Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet.Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Handwerkstatistikgesetzes auf Drucksache 11/4801 zu erweitern. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.Ich rufe diesen Tagesordnungspunkt nun auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Statistiken im Handwerk
— Drucksache 11/4801 —
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Vorlage zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Mitberatung an den Innenausschuß sowie zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? — Dann ist die Überweisung so beschlossen.Der Ältestenrat hat vereinbart, daß am Freitag, dem 1. September 1989, und wegen der Haushaltsberatungen in der Sitzungswoche ab 4. September keine Fragestunden und keine Aktuellen Stunden durchgeführt werden sollen. Sind Sie auch damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist dies so beschlossen.Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 13 und 14 auf:25. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen— Drucksache 11/4610 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft RechtsausschußAusschuß für Verkehrb) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Pfuhl, Stiegler, Dr. Hauchler, Dr. Gautier, Jung , Dr. Martiny, Dr. Ehrenberg, Meyer, Dr. Mitzscherling,Müller , Reuschenbach,Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sperling, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDStärkung des Wettbewerbs und Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht
— Drucksache 11/2017 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft RechtsausschußFinanzausschußc) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNENDemokratisierung der Wirtschaft und Erhalt der Lebensgrundlagen: Zur 5. GWB Novelle— Drucksache 11/4069 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
FinanzausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitd) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1985/1986 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet
— Drucksache 11/554 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschafte) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungSechstes Hauptgutachten der Monopolkommission 1984/85hier: Stellungnahme der Bundesregierung— Drucksache 11/555 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaftf) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Saibold, Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNEN
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11558 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
Präsidentin Dr. SüssmuthDemokratisierung der Wirtschaft und Erhalt der Lebensgrundlagen: Zur Wettbewerbspolitik der Europäischen Gemeinschaft— Drucksache 11/4070 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger AusschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheitg) Beratung des Antrags der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Dr. Gautier, Dr. Ehrenberg, Dr. Hauchler, Jung , Meyer, Müller (Pleisweiler), Reuschenbach, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Sperling, Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDFür eine funktionsfähige europäische Wettbewerbsordnung— Drucksache 11/4378 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußRechtsausschußh) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentEntschließung zum 16. Bericht der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über die Wettbewerbspolitik— Drucksache 11/1677 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußAusschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschußi) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische ParlamentLegislative Entschließung mit der Stellungnahme des Europäischen Parlaments zu dem geänderten Vorschlag der Kommission an den Rat für eine Verordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen— Drucksache 11/3407 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft RechtsausschußAusschuß für Arbeit und SozialordnungZP13 Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht des Bundeskartellamtes über seine Tätigkeit in den Jahren 1987/1988 sowie über die Lage und Entwicklung auf seinem Aufgabengebiet
— Drucksache 11/4611 —Überweisungsvorschlag :Ausschuß für WirtschaftZP14 Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungSiebtes Hauptgutachten der Monopolkommission 1986/87hier: Stellungnahme der Bundesregierung — Drucksache 11/4804 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für WirtschaftMeine Damen und Herren, im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vereinbart worden. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Wissmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute mit der Änderung des Kartellrechts eine Änderung des Grundgesetzes unserer Marktwirtschaft und müssen uns daher darüber im klaren sein, daß es hier um Korrekturen geht, die nicht die Grundkoordinaten dieses Gesetzes in Frage stellen, sondern eine notwendige Weiterentwicklung dieses Gesetzes ermöglichen; eine Weiterentwicklung, wenn es um die Auseinandersetzung mit den zum Teil dramatischen Konzentrationsentwicklungen im Handel, insbesondere im Lebensmittelhandel, geht, eine Weiterentwicklung, wenn es um die Vorbereitung verschiedener Wirtschaftszweige auf den europäischen Binnenmarkt und darum geht, Privilegien, die das deutsche Kartellrecht noch für die Versorgungswirtschaft, für die Bank- und Versicherungswirtschaft bereithält, durch eine Änderung in den sogenannten Ausnahmebereichen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, §§ 102ff., in Zukunft zu vermindern oder ganz zu beseitigen.Meine Damen und Herren, Wettbewerbsschutz bedeutet Freiheitssicherung, denn Wettbewerb ist nicht nur ein Instrument zur Erzielung guter ökonomischer Ergebnisse. Markt und Wettbewerb haben auch eine politische Dimension. Ein wirksamer Wettbewerb ist die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft. Er ermöglicht ein reichhaltiges Angebot an Waren und Dienstleistungen und damit eine bestmögliche Versorgung der Bevölkerung. Er führt zu einer dezentralen Steuerung der Märkte, soll einer Zusammenballung der Macht in der Hand weniger entgegenwirken und verhindert die Auswirkungen unternehmerischer Fehlentscheidungen. Es sollte daher, meine ich, keinem Zweifel unterliegen, und zwar in allen Fraktionen dieses Hauses, daß bei einer Vermachtung der Märkte durch Kartelle oder durch Konzentrationen und ohne eine Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen unsere pluralistische politische Ordnung Schaden nehmen würde.Aus dieser Überzeugung heraus hat Ludwig Erhard 1957 mit der CDU/CSU und der FDP das Kartellgesetz geschaffen, das den Wettbewerb gegen Beschränkungen schützt und das heute noch bei all seinen Problemen das wirksamste Wettbewerbsschutzgesetz in Europa ist.Wir, die Union, wollen zusammen mit der FDP durch die jetzige Kartellgesetznovelle dazu beitragen, den Wettbewerb zu sichern. Wir wissen, daß wir dies nur können, wenn wir bereit sind, das Wettbe-
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Wissmannwerbsrecht weiterzuentwickeln und auf neue Herausforderungen einzustellen. Denn es gibt keinen Zweifel — der Tätigkeitsbericht des Kartellamts, der in den letzten Wochen veröffentlicht wurde, bestätigt dies —, daß insbesondere im Handel die Zahl der Wettbewerbsstörungen in den vergangenen Jahren in einem erheblichen, zum Teil sogar in einem dramatischen Maße zugenommen hat.Der Tätigkeitsbericht des Kartellamts weist darauf hin, daß der Konzentrationsprozeß im Handel auch im Berichtszeitraum 1987/88 erneut erheblich zugenommen hat. Bei 550 Übernahmen von Handelsunternehmen — so schreibt dieser Tätigkeitsbericht — betrafen 94 Zusammenschlüsse mit einem Umsatz von 28 Milliarden DM allein den deutschen Lebensmittelhandel. Ein bedeutender deutscher Wettbewerbsrechtler hat die Wettbewerbspraktiken, die u. a. mit zu diesem Konzentrationsprozeß führen, einmal als ein „Super-Chicago" bezeichnet. Professor Kartte, der Präsident des Bundeskartellamts, hat vor einiger Zeit darauf hingewiesen, daß es, wie er sagte, in der Konzentration des Lebensmittelhandels längst nicht mehr um „Tante Emma" geht. Vielmehr sagt er — ich zitiere — : „Zur Zeit wird die Mitte im Handel abgeräumt. "
Meine Damen und Herren, in einer solchen Situation können verantwortliche Wirtschaftspolitiker nicht einfach zuschauen, sondern sie müssen dafür sorgen, daß Mißbrauchspraktiken, die einen solchen Konzentrationsprozeß verstärken und begünstigen, wirksamer im GWB konterkariert werden.Es geht nicht darum, einen Schutzzaun um den Mittelstand aufzubauen, es geht nicht darum, strukturkonservierend im Wettbewerbsrecht zu wirken, sondern es geht darum, mit den Mitteln des Kartellrechts, den Mitteln der Fusionskontrolle und den Mitteln der Begrenzung unbilliger Behinderungen stärker als bisher dem Mißbrauch der Nachfragemacht und dem Catch-as-catch-can in Teilen des deutschen Handels wirksamer als bisher zu begegnen.
Deswegen haben wir diese Novelle mit erarbeitet, und deswegen hat die Bundesregierung den Entwurf vorgelegt.Ich will nur zwei Beispiele nennen, um auch einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen, wie sich zum Teil die Wettbewerbsmethoden im Handel, vor allem im Lebensmittelhandel, darstellen:Da wird beispielsweise ein mittelständischer Hersteller von einem großen Handelsunternehmen kurzerhand, nachdem alles, was mit Rabatten und Preisen zu tun hat, schon verhandelt war, mit einer zusätzlichen Forderung nach 2 Millionen DM bar auf den Tisch, einem sogenannten Eintrittsgeld, konfrontiert,
nach dem Motto: Wer nicht zahlt, der darf nicht weiter liefern.Oder da fordert ein frisch „vermählter", d. h. ein durch Fusion noch größer gewordener Handelsriesedie Vertreter seiner Lieferanten zu einem gemeinsamen Treffen auf, wo diese dann — um im Bild zu bleiben — ihren „Hochzeitsrabatt" oder ihre „Morgengabe" von zwischen 1 To und 5 % des gemeinsam getätigten Umsatzes als „Eintrittsgeld" abzuliefern haben.Meine Damen und Herren, das hat nichts mehr mit fairem Leistungswettbewerb zu tun,
sondern hier geht es um Methoden, die jeder, der von marktwirtschaftlichen Strukturen unserer Wirtschaftsordnung überzeugt ist, nicht hinnehmen kann. Deswegen soll dieser Gesetzentwurf dort, wo Marktmacht leistungswidrig eingesetzt wird, dieser Tendenz mit wirksameren Mitteln begegnen. Wir wollen an mehreren Punkten ansetzen.Erstens. Zur wirksamen Eindämmung von Diskriminierungen und unbilligen Behinderungen werden wir den alten § 37 a Abs. 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen praktikabler ausgestalten. Wir werden ihn als Verbotstatbestand in § 26 GWB eingliedern und eröffnen damit die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Verfahrens. Oder anders und einfacher ausgedrückt: Derjenige, der sich unbillig behindert fühlt, oder sein Verband wird sich anders als im geltenden Recht in Zukunft mit den Mitteln der Zivilklage wehren können. Der Präsident des Bundeskartellamts sagt mit Recht: Allein die Androhung einer solchen Zivilklage wird manchen, der dazu tendiert, Marktmacht zu mißbrauchen, bei der Wahl seiner Methoden vorsichtiger machen. Die Vorfeldwirkung wird vermutlich größer sein als die Zahl von gerichtlichen Auseinandersetzungen. Ich meine, es ist besser, wir gehen auf dem Wege der zivilrechtlichen Klage vor, als daß wir alles den Behörden anlasten.
— Lieber Herr Kollege von der Sozialdemokratischen Partei, ich erinnere mich noch sehr gerne an eine Diskussion mit Ihrem wirtschaftspolitischem Sprecher, Herrn Roth, über dieses Thema. Da habe ich genauso wie hier diese Thesen vorgetragen und unseren Entwurf dargestellt. In dieser Diskussion hat Herr Roth mir gesagt, er finde die Ansätze der Union ausgezeichnet, die Union könne bei diesen Vorschlägen auf die Unterstützung der Sozialdemokraten rechnen. Insofern wäre ich an Ihrer Stelle vorsichtiger mit meiner Kritik. Ich höre gerne nachher von Herrn Jens, wie er sich denn zu den Einlassungen von Herrn Roth stellt.
Denn ich finde, daß ist kein Thema für parteipolitische Münze, sondern hier sollten eigentlich alle Parteien, die sich der Marktwirtschaft verpflichtet fühlen, sich zu gemeinsamem Handeln angespornt fühlen.
Meine Damen und Herren, die SPD ist aufgefordert, ihre Vorstellungen hier zu nennen.
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WissmannIch füge allerdings hinzu, Herr Bundeswirtschaftsminister: Die Union hält es für notwendig — das haben wir auch schon in den Gesprächen über die Novelle gesagt —, daß bei einem solchen zivilrechtlichen Verfahren gegen unbillige Behinderungen der Kläger in einem Zivilprozeß eine bessere Beweissituation bekommen kann als heute, oder anders ausgedrückt: daß wir noch zusätzliche Beweiserleichterungen im GWB schaffen, sofern es um Tatsachen geht, die im alleinigen Kenntnisbereich des Beklagten liegen. Ich weise darauf hin, daß die Bundesregierung sowohl beim Gesetz zur Bekämpfung der Produktpiraterie als auch beim Gesetzentwurf zum Thema Umwelthaftung ebenfalls eine solche Verbesserung der Klägerposition vorsieht. Ich bin sicher, wir werden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens eine verfassungsrechtlich einwandfreie Lösung zur Verbesserung der Position des Klägers finden.Ein weiterer Ansatzpunkt der Kartellgesetznovelle ist die Erfassung der Nachfragemacht großer Handelsunternehmen im Rahmen der Fusionskontrolle. Das Phänomen der Nachfragemacht ist bisher als Aspekt der Marktbeherrschung im Kartellgesetz nicht berücksichtigt. Wir wollen durch entsprechende Regelungen im Rahmen des § 22 Abs. 1 Nr. 2 im Kartellgesetz dafür sorgen, daß in Zukunft für die Frage „Was ist eigentlich Marktbeherrschung im GWB?" auch die Nachfragemacht eines großen Handelsunternehmens, das die Bedingungen dem kleinen oder mittleren Hersteller häufig praktisch diktieren kann, mit in die Betrachtung einbezogen wird, damit, wenn es um die Frage geht: „Wer darf in Zukunft noch fusionieren? Können die größten Zehn im Lebensmittelhandel wirklich noch fusionieren?", dieser Aspekt eine entscheidende Rolle spielen wird.Meine Damen und Herren, es geht ja nicht nur um den Lebensmittelhandel. Auch im Möbelbereich, auch im Bereich der Drogerien, auch im Bereich der Spielwaren, also in dem, was man neudeutsch „Nonfood", „Nichtlebensmittel", nennt, gibt es inzwischen einen ebenfalls rasanten Konzentrationsprozeß, der nicht nur ein Ergebnis von fairem Leistungswettbewerb ist, sondern der zum Teil auch mit leistungswidrigen Praktiken zu tun hat — Verdrängungswettbewerb, Herr Kollege Dollinger, wie wir immer wieder feststellen müssen.Dritter Punkt: Wir wollen eine der wichtigsten Waffen kleiner und mittlerer Unternehmen, sich gegen große zu behaupten, nämlich die Einkaufskooperationen, im Gesetzentwurf absichern. Wir wollen damit dafür sorgen, daß sich kleine und mittlere Unternehmen mit marktwirtschaftlichen Mitteln gegenüber großen behaupten können. Dazu enthält der Gesetzentwurf eine entsprechende Formulierung. Ich sage offen: Dieser Vorschlag ist im Grunde richtig, aber er muß noch praktikabler gestaltet werden. Ich bin insbesondere der Meinung, daß das Verfahren so unbürokratisch gestaltet werden muß, daß es nicht zu einer Belastung der Einkaufskooperationen oder der kleinen und mittleren Betriebe führt, sondern zu einer Stärkung. Beispielsweise sollte auf jedes Anmeldeverfahren verzichtet werden.Es geht in diesem Teilbereich also um die Vorbereitung auf den europäischen Markt, in einem Segment,das weitgehend noch von nationalem Wettbewerb bestimmt ist. Und es geht darum — wie ich eingangs sagte — , daß wir in den sogenannten Ausnahmebereichen zusätzlichen frischen Wind des Wettbewerbs ermöglichen, daß wir Kartellprivilegien der Banken, der Versicherungswirtschaft, der Versorgungswirtschaft vermindern oder ganz beseitigen.Auch da würde ich gerne einmal hören, was denn die SPD dazu sagt; denn sie hat diesen Punkt immer auf ihre Fahnen geschrieben. Sie spricht von Begrenzung der Bankenmacht. Wir schlagen nun konkret vor, wie Kartellprivilegien von Banken und Versicherungen vermindert werden können. Es wäre interessant zu hören, ob Sie aus Ihren rhetorischen Übungen jetzt mit uns gemeinsam gesetzgeberische Taten werden lassen.
Ich wäre froh, wenn Sie das heute deutlich machen könnten.Wir bitten das ganze Haus, diesen sorgfältig über nun fast zweieinhalb Jahre erarbeiteten Gesetzentwurf zu unterstützen und in den Beratungen der nächsten Monate dafür zu sorgen, daß wir in einzelnen Punkten noch Verbesserungen erreichen, aber auf jeden Fall sicherzustellen, daß der Gesetzentwurf am 1. Januar 1990 in Kraft treten kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Jens.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist natürlich eine sehr — wir sagen in Hamburg — dröge Materie, mit der wir es heute zu tun haben. Es ist nicht ganz leicht, das ein bißchen nett darzustellen, so daß es auch Außenstehende verstehen.Ich will Ihnen gleich sagen: Herr Wissmann hat aus meiner Sicht
so getan, als ob wir den kleinen und mittleren Unternehmen auf diese Art und Weise helfen würden. Ich sage, er hat falsche Hoffnungen geweckt;
denn unter dem Strich bringt der Gesetzentwurf im Wettbewerbskampf mit den Großen überhaupt nichts ein.
Wir werden deshalb auch diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung ablehnen.
Das ist allerdings neu; denn bisher haben wir die Novellierungen des GWB immer gemeinsam verabschiedet. Deshalb ist es so bedauerlich, daß Sie meinen, im Schnellschußverfahren kurz vor der Wahl
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Dr. Jensnoch einmal das GWB novellieren zu müssen, um sich ein Fleißkärtchen auszustellen.
Die Bürger werden das nicht akzeptieren. Sie werden diese Geschaftlhuberei sehr wohl erkennen.
Ich will zwei Vorbemerkungen machen. Ich will zunächst deutlich machen, daß es wirklich darauf ankommt — wie der Kollege Wissmann gesagt hat, und dafür sind wir ja auch —, kleinen und mittleren Unternehmen im Wettbewerbskampf Entlastung zu bringen. Das ist ganz furchtbar wichtig; denn wie die Erfahrung der letzten Jahre verstärkt gezeigt hat, sind es kleine und mittlere Unternehmen, die Arbeitsplätze geschaffen haben. Eine Untersuchung in den Vereinigten Staaten von Professor Adams zeigt, daß dort in den 500 größten Unternehmen seit 1975 nicht ein einziger Arbeitsplatz geschaffen wurde. Die 30 Millionen Arbeitsplätze wurden in kleinen und mittleren Unternehmen geschaffen. Diese Aussage aus den Vereinigten Staaten kann man im verkleinerten Ausmaß getrost auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen.
Deshalb muß man wissen: Es hat keinen Zweck, die Großkonzerne zu fördern. Wir müssen verstärkt eine Politik zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen betreiben.
Meine zweite Bemerkung! Auf diesem Felde sind Sie in der Theorie so ein bißchen schwach. Sie klagen zur Zeit über die Preisentwicklung — und wir auch. Es ist zu viel, was an Preisentwicklung geschieht. Den Preisanstieg stellen wir vor allem in bestimmten oligopolistisch verengten Märkten fest, insbesondere im industriellen Bereich, in dem Großunternehmen dominieren. Dort wenigstens ist es so, daß die Preise bei jeder Gelegenheit heraufgesetzt werden und niemals sinken. Selbst bei stabilen Lohnstückkosten, wie wir sie in der letzten Zeit auf Grund einer vernünftigen Politik der Gewerkschaften zu verzeichnen hatten,
gab es keine Preissenkungen, sondern nur Preiserhöhungen.
Hierzu muß man der Bundesbank einmal sagen: Geldmengenverknappung oder eine scharfe Geldmengenpolitik hilft gegen diese Preisentwicklung überhaupt nicht. Sie führt nur dazu, daß vorhandene Kapazitäten nicht genutzt werden.Auch deshalb meine ich: Wir müssen wirklich mehr für kleine und mittlere Unternehmen auch im industriellen Bereich tun, um den Wettbewerb zu beleben und um diese Quelle der Preissteigerung auszumerzen.
Aber es ist völlig falsch — ich bin noch immer bei meiner Vorbemerkung — , daß diese Bundesregierung eine Politik betrieben hat, die nachweisbar dafür gesorgt hat, daß Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen eingeschränkt wurden: Eigenkapitalhilfeprogramm, Lohnkostenzuschüsse für Forschung und Entwicklung, Beratungsförderung — alles haben Sie gekürzt. Gegeben haben Sie einigen wenigen Unternehmen, wie z. B. Siemens — denen wollen Sie demnächst etwas zur Produktion eines 64-Megabit-Chips geben — oder aber auch MBB, einem höchst zweifelhaften Unternehmen, zur Produktion von Hermes und Columbus. Dorthin fließt das Geld, und den Kleinen haben Sie es genommen — eine völlig verfehlte Politik! Das sollten Sie auch akzeptieren.
Ich will etwas zur Kartellgesetznovelle der Bundesregierung sagen.
Dies ist die 5. Novelle. Schauen wir uns doch einmal den § 5 c an! Dort geht es um die Absicherung von sogenannten Einkaufsvereinigungen. Am Anfang wollten die Einkaufsvereinigungen des Handels diese Novellierung. Dann ist eine Rechtsprechung im Falle Selex/Tania zustande gekommen, die sie voll befriedigt; jetzt wollen sie sie nicht mehr. Aber die Bundesregierung stellt sich mit Mannesmut hin: Wir werden dennoch den § Sc einführen! Sie redet öffentlich immer von Deregulierung und betreibt Regulierung. Das ist aus meiner Sicht ein ausgesprochener Unsinn. Streichen Sie also diesen § 5 c! Dann sind alle befriedigt, und Sie regulieren nicht, wo es überhaupt nicht notwendig ist.Besonders lustig — Herr Pinger spricht ja anschließend noch — ist aus meiner Sicht der § 26 Abs. 2. Ich habe grundsätzlich nichts gegen die Markenwarenindustrie; aber da geht es nur darum, der Markenwarenindustrie Hilfe zu gewähren. Sie hat viel geschrien. Sie sagen dazu: Das Diskriminierungsverbot wird eingeschränkt. Ich sage: Die Belief erungspflicht, die es zur Zeit nach § 26 Abs. 2 gibt, wird eingeengt. Und zwar will man in Zukunft nur noch kleine und mittlere Unternehmen beliefern lassen; Große sollen nicht beliefert werden. Man erzählt den Leuten im Handel, auf diese Art und Weise bekämen sie vielleicht von der Markenwarenindustrie etwas mehr. Das sind aber gerade die Marktstarken und zum Teil sogar Marktbeherrschenden — und die werden den Vorteil, den sie möglicherweise auf Grund Ihrer Gesetzesnovellierung erreichen, nicht freiwillig an die kleinen und mittleren Unternehmen weitergeben! Wer glaubt denn das? Das ist doch naiv! Das Ergebnis wird vielmehr sein: Die breiten Schichten, die Arbeitnehmer, werden bei Massa, bei Allkauf, bei Aldi, bei Asko usw. mehr für ihre Ware bezahlen, und die kleinen und mittleren Unternehmen, denen Sie etwas erzählen, haben überhaupt nichts von dieser Novellierung.Denken Sie bitte noch einmal darüber nach! Das sind nämlich die zwingenden Folgen dieses Novellierungsvorschlages zum § 26 Abs. 2.
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Dr. JensDenken Sie doch auch noch einmal darüber nach, warum wir diesen Absatz eingeführt haben: Mit Hilfe dieses Paragraphen haben wir erreicht, daß in bestimmten Situationen die freien Tankstellen von den Mineralölkonzernen beliefert werden mußten.
Wenn Sie den so ändern, wie Sie das vorhaben, wird diese Belieferungspflicht eingeschränkt, und möglicherweise, wenn die Situation wieder so ist, wird man viele freie Tankstellen kaputtmachen.
Dazu haben Sie dann die Hand gereicht.Denken Sie mal darüber nach: Mit diesem Paragraphen haben wir dafür gesorgt, daß auch öffentliche Unternehmen und daß auch öffentliche Verwaltungen unter Umständen gepackt werden können, wenn kleine Bauunternehmen diskriminiert wurden. Auch dieses wird jetzt mit Ihrer Hilfe eingeschränkt, und das kann doch nicht Sinn und Zweck dieser Novellierung sein.Selbst die Markenwarenindustrie sagt: Das reicht gar nicht aus, was Sie da vorhaben. Ich sage Ihnen: Tendenziell wird mit dieser Novellierung die Preisbindung der zweiten Hand gewissermaßen durch die Hintertür wieder eingeführt.
Das ergibt überhaupt keinen Sinn, und wer so etwas macht, muß sich nicht wundern, daß aus dem Bundesrat die Forderung kommt, dann auch bitte sehr die Preisempfehlung gänzlich zu beseitigen.
— § 26 Abs. 4 hat Roth unterstützt — davon haben Sie auch gesprochen; Sie werden das alles noch ein bißchen nachlesen können, Herr Wissmann — , denn das stammt von uns, das steht in unserem Antrag, den wir viel früher eingebracht haben als Sie Ihren Gesetzentwurf. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie bei uns etwas abschreiben. Wenn Sie die Politik der Opposition übernehmen, habe ich nichts dagegen. Deshalb werden wir der Sache in § 26 Abs. 4 selbstverständlich auch zustimmen.Nur eines will ich Ihnen sagen: Für uns kommt es überhaupt nicht in Frage, daß mit Hilfe dieses Paragraphen unter Umständen ein generelles Verbot des Verkaufs unter Einstandspreisen eingeführt wird. Das kann es in einer marktwirtschaftlichen Ordnung nicht geben.
Das kommt für uns nicht in Frage, weil so etwas die Grundfesten einer marktwirtschaftlichen Ordnung zerstören müßte.
Wenn wir nach unten hin die Preise im Interesse der kleinen Händler festmachen, dann müßten wir sie irgendwann auch nach oben limitieren, und das wollen die mit abloluter Sicherheit nicht.Zur Fusionskontrolle: Was Sie hier vorschlagen, zwei zusätzliche Kriterien zu den vorhandenen fünf, ist nichts als weiße Salbe, ist eine Beruhigungstablette und ändert überhaupt nichts an der Situation. Lesen Sie doch vielleicht mal den Kartellbericht des Bundeskartellamtes, der vor einigen Tagen bei Ihnen auf den Tischen gelandet ist! Da heißt es:Die vorgesehene Gesetzesänderung führt daher nicht zu einer entscheidenden Änderung der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelszusammenschlüssen.Ich wiederhole also: Lassen Sie die Finger von dieser Kartellgesetznovelle! Richten Sie keinen zusätzlichen Schaden an! Nicht nur die Sozialdemokraten, auch alle Wissenschaftler, die etwas davon verstehen, und selbst das Bundeskartellamt sind dagegen, diese Novelle jetzt durchzubringen.
— Passen Sie doch mal auf, Herr Hinsken! Dann können Sie unter Umständen draußen detailliert argumentieren. Es wäre ganz schön, wenn Sie denen nichts Unsinniges erzählen.
— Das ist wohl so.Den § 102 können wir also im Ausschuß sofort streichen, und § 26 Abs. 4 akzeptieren wir auch. Wir können überhaupt nicht einsehen, daß die Bundesregierung in den § 102 noch etwas verklausuliert hineinbringt. Zwingende Notwendigkeiten für Sparkassen und genossenschaftliche Kreditinstitute könnten wir durchaus vorne in den Ausnahmeparagraphen regeln, so daß die befriedigt werden, aber ansonsten sollte der § 102 weg. Das sagt sogar der Chef der Deutschen Bank, Herr Herrhausen. Sie trauen sich nicht ran.
— Wissen Sie, woran das liegt? Er ist zwar nicht da, aber wir haben hier einen Oberlobbyisten der Versicherungswirtschaft in unseren Reihen sitzen, den Sie sicherlich alle kennen.
Unser Antrag, den wir viel früher als Sie Ihren Gesetzentwurf vorgelegt hatten, von dem wir jetzt verlangen, daß er zunächst auf europäischer Ebene verhandelt wird, sieht vor, daß wir diesem Fusionsfieber im Handel ein Ende bereiten — das wollen wir ja
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Dr. Jensauch — , daß wir mit den Unternehmenszusammenschlüssen Schluß machen.
Die wichtigste Voraussetzung dafür wäre, daß wir abkoppeln, daß wir nicht erst eine Fusion untersagen
— Vielleicht paßt du mal auf, Matthias — , wenn eine marktbeherrschende Stellung schon entstanden ist. Dann ist das Kind nämlich schon in den Brunnen gefallen. Die marktbeherrschende Stellung wollen wir ja nicht. Wir sollten vielmehr schon untersagen, wenn eine wesentliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs stattfindet. Das wäre ein richtiger Ansatz, der auch von vielen Wissenschaftlern vertreten wird. Das haben wir immer vorgeschlagen, aber Sie können sich dazu nicht durchringen.Größtfusionen müßten nach unserer Ansicht in der Bundesrepublik ab etwa 20 Milliarden DM oder auf europäischer Ebene ab 50 Milliarden DM generell verboten werden, weil damit wirtschaftliche Macht einhergeht. Um die Grundfesten unserer Ordnung zu erhalten, muß es ein generelles Verbot von Größtfusionen geben!Schließlich brauchen wir nach unseren Vorstellungen dringend eine Entflechtungsregelung, um vor allem Konglomerate und Finanzbeteiligungen wieder auseinanderzudividieren und um mehr Wettbewerb einzuführen. Das wäre ein sinnvoller Ansatz. Wir haben ihn vorgelegt, und Sie könnten ihn unterstützen; das würde ich sehr begrüßen.Aber zur Zeit drängen wir die Bundesregierung, auf europäischer Ebene zu verhandeln — das macht unser zweiter Antrag auf Drucksache 11/4378 deutlich — und eine Fusionskontrolle zu verwirklichen, die weitgehend unseren Vorstellungen entspricht. Wir werden sehen, was sie zustande bringt. Ich befürchte, sie bringt nicht allzuviel zustande.Erst dann — das ergibt doch die Logik — , wenn wir auf europäischer Ebene dieses Problem geregelt haben, müssen wir uns unser Gesetz wieder ansehen. Dann müssen wir entsprechende Rückschlüsse für unser Gesetzgebungsvorhaben in der Bundesrepublik Deutschland ziehen. Es ergibt überhaupt keinen Sinn, die Fusionskontrolle für Großunternehmen auf europäischer Ebene zu erleichtern — das kommt möglicherweise dabei heraus — und sie jetzt für kleine und mittlere Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland zu verschärfen. Was ist das für eine ökonomische Logik! Ich bitte Sie sehr, sich dies alles noch einmal zu überlegen.Wir haben unseren Antrag zur Begrenzung der Bankenmacht hier im Bundestag eingebracht, Herr Wissmann. Wir werden nach der Sommerpause hier in erster Lesung darüber befinden. Ich hoffe sehr, Sie sehen sich das noch einmal genau an, obwohl ich aus Ihren Reihen gehört habe: Die CDU/CSU lehnt eine Begrenzung der Bankenmacht ab. Die FDP hat wenigstens in Ansätzen schon Zustimmung signalisiert, was ich sehr begrüße.
Wir werden im Wirtschaftsausschuß wahrscheinlich eine Anhörung zu diesem Thema machen.
— Herr Grünbeck, es ist wirklich an der Zeit, dieses Thema aufzugreifen.
Wir haben in der Gesamtfraktion einstimmig ganz konkrete Vorschläge auf den Tisch gelegt. Es wäre schön, wenn ihr das wirklich unterstützen könntet.Von der CDU kann man das nach meinen bisherigen Kenntnissen nicht erwarten, was ich sehr bedauere.
Sie zeigt damit wieder einmal, wo sie in ihrer geistigen Haltung im Grunde steht. Die Banken sind wirklich die Mächtigsten in der Wirtschaft; hier muß Macht eingeschränkt werden.
Ein vorletztes Wort zur Fusion Daimler-Benz/MBB. Am 2. August wird die Monopolkommission ihr Gutachten vorlegen. Sie wissen ganz genau, wie es ausfällt. Auch die Monopolkommission wird mit höchster Wahrscheinlichkeit sagen: Diese Fusion DaimlerBenz/MBB ergibt aus gesamtwirtschaftlicher Sicht überhaupt keinen Sinn.Zunächst hat Herr Grünbeck, auch in der Öffentlichkeit, Kritik an dieser Fusion geübt, Graf Lambsdorff ebenfalls. Nach den Aussagen des Wirtschaftsministers Haussmann im Wirtschaftsausschuß aber sieht es so aus, als wenn die Fusion, vielleicht mit kleinen Auflagen, genehmigt würde.
— Wir sprechen uns wieder. Im September soll die Erlaubnis auf dem Tisch liegen. Das hat er wörtlich gesagt.
Wir stellen unseren Antrag zum Verbot dieser Fusion hier noch zur Abstimmung. Es wäre wirklich gut, wenn die Kollegen der CDA, die sich auch öffentlich dagegen ausgesprochen haben, und die Kollegen des Mittelstandskreises der CDU, die sich auch öffentlich dagegen ausgesprochen haben, hier mal Flagge zeigten und gemeinschaftlich dokumentierten, daß diese Fusion nicht im Interesse der Allgemeinheit liegt.
Herr Abgeordneter Dr. Jens, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Weng? —
Herr Kollege Jens, ist Ihnen bewußt, daß an all den Stellen, an denen Sozial-
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Dr. Weng
demokraten verantwortlich mitwirken, Sozialdemokraten die Weichenstellung ermöglicht haben, die zu dem heutigen Sachstand führt? Ich meine Hamburg, ich meine den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages, ich meine Bremen.
Mir ist in der Tat bewußt, daß der Wirtschaftsminister Lambsdorff diese Entwicklung eingefädelt hat und daß der Wirtschaftsminister Bangemann diese Mammutfusion mit Vehemenz betrieben hat.
Ich gebe Ihnen zu, daß es auch in Hamburg Sozialdemokraten gibt, die diese Fusion unterstützen; das will ich überhaupt nicht bezweifeln. Aber das liegt doch auf der Hand. Herr Weng, Sie sind doch ein alter Parlamentarier. Sie wissen doch ganz genau, daß hier Interessen im Spiel sind. Möglicherweise soll die Endfertigung für den Airbus nach Hamburg kommen. Deshalb wird da zugestimmt. Das ist der tiefere Grund, der dahintersteckt. Aber daran können wir uns doch nicht orientieren. Ich flehe Sie an: Lassen Sie uns hier im Deutschen Bundestag die Interessen der Gesamtwirtschaft, der gesamten Gesellschaft beachten. Einzelne Ausreißer, die durch persönliche Interessen begründet sind, werden wir auch in Zukunft haben, bei uns und auch bei Ihnen.
Ich weiß, daß auch in Zukunft noch etwas an Öffentlichkeitsarbeit zur Unterstützung dieser Fusion aus Hamburg kommen wird. Möglicherweise wird auch ein Altbundeskanzler etwas dazu sagen.
Aber warum das so ist, das habe ich soeben deutlich zu machen versucht.
Wir werden kein bißchen darauf hören, sondern unsere Beschlüsse stehen fest. Auch Sie sollten dafür sorgen, daß diese Mammutfusion wirklich untersagt wird, weil sie die Grundfesten der marktwirtschaftlichen Ordnung zerstört.
Ich komme zum Schluß. Ich glaube, daß die CDU in den letzten Jahren wirklich kräftig dazu beigetragen hat, das Soziale an unserer marktwirtschaftlichen Ordnung kaputtzumachen, zu demontieren.
Ein zweiter wesentlicher Faktor einer Ordnung, wie wir sie wollen, ist die Dezentralität,
ist die Tatsache, daß es viele kleine und mittlere Unternehmen gibt.
Auch daran dreht diese CDU/CSU, leider, zu meinem großen Bedauern.
Die Anzahl der anmeldepflichtigen Unternehmenszusammenschlüsse stieg von 506 Fällen im Jahre 1983 auf 1 159 Fälle im Jahre 1988.
Die Schatzkassen der großen Konzerne sind prall gefüllt, um weitere Fusionen zustande zu bringen, und zwar auch deshalb, weil die Umverteilungspolitik dieser Regierung dafür gesorgt hat, daß sie so viel in der Kasse haben.
Ich sage Ihnen: Auch der Dienstleistungsabend hat dazu beigetragen, daß es in Zukunft mehr Konzentration im Handel gibt.
Heute debattieren wir die vorgelegte GWB-Novelle. Auch die wird wiederum die Konzentration nicht bremsen, sondern eher voranbringen.
Im Anschluß an diese Debatte geht es um das AWG, um das Außenwirtschaftsgesetz. Auch auf diesem Gebiet sorgt diese Bundesregierung dafür, daß mehr Bürokratie eingeführt wird. Ihnen sind die wichtigsten Ordnungsmaßstäbe verlorengegangen. Die Bundesregierung hat in der Wirtschaftsordnungspolitik die angekündigten Leitlinien verlassen. Ihre Politik wird nämlich nicht mehr durch Grundsätze geprägt, wie das früher einmal unter Erhard und Böhm der Fall war, sondern nur noch von Interessenvertretern. Das war früher wirklich anders, und das muß dringend wieder anders werden.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Herr Grünbeck.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist die Stunde des Wettbewerbs. Die 5. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ist keine große Stunde der Sozialdemokraten.
Was Sie in den letzten Sätzen Ihrer Rede gesagt haben, lieber Herr Kollege Jens, in denen Sie von der Dezentralisierung der Macht geredet haben, ist genau das Gegenteil von dem, was die Geschichte der SPD zeigt.
Die SPD hat die Neue Heimat, sie hat co op, sie hat dieBank für Gemeinwirtschaft und die Volksfürsorge
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989 11565
Grünbeckkonzentriert. Das war die konzentrierte Macht mit allen negativen Folgen des Versagens.
Die Gesetzesänderung hat zwei Ziele, nämlich zum einen für den Handel im Rahmen der bestehenden Instrumente die Fusions- und Verhaltenskontrolle zu verbessern und zum anderen in den kartellrechtlichen Ausnahmebereichen zu weitgehende Regelungen zu beseitigen, um damit mehr Wettbewerb zu ermöglichen. Dies sind die beiden Ziele, die wir uns bei dieser Gesetzesberatung gesetzt haben.Die FDP hat die Entwicklung im Handel in bezug auf die Konzentration sehr aufmerksam und von Anfang an verfolgt. Meine Damen und Herren, wir waren die ersten, die schon 1984 ein Hearing veranstaltet haben. Wir waren allerdings auch die ersten und die einzigen, die vor irgendwelchem falschen Aktionismus gewarnt haben. Wir haben davor gewarnt, die gesetzlichen Veränderungen dahin zu strukturieren, einen Erwartungshorizont herzustellen, der mit der Realität überhaupt nicht vereinbart werden kann. Wir haben das strengste Wettbewerbsrecht der Welt. Nirgendwo auf der Welt gibt es ein so gut fundiertes und von allen Wirtschaftsministern der Nachkriegsgeschichte getragenes Kartellrecht, und damit sind wir gut gefahren.Was ist denn eigentlich durch diesen Wettbewerb bei uns in der Bundesrepublik Deutschland geschehen? Wir haben durch diesen Wettbewerb den Wohlstand und die hohe Leistungsfähigkeit ständig neu mobilisiert, und gerade die kleinen und mittleren Betriebe haben eigentlich gespürt, daß dieses Wettbewerbsrecht der richtige Rahmen für sie war, denn nirgendwo hat man die Leistungsfähigkeit und die Beständigkeit der mittelständischen Betriebe so aktiv nach vorn getrieben wie in dieser Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, durch dieses Recht werden nicht die Großen geschützt, sondern den kleinen und mittleren Betrieben läßt man den Rahmen, den sie für ihre Entfaltung und ihre Gestaltung brauchen.
Wettbewerb sorgt für günstige und gerechte Preise. Die Kaufkraft der Verbraucher ist ein ganz wesentlicher Punkt, der durch die Wettbewerbsgesetze unseres Landes positiv beeinflußt wird.Lesen Sie doch bitte einmal den Bundesbankbericht der vergangenen Woche zur Preisentwicklung, die Sie, Herr Jens, zu Recht beklagen. Der Bundesbankbericht empfiehlt aber zur Preisentwicklung nur eine Alternative, nämlich mehr Wettbewerb.
Das ist die einzige Richtung, auf die es hinauslaufen wird.Ich füge noch hinzu: Der Wettbewerb, meine Damen und Herren, bestimmt die hohe Qualität unserer Produkte und unserer Verfahrenstechnologien. Wo sonst gibt es eine solche automatische Tendenz zu hoher Qualität zugunsten der Arbeitsplatzsicherheit, zugunsten der Verbraucher und zugunsten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung?
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das etwas stolz sagen. Es war so, es ist so und es bleibt so: Der Wettbewerb steht für die Freie Demokratische Partei an vorderster Stelle.
Wettbewerb bedeutet Macht, aber der Todfeind vom Markt ist die Macht. Wettbewerb bedeutet Markt; entschuldigen Sie, ich habe mich versprochen.
Wettbewerb bedeutet Markt. Der Todfeind vom Markt ist die Macht.
Das ist die ordnungspolitische Linie. Unser Ziel bleibt die Begrenzung von Marktmacht, wo immer sie auch auftritt. Wir wollen keine sektorale und keine branchenbezogene Marktmacht. Wir wollen auch keine nationale Macht. Wir wollen auch auf dem Weltmarkt keine Übermacht, sondern wir wollen die Macht durch dieses Wettbewerbsrecht eingrenzen. Verhindern kann man sie nicht, aber man kann sie eingrenzen.
Diesem Ziel dient diese Kartellnovelle. Die Fusionskontrolle präzisiert im Grunde genommen die Kriterien der Marktmacht besser als bisher. Ich hoffe, daß wir damit auch alles besser erfassen können und daß das Kartellamt besser reagieren kann. Die Ausnahmebereiche — wie zum Beispiel die Banken —
werden wir entschärfen. Wir werden damit auch auf diesem Sektor mehr Vorfahrt für den Wettbewerb geben. Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Jens, da finden Sie uns an Ihrer Seite. Nur sind wir der Vorreiter. Wir drängen seit langem die Marktmacht der Banken zurück. Wir mußten auch gestern in einer nicht gerade geschmackvollen Meldung des Herrn Herrhausen hören, wir, die Freien Demokraten, hätten uns in einen provinziellen Opportunismus hineinbegeben. Ich kann nur sagen: Wenn einer auf einem solchen Machtblock sitzt, dann sollte er die, die das im Sinne des Wettbewerbs ändern wollen, nicht als provinzielle Opportunisten bezeichnen,
sondern dann sollte er selber einmal über sich mehr nachdenken.
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11566 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
GrünbeckDer europäische Binnenmarkt, meine lieben verehrten Kollegen, wird mehr Markt bringen. Damit wird mehr Wettbewerb notwendig. Eine größere Intensität ist eigentlich heute schon im europäischen Wettbewerb zu spüren. Ich persönlich erwarte nach all den Erlebnissen und Diskussionen eigentlich eine Revitalisierung der sozialen Marktwirtschaft im Vorfeld des europäischen Binnenmarktes. Der Wettbewerb der Standorte wird entscheidend sein. Unser Wettbewerbsrecht ist wichtig. Aber der Wettbewerb um die Standorte wird weniger vom Kartellrecht geprägt als vom Steuerrecht, von der Arbeitszeit, von Qualifikationen, von Mobilität und Flexibilität, von Lohnnebenkosten und anderen Dingen. Das werden die Kriterien sein, die für die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte entscheidend sind.Was den ordnungsrechtlichen Rahmen für den Wettbewerb angeht, so kann man nur hoffen, daß wir im Rahmen dieser Beratung, Herr Minister, keine neuen Differenzen zwischen dem europäischen Kartellrecht und dem nationalen Recht sehen. Wir brauchen beides und werden überlegen müssen, wie diese einzelnen Rechtsinstitute einzusetzen sind. Wir wissen, daß es bei uns auch eine neue Gefahr der regionalen Marktmacht gibt. Aber da rufe ich auch einmal die Landeskartellbehörden auf, diesen nicht ganz günstigen regionalen Marktmachtentwicklungen entgegenzutreten.Meine Damen und Herren, Markt steht im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Es gibt — und das bleibt so — nichts Stärkeres als den Markt, es gibt nichts Ehrlicheres als den Markt, und der Markt gibt es her, Macht zurückzudrängen und in Grenzen zu halten.
Ich darf sagen: Für die mittelständische Wirtschaft ist dieses Wettbewerbsrecht von großer Bedeutung. Es geht, meine Damen und Herren, eigentlich weit über die rein wirtschaftliche Bedeutung hinaus. In diesem Land — darauf bin ich stolz — hat sich eine mittelständische wirtschaftliche Struktur entwickelt, die heute ein stabiler gesellschaftspolitischer Faktor ist.
In der mittelständischen Wirtschaft bilden wir heute 80 % aller jungen Menschen aus. Wir beschäftigen in ihr mehr als 60 % aller Bürger, Frauen und Männer. Und wir sind — mit zwei Dritteln des gesamten Steueraufkommens — die größten Steuerzahler dieses Landes. Wo sonst auf dieser Welt ist diese Entwicklung möglich gewesen? Das war doch nicht das Verdienst einer Partei. Das war vielmehr das Verdienst unserer gesamten Gesellschaft. Deshalb sollten wir dieser Entwicklung auch zuversichtlich entgegengehen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Vennegerts.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Unternehmenslandschaft in der Bundesrepublik war in der Vergangenheit bereits durch eine von Jahr zu Jahr steigende Anzahl von Unternehmenszusammenschlüssen gekennzeichnet. Mit 1 159 Zusammenschlüssen von Unternehmen ist 1988 eine neue Rekordmarke in der Bundesrepublik erreicht worden. In 1987/88 wurden in formellen Verfahren bei 2 046 Fusionen insgesamt nur acht Zusammenschlüsse vom Kartellamt untersagt, davon fünf im Pressebereich. Das ist eine Tatsache.In der Mehrzahl der Fusionsfälle handelt es sich bei den Erwerbern um Großunternehmen mit mehr als 2 Milliarden DM Umsatz. Ganze Industriezweige werden von einigen wenigen Großunternehmen beherrscht. Das ist die traurige Wahrheit, Herr Grünbeck.
Besonders eklatant ist die Entwicklung im Handel. Nur zehn Unternehmen beherrschen den gesamten Lebensmittelmarkt. Sollte dieser Trend nicht umgehend gestoppt werden, wird das gesamte marktwirtschaftliche System unterhöhlt und ad absurdum geführt.In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, kann man wirklich von Systemveränderung sprechen.
Bloß — und das ist das Pikante — handelt es sich dabei nicht um einen politischen Angriff von Systemveränderern, sondern um einen sich aus dem ökonomischen System ergebenden Zerstörungsprozeß, der von der Bundesregierung nicht bekämpft, sondern immens gefördert wird. Die wirklichen Systemveränderer sitzen quasi auf der Regierungsbank und nicht in der Opposition.
Die angeblichen Hüter und Verteidiger der Marktwirtschaft, besonders die FDP, fördern durch ihre Politik den Konzentrationsprozeß in der Wirtschaft. Eine überwiegend von Großkonzernen beherrschte Wirtschaft, die die Kleinbetriebe und den Mittelstand abhängig macht und eine Gegenmacht zur Politik darstellt, ist schwer zu entflechten. Das bedeutet: Eine Strukturveränderung in Richtung kleiner und mittlerer Strukturen, eine dezentrale Wirtschaftspolitik ist schon bei den heutigen Gegebenheiten eine immense Kraftanstrengung, selbst wenn der politische Wille da wäre.Diese Entwicklung ist aber nicht auf die Bundesrepublik beschränkt. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in der Presse zu lesen ist, daß sich die Deutsche Bank an italienischen oder französischen Kreditinstituten beteiligt oder sich das größte deutsche Versicherungsunternehmen, die Allianz AG, bei spanischen oder belgischen Versicherern einkauft.Um die Entwicklung zur Obligopolisierung der Märkte zu verlangsamen, hat die Bundesregierung lauthalts eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen angekündigt. Herausgekommen ist am Ende ein wettbewerbs-
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Frau Vennegertspolitisches Flickwerk, dem man an jeder Stelle ansieht, daß es ein fauler Kompromiß vieler divergierender Interessen ist.
Es ist Kosmetik, was Sie hier vorlegen, Herr Haussmann. Im Kartellamtsbericht kann man nachlesen, daß die Eckwerte der Novelle, die Sie vorlegen, im nachhinein die bereits geltende Praxis der Fusionskontrolle nur bestätigen. Also von „Kehrtwende" keine Spur, Herr Wissmann! Was erzählen Sie denn hier! Die Fusionskontrolle wird nicht verstärkt. Ausnahmeregelungen sind weiter möglich. Also, was soll das Ganze? Absichtserklärungen — mehr nicht! Das muß ich Ihnen leider sagen. Während auf vielen Märkten ein rasanter Vermachtungsprozeß abläuft, steckt die Bundesregierung den Kopf vor dieser Entwicklung in den Sand.Angesichts dieser Tatsache haben die GRÜNEN zwei Anträge vorgelegt, die eine grundlegende Novellierung des Kartellrechts enthalten und eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten von EG und nationalen Kartellbehörden vorsehen.
Frau Abgeordnete Vennegerts, gestatten Sie eine Zwischenfragen des Abgeordneten Wissmann?
Ja.
Frau Kollegin Vennegerts, haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung, von dem wir in den Reden vorhin gesprochen haben, bei der Fusionskontrolle als neues Element in der Frage, was Marktbeherrschung ist, die Nachfragemacht zusätzlich einfügt, und können Sie nicht feststellen, daß dies eine wesentliche Verbesserung ist?
Herr Kollege Wissmann, ich habe diesen Gesetzentwurf sehr sorgfältig gelesen. Was Sie jetzt hier als Element anführen, das habe ich als „Absichtserklärung" bezeichnet. Was ich Ihnen jetzt gleich vorschlagen werde, d. h. was wir wollen, ist eine wirkliche Kontrolle marktbeherrschender Unternehmen. Die Prozentsätze der Fusionen sollen heruntergesetzt werden — das werden Sie gleich sehen — , und das fehlt bei Ihnen. Sie nehmen lediglich ein neues Element auf, mehr nicht. Da unterscheiden wir uns grundlegend; das werde ich Ihnen gleich vortragen. Was Sie hier darlegen, hat mit Fusionskontrolle gar nichts zu tun.
Wir haben jetzt zwei Anträge vorgelegt. Auf EG-Ebene soll die Gesetzgebungs- und Entscheidungskompetenz vorrangig bei den jeweiligen Mitgliedsländern verbleiben. Die EG-Behörde soll sich nur mit Großfusionen befassen, soweit die fusionierenden Unternehmen mindestens einen Umsatz von 10 Milliarden ECU auf sich vereinigen. Zugunsten eines förderal orientierten Systems bleibt die Entscheidungskompetenz des Bundeskartellamtes vorrangig. Ab 5 Marktanteil werden Fusionen untersagt. Zum Schutz der wirtschaftlich kleineren bzw. schwächeren Mitgliedsländer wird eine „Quotierungsregel" eingeführt, die jedem EG-Mitgliedsland bestimmte Marktanteile sichert. Das sind unsere ganz konkreten Vorschläge.
Wir wenden uns auch dagegen, aus rein industriepolitischen Gründen Fusionen zuzulassen. Das heißt, bei Unternehmenszusammenschlüssen muß das Kriterium der Marktbeherrschung ausschlaggebend sein.Herr Wissmann, jetzt hören Sie wirklich einmal zu, denn das ist der Unterschied zu Ihren Vorschlägen: Auf nationaler Ebene verlangen wir eine deutliche Herabsetzung der Marktanteile, ab denen Marktbeherrschung vermutet wird. Marktbeherrschung soll bei einem Unternehmen bereits bei einem Marktanteil von 25 %, bisher 33 %, vermutet werden; bei einem bis drei Unternehmen bei 33%, bisher 50 %, und bei einem bis fünf Unternehmen bei 50 %, bisher 66 % Das sind unsere konkreten Vorschläge. Solche konkreten Vorschläge vermisse ich bei Ihnen. Das ist der Punkt!Um die rasante Konzentration im Handel zu stoppen, sollen dort die Grenzen für die Vermutung einer Marktbeherrschung noch drastischer verschärft werden. Wenn ein Unternehmen über mehr als 5 %, ein bis drei Unternehmen über mehr als 12 % oder ein bis fünf Unternehmen über mehr als 20 % Marktanteil verfügen, soll dies der unwiderlegliche Beweis für Marktbeherrschung sein. Für den Fall, daß diese Unternehmen weitere Fusionen beabsichtigen, ist eine Untersagung geboten. — Darüber hinaus fordern wir die Streichung aller Ausnahmeregelungen für Exportkartelle.Eine solche von uns geforderte Politik — das behaupte ich hier, und das muß ich Ihnen von der Regierung hier leider sagen — würde Unternehmensgründungen — die Sie angeblich wollen — eher begünstigen.
Dies würde einen Wettbewerb, so wie er sein sollte, tatsächlich bestehen lassen.
Die GRÜNEN schlagen außerdem die Einführung einer Ministeruntersagung bei der Fusionskontrolle vor. Danach soll dem Wirtschaftsminister das Recht eingeräumt werden, einen Unternehmenszusammenschluß, der vom Kartellamt bereits genehmigt worden ist, erneut zu prüfen. Das entspricht einer Umkehrung dessen, was im geltenden Wettbewerbsrecht als Ministererlaubnis vorgesehen ist, und würde den Herrn Haussmann im Moment aus vielen Nöten befreien.
Er müßte für den Vorschlag eigentlich dankbar sein.
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11568 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
Frau VennegertsMeine Damen und Herren, einer der zentralen Punkte der Auseinandersetzung, um die es bei der Neuregelung des Kartellrechts geht, ist die Frag nach dem Verhältnis von Wettbewerb und Industriepolitik. Soll und darf der Staat in bestehende Märkte intervenieren? Soll und darf der Staat unternehmerische Entscheidungen korrigieren, wo diese nicht im Einklang mit den politischen Vorgaben sind? In einem Beitrag für die „Wirtschaftswoche" hat der Bundeswirtschaftsminister darauf eine klare Antwort gegeben:Als Schiedsrichter darf der Staat nicht selbst zum Akteur auf den Märkten werden. Ordnungspolitik heißt für mich in erster Linie, marktwirtschaftliches Bekenntnis und tagespolitisches Tun in Einklang zu bringen.
Goldene Worte, kann ich da nur sagen. Seine Praxis und die der gesamten Bundesregierung sieht ganz anders aus.
Wer will den Lippenbekenntnissen zur Marktwirtschaft noch Glauben schenken, wenn sich die Bundesregierung wie im Fall Daimler-Benz und MBB als Konzernschmied betätigt? Das ist nichts anderes als Industriepolitik, Herr Haussmann. Eine Vielzahl von Argumenten wird herbeigezogen, um diese staatskapitalistische Veranstaltung zu rechtfertigen. Unter anderem wird behauptet, für hochwertige und sichere Arbeitsplätze sei die Fusion von Daimler/MBB erforderlich. Tatsache ist hingegen, daß Großunternehmen in der Regel kaum neue Arbeitsplätze schaffen, sondern eher Arbeitsplätze vernichten.
Eine Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat klar nachgewiesen, daß, je kleiner das Unternehmen, desto mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. So sind z. B. im Zeitraum von 1977 bis 1983 672 000 neue Stellen in Kleinbetrieben entstanden.
In mittelgroßen Betrieben ist hingegen die Mitarbeiterzahl um 36 000 geschrumpft. Am schlechtesten schnitten die Großbetriebe ab: Über 220 000 Arbeitsplätze wurden in diesem Bereich vernichtet. Gleichzeitig werden aber diese Industriegiganten gehätschelt und mit staatlichen Aufträgen sowie einer bunten Vielfalt an Subventionen verwöhnt. Siemens ist schon erwähnt worden. Den Großkonzernen werden die Privilegien zu Füßen gelegt, die ihre Vorherrschaft noch weiter festigen.Gerade hier ist eine Kehrtwendung dringend erforderlich, meine Damen und Herren.
Wir meinen, daß es darauf ankommt, Wettbewerbs-und Industriepolitik zu verzahnen. Wettbewerbs- undmarktwirtschaftliche Instrumente haben ihre volle Berechtigung, solange sie sich zur Lösung der wichtigsten Zukunftsfragen, insbesondere der ökologischen Probleme, eignen. In den Industrieländern geht es heute nicht mehr darum, die Menschen mit kurzlebigen Konsumgütern zu versorgen und die Haushalte mit Pkw, Waschmaschinen und vielerlei Dingen mehr vollzustopfen. Was wir brauchen, ist eine industriepolitische Konzeption, d. h. staatliche Rahmenplanung, in die das Wettbewerbssystem eingebettet ist. Eine Politik, die Wert auf Wettbewerb legt, muß auch den Mut aufbringen, Großunternehmen zu entflechten. Das gilt besonders dort, wo Marktmacht offensichtlich systematisch mißbraucht wird.Die Politik müßte solche für die Mehrheit der Gesellschaft fatalen Auswüchse verhindern bzw. entstandene Vermachtungsprozesse in der Wirtschaft korrigieren. Das Gegenteil ist aber bei dieser Regierung der Fall, siehe auch die wohl zu erwartende Ministererlaubnis bei der Fusion MBB/Daimler.Notwendig ist daher, was wir in unseren Anträgen fordern: eine generelle Verschärfung der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften, die ich bei Ihnen vermisse. Ich muß es Ihnen noch einmal sagen: Das ist in der Novelle nicht der Fall.
Gleichzeitig bedarf es gezielter industriepolitischer Eingriffe, einer gesellschaftlichen Rahmensetzung, um den ökologischen Umbau der Industriegesellschaft durchzusetzen.
Das Wort hat der Bundesminister Haussmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine etwas verkehrte Welt heute morgen in der Debatte: Rot/Grün als Gralshüter der Marktwirtschaft
und wir als Totengräber des Mittelstands, meine Damen und Herren.
Ich rate uns in dieser Debatte: Behalten wir den Überblick. Washington letzte Woche: der EG-Präsident Delors in einer Rede vor amerikanischen Spitzenpolitikern und allen EG-Botschaftern. Delors bezeichnete in Washington die in der Bundesrepublik praktizierte Soziale Marktwirtschaft mit freiem Markt und Wettbewerb als die für die Europäische Gemeinschaft angestrebte Wirtschaftsordnung. Das ist der Beitrag der Bundesrepublik für Europa. Unsere Form
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Bundesminister Dr. Haussmannder sozialen Wettbewerbswirtschaft setzt sich in Europa durch, meine Damen und Herren.
Wer draußen ist und die Betriebe kennt, kann doch nicht davon reden, daß der Mittelstand dem Untergang geweiht sei. Das Gegenteil ist der Fall: Er wird sich ausbreiten, er wird sich ausweiten. Aber es wird einzelne Bereiche geben, wo es im Binnenmarkt einen engeren Zusammenhang zwischen großen Unternehmen und mittelständischen Zulieferanten gibt. Dieser Diskussion der 90er Jahre müssen Sie sich auch in der Wettbewerbspolitik stellen. Wenn diese Wettbewerbsordnung in Europa führend ist, so haben wir allen Grund, sie weiter auch national auszubauen.Welches sind nun die wichtigsten Hauptpunkte der derzeitigen Wettbewerbsdiskussion? Darauf will ich ganz kurz eingehen: fünfte nationale Kartellnovelle, europäische Fusionskontrolle, Diskussion um Daimler-Benz und Bankenmacht.Ich möchte drei Grundsätze herausheben, an denen sich die Wettbewerbspolitik der Bundesregierung auf nationaler und europäischer Ebene auch in Zukunft orientieren wird. Erstens. Das Wettbewerbsrecht ist auf den Schutz der Wettbewerbsfreiheit auszurichten und grundsätzlich von Zielsetzungen aus anderen Politikbereichen freizuhalten. Zweitens. Der Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts ist so weit wie möglich zu ziehen. Drittens. Der Staat gewährleistet den dynamischen Leistungswettbewerb ohne Scheu vor notwendigen Regelungen, aber auch ohne Oberreglementierung.Meine Damen und Herren, zur europäischen Wettbewerbsdiskussion: Auch in der EG müssen Wettbewerbsregeln von zweckfremden Zielsetzungen freibleiben, weil jede Instrumentalisierung zu Lasten der Effizienz dieses Wettbewerbs zu einer Schwächung der marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen führt. Wer sozialen Schutz will, wer mehr Umweltschutz will, der muß zunächst in Europa dafür sorgen, daß dieses Prinzip, das effizienteste Prinzip, sich durchsetzt.
Deshalb kämpft die Bundesregierung
— ohne große Unterstützung der sozialistischen Fraktion im Europaparlament und zum Teil gegen vorherrschende Meinungen von sozialistischen Mitgliedsregierungen in Europa —
zusammen mit konservativen Regierungen wie z. B. in Großbritannien für eine stärker wettbewerblich ausgerichtete Fusionskontrolle.Ich bitte um jede Unterstützung unserer sozialdemokratischen Freunde, daß sie ihre sozialistischen Kollegen — sei es in Frankreich, sei es in Spanien —überzeugen, damit wir in Europa zu einer klar wettbewerbsorientierten Fusionskontrolle kommen.
— Verehrter Herr Kollege, das wird aber die Wettbewerbsdiskussion der 90er Jahre mehr bestimmen als die nationale Wettbewerbsnovelle.
Bei der nationalen Kartellrechtsdiskussion, Herr Kollege, hat das Bundeswirtschaftsministerium in der Vergangenheit zu Recht alle Vorstellungen abgelehnt, die lediglich auf eine Erhaltung bestehender Strukturen hinauslaufen.
Wollte der Staat versuchen, durch das Wettbewerbsrecht Strukturen anzusteuern, die er zu Recht oder zu Unrecht als wünschenswert ansieht, so würde er die Vorteile des Wettbewerbs preisgeben. Die grundsätzliche Frage, ob eine nationale fünfte Novelle in diesem europäischen Kontext noch Sinn macht, wurde sorgfältig geprüft. Der Entwurf zeigt, daß die Bundesregierung bei jeder einzelnen Bestimmung sorgfältig abgewogen hat. Dabei hat sie einerseits das Ziel einer wirksamen Gestaltung der wettbewerbsrechtlichen Regelungen verfolgt, andererseits aber auch Forderungen abgelehnt, die auf einen unangemessenen Schutz von Wettbewerbern hinausliefen.Bei der Fusionskontrolle wird durch eine Erweiterung der Kriterien der überragenden Marktstellung sichergestellt, daß alle nachfragerelevanten Elemente bei einer Untersagungsentscheidung berücksichtigt werden. Dabei ist insbesondere an eine Fusion im Bereich der großen Sechs im Lebensmittelhandel gedacht. Herr Wissmann hat das zu Recht angesprochen. Dort besteht Handlungsbedarf. Jedoch hält der Regierungsentwurf am bewährten Eingriffskriterium der Marktbeherrschung fest. Das bedeutet eine Absage an die Abkopplungsvorschläge der Sozialdemokraten.Der Regierungsentwurf gestaltet den Tatbestand der unbilligen Behinderung kleiner und mittlerer Unternehmen durch Wettbewerber mit überlegener Marktmacht in Zukunft wirksamer. Das ist für Sie, Herr Kollege Hinsken, und unsere Mittelstandspolitiker sehr wichtig. Damit soll der Schutz des Leistungswettbewerbs gegen aggressive Strategien von Großunternehmen, z. B. systematische und sachlich nicht gerechtfertigte Verkäufe unter Einkaufspreis, gesichert werden. Andererseits ist eine direkte Normierung des Verkaufs unter Einkaufspreis nicht vorgesehen, um den Grundsatz der freien Preisbildung in einer Marktwirtschaft nicht zu gefährden.Zugleich — darauf lege ich besonderen Wert — soll mit dem Abbau nicht mehr gerechtfertigter Sonderbestimmungen in den kartellrechtlichen Ausnahmebereichen ein Schritt zu mehr Wettbewerb getan werden
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11570 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
Bundesminister Dr. Haussmannund damit ein Schritt in Richtung europäische Wettbewerbsgesetzgebung. Wenn ich von den Sozialdemokraten in den Kommunalparlamenten darin unterstützt werde, im Energiebereich für mehr Wettbewerb zu sorgen, bin ich ja sehr dankbar.
Eine Liberalisierung ist um so notwendiger, als es sich bei Verkehr, Banken und Versicherungen sowie Strom- und Gasversorgung um wichtige, zukunftsträchtige Bereiche unserer Volkswirtschaft handelt. Daher stellt eine substantielle wettbewerbliche Auflockerung in den Ausnahmebereichen auch und gerade im Blick auf Europa einen unverzichtbaren Teil dieser Novelle dar und macht sie in ihrer Substanz auch wertvoll.
In diesem Zusammenhang ein Wort zum Thema Bankenmacht. In Europa gehen wir bereits daran, an das Eigenkapital der Banken anknüpfende Beschränkung des bankfremden Beteiligungsbesitzes vorzusehen. Dies ist ein erster bescheidener Schritt in die richtige Richtung, dem jedoch nach meiner Überzeugung weitere folgen müssen. Ich sehe in Übereinstimmung mit einem erneuten Beschluß der Koalition die Möglichkeiten zur Begrenzung des Bankeneinflusses insbesondere in vier Bereichen: erstens in der Begrenzung des Beteiligungsbesitzes an Nichtbanken auf 15 %, zweitens in der Beschränkung der Aufsichtsratsmandate mit dem Ziel, Interessenkollisionen zu vermeiden, drittens im Verbot der Stimmrechtsbeschränkungen bei Aktiengesellschaften und viertens in der Streichung des Genehmigungserfordernisses für Schuldverschreibungen.
Meine Damen und Herren, dies wird auch ein Testfall für unsere marktwirtschaftliche Gesinnung, und ich hoffe, daß es hier zwischen den Fraktionen zu sinnvollen Kompromissen kommt.
Ein Wort zu MBB/Daimler. Ich habe im Wirtschaftsausschuß erneut vorgetragen: Im September wird die Minister-Entscheidung — nicht die Ministererlaubnis, Herr Kollege — fallen. Ich glaube, die Objektivität hat sich gelohnt. Inzwischen gibt es wichtige Stimmen auf beiden Seiten. Es wird sich bald auch ein führender Sozialdemokrat zu dieser wichtigen Frage äußern. Ich halte es für wichtig.Man kann, Herr Kollege Jens, natürlich auch nicht sagen: Dort, wo wir als Sozialdemokraten keine Verantwortung haben, treten wir für das Gesamtwohl ein; nur dort, wo wir Verantwortung haben, haben Teilinteressen Vorrang.
Das ist keine ordnungspolitische Grundeinstellung. Verehrte Kollegen, wir haben es ja im Haushaltsausschuß erlebt.Ich empfehle auch Vertretern, die sich so intensiv mit mittelständischen Arbeitsplätzen beschäftigen, den heutigen, in den Einzelheiten sicher umstrittenen, Artikel von Herrn Bölkow, einem führenden mittelständischen Erfinder, über den Zusammenhang zwischen Systemführerschaft und mittelständischen Arbeitsplätzen in den neunziger Jahren. So einfach ist die Welt nicht mehr: Oben die Großkonzerne und völlig losgelöst die kleinen und mittleren Betriebe. Ich rate hier zu einer sehr sorgfältigen Diskussion.
Meine Damen und Herren, abschließend: Europäische nationale Wettbewerbspolitiken müssen verzahnt werden. Deshalb führen wir in Europa bei der Fusionskontrolle die Debatte über ein vernünftiges Nebeneinander von europäischer und nationaler Kontrolle. Eine Einigung in Brüssel darf nicht damit erkauft werden, daß wir auf regionalen Märkten vor allem des Handels oder der Presse Marktbeherrschungen widerspruchslos hinnehmen müssen. Wenn sich das europäische Wettbewerbsrecht in seiner Gesamtheit klarer abzeichnet, ist nach Auffassung der Bundesregierung eine grundlegende Überarbeitung des deutschen Kartellrechts erforderlich.Noch ist es nicht so weit. Die Situation ist gegenüber dem Antrag der Sozialdemokraten vom letzten Jahr nicht grundsätzlich neu. Auch heute steht noch nicht definitiv fest, wann und mit welchem Inhalt die europäische Fusionskontrolle wirksam wird. Daher zwingt uns die europäische Diskussion, jetzt nicht auf Verbesserungen im nationalen Bereich zu verzichten. Ich sehe im Parlament im Grundsatz nach wie vor eine Übereinstimmung in grundlegenden Prinzipien unserer Wettbewerbsordnung. Ich hoffe, daß dies bei der anstehenden Beratung zu sinnvollen Kompromissen führt.
Das Wort hat der Abgeordnete Hinsken.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hält Wort. Sie ist heute durch Bundeswirtschaftsminister Haussmann vertreten. Es wird eingelöst, was vor einigen Jahren gesagt worden ist, nämlich daß man dringendsten Handlungsbedarf beim Kartellrecht sieht. Deshalb beschäftigen wir uns heute mit dieser Kartellrechtsnovelle.Herr Kollege Dr. Jens, daß Sie hier von einem Schnellschuß sprechen, ist für mich völlig unverständlich.
Seit fünf Jahren reden wir darüber, wir setzen uns im dafür zuständigen Wirtschaftsausschuß und im Rechtsausschuß intensiv auseinander, und Sie sprechen von einem Schnellschuß. Noch etwas: Wenn Sie auf der einen Seite diesen Zustand beklagen und auf der anderen Seite Handlungsbedarf sehen, dann weiß ich nicht mehr, wie ich Ihre Rede, die Sie hier heute gehalten haben, deuten soll.
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HinskenEinmal so und einmal so, wie man es von der SPD insgesamt gesehen immer gewohnt ist.
Meine lieben Kollegen, dieses Thema reißt natürlich niemanden vom Hocker, außer es ist jemand mit dieser Angelegenheit intensiv beschäftigt. Trotzdem, es wird hier eingelöst, was dringend eingelöst werden muß, weil wir die Konzentration sehen, die wir nicht so ohne weiteres weiterhin hinnehmen können.Ich persönlich — das möchte ich nicht verhehlen — wäre weitergegangen und möchte auch noch weitergehen als der Entwurf der Bundesregierung, der hier auf dem Tisch liegt. Die Anhörung, die wir in wenigen Wochen haben, wird vor allen Dingen zeigen, wie man sich seitens der Sachverständigen einläßt, um uns als Parlamentarier noch das zu geben, womit vernünftige Grundlagen eines Gesetzes geschaffen werden können, die der fünften Kartellgesetz-Novelle gerecht werden.Ich möchte heute bei der ersten Lesung insbesondere auf die Handelsproblematik eingehen. Der jüngste Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamtes bestätigt hier nämlich den dringenden Handlungsbedarf. Es wurden bereits von meinem Vorredner, Matthias Wissmann, aber auch von anderen die Zahlen genannt. Ich möchte sie nicht wiederholen. Insbesondere Kollege Wissmann ist hier auf den dringendsten Handlungsbedarf eingegangen.Auch möchte ich aber noch erwähnen, daß es uns allen doch zu denken geben muß, wenn die sechs größten Unternehmen des Lebensmittelhandels heute bereits über knapp die Hälfte des gesamten Umsatzes der Branche und die 20 größten Unternehmen über mehr als 70 % des Umsatzes dieser Branche verfügen.
Der Konzentrationsprozeß verstärkt die Tendenz zu einem machtbedingten und leistungswidrigen Wettbewerbsverhalten, vor allem zu unberechtigten Konditionsspreizungen oder zu systematischen Verlustpreisverkäufen zur Verdrängung der Mitbewerber. Gerade die kleinen und mittleren Betriebe sind nicht mehr in der Lage, sich dagegen zu wehren. Sie werden ins Abseits gedrängt werden, wenn hier nichts gemacht wird.Der Konzentrationswelle und dem vielfachen Mißbrauch von Marktmacht müssen wir entschlossen entgegentreten erstens durch eine bessere Erfassung der Nachfragemacht und zweitens durch eine Stärkung der Position der kleinen und mittleren Wettbewerber.Meine lieben Kollegen, Ziel ist es nicht, den Wettbewerb einzuschränken, sondern ihn durch faire Wettbewerbschancen zu sichern.
Wir begrüßen daher grundsätzlich den Novellierungsvorschlag der Bundesregierung. Der Gesetzentwurf begegnet der Konzentrationsproblematik mit einer verbesserten Fusionskontrolle und mit verstärkterVerhaltenskontrolle. Diese Ansatzpunkte sind richtig.
In den weiteren Beratungen und in der vorgesehenen Anhörung werden wir die Möglichkeiten weiterer Verbesserungen prüfen. Unser Ziel ist ein ausreichend klares, praktikables und effizientes kartellrechtliches Instrumentarium, dazu einige Anmerkungen.Durch die Einfügung des neuen § 5 c GWB soll keine Einkaufskooperation zum Kartell gemacht werden, wie von verschiedenen Seiten befürchtet wurde. Nur dort, wo schon nach heutiger Rechtslage ein Kartell vorliegt, soll § 5 c eingreifen und mittelständische Einkaufskooperationen im vorgesehenen Rahmen vom Kartellverbot freistellen. Damit soll die Rechtsunsicherheit beseitigt werden, die sich nach dem Selex/ Tania-Urteil ergeben hat. Wir wollen die Wettbewerbschancen des Mittelstandes stärken. Die Bedenken der betroffenen Verbände werden wir deshalb im Rahmen der Anhörung, die am 2. Oktober stattfindet, sorgfältig erörtern. Unnötige Bürokratie bei der Anmeldung muß auf jeden Fall vermieden werden.In der Anhörung werden uns auch noch zwei weitere Fragen beschäftigen, nämlich die Frage einer eigenständigen Definition der Nachfragemacht und daran anzuknüpfender Vermutungen und die damit eng zusammenhängende Frage der Aufnahme systematischer Verlustpreisverkäufe als Beispielsfall der unbilligen Behinderung. Herr Minister Haussmann, hier bin ich ein klein bißchen anderer Meinung als Sie. Ich hoffe, es wird das Notwendige an Schlüssen aus dieser Anhörung noch zu ziehen sein, um eben eine sachgerechte, fundierte Kartellgesetznovelle zu machen.Insgesamt möchte ich aber feststellen, daß wir den Vorschlag der Bundesregierung, die Wettbewerbsposition kleiner und mittlerer Unternehmen durch die Möglichkeit zu verbessern, nunmehr selbständig auf dem Zivilrechtsweg gegen unbillige Behinderungen durch überlegene Wettbewerber vorzugehen, begrüßen. Entscheidend kommt es hier auf eine sinnvolle Lösung der Beweisprobleme an.
Hierauf wird mein Kollege Professor Pinger sowieso noch näher eingehen.Beim Kernproblem der Konzentration, beim Gewähren oder Fordern ungerechtfertigter Vorzugskonditionen, ist die Frage des Nachweises für die kleinen und mittleren Unternehmen wie für die Kartellbehörde in der Regel das Hauptproblem. Die kleineren Unternehmen, die durch mißbräuchliche Ausübung von Nachfragemacht behindert werden, scheuen heute oft den Gang zur Kartellbehörde und die Offenlegung des Konditionensystems; denn nach der heutigen Rechtslage muß die Kartellbehörde bei einem Aufkunftsverlangen auf Grund eines solchen Anfangsverdachts offenlegen, welche Konditionen tatsächlich gewährt werden und wer die kartellrechtliche Prüfung veranlaßt hat. Dadurch können weitere Repressalien gegen den marktschwächeren Be-
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Hinskenschwerdeführer ausgelöst werden. Dieses Problem läßt sich relativ leicht lösen, wenn die Offenlegung der kartellbehördlichen Erkenntnis insoweit begrenzt wird, daß der Beschwerdeführer als solcher nicht zu identifizieren ist. Das marktstarke Unternehmen, gegen das ein Anfangsverdacht besteht, würde also wie bisher Information aus den kartellbehördlichen Akten erhalten, jedoch nur in anonymisierter Form.Ziel dieser Überlegung ist also nicht eine zusätzliche Belastung des verdächtigten Unternehmens, auch nicht eine materiellrechtliche Ausweitung der Auskunftsbefugnisse der Kartellbehörden, sondern lediglich ein besserer Schutz des Beschwerdeführers vor möglichen weiteren wettbewerbswidrigen Repressalien. Durch eine geringfügige Einschränkung der Auskunftspflicht des Kartellamtes könnten wir somit dem Problem der Konditionenspreizung wirkungsvoll begegnen. Die Freiheit des Wettbewerbs würde dadurch nicht beeinträchtigt. Wohl aber würde es leichter, solchen, ich nenne sie: schwarzen Schafen auf die Spur zu kommen, die ihre Marktmacht hemmungslos mißbrauchen, wie das heute an Hand plausibler Beispiele des Kollegen Wissmann bereits aufgezeigt worden ist. Durch eine solche Regelung werden wir unserer Verantwortung für die Sicherung eines fairen Wettbewerbs gerecht werden.Meine Damen und Herren, in der Kürze der Zeit kann ich jetzt bei der ersten Lesung nicht so wie erforderlich auf den Abbau von Sondervorschriften in den Ausnahmebereichen eingehen. Ich denke dabei z. B. an die Einführung des Verbotsprinzips an Stelle des Mißbrauchsprinzip im Bereich Banken und Versicherungen und die Ausgestaltung der gesetzlichen Befristung von Gebietsschutzverträgen in der Energieversorgungswirtschaft usw. Hierzu nur so viel: Wir von seiten der CDU/CSU wollen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern notwendigen Belangen der Sonderbereiche auch künftig Rechnung tragen. Wir wollen gleichzeitig für eine Gestaltung sorgen, die dem Wettbewerb mehr Raum gibt und den kommenden europäischen Binnenmarkt im Blick hat. Letztlich geht es um die Herstellung von Chancengleichheit.
Gerade das ist doch die Kernaufgabe jeder Mittelstands- und Wettbewerbspolitik überhaupt.
Dieser hat sich diese Bundesregierung verschrieben. Ich setze auf sie und bin der festen Überzeugung, daß es uns gelingen wird, eine Kartellgesetznovelle zu machen, die den heutigen Gegebenheiten entspricht, und es nicht bei leeren Phrasen bleibt, wie sie von Ihrer Seite, der SPD und den GRÜNEN, hier vorgetragen wurde.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Abgeordnete Vahlberg.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zur vorliegenden Novelle zwei Feststellungen treffen: Erstens kommt sie zu spät, und zweitens ist sie nicht geeignet, die Konzentration und Vermachtung in der Wirtschaft zu stoppen.
Sie ist im Grunde genommen ein Placebo, in diesem Fall kein weißes, sondern ein schwarzes Placebo; sie ist nicht weiße Salbe, sondern schwarze Salbe — um diesen Entwurf mit pharmazeutischen Begriffen zu charakterisieren.Mein Kollege Jens hat bereits darauf hingewiesen, daß der Zeitpunkt dieser Novellierung einfach nicht stimmt, einfach nicht paßt; denn wir sind zur Zeit dabei, uns auf europäischer Ebene eine neue Wettbewerbsordnung zu geben. Wenn sie dann in der nächsten Zeit da ist, müssen wir unsere nationalen Regelungen diesen europäischen Regelungen wieder anpassen. Deshalb macht es keinen Sinn, jetzt, zu diesem Zeitpunkt, die Novellierung des Wettbewerbsrechts zu diskutieren.Wir haben mit unserem Antrag für eine funktionsfähige europäische Wettbewerbsordnung die Eckpunkte benannt, Eckpunkte, die nach unserer Auffassung für eine funktionsfähige europäische Wettbewerbsordnung unverzichtbar sind. Dies ist ausführlich dargelegt worden. Ich will darauf jetzt nicht weiter eingehen.Ich möchte vielmehr deutlich machen, daß die Bundesregierung mit ihrer angeblich so mittelstandsfreundlichen fünften Kartellnovelle in Wirklichkeit den kleinen und mittleren Unternehmen gegen Konzentration überhaupt nicht hilft.
So verschärfen Sie nur scheinbar die Fusionskontrolle; das ist hier schon angesprochen worden. Was die Bundesregierung hier als große Neuerung ankündigt, ist von der Rechtsprechung, Herr Minister, und von der Verwaltungspraxis längst in gängige Übung gebracht worden. Das Bundeskartellamt bemerkt in seinem letzten Tätigkeitsbericht — auch dies ist schon gesagt worden — , daß diese vorgesehene Gesetzesänderung nicht zu einer entscheidenden Änderung der kartellrechtlichen Beurteilung von Handelszusammenschlüssen führt.
Im Klartext: Die Bundesregierung streut den kleinen und mittleren Unternehmen insbesondere im Einzelhandel Sand in die Augen und läßt ansonsten den Konzentrationsprozeß ungerührt weiterlaufen.Es wäre vielleicht auch zu naiv, zu glauben, daß mehr als Lippenbekenntnisse zur Marktwirtschaft und zum Wettbewerb erwartet werden können. Denn Sie sind gerade dabei, mit der Fusion Daimler-Benz und MBB den größten Fusionsfall in der Geschichte der Bundesrepublik vorzubereiten.Herr Minister, ich habe Ihre Ausführungen im Ausschuß vom letzten Mittwoch noch im Ohr. Sie haben sich dort zweimal versprochen — ich glaube, das wa-
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Vahlbergren Freudsche Versprecher —, indem Sie zweimal gesagt haben: „der zu erwartende Zusammenschluß". Einmal habe ich Sie darauf hingewiesen, daß Sie sich versprochen haben.Also, ich lasse mich sehr gerne überraschen. Das, was Sie gesagt haben, war zwar keine klare Äußerung zugunsten einer Fusion, aber wer zwischen den Ohren hören kann, der konnte aus dieser Ausschußsitzung mit nach Hause nehmen, daß Sie wahrscheinlich beabsichtigen, diese Fusion zuzulassen.Das ist typisch: Mit großen Geldbeträgen wird eine solche Fusion realisiert. Wenn ein Großer etwa in Schieflage kommt oder am Ertrinken ist, wird ihm mit großen Geldbeträgen — etwa im Falle von AEG mit Hunderten von Millionen — ein komfortabler Rettungsring ins Wasser geworfen.
Wenn ein Kleiner am Ertrinken ist, dann reicht es nicht einmal für einen Beerdigungskranz.Leidtragende dieser Politik sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen. Vor allem im Handel läuft der Verdrängungs- und Konzentrationsprozeß ungehindert weiter. Über 2 000 Unternehmenszusammenschlüsse hat es allein im Jahre 1987 und 1988 gegeben.
— Ich habe zur Wirkung dieser Novelle schon etwas gesagt, und ich werde Weiteres sagen. — Allein 550 Handelsunternehmen sind in dieser Zeit von anderen Unternehmen übernommen worden. 94 Zusammenschlüsse mit einem Umsatz von 28 Milliarden DM betrafen dabei allein, Herr Hinsken, den Lebensmittelhandel.
Inzwischen muß man feststellen: 1 % der Einzelhandelsunternehmen deckt 65 % des Umsatzes ab.
— Das ist nicht gut. 1962 waren es nicht einmal 30 %.Herr Grünbeck, Ihre Marktwirtschaftsoper kann ich in diesem Zusammenhang schon gar nicht mehr hören. Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie die Bedeutung des Mittelstands herausstreichen, was die Ausbildungsleistung anlangt, was die Anzahl der Arbeitsplätze angeht, und wenn Sie sagen, daß das differenzierte Waren- und Dienstleistungsangebot, das der Mittelstand in unserer Wirtschaft zur Verfügung stellt — einzigartig in der Welt, wie man feststellt — , ein entscheidender Beitrag zur Lebensqualität der Bürger in diesem Lande ist. Aber wenn man Ihre Marktwirtschaftssuada überprüft, dann bleibt nichts an Substanz übrig.Ein Beispiel, Herr Grünbeck, ist der Dienstleistungsabend. Das führt zu einer weiteren Konzentration,
denn die zusätzlichen Kosten für Personal und Energie können von den großen Handelsgiganten umgelegt werden; die kleinen Einzelhändler sind dazu nicht in der Lage.
Bitte schön, Herr Grünbeck.
Herr Kollege, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß es heute kein einziges Sachverständigengutachten mehr gibt, das etwa sagt, daß durch eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten eine erweiterte Konzentration stattfindet,
sondern das Gegenteil sich abzeichnet: daß durch die Liberalisierung der Ladenschlußzeiten die Konzentration zurückgeht?
Herr Grünbeck, Sie machen diesen Dienstleistungsabend, der in Wirklichkeit ja kein Dienstleistungsabend ist, sondern nur eine Verlängerung von Ladenöffnungszeiten
— denn für Banken, Versicherungen oder Behörden ist schon jetzt der Mitternachtsservice durchaus möglich, so daß es nur um die Verlängerung der Ladenschlußzeiten geht —,
gegen den Willen der betroffenen Arbeitnehmer und gegen den Willen der betroffenen Einzelhändler.
Wir bekommen dies ja in diesem Hause dokumentiert, wenn wir bei den Entscheidungen feststellen, daß die Mittelstandspolitiker Ihrer Parteien, der Union z. B., bei den Abstimmungen hier nicht im Saal sind, weil sie dies nicht mittragen wollen, weil sie wissen, daß es Schwachsinn ist.
Was müßte geschehen? Wir fordern bei der Fusionskontrolle eine Abkopplung vom Kriterium der Marktbeherrschung und ein generelles Verbot von Größtfusionen. Mit der Verwirklichung dieser Forderungen hätten Zusammenschlüsse von Großunternehmen wie etwa Metro/Kaufhof oder Asko/Massa, um nur zwei Beispiele zu nennen, unterbunden werden können.Ein anderer wichtiger Punkt zur Bekämpfung von Nachfragemißbrauch, vor allem im Einzelhandel, wäre eine Verschärfung der Verhaltenskontrollen. Die von nachfragemächtigen großen Handelsunternehmen erzwungenen, nicht leistungsgerechten Konditionen sind nach unserer Auffassung eine wichtige Ursache für die Entwicklung im Einzelhandel. Wir fordern deshalb eine klare Formulierung der bisherigen Bestimmungen des § 37 a Abs. 3 GWB und die Ausgestaltung dieser Vorschrift als Verbotstatbestand. Das
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Vahlbergist besonders wichtig, damit zukünftig der Zivilrechtsweg, also die Klage von Verbänden und Unternehmen, möglich wird.Ganz besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Einführung einer Beweislastumkehr entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, Herr Minister. Die Bundesregierung hat sich zwar zu einer Überarbeitung des § 37 a bereit gefunden, aber die Beweislastumkehr verweigern Sie. Sie wäre aber eine wichtige Voraussetzung. Alle griffigen Formulierungen in diesem Bereich laufen ins Leere, wenn eine solche Beweislastumkehr nicht durchgesetzt wird.Dieser Regierungsentwurf
ist im Grunde genommen ein weiterer Beleg dafür, daß Sie nicht zu konkreten Maßnahmen im Bereich des Mittelstands fähig sind. Auch im steuerpolitischen Bereich ist das feststellbar. Sie verweigern die steuerstundende Investitionsrücklage, obwohl das Handwerk sie immer wieder fordert. Dafür schaffen Sie Erleichterungen im steuerlichen Bereich für die Größtunternehmen.Die finanzielle Förderung haben Sie nach unten gefahren. Es ist grotesk, wenn man sieht, daß der Bundesforschungsminister einen dicken Bericht zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen vorlegt, nachdem Sie vorher mit dem Personalkostenzuschußgesetz, mit dem Personalkostenzuwachsförderungsgesetz die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen beim Umsetzen von neuen Technologien behindern, d. h. diese Unternehmen nicht mehr unterstützen.Das gilt auch für das Eigenkapitalhilfeprogramm für Existenzgründungsprogramme, deren Konditionen Sie verschlechtern und die wahrscheinlich 1992 auslaufen werden. Alle diese Programme, die von der Regierung Schmidt für kleine und mittlere Unternehmen installiert wurden, waren außerordentlich erfolgreich.Insgesamt wollen Sie die Fördermittel von 1,1 Milliarden DM auf 485 Millionen DM herunterführen. Das bedeutet eine Auszehrung des Mittelstands, und das zu einer Zeit, da Sie sich anschicken, mit Milliardenbeträgen Größtfusionen durchzusetzen. Hier wird der krasse Unterschied zwischen Schein und Sein, zwischen Wort und Tat dieser Bundesregierung in der Mittelstandspolitik deutlich.Schönen Dank.
Bevor ich dem letzten Redner, der zu diesem Tagesordnungspunkt spricht, das Wort erteile, darf ich darum bitten, daß der Wettbewerb zwischen der Geräuschkulisse des Redners und der der Abgeordneten eingestellt wird.
Herr Dr. Pinger, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die SPD — wir haben es gerade gehört — sagt, die Novelle komme zu spät und sie sei
zu wenig scharf. Die Konsequenz allerdings ist merkwürdig. Die SPD sagt: Wir lehnen die Novelle ab.
Wir dagegen sehen einen akuten Handlungsbedarf und begrüßen es sehr, daß die Bundesregierung den Gesetzentwurf vorgelegt hat.
Im Einzelhandel stirbt der Mittelstand. Selbständige Existenzen werden vom Markt verdrängt. Sie werden vernichtet oder gezwungen, sich aufkaufen zu lassen. Die Konzentrationswelle läuft im Lebensmitteleinzelhandel und darüber hinaus. Seit 1960 sind 140 000 Lebensmitteleinzelhandelsbetriebe vom Markt verdrängt worden.
Leider ist das erst der Anfang. Diese Konzentration geht weiter, vor allem im Facheinzelhandel.
Wir müssen dagegen vorgehen.
Einen Strukturwandel muß es natürlich auch im Einzelhandel geben. Er wird durch verändertes Verbraucherverhalten und veränderte Vertriebsformen erzwungen. Aber es sind vor allem auch die leistungswidrigen Praktiken, die diesen Konzentrationstrend herbeiführen. Im Einkauf erpressen Großunternehmen von ihren Lieferanten ungerechtfertigte Sonderkonditionen, die mit Mengenrabatt nichts zu tun haben.
Ich darf Sie um etwas mehr Aufmerksamkeit für den Redner bitten. Ich glaube nicht, daß er sich bei dieser Unruhe verständlich machen kann.
Im Verkauf bieten sie unter Einsatz ihrer geballten Finanzkraft einige Produkte als Lockvögel zu Verlustpreisen an. Die Verluste werden dann durch höhere Preise bei sonstigen Waren in der Mischkalkulation wieder hereingeholt. Die Verbraucher haben davon keinen Vorteil. Kleinere Unternehmen können diese leistungswidrigen Strategien nicht übernehmen und geraten zwangsläufig ins Hintertreffen. Die Interessenvertreter der Großwirtschaft freuen sich über ihre Erfolge und sprechen von Sozialer Marktwirtschaft. Die Befürworter der GWB-Novelle werden verdächtigt, mit Schutzzäunen überalterte Wirtschaftsstrukturen konservieren zu wollen.Der Präsident des Bundeskartellamtes hat die Entwicklung so beschrieben:Unser wettbewerbspolitisches Credo hat sich seit Anfang der 70er Jahre schleichend und fast unmerklich in Richtung auf manchesterlichen Inhalt zurückentwickelt. Das Feld wird heute von rigiden liberalistischen Ökonomen beherrscht.In der Tat, so ist es.Demgegenüber haben alle Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft in der fortgeschriebenen gemeinsamen Erkärung diese leistungswidrigen Praktiken gebrandmarkt. Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, Herr Jens, sind damit in ihrem
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Dr. PingerKampf gegen Machtmißbrauch in der Wirtschaft offensichtlich weiter als Sie von der SPD.
Sie wollen hier nicht folgen. Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft beklagen Diskriminierung,
und sie beklagen systematischen Unter-Einstandspreis-Verkauf. Gerade letzteres wollen Sie mit dem Gesetz nicht verbieten.
Es geht darum, den Einsatz von Macht statt Leistung im Wettbewerb zu verbieten. Es geht darum, im GWB die Spielregeln zu verbessern. Ohne solche wirksamen Regeln setzt sich derjenige durch, der in unfairer Weise gegen die Mitspieler vorgeht. Zuerst den Mann und dann den Ball zu treten muß mit der gelben oder der roten Karte geahndet werden. Andernfalls geht der unfaire Wettbewerb unter Ausschaltung des Gegners weiter. Es muß aber darum gehen, im Wettbewerb Leistung statt Macht durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, der starke Mittelstand in unserer Gesellschaft, auf den wir immer stolz waren und den wir in dieser Form in anderen Ländern kaum finden, war bisher ein Garant politischer Stabilität und auch wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.
Die Vermachtung im Einzelhandel und als Folge davon auch eine weitergehende Vermachtung im Bereich der mittelständischen Industrie bringt deshalb nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Gefahr mit sich. Sie gilt es zu bannen, und zwar mit verbesserten Spielregeln, wie wir sie hier im GWB aufgeführt haben.Herr Kollege Jens, Sie wollen nach Ihren Aussagen den § 26 Abs. 4 in diesem Gesetz. Warum wenden Sie sich dann eben gegen das Verbot des systematischen und unberechtigten Einsatzes von Unter-Einstandspreis-Verkäufen?
Sie wenden sich gegen eine Einschränkung der Belieferungspflicht. Was wir wollen, Herr Kollege Jens, ist, daß es nicht wie jetzt möglich ist, sich hier beraten zu lassen und draußen zu kaufen. Es muß wieder möglich sein, daß diejenigen Firmen, die als mittelständische Facheinzelhändler den Kunden beraten, dann auch die Chance haben, den Verkauf zu tätigen. Hier gilt es den Mißbrauch einzuschränken. Deshalb sind wir auch für eine Veränderung des § 26 Abs. 2.Meine Damen und Herren, es geht nun bei den weiteren Beratungen im Wirtschaftsausschuß darum, die einzelnen Vorschriften noch weiter abzuklopfen. Es muß insbesondere darum gehen, daß wir Vorschriftenhaben, die dann auch greifen. Wir brauchen eine Beweislastregelung in § 26 Abs. 4. Sie von der SPD haben angedeutet, daß Sie bei diesem Punkt mitwirken wollen. Das ist noch eine schwierige Frage. Ich bin sicher, daß wir letztlich eine Regelung bekommen, die dann auch greift, die nicht übertriebene Hoffnungen weckt, die aber Mißbräuche einschränkt.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 25 a bis 25 i und den Zusatztagesordnungspunkten 13 und 14 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Überweisungen so beschlossen.Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich hier den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN zu Todesurteilen in der Volksrepublik China auf Drucksache 11/4873 verlesen und anschließend einen Beschluß herbeiführen *) :Der Bundestag wolle beschließen:Die chinesische Regierung hat die weltweiten Appelle, zu einer Politik des Dialogs mit der Demokratiebewegung zurückzufinden und die Verhaftungs- und Repressionswelle gegen deren Exponenten einzustellen, bisher taten- und kommentarlos übergangen. Statt dessen hat sie bereits in ersten Schnellverfahren Todesurteile gegen Arbeiter und Studenten verhängt, die jetzt in einer Reihe von Fällen öffentlich vollstreckt worden sind.Der Deutsche Bundestag verurteilt die Todesurteile und ihre Vollstreckungen aufs schärfste. Er fordert gemeinsam mit der Bundesregierung die chinesische Regierung mit Nachdruck auf, weitere Todesurteile weder zu verhängen noch zu vollstrecken, statt dessen die von ihr angeklagten und verfolgten Personen zu begnadigen und alle politischen Prozesse niederzuschlagen.Der Deutsche Bundestag bekräftigt seine von allen Fraktionen gemeinsam verabschiedete Entschließung vom 15. Juni 1989 . Er fordert und bekräftigt insbesondere— daß sich der Weltsicherheitsrat, die Generalversammlung und die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen unverzüglich mit den gravierenden Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China befassen;— daß die Weltbank die Vergabe weiterer Kredite an die Volksrepublik China sofort aussetzt;*) Vgl. 152. Sitzung, S. 11463 A bis 11470 A
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Präsidentin Dr. Süssmuth— daß im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit weitere Kapitalhilfen und Hermesbürgschaften seitens der Bundesrepublik Deutschland ausgesetzt werden;— daß die Regierung der Volksrepublik China unabhängigen Menschenrechtsorganisationen die Einreise und den Zugang zu den inhaftierten Personen gestattet.Soweit der Text der interfraktionellen Vereinbarung.Wir kommen nun zur Abstimmung. Wer ist für diesen Antrag? — Gegenstimmen! — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag zu den Todesurteilen in China einstimmig angenommen. Ich danke Ihnen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 sowie die Zusatztagesordnungspunkte 15 bis 18 auf:26. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes— Drucksache 11/4230 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußRechtsausschußb) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des AuBenwirtschaftsgesetzes— Drucksache 11/4568 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
RechtsausschußAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschußc) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs und zum Verbot von Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen— Drucksache 11/4609 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft
Auswärtiger AusschußRechtsausschußVerteidigungsausschußAusschuß für Forschung und TechnologieAusschuß für Umwelt, Naturschutz und ReaktorsicherheitHaushaltsausschußd) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Zweiundsechzigste Verordnung zur Änderung der Ausfuhrliste — Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung —— Drucksachen 11/4355, 11/4683 —Berichterstatter:Abgeordneter Müller
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft zu der Verordnung der BundesregierungAufhebbare Dritte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung— Drucksachen 11/4303, 11/4685 —Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmannf) Erste Beratung des von den Abgeordneten Gansel, Adler, Dr. Ahrens, Amling, Andres, Antretter, Bachmaier, Bahr, Becker , Becker-Inglau, Bernrath, Bindig, Blunck, Brück, Büchner (Speyer), Bulmahn, Catenhusen, Conrad, Conradi, Dr. Däubler-Gmelin, Daubertshäuser, Diller, Dreßler, Duve, Egert, Dr. Ehmke (Bonn), Dr. Emmerlich, Erler, Ewen, Faße, Fischer (Homburg), Fuchs (Verl), Gerster (Worms), Gilges, Dr. Götte, Graf, Großmann, Grunenberg, Hämmerle, Dr. Hartenstein, Hasenfratz, Dr. Hauchler, Heistermann, Heyenn, Hiller (Lübeck), Dr. Holtz, Horn, Ibrügger, Jahn (Marburg), Jaunich, Dr. Jens, Jung (Düsseldorf), Jungmann, Kiehm, Kirschner, Kißlinger, Klein (Dieburg), Dr. Klejdzinski, Klose, Kolbow, Koltzsch, Koschnick, Kretkowski, Kühbacher, Kuhlwein, Lambinus, Leidinger, Lennartz, Lohmann (Witten), Lutz, Luuk, Dr. Martiny, Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Müller (Pleisweiler), Nagel, Dr. Nöbel, Odendahl, Oesinghaus, Oostergetelo, Opel, Dr. Osswald, Paterna, Peter (Kassel), Dr. Pick, Purps, Renger, Reuter, Rixe, Roth, Schäfer (Offenburg), Schanz, Dr. Scheer, Scherrer, Schmidt (Nürnberg), Schmidt (Salzgitter), Dr. Schmude, Dr. Schöfberger, Schröer (Mülheim), Schütz, Seidenthal, Seuster, Sieler (Amberg), Singer, Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Dr. Sonntag-Wolgast, Steiner, Steinhauer, Stiegler, Stobbe, Dr. Struck, Tietjen, Dr. Timm, Toetemeyer, Urbaniak, Vahlberg, Verheugen, Voigt (Frankfurt), Waltemathe, Walther, Wartenberg (Berlin), Weiler, Weisskirchen (Wiesloch), Westphal, Weyel, Dr. Wieczorek, Wieczorek-Zeul, Wiefelspütz, von der Wiesche, Wimmer (Neuötting), Dr. de With, Würtz, Zander, Zeitler, Zumkley, Dr. Vogel und der Frak-
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Präsidentin Dr. Süssmuthtion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle— Drucksache 11/2920 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußRechtsausschußVerteidigungsausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß gem. § 96 GOg) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENVeröffentlichungspraxis der Bundesregierung zu Rüstungsexporten— Drucksache 11/4499 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschußh) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Beer, Frau Garbe, Dr. Lippelt und der Fraktion DIE GRÜNENVerbot der Forschung an B-Waffen, Toxinwaffen und C-Waffen— Drucksache 11/3940 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Verteidigungsausschuß Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Forschung und Technologie Haushaltsausschußi) Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller , Bachmaier, Dr. von Bülow, Dr. Emmerlich, Gansel, Dr. Jens, Jungmann (Wittmoldt), Koschnick, Dr. Scheer, Dr. Soell, Vosen, Wiefelspütz, Opel, Bulmahn, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDRüstungsexporte deutscher Unternehmen in den Irak, Rumänien, Ägypten und Argentinien— Drucksache 11/4519 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschußj) Beratung der Unterrichtung durch die BundesregierungZwischenbericht über den Stand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegendes Verdachts illegaler Ausfuhren von Ausrüstungsteilen zur Produktion chemischer Kampfstoffe im Irak— Drucksache 11/3762 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeitk) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Vennegerts und der Fraktion DIE GRÜNENMBB die Erlaubnis zur Kriegswaffenproduktion entziehen— Drucksache 11/4498 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußRechtsausschußZP15 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNENUmsetzung der UNO-Resolution 591 in bundesdeutsches Recht— Drucksache 11/4825 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußZP16 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid und der Fraktion DIE GRÜNENEinhaltung des UNO-Rüstungsembargos gegenüber Südafrika— Drucksache 11/4826 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußZP17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller , Bachmaier, Dr. von Bülow, Dr. Emmerlich, Gansel, Jungmann (Wittmoldt), Dr. Scheer, Dr. Soell, Vosen, Wiefelspütz, Ibrügger, Bulmahn, Hauchler, Frau Weiler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDVerminderung der Rüstungsexporte und verbesserte Rüstungsexportkontrolle— Drucksache 11/4842 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußRechtsausschußVerteidigungsausschußAusschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitZP18 Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller , Bachmaier, Dr. von Bülow, Dr. Emmerlich, Gansel, Jungmann (Wittmoldt),
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Präsidentin Dr. SüssmuthDr. Scheer, Dr. Soell, Vosen, Wiefelspütz, Frau Weiler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPDKeine Genehmigung für Waffenexporte in den Nahen und Mittleren Osten— Drucksache 11/4843 —Überweisungsvorschlag:Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger AusschußVerteidigungsausschußAusschuß für wirtschaftliche ZusammenarbeitZu Tagesordnungspunkt 26 e liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4851 vor.Im Ältestenrat sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte 90 Minuten vereinbart worden. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt ausdrücklich die vorliegenden Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur besseren Überwachung des Außenwirtschaftsverkehrs. Wir hoffen, daß die vorgeschlagenen Maßnahmen künftig den illegalen Export von Technologien und Produkten wirkungsvoll verhindern, die zur Herstellung von Waffen oder waffenfähigem Material gebraucht werden könnten.Wir unterstützen die in dem Entwurf enthaltene Absicht der Bundesregierung: weitere Exportverbote für militärisch nutzbare Güter zu erlassen, die Informationsbasis der Kontrollbehörden und den Informationsaustausch zwischen den Behörden zu verbessern, die bestehenden Straf- und Bußgeldbestimmungen zu verschärfen und auch die Mitwirkung an der Herstellung oder Verbreitung von ABC-Waffen unter Strafe zu stellen, wenn diese im Ausland geschehen.Voraussetzung für all dies ist eine ausreichende personelle und materielle Ausstattung der Kontrollbehörden. Auch hier hat die Bundesregierung gehandelt.Dabei werden wir uns im Wirtschaftsausschuß auch mit der notwendigen Umorganisation des Bundesamts für Wirtschaft beschäftigen.
Herr Minister Haussmann, Sie haben dazu gestern im Untersuchungsausschuß Ausführungen gemacht. Ich bin sicher, es ist auch in Ihrem Interesse, daß wir im Wirtschaftsausschuß darauf zurückkommen.Auf Anregung der CDU/CSU hat der Wirtschaftsausschuß die Durchführung einer Anhörung zu den vorliegenden Gesetzentwürfen beschlossen. Damit möchten wir die Wichtigkeit des Gesamtthemas unterstreichen und alles Notwendige zu einer schnellen Gesetzesentscheidung unternehmen.Die CDU/CSU-Fraktion appelliert an die Opposition, sich an einer schnellen und zügigen Beratung zu beteiligen.
Es ist auch im Interesse der deutschen Wirtschaft, daß die vorliegenden Gesetze so schnell wie möglich verabschiedet werden;
es muß zur Rechtsklarheit kommen. Die betroffenen Betriebe haben einen Anspruch darauf, Herr Dr. Vogel, daß dies so schnell wie möglich geschieht.
Um es noch einmal herauszustellen: Unsere Wirtschaft ist in hohem Maß exportabhängig, und ihre Erfolge hängen vom internationalen Renommee ab. Dabei kann aber nichts das Renommee so nachhaltig gefährden wie illegale Handelspraktiken, ganz gleich, ob es sich dabei um Waffen oder waffenfähige Technologien handelt. Bei dieser Gelegenheit sei nochmals klar herausgestellt: Bei den meisten Betrieben bedarf es keiner gesetzlichen neuen Regelung, denn unsere Unternehmer handeln seit Jahrzehnten im Rahmen auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung.
— Auch wenn dies bestimmte Gruppen innerhalb dieses Hauses, wie dieser Zwischenruf von Herrn Stratmann zeigt, zu Unrecht bestreiten, beweisen deutsche Unternehmen täglich, daß Moral und Geschäft keine Gegensätze sind.Die vergangenen Monate haben in der Öffentlichkeit zur Versachlichung der Diskussion beigetragen. Daran haben vor allem die Wirtschaftsverbände einen erheblichen Anteil. Ich würde mich freuen, wenn auch die SPD-Opposition — sie hat dazu gleich Gelegenheit — einen stärkeren Beitrag zu dieser Versachlichung leisten würde. Sie hat einen erheblichen Nachholbedarf.
Dabei muß jedem verantwortlichen Politiker klar sein, daß nicht schon irgendein zweifelhafter Bericht ohne konkrete Beweise Anlaß für undifferenzierte Vorwürfe gegen Unternehmen sein darf.Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Die Behörden müssen jedem ernsthaften Verdacht nachgehen. Es muß dort kontrolliert werden, wo es sich als notwendig erweist. Aber es muß verhindert werden, daß eine überzogene Regelung zu übermäßigen Einschränkungen führt.Auch wenn ich einleitend für die CDU/CSU die vorliegenden Gesetzentwürfe begrüßt habe, bedaure ich gleichzeitig, daß sie notwendig geworden sind. Immer wieder müssen wir uns als Parlament mit der Frage auseinandersetzen, ob wir die Freiräume und das selbstverantwortliche Handeln des einzelnen nicht zu sehr einschränken. Ich betone ausdrücklich, daß ich
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Kittelmannfür diese Sorgen ein immer stärkeres Verständnis habe.Denn der freiheitliche Rechtsstaat kann und muß auf eine permanente Kontrolle seiner Bürger verzichten. Dies kann aber nur so lange gelten, wie diese Liberalität nicht mißbraucht wird.Das heißt für den hier von uns diskutierten Sachverhalt: Verbesserte Technologien und verfeinerte Möglichkeiten, vorhandene Gesetze zu umgehen, erfordern neues Nachdenken.
Die CDU/CSU-Fraktion ist überzeugt, daß die Vorkommnisse der letzten Zeit ein Handeln zwingend notwendig machen.
Wenn Teile des Gemeinwesens gegen die gemeinsamen Regeln verstoßen, muß der Staat Kontrollmechanismen in Gang setzen. Er muß denjenigen Sanktionen androhen, die gegen Gesetze verstoßen, und er muß diese Sanktionen gegebenenfalls auch anwenden.
Sie müssen denjenigen die Unrechtmäßigkeit ihres Verhaltens deutlich machen, die sich darüber nicht im klaren sind, oder sie müssen denjenigen erhebliche Folgen androhen, die aus Gewinnsucht böswillig gegen diese Regeln verstoßen.
Die hinter uns liegende Diskussion hat aufgezeigt, daß an einer Strafverschärfung also kein Weg vorbeiführt. Dann ist es aber um so notwendiger, daß diejenigen, die im Einklang mit den Gesetzen handeln, nicht zu Unrecht verdächtigt werden. Dies gilt für den einzelnen genauso wie für gesellschaftliche Gruppen und Unternehmen als Teil des Gemeinwesens.Deshalb gehen wir auch in Zukunft grundsätzlich von der Freiheit des Außenhandels aus. Lediglich in ganz bestimmten Fällen ist eine Genehmigung erforderlich. Dies betrifft z. B. den Waffenexport. Es ist kaum bekannt und muß immer wiederholt werden, daß die Bundesrepublik Deutschland schon heute zu den Industrieländern gehört, die eine strenge, die strengste Exportkontrolle im Rüstungsbereich hat. Dabei sind auch Technologien einbezogen, die Drittstaaten in die Lage versetzen, Waffen herzustellen.Der CDU/CSU ist bekannt, daß die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen zum Teil wesentlich über den international üblichen Rahmen hinausgehen. Deshalb ist es für ihre Wirksamkeit von großer Bedeutung, daß auch andere Exportländer ihre Kontrollen ergänzen und eine enge Abstimmung mit deren Außenwirtschaftskontrollinstanzen stattfindet.Hierbei ist besonders die Europäische Gemeinschaft gefordert. Die CDU/CSU begrüßt es deshalb, daß die Bundesregierung die Kommission der Europäischen Gemeinschaft aufgefordert hat, möglichst rasch einen Verordnungsentwurf über Ausfuhrbeschränkungen für chemische Vorprodukte, die zurHerstellung chemischer Kampfstoffe verwendet werden können, vorzulegen.Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit in Erinnerung rufen, daß auch die COCOM-Liste — Herr Dr. Vogel, hier ist Nachdenken Ihrerseits erforderlich — eine wesentliche Einrichtung bleibt, um Mißbräuche zu verhindern.
Vielleicht verhilft diese Tatsache denen zur Nachdenklichkeit, die bisher lautstark für die Abschaffung von COCOM plädierten. Ich höre, das ist noch immer der Fall.Der Anlaß für die heutige Beratung liegt u. a. in der Lieferung einer Giftgasfabrik nach Libyen und in der damit verbundenen berechtigten internationalen und deutschen Empörung, die jetzt unser Handeln mitbestimmt.
Weil wir bei dieser Gelegenheit feststellen mußten, daß die bisherigen Gesetze zur Verhinderung künftiger Verstöße nicht ausreichend waren, werden die Vorschriften verschärft.Leider gibt es besonders in der Dritten Welt zu viele Staaten, die an Militärtechnik und modernen Waffen interessiert sind. Sie verzehren sich teilweise in dem Ehrgeiz, sich in Besitz des Wissens um die Herstellung dieser Waffen zu bringen. Dabei spielt der Preis häufig keine Rolle.Wenn es also Staaten gibt, die diese Waffen haben wollen, wie am Beispiel Libyens nachzuvollziehen ist, ist es auch nicht auszuschließen, daß sich Unternehmen durch erhebliche Gewinnerwartung zum Gesetzesverstoß bewegen lassen könnten. Genau dem muß begegnet werden.Natürlich wäre es segensreicher, wenn diese Staaten die Gelder in ihre wirtschaftliche Entwicklung investieren würden, aber leider gilt auch in der Dritten Welt häufig nationales Prestige mehr als das Wohl der eigenen Bevölkerung. Die kürzlich veröffentlichten Zahlen, daß z. B. der Krieg zwischen Iran und Irak mehrere hundert Milliarden DM gekostet hat, sind ein Beispiel für diesen Wahnsinn. Diese Fakten sind Ursache dafür, daß die Kontrollmöglichkeiten ausgebaut und Strafen und Verbote erweitert werden müssen.Bei der von uns beantragten Anhörung im Wirtschaftsausschuß werden wir auch darüber zu sprechen haben, ob die verstärkte Erfassung von Wirtschaftsdaten ausreicht oder das erforderliche Maß bereits überschreitet.Erfaßt werden darf nur, was zwingend gebraucht wird, um Wirtschaftskriminalität nachzuweisen.Wer grundsätzlich für die informationelle Selbstbestimmung plädiert, wie sie das Bundesverfassungsgericht fordert, darf diese den Unternehmen eigentlich auch nicht verweigern. Eine Abweichung kann für die CDU/CSU nur aus übergeordneten Gründen in Frage kommen, also nur dann, wenn die verschiedenen Maßnahmen geeignet sind, etwaige Verstöße vereinzelter Unternehmen leichter deutlich zu machen. Da-
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Kittelmannbei bleibt der Bericht der Bundesregierung Maßstab unseres Handelns, in dem festgestellt wird: „Bei einer stärkeren Vernetzung von Informationen hätten wahrscheinlich zu einem früheren Zeitpunkt Konsequenzen ergriffen werden können."
Die CDU/CSU unterstützt auch die Ausdehnung außenwirtschaftlicher Strafmaßnahmen auf Deutsche im Ausland: Damit wird rechtliches Neuland betreten. Die CDU/CSU nimmt zur Kenntnis, daß die Bundesregierung diese Verschärfung für unverzichtbar hält.Dabei dürfen wir uns nie der Illusion hingeben, daß eine absolute Kontrolle möglich ist. Selbst wenn wir mit den Möglichkeiten des Datenaustauschs bis an die Grenze des Datenschutzrechts gehen, selbst wenn wir eine perfekte weltweite Verbotsliste erstellen, wird dies nicht alle Probleme lösen. Auch wenn wir die Kontrollbehörden materiell und personell optimal ausstatten, wenn wir die Straf- und Bußgeldnormen erheblich verschärfen, wird dies nicht hundertprozentig den Verstoß gegen diese Regeln verhindern können.
Dafür sind die Technologien zu komplex. Darüber hinaus kann eine neue Technologie erst dann in eine Verbotsliste aufgenommen werden, wenn die Gefahren bekannt sind, die sich aus ihr ergeben.Um so mehr begrüßen wir die mehrfach angebotene und schon praktizierte Selbstkontrolle der Wirtschaft.Dabei besteht für die CDU/CSU grundsätzlich nochmals Anlaß zu betonen: Wir halten am Prinzip der Exportfreiheit fest. Dieser liberale Grundsatz ist für uns bei allen notwendigen Einschränkungen unverzichtbar. Dazu zwingen uns auch die faktischen Verhältnisse. Ich darf die Zahlen in Erinnerung bringen: Die deutsche Wirtschaft exportiert Jahr für Jahr Waren im Wert von 550 Milliarden DM. Das bedeutet, daß Monat für Monat 1,2 Millionen Lieferungen unser Land verlassen. Eine vollständige Kontrolle ist weder möglich noch wünschenswert.
— Sie vielleicht nicht, aber man hört es häufig.
Wir sind das Land mit dem höchsten Exportanteil, weil wir im harten Wettbewerb nicht nur qualitativ höherwertige Produkte anbieten, sondern weil unser Service auch den meisten anderen Mitbewerbern überlegen ist. Dazu gehört aber vor allem die Einhaltung von Lieferfristen.Meine Damen und Herren, deshalb darf dies auch nicht durch eine verschärfte Außenwirtschaftskontrolle in Zukunft in Frage gestellt werden. Wer dies aufgibt, gefährdet leichtfertig Arbeitsplätze und die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates.Ich denke, daß es der Bundesregierung mit dem vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes gelungen ist, ein effektives Kontrollsystem vorzuschlagen, das nicht zu rechtfertigende Behinderungen der korrekt handelnden Betriebe vermeidet. Die CDU/CSU wird in der von ihr beantragten Anhörung vor allem die Praktikabilität dieser Maßnahmen mit den Vertretern der Wirtschaft und der Bundesregierung diskutieren.Die vor uns liegenden Beratungen werden die Koalitionsfraktionen sehr gründlich, aber auch zügig führen, und wir bitten die Opposition dabei um ihre konstruktive Unterstützung.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Müller .
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am 27. Januar dieses Jahres erlebten wir hier eine jener nicht so häufigen bemerkenswerten Debatten. Wir diskutierten über den geplanten Export von acht Tornados nach Jordanien. Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen sprachen sich damals — offenbar noch unter dem Eindruck der Giftgasaffäre mit Libyen — für eine restriktivere Rüstungsexportpolitik aus. Es war von der Notwendigkeit die Rede, die Rüstungsexportspirale anzuhalten. Damals vereinbarten wir auch, gemeinsam in eine ernsthafte Grundsatzdebatte über unsere Rüstungsexportpraxis einzutreten.Ich frage: Wo ist der Geist jener Debatte, wo ist die damals spürbare Nachdenklichkeit geblieben?Gut, zugegeben, Herr Minister, die Bundesregierung hat Änderungen der einschlägigen Bestimmungen vorgelegt. Dies ist ein Fortschritt. Aber die Entwürfe sind im Prozeß der Willensbildung innerhalb der Bundesregierung entschärft und verwässert worden. Das ist nicht gut. — Noch schlimmer ist jedoch die fortwährende Praxis der Bundesregierung. Mein Kollege Bachmaier, der sich mit anderen zusammen im 2. Untersuchungsausschuß um die Aufklärung illegaler Nuklearexporte bemüht, kann ein Lied davon singen, genauso wie Norbert Gansel und die Kollegen im U-Boot-Untersuchungsausschuß. Dort ist von dem bemerkenswerten Geist der Debatte vom 27. Januar 1989, von Umdenken und von Nachdenklichkeit bei Rüstungsexporten nichts zu spüren.
— Herr Kittelmann, ich will zwei konkrete Beispiele nennen. Die Bundesrepublik unterstützt zwar auf der einen Seite das UNO-Waffenembargo gegen Südafrika, auf der anderen Seite werden aber von deutschen Firmen klammheimlich Baupläne für U-Boote geliefert.Ist dafür, Herr Minister Haussmann, bisher jemand zur Verantwortung gezogen worden? Im Gegenteil, Beamte verschiedener Ministerien berieten am 24. Mai 1989, also vier Monate nach unserer Debatte im Januar, darüber, wie sie die Ermächtigung zur Strafverfolgung zweier Firmen verweigern können, die U-Boot-Konstruktionsunterlagen — VS-Geheim
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Müller
eingestuft — nach Südafrika geliefert hatten. Wörtlich heißt es in dem Besprechungsprotokoll jener Bundesbeamten — ich lese vor — :Von Vertretern des Verteidigungsministeriums und ZB— einer Unterabteilung bei Herrn Haussmann —wurde darauf hingewiesen, daß die mit einer Verweigerung der Ermächtigung zwangsläufig verbundene Durchbrechung des „Legalitätsprinzips" hingenommen werden könne,
— und jetzt müssen Sie zuhören —weil der Unrechtsgehalt, der mit einer Weitergabe von VS-Sachen an Südafrika verbunden wäre, verhältnismäßig gering zu bewerten ist.
Beamte dieser Bundesregierung
nehmen also an, die Weitergabe von militärisch geheimen Blaupausen an Südafrika sei von einem — wörtlich — „verhältnismäßig geringen" Unrechtsgehalt. Das ist eine skandalöse Fehleinschätzung, das ist ein unglaublicher Vorgang.
In der Zeitung „Die Zeit" ist im Zusammenhang mit der U-Boot-Affäre schon einmal davon geschrieben worden, das Verhalten der Bundesregierung bewege sich am Rande der Rechtsbeugung. Dies scheint rückblickend und in Kenntnis des neuerlichen Vorgangs eine sehr zurückhaltende Beurteilung gewesen zu sein.
Herr Minister Haussmann, ich halte Ihnen persönlich ja den guten Willen zugute, die Rüstungsexport-praxis in den Griff zu bekommen. Diese Gesprächsnotiz jedoch ist ein Dokument der Unfähigkeit, die Durchsetzung von Recht und Gesetz in den eigenen Reihen sicherzustellen.
Wenn Rüstungsexporteure auch in Zukunft — Herr Kittelmann, das ist das Entscheidende — darauf setzen können, daß sich die Beamten der Bundesregierung zusammenhocken, um darüber nachzudenken, wie sie Gesetzesbrecher vor der Strafverfolgung schützen können,
dann können Sie Ihre Gesetzesnovellen, Herr Minister, am besten gleich in den Papierkorb werfen.
Das zweite Beispiel für die Kluft zwischen Absichtserklärung und Praxis: Deutsche Firmen haben bei der Entwicklung von Raketen im Irak eine Schlüsselrolle gespielt. Das Projekt SAAD 16 ist der jüngste skandalöse Fall einer Weiterverbreitung von Raketentechnologie. Die zugesagten außenpolitischen Kontrollen durch die Bundesregierung sind umgangen worden. Sie waren offenbar ausgesprochen lasch. Daß die Bundesregierung von diesen Vorgängen etwas wußte, kann ich mir nur schwer vorstellen. Daß Sie davon nichts wissen wollten, dafür spricht allerdings die bisherige Erfahrung.
Ich frage Sie, Herr Minister Haussmann: Warum tun Sie nichts zur Offenlegung des Raketenskandals? Warum überlassen Sie die mühsame Aufklärung der Zusammenhänge der Opposition und den Journalisten von „Stern", „Spiegel" und anderen Zeitschriften? Warum lassen Sie sich — wie bei der LibyenAffäre — die Wahrheit stückchenweise wie Würmer aus der Nase ziehen?
Ich frage Sie: Wo bleibt eigentlich die fällige Prüfung der Zuverlässigkeit der Firma MBB nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz? Warum kommt sie nicht? Wollen Sie das verantwortliche Management im Amte halten, bis die von der Bundesregierung befürwortete Fusion von Daimler-Benz und MBB über die Bühne gegangen ist? Ich werde das Gefühl nicht los: Wenn — —
— Herr Grünbeck, es geht hier um die Prüfung der Zuverlässigkeit, um die Einleitung dieser Prüfung, nicht um Vorverurteilung.
Ich werde das Gefühl nicht los: Wenn deutsche Unternehmen eine bestimmte Größe überschritten haben, wenn sie über Einfluß und die nötigen Mittel zur Öffentlichkeitsarbeit verfügen, dann können sie sich den Verstoß gegen Buchstaben und Geist der Gesetze leisten, ohne daß der Staat gegen diese Regelverletzungen einschreitet.
Hinter uns liegen eine Fülle von Rüstungsexportskandalen. Dennoch läßt, wie beschrieben, auch die Praxis der letzten Wochen nicht auf eine Umkehr schließen, die wir nach dieser Debatte vom 27. Januar erwartet haben.
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Müller
Ich fürchte, die Bundesregierung ist nicht bereit und offenbar auch nicht fähig, den Trend zu immer mehr Rüstungsexport und Rüstung zu brechen.
Das ist schade; denn dieser Trend läuft der Chance zur Abrüstung diametral entgegen.Gegenwärtig werden auf der Welt jährlich 1 000 Milliarden Dollar für die Rüstung ausgegeben. Die Summe der Weltrüstungsausgaben macht mehr aus als das Einkommen der gesamten armen Hälfte der Weltbevölkerung. 5 To des Weltbruttosozialprodukts werden in die Rüstung gesteckt.
Hier stecken die Ressourcen, die wir dringend bräuchten, um gegen Armut und Unterentwicklung, gegen Hunger und Umweltkatastrophen anzugehen.
Wir müssen diesen Trend zu immer mehr Rüstung und Rüstungsexport brechen. Wir können dies auch ohne Sorge um unsere Volkswirtschaft tun, denn Rüstungsexport ist, volkswirtschaftlich betrachtet, eine Null. Er lohnt sich gesamtwirtschaftlich wirklich nicht. Da muß man einmal die Zahlen sehen. Wirklich hoch geschätzt sind es nur 0,5 % unseres Gesamtexports und gut geschätzt nur 0,2 % unseres Bruttosozialprodukts. Wegen dieser 0,2 % handeln wir uns außenpolitische Schwierigkeiten, die Beschädigung unseres Ansehens und die Dauerbeschäftigung des Parlaments ein!
Daß dennoch so viele Menschen und Politiker glauben, unser Heil hänge vom Rüstungsexport ab, hat damit etwas zu tun, daß sich die am Rüstungsexport Interessierten weltweit gut organisiert haben und sich gegenseitig hochschaukeln in Bewunderung und Stimmungsmache für diese Produkte. Es hat auch etwas damit zu tun — das muß man ganz nüchtern sehen —, daß in diesem Geschäft offenbar unheimlich gut verdient wird und — das füge ich hinzu — vermutlich auch unheimlich gut geschmiert wird. Im Zusammenhang mit dem erwähnten Tornado-Geschäft — das ist wohl einer der Gründe gewesen, warum es geplatzt ist — war die Rede von einer halben Milliarde Schmiergeldern. Wenn es nur 200 Millionen waren, ist das schon ein unglaublicher Skandal. Das erklärt vieles von dem, weshalb wir von diesen Dingen nicht wegkommen.
Volkswirtschaftlich bringt Rüstungsexport offensichtlich nichts. Wäre dies anders, dann müßten die Rüstungsexporteure, die UdSSR, die USA, Frankreich und Großbritannien, die Stars der Weltwirtschaft sein. Sie sind es aber nicht. Für uns ist es nicht erstrebenswert, im Rüstungsexportwettlauf zu diesen Nationen aufzuschließen. Das leuchtet auch ein, denn Ingenieurkapazitäten, die für Bomben, für Jäger und für Raketen eingesetzt werden, sind nicht frei für Mikrochips, für Werkzeugmaschinen und für Umwelttechnik. Aber dafür sollten sie frei sein.Mit unserem Antrag betreffend Verminderung der Rüstungsexporte und verbesserte Rüstungsexportkontrolle fordern wir konkrete Ergänzungen und Verschärfungen der von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesnovelle. Ich möchte einige unserer ergänzenden Vorschläge nennen:Wir wollen erstens, daß das Strafmaß bei Verstößen gegen die Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes auf zehn Jahre erhöht wird. Wir raten zweitens zu freiwilligen Vereinbarungen mit den betroffenen Industrieverbänden. Wir drängen drittens auf eine EG-weite Regelung der Rüstungskontrolle. Viertens sollten Ministerien, Behörden und Gerichte verpflichtet werden, in Verdachtsfällen die Strafverfolgungsbehörden zu unterrichten. Fünftens sollten Unternehmen, die gegen Rüstungsexportbestimmungen verstoßen, damit rechnen müssen, daß ihnen Subventionen gestrichen werden. Sechstens schlagen wir eine Endverbleibsklausel vor, mit der jedes Exportunternehmen verbindlich erklärt, daß nach seiner Kenntnis die exportierten Güter nur zum angegebenen friedlichen Verwendungszweck genutzt werden. Siebtens fordern wir, die Raketentechnologie in das Kriegswaffenkontrollrecht zu übernehmen.Wenn Sie diese und die anderen in unserem Antrag enthaltenen Vorschläge prüfen, werden Sie feststellen, Herr Kittelmann und die anderen Kollegen, daß wir nicht auf die komplette bürokratische Kontrolle setzen. Im Gegenteil!
— Um so wichtiger ist unsere entscheidende Forderung an die Bundesregierung: Wir verlangen von ihr, zu einer Politik zurückzukehren, mit der der Trend zu immer mehr Rüstungsexporten umgekehrt und die Rüstungsexportspirale auch wirklich angehalten werden kann. Wir verlangen von der Bundesregierung, endlich wieder ein politisches Klima zu schaffen, in dem Geschäftemacherei mit Rüstung und Rüstungsexport nicht gedeihen kann.
Das ist das Entscheidende. Es muß für jeden deutschen Staatsbürger und für jede deutsche Firma klar sein: Die Lieferung von Waffen in Entwicklungs- und Schwellenländer, in Kriegs- und Spannungsgebiete schadet unserem Volk. Es darf nicht so sein, wie es in diesem Protokoll zum Ausdruck kommt. Es muß klar sein: Wer gegen diesen politischen Willen und gegen die Regeln verstößt, muß mit Sanktionen aller rechnen. Diese politische Willenserklärung der Bundesregierung ist wichtiger als die bürokratischen Regelungen.
Diese politische Erklärung kann auch sofort abgegeben werden. Da bedarf es keiner Hearings und keiner weiteren Beratungen.An diesem klaren Willen der Bundesregierung fehlt es aber nach meiner Einschätzung bisher.
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Müller
Deshalb häufen sich die Skandale. Das kann doch nicht so weiterlaufen!
— Das ist ein neues Protokoll. Die Raketengeschichte ist neu. Es war mühsam, aus Ihnen überhaupt herauszuziehen, daß MBB weitergemacht hat. Früher war von anderen Daten die Rede. Das ist alles noch ein Versteckspiel.
Das deutet darauf hin, daß Ihre klare Willenserklärung eben nicht da ist.Die Koalition tut gut daran, sich der Debatte vom Januar zu erinnern. Wir hoffen, daß die Mehrheit unsere sachlichen Vorschläge ernsthaft prüft. Wir hoffen auf eine konstruktive Zusammenarbeit in den Ausschüssen.Viele Menschen trauen den verantwortlichen Politikern wirkliche Schritte zur Rüstungskontrolle und damit auch zur Exportkontrolle nicht zu. Sie liegen damit so sehr neben der Wahrheit nicht, wie ich finde. Viele Menschen mißtrauen uns Politikern. Sie halten Regierung und Parlament für gefügige Partner der Rüstungsindustrie. Wenn man die Skandale anschaut, dann kann man dieses Mißtrauen verstehen.Die Neuregelung der Rüstungsexportkontrolle ist deshalb auch ein Test auf die Entscheidungsfreiheit und damit auf die Vertrauenswürdigkeit des deutschen Parlaments. Wir sollten gemeinsam versuchen, dieses Vertrauen zurückzugewinnen.
— Lassen Sie mich zu diesem Zuruf noch nachtragen: In der Debatte am 27. Januar, auf die ich mich vorhin bezogen hatte, war es eine gute Eigenart, daß genau diese Aufrechnung der Geschichte nicht gemacht worden ist. Da war nämlich klar, daß man durchaus selbstkritisch auf die eigene Vergangenheit zurückblicken kann. Wenn wir davon ausgehen, daß das nicht möglich ist, dann können wir gleich aufgeben, ernsthaft über solche Dinge zu diskutieren.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Beckmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wenn man die umfangreiche Liste der Vorlagen betrachtet, über die wir heute hier debattieren, so könnte man zu der Überzeugung kommen, daß die Bundesrepublik Deutschland nicht nur Exportweltmeister ist, sondern, wie es die Opposition behauptet — ich zitiere sie auch mehr und mehr zu einem Waffenexporteur in Entwicklungs- und Schwellenländer
und in Kriegs- und Spannungsgebiete wird. Es liegtalso offensichtlich im Interesse der Opposition, derBundesregierung zu unterstellen, sie begünstige durch eine liberale Exportgenehmigungspraxis geradezu die Ausfuhr von Kriegswaffen und militärisch verwendbaren Gütern.
Das, meine Damen und Herren, entspricht aber nicht den Tatsachen.
Mit der FDP, für die ich hier zu sprechen habe, mit uns ist eine verantwortungslose Exportpolitik jetzt und in Zukunft nicht möglich.
Wir setzen uns dafür ein, daß auch weiterhin nach restriktiven Grundsätzen für den Waffenexport verfahren wird.
Meine Damen und Herren, die Zahlen sprechen für sich:Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland steht zwar an der fünften Stelle bei der Ausfuhr von Rüstungsgütern. Sie folgt aber den Großmächten erst in weitem, weitem Abstand.
Zweitens. Der Anteil des Exports von Kriegswaffen und militärischen Gütern an unserem Bruttosozialprodukt und an der Gesamtausfuhr ist verschwindend klein. Der Kollege Müller hat eben mit Recht darauf hingewiesen.
Die Exporte von Kriegswaffen erreichten 1988 nicht einmal 0,2 % unseres gesamten Ausfuhrwertes.
Drittens. Erheblich weniger als die Hälfte der Kriegswaffenausfuhren ging in Drittländer, die nicht der NATO angehören oder diesen faktisch gleichgestellt sind. Von diesen Waffenexporten in Drittländer wiederum bleibt nur weniger als ein Drittel übrig, die überhaupt zu Lande eingesetzt werden können.Viertens. Exporte von Kriegswaffen in Spannungsgebiete oder von Unterdrückungswaffen an menschenrechtsverletzende Diktaturen sind weiterhin ausgeschlossen.Fünftens. Das Embargo der Vereinten Nationen gegenüber Südafrika wird eingehalten.Der Kollege Müller von der SPD, der eben hier gesprochen hat, der, wie ich meine, von der Sache manchmal wirklich etwas versteht,
hat diese Woche in einer Pressekonferenz gesagt, wenn ich das richtig verstanden habe, daß der Rüstungsexport in die Dritte und die Vierte Welt sowie in Spannungsgebiete volkswirtschaftlich völlig überschätzt werde. Sie haben das eben hier wiederholt. Ich
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Beckmannkann dieser Aussage an Hand der vorliegenden Zahlen nur beipflichten.Meine Damen und Herren, diese Fakten unterstützen mich auch in der Auffassung, daß mit den genehmigten Ausfuhren nicht die Unterdrückung der Menschenrechte, die Bedrohung ziviler Bevölkerung, die Unterwerfung von Befreiungsbewegungen oder die Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen in unserer Welt verbunden ist.
Ich weise auch die Vorwürfe strikt zurück, Herr Kollege Vosen, die darauf hinauslaufen, der Regierungspolitik ein — ich zitiere — „stillschweigendes Einverständnis" oder eine „Augenzwinkernde Ermutigung" von brisanten Exportaktivitäten selbst illegaler Art zu unterstellen.Niemand, Herr Kollege Vosen und auch Herr Kollege Müller — das möchte ich an die Adresse der SPD sagen — , kann von sich behaupten, zu seinen Regierungszeiten die Sache besser im Griff gehabt zu haben, als es unter dieser Koalition der Fall ist. Wer, wie der Herr Kollege Dr. Vogel, seinerzeit Regierungsverantwortung getragen hat, weiß, wovon ich spreche.
Meine Damen und Herren, im Gegenteil: Wir haben aus den Fehlern gelernt und daraus auch die nötigen Schlüsse gezogen. Das kommt in diesem Regierungsentwurf zum Ausdruck.Auch in Zukunft wird es sicherlich nicht einfach sein, die verbrecherische Waffenschieberei in den Griff zu bekommen. Es wird jetzt alles auf dem Gesetzesweg überhaupt Mögliche getan, um illegale Praktiken deutlicher zu brandmarken und sie auch leichter verfolgen zu können.Meine Damen und Herren, es wäre auch falsch, an dieser Stelle Mängel in der Vergangenheit nicht offen einzugestehen. So hat uns das Beispiel der Anlage im libyschen Rabta darüber belehrt, wie raffiniert organisierte Ankäufergruppen Technologie für eine Produktionsanlage für chemische Waffen zusammenbringen konnten, ohne daß bei einigen liefernden Firmen ein Gefühl des Argwohns überhaupt aufkam.Ich erinnere auch an illegale Ausfuhren einer Anlage zur Rückgewinnung von Tritium nach Pakistan, an libysch-deutsche Pläne zur Luftbetankung von Flugzeugen oder an Zulieferungen für das irakische Raketenprojekt, die teilweise nicht rechtzeitig unterbunden werden konnten.
— Herr Kollege, lassen Sie mich doch einmal ausreden. Herr Gansel, ich weiß, daß Sie alles besser wissen. Aber auch wir haben unsere Feststellungen zu treffen.In manchen Fällen, meine ich, hätte man sich schon wünschen können, daß die Brisanz von scheinbar unbedenklichen Einzellieferungen, die sich zu einem bedenklichen Ganzen zusammenfügen können, von den Behörden rechtzeitig erkannt worden wäre.Meine Damen und Herren, die zuständigen Staatsanwaltschaften sind aktiv geworden. Wir vertrauen darauf, daß die komplizierten Zusammenhänge aufgeklärt und dann in einem ordentlichen Verfahren entschieden werden. Ermittlungen zu führen ist Sache der zuständigen Staatsanwaltschaften und nicht von politischen Instanzen.
Das deutsche Parlament kann und darf weder Staatsanwalt noch Richter spielen.
Allerdings ist der Deutsche Bundestag aufgefordert, die Konsequenzen aus den entdeckten Mißständen der Vergangenheit zu ziehen. Wir tun dies heute mit dem hier einzubringenden Gesetzentwurf eindeutig und ohne Zögern. Wir entscheiden heute über die Novellierung der Vorschriften im Außenwirtschaftsgesetz, über eine drastische Verschärfung des Strafmaßes und die weltweite Verfolgung von Verstößen gegen das Verbot der Produktion von Atomwaffen, biologischen und chemischen Waffen.Wir verschärfen die Verordnungen zur Außenwirtschaftsliste und schaffen die Voraussetzungen für eine wirksamere Kontrolle sensibler Ausfuhren. Wir verankern die Meldepflicht für Unternehmen mit sensibler Produktion und verbessern den Datenaustausch zwischen den beteiligten Regierungsstellen.Meine Damen und Herren, es wäre sicher verfehlt, pauschale Vorwürfe an die Adresse der gesamten deutschen Wirtschaft zu richten. Wir wollen auch das liberale Außenwirtschaftsrecht nicht zu einem Tribunal gegen exportwillige Unternehmen umfunktionieren lassen, wie es uns z. B. dfie GRÜNEN empfehlen.
Aber wir rechnen fest damit, daß auch die Verantwortlichen in der Wirtschaft die Lehre verstanden haben. Nicht jedes verlockende Geschäft ist auch ein seriöses Geschäft. Ein schneller Gewinn kann sich leicht in einen schweren und dauerhaften Verlust umkehren, wenn nicht auf seiten der in Frage kommenden Unternehmen mit mehr Sorgfalt gearbeitet wird. Sie erfahren als erste, für welche Verwendung ihr Produkt benutzt werden soll, und sie wissen am besten, für welche militärischen Zwecke es eingesetzt werden kann.Selbst eine harmlose numerisch gesteuerte Drehbank ist heute ein Präzisionswerkzeug mit potentiellem militärischen Nutzen.Ich appelliere deswegen auch an dieser Stelle sehr eindringlich an die deutsche Wirtschaft, die gute Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen zu suchen, zweifelhafte Anfragen und Bestellungen zu hinterfragen und sensible Aufträge mit durchsichtigem Hintergrund abzulehnen. Nicht nur außenpolitischer Schaden ist sonst zu befürchten; auch das Renommee der gesamten deutschen Wirtschaft steht andernfalls auf dem Spiel.Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird den Gesetzentwurf der Bundesregierung gerne unterstützen, seine weitere Entwicklung im Verlauf des
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BeckmannGesetzgebungsverfahrens begleiten und dem Bundeswirtschaftsminister hierbei jede Hilfestellung leisten.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Mitbürgerinnen! Liebe Mitbürger! Der größte Waffenhändler, den wir im Moment in der Bundesrepublik haben, ist der verantwortliche Regierungschef.
Diese Einschätzung stammt von dem bekannten Waffenhändler Gerhard Mertins und ist im „Spiegel" Nr. 10/1979 nachzulesen.
— Der Mann kennt sich aus. Diese Aussage war allerdings vor zehn Jahren auf den Regierungschef einer anderen Koalition gemünzt.Ich muß jedoch sagen, daß die Zahlen für 1988 ausweisen, daß diese Einschätzung des Bundeskanzlers, des verantwortlichen Regierungschefs und auch des Vorsitzenden im Bundessicherheitsrat, noch um so mehr für die heutige Rüstungsexportpraxis stimmt. Im Jahre 1988 sind von der entsprechenden Genehmigungsbehörde Exporte, darunter ein Großteil Rüstungsexporte, also genehmigungspflichtige Exporte, in einem Gesamtwert von 31,3 Milliarden DM genehmigt worden.Wenn wir uns die Zielländer ganz zentraler Rüstungsexporte anschauen, dann stellen wir fest, daß in den Irak — Projekt SAAD 16 — Teile von Mittelstrekkenraketen und Chemiewaffen exportiert wurden. Das ist um so erschreckender, weil der Irak, nachdem er das lange zu vertuschen versucht hat, mittlerweile eingestanden hat, daß er Giftgasangriffe auf iranische Soldaten im Krieg gegen den Iran durchgeführt hat. Es ist bekannt, daß Giftgasangriffe der irakischen Regierung ebenfalls gegen Kurden und kurdische Zivilisten im eigenen Land verübt worden sind. Eine solche Giftgaskriegsführung wird durch entsprechende Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik ermöglicht und unterstützt.Ich erinnere an den U-Boot-Blaupausen-Export nach Südafrika, an Nuklearexporte nach Pakistan, nach Indien, Argentinien und Brasilien und an die Exporte von Giftgasfabrikteilen nach Libyen.Es ist interessant, daß wichtige Rüstungsexporte in Diktaturen, in Spannungsgebiete und in Länder erfolgen, die dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sind, wie Argentinien und Brasilien.Das Fazit ist erschreckend: Die Bundesrepublik realisiert ihre von der Koalition und von Teilen der SPD-Opposition vielgefeierten Exportüberschüsse ganz wesentlich durch Beihilfe zur Kriegsvorbereitung und Kriegsführung in Drittstaaten.
Die Exportinteressen der Rüstungswirtschaft und die politischen Interessen des Wirtschaftsministeriums stehen in krassem Gegensatz zu den erklärten außenpolitischen Zielen der Bundesregierung, nämlich Kriegsvermeidung und Nichtverbreitung von Atomwaffen.In dem vorgelegten Gesetzes- und Verordnungspaket der Bundesregierung zu diesem Tagesordnungspunkt ist u. a. ein Verbot der Produktion und der Lieferung von A-, B- und C-Waffen in bzw. aus der Bundesrepublik vorgesehen. Ich halte das für einen wichtigen und notwendigen Schritt in die richtige Richtung, allerdings für einen völlig unzureichenden Schritt.
Beispiel: Brasilien. Der brasilianische Präsident Saarney hat vor ca. einem Jahr öffentlich eingestanden, daß Brasilien heute über das technische Knowhow für die Zündung einer eigenen Atombombe verfügt. Dieses technische Know-how Brasiliens ist durch aktive Mithilfe der Bundesrepublik, und zwar auf der Basis des bundesdeutsch-brasilianischen Atomgeschäfts, zustande gekommen. Dort ist auf der Grundlage des entsprechenden Vertrages die Lieferung von Atomkraftwerken der KWU nach Brasilien, von Teilen für den Brennstoffkreislauf und auch für die Urananreicherung, die für ein Atomwaffen-Know-how ebenfalls ganz zentral ist, und von Technologietransfer sowie die Ausbildung von brasilianischen Atomtechnologen im Kernforschungszentrum Karlsruhe vereinbart worden.Es ist gerade beim Beispiel Brasiliens völlig unmöglich, zwischen dem Export von Atomwaffen und dem Export von sogenannter ziviler Atomtechnologie zu unterscheiden. Es gibt im Bereich der Atomtechnologie keine Unterscheidung von ziviler und militärischer Nutzung. Aus diesem Grunde muß gerade die Erfahrung mit Brasilien lehren, daß das Verbot der Produktion und der Lieferung von Atomwaffen nicht ausreicht, sondern durch ein generelles Verbot des Exports von Atomenergiegütern und des Know-how von Atomenergie in andere Staaten ergänzt werden muß.
Aus diesem Grunde werden wir im Herbst eine parlamentarische Initiative in den Bundestag einbringen, um den deutsch-brasilianischen Atomvertrag zu kündigen. Ich möchte alle bereitwilligen politischen Kräfte im Parlament, auch in den anderen Fraktionen, insbesondere in der SPD-Fraktion, bitten, daß wir zu einer überfraktionellen Initiative kommen.
Die Initiative ist im Herbst notwendig. Wenn nicht bis November der deutsch-brasilianische Atomvertrag gekündigt wird, wird er automatisch um fünf Jahre verlängert. Ich möchte schon jetzt eine solche überfraktionelle Initiative anregen.Die Bundesregierung hat, aufgeschreckt durch die Rüstungsexportskandale und -affären des letzten Jahres, mit der Vorlage ihres Gesetzes- und Maßnahmenpaketes reagiert. Ich bezweifle angesichts ganz kon-
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Stratmannkreter Erfahrungen allerdings, daß dahinter wirklich der Wille zu einer politischen Wende in Fragen des Rüstungsexports steckt.Ich möchte das an dem Beispiel des Exports von U-Boot-Blaupausen nach Afrika deutlich machen. Alles, was dort zur Unterschlagung staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, wie sie die Landesregierung in Kiel beantragt hatte, gesagt werden muß, hat der Kollege Müller schon gesagt und auch treffend eingeschätzt. Die Bundesregierung hat kein Interesse an einer staatsanwaltschaftlichen und rechtlichen Aufklärung der illegalen Vorgänge bei dem Export von U-Boot-Blaupausen.Ein anderes Beispiel von ganz aktueller Bedeutung: Wir GRÜNEN haben im Bundestag den Antrag, der zur Beratung ansteht, eingebracht, dem Rüstungskonzern MBB die Genehmigung zur Produktion und zum Export von Rüstungs- und Kriegswaffengütern zu entziehen, vor dem Hintergrund dessen, daß gerade in den letzten Wochen und Monaten konkrete Verdachtsmomente aufgetaucht sind und es sich erhärtet hat, daß MBB an illegalem Rüstungsexport, z. B. nach Irak, Ägypten und Argentinien, beteiligt ist. Auch wichtige Beamte aus dem Wirtschaftsministerium denken mittlerweile darüber nach, daß man diesem illegalen Treiben bei dem Rüstungskonzern MBB nur durch Entzug der Produktionsgenehmigung für diese Rüstungsgüter begegnen kann.Minister Haussmann hat gestern im Atom-Untersuchungsausschuß, erschreckt durch die „Spiegel" -Veröffentlichungen über das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn, gesagt, daß sich dort Trampelpfade am Rande der Illegalität eingetreten hätten. Herr Haussmann, es handelt sich dort nicht um Trampelpfade am Rande der Illegalität, sondern um Autobahnen der Illegalität. Das, was wir nicht erst seit den „Spiegel"-Veröffentlichungen über das Bundesamt für Wirtschaft wissen, ist so einzuschätzen, daß wir es dort bei der sogenannten Kontrollabteilung mit einem Saustall im Einflußbereich der Rüstungswirtschaft zu tun haben.
Unsere politische Reaktion sowohl auf die Nichtkontrollpraxis des Bundesamtes für Wirtschaft als auch auf die schon soeben dargestellten illegalen oder auch genehmigten Rüstungsexporte ist folgende — ich trage fünf Antragspunkte vor —:Erstens. Die allgemeine Stoßrichtung muß sein: Stopp aller Kriegswaffen- und Atomtechnologieexporte aus der Bundesrepublik.
Weil davon ein relativ weiter Bereich der Rüstungswirtschaft und damit auch Zigtausende von Arbeitsplätzen betroffen sind, müssen wir das damit einhergehende soziale Problem lösen und deswegen sofort Programme zur Umstellung, zur Konversion der Rüstungsproduktion in die Wege leiten. Bereitschaft inder IG Metall und auch in vielen Konversionsarbeitskreisen bei den Belegschaften der Rüstungsunternehmen ist vorhanden.Zweitens. Um Schritte in die Richtung des Stopps aller Rüstungsexporte zu machen, ist eine verschärfte Kontrolle von Rüstungsexporten notwendig und durchzusetzen. Dazu fordern wir, daß eine Liste aller genehmigten Rüstungsexporte veröffentlicht und dem Bundestag zugänglich gemacht wird.Drittens fordern wir, daß in dem ganz sensiblen Bereich des „dual use" von zivilen Gütern, also insbesondere im Chemiebereich, ein internationales Kontroll- und Inspektionsregime eingerichtet wird, daß eine internationale Kontrollabteilung jederzeit das Recht hat, in Drittstaaten in entsprechenden Unternehmungen vor Ort Inspektionen zur Kontrolle durchzuführen.Viertens. Auch der Bundeswirtschaftsminister sagt, daß es eine Organisationsreform im Bundesamt für Wirtschaft geben müsse. Ich halte es für völlig unmöglich, unter der Federführung des Bundeswirtschaftsministeriums eine solche Organisationsreform durchzuführen, weil das Wirtschaftsministerium und die bundesdeutsche Wirtschaft ein Interesse, ein wirtschaftliches Interesse an Rüstungsexporten haben.
Aus diesem Grunde, denke ich, ist die Kontrollabteilung aus dem Bundesamt für Wirtschaft auszugliedern und einer gemeinsamen Kontrolle des Auswärtigen Amtes und des Bundeswirtschaftsministeriums zu unterstellen.
Dazu möchte ich anregen, einen parlamentarischen Unterausschuß aus Mitgliedern des Auswärtigen Ausschusses und des Wirtschaftsausschusses einzurichten, der permanent eine Kontrolle an Hand der veröffentlichten Liste von Rüstungsexporten durchführt. Ich halte ebenfalls die Anregung der SPD-Fraktion, einen parlamentarischen Beauftragten für Rüstungsexporte einzurichten, für eine sehr sinnvolle und auch ergänzende Maßnahme.Fünfter und letzter Punkt: Um eine wirksame Exportkontrolle auch an den Grenzen durchzuführen, sind die Zollbehörden personell drastisch aufzustokken und ist eine völlige Umorientierung bei den Zollbehörden durchzuführen. Der „Spiegel" weist aus, daß z. B. beim Zollamt Hamburg 30 Zollbeamte mit der Kontrolle von Exporten beschäftigt sind, demgegenüber 770 Mitarbeiter Importe kontrollieren.
Herr Kollege, beenden Sie bitte Ihre Rede.
Ich komme zum letzten Satz. — Dieses völlige Mißverhältnis zeigt, daß die Bundesregierung, das Wirtschaftsministerium und das zuständige Finanzministerium keinerlei politisches Interesse hat, Exporte zu kontrollieren, weil es auch gut zu der Exportüberschußbilanz paßt.
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StratmannAbschließender Satz. Alle diese fünf vorgeschlagenen Maßnahmen ordnen sich dem Ziel unter, so schnell wie möglich zu einem völligen Stopp aller Rüstungsexporte und Atomenergieexporte zu kommen.Danke schön.
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft, Dr. Haussmann.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute ein für die Bundesrepublik, aber auch für die deutsche Wirtschaft und ihre Arbeitnehmer sehr ernstes und wichtiges Thema. Deshalb möchte ich zwei Vorbemerkungen machen.
Herr Stratmann, ich werde mich mit Ihrer pauschalen Beleidigung der Mitarbeiter des Bundesamtes für Wirtschaft hier nicht weiter auseinandersetzen. Die fachliche Diskussion mit Ihrem Kollegen Schily gestern im Untersuchungsausschuß war sehr viel sachorientierter.
Zweitens — auch dies sage ich ganz ruhig — : Ich bitte die Kollegen von den Sozialdemokraten, sich nicht zum Chefankläger zu erheben. Herr Müller, wenn jemand Planungschef im Bundeskanzleramt war — hören Sie mich an! —, wenn jemand über Jahre hinweg die Interessenkonflikte und Interessenabwägungen zwischen Kanzleramt, Auswärtigem Amt und Bundeswirtschaftsministerium erlebt hat, so sollte er sich davon nicht völlig trennen; denn glaubwürdig ist nur der, der bereit ist, Reformen durchzuführen, aber seine Mitverantwortung an der Vergangenheit nicht völlig leugnet.
Der Untersuchungsausschuß gestern hat leider auch sehr viele Fälle zutage gefördert, die zur damaligen Regierungszeit zwischen Sozialdemokraten und Freien Demokraten entschieden wurden. Deshalb bitte ich hier zum Zurückhaltung.
— Ich habe sehr wenig Zeit. Ich bitte, daß ich meinen Vortrag in Ruhe zu Ende führen kann.
Keine Zwischenfrage.
Für mich persönlich nehme ich in Anspruch: Es gab in den letzten Jahren keinen Minister der Sozialdemokraten, der Christdemokraten oder auch der Freien Demokraten, der dem Deutschen Bundestag in so kurzer Zeit so viele Gesetzesverschärfungen vorgelegt hat
und der sich zum erstenmal, obwohl die Versäumnisse nicht erst dem „Spiegel" zu entnehmen sind,
sondern jedem Abgeordneten seit über 20 Jahren klar sind, um eine richtige Reform des Bundesamtes in Eschborn gekümmert hat und der 200 neue Stellen durchgesetzt hat, um die Exportkontrolle zu verschärfen. Im Anschluß an diese Debatte werde ich mich persönlich nach Eschborn begeben, um dort einmal mit den Mitarbeitern zu reden, meine Damen und Herren.
Das nehme ich für mich in Anspruch, und ich glaube, das ist in unserem gemeinsamen Interesse.Frau Präsidentin, die drei Gesetzesentwürfe, die Ihnen heute vorliegen, schlagen drastische Verschärfungen unseres Außenwirtschaftsrechtes vor. Nimmt man alle Beschlüsse zusammen, auch die bereits in Kraft getretenen, sieht man, daß es sich wirklich um eine erstmalige, aber auch umfassende Reform des Exportkontrollsystems der Bundesrepublik handelt.Die Bundesregierung zieht daher zu Recht Konsequenzen einmal aus Exportvorgängen der jüngeren Vergangenheit, die in ihrer Gefährlichkeit dem Ruf unserer Wirtschaft und ihrer Arbeitnehmer bereits geschadet haben. Zum anderen sind es Konsequenzen aus künftigen Gefahren der Verbreitung militärisch nutzbarer Technologien. Ich hätte mir gewünscht, daß wir hier nicht nur Altfälle zitieren, sondern daß wir uns mit den strukturellen Möglichkeiten der künftigen Verhinderung solcher Gefahren mehr auseinandersetzen.Die Bevölkerung unseres Landes, wir alle, haben derzeit Hoffnungen auf eine Welt mit weniger Waffen. Made in Germany verdankt nach wie vor seinen Ruf nicht der Qualität der Waffenproduktion, Herr Stratmann, sondern der Qualität seiner zivilen Ausfuhr. Der europäische Binnenmarkt rüstet sich im Moment mit deutschen Maschinen und Investitionsgütern,
und dieser Erfolg ist die Ursache unserer Überschüsse. — Ich würde auch Ihnen zu einer Abrüstung in der Sprache raten. Prüfen Sie einmal das Protokoll!Wir freuen uns über den technologischen Erfolg der Europarakete. Wir wenden uns aber gegen Militärraketen mit deutschem Know-how in Ländern der Dritten Welt. Gemessen am gesamten Export betrug der nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz genehmigte Rüstungsexport des vergangenen Jahres ganze 0,2 %. Wir sollten die Diskussion um diesen Bereich nicht so führen, als ginge es hier um die Basis unserer gesamten deutschen Volkswirtschaft.
Auch heute gelten, Herr Kollege Gansel, die restriktiven Grundsätze von 1982 für den Rüstungsexport. Diese Überzeugung reicht in der immer komplizierter
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Bundesminister Dr. Haussmannund internationaler strukturierten Außenhandelswelt nicht aus.Die neuen Gefahren verbergen sich hinter scheinbar zunächst friedlichen Industrieanlagen, Pestizid- und Düngemittelfabriken, in denen nach gewissen Veränderungen chemische Kampfstoffe hergestellt werden. Sie lauern hinter Engineering-Firmen, die sich die Teile unauffällig in der ganzen Welt organisieren, einen Endverbleib vortäuschen, wo er überhaupt nicht stattfindet. Es geht um Auslandstätigkeiten in der Produktion besonders gefährlicher Waffen, die bei uns nicht hergestellt werden dürfen.Mit dieser Gefahr — dies räumt die Bundesregierung ein — ist das Exportkontrollsystem in den letzten Jahren nicht mitgewachsen. Bei jährlich 15 Millionen Ausfuhrsendungen, weitgehend offenen Grenzen, bei jährlich nahezu 100 000 Anträgen auf Ausfuhrgenehmigungen oder Einfuhrbescheinigungen sind die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen dringend nötig.Man sollte sie nicht mit Vokabeln wie „expandierende Bürokratie" oder „Rasterfahndung" diskreditieren. Wir können uns nicht allein auf neue Vorschriften und mehr Beamte verlassen. Wir müssen ein neues, geschärftes Gefahrenbewußtsein bei allen Beteiligten in Industrie und Handel schaffen.
Wir können uns nicht damit beruhigen, daß andere Länder ähnliche Probleme haben. Bürokratische Selbstläufer, Papierkontrollen — diese Vokabeln waren im Vorfeld unserer heutigen Beratung zu lesen — kann niemand im Sinn haben, der sich mit diesen Problemen täglich wirklich ernsthaft auseinandersetzt.Ich begrüße deshalb die positive Beratung des ersten Teils des Maßnahmenpakets, den wir vor Wochen im Verordnungsweg vorlegen konnten, durch den federführenden Wirtschaftsausschuß, ebenso die positive Beratung der Personalverstärkung durch den federführenden Haushaltsausschuß, wo alle Fraktionen zugestimmt haben.Was soll sich in der Zukunft ändern? — Lassen Sie mich es verkürzt formulieren: Die Kontrolle am Schreibtisch des Frankfurter Bundesamtes oder am Zollschlagbaum muß durch ein Mehr an vorbeugender Abschreckung ergänzt werden, und zwar durch mehr direkt wirkende Verbote, wesentlich schärfere Strafen und bessere Fahndung. Zugleich verlangt die Wirksamkeit der Kontrolle über die Technologie, daß wir in den besonders sensitiven Bereichen auch die im Ausland tätigen deutschen Exportfirmen kontrollieren. Kernstück der Reform ist daher die Novelle zum Kriegswaffenkontrollgesetz.Der zweite Komplex betrifft die bessere Überwachung. Als Liberaler bedaure ich das; aber der Datenschutz kann nicht die ausschließliche Maxime unserer Exportkontrolle sein.In diesem Zusammenhang ein offenes Wort zur Lage beim Bundesamt in Frankfurt. Sie ist leider nicht so schnell zu verbessern, wie es eigentlich dringend notwendig wäre. Auch frühere Regierungen haben personell wenig getan, obwohl schon seit 1979/80 die Engpässe deutlich erkennbar wurden. Schon deshalbhaben es die Mitarbeiter dieses Amtes nicht verdient, pauschal in die Ecke gestellt zu werden, wie es derzeit geschieht.
Sie haben dort über viele Jahre eine belastende Arbeit verrichtet, dafür sehr wenig politische öffentliche Anerkennung erhalten, und wir müssen nun mit dem Personalaufbau beim Bundesamt eine deutliche Strukturreform durchführen. Ich werde nachher mit dem Personalkörper in Eschborn darüber diskutieren.
— Mit der Personalvertretung, Herr Kollege. Ich muß aber auch deutlich machen, weil dies immer wieder verwechselt wird: Das Bundesamt ist die Genehmigungsbehörde für Unternehmen, die ihre Anträge stellen. Weder das Bundesamt noch das Bundeswirtschaftsministerium ist für die Bekämpfung der Illegalität verantwortlich. Dies ist primär Aufgabe der Zollverwaltung und der Staatsanwaltschaften.
Im Fall Rabta, Herr Kollege Gansel, trägt und trifft das Bundesamt keine Verantwortung.Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Verhinderung der Verbreitung von Technologie für militärische Zwecke wird eines der ganz wichtigen internationalen Anliegen der nächsten Jahre sein, und wir kommen allein mit schärferen nationalen Kontrollen nicht weiter. Wir müssen auch in internationalen Gesprächen dafür werben, daß andere Industriestaaten uns hier stärker als bisher unterstützen. Wir sind bereit, alles zu tun, was ohne Aufgabe der Grundphilosophie des deutschen Außenwirtschaftsrechts an wirksamen Beschränkungen, Strafen und Kontrollen möglich ist. Wir wollen nicht Papierkontrollen. Wir wollen bei allen Beteiligten eine neue Einstellung zu diesem schlimmen Thema erreichen. Bundesregierung und Parlament werden gut beraten sein, dem Thema „Rüstungsnahe Ausfuhren" auch dann noch einen hohen Stellenwert einzuräumen, wenn es einmal nicht mehr die Aufmerksamkeit in den Medien finden sollte.
Ich werde mich um die Reform der Außenwirtschaftskontrolle persönlich besonders bemühen.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Vosen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Vorwegbemerkung: Herr Haussmann, ich hätte eigentlich erwartet, daß Sie sich an dieser Stelle von dem Besprechungspapier Ihrer Mitarbeiter distanziert hätten. Ich finde es schade, daß Sie diese Gelegenheit nicht genutzt haben.
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VosenUnd noch eine Vorwegbemerkung zu Herrn Stratmann. Herr Stratmann, dieser Rundumschlag, den Sie hier gemacht haben und mit dem Sie auch auf den Bundeskanzler Helmut Schmidt zielten, war auch nicht gut, denn es ist eine andere Qualität — das werden Sie zugeben —, die damals zur Disposition stand.
Die Fehler werden ja nicht geleugnet. Das sage ich jetzt einmal für meinen Kollegen Albrecht Müller in Ihre Richtung. Aber die Qualität von A-, B- und C-Waffen und von Raketen ist wohl eine andere als die, die damals zur Disposition stand.Meine sehr verehrten Damen und Herren, U-BootSkandal, Atomexportskandal, Giftgasskandal, jetzt Raketenskandal — wer sich da noch über die Wahlniederlagen Ihrer Regierungsparteien wundert, dem ist nicht zu helfen! Leider ist es aber so, daß nicht nur das Ansehen der CDU/CSU und der FDP dadurch schwer geschädigt wird, sondern das Ansehen der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Es trifft uns alle.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich fordere Sie deshalb heute hier auf, mit der Bundesrepublik Deutschland nicht weiter so umzugehen, als wenn sie Ihr Privateigentum wäre. Diese Aufforderung geht besonders in Richtung der CDU/CSU.
Ruinieren Sie nicht, was allen Staatsbürgern gehört! Für Ihre unglaubliche Skandalregierung werden Sie in gut einem Jahr die Quittung bekommen.
Die Europawahl und die rheinland-pfälzischen und die saarländischen Kommunalwahlen haben das sehr deutlich gezeigt.Im Rahmen dieser viel zu kurzen Aussprache über die kriminellen Rüstungsexporte und Kontrollschlampereien will ich kurz auf den Atomskandal und auf die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen eingehen. Auch hier schlagen wir im Rahmen des von uns vorgelegten Antrages erhebliche Verschärfungen und Veränderungen vor, die über Ihre Gesetzesänderungen hinausgehen.Eines der hauptsächlichen Argumente der SPD bei ihrer Forderung nach dem Umstieg zu anderen, umweltfreundlichen Energieformen war und ist, daß auch die sogenannte friedliche Nutzung der Atomtechnik der Weiterverbreitung von Atomwaffen Vorschub leistet. Da sind wir uns einig.
Das, was der 2. Untersuchungsausschuß hinsichtlich der Lieferungen deutscher atomtechnischer Unternehmen an Pakistan herausgefunden hat, bestätigt auf der ganzen Linie unsere früher vorgebrachte Erklärung, daß hiermit objektiv Sachverhalte geschaffen worden sind, die dem Atomwaffensperrvertrag zuwiderlaufen. Selbst die Lieferungen deutscher atomtechnischer Firmen, die als zivil deklariert worden sind, verhelfen Pakistan dazu, atomtechnisches Know-how auch auf dem Waffengebiet zu gewinnen und zu verbessern.Einer der Hauptkritiker der Atomenergie, der Amerikaner Amory B. Lovins, hat schon vor Jahren bei Beginn der Debatte um die Atomenergie unmißverständlich und bisher auch unwiderlegt auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Die Ereignisse, über die wir heute diskutieren, haben ihn in trauriger Weise bestätigt. Lovins' umfangreiche Untersuchungen haben ergeben, daß es unmöglich ist, die Atomenergie friedlich zu nutzen, ohne dabei auch Atomwaffen weiterzuverbreiten. Das ist unmöglich.
Der Zusammenhang zwischen friedlicher und militärischer Nutzung der Atomtechnik ist so eng, daß es keine wirklichen Unterschiede in der Beherrschung von ziviler und militärischer Atomtechnik gibt. Deshalb wird jedes Land, das zivile Atomtechnik lernt — wie Pakistan, Brasilien und viele andere Staaten —, damit auch die militärische Nutzung der Atomtechnik lernen. Hierzu hat die Bundesrepublik Deutschland im Falle Pakistan leider konkret beigetragen. Wir müssen deshalb besonders wegen der Weiterverbreitungsproblematik immer wieder darauf drängen, daß wir die Nutzung der Atomenergie beenden.Wir schlagen daher in unserem heutigen Antrag auch vor, daß wir fürs erste nur mit solchen Staaten noch bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie zusammenarbeiten, die den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben. Über Ausnahmen, mit denen die Sicherheit oder der Strahlenschutz verbessert wird, müssen wir nachdenken. Das ergibt insbesondere für die von der Bundesregierung betriebene Zusammenarbeit mit Frankreich auf dem Gebiet der Atomtechnik ganz neue Perspektiven.
Frankreich hat bekanntlich den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet. Mit Frankreich werden gerade jetzt auf dem Gebiet der Nutzung der Atomenergie umfangreiche Vertragswerke vorbereitet, was wir für falsch halten. In der Reaktorbauindustrie und in der Wiederaufbereitungsindustrie geht die Atomlobby gerade daran, gewissermaßen aus den Nationalstaaten nach Europa zu flüchten. Ich erinnere Sie in diesem Zusammenhang an die unfaßbare Regierungsgroteske Wackersdorf, bei der alle Beteiligten vollkommen das Gesicht verloren haben.Ich glaube, daß wir die Weiterverbreitung von Atomwaffen weiter fördern, wenn wir zulassen, daß die Wiederaufbereitung jetzt in La Hague in der Normandie fortgesetzt wird.Ich fasse zusammen: Wer Abrüstung will, muß auch Atomwaffen abrüsten. Wer Atomwaffen abrüsten will, kann und muß auch die friedliche Nutzung der Atomenergie beenden. Eine wirkliche Abrüstung von Atomwaffen ohne Beendigung der friedlichen Nutzung der Atomenergie ist unmöglich.
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11590 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
VosenDie Flucht der Atomlobby in die europäische Integration erschwert den Ausstiegsprozeß. Deshalb muß auch die Zusammenarbeit — ich wiederhole das; das ist neu — mit Frankreich mit Ausnahme der Endlagerung und Sicherheitstechnologien beendet werden.
— Für Sie ist das sowieso alles neu, Herr Kittelmann.Wir verlangen auch die Einschränkung der Atomkooperation mit Drittländern. Wir verlangen die Verschärfung der Überwachung. Wir verlangen deshalb vor allem, daß die Rüstungsexportkontrolle nach den Vorstellungen unseres Antrags auch im EG-Recht verankert wird.Letzter Satz! Wir verlangen dabei nicht, daß hinter jedem Ingenieur ein_ Kontrolleur steht. Auch wir sagen: Die Selbstverpflichtung der Wirtschaft,
aber auch die Selbstverpflichtung des Staates, in dieser Richtung mehr zu tun, sind der richtige Weg. — Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Niegel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Zunächst möchte ich eine Bemerkung machen, die vielleicht etwas nachdenklich stimmt: Wir basteln jetzt zum fünften Male an einer Gesetzesänderung herum, für die schon weniger genügt hätte, wenn die Bürokratie und ihre jeweiligen Dienstherren vor Jahren richtig und klar formuliert hätten. Das möchte ich auch und gerade an die Adresse der Damen und Herren der SPD sagen, die lange die Verantwortung dafür trugen.
Je mehr Gesetze wir machen — obwohl diese Änderung im Außenwirtschaftsgesetz notwendig ist — , desto mehr verlieren Wirtschaft und Menschen das Gefühl, in einem freiheitlichen Rechtsstaat zu leben. Ich kann also nicht viel der Idee abgewinnen, an einem Tag wie heute mehr als zehn Gesetze — in dieser Woche sind es, so glaube ich, 20 Gesetze — auf den Weg zu bringen. Mit jedem Gesetz werden immer mehr Verbote aufgestellt und fast keine Erlaubnisse erteilt. Könnten wir uns nicht auch einmal ein Gesetz vorstellen, das unseren Bürgern etwas erlaubt? Der Verwaltungsvereinfachung fühlen wir uns alle verpflichtet; aber wir beschränken uns hier meistens nur auf Überschriften.Allgemein gesprochen: Mit jedem Gesetz wächst die Gefahr der Kriminalisierung immer größerer Bevölkerungsschichten. Das Imhausen-Syndrom oder das U-Boot-Syndrom des Kollegen Gansel möchte ich hier nur am Rande erwähnen.
Ich warne vor einer politischen Schizophrenie: daß wir Deutschen Ordnung halten, aber andere außerhalb unserer Grenzen, mit denen wir freiwillig oder unfreiwillig kooperieren, sich alles leisten können und wir uns pausenlos Selbstbeschränkungen auferlegen.Zum Gesetzentwurf selber möchte ich jetzt nicht im einzelnen Stellung nehmen. Im Wirtschaftsausschuß dürfte sowieso ein Hearing abgehalten werden, das die Vorschriften auf ihre Praktikabilität untersuchen wird.
Zu § 34, der eine Verschärfung der Strafbestimmungen bringt, muß beachtet werden, daß die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt bleibt. — Herr Kollege Gansel, Sie sagen: Verzögerung. Es hat, wie ich weiß, fast keinen von uns eingebrachten Gesetzentwurf gegeben, zu dem nicht Ihre Fraktion — ob das im Wirtschaftsausschuß oder anderswo war — ein Hearing verlangt hätte. Warum soll hier nicht auch in einem Hearing die Sache abgeklopft werden?Ich finde es auch überflüssig, daß selbst im Zusammenhang mit diesem notwendigen Gesetz, über das ich hier spreche, die Leerformel oder die Wortschraube von sogenannten „vertrauensbildenden Maßnahmen" Verwendung findet. Wir Deutschen im freien Teil unseres Landes haben Vertrauen. Wir haben weltweit Vertrauen erhalten. Wir haben dies in den 40 Jahren, die die Bundesrepublik besteht — wir feiern ja heuer das 40jährige Bestehen — , gerechtfertigt. Wer den freien Teil Deutschlands kennt und ihn sorgfältig und gutwillig beobachtet, weiß, daß wir ein friedliebendes und friedfertiges Land sind und keinen Export militärisch nutzbarer Technologien in Spannungsgebiete dulden.
Ich möchte aber an dieser Stelle darum bitten, daß sich Regierungen, die in irgendeiner Form Wünsche an uns haben, auch an unserem Exportkodex orientieren. Dieser Exportkodex stand aber auch schon in den vorigen Gesetzen eindeutig fest.Noch eines in diesem Zusammenhang: Wirtschaftshilfe, Entwicklungshilfe, Kredite, Bürgschaften und Schuldenerlasse, die wir gewähren, dürfen nicht im internationalen Waffen- und Drogenhandel mißbraucht werden. Ich weiß, daß das leider niemand 100 %ig prüfen kann; aber das, was ich hier sage, ist auch keine Verdächtigungsjustiz.Ich möchte hier auch daran erinnern, daß oft der Ostblock in Entwicklungsländern im Wettbewerb der Entwicklungspolitik mit uns steht. Wenn man das näher abklopft — Sie kritisieren mit Recht, daß Waffen in bestimmte Länder geliefert werden — , dann stellt man fest, daß die Entwicklungshilfe des Ostblocks, unter Führung der Sowjetunion oder der Volksrepublik China, hauptsächlich oder ausschließlich aus Waffenlieferungen besteht. Auch das muß an dieser Stelle einmal deutlich gesagt werden.Vielleicht auch noch eine Anmerkung dazu: Basteln nicht viele Staaten zu ihren Gunsten an der COCOM-Liste herum und freuen sich, wenn wir uns
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Niegelpreußisch an das halten, was uns alles so abverlangt wird?Die Vertreter der deutschen Industrie haben sich zur Frage des Außenwirtschaftsgesetzes erfreulicherweise klar geäußert; sie haben eine klare Linie bezogen. Das betrifft sowohl ihre Vorsprache in den USA, beim Kongreß, beim Senat, beim State Department, als auch die Notwendigkeit der Verschärfung der Strafbestimmungen im Außenwirtschaftsgesetz. Ich meine, hier im Hause sollte der Industrie auch einmal Anerkennung gezollt werden. Genauso sollte die Selbstkorrektur, einmalig in der deutschen Verbandsgeschichte, anerkannt werden: Imhausen wurde von der Mitgliedschaft suspendiert. Geschäftsführer des BDI und von Mitgliedsverbänden haben bereits am 12. Dezember 1988 in Washington unmißverständlich erklärt, daß sie nicht „Anwälte von schwarzen Schafen" sein wollen.Ich meine, Herr Kollege Müller, daß wir nicht unbedingt, wie Sie vorhin ausgesprochen haben, mit Vorverurteilungen leben müssen. Erforderlich sind neben unseren eigenen Selbstbeschränkungen, die wir im Außenwirtschaftsgesetz unserer Wirtschaft auferlegen, auch verläßliche internationale Regelungen, Vereinbarungen, Kontrollen und Sanktionen. Es ist darauf hinzuweisen, daß es in der EG noch keine gemeinsame Verordnung oder Richtlinie gibt. Ob die wohl zustande kommen wird?Grundsätzlich abschließend zwei Bemerkungen: Der Gesetzentwurf enthält wieder Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen. Hier werden wieder Vollmachten erteilt, die sich der späteren parlamentarischen Kontrolle lautlos entziehen.Das neue Gesetz soll auch besser der Verdeutlichung dienen. Die Industrie muß wissen, wo sie dran ist. „Es darf aber auch kein Exportverhinderungsgesetz für die Bundesrepublik Deutschland werden: Wir beschränken uns selbst, während andere unsere Selbstbeschränkung ausnützen oder gar mißbrauchen. "Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der irakische Raketenkomplex SAAD 16 ist zu 90 % fertig, die libysche Giftgasfabrik ist zu 98 % fertig. Wenn die von einer deutschen Firma verkaufte Wasseraufbereitungsanlage in Rabta montiert wird, kann die Giftgasproduktion beginnen. Wenn, wie schon einmal, deutsche Raketenexperten von ausländischen Tochterfirmen bundesdeutscher Konzerne im Irak tätig werden, dann werden auch Raketen, wahrscheinlich mit chemischen Sprengköpfen, für die nächsten Städtekriege produziert.Die Bundesregierung hat einige Gesetzentwürfe vorgelegt, die die Beteiligung Deutscher an solchen Projekten unter Strafe stellen sollen. Nichts ist davon bisher in Kraft getreten. Wenn jetzt aus der Koalition angekündigt wird, daß zu den Regierungsentwürfenauch noch ein Anhörverfahren stattfinden soll, dann ist vorauszusehen, daß diese Gesetze nicht vor Jahresende in Kraft treten können. Bis dahin ist die Beteiligung Deutscher an diesen hochgefährlichen Waffenprojekten rechtlich zulässig. Ich sage Ihnen: Sie laden damit eine schwere Verantwortung auf sich; hoffentlich wird daraus keine Schuld. Wir sind jedenfalls bereit, mit Ihnen die Gesetzentwürfe zügig zu beraten.Unser Gesetzentwurf zur Sicherung der Kriegswaffenkontrolle ist 1985 vorgelegt und 1986 hier erstmals niedergestimmt worden. Es gehört zur Fairneß, zu erwähnen, daß Frau Hamm-Brücher und der Kollege Hirsch aus der Koalition unserer Initiative damals zugestimmt haben. Seit Sommer vorigen Jahres liegt unser Gesetzentwurf nun wieder vor, und wenn er ernstgenommen worden wäre, hätte manches verhindert werden können.
Wir erkennen an, daß sich die Bundesregierung bewegt. Sie läuft mit hängender Zunge den Waffenexportskandalen der deutschen Rüstungswirtschaft mit ihren Gesetzentwürfen hinterher.
Unser Gesetzentwurf wird den Waffen- und Rüstungsexport in Kriegs- und Krisengebiete, an menschenrechts- und an demokratiefeindliche Regime und an Entwicklungsländer der Dritten Welt verbieten. Er beschränkt den Waffen- und Rüstungsexport an die Mitgliedstaaten der OECD. Das ist immer noch mehr als genug. Wenn der Rüstungsexport heute nur 0,2 % unseres Exports ausmacht, wie Herr Haussmann gesagt hat, dann kann es doch nicht schwierig sein, ihn weiter zu reduzieren. Dann soll man nicht immer mit der Drohung der Arbeitsplätze kommen, sondern die Verantwortung der Bundesregierung begreifen, daß dort, wo es Arbeitsplatzprobleme geben kann, mit flankierenden staatlichen Maßnahmen in der Regional- und in der Strukturpolitik geholfen werden kann.
Wir wollen klare Vorschriften. Die Industrie muß wissen, was sie darf und was sie nicht darf. Wir sind gegen eine Kontrolle, bei der alles vorgelegt werden muß und alles genehmigt wird. Das schadet der Wirtschaft und hilft nicht der Rüstungsexportkontrolle. Aber in der Vergangenheit konnte die deutsche Rüstungswirtschaft nach der Parole verfahren: Wo ein Wille ist, ist auch ein Umweg.
Zumindest in der U-Boot-Affäre mit Südafrika hat bewiesen werden können, daß die Bundesregierung über solche Umwege vorher informiert war.Wer die Gesetze nicht respektieren will, wer sein Geschäft mit dem Tod machen will — in der Dritten Welt sind Waffen nie Abschreckungswaffen, sondern immer Einsatzwaffen — , muß wissen, daß ihn die volle Härte des Gesetzes treffen wird. Unser Gesetzentwurf enthält deshalb auch Strafvorschriften für Beamte und Regierungsmitglieder, die in rechtswidriger Weise Rüstungsgeschäfte ermöglichen. Die neuerlichen Entdeckungen im Bundesamt für Wirtschaft
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Ganseldurch die Bundesregierung selbst zeigen, daß solche Vorschriften leider notwendig sind. Wir stellen fest, daß nach diesen und anderen Erfahrungen mit der vom „Spiegel" so bezeichneten „absonderlichsten Behörde der Bundesrepublik Deutschland" in interfraktionellen Gesprächen nun unser Vorschlag, beim Deutschen Bundestag einen Beauftragten für die Kriegswaffenkontrolle zu installieren, immerhin geprüft und für erwägenswert gehalten wird.Aber, Herr Minister Haussmann, ich hätte eigentlich erwartet, daß Sie in dieser Debatte nicht nur den Besprechungsvermerk Ihres Ministeriums zurückgezogen hätten, in dem man sich abspricht, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen der U-Boot-Affäre mit Südafrika zu verhindern, sondern daß Sie auch Ihre Bereitschaft erklärt hätten, der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit für Ermittlungen zu geben. Es ist ein Skandal, daß in einem Rechtsstaat in einem ministeriellen Vermerk niedergeschrieben werden kann, eine „Durchbrechung des Legalitätsprinzips" könne hingenommen werden, und das gerade bei Waffenexportgeschäften.
Sie haben noch Gelegenheit, Herr Kollege Haussmann, das hier nachzuholen.Wir erfassen mit unserem Gesetzentwurf auch den Bereich privatwirtschaftlicher Koproduktion, der in der NATO zu Exportzwecken organisiert wird und nichts mit unserer Sicherheit und der Sicherheit des Bündnisses zu tun hat. Bei der Kooperation, die zwischen Regierungen vereinbart wird, führen wir mit unserem Gesetzentwurf eine parlamentarische Kontrolle ein. Weil das Kriegswaffenkontrollgesetz bei der Produktion von Kriegswaffen und Rüstungsgütern ansetzt, können unsere Vorschläge auch dann wirksam werden, wenn die Außenwirtschaftskontrollen etwa über die sogenannten Harmonisierungen des Europäischen Binnenmarktes aufgeweicht werden sollten.Auf Grund von Presseberichten gibt es jetzt auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen einer möglichen Beteiligung deutscher Firmen an der Entwicklung von Mittelstreckenraketen im Nahen Osten und in Südamerika. In diesen Krisenregionen sollten die Raketen produziert werden, auf deren Abschaffung sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion durch die Vereinbarung der doppelten Null-Lösung gerade im Interesse des Weltfriedens geeinigt haben. Die Erkenntnisse, die der Bundesregierung über die Beteiligung Deutscher an diesen Rüstungsprojekten in der Dritten Welt nun zur Verfügung stehen und über die die Bundesregierung bisher nur in vertraulichen Parlamentsgremien zu berichten wagte, sind so niederdrückend, daß Sie sich aufraffen mußten, nun auch den SPD-Vorschlag aus der letzten Debatte vom 18. Januar zu akzeptieren, den Transfer von Raketentechnologie unter staatliche Kontrolle und den Schutz strafrechtlicher Sanktionen zu stellen.Für uns ist nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung nicht öffentlich bekanntgemacht hat, daß sie sich zu solchen Kontrollen im Rahmen des sogenannten Träger-Technologie-Regimes gegenüber den führenden Industriestaaten des Westensschon im April 1987 verpflichtet hatte. Für eine wirksame Kontrolle ist die interne Information eines Industrieverbandes nicht ausreichend. In der Bundesrepublik beruht die Kontrolle des Rüstungsexports im wesentlichen auf den Recherchen von Journalisten und den Nachforschungen der parlamentarischen Opposition. Aus diesem Grunde haben wir dazu auch heute eine Kleine Anfrage eingebracht, die mein Kollege Jupp Vosen erarbeitet hat.Meine Damen und Herren, „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" : Das war ein kühnes Versprechen von Bundeskanzler Kohl vor dem Evangelischen Kirchentag. In der Praxis der Bundesregierung obsiegte die Ängstlichkeit vor den Drohungen der Rüstungsexportlobby. Das darf sich in Zukunft nicht wiederholen. Wenn in den Beratungen des Ausschusses und des Parlaments dazu jetzt ein Beitrag geleistet werden soll, können Sie auf die Mitarbeit der Opposition rechnen. Ich rate Ihnen dringend, Minister Haussmann, beschleunigen Sie die Beratung. Wie eingangs gesagt, Sie nehmen nicht nur Verantwortung auf sich, sondern Sie laufen auch Gefahr, Schuld auf sich zu nehmen.
Ich schließe die Aussprache. — Herr Kittelmann, Sie wollen noch das Wort? — Bitte schön, Sie haben noch das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach den letzten Bemerkungen von Herrn Gansel möchte ich für die CDU/CSU, für die Koalition kurz folgendes festhalten: Unser Wunsch auf Durchführung einer Anhörung ist im Wirtschaftsausschuß beraten und diese Beratung ist einvernehmlich mit den Sozialdemokraten beschlossen worden. Wir waren der Meinung, daß unmittelbare Verhandlungen mit den davon Betroffenen ein zügiges und schnelles Verfahren garantieren. Wenn Sie hier für die SPD erklären, daß Sie diese Anhörung nicht wollen und wenn Sie diese später nach der Diskussion im Ausschuß nicht nachschieben, wenn wir also ohne diese Anhörung auskommen, dann sind wir auch bereit, auf diese Anhörung zu verzichten.
Insofern bitte ich darum, daß die Sozialdemokraten in dieser Frage eine klare Entscheidung treffen.Das zweite ist: Bitte, jetzt ist es Sache des Parlaments, zu handeln. Sagen Sie doch bitte nicht an die Adresse der Regierung, sie lade Schuld auf sich, wenn sie jetzt nicht zügig verhandele. Wir, das Parlament, sind jetzt am Zuge, nicht mehr die Regierung. Die Vorlagen liegen auf dem Tisch.
Wir sind jetzt bereit, so schnell wie möglich zu beraten, und wir werden dies auch tun.Ich erbitte in dieser Frage eine Entscheidung der Sozialdemokraten und auch der GRÜNEN. Wir sind dann auch bereit, die Vorlagen auch ohne eine Anhö-
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Kittelmannrung schnell und zügig zu beraten und zu verabschieden.
Herr Gansel, Sie haben noch die Gelegenheit zu einer kurzen Erwiderung. — Bitte.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Kittelmann, ich bin der Meinung, daß wir zwischen den außenwirtschaftsrechtlichen Fragen, die sehr kompliziert sein können, und den strafrechtlichen Sanktionen unterscheiden können. Die strafrechtlichen Sanktionen, die das wirksamste Mittel sind, um zu verhindern, daß mit deutscher Hilfe in Rabta und im Irak die Waffenprojekte fertiggestellt werden, sollten beschleunigt beraten werden, und wir sind dazu bereit.
Meine Damen und Herren, damit schließe ich die Aussprache nun endgültig.Wir kommen zu den Abstimmungen. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 26a bis 26c und 26f bis 26k sowie die Zusatztagesordnungspunkte 15 bis 18 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Außerdem soll die Vorlage auf Drucksache 11/4842 zur Mitberatung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Gibt es dazu Meinungsverschiedenheiten? — Zustimmung. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 26 d. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu einer Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung auf Drucksache 11/4683. Es herrschte Einstimmigkeit im Ausschuß. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Enthaltung ist das so beschlossen.Wir kommen jetzt zu Punkt 26 e der Tagesordnung. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu einer weiteren Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung auf Drucksache 11/4685. Auch da gab es Einstimmigkeit im Ausschuß. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einigen Enthaltungen der Fraktion DIE GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung angenommen.Wir kommen weiter zu dem Entschließungsantrag— Tagesordnungspunkt 26 e — der GRÜNEN auf Drucksache 11/4851, der sich auf die Außenwirtschaftsverordnung auf Drucksache 11/4685 bezieht. Hier ist eine Überweisung vorgeschlagen. Die Überweisung ist federführend an den Ausschuß für Wirtschaft und mitberatend an den Auswärtigen Ausschuß und an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit gewünscht. Das Haus ist damit einverstanden?— Danke schön.Meine Damen und Herren, wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt. Ich rufe die Punkte 27 a bis d und den Zusatzpunkt 19 der Tagesordnung auf:27. a) Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Volmer und der Fraktion DIE GRÜNENPolizeihilfe für Guatemala— Drucksachen 11/1813, 11/3579 —b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNENEinstellung der Polizeihilfe für Guatemala— Drucksache 11/2898 —c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENKonditionierung der Entwicklungshilfe für El Salvador— Drucksachen 11/2405, 11/4574 —Berichterstatter:Abgeordnete Hedrich Frau Dr. Niehuisd) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENSchutz von Bundesbürgern/Bundesbürgerinnen in El Salvador— Drucksachen 11/2844, 11/4551 —Berichterstatter:Abgeordnete Schreiber WischnewskiIrmerVolmerZP19 Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses
a) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Friedensprozeß in Mittelamerikab) zu dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNENFörderung des Friedensprozesses in Zentralamerika— Drucksachen 11/824, 11/1130, 11/4812 —Berichterstatter:Abgeordnete Schreiber WischnewskiIrmerVolmerHierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN sowie ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 11/4829, 11/4835 und 11/4839 vor. Im Ältestenrat sind für die gemeinsame
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11594 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
Vizepräsidentin RengerBeratung 45 Minuten vereinbart worden. — Kein Widerspruch; dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier heute unter anderem über El Salvador und über Nicaragua. Dazu möchte ich einige Dinge sagen.
Nach der Machtübernahme Christianis von der ARENA-Partei wurde die Entwicklungszusammenarbeit von der Bundesregierung eingefroren, in dem keine Neuzusagen mehr ausgesprochen wurden. Dies ist der Hintergrund für den gemeinsamen Antrag, den wir erarbeitet haben. Wir begrüßen im Prinzip diese Tendenz, weil dies bedeutet, daß ein Bruch mit der Kontinuität der Entwicklungszusammenarbeit stattgefunden hat. Wir GRÜNEN waren aber immer schon und seit langem der Auffassung, daß El Salvador keine Entwicklungshilfe erhalten sollte, auch nicht während der Regierungszeit von Duarte, weil wir immer meinten, daß eigentlich gar keine Grundlage für eine armutsorientierte Entwicklungspolitik in El Salvador gegeben sei. Nun, nach der Machtübernahme durch die faschistische Partei, hat auch in der Union ein Umdenken stattgefunden. Wir begrüßen die Tendenz, die darin zu erkennen ist.
Wir müssen aber auch deutlich sagen: Wenn nun Kriterien angegeben werden, nach denen die Entwicklungszusammenarbeit beurteilt werden soll — nämlich Einhaltung der Menschenrechte, Förderung des Friedensprozesses und Einhaltung demokratischer Entwicklungen —, dann würden wir GRÜNEN auf dem Hintergund dieser Kriterien heute sagen, die Entwicklungshilfe müßte eigentlich sofort gestoppt werden, weil nämlich die Regierung von El Salvador eklatant gegen diese Kriterien verstößt.
Einige Beispiele: Christiani hat sein Versprechen, direkt nach der Wahl Verhandlungen mit der Guerilla aufzunehmen, nicht eingehalten. Sein heutiges Verhandlungsangebot ist die simple Forderung an die Guerilla, sich zu ergeben. Die Repression ist weiter verschärft worden. Es gibt interne Kämpfe zwischen dem Wirtschaftsflügel der ARENA um Christiani und dem Todesschwadronflügel um D'Aubuisson. Wir nehmen an, daß die Ermordung von Minister Porth wohl auf diese Diadochenkämpfe zurückzuführen ist. Der faschistische Charakter der ARENA wird auch dadurch deutlich, daß vor einiger Zeit Zivilverteidigungskomitees eingerichtet wurden. Solche Komitees sind nichts anderes als legalisierte Todesschwadronen. Außerdem findet der Aufbau eines ARENA-eigenen Geheimdienstes statt, der eigentlich nur noch mit der deutschen Gestapo zu vergleichen ist. Dort werden Denunziationsbüros eingerichtet, wie wir sie nun auch in China erlebt haben. Die Antiterrorgesetze, die die Regierung eingebracht hat, sind nichts anderes als die Legalisierung des Regierungsterrorismus. Dieser Auffassung ist auch der Weihbischof von El Salvador. Deshalb meinen wir, die Entwicklungshilfe müßte auf dem Hintergrund der heute nun gemeinsam verabschiedeten Kriterien eigentlich sofort gestoppt werden.
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß einige Projekte der technischen Zusammenarbeit, nämlich die Ausbildung von Kommunalbeamten, und Projekte mit der Stadtverwaltung von San Salvador faktisch Kooperationen mit der ARENA-Verwaltung bedeuten. Denn die Kommunalverwaltungen sind fast alle in der Hand von ARENA. Die Bundesregierung muß sich also überlegen, ob sie den weiteren Rechtsruck über die technische Zusammenarbeit noch mit unterstützen möchte.
Nun, Herr Pinger, noch einige Worte zu Nicaragua. Hier gibt es eigentlich nur noch sehr Trauriges zu berichten. Herr Warnke hat sich bei seiner jüngsten Nicaragua-Reise furchtbar blamiert. Er hat einen außerordentlich miesen Eindruck hinterlassen: Statt die Entwicklungshilfe für Nicaragua endlich in vollem Umfang freizugeben, wurde Warenhilfe angeboten, wurde Wahlhilfe angeboten. Beide Dinge sind absurd. Ausgerechnet der Vertreter einer Bundestagsfraktion, die öfter nachgewiesen hat, daß sie nur über ein vordemokratisches Bewußtsein verfügt,
deren Mitglieder hier durch rassistische Zwischenrufe aufgefallen sind,
will Nachhilfeunterricht in Demokratie geben.
Und warum wird die Warenhilfe nicht über das Internationale Rote Kreuz, eine wirklich neutrale Instanz, sondern über den Kardinal Obando y Bravo abgewickelt, von dem wir wissen, daß er ein ideologischer Träger der Contra ist? Wir meinen, daß diese Dinge nicht akzeptabel sind.
Einen Moment, Herr Kollege. Der Abgeordnete Irmer bittet um das Wort zu einer Zwischenfrage. Wollen Sie die gestatten?
Ein Satz noch, Frau Präsidentin, dann gerne. — Wir sind der Auffassung, daß diese Angebote der Bundesregierung nicht nur mickrig sind, sondern auch in die völlig falsche Richtung gehen. Wir fordern deshalb die völlige Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe und haben eine Formel vorgeschlagen, die von Ortega selbst im Gespräch mit dem Kanzler gebraucht wurde. — Bitte.
Bitte schön, Herr Kollege Irmer.
Danke schön. — Herr Kollege Volmer, stellen Sie sich die Entwicklungshilfe denn so vor wie Ihr Gesinnungsgenosse Ströbele aus Berlin, der im April dieses Jahres laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung" zu einer spektakulären Spende auf das „taz "Konto „Waffen für El Salvador" aufgerufen hat?
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Die Auffassung der GRÜNENPartei dazu ist ganz eindeutig die: Wir kämpfen seit Jahren dafür, daß zwischen der Regierung und der Guerilla endlich ein Dialogprozeß stattfindet.
Die Regierung hat öfter nachgewiesen, daß sie kein Interesse an einem Dialog hat, und die Guerilla, die Opposition, hat bis jetzt gute politische Gründe gehabt, diese sogenannten Angebote nicht anzunehmen.
Ich maße mir nicht an, darüber zu entscheiden, mit welchen Methoden die Opposition in diesem unterdrückten Land vorzugehen hat.
Was der Kollege Ströbele gesagt hat, ist seine Privatmeinung.
— Die Entwicklungshilfe soll keine Waffen liefern. Entwicklungshilfe ist für uns immer Mittel zur Unterstützung der Ärmsten der Armen, zur Verwirklichung einer grundbedürfnisorientierten Entwicklungsstrategie.
Ich werfe der Bundesregierung vor .. .
Moment, Sie sollten hier nur antworten.
..., daß die Entwicklungshilfe für El Salvador eben nicht grundbedürfnisorientiert ist, sondern daß damit letztendlich die low intensity conflict-Strategie der Vereinigten Staaten unterstützt wird.
Meine Damen und Herren, ich bin eine Sekunde nicht ganz genau dem Wortlaut gefolgt, den Herr Volmer hier soeben gegenüber einer Partei des Hauses benutzt hat. Ich werde mir das im Protokoll anschauen und dann noch entsprechende Ordnungsrufe, wenn sie erforderlich sind, erteilen, Herr Volmer. Tut mir furchtbar leid, aber so ist das, wenn man einmal einen Moment abgelenkt ist.
— Ich sag's ja selber.
Herr Dr. Köhler, Sie haben jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Diese Debatte schließt an eine in weiten Teilen inhaltlich gleichartige Debatte an, die wir am 9. März zu diesem Thema geführt haben. Wenn ich versuche, einen Unterschied zwischen den Äußerungen von Herrn Volmer im März und jetzt festzustellen, dann muß ich sagen: Was damals noch ein — wenn auch einseitiges — Diskutieren der Frage war, wie die Verhältnisse in Mittelamerika wirklich sind, ist heute einfach nur noch eine haßerfüllte Kampagne, gewürzt mit einer Vielzahl von völlig falschen Behauptungen, die wir hier soeben haben hören müssen.Wir beraten zunächst einmal den Antrag betreffend den Schutz von Bundesbürgern/Bundesbürgerinnen in El Salvador. Dieser Antrag hat sich in ausführlichen Ausschußberatungen in vielen Punkten als gegenstandslos erwiesen und muß daher der Ablehnung verfallen.Was die Konditionierung der Entwicklungshilfe für El Salvador angeht, so hat die Bundesregierung sofort nach der Wahl von Präsident Christiani erklärt, daß sie ihn mit allem Nachdruck zur Einhaltung der Menschenrechte und zur Entwicklung des Dialogprozesses und zur Förderung der Demokratie auffordert und daß sie ihr Verhalten in der Frage der Entwicklungshilfe nach den Fakten, die sich hier zeigen würden, gestalten werde.Jedermann, der sich mit den Dingen beschäftigt, weiß, daß weitere Verhandlungen mit El Salvador über Entwicklungshilfe erst Ende des Jahres anstehen. Es ist auch im Plenum darauf verwiesen worden, daß unter diesen Umständen Zeit zur Beobachtung vorhanden ist, daß kein Entscheidungsdruck besteht, sondern daß es gerade richtig und nützlich wäre, diese Situation in einem solchen drängenden Geiste auszunutzen. Damit ist die Haltung völlig klar und ist für jeden, der einsichtig ist, unbezweifelbar. Hier bedarf es keiner weiteren Festlegungen als der, die vorhanden sind.Die Projekte, die sich durch den Wahlausgang jetzt in der Tat unter Verwaltungen vollziehen, die der ARENA unterworfen sind, sind dadurch für die Menschen nicht weniger nützlich oder nötig. Ich erinnere nur an das Kinderkrankenhaus David Bloom.Das heißt, hier ist die Situation eindeutig geklärt. Es ist völlig klar, daß die Bundesregierung wie auch der Deutsche Bundestag nicht gewillt sind, eine rechtsradikale Entwicklung durch Entwicklungshilfe zu unterstützen, sondern sie werden die Regierung in El Salvador an dem messen, was jetzt konkret geschieht.Ich halte es für ganz wesentlich, darauf hinzuweisen, daß es nach wie vor in El Salvador im kirchlichen wie im politischen Raum — das sind auch die in die Legalität zurückgekehrten Vertreter der Aufständischen, z. B. Herr Ungo — an keiner Stelle im Moment die Forderung gibt, die deutsche Entwicklungshilfe zu stoppen oder einzustellen, sondern es gibt die Forderung, sie fortzusetzen. Das ist dort völlig einhellig, und das muß man zur Kenntnis nehmen, wenn man sich nicht allein zum Sprecher des kämpfenden und verheerenden Flügels der Guerilla machen will.Und wenn Ihnen das noch nicht genügt, Kollege Volmer, dann darf ich darauf hinweisen, daß uns sogar Äußerungen von Staatspräsident Ortega aus Managua vorliegen, der da sagt, man müsse wohl jetzt Christiani unterstützen, auch wenn er selbst es bezweifelt, ob sich Christiani gegen die Radikalen in der ARENA durchsetzen könne. Aber es sei im Moment nötig, ihn zu unterstützen. Das müssen wir doch bitte wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen.
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Dr. Köhler
Ich möchte mich nun noch mit dem sehr wichtigen Antrag der SPD-Fraktion zum Friedensprozeß in Mittelamerika beschäftigen, der im Auswärtigen Ausschuß in einer weitgehend einvernehmlichen Fassung Zustimmung gefunden hat. Es hat den Anschein, daß die Entwicklung in Zentralamerika in diesem Moment unübersichtlicher und oszillierender geworden ist, als es noch während der Beratungen im Auswärtigen Ausschuß der Fall war.Nach fast einjähriger Zurückhaltung und Handlungsunfähigkeit sind die Vereinigten Staaten immerhin durch den Vizepräsidenten dort wieder in Erscheinung getreten. Er hat vor wenigen Tagen diese Länder bereist. Uns liegen erste öffentliche Erklärungen auf Grund dieser Reise vor, die da zeigen, daß der Friedensprozeß in diesem Raum einer neuen Vibration — so möchte ich sagen — unterworfen ist.Die Regierung von Honduras hat verschiedene Einwände geäußert. Dahinter steckt auch das Problem, daß Honduras der Verifikations-Kommission noch nicht zugestimmt hat. Das wird damit begründet, daß auf der anderen Seite eine Klage Nicaraguas vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Honduras noch nicht zurückgezogen sei. Wir haben auch Hinweise darauf, daß sich die Haltung El Salvadors verhärtet, was begründet wird mit der Behauptung fortdauernder Unterstützung der salvadorianischen Guerilla durch Nicaragua und einer Verschärfung des Kampfes.Eine präzise Initiative der Vereinigten Staaten und spezielle Aktionen der Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit der Reise des Vizepräsidenten sind noch nicht erkennbar. Aber die Situation ist nicht einfacher geworden.Unter diesen Umständen ist es schwer, eine richtige Entscheidung zu treffen, was in diesem Moment deutscherseits geschehen sollte. Ich verstehe insofern auch das Ergebnis der Reise von Herrn Bundesminister Warnke als ein aus guten Gründen berechtigtes Abwarten. Ich halte es für gut und richtig, daß die Harkenhilfe für Nicaragua erhöht worden ist. Wir haben bereits im Herbst letzten Jahres bedauert, daß dafür damals keine zureichenden Mittel zur Verfügung standen. Es ist gut, daß das jetzt korrigiert worden ist.Aber in diesem Moment ist noch nicht erkennbar, ob bei der Regierung in Managua die Bereitschaft zu tiefgreifenden Reformen und zu einem entscheidenden Durchbruch im Prozeß der Demokratisierung wirklich gegeben ist. Das bleibt noch abzuwarten. Ich sage das besonders vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Präsident Ortega nun den USA ein Gesprächsangebot unterbreitet und Kardinal Obando y Bravo gebeten hat, den Kontakt mit Washington herzustellen. Der Ausgang dieser Aktivität ist noch ungewiß.Unter diesen Umständen halte ich es für richtig, sich auf den Fall einer neuen Situation und neuer Entscheidungen zur Wiederaufnahme der Zusammenarbeit vorzubereiten. Ich halte allerdings eindeutige Fortschritte im Demokratisierungsprozeß allein schon deswegen für nötig, weil ich davon überzeugt bin, daßdas schwache und sehr gefährdete Pflänzchen der Demokratie im gesamten mittelamerikanischen Raum nur dann gedeihen kann, wenn auch in Nicaragua der Prozeß der Demokratisierung entscheidende Fortschritte macht. Ein Nebeneinander verschiedener und verschieden legitimierter Systeme würde diesen Prozeß insgesamt gefährden.Da die Tragödie dieses Raumes wohl ab und zu auch des Satyrspiels bedarf, hat Herr Noriega seinem Kollegen Ortega von freien Wahlen abgeraten. Die Regierung Nicaraguas solle aus den schlechten Erfahrungen Panamas lernen und die im Februar bevorstehende Neuwahl des Staatschefs und des Parlaments absagen, wenn sie nicht ebenso unter den Druck der USA geraten wolle wie sein eigenes Regime, hatte er am Montag im Rundfunk in Panama erklärt. Eine seltene Anerkennung für die Rolle der USA, die sie dort spielt, und eine disqualifizierende Kameradschaft für den Präsidenten von Nicaragua.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Wischnewski.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kollegen! Wir haben eigentlich zu wenig Zeit, weil wir über sehr umfangreiche Fragen reden sollen. Deshalb nur ein paar kurze Bemerkungen.Zuerst zur Frage der Polizeihilfe an Guatemala. Wir Sozialdemokraten sind nicht grundsätzlich gegen Polizeihilfe, wenn die fachliche Ausbildung mit dem Bemühen einhergeht, sie mit der Lehre über den demokratischen Staat und die Einhaltung der Menschenrechte zu verbinden. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem Präsidenten Cerezo, der mir gesagt hat: Wenn ich die Menschenrechte in meinem Land in Ordnung bringen soll, dann muß man mir auch die Möglichkeit dazu geben,
und das hat mit der Ausbildung der Polizei zu tun. Ich bekenne mich zu denjenigen, die deshalb dafür eingetreten sind.Aber wie sieht die Wirklichkeit in dieser Frage heute aus? Die Menschenrechtssituation in Guatemala ist eher verschlechtert. Die Polizei ist an Ermordungen beteiligt. Die Prozesse, die hinterher gegen Polizeibeamte stattgefunden haben, sind zum Teil eine Farce. Es hat zwei Putschversuche gegen den christdemokratischen Präsidenten Cerezo gegeben. Zumindest an dem letzten Putschversuch sind insbesondere Polizeioffiziere beteiligt gewesen. Ich möchte nicht, daß wir mit unserer Ausbildung etwas mit Putschversuchen gegen christdemokratische Präsidenten zu tun haben.Der Demokratisierungsprozeß in der Polizei ist nicht erkennbar. Alle Angaben über die Situation der Menschenrechte in Guatemala stimmen überein in den Berichten der Vereinten Nationen, von amnesty international und auch von American Watch.Unter diesen Umständen können wir nicht für neue Verpflichtungen im Rahmen der Polizeihilfe eintreten. Wir können in dieser Situation dafür nicht Mitver-
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Wischnewskiantwortung tragen. Mit unserer Zustimmung kann es neue Polizeihilfe an Guatemala nicht geben.Zu Salvador: Über die entscheidenden Veränderungen ist bereits geredet worden. Nach dem blutigen Wahlsonntag gibt es jetzt eine Regierung der ARENA. Natürlich gibt es innerhalb der ARENA Auseinandersetzungen. Jeder muß wissen: Der wichtigste Mann in der ARENA ist nicht Herr Cristiani, sondern Herr d'Aubusson. Darüber gibt es gar keinen Zweifel. Der christlich demokratische Präsident Napoleon Duarte hat als Präsident gesagt, er ist verantwortlich für die Ermordung des Erzbischofs. Dies ist der Grund, warum die strengsten Maßstäbe angelegt werden müssen, die es in dieser Frage überhaupt gibt.Die Leute, die die Verantwortung für die Ermordung des Erzbischofs tragen, regieren heute zum Teil. Sie sind die Maßstäbe, die wir anzulegen haben.Deshalb erwarten wir unmittelbar nach der Sommerpause einen ersten Bericht der Bundesregierung erstens über die Einhaltung der Menschenrechte, zweitens über die demokratische Entwicklung in diesem Land und drittens über die Förderung des Friedensprozesses von Esquipulas, d. h. über die Frage des Dialogs zwischen der Regierung und der Guerilla.Dieses ist unverzichtbar. Ich sage Ihnen hier ausdrücklich: In dieser Frage werden wir — ich hoffe: mit Ihnen gemeinsam — den strengsten Maßstab anlegen.Bei mir war vor einigen wenigen Tagen der christdemokratische Parteiführer Fidel Chavez Mena und hat gesagt: Die ARENA ist eine faschistische Partei. Das ist die Aussage eines Christdemokraten. Wir werden uns dann darüber zu unterhalten haben, ob wir in dieser Frage übereinstimmen.Nun zu Nicaragua. Hier gibt es positive Entwicklungen. Am 25. Februar 1990 wird dort vorzeitig gewählt. Es werden der Präsident, der Vizepräsident, die Nationalversammlung, die Gemeinderäte und die Regionalversammlungen für die indianischen Minderheiten gewählt. Die Wahlen werden unter internationaler Kontrolle durchgeführt. Das Europäische Parlament ist eingeladen.In der vergangenen Woche hat ein Gespräch zwischen den Sandinisten und Vertretern der ChristlichDemokratischen Internationale stattgefunden, bei dem die Christlich-Demokratische Internationale zur Wahlbeobachtung eingeladen worden ist. Ich hoffe, daß sie diese Einladung annimmt, genauso wie die Liberale und die Sozialistische Internationale.Es ist ein neues Wahlgesetz verabschiedet worden. Es ist ein Wahlrat gewählt worden, an dem die Opposition beteiligt ist. Leider gibt es zu viele Oppositionsparteien.
Eine Amnestie ist durchgeführt worden. Es gibt ernste Bemühungen auch im wirtschaftlichen Bereich, die Inflation zu begrenzen. Der Verteidigungshaushalt ist um 29 % gekürzt worden, der Haushalt für die innere Sicherheit um 40 %.Der Kollege Dr. Köhler hat gesagt, daß es gerade in den letzten Tagen ein sehr wichtiges Gespräch zwischen Ortega und Kardinal Obando y Bravo gegeben hat, in dem der Kardinal gebeten worden ist, zur Verfügung zu stehen, wenn es darum geht, das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten zu verbessern.Ich möchte hier ausdrücklich begrüßen, daß die Bundesregierung die Katastrophenhilfe erhöht hat, und ich möchte ausdrücklich begrüßen, daß sich der Bundesminister bereit erklärt hat, bei der materiellen Vorbereitung der Wahlen zu helfen.Aber ich habe hart zu kritisieren, daß die Bundesregierung nach wie vor nicht bereit ist — jedenfalls jetzt nicht bereit ist —, die Kapitalhilfe wieder aufzunehmen, und daß die Bundesregierung nach wie vor den Friedensprozeß dadurch eben nicht unterstützt, daß sie die Länder so unterschiedlich behandelt, wie das jetzt der Fall ist, und hier erneut Bedingungen stellt.Meine sehr verehrten Damen und Herren und liebe Kollegen, vor allen Dingen aber, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich möchte von der Bundesregierung wissen, welche Bedingungen denn dem kommunistischen Albanien gestellt worden sind. Tragen Sie das bitte heute hier vor! Es ist nicht mein Amt und meine Aufgabe, Länder gegeneinander auszuspielen. Aber dies machen Sie nicht mit uns, daß Sie in dieser Frage so unterschiedlich handeln, wie Sie in dieser Frage handeln.Albanien bekennt sich dazu, auch nach der Verfassung, das erste und einzige atheistische Land der Welt zu sein. Die Moscheen, die Kirchen und die Klöster in diesem Lande sind zerstört oder in Lagerhallen oder Kinos umgewandelt worden. Die Ausübung der Religion in diesem Lande ist nach der Verfassung verboten. Wer die Religion ausüben will, wird bestraft.
Das Land nennt sich selbst marxistisch-leninistisch und bekennt sich ausdrücklich zur Diktatur des Proletariats. Albanien sagt: Unser Hauptfeind sind die Vereinigten Staaten.Alle diese Formulierungen, die ich hier eben gebraucht habe, stammen aus amtlichen Dokumenten der Bundesregierung. Ich stelle ausdrücklich fest: Hier ist keine einzige Formulierung der SPD, sondern das sind alles Formulierungen aus amtlichen Dokumenten der Bundesregierung.Der beamtete Staatssekretär des BMZ ist im vergangenen Jahr dreimal in Albanien gewesen, in dem einzigen atheistischen Land der Welt. Diesem Land haben Sie in diesem Jahr Kapitalhilfe in Höhe von 10 Millionen DM zugesagt. In Nicaragua sitzen die Padres in der Regierung. In Albanien sitzt jeder, der ein Padre sein will, im Gefängnis, und Ihre christlich-demokratische Politik besteht darin, den einen Geld zu gewähren und den anderen nicht. Dies ist eine Ungeheuerlichkeit. Ich muß Sie dringend bitten, Ihre Politik in dieser Frage zu überprüfen.
Ich will Ihre Bemühungen überhaupt nicht stören, wenn Sie glauben, daß eine Politik der Öffnung möglich ist. Aber Sie können die Länder nicht so unter-
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Wischnewskischiedlich behandeln, wie Sie das tun. Die einen bereiten Wahlen vor, haben Oppositionsparteien, haben Oppositionszeitungen und räumen der Opposition Zeit im Fernsehen ein; da wollen Sie immer neue Bedingungen stellen. Den anderen, den Atheisten, gewähren Sie das Geld bedingungslos.
Eine christlich-demokratisch geführte Regierung, die den Atheisten in einem Lande, in dem Religion unter Strafe gestellt ist, Mittel gewährt und sie einem christlichen Land wie Nicaragua streitig macht, darf sich nicht darüber wundern, wenn sie in noch stärkerem Maße an Glaubwürdigkeit verliert, meine sehr verehrten Damen und Herren.Ich verspreche Ihnen, daß Sie, wenn Sie diese Frage nicht innerhalb kürzester Zeit in Ordnung bringen, im Herbst dieses Jahres die größte Aufklärungskampagne gegenüber den aktiven Christen in unserem Lande über Ihr Verhalten erleben werden.Meine herzliche Bitte geht dahin, heute eine Entscheidung zu fällen, die wenigstens darum bemüht ist, die Riesenunterschiede aus der Welt zu schaffen. Ich darf Sie sehr herzlich darum bitten, unserem Antrag zuzustimmen.Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, das Wort hat Frau Staatsministerin Adam-Schwaetzer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Situation in Zentralamerika beschäftigt uns zu Recht in den letzten Wochen hier im Deutschen Bundestag häufiger. Die Menschen dort brauchen Frieden. Die Bundesregierung unterstützt sowohl bilateral als auch gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen Gemeinschaft den Friedensprozeß, der sich durch die Initiative von Präsident Arias aus Costa Rica aus der Region dort selbst entwickelt hat.
Das weltpolitische Umfeld für den Friedensprozeß war nie so günstig wie jetzt. Es gibt drei neue Impulse: einmal die neue von beiden Parteien in den Vereinigten Staaten und von Präsident Bush getragene Zentralamerika-Politik der USA, zum anderen die Absage von Präsident Gorbatschow an den Revolutionsexport, die er bei seinem Besuch in Havanna abgegeben hat. Zum dritten: Der wichtigste neue Impuls in der Region selbst ist das Demokratisierungsversprechen von Präsident Ortega. Nur in El Salvador scheint die Entwicklung gegenläufig zu sein. Dort haben sich die Risiken für den Friedensprozeß eher erhöht.Am Anfang dieses neuen Momentums für die zentralamerikanische Friedensentwicklung stand das Gipfeltreffen der Präsidenten in El Salvador im Februar dieses Jahres. Dort hat Präsident Ortega Esquipulas II unterschrieben, das Demokratisierungsversprechen gegeben. Er hat damit beträchtliche Erwartungen geweckt, die es nun zu erfüllen gilt.Herr Kollege Wischnewski, niemand stellt hier irgendwelche neuen Bedingungen. Es geht darum, daß die Versprechen, die dort gegeben worden sind, auch tatsächlich eingehalten und umgesetzt werden.
— Wir können gerne über die Grundsätze der Auswärtigen Politik und der Entwicklungspolitik der Bundesregierung diskutieren. Heute diskutieren wir nicht über Albanien, sondern darüber, in welcher Weise der Friedensprozeß in Zentralamerika in den vergangenen Monaten beeinflußt worden ist,
welche Erwartungen dort geweckt worden sind, wer diese Erwartung erfüllt und wer dort vielleicht noch etwas mehr tun müßte.Insofern, Herr Wischnewski, geht es hier nicht alleine darum, Wahlbeobachter zu entsenden. Entscheidend ist doch der Prozeß der Vorbereitung dieser Wahl. Das waren exakt die Dinge, die in Esquipulas II festgelegt worden sind, nämlich die Wahlrechtsreform und die Medienreform. Hier gibt es noch Schritte zu tun, die in Nicaragua selbst von Präsident Ortega gemacht werden müssen.Insofern kann ich nur noch einmal unterstreichen: Die Bundesregierung und niemand sonst setzt neue Bedingungen; vielmehr achten wir darauf, übrigens in Übereinstimmung mit den anderen vier zentralamerikanischen Präsidenten, mit denen wir auch immer wieder über diese Fragen sprechen, daß Esquipulas II umgesetzt wird.
Während des Besuchs von Ortega Anfang Mai in Bonn hat die Bundesregierung diese Gelegenheit als willkommen begrüßt, positive Anreize zu setzen. Bundeskanzler Kohl hat an Ortega appelliert, weiter mit der Opposition in Nicaragua über die Wahl- und Medienrechtsreform zu sprechen. Beim Besuch des Entwicklungshilfeministers in Nicaragua ist der Entwicklungshilfeminister um Wahlhilfe gebeten worden. Die Bundesregierung hat Prüfung zugesagt.Ein Wort zur Nicaraguapolitik der USA. Wir begrüßen es nachdrücklich, daß durch die neue Formulierung der Zentralamerikapolitik, die Präsident Bush in Angriff genommen hat und für die er beide Parteien sowohl des Kongresses als auch des Senats gewonnen hat, der wichtigste, ich möchte einmal sagen: Mitspieler in der Region nun akzeptiert, daß Esquipulas II die Grundlage für die Friedensentwicklung in Zentralamerika ist. Dies ist eine deutliche Distanzierung und auch Weiterentwicklung der Politik der Vereinigten Staaten, die in der dortigen Region zweifellos ganz besondere Interessen haben.Während seines Besuches in Havanna hat Generalsekretär Gorbatschow eine unmißverständliche Absage an alle Doktrinen des Revolutionsexports ausgesprochen. Dies war ein politisches Signal für die gesamte Region. Gerade für Zentralamerika hat es unmittelbare Bedeutung. Der Verzicht auf die grenz-
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Staatsminister Frau Dr. Adam-Schwaetzerüberschreitende Förderung bewaffneter Widerstandsbewegungen gehört zu den zentralen Verpflichtungen des Esquipulas-Abkommens. Mit dieser Aussage in Havanna hat Gorbatschow eben seinerseits dazu beigetragen, daß der Friedensprozeß störungsfreier verläuft.Die Überwachung des Verzichts auf grenzüberschreitende Unterstützung von Widerstandskämpfern ist im übrigen Gegenstand des geplanten Überwachungsmechanismus, zu dem neben Kanada und Spanien auch die Bundesrepublik Deutschland beitragen soll. Sobald das Mandat des Generalsekretärs der Vereinten Nationen dafür vorliegt, wird die Bundesregierung über die Form unserer Beteiligung entscheiden. Die grundsätzliche Teilnahmebereitschaft hat die Bundesregierung bereits wiederholt erklärt.Mit Sorge erfüllt uns die Lage nach wie vor in El Salvador. Die Lage der salvadorianischen Guerilla, die Präsidentschaftswahlen und die Amtsübergabe durch militärische Aktionen zu stören, hat die Situation nicht gerade erleichtert, denn es scheint, daß eine neue Phase im Zyklus von Gewalt und Gegengewalt eröffnet worden ist. Präsident Cristiani hat Gespräche mit der Guerilla angekündigt, er steht im Wort.Herr Kollege Wischnewski, wenn Sie einen Bericht der Bundesregierung zu dieser Frage nach der Sommerpause erwarten, kann ich Ihnen nur sagen: Ich halte es für sehr notwendig, daß wir uns auch im Deutschen Bundestag über den Fortgang der Situation in El Salvador gründlich unterhalten. Die Bundesregierung erwartet auch von Präsident Cristiani, daß er an der von ihm erklärten Bereitschaft zu Verhandlungen und ebenfalls an der Respektierung der Menschenrechte festhält.Ein großes Problem besteht darin, wie wir Bundesbürger, die in der Region zum Teil tätige Hilfe leisten, am besten vor Übergriffen schützen können, am besten davor schützen können, daß sie Schaden nehmen, wenn sie zwischen die Fronten geraten. Dies ist nicht immer einfach. Eine Garantie für ihre Sicherheit können wir nicht geben. Deswegen appellieren wir an alle jungen Leute und bitten sie, sich bei aller Hilfsbereitschaft in der Region nicht in innenpolitische Auseinandersetzungen hineinziehen zu lassen und Konfliktgebiete zu meiden. Dies, denke ich, sind sie selbst ihrem eigenen Schutz schuldig. Was wir darüber hinaus tun können, sie zu schützen, werden wir tun.Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Irmer.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Herr Wischnewski hat vorhin über die Problematik von Polizeihilfe allgemein gesprochen. Ich weiß, daß das ein sehr heikles Gebiet ist. Es muß vorausgesetzt werden, daß Polizeihilfe nur da geleistet wird, wo die Polizei demokratisch kontrolliert wird, wo eine Vermischung mit Militär nicht stattfindet und wo insbesondere die Polizei Menschenrechte nicht verletzt, sondern für die Einhaltung von Menschenrechten eingesetzt wird und dafür kämpft.Ich bin trotzdem nicht bereit, dem Antrag, der hier dazu vorliegt, nämlich die Polizeihilfe unverzüglich einzustellen, heute zuzustimmen, ohne daß das vorher in den Ausschuß überwiesen wird.
— Wenn es überwiesen wird, dann ist die Sache in Ordnung.Herr Kollege Wischnewski, Ihre Schilderung der Zustände in Albanien war sehr eindrucksvoll. Aber die Konsequenz, die Sie daraus ziehen müßten— auch als Oppositionspolitiker — , müßte doch eigentlich sein, daß Sie sagen: Die Entwicklungshilfe für Albanien muß eingestellt werden. Es kann ja sein, daß da ein Fehler gemacht wird; ich kann das heute nicht beurteilen. Aber die Konsequenz kann doch nicht sein: Weil wir ungerechtfertigterweise an Albanien Entwicklungshilfe geben, deshalb müssen wir auf jeden Fall auch Nicaragua jetzt bedenken. Das ist ein logisch falscher Schluß, der hier gezogen wird.
Herr Ehmke, zu Nicaragua selbst möchte ich folgendes sagen: Es ist außerordentlich anzuerkennen, daß sich die Regierung Ortega heute darum bemüht— jedenfalls Erklärungen abgegeben hat —, die Situation nachhaltig zu verbessern, zur Demokratie zurückzukehren, auch die Pressefreiheit wieder voll zuzulassen, politische Gefangene freizulassen und dergleichen.Ich stehe nicht an, zu sagen: Hier gibt es sogar sehr beachtliche Fortschritte. Aber es gibt auch entscheidende Dinge, die mehr als Schönheitsfehler sind: Die Wahl ist zwar angesetzt und auf Februar nächsten Jahres vorgezogen, aber die Konsequenzen aus der Wahl sollen erst rund ein Jahr später gezogen werden. Das heißt, es wird vielleicht ein neuer Präsident gewählt, aber der alte amtiert weiter. Nun sagt zwar Herr Ortega sehr treuherzig: In einem solchen Falle würde ich selbstverständlich zurücktreten. Aber wer würde dann nachrücken? — Sein gleichfalls sandinistischer Vizepräsident!Folgendes halte ich für noch viel schlimmer: Das neu zu wählende Parlament wird nicht etwa nach der Wahl konstituiert, sondern die Volksvertreter werden zum Däumchendrehen nach Hause geschickt und dürfen ein Jahr warten. Was sich dann inzwischen ohne Parlament entwickelt, wissen wir nicht. Herr Wischnewski, hier muß von Nicaragua wesentlich nachgebessert werden.Ich glaube und hoffe, daß das schlechte Beispiel Argentiniens mit der langen Zeitspanne zwischen der Wahl und der Amtsübernahme durch den neuen Präsidenten für Herrn Ortega und die Sandinisten in Nicaragua Anlaß ist, noch einmal darüber nachzudenken, ob dieses Wahlgesetz nicht gründlich verbessert werden muß.Im übrigen sind wir der Meinung gewesen, man sollte das, was in Nicaragua positiv geschehen ist, honorieren. Wir bringen das damit zum Ausdruck, daß wir — anders als früher — sagen: Wir bereiten jetzt konkrete Projekte vor. Sie brauchen sowieso einen
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11600 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
IrmerVorlauf von etwa einem Jahr. Wenn die Entwicklung in Nicaragua so weitergeht, werden wir nach den Wahlen sagen: Jetzt geben wir den Startschuß für die Durchführung dieser Projekte. Dann geht keine Zeit verloren. Materiell ist das genau dasselbe, als wenn wir jetzt sagen würden: Wir nehmen die Entwicklungshilfe wieder auf. Es tritt keine Verzögerung ein. Wir geben ein Signal; wir honorieren die positiven Entwicklungen, sagen aber zugleich: Wir hoffen, wir erwarten und wir bitten darum, daß der Friedensprozeß vernünftig weitergeführt wird und daß der Demokratisierungsprozeß Fortschritte macht. Wenn wir hier positive Ergebnisse feststellen, kann die Entwicklungshilfe sofort nach der Wahl praktisch umgesetzt werden.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Repnik.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit den Staaten Zentralamerikas ist die Bundesregierung — Herr Kollege Wischnewski, das waren übrigens alle Bundesregierungen, auch die, der Sie angehört haben — von folgenden Grundsätzen geleitet: Ablehnung von Gewalt, Förderung von Frieden, Demokratie und sozialem Ausgleich. Wir wenden uns gegen jede Form politischer Gewalt, gleichgültig von welcher Seite sie ausgeübt wird. Bei Mord, bei Raub, bei Erpressung und bei Gewalt hören die Unterschiede zwischen rechts und links auf, denn in dieser Form des Widerstandes liegt keine politische Lösung, wie wir gerade aus den Erfahrungen in dieser Region wissen.
Wir unterstützen alle Bemühungen für eine friedliche Lösung in dieser Region. Ohne Frieden ist, wie wir wissen, auch eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung zum Wohle der Bevölkerung nicht möglich. Wir unterstützen die Entwicklung zu freiheitlichen Demokratien, und damit unterstützen wir auch all jene Kräfte in dieser Region, die sich hierfür einsetzen. Und wir unterstützen den sozialen Ausgleich und den sozialen und wirtschaftlichen Aufbau der Staaten in dieser Region.
Die Verträge von Esquipulas II und von San Salvador sind ebenfalls von diesem Geist beseelt. Hier, Herr Kollege Wischnewski und Herr Kollege Volmer, muß doch auf folgendes hingewiesen werden, und dies unterscheidet übrigens, Herr Kollege Wischnewski, die Situation in dieser Region auch von der Situation in Albanien: Es gibt in dieser Region eindeutig eine Einigung. In Esquipulas II haben sich alle Staats- und Regierungschefs aus dieser Region zur Demokratie und zu demokratischen Entwicklungen verpflichtet, und sie haben gerade die Entwicklung von Demokratien zur Voraussetzung für eine entsprechende Förderung gemacht. Auch Daniel Ortega, der Präsident von Nicaragua, hat sich bei Esquipulas II hierzu verpflichtet.
Herr Kollege Wischnewski, indem wir genau diese Tendenz, diese Zielrichtung, diesen Geist von Esquipulas II unterstützen, wollen wir mithelfen, die Tür zur Freiheit, zur Demokratie zumindest einen Spalt weit zu öffnen. Denselben Ansatz unternehmen wir in Albanien, den — zugegebenermaßen — Versuch, in ersten Schritten die Tür zur Demokratie einen Spalt weit zu öffnen. Deshalb, Herr Kollege Wischnewski, gelten auch bei uns die gleichen Grundsätze bei den Programmen in Guatemala, in El Salvador und in Nicaragua, die Gegenstand unserer heutigen Beratung sind.
Lassen Sie mich auf die Rede des Kollegen Volmer noch einmal eingehen, auf Guatemala und die dortige Polizeihilfe. Wir haben uns in Guatemala wenige Monate nach der Amtsübernahme des nach vielen Militärregierungen erstmals demokratisch gewählten Präsidenten Cerezo entschieden, der dringend benötigten demokratischen Stärkung der dortigen Ordnungskräfte zuzustimmen. Hier muß ich die Frage an Sie richten, und hier wird mir doch der Kollege Wischnewski zustimmen: Weshalb hat sich die Bundesregierung dort zu diesem Schritt entschieden? Sie hat sich dazu entschieden, weil zu jenem Zeitpunkt Gewaltkriminalität — Morde, Raub, Vergewaltigungen und Entführungen mit Erpressungen — ein erschrekkendes Ausmaß in diesem Land angenommen hatte und eine ernste Bedrohung nicht nur für Leib und Leben der Bevölkerung, sondern für die damals noch junge Demokratie darstellte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Staatssekretär?
Nein. Ich möchte ganz bewußt Herrn Kollegen Wischnewski, weil er seine Ausführungen in diesem Punkt vertieft hat, im Zusammenhang antworten dürfen.
Die Bundesregierung wollte mit dieser Hilfe — und, wie wir wissen, doch mit Ihrer Zustimmung, Herr Kollege Wischnewski — ganz bewußt ein Zeichen setzen, denn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung
nach rechtsstaatlichen Grundsätzen — Herr Kollege Duve — ist ein Wesensmerkmal jeder Demokratie. Diese Entscheidung, Herr Kollege Duve, wurde von einer breiten Zustimmung dieses Hauses getragen und von führenden Repräsentanten Ihrer Partei mit unterstützt.
Aber Sie haben keine Zwischenfrage, Herr Kollege Duve.
Sie sollten sich schon fragen lassen, Herr Kollege Duve, weshalb die sozialdemokratischen oder sozialistischen Regierun-
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Parl. Staatssekretär Repnikgen von Spanien einerseits und Venezuela andererseits genau diesen Ansatz, den wir hier verfolgen, unterstützen aus den Gründen, die auch zu unserer Entscheidung in dieser Frage beigetragen haben.
In El Salvador wurde die Entwicklungszusammenarbeit — auch darauf muß hingewiesen werden — erst wieder aufgenommen, als dort eine demokratisch gewählte Regierung die Verantwortung übernahm. Daß es trotz großer Verdienste von Präsident Duarte nicht gelungen ist, Verbrechen, auch politische Verbrechen, nachhaltig zu verhindern, ist, wie wir alle wissen und beklagen, eine der Tragödien dieses Landes. Doch auch hier müssen wir nach den Ursachen fragen. Wir sollten auch hier nicht einseitig blind sein.Der Anteil der Guerilla an Greueltaten in El Salvador stand dem Anteil der Todesschwadronen kaum nach. Nicht zuletzt wurde durch ihre Aktionen die Notlage der Bevölkerung bewußt verschärft. Der Menschenrechtsbeauftragte der UNO klagt in seinem Bericht vom Oktober 1988 — ich empfehle, ihn nachzulesen — dieses Verhalten ebenso vehement an wie die untragbaren Verbrechen der Todesschwadronen.Um dem entgegenzuwirken, konzentriert sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in El Salvador auf den Aufbau eines durch Erdbeben zerstörten Kinderkrankenhauses, die Ausbildung arbeitsloser Jugendlicher, den Wiederaufbau technischer Ausbildungsstätten der Salesianer, die Beratung von landwirtschaftlichen Genossenschaften der Agrarreform, Kreditprogramme für Kleinhandwerker und die Beratung von Slumbewohnern bei der Wohnraumbeschaffung. Herr Kollege Volmer, wer ungeachtet dieser Projektansätze, die wir zur Stärkung und Stütze der Bevölkerung, der Ärmsten der Armen, gewählt haben, die Einstellung der deutschen Entwicklungshilfe gegenüber El Salvador fordert, sollte bedenken, daß er ohne ein Mandat seitens der Betroffenen handelt.Ein letzter Hinweis sei mir noch gestattet. Durch den Regierungswechsel in El Salvador zur rechtsgerichteten ARENA unter dem neuen Staatspräsidenten Cristiani ist in der Tat eine neue Lage entstanden. Wir wissen, daß Staatspräsident Cristiani es innerhalb seiner ARENA-Partei auch mit radikalen Kräften der Rechten bis zu den Todesschwadronen zu tun hat. Wir wissen das sehr wohl. Wir beobachten daher die Politik der neuen salvadorianischen Regierung sehr aufmerksam. Wir beurteilen sie danach, ob Anspruch und Wirklichkeit, ob Wort und Tat im Einklang stehen. Hiervon wird abhängen, wie die künftige entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit El Salvador aussehen wird. Wir haben keine neuen Zusagen gemacht. Wir haben keine neuen Projekte in der Arbeit. So, wie wir die Entwicklung in Nicaragua beobachten, tun wir das auch mit der neuen Regierung in El Salvador.Frau Präsidentin, wenn mir trotz der roten Lampe noch ein Nachtrag gestattet ist, dann möchte ich zu Nicaragua doch noch eine Anmerkung machen. Es ist nicht so — wie es immer wieder dargestellt wurde —, daß die Bundesregierung von heute auf morgen ausder entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Nicaragua ausgeschert ist. Das ist ein Märchen, das immer wieder die Runde macht. Ich stelle fest, daß selbst Sachkundige kaum etwas über die tatsächlichen Zusammenhänge wissen.Was ist geschehen? Wir haben in der Technischen Zusammenarbeit alle alten Projekte fortgeführt. Wir haben — zugegeben — keine neuen Projekte beschlossen. Wir haben die Kapitalhilfe gestoppt, weil wir gesagt haben: Wir wollen das Volk unterstützen und nicht das sandinistische System. Wir haben die humanitäre Hilfe fortgeführt. Wir haben versucht, durch finanzielle Zuweisungen in drei Stufen Hilfe nach der Hurrikankatastrophe zu leisten. Dabei handelte es sich um insgesamt 10 Millionen DM. Nach wie vor sind über 30 DED-Helfer in Nicaragua.Deshalb glaube ich sehr wohl, daß sich die Hilfe der Bundesregierung, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, gerade in diesem Zusammenhang sehen lassen kann. Diese Hilfe ist weder links noch rechts ausgerichtet, sondern orientiert sich an den Grundbedürfnissen der Bevölkerung.
Mir liegt jetzt das Wortprotokoll der Ausführungen des Herrn Abgeordneten Volmer vor. Er hat danach gesagt:
Ausgerechnet der Vertreter einer Bundestagsfraktion, die öfter nachgewiesen hat, daß sie nur über ein vordemokratisches Bewußtsein verfügt, deren Mitglieder hier durch rassistische Zwischenrufe aufgefallen sind, will Nachhilfeunterricht in Demokratie geben.
Ich halte das für eine außerordentliche Beleidigung der CDU/CSU-Fraktion und erteile Ihnen einen Ordnungsruf.
Jetzt hat Herr Volmer noch einmal für eine Minute das Wort. Vielleicht kann er das wieder zurücknehmen.
Frau Präsidentin! Ich möchte zur Sache reden, und zwar zu Guatemala. Herr Irmer hat angekündigt, daß der Antrag überwiesen werden sollte. Der Auffassung sind wir auch. Wir haben gehört, daß die Union hatte direkt darüber abstimmen lassen wollen.Wir meinen, daß die Befassung mit diesem Thema in den Ausschüssen bisher äußerst dürftig war und daß auch die Antworten der Bundesregierung auf unsere Anfragen außerordentlich läppisch waren. Es gibt auch neue Erkenntnisse, etwa die im neuesten Bericht von „amnesty international", über Menschenrechtsverletzungen in Guatemala, in die auch die Polizei sehr stark verwickelt ist.Selbst wenn man sich auf den Standpunkt der Bundesregierung stellen wollte, daß Polizeihilfe günstig sei, um einen zivilen Apparat gegen den militärischen aufzubauen, muß man heute sagen, daß, nachdem die Militärs Ende letzten Jahres geputscht und sich die Polizei einverleibt haben, auch diese Grundlage für die Politik der Bundesregierung nicht mehr gegeben ist.
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VolmerDeshalb müßte unserer Meinung nach unser Antrag sehr intensiv in den Ausschüssen diskutiert werden. Der Beratung müssen die Ergebnisse von „amnesty international" und „America's watch" zugrunde gelegt werden. Von daher plädieren wir auch für Überweisung dieses Antrags.Außerdem möchte ich meinen Antrag mit 2 000 Unterschriften unterstreichen, die wir gesammelt haben und die ich der Bundesregierung überreichen möchte.
Für ebenfalls noch eine Minute hat Herr Abgeordneter Wischnewski das Wort.
Erstens. Über die Frage der Polizei in Guatemala wollen wir ausführlich reden; denn ich hoffe, Sie werden mit uns der Auffassung sein, daß wir nicht dort helfen wollen, wo Putsche gegen mit Ihnen befreundete Präsidenten mit Hilfe dieser Polizei durchgeführt werden.
Zweitens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Nicaragua befindet sich in einer ausgesprochenen Notsituation. In dieser Notsituation ist das Land unter schwierigsten Umständen dabei, demokratische Wahlen vorzubereiten, die vorgezogen worden sind. Sie wie wir alle hier sind gebeten worden, den Wahlprozeß so früh wie möglich zu beobachten. Ich bitte Sie sehr herzlich, dem zuzustimmen und nicht zu warten. Die Menschen leiden jetzt Not!
Drittens. Verehrte Frau Staatsministerin, womit ich in gar keiner Weise einverstanden sein kann, ist, daß Sie sagen, Sie wollten die Haltung gegenüber Nicaragua mit den anderen vier Staatspräsidenten abstimmen.
— Sie haben etwas Ähnliches gesagt: in Übereinstimmung mit den anderen. Ich bin also nicht bereit, mit Herrn Cristiani von der ARENA, von dem der Christdemokrat Fidel Chaves Mena sagt, er sei ein Faschist, irgend etwas über die Situation in einem anderen Land abzustimmen.
Ich bin auch nicht bereit, mit dem Staatspräsidenten von Honduras, der völkerrechtswidrig und entgegen den Abkommen irreguläre Truppen in seinem Lande unterhält, etwas abzustimmen.
Es wäre sehr schlecht, wenn die Bundesregierung eine solche Haltung einnähme. — Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Das Wort nach § 30 der Geschäftsordnung erbittet der Herr Abgeordnete Duve.
— Es kommen noch mehr, meine verehrten Kollegen. Ich kann es leider nicht ändern.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Staatssekretär, Sie hatten mich zweimal angesprochen. Ich meine, es ist richtig,
hier noch einmal festzustellen, daß die politischen Überlegungen sowohl der spanischen Regierung als auch die der Bundesregierung und die der Sozialdemokraten, die über diese Polizeihilfe an Guatemala nachgedacht haben, etwas damit zu tun hatten, daß sich der gewählte zivile Präsident von Anfang an nicht der Befehlsgewalt über die bewaffneten Streitkräfte
und der Befehlsgewalt über die bewaffnete Polizei sicher sein konnte.
Das war der Sinn meines Zwischenrufes. Sie haben das undeutlich dargestellt. Das ist sehr wichtig, denn dieser Tatbestand ist heute nicht mehr gegeben.
Ich schließe jetzt die Aussprache.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, zunächst zu Tagesordnungspunkt 27 b, nämlich über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN — Einstellung der Polizeihilfe für Guatemala — auf Drucksache 11/2898. Die Fraktion der SPD sowie die Fraktion DIE GRÜNEN haben beantragt, daß dieser Antrag zur federführenden Beratung an den Auswärtigen Ausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und den Haushaltsausschuß überwiesen wird. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 27 c, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4829. Wer diesem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 11/4574 ab.
— Sie möchten jetzt zu der Beschlußempfehlung das Wort haben? Dazu bekommen Sie das Wort, Herr Volmer. Es handelt sich nicht um die Aussprache, sondern es geht um die Abstimmung.
— Es dauert nur länger, wenn wir uns aufregen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur kurz darstellen, warum wir einen Änderungsantrag zu dem gemeinsamen Antrag einbringen, denn wir haben uns im Auswärtigen Ausschuß und dann im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit darauf verständigt, einen gemeinsamen Antrag einzubringen. Wir GRÜNEN ha-
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Volmerben dies getan, weil dies den Bruch mit einer bestimmten — —
— Ich möchte jetzt erklären, warum wir einen Änderungsantrag eingebracht haben.
Herr Volmer, einen Augenblick! Ich muß wirklich sagen, dies geht so nicht. Wir haben im Ausschuß einstimmig, d. h. auch mit Ihren Stimmen, diese Beschlußempfehlung verabschiedet, und die steht jetzt zur Abstimmung. Es ist nicht denkbar, daß Sie jetzt wieder eine Debatte beginnen, die Sie im Ausschuß schon geführt haben.
Das tut mir außerordentlich leid. Sie haben jetzt nicht mehr das Wort zur Geschäftsordnung und auch nicht zur Abstimmung.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 11/4574 ab. Dort wurde einstimmig ein Beschluß gefaßt. Ich bitte um Ihr Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN ist die Beschlußempfehlung angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4551 ab. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/2844 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Zusatztagesordnungspunkt 19: Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion der SPD zum Friedensprozeß in Mittelamerika und zum Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Förderung des Friedensprozesses in Zentralamerika.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/4835 ab. Wer stimmt diesem Änderungsantrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4812. Die Fraktion der SPD hat hierzu getrennte Abstimmung beantragt.
Wir stimmen zunächst über Nr. 1 Abs. 1 bis 3 mit den Spiegelstrichen 1 und 2 der Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 11/4812 ab. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. Da haben Sie im Ausschuß zugestimmt. Was ist denn jetzt los?
Einstimmigkeit darüber im Auswärtigen Ausschuß! — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der GRÜNEN angenommen.
Ich rufe Nr. 1 Spiegelstrich 3 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/4812 auf. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/4839 vor. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine. Dieser Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für Nr. 1 Spiegelstrich 3 der Beschlußempfehlung auf Drucksache 11/4812? Ich bitte um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit Mehrheit angenommen. Hat es da andere Stimmen gegeben? — Nein.
Noch zu dem Zusatztagesordnungspunkt 19: Der Auswärtige Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 11/4812 unter Nr. 2, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1130 abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlußempfehlung zu? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der SPD ist diese Beschlußempfehlung mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nun zum nächsten Tagesordnungspunkt. Und jetzt kommt Herr Westphal und macht das weiter.
— Habe ich ja gemacht.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze
— Drucksache 11/2807 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung
— Drucksache 11/4865 —
Berichterstatter:
Abgeordneter von der Wiesche
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Herr Seehofer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Illegale Beschäftigung ist ein soziales Übel. Sie verhindert legale Arbeit.
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Parl. Staatssekretär SeehoferIllegale Beschäftigung geht oft mit Leistungsmißbrauch einher. Deshalb muß der ehrliche Bürger vor denen geschützt werden, die zu Unrecht die Leistungen der Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen.
Die sozialversicherungsfreie Beschäftigung ist als Ausnahme gedacht.
Sie darf nicht zur Regel werden. Deshalb bekämpfen wir im Gegensatz zu Ihnen, Herr Haack, den Mißbrauch bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Leistungsmißbrauch, illegale Beschäftigung und mißbräuchliches Ausnutzen der Geringfügigkeitsgrenze sind Phänomene, die wir noch wirksamer bekämpfen müssen. In den vergangenen Jahren sind hier bereits erhebliche Fortschritte gelungen. Das ist einerseits auf die Erhöhung des Personals bei der Bundesanstalt für Arbeit zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung seit 1982 von 50 auf 375 Personen zurückzuführen. Andererseits haben wir das Instrumentarium zur Bekämpfung dieser Erscheinungen verbessert. Die Maßnahmen der Bundesanstalt für Arbeit und anderer Behörden zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung führten allein 1988 zu Nachforderungen von Steuern und Beiträgen im Umfang von über 160 Millionen DM. Bei Außenprüfungen wurden 32 700 Fälle von Sozialleistungsmißbrauch festgestellt.
Über 25 Millionen DM zu Unrecht bezogener Lohnersatzleistungen mußten zurückgefordert werden. Zusätzlich wurden 13 Millionen DM an Kranken- und Rentenversicherungsbeiträgen überzahlt. Die Zahl der Bußgeldbescheide hat sich seit 1982 verdoppelt.Auch im Hinblick auf die mißbräuchliche Inanspruchnahme der Sozialversicherungsfreiheit hab en wir schon bisher die Hände nicht passiv in den Schoß gelegt. Wir haben gehandelt. Wir haben zur Minderung von Wettbewerbsverzerrungen die Anhebung des Pauschalsteuersatzes beschlossen und mit den am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Neuregelungen über die Meldepflichten in der Sozialversicherung die Arbeitgeber verpflichtet, Lohnunterlagen für alle Beschäftigten, d. h. auch für geringfügig Beschäftigte, zu führen.Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf geht die Bundesregierung den eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Wir wollen damit das Handwerkszeug zur Aufdeckung der genannten Leistungsmißbräuche weiter verbessern. Ziel des Gesetzentwurfes ist es, die Kontrollmöglichkeiten all derjenigen Stellen zu verbessern, die für die Bekämpfung illegaler Praktiken am Arbeitsmarkt verantwortlich sind.Schlüssel zu einer wirksamen Kontrolle beim Arbeitgeber ist der von uns vorgesehene Sozialversicherungsausweis. Er ist mit einer Versicherungsnummer versehen, unter der die Arbeitgeber die Meldung über Art und Umfang einer versicherungspflichtigen Beschäftigung abgeben müssen. Die Versicherungsnummer ermöglicht damit die Kontrolle, ob der Arbeitgeber für seine Beschäftigten seinen Verpflichtungen gegenüber der Sozialversicherung nachkommt. Gleichzeitig kann festgestellt werden, ob der Arbeitnehmer den Arbeitgeber bei der Einstellung getäuscht hat.
Nach einer Anregung im Bundesrat haben wir im Gesetzgebungsverfahren noch einmal eingehend — auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten — geprüft, ob es erforderlich ist, daß der Sozialversicherungsausweis neb en der Versicherungsnummer auch ein Lichtbild des Beschäftigten erhält. Wir haben uns schließlich dafür entschieden — ich meine, das ist eine gute Entscheidung —, ein Lichtbild bei Beschäftigten in Wirtschaftsbereichen vorzusehen, in denen eine Mitführungspflicht für den Sozialversicherungsausweis besteht.
Mit ihren Vorschlägen lehnt sich die Bundesregierung an Verfahren an, mit denen die Praxis bereits jetzt arbeitet, um Verwaltungsaufwand und zusätzliche Kosten so gering wie möglich zu halten. Deshalb wird der Sozialversicherungsausweis grundsätzlich im Zusammenhang mit der Vergabe der Versicherungsnummer bzw. eines Sozialversicherungsnachweisheftes ausgestellt. Aus dem gleichen Grund ist vorgesehen, die geringfügig Beschäftigten in das bestehende Meldeverfahren zur Sozialversicherung einzubeziehen. Beides ermöglicht wegen des automatisierten Verfahrens bei der Rentenversicherung ein besonders kostengünstiges Vorgehen.Die Bundesregierung hat ihre Maßnahmen auch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten sehr eingehend geprüft. Der Bundesdatenschutzbeauftragte war bei der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs und bei dem Gesetzgebungsverfahren von Anfang an eingeschaltet. Seine Hinweise sind von den Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung beachtet worden.Lassen Sie mich abschließend zwei Bemerkungen machen: Wer illegale Beschäftigung, den Mißbrauch von Leistungen der Sozialversicherung, der Sozialhilfe oder der Bundesanstalt für Arbeit und die mißbräuchliche Ausnutzung der Geringfügigkeitsgrenze für sozialschädliches Verhalten hält, durch das ehrliche Arbeitgeber und Arbeitnehmer geschädigt werden und legale Arbeitsplätze verlorengehen, der darf das nicht nur in Sonntagsreden beklagen. Es handelt sich hier nicht um Kavaliersdelikte. Deshalb haben die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung gehandelt.
Wer sozialschädliches Verhalten wirksam bekämpfen will und ehrliche Bürger schützen will, der muß auch bereit sein, den notwendigen Verwaltungsaufwand zu bejahen und verstärkte Kontrollen hinzunehmen.
Nur so kann den Sozialversicherungsträgern die Erfüllung der ihnen obliegenden Verpflichtungen er-
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Parl. Staatssekretär Seehofermöglicht werden. Das stellen wir mit diesem Gesetz sicher.Ich möchte den Abschluß dieses Beratungsverfahrens gerne dazu nutzen, einem Kollegen aus meiner Fraktion sehr herzlich zu danken, der unter großen Schwierigkeiten und oft auch in der persönlichen Auseinandersetzung die Bundesregierung letzten Endes so überzeugt hat, daß der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf einstimmig angenommen werden kann. Ich bedanke mich beim Kollegen Elmar Kolb.
Das Wort hat der Abgeordnete von der Wiesche.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute, in der letzten Sitzung vor der Sommerpause, soll nun nach Ihrem Willen, meine Damen und Herren von der Koalition, der Gesetzentwurf zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze im Deutschen Bundestag verabschiedet werden. Wieder einmal haben Sie ein unausgegorenes Gesetzeswerk durch die Ausschüsse gejagt.
Wieder einmal haben Sie Ihren eigenen Antrag durch eine Vielzahl von Änderungsanträgen verändert, wieder einmal hat es Änderungsanträge zu den Änderungsanträgen gegeben. Die Innenpolitiker der Regierungskoalition haben eine vollkommen andere Auffassung von diesem Gesetz als die Sozialpolitiker.
Eine Abstimmung hat es offensichtlich nicht gegeben. Augen zu und durch, das ist der Grundsatz Ihrer Politik. Dabei geht es hier wirklich um schwerwiegende Probleme des Arbeitsmarktes.
Es geht um die Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung.Durch die illegale Arbeitnehmerüberlassung entstehen ungeheure Schäden. In der Bundesrepublik sollen ständig zwischen 100 000 und 500 000 Arbeitnehmer illegal beschäftigt sein.
Das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen schätzt die Zahl der illegalen Verleihfirmen allein in Nordrhein-Westfalen auf mindestens 10 000.
Den Schwerpunkt bildet das Baugewerbe, gefolgt von der Gebäudereinigung, den Speditionen und den Fuhrunternehmen.Meine Damen und Herren, wegen der schlechten finanziellen Situation in den einzelnen Bundesländern sind diese jedoch nicht in der Lage,
in ausreichendem Maße Staatsanwälte, Polizeibeamte und vor allen Dingen Steuerfahndungsbeamte bereitzustellen,
um die ungeheure Anzahl von Verfahren wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung zu bearbeiten. Die Bundesanstalt für Arbeit verfügt ebenfalls nicht über genügend Personal. Das Gesetz sieht auch keine Aufstockung vor. All die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen also mit dem Rücken zur Wand, obwohl die Beamten und Angestellten keinen Arbeitseinsatz gescheut haben, um dieser Art von Kriminalität zu Leibe zu rücken.
— Wir haben deswegen, Kollege Kolb, schon in der letzten Legislaturperiode unser Konzept zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung vorgelegt. Dieses Konzept haben Sie allerdings ohne jegliche Begründung abgelehnt.
Sie haben gehofft, daß sich die Probleme von alleine erledigen. Dies war allerdings nicht so.Dann haben Sie nach Jahren des Zögerns den Entwurf zur Einführung des Sozialversicherungsausweises vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung am 15. März 1989 von den Sachverständigen und den Verbänden verrissen worden.
Beklagt wurde allgemein der große bürokratische Aufwand. Beklagt wurden die erheblichen Kosten. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, daß mit dem Sozialversicherungsausweis die kriminellen Praktiken der illegalen Arbeitnehmerüberlassung und der Schwarzarbeit nicht verhindert werden.
Das ist ja wohl auch gar nicht gewollt. Liest man sich den Gesetzentwurf, die Änderungsanträge, die Änderungsanträge der Änderungsanträge zu den Änderungsanträgen durch, so wird ganz deutlich:
Das Interesse von Auftraggebern und Arbeitgebern an der Beschäftigung billiger Arbeitskräfte, die Gewinne, die illegale Verleiher und Entleiher einstreichen, all das bleibt als Ansatzpunkt für Ihre gesetzliche Regelung vollkommen außer Betracht. Sie wollen bei den Arbeitnehmern abkassieren, die illegal beschäftigt werden und die Leistungsmißbrauch betreiben.Arbeitnehmer, meine Damen und Herren, die Leistungsmißbrauch betreiben, wollen auch wir nicht schützen. Aber Sie übersehen dabei, daß die Masse der illegal beschäftigten Arbeitnehmer in diese Illega-
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von der Wieschelität, in illegale Beschäftigungsverhältnisse getrieben werden.
Sie bekommen keine andere Arbeit angeboten, sie haben nicht die Möglichkeit, in normale, geschützte Arbeitsverhältnisse einzutreten.
Ihnen bleibt oft keine andere Wahl.Die Probleme dieser Leute löst dieser Gesetzentwurf in keiner Weise, er verkleistert sie nur. Geholfen ist niemandem, meine Damen und Herren: nicht den Arbeitnehmern, die arbeiten wollen und gar nicht gegen Gesetze verstoßen wollen, dazu aber gezwungen werden, und auch nicht den Arbeitgebern, die sich gesetzestreu verhalten, aber gegenüber den illegalen Verleihern nicht konkurrenzfähig sein können.
Hier werden Gelder verschleudert, ohne daß eine Kosten-Nutzen-Analyse aufgestellt wurde.
Nach wie vor müssen wir davon ausgehen, daß die von der Bundesregierung vorgetragene Kostenrechnung, die zu etwa 75 Millionen DM führte, völlig geschönt ist.
Der Bundesverband der Ortskrankenkassen und der Bundesverband der Innungskrankenkassen haben dagegen Kosten von 230 Millionen DM für die Sozialversicherungsträger errechnet.
Diese Berechnungen sind im Laufe der Ausschußberatungen nicht widerlegt worden.
Der Deutsche Gewerbeverband hat zusätzliche Kosten für die Arbeitgeber in Höhe von 460 Millionen DM errechnet. Auch diese Zahl ist nicht widerlegt worden.
Damit werden die Lohnnebenkosten durch staatliche Maßnahmen erhöht — und das, obwohl Sie, meine Damen und Herren, immer wieder beteuern, die Lohnnebenkosten müßten gesenkt werden. Sie schaffen mit diesem Gesetz neue Beschäftigungshemmnisse.
So wollen Sie wohl den Vorwand schaffen, das völlig nutz- und sinnlose sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz zu verlängern.Meine Damen und Herren, wir von der SPD-Bundestagsfraktion werden diesem völlig untauglichenGesetz nicht zustimmen. Wir fordern Sie auf, sich endlich den Vorschlägen der SPD zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und des Mißbrauchs der Arbeitnehmerüberlassung anzuschließen.
— Ja, so vorschnell sind Sie.Nach unserer Meinung sind folgende Maßnahmen vordringlich:Erstens. Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz muß aufgehoben werden. Denn die Verdoppelung der zulässigen Dauer der Arbeitnehmerüberlassung auf sechs Monate und die schrankenlose Zulassung befristeter Arbeitsverträge haben die Mißstände nicht beseitigt, sondern vergrößert.Zweitens. Die betriebliche Mitbestimmung muß ausgebaut werden. Der Betriebsrat muß bei sämtlichen Fällen mitbestimmen, in denen Arbeitnehmer von Fremdfirmen im Betrieb beschäftigt werden sollen.Drittens. Die Stützpunktsysteme der Bundesanstalt für Arbeit müssen ausgebaut werden. Es müssen mobile Einsatzgruppen nach dem Beispiel von Nordrhein-Westfalen gebildet und eingesetzt werden.
Viertens. Die Pflicht zur Abgabe der Meldung zur Sozialversicherung muß schon vor Beginn einer Beschäftigung bestehen.
Fünftens. Die Haftung der Entleiher muß verschärft werden. Die Bußgeldvorschriften sind so zu gestalten, daß Bußgelder wegen Verstößen gegen die gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr aus der Westentasche bezahlt werden können. Vielmehr sind die tatsächlich erzielten Gewinne abzuschöpfen.
Mit diesen Maßnahmen, meine Damen und Herren, werden die Probleme an der Wurzel gepackt. Mit Ihrem Gesetzentwurf werden Sie die Probleme auch nicht ansatzweise lösen. Deswegen werden wir dem Entwurf nicht zustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Kolb.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Habemus" darf ich heute sagen; wir haben ihn.
Wir haben nämlich, lieber Kollege Eugen von der Wiesche, sechs Jahre an dieser Sache gearbeitet. Wenn dies ein Schweinsgalopp ist, dann würden wir uns das Armutszeugnis ausstellen, daß wir Schnekkenwettrennen als einen Schweinsgalopp bezeich-
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Kolbnen. Ich kann mich bei allen meinen Freunden bedanken, die mir in diesen sechs Jahren geholfen haben, daß wir heute am Ziel sind.
Ein Zweites, meine sehr verehrten Damen und Herren: Es gab — im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege von der Wiesche — auch Leute, die sich erst wie ein Saulus aufgeführt haben, aber in der Zwischenzeit zum Paulus geworden sind.
Ich denke an die Bundesanstalt für Arbeit, die heute davon überzeugt ist, daß mit dem Sozialversicherungsausweis der Leistungsmißbrauch entschieden eingeschränkt wird.Wenn ich Ihre letzten Ausführungen noch richtig im Ohr habe, Herr Kollege von der Wiesche, dann beklagen Sie den Sozialversicherungsausweis, ein gut handhabbares Instrument, als eine Teufelsgeburt der Bürokratie, und am Schluß bringen Sie eine ganze Latte von Vorschlägen, die ich nur mit „nur Bürokratie" bezeichnen kann. Da frage ich mich, ob wir überhaupt noch in der Praxis leben.
Wir hatten am Mittwochmorgen die Anhörung. Da gab es so viele Fragen Ihrer Kolleginnen und Kollegen: Wie viele schaffen in diesem Bereich? Was haben Sie festgestellt? Haben Sie Unterlagen etc.? Nun haben wir diesen Kreis, bei dem jeder immer sagte: „Ja, wenn der andere — — " , endlich aufgelöst, und wir werden mit dem Sozialversicherungsausweis zu mehr Korrektheit und Gerechtigkeit kommen, aber nun sagen Sie: Nein, so weit wollten wir das auch nicht treiben, laßt bitte alles beim alten, dann können wir es leichter beklagen!Meine sehr verehrten Damen und Herren, eines müssen wir natürlich grundsätzlich sagen: Dieses „Alles oder nichts" war nie das Ziel. Wir wissen, daß Nebentätigkeiten unbedingt gebraucht werden. Sie sprachen von den karitativen Gruppen, Sie sprachen von dem Dirigenten, Sie sprachen vom Kirchenchorleiter usw. Ich kann Ihnen nur sagen: Wer die Nebentätigkeit eliminieren will, wird der Volkswirtschaft einen gewaltigen Schaden zufügen.Gestatten Sie mir, daß ich über den Mißbrauch hier einmal Jeremias, 2. Kapitel, 21. Vers zitiere:
Ich aber hatte dich als Edelrebe gepflanzt. Was ist aber daraus geworden? Nichts als ein Wildling!Hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt doch genau unser Ansatz für den Sozialversicherungsausweis:
Wir wollen, daß man endlich nicht mehr im Gewand der Biedermänner erklären kann, man führe sich ehrlich auf.
— Ja, ich meine die Arbeitgeber als Biedermänner. Ich meine diejenigen, die gesagt haben: Wenn er nicht fälschungssicher ist, wird es nicht gehen!, und diejenigen, die gesagt haben: Wenn kein Lichtbild drin ist, wird das nicht gehen! Es waren diejenigen, die uns vorgerechnet haben, wie groß die Bürokratie sein wird.Wir haben alle diese Hürden wegnehmen können.
— Ich weiß nicht, warum Sie sich so aufregen, Frau Unruh. Ich habe viel Verständnis dafür, daß Ihre Klientel, die die „taz" einmal als die „ Schmuddelkinder " bezeichnet hat, mit diesem Sozialversicherungsausweis gehindert ist, in Zukunft ihre tausend Mark zusätzlich zu verdienen. Aber es ist der Sinn dieses Sozialversicherungsausweises, daß wir wieder mehr Anständigkeit und mehr Korrektheit bekommen.
Lassen Sie mich noch etwas zum Lichtbild sagen. Da gab es Experten, die sagten: Wir fordern das Lichtbild, dann wird es genauso kompliziert wie beim neuen Personalausweis, und dann werden wir für zehn Jahre keinen Sozialversicherungsausweis haben und werden herrlich wie bisher im Trüben fischen können! Nun haben wir eine Regelung gefunden, wonach das Lichtbild unbürokratisch auf den Sozialversicherungsausweis kommt: Der Arbeitnehmer erhält seinen Sozialversicherungsausweis, bringt sein Lichtbild selbst hinein. Der Arbeitgeber, der ihn das erstemal nutzt, gibt ihn zur AOK, und die stempelt ihn per Siegel ab. Wir drucken den Sozialversicherungsausweis auf einem Papier, auf dem keine — —
— Lieber Kollege von der Wiesche, einmal schreien Sie, es muß endlich kontrolliert werden, und es muß Ordnung sein, und dann erklären Sie, das sei eine Hundemarke.
— Entschuldigen Sie, jeder Ausweis ist eine Kontrollmöglichkeit. Dieser Sozialversicherungsausweis wird nicht gefälscht werden können. Mit diesem Sozialversicherungsausweis wird man den Anständigen helfen, und die Unanständigen schreien Zeter und Mordio.
Deswegen darf ich all denen, die mir mit tollen Schriften und ähnlichem erklärt haben, das sei alles zu bürokratisch und kostenaufwendig, sagen: Wer mir einen besseren Weg vorschlägt, wie wir zu mehr Korrektheit und zu einer leichteren Nutzung kommen, mit dem wette ich um zwölf Flaschen besten Rotweins. Wir haben jetzt den Biedermännern, die bisher im Trüben fischten, das Handwerk gelegt. Wir haben dafür gesorgt, daß in Zukunft der Sozialversiche-
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Kolbrungsausweis zu einer größeren Korrektheit im Sozialstaat führt.
Ich darf mich nochmals bei all den Kollegen der FDP und der CDU/CSU bedanken, die dazu beigetragen haben, diesen Sozialversicherungsausweis über die Hürde zu bringen, den manche gerne nicht gesehen hätten. In diesem Sinne herzlichen Dank, meine Damen und Herren, und viel Erfolg mit dem Sozialversicherungsausweis!
Das Wort hat der Abgeordnete Hoss.
: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kolb, Sie haben vorhin die Dinge so vorgetragen wie die Macher, an der unsere Welt zugrunde geht.
Mit Ihrer Korrektheit, mit Ihrer Art Leistung, mit Ihrer Art, in Produktion, in Zahlen, Erfassung usw. zu denken, klammern Sie nämlich andere Aspekte dieser Gesellschaft aus, die bei der Frage des Versicherungsausweises ebenfalls zu sehen sind, nämlich kulturelle Aspekte, soziale und gesellschaftliche Aspekte und nicht nur Produktions- und Profitaspekte.
Die Einführung des Sozialversicherungsausweises sehen wir GRÜNE als eine ganz einschneidende Änderung in der Richtung der Herstellung des gläsernen Menschen im Orwellschen Sinne an.
Der Sozialversicherungsausweis vervollständigt die Kontrollmöglichkeiten der Bürokratie, des Überstaates gegenüber dem Bürger. Darüber müssen wir uns im klaren sein. Er ist die Fortsetzung der Einführung der Sozialversicherungsnummer, der Einrichtung neuer Dateien im Bereich des Gesundheitswesens.
Jetzt gehen wir in einen neuen Bereich hinein, den ich ganz kurz erläutern werde.Die Frage des Sozialversicherungsausweises hat zwei Aspekte. Sie hat einen Datenschutzaspekt und einen sozialen und gesellschaftlichen Aspekt. Zum Datenschutzaspekt kann ich, weil ich nur sehr wenig Zeit habe, nur kurz sagen, daß es in diesem Bundestag in der Drucksache 7/5277 vom Rechtsausschuß einmal geheißen hat: Die Entwicklung, Einführung und Verwendung von Numerierungssystemen, die eine einheitliche Numerierung der Bevölkerung ermöglicht , ist unzulässig. Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich in dem Sinne geäußert, daß man das nicht darf.Wenn auch bei den Beratungen im Ausschuß einige Änderungen. gemacht wurden — das muß sein —, durch die Tätigkeit des Bundesdatenschutzbeauftragten oder auch durch Anregungen von den Oppositionsparteien
— ja, Verbesserungen — , so bleibt doch die entscheidende Frage, daß es hier um die Ausdehnung der Verwendung der Versicherungsnummer, die ursprünglich nur für den Bereich der Rentenversicherung erarbeitet und ausgegeben wurde,
in einen neuen sozialen Bereich hinein geht. Sie soll jetzt Verwendung in der Bekämpfung von Schwarzarbeit und von Mißbrauch im Sozialversicherungs- und im Steuerwesen finden. Niemand sagt ja, daß man sich damit nicht auseinandersetzen sollte. Auch wir GRÜNEN sehen, daß es diesen Mißbrauch gibt.
Es ist aber die Frage, mit welchen Mitteln man so etwas tun sollte. Treiben wir vielleicht den Teufel mit dem Beelzebub aus?
Das ist hier die Frage. Das machen Sie mit der Einführung des Versicherungsausweises.
Selbst wenn Handlungsbedarf besteht, muß man diese Überlegung anstellen, um den Mißbrauch zu bekämpfen. Ich sage Ihnen jetzt eine klare Unterscheidung. Sie gehen — um mit Ihrem Arbeitsminister zu sprechen — mit dem Rasenmäher über alle Dinge hinweg, die es dort gibt. Ich erläutere Ihnen einmal folgendes.Bekannt ist, daß im Bereich der Bauwirtschaft, zu dem auch Sie, Herr Kolb, gehören — ich will nicht persönlich werden —, oder bei der Gebäudereinigung, daß im Bereich der unseriösen Leihfirmen der Mißbrauch am größten ist. Es geht darum, dieser professionellen Art der Schwarzarbeit, die industriell und firmenmäßig betrieben wird,
an den Kragen zu gehen. Da reicht es völlig aus, wenn wir das Personal der vorhandenen Kontrollbehörden aufstocken, damit die Kontrollen auch wirklich gemacht werden. Wir hatten schon in der Vergangenheit die Instrumente. Aber Sie haben gar kein Interesse, in diesem Bereich eine echte Kontrolle durchzuführen.
Sie wollen vielmehr den Zugriff auf die geringfügig Beschäftigten.
Sie wollen den Zugriff auf diejenigen, die von Arbeitslosenhilfe, die von Sozialhilfe leben, die sich einen Zuverdienst erwerben.
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HossDa wollen Sie den Zugriff. Sie wollen mit dem Sozialversicherungsausweis die behördliche Kontrolle über diesen sozialen Bereich, der im untersten Drittel unserer Gesellschaft angesiedelt ist, erlangen. Das gibt es bisher nicht.Da meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich nur noch darauf hinweisen, daß das auch einen politischen Aspekt hat. Wenn Sie versuchen, die Leute, die sich ein Zubrot verdienen, unter die behördliche Kontrolle zu bringen und jede ihrer Bewegungen zu kontrollieren, dann tragen Sie mit dazu bei, ein Unwohlsein und ein Unbehagen gegenüber dem Überstaat, gegenüber Verwaltung und Bürokratie zu erzeugen.
Dann machen Sie sich mitschuldig an der Abwanderung zu den Rechtsradikalen, zu den Reps. Sie haben ja schon erfahren, was das für Sie bedeutet.
Sie werden weiteres erfahren, wenn Sie so gefühllos und nur mit Ihrem Denken von Leistung und Profit an die Dinge herangehen.Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Heinrich.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Trotz der Reden von Kollegen Hoss und Kollegen von der Wiesche unterstelle ich einfach einmal, daß wir über die Ziele einig sind, aber Unterschiede in der Auffassung darüber bestehen, welchen Weg man zur Bekämpfung der Schwarzarbeit, der illegalen Beschäftigung, des Leistungsmißbrauchs und des Mißbrauchs der geringfügigen Beschäftigung gehen muß.Die von der Opposition auch heute wiederholten Vorwürfe gegen diesen Gesetzentwurf lauten: Kurieren an Symptomen, falscher Ansatz, zu bürokratisch, datenschutzrechtlich problematisch.Lassen Sie mich auf diese Argumente eingehen. Entscheidend für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sind die zu hohen Sozialabgaben und Steuern. Deshalb kann die Devise nur lauten: Steuern runter und Bremsen des Anstiegs der Sozialabgaben. Deshalb sind Steuer- und Gesundheitsreform zugleich die richtigen Mittel zur Bekämpfung der Schwarzarbeit.
Diese richtige Politik ergänzen wir jetzt durch die Einführung des Sozialversicherungsausweises sowie die vorgesehenen Melderegelungen.
Die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens beschlossenen Verbesserungen wie Lichtbild und Pflicht zur Hinterlegung des Ausweises erleichtern die Kontrolle illegaler Beschäftigung und des Lei-stungsmißbrauchs. Sie bieten der Arbeitsverwaltung bessere Möglichkeiten, z. B. reisenden Gruppen illegaler Stukkateure oder Dachdecker das Handwerk zu legen. Wir halten eine Einschränkung der Möglichkeiten zum Mißbrauch des sozialen Netzes für ein Gebot der Solidarität.
Auch wenn dies vielfach oberflächlich als unsozial abgetan wird: Hier liegen derzeit zwar unangenehme, aber unausweichliche Aufgaben in der Sozialpolitik. Die vorgesehene Pflicht zur Hinterlegung des Sozialversicherungsausweises in den Fällen, in denen die Bundesanstalt für Arbeit oder ein Träger der Sozialhilfe Leistungen erbringt, und die Meldepflichten werden bei der Bekämpfung des Leistungsmißbrauchs wirksam Abhilfe schaffen; Abhilfe, die auch im Interesse derjenigen Arbeitslosen liegt, die sich korrekt verhalten und die sich wegen einer Reihe von schwarzen Schafen Vorurteilen ausgesetzt sehen.
Wer wie wir das Instrument der geringfügigen Beschäftigung auch weiterhin für unerläßlich betrachtet, dem muß es auch darum gehen, Mißbräuche zu beseitigen. Die seit 1989 bestehenden Aufzeichnungspflichten auch für geringfügig Beschäftigte, die zusätzlichen Meldepflichten sowie weitere Vorschriften dieses Gesetzentwurfs tragen dazu bei — wie der VDR in seiner Stellungnahme formuliert hat — , das Instrumentarium zur Bekämpfung mißbräuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen und Sozialversicherungsfreiheit zu verbessern.Erforderlich ist auch, daß der notwendige Datenabgleich rascher erfolgt und die verbesserten Kontrollmöglichkeiten genutzt werden. Wir haben deshalb auch Modifikationen in § 132 a AFG zugestimmt und zugleich dafür Sorge getragen, daß zu weitgehende Wünsche der Verwaltung gerade im Interesse kleiner und mittlerer Betriebe auf ein rechtsstaatlich vertretbares Maß zurückgeschnitten werden.Die gegenüber dem Gesetzentwurf wesentlich verbesserten datenschutzrechtlichen Regelungen entkräften Befürchtungen, hier werde ein generelles Personenkennzeichen eingeführt. Wir haben mit unserem Änderungsantrag dafür gesorgt, daß zugunsten eines verbesserten Datenschutzes die im Sozialversicherungsausweis enthaltenen Angaben nicht im privaten Bereich verwendet werden dürfen. Ebenfalls wurde eindeutig festgelegt, welche Stellen den Datenabruf überhaupt nur durchführen dürfen und zu welchem Zweck.Natürlich weiß ich, daß eine Reihe von Unternehmen, gerade kleine und mittlere Betriebe, über die mit diesem Gesetz verbundenen Verpflichtungen stöhnen. Gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf ist deshalb auch der bürokratische Aufwand deutlich reduziert worden. Wenn aber gerade von mittelständischen Unternehmen immer wieder gefordert wird, man müsse effektiver gegen Leistungsmißbrauch und Schwarzarbeit vorgehen, so bedeutet dies unserer Ansicht nach aber auch, daß die Betriebe dazu ebenfalls ihren Beitrag leisten müssen. Insofern sind
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Heinrichdie vorgesehenen Regelungen ein vertretbarer Kompromiß.Die jetzt vorgesehenen Rückgriffsregelungen in den Fällen, in denen ein geringfügig Beschäftigter vertragswidrig und vorsätzlich Tätigkeiten verschweigt, die die Sozialversicherungspflicht begründen können, stellt nach unserer Auffassung einen ersten Schritt in die richtige Richtung dar. Doch werden wir sehr sorgfältig prüfen, ob nicht weitere Maßnahmen erforderlich sind. Entscheidend dafür wird sein, wie rasch der Arbeitgeber über eine möglicherweise entstehende Sozialversicherungspflicht informiert wird.Zusammenfassend ist festzustellen: Der vorliegende Gesetzentwurf bietet die Möglichkeit, illegale Beschäftigung, Leistungsmißbrauch sowie Mißbrauch geringfügiger Beschäftigung wirksamer als bisher zu bekämpfen. Eine solche Maßnahme kommt allen zugute
— das war ein Komma — , den Arbeitnehmern, den Betreibern, aber auch den Sozialversicherungsträgern und dem Fiskus.Ich bedanke mich.
Immer die Sache mit dem letzten Satz.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache.
Ich rufe die Art. 1 bis 9, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann sind die aufgerufenen Vorschriften mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen angenommen worden.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Mit derselben Mehrheit ist dieses Gesetz angenommen worden.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 28 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige
— Drucksache 11/4528 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 75 Minuten vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 14. Januar 1988 habe ich an dieser Stelle versprochen, für die Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige die Voraussetzung zu schaffen. Mit dem Regierungsentwurf eines Betreuungsgesetzes löse ich mein Versprechen ein. Die Reform kann damit noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden.Bei dem Entwurf handelt es sich um eines der bedeutendsten familienrechtlichen Vorhaben der Nachkriegszeit. 40 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes soll der freiheitliche Geist unserer Verfassung nun auch den Menschen zugute kommen, die wegen Krankheit oder Behinderung in ihren Rechten und Handlungsmöglichkeiten oft unnötig eingeschränkt werden.Der Kreis der Betroffenen ist groß. Immerhin stehen derzeit etwa eine Viertelmillion erwachsene Menschen unter Vormundschaft oder Pflegschaft. Die Zahl der hilfsbedürftigen, insbesondere der vom Altersabbau betroffenen Menschen wird wegen der erfreulichen, sich laufend steigernden Lebenserwartung künftig noch kräftig zunehmen.Es ist — um dies sehr deutlich zu sagen — nur ein kleiner Kreis alter Menschen betroffen. Viele, gerade auch Hochbetagte, verbringen bis zum Ende ihre Tage in voller geistiger Rüstigkeit. Aber ein bestimmter kleinerer Prozentsatz ist betroffen. Es ist absehbar, daß die Zahl zunehmen wird.Dazu einige Zahlen: Unmittelbar vor der Jahrhundertwende betrug im Deutschen Reich die durchschnittliche Lebenserwartung bei Männern knapp 52 und bei Frauen knapp 54 Jahre, und dabei war die damals sehr hohe Säuglingssterblichkeit bereits her-ausgerechnet. Heute liegt die Lebenserwartung in der Bundesrepublik Deutschland bei Männern bei 71 und bei Frauen bei 78 Jahren. Aber dies ist nur die halbe Wahrheit. Weit aufschlußreicher sind Zahlen, die uns belegen: Ein bereits 60jähriger Mann hat in der Bundesrepublik statistisch noch eine Lebenserwartung von über 17 und eine 60jährige Frau eine von über 21 Jahren.Meine Damen und Herren, das gegenwärtige Recht, das noch aus der Ideenwelt des vorigen Jahrhunderts und aus deren Bedingungen stammt, will menschlichen Defiziten mit Rechtseinschränkungen begegnen. Ziel des Entwurfs ist es dagegen, die nötige Hilfe unter weitergehender Wahrung der individuellen Freiheitsräume zu gewähren und die Betroffenen damit in die Lage zu versetzen, ein Leben, wo immer es möglich ist, nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu führen. Der Entwurf schafft deshalb die Entmündigung ab und setzt an die Stelle von Vormundschaft und Pflegschaft als ein neues Rechtsinstitut die Betreuung.In Zukunft sollen Rechtseingriffe auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt und der Wille der Betroffenen weitgehend berücksichtigt werden. Es sol-
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Bundesminister Engelhardlen Vermögensfragen nicht mehr so sehr im Vordergrund stehen, wie dies bisher der Fall war. Dem Entwurf geht es in erster Linie um die persönlichen Angelegenheiten der Betroffenen, die zu lange vernachlässigt worden sind. Stets sollen künftig die Möglichkeiten der Therapie und der Wiederherstellung genutzt werden. Die selbstverantwortliche Eigenvorsorge wird gestärkt. Ja, der Entwurf ermuntert jeden dazu, noch bei guten Kräften und rechtzeitig für den Fall des Falles durch ein Alterstestament die notwendigen Anordnungen für eine spätere Zeit der Hilfsbedürftigkeit selber zu treffen.
Ein streng rechtsstaatlich ausgestaltetes Verfahren soll die Rechte der Betroffenen besser schützen. Eigene Antrags- und Beschwerderechte werden ihnen eingeräumt. Die Betreuung wird auf höchstens fünf Jahre befristet. Wo sich eine Verlängerung als notwendig erweist, soll sie nur nach erneuter Überprüfung aller Umstände möglich sein.Der Bundesrat hat die Grundsätze des Entwurfs ausdrücklich gutgeheißen. Seine Änderungswünsche zielen großteils auf Kosteneinsparungen ab, was angesichts der Situation der öffentlichen Haushalte nicht überrascht.
— Ich belasse es bei der von mir vorgenommenen Mitteilung. Es mag sich jeder im einzelnen seinen Reim selber darauf machen.
Meine Damen und Herren, wir müssen mehr Menschen als bisher für die praktische Arbeit mit behinderten Menschen gewinnen,
und dafür schafft der Entwurf Anreize. So müssen etwa bürokratische Hemmnisse, wie beispielsweise die Notwendigkeit, über die Kosten für jedes telefonische Ortsgespräch und jede Trambahnfahrt Rechnung zu legen, abgebaut werden. Die Übernahme der Kosten einer Haftpflichtversicherung soll dem einzelnen Mitbürger die Angst nehmen, als Betreuer etwas falsch zu machen und sich dann ersatzpflichtig zu machen.Natürlich kosten solche Verbesserungen etwas Geld, das die Länder aufbringen müssen. Ich meine aber, daß diese Reform am Geld nicht scheitern darf.
Es geht schließlich um viel mehr als um irgendeine noch so nützliche und begrüßenswerte Sozialleistung.Es geht darum, einem unbestrittenen gesellschaftlichen Mißstand abzuhelfen und vielen Mitbürgern für ihr Leben — sehr oft den Rest ihres Lebens — mehr Rechte zu geben.Meine Damen und Herren, gleichzeitig will der Entwurf auch die gegenwärtig in einer Grauzone liegende Sterilisationspraxis drastisch beschränken. Dieses Thema wird durch den vieltausendfachen Mißbrauch der Sterilisation in der Zeit des Nationalsozialismus schwer belastet und muß mit größtmöglicher Behutsamkeit behandelt werden. Der Entwurf ordnet für die Sterilisation von Volljährigen erstmals eine gerichtliche Kontrolle an. Die Sterilisation Minderjähriger wird ganz untersagt.Meine Damen und Herren, die Vorbereitung des Regierungsentwurfs war von einer sehr breiten Zustimmung hier im Parlament, aber auch allenthalben draußen getragen. Der Entwurf ist umfangreich; seine Verabschiedung aber ist dringlich. Ich bitte Sie alle sehr herzlich: Helfen Sie durch zügige Beratung dieser Reform mit, noch in dieser Legislaturperiode eine wichtige, eine dringliche Sache zu realisieren.
Das Wort hat der Abgeordnete de With.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch von mir eingangs einige wenige Zahlen. Als unser Bürgerliches Gesetzbuch am 1. Januar 1900 in Kraft trat, waren es 7,9 % der Bevölkerung, die älter als 60 Jahre waren. Mitte 1987 — die letzte statistisch erhobene Zahl — waren es 20,7 %. Heute sind es etwa 22 %, also das Dreifache. Im Jahre 2030 werden nach den Hochrechnungen 35 % der Bevölkerung älter als 60 Jahre sein, also mehr als ein Drittel. 1971 waren genau 169 085 Volljährige in der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Selbstbestimmung durch Vormundschaft oder Pflegschaft eingeschränkt. 1988 waren es trotz sinkender Bevölkerungszahlen bereits 252 405. Das heißt, im Jahre 2030, um diese Zahl wiederum zu nehmen, werden es, ändern wir nichts, bei gleichbleibender Bevölkerungszahl — wiederum hochgerechnet — mindestens 500 000, also eine halbe Million sein.Das heißt aber weiter — ich meine es so, wie ich es sage — : Es handelt sich im Kern um ein Massenproblem. Es kann jeden von uns treffen, und es besteht die Gefahr, daß der so Entrechtete zur verwalteten Nummer wird, wenn wir nichts ändern.
Aber es kommt noch schlimmer: Wer wegen Geisteskrankheit entmündigt wird, wird auf die Stufe eines unmündigen Kindes von unter sieben Jahren gedrückt. Er kann sich, gesetzestechnisch gesehen, rechtswirksam nicht einmal eine Buskarte kaufen. Noch 1987 wurden 42 % aller Entmündigten derart total ihrer Rechte entkleidet.Wer nun geglaubt hätte, dies sei letztlich überall so in unserem Lande, der hat sich geirrt. Aus der Statistik 1987 ist ersichtlich, daß die Zahl der Entmündigungen pro 100 000 Einwohner in Schleswig-Holstein 10,2 und in Hessen 1,3, also um sage und schreibe 87 weniger, betrug. So unendlich stark ist das Gefälle in der Bundesrepublik Deutschland.Wer sich da noch vorstellen kann oder sogar weiß, wie ganz einschneidende Maßnahmen, den Menschen in seinem Wesen treffende Entscheidungen ge-
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Dr. de Withfällt werden — der Wechsel in ein Alters- oder Pflegeheim aus seiner vertrauten Umgebung, eine Zwangsbehandlung oder gar, wie erwähnt, eine Sterilisation —, der wird mit mir fragen: Sind wir schon Sklaven einer verwalteten Welt,
kühl bis ans Herz hinan, ohne Gefühl dafür, daß die Würde des Menschen auch für die Behinderten und Altersschwachen gelten muß?Zugegeben: Das war sicher etwas akzentuiert formuliert. Die Verwandten — aber nicht alle haben Verwandte — mildern dies in aller Regel ab.
Es gibt — auch das sei erwähnt — unendlich selbstlose Pfleger, Pflegerinnen und Vormünder. Auch unsere Richter haben die aus dem letzten Jahrhundert stammenden Gesetze in aller Regel nicht formal gehandhabt. Dafür gebührt all diesen — das soll an dieser Stelle einmal gesagt werden — Dank.
Nur, das geschieht am Gesetz vorbei.
Die Entmündigungen mit ihrer Makelwirkung nehmen zugunsten der flexiblen Gebrechlichkeitspflegschaft ab. Das ist gut, aber sicher nicht im Geist des Gesetzes. Geblieben aber sind Defizite, an denen auch die Wohlmeinenden nicht vorbeikommen.Noch immer gilt: Einmal entmündigt, immer entmündigt. Noch immer wird der infolge Alters Geschwächte nach Kriterien der Geisteskrankheit und der Geistesschwäche beurteilt, als ob wir nicht längst wüßten, daß der Altersabbau dem Aufbau des jungen Menschen nicht umgekehrt gleichzusetzen ist und daß zwischen den genannten Festlegungen kaum wirklich sicher unterschieden werden kann. Wir leben von Vorstellungen aus dem letzten Jahrhundert.Noch immer kann es passieren, daß der erkennende Richter das Mündel — so heißt es ja im Sprachgebrauch — oder den Pflegebefohlenen nicht persönlich gesprochen hat und nie sehen konnte.Als Folge davon ist die Entmündigung und die dieser in der praktischen Auswirkung oft gleichwertige sogenannte Zwangspflegschaft noch immer mit dem Hautgout der Diskriminierung und der Stigmatisierung verbunden.Sehr wichtig ist für die heutige Debatte nach der Stellungnahme des Bundesrates: Die Ausbildung und die Zahl derer, die Vormund und Pfleger sind und in Zukunft die Betreuer oder besser die Beistände sein sollen, haben mit den Bedürfnissen nicht im geringsten Schritt halten können.Ich sage deshalb: Wir stimmen dem Entwurf in fast allen Punkten zu, unterstützen ihn und werden das Unsere tun, damit er noch in dieser Legislaturperiode in Kraft treten kann,
obwohl wir im Kern kaum mehr als ein Jahr Zeit haben. Wie ich sehe, ist das eine Forderung, die unser aller Anliegen ist.Ich kann dies um so leichter erklären, als wir Sozialdemokraten uns mindestens im gleichen Maße für die Reform als Anreger, Begleiter und Unterstützer wissen. Ich erinnere an die Psychiatrie-Enquete 1975 mit dem Verlangen einer Gesamtreform, die eigentlich alles erst wirklich in Bewegung gebracht hat. Ich erinnere an die Stellungnahme der Bundesregierung aus dem Jahre 1979 unter Helmut Schmidt hierzu. Ich denke an die Große Anfrage der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Jahre 1985 und an unsere beiden Anträge aus den Jahren 1986 und 1987, die wir hier im Januar 1988 beraten haben.Für Detailkritik ist in erster Lesung sicher kein Raum. Aber ich darf auf zwei sehr kritische Punkte und auf zwei Mängel hinweisen, deren letzterer — das sage ich in aller Deutlichkeit; Sie haben es indirekt schon angesprochen, Herr Minister — das ganze Reformgebäude zum Einsturz bringen kann.Erstens. Nach den bisherigen Vorschlägen wird es in Zukunft als Betreuer geben: natürliche Personen, Vereinsbetreuer — das sind Mitarbeiter eines Betreuungsvereins —, Behördenvertreter — das sind Mitarbeiter einer Betreuungsbehörde — und den Betreuungsverein, der seinerseits die Wahrnehmung der Betreuung einzelnen von ihm ausgewählten Personen überträgt. Als Qualifikation wird allein das "Geeignetsein" bezeichnet. Die persönliche Betreuung wird — das ist ein sehr positives Merkmal dieses Entwurfs — vorausgesetzt und das Besprechen mit dem Betreuten bei wichtigen Entscheidungen strikt vorgeschrieben. Damit soll verhindert werden, daß wie bisher Bedienstete einer staatlichen Behörde im Schnitt 100 Volljährige „betreuen" — aber wirklich nur in Anführungszeichen gesetzt — und in diesen Fällen der Betreute ohne jede Bindung im wahrsten Sinne des Wortes verwaltet wird.Das, was wir wollen, kostet mehr Zeit, verlangt höhere Qualifikationen und verteuert das System. Gleichwohl wird der Betreuer bzw. der Beistand nicht so bezahlt werden und werden können, daß ein einzelner von diesem Salär leben könnte.Eine sogenannte Betreuungsbehörde, angesiedelt bei den Kommunen oder wo auch immer das jeweilige Land sie errichtet — ich zitiere jetzt — , „sorgt dafür, daß in ihrem Bezirk ein ausreichendes Angebot zur Einführung der Betreuer in ihre Aufgaben und zu ihrer Fortbildung vorhanden ist" . So weit, so gut. Nur: Damit wird nicht nur eine. Folgegesetzgebung der Länder nötig, worüber wir bisher im Grunde nie gesprochen haben. Es fragt sich vor allem, wie für eine ausreichende Anzahl solcher Bürger gesorgt werden kann. Das steht noch in den Sternen. Damit aber steht und fällt im Grunde die ganze Reform.
Wir können uns hier noch so sehr bemühen und die feinsten Gesetze ins Werk setzen: All das nützt uns nichts, wenn wir am Tag des Inkrafttretens nicht die von uns gewollten Betreuer in ausreichender Zahl und mit der erforderlichen Qualifikation aufweisen können.
Ich sage deshalb: Vor der Verabschiedung muß mitden Gemeindeverbänden, den Ländern und den dazu
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Dr. de Within Betracht kommenden Verbänden das Wie geklärt und dieses auch wirklich notifiziert werden.Mein Plädoyer ist es, darüber hinaus das Ehrenamt des Betreuers bzw. Beistandes in der gesellschaftlichen Wirklichkeit so auszugestalten, daß es, dem bei uns doch geachteten Schöffen gleichgestellt, zur Ehrensache und nicht zur lästigen Pflicht wird.
Ich füge hinzu: Dabei sollten auch wir, die wir hier sitzen, mit gutem Beispiel vorangehen und bei dem einen oder anderen Betreuungsverein Mitglied werden.Geklärt werden muß darüber hinaus rechtzeitig, wie bei den Richtern und den Betreuungsbehörden die Entlastung erfolgen soll, damit die „normative Kraft des Pensenschlüssels" nicht zur „normativen Kraft der Formulare" wird — so hat es die Familienrichterin Andrea Kaminski ausgedrückt — und der Betreute nicht Schaden leidet. Das alles muß durchgespielt werden, ehe die Wirklichkeit zum bösen Spiel wird.Zweitens. Der wohl schwerste und heikelste Eingriff bei den Betreuten ist sicher die Sterilisation.
Es versteht sich von selbst, daß hier Zwangsmaßnahmen nur bei einem größtmöglichen Maß an Rechtssicherheit möglich sein und derartige Eingriffe überhaupt nur im äußersten Fall in Frage kommen dürfen. Auf uns Deutschen lastet hier nun einmal noch zusätzlich die unselige Zeit der Geschichte der Zwangssterilisierten aus der Hitler-Ära. Die barbarische Hybris der Nazis gegenüber behinderten Menschen muß uns — ich betone dies besonders — zur allergrößten Vorsicht bringen.
Die Forderung der Sozialdemokraten lautet daher kurz und bündig — so steht es in unserem Antrag — :Die Sterilisation minderjähriger und die unfreiwillige Sterilisation von volljährigen, geistig behinderten Menschen sollen unzulässig sein. Eine Ausnahme soll gelten, wenn die Sterilisation zur Abwehr einer lebensbedrohlichen Gefahr notwendig ist.Demgegenüber, Herr Minister, läßt Ihre Vorlage, wie wir meinen, größere Spielräume.
Zumindest läßt die 5-Punkte-Indikation der Regierungsvorlage Auslegungen zu, die unerwünschten Ausweitungen Raum bieten.
Die Bundesregierung will nämlich nicht nur bei der Gefahr für das Leben, sondern auch bei der Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren einen zwangsweisen Eingriff zulassen. Das schließt eine Sterilisation des Mannes — was absolut selbstverständlich ist — keineswegs aus. Nur — und das müssen wir fragen — , welche Eingangstore öffnen sich hier?
Dafür zwei Beispiele. Die amtliche Begründung sagt — ich zitiere — :Nicht nur die Notlage einer behinderten Frau, sondern auch die Notlage der Partnerin eines behinderten Mannes kommen als Grundlage der Einwilligung des Betreuers in eine Sterilisation— gemeint für den Mann — in Betracht.Wann aber liegt — so verstehe ich die Überlegungen — eine Notlage der nicht behinderten Partnerin eines behinderten Mannes im Sinne der obengenannten Kriterien, vor allem der seelischen Bedrängnis, vor, so daß die zwangsweise Sterilisation des behinderten Mannes vorgenommen werden kann? Hier besteht die Gefahr der Errichtung eines Hypothesengebäudes bei der Subsumierung, das zu einer nur schwer kontrollierbaren Ausweitung führen kann, wobei immer verdeutlicht werden muß, daß es bei der Sterilisierung keinen irgendwie gearteten Vorzug zwischen Mann und Frau geben darf. Zumindest macht dieses Beispiel deutlich, daß hier noch sehr viel Klärungsbedarf besteht.Heribert Prantl weist in der „Süddeutschen Zeitung" mit Recht auf einen weiteren Umstand hin, nämlich darauf, welche Umgehungsmöglichkeiten die Doppelvoraussetzung bietet, daß eine Sterilisation nur möglich sein wird, wenn diese erstens dem Willen des Betreuten nicht widerspricht und der Betreute zweitens auf Dauer einwilligungsunfähig bleiben wird.Ich sehe den Sinn, der dahintersteht. Aber mit gutem Grund sagen uns Ärzte hierzu, daß sie bei genügend langer Zeit schon würden feststellen können, daß ein entgegenstehender Wille nicht vorhanden sei. Hier taucht also die Möglichkeit der Manipulation auf, ohne daß ich irgendeinem oder gar pauschal Ärzten einen Vorwurf machen will.Das alles — ich sage das wirklich mit allem Ernst — zwingt mich zur unabdingbaren Forderung, zunächst alle denkbaren Einzelfälle in Katalogform aufzuzeigen, um die Größe der Ausnahmeregelung für jeden sichtbar verdeutlichen zu können. Dann sollten wir noch einmal entscheiden, aber erst dann.Drittens. Entgegen unserem Vorschlag werden Vormundschaft und Pflegschaft nicht durch das Wort Beistand, sondern durch das Wort Betreuung ersetzt. Wir halten die Einführung des Begriffs Beistandschaft mit Nachdruck für angemessener.
Da mag einer einwenden — das räume ich ein —, was denn dieser Streit angesichts dieser wirklich großen, umfänglichen und von allen getragenen Reform soll. Doch auch Begriffe können zu negativen Marken werden und — ich sage auch das sehr dezidiert — in der Bezeichnung zeichnen.
Das muß unter allen Umständen vermieden werden.Betreuung spiegelt in einem Sinne schulterklopfende Fürsorge Abhängiger wider, Beistandschaft aber läßt eher auf die von uns allen angenommene
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Dr. de WithGrundvoraussetzung menschlicher Gleichwertigkeit trotz vorhandener geistiger Defizite schließen.Viertens. Die größte Gefahr, nämlich das Scheitern— hier schaue ich den Minister an — , aber lauert beim Mangel der Sicherstellung der erforderlichen Kostenzusagen.
— Erst einmal gucke ich den Minister an. Auf die Frau Ministerin komme ich noch zu sprechen. Sie ist nicht federführend im Finanzressort zuständig.Der Eingangssatz des Entwurfs lautet:Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:Insoweit muß ich Sie jetzt anschauen und einen Blick auf die Bundesratsbank werfen, Frau Ministerin. Auf dem Deckblatt des Gesetzentwurfes steht unter „Kosten" :Bund: KeineLänder: Etwa 200 Mio. DM jährlich Gemeinden: KeineDer Bundesrat aber, dessen Zustimmung wir also benötigen, formuliert hierzu unmißverständlich — und das sollte uns in den Ohren klingen — :Auch in Anbetracht der erforderlichen und begrüßenswerten Verbesserungen für die Reform des Vormundschafts- und Pflegeschaftsrechts über Volljährige kann jedoch die Kostenfrage nicht außer acht gelassen werden.Weiter heißt es:Die bekannt kritische Haushaltslage der Länder macht es erforderlich, bei allen Maßnahmen die Kostenfolgen sehr genau zu überprüfen, um zu verhindern, daß die Reform für die Länder untragbare finanzielle Belastungen mit sich bringt,— und jetzt kommt die entscheidende Passage —die letztlich zu einem Scheitern des Gesetzgebungsvorhabens insgesamt führen könnten.Das ist schon starker Tobak.
— Keine Angst, Herr Wittmann!Unübersehbar ist, daß der Hinweis „Kosten für die Gemeinden: Keine" in dieser Einfachheit und Schlichtheit, um es geradeheraus zu sagen, falsch ist; denn nach dem in diesem Gesetzesbündel vorgeschlagenen Betreuungsbehördengesetz werden zumindest in einigen Ländern wie bisher die Gemeinden Träger der unbedingt notwendigen Betreuungsbehörden werden müssen. Daß diese Betreuungsbehörden nach der Zahl der Planstellen und deren Qualifikation eine Ausweitung erfahren müssen, steht außer Frage.Schon aber schlägt der Bundesrat — liest man sich dessen detaillierte Stellungnahme genau durch — Kürzungen vor, die mit Recht die Arbeiterwohlfahrt und die Caritas in verständlicher Übereinstimmungauf den Plan rufen müssen. Mit Recht weisen sie darauf hin, daß bei bestimmten Kürzungen sogar Zweifel an der Einhaltung des Gleichheitssatzes bestehen und damit Verfassungsfragen aufgeworfen werden.Aus dem seit vier Jahren in Kraft befindlichen neuen österreichischen Sachwalterrecht wissen wir, daß Sachwalter — bei uns in Zukunft, wie ich schon ausführte, „Betreuer" oder besser „Beistände" — in der erforderlichen Zahl und Qualität ohne Mehrkosten nicht zu haben sein werden,
wollen wir nicht das Prinzip der Einzelbeistandschaft zugunsten einer eher papierenen Fürsorge aufgeben.
Das vom Bundesrat als drohend an die Wand gemalte Menetekel „Scheitern" gewinnt besondere Bedeutung, wenn bedacht wird — ich habe schon darauf hingewiesen; das sollten wir auch im Hinterkopf haben — , daß für die Beratungen im Bundestag im Grunde weniger als ein Jahr zur Verfügung steht und, wie dargelegt, Klarheit über die Kosten und deren Aufbringung im Sinne einer Einigung zwischen Bund und Ländern noch nicht besteht.Wir fordern daher, ähnlich wie bei den seinerzeitigen Beratungen des Strafvollzugsgesetzes, daß die Länder bei allen Beratungen, Frau Ministerin, nicht nur routinemäßig teilnehmen sollen, sondern daß kompetente Verhandlungspartner entsandt werden, die vorher Rücksprache mit ihren Finanzministern und Finanzsenatoren genommen haben. Als gutes Beispiel verweise ich noch einmal auf die Beratungen des Strafvollzugsgesetzes — auch das war ein kostenträchtiges und sehr heikles Thema — , die wir auf diese Art und Weise vor mehr als zehn Jahren zum Vorteil aller Beteiligten über die Bühne bringen konnten.Wir fordern weiter, daß das Bundesministerium der Justiz — das geht an Ihre Adresse, Herr Minister — während der Sommerpause im Verein mit den Ländern und Gemeinden die zu erwartenden Aufwendungen präziser als bisher quantifiziert. Uns ist nicht damit gedient, daß uns die Finanzminister und -senatoren dann mit roter Feder ins Stammbuch schreiben: Hier habt ihr aber, um euer Ziel zu erreichen, ganz schön nach unten geschätzt. — Ich bitte noch einmal, besonderes Augenmerk darauf zu richten, daß wir auf die ehrenamtlichen Betreuer angewiesen sind und sein sollten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stehe nicht an zu leugnen, daß ich diesen Entwurf in der Tat für einen Wurf halte. Ich nehme dabei Gelegenheit, den meist unbekannt bleibenden Referenten — hier ist es Herr Kiermeier — öffentlich meinen und unseren Dank auszusprechen.
Der Dank gilt Herrn Kiermeier
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989 11615
Dr. de Withund all seinen Mitarbeitern; denn auch er konnte dies allein nicht bewältigen.Soll dieses noch papierene Reformgebäude nicht ein solches bleiben und soll es wegen der ungelösten Finanzprobleme im Rahmen der sogenannten Diskontinuität der Gesetzgebung nicht in den Papierkorb wandern, dann ist noch, so scheint mir, eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten.Lassen Sie mich zum Schluß deshalb als Appell wiederholen, was ich vorausahnend bei der ersten Lesung unseres — des sozialdemokratischen — Antrages vor mehr als einem Jahr gesagt habe:Das Wissen um die Unantastbarkeit der Würde des Menschen genügt nicht. Erst wenn wir dieses Postulat an den Behinderten praktizieren können, können wir uns als Demokraten ruhig schlafen legen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Langner.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Recht der Vormundschaft und Gebrechlichkeitspflegschaft, das wir zu einem Betreuungsrecht umformen wollen, ist seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahre 1900 im wesentlichen unverändert geblieben. Nun ist Beständigkeit an und für sich nichts Falsches, aber im Familienrecht, wo diese Regelungen angesiedelt sind, ist im Laufe des Jahrhunderts sonst fast keine Vorschrift unangetastet geblieben, und im Unterschied zu fast allen anderen Gebieten ist hier eben nichts verändert worden.Konkrete Reformerwartungen wurden zwar bereits im Bericht der Enquete-Kommission Psychiatrie von 1975 geäußert, aber Herr de With, der Reformgesetzgeber der 70er Jahre setzte seinerzeit andere rechtspolitische Schwerpunkte.Daß dies heute anders ist, hat mehrere Ursachen. Es ist zunächst, Herr Bundesminister Engelhard, unbestritten Ihr Verdienst — das darf ich wohl sagen —, daß dieses Reformwerk nun so vorangebracht worden ist. Man kann wohl sagen, es ist Ihnen ein Herzensanliegen. Dies gilt aber in gleicher Weise auch für Sie, verehrte Frau bayerische Justizministerin. Vorhin wurde hier insbesondere das Gebrechlichkeitstestament angesprochen; da haben Sie Ihr Verdienst.Zweitens hat die jetzige Regierungskoalition von Anfang an klargestellt, daß sie in der Rechtspolitik nicht den modischen, emanzipatorischen Themen hinterherläuft, sondern dort handelt, wo die Sache es erfordert.
Hierbei lassen wir uns nicht zuletzt davon leiten, daß es in einer pluralistischen Demokratie den gut organisierten Interessengruppen meistens leichterfällt, zu ihrem Recht zu kommen, als den Schwachen, die nicht drohen können. Die Union hat schon in den 70er Jahren diese neue soziale Frage angesprochen. Der Staathat nach unserer Auffassung auch auf die leisen Stimmen zu hören.Dieses neue Betreuungsrecht soll eine intensivere persönliche Betreuung der Betroffenen sichern. Während bislang der Ausschluß vom Rechtsverkehr und die Verwaltung des Vermögens im Vordergund stehen, soll künftig die Sorge um den Menschen in den Mittelpunkt gerückt werden. Eine Betreuung soll künftig nur noch für diejenigen Lebensbereiche angeordnet werden, wo es unbedingt erforderlich ist. Der Betreute soll grundsätzlich geschäftsfähig bleiben, soll testierfähig und ehefähig bleiben, und der Betreuer soll sich soweit wie möglich nach seinen Wünschen richten. Im Bereich der Personensorge regelt das neue Recht nun die besonders sensiblen und problematischen Bereiche wie Heilbehandlungen, Sterilisation, Unterbringung und Wohnungsauflösung.Auf den Gesetzgeber kommen hierdurch allerdings äußerst schwierige Regelungsfragen, auch solche ethischer Art, zu. Insbesondere die Frage der Sterilisation geistig Behinderter, die heute mittag schon mehrfach angesprochen wurde, kann meiner Ansicht nach nur in einer möglichst großen politischen und gesellschaftlichen Übereinkunft gelöst werden. Der Regelungsvorschlag, den der Gesetzentwurf zur Problematik der Sterilisation geistig Behinderter enthält, würde sicherlich zu einer ganz wesentlichen Einschränkung der heutigen Praxis in diesem Bereich führen. Die Einwilligung des Betreuers in eine Sterilisation des Betreuten soll danach nur noch in extremen Ausnahmefällen zulässig sein. In allen Fällen bedarf es der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Angesichts des Mißbrauchs, der in nationalsozialistischer Zeit mit massenhafter Sterilisation geistig Behinderter oder auch nur sozial auffälliger Menschen betrieben wurde, müssen wir jede Regelung sehr sorgfältig bedenken. Regelungsbedürftig aber scheint dieser heikle Bereich zu sein, wenn ich auch über das Zitat von Prof. Börner nachdenke, das ich in der heutigen „Süddeutschen Zeitung" gelesen habe:Ich hätte mehr Angst vor einer wie immer gearteten gesetzlichen Regelung zum jetzigen Zeitpunkt als vor dem Mißbrauch, wie er bisher schon vorgekommen ist.Mir scheint es nur schwer vorstellbar, daß das Gesetz die Betreuer, Ärzte und Gerichte mit dieser schwierigen Frage alleinläßt.Das mit dem Vorhaben verbundene Hauptanliegen, eine intensivere persönliche Betreuung der Betroffenen zu sichern, kann nur dann richtig gelingen, wenn sich mehr Bürger als bisher dazu bereitfinden, behinderten und alten Menschen zur Seite zu stehen. Jeder, der hier mithilft, leistet einen unschätzbaren Beitrag für ein menschlicheres Gesicht unserer Gesellschaft. Der Gesetzentwurf will den persönlichen Betreuer, der seinen Betreuten persönlich kennt, nach Möglichkeit aus dessen Familie kommt oder auf Vorschlag des Betreuungsbedürftigen bestellt wird. Er will nicht, wie es heute leider noch oft der Fall ist, die anonyme Verwaltung von Fällen von einem fernen Schreibtisch aus.Was müssen wir beachten, damit wir die richtigen Betreuer in einer ausreichenden Zahl bekommen?
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11616 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
Dr. LangnerDas Amt des Betreuers ist weiterhin ein Ehrenamt. Unsere bisherigen Vormünder und Pfleger und künftigen Betreuer arbeiten für Gotteslohn und aus sozialem Engagement. Die Allgemeinheit ist auf dieses Geschenk an Arbeitskraft und Mühe angewiesen. Aber wir dürfen doch nicht noch erwarten, daß die Betreuer ihre Unkosten aus eigenen Mitteln zuschießen. Es ist nur recht und billig, wenn der Staat — wie im Gesetzentwurf vorgesehen — durch Verdienstausfall- und Aufwandsentschädigungen einen Lastenausgleich schafft.Mit den finanziellen Fragen komme ich auf einen Aspekt zu sprechen, der bei den parlamentarischen Beratungen eine Rolle spielen wird und auch in der Stellungnahme des Bundesrats behandelt worden ist. Die 200 Millionen DM, die das im Jahr kosten soll, sind aufzubringen. Ich habe den Beitrag meines Kollegen de With heute so verstanden, daß er sehr viel finanzpolitische Überzeugungsarbeit in den Bundesländern Saarland, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Berlin leisten möchte.
— Bei den anderen werde ich mich bemühen. Wenn Sie diesen Beitrag übernehmen, Herr de With, sind wir schon einen Schritt weiter.
Ich bin zuversichtlich, daß es hier letztlich zu einer Verständigung kommen wird.Bei der Beratung des Gesetzentwurfs wird darauf zu achten sein, daß keine unnötigen bürokratischen Hürden für die Ausübung des Betreuungsamts aufgebaut werden. Das neue Betreuungsrecht darf insbesondere nicht bei denen, die heute schon auf Grund familiärer Bindungen die vom Gesetzgeber angestrebte persönliche Betreuung gewährleisten, Ängste erzeugen und demotivierend wirken. Daher muß auch künftig gesetzlich festgelegt sein, daß vorrangig Eltern und Ehegatten und sonstige nahe Angehörige zu Betreuern bestellt werden. Dies erscheint mir freilich bisher im Gesetzentwurf noch nicht klar genug geregelt. Auch ist bei altersgebrechlichen Menschen die Anerkennung des Ehegatten und danach im Regelfall der Kinder als Betreuer die einzige angemessene Maßnahme. Das neue Gesetz hat insgesamt alles zu vermeiden, was familiäre Pflegepersonen, die ohnehin — oft im stillen — Unendliches leisten, zusätzlich belastet.Aber gewisse Kontrollen der Betreuung durch das Vormundschaftsgericht sind unumgänglich. So sieht der Gesetzentwurf vor, daß um die Genehmigung des Gerichts nachgesucht werden muß, wenn es um eine lebensgefährliche Operation geht, in die der Betreuer einwilligen soll. Diese Regelung beseitigt die groteske Ungleichheit, die im Moment noch herrscht: Die Amputation beider Beine ist einer geringeren gerichtlichen Aufsicht unterworfen als etwa ein gerichtlicher Vergleich über 5 000 DM.Es entlastet auch die Betreuer, wenn bei Entscheidungen, bei denen es um Leben und Tod ihres Betreuten gehen kann, ihre Verantwortung mit dem Vormundschaftsgericht geteilt wird. Das ist nicht allein eine Versicherungsfrage.Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf viele Anregungen gegeben. Wir werden einige davon heute vielleicht wieder hören, die wir im Gesetzgebungsverfahren prüfen werden. Herausgreifen möchte ich nur die Fragen der Höchstdauer einer Betreuerbestellung und der Dauer der Übergangsregelung für Altfälle. Das ist eine ganz schwierige Frage: Soll ein nach altem Recht Entmündigter unter Umständen 19 Jahre auf eine Überprüfung seines Falles warten müssen, während die Neufälle alle fünf Jahre überprüft werden? All dies werden wir gewissenhaft prüfen, genauso wie die vielen Anregungen seitens der im Behindertenbereich tätigen Verbände. Ich begrüße es außerordentlich, daß diese Verbände so aktiv und sachkundig die Reform seit der Vorlage der ersten Diskussionsentwürfe begleiten.Mit diesem neuen Betreuungsgesetz soll ein lange Zeit vernachlässigtes Rechtsgebiet, von dem viele, vor allem ältere Menschen existentiell betroffen sind, dem Geist unserer Verfassung angepaßt werden. Zu Recht ist Art. 1 Grundgesetz betreffend die Würde des Menschen in diesem Zusammenhang zitiert worden. Viele der Betroffenen und ihrer Angehörigen warten schon lange auf diese Reform. Wir müssen jetzt die Kraft dazu aufbringen. An uns, Herr Minister, auch Frau Ministerin auf der Bundesratsbank, soll es nicht liegen. Es ist unser Wunsch und unser Wille, dieses Gesetz in dieser Wahlperiode in Kraft zu setzen.Schönen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Unruh.
Herr Präsident! Liebe Volksvertreter und Volksvertreterinnen! 40 Jahre Bundesrepublik Deutschland: Überlegen Sie sich einmal, was wir auf dem technologischen Sektor alles geschafft haben. Überlegen Sie sich einmal, daß in diesem Haus Milliardenbeträge bewilligt worden sind, nicht um die Würde des Menschen zu stärken, sondern um die Würde des Menschen an und für sich technologisch noch mehr zu unterdrücken.Jetzt kommt doch der Punkt: Da hat es tatsächlich ein Justizminister geschafft — nach 40 Jahren Bundesrepublik Deutschland! — , in diesem Hause einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das schlimme Vormundschaftsgesetz ablösen soll, und schon kommen von der Länderbank Einwände wegen 200 Millionen DM. Es ist für die Menschen draußen unerträglich, so etwas hören zu müssen.Leben wir Menschen eigentlich in diesem Staat Bundesrepublik Deutschland, um ständig unsere Würde — im wesentlichen im Alter — verletzen zu lassen? Sind Sie nicht vielmehr alle aufgerufen, die Würde des Menschen mit — mein Gott! — 200 Millionen DM zu stärken? Jeder Abgeordnete — es ist ja alles leer —, jeder Abgeordnete, der es nachliest, müßte sich in Grund und Boden schämen, überhaupt Abgeordneter dieses Hauses zu sein, wenn er nicht zustimmen würde. Jeder Abgeordnete irgendeines
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989 11617
Frau UnruhLandtages müßte sich schämen, wenn er nicht zustimmte. Jeder Abgeordnete irgendeines Kreises oder irgendeiner Kommune müßte sich schämen, wenn er als Volksvertreter oder Volksvertreterin nicht zustimmte.Also heißt es doch: Wir — im besonderen wir Alten — müssen rangehen. Wir müssen euch noch weiter Feuer irgendwo drunter machen, und wir dürfen euch unsere Wählerstimmen nicht mehr geben, was ja wunderbar geklappt hat bei den letzten Wahlen.Wenn man auf Bayern stolz ist, dann bin auch ich auf Bayern stolz, weil da eine andere Denkrichtung angefangen hat. Aber darauf, daß die Reps kommen, bin ich überhaupt nicht stolz. — Aber jetzt überlegen Sie sich einmal, woher das eine kommt, weil das andere fehlt.40 Jahre Bundesrepublik Deutschland bedeutet für alle Fraktionen in diesem Haus oder für die, die jemals an der Regierung waren, doch an und für sich ein Versagen der Menschlichkeit, eine Verletztheit der Würde des Menschen, die Sie ja 40 Jahre lang mit Füßen getreten haben.Dann kommen da so komische Graue Panther und machen dies 1986 zu einem Wahlkampfthema. Keine Altpartei will diese komischen Grauen Panther in ein Bündnis aufnehmen; die GRÜNEN tun es. Und siehe da, alles, was uns dann gesagt worden ist, Herr Bundesjustizminister, war: Dieses Gesetz kann man überhaupt nicht ändern; das ist so kompliziert; das greift in alle Tücken anderer Gesetze ein.Dann haben wir — GRÜNE und Graue zusammen — veranlaßt, daß ein Gesetzentwurf aus München — aber nicht von der CSU, sondern von einem parteilosen Rechtsanwalt — auf den Tisch kam. Damit hatten wir das politische Pfund in der Tasche, den Spitzenpolitikern letztlich zu zeigen: Guckt mal, das geht. Dann ist der Herr Bundesjustizminister Gott sei Dank an diese Aufgabe herangegangen. Er hat sich auch Vormundschaftsrichter in sein Beratungsgremium geholt, weil man ja immer sagte: die bösen Vormundschaftsrichter. Nur, was sollen die bösen Vormundschaftsrichter machen, wenn auch die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände diese Denkrichtung haben, die sogar noch mit diesen entmündigten Menschen Geld verdienen, und gar nicht wenig, wenn sich diese Heime immer weiter ausbreiten, wenn diese Psychiatrien sich immer weiter ausbreiten, wenn sich diese Altersdesorientiertheit durch Psychopharmaka immer weiter ausbreitet?Wer den letzten „Spiegel" gelesen hat, weiß, daß die Alzheimer Krankheit eine typische Gehirnkrankheit ist, bei der überhaupt keine Forschungsprojekte laufen. An Alzheimer sterben viel, viel mehr alte Menschen als an AIDS usw. Wenn wir alle ruhig sind, die wir politische Verantwortung tragen, weil wir meinen, ach, das sind alte Köpfe, was sollen wir da noch groß investieren und groß machen, dann halte ich das für bedauerlich.Ich glaube, ein Anstoß ist gekommen. Und nehmen Sie mit: Wir Grauen Panther geben keine Ruhe in der Bundesrepublik Deutschland, im Verbund mit dem Vormundschaftsgerichtstag, der sich Gott sei Dank gebildet hat. Das sind Vormundschaftsrichter und-richterinnen, die sogar mit einem Theaterstück durch die Bundesrepublik ziehen, die wir hier in Bonn auf Ihre Einladung, Herr Justizminister, hin haben sehen dürfen, die bildhaft darstellen: Man kann es menschlich regeln, und man kann es so wie gehabt regeln.Ich kann Ihnen nur Mut machen. Folgen Sie dem Ringmodell der Grauen Panther: Einer, der kann, hilft zwei anderen. Es ist ein Ring von 26 Menschen; dazu zwei Profis, die damit Geld verdienen und die entlasten, die gegen Aufwandsentschädigung in der sogenannten ehrenamtlichen Arbeit den Menschen, die gehandicapt sind, helfen. Das Modell könnte jede Kirche, jeder Wohlfahrtsverband und jeder, der willig ist, schon lange in die Tat umgesetzt haben.In diesem Sinne, Herr de With — Sie haben so gut geredet, das brauchte ich nicht mehr darlegen; und ich höre auch auf, Herr Präsident, seien Sie nicht so hart mit mir; es ist ja nur ein Minütchen — , wünsche ich Ihnen allen im Haus auch einen guten Urlaub, gute Ferien und vor allen Dingen für den nächsten Wahlkampf: Graue Panther dabei.
Frau Kollegin, mein Versuch, Sie zur Ruhe zu kriegen, hat über eine Minute gedauert.
Das Wort hat die bayerische Staatsministerin der Justiz, Frau Berghofer-Weichner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Bundesregierung, das Recht der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige mit dem Ziel zu reformieren, die Rechtsstellung psychisch kranker und körperlich, geistig oder seelisch behinderter Menschen zu verbessern. Als Mitglied des Bundesrats sehe ich als meine erste Aufgabe, heute Ihnen, Herr Bundesjustizminister, die Anerkennung zu dem von Ihnen erarbeiteten Entwurf auszudrücken und hervorzuheben, daß die Länder mit den Grundzügen und Zielen der Reform übereinstimmen.Für mich persönlich will ich betonen, daß mir sehr daran liegt, die Reform zu unterstützen und voranzubringen. Ich lege aber nach den vorhergehenden Ausführungen ganz besonders Wert darauf, all denen herzlich zu danken, die seit fast 90 Jahren als Vormünder und Pfleger treu und mit Hingabe für die ihnen anvertrauten Menschen gewirkt haben.
Sie verdienen diese heutige Schelte wirklich nicht.Über die Notwendigkeit der Reform besteht in den Fachkreisen, in den Behindertenverbänden, der gerichtlichen Praxis, auf dem Deutschen Juristentag oder beim Anwaltstag Übereinstimmung. Die Überlegungen zum Inhalt der Reform sind so weit vorangeschritten, daß das Gesetz auch nach Meinung der Länder noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann.Die Gründe für eine Reform sehe ich vor allem in folgendem: Die Entmündigung und das Entmündi-
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11618 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
Der Bundesrat mußte daher nach Wegen für eine Kostenminderung suchen.Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Kürzungen greifen die Substanz des Entwurfs nicht an. Und er darf, meine Damen und Herren, nicht an der Kostenfrage scheitern. Kosten pflegen sich im übrigen, wenn die Grundentscheidung gefallen ist, in der Höhe sowieso weiterzuentwickeln.Ein wichtiges Anliegen ist mir auch, die Mehrbelastung der Gerichte durch die Neuregelung in Grenzen zu halten. Unter diesem Aspekt hat der Bundesrat einige Änderungsvorschläge gemacht, die dem Richter eine flexible, dem Einzelfall angepaßte Verfahrensgestaltung ermöglichen.Zu Recht regelt der Entwurf nun die Pflicht zur Anhörung des Betroffenen und erkennt ihm für das vormundschaftsgerichtliche Verfahren die Verfahrensfähigkeit zu. Wann und in welcher Umgebung der Richter diese Anhörung vornimmt, sollte ihm aber nicht bis ins einzelne vorgeschrieben werden. Ein zu großer Perfektionismus in den Verfahrensregeln führt nur zu starren Formalitäten und nimmt dem Richter die Möglichkeit, dem Einzelfall in der gebotenen Weise gerecht zu werden.Der Kreis derer, meine Damen und Herren, für die bisher Vormundschaft und Pflegschaft — in Zukunft die Betreuung — angeordnet werden müssen, ist sehr unterschiedlich. Er reicht, um nur einige Bereiche zu nennen, von denen, die mit schweren geistigen Behinderungen geboren werden und nie selbständig werden können, bis zu den schwer Drogen- und Alkoholgeschädigten, vom psychisch Kranken bis zu den Menschen, die im Alter einen Schwund ihrer geistigen Kräfte erfahren und eines Tages betreuungsbedürftig werden. Erfreulicherweise werden — das ist schon mehrfach angeklungen — heute immer mehr Menschen immer älter, viele davon in einer bewundernswert guten körperlichen und geistigen Verfassung.Wir können aber nicht die Augen davor verschließen, daß ein gewisser Teil früher oder später geistig abbaut und eines Tages seine Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Diese Zahl wird angesichts des zunehmenden Anteils der älteren Genera-
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989 11619
Staatsminister Frau Dr. Berghofer-Weichner
tion an der Gesamtbevölkerung in den nächsten Jahrzehnten erheblich anwachsen.Während heute in der Bundesrepublik Deutschland 15 % der Bevölkerung älter als 65 Jahre sind, werden es im Jahr 2030 30 % der Bevölkerung sein. Seit dem Jahr 1955 hat sich die Zahl der 90jährigen um 600 % erhöht, bei ihnen aber sind etwa 30 % im Sinne unseres Gesetzentwurfs betreuungsbedürftig.
Ich kenne aus meiner politischen und meiner vielfältigen Tätigkeit im sozialen Bereich die Ängste vor dieser Situation, die sich angesichts mancher Fälle schon bei Menschen mittleren Alters einstellen.
Wir müssen ja auch vermerken, daß heute immer mehr Menschen völlig alleinstehend sind oder nach dem Tod des Ehegatten sein werden. Sie stellen mit Entsetzen fest, daß es keine Möglichkeit gibt, selbst rechtswirksam für diese Lage vorzusorgen.Mein besonderes Anliegen war es also, die in dem Entwurf angestrebten Möglichkeiten der Selbstbestimmung gerade im Hinblick auf diesen Personenkreis noch zu erweitern: mehr Selbstbestimmung auch durch rechtzeitige Vorsorge.Nicht nur Wünsche und Vorstellungen, die im Zeitpunkt des Eintritts der Betreuungsbedürftigkeit geäußert werden, sollen grundsätzlich berücksichtigt werden, sondern auch solche Wünsche und Vorschläge, die der Betroffene noch im Besitz seiner geistigen Kräfte für den Betreuungsfall erklärt hat.Der Entwurf enthält diese von mir vorgeschlagenen Regelungen, und auch ich möchte an dieser Stelle Herrn Kiermeier meinen ausdrücklichen Dank aussprechen. Es ist nicht selbstverständlich, daß jemand den Ärger, nicht selbst auf diese Ideen gekommen zu sein, überwindet und sie akzeptiert. Aber er stammt ja ebenso wie sein Minister aus Bayern, und da ist das möglich. Ich bedanke mich dafür.
Jeder Bürger wird also in Zukunft für den Fall seiner Betreuungsbedürftigkeit einen anderen bevollmächtigen können, für ihn Betreuungsaufgaben zu übernehmen. Durch eine solche, rechtzeitig erteilte Vollmacht können sich vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen erübrigen. Denn eine Betreuung ist vom Gericht nur anzuordnen, soweit sie erforderlich ist. Erledigt der Bevollmächtigte die nötigen Angelegenheiten, bedarf es in vielen Fällen keiner Bestellung eines Betreuers. Diese sogenannte Altersvorsorgevollmacht ist im Entwurf in § 1896 BGB verankert. Sie wird dazu beitragen, daß mehr noch als bisher von der Möglichkeit der Vollmacht zur Vermeidung vormundschaftsgerichtlicher Maßnahmen Gebrauch gemacht wird.Aber nicht für jeden Bürger ist dieser Weg möglich. Viele ältere Menschen stehen allein und haben keine Vertrauensperson. Auch in solchen Fällen soll künftig jede Bürgerin und jeder Bürger Vorsorge treffen können. Denn nicht nur Vorschläge und Wünsche, die der Betroffene bei Eintritt der Betreuungsbedürftigkeit erklärt hat, sollen nach dem Entwurf vom Gericht zu beachten sein, sondern auch früher geäußerte Wünsche und Vorschläge, die sich auf alle Bereiche der Lebensgestaltung beziehen können, also etwa auf die Verwendung des Einkommens oder des Vermögens, auf Aussagen zur Wohnungsauflösung, zur Wahl des Heimes oder zur Person des Betreuers.Kann ich noch eine Minute haben, Herr Präsident?
Eine Minute, ja! Wir dürfen Ministern nicht das Wort entziehen, aber wir dürfen ihnen sagen, wie spät es ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Künftig kann ein Bürger nicht nur über sein Vermögen für den Todesfall verfügen, sondern beizeiten auch Vorkehrungen für seine zukünftige Lebensführung treffen. Dieser Vorschlag hat in der Öffentlichkeit viel Resonanz erfahren.
Aber es gibt noch einen weiteren Punkt: Es sollte auch eine Möglichkeit der sicheren Aufbewahrung einer solchen Verfügung geschaffen werden.
Der Freistaat Bayern hat im Bundesrat — leider vergeblich — den Antrag gestellt, die Regelung über vorsorgende Anordnungen durch eine Hinterlegungsmöglichkeit zu ergänzen. Dies wird Bayern auf Grund der Möglichkeit des Art. 50 AGGVG auf jeden Fall selbst einführen. Ich meine aber, der Bundestag sollte sich dieses Problems bei der Gesetzesberatung nochmals annehmen. Denn ich bin der Auffassung, daß unsere älteren Menschen in anderen Bundesländern nicht schlechter gestellt sein dürfen als in Bayern.
Meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie, dieses Gesetz, das den Sorgen unserer älteren Mitbürgerin an einem wesentlichen Punkt abhelfen kann, noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden und nicht an Meinungsunterschieden im Finanziellen scheitern zu lassen.
Ich versichere Ihnen, daß die Länder in der Lage sind, die Überleitung schon bestehender Vormundschaften und Pflegschaften in das neue Recht zu bewältigen. Lassen Sie unsere älteren Mitbürger nicht im Stich.
Vielen Dank, Herr Präsident.
Das Wort hat der Abgeordnete Funke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Entwurf des Betreuungsgesetzes ist zweifellos, Herr Minister, ein großer Wurf und kann für diesen Bereich des persönlichen Sorgerechts als Jahrhundertwerk bezeichnet werden. Dafür, Herr Minister, unser ganz besonderer Dank.
Das Betreuungsgesetz soll die aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Regelungen des Vormundschaftsrechts ablösen. Das Gesetz schafft u. a. die Entmündigung ab, ein Verfahren, das mit diskriminie-
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11620 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
Funkerenden Feststellungen über die geistigen Fähigkeiten einer Person beginnt und mit der Festschreibung der Geschäftsunfähigkeit endet. Das ist, wie Herr M nisterialdirigent Alfred Wolf einmal gesagt hat, ein grausames Verfahren. Da bekommt ein Mensch, der in Würde und Anstand alt geworden ist, bescheinigt, daß er aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen ist.Mit diesem Verfahren soll jetzt Schluß sein. Die zu weitreichenden und zweifellos auch zu wenig differenzierten Folgen des Vormundschaftsrechts werden beseitigt. Sie werden nicht mehr auf das Aberkennen von Geschäftsfähigkeit begrenzt, sondern sie sind auf das Zuerkennen von Hilfsbedürftigkeit und Hilfe gerichtet. Die Vormundschaft als Folge der Entmündigung entfällt genauso wie die Gebrechlichkeitspflegschaft. Statt dessen gibt es den Begriff der Betreuung. Über diesen kann man sicherlich streiten; aber ich glaube, daran wird die Sache nicht scheitern.Dieses Rechtsinstitut hat keine automatischen Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit. Das finde ich gut. Soweit eine Teilnahme am Rechtsverkehr im Einzelfall eingeschränkt werden muß, ordnet das Gericht einen Einwilligungsvorbehalt an. Dann kann der Betreute für diesen Aufgabenbereich nur mit Einwilligung seines Betreuers rechtswirksame Willenserklärungen abgeben. Das ist zu seinem eigenen Schutz.Für die Eheschließung und für die Verfügung von Todes wegen gilt der Einwilligungsvorbehalt nicht.Frau Ministerin, wir werden Ihre Anregung hinsichtlich der Hinterlegung bei den Beratungen sicherlich mit aufnehmen. Ich halte das für eine wichtige Angelegenheit. Ob das über das bisher bestehende Recht der Hinterlegung hinaus notwendig ist, werden wir in den Beratungen miteinander diskutieren müssen.
— Sicher, wie auch viele Anregungen von Herrn Dr. de With in dieser ersten Lesung gut gewesen sind. Die werden wir berücksichtigen, genauso die Anregung von Frau Unruh. Hier wird keine Partei ausgegrenzt, vor allem nicht im Rechtsausschuß. Es ist nicht die Sache von Juristen, andere Parteien auszugrenzen.
Unter den Sachverständigen und in den politischen Diskussionen war lange umstritten, wie die Sterilisation von Minderjährigen und von einwilligungsunfähigen Volljährigen zu behandeln sei. Wir begrüßen die Regelung im Entwurf des § 1905 BGB,
weil auf diese Weise die Sterilisation eines einwilligungsunfähigen Volljährigen nur in ganz seltenen Ausnahmefällen zur Abwendung schwerster Notlagen angewendet wird. Sie sehen an meiner Formulierung, Frau Nickels, daß ich das auch nochmals stark einschränke. Damit wird die zur Zeit bestehende Grauzone aufgehoben
und eine klare gesetzliche Regelung vorgenommen. — Darüber werden wir zu diskutieren haben, Frau Nickels.Die Sterilisation Minderjähriger wird ausdrücklich verboten.Der Schwangerschaftsabbruch bei einwilligungsunfähigen behinderten Frauen wird im Regierungsentwurf nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Begründung sind solche Schwangerschaftsabbrüche durch den Entwurf des § 1904 BGB mit umfaßt. Ob diese insbesondere im Hinblick auf die speziellen Bestimmungen des § 218a StGB ausreichend sind und auf die besondere Situation von psychisch kranken oder geistig oder seelisch behinderten Frauen genügend Rücksicht nimmt, muß in den Ausschußberatungen noch intensiv untersucht werden, gegebenenfalls mit Hilfe von entsprechenden Sachverständigenanhörungen. In dieser Frage ist meine Fraktion noch nicht endgültig festgelegt. Wir wollen uns da noch beraten lassen.
Wir begrüßen weiterhin, daß durch Altersvorsorgemaßnahmen und Betreuungsverfügungen sozusagen schon in den „gesunden Tagen" vorsorglich Anordnungen für den Betreuungsfall getroffen werden können.
Sie sollten da die Juristen und die Rechtsanwälte nicht in die Ecke stellen, Frau Unruh. Auch Rechtsanwälte sollten nicht beseitigt werden, wie Sie das formuliert haben, sondern Sie brauchen sie gerade auch für solche Fälle. Ich stehe da gern zur Verfügung.
Insbesondere kann bestimmt werden, wer Betreuer sein soll und wie die zukünftige Lebensgestaltung des Betreuten aussehen soll. Die Sorge für die persönlichen Angelegenheiten des Betreuten wird auf diese Weise gestärkt. Für die Übernahme der Betreuung werden ja auch finanzielle Anreize geschaffen. Die Betroffenen sollen von den Kosten des Verfahrens entlastet werden. Das sind noch einmal zusätzliche Kosten für die Landesjustizverwaltungen, Frau Ministerin.Für die Bestellung eines Betreuers wird ein einheitliches Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eingerichtet. In diesem Verfahren ist der Betroffene selbst verfahrensfähig, wodurch seine Rechtsstellung wesentlich gestärkt wird. Er muß vom Richter vor der Betreuerbestellung angehört werden. Kann er seine Rechte nicht selbständig wahrnehmen, ist ihm von Amts wegen ein Verfahrenspfleger beizuordnen.Vor der Betreuerbestellung soll außerdem grundsätzlich ein umfassendes Gutachten eingeholt werden. Die Betreuerbestellung kann nur befristet erfolgen, auf längstens fünf Jahre, was ich auch für eine sehr gute Sache halte.
— Es ist höchstens für die Dauer von fünf Jahren, Frau Unruh. So steht es im Gesetzentwurf.
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Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989 11621
FunkeVor einer Verlängerung der Betreuung findet eine erneute gerichtliche Überprüfung statt. Durch Übergangsregelungen wird sichergestellt, daß das neue Recht auch allen heute schon unter Vormundschaft und Pflegschaft Stehenden zugute kommt.Diese neuen Regelungen, meine Damen und Herren, die dem betroffenen Bürger seine Menschenwürde belassen und ihm mehr persönliche Hilfe und Zuwendung zuteil werden lassen, sind nun einmal nicht zum Nulltarif zu haben, Frau Ministerin. Wir sind uns bewußt, daß dies insbesondere bei den Bundesländern ganz erhebliche Kosten verursacht. Ich werde mich als Mitglied eines Koalitionsausschusses eines sozialliberalen Senats bemühen, die entsprechenden Gelder zur Verfügung zu stellen.
Die Notwendigkeit, dieses Betreuungsgesetz zu verabschieden, ergibt sich auch dadurch, daß sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seit Ende des letzten Jahrhunderts verändert haben. War es damals noch üblich, daß gebrechliche, behinderte und im Alter geschäftsunfähig gewordene Familienmitglieder durch die Familie geschützt und beschützt wurden, haben sich diese Verhältnisse durch die kleinteiligen Familien gewandelt. Die Gesellschaft ist daher in ihrer Gesamtheit aufgerufen, diese veränderte Einstellung zur Familie zu berücksichtigen. Der Staat muß den betroffenen Mitgliedern der Gesellschaft mehr Betreuung und mehr Zuwendung zuteil werden lassen. Er muß die dadurch entstehenden Kosten mittragen.Wir sagen der Bundesregierung zu, daß das Gesetz zügig und intensiv beraten wird. Die Anregungen, die hier aus dem Hause gekommen sind, werden mit Sicherheit berücksichtigt.Der vorliegende Entwurf basiert auf zahlreichen Diskussionen in der Öffentlichkeit und in den Verbänden. Die Psychiatrie-Enquete und die Diskussionen beim Deutschen Juristentag möchte ich besonders hervorheben. Für diese Beiträge danken wir. Wir hoffen, daß wir diese wissenschaftliche Begleitung auch bei unseren Beratungen in den Ausschüssen erfahren dürfen.Vielen Dank.
Frau Nickels, letzte Rede vor der Sommerpause.
Hallo, Martin! Lieber Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Hier ist heute öfter darauf hingewiesen worden, daß wir uns an 40 Jahre Grundgesetz zu erinnern und dies zu feiern haben. Darauf möchte ich mich beziehen. Ich beziehe mich nur — Herr Minister, das wissen Sie vielleicht — auf § 1905 dieses Gesetzes, wo wir sehr viel zugearbeitet haben. Das konnten wir, weil Sie dankenswerterweise Ihre Entwürfe und Vorstellungen der Öffentlichkeit früh vorgestellt haben. Wir haben darum auch schon im Mai letzten Jahres von der grünen Fraktion aus eine Anhörung gemacht. Herr Kiermeier war ebenfalls da. Das hat sehr dazu beigetragen, daß wir gründlich darüber diskutieren konnten. Ich kann jetzt nur ganz wenig davon sagen.Ich denke, wir dürfen über die Frage der Sterilisation nicht einwilligungsfähiger Menschen nicht diskutieren, ohne uns an unsere eigene Geschichte zu erinnern. Wir haben ja in dieser Woche noch ein sehr schlimmes Beispiel hier im Bundestag gehabt. Wir haben 40 Jahre gebraucht, bis die Erbgesundheitsgesetze geächtet worden sind. Das bißchen Wiedergutmachung im finanziellen Bereich ist so gering und durch Härtefallrichtlinien, die ja im Ermessen des Finanzministeriums stehen, so schlimm, daß wir immer wieder darüber debattieren müssen. Ich finde das beschämend. Daran müssen wir uns erinnern.
Vor diesem Hintergrund muß diskutiert werden.Hier ist oft gesagt worden, wir hätten eine Grauzone. Das stimmt. Etwa 1 000 Menschen werden im Jahr ohne Einwilligung sterilisiert. Diese Praxis ist aber nicht rechtmäßig, sondern widerspricht eindeutig geltendem Recht. Es ist so, daß die Rechtslage das verbietet. Ich glaube, Herr Minister, wenn es jetzt eine solche Grauzone gibt, dann kann man oder darf man, wenn man Humanität für alle wichtig nimmt, den Problemen nicht beikommen, indem man versucht, wenn auch mit strengen Regularien, das einzuengen. Man muß vielmehr dieses Verbot bekräftigen.Sie tun das ja für die Minderjährigen; das finde ich sehr gut. Aber man hätte es bis auf die ganz geringe Ausnahme der absolut lebensbedrohlichen Situation, von der Herr de With sprach, auch für volljährige, nicht einwilligungsfähige Personen machen müssen. Das ist unsere Auffassung.Der heftige Streit der Betroffenen, der ja entstehen konnte, weil Sie so früh damit an die Öffentlichkeit gegangen sind, hat ganz klar gezeigt, daß man mehrere Gesichtspunkte berücksichtigen muß.Wir haben drei Essentials, also drei Anforderungen, für diese Frage der Sterilisation nicht einwilligungsfähiger Menschen.Erstens. Für uns sind Grundrechte für alle Menschen unteilbar, d. h. das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auch auf die Unverletzlichkeit und Unversehrbarkeit der Person. Wenn es in einigen Bereichen schwierig wird, weil man diese geistig behinderten Menschen nicht mehr trennen will, sondern sie in betreuten Wohneinrichtungen menschenwürdiger leben lassen will, dann darf man in ihre körperliche Unversehrtheit nicht ohne ihre Zustimmung eingreifen, sondern man muß vielmehr Betreuungsmöglichkeiten stellen. Das ist der richtige Weg. Denn auch das hat unsere Geschichte gezeigt: Wenn man Probleme lösen will, indem man Menschenrechte, wenn auch unter sehr strengen Gesichtspunkten ein Stück weit einschränkt, dann schlägt das auf die ganze Gesellschaft durch. Wir dürfen das nicht zulassen. Es ist ein Dienst für uns alle. — Das ist die erste Anforderung.Die zweite ist: Eine solche Regelung muß Mißbrauchsmöglichkeiten ausschließen. Es ist hier schon
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11622 Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 153. Sitzung. Bonn, Freitag, den 23. Juni 1989
Frau Nickelsgesagt worden, daß jetzt von der Bundesratsbank bereits finanzielle Erwägungen kommen. Es ist klar, daß man rechnet. Aber diese finanziellen Erwägungen sind dazu geeignet, einen guten Ansatz vielleicht wirklich zu zerstören. Da muß man sehr aufpassen.Vor allen Dingen erscheinen uns auch Erwägungen der Bundesärztekammer zusammen mit den fiskalischen Gesichtspunkten sehr, sehr gefährlich, weil hier auch schon die Stellungnahmen zeigen, daß eine Ausweitung dieser Sterilisationspraxis von einigen Seiten, jedenfalls auch in der Ärzteschaft, gewollt ist.Drittens. Wir leben in einer Zeit, in der die Gentechnik eine sehr wichtige Rolle spielt und in der man Einsparungen im sozialen Bereich macht. Es wird uns noch viel mehr kosten, Frau Berghofer-Weichner, wie auch Sie sagen, weil wir mehr alte Menschen bekommen. Wir haben zudem die Möglichkeiten der Gentechnik. Auch das müssen wir berücksichtigen, damit nicht die Humanität aus Kostenerwägungen wie von einer Schere abgeschnitten wird, weil man die Gentechnik hier benutzen will und die Menschenrechte teilbar macht. Das halten wir für sehr gefährlich.Aus diesen Gründen stimmen wir mit Ihren Vorstellungen nicht überein. Wir haben sehr viel mehr Vorschläge dazu vorgelegt. Diese werden wir in die Beratung einbringen.Danke schön.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Entwurf eines Betreuungsgesetzes auf Drucksache 11/4528 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind nun am Schluß unserer heutigen Tagesordnung und damit auch am Ende dieses Teils der Arbeit des Bundestages. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 1. September 1989, 9 Uhr ein.
Ich nutze die Gelegenheit, denjenigen, die bis zum Schluß ausgehalten und in einer wichtigen Frage hier noch mitberaten haben, und ihren Familien zu wünschen, daß sie in der nun beginnenden Sommerpause auch einige Wochen Urlaub haben, damit nicht ein falsches Verständnis über die Sommerpause weiter um sich greift.
Auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses möchte ich bei dieser Gelegenheit danken. Einige von ihnen — das weiß ich — schaffen es nicht einmal, in der bevorstehenden Sommerpause ihre Überstunden abzufeiern. Ich wünsche ihnen eigentlich, daß es gelingen kann, damit sie uns dann wieder voll und gesund zur Verfügung stehen.
Damit ist die Sitzung geschlossen.