre Anträge liest, dann erkennt man, dass Sie dauernd
Gesetzesänderungen fordern, die man nur zum Teil
braucht und die daher manchmal entbehrlich sind.
Ich komme zurück zur Ausstattung.
Erstens die technische Ausstattung. Herr Staatsse-
kretär, heute vertreten Sie die Bundesregierung. Sie sind
von einem etwas duldsameren Naturell als der Minister,
sodass ich wage, folgenden Punkt anzusprechen: Wir brau-
chen so schnell wie möglich eine optimale Ausstattung des
Bundesgrenzschutzes im Bereich des Digitalfunks.
Das ist kein Vorwurf an die Bundesregierung, sondern
eine Willenserklärung von uns allen, dass Sie im Bund
und wir in den Ländern, in denen wir Mitverantwortung
tragen, dafür sorgen, dass diese Technik endlich einge-
führt und der versprochene Zeitpunkt – nämlich zur Fuß-
ballweltmeisterschaft 2006 – auch eingehalten wird.
Zweitens die finanzielle und personelle Ausstat-
tung. Das ist schon ein kritischer Punkt in Zeiten, in de-
nen die öffentliche Hand sparen muss. Die FDP ist der
Meinung, dass die Motivation, auch beim Bundesgrenz-
schutz, durch einseitige Sparmaßnahmen wie etwa die
Abschaffung oder Einschränkung von Urlaubs- und
Weihnachtsgeld nicht gefördert wird. Das heißt nicht,
dass man bei den Personalausgaben nicht sparsam sein
sollte. Aber der Kollege Burgbacher hat vor wenigen
Wochen an dieser Stelle ein neues Konzept für eine mo-
derne Beamtenbesoldung vorgestellt, das mehr auf Fle-
xibilität und Leistungsanreize setzt. Auch im Zusam-
menhang mit der Zukunft des Bundesgrenzschutzes ist
es notwendig, dass wir endlich darüber diskutieren und
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Meine Damen und Herren, in diesen Zusammenhang
ehört übrigens auch die Modernisierung der Beförde-
ungsrichtlinien, die vom Bundesgrenzschutz-Verband
u Recht angemahnt wird.
Dagegen haben wir wenig Bedarf an neuen Gesetzen.
s ist richtig: Wenn die Kontrollen an der Grenze zwi-
chen Tschechien und Polen wegfallen, wird eine Schlei-
rfahndung im 30-Kilometer-Grenzraum erforderlich
erden. Das sehen auch wir so. Aber die Fortführung
er verdachtsunabhängigen Kontrollen, die die CDU/
SU in ihrem Antrag von letzter Woche befristet, in dem
eute vorliegenden Antrag unbefristet fordert – da ist die
oordinierung nicht ganz geglückt –,
uss mit einer kritischen Diskussion darüber verbunden
erden, dass die verdachtsunabhängigen Kontrollen
renzkontrollen ersetzen sollen und es deshalb einen
ezug dazu geben muss.
a scheint uns das momentan geltende Recht verbesse-
ungsbedürftig. Dazu werden wir im Ausschuss Ausfüh-
ungen machen.
Mein letzter Punkt.
Nein, Herr Kollege Stadler, Ihre Redezeit ist schon
berschritten.
Ich komme zum Schluss. – In Richtung CDU/CSU
age ich: Ihren pauschalen Vorschlägen, dass zum Bei-
piel die Kompetenzen des Bundesgrenzschutzes an
ahnhöfen und Flughäfen ausgeweitet werden sollten,
erden wir sicher nicht zustimmen. Da müssen Sie
chon sagen, wie, was und warum.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar, Bünd-is 90/Die Grünen.
Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIERÜNEN):Ich bin nicht hier, um Ihnen Vergnügen zu bereiten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Amittwoch hat das italienische Parlament mit einer
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5968 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Silke Stokar von NeufornSchweigeminute der 13 Flüchtlinge gedacht, die tot ineinem Fischerboot vor der Insel Lampedusa aufgefundenwurden. Die Flüchtlinge, die auf dem Fischerboot ver-hungerten und verdursteten, stammten vermutlich ausSomalia. Sie waren auf dem Weg nach Europa. In deranschließenden Debatte im italienischen Parlamentsprach Innenminister Pisanu zu Recht von einer Tragö-die, die tonnenschwer auf dem Gewissen Europas laste.Ich wähle diesen Einstieg, um deutlich zu machen,dass wir auch im Deutschen Bundestag über die Dimen-sion der europäischen Grenzpolitik und Grenzsiche-rung diskutieren müssen und den Begriff des Schengen-raums nicht auf die nationale Sicherheit Deutschlandsreduzieren dürfen, sondern den Schengenraum im euro-päischen Kontext als Garant von Freiheit, Sicherheit undRecht sehen müssen.Mir fehlt bei dem CDU/CSU-Antrag der Bezug aufdie europäische Vereinbarung der vergangenen Jahreund der Gedanke, dass es unsere Aufgabe ist – was Rot-Grün durchaus so sieht –, die auf EU-Ebene getroffenenVereinbarungen zum Grenzschutzmanagement in Euro-pa auf den deutschen BGS, die deutsche Bundespolizei,zu übertragen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Grindel?
Ich möchte heute keine Zwischenfragen beantworten.
Die letzten Zwischenfragen von Herrn Grindel haben
nicht zur Erhellung des Themas beigetragen.
Heute möchte ich meine Gedanken im Zusammenhang
vortragen. Herr Grindel, wenn Sie sich die Zeit nehmen,
zuzuhören, dann führt das vielleicht dazu, dass wir von
der CDU/CSU in Zukunft Anträge vorgelegt bekommen,
die nicht eine Klein-klein-Gesetzesveränderung für den
BGS darstellen, sondern das aufnehmen, was auf euro-
päischer Ebene beschlossen worden ist.
Ich beziehe mich auf den Beschluss des Rates der
Europäischen Union vom Juni 2002 hinsichtlich des
Plans für den Grenzschutz an den Außengrenzen der
Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Ich kann hier
nur anreißen, welche Herausforderung dies für den deut-
schen BGS bedeutet. Natürlich ist der Reformprozess
des BGS nicht abgeschlossen. Wir haben vielmehr noch
einige Punkte, zum Beispiel gemeinsame Standards in
der Ausbildung und den Aufbau der europäischen
Grenzpolizei, umzusetzen sowie die deutsche Beteili-
gung an der Finanzierung eines europäischen Grenzma-
nagements zu klären. Zumindest in den anderen nationa-
len Parlamenten wird über diese Punkte im Rahmen der
Grenzsicherung diskutiert. Auch bei uns sollte diese Dis-
kussion geführt werden.
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Nächster Redner ist der Kollege Ralf Göbel, CDU/
SU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Im nächsten Jahr wird die Europäische Unionm zehn weitere Länder erweitert. Es wird aber noch et-iche Jahre dauern, bis die Beitrittsländer im Osten dieoraussetzungen, die im Schengen-Abkommen festge-egt sind, erfüllen werden. Auch wenn dies der Fall seinird, wird die Sicherung der Binnengrenzen noch immerine wichtige und bedeutende Aufgabe sein.
Dass dies so sein wird, sehen wir schon heute. Denn dieigrationsströme nach Deutschland kommen nicht nurus dem Osten, sondern auch aus dem Westen. Sie kom-en zunehmend aus dem Schengen-internen Flugverkehr Rahmen der Billigflüge. Deshalb ist es wichtig, unsereicherheitsbehörden in die Lage zu versetzen, auch in Zu-unft im europäischen Raum der Sicherheit, der Freiheitnd des Rechts ihrer Aufgabe nachzukommen. Das ist Ziel
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5969
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Ralf Göbeldes vorliegenden Antrags. Wir sollten die rechtlichen Re-geln und Befugnisse überprüfen und die technischen, orga-nisatorischen und personellen Vorbereitungen treffen.Auf den offenen Dissens zwischen Minister Schilyund den Regierungsfraktionen, was die Befristung be-trifft, will ich nicht weiter eingehen. Ich will nur sagen:Ich finde es nicht lächerlich, wenn die CDU/CSU-Frak-tion und der Bundesinnenminister der gleichen Auffas-sung sind. Ich denke, auch das darf einmal vorkommen.
Zum Digitalfunk – Herr Baumann hat es schon ange-sprochen; ich will es hier nicht vertiefen – muss eines,Herr Körper, auch gesagt werden: Das Schengen-Ab-kommen betrifft auch den Digitalfunk.
Es ist doch ein etwas seltsamer Zustand, wenn wir zwardarauf achten, ob die neuen Beitrittsländer die Schengen-Voraussetzungen erfüllen, wir selber aber bei einer zen-tralen Voraussetzung, bei der technischen Verfügbarkeitdes Kommunikationssystems, die Letzten in Europa sind.
Der Wegfall der Außengrenzen wird mit einer erheb-lichen Reduzierung der Zahl der Zollbeamten an derGrenze verbunden sein. Damit wird natürlich auch einTeil des bisherigen Sicherheitsgefüges an der Grenzewegbrechen. Die Bundesregierung hat im März diesesJahres in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage verspro-chen, dass ein Konzept vorgelegt werden wird, aus demersichtlich wird, wie die Kompensation stattfinden soll.Es ist nun höchste Zeit, diese Konzeptphase endlich zuEnde zu bringen und uns ein Konzept vorzulegen, wiekünftig die Sicherheit an der Grenze nach Wegfall desZolls gewährleistet sein wird.Auf europäischer Ebene wird über die Schaffungeiner operativen Gemeinschaftsstruktur verhandelt; FrauStokar hat es erwähnt. Auch ich wäre sehr dankbar,wenn die Bundesregierung von sich aus hier eine Kon-zeption vorlegte und es im Deutschen Bundestag zueiner Debatte über dieses Thema käme. Es geht dabeium eine neue Organisation der Sicherheitsstruktur anden Grenzen, aber auch um die Einführung weiterertechnischer Systeme.In diesem Zusammenhang greife ich die heutige Tages-presse auf und gehe auf die Einführung biometrischerIdentifikatoren in Visa und Aufenthaltstitel ein. Wir ha-ben auch hierüber im Bundestag mehrfach gestritten. Beider Einbringung des Haushalts wurde uns erklärt, dass hiernoch Untersuchungsbedarf dahin gehend bestehe, welcheMethode zu wählen sei; deshalb seien nur Mittel für Mo-dellprojekte in den Haushalt eingestellt worden. Unterdes-sen schlägt die EU-Kommission in einem Verordnungsent-wurf vom 24. September 2003 mit ausführlicherBegründung und unter Bezug auf mehrere Studien vor, dieGesichtsfelderkennung europaweit als zweites Merkmalnach dem Fingerabdruck vorzusehen. Ich frage mich, obdie Bundesregierung überhaupt davon wusste und, wennja, warum wir immer noch Gelder bereitstellen, um dieIsbdvmdFdDnstepMstidadssuisBsdBshBHIKsFtkdW
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5970 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003
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Ihre Redebeiträge und Ihr Antrag dienen ausschließlichdem Ziel, Unsicherheit zu verbreiten. Sie jagen denMenschen Angst ein und veranlassen sie, ein Stück per-sönlicher Freiheit aufzugeben. Angst ist ein schlechterRatgeber. Die Menschen geben mit der Einschränkungder persönlichen Freiheit ein Stück Lebensqualität auf.
Sie scheuen sich nicht einmal, diese Angstgefühle inRichtung Osterweiterung zu lenken. Das ist einer Partei,die sich einmal ihrer Europafreundlichkeit gerühmt hat,ziemlich unwürdig.
Da Sie wiederholt die Aussage des Innenministers zurEntfristung angesprochen haben, will ich auf diesenPunkt eingehen. Das Bundesgrenzschutzgesetz ist geän-dert worden. Der Bundesgrenzschutz hat die Möglich-keit, auf Verkehrsflughäfen, Bahnanlagen und im grenz-nahen Raum verdachtsunabhängig zu kontrollieren. Siehaben zwei Anträge gestellt und ich möchte jetzt auf dieDiskrepanz hinweisen. In der letzten Woche haben Sieeinen Antrag gestellt – wir haben auch darüber disku-tiert –, in dem Sie die Änderungen des Bundesgrenz-schutzgesetzes auf fünf Jahre befristen wollten.
In dieser Woche diskutieren wir über einen inhaltlich ähnli-chen Antrag. Nun wollen Sie die Veränderungen des Bun-desgrenzschutzgesetzes entfristen. Sie müssten sich zumin-dest in der eigenen Fraktion einmal darüber klar werden,was Sie wirklich bei der inneren Sicherheit wollen.
Es gibt überhaupt keinen Streit darüber, dass die Verän-derungen des Bundesgrenzschutzgesetzes richtig waren.Die Erfolge liegen auf der Hand.Sie fordern weiterhin mobile und flexible Einsatzein-heiten im Grenzraum. Lesen Sie doch bitte nach, wasSozialdemokraten und Gewerkschaft der Polizei bei derBundesgrenzschutzreform II, die von Ihrem Innenministerzusammen mit Ihnen auf den Weg gebracht worden ist,gefordert haben. Sie haben die Installierung flexibler undmobiler Grenzschutzeinheiten gefordert. Dieser Forde-rung sind Sie nicht gefolgt. Bei der Bundesgrenzschutzre-form II haben Sie eine andere Variante gewählt und heutebeklagen Sie die Folgen Ihrer eigenen Fehlentscheidung.
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Im Übrigen will ich darauf verweisen, dass mit derU-Osterweiterung im nächsten Jahr keinesfalls eineeränderung der Grenzkontrollen einhergeht. Ganz imegenteil: Ein Wegfall der Grenzkontrollen zu den Bei-rittsstaaten ist frühestens im Jahr 2006 zu erwarten,ämlich erst dann, wenn sie den Schengen-Standard er-üllen. Das Theater, das Sie hier veranstalten, ist völligberflüssig.
Zur Vermeidung von Sicherheitsdefiziten und Sicher-eitslecks kann der Bundesgrenzschutz gemäß § 22 desundesgrenzschutzgesetzes Personen anhalten und sieemäß § 23 kontrollieren. Lagebildabhängig kann eruch Kontrollen in Zügen und auf Flughäfen vorneh-en. Das ist gut und richtig. Diese Instrumente sind ef-ektiv und reichen aus.Ich will Ihnen das erklären, damit Sie es richtig ver-tehen.
enn Sie einen Fisch in einem Fluss fangen wollen,ann tun Sie das normalerweise an den Engstellen deslusses, spätestens aber an der Flussmündung. Sie war-en nicht, bis der Fisch das offene Meer erreicht hat, undangen dann erst an, ihn zu suchen. Genau diese Instru-ente hat der Bundesgrenzschutz
ur Kontrolle oder – wenn Sie es so ausdrücken möch-en – zum Angeln von Straftätern
n die Hand bekommen. Sie werden wirken und sie sindut.Zum Ausbildungsstand möchte ich Ihnen eines sa-en. In der Regierungszeit der rot-grünen Bundesregie-ung hat es ein großes Stellenhebungsprogramm mitiner Vielzahl von Beförderungen gegeben.
Herr Grindel, stellen Sie eine Zwischenfrage, dannerde ich Ihnen diese beantworten, damit Sie daraus ler-en. Aber hören Sie auf, dazwischenzuschreien.
Wie gesagt, es hat eine Vielzahl von Stellenhebungenit riesigen Beförderungsmöglichkeiten gegeben. Das
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Hans-Peter Kemperhat zu einem engagierten und zufriedenen Bundesgrenz-schutz geführt. Sie sollten sich einmal mit den Leutenunterhalten.
Das Attraktivitätsprogramm des Bundesinnenministersträgt zusätzlich dazu bei.Ausbildung und Ausrüstung sind stark verbessertworden. Schauen Sie sich einmal die GSG 9 an. Dortgibt es gute Hubschrauber, moderne Wasserfahrzeugeund anderes hochwertiges Einsatzgerät.
Der BGS See hat hervorragende Schiffe. Die Grenzein-satzkräfte haben hervorragende Fahrzeuge und Wärme-bildgeräte.Im Übrigen möchte ich noch ein Wort zum BOS-Funk sagen, weil das Thema wiederholt angesprochenworden ist.
Herr Kollege, das eine Wort muss aber kurz und
knapp sein, bitte.
Ich werde nur ein kurzes Wort sagen, Frau Präsiden-
tin.
Es ist so, dass die Bundesregierung sich bemüht, auch
den Bundesgrenzschutz mit dem BOS-Funk auszustat-
ten. Allerdings bejammern Sie die Blockade Ihrer eige-
nen Bundesländer. Sprechen wir mit den Bundesländern,
damit es hier keine Probleme mehr gibt.
Wir sind auf einem guten Weg. Leisten Sie einen Bei-
trag dazu. Das können Sie am besten, indem Sie Ihren
überflüssigen Antrag mit einem Ausdruck des Bedau-
erns zurückziehen.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 15/1328 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Michael Meister, Heinz Seiffert, Leo
Dautzenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der CDU/CSU
Neue EU-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie
– Drucksache 15/1564 –
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Beispielhaft für die eingangs beschriebene Entwick-lung ist die geplante Wertpapierdienstleistungsrichtlinieselbst. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Motivation fürdiese Richtlinie. Die Vorgängerrichtlinie von 1993 istangesichts des besagten Wandels nicht mehr zeitgemäß.Neue Produkte und Dienstleistungen, neue Handelsfor-men und weitere Veränderungen haben in der Zwischen-zeit eine Neufassung der Richtlinie unumgänglich ge-macht.Die Ziele der neuen EU-Wertpapierdienstleistungs-richtlinie, mit der die Kommission eine weitere Stärkungder europäischen Finanzmarktintegration erreichen will,lassen sich dabei in drei Gruppen aufteilen. Als erstesZiel ist die Erweiterung des Anwendungsbereiches derRichtlinie zu nennen. Als zweites Ziel ist die Stärkungdes Anlegerschutzes durch eine Garantie der bestmögli-chen Orderausführung vorgesehen. Drittens hat dieRichtlinie zum Ziel, die Markteffizienz durch eine Har-monisierung der Anforderungen an unterschiedlicheHandelssysteme zu sichern.Vor welchem Hintergrund ist das dritte Ziel, Sicherungder Markteffizienz, zu sehen? In den letzten Jahrenkonnten wir eine zunehmende Fragmentierung der Wert-papiermärkte beobachten. Diese ist vor allem darauf zu-rückzuführen, dass Banken und Wertpapierdienstleis-tungsunternehmen verstärkt Wertpapieraufträge vonKunden nicht an Börsen weiterleiten, sondern auf insti-tutsinternen bilateralen Systemen gegen eigenen Handels-bestand bzw. gegen andere Kundenaufträge ausführen.Diese so genannte Internalisierung ist für Anbieterund Kunden zunächst attraktiv. Die Bank kann mit einererhöhten Kundenbindung, höheren Erträgen aus derAusnutzung des Spreads sowie der Einsparung von Bör-sengebühren rechnen. Der Kunde kann seinerseits miteiner Preisstellung rechnen, die mindestens so gut ist wieder Referenzpreis an der Börse. Gleichzeitig kann er sichüber niedrigere Transaktionskosten freuen.Für die Effizienz des Gesamtmarktes kann eine über-mäßige Ausweitung der so genannten Internalisierungjedoch dann negative Folgen haben, wenn den Börsendadurch zu viel Liquidität entzogen wird. Dieses Absin-ken der Markteffizienz würde sich dann in Form einerQualitätsverschlechterung der Referenzpreise, die an derBörse erzielt werden, widerspiegeln. Eine solche Ver-schlechterung würde wiederum auch die Anbieter, vorallem aber die Kunden von Internalisierungssystementreffen. Die Anleger im Internalisierungssystem wärenam Ende trotz der geschilderten Vorteile dieses Verfah-rens insgesamt schlechter gestellt als bei üblicher Bör-senabwicklung.Da nicht nur Anleger, sondern auch emittierende Un-ternehmen in Form höherer Kapitalkosten von einemübermäßigen Liquiditätsentzug der Börsen betroffen wä-ren, gilt es, Vorkehrungen zu treffen und zu einem ange-mdirwPbwezSHdzdUehIE„EdrncDrcEqsvrunaMr
Nächster Redner ist der Kollege Florian Pronold,
PD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen underren! Der Antrag der Union ist ein gutes Beispiel dafür,ass in unserem Haus nicht immer vernetztes Denken Ein-ug hält. Heute haben wir den Waldzustandsbericht behan-elt. Mit diesem Antrag haben Sie, liebe Kollegen von dernion, unsinnigerweise einen Baum geopfert.
Sie haben schon selber eingestanden, dass Ihr Antragin wenig hinterherhinkt. Denn bereits am 7. Oktoberat der Ecofin-Rat alle wesentlichen Dinge, die Sie inhrem Entschließungsantrag fordern, beschlossen.igentlich müssten wir diesen Antrag mit dem VermerkErledigung durch Zeitablauf“ zu den Akten legen.
s ist doch schön, zu sehen, dass die Bundesregierungie Neugestaltung der EU-Wertpapierdienstleistungs-ichtlinie, über die wir heute reden, ernster als die Unionimmt, weil sie nämlich rechtzeitig handelt und die Wei-hen richtig stellt.
Zur Zufriedenheit der Börsen- und Bankenwelt ineutschland hat sie am 7. Oktober übrigens etwas er-eicht, das breite Zustimmung findet und das, wie Sie si-herlich wissen, nicht besonders leicht war, weil es imcofin-Rat – das war ein seltener Moment – nur eineualifizierte Mehrheit dafür gegeben hat. Bei der Ab-timmung haben sich also nicht alle Länder einheitlicherhalten. Umso besser war es, dass die Bundesregie-ung dort eine vermittelnde Position einnehmen konntend einen Kompromiss zustande gebracht hat, der jetzticht nur von allen Seiten begrüßt wird, sondern deruch dazu führt, dass Börsen und Banken auf dem EU-arkt zukünftig gleichberechtigt behandelt werden.Ich will jetzt gerne noch zu den einzelnen Punkten Ih-er Forderung Stellung nehmen. Zu den Punkten 1 bis 5
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Florian Pronoldkann ich sagen: Im Großen und Ganzen wurden diese– übrigens in Unkenntnis der Bundesregierung über Ih-ren Entschließungsantrag – durch den Beschluss desEcofin-Rates bereits erfüllt.
Das wird vom ganzen Haus und natürlich auch von unse-rer Seite geteilt.Punkt 6 überrascht mich ein wenig, weil die Regulie-rung der öffentlich-rechtlichen Börsenstruktur schon Ge-genstand der Beratungen in diesem Hause war. Dies hatmit der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie überhauptnichts zu tun.
– Nein, das hat gar nichts damit zu tun.Über das Thema „Stärkung des Finanzplatzes Deutsch-land“ hat der Bundestag bereits einvernehmlich disku-tiert. Ich weiß wirklich nicht, was das hier verloren hat.Über die Anforderungen, die in den Punkten 8 bis 10stehen, können wir im Finanzausschuss vielleicht nochreden.
Unter Punkt 9, schreiben Sie, die Bundesregierungmöge sich dafür einsetzen,dass über den vorliegenden Richtlinienvorschlaghinaus gemeinsam mit den Verbänden der freien Fi-nanzdienstleister Wohlverhaltensrichtlinien sowieAus- und Fortbildungsordnungen erarbeitet werden,die weitgehend ohne staatliche Aufsicht ein Maxi-mum an kostengünstigem Schutz bei privaten Anla-geentscheidungen sicherstellen …
Dieses Antragsdeutsch ist wirklich schön. Das brauchenwir hier; denn das führt zu einer breiten Verständlichkeitin der Öffentlichkeit.Dies wirft hier eine entscheidende Frage auf, die Sieoffensichtlich sehr einseitig beantworten. Wir sehen esanders. Wenn man die freien Finanzdienstleister näm-lich etwas näher unter die Lupe nimmt, dann sieht man,dass es dort nicht nur weiße Schafe, sondern auch vielegraue und schwarze Schafe gibt und dass es dort sehrwohl einer sehr genauen Regelung bedarf. Die Richtlinielässt uns die Möglichkeit offen, diese auf nationalerEbene auch zu treffen.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Forderun-gen, die Sie hier eingebracht haben – ich weiß ja nicht,ob Sie den Antrag selbst geschrieben haben –,
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lle anderen Dinge sind bereits zur Zufriedenheit erfülltorden.Ich glaube, Sie sollten Ihren Antrag umformulieren.ie Sätze, in denen Sie die Bundesregierung auffordern,olgendes durchzusetzen, zu streichen und zu ersetzen,ollten Sie ändern in: Wir danken der Bundesregierung,ass sie das alles schon umgesetzt hat.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Professor
r. Andreas Pinkwart, FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen underren! Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion gibt meinernsicht nach einen sehr wichtigen Impuls dafür, dassir uns im Plenum und im Ausschuss mit dieser wich-igen Richtlinie über Wertpapierdienstleistungen aus-inandersetzen.
Herr Kollege Pronold, Ihre Arroganz ziert Sie nichtnbedingt; denn Sie hätten Ihre Regierung ermunternönnen, mit diesen Informationen in die Beratungen desinanzausschusses zu gehen. Dann wären Sie tatsächlichroaktiv tätig geworden. Sie sind uns in Ihrem zeitlichehr umfangreichen Beitrag allerdings eine Aussageazu schuldig geblieben, was denn im Einzelnen bei denunkten erreicht worden ist, die seitens der CDU/CSU-raktion vorgetragen worden sind. Es bestünde ja auchelegenheit, an dieser Stelle einmal auf die Punkte ein-ugehen, die Gegenstand dieses Antrages sind.Zielsetzung der Dienstleistungsrichtlinie ist es, dennlegerschutz zu verbessern und eine EU-weite Tätigkeiter Wertpapierhäuser sicherzustellen. Es soll also durchine Harmonisierung ein Beitrag für mehr Wettbewerbnd für mehr Effizienz auf diesem wichtigen Wachs-umssektor in Europa geleistet werden. Diese Ziele un-erstützen wir nachdrücklich.
Man muss sich natürlich auch fragen, nach welchenrinzipien wir zu mehr Wettbewerb und für mehr Effi-)
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Dr. Andreas Pinkwartzienz auf den Märkten beitragen können. Voraussetzungdafür sind Transparenz, Offenheit der Märkte und Rechts-sicherheit. Letztere soll hier geschaffen werden.In dem Antrag klingt an, dass neue Handelssysteme,die sich im Intrabankenmarkt abspielen, zugelassen wer-den sollen. Ich bin gespannt darauf, was uns die Bundes-regierung im Finanzausschuss dazu sagen wird. Ichfrage mich, ob wir das tatsächlich tun werden oder obwir – ich sage das aus meiner Sicht – durch überhöhteAnforderungen an die Transparenz, wie sie in dem An-trag zum Teil vorgeschlagen werden, einen Markt, dersich zumindest für private Anleger bislang noch garnicht so stark herausgebildet hat, möglicherweise bereitsin seinem Entstehen unterminieren. Ich möchte dieseFrage jedenfalls einmal in den Raum stellen. Deswegenhabe ich einige Vorbehalte, was die Transparenz imVorhandel anbetrifft. Es ist nicht etwa so, dass sie ausSicht des Anlegers nicht wünschenswert wäre, soweit essich um eine Marktinformation handelt. Marktinforma-tionen, die von Anbietern kostenlos zur Verfügung ge-stellt werden, mindern immer die Transaktionskostenund steigern damit die Effizienz. Das begrüßen wir na-türlich außerordentlich.Wenn allerdings mit dieser Vorhandelstransparenzauch eine Art Kontrahierungszwang für die preissetzen-den Banken verbunden sein sollte, so könnte sie, geradewas die privaten Anleger, aber auch was den Handel mitgroßen Paketen anbetrifft, dazu führen, dass der europäi-sche Markt für Finanzdienstleistungen im internationalenWettbewerb seine Standortvorteile verliert. Letztereswollen wir auf keinen Fall. Deswegen werden wir hier imHinblick auf die Internalisierung sehr kritisch im Finanz-ausschuss nachfragen, Herr Pronold, was Ihre Regierungauf diesem Gebiet in Brüssel so erfolgreich erarbeitet hat.
Wir haben unterschiedliche Signale dazu vernommen,ob das tatsächlich gelungen ist. Wir werden jedenfalls inden Beratungen Wert darauf legen, dass neue Handels-systeme im Wettbewerb auch mit den Börsenmärktenzugelassen werden, damit die Transaktionskosten füralle Anleger gesenkt werden.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Hubert Ulrich, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Herr Dautzenberg, Sie haben mit Ihrem Antragden Eindruck zu erwecken versucht, die Bundesregie-rung bräuchte in dieser Frage ein wenig Nachhilfe vonder Opposition,
so als wären Dinge, die dringend gemacht werden müs-sen, nicht gemacht worden. Diesen Eindruck hat schondwDhwDdVdnvjeDtrsweabseDmrDZsastobhddliBMidBAwSet
as Thema Finanzmarkt gebietet es, dass man im Parla-ent relativ einig agiert.
Man darf aber auch nicht vergessen, wie wichtig ge-ade der Finanzmarkt für den Wirtschaftsstandorteutschland ist. Man muss sich einmal die nüchternenahlen vergegenwärtigen, die den meisten nicht bekanntein dürften: In der Automobilbranche in Deutschlandrbeiten 1 Million Menschen. In der Finanzbrancheind 1,5 Millionen Menschen tätig. 4,6 Prozent des Brut-inlandsprodukts werden von der Finanzbranche erar-eitet, nur 3 Prozent von der Automobilbranche. Unab-ängig von der Tatsache, dass wir den Finanzmarktringend brauchen, um unsere Unternehmen, insbeson-ere die Mittelständler, durch die Finanzmärkte ordent-ch zu kapitalisieren, egal ob durch Versicherungen,anken oder Finanzdienstleister, werden eine ganzeenge Arbeitsplätze geschaffen.
Aber der Antrag, den Sie heute gestellt haben, gehtns Leere; das wissen Sie auch. So gut wie alles vonem, was Sie in diesem Antrag formuliert haben, hat dieundesregierung auf EU-Ebene bereits ausgehandelt.
ll diese Punkte sind bereits im Ecofin-Rat eingebrachtorden. Das, was Sie hier vorgelegt haben, ist ein weißerchimmel. Sie rennen mit Ihrem Antrag offene Türenin. Sie wissen: Nichts ist so alt wie die Zeitung von ges-ern. Nichts ist so alt wie der Antrag vom letzten Monat.
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Hubert UlrichÜbertroffen werden kann das nur noch von der Tran-funzeligkeit der FDP, die in den meisten Fragen völligabgetaucht ist. Herr Dr. Pinkwart, Sie könnten – das ha-ben Sie eben vergessen – dem Running Gag des Deut-schen Bundestages, Herrn Westerwelle, einen Aufbau-lehrgang in Sachen Finanzmarkt sponsern. Wenn er beimnächsten Mal in einem Container sitzt, kann er etwasNeues erzählen. Das wäre vielleicht ganz hilfreich.
Doch nun zur Sache.
Wie es der Kollege Pronold schon angedeutet hat,halten wir es für sinnvoll, diesen Antrag nicht strittig zubehandeln, sondern ihn im Finanzausschuss ernsthaft zuberaten.
Vielleicht können wir mit einem unterstützenden Antragdas, was die Bundesregierung auf diesem Feld an Erfol-gen erzielt hat, deutlich machen. Ich muss es noch ein-mal erwähnen: Diese gesamte Debatte wird auf europäi-scher Ebene sehr strittig geführt. Es gibt die Südschieneund die angelsächsische Schiene. Von dieser Seite wurdemit aller Kraft versucht, das zu verhindern, was ansons-ten auf EU-Ebene mittlerweile Konsens ist. Angesichtsdessen kann es sinnvoll sein, dass das Parlament erklärt:Die Bundesregierung hat in diesem Bereich richtige undgute Arbeit geleistet; wir unterstützen sie in diesem oderjenem Punkt. – Insofern macht es Sinn, darüber im Aus-schuss zu reden.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Georg Fahrenschon, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Lieber Herr Kollege Pronold, wenn Ihnen zudiesem Thema nichts Besseres als der Vergleich mit demWaldschadensbericht einfällt, werden Sie beiden The-men aus zwei Gründen nicht gerecht: Erstens. Der Wald-zustandsbericht ist nicht so überzeugend, dass man da-mit gute Witze machen kann. Zweitens – das müsstenSie gerade als Vertreter der jungen Generation eigentlichanerkennen –: Mit der Fragestellung, wie wir Wertpa-pierdienstleistungen und damit Investment- und Anlage-kultur in Deutschland behandeln, debattieren wir einenwesentlichen Punkt, der für die junge Generation hin-sichtlich der Sicherung ihrer Altersbezüge von wesentli-cher Bedeutung ist.
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Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel nennen. Wennie die Zeit gehabt hätten, was offensichtlich nicht derall war, hätten Sie sich mit der Beschlusslage auseinan-er setzen können. So fordert zum Beispiel das Europäi-che Parlament, dass systematische Internalisierer, alsoiejenigen Banken, die eigene Systeme aufbauen, umörsenhandel und börsenähnlichen Handel zu treiben,ür Transaktionen in standardmäßigen Marktgrößeninen verbindlichen Geld- und Briefkurs offen legen.ie Vorstellung des Ecofin geht aber nur dahin, dass die-elben Eigenhändler nur Kursofferten, also nur Quotes,u veröffentlichen haben. Man muss genau lesen undich mit der Sache auseinander setzen. Dann kommt manu dem Ergebnis, dass das Europäische Parlament ver-indliche Handelspreise fordert, der Ecofin aber nur un-erbindliche Angebote fordern will.
as ist ein wesentlicher Unterschied. Damit müssen wirns auseinander setzen und müssen möglicherweise derundesregierung zum Schutz der Anleger und der Inves-oren mit auf den Weg geben: Wenn schon Transparenz,ann verbindliche Handelspreise.
Sie haben den Antrag und die weitere Debatte falscherstanden, wenn Sie glauben, wir wollten in diesemeilbereich einfach nur auf die Regierung schimpfen.ein, wir wollen so wie in vielen anderen Bereichen, die
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Georg Fahrenschonden Finanzplatz angehen, zusammenarbeiten. Ich nennedas Vierte Finanzmarktfördergesetz, das wir im Übrigengemeinsam hier im Hause in der letzten Legislaturpe-riode beschlossen haben und das nicht strittig war,
ich nenne das Investmentmodernisierungsgesetz, das unsmomentan im Finanzausschuss beschäftigt und das wirebenfalls, soweit es sich momentan abzeichnet, gemein-sam nach vorne bringen und verabschieden werden, undich nenne Basel II, das uns gemeinsam beschäftigt undworan wir gemeinsam arbeiten wollen.
Nur weil Sie nicht vorbereitet sind, zu sagen, wir wärenzu spät dran, ist zu kurz gesprungen und wird demThema nicht gerecht.
Wir müssen uns schon damit auseinander setzen, waswir in diesem Bereich noch Gutes tun können, und müs-sen uns fragen, ob wir an der einen oder anderen Stellenacharbeiten müssen.Ich will Ihnen ein weiteres konkretes Beispiel nennen,das uns beschäftigt. Die aktuelle Beschlusslage des Eco-fin-Rates geht auf eine Initiative Hollands zurück, diezum Ziel hat, dass den Internalisierern die Möglichkeitgegeben wird, quasi einen Mengenrabatt auf Handelsge-schäfte zu geben. Das führt dazu, dass jemand, der einenPreis annimmt, gegenüber seinem Händler einen Men-genrabatt vereinbaren kann, bevor er abschließt. Esklingt im normalen Wirtschaftsleben ganz interessant,wenn man für einen großen Kauf einen Mengenrabatthaben will. Gerade in Bezug auf Börsenpreise und Bör-senpreisfeststellungen ist aber die Tatsache, dass nachdem Abschluss noch ein Mengenrabatt gegeben wird,eine Preisverfehlung, die der anderen Öffentlichkeitnicht mitgeteilt wird und deshalb den Preis verzerrt. Das,lieber Herr Kollege Pronold, können wir meines Erach-tens nicht durchgehen lassen. Es ist unsere Aufgabe alsdeutsches Parlament, einzuschreiten und die Bundesre-gierung mit einer anderen Position auszurüsten, um denBörsenplatz Deutschland zu stärken.
Ich möchte Ihnen zum Schluss noch ein Wort des„Börsenpapstes“ André Kostolany mit auf den Weg ge-ben. Er hat gesagt, dass in den 20er-Jahren in New Yorkan jeder Straßenecke aus Kaffeehäusern Banken ge-macht wurden. Normale Finanzmarktarbeit sei erst dannwieder zu machen, wenn aus den Banken, die vorherKaffeehäuser gewesen seien, wieder Kaffeehäuser wür-den.Vor diesem Hintergrund freuen wir uns auf die De-batte mit Ihnen und wollen erneut zum Ausdruck brin-gen, dass wir durchaus in der Lage sind, unseren Antragden Entwicklungen auf europäischer Ebene anzuglei-chen und gemeinsam auf eine gute Wertpapierdienstleis-tungsrichtlinie in Europa hinzuarbeiten.Herzlichen Dank.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Derundesrat hat am 11. Juli 2003 den Entwurf eines Sieb-en Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengeset-es beschlossen und dem Bundestag zugeleitet. Dabeiandelt es sich um eine Initiative aller 16 Bundeslän-er.
Das Ziel ist die Verstärkung der Auswahl der Studie-enden durch die Hochschulen – primär die Universi-äten – in Studiengängen mit bundesweitem Bewerber-berhang, bei denen bisher die Zuweisung dertudierenden an die Hochschulen über die ZVS erfolgte.Warum sind wir – also alle 16 Bundesländer – fürine verstärkte Auswahl der Studierenden durch dieochschulen? In der Lehre – gerade in der universitärenehre – muss die Verantwortlichkeit der Hochschulenür die Studierenden gestärkt werden. Notwendig istuch eine bessere Betreuung bzw. eine bessere Betreu-ngsmentalität. Dies beginnt für die Hochschulen miter Auswahl ihrer Studierenden.
Gerade in unseren Universitäten sind die Abbrecher-uoten viel zu hoch. Diese Quoten zeigen, dass es zuiele Studierende gibt, die entweder für die entsprechen-en Studiengänge nicht motiviert oder nicht dafür geeig-et sind. Es zeigt sich, dass das Abitur als alleiniges Pro-noseinstrument für ein erfolgreiches Studium nichtusreicht.
Die Unterschiedlichkeit der schulischen Qualifika-ionen und die immer stärkere Ausdifferenzierung der
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Minister Dr. Peter Frankenberg
Studiengänge machen es notwendig, die Passgenauigkeitzwischen der Befähigung der Studierenden und dem An-gebot der Hochschulen zu verbessern. Das Abitur bleibtin unserem Gesetzentwurf ein wesentliches Kriterium.Es geht aber nicht nur um die Studierfähigkeit, sondernauch um die Berufsfähigkeit.Durch den Numerus clausus ist eine Mentalität derpermanenten Notenverbesserung an unseren Schulenentstanden. Aber man muss sich doch fragen, ob einAbiturient, der das Abitur mit 1,0 bestanden hat, schondamit für das Medizinstudium geeignet ist. Es mag zwarsein, dass er das Studium gut bewältigt, aber wird erdann auch ein guter Arzt? Das kann eben nicht alleinüber das Abitur festgestellt werden.
Für die Studierenden bedeutet die verstärkte Selbst-auswahl der Hochschulen, dass sie sich in ihrem Stu-dienwunsch und in ihrer Qualifikation noch einmal sel-ber überprüfen können. Wir, die Länder, legen zweiModelle vor. Wir haben sie aufeinander abgestimmt; siesind zeitlich getaktet. Den Studierenden wird kein Nach-teil daraus entstehen, dass es zwei Modelle gibt.Das eine Modell ist mit dem Namen Baden-Württem-berg verbunden: Vorab vergeben die Hochschulen50 Prozent der Studienplätze an Studierende, die sieselbst auswählen. Weitere 25 Prozent der Studienplätzewerden an die Abiturbesten vergeben. Die übrigen25 Prozent werden nach den bisherigen ZVS-Kriterienvergeben.Das so genannte Nordrhein-Westfalen-Modell be-ginnt mit 25 Prozent der Studienplätze, die an die Abi-turbesten vergeben werden. Dann folgt die 25-prozentigeSelbstauswahl durch die Hochschulen. Die übrigen50 Prozent werden durch die ZVS vergeben.Warum sollen in Deutschland nicht unterschiedlicheVerfahren, die aufeinander abgestimmt sind, zugelassenwerden? Nach fünf Jahren könnte evaluiert werden, wel-ches Instrument wie gewirkt hat.Die Kultusministerkonferenz hat sich in diesem Punktals funktionsfähig erwiesen. Wir haben uns in einem ein-stimmigen Beschluss auf diese beiden Modelle geeinigt.Die Umsetzung dieses Vorhabens wäre ein großer Schrittvorwärts für die Autonomie der Hochschulen und dieVerbesserung der Lehrsituation an unseren Hochschu-len.
– Sie sagen es, Herr Rachel. Ich wollte gerade zu denKritikpunkten der Bundesregierung kommen. Es scheintfast, dass wir uns abgestimmt haben.
– Richtig, das ist reiner Zufall.Die Bundesregierung behauptet unter anderem, dieQuote sei zu gering. Aber eine 50-prozentige Auswahl-quote ist im Vergleich zu der bisher nicht existierendenvDmdtdEwamtraSbgecPelsgzWldgdjmlwdddDvgizsDh1iuHsb
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Christoph Matschie.
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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Die Initiative des Bundesrates zur Ausweitung der Aus-wahlrechte der Hochschulen begrüßen wir in ihrerZielstellung.
Ich glaube, dass das sinnvoll ist. Die Hochschulen for-dern dies übrigens schon seit Jahren. Der Bundesgesetz-geber hat schon in der vierten Novelle zum HRG von1998 erstmalig Auswahlrechte eingeräumt. Allerdingsmüssen wir uns auch mit der Frage beschäftigen, HerrKollege Frankenberg, warum die Hochschulen bishernur in Ausnahmefällen von ihren Rechten Gebrauch ma-chen. Ich werde auf diese paradoxe Situation gleich nochzurückkommen.Welchem Zweck soll das Auswahlrecht der Hoch-schulen beim Zugang dienen? Wir sind der Meinung,dass es uns um die Steigerung der Leistungsfähigkeitdes deutschen Hochschulsystems und insbesondere umden Wettbewerb der Hochschulen gehen muss, der da-bei unverzichtbar ist. Dazu gehört die Profilbildung inder Forschung, aber auch in der Lehre. Im Bereich derLehre sind die bundesweit geltenden Rahmenprüfungs-ordnungen aufgegeben worden. Es gibt nun eine Akkre-ditierung der Studiengänge, die Profilbildung ermög-licht und die sehr viel differenzierter die Situation derjeweiligen Hochschule sowie die Zielstellungen wider-spiegeln kann. Damit – das sehen wir ganz genauso –kommt natürlich auch der Auswahl des Hochschulstand-orts eine größere Bedeutung als bisher zu.Wettbewerb im Bereich der Lehre bedeutet aber nichtnur Profilbildung bei den Angeboten, sondern auchWettbewerb der Hochschulen um möglichst leistungs-starke Studienbewerber. Auch dieser Wettbewerb mussmöglich sein.Die KMK hat sich im März auf Eckpunkte verstän-digt. Aus diesen Eckpunkten ist ein Gesetzentwurf ge-worden, der jetzt vorgelegt worden ist. Ich bedaure aus-drücklich, dass der Bund bei der Erarbeitung derEckpunkte und des Gesetzentwurfs nicht einbezogenworden ist.
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Auch wenn wir uns im Ziel der Neugestaltung desochschulzugangs einig sind, hat sich die Bundesregie-ung gegen den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fas-ung ausgesprochen. Ich will Ihnen auch sagen, warum.ir sind der Überzeugung, dass die Verfahren, die Sieewählt haben, nicht wirklich praktikabel sind. Dafüröchte ich einige Gründe nennen:Erstens. Sie haben die Abbrecherquoten angeführt.enn man das Problem der Abbrecherquoten angehenill, dann muss man, glaube ich, die gesamte Studien-ingangsphase in den Blick nehmen. Dazu gehört dieulassung. Dazu gehört aber mehr. Dazu gehört die Aus-estaltung der Eingangsphase, beispielsweise mit ver-esserten Studienbedingungen und verbesserter Studien-eratung.
Wenn wir über eine verbesserte Eingangsphase undber die Auswahl reden, dann sollten wir nicht nur überie zulassungsbeschränkten Studiengänge reden. Viel-ehr – davon bin ich überzeugt – müssen wir über alletudiengänge reden, wenn wir über den Hochschulzu-ang und die Auswahl von Studienanfängern reden.
Der Wissenschaftsrat – das ist schon erwähnt wor-en – erarbeitet zurzeit Empfehlungen für eine umfas-ende Neuordnung des Hochschulzugangs. Ich kanneim besten Willen nicht verstehen, warum Sie nicht be-eit sind – Sie haben es auch heute nicht erklärenönnen –, diese Empfehlungen des Wissenschaftsrats,ie Anfang kommenden Jahres vorliegen werden, abzu-arten. Warum können wir nicht gemeinsam auf der Ba-is der Empfehlungen des Wissenschaftsrats an dieseufgabe herangehen und eine vernünftige Eingangs-hase für das Studium gestalten?
Herr Rachel, weil Sie so dazwischenrufen, sage ich Ih-en: Die Länder sind an dieser Arbeit des Wissen-chaftsrats beteiligt. Trotzdem legen sie einen eigenenntwurf vor, bevor der Wissenschaftsrat seine Arbeit be-ndet hat.
ch finde das zumindest nicht logisch.Zweitens. Die Hochschulen haben sich bei dem bishe-igen Verfahren darüber beklagt, dass Bewerber, die vonhnen im Auswahlverfahren abgelehnt wurden, im wei-
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Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 69. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Oktober 2003 5979
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Parl. Staatssekretär Christoph Matschieteren Zulassungsverfahren plötzlich doch in der Hoch-schule ankommen.
Das Modell, das Sie uns präsentiert haben, hilft an dieserStelle überhaupt nicht weiter; im Gegenteil: Es wirddazu führen, dass die eine Hälfte ausgewählt und die an-dere Hälfte wieder nach dem üblichen Zulassungsver-fahren zugeordnet wird. Damit sind die, die abgelehntworden sind, in aller Regel trotzdem in der Hochschule.Dann fragt sich jede Hochschule: Warum mache ichüberhaupt ein Auswahlverfahren, wenn ich am Ende dieStudenten, die ich abgelehnt habe, doch in der Hoch-schule habe?Drittens. Ein erleichtertes Auswahlrecht – die Hoch-schulen nehmen das Auswahlrecht bisher nicht wahr,weil es für sie zu kompliziert ist – setzt praktikableAuswahlverfahren voraus. Dazu sagt Ihr Gesetzentwurfüberhaupt nichts. Auch das bedauere ich sehr. Damitwird an dem Problem, das die Hochschulen jetzt haben,nichts geändert.Im Übrigen ist ein Vorziehen des Bewerbungsschlus-ses zur Problemlösung allein nicht ausreichend. Diemeisten Bewerber verfügen zu dem Zeitpunkt noch nichtüber das Ergebnis der Abiturprüfung.Viertens. Der Verzicht auf Regelung der Kriterienfür die Auswahl ist aus meiner Sicht auch verfassungs-rechtlich problematisch; denn er führt zu 16 unterschied-lichen Auswahlregelungen in den 16 Ländern, die für dieBewerber eigentlich kaum noch überschaubar sind. Wirwollen aber einen überschaubaren und klar definierbarenZugangsweg. Den können Sie mit Ihrem Modell nichtanbieten.Ich komme zum Schluss. Die Bundesregierung wirdsich dafür einsetzen, dass wir möglichst schnell zu einerdurchdachten Neugestaltung des Hochschulzugangskommen.
Für mich sind dafür drei Bedingungen ausschlaggebend:Das Auswahlverfahren muss gerecht sein. Es muss fürdie Hochschulen praktikabel und es muss für die Bewer-ber leicht durchschaubar sein.Ich glaube, dass wir auf der Grundlage der Empfeh-lung des Wissenschaftsrates zu einem entsprechendenModell kommen können. Ich fordere Sie noch einmalauf: Versuchen Sie, ein solches Modell mit uns gemein-sam zu entwickeln! Die Hochschulen werden es uns dan-ken.
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Hartmann,
FDP-Fraktion.
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Wir müssen die Nachfragemacht der Studentinnennd Studenten und die Verantwortung der Hochschulentärken; denn wenn Studierende wirklich entscheidenönnen, an welcher Hochschule sie studieren, dann be-ommen wir, was wir brauchen: einen Wettbewerb derochschulen um möglichst qualifizierte Studierende.Nur wenn das Hochschulrahmengesetz grundsätzlicheformiert wird, können sich die Hochschulen wirklichhne bürokratische Regelungsdichte entfalten. Wir brau-hen – auch zur Finanzierung der Hochschulen – Markt-echanismen. Wir sind für eine Verschiebung der Kom-etenz, aber nicht hin zu den Bürokratien der Länder,ondern hin zu den Hochschulen.
Wer zu einer wettbewerbsfähigen Hochschul-andschaft wirklich Ja sagt, der muss den Schritt zur
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Christoph Hartmann
autonomen Verantwortung der Hochschulen gehen. Die-ser Gesetzentwurf ist ein – wenn auch nur kleiner –Schritt in die richtige Richtung; deswegen ist er zu unter-stützen.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Grietje Bettin,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Die Lage an den Hochschulen ist wirklichschlecht: Es fehlt an Personal; es fehlt eine vernünftigeQualitätssicherung; in Deutschland herrscht ein echterAkademikermangel; auch die Studienabbrecherquote inDeutschland ist enorm hoch.
Wir müssen unsere Politik – übrigens im Bund wie imLand – daran messen lassen, ob es uns gelingt, diese zu-kunftsgefährdenden Probleme, die wir alle, wie ichdenke, gleich einschätzen, gemeinsam zu lösen. Das istauch die Messlatte, die wir an das Hochschulrahmenge-setz anlegen müssen. Das gilt insbesondere für das Rechtder Hochschulen, einen Teil ihrer Studierendenschaftselbst auszuwählen. Ein solches Recht hat viele Vorteile:Die Hochschulen können so die geeignetsten Bewerbe-rinnen und Bewerber für ein Studienfach auswählen.Das sind nicht immer jene Schülerinnen und Schüler, diedie beste Abiturnote haben.Für ein solches Auswahlrecht müssen aus unsererSicht aber zwei Voraussetzungen erfüllt sein:Erstens. Das Auswahlrecht darf auf keinen Fall Men-schen von einem Studium abschrecken oder abhalten.
Im Gegenteil: Wir wollen, dass mehr Menschen ein Fachstudieren, das ihren jeweiligen Begabungen entspricht.
So können wir die Abbrecherquote senken und das Ni-veau der Hochschulen insgesamt heben.Zweitens. Das Auswahlverfahren verlangt einen enor-men organisatorischen, zeitlichen und finanziellen Auf-wand, vor allem aber erfordert es fachliche Sorgfalt. Dasalles aber gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn durch dasAuswahlrecht Aufgaben von der ZVS an die deutschenHochschulen verlagert werden, müssen auch die finanzi-ellen Mittel entsprechend umgelegt werden. Eine Rege-lung bezüglich der Kompensation dieser Kosten fehltaber in dem Vorschlag des Bundesrates, den wir hierheute diskutieren. Im Gegenteil: Die zusätzlichen Kos-ten werden ausdrücklich den Unis und Fachhochschulenaufgedrückt.MgawFshasnBnSw2KaWrnrSHbztlrwnLz
it solchen unausgegorenen Konzepten führen Sie dieanze Idee des Auswahlrechts ad absurdum, gerade auchufgrund der großen Personalkrise an den Hochschulen.
Sollten die Vorschläge des Bundesrates Wirklichkeiterden, besteht die Gefahr, dass die Universitäten undHs bei der Auswahl ihrer Studenten auf Schmalspurlö-ungen setzen, um den Aufwand möglichst gering zualten. Die Hochschulen würden somit gezwungen, nuruf formale Gesichtspunkte wie etwa die Abiturnote zuetzen; das wurde ja schon angesprochen.
Bei der Auswahl der Studierendenschaft sollte aberur die tatsächliche Eignung der Bewerberinnen undewerber zählen. Die Eignung erwirbt man aber nichtur im Schulunterricht. Gerade Aktivitäten jenseits derchule führen häufig zu einem fundierten Berufs-unsch. Wenn eine Abiturientin mit dem Notenschnitt,6 schon lange begeistert als Sanitäterin beim Rotenreuz arbeitet, sollte sie eher Medizin studieren dürfenls ein Einser-Abiturient, der kein Blut sehen kann.
enn solche Kriterien nicht Inhalt eines Auswahlverfah-ens werden, dann brauchen wir die ganze Reform mei-er Meinung nach nicht.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein neues Auswahl-echt für Hochschulen sehen wir Grüne als weiterenchritt in Richtung Autonomie der Bildungsinstitutionochschule. Deshalb muss das Auswahlrecht ein Rechtleiben. Wenn, wie in Baden-Württemberg, dieses Rechtur Pflicht gemacht wird, dann bekommen wir Bürokra-ie statt Autonomie.
Wir Grüne wollen, dass die Fachbereiche selbst fest-egen, ob und nach welchen Kriterien die besten Studie-enden für ihre jeweiligen Studiengänge ausgewählterden sollen. Diese Kriterien müssen für Bewerberin-en und Bewerber offen einsehbar und überprüfbar sein.
andeskinder dürfen durch die Kriterien weder bevor-ugt noch benachteiligt werden und das Auswahlverfah-
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Grietje Bettinren muss für die Bewerberinnen und Bewerber kostenlossein.Ein Auswahlrecht kann aber nicht die einzige Maß-nahme bleiben. Wir brauchen
insbesondere schon in der Schule eine bessere Vorberei-tung auf die Studien- bzw. Berufswahl. Unser Bildungs-system muss auch für Begabte ohne Abitur durchlässigerwerden.
Warum soll der talentierte Krankenpfleger von seinerOberärztin nicht zum Auswahlverfahren für ein Medi-zinstudium vorgeschlagen werden können?
Es geht uns dabei nicht darum, das Abitur abzuwerten.Es muss seinen Status als allgemeine Studienberechti-gung beibehalten. Es muss uns darum gehen, die Bega-bungsreserven in Deutschland zu erschließen. DieÖffnung des Studiums für beruflich Qualifizierte isthierbei ein erster sehr wichtiger Schritt;
ein effektives Auswahlverfahren der Hochschulen einzweiter. Der Wissenschaftsrat wird hierzu Anfangnächsten Jahres ausführliche Vorschläge machen.
Erst danach sollten sich Bund und Länder zusammenset-zen, um gemeinsam die beste Lösung zu finden.Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die freie Auswahl der Studenten ist die dringlichsteHochschulreform in Deutschland.Das empfiehlt Gerhard Casper, emeritierter Präsident derStanford University. Casper wörtlich:Universitäten sollen selbst entscheiden, wen sie fürgeeignet halten.Doch in Deutschland herrscht bei den NC-Fächern bis-lang staatlicher Dirigismus. Nur die privaten Hochschu-len dürfen ihre Studierenden selbst aussuchen. Die öf-fentlichen Hochschulen hingegen haben einen viel zuengen Gestaltungsspielraum.SgDzddFrsngWfdgdRDfvvg2nSnSlsgWunDTE1H
eshalb muss die Verteilung von Studienplätzen in denulassungsbeschränkten Studiengängen durch die ZVSringend reformiert werden. Die Unionsfraktion begrüßtaher die Initiative der Kultusministerkonferenz unterührung von Baden-Württemberg, Bayern und Nord-hein-Westfalen, das Auswahlrecht sowohl der Hoch-chulen als auch das der bestqualifizierten Bewerberin-en und Bewerber zu stärken. Herr Matschie, SPD-eführte Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, Nordrhein-estfalen und sogar Mecklenburg-Vorpommern sind da-ür. Und Sie von der Bundesregierung? – Sie sitzen wie-er einmal im Bremserhäuschen und sind dagegen.
Sie lehnen diesen Vorschlag mit fadenscheinigen Ar-umenten ab. Für Sie gilt der Satz des ehemaligen Präsi-enten der Westdeutschen Rektorenkonferenz, Professoroellecke:Jede Organisation entscheidet über die Aufnahmeihrer Mitglieder. Davon gibt es zwei Ausnahmen:die Gefängnisse und die Universitäten.
iesen Zustand wollen Sie mit Ihrer Blockadehaltungortschreiben.
Die Bundesratsinitiative schlägt zwei sinnvolle Modelleor. Nach dem ersten Modell können die Hochschulenorab bis zu 50 Prozent der gesamten Studienplätze ver-eben. Nach dem zweiten Modell vergibt zuerst die ZVS5 Prozent der Studienplätze an die Abiturbesten. Da-ach vergeben die Hochschulen weitere 25 Prozent dertudienplätze. Ihnen geht das angeblich nicht weit ge-ug. Trotzdem machen Sie keinen eigenen Vorschlag.ie wollen in Wirklichkeit die Veränderungen auf dieange Bank schieben. Wir wollen aber jetzt weg vomtaatlichen Dirigismus und hin zu einem individuell an-elegten Auswahlverfahren.
ir wissen dabei die Hochschulrektorenkonferenz annserer Seite; denn sie fordert, „dass die Neuregelungicht unnötig verzögert wird“.
a sollte es in Ihren Ohren klingeln.Von Ihnen, Herr Tauss, kommen in diesen Tagen nuriefschläge für den Hochschulstandort Deutschland.rst kürzen Sie die Mittel für den Hochschulbau um35 Millionen Euro, sodass es im nächsten Jahr keinenochschulneubau in Deutschland geben wird. Seit
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Thomas RachelSonntag setzen Sie dem Ganzen noch die Krone auf, in-dem Sie die Studienzeiten nicht mehr als Beitragszeitenfür die Rente mehr anerkennen wollen. Das ist ein Skan-dal und ein Tiefschlag für die Studierenden in Deutsch-land.
Sie bestrafen gerade diejenigen, die mit persönlichemEinsatz in ihre Qualifikation investieren.Heute haben Sie die Gelegenheit, Ihre Reformfähig-keit unter Beweis zu stellen. Nutzen Sie diese Chance!Die Initiative des Bundesrates ist ausgewogen. Sie be-rücksichtigt die Interessen der Studierenden wie die derHochschulen. Auch die SPD-geführten Länder wollendas und geben Rückenwind. Warum wollen Sie da nichtmitmachen?Der jetzt erzielte Kompromiss ist ein wichtiger Schrittnach vorne. Denn alle Erfahrungen zeigen, dass Studen-ten besser motiviert sind, wenn sie sich ihren Studien-platz selbst aussuchen können und nicht von der ZVSgegängelt werden.
Was ist besser für Universitäten und Fachhochschulenals motivierte Studierende? Motivierte Studenten heißtauch weniger Studienabbrecher.Die Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen isteine zentrale Voraussetzung für ein wettbewerbliches undinternational konkurrenzfähiges Hochschulsystem. Somachen wir die deutschen Hochschulen stark im Wettbe-werb um die besten Köpfe und diesen müssen wir ange-hen.
Durch die Zuweisung an eine Hochschule durch dieZVS wird den Studenten heute eine Entscheidung überdie Einschreibung praktisch genommen. Das ist plan-wirtschaftliche Zuteilung, die wir beenden wollen. Da-für wird die ZVS ihr Profil ändern müssen. In Zukunftsollte sie sich als Serviceeinrichtung der Universitätengerade bei Mehrfachbewerbungen engagieren. Es mussdamit Schluss sein, dass überbesetzte Ministerialverwal-tungen die Hochschulen „mithilfe von Kaskaden vonVerordnungen und Verwaltungsvorschriften wie nachge-ordnete Behörden behandeln“. So Klaus Landfried beiseiner Verabschiedung als Präsident der Hochschulrekto-renkonferenz.Geben Sie den Hochschulen deshalb die Chance zurProfilbildung und zur Qualitätssteigerung durch Wettbe-werb! Wenn Sie schon nicht selbst die Initiative ergriffenhaben, dann geben Sie den Hochschulen wenigstens mitder Initiative des Bundesrates mehr Freiheit! Machen Sieendlich Ernst mit der Stärkung des deutschen Hochschul-standortes! Stimmen Sie der Bundesratsinitiative zu!Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.BIWgElZHlrAmgzlabndÜUlnsMZNucZeBncrsd2eW
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!m wahren Leben habe ich häufiger einmal das letzteort, im Parlament heute zum ersten Mal; das ist auchanz schön.Es ist schon erstaunlich, welche Schwierigkeiten beintscheidungen auftreten können, bei denen doch letzt-ich alle – das unterstelle ich jetzt einmal – dieselbeniele haben: Bund, Länder und Hochschulen wollen denochschulstandort Deutschland voranbringen. Alle wol-en, dass die Zulassung zum Hochschulstudium neu ge-egelt wird.
lle sind sich einig, dass die Hochschulen mehr Autono-ie brauchen, um institutionell gestärkt zu werden, ei-ene Profile zu entwickeln und im Wettbewerb bestehenu können. Alle wollen – folgerichtig –, dass Hochschu-en in der Lage sind, einen Teil ihrer Studenten selbstuszusuchen. Darüber hinaus wollen alle, dass es denestqualifizierten Bewerbern und Bewerberinnen um ei-en Studienplatz ermöglicht wird, den gewünschten Stu-iengang und die gewünschte Hochschule auszuwählen.ber die angestrebten Ziele besteht also keineneinigkeit – über den Weg dorthin schon.Der Bundesrat hat nun einen Gesetzentwurf vorge-egt, mit dem die Vergaberegeln für bundesweit mit ei-em Numerus clausus belegte Studiengänge – nur aufolche bezieht er sich – neu geregelt werden sollen. Derinimalkonsens, den die Länder gefunden haben, lautet:wei Modelle stehen zur Auswahl – das so genannteRW-Modell und das Baden-Württemberger Modell –nd jedes Land soll nun selbst entscheiden können, wel-hes Modell es einführen will.Das ist wahrlich keine überzeugende Lösung. In einereit, in der unsere Bemühungen auf einen einheitlichenuropäischen Hochschulraum abzielen – Stichwortologna-Prozess –, schaffen wir es noch nicht einmal in-erhalb Deutschlands, in dieser Frage zu einer einheitli-hen Lösung zu kommen.
Abgesehen davon ist es das erklärte Ziel des Bundes-ates, dass über den Gesetzentwurf auch noch ganzchnell und endgültig entschieden wird, damit der Startes neuen Zulassungssystems mit dem Wintersemester004/2005 erfolgen kann.Ist dieses Ziel aber realistisch zu erreichen? Wie siehts mit der konkreten Umsetzbarkeit aus? Das Baden-ürttemberger Modell – es wurde gerade schon vorge-
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Ute Bergstellt – sieht vor, dass die Hobundesweit mit einem NC beStudenten selbst aussuchen köAnteil bei 24 Prozent.
– Herr Rachel, Sie reden gerne – das weiß ich –, aber Siereden zu laut. Sie können gerne eine Zwischenfrage stel-len, wenn Sie möchten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zumBundesrat strebt die Bundesregierung transparente bun-desweite Regelungen an, die den Hochschulzugang fürsämtliche Bewerberinnen und Bewerber und in allenStudiengängen regeln.
– Nein, es gibt noch keinen Vorschlag, weil wir nämlichauf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates warten.Das ist auch sehr sinnvoll.
Der Wissenschaftsrat wird sich voraussichtlich imJanuar 2004 umfassend zur Frage des Hochschulzugangsäußern. Er arbeitet zurzeit – wie Sie wissen – entspre-chende Empfehlungen aus, damit angehende Studentenden für sie geeigneten Studiengang wählen und – das istwohl das Hauptziel – erfolgreich absolvieren können.Die Vorbereitung auf die Berufswahl schon durch dieSchulen, die Verbesserung der Studierfähigkeit – auchder Herr Minister hat eben darauf hingewiesen –, die Zu-lassung zum „richtigen“ Studiengang und eine verbes-serte Studieneingangsphase können eben nicht isoliertbetrachtet werden, sondern gehören in einen Gesamtzu-WsshatfEHs–edslfaasod9Berichtig67. Sitzung , Seite 579ist der zuletzt aufgelistete Nachen.
arum sollen wir uns über die Empfehlungen des Wis-enschaftsrates, eines wirklich hochkarätigen und all-eits anerkannten Expertengremiums, einfach ignorantinwegsetzen?Meine Fraktion jedenfalls plädiert dafür, dieses Gut-chten abzuwarten und zu prüfen. Dann allerdings soll-en sich der Bund und die Länder in einem zügigen Ver-ahren zu gemeinsamen Lösungen durchringen.
s darf keine Hängepartie geben; da bin ich mit Ihnen,err Rachel, einer Meinung. Denn das würde die Hoch-chulen und die Studierenden zu Recht frustrieren.
Herr Hartmann, sehr richtig: Deshalb warten wir aufine fundierte Grundlage.
Meine Aufforderung an die Bundesregierung und anie Länder nach der Vorlage der Empfehlungen des Wis-enschaftsrates, also mit dieser fundierten Grundlage,autet: Es gibt viel zu tun. Packt es unverzüglich an!
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
es auf Drucksache 15/1498 an die in der Tagesordnung
ufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
nderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf morgen, Freitag, den 24. Oktober 2003,
Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.