Protokoll:
9112

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 9

  • date_rangeSitzungsnummer: 112

  • date_rangeDatum: 10. September 1982

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 13:20 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 9/112 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 112. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. September 1982 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 6837 A Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Einkommensteueränderungsgesetz 1983) — Drucksache 9/1956 — Poß SPD 6837 B Dr. Kreile CDU/CSU 6839 D Frau Matthäus-Maier FDP 6844 B Lahnstein, Bundesminister BMF . . . 6848 B Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung und von anderen Vorschriften (Sechstes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz) — Drucksache 9/1957 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1983 — Drucksache 9/1730 — Glombig SPD 6851 B Franke CDU/CSU 6855 D Heyenn SPD 6861 B Schmidt (Kempten) FDP 6863 B Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften (SVÄG 1982) — Drucksache 9/1958 — Hölscher FDP 6867 A Franke CDU/CSU 6870 C Urbaniak SPD 6873 B Westphal, Bundesminister BMA . . . 6875C Nächste Sitzung 6879 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6880*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1982 6837 112. Sitzung Bonn, den 10. September 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    6880 * Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1982 Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 10.9. Dr. Ahrens ** 10.9. Bamberg 10.9. Bohl 10.9. Dr. Bardens ** 10.9. Büchner (Speyer) ** 10.9. Dr. Dregger 10.9. Eickmeyer ** 10.9. Eigen 10.9. Dr. Faltlhauser 10.9. Feinendegen 10.9. Fellner 10.9. Frau Fromm 10.9. Funke 10.9. Frau Geier 10.9. Hauck 10.9. Herterich 10.9. Hoppe 10.9. Frau Luuk 10.9. Dr. Müller ** 10.9. Müller (Bayreuth) 10.9. Müller (Wadern) 10.9. Neumann (Bramsche) 10.9. Pensky ** 10.9. Rappe (Hildesheim) 10.9. Rösch 10.9. Dr. Schachtschabel 10.9. Schäfer (Mainz) 10.9. Schmidt (Wattenscheid) 10.9. Schulte (Unna) ** 10.9. Dr. Freiherr Spies v. Büllesheim ** 10.9. Stöckl 10.9. Dr. Unland ** 10.9. Dr. Vohrer ** 10.9. Dr. Warnke 10.9. Frau Dr. Wex 10.9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
Gesamtes Protokol
Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911200000
Die Sitzung ist eröffnet.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, zunächst den Punkt 24, danach die Punkte 22 und 23 in verbundener Debatte und anschließend Punkt 21 der Tagesordnung zu beraten. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ist das Haus auch damit einverstanden, daß bei den genannten Tagesordnungspunkten von der Frist unserer Geschäftsordnung für den Beginn der Beratungen abgewichen wird? — Ich sehe und höre auch da keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 24 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Einkommensteueränderungsgesetz 1983 — EStAndG 1983)

— Drucksache 9/1956 —
Wird das Wort zur Begründung gewünscht. — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Poß.

Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID0911200100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erleben in diesen Tagen — die gestrige Debatte hat es teilweise gezeigt, und die Zeitungen bringen es jeden Tag — vielleicht den vorläufigen Höhepunkt einer ideologisch und parteipolitisch motivierten Kampagne, die auch von Teilen der Wirtschaft geführt wird und meines Erachtens Selbstlähmungserscheinungen hervorruft. Da wird Kurswechsel gefordert, wo man Regierungswechsel meint, und es bleibt unklar, was man denn konkret will. Andere fordern eine widerspruchsfreie Wirtschafts- und Finanzpolitik. Sollte damit die Überbetonung der Angebotsseite und die kompromißlose Durchsetzung einseitiger Interessen angesprochen sein, dann müssen die Sozialdemokraten warnend auf negative Beispiele verweisen.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen in diesen Tagen eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Lebenslüge registrieren, die
Lebenslüge nämlich, die sich im Zuge der von mir genannten Kampagne auswächst und den Menschen einreden will, man könne die Wirtschaft auf Kosten des Sozialstaats retten. Das ist eine groteske Verzerrung der Wirklichkeit,

(Dr. Jenninger [CDU/CSU]: Wo wohnen Sie denn?)

die in einigen Chefetagen schon zu einem Quasi-Investitionsstreik geführt hat. Herr Jenninger, Sie stricken ja an dieser Legende fleißig mit.

(Beifall bei der SPD — Dr. Jenninger [CDU/ CSU]: Wo wohnen Sie denn?)

Hier liegen neben den bekannten objektiven Faktoren wie z. B. der Zinshöhe die Investitionshemmnisse.
Es möge sich niemand täuschen: Eine gesellschaftspolitische Roll-back-Bewegung ist jedenfalls kein Garant für eine wirtschaftliche Belebung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Im Zentrum aller Bemühungen der SPD-Fraktion steht daher eine aktive Beschäftigungspolitik, flankiert von einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik. Die Weichen einer solchen Politik sind mit der Gemeinschaftsinitiative richtig gestellt, die Voraussetzungen z. B. durch die ausgeglichene Leistungsbilanz verbessert worden. Im Zusammenhang mit den getroffenen und den geplanten Sparmaßnahmen entzündet sich die Diskussion in der Bevölkerung und in der Öffentlichkeit zu Recht immer mehr an der Frage der sozialen Ausgewogenheit. Nun existieren ja sehr unterschiedliche Auffassungen über das, was man als sozial ausgewogen ansieht. Ich denke hier z. B. an den Brief des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß an seine Ministerpräsidentenkollegen von der CDU.
Es stellt sich die Frage nach der politischen Moral, die hinter den diskutierten Haushaltsvorschlägen steht. Zur Moral gehört — der Bundeskanzler hat es gestern sehr nachdrücklich zum Ausdruck gebracht —, daß man die Bezieher hoher und höchster Einkommen bei den Sparbemühungen nicht ausklammert. In unzähligen Gesprächen im Wahlkreis klingt diese Forderung durch. Kürzlich sagte mir ein Finanzamtsvorsteher, daß er auf Grund täglicher Er-



Poß
fahrungen den Unmut der Durchschnittsverdiener über die Steuervorteile der Bezieher hoher Einkommen verspüre; er befürchte nachhaltigen Schaden für die Steuertreue vieler Menschen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Auch hier liegen die Ansatzpunkte für den weitverbreiteten und nicht nur in der jungen Generation vorzufindenden Verdruß über staatliches Handeln und gesellschaftliche Mißstände. Hier Abhilfe zu schaffen, wäre ein hervorragendes Arbeitsfeld für alle Parteien; auch für die CDU/CSU, von der man dazu nichts hört.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben mit dem Entwurf des Einkommensteueränderungsgesetzes 1983 den richtigen Weg eingeschlagen. Leider steht zu befürchten, daß dieser Entwurf an der CDU/CSU-Mehrheit scheitern wird. Dieser Entwurf soll das, was es an Einschnitten in den nächsten Jahren zwangsläufig geben wird, steuerpolitisch und sozial gerecht flankieren. Deshalb werden wir allen Menschen deutlich und verständlich sagen, um was es bei diesem Steueränderungsgesetz geht.
Die meistdiskutierte Frage ist die geplante Kappung des Ehegattensplittings — nach Franz Josef Strauß ein Schlag gegen das Wesen der Ehe.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Wenn der Splittingvorteil in der Proportionalzone bei 926 DM, im obersten Progressionsbereich aber bei nahezu 15 000 DM liegt, der Spitzeneinkommensbezieher also einen etwa 15fachen Vorteil hat, so ist die geplante Kappung an der Obergrenze von 10 000 DM ohne Zweifel gerechtfertigt und einleuchtend.
Ich habe vorhin über Moral gesprochen. Ich muß fragen, was das für eine Moral ist, die einerseits lautstark von der sozialen Hängematte redet, andererseits jedoch eine Steuerersparnis von knapp 5 000 Mark bei einem zu versteuernden Einkommen von rund 250 000 Mark und mehr für unantastbar erklärt.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das ist christlich-soziale Heuchelei bester Schule.

(Beifall bei der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Nun ist es aber genug!)

Oder: Wo liegt die Moral, wenn mit Hinweisen auf Umgehungsmöglichkeiten der Nutzen einer solchen steuerlichen Maßnahme angezweifelt wird, wie wir es von Ihnen hören?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sozialistische Gleichmacherei!)

Umgehungsmöglichkeiten, meine Damen und Herren, gibt es bei fast jeder Bestimmung, wir wissen das. Schlimm finde ich nur, wenn Politiker und Zeitung zur Umgehung auffordern.

(Beifall bei der SPD und der FDP) Das ist, glaube ich, das sehr Bedauerliche.


(Sehr wahr! bei der SPD)

Staatssekretär Huonker hat kürzlich in einem Beispiel auf eine Anfrage Ihrer Kollegin Hürland hin nachgewiesen, daß einem Angestellten mit sieben Kindern bei einem Jahresbruttolohn von 120 000 DM und einem zu versteuernden Einkommen von rund 87 000 DM eine Steuermehrbelastung von nur 109 DM im Jahr verbleibt. Ich glaube, das läßt sich doch auch unter familienpolitischen Gesichtspunkten verkraften und zumuten.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Jedenfalls gibt es keine stimmigen Argumente dagegen, außer dem sehr technokratischen, auf Umgehung angelegten Argument.
Der vorgesehene Ausschluß des Ausgleichs bestimmter ausländischer Verluste nach dem neuen § 2 a — dies betrifft insbesondere Verluste aus Vermietung und Verpachtung von ausländischem Grundbesitz und aus Land- und Forstwirtschaft sowie Verluste aus ausländischer gewerblicher Tätigkeit, die nicht produktiv im Sinne des § 5 des Auslandsinvestitionsgesetzes sind, ist eine längst fällige Maßnahme, um speziellen Verlustzuweisungsmodellen die Attraktivität zu nehmen. Dieser Vorschlag dient der Beseitigung des Ärgernisses, daß vor allem Großverdiener durch ausländische Steueroasen Steuern sparen. Sie kennen j a das Stichwort „Indianerland" und anderes mehr.
Darüber hinaus macht auch der Prüfungsauftrag an den Bundesfinanzminister Sinn, der bis Ende des Jahres feststellen soll, wie denn ungerechtfertigte Steuervorteile aus Verlustzuweisungsgesellschaften, Bauherrengemeinschaften und ähnlichem durch § 15a ausgeschlossen bzw. begrenzt werden können. Dabei können wir auf die eindrucksvolle Fallsammlung des nordrhein-westfälischen Finanzministers Posser zurückgreifen. Ich empfehle auch Ihnen, sich diese Fallsammlung sehr nachdrücklich zu Gemüte zu führen, meine Damen und Herren von der Opposition.

(Beifall bei der SPD)

Das ist nämlich ein Stück sozialer Wirklichkeit, die da abgebildet wird und die man verändern muß.

(Beifall bei der SPD)

Durch die Erhöhung des pauschalierten Lohnsteuersatzes von 10 auf 15 % für bestimmte zusätzliche Altersvorsorgeleistungen, z. B. Beiträgen zu Direktversicherungen, Zuwendungen an Pensionskassen nach § 40b EStG, soll eine in der bisherigen Höhe nicht mehr in die heutige Landschaft passende Steuervergünstigung vermindert werden, und zwar in aller Regel zu Lasten der Arbeitgeber, die die pauschalierte Lohnsteuer zahlen.
Die Kappung der Vorsorgepauschale für nicht sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, in erster Linie also für Beamte, kann in den Fällen zu einer höheren Steuerbelastung führen, in denen die Vorsorgepauschale höher ist als die tatsächlichen Ausgaben für die Vorsorge, in denen die Pauschale also eine an sich nicht beabsichtigte Freibetragswirkung entfaltet. Erbringen Beamte, die bekanntlich keine Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zu zahlen haben, tatsächlich Vorsorgeaufwendungen, so



Poß
können diese im Rahmen der für alle geltenden Höchstbeträge für Sonderausgaben beim Lohnsteuerjahresausgleich bzw. bei der Einkommensteuererklärung geltend gemacht und Mehrbelastungen vemieden werden. Da die Vorsorgepauschale für Beamte nicht ganz gestrichen, sondern nur auf 2 000 bzw. 4 000 DM begrenzt werden und die Kinderkomponente der Vorsorgepauschale voll erhalten bleiben soll, sind die untersten Besoldungsgruppen von dieser Maßnahme auch dann nicht betroffen, meine Damen und Herren, wenn sie finanziell nicht in der Lage sind, über die notwendige Zusatzkrankenversicherung hinaus Vorsorgeleistungen zu erbringen. Das halte ich für richtig und wichtig und sozial ausgewogen.
Ebenfalls ausdrücklich zu begrüßen ist die Absicht, in einer Verwaltungsanweisung die Grundsätze für die Überprüfung konzerninterner Verrechnungspreise zusammenzufassen und zu vereinheitlichen. Wir wollen hoffen, daß es damit gelingt, die in der Bundesrepublik Deutschland erzielten Gewinne multinationaler Unternehmen auch bei uns voll zu versteuern. Das ist eine weitere wichtige steuerpolitische Maßnahme.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Durch die Änderung des Abschnitts 118 Abs. 2 der Einkommensteuerrichtlinien soll der private Nutzungsanteil betrieblich genutzter Personenkraftwagen auf einen Regelsatz von 40 % angehoben werden. Dieser Vorschlag folgt im übrigen auch der Empfehlung des Bundesrechnungshofs, der beanstandet hatte, daß die Oberfinanzdirektionen auch bei in ihren Büros oder Praxen stationär tätigen Gewerbetreibenden und Freiberuflern entgegen allen Realitäten bei der Einkommensbesteuerung den privaten Nutzungsanteil von Pkws mit nur 20 bis 25 % ansetzten, den betrieblichen bzw. beruflichen Anteil aber auf 75 bis 80 %. Das führt, meine Damen und Herren, zu der Groteske, daß — so der Bundesrechnungshof — beispielsweise bei Fachärzten bis zu drei oder mehr berufliche Personenkraftwagen anerkannt werden, obwohl eine nennenswerte Reisetätigkeit nicht nachgewiesen werden kann.
Wer an die Belastungen denkt, die viele Arbeitnehmer als Pendler durch die gestiegenen Kosten hinnehmen müssen, kann über die Unempfindlichkeit der Steuerverwaltung der Länder angesichts solcher Tatsachenverkehrungen nur verwundert sein.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Herr Kohl meinte gestern u. a.: Die einen dienen, die anderen verdienen, und wir sind auf keinem Auge blind. Wenn das so ist, meine Damen und Herren von der Opposition, dann verschließen Sie doch bitte Ihre Augen nicht vor ungerechtfertigten Steuervergünstigungen und Subventionen! Dann müßten Sie dem Steueränderungsgesetz konsequenterweise zustimmen.
Herr Häfele hat von Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit gesprochen.

(Zuruf von der SPD: Das macht er immer!)

Minister Lahnstein hat vorgestern nachgewiesen, daß diese gegeben sind. Wir Sozialdemokraten werden der geschichtlichen Klarheit und Wahrheit wegen in den nächsten Wochen nicht müde werden, aufzuzeigen, warum Sie von der Opposition dem Steueränderungsgesetz nicht zustimmen wollen:

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

weil sich soziale Gerechtigkeit, immer wenn es konkret wird, für Sie zu einem nicht zu übersetzenden Fremdwort entwickelt.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wir werden darüber aufklären, wer Antworten für die 80er Jahre hat und wer nur Etikettenschwindel betreibt.
Der CDU/CSU gelingt es im Moment glänzend, darüber hinwegzutäuschen, daß sie keine Antworten hat, durch die gesellschaftliche Wirklichkeit gestaltet und der soziale Frieden erhalten werden kann. Damit will ich eigene konzeptionelle Mängel nicht wegretuschieren. Aber die Wähler, die den geistigideologischen Bereich der CDU betreten und meinen, sie seien auf dem Weg in ein gut ausgestattetes Einfamilienhaus, müssen, wenn sie das Innere dieses Gebäudes betreten, erkennen, daß sie sich in einer Bauruine befinden.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Wir, meine Damen und Herren, müssen die Menschen davor warnen, daß sie sich in neokonservativen Anlageformen engagieren.

(Beifall bei der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

Diese Menschen könnten sonst die Erfahrung machen, die einige von uns mit nicht ganz seriösen Kapitalanlagegesellschaften machen mußten. Diese Erfahrungen können wir vielleicht auch bei Ihnen sammeln. Das ist niemandem zu gönnen.
Ich weiß nicht, was Ihre Aufregung soll. Sie kennen doch eigentlich nur das Spiel „6 aus 49". Bei diesem Lottospiel dürfen alle einsetzen, aber nur wenige gewinnen. Die meisten zahlen. So ist das bei Ihnen. — Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911200200
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Kreile.

Dr. Reinhold Kreile (CSU):
Rede ID: ID0911200300
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin ein wenig erstaunt.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die Ballonmütze ist wieder modern!)

Nachdem ich diese Rede gehört habe, habe ich fast
den Eindruck, als wenn die SPD 13 Jahre nicht regiert hätte. Sie klagt nämlich ständig Steuergesetze



Dr. Kreile
an, die sie selbst gemacht hat. Es ist also schwer verständlich, was Sie hier vorgetragen haben. Es ist genauso schwer verständlich wie das Einkommensteueränderungsgesetz 1983, das eine sehr blasse Bezeichnung trägt. Aber natürlich ist dieses Einkommensteueränderungsgesetz wieder das, was alle Steueränderungsgesetze in den letzten Jahren nahezu kontinuierlich waren, nämlich ein Steuererhöhungsgesetz.
Was haben wir denn von dieser Bundesregierung, von dieser Regierungskoalition in den eindreiviertel Jahren dieser 9. Legislaturperiode an Steuergesetzen bisher vorgelegt bekommen? Ausschließlich Steuererhöhungsgesetze! Durch das Mineralöl- und Branntweinsteuer-Änderungsgesetz vom März 1981 wurden diese Steuern ganz kräftig erhöht. Das Subventionsabbaugesetz vom 26. Juni 1981 war im steuerlichen Teil wiederum ein reines Steuererhöhungsgesetz. Das Verbrauchsteueränderungsgesetz, das dann im Dezember 1981 kam, war wieder ein Steuererhöhungsgesetz. Auch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. Dezember 1981 war in dem uns interessierenden Teil ausschließlich ein Steuererhöhungsgesetz.
Die Steuer- und Abgabenerhöhungen der beiden ersten Jahre der Legislaturperiode betragen, auf das Jahr umgerechnet, 16 Milliarden DM. Nun sollen im Einkommensteuerbereich durch das vorliegende Steueränderungsgesetz insgesamt 2 Milliarden DM hinzukommen. Dann kommen noch im Sozialversicherungsbereich durch die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge weitere 3 Milliarden DM dazu.
Angesichts dieser Steuer- und Abgabenerhöhungen, die gleichsam am laufenden Band produziert werden, muß doch immer drängender die Frage gestellt werden, ob dies eine richtige Politik ist, ob sie geeignet ist, die explodierende Staatsverschuldung, die quälend ansteigende Arbeitslosigkeit und die als Ursache und Wirkung von beiden anhaltende und sich immer mehr vertiefende Wachstumsschwäche der Wirtschaft zu bekämpfen. Um die Antwort ganz deutlich zu geben: Dies ist nicht der Fall.
Seit zwölf Jahren erleben wir in rascher Abfolge Steuererhöhungen der verschiedensten Art, seit 1975 von gelegentlichen Steuerentlastungen begleitet, die von der SPD bekämpft und von der CDU/ CSU erzwungen wurden. Als heimliche Steuererhöhungen kommen bei der Einkommensteuer und Lohnsteuer jedes Jahr noch weitere 5 bis 6 Milliarden DM als Folge des Zusammenwirkens von Inflation und Steuerprogression hinzu.
Bei der Unternehmensbesteuerung wirkt sich der im internationalen Vergleich einmalig hohe Anteil an ertragsunabhängigen Steuern wie der Gewerbesteuer und der Vermögensteuer in einer Rezessionsphase mit drastischem Gewinnverfall besonders bedrohlich aus. Dieser Konstruktionsfehler unseres Steuersystems kostet uns derzeit Investitionsmöglichkeiten und damit Arbeitsplätze.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn man all dies zusammenfügt, dann kann man feststellen, daß die direkten Steuern total ausgereizt sind.
An die Adresse des Bundesfinanzministers sei gesagt, er sollte seine finanzpolitische Kompetenz nicht dadurch unter Beweis stellen wollen, daß er immer auf die Steuerquote von 24 % pocht. Diese 24 % sind eine theoretische Zahl aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, aber ohne praktischen Aussagewert für die Steuerbelastung des einzelnen. Was allein zählt, ist doch die Tatsache, daß z. B. dem Arbeitnehmer von jeder zusätzlich verdienten Mark rund 60 Pf für Steuern und Sozialabgaben abgenommen werden und nur 40 Pf in seiner Tasche bleiben. Das zählt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Spöri [SPD]: Das ist doch eine andere Betrachtung!)

Ein solches Abgabensystem ist nicht in Ordnung. Man darf sich nicht wundern, wenn so viele in die Schattenwirtschaft ausweichen und manche andere es sich im sozialen Netz bequem machen.
Aber auch bei den indirekten Steuern hat die Regierung geholt, was zu holen war. Sie hätte noch mehr geholt, wenn die CDU/CSU geplante Mehrwertsteuererhöhungen nicht mehrmals verhindert hätte. Erhöht wurde die Tabaksteuer; es wurde die Branntweinsteuer erhöht. Rigoros verschärft wurde die Mineralölsteuer, 1972 und 1973 um 9 Pfennig pro Liter Benzin und ab 1. April 1981 nochmals um 7 Pfennig, also in der Zeit dieser Regierungskoalition um 16 Pfennig je Liter. Die SPD/FDP-Koalition ist allerdings die Einlösung einer Zusage schuldig geblieben, die schon 1969 von ihr gegeben wurde, nämlich die Kilometerpauschale dann angesichts dieser Mineralölsteuerbelastung und der Erhöhung der Mineralölsteuer zu erhöhen. Dies ist nicht nur ein Wortbruch, es entspricht auch nicht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, wenn die Kosten für notwendige Benutzung eines Kraftfahrzeugs steuerlich nicht als Unkosten anerkannt werden.
Mit einem Wort: Auch die Verbrauchsteuern hat diese Regierung bereits überstrapaziert. Es gilt deswegen das, was die Union in den letzten Monaten bereits immer wieder zu sagen gezwungen war: Steuererhöhungen sind derzeit Gift und werden von uns abgelehnt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der SPD: Nur für die hohen Einkommen wird das abgelehnt!)

Das gilt insbesondere auch für dieses Einkommensteueränderungsgesetz 1983, und zwar aus folgenden Gründen. Die gestrige Generaldebatte zur Lage der Nation, die auch eine Debatte über die desolate Lage des Haushalts geworden ist,

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

hat gezeigt, daß sich die SPD in weitere Steuererhöhungen flüchten will.

(Zuruf von der SPD: Steuergerechtigkeit!)




Dr. Kreile
Die Ergänzungsabgabe, im Klartext also die Erhöhung der Einkommensteuer, ist von ihr erneut gefordert worden.

(Gobrecht [SPD]: Und von Herrn Albrecht unterstützt!)

Die FDP zeigt hier begrüßenswerterweise Ablehnung und Reserve. Aber hat sie denn nicht gesehen, daß bereits die Kappung des Ehegattensplittings, die sie bei diesem Einkommensteueränderungsgesetz 1983 mit vorschlägt, genau der Einstieg in die Ergänzungsabgabe ist?

(Huonker [SPD]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Die von der Kappung betroffenen Ehepaare und Familien sollen als erste eine partielle Ergänzungsabgabe zahlen.

(Zuruf von der SPD: Na und?)

Die Politik dieser Bundesregierung hat in Verfolg eines Beschlusses eines früheren SPD-Parteitages bisher versucht, die Belastungsfähigkeit der Wirtschaft zu erproben,

(Widerspruch des Abg. Gobrecht [SPD]) und zwar mit katastrophalem Ergebnis.


(Zuruf von der SPD: Quatsch!)

Jetzt soll nunmehr offenbar auch die Belastungsfähigkeit der Familie erprobt werden,

(Lachen bei der SPD)

und zwar mit dem Ziel der Nivellierung. Hat denn die FDP, als sie dem zustimmte, nicht die Worte ihres Parteivorsitzenden Genscher bedacht, die er gestern hier so deutlich ausgesprochen hat: daß leere Kassen nicht die Stunde der Nivellierung sind?

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Der Bundeskanzler hat zur Rechtfertigung dieser Kappung des Ehegattensplittings in der letzten Zeit gerade von diesem Ort aus so manch Drohendes gesagt, das mehr von Ideologie als von steuerrechtlichen Fakten geprägt war.

(Zuruf von der SPD: Sind Sie auch davon betroffen?)

Die Freien Demokraten und die Sozialdemokraten werden bei der Diskussion im Finanzausschuß sicherlich bemerken, daß ihr Gesetzentwurf nicht nur familienfeindlich ist,

(Zuruf von der SPD: Wieviel Arbeitnehmer verdienen denn über 100 000 DM?)

nicht nur die Familien benachteiligt, bei denen die Mutter die Aufgabe darin sieht, sich unter Verzicht auf eigene Erwerbstätigkeit um die Kinder zu kümmern, ihren Beruf also in der Erziehung ihrer Kinder sieht.

(Zurufe von der SPD)

Die bisherigen Koalitionspartner werden vielmehr
sehen, daß die von ihr vorgeschlagene Kappung des
Splittings ausgesprochen arbeitnehmerfeindlich ist.

(Zuruf von der SPD: Wie viele Arbeitnehmer verdienen denn über 100 000 DM? — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich möchte hier im Plenum des Bundestages gern zwei Beispiele bringen, damit nicht alles in der Abgeschiedenheit des Finanzausschusses bleibt. Nehmen wir also zwei Beispiele.
Bei der Familie A — ich könnte auch sagen: der Familie Meier —

(Heiterkeit — Zurufe: Matthäus-Maier!)

mit drei Kindern wird das Familieneinkommen von 120 000 DM jährlich vom Ehemann allein erzielt.

(Huonker [SPD]: Das ist ein Facharbeiter! — Dr. Spöri [SPD]: Normalverbraucher! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Ich habe gedacht, wir reden hier über eine steuersystematische Frage, und deswegen bringe ich dieses Sie relativ quälende Beispiel — Sie kennen es offenbar — jetzt in Ausführlichkeit.

(Zurufe von der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911200400
Herr Abgeordneter Dr. Kreile, ich darf Sie unterbrechen. — Ich bitte, die Zwischenrufe nicht in der Häufigkeit erfolgen zu lassen. Diese Zwischenrufe müssen dann als Störung angesehen werden. Zwischenrufe sollen aber den Sinn haben, daß der Redner darauf auch eingehen kann. Deshalb bitte gezielte und nicht so häufige Zwischenrufe.

(Unruhe bei der SPD)


Dr. Reinhold Kreile (CSU):
Rede ID: ID0911200500
Damit ich den Unmut, der sich auf seiten der SPD hier durch die Vielzahl der Zwischenrufe äußert, ein wenig kanalisieren kann, darf ich jetzt die zwei Beispiele bringen.
Die Familie A mit, wie ich gesagt habe, drei Kindern hat ein Familieneinkommen von 120 000 DM, das der Ehemann allein erzielt. Statt wie bisher 40 030 DM Einkommensteuer zu zahlen, muß er auf Grund der Kappung des Splittings 42 300 DM zahlen. Die Kappung des Splitting-Effekts belastet die Familie also im Jahr mit 2 300 DM.
Bei der Familie B, sagen wir: der Familie Schmidt, ohne Kinder, wird ebenfalls ein Familieneinkommen von 120 000 DM erzielt. Aber zu diesem Familieneinkommen trägt der Ehemann 115 000 DM und die Ehefrau 5 000 DM bei. In diesem Fall, in dem das Familieneinkommen wieder 120 000 DM beträgt, zahlt die Familie nach wie vor 40 030 DM Einkommensteuer.

(Haase [Kassel] [CDU/CSU]: Das ist Sozialismus!)

Es kommt in diesem Falle nicht zu einer Steuererhöhung.
Das heißt, bei einer nur um 5% bis 10 % verschobenen Zusammensetzung des Familieneinkommens, greift diese Kappungsmaßnahme nicht, und die Höherbelastung der Familie wird vermieden.



Dr. Kreile
Um es vorweg zu sagen — wir werden es im Finanzausschuß sehen—: Bei dem Gesetzentwurf, so wie er vorgelegt worden ist, ist das eine Konsequenz, die durch keinerlei gesetzgeberische Maßnahmen beseitigt werden kann. Sie, die Sie diesen Gesetzentwurf vorgelegt haben, werden darlegen müssen, wieso Sie es für gerecht halten, daß ein Familieneinkommen von 120 000 DM einmal um 2 300 DM höher besteuert wird als in einem anderen Fall.
Die höchst bedenklichen Folgen dieses Gesetzentwurfs, wenn er Gesetzeskraft erlangen sollte — was allerdings nicht geschehen wird —, werden sein:
Erstens. In allen Fällen dieser Art, die Sie greifen wollen, wird eine Tendenz hin zu der völlig legalen Umgehung dieser von Ihnen geplanten Maßnahme durch eine Verlagerung der Einkommen entstehen. Dies gilt auch für Arbeitnehmer — in dieser Größenordnung; Sie können dann bei ihren Einkünften aus Kapitalvermögen ohne weiteres eine Verlagerung durch Schenkung an die Ehefrau bzw. Schenkung an den Ehemann vornehmen. Das werden Sie durch keine gesetzgeberische Maßnahme unterlaufen können. Und das halten Sie dann für gerecht?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zweitens. Dann wird es einen stärkeren Trend zur Doppelverdienerehe geben; denn diese Kappung des Splitting wäre ein zusätzlicher Anreiz für den bisher nicht erwerbstätigen Ehegatten, eine Berufstätigkeit aufzunehmen. Damit würde arbeitsmarktpolitisch genau das Gegenteil von dem bewirkt, was derzeit erreicht werden soll.
Drittens. Genau wegen dieser Reaktion wird das, was Sie sich davon erwarten, nicht stattfinden, nämlich Steuermehreinnahmen von 300 Millionen DM. Ein Gesetzentwurf, der entgegen seiner Zielsetzung nur einen ganz kleinen Teil von Personen trifft, kann keineswegs als gerecht, sondern nur als schlecht konzipiert bezeichnet werden.
Dazu kommt eine ganz beträchtliche Komplizierung des Steuerrechts und des Steuerverfahrens, die weder der Finanzverwaltung noch dem Steuerzahler zugemutet werden kann.
Hält man sich all dies vor Augen und hält man sich vor Augen, daß nach der Ausrechnung des Bundesfinanzministeriums — selbst wenn alle diese Möglichkeiten nicht ergriffen würden, selbst wenn also Ihr Gesetzentwurf wirklich greifen würde — dies dann für den Bundeshaushalt nur 100 Millionen DM erbrächte, dann muß man fragen: Warum nimmt man diese ganzen Nachteile des Gesetzentwurfes in Kauf? Die Antwort ist doch ganz eindeutig: Den Befürwortern der Maßnahme geht es nicht um den fiskalisch geringen Ertrag, sondern einzig darum, einen entscheidenden Einbruch in das bisherige System der Familienbesteuerung zu erzielen. Mit dem Fuß in der Tür hofft man, in weiteren schnell folgenden Schritten offenbar Milliardensummen für Umverteilungsträume locker zu machen. Die einen wollen umverteilen, die anderen wollen damit Haushaltslöcher stopfen.
Die Union ist deswegen entschlossen, diesen systemwidrigen, familien- und leistungsfeindlichen und zudem verfassungsrechtlich äußerst bedenklichen Einbruch in die Familie unmöglich zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ob die FDP bei ihrer Zustimmung zu dem Koalitionskompromiß zum Haushalt 1983 diese ablehnende Haltung der Union bereits mit ins Kalkül einbezogen hat,

(Zuruf von der SPD: Unerhört, Herr Kreile!)

soll nur als Frage im Raum bleiben. Auf jeden Fall ist es aber ein überaus fauler Kompromiß gewesen, den Einstieg in die Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen mit einer Zustimmung zur Verschärfung der Einkommensteuer speziell für die Familien zu erkaufen.
Man nennt dies — und das hat der Vertreter der SPD vorhin so beredt getan — wohl „Ausgewogenheit". Die „Süddeutsche Zeitung" hat dies zu Recht als „ausgewogenen Unfug" bezeichnet.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Dr. Barbier hat in der „Süddeutschen Zeitung" den Nagel auf den Kopf getroffen, als er dazu erklärte: „Kompensatorischer Unfug — nochmals: kompensatorischer Unfug! — wie die Kappung des Ehegattensplittings und die Einführung eines höheren Privatanteils bei Dienstautos mag einen dumpf empfundenen Bedarf an Ausgewogenheit decken. Mit intellektueller Wirtschaftspolitik im Sinne einer Investitionsperspektive hat dies aber nichts zu tun."

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies gilt auch für den geplanten Eingriff in die betriebliche Altersversorgung. Durch die Erhöhung der pauschalen Steuersätze für Arbeitgeberleistungen bei Direktversicherungen und Pensionskassen um 50 % — die Erhöhung von 10 % auf 15 % ist nämlich eine Erhöhung um die Hälfte — werden den Unternehmern Investitionsmittel entzogen, um diese dann über die öffentlichen Kassen und über die teure Staatsbürokratie reichlich geschmälert in den weiter expandierenden Staatsverbrauch fließen zu lassen; an Stelle von Einsparungen kommt es also zu einer erneuten Erhöhung der Unternehmensbesteuerung zu Lasten der privaten Investitionen und der Arbeitsplätze. Es ist stets das gleiche falsche Rezept, mit welchem die Krise hier immer weiter verschärft wird.
Der pauschale Steuersatz von 10 % ist im Jahr 1975 als Anreiz geschaffen worden, damit auch die Arbeitnehmer von Klein- und Mittelbetrieben ähnlich von jenen in Großunternehmen und im öffentlichen Dienst eine angemessene betriebliche Altersversorgung erhalten können. Wer von denen, die seinerzeit hier gewesen sind, erinnerte sich nicht, wie insbesondere die seinerzeitige Vorsitzende des Finanzausschusses, Frau Funcke, diese 10% als ihre höchstpersönliche Leistung, als ihren höchstpersönlichen Beitrag zu einer Politik für den Mittelstand dargestellt hat? Sie hat recht gehabt. Aber es ist völlig unbegreiflich, daß nun diese Leistung auf einmal in dieser Weise verschlechtert werden soll. Denn wenn man erkannt hat, daß die kleinen und mittleren Unternehmen, um die es hier geht, das Rückgrat



Dr. Kreile
unserer Wirtschaft sind, wie dies der FDP-Vorsitzende Genscher stets zutreffend und auch gestern hier formuliert hat, dann ist eine solch massive Steuererhöhung um 50 % nichts anderes als ein Tritt in eben jenes Rückgrat.

(Dr. Spöri [SPD]: Weiter unten!) — Das mag Ihre Bemerkung dazu sein.

Wie die Wirtschaft auf diesen erneuten Schlag gegen die betriebliche Altersversorgung — der erste Schlag war die Verschlechterung der Bildung von Rückstellungen für die Pensionsverpflichtungen durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz — reagieren und ihn abfangen wird und muß, hat einer der wirklichen Sachkenner der betrieblichen Altersversorgung, der auch von der Bundesregierung stets gehört wird, kürzlich in der FAZ drastisch dargestellt: Die Direktversicherungen und die Zuwendungen an Pensionskassen werden in einer Weise zurückgehen, daß die erwarteten Steuermehreinnahmen nicht zustande kommen werden. Professor Dr. Heubeck spricht hier von einem „Eigentor für die Staatsfinanzen". Das Ergebnis wird einerseits eine Benachteiligung der Arbeitnehmer sein, weil nämlich keine Direktversicherungen mehr bezahlt werden können, und andererseits werden keine steuerlichen Mehreinnahmen erzielt. Das nenne dann einer „stocksolide" Steuerpolitik!
Alles andere als solide ist auch die Kürzung der Vorsorgepauschale für nicht sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, vor allem für die Beamten. Hier wird doch nichts anderes getan, als eine Maßnahme wieder rückgängig zu machen, die zu den ganz wenigen erfolgreichen Schritten der Steuervereinfachung im letzten Jahrzehnt zählt. Es ist überhaupt kein Argument neu hinzugekommen. Es gab keine Entwicklung, die nicht bereits seinerzeit erwartet wurde, als wir 1975 dieses Gesetz so verabschiedeten. Jetzt wird nichts anderes getan als der Versuch, eine im wesentlichen zur Steuervereinfachung dienende Maßnahme rückgängig zu machen.
Wenn die Änderung käme, was nicht der Fall sein wird, führte dies zu einer unvorstellbar großen Komplizierung und Bürokratisierung des gesamten Lohnsteuerverfahrens. Arbeitnehmer und Steuerverwaltung würden wiederum mit erheblichen Kosten belastet. Dabei stünden auch hier Verwaltungsmehraufwand und erzielbare Mehreinnahmen in einem ganz krassen Mißverhältnis.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in seiner Vorlage Mehreinnahmen in Höhe von 600 Millionen DM genannt. Aber bereits in den nächsten Jahren sinken diese 600 Millionen DM auf Null. Warum? Das ist ganz klar: weil künftig die Vorsorgepauschale von den Beamten natürlich, soweit es irgend geht, ausgeglichen werden wird.
Das heißt, die ganze Kappung der Vorsorgepauschaleregelung ist nichts anderes als ein Schlag ins Wasser. Es ist nichts anderes als der Versuch, zu behaupten, auf diese Weise könnte man 600 Millionen DM Mehreinnahmen in einem Rechnungsjahr erzielen. Aber das ist nach Ihrer eigenen Berechnung im dritten und vierten Rechnungsjahr schon nicht mehr der Fall.
Die Bundesländer, die auch in dieser Beziehung die Steuerverwaltung durchzuführen haben und wissen, wie das geht, haben sehr frühzeitig davor gewarnt und haben nicht zu Unrecht gesagt: Hier droht ein Schildbürgerstreich, der nichts anderes bringt als Arbeit, aber kein Geld.
Die Bundesregierung hat es als richtig angesehen, zwei weitere steuerliche Maßnahmen in dieses Gesetz hineinzupacken, die eine besonders schwierige Materie betreffen, nämlich den Ausschluß des Ausgleichs bestimmter ausländischer Verluste sowie die Frage der Rückstellung wegen Rechtsverletzungen. In beiden Fällen bedarf es einer sorgfältigen Prüfung. Im Falle der Rückstellung für Patentverletzungen ist auch die Frage zu prüfen, ob die Reduzierung der Rückstellungsmöglichkeit überhaupt mit der derzeit ebenfalls vorgelegten Transformierung des EG-Bilanzrechts durch das Bilanzrichtlinie-Gesetz in Übereinstimmung zu bringen ist. Hier sind große Zweifel angebracht. Diese Zweifel könnten nur durch eine gründliche Beratung ausgeräumt werden. Ich frage mich, ob dazu bei der Behandlung dieses Gesetzes Zeit sein wird.
Außerdem ist es bei dieser Frage, die das Bilanzrecht betrifft, außerordentlich bedenklich, wenn der Gesetzgeber auf diese Weise eine seit einem Jahrzehnt bestehende Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs korrigieren will.
Es wird doch hier nichts anderes getan, als eine Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs — das erste Urteil in dieser Frage war 1971, das zweite, das bestätigende 1981 — durch den Gesetzgeber allein aus Haushaltsgründen zu desavouieren.
Deswegen wäre die Bundesregierung gut beraten gewesen, diese beiden Maßnahmen in ein steuerliches Sammelgesetz aufzunehmen, auf welches die Steuerverwaltung und die Steuerpflichtigen schon längere Zeit, allerdings vergebens, warten. Aber die sachbezogene Gesetzesarbeit muß hier offenbar hinter der ideologieträchtigen und auf Steuermehreinnahmen und Steuererhöhungen bedachten Gesetzesarbeit zur Stopfung von Haushaltslöchern zurückbleiben.

(Huonker [SPD]: Wieviel Steuermehreinnahmen sind im Haushaltsgesetz eingeplant?)

— Herr Parlamentarischer Staatssekretär, die Frage nach den Steuermehreinnahmen durch die Versagung der Rückstellungen und durch den Ausschluß von Auslandsverlusten ist eine, die an Sie von Amts wegen zu stellen war und die Sie dahin gehend beantwortet haben, daß Sie sie nicht beantworten können.
Ist das eine Vorlage eines Gesetzes, wenn man sagt: Hier müssen Löcher gestopft werden, hier müssen Umgehungsmöglichkeiten beseitigt werden, und die Bundesregierung dann auf die Frage, wie hoch der Steuerausfall durch diese Umgehungsmöglichkeiten ist, sagt: Ich weiß das nicht? Wissen Sie



Dr. Kreile
überhaupt, daß hier Steuerumgehungen vorgenommen werden?

(Huonker [SPD]: Sie sprechen immer von Steuererhöhungen!)

— Ich wäre gerne damit einverstanden gewesen, wegen einer solchen Maßnahme in eine gründliche Sachdebatte mit Ihnen einzutreten; denn ich bin wie Sie und wie wohl wir alle hier der Auffassung, daß es nicht angeht, daß steuerliche Schlupflöcher aufgetan, unsinnige Steuerumgehungsmöglichkeiten in Deutschland praktiziert werden. Bloß: Diese Gesetze haben doch nicht wir gemacht. Diese Gesetze hat doch die SPD/FDP-Bundesregierung gemacht. Sie kennen das Problem doch seit langen Jahren. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Huonker, als der Vorvorvorgänger von Ihnen das Thema im Jahre 1970 hier an dieser Stelle zum erstenmal aufgegriffen hat, habe auch ich im Namen meiner Fraktion erklärt: Wir sind gern bereit, hier mitzuwirken. Sie waren jedoch unfähig, überhaupt einen Gesetzentwurf vorzulegen. Erst im vorvergangenen Jahr ist diese Änderung des § 15a Einkommensteuergesetz, die wir begleitet haben, gekommen. Hier müssen Sie sich selbst überlegen, was Sie getan haben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD — Huonker [SPD]: Lieber jetzt als nie — Beifall bei der FDP)

Wir werden diesen Entwurf des Einkommensteueränderungsgesetzes 1983, diesen Steuererhöhungsentwurf, im Finanzausschuß eingehend prüfen. Wir werden eine Anhörung der Verbände durchführen. Wir sind überzeugt, daß die Öffentlichkeit, die Steuerzahler und auch die Finanzverwaltung selbst unsere ablehnende Haltung zu diesem Gesetz teilen werden. Es ist zu hoffen, daß dieses Steuerpaket das Ende einer langen Kette fehlerhafter, verhängnisvoller steuerpolitischer Entscheidungen ist. Was not tut ist nicht eine Verlängerung dieser Kette, sondern eine Wende.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Dies gilt auch und vornehmlich für die Steuerpolitik. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911200600
Das Wort hat Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID0911200700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kreile, lassen Sie mich versuchen, es liebenswürdig, aber dennoch bestimmt zu sagen: Ihre Rede zeigt, daß etwas Falsches auch dadurch nicht richtig wird, daß man es immer wiederholt.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Franke [CDU/CSU]: Hoffentlich gelingt Ihnen beides!)

Das betrifft Ihre Vorwürfe zur Steuererhöhung.

(Sehr wahr! bei der SPD)

Sie wissen — sie haben es dankenswerterweise selbst gesagt —, diese Regierung und ihre Vorgängerinnen haben sich vorgenommen, die Gesamtsteuerbelastung des Bürgers über die Jahre nicht ansteigen zu lassen. Das ist ihnen auch gelungen. Ich finde zwar, daß die Steuerquote nicht unbedingt ein angemessenes Mittel ist — das gilt im übrigen für alle Quoten —, das festzustellen. Nur muß man doch festhalten: Als im Laufe der Jahre die Gefahr bestand, daß die Steuerquote möglicherweise einmal um 0,3 oder 0,5 % über der des vorhergehenden Jahres liegen würde, waren Sie es, die das Kriterium „Steuerquote" immer zum Vergleich heranzogen. Nun haben auch Sie gemerkt — alle haben es Ihnen vorgerechnet —, daß die Steuerquote in den letzten 30 Jahren nicht nur nicht angestiegen ist, sondern daß sie, wenn Sie die Umstellung der Kindergeldauszahlung hinzurechnen, sogar leicht abgesunken ist. In dem Moment fällt Ihnen ein, daß sich mit dem Begriff „Steuerquote" schlecht argumentieren läßt.

(Beifall bei der FDP)

Sie wissen ganz genau: Wir sind keine „Steuererhöhungskoalition", wie Sie es formuliert haben. Wir haben dafür gesorgt, daß die Steuern in regelmäßigen Abständen abgesenkt worden sind.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Eines ist richtig: Die Verteilung innerhalb des Steueraufkommens zwischen den direkten Steuern einerseits und den indirekten Steuern andererseits gefällt uns nicht; die gefällt uns ebensowenig, wie sie Ihnen gefällt. Leider ist der Anteil der direkten Steuern, also insbesondere der Lohn- und Einkommensteuer, in den letzten Jahrzehnten angestiegen. Aber warum haben Sie uns denn beim letzten Gesetz vor der Sommerpause an dem gehindert, was wir vorgeschlagen hatten, nämlich schon jetzt eine umfangreiche Senkung der Lohn- und Einkommensteuer bei gleichzeitiger Anhebung der Mehrwertsteuer für das Jahr 1984 zu vereinbaren?

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Dies hätte genau zu diesem Ziel geführt. Ich kann Sie nur darauf aufmerksam machen und an Sie appellieren: Unterstützen Sie uns bei diesem Vorhaben, das wir nach wie vor haben,

(Dr. Langner [CDU/CSU]: Aber nicht Kasse gegen Hoffnung!)

nämlich im Laufe des kommenden Jahres Senkungen bei der Lohn- und Einkommensteuer vorzunehmen und dies dadurch zu bezahlen, daß wir zugleich die indirekten Steuern — hier in erster Linie die Mehrwertsteuer — anheben.
Aber, Herr Kreile, wenn man dies weiß und wenn man — das ist die Meinung meiner Fraktion und dieser Koalition — in einer Situation der knappen Kassen nicht den bequemen Weg über Steuersatzanhebungen gehen will, dann muß man natürlich auch im Steuerrecht Schlupflöcher stopfen, Umgehungsmöglichkeiten beseitigen und Reformen, die schon aus anderen Gründen notwendig wären, bei leeren Kassen durchzusetzen versuchen. Sie können doch wohl nicht in diesem Sozialbereich oder bei den Transferleistungen eine Änderung fordern, weil es dort Mißbrauchs- und Umgehungsmöglichkeiten gibt, aber



Frau Matthäus-Maier
das Steuerrecht von vornherein von solcher Argumentation ausnehmen.

(Beifall bei der FPD und der SPD)

Ich halte die fünf Punkte, die dieses Steueränderungsgesetz bzw. die entsprechende Änderung der Einkommensteuerrichtlinien enthält, für wichtige Punkte. Ich bin der Ansicht, daß leere Kassen nicht nur keine Katastrophe darstellen, weil man dann Gesetze ändern muß, sondern daß sie auch die Chance bieten, überfällige Reformen durchzusetzen und Ärgerlichkeiten abzubauen, zu denen man bei vollen Kassen nicht den politischen Mut hat.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Dazu gehören überwiegend diese fünf Punkte, insbesondere Punkt 1: Ausschluß des Ausgleichs bestimmter ausländischer Verluste. Verluste aus Vermietung und Verpachtung von ausländischem Grundbesitz, aus Land- und Forstwirtschaft sowie Verluste aus ausländischer gewerblicher Tätigkeit, die nicht produktiv im Sinne des § 5 des Auslandsinvestitionsgesetzes ist, sollen nicht mehr steuermindernd mit positiven Einkünften im Inland verrechnet werden können.
Was heißt dieses Steuerchinesisch auf deutsch? Seit Jahren bekommen wir — um nur ein Beispiel zu nennen — von engagierten Bürgern Eingaben, in denen sie uns fragen: Wieso ist der Landkauf von Deutschen in Paraguay steuerlich begünstigt, ein Landkauf, der in vielen Fällen dazu führt, daß die einheimische Urbevölkerung, die Indios, dann vertrieben wird?

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Seit Jahren finden wir das nicht gut. Jetzt nutzen wir knappe Kassen dazu, dies zu korrigieren. Das halte ich für richtig.
Aus der Bevölkerung kommt öfter der Vorwurf: Warum habt ihr all das nicht schon früher getan? Ich möchte einmal aufzählen, was wir in diesem Bereich schon gemacht haben: Seit 1980 sind Verlustzuweisungsmöglichkeiten, die durch Beteiligung an sogenannten Abschreibunsgesellschaften bestanden, bereits erheblich eingeschränkt worden. Folgende Maßnahmen wurden verwirklicht:
1. Die Einschränkung des negativen Kapitalkontos.
2. Die Begrenzung der degressiven Abschreibung gemäß § 7 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes auf inländische Gebäude.
3. Die Beschränkung der Berücksichtigung ausländischer Verluste gemäß § 2 des Auslandsinvestitionsgesetzes auf sogenannte berücksichtigungswürdige gewerbliche Aktivitäten, z. B. Ausschluß des Tourismus.
4. Die einkommensteuerliche Begrenzung von Bauherren- und Erwerbermodellen im Erlaßwege.
5. Das Auslaufen der Mehrwertsteueroption bei Bauherrenmodellen zum 31. Dezember 1984.
In diesem Zusammenhang taucht die Frage auf: Warum habt ihr das, was ihr jetzt macht, nicht schon vorher getan? — Weil der Gesetzgeber gar nicht in der Lage ist — ich darf es einmal ganz konkret formulieren —, so schnell Löcher zu stopfen, wie auf der anderen Seite gut oder höchstbezahlte Steuerberater und andere Fachleute danach suchen und sie natürlich schneller finden als wir sie stopfen können. Deswegen müssen wir dafür sorgen, daß wir hinterherkommen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Meinen Sie Herrn Gattermann oder wen meinen Sie? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Punkt 2: Begrenzung der sogenannten Vorsorgepauschale für nicht rentenversicherungspflichtige Arbeitnehmer, insbesonder Beamte, auf 2 000/4 000 DM. Zum einen möchte ich darauf hinweisen, daß diese Begrenzung nicht das Vorhandensein von Kindern betrifft. Außerdem können die betroffenen Arbeitnehmer ihre tatsächlichen Vorsorgeaufwendungen — sofern sie nachgewiesen sind — im Rahmen der unveränderten Sonderausgabenhöchstbeträge beim Lohnsteuerjahresausgleich geltend machen.
Was heißt dieses Fachchinesisch auf deutsch? Es ist heute so, daß speziell Beamte — das gilt aber für alle nicht rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer — keine Beiträge zur Rentenversicherung und keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen. Die Vorsorgepauschale hat aber den Sinn, durch ihre 18 % die normalerweise anfallenden Sozialversicherungsbeiträge im vorhinein abzugelten. Wenn nun feststeht, daß diese Ausgaben bei einer bestimmten Berufsgruppe gar nicht anfallen, dann handelt es sich ohne Zweifel um ein Privileg, das man sich vielleicht bei vollen Kassen leisten kann, aber nicht bei knappen Kassen. Deswegen grenzen wir es ein. Wir schaffen es allerdings nicht ab, weil wir natürlich alle wissen, daß auch Beamte Beiträge zur Krankenversicherung zahlen.
Dritter Punkt: Erhöhung der pauschalierten Lohnsteuer für Beiträge zur Direktversicherung und Zuwendungen an Pensionskassen von 10 auf 15 %. Herr Dr. Keile, lassen Sie es mich hier kurz machen: Ich finde schon, daß man um der Redlichkeit willen wissen muß, wie man argumentiert. Es sind doch gerade — das wird der SPD-Fraktion nicht so gefallen, aber ich muß das hier einmal sagen — Selbständige und Freiberufler gewesen und entsprechend die Lebensversicherungsunternehmen, die uns gesagt haben: Das ist ein ungerechtfertigtes Privileg für Arbeitnehmer, daß sie mit einem besonderen Steuersatz solche zusätzlichen Regelungen der Altersversorgung erreichen können. Wenn wir dies nun dadurch erschweren, daß wir den Pauschsteuersatz von 10 auf 15 % anheben, dann kann das eigentlich von Ihnen nicht in der Form kritisiert werden, wie Sie es hier getan haben.
Vierter Punkt: Änderung der Einkommensteuerrichtlinien. Die bisherige Übung, daß als privater Nutzungsanteil ein Vomhundertsatz von 20 bis 25 anzusetzen ist, wird geändert. In Zukunft wird ein genereller Vomhundertsatz von 40 vorausgesetzt. Auch dies halte ich für richtig. Wir wissen doch alle aus der praktischen Alltagsarbeit, wieviel Mißbrauch in diesem Bereich herrscht, wenn auch die Finanzämter in der Vergangenheit die Zügel schon



Frau Matthäus-Maier
angezogen haben. Viele Arbeitnehmer, die diese Möglichkeit nicht haben, sind zu Recht darüber verärgert, daß wir Mißbräuche im Sozialbereich — zu Recht — abbauen, aber Mißbrauchs- und Umgehungsmöglichkeiten im steuerrechtlichen Bereich belassen. Dies abzuändern, dazu dient diese Änderung der Einkommensteuerrichtlinien.
Letzter Punkt: Begrenzung des Splitting-Vorteils. Herr Kreile, Sie wissen genausogut wie ich, daß das Splitting in seiner bisherigen Form seit vielen Jahren heftig umstritten ist, auch in Ihrer Fraktion. Ich darf darauf hinweisen, daß in dem Bericht der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft", in der auch Sie vertreten waren, ausdrücklich die Aufforderung an den Deutschen Bundestag enthalten ist, dieses Einkommensplitting unter die Lupe zu nehmen, insbesondere deswegen, weil es die sogenannten Ein-Eltern-Familien, also z. B. Witwer mit Kindern oder alleinstehende Mütter mit Kindern, sehr viel schlechter behandelt als die sogenannten vollständigen Familien. Zum anderen haben die sehr hoch Verdienenden von diesem Einkommensteuersplitting sehr viel mehr als andere, und zwar — das ist wichtig — unabhängig davon, ob in der Familie Kinder vorhanden sind oder nicht. Ich halte daher diese Form des Einstiegs in eine Reform des Ehegattensplittings für den richtigen Weg.

(Zustimmung bei der FDP und der SPD)

Herr Dr. Kreile, Sie sprechen hier nun von „Nivellierung". Nivellierung hin, Nivellierung her, es handelt sich hier um Einkommen oberhalb einer Grenze von ungefähr — das wissen Sie — 9 000 Mark im Monat. Ich finde, diese Form der „Nivellierung", die Sie hier ankreiden, kann man sich politisch durchaus leisten.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Einen Schönheitsfehler hat dieser Vorschlag in der Tat; das will ich als jemand, der sich seit Jahren bemüht, eine umfassende Reform in Gang zu setzen, gerne zugeben. Mir wäre lieber gewesen, wir hätten eine Reform des Ehegattensplittings mit einer grundsätzlichen Überprüfung des Familienlastenausgleichs verbunden,

(Zustimmung bei der FDP und der SPD)

also des Kindergeldes, des Ehegattensplittings, des Kinderbetreuungsbetrages und der Ausbildungsfreibeträge.

(Zustimmung bei der SPD)

Aber, Herr Dr. Kreile, dieses Beispiel zeigt erneut, daß wir, nachdem dies jahrelang nicht möglich war und nachdem entsprechende Äußerungen etwa von mir in Ihrer Fraktion immer sehr schnell auf den Vorwurf trafen, das sei ja blanker Sozialismus, erst knappe Kassen brauchen, um den Einstieg in bestimmte Reformmaßnahmen zu finden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Eine neue Begründung für Sozialismus!)

Ich halte diese Änderung beim Ehegattensplitting für einen entsprechenden Einstieg.

(Zustimmung bei der FDP und der SPD)

Ein Wort zu dem jetzt, wenn ich es richtig mitbekommen habe, von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten wieder vorgeschlagenen Weg von Begrenzung des Kindergeldes nach Einkommensgrenzen beim Kindergeld. Meine Damen und Herren, dies klingt nach außen sehr schön, und ich glaube, wenn es machbar wäre, hätten wir es tun sollen. Es war mein Parteivorsitzender, der trotz der Bedenken in unserer Fraktion, die er auch selber hatte, dies zweimal ins Gespräch gebracht hat. Aber alle an den Vereinbarungen Beteiligten haben gemeinsam festgestellt, daß — und dies geht jetzt an Sie, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD — dies nicht sinnvoll ist, und zwar insbesondere aus zwei Gründen: Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, keine Kinderfreibeträge zuzulassen und auch das Kindergeld oberhalb einer bestimmten Einkommensgrenze total zu streichen.

(Zuruf von der SPD: Nie total!)

— Sie wissen, daß es Modelle gab, für das erste Kind 45 statt 50 DM zu zahlen und für das zweite 100 statt 120 DM; und damit komme ich zum nächsten Punkt.
Wenn Sie es verfassungsrechtlich wasserdicht machen wollen, wird es so kompliziert, daß Ihnen mindestens ein Viertel bis ein Drittel dessen, was Sie an Minderausgaben haben, durch Verwaltungskosten weggefressen wird.
Ich will Ihnen ehrlich sagen, daß ich mich über Außerungen der Frau Kollegin Fuchs geärgert habe, die nach den Vereinbarungen, wo beide Partner — SPD und FDP — festgestellt haben, daß es nicht geht, wieder gesagt hat, man müsse das prüfen. Ich bitte nun wirklich darum, daß solche Überlegungen eingestellt werden, denn sie erwecken in der Bevölkerung den Eindruck, das sei ganz schön, und wir sollten das machen, nur seien wir zu faul und zu dumm dazu. Wir sind nicht zu faul und nicht zu dumm dazu! Wir wissen, daß es schlicht nicht geht, und deshalb sollte man die Diskussion auf die wirklich wichtigen Punkte lenken, nämlich auf Kinderbetreuungsbetrag, Ehegattensplitting und Überprüfung des Gesamtsystems.
Wenn sogar Herr Späth sagt, das mit den Einkommensgrenzen sei erwägenswert, ist das natürlich besonders schlitzohrig. Herr Späth verteidigt nämlich gleichzeitig den Kinderbetreuungsbetrag oder die Kinderfreibeträge und weiß sehr wohl, daß bei diesem steuerlichen Instrumentarium die Vorteile für die besser Verdienenden sehr viel größer sind als beim Kindergeld. Die Diskussion um die nicht durchführbaren Einkommensgrenzen beim Kindergeld lenkt nur von diesem Tatbestand ab. Und deswegen sollten wir sie nicht selber immer wieder beginnen.
Meine Damen und Herren, Herr Dr. Kreiles Rede hat gezeigt, daß wir noch unsicher sein müssen, ob der Bundesrat diese Vorschläge annimmt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sicher nicht!)

Bei der Opposition herrscht j a ein großes Durcheinander. Herr Strauß sagte erst: Alles ablehnen. Herr Geißler sagt: Selbstverständlich müssen wir gerade in diesem Bereich auch etwas tun. Dann sagt Herr



Frau Matthäus-Maier
Strauß, Sie hätten das Ganze noch nicht endgültig überarbeitet, und erst einmal müßten die Zahlen überprüft werden. Mit dem Gerede von den Zahlen drücken Sie sich um eine klare Stellungnahme. Sie wollen keine Wähler verprellen, und deswegen sagen Sie nicht, was Sie denken. Sie wollen weder die Wähler verprellen, die das Ehegattensplitting so wollen, noch die, die es so nicht wollen. Deswegen ist von Ihnen bis heute nichts Klares zu hören.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das gerade aus Ihrem Mund hört sich richtig komisch an!)

Daß Sie in dieser ganzen Finanzdebatte diesen Weg — Nicht-verprellen-Wollen — wählen, haben schon andere Leute festgestellt, die Ihnen sehr viel näherstehen. Im Juli hat Herr Bucerius in der „Zeit" etwas Schönes geschrieben. Unter der Überschrift „Feigheit vor dem Freunde" nimmt er Stellung zu Ihrem Verhalten in der Frage der Verschiebung der Anhebung der Beamtenbesoldung um drei Monate. Er sagt, er sei dafür gewesen, daß eine andere Regierung drankommt — nämlich Sie —, in der Hoffnung, dann würde hier mehr getan. Er sagt weiter:
Von einer CDU/CSU-Regierung erwarten sie — die Wähler —
Sparsamkeit und Gewissenhaftigkeit im Umgang mit öffentlichen Geldern. So habe auch ich gedacht — bis zur vorigen Woche. Ich verstehe die Abneigung gegen Franz-Josef Strauß, habe aber immer gesagt: Ein Finanzminister oder Kanzler Strauß hätte der Nation die nötigen Opfer zugemutet.
Und jetzt geht er auf den Gesetzentwurf ein:
Aber die Opposition hat schon beim erstenmal versagt.
Weiter:
Ja, aber wer auf das wichtigste Staatsamt hofft, muß bereit und fähig zum Streit sein. Er verstehe nicht zu entscheiden und zu führen, werfen seine Gegner Kohl vor; mit seiner Kapitulation vor den Beamten hat er ihnen recht gegeben.
Wer hier schon nachgibt und kapituliert, wie will der uns eigentlich erzählen, daß er besser sparen kann und daß er mehr konsolidieren kann als wir?

(Beifall bei der FDP und der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Sie mit Ihrer Schlitzohrigkeit!)

Herr Bucerius kennt j a nicht einmal die eigentlichen Verhältnisse. Das kann er auch nicht. Denn er liest ja nur die Zeitung. Er weiß ja nicht, was im Finanzausschuß vorgeht. Das weiß aber ich, weil ich ihm seit sechs Jahren angehöre. Und da habe ich miterlebt, daß das nicht ein einmaliger Punkt ist, sondern daß immer, wenn es darauf ankam, Steuersubventionen einzuschränken oder zu streichen, und Konsolidierungsmaßnahmen vorzunehmen, Sie sich, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, zumindest enthalten, in der Regel aber mit Nein gestimmt haben.
Und davon leben Sie im Moment. Davon leben Sie genauso wie die Grünen: von dieser Fundamentalopposition, ohne zu sagen, was Sie wollen und wo Sie konkret etwas wollen.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Langner [CDU/CSU]: Sie haben doch keine Ahnung!)

Die Grünen sind wenigstens ehrlich. Ich habe deren Programm durchgearbeitet. Unter der Überschrift „Finanz- und Wirtschaftspolitik" steht: Dieses Kapitel wird im Moment noch erarbeitet. Die Grünen haben also keine Vorschläge in diesem Bereich und geben es auch zu.
Aber Sie behaupten, Sie hätten eines. Sie behaupten, Sie würden dreimal so viel sparen wie wir. Und wenn es konkret wird, bringen Sie nicht einmal die Hälfte zustande. Kein Gesetz hat im Vermittlungsausschuß das gleiche Volumen behalten, mit dem wir es hineingeschickt haben. Es kam immer mit weniger heraus. Eines war allerdings immer sicher: Es kam nicht so sozial ausgewogen heraus, wie wir es hineingeschickt hatten.
Dazu paßt, daß Herr Strauß z. B. schon schriftlich den Privatfliegern versichert hat — das stelle man sich in dieser Situation vor! —, daß er die Mineralölsteuer für Privatflieger, die wir im 1. Subventionsabbaugesetz eingeführt haben, abschaffen wird, sobald er an der Regierung ist. Dies hängt alles zusammen.
Ich halte die soziale Ausgewogenheit für einen wichtigen Punkt, nicht nur, um dies draußen allen Bevölkerungsteilen erträglich zu machen, sondern, ich wiederhole es, weil nicht nur im Sozialbereich bei den Transferleistungen, sondern auch im Bereich der Subventionen und der Steuervergünstigungen wichtige Umgehungsmöglichkeiten und Mißbräuche vorhanden sind.
Herr Dr. Kreile, das sage ich hier: Sie sind gegen die Ergänzungsabgabe, und ich bin es, und meine Fraktion ist es, weil wir der Ansicht sind, daß man nicht den bequemen Weg über Steuererhöhungen, was die Ergänzungsabgabe j a wäre, sondern den konkreten Abbau von Einzelmaßnahmen wählen soll. Wenn Sie sich aber wie bisher weigern, soziale Ausgewogenheit in den Gesetzespaketen dadurch herzustellen, daß Sie die Schlupflöcher im Steuerrecht schließen, dann provozieren Sie die Diskussion über die Ergänzungsabgabe. Und das halte ich für schlimm.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Dr. Langner [CDU/CSU]: Haltet den Dieb!)

Der letzte Punkt an meinen Koalitionspartner. Ich gehe davon aus, daß wir das, was wir hier vereinbart haben, zusammen machen werden. Ich hoffe nach neuesten Äußerungen, daß die Probleme bei der SPD klein oder sogar verschwunden sind. Ich glaube, ein Grund für die Probleme, die wir haben, ist, daß einige in der SPD — ich weiß nicht, ob es die Mehrheit oder die Minderheit ist; jedenfalls nicht der Kanzler und der Finanzminister — nicht bereit waren, zuzugeben, daß man auf geänderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik geändert reagieren muß.



Frau Matthäus-Maier
Herr Glotz hat ein sehr bemerkenswertes Interview dazu im „Vorwärts" gegeben. Ich glaube, es ist wichtig, daß nicht nur Herr Glotz oder Herr Glombig mit seinen Äußerungen zum Sozialversicherungssystem oder Herr Rappe mit seinen Äußerungen zur nettolohnbezogenen Rente, sondern daß Sie alle zusammen draußen den Bürger von der Richtigkeit dieser Maßnahmen nur überzeugen können, wenn sich nicht der eine Partner hinter dem anderen versteckt und sagt, das sei die böse FDP, die uns das dauernd aufzwingt: wir alleine als SPD würden das j a gar nicht machen. Es trifft doch zu, was der Kanzler in seiner Fraktion zu Recht gesagt hat. Auch wenn die SPD alleine an der Regierung wäre — was Sie Gott sei Dank nicht sind —, müßten sie dies tun. Schauen Sie sich die Regierung Rau in Nordrhein-Westfalen an; die führt sehr viel einschneidendere Maßnahmen durch.

(Beifall bei der FDP)

Wenn man dem Bürger draußen sagt: Geänderte Rahmenbedingungen, insbesondere geringeres wirtschaftliches Wachstum, erfordern Anpassungen im Sozialsystem, im Subventionssystem, im Wirtschafts- und Finanzsystem insgesamt, wenn man das gemeinsam offensiv nach draußen vertritt, meine ich, haben wir gute Chancen, dem Bürger klarzumachen, daß diese Politik in Ordnung ist und daß Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, weder inhaltlich noch personell eine Alternative darstellen. — Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911200800
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911200900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir müssen Herrn Kreile für seinen Beitrag von heute morgen dankbar sein. Herr Kreile, Sie haben hier — jetzt darf ich dieses Wort ja aufgreifen — von der notwendigen Wende auch in der Steuerpolitik gesprochen. Ich habe heute morgen einen Vorgeschmack bekommen, wie diese Wende aussehen könnte. Herr Kreile, das wäre die Welt der Steuerkanzleien, die in jeder Großstadt in Deutschland mehr an hochbezahltem Sachverstand organisieren können als die kleine Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums. Warum wohl? — Wegen dieser Sportflieger, wegen dieser Abschreibungskünstler, wegen der anderen, die Gestaltungsmöglichkeiten suchen. Sagen Sie nur j a nicht, das hinge mit den Gesetzen zusammen. Steuergesetze sind noch immer auch mit Ihren Stimmen, spätestens im Bundesrat, zustandegekommen. Das ist dann die Wende, die Sie herbeiführen wollen. Die Welt, in die Sie die Steuerpolitik dann führen würden, ist nicht die des Arbeitnehmers, der seine Lohnsteuer auf Mark und Pfennig genau jede Woche und jeden Monat ehrlich über Abzugsverfahren abrechnen muß. Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Hinweise, die Sie dazu heute morgen gegeben haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Bundesregierung dankt den Koalitionsfraktionen für den Initiativantrag, der uns eine zügige
Beratung der vorgesehenen Maßnahmen ermöglicht. Nun dürfen wir allerdings — damit bin ich bei Frau Matthäus — dieses Gesetz nicht für sich betrachten. Es ist Bestandteil der haushalts- und finanzpolitischen Entscheidungen vom Juli insgesamt. Bei all diesen Entscheidungen geht es in der Tat darum, den enger gewordenen verteilungs- und finanzpolitischen Spielräumen Rechnung zu tragen. Die Bundesregierung hat dazu ein Paket von Einsparungen im Bundeshaushalt selbst, von Korrekturen bei Leistungen der Sozialversicherungen und von Abgabenumschichtungen beschlossen. Es ist unumgänglich, daß die 80er Jahre eine Anpassung der öffentlichen Haushalte und der Systeme der sozialen Sicherung erforderlich machen, wenn diese Systeme unter erschwerten Bedingungen auch künftig funktionsfähig bleiben sollen.
Es ist aber ebenso richtig, Herr Kreile, daß diese Anpassungen nur dann ohne Schaden für das Gemeinwesen erfolgen können, wenn sie in ein Konzept sozialer Ausgewogenheit eingebettet sind, damit jedermann deutlich ist, daß die Lasten der Anpassung nicht einseitig verteilt sind. Mich hat es schon interessiert, wie in den letzten Wochen und Monaten jeder Hinweis auf soziale Ausgewogenheit von vielen Vertretern Ihrer Partei mit Begriffen wie Bürokratie, Sozialismus, Neidkomplex oder ähnlichem bedacht wurde.

(Beifall bei Abg. Frau Matthäus-Maier [FDP])

Auch dies wollen wir in Erinnerung behalten für die Debatten der kommenden Monate. Mit dem Einkommensteueränderungsgesetz 1983 wird genau diese sozial ausgewogene Verteilung der Gesamtlasten angestrebt. Deshalb darf man das eben auch nicht isoliert debattieren. Ohne dieses Gesetz würde auch nach meiner Überzeugung die Kritik an den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen im Sozialbereich nicht widerlegt werden können.
Nun behauptet die CDU/CSU — zumindest in Teilen —, die Sparbeschlüsse insgesamt seien sozial unausgewogen. Sie muß dabei mit dem Widerspruch fertigwerden, der darin liegt, daß sie selber seit Jahren stärkere Einschnitte in Leistungsgesetze und Sozialausgaben fordert. Aber selbst wenn ich diesen Widerspruch einmal beiseite lasse — denn auch wir kommen an unpopulären Maßnahmen nicht vorbei —, kommt mit diesen steuerlichen Vorschlägen für Sie die Nagelprobe dafür, wieviel Ihre Bekenntnisse für stärkere soziale Ausgewogenheit der Sparbeschlüsse insgesamt eigentlich wert sind.
Mir ist jedenfalls nicht klar, wie der Oppositionsführer mit seiner Kritik an der angeblichen sozialen Unausgewogenheit der Regierungsbeschlüsse beim Deutschen Gewerkschaftsbund und bei den Arbeitnehmern tatsächlich Gefallen finden kann, wenn die Opposition und die Bundesratsmehrheit verhindern sollten, daß über die Einschränkung von Steuervorteilen auch die Höher- und die Höchstverdiener an den Lasten in volkswirtschaftlich vertretbaren Grenzen beteiligt werden.



Bundesminister Lahnstein
Da hilft auch nicht die ausweichende Argumentation derer — sehr vordergründig und für mich unakzeptabel, Herr Kreile —, die all diese Maßnahmen schlankweg als Steuererhöhungsvorschläge denunzieren. Natürlich ist auch der fiskalische Gesichtspunkt wichtig. Haushalte müssen immer auch von der Einnahmenseite her in Ordnung gehalten werden, nicht nur von der Ausgabenseite her. Aber im Kern handelt es sich hier um die Neuregelung von Tatbeständen, die nicht allen gleichermaßen offenstehen, sondern die einzelnen Gruppen Sondervorteile gewähren. Die Frage lautet, ob die Kappung oder Beseitigung dieser Sondervorteile zu rechtfertigen ist. Unsere Antwort darauf heißt ja.
Herr Kreile, Sie haben mich hier heute morgen wirklich manchmal an den seligen Herrn Poujade erinnert, indem Sie alles abgelehnt haben, etwa nach dem Motto: Am liebsten überhaupt keine Steuern! Aber dies geht schon aus verschiedenen Gründen nicht.
Ich habe mich rechtzeitig an das erinnert, was Ihr Parteivorsitzender schon lange vor der Sommerpause auf einem Kongreß in München gesagt hat: Dieser Regierung keinen Pfennig Steuern! Auch an den Satz werden wir uns zu gegebener Zeit zu erinnern haben, wenn die Diskussion in den Ausschüssen und im Bundesrat läuft. Dann ist zu fragen, welche politische Haltung sich hinter dem Satz „Dieser Regierung keinen Pfennig Steuern!" eigentlich verbirgt.
Sie haben hier die Steuerquote angezogen. Natürlich, Herr Kreile, ist sie nicht der einzige Maßstab. Aber ich sage eines zu dem, was Frau Matthäus-Maier sagte, hinzu: Der Unternehmenssektor in der Bundesrepublik Deutschland ist noch nie so niedrig besteuert worden wie in den letzten Jahren. Es geht hier nicht nur um die Steuerquote insgesamt, es geht gerade um die von Ihnen immer wieder zu Unrecht bemühte überhöhte Steuerlastquote der Wirtschaft. Der Unternehmenssektor ist noch nie so niedrig besteuert worden wie in den letzten Jahren, und zwar aus wirtschaftspolitischen Erwägungen.

(Dr. Sprung [CDU/CSU]: Warum ist die Eigenkapitalquote so niedrig?)

— Aber Herr Sprung, die Eigenkapitalquote ist doch nicht wegen der Steuerlast so niedrig. Da kommen eine Vielzahl von Faktoren zusammen. Warum ist eigentlich die Eigenkapitalquote in der unternehmerischen Wirtschaft in allen Industriestaaten seit 1965 um 50 % gesunken? Da spielen doch ganz andere Faktoren eine Rolle. Das einzige, was Sie jetzt immer anführen, weiß ich wohl; es sind die ertragsunabhängigen Steuern.
Nun: Wir haben im Grundgesetz einen Art. 106. Wir haben Kommunen, die auch in Zeiten der Flaute Infrastruktur vorhalten müssen, gerade im Interesse der dort angesiedelten Unternehmen. Wir haben unseren Finanzwissenschaftlichen Beirat an die Arbeit gesetzt. Er hat Arbeitsergebnisse vorgelegt. Diese werden wir auch mit Ihnen diskutieren. Dann werden wir sehen, ob Sie diese etwas weiterreichenden Vorstellungen mit uns zumindest mit Sympathie und Verständnis besprechen wollen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Sie, Herr Kreile, haben die Pensionsrückstellungen angesprochen. Wissen Sie, was mir in dem Zusammenhang derzeit am meisten Sorgen macht? Wie ich mit den Hunderten von Millionen Steuermindereinnahmen fertigwerden soll, die die unbedienten und ungedeckten Pensionsverpflichtungen nur eines einzigen Großunternehmens in der Bundesrepublik Deutschland mir in die Kasse reißen.

(Beifall bei der SPD)

Dann haben Sie von Schlupflöchern gesprochen, die die Steuergesetzgebung in der Tat lasse. Und man dürfe das niemandem übelnehmen, denn das sei völlig legal. Wir haben die Schlupflöcher einmal ausgerechnet. Ich habe das vielleicht verkürzt wiedergegeben, was allerdings nicht beabsichtigt war. Wir haben die Schlupflöcher ausgerechnet, die sich allein dadurch ergeben, daß die an sich notwendige und gerechtfertigte Besteuerung von Erträgen, Zinsen und Kapitalerträgen nicht so vorgenommen wird, wie es eigentlich sein müßte. Das sind Minderbeträge, da kommt der größte Optimist oder Pessimist — wie Sie wollen — auf nicht unter 8 Milliarden DM im Jahr.

(Urbaniak [SPD]: Unerhört!) Auch das muß man sehen.

Man muß auch sehen, welche Antwort Präsident Reagan auf dieses Phänomen gefunden hat.

(Dr. Spöri [SPD]: Das Vorbild der Union!)

Man muß auch sehen, daß zwei Tage, nachdem ein Referent meines Hauses sich erlaubt hat, ein Blatt Papier vollzuschreiben, die „Bild"-Zeitung mit einem Artikel gefüttert war: Nun wollen die Sozis auch noch den Sparern an die Sparbücher. Das hat uns dazu gebracht, ganz eindeutig zu sagen: Solche Vorstellungen sind nicht vorhanden. Alle diese Dinge werden im Zusammenhang diskutiert werden müssen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911201000
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kreile? — Bitte.

Dr. Reinhold Kreile (CSU):
Rede ID: ID0911201100
Nur eine kleine Frage, Herr Bundesfinanzminister. Wären Sie so liebenswürdig, uns zu erläutern, warum Sie selbst sich gegen die Quellensteuer ausgesprochen haben?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911201200
Das wissen Sie doch ganz genau, Herr Kreile, aber Sie sollen die Antwort noch einmal in aller Offenheit bekommen: weil eine Veränderung dieses Teils der Steuergesetzgebung eine mehrmonatige Debatte erfordern würde, denn sie muß ja durch die Ausschüsse und das Parlament und insbesondere durch den Bundesrat, und weil ich genau weiß, wie die Landschaft in der Bundesrepublik Deutschland nun einmal ist. Es würde nämlich über Aktionärsbriefe mit Absendern in der Schweiz, über die beiden Sonntagszeitungen des Herrn Springer, über die „Bild"-Zeitung und über viele andere Publikationsorgane über mehrere



Bundesminister Lahnstein
Monate eine Stimmung erzeugt werden, die die Durchsetzung jeder vernünftigen Maßnahme unmöglich machte. Am Ende stünde eine Kapitalflucht in nicht unerheblichem Ausmaße. Die muß ich als Finanzminister leider auch im Kopfe haben. Das ist so ähnlich wie beim Splitting, wo Sie heute morgen noch einmal darauf hingewiesen haben, wie leicht es doch sei, dem vom Gesetzgeber an sich gewollten Ziel zu entgehen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Es werden einem in jeder Versammlung die Themen Quellensteuer und Splitting vorgehalten. Daraus kann ich nur schließen, es muß sehr viele Leute geben, die genau wissen, warum sie an dieser Stelle klatschen.
Deshalb gebe ich die ganz klare Auskunft, und zwar aus dem Grund, den ich Ihnen genannt habe, und nicht aus Freude, sondern aus der Einsicht in eine bittere Notwendigkeit: Es wird keinen Vorschlag auf Einführung der Quellensteuer geben. Dies sage ich, damit morgen nicht schon wieder inder „Bild am Sonntag" steht, die Sozis hätten hier finstere Pläne. Das könnte in der „Bild am Sonntag" oder auch anderswo stehen. Ich will nicht immer nur eine Zeitung nennen.
Wir müssen, Herr Kreile, den Arbeitslosen zumuten, daß die Zeit der Arbeitslosigkeit ihre Rentenansprüche mindert. Wir müssen den Sozialrentnern zumuten, daß der Bruttoanstieg ihrer Renten um jährlich 1 % gemindert wird. Wir müssen den aktiv erwerbstätigen Arbeitnehmern zumuten, daß ihr Einkommen um insgesamt einen halben Prozentpunkt an Arbeitslosenversicherung gekürzt wird. Das müssen wir tun, und das wollen wir tun.
Aber vor diesem Hintergrund müssen wir beurteilen, ob auch künftig Selbständige und andere ihre Pkw-Kosten zu 80 % von der Steuer absetzen können, auch wenn sie den Pkw zu mehr als 20 % privat nutzen. Sie wissen doch, worin unsere Berechnungsgrundlage für den Vorschlag besteht. Die liegt doch nicht in irgendeinem Zugriffsdenken, sondern in sehr ernsten Ermahnungen, die wir vom Bundesrechnungshof in dieser Richtung bekommen haben. Wir tun nichts anderes, als das, was uns der Bundesrechnungshof rät, umzusetzen.
Das ist der Hintergrund — vor allem das halbe Prozent mehr Arbeitslosenversicherung, aber auch vieles andere —, vor dem wir dann auch bedenken müssen, ob es denn wirklich so ungerechtfertigt ist, den Beamten einen Sondervorteil durch die Vorsorgepauschale nicht zu beseitigen, sondern zu kappen.
Vor diesem Hintergrund müssen wir auch sehen, ob wir es wirklich als unerträglich empfinden müssen, wenn wir den Ausschluß des Ausgleichs bestimmter ausländischer Verluste mit inländischen Einkünften durchsetzen wollen. Ich will die Schlupflöcher nicht alle noch einmal erwähnen. Herr Posser hat dazu bemerkenswerte Anregungen für die weitere Prüfung dieser Frage gegeben.
Das gleiche gilt für die Kappung des Splittingvorteils. Ich sage es noch einmal, weil draußen immer behauptet wird, wir würden das Splitting abschaffen wollen; mitnichten. Es geht um die Kappung dieses Vorteils. Es ist für mich schwer einsehbar, daß die Ehegattenvergünstigung bei Spitzenverdienern nahezu 15 000 DM Steuerentlastung im Jahr, bei Kleinverdienern hingegen nur wenig mehr als 900 DM bedeutet. Das ist für mich nicht einsehbar.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Wir wollen den Höchstvorteil ja nicht beseitigen, sondern wir wollen ihn auf immerhin 10 000 DM begrenzen. Die sich daraus ergebende Mehrbelastung von gut verdienenden Bürgern scheint mir ein zumutbarer Beitrag zu sein. Mit Neidkomplex hat das absolut nichts zu tun, wohl aber sehr viel mit sebstverständlicher Gerechtigkeit.
Nun haben wir heute morgen gehört, was Sie alles nicht wollen, Herr Kreile. Hier ist schon darauf hingewiesen worden, daß es sich in der Argumentation der Union Gott sei Dank häufig auch etwas differenzierter anhört. Aber dann sagen Sie bitte konkret, wie Sie sich eigentlich ein soziale Ausgewogenheit oder eine soziale Flankierung notwendiger Sparmaßnahmen vorstellen, eine soziale Ausgewogenheit, die Sie immer dann bemühen, wenn Sie um den DGB und um die Arbeitnehmerschaft in unserem Lande werben! Wir können doch beide nichts dafür: Leistungsgesetze und Sozialausgaben enthalten nun einmal nichts, was man zu Lasten der Einkommenstarken und Reichen kürzen kann. Da hilft auch der ständig wiederholte Hinweis auf eine linerare Subventionskürzung gar nichts; denn damit läßt sich, insbesondere wenn ich die steuerliche Seite nach dem Vorschlag des Parteivorsitzenden der CDU draußenlasse, soziale Ausgewogenheit ganz bestimmt nicht erreichen,

(Sehr richtig! bei der SPD) wie wir auch beide sehr wohl wissen.

Wer wirklich diejenigen in unserem Lande, die am finanzkräftigsten sind, in ein gemeinsames Solidaritätsopfer einbeziehen will, der muß deshalb zwangsläufig bei den Steuern ansetzen. Das mag unvollkommen sein und auch einigen in meiner eigenen Partei als unvollkommen erscheinen; aber es gibt keinen anderen Denkansatz. Wenn das richtig ist, dann müßte es möglich sein, Herr Kreile, unsere Vorschläge in einer differenzierten Betrachtungsweise zu prüfen und ihnen zuzustimmen. Ich habe die Hoffnung darauf noch nicht ganz aufgegeben.
Ich will zum Abschluß aber noch ein politisches Faktum nicht untergehen lassen: Diese Gesetze sind in dieser Woche von beiden Koalitionsfraktionen initiativ, und zwar ohne Gegenstimmen, eingebracht worden. Da hier in den letzten Tagen viele Fragen gestellt worden sind, erlaube ich mir auch eine: Warum sollte dies eigentlich nicht in Zukunft auch wieder möglich sein? — Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911201300
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und der FDP auf Drucksa-



Präsident Stücklen
che 9/1956 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 und 23 auf:
22. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung und von anderen Vorschriften (Sechstes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz — 6. RVÄndG)

— Drucksache 9/1957 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Innenausschuß
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
23. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1983
— Drucksache 9/1730 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Wird das Wort zur Einbringung gewünscht? — Das ist der Fall. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glombig zur Begründung.

Eugen Glombig (SPD):
Rede ID: ID0911201400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Rentenanpassungsgesetz 1983, der nachher sicher auch noch vom Bundesminister Westphal behandelt werden wird, den wir heute ebenfalls in erster Lesung beraten, und dieser Entwurf des Sechsten Rentenversicherungs-Änderungesgesetzes, den ich für die Koalitionsfraktionen zu begründen habe, müssen auf dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge gesehen werden. In der Zeit der schwierigsten Wirtschaftskrise seit Anfang der 30er Jahre ist es eigentlich unmöglich, daß die sozialen Sicherungssysteme davon unberührt bleiben. So besehen ist das Urteil erlaubt, meine ich, daß die jetzt von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Änderungen und Ergänzungen nicht nur dem berechtigten Interesse der Rentner zuwiderlaufen. Obwohl die Beteiligung der Rentner an ihrem Krankenversicherungsbeitrag schon ab 1983 einsetzen wird, werden die Rentner zu Beginn des nächsten Jahres einen Einkommenszuwachs erhalten, der bei rund 5,6 % Bruttoanpassung und 1 % Belastung durch den Rentnerkrankenversicherungsbeitrag im Ergebnis rund 4,5 % betragen wird. Das wird voraussichtlich über den Nettoeinkommenszuwächsen liegen, die die Arbeitnehmer 1983 zu erwarten haben.
Schließlich ist es den Rentnern auch in den letzten Jahren nicht schlecht gegangen. Sie konnten ihre Verteilungsposition durchaus halten. Trotz der Konsolidierungsmaßnahmen der Jahre 1977 und 1978 ist das Nettorentenniveau mit ungefähr 65 % nach 40 Versicherungsjahren heute höher als z. B. im Jahre 1975, als es unter 60 % lag.
Wir Sozialdemokraten empfinden natürlich keine Freude darüber, daß uns die ökonomischen und haushaltspolitischen Umstände dazu zwingen, gleichzeitig mit der bruttolohnbezogenen Rentenanpassung zum 1. Januar 1983 in Höhe von rund 5,6 % gesetzliche Änderungen vornehmen zu müssen, die den Bundeshaushalt auf Kosten der Rentenversicherung entlasten und die gleichzeitig auch Konsequenzen auf der Leistungsseite haben. Aber wie die Lage nun einmal ist, war dies unausweichlich.
Der Bund kann die hohen Defizite der Bundesanstalt für Arbeit und die Folgekosten der hohen Arbeitslosigkeit nicht in voller Höhe aus seinem Haushalt tragen. Eine Kürzung der hohen Zuschüsse an die Bundesanstalt für Arbeit ist unvermeidlich; andernfalls müßte die Verschuldung des Bundes in einem Umfang zunehmen, der von allen, die in der Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik Verantwortung tragen, und zwar unabhängig von ihrem politischen Standort, wenn ich das richtig verstanden habe, als unvertretbar angesehen wird.
Wir Sozialdemokraten haben uns mit Erfolg gegen das auch von seiten der CDU/CSU vorgebrachte Ansinnen gewehrt, das Arbeitslosengeld und die Arbeitslosenhilfe zu kürzen. Ich gehe davon aus, daß wir uns dagegen auch weiter mit Erfolg werden wehren können. Wir meinen, daß nicht diejenigen doppelt bestraft werden dürfen, die von der Krise der Wirtschaft, des Wirtschaftssystems und der Wirtschaftspolitik ohnehin am stärksten betroffen sind.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb mußte sich die Koalition dazu durchringen, zur Verringerung des Defizits der Bundesanstalt, das vor allem struktureller Art ist, die Renten- und Krankenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeitslose um 30 % herabzusetzen.

(Vogel [Ennepetal] [CDU/CSU]: „Bundesanstalt für Arbeitslose", das ist ganz neu!)

— Nein, ich habe nicht gemeint „Bundesanstalt für Arbeitslose", sondern ich habe gemeint die Krankenversicherungsbeiträge der „Bundesanstalt" für Arbeitslose. Dieses „Arbeitslose" bezog sich auf die „Krankenversicherungsbeiträge". Weil Sie etwas begriffsstutzig sind, helfe ich ein bißchen nach — auch für das Protokoll. Ich hoffe, daß das jetzt geklärt ist.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Herr Kollege Vogel, es bleibt die „Bundesanstalt für Arbeit", nicht die „Bundesanstalt für Arbeitslose". Das ist ein ganz schöner Gag.



Glombig
Allerdings wirkt sich dies zugegebenermaßen auf die späteren Rentenansprüche der Arbeitslosen aus. In der Regel wird sich dies aber in Grenzen halten.
Zunächst einmal ist klarzustellen, daß einzig und allein künftige, also ab 1. Januar 1983 liegende Arbeitslosigkeitszeiten, rentenmäßig ungünstiger abgesichert werden, nicht aber bereits vergangene Zei- ten. Dies ist wichtig. Außerdem wird durch Sonderbestimmungen dafür gesorgt, daß die geringeren Beiträge für Arbeitslose nicht auf die Zurechnungszeit für Frührentner durchschlagen, wie es sich ergeben würde, wenn man eine Rente vor dem 55. Lebensjahr bezieht.
Bei einem Jahr Arbeitslosigkeit wird die monatliche Rente aus der Rentenversicherung nach dem heutigen Stand nur um rund 9 DM gemindert. Das ist gewiß ein Opfer für die Betroffenen. Das möchte ich nicht unterschätzen. Aber es ist noch zumutbar, zumal wenn man bedenkt, daß auch die beschäftigten Arbeitnehmer eine erhebliche Mehrbelastung für die soziale Sicherung der Arbeitslosen tragen müssen. Denn immerhin sind die Arbeitslosenversicherungsbeiträge inzwischen von 3 auf 4% erhöht worden und werden im Zuge der Haushaltsoperation 1983 erneut um weitere 0,5 Prozentpunkte angehoben. Davon haben die Arbeitnehmer die Hälfte zu tragen. Wir meinen also, daß Arbeitslose und Beschäftigte durch die geplanten Maßnahmen in sozial ausgewogener Weise an der finanziellen Konsolidierung der Bundesanstalt beteiligt werden.
Erhebliche Sorgen bereiten uns jedoch die Auswirkungen auf die späteren Renten von Arbeitnehmern, und zwar von den Arbeitnehmern, die vom Schicksal einer länger andauernden Arbeitslosigkeit betroffen sind. Dies ist keine Kleinigkeit. Wir meinen deshalb, daß mit dem vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht das letzte Wort gesprochen sein darf. Wir müssen bei den Ausschußberatungen nach einer Lösung wenigstens für die Härtefälle suchen, von denen ich soeben gesprochen habe. Die SPD-Fraktion wird sich jedenfalls dafür einsetzen, und das mit allem Nachdruck. Wir hätten nicht das geringste Verständnis für den Versuch, dem Parlament das selbstverständliche Recht streitig zu machen, an Regierungsvorlagen Änderungen vorzunehmen, zumal dann, wenn sich solche Änderungen im Einsparungsvolumen bewegen.

(Franke [CDU/CSU]: Herr Glombig, das sind aber Fraktionsvorlagen, keine Regierungsvorlagen!)

— Ja, das weiß ich; ich bin ja kein ABC-Schütze. Ich kenne die wohlwollenden Hinweise. Wir werden demnächst einen Regierungsentwurf bekommen, der gleichen Inhalts ist. Aber lassen Sie uns doch darüber nicht streiten.

(Franke [CDU/CSU]: Sie wollen sich also selbst korrigieren!)

— Wir sind willens, darüber nachzudenken, wie man in diesem Punkt eine Änderung herbeiführen kann. Das ist doch natürlich.

(Zustimmung bei der SPD — Urbaniak [SPD]: Das ist doch legitim!)

Ich will damit nur sagen: Aus wohlverstandenen Gründen — ich hoffe: wohlverstandenen Gründen — haben wir dem Regierungsentwurf durch eine Koalitionsvorlage einen Vorlauf gegeben, damit wir mit den Beratungen rechtzeitig fertig werden und damit die geplanten Änderungen — allerdings in diesem Punkt abgeschwächt — zum 1. Januar 1983 in Kraft treten können. Das ist der einzige Grund.

(Franke [CDU/CSU]: Ich habe das mit Wohlwollen gehört!)

Also: unser Gesetzentwurf enthält auch eine umfassende Neuordnung der Bewertung der beitragslosen Zeiten und der Tabellenwerte. Die Reduzierung der Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit auf 70 % zieht sachlich zwingend und aus Gerechtigkeitsgründen die Notwendigkeit nach sich, auch die Ausfallzeiten wegen Arbeitslosigkeit, Krankheit und Ausbildung auf 70 % zu reduzieren, und zwar bei Krankheit und Arbeitslosigkeit auf 70 % des Durchschnitts des individuellen Lebenseinkommens, bei Ausbildung auf 70 % des Durchschnittseinkommens aller Versicherten.
Darüber hinaus war es schon längst überfällig und zuletzt auch vom Bundesverfassungsgericht gefordert, endlich die unterschiedlichen Tabellenwerte für Männer und Frauen anzugleichen. Dies geschieht auf dem Niveau von 70 % und kann zu geringen Verschlechterungen für Männer und zu geringen Verbesserungen für Frauen führen; dies letzte entspricht den Intentionen der SPD-Bundestagsfraktion. Im übrigen entspricht das alles nicht den ursprünglichen Absichten der SPD-Bundestagsfraktion. Aber es ist angesichts der allgemeinen ökonomischen Rahmenbedingungen und der demographischen Entwicklung notwendig und auch sozialpolitisch vertretbar.
Zur Versachlichung der Diskussion ist in diesem Zusammenhang der klärende Hinweis notwendig, daß auch die Bewertung der beitragslosen Zeiten lediglich die zukünftigen Renten betrifft, in keinem Fall aber die heutigen Renten. Wichtig ist außerdem, daß von der auf 70 % verminderten Bewertung in aller Regel wiederum nur zukünftige beitragslose Zeiten ab 1. Januar 1983 betroffen sind.
Käme eine neue Bewertung von beitragslosen Zeiten allein bei der Ausbildung in Frage, wäre eine verminderte Rente frühestens im Jahr 2010 zu erwarten. In der Masse der Fälle, insbesondere für die meisten Arbeitnehmer, ändert sich bezüglich zurückliegender Zeiten nichts. Von der rückwirkenden Änderung sind in größerem Umfang lediglich die Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung betroffen. In diesen Fällen ist eine maßvolle Absenkung von heute 100 % auf 90 % des Durchschnittseinkommens aller Versicherten vorgesehen.
Erst für Zeiten ab 1983 wird die Bewertung auf 70 % gesenkt. Gerade die verringerte Bewertung der Ausbildungszeiten halten wir Sozialdemokraten verteilungspolitisch für geboten; denn das jetzige Bewertungssystem stellt in erster Linie eine ungerechtfertigte Privilegierung der später ohnehin besser verdienenden und auch im Alter besser versorgten Akademiker dar.



Glombig
Es ist nicht zu bestreiten, daß die Kürzung der Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit auch zu beträchtlichen Einnahmeausfällen bei der gesetzlichen Rentenversicherung führt. Um dies auszugleichen, ist es unumgänglich, die Rentner bereits früher und in größerem Umfang, als dies ursprünglich vorgesehen war und sozialpolitisch wünschenswert gewesen wäre, zum Rentnerkrankenversicherungsbeitrag heranzuziehen.
Wir glauben, daß dies auch verteilungspolitisch vertretbar ist. Bei ungekürzt fortgesetzter Bruttoanpassung täte sich in den nächsten Jahren unweigerlich die Schere zwischen der Entwicklung des Wachstums — des Wachstums; ich lege Wert auf diese Feststellung — bei Aktiven- und Rentnereinkommen weiter auf,

(Beifall bei der SPD und der FPD)

was den mit hohen Sozialversicherungsbeiträgen belasteten Arbeitnehmern trotz des Generationenvertrags nur schwer verständlich zu machen wäre. Deshalb hat die SPD bereits in ihrem Rentenreformprogramm von 1980 offen angekündigt, daß die Rentner an ihrem Krankenversicherungsbeitrag beteiligt werden sollen. Die veränderte ökonomische Lage zwingt uns nun allerdings — und dies ist nicht angenehm —, hiermit schon am 1. Januar 1983 zu beginnen und den Beitrag bis 1986 stufenweise auf 4 % anzuheben.
Aus grundsätzlichen, nicht nur aus haushaltspolitischen Erwägungen heraus halten wir es für richtig, daß die dadurch bewirkte Minderung des Rentenanstiegs auch für die Kriegsopferrenten gilt. Es wäre nicht nur unter dem Gerechtigkeitsaspekt kaum einzusehen, hier eine Ausnahme zu machen; es ist auch im wohlverstandenen Interesse der Kriegsopfer, den mühsam erkämpften Dynamisierungsverbund zwischen Rentenversicherung und Kriegsopferversorgung — wir können uns ja hoffentlich an diese Mühe erinnern, die auch in diesem Hause ihren Niederschlag gefunden hat— auf jeden Fall auf rechtzuerhalten,

(Beifall bei der SPD)

und zwar nicht nur in guten, sondern auch in weniger guten Zeiten.
Sehr viel bedenklicher an der Einführung der Beteiligung der Rentner an ihrem Krankenversicherungsbeitrag ist — das sage ich ganz offen — die Tatsache, daß die dadurch bewirkten Einsparungen der Rentenversicherungsträger zur Schließung der Lücken des Bundeshaushalts verwendet werden und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, zur Verfügung stehen, um die Finanzierungsprobleme der Rentenversicherung in den 90er Jahren zu bewältigen.

(Kolb [CDU/CSU]: Das ist Ihr Vorschlag!) — Ich bekenne mich dazu, ich kneife ja nicht.


(Sehr wahr! bei der SPD)

Ich mache ja nur auf die Zwangslage aufmerksam, in der wir uns befinden.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Ich hätte gewünscht, daß Sie, statt Krokodilstränen zu vergießen, auch ein paar Vorschläge gemacht hätten. Aber da werden wir Großartiges erleben, wenn Herr Franke als nächster Redner auftritt.

(Urbaniak [SPD]: Opportunismus werden wir erleben!)

Ich bin mir dessen sicher.
Dadurch ist eine Situation entstanden — vielleicht kann man darüber ja auch ernsthaft miteinander reden —, auf die im Rahmen der bevorstehenden Rentenreform 1984 unbedingt eine Antwort gegeben werden muß. Es ist unausweichlich, endlich die längerfristigen Finanzierungsprobleme der Alterssicherung in Angriff zu nehmen, in Zukunft weitere willkürliche Eingriffe auszuschließen und die Lasten gerecht zwischen Rentnern, Beitragszahlern und Staat zu verteilen.
Die abermaligen Einsparungen im Sozialbereich, die die Koalition heute vorlegt, sind durch die weltweit krisenhafte Wirtschaftslage erzwungen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind hausgemacht auf Grund einer schlechten Politik!)

— Wissen Sie, Ihre Freunde in England, in Amerika scheinen dann ja mit uns zusammen die „schlechte Politik" zu betreiben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie einmal Ihre Freunde in Österreich!)

Sie haben, auch was die Wirtschaftspolitik angeht, keinen einzigen brauchbaren Vorschlag in der Zeit gemacht, in der Sie in der Opposition sind. Nicht einen einzigen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Kolb [CDU/CSU]: Sollen wir besser regieren als Sie?)

Übrigens haben wir auch noch Ministerpräsidenten, die der CDU/CSU angehören; mehr, als mir lieb ist,

(Heiterkeit)

weil sich das ja auch niederschlägt in den unsozialen Entscheidungen nicht nur des Bundesrates, sondern auch des Vermittlungsausschusses.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Die Ministerpräsidenten und die Wirtschaftsminister der CDU/CSU-regierten Länder hätten doch einmal zeigen können, was sie können, wenn sie tatsächlich eine bessere Wirtschaftspolitik haben. Ich habe davon bisher nichts gesehen und gemerkt.

(Franke [CDU/CSU]: Herr Glombig, Ich wäre etwas vorsichtig, wenn vom Vermittlungsausschuß die Rede ist!)

— Wenn vom Vermittlungsausschuß die Rede ist: Sie haben doch wirklich keinen blassen Schimmer, Herr Kollege Franke.

(Heiterkeit bei der SPD und der FDP — Lachen bei der CDU/CSU)




Glombig
Sie lassen sich doch, von wem auch immer, Märchen auftischen, die Sie dann sehr gerne weiterverbreiten. Aber dieses Vergnügen überlasse ich Ihnen.

(Franke [CDU/CSU]: Nur, ich war dabei!)

Ich wollte sagen: Niemand kann sich daran vorbeimogeln, auch Sie nicht, Herr Kollege Franke, auch nicht die Opposition insgesamt, die sich gemäß dem Sonthofener Rezept auf Warnen und Anklagen beschränkt und unfähig ist, konkrete Vorschläge vorzulegen und damit ihre Verantwortung

(Zuruf der Abg. Frau Hürland [CDU/ CSU])

— liebe Frau Kollegin — vor der Öffentlichkeit zu übernehmen. Das hat Herr Kohl gestern ganz deutlich gezeigt. Er will sie gar nicht übernehmen; er kann sie wohl auch nicht übernehmen.

(Lutz [SPD]: Letzteres stimmt!)

Worauf es nun ankommt, ist die soziale Ausgewogenheit der finanz- und sozialpolitischen Maßnahmen. Unter diesem Aspekt betrachtet, verdient das Gesamtpaket der sozialliberalen Koalition trotz mancher kritikwürdiger Einzelpunkte, die nichtgelegten Einsparungsvorschlägen im Sozialbereich geht meine Fraktion an die Grenze dessen, was sozialpolitischsitive Bewertung, vor allem weil es diesmal gelungen ist, die Einschränkungen einer Reihe der zahlreichen ungerechtfertigten Steuerprivilegien der Besserverdienenden in das Paket aufzunehmen. Aber wir haben j a eben in der Debatte durch Herrn Kreile ganz deutlich gehört, was wir von Ihnen insofern zu erwarten haben, was die soziale Komponente angeht. Das wird sicherlich sehr lustig. Ich finde, Sie können sich solche Unaufrichtigkeiten in der weiteren innerpolitischen Auseinandersetzung nicht gestatten.

(Löffler [SPD]: Vielleicht fährt Herr Kreile einmal nach Hannover und spricht mit Herrn Albrecht!)

Ich bin überzeugt, daß auch Sie dafür noch Ihre Quittung bekommen.
Ob dieses wichtige Element sozialer Ausgewogenheit nun auch Gesetz wird — nach dem, was man heute von Ihnen gehört hat, muß man daran zweifeln —, liegt allein in der Verantwortung der Union. In wessen Verantwortung sonst? Durch konkrete Entscheidungen im Bundesrat können CDU und CSU beweisen, daß es ihnen mit der sozialen Ausgewogenheit ernst ist. Jedenfalls helfen keine Anbiederungsversuche gegenüber dem Deutschen Gewerkschaftsbund und auch keine Strangulierungspolitik, wie sie seit einiger Zeit im Bundesrat und im Vermittlungsausschuß mit Fleiß betrieben wird.
Mit den jetzt vorgelegten Einsparungsvorschlägen im Sozialbereich geht meine Fraktion an die Grenze dessen, was sozialpolitisch vertretbar ist. Mit der SPD sind kurzfristig übers Knie gebrochene Kappungen des sozialen Netzes nicht zu machen. Wir sind zur Konsolidierung der sozialen Sicherungssysteme unter Bedingungen bereit, die das Prinzip der Gerechtigkeit wahren und für die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung notwendig sind.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Das hat auch das Präsidium der SPD am 6. September festgestellt. Wir werden nur eine Politik mittragen, die sich an der Solidarität der Starken mit den Schwachen orientiert.

(Beifall bei der SPD)

Der Abbau der Arbeitslosigkeit erfordert Opfer von allen, die Arbeit und Einkommen besitzen, also gerade auch von denen, die höhere und höchste Einkommen haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion weiteren Haushaltsoperationen zustimmen wird, ohne die Arbeitslosigkeit energisch zu bekämpfen,

(Beifall bei der SPD)

die Finanzierung der Arbeitsförderung endlich gerechter auszugestalten, eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende einzuführen und weitere Steuerprivilegien abzuschaffen.
Gestatten Sie mir bitte eine persönliche Berner-kung zu längerfristig zu lösenden Problemen der Sozialpolitik, die aber indirekt mit der aktuellen Haushaltspolitik zusammenhängen. Ich wiederhole dabei das, was ich schon an anderer Stelle öffentlich gesagt habe.
In einer Zeit, in der mit hoher Arbeitslosigkeit und auf Dauer verringertem Wirtschaftswachstum gerechnet werden muß, hat sich die Sozialpolitik in neue Rahmenbedingungen einzufügen; eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit. Das geht aber nicht, wenn an allen Besitzständen festgehalten wird. Aber es geht auch nicht mit einer Kette kurzatmiger Haushaltsoperationen, bei der man fast nur die Zahlen sieht und nicht genügend anerkennt, daß die Sozialpolitik eine eigenständige Aufgabe hat und außer acht läßt, daß Hektik nicht wiedergutzumachende Vertrauensschäden zur Folge haben müßte.
Was uns weiter hilft, ist eine am Prinzip der sozialen Gerechtigkeit orientierte Gesamtreform des Systems sozialer Sicherung, und zwar unter Einschluß sämtlicher Teilbereiche, also nicht nur mit einer Schlagseite zu Lasten der sozialen Sicherung der Arbeitnehmer. Man braucht dazu eine gründliche Analyse, eine umfassende Bestandsaufnahme, klare und sozial verantwortbare Prioritäten und die Einsicht, daß sich die Sozialpolitik zwar in den gegebenen ökonomischen Rahmen einfügen muß, daß es aber auch sozialpolitische Standards gibt, und zwar verhältnismäßig hohe, die in einem modernen Sozialstaat auf jeden Fall gehalten werden müssen.
Eine so verstandene Sozialreform wäre eine Aufgabe aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien

(Sehr wahr! bei der SPD — Weiterer Zuruf von der SPD: „Wäre"!)

— ja, ich habe auch gesagt: wäre —, auch der Opposition und der CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat. Bei
gutem Willen müßte es doch möglich sein, meine Da-



Glombig
men und Herren, über die Grundsätze des sozialen Sicherungssystems Übereinstimmung zu erzielen,

(Löffler [SPD]: Sehr gut!)

z. B. darüber, daß die Sozialpolitik stetig und verläßlich sein muß und daß dazu auch ein sicherer, kalkulierbarer Finanzierungsanteil des Staates an den Sozialleistungen ebenso wie die Bereitschaft gehört, unabweisbare zusätzliche soziale Lasten, z. B. die hohe Arbeitslosigkeit oder den wachsenden Rentneranteil an der Bevölkerung, solidarisch durch die Allgemeinheit zu tragen; daß es das Ziel einer solchen Reform sein muß, die Mittel sozialpolitisch gezielter und sozial gerechter einzusetzen, zwar unter Beachtung des Versicherungsprinzips, aber auch unter stärkerer Berücksichtigung des Sozialprinzips; daß Einschränkungen vorrangig dort einsetzen müssen, wo heute Überversorgung und ein vergleichsweise großzügiges Leistungsniveau erreicht werden, d. h. dort, wo der nicht mehr Aktive ein höheres verfügbares Einkommen bezieht als ein vergleichbarer Arbeitnehmer;

(Beifall bei der SPD und der FDP)

daß Teilsysteme und Personengruppen mit relativ schlechter Versorgung geschont werden müssen;

(Sehr wahr! bei der SPD)

daß Eigenverantwortung und Eigenvorsorge nicht an die Stelle von Solidarität treten dürfen, sondern nur ergänzende Funktion haben können, und daß man in allererster Linie von denjenigen erwarten darf, ein eigenes Risiko in Kauf zu nehmen, die über ein relativ hohes Einkommen verfügen, wobei ich nochmals betone, daß ich damit nicht die geplante Selbstbeteiligung bei der Krankenhauspflege befürworte; daß im Rahmen einer solchen Sozialreform strukturelle Reformen im Gesundheitswesen, die insbesondere bei der Erbringung von Gesundheitsleistungen einsetzen, unverzichtbar sind;

(Beifall bei der SPD)

daß, nachdem Abstriche an dem vergleichsweise bescheidenen Leistungsniveau der Sozialversicherung und der Kriegsopferversorgung vorgenommen worden sind, nun auch die üppiger ausgestalteten Sonder- und Zusatzsysteme unter die Lupe genommen werden müssen, mit welchem Ergebnis auch immer;

(Beifall bei der SPD und der FDP)

daß der Grundsatz der Leistungsgerechtigkeit bei der Finanzierung der sozialen Sicherung stärker beachtet werden muß, damit derart krasse Unterschiede in der Relation zwischen Finanzierungsbeitrag und Leistungsanspruch vermieden werden, wie sie heute zwischen den einzelnen Sicherungssystemen bzw. Personengruppen bestehen,

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

daß Mißbrauch von Leistungen, wo immer es ihn gibt, mit scharfen Gesetzesbestimmungen, die es j a zum Teil bereits gibt, und besseren Kontrollmöglichkeiten bekämpft werden muß, aber nicht mit pauschalen Kürzungen, die auch diejenigen treffen würden, die selbst keinen Mißbrauch treiben.

(Beifall bei der SPD)

Um es noch einmal klar zu sagen: Mit all dem meine ich kein Billigangebot für eine weitere Kürzungsrunde oder für eine Neuauflage der Operation 1983.

(Beifall bei der SPD)

Meiner Meinung nach ist aber eine Gesamtreform der sozialen Sicherungssysteme längst überfällig. Schon in den 50er Jahren ist ja darüber — allerdings weitgehend ergebnislos — diskutiert worden. Der Sozialstaat könnte dadurch nicht nur wetterfester, sondern auch gerechter und besser werden. Leider hat man sich bisher gegenüber der Notwendigkeit verschlossen, das soziale Sicherungssystem insgesamt zu reformieren. Nur dann würde das gelingen, was hier eigentlich gelingen müßte. Hoffentlich hat die ökonomische Krise, die schwer auf dem Sozialstaat lastet, bei allen die Einsicht gefördert, daß das Problem nun grundsätzlicher angepackt werden muß. Ich möchte, wenn das ernstlich zur Debatte steht — ich hoffe das sehr —, Ihnen, mir und uns allen bei einem solchen Unterfangen viel Glück wünschen.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911201500
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Franke.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911201600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann ja verstehen, daß der Herr Kollege Glombig auf gut gemeinte, kameradschaftlich gemeinte Zwischenrufe so gallig reagiert hat.

(Glombig [SPD]: Habe ich das?)

Wer so viel vor den Wahlen versprochen hat und muß jetzt die Wahlgeschenke einsammeln, der kann nur so reagieren, wie er hier gerade reagiert hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Fraktion der CDU/CSU stimmt natürlich der Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Altersruhegelder, der Altershilfe für Landwirte an die Entwicklung der Löhne und Gehälter zu. Die Erhöhung beträgt rund 5,6 % und richtet sich nach den durchschnittlichen Erhöhungen der Löhne und Gehälter in den letzten drei Jahren. Die Erhöhungen machen eine Gesamtsumme von 8,5 Milliarden DM' aus.
Wir debattieren nach dem Willen von SPD und FDP heute morgen über ein Paket von Maßnahmen, die den Bürger, was seine finanzielle Gestaltungsmöglichkeit angeht, erheblich treffen wird. Bevor ich zu den einzelnen Entwürfen komme, möchte ich mir ein paar grundsätzliche Bemerkungen erlauben. Wenn Sie von der Koalition heute diese Gesetzesänderungspakete auf den Tisch gelegt und miteinander, oder besser durcheinander verwoben haben, dann ist das natürlich ein von Ihnen im Hause schon öfters erprobtes Verwirrspiel, wobei der Haupt-



Franke
zweck die Verwirrung der interessierten Öffentlichkeit zu sein scheint.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist es!)

Die Ursachen für die Maßnahmen, die Sie jetzt durchführen müssen, liegen ja doch tiefer. Wer wie Sie seit 13 Jahren einen falschen Weg in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geht, der muß sich am Ende nicht wundern, daß diese negative Politik auf die Sozialpolitik durchschlägt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Löffler [SPD]: Was anderes fällt Ihnen nicht ein, Herr Franke! Eine flotte Zunge ersetzt noch keinen kreativen Geist!)

Das heißt, wer nicht durch vernünftiges politisches Handeln mögliche außenwirtschaftliche negative Einflüsse auf unseren Markt durch notwendige binnenwirtschaftliche Maßnahmen kompensiert, der erzeugt Arbeitslosigkeit. Wer Arbeitslosigkeit nicht verhindert, der zerstört die Tragfähigkeit unseres sozialen Sicherungsnetzes.
Herrn Außenminister Genscher, dem Parteivorsitzenden der FDP, ist ausdrücklich zuzustimmen, wenn er gestern — nach meiner Auffassung mit großer Offenheit und mit Mut — gesagt hat, daß man die hausgemachten Probleme auch zu Hause beseitigen muß,

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

daß man also nicht die Außenwirtschaft und die Amerikaner mit ihren hohen Zinsen für die Unterlassungssünden, die Sie selbst hier im eigenen Hause begangen haben, verantwortlich machen kann. Ich finde, das ist gestern ein hervorragendes Wort des Außenministers Genscher gewesen; dafür ist er ausdrücklich zu loben.

(Zurufe von der SPD)

Wenn Helmut Kohl sagt, die Krise hier bei uns sei nicht nur eine materielle, sondern habe auch eine geistig-moralische Dimension, ist ihm zuzustimmen. Ich füge hinzu, daß man die Probleme einer modernen Industriegesellschaft nicht mit den Lösungsvorschriften oder -vorstellungen neomarxistischer Art und den Methoden des demokratischen Sozialismus lösen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU — Urbaniak [SPD]: Sie sind ja ein Ideologe!)

Wer 2 Millionen Arbeitslose nicht verhindert, der verhindert auch nicht, daß in der Rentenversicherung 2 Millionen Beitragszahler fehlen, daß in der Krankenversicherung leider 2 Millionen Beitragszahler fehlen, daß 2 Millionen Steuerzahler fehlen und daß 2 Millionen Menschen zu Empfängern von Arbeitslosenleistungen werden, womit der Volkswirtschaft 48 Milliarden DM pro Jahr verlorengehen. Das ist ein Versäumnis Ihrer Regierung, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Entwicklung der Finanzen in der Rentenversicherung ist also eine Folge der hohen Arbeitslosigkeit. Diese wiederum ist eine Folge des Mangels an binnenwirtschaftlicher Nachfrage. Dies wiederum ist eine Dokumentation der Unfähigkeit dieser Regierung, für Beschäftigungsstetigkeit zu sorgen.

(Löffler [SPD]: Wie Franke [Osnabrück] die Weltwirtschaft sieht! Herrlich! Und der will regieren!)

Die CDU/CSU hat das, was jetzt eingetreten ist, befürchtet. Dieser Zustand, mit dem wir uns heute zu beschäftigen haben, ist doch, meine Damen und Herren, nicht über Nacht eingetreten!

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Schon mit der Regierungserklärung des ersten Sozialdemokraten, der nach dem Kriege Kanzler wurde, war der falsch programmierte Weg sichtbar geworden. Unsere damaligen Mahnungen, diesen Weg nicht zu gehen, wurden von Ihnen hohnlachend beiseite geschoben. Rainer Barzel — auf ihn darf ich mich beziehen — sagte am 29. Oktober 1969 zur Rede von Kanzler Brandt u. a. — und das, was damals gesagt worden ist, sollten wir alle uns merken —:
Wir fragen Sie, Herr Bundeskanzler, nach Ihren Argumenten für diese Politik. Es hätte Ihnen und uns allen besser angestanden, nicht einen fröhlichen Einstand zu geben, sondern die Anstrengungen zu fordern, die unser Land machen muß, wenn es modern bleiben will.

(Urbaniak [SPD]: Das hat er doch getan!)

Wir fragen Sie, auf welche Lagebeurteilung, auf welche Finanzplanung, auf welche Konjunkturverläufe Sie, Herr Bundeskanzler, diese Politik, erst einmal einen auszugeben, gründen wollen. Ich fürchte, diese Politik, die sich zu Beginn so billig macht, wird uns am Schluß allen zu teuer kommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Leider wahr, meine Damen und Herren! Leider ist das, was wir damals, vor 13 Jahren befürchteten, eingetreten. Diese Politik — so Rainer Barzel, und ich wiederhole es —, die sich zu Beginn so billig macht, wird am Schluß uns alle teuer zu stehen kommen. Die Zeche, die Sie heute auf dem Tisch haben, lassen Sie den kleinen Mann in unserer Bevölkerung zahlen;

(Zurufe von der SPD)

ein Versäumnis Ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik!

(Zuruf von der SPD: Was verhindern Sie denn ständig?)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID0911201700
Herr Abgeordneter Franke, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911201800
Gern. Präsident Stücklen: Bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID0911201900
Herr Kollege, ist Ihnen entgangen, daß der entscheidende Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge um 4 % von 14 auf 18 % un-



Frau Matthäus-Maier
ter der Großen Koalition mit einem CDU-Arbeitsminister zustande gekommen ist?

(Zustimmung bei der FDP)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911202000
Selbstverständlich nicht, verehrte Frau Kollegin! — Sie dürfen sich gerne setzen, wenn Sie mögen.

(Heiterkeit — Löffler [SPD]: Kavalier ist er! Das ist aber auch alles!)

Sie können natürlich bei den sozialpolitischen Debatten nicht immer hier anwesend sein.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Leber)

Ich habe mich in den Jahren nach dem 3. Rentenversicherungsänderungsgesetz von 1968 oft genug dazu bekannt, daß wir wegen der ungünstigen Bevölkerungsstruktur, die wir haben, die eine Folge der beiden Weltkriege ist — weil eben aus diesen beiden Weltkriegen viele Menschen nicht zurückgekommen sind —, am Ende der 60er und am Beginn der 70er Jahre so etwas wie einen — so nannte man es damals — Rentnerberg hatten, also eine ungünstige Struktur im Verhältnis von Beitragzahlenden und Leistungsempfängern. Das muß man als eine Folge des Kriegs betrachten. Da haben wir gesagt: Hier muß man Vorsorge treffen, daß in der Rentenversicherung die Einnahmen mit den Ausgaben übereinstimmen. Das war eine Entscheidung, der sich kein Politiker zu entziehen wagte, der Verantwortung während der Zeit der Großen Koalition zu übernehmen hatte. Ich bekenne das ganz freimütig.
Das Rentenanpassungsgesetz 1983 sieht eine Erhöhung der gesetzlichen Renten um 5,6 % vor. Ich sagte es soeben schon.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911202100
Herr Kollege Franke, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Matthäus-Maier?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911202200
Bitte.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD):
Rede ID: ID0911202300
Wenn Sie hier so deutlich sagen, Herr Kollege Franke, es sei eine Entscheidung, der sich kein Politiker zu entziehen wagte, wäre es dann nicht fairer, wenn Sie die jetzige Situation nicht in erster Linie auf die angeblich verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Regierung, sondern auf solche Entscheidungen zurückführen würden, der Sie oder andere sich, wie Sie sagten, nicht zu entziehen wagten?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911202400
Nein, verehrte Frau Kollegin. Vielleicht möchten Sie bitte einmal zuhören und nachlesen, was Ihr Parteivorsitzender gestern hier gesagt hat. Ich sage es noch einmal für Sie persönlich. Die hausgemachten Probleme müssen hier zu Hause beseitigt werden. Nichts anderes habe ich auf Ihre Zwischenfrage jetzt zu antworten. Lesen Sie bitte einmal ganz nach, was Herr Genscher zu diesem Punkt gesagt hat. Das ist etwas, wobei man sich in der katholischen Kirche mit den Worten „mea culpa" oder sogar „mea maxima culpa" — durch meine übergroße Schuld — an die Brust schlägt, jetzt bezogen auf die Regierung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich akzeptiere es, ich bewundere es und ich begrüße es, wenn man als Politiker sich hier hinstellt und sagt, daß man einen Fehler gemacht hat. Niemand ist unfehlbar. Auch wir sind es nicht. Man muß die Fehler aber auch bekennen. Herr Genscher hat das gemacht. Sie sind noch nicht so weit, Frau Matthäus-Maier. Aber Sie kommen noch dahin. Das ist ganz sicher. Die Erkenntnisse werden stufenweise auch in Ihrer Fraktion je nach Lage der politischen Geographie letztlich noch dämmern. Dessen bin ich ganz sicher.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911202500
Herr Kollege Franke, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Dr. Lepsius?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911202600
Nein, nicht mehr.
Ich sprach vom durchschnittlichen Anstieg. Ich sagte vorhin: 5,6 % beträgt die Erhöhung der Löhne und Gehälter in dem Zeitraum, der etwa drei Jahre vor diesem Zeitpunkt liegt. Die laufenden Geldleistungen der Altershilfe der Landwirte werden ebenfalls entsprechend erhöht.
In diesem Gesetzentwurf ist neben der Rentenanpassung auch eine Klarstellung der Begriffe — ich zitierte — „Gewährung von Zeitrenten wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts" enthalten. Hier steht uns das ganz große Problem der frühzeitigen Verrentung durch Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit ins Haus. Wir werden uns im Ausschuß dieser Frage sehr intensiv widmen müssen. Dabei werden wir unsere Aufmerksamkeit auch den Materialien zuwenden müssen, die in der letzten Vertreterversammlung der BfA, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, in München erwähnt worden sind.
Die Gelegenheit der Beratung des Rentenanpassungsgesetzes 1983 will ich nutzen, um auch einen Blick in die Zukunft zu werfen — der Kollege Glombig hat es vorhin dankenswerterweise ebenfalls getan —, einen Blick in eine leider düstere rentenpolitische Zukunft. Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß ich von den Koalitionsfraktionen wieder als Schwarzmaler, als Horrorbildzeichner beschimpft werde. Aber: Die Wahrheit zu sagen, ist unsere Pflicht. Wer wie der abgelöste Arbeitsminister Ehrenberg immer nur geschönte Zahlen auf den Tisch gelegt hat, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Regierung und den Regierungsfraktionen niemand, aber auch niemand und vor allem kein Wähler mehr Glauben schenkt.

(Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU])

Die mittel- und langfristigen Perspektiven sind leider düster: zum einen wegen der doch höheren Arbeitslosigkeit und der damit geringeren Zahl von Beitragszahlern und zweitens wegen der heute schon sichtbaren ungünstigen demographischen Entwicklung etwa ab 1990. Wenn man den Prognosen folgt, ist als Folge der negativen Geburtenentwicklung im Jahr 2030 mit Beitragshöhen allein in der Rentenversicherung von ca. 28 bis 30 % zu rechnen. Ich darf Professor Meinhold, den Vorsitzenden des Sozialbeirats beim Bundesarbeitsministerium, zitieren. Er sagt: Wenn das so bleibt und die Lei-



Franke
stungsgesetze in dieser Höhe ebenfalls so bleiben, wird der Bürger mit 80 % Steuern und Sozialabgaben seines Brottoeinkommens belastet. Wir müssen uns jetzt schon mit diesen Problemen beschäftigen, meine Damen und Herren, die wir im Sozialversicherungsbereich der nächsten Generation auflasten. Wem das zu weit vorausgeschaut erscheint, der muß sich darüber im klaren sein, daß der Anstieg der Beiträge auf diese Höhe natürlich viel früher einsetzt. Wenngleich man heute noch nicht genau prognostizieren kann, wie sich Produktivität und Erwerbsverhalten entwickeln werden, steht heute auf jeden Fall fest, daß künftige Generationen mit noch mehr Steuer- und Soziallasten belastet werden, als das heute ohnehin schon der Fall ist. Die Bundesbank sagt in ihrem Bericht vom April dieses Jahres zur heutigen Abgabenbelastung folgendes:
Einer weiter zunehmenden Abgabenbelastung der Erwerbstätigen durch höhere Beiträge zur Rentenversicherung oder zu anderen Sozialversicherungszweigen steht entgegen, daß damit die Leistungsanreize für die aktiv im Erwerbsleben Stehenden gedämpft würden.
Bereits 1981 betrug die durchschnittliche Belastung der Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit mit Sozialversicherungsbeiträgen und der Lohnsteuer 41 % — Frau Matthäus-Maier, darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten — gegenüber 34 % zehn Jahre und 26 % 20 Jahre zuvor. Zehn Jahre zuvor waren schon 2 % Beitragserhöhung in der Rentenversicherung mit konsumiert. Trotzdem lagen wir mit 34 % zu hoch, zugegeben. Das sind die Folgen des Krieges; darüber wollen wir uns jetzt nicht weiter unterhalten. Aber 26 % 20 Jahre zuvor — meine Damen und Herren, das ist der Maßstab, über den wir uns unterhalten müssen.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911202700
Herr Kollege Franke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lutz?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911202800
Nein. Es liegt an der Zeit. Lieber Herr Kollege Lutz, wir werden uns über alle diese Fragen im Ausschuß oder gleich privat über Ihre Anliegen unterhalten können. Ich stehe Ihnen anschließend zur Verfügung.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sprechstunde!)

— Meine Damen und Herren, Herr Lutz kriegt bei mir eine Sprechstunde, selbstverständlich. Einem Nürnberger Sozialdemokraten verweigere ich eine Sprechstunde und Trost natürlich nicht, nachdem Urschlechter ausgetreten ist.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in ihrem Pressedienst vom 15. Juli eine, wie ich meine, vernünftige Darstellung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen gegeben. Ich darf daraus zitieren:
Die deutsche Volkswirtschaft steht vor der nur mittelfristig zu bewältigenden Aufgabe, die erforderlichen Anpassungen an den weltwirtschaftlichen Strukturwandel zu vollziehen, sich
an veränderte Wettbewerbsverhältnisse, neue Preis- und Kostenstrukturen anzupassen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß bestehende Arbeitsplätze erhalten bleiben und neue geschaffen werden, um vor allem auch jungen Menschen, die in das Erwerbsleben eintreten, Beschäftigung und Einkommen zu sichern. Der Strukturwandel in der Wirtschaft erfordert neben hohen Anpassungsleistungen und innovatorischen Anstrengungen eine stärkere Ausrichtung des Sozialprodukts auf investive Verwendungen, um die Beschäftigung zu stärken. Der Anteil der Investitionen am Sozialprodukt ist seit 1970 von 26,4 auf 21,5 v. H. gefallen
— der Kanzler hat sich gestern auf diese Zahlen bezogen —,
und gleichzeitig ist der Anteil der Steuern und Sozialabgaben am Sozialprodukt von 34,7 v. H. auf 38,2 v. H., gemessen am Bruttosozialprodukt, und die Nettokreditaufnahme der öffentlichen Haushalte von 0,5 auf 4,3 v. H. des Sozialprodukts gestiegen.
Meine Damen und Herren, das sind Zahlen, mit denen wir uns zu beschäftigen haben. Ich glaube, niemand, auch nicht die Opposition, kann an diesen Dingen vorübergehen. Lassen Sie mich aber auch das sagen: Wir haben es leider kommen sehen, daß das letztlich so ausgehen wird, wie es dieser Dokumentation des Bundespresse- und Informationsamtes als eine Meinungsäußerung der Bundesregierung zu entnehmen ist. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911202900
Herr Kollege Franke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911203000
Leider nein. Für den Kollegen von der FDP gebe ich keine Sprechstunde. Die hat er nicht nötig. Auch ihm steht eine private Aussprache zur Verfügung. Ich wiederhole: Es ist lediglich eine Frage der mir zugewiesenen Zeit. Es ist nicht etwa so, daß ich die Frage nicht beantworten wollte.
Was hier vom Bundespresseamt gesagt worden ist, ist richtig ausgedrückt, kommt aber 13 Jahre zu spät, wie ich befürchte, zu spät auch für die rentenpolitischen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem bis 1984 zu erfüllenden Auftrag zur Gleichstellung von Mann und Frau im Rentenrecht. Jeglicher Spielraum für Reformen ist von dieser Regierung verwirtschaftet worden. Es gibt schon heute Äußerungen, wonach man die Anrechnung von Erziehungsjahren nicht mehr vornehmen kann, weil man sie nicht mehr bezahlen kann. Das heißt, das, was von allen drei Bundestagsfraktionen im Jahr 1980 zu der Anrechnung von Erziehungsjahren gesagt worden ist — diese Anrechnung sollte jetzt erfolgen —, wird sich leider nicht verwirklichen lassen, weil die Kassen des Bundes leer sind und es letztlich nicht ermöglichen, die Anrechnung der Erziehungsjahre in der Rentenversicherung zu finanzieren. Das ist sehr bedauerlich.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, nur noch eine ganz kurze Dokumentation zum Beweis



Franke
dafür geben, daß Sie während der 13 Jahre, die Sie regiert haben, falsch regiert haben. Nicht nur Rainer Barzel hat das 1969 gesagt, sondern auch aus dem Jahre 1972 gibt es dafür ein Dokument. Es ist der Brief von Karl Schiller, der 1972 seinem Kanzler kurz vor seinem Rücktritt geschrieben hat: Wenn ihr diesen Weg geht, dann geht ihr in die Irre. Genossen, laßt die Tassen im Schrank! Ihr guckt nicht über den Rand des nächsten Wahltages hinaus.
Meine Damen und Herren, das war das Motiv des Rücktritts von Karl Schiller. Er hat leider genauso recht gehabt wie Rainer Barzel. Uns können Sie dafür nicht haftbar machen; denn all unsere Vorschläge haben Sie in diesen 13 Jahren abgelehnt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/ CSU]: Und jetzt ist das Geschirr zerdeppert!)

Die Bundesregierung legt parallel zum Rentenanpassungsgesetz 1983 zwei neue Gesetzentwürfe vor. Den einen werden wir gleich noch behandeln.
Ich beschäftige mich jetzt nur noch ganz kurz mit dem Sechsten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz. Hierin sind erhebliche Belastungen für den Bürger enthalten.

(Zurufe von der SPD)

— Es scheint Ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein, daß ich mich bislang mit den Perspektiven des Rentenanpassungsgesetzes 1983 und der Ursache, weshalb es zu solchen Schwierigkeiten gekommen ist, beschäftigt habe. Ich bitte, das zu beachten. — Meine Damen und Herren, ich unterstelle, daß Sie es akustisch nicht mitbekommen haben; denn daß Sie es verstehen, ist ja wohl völlig klar.
Ich komme zu der stufenweisen Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags für Rentner. Frau Matthäus-Maier, 1967/68 haben wir in der Großen Koalition einen zweiprozentigen Krankenversicherungsbeitrag für Rentner eingeführt. Nach dem Regierungswechsel 1969 wurde der Beitrag abgeschafft. Die einbehaltenen Beträge wurden ausgezahlt. Die finanzielle Lage der Rentenversicherung wäre heute entschieden besser, wenn der Fehler der Abschaffung damals nicht begangen worden wäre.
Nun können Sie uns sagen, daß wir damals nicht deutlich genug geschrieen haben. Das gebe ich zu. Aber, meine Damen und Herren, Sie haben sich ja immer jedem vernünftigen Argument verschlossen. Wenn wir vernünftig argumentiert hätten, hätten Sie es angesichts der politischen Landschaft nicht vermocht, sich der Argumentation anzuschließen, weil es letztlich Ihr Wille war, hier weitere Wahlgeschenke zu verteilen. Diese aber müssen Sie heute einsammeln.

(Pohlmann [CDU/CSU]: Das war der fröhliche Einstand von Herrn Brandt!)

Bei der Debatte über das 21. Rentenanpassungsgesetz 1978 hatten wir von der Union vorgeschlagen, an Stelle der willkürlichen Anpassung der Rentenzahlungen einen sozial gestaffelten Krankenversicherungsbeitrag der Rentner einzuführen. Das wurde damals von der Koalition abgelehnt. Anstatt unserem Vorschlag zu entsprechen, koppelten Sie die Bruttoanpassung ab und erhöhten die Renten 1979 nur um 4,5 % und in den nachfolgenden Jahren jeweils um 4 %.
Seit 1977 sind durch Verschiebung der Belastung auf die Krankenversicherung und durch geringere Rentenanpassungen weit über 150 Milliarden DM bewegt worden,

(Löffler [SPD]: Sie haben doch hier keinen Lehrstuhl für Sozialgeschichte!)

und zwar zu Lasten der Rentner und der Beitragszahler in der Rentenversicherung und der Krankenversicherung. Hier ist also von einer ganz bestimmten Gruppe unserer Bevölkerung schon ein nicht unerheblicher Solidaritätsbeitrag geleistet worden.
Nun kommen Sie von der Koalition und führen — statt, wie ursprünglich vorgesehen, im Jahre 1985, und später, im Beschäftigungsförderungsprogramm, für 1984 — jetzt für 1983 einen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner ein. Sie beginnen 1983 mit 1 % und enden 1986 mit 4 %. Es ist sicherlich nicht ganz ausgeschlossen, daß Sie eines Tages 6 % verlangen werden. Aber Sie haben sich, glaube ich, an den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung gehalten.
Ab 1983 werden die Rentner ohnehin schon durch beschlossene Gesetze belastet. Die Rentner, die z. B. Betriebsrenten oder andere Alterseinkommen beziehen, müssen von diesen ihren Zusatzalterseinkommen schon ab 1983 6 % Krankenversicherungsbeitrag bezahlen. All diesen Gesetzen, die Sie schon beschlossen haben und die Sie noch beschließen werden, liegt keine rentenpolitische Konzeption zugrunde. Den Belastungen, die Sie in den letzten Jahren eingeführt haben und auch noch beschließen wollen, liegt ausschließlich das Diktat der leeren Kassen zugrunde.
Trotz Ihrer Fehler, die Sie in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gemacht haben, sind wir bereit, Herr Cronenberg, Ihre unpopulären Maßnahmen mitzutragen.

(Lachen bei der SPD — Zuruf von der SPD: Sie sind sehr großzügig!)

Das heißt konkret, wir tragen die Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags für Rentner mit, aber wir werden nicht zustimmen, daß Sie das den Rentnern vorenthaltene Geld zur Stützung der leeren Bundeskasse verwenden.

(Pohlmann [CDU/CSU]: Verschiebebahnhof!)

Bei dieser Gelegenheit will ich jedoch daran erinnern, daß Sie auch den sozial gestaffelten Krankenversicherungsbeitrag der Rentner meinen. Wir werden uns über Einzelheiten im Ausschuß unterhalten müssen.

(Hölscher [FDP]: Das ist das Ende einer Leistungsrente!)

— Das ist ein wichtiges Argument, lieber Herr Hölscher. Ich greife es auf.
Bei uns in der Fraktion gibt es also eine Diskussion über einen dadurch möglicherweise entstehen-



Franke
den nivellierenden Effekt. Ich biete Ihnen an — ich gestehe, daß bei uns diskutiert wird —, miteinander in allem Freimut darüber zu reden. Ich wiederhole: Wir bieten an, 1 % mitzutragen, auch schon für 1983. Dies darf aber nicht zur Stützung des Bundeshaushalts verwendet werden. Mehr können Sie von einer Opposition in dieser Frage doch nicht erwarten, die Ihnen völlig ohne Zwang dieses Angebot macht.
Ich möchte noch eine Bemerkung über den Bundeszuschuß machen, da 1,3 Milliarden DM aus der Rentenversicherung und 200 Millionen DM aus der knappschaftlichen Rentenversicherung für ein Jahr nicht zur Stützung der Rentenversicherung und zur besseren Liquiditätsausstattung verwendet werden sollen. Wir müssen auch über den dritten Beitragszahler, die öffentliche Hand, sprechen. Das ist jetzt eine Privatunterhaltung zwischen uns beiden, Herr Cronenberg, denn Sie bewerten den Bundeszuschuß anders. Wir müssen uns nicht auf die 33 % einigen. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin hatte ja festgestellt, daß 33% der Ausgaben für sachfremde Leistungen verwendet werden, die dort nicht zu verantworten sind. Wir können uns auf einen geringeren Betrag einigen, obwohl wir einige Positionen vielleicht unterschiedlich bewerten. Sicher ist aber, daß der Bundeszuschuß, gemessen an den Ausgaben der Rentenversicherungsträger, in Höhe von 16 % bei weitem nicht ausreicht, um die Verpflichtungen dort zu erfüllen.
Die öffentlichen Hände haben also in den letzten — jetzt nenne ich eine Zahl —15 Jahren die ehemals volle Kasse nicht benutzt, um etwas zu verschieben, sondern dazu, die Zahlung aufzuschieben und in den letzten Jahren — leider — zu einer Verkürzung des Bundeszuschusses zu kommen, der eben leider nur 16% der Ausgaben deckt.

(Abg. Cronenberg [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Lieber Herr Kollege Cronenberg, seien Sie so lieb und akzeptieren Sie das! Das ist wirklich nur eine Frage der Zeit.
Es kann nicht der Sinn der ersten Lesung sein, auf jede Einzelheit der Gesetzentwürfe einzugehen. Daher will ich nur zu einigen Punkten Stellung nehmen. Sie planen die Änderung der Bemessung der Beiträge für Arbeitslose an die Rentenversicherung. Es sollen künftig als Berechnungsgrundlage nur noch 70 % statt der 100 % des Bruttoarbeitsentgeltes dienen, die bisher galten. In diesem Zusammenhang hat Herr Kollege Glombig dankenswerterweise auch auf die anderen Konsequenzen, die andere Bemessung der Ausbildungszeiten, hingewiesen, die Sie in Ihren Entwurf hineingeschrieben haben. Ich verweise nur darauf. Es kann nicht Sinn der ersten Lesung sein, hier auf jede Einzelheit einzugehen. Das muß der zweiten Lesung vorbehalten bleiben, nach der Anhörung im Ausschuß, die wir wahrscheinlich am 29. und 30. dieses Monats durchführen werden, und der Beratung im Ausschuß. Als Begründung sagen Sie, daß Sie die ungünstige Lage am Arbeitsmarkt dazu zwingt, auch auf der Ausgabenseite — hier beim Zuschuß von der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherungsträger — Kürzungen vorzunehmen. Also erfolgen auch hier infolge der verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik notwendige Eingriffe in soziale Besitzstände. Wir werden uns im Ausschuß natürlich nach einer sorgfältig durchgeführten Sachverständigenanhörung über die sozialen Auswirkungen dieser Maßnahmen unterhalten müssen.
Ihnen, meine Damen und Herren, ist sicherlich noch in Erinnerung, daß die Union im letzten Jahr die Möglichkeit der Änderung der Beitragsbemessung ins Gespräch gebracht hat. Wir wollten damit dokumentieren, daß wir, obwohl die Union für die desolate Wirtschaftslage nicht verantwortlich ist, auch bereit und in der Lage sind, unpopuläre Maßnahmen vorzuschlagen und mitzutragen. Ich verrate Ihnen wohl kein Geheimnis, wenn ich sage, daß es über diese Haltung, die wir schon eingenommen hatten und auch heute als Fraktion noch einnehmen, in unserer Fraktion eine heftige Diskussion gegeben hat und auch noch gibt.

(Zurufe von der SPD)

Der Entlastungseffekt ist im Grunde genommen derselbe. Der Entlastungseffekt für die Bundesanstalt für Arbeit beträgt 1983 2 Milliarden DM, 1984 2,1 Milliarden DM, 1985 2,2 Milliarden DM, 1986 2,3 Milliarden DM. In diesem Zusammenhang planen die Regierungsparteien auch eine Veränderung der Bemessungsgrundlage in der Krankenversicherung für Arbeitslose und damit eine Absenkung der Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit an die Krankenversicherung. Damit werden der Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit und der Bundeshaushalt, wenn das Gesetz wird, in den Jahren 1983 und 1984 jeweils um 1,3 Milliarden DM, 1985 um 1,4 Milliarden DM und 1986 um 1,5 Milliarden DM entlastet. Diese Entlastung einerseits belastet andererseits als Mindereinnahme die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Ausgleich für diese Einnahmeausfälle soll durch einen Katalog von Maßnahmen — sprich: durch höhere Belastungen der Bürger — geschaffen werden. Bei der Beratung des Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften kommen wir heute morgen noch darauf zurück. Die Folge wird allerdings sein, daß auch eine Beitragserhöhung bei den Trägern der Krankenversicherung nicht zu vermeiden sein wird.
In dem Entwurf des Sechsten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes haben Sie von der Regierung außerdem eine Erhöhung des Beitragssatzes für die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg um 0,5 % auf 4,5 % vorgeschlagen. Die Zeiten, in denen wir unter einer CDU/CSU-Regierung den Beitragssatz auf 0 % senken konnten, sind leider schon lange vorbei. Auch die Zeiten mit einem Beitrag von 1,3 % — 0,65 % für die Arbeitnehmer und 0,65 % für die Betriebe — sind leider lange vorbei. Wir werden die Zustimmung zu dieser Erhöhung versagen. Aus Ihrer Sicht wäre es in Verbindung mit dem, was ich vorher über die Krankenversicherung und die Kürzung des Zuschusses dort gesagt habe, allerdings konsequent gewesen, wenn Sie z. B. die Absenkung der Beiträge durch die Bundesanstalt auf 70 % des Bruttoarbeitsentgeltes an die Krankenversicherung unterlassen hätten und dafür eine Beitragssatzanhebung um 0,7 statt um 0,5 % vorgenommen hätten. Dann hätten



Franke
Sie sich den ganzen Kram der Belastung der einzelnen Positionen, über die wir nachher noch beraten werden, wahrscheinlich gespart. Ich sage: Aus Ihrer Sicht wäre das konsequent gewesen. Dann hätten Sie sich auch, verehrte Kollegen Cronenberg und Schmidt (Kempten), die kassenartübergreifende Finanzmanipulation, die Sie im § 157 AFG geplant haben, gespart. Aber die Regelung dieser Frage erledigen Sie kurzerhand in einem anderen Gesetzentwurf.
Auch hier gilt, daß wir uns im Ausschuß nach der Sachverständigenanhörung intensiv über diesen Komplex unterhalten müssen. Ein Leitmotiv für unser gemeinsames politisches Handeln könnte das sein, was Professor Weichmann am 17. Juni dieses Jahres uns Politikern und den Bürgern ins Stammbuch geschrieben hat:
Um aber nicht nur von Politikern, Unternehmern und der Tragweite einer persönlichen Qualität zu sprechen: Der mündige Bürger, von dem wir reden, benutzt seinen Mund vielfach nur, um Forderungen an die öffentliche Hand zu stellen, und offenbart keine innere Stimme, mit der er sich selbst die Aufgabe zuweist. Er will bedient werden, aber nicht dienen. An dem Begehren der Bürger gemessen ist auch der demokratische Staat irgendwie ein totalitärer Staat, der rechte Adressat für alle Wünsche. Darum ist auch hier an jene demokratische Gesinnung zu appellieren, bei der Libertas nicht mit Libertinage gleichzusetzen ist, bei der Freiheit auch Beschränkung bedeutet, die Pflicht zur moralischen Verantwortung im Denken an sich selbst und an die Gemeinschaft.

(Zuruf des Abg. Löffler [SPD]) — Das war Herbert Weichmann.

Wenn ich die Rede meines Parteivorsitzenden gestern und die von Herrn Genscher gestern noch richtig in Erinnerung und richtig verstanden habe, dann heißt das, meine Damen und Herren, daß auch diese beiden Männer meinen, daß wir zu einer Veränderung der Anspruchshaltung unserer Bevölkerung, ausgehend von den Politikern, die mit gutem Beispiel vorangehen sollten, kommen müssen. Ich glaube, daraus wird deutlich, daß es sich hier nicht nur um eine materielle Krise, sondern um eine geistig-moralische Krise handelt. Diese gilt es zu bewältigen.

(Löffler [SPD]: Die haben Sie nur verschärft!)

Sozialisten sind zu einer Veränderung dieses Klimas in der Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911203100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Heyenn.

Günther Heyenn (SPD):
Rede ID: ID0911203200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es redet sich leicht von moralischer Krise,
Herr Kollege Franke. Es redet sich leicht vom falschen Weg. Es redet sich leicht von Verwirrspiel.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist alles richtig!)

Aber wo ist eigentlich die moralische Krise zu suchen, Herr Kollege Franke, wenn man hier einerseits von leeren Kassen spricht, aber andererseits schon völlig verdrängt hat, daß es einmal einen Gesetzentwurf der Unionsfraktionen zum Erziehungsgeld, der 11 Milliarden DM jährliche Belastung gebracht hätte, gegeben hat? Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten diese Ausgabe heute im Bundeshaushalt? Wo ist denn die moralische Frage? Haben Sie denn vergessen, Herr Kollege Franke, was 1972 geschehen ist? Ich meine die vorgezogene Anpassung, die Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige. Wie viele Milliarden DM hat uns das, was Sie uns damals, 1972, eingebrockt haben, gekostet?

(Sehr wahr! bei der SPD)

Angesichts dessen finde ich es schon relativ frech, hier von moralischer Krise zu reden.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir kennen ja Ihre einführenden zehn Minuten, in denen Sie sich immer als Wirtschaftspolitiker versuchen. Ich mußte schon in den vergangenen Jahren für mich immer feststellen — diesmal will ich es einmal aussprechen —, daß ich den Eindruck habe, daß Sie ein verhinderter Wirtschaftspolitiker sind und die Wirtschaftspolitiker ganz froh sein können, daß Sie verhindert sind, dort mitzutun.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das war aber nicht gekonnt!)

Herr Kollege Franke, Sie haben über den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner gesprochen. Ich will darauf eingehen.

(Zuruf des Abg. Jagoda [CDU/CSU])

— Wo hat hier Arroganz gelegen, Herr Kollege Jagoda? Dies möchte ich lieber nicht werten. Bei ein wenig Objektivität wird auch Ihnen das aufgehen.

(Jagoda [CDU/CSU]: Gucken Sie einmal Ihre Ergebnisse an!)

Ich will vom Krankenversicherungsbeitrag der Rentner reden, den wir bei einer Unionsregierung j a schon im vergangenen Jahr gehabt hätten mit 2 oder 3 %. Wir führen ihn ein, weil sich die Arbeitnehmer- und die Rentnereinkommen nicht weiter auseinanderentwickeln dürfen. Dies ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

(Kolb [CDU/CSU]: Es dient zur Entlastung des Haushalts!)

— Auch das, darauf komme ich noch. — Aber wir müssen bedenken, daß die Renten in der Rentenversicherung seit 1969 um real 43 % gestiegen sind und die Arbeitnehmereinkommen nur um knapp 30 %. Wir haben das gewollt. Es gab einen Nachholbedarf. Obwohl die ursprünglichen Anpassungsvorhaben durch die Anpassungsgesetze 1977 und 1978 reduziert werden mußten, konnte der Kollege Glombig zu Recht darauf hinweisen, daß wir heute bei 40 Versicherungsjahren ein Nettorentenniveau von rund



Heyenn
65% haben, das sich sehen lassen kann. Die Scherenteile müssen sich also wieder annähern: Arbeitnehmer/Rentner. Denn gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kann sonst bei dem Arbeitnehmer seine Beitragsbelastung auf Unverständnis stoßen, wenn sein Realeinkommen stagniert oder sinkt. Denn der Arbeitnehmer finanziert zusammen mit dem Bund im Umlageverfahren die heute gezahlten Renten.
Im übrigen möchte ich eines wiederholen. 5,6 % minus 1 % bedeutet 4,6 % Anpassung der Renten ab 1. Januar 1983. Wir erfüllen mit dem Krankenversicherungsbeitrag einen doppelten Zweck. Einmal wird der Gleichklang in der Einkommensentwicklung zwischen Beitragszahler und Rentner erreicht, ohne eine Verschlechterung bei den Rentnern herbeizuführen, die nicht zu vertreten wäre. Zum anderen ist das ein Konsolidierungsbeitrag für die Rentenversicherung und bedauerlicherweise zunächst noch einmal 1983 ein Konsolidierungsbeitrag für den Bundeshaushalt.

(Kolb [CDU/CSU]: Die Sünden werden doch ewig sein!)

— Was hätten wir erst für Sünden, wenn wir Ihnen gefolgt wären! —
Wir wollen hier nicht leugnen, daß die Krise von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik, die weltweite Struktur- und Ressourcenkrise auch die Finanzsituation bei den Rentenversicherungsträgern beeinflußt. Wer wollte auch leugnen, daß es Liquiditätsprobleme im kommenden Jahr geben kann? Aber — und das vergißt auch der Kollege Franke immer wieder — die Rentenversicherung ist eben keine Insel mit heiler Welt, Sonnenschein und ruhigem blauen Wasser, wo nur ringsherum am Horizont überall Gewitter aufleuchten. Die Rentenversicherung ist ein Teil unserer Gesellschaft.
Wir betrachten das mit Sorgen. Aber wir wissen alle, daß der Weg in einer solchen Situation über die vorzeitige Auszahlung von Bundeszuschüssen geht. Herr Kollege Franke hat davon gesprochen, wie es im Jahr 2030 aussehen wird und was Herr Professor Meinhold dazu sagt. Er hätte sagen sollen, daß Herr Professor Meinhold grundsätzlich noch heute sagt, daß die Rentenfinanzen bis 1986 in Ordnung sind, im mittelfristigen Zeitraum. Das habe ich hier nicht gehört.

(Kolb [CDU/CSU]: Bei anderen Annahmen!)

Eines ist dabei sicher — und auch das höre ich nie bei der CDU/CSU —: Der Rentner weiß, seine Rente ist gesichert. Dabei ist es mehr als bedauerlich, daß Institutionen, Verbände und Opposition dem Rentner diese Tatsache permanent auszureden versuchen.

(Kolb [CDU/CSU]: Herr Kollege, Sie müssen sagen, welche Voraussetzungen da vorgesehen sind!)

Einige machen das unbewußt. Aber einige begreifen auch die Folgen. Einige kochen wie der Kollege Franke mit heller Freude diese Suppe. Sie tun das auf dem Rücken von Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben und vor denen es mehr Achtung
geben sollte. Ich möchte einiges zitieren, was wir in den vergangenen Monaten gehört haben: Schwere Krise in der Rentenversicherung, leider düstere Lage — so auch heute der Kollege Franke wieder —, es droht parteiideologische Willkür, Sondersteuer für Rentner. Diese Ausdrücke — ich kann Ihnen das belegen — schaffen Unsicherheit, obwohl Sie genau wissen, daß für den einzelnen keinerlei Gefahr für Höhe und Stetigkeit der Rentenzahlung besteht. Ich möchte an Sie appellieren: Machen Sie Schluß mit der Verunsicherung, denn sie ist und bleibt ein unwürdiges Spiel auf dem Rücken der alten Menschen! Diese Verunsicherung ist unseriös. Wer Franke, Blüm und Geißler hört, muß sich eigentlich darüber wundern, daß die Rente an jedem Ersten wieder auf dem Konto ist und auch noch jedes Jahr erhöht wird.
Die Union warnt: Die Renten nicht weiter kürzen! Wir müssen heute auch langfristig wirkende Korrekturen vornehmen. Aber Ihre Kürzungsvorstellungen lauten doch: 5 bis 7 % bei der Rente.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer sagt das denn?)

— So der Kollege Höpfinger beim VdK: minus 5 bis 7 % bei den sozialen Leistungen; das sind doch wohl auch Renten.

(Franke [CDU/CSU]: Nein!)

Sie betreiben ein Verwirrspiel. Sie versuchen, Ihre Kürzungsabsichten zu verschleiern, und werfen uns Verwirrung vor. Wer kann denn noch erkennen, was Ihre eigentliche Meinung ist? Sie wollen eine realistische Diskussion unmöglich machen.

(Beifall bei der SPD)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911203300
Herr Kollege Heyenn, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Günther Heyenn (SPD):
Rede ID: ID0911203400
Danke, nein. Ich habe noch eine Minute Redezeit, also nicht soviel Zeit wie der Kollege Franke.

(Lutz [SPD]: Er hat ja auch keine Fragen zugelassen!)

Lassen Sie mich abschließend kurz einen Komplex behandeln, den ich mit einem Zitat des uns nicht unbekannten Herrn Geißler im „DeutschlandUnion-Dienst" beginnen möchte. Geißler führte dort im Juni 1982 aus:
Es gab noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik eine Zeit, in der die Arbeitnehmer und sozial Schwachen so benachteiligt wurden wie in den vergangenen 13 Jahren unter einer SPDKanzler-geführten Regierung.
Meine Damen und Herren, glauben Sie dies wirklich angesichts der Tatsachen? Sie reden von „sozialer Unausgewogenheit", sind bereit, die wesentlichen Kürzungen im sozialen Bereich im Bundesrat mitzutragen, aber wenn es an die Tasche der wirtschaftlich Stärkeren geht, dann verweigern Sie sich



Heyenn
mit fadenscheinigen Gründen. Dies ist für mich Heuchelei auf dem Rücken der sozial Schwachen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP — Zuruf von der SPD: Pfui!)

Wir müssen das hinnehmen. Wir haben in den vergangenen 13 Jahren die Rechtspositionen der einzelnen verbessert. Unter unserer, nicht unter Ihrer Regierung ist der Sozialetat zum größten Einzeletat des Bundeshaushalts geworden.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Ist das ein Vorteil? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Sie möchten davon zurück.

(Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wir wollen dies behalten. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der SPD — Franke [CDU/CSU]: 30 Milliarden DM allein für die Arbeitslosenunterstützung!)

Wir dürfen nicht vergessen, meine Damen und Herren, was in den vergangenen 13 Jahren passiert ist. Erinnern Sie sich daran, wer die flexible Altersgrenze eingeführt hat, wer sie für die Behinderten um zwei weitere Jahre gesenkt hat. Das war 1972, zu einer Zeit, als Sie hier im Bundestag das Babyjahr verhindert haben. Wir dürfen nicht vergessen, wer die Rente nach Mindesteinkommen eingeführt hat und die regelmäßige dynamische Anpassung der Kriegsopferrenten.
Ich könnte diese Liste fortsetzen. Ich will aber zum Schluß kommen und nur noch folgendes sagen. Trotz aller Schwarzmalereien: Der Rentner kann ruhig in die Zukunft schauen. Lassen Sie uns, weil sich der Rentner auf die Politik dieser Koalition verlassen kann, unsere Meinungsverschiedenheiten bitte nicht durch Verunsicherung der Rentner auf deren Rücken austragen.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Zurufe von der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911203500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt (Kempten).

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0911203600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Glombig hat vorhin für die Koalitionsfraktionen gemeinsam die vorliegenden Rentengesetzentwürfe eingebracht. Der Kollege Hölscher wird dies nachher für das Sozialversicherungsänderungsgesetz für die Koalitionsfraktionen gemeinsam tun. Schon allein aus dieser Tatsache wird deutlich, daß es, da die Gesetzentwürfe mit den Kabinettsbeschlüssen, die dem Bundesrat vorliegen, voll identisch sind, in dieser sozialliberalen Koalition sowohl zwischen den Fraktionen als auch zwischen den Mitgliedern der Bundesregierung keinen Dissens in diesen Fragen gibt; sonst gäbe es keine gemeinsame Einbringung und keine gemeinsamen Vorlagen. Daß es bei der Vorbereitung dieser Gesetze in der Sache unterschiedliche Ausgangsbasen gab, ist wohl in Koalitionen eine Selbstverständlichkeit. Das kenne ich aus Zeiten, in denen ich Sozialpolitik mit Ihnen von der Opposition, manchmal hart, aushandeln mußte. Das ist nicht neu. Daß aber gemeinsame Gesetzentwürfe gemeinsam begründet werden, ist doch wohl der sicherste Beweis dafür,

(Kolb [CDU/CSU]: Und in der Einbringung schon korrigiert werden!)

Herr Kollege Kolb, daß beispielsweise die heutige Schlagzeile einer Zeitung, auf Grund der gestrigen Debatte gebe es in der Koalition auseinanderklaffende Positionen, voll und ganz nicht der Wahrheit entspricht; sonst stünden wir doch nicht hier und legten so schwerwiegende Gesetze zu diesem Zeitpunkt vor.
Ich sage Ihnen offen: Manches von dem wäre schon vor einigen Jahren fällig gewesen. Aber diese Bundesregierung, diese sozialliberale Koalition und ihre Fraktionen — ich bin so offen, das zu sagen — haben eben erkannt,

(Zuruf des Abg. Kolb [CDU/CSU])

Herr Kolb, daß die Anpassung an die veränderten Rahmenbedingungen auch im Bereich der sozialen Sicherheit notwendig ist. Diese Diskussion ist nicht neu. Aber Erkenntnisprozesse brauchen ihre Zeit.
Gerade in den letzten Wochen ist erkannt worden — und wenn der Kollege Franke einmal nicht polemisch redet, sondern seinen Sachverstand walten läßt, sagt er für die Opposition dasselbe —, daß diese Anpassungen einfach auf Grund der Entwicklungen notwendig sind

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Aber die Entwicklung war nicht wendig!)

— darauf komme ich noch, Frau Kollegin —, und zwar nicht nur, weil wir augenblicklich — vielleicht auch noch eine gewisse Zeit — unter einer hohen Arbeitslosigkeit leiden. Vielmehr wären diese Maßnahmen zur Anpassung an die Rahmenbedingungen allein schon deshalb notwendig — darum hat man auch Mitte der 70er Jahre bereits darüber gesprochen —, weil es auch in besseren Zeiten ein Wirtschaftswachstum der 50er und 60er Jahre nicht mehr geben wird, weil auch die Belastbarkeit der Arbeitnehmer an einer Grenze angelangt ist — Sie und Herr Katzer haben ja mit 4 % in der Rentenversicherung noch gewaltig dafür gesorgt —, die nicht überschritten werden kann, und weil sich das Verhältnis zwischen Aktiven und Rentnern, überhaupt zwischen Aktiven und Passiven in unserer Gesellschaft verändert, was in jedem Jahrbuch nachzulesen ist.

(Kolb [CDU/CSU]: Auch das haben Sie nicht verhindert! — Franke [CDU/CSU]: Herr Kollege Schmidt, Sie haben aber ebenfalls erhöht!)

Es ist selbstverständlich, daß diese Probleme noch größer werden, wenn auf Grund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung eine hohe Arbeitslosigkeit zu verzeichnen ist. Deshalb muß auch noch härter, konkreter zugegriffen werden. Daß das geschehen wird, ist eine Entscheidung der sozialliberalen Koalition. Deshalb begrüßen wir Freie Demokraten diese Vorlage und die nächste — das wird der Kollege Hölscher noch sagen — sehr, überhaupt alles, was im Zusammenhang mit der Stabilisierung des Haushalts 1983 an flankierenden Gesetzen notwendig ist.



Schmidt (Kempten)

Lassen Sie mich nun ein wenig auf das eingehen, Herr Kollege Franke, was Sie in altbewährter Weise — „an Vorstellungen" will ich gar nicht sagen; „an Polemiken" wäre vielleicht etwas übertrieben — so dargestellt haben.

(Franke [CDU/CSU]: Wie Sie es empfinden!)

Merkwürdig ist beispielsweise, Herr Kollege Franke, daß es ja der Bundesrat, d. h. dessen Mehrheit war, der im vorigen Jahr noch wesentlich höhere Kürzungen der Leistungen der Bundesanstalt an die Rentenversicherung wollte. Es ist doch wohl die Opposition, die im Bundesrat die Mehrheit hat und die damals von 68 % netto als Bemessungsgrenze sprach.

(Heyenn [SPD]: Das hat Herr Franke vergessen!)

Es wird verschwiegen, daß das zu einer Verdoppelung des Problems geführt hätte, in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung.

(Abg. Franke [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Sie waren es also, die diesen Weg als erste zumindest ins Auge gefaßt haben, wobei ich zugebe — Sie haben das vorhin ja auch deutlich gemacht —, daß das bei Ihnen unterschiedlich beurteilt wird.

(Heyenn [SPD]: Das ist eine Frage der Moral!)

— Auch der Einigkeit: Die Koalition ist sich in diesen Fragen einig, die Opposition weiß nicht, was sie will.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)

— Darauf komme ich noch.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911203700
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke? — Bitte sehr.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911203800
Herr Kollege Schmidt, ist Ihnen noch in Erinnerung, daß ich soeben gesagt habe, daß darüber bei uns heftig diskutiert worden ist und auch noch wird, daß wir aber bereit sind, diese Frage, wenn sie richtig gelöst wird, mitzutragen, und ist Ihnen noch in Erinnerung, daß wir im letzten Jahr die Rentenversicherung, aber nicht die Krankenversicherung gemeint haben?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0911203900
Wenn Sie die Protokolle über die Ausschußberatungen des Bundesrates richtig nachlesen, werden Sie feststellen, daß zunächst auch die Krankenversicherung gemeint war. Man hat es seitens der Opposition dann etwas korrigiert. Bitte, lesen Sie die Protokolle genau! — Ich habe das natürlich gehört, Herr Kollege Franke. Aber gerade das hat mich ja darin bestärkt, wie notwendig es ist, daß wir hier gemeinsam Gesetze vorlegen, Gesetze verabschieden, weil bei Ihnen immer noch über das Wie und die Richtung diskutiert wird — das haben
Sie soeben ja selber gesagt —, und dazu haben wir keine Zeit mehr.

(Zuruf von der CDU/CSU: Warum denn nicht?)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911204000
Herr Kollege Schmidt, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Franke?

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0911204100
Wenn das nicht zum Dauerspiel wird, gern. Ich kenne das aus früheren Debatten.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911204200
Das liegt an Ihnen.

(Franke [CDU/CSU]: Herr Kollege Schmidt, nur zweimal!)


Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0911204300
Also, gut.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911204400
Herr Kollege Schmidt, müßten wir alle es nicht als ein hohes Gut demokratischer Gepflogenheiten werten, wenn in einer Partei und in einer Fraktion um den richtigen Weg gerungen wird,

(Zurufe von der SPD)

und ist Ihnen nicht in Erinnerung, daß ich das hier dargelegt, im übrigen aber auch gesagt habe, daß wir bereit sind, diese Entscheidung mitzutragen?

(Wehner [SPD]: Phrasendrescherei!)


Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0911204500
Herr Kollege Franke, ich akzeptiere es nicht nur, sondern ich respektiere es auch, weil es das in jeder Fraktion, in diesem Haus generell geben muß, daß man über unterschiedliche Meinungen diskutiert.

(Franke [CDU/CSU]: Warum kritisieren Sie das denn?)

Aber wenn Sie seit Wochen und Monaten über eine Alternativlösung zu der der Bundesregierung nachdenken, dann müßten Sie allerdings einmal sagen: Die sieht so und so aus.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Da haben Sie aber nur einen einzigen Punkt genannt, die Krankenversicherung der Rentner. Oder habe ich einen Ihrer Kollegen — ich sehe ihn im Moment nicht — in Nürnberg falsch verstanden — es ist der Kollege Vogt gewesen —, als er vor der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten die Bruttorente verteidigte, Kritik des DGB voll übernahm und voll auf diese Bundesregierung lenkte? Habe ich ihn da falsch verstanden, oder ist das nicht auch ein Stück Meinung Ihrer Oppositionsfraktion?

(Frau Steinhauer [SPD]: Die Sozialausschüsse vergißt er!)

Also, wenn hier jemand — ich tue es nicht — über neue Mehrheiten nachdenkt, dann kann ich nur sagen: Diese neue Mehrheit wäre eine miese Sache für die Rentner und für die Lösung all der Probleme, die vor uns liegen.

(Beifall bei der SPD)

Denn die Probleme würden zunächst einmal um ein,
zwei Jahre verschoben und nicht etwa angepackt,



Schmidt (Kempten)

wie wir das mit unseren Gesetzentwürfen versuchen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Hier wird aus der Koalitionseine Fraktionsdebatte!)

Sie sagen — Herr Kohl hat das gestern auch schon getan —, hier würden Wahlgeschenke zurückgenommen. Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, da klopfen wir uns einmal alle an die Brust. Ich habe vor einigen Jahren schon einmal gesagt: Es gab natürlich bessere Jahre, bessere Jahre, die nichts mit einer verfehlten Wirtschaftspolitik zu tun hatten — das muß doch endlich einmal heraus

(Zuruf der Abg. Frau Hürland [CDU/ CSU])

— Frau Kollegin Hürland! —; das waren eben die Jahre des Nachholbedarfs in der Nachkriegszeit, die zu besseren Zuwachsraten führten. Es war hinsichtlich der Zuwachsraten doch schon Anfang der 70er Jahre zu erwarten, daß das nicht mehr mit 6 % und 7 % pro Jahr läuft, wie wir das in den ersten 20 Jahren gehabt haben. Das konnte Ihnen jeder Volkswirtschaftler, jeder Wirtschaftswissenschaftler damals schon sagen. Aber es brauchte etwas länger, daraufhin dann auch umzudenken.

(Kolb [CDU/CSU]: Das war aber eine lange Denkpause!)

So haben wir doch noch 1972 — ich klopfe mich auch an die Brust, aber auch Sie waren sehr mitbeteiligt — in der Rentenversicherung sicher des Guten zuviel getan. Ein bißchen war die verkürzte Wahlperiode schuld, die ja dann zu Ihren Lasten neu aufgenommen wurde; Sie waren ja nach dem 22. September 1972, als die Neuwahl kam, schlechter dran. Aber Sie hatten es versucht und hatten diesen Bundestag damit vor einer vorgezogenen Wahl — ich sage das offen — unter einen gewissen Druck gesetzt. Ich weiß noch sehr gut, daß ich hier wegen der finanziellen Folgen, die sich daraus ergeben würden, gegen die Vorziehung um ein halbes Jahr in der Rentenversicherung gesprochen habe. Aber zum Schluß gab es nur wenige Gegenstimmen. Sie haben es gefordert, und wir konnten es auch aus der damaligen Abstimmungssituation heraus schwer ablehnen. Klopfen wir uns da einmal alle an die Brust! Wir haben zu spät gemerkt, daß sich die Rahmenbedingungen langfristig ändern; sie sind heute durch die Arbeitslosigkeit noch schwieriger.

(Zustimmung des Abg. Löffler [SPD])

Wenn Sie von Verwirrspiel sprechen: Wer versucht denn immer zu verwirren?

(Franke [CDU/CSU]: Ich habe das Wort „Flickschusterei" nicht erfunden, das haben Sie erfunden!)

— Herr Kollege Franke, ich schätze Ihren hohen Sachverstand in sozialpolitischen Fragen. Wir sind beinahe gleich lange mit diesen Fragen in diesem Bundestag beschäftigt. Ich wundere mich nur immer, wie Sie von hier aus plötzlich zu einem polemischen Strauß-Schüler werden können,

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

während Sie sonst in Sachdebatten, Podiumsdiskussionen die Probleme sehr klar und offen ansprechen, weil Sie genauso wissen, daß wir gemeinsame Lösungen brauchen, um die soziale Sicherheit von morgen zu stabilisieren und in den Grenzen zu halten, innerhalb derer sie von den wirtschaftlichen Möglichkeiten her finanziert werden kann.
Sie haben sicher auch recht — ich will das nicht noch vertiefen —, wenn Sie sagen, vieles sei hausgemacht. Aber das haben wir doch gemeinsam gemacht.

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Frau Hürland [CDU/CSU]: Auf einmal gemeinsam?)

— Das habe ich nie bestritten. Alle Sozialgesetze, die sich heute natürlich sehr kostenträchtig auswirken, sind in den Jahren mit hohen Zuwachsraten in diesem Deutschen Bundestag zur Freude aller vereinbart worden, weil es notwendig war, die Renten anzupassen, weil es notwendig war, da und dort bessere Leistungen zu beschließen. Damals brauchten wir auch keine Drucksache, auf der unten stand: „Kosten", weil wir immer wußten, daß die Einnahmen im nächsten Jahr wahrscheinlich größer sein würden als die Vorausschätzungen. Dies ist aber etwas länger her, und wir wissen seit längerem, daß sich das ändert. Insoweit gilt: Wenn etwas hausgemacht ist, dann haben wir es alle gemacht, und wir müssen erkennen, daß das nicht mehr so weitergeht, wenn wir dem echten Ziel, nämlich der sozialen Sicherheit in wohlverstandenem Maß, dienen wollen.
Ein Wort zur Zukunftssicherung der Renten. Ein Schritt in diese Richtung — und ich mache kein Geheimnis daraus, daß dies für uns Freie Demokraten seit langem ein Wunsch war — ist die Einführung eines echten Krankenversicherungsbeitrages der Rentner, der am 1. Januar mit 1 % beginnt. Ich finde es auch richtig — weil Sie das angesprochen haben —, daß wir mit der Beitragsleistung der Rentner an die Krankenversicherung aus zusätzlichen Alterseinkommen bereits im Vorjahr eine Korrektur einer Entscheidung der Großen Koalition vorgenommen haben, die ebenfalls am 1. Januar 1983 materiell wirksam wird. Es war doch unwürdig, daß Rentenbezieher mit kleinen Renten und hoher anderer Altersversorgung zu Lasten der Beitragszahler der Krankenversicherung voll krankenversicherungsfrei waren und sich dort erst als Rentenbezieher ansiedelten. Dies mußten wir ändern, und das sollte man auch aus der Sicht der Opposition als eine richtige Entscheidung ansehen und nicht mit in ein polemisches Paket packen.
Ich stimme Ihnen zu, und ich glaube, wir alle tun das, die wir insbesondere mit Sozialpolitik zu tun haben, und das sind j a die meisten Anwesenden hier — leider Gottes ist der Freitagmittag kein besonders günstiger Termin für ein solches Thema — —

(Löffler [SPD]: Wir könnten natürlich auch in den Ausschußsaal gehen!)

— Das könnten wir auch, Herr Löffler, da haben Sie völlig recht. Man muß aber leider Gottes auf solche Dinge antworten, wenn sie hier so polemisch in den Raum gestellt werden.



Schmidt (Kempten)

Ich stimme Ihnen zu, daß es auf Dauer nicht geht, daß die Bundeszuschüsse immer wieder einmal verschoben oder, wie noch einmal geschehen, gekürzt werden. Ich stimme Ihnen da zu. Wir alle haben uns dazu schon des öfteren geäußert. Ich kann nur wieder sagen, wir müssen uns dieser Frage des Bundeszuschusses so bald als möglich — sicher nicht im Rahmen dieser Beratungen — zuwenden und ihn konkret auf einen Erstattungssatz festlegen, der tatsächlich die Fremdleistungen abdeckt. Da stimmen die 33 % nicht — Sie haben das mit Recht gesagt —, da stimmen vielleicht die 16 % nicht.

(Kolb [CDU/CSU]: Aber dazwischen liegt es!)

Das ist dann aber ein Bundeszuschuß, der diese Rentenversicherung wieder ordnungspolitisch abgrenzt und in Zukunft verhindert, daß der Haushalt ab und zu einmal davon partizipieren kann, was sicher für die zukünftige mittel- und langfristige Finanzierung der Rentenversicherung keine gute Sache ist. Deshalb gehe ich auch davon aus — und ich weiß das auch —, daß diese 1,3 Milliarden, die 1983 noch einmal durch Kürzung im Haushalt bleiben, der letzte Schritt einer solchen Regelung sind. Dies sehe ich als eine letzte Entscheidung in dieser Richtung seitens der sozialliberalen Koalition an.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollten es doch schon beim letztenmal nicht machen!)

Lassen Sie mich abschließend, weil ich nur noch drei Minuten habe, noch zwei allgemeinere Gedanken ansprechen. Es wird immer sehr viel kritisiert, wenn es um das Thema der Ausgewogenheit der Vorschläge geht. Ich glaube, es ist noch nie darüber nachgedacht worden — und das möchte ich einmal all denen ins Stammbuch schreiben, die in Verbänden, die Institutionen oder wo auch immer diese Vorschläge kritisieren —, daß von diesen Maßnahmen — sei es von denen in diesem Gesetz, sei es von denen in dem nachher noch zu beratenden Gesetz —90 % unserer Bevölkerung betroffen werden und nicht, wie Sie vorhin gesagt haben, nur „der kleine Mann". Denn 90 % sind in unseren Sozialversicherungen entweder freiwillig oder pflichtmäßig versichert.

(Kolb [CDU/CSU]: Mehr pflichtmäßig! — Franke [CDU/CSU]: Das ist der kleine Mann!)

— Freiwillig oder pflichtmäßig versichert! Man muß diese Ausgewogenheit insoweit ein bißchen untersuchen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist vielleicht eine Argumentation!)

Es wird also nicht, wie es mit Schlagworten so gern gesagt wird, eine kleine Gruppe von armen, kranken und schwachen Arbeitnehmern betroffen, sondern es sind tatsächlich 90 % der Bevölkerung, die diese 8 Milliarden, die da genannt werden, aufbringen. Dazu gehört auch der Generaldirektor, der heute krankenversichert und rentenversichert ist, genauso allerdings auch der Arbeitnehmer am Fließband. Dazu gehören sie alle, auch der leitende Angestellte, der in Zukunft nur noch eine geringere Anrechnung seiner
Ausbildungszeiten hat. Es gehört die ganze Vielfalt dazu, und es wird nicht — das einmal bei Ihrer Kritik zu sehen, möchte ich doch auch und gerade die Gewerkschaften bitten — nur auf den kleinen Mann abgewälzt. Es ist viel ausgewogener! Es gehört auch die Anhebung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung hinzu, die zwar zur Hälfte vom Arbeitnehmer, aber zur anderen Hälfte wieder vom Arbeitgeber getragen wird. Das alles bitte ich mit zu sehen, wenn man über Ausgewogenheit redet. Man sollte das nicht immer bloß an den Kleinen und den Armen aufhängen und damit wieder polemisieren.
Ich bin davon überzeugt, daß diese 90 % draußen in der Bevölkerung viel Verständnis dafür haben, daß jetzt einmal — statt immer wieder nur Verunsicherung — klare Maßnahmen kommen müssen, und daß sie auch Verständnis dafür haben, daß wir diese Gesetzentwürfe nach den Beratungen im Bundestag sachgerecht zu Ende bringen, damit den Haushalt 1983 stabilisieren und auch — —

(Kolb [CDU/CSU]: Doch nicht den Haushalt!)

— Natürlich auch den Haushalt! Das sind doch flankierende Gesetze. Wir hätten sie besser nächste Woche im Zusammenhang mit der Haushaltsberatung behandelt. Reden wir doch nicht so darum herum; natürlich sind es flankierende Gesetze zum Haushalt 1983.

(Dr. Friedmann [CDU/CSU]: Aber im Haushalt fehlen 10 Milliarden!)

— Wir sprechen jetzt von dem vorliegenden Haushalt, der nächste Woche hier besprochen wird.

(Franke [CDU/CSU]: Und wir von der Wirklichkeit!)

— Über die anderen Fragen, Herr Kollege, werden wir uns sicher im Oktober und im November, wenn die neuen Zahlen vorliegen, noch einmal verständigen, und ich bin sicher — das möchte ich zum Schluß doch einigen sagen, die da vielleicht schon wieder Honig saugen —, daß sich die sozialliberale Koalition, die sozialliberale Bundesregierung,

(Franke [CDU/CSU]: Sei vorsichtig! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Nicht auf ewig halten wird!)

so wie sie sich auf diese Vorlagen verständigt hat, auch über die notwendigen Nachbesserungen für 1983 im November verständigen wird. — Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Trau schau wem!)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911204600
Meine Damen und Herren, für die Debatte zu den Tagesordnungspunkten 22 und 23 liegen mir seitens der Fraktionen keine Wortmeldungen mehr vor. Im Zuge der Rationalisierung unserer Debatte wäre es zweckmäßig, wenn wir jetzt nicht über die Vorlagen unter den Punkten 22 und 23 abstimmten, sondern Tagesordnungspunkt 21 aufriefen und wenn danach über die Punkte 21, 22 und 23 abgestimmt würde. Dann hät-



Vizepräsident Dr. h. c. Leber
ten wir es nur mit einer Rede des Herrn Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung zu tun.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU — Franke [CDU/CSU]: Akzeptiert!)

Ist das Plenum damit einverstanden?

(Franke [CDU/CSU]: Jawohl!)

— Dann stelle ich die Abstimmung zu den soeben behandelten Tagesordnungspunkten zurück und rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften (SVÄG 1982)

— Drucksache 9/1958 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Das Wort zur Begründung wird gewünscht. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Hölscher das Wort.

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0911204700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Initiativentwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften, den ich hiermit im Namen der Koalitionsfraktionen SPD und FDP einbringe, ist inhaltsgleich mit dem von der Bundesregierung kürzlich über den Bundesrat vorgelegten Entwurf. Diese parallele Einbringung aus der Mitte des Bundestages ermöglicht es uns, bereits heute die erste Lesung durchzuführen und unmittelbar danach mit den Beratungen in den Ausschüssen zu beginnen.
Aber dabei darf nicht übersehen werden: Dieser Gesetzentwurf steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Beschlüssen der Koalition zum Haushalt 1983. Manchem Sozialpolitiker — das weiß ich — wäre es lieber gewesen, wenn wir diese Debatte deshalb in der nächsten Woche im Zusammenhang mit dem Gesamthaushalt hätten führen können. Denn mit dem Haushalt 1983 werden wir die bereits mit dem Haushalt 1982 begonnenen Konsolidierungsmaßnahmen fortsetzen. Unser gemeinsames Ziel ist es, durch die Begrenzung der Nettokreditaufnahme Rahmenbedingungen zu schaffen, die vor allem der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dienen. Denn je mehr der Staat sich verschuldet, je mehr die ohnehin hohe Last der Bürger durch Steuern und Abgaben erhöht wird, um so schwieriger wird es sein, die notwendige Investitionsbereitschaft für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zu erhalten.
Ziel der „Operation '83" ist daher wiederum, eine Umschichtung von den konsumtiven zu den investiven Ausgaben zu erreichen und überall dort zu sparen, wo es ökonomisch sinnvoll und sozial vertretbar ist.
Zur Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit von den bedrohlich angewachsenen Ausgaben für Arbeitslose sollen daher die Beiträge an die Krankenkassen von 100 auf 70 % des letzten Bruttoentgelts gesenkt werden.
Selbstverständlich wäre es uns lieber gewesen, wenn wir es bei der bisherigen Bemessungsgrundlage für die Zahlungen der Bundesanstalt an die Krankenversicherung der Arbeitslosen hätten belassen können. Aber an den Realitäten konnten wir nicht vorbeisehen. Die veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen machen eine Orientierung der Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit an den tatsächlichen Einkommensverhältnissen notwendig. Im Hinblick darauf, daß das tatsächliche Einkommen, das auch sonst Grundlage der Beitragsbemessung ist, bei den Arbeitslosen 68 % des letzten Nettoeinkommens beträgt, stellt die in diesem Gesetzentwurf und im vorher beratenen Gesetzentwurf vorgesehene Bemessungsgrundlage von 70 % einen vertretbaren Kompromiß dar, der jedenfalls nicht so weit geht — ich erwähne auch das noch einmal, Herr Kollege Franke — wie der 1981 über den Bundesrat eingebrachte Vorschlag Ihrer Parteifreunde, bei der Senkung sogar auf 68 % des Nettoentgelts zu gehen. Aber, wenn Sie so wollen: Wir waren offen für Ihre Vorschläge und haben den Vorschlag der Opposition aus dem vorigen Jahr übernommen. Um so weniger verstehe ich, daß gerade dies dort hin und wieder kritisiert wird.

(Franke [CDU/CSU]: Herr Hölscher, Sie wissen, weshalb wir 68 genommen haben!)

— Ja, ja.
Die nunmehr vorgesehene Senkung der Beiträge auf 70 % des Bruttoentgelts würde aber bei den gesetzlichen Krankenversicherungen natürlich ein Defizit von ca. 1,3 Milliarden DM im Jahr 1983 entstehen lassen. Dies mußten, dies wollten wir selbstverständlich vermeiden.
Deshalb sieht der Gesetzentwurf Maßnahmen vor, die es den Krankenkassen ermöglichen, Beitragserhöhungen zu vermeiden. Wir garantieren also — und dies auch im Interesse der versicherten Arbeitnehmer — trotz der Einnahmeausfälle die dringend notwendige Beitragssatzstabilität.
Der Entwurf schlägt im Rahmen dieser Konzeption vier Maßnahmen zur Entlastung der Solidargemeinschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung vor: die Anhebung der Arzneimittelgebühr auf zwei DM; die Eigenbeteiligung mit fünf DM in den ersten sieben Tagen, also insgesamt 35 DM bei einem Krankenhausaufenthalt; die Eigenbeteiligung mit 10 DM täglich während einer vollbezahlten Kur, und bei geringfügigen Gesundheitsstörungen die Herausnahme bestimmter Bagatellarzneimittel aus der Kassenleistung.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß unzumutbare Belastungen von Versicherten vermieden werden sollen. Denn dafür sind — was, wie ich erlebt habe, in der öffentlichen Diskussion oft übersehen wird — entsprechende Härteregelungen vorgesehen, die von der Selbstverwaltung noch im einzelnen zu konkretisieren sind. Der Gesamtbetrag der zu erwartenden Belastungen entspricht den Einnahmeausfällen, die durch die Absenkung der Beitragsbe-



Hölscher
messungsgrundlage für Arbeitslose auf 70 % des letzten Bruttoentgelts entstehen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Wunschdenken!)

Meine Damen und Herren, außer den Maßnahmen zur finanziellen Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung war eine Regelung erforderlich, durch die eine gleichmäßige Verteilung der Mindereinnahmen, die den Krankenkassen durch die Kürzung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslose entstehen, auf alle Kassen erreicht wird. Es steht fest, daß der Anteil der arbeitslosen Mitglieder bei den einzelnen Krankenkassen und Kassenarten unterschiedlich hoch ist — z. B. die AOKs haben einen höheren Anteil an Arbeitslosen als Ersatzkassen —, wohingegen die vorgesehenen Maßnahmen zum Ausbau der Eigenbeteiligung in der Krankenversicherung die Krankenkassen gleichmäßig entlasten. Damit aber nun keine Kassenart wegen des besonderen Strukturproblems Arbeitslosigkeit — es ist ja ein Strukturproblem — benachteiligt oder bevorzugt wird, mußte ein Belastungsausgleich vorgesehen werden.
Im Rahmen eines Kompromisses zwischen den Koalitionsfraktionen haben wir uns auf einen zweistufigen Ausgleich geeinigt. Dieser Kompromiß sieht vor, daß in der ersten Stufe die Beitragsausfälle kassenartintern gleichmäßig verteilt werden und daß erst in der zweiten Stufe Belastungsspitzen unter den verschiedenen Kassenarten ausgeglichen werden. Nach diesem Verfahren kommen also übergreifende Ausgleichszahlungen nur dann in Betracht, wenn ein interner Ausgleich durchgeführt worden ist und dieser allein nicht ausreicht, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Das Beitragssatzgefüge — darauf kommt es an — zwischen den Kassenarten wird nicht verändert. Diese Wettbewerbsneutralität verhindert Beitragserhöhungen bei den Kassen, derzeit also bei den Ortskrankenkassen.
Nach der im Entwurf vorgesehenen Regelung können die erforderlichen Verrechnungen unmittelbar über die Bundesanstalt für Arbeit abgewickelt werden. Wir wollten damit neue Verwaltungsorganisationen vermeiden; sie brauchen nicht aufgebaut zu werden. Die Einzelheiten des Verfahrens sollen die Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Bundesanstalt für Arbeit vereinbaren; es handelt sich also — das liegt uns sehr am Herzen — um eine Art Selbstverwaltungsregelung.
Nach dem derzeitigen Stand würde nach Durchführung dieses Ausgleichsverfahrens im Ergebnis jede Krankenkasse mit rund 0,2 Beitragssatzpunkten durch die Mindereinnahmen belastet. Dem stehen auf der Ausgabenseite die durch die vorgesehenen Maßnahmen bewirkten Einsparungen gegenüber; aus heutiger Sicht wird jede Kasse um rund 0,24 Beitragssatzpunkte entlastet. Beitragserhöhungen sind demnach also nicht zu erwarten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach der Erläuterung des Gesetzentwurfs für die Koalitionsfraktionen SPD und FDP möchte ich den Gesetzentwurf aber auch aus der Sicht meiner Fraktion bewerten. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen
Regelungen bezüglich einer Eigenbeteiligung an den Leistungen der Krankenversicherung sind für uns Liberale mehr als nur eine fiskalische Operation im Rahmen des Haushalts 1983.

(Zustimmung bei der FDP) Sie stellen sehr wohl eine Wende dar,


(Zuruf von der CDU/CSU: Noch eine „Wende"!)

und zwar hin zu mehr Eigenverantwortung und Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung.

(Zustimmung bei der FDP)

Wenn unser Sozialsystem seine fundamentale Aufgabe der Existenzsicherung auch in Zukunft erfüllen soll — das setzt ja seine Finanzierbarkeit voraus —, dann muß es in seiner Struktur den neuen Herausforderungen angepaßt werden. Dies gilt nicht nur für die Krankenversicherung, dies gilt für alle Formen der sozialen Vorsorge.
Der Vorsitzende der FDP, Hans-Dietrich Genscher, hat gestern von diesem Platz von der Herausforderung gesprochen, die da lautet: Wie können wir angesichts geringer Wachstumsraten auch in Zukunft Freiheit und sozialen Frieden sicherstellen? Die veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben eben vor allem unser Sozialsystem einer großen Belastungsprobe ausgesetzt. Ich denke auch, wenn wir unser Sozialsystem auf Dauer wetterfest machen wollen, dann müssen wir mit Reformen am System selbst beginnen. Dabei kann — damit es da gar kein Mißverständnis gibt — nicht Abbau, sondern nur Umbau die Devise sein. Wir müssen dabei aber auch zur Kenntnis nehmen, daß die Belastungsgrenze erreicht und die finanzielle Leistungsfähigkeit des Systems — insbesondere auch der Krankenversicherung — langsam überfordert wird. Wir sind längst an einer Grenze angelangt, wo Finanzierbarkeit und Leistungsfähigkeit noch sichergestellt werden können. Aus dieser Erkenntnis heraus müssen wir uns einmal auf Solidarität zwischen Versicherten, aber auch auf Eigenverantwortung und Selbsthilfe besinnen.
Ich weiß, die Eigenbeteiligung von 5 DM pro Tag bei Krankenhausaufenthalt und von 10 DM pro Tag bei vollbezahlten Kuren wird scharf kritisiert. Aber — ich wende mich da insbesondere den Kollegen von der SPD zu — hat denn nicht die Solidargemeinschaft der Versicherten, die doch neben den Arbeitgebern all diese Leistungen bezahlen muß, ein Recht darauf, sein Mitglied zu bitten, doch wenigstens einen kleinen Teil der häuslichen Ersparnis bei Krankenhausaufenthalt und Kuren selber zu zahlen? Ist es wirklich Aufgabe der Solidargemeinschaft Krankenversicherung, etwa bei einer Kur auch noch die letzte Mark für Essen und Trinken zu finanzieren? Ich glaube, das wäre ein falsch verstandener Begriff von Solidarität im Rahmen einer Krankenversicherung, wobei j a sichergestellt ist, daß es eine ungeschmälerte, hundertprozentige Leistung für all das gibt, was für die Gesundheit notwendig ist: Arzt, Unterbringung und vieles andere mehr.

(Zurufe von der SPD)




Hölscher
Kann es weiterhin Aufgabe der Versichertengemeinschaft sein, Abführmittel oder Kopfschmerztabletten zum Nulltarif zu liefern, obwohl gar keine ernsthafte gesundheitliche Gefährdung vorliegt?
Die Eigenbeteiligung bei der Krankenversicherung war für uns eigentlich immer auch deshalb eine entscheidende Frage, weil wir damit ein politisches Signal setzen wollten, das von einer — zugegeben — entstandenen Anspruchsgesellschaft wegführt und aus der Krankenversicherung wieder eine Gemeinschaft macht, in der nicht nur Solidarität, sondern auch Eigenverantwortung und Subsidiarität wieder eine wichtige Rolle spielen. Ich komme darauf noch.
Ein Blick in die Geschichte ist da sehr lehrreich. Was ich jetzt sage, habe ich vom DGB gelernt. Er hat nämlich eine sehr interessante Dokumentation über das Entstehen unseres Sozialsystems herausgebracht. Was darin steht, war mir neu. Für mich war deutsche Sozialgesetzgebung bzw. deutsches soziales Sicherungssystem nämlich immer nur mit dem Namen Bismarck verbunden. Aber jetzt habe ich viel gelernt; denn nach der Dokumentation sind die ersten sozialen Sicherungssysteme schon Mitte des vorigen Jahrhunderts entstanden.

(Zurufe von der CDU/CSU: In Selbsthilfe!)

Bürger schlossen sich zu kleinen dezentralen, selbstverantwortlichen Selbsthilfeorganisationen zusammen.
Deshalb frage ich mich, ob es eigentlich richtig war, daß wir 100 Jahre Bismarcksche Sozialgesetzgebung so gefeiert haben, mit der j a auch der Grundstein für ein Sozialsystem gelegt wurde, das heute schon die Züge — ich will es nicht verallgemeinert verstanden wissen — eines Gießkannensystems staatlicher Prägung von Zwangsversicherten hat, womit auch die Gefahr besteht, daß es verkümmert.

(Kolb [CDU/CSU]: Bis zum Selbstbedienungsladen!)

Das Gefühl, zu wissen, was dieses System ist, schwindet völlig. Es sollte nämlich eigentlich eine Solidargemeinschaft sein, bei der der einzelne ganz selbstverständlich das Recht hat, Leistungen zu beziehen, da er es ja auch mitfinanziert, aber auch selber mitverantwortet.
Da ist mir das Jahr 1848 schon lieber als die Geburtsstunde des deutschen Sozialsystems. Jedenfalls scheint mir nach dem, was ich gelesen habe, der Arbeiterverbrüderungsverein in Berlin-Kreuzberg aus jenem Jahr — das war die erste von Arbeitern gegründete deutsche Krankenversicherung — demokratischer, solidarischer, motivierter und auch relativ wirtschaftlicher gewesen zu sein als manche heutige RVO-Kasse.
Im übrigen sehe ich mich hier als Liberaler in einer guten Tradition. Denn auch die Liberalen gingen im letzten Jahrhundert vom Genossenschaftsgedanken aus, für den eben auch Selbstverantwortung, Solidarität und Selbstbeteiligung die tragenden Säulen waren.
Formal findet sich dieses Prinzip auch heute noch in unserer Sozialversicherung. Aber wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir eben eingestehen, daß die tragenden Säulen der sozialen Sicherung, auch der Krankenversicherung, kaum noch im Bewußtsein der Menschen von Solidarität getragene Selbsthilfeorganisationen sind, bei denen jeder nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten seinen Beitrag leistet, damit er und die anderen in der Gemeinschaft Schutz finden vor Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter.

(Beifall bei der FDP)

So verstanden, meine Damen und Herren, ist dieser Gesetzentwurf auch eine Aufforderung, gerade in einer Zeit der leeren Kassen alle Möglichkeiten zu nutzen, wieder zu den Werten von Selbstverantwortung, Selbsthilfe und Solidarität zurückzufinden.

(Beifall bei der FDP)

Natürlich sehe ich die Gefahr, daß solche Gedanken von Neokonservativen mißbraucht werden. Sie ist sogar sehr groß. Deshalb möchte ich hier einmal klipp und klar feststellen, damit es da keine Mißverständnisse gibt: Der einzelne ist ohne den Schutz der Gemeinschaft machtlos und nicht in der Lage, sich zu behaupten gegen die mannigfaltigen Wechselfälle des Lebens. Niemand, der in Not gerät — das halte ich für selbstverständlich, aber ich möchte es hier sagen —, darf allein gelassen werden.

(Beifall bei der FDP)

Niemandem darf bei einer Krankheit die optimale medizinische Versorgung verweigert werden.
Ich gebe offen zu, daß es auch meiner Partei bisher noch nicht gelungen ist — genausowenig wie den anderen Parteien —, die schlüssigen Konzepte für den notwendigen Umbau unseres Sozialsystems zu entwickeln. Wir waren zu sehr von der Hektik der Arbeiten am Zustandekommen eines soliden Haushalts 1981 und 1982 in Anspruch genommen. Erkennen wir daher bitte — diese Bitte richtet sich an die SPD, natürlich auch an die CDU — in dem vorliegenden Gesetzentwurf auch die Chance für einen Einstieg, einen kleinen Einstieg in eine Reform unserer Krankenversicherung!

(Beifall bei der FDP)

Über alles andere — und da ist noch sehr viel zu tun — müssen wir miteinander reden. Denn es gilt, die Solidarität zwischen Beitragzahlern und Leistungsempfängern durch eine stärkere individuelle Verantwortung der Versicherten — derjenigen Versicherten, denen es zumutbar ist, will ich gleich sagen —

(Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist das?)

zu festigen, gerade weil wir die Sicherung gegen soziale Risiken auf solidarischer Grundlage schon zu unseren Traditionen rechnen.
Eine Sozialpolitik jedenfalls, die den einzelnen aus der Verantwortung entläßt — damit meine ich nicht nur die Versicherten im Bereich der Krankenversicherung, sondern auch die Ärzte —, endet in einer anonymeren, noch bürokratischeren, noch weni-



Hölscher
ger finanzierbaren staatlichen Fürsorgeeinrichtung, die letztlich weder leistungsfähig noch human sein kann.

(Beifall bei der FDP)

Zum Schluß eine ganz andere Feststellung, die der Kollege Schmidt schon getroffen hat, die ich aber so wichtig finde, daß ich sie mit meinen Worten wiederholen möchte: Mit der gemeinsamen Vorlage dieses Gesetzentwurfs wurde noch etwas ganz anderes erreicht, was gerade in dieser Woche festzustellen besonders wichtig ist. Wir haben nämlich hier den Beweis erbracht, daß diese Koalition sehr wohl handlungsfähig ist. Wir haben uns geeinigt auf einem Feld, auf dem — und das weiß jeder — die Grundvorstellungen von SPD und FDP zunächst weit auseinander lagen. Es war wirklich nicht einfach, aber ich denke, wir haben ganz gute Arbeit geleistet. Deshalb verstehe ich als FDP-Mitglied auch gar nicht,

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Das sind die Sozialausschüsse der Koalition, nicht?)

warum so viel vom Ende der Gemeinsamkeiten zwischen SPD und FDP geredet wird.

(Franke [CDU/CSU]: „Reisende soll man nicht aufhalten", sagt Schmidt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Ich frage mich: Wo sind eigentlich die so oft zitierten neuen Mehrheiten für die Bewältigung unserer strukturellen Probleme?

(Beifall bei der FDP und der SPD — Löffler [SPD]: Eine sehr berechtigte Frage! — Frau Hürland [CDU/CSU]: Wo ist denn die „Wende"?)

Vermutet werden sie doch von vielen, auch in meiner eigenen Fraktion, gerade in der Sozialpolitik. Aber wie sieht es denn tatsächlich aus?
Wir haben es heute — obwohl es nicht ganz so schlimm war wie sonst, Herr Kollege Franke — wieder erlebt: Die Einsicht in die Notwendigkeit, das Sozialsystem den neuen Rahmenbedingungen anzupassen, kommt nicht, wie viele erwartet hatten, von der CDU/CSU, sondern von den Herren Glombig und Glotz — von uns einmal abgesehen; für uns ist das seit einiger Zeit in der Diskussion. Uneinsichtigkeit und Konzeptionslosigkeit finden wir dafür bei der CDU/CSU. Konzeptionslosigkeit hat jedenfalls heute Ihren Beitrag, Herr Kollege Franke, auch wenn er sachlicher als sonst war, bestimmt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir finden diese Uneinsichtigkeit und Konzeptionslosigkeit bei Männern mit Namen, bei Herrn Geißler, welcher der SPD noch im Februar dieses Jahres hier vorgeworfen hat, sie habe sich von uns das soziale Gewissen abnehmen lassen.

(Beifall bei der FDP)

Wir finden sie auch bei Herrn Kohl und bei vielen Ihrer Kollegen auf DGB-Konferenzen, an denen Sie zur Zeit alle teilnehmen, da Sie sich den Gewerkschaften anbiedern und so tun, als wenn sich, wenn
Sie an die Macht kämen, überhaupt nichts ändern würde.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Jeder, der sich angesprochen fühlt, soll das hören. Deshalb — ich wende mich jetzt an die Koalitionsfraktionen — sind für mich nach diesen Erfahrungen die neuen Mehrheiten zur Bewältigung der Probleme die alten Mehrheiten. Deshalb, liebe Kollegen von der SPD: Wir haben noch viel zu tun — packen wir's gemeinsam an!

(Beifall bei der FDP und der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Jetzt geben alle eine persönliche Erklärung ab!)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911204800
Die Vorlage ist eingebracht. Das Wort zur Begründung wird nicht weiter gewünscht.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Als erster Redner hat der Herr Abgeordnete Franke das Wort.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911204900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre ja gespannt, wenn noch mehr FDP-Kollegen hier persönliche Bekenntnisse ablegen könnten, die etwas von dem abweichen, was Ihr Parteivorsitzender gestern hier gesagt hat. Aber der Zug der Zeit ist nicht aufzuhalten. Diejenigen, die sich dagegenstemmen, werden sehen, daß der Zug der Zeit auch sie überrollt.

(Zurufe von der SPD)

Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften ist ein sogenanntes Begleitgesetz zu dem, was wir heute morgen schon gelesen haben. Bei diesem Gesetzentwurf, den der Herr Kollege Hölscher hier gerade begründet hat, muß man einmal auf folgendes achten, was die Öffentlichkeit, die leider nicht in sehr großer Zahl vertreten ist, sicherlich interessieren wird. Herr Glombig hat heute morgen gesagt, er lehne es sozusagen ab, die 5 DM für die ersten Tage eines Krankenhausaufenthaltes zu begründen. Herr Hölscher wirbt, während er von großer Geschlossenheit spricht, um das Zugeständnis der SPD für die Maßnahmen, die die FDP mit in dieses Paket der Operationen 1983 mit eingebracht hat. Da noch von festen Mauern zu sprechen, die auch das Lob und den Beifall des Herrn Bundesarbeitsministers, jetzt schon der dritte in der sozialliberalen Koalition, gefunden hat, das ist, glaube ich, so, als wenn ein Haus auf einem zerbrochenen Grundstein errichtet wird. Ich glaube, daß es auf die Dauer nicht haltbar ist, dieses miteinander zu vereinbaren. Ich will jetzt nicht weiter spekulieren, sondern ich halte mich an das, was wir hier gestern alle erlebt haben.

(Lachen bei der SPD — Löffler [SPD]: Das war schlimm!)

In diesem Gesetzentwurf planen Sie erstens, die Rezeptblattgebühr je verordnetem Arzneimittel von 1,50 DM auf 2 DM anzuheben. Zweitens soll der Versicherte zu einer voll finanzierten Kur künftig eine Zuzahlung von 10 DM pro Tag leisten. Drittens soll der Patient bei einem Krankenhausaufenthalt pro Tag 5 DM für maximal sieben Tage bezahlen. Vier-



Franke
tens dürfen bestimmte Arzneimittel, bei geringfügigen Beschwerden üblicherweise verordnet, von den Krankenkassen nicht mehr übernommen werden. Hier gibt es den Begriff „Bagatellarzneimittel", über den wir noch reden werden. Die fünfte Maßnahme scheint mir die wichtigste zu sein, wobei es um Geld-und Strukturveränderungen geht: ein zweistufiger Finanzausgleich, der kassenartübergreifende Wirkung hat.

(Günther [CDU/CSU]: Einheitsversicherung!)

— Herr Kollege Günther, Sie haben völlig recht: Das ist der Weg zur Einheitsversicherung.

(Lachen bei der SPD)

Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.
Nun kurze Bemerkungen zu den einzelnen Positionen. Erstens zu der Anhebung der Rezeptgebühr. Es gibt überhaupt keine medizinischen Gründe, die Gebühr anzuheben, sondern es sind reine fiskal-politische Überlegungen. Sie greifen dem Bürger mit dieser Maßnahme nochmals in die Tasche. Ob eine Verstärkung der Motivation — Herr Kollege Hölscher, ich hätte gerne Ihre Aufmerksamkeit, nachdem Sie hier vorgetragen haben; wenn Sie versuchen, Ihren stellvertretenden Franktionsvorsitzenden hinsichtlich der grundsätzlichen FDP-Linie auf Ihre Linie zu bringen, machen Sie bitte nachher weiter — zur Eigenverantwortung und Kostendämpfung erreicht werden kann, soll — und darüber müssen wir mit den Kollegen aus dem anderen Ausschuß reden — die Sachverständigenanhörung erweisen. Wir wollen uns hier die Sachverständigen anhören. Wir sollten bei unseren Beratungen auch die Auswertung des Symposiums, das die pharmazeutische Industrie vor einiger Zeit veranstaltet hat, mit zu Rate ziehen. Ich empfehle die Auswertung dieses Symposiums Ihrer Aufmerksamkeit. Die Unterlagen kann ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung stellen. Ich habe mir davon einige Exemplare besorgt.
Zur Frage der Beteiligung an den Kosten einer vollfinanzierten Kur muß man natürlich auch die soziale Komponente diskutieren. Das haben Sie, Herr Hölscher, hier ausgelassen. Aber ich kenne Sie so gut, daß ich weiß, daß Sie sich einer solchen Argumentation möglicherweise nicht verschließen werden.

(Hölscher [FDP]: Härteregelung!)

— Bitte schön, ich bestätige ausdrücklich, daß Sie auf Härteregelungen hingewiesen haben.
Wie wirkt sich die Absicht auf Familien mit Kindern aus? Auch muß man fragen, ob man mit der hier vorgestellten Initiative volkswirtschaftlich nicht zusätzlichen Schaden in den Kureinrichtungen anrichtet. Alle diese Fragen gilt es hier abzuwägen. Ich sage hier ganz freimütig: Wenn das dämpfende Wirkung hat — allerdings darf darunter nicht die medizinische Rehabilitation leiden —, können Sie — —

(Cronenberg [FDP]: Kurlaub!)

— Herr Kollege Cronenberg, hier sind es die vollfinanzierten medizinischen Rehabilitationsleistungen nach § 184 a der Reichsversicherungsordnung — ich spreche jetzt sicherlich für viele etwas unverständlich —, nicht solche wie die, die Sie gerade erwähnt haben — Sie haben von „Kurlaub" gesprochen —, die wir mit den §§ 187 und 187 a erfaßt haben.
Ich sage noch einmal: Wir müssen darüber reden. Wir sind offen für diese Diskussion. Wir haben mit den Beteiligten über diese Fragen schon im Vorwege gesprochen.
Nunmehr zu den berühmten 5 DM: Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll, dort hinüber oder dort hinüber. Ich bleibe hier bei dieser Richtung. Es sind 5 DM pro Tag Krankenhausaufenthalt für maximal sieben Tage zu entrichten. Mit der Union kann man jederzeit über vernünftige Absichten zur Verstärkung der Eigenverantwortung reden.
Ich habe mir erlaubt, auf dem Verbandstag des Verbandes der Ersatzkassen vor kurzem auch zu dieser Frage eine Bemerkung zu machen. Ob diese Art Selbstbeteiligung zu einer Kostendämpfung führt, ist zu prüfen. Das müssen wir ernsthaft prüfen. Eine Erhöhung der Eigenverantwortung und Selbstbeteiligung, die lediglich zu einer Kostenverlagerung führt, ohne Kosten zu dämpfen,

(Günther [CDU/CSU]: So ist es doch!) kann doch hier im Hause wohl niemand wollen.


(Günther [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich wiederhole: Eine Kostenbeteiligung, bei der es lediglich um eine Verlagerung der Kosten von den Krankenkassen auf die Taschen der Inanspruchnehmer geht und von der keine dämpfende Wirkung ausgeht, können wir uns, glaube ich, nicht erlauben. Wir sollten ernsthaft prüfen, ob mit dieser Maßnahme das, was Sie — das unterstelle ich Ihnen selbstverständlich — anstreben, erreicht wird.

(Günther [CDU/CSU]: Mitnichten!)

Wenn wir in diesem Jahr über hundert Milliarden DM für Gesundheitsleistungen ausgeben, davon ca. 35 Milliarden DM für die stationäre Versorgung, dann müssen wir über Kostendämpfung noch intensiver nachdenken, als das bislang hier ausweislich dieser Vorlagen geschehen ist — auch ausweislich der in Rede stehenden Vorlage.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911205000
Herr Kollege Franke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911205100
Aber gerne. Ich habe aus meinem ersten Redebeitrag noch 9 1/4 Minuten Redezeit übrig. Jetzt kann ich die noch verwenden.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911205200
Herr Kollege Franke, es ist völlig in Ihr freies Ermessen gestellt, ob Sie Fragen beantworten.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911205300
Vorhin habe ich keine Fragen zugelassen, weil ich Angst vor dem Ablauf der Redezeit hatte. — Aber jetzt selbstverständlich, Kollege Schmidt.




Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0911205400
Herr Kollege Franke, darf ich Ihrer Ausführung eben bezüglich 35 Milliarden DM für die stationäre Versorgung, daß da etwas geschehen muß, so verstehen, daß Sie bereit sind, die Ministerpräsidenten der CDU/CSU-Länder dazu zu bringen, endlich einmal auf Bundesebene hier mehr Verständnis zu zeigen?

(Beifall bei der FDP und der SPD)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911205500
Herr Kollege Schmidt, ich verstehe, daß Sie da jetzt etwas plazieren wollten. Aber wenn Sie noch eine halbe Minute Geduld gehabt hätten, dann hätten Sie gar nicht ans Mikrophon gehen brauchen. Lassen Sie mich darauf kommen.
Ich wiederhole: da müssen wir über Kostendämpfung noch intensiver nachdenken, als das mit der Vorlage dieses Punktes geschehen ist. Wir müssen darüber nachdenken — Herr Hölscher hat ehrlicherweise gesagt: es gibt kein Patentrezept; das habe ich auch immer gesagt, es gibt kein Patentrezept —, ob wir im Krankenhausfinanzierungsgesetz das Selbstkostendeckungsprinzip — ich weiß, auf welch gefährliches Glatteis ich mich jetzt gerade begebe — nicht in Frage stellen sollen. „Ob wir nicht in Frage stellen sollen" — zweimalige Verneinung, Algebra: ja. Ob wir die Leistungsfähigkeit unserer Krankenhäuser nicht dadurch erhöhen, daß sie Gewinne machen

(Zustimmung des Abg. Cronenberg [FDP])

— ich frage —, und ob wir sie dadurch nicht zu einer noch kostengünstigeren Leistungsfähigkeit für die Patienten und allerdings auch zu beitragsgünstigeren Tarifen bringen können?

(Erneute Zustimmung des Abg. Cronenberg [FDP])

Diese Frage ist in Ihren Entwürfen und, lieber Herr Kollege Hölscher, auch in Ihrer Begründung überhaupt nicht angesprochen.

(Zuruf des Abg. Cronenberg [FDP])

— Entschuldigen Sie, das sind doch zusammenhängende Komplexe. Ich spreche hier über Kostendämpfung. Sprechen wir doch nicht davon, wo das technisch plaziert ist. Herr Kollege Cronenberg, wir haben uns richtig verstanden.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911205600
Herr Kollege Franke, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten)?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911205700
Bitte, Herr Präsident.

Hansheinrich Schmidt (FDP):
Rede ID: ID0911205800
Herr Kollege Franke, zunächst darf ich mich für die klare Aussage zur Überlegung in dieser Richtung bedanken. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, wenn Sie jetzt hier sagen, dies darf noch in das Gesetz hinein, und die CDU/CSU-Länder sind dann nicht im Bundesrat dabei, das wieder abzulehnen, daß man dann über diese zusätzliche Kostendämpfung nachdenken könnte, nachdem drei Gesetzentwürfe der Bundesregierung am Bundesrat gescheitert sind?

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911205900
Herr Kollege Schmidt (Kempten), ich weiß jetzt nicht genau, worüber Sie gerade gesprochen haben, über die 5 Mark oder über das, was ich hier angedeutet habe.

(Schmidt [Kempten] [FDP]: Krankenhausselbstkostendeckungsprinzip!)

— Herr Kollege Schmidt (Kempten), es ist doch wohl völlig legitim und es ist auch richtig, daß die Diskussion in den Parteien hier weitergeht. Ich habe gesagt, ich begebe mich hier — ich habe den Mut dazu — auf gefährliches Glatteis. Das heißt also, meine Position wird klar, daß ich diesen Weg versuchen will zu gehen, natürlich zuerst in meiner Partei. Selbstverständlich werden wir auch darüber hinausgehende Fragen noch prüfen müssen. Wenn wir diese Frage der Aufhebung des Selbstkostendekkungsprinzips geprüft haben, kann aber am Ende nicht herauskommen, daß wir z. B. auch befürworten würden, daß dann z. B. die freien gemeinnützigen und die privaten Krankenhäuser vom Markt verschwinden. Das sind die leistungsfähigsten an unserem Markt, und zu deren Schutz sind wir natürlich hier auch angetreten.
Ich weiß, daß diesem oder jenem meiner Kollegen ein kalter Schauer bei der Ansprechung dieser Frage möglicherweise über den Buckel läuft. Und als Opposition brauchten wir diese Frage gar nicht aufzuwerfen; ich hätte es gar nicht nötig gehabt. Diese Bemerkung habe ich aber heute morgen hier machen wollen.
Das heißt also, ich hebe Ihre Fünf-Mark-Diskussion — das klingt etwas anspruchsvoll — in eine andere Dimension. Ich hebe Ihre Fünf-Mark-Diskussion, lieber Hansheinrich Schmidt (Kempten), in eine andere Dimension. Wir sollten uns Zeit nehmen — das hat jetzt mit Verzögerung überhaupt nichts zu tun —, um zu sehen, ob wir gemeinsam, vielleicht alle drei Bundestagsfraktionen, letztlich zu einer positiven Lösung im Sinne der Versorgung der Patienten der freien und gemeinnützigen Träger und im Sinne der Beitragszahler und der am Gesundheitsmarkt Beteiligten kommen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang völliges Unverständnis für Ihre Position — von der FDP — bei einem Punkt eben feststellen. Der kassenartübergreifende Finanzausgleich, den Sie nun als finanziellen Ersatz für Beitragsausfälle von der Bundesanstalt einführen wollen, findet nun wirklich nicht unsere Zustimmung. Das ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Einheitsversicherung und lähmt bestimmt das Interesse der einzelnen Kassen, Kosten zu dämpfen.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Ich möchte versuchen Ihnen das jetzt schon an Hand einiger Zahlen ganz grob zu beweisen. 1978 stiegen die Kosten bei den aktiven Mitgliedern insgesamt um 4,4 %, 1979 um 6,2 %, 1980 um 8,6 % und 1981 um 4 %. Bei den Rentnern betrugen die Steigerungsraten in denselben Jahren 7,98 %, 8,54 %, 10,78 % und 8,81 %. Das heißt, nach der Einführung des Ausgleichs über den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner erlahmte ganz offensichtlich das Interesse der Kassen draußen, auf eine mögliche kostengünstigere Beitragsausnutzung zu achten.



Franke
Ich sage noch einmal, meine Damen und Herren von der FDP: Wenn wir diese Zahlen in ein richtiges Verhältnis bringen können und meine Ausdeutung der Zahlen hier stimmt, können wir nicht noch einen Schritt weitergehen und das Interesse der jeweiligen örtlichen Kasse an einer Gestaltung ganz bestimmter Fragen verringern, weil sie ja alle Kosten letztlich von dem übergreifenden Finanzausgleich, von dem „reichen Bruder", ersetzt bekommt. Das ist ordnungspolitisch eine ganz gefährliche Frage.
Ich weiß ganz genau, daß die Kassen auf die Struktur der Arbeitslosigkeit in den Gebieten letztlich natürlich keinen Einfluß haben. Nun ist die Frage: Warum machen Sie das denn überhaupt? Entschuldigen Sie, jetzt schmeiße ich Ihnen etwas hin: Lassen Sie doch die Kassen bei der Reduktion des Beitragszuschusses der Bundesanstalt letztlich heraus. Dann haben Sie am Ende auch keine ordnungspolitischen Schwierigkeiten.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911206000
Herr Kollege Franke, der Kollege Hölscher möchte eine Frage stellen. Aber bevor ich das zulasse, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die von Ihrer Fraktion für Sie angemeldete Zeit schon beträchtlich überschritten ist.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911206100
Dann bin ich sofort am Ende. Herr Hölscher kann fragen, wenn Sie das noch gestatten, Herr Präsident. Dann sage ich noch einen Schlußsatz.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911206200
Wir sind ja nicht 1 kleinlich.

(Hölscher [FDP]: Ich verzichte, Herr Präsident, damit der Herr Kollege Franke nicht auch noch in seiner Redezeit überzieht!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911206300
Ich appelliere hier an die Mitglieder der FDP, diesen Weg des kassenübergreifenden Finanzausgleichs nicht mitzugehen. Wenn Sie das Interesse an kostengünstigen Strukturen mit niedrigen Beiträgen aufrechterhalten wollen oder gar noch verstärken wollen, dann können Sie von der FDP diesen Weg nicht gehen.
Unser Angebot steht, über andere, möglicherweise auch unpopuläre einschneidende Maßnahmen nachzudenken und gegebenenfalls zu beschließen. Sie können doch wohl nicht den Vorwurf erheben, daß wir uns der unangenehmen Diskussion entziehen. Wir machen diese unpopulären Vorschläge und hoffen auf Ihre Zustimmung und die Verbesserung mancher Position. — Ich danke Ihnen für Ihre bisherige Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911206400
Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID0911206500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Hölscher, ich will hier in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit Darlegungen zu Prinzipien nicht kommentieren oder möglicherweise variieren. Ich möchte Ihnen nur sagen, daß wir, was die Frage der Selbstbeteiligung angeht, vom Prinzip her natürlich grundsätzlich dagegen sind.
Sie haben die Verantwortung der sich damals herausbildenden Industriearbeitnehmerschaft durch die Solidargruppen erwähnt. Dazu möchte ich sagen: Diese sind wohl aus bitterster Not entstanden, weil es überhaupt keine auch nur im Ansatz erkennbare staatliche Sozialpolitik gegeben hat, um diesen Menschen zu helfen.

(Hölscher [FDP]: War das falsch?)

— Nein. Der sich dann entwickelnde Staat und vor allen Dingen die Sozialdemokratie haben eine Sozialpolitik zustande gebracht, die zum Vorbild für den Schutz aller Arbeitnehmer geworden ist. Das möchte ich hier einmal feststellen.

(Zuruf des Abg. Hölscher [FDP])

Der dritte Punkt: Herr Kollege Hölscher und auch Herr Kollege Franke, ich hätte es bei der Komplexheit dieser Frage gern gesehen, wenn Sie sich auch sehr klar zu den Leistungserbringern — so nennen sich ja wohl im System der Krankenversicherung die Ärzte und die Pharmaindustrie — geäußert hätten, weil man diese doch wohl bei der Frage der Kostendämpfung einbeziehen muß. Wenn das alles schon sein muß, meine ich, ist das auch alles genau zu betrachten. Aber insofern habe ich von meinen Kollegen nichts gehört.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911206600
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage?

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID0911206700
Bitte.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911206800
Bitte sehr, Frau Hürland.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID0911206900
Herr Kollege Urbaniak, wollen Sie bei Ihrer geschichtlichen Rückschau auf die Entwicklung der Sozialpolitik öffentlichen Rechts bitte auch berücksichtigen, daß nicht nur Arbeitervereine sozialdemokratischer Prägung, sondern gleichermaßen Herr Windthorst, Graf von Galen von der Zentrumspartei und ebenso die freien Träger der Kirchen die Vorarbeiten für die kaiserliche Botschaft geleistet haben?

(Zuruf von der FDP: Schulze-Delitzsch auch!)


Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID0911207000
Ich habe das nicht in einzelne Gruppen geteilt, sondern den Selbsthilfewillen dieser Menschen in der damaligen Zeit erwähnt und daraus Schlüsse im Hinblick auf die Entscheidung der sozialen Gruppen gezogen, die der Staat seinerzeit organisiert hat. Darauf kam es mir an. Hier sollte nicht der eine oder andere besonders qualifiziert werden.
Wir wissen, daß die Bundesregierung zur Entlastung des Haushaltes der Bundesanstalt für Arbeit ihre Eckwertbeschlüsse am 1. Juli 1982 festgelegt hat. Auf Grund des Gesetzentwurfs wissen wir, welche Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit an die Träger der Renten- und Krankenversicherung für Arbeitslose vorgesehen sind und welche Kürzungen das ausmachen soll. Wir wissen auch, daß die entsprechenden Regelungen zu erheblichen Beitragsausfällen bei den Krankenversicherungsträgern



Urbaniak
führen. Das sind ja alles, wie die Berechnung zeigt, ganz erhebliche Summen.
Auf der anderen Seite begrüßen wir selbstverständlich auch — das ist ganz besonders zu erwähnen — Entlastungen im Bereich der Ausgaben. Wir gehen davon aus, daß wir hier einen guten Schritt vorankommen werden. Für die sozialdemokratische Fraktion kann ich dabei ganz besonders erwähnen, daß bestimmte Arzneimittel — das ist gelegentlich schon erwähnt worden —, auch Bagatell-Arzneien genannt, in Zukunft im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung nicht mehr zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden können, sondern von den Patienten und von den Versicherten selbst getragen werden müssen. Die Sozialdemokratische Partei hat sich bereits mit ihren gesundheitspolitischen Forderungen, aufgestellt auf ihrem Parteitag 1977 in Hamburg, auf diesen Punkt hin bewegt. Sie hat ja mit dem Schritt, den wir im Rahmen des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes getan haben, die ersten gesetzgeberischen Versuche eingeleitet.
Sie kennen sicherlich die Vorstellungen zur sogenannten Negativ-Liste. Leider haben sie nicht zum Erfolg geführt. Wir bedauern es außerordentlich, daß der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eine solche Negativliste nicht in der Weise erstellt hat, wie wir das gerne gesehen hätten.
Die jetzt vorliegende Lösung ist, im Gegensatz zur damaligen, eine klare gesetzliche Regelung. Ganz wichtig ist, daß die Verschreibungsfähigkeit von Arzneimitteln an eindeutigen Indikationen orientiert ist. Ich will dabei nicht verkennen, daß diese generelle Regelung Ausnahmen enthalten mußte, und daß diese Ausnahmen eine gehörige Portion von Verantwortung in die einzelnen ärztlichen Praxen tragen. Meine Erfahrung auf Grund dessen, was man von den Versicherten hört, ist die, daß die Ärzte oft sagen: Ich darf das nicht verschreiben, es ist uns vom Gesetzgeber verboten worden. So kann man das nicht machen. Die Ärzte haben nach den Notwendigkeiten zu entscheiden, die sich zur Heilung des Krankheitsbildes ergeben. Das möchte ich noch einmal ganz besonders herausstellen. Angesichts des Widerstandes verschiedener Ärzteverbände hiergegen frage ich allerdings: Wohin denn anders als dorthin — das will ich hier noch einmal betonen — gehört diese Verantwortung für die Verschreibung von Arzneimitteln?
Die vorgesehene Regelung findet die volle Billigung der SPD-Fraktion. Dies bezieht sich auch auf die im Gesetz vorgesehene Verordnungsermächtigung für den Bundesarbeitsminister, über die im Gesetz bereits angegebenen Indikationsbereiche hinaus, in weiteren Indikationsbereichen die Nichtverordnungsfähigkeit von Arzneimitteln festzulegen. Die Regelung findet die Billigung unserer Fraktion auch deshalb, weil sie gegenüber den verschiedenen Arzneimittelgruppen neutral wirkt.
Im Arzneimittelbereich — es ist hier schon betont worden — ist eine weitere Regelung vorgesehen. Hier geht es darum, daß die Rezeptgebühr auf 2 DM erhöht werden soll. Wir meinen, daß wir hier betonen sollten, daß das an der Grenze des Möglichen liegt. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Zusammenhang auf, die zur Befreiung von der Arzneimittelgebühr vorgesehenen Härtefallregelungen im Hinblick auf die Erhöhung der Gebühr zu überprüfen. Wir halten es für einen wichtigen Beitrag der Selbstverwaltung, aus der Gebührenerhöhung eventuell entstehende zu starke Belastungen der Versicherten, zu verhindern. Wir gehen davon aus, daß die Selbstverwaltung in der Lage sein wird, die Härtefallregelungen sehr bald praktisch auszugestalten.
Meine Damen und Herren, im weiteren sieht das Gesetz die Einführung einer Kostenbeteiligung von 5 DM pro Krankenhaustag für den Versicherten bei Krankenhausunterbringung vor. Diese Eigenbeteiligung von 5 DM ist auf die ersten sieben Krankenhaustage begrenzt. Es wird Ihnen sicherlich nicht entgangen sein, daß die Sozialdemokratische Partei, um es milde auszudrücken, nicht gerade zu den Befürwortern oder entschiedenen Verfechtern von Selbstbeteiligungsregelungen im Gesundheitswesen gehört;

(Cronenberg [FDP]: Das bedauern wir!)

ich betonte das schon zu Anfang. Auch die jetzt vorgesehene Regelung bietet erhebliche Probleme, Kollege Hölscher. Ich will nicht den Versuch unternehmen, mich da an Erklärungsklimmzügen zu beteiligen, nach denen die 5 DM Eigenbeteiligung deshalb gerechtfertigt seien, weil der Betroffene beim Krankenhausaufenthalt ja auch Einsparungen zu verzeichnen habe, da er nicht mehr an seiner häuslichen Verpflegung teilnehme. Solche Erklärungsversuche liegen, wie ich meine, neben der Sache. Oder wollen wir etwa einem Familienvater mit drei Kindern, dessen Frau das Krankenhaus aufsuchen muß, allen Ernstes erklären, er habe doch durch den Ausfall seiner Frau im Haushalt und bei der Betreuung von Kindern eine häusliche Ersparnis? Sie wissen doch alle, daß das Gegenteil der Fall ist, meine Damen und Herren. Dies kann also nicht zur Erklärung dieser Maßnahme herangezogen werden. Der Krankenhausaufenthalt eines Familienmitgliedes ist mit Mehrkosten und nicht mit Einsparungen verbunden. Die vorgesehene Eigenbeteiligung im Krankenhausbereich verdient aus der Sicht der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine erneute, eingehende Prüfung. Wir sagen zu, daß wir diese Prüfung gemeinsam mit dem Koalitionspartner vornehmen wollen. Darüber hinaus haben wir Zweifel, ob eine Beteiligung der Versicherten und Patienten vertretbar ist, wenn — ich will das noch einmal zum Ausdruck bringen — die Leistungserbringer im Gesundheitswesen, vor allen Dingen Ärzte, Zahnärzte und pharmazeutische Industrie, von der Aufbringung der Mehrlasten gleichzeitig praktisch unbetroffen bleiben. Herr Kollege Franke, da hätten Sie Vorschläge machen können. Wir hätten sie mit Interesse entgegengenommen.

(Franke [CDU/CSU]: Warum denn Sie nicht? Machen Sie doch einmal Vorschläge; Sie sind doch in der Regierung!)




Urbaniak
— Ich habe Ihnen die Positionen hier erläutert. Im Ausschuß kommen wir zur Prüfung.

(Franke [CDU/CSU]: Das waren doch keine Vorschläge!)

Auch diese Fragen werden wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner prüfen. Es wäre wünschenswert, wenn die Mehrbelastung der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Beitragskürzung für die arbeitslosen Mitglieder, auf breitere Schultern verlagert würde. Das ist eine ganz wichtige Sache.
Wenn ich darauf hingewiesen habe, daß die Einführung einer Eigenbeteiligung beim Krankenhausaufenthalt für uns Sozialdemokraten nicht frei von Problemen ist, so gilt dies natürlich auch für die Beteiligung im Falle einer Kur, wie sie ja im Entwurf vorgesehen ist. Eine sechswöchige Kur würde ja wohl eine Kostenbeteiligung von 420 DM ausmachen. Ich frage mich: Welche Familie mit mehreren Kindern in nicht erwerbstätigem Alter wird dem Sohn oder der Tochter noch die notwendige Kinderkur ermöglichen können, wenn dafür 420 DM aufzubringen sind? Welcher Familienvater — bei 1 600 bis 1 800 DM Nettoverdienst — kann diese Beträge für die Kur aufbringen? Auch diese Eigenbeteiligungsregelung bringt erhebliche Probleme.

(Günther [CDU/CSU]: Wer hat das denn vorgeschlagen, Herr Kollege?)

Auch hier wollen wir in eine erneute Prüfung eintreten. Das muß man ja wohl machen, das entspricht unserem Selbstverständnis als Parlamentarier der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag.

(Abg. Franke [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Franke, bitte.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID0911207100
Vielen Dank, Herr Kollege Urbaniak.
Herr Kollege Urbaniak, ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß der Gesetzentwurf, der die von Ihnen kritisierten Positionen enthält, überschrieben ist „Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP"?

Hans-Eberhard Urbaniak (SPD):
Rede ID: ID0911207200
Herr Kollege Franke, es ist gut, daß Sie noch einmal darauf hinweisen, denn wer hätte darauf kommen können. Nur Sie, das ist selbstverständlich. Wir werden das alle gründlich beraten. Machen Sie einmal Vorschläge zu den Gruppen, die ich hier besonders genannt habe, den Anbietern, denn das scheinen ja Ihre Spezies zu sein. Darum kommen Sie nicht herum. Sie werden aber auch gefordert werden wie andere. Wir werden das sehen.
Meine Damen und Herren, wir gehen davon aus, daß, soweit diese Selbstbeteiligungsverfahren und -regelungen in die Satzungsgewalt der Krankenversicherungsträger gestellt werden, hinreichende Härtefallklauseln bezüglich der Kostenbeteiligung erarbeitet werden können. Härtefallregelungen für die Beteiligung der Versicherten an den Kosten einer Fahrt zum Arzt oder ins Krankenhaus haben seinerzeit gefehlt. Wir haben daraus gelernt. Dies darf sich nicht wiederholen. Ich hoffe daher, daß das möglichst schnell erarbeitet wird.
Wir kommen nun zur Arbeit in den Ausschüssen. Wir bitten darum, diese Entwürfe an die entsprechenden Ausschüsse zu überweisen. Wir werden in einer sachlichen, einer gründlichen und einer, wie ich meine, vernünftigen Weise daran arbeiten, Herr Kollege Hölscher. Man wird sehen, wie wir für die Sozialversicherten, im wesentlichen die Arbeitnehmer, in diesem Lande einen Konsens finden können.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911207300
Meine Damen und Herren, aus den Reihen der Fraktionen sind mir weitere Redner nicht gemeldet.
Jetzt hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Wort. Er spricht zu allen Vorlagen, über die noch nicht abgestimmt worden ist. Ich hoffe, das löst nicht noch einmal eine Debatte aus.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0911207400
Herr Präsident, ich möchte mich zunächst herzlich dafür bedanken, daß wir beide Beteiligte an einer Rationalisierungsmaßnahme sind, die nicht dazu führt, daß Sie und ich und andere ihren Arbeitsplatz verlieren. Denn ich bin in der Situation, nun gleich für drei Gesetze abschließend etwas zur Diskussion beizutragen, und zwar auf der Basis von zwei durch die Fraktionen eingebrachten Gesetzentwürfen, aber auch zur Einbringung eines Gesetzentwurfs, für den ich verantwortlich bin, nämlich für das Rentenanpassungsgesetz 1983. Diese Einbringung möchte ich hiermit formell vornehmen, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, wir sprechen heute in dieser Debatte über einen Teil eines Gesamtkonzepts zur Meisterung der Folgen einer negativen Wirtschaftsentwicklung, nämlich nacheinander über zwei von der Bundesregierung vorbereitete und von den Koalitionsfraktionen eingebrachte Gesetzentwürfe, die den sozialpolitisch relevanten Bereich des Maßnahmenbündels abdecken, das den Haushaltsentwurf 1983 begleitet. Es ist mir wichtig, dies hier noch einmal zu unterstreichen, denn zu dem Gesamtkonzept gehört mehr als dieser sozialpolitische Teil. Damit niemand es aus den Augen verliert, sage ich es noch einmal: Dazu gehören erneut zusätzliche beschäftigungswirksame Maßnahmen, Kürzungen von Subventionen, Einschränkungen steuerlicher Vergünstigungen und dann erst Korrekturen in der Sozialgesetzgebung, die eine Dämpfung des von den öffentlichen Kassen und den Kassen der Solidargemeinschaft getragenen Kostenanstiegs bewirken.
Dazu kommt noch das eben schon erwähnte Rentenanpassungsgesetz 1983, das ich einzubringen habe und durch das festgelegt wird, daß die Sozialversicherungsrentner im Jahre 1983 trotz eines Abzugs des Eigenanteils an der Krankenversicherung von 1 % eine Rentenerhöhung von etwa 41/2 % erreichen werden; ich komme darauf an anderer Stelle noch zurück.



Bundesminister Westphal
Herr Franke, in meinem Manuskript, das ich mir vorbereitet habe, steht: „Nach den Einlassungen der Oppositionsredner ...". Ich habe das als Mehrzahl formuliert und muß mich nun korrigieren: Es war immer derselbe, der für die Opposition geredet hat. Ich will daraus keine Rückschlüsse auf die Menge der fähigen Sozialpolitiker Ihrer Fraktion ziehen.

(Franke [CDU/CSU]: Sie werden das ja wohl in Ihrem Manuskript ändern können, Herr Minister!)

Nach Ihren Einlassungen also, Herr Franke, die allerdings — so muß ich sagen, nachdem ich Sie, Herr Franke, heute morgen zweimal gehört habe — nirgendwo eine in sich geschlossene Alternative zu dem Konzept der Koalitonsfraktionen geboten haben,

(Franke [CDU/CSU]: Die hat Urbaniak geliefert!)

bin ich dankbar, hier einiges zurechtrücken zu können.
Lassen Sie mich noch einmal mit einem Satz auf den Teil Ihrer Darlegungen zurückkommen, der deutlich machen sollte, daß wir Sozialdemokraten in besonderer Weise ein Zuviel an Sozialpolitik gemacht hätten und daß daraus auch Probleme für die jetzige Zeit entstanden seien. Ich bin nach wie vor davon überzeugt und bekenne mich dazu, daß wir stolz auf das sein können, was wir in den vergangenen Jahren zum Ausbau der sozialen Sicherung der Bürger geschaffen haben.

(Beifall bei der SPD und der FDP — Franke [CDU/CSU]: Und was ihr jetzt wieder einsammelt!)

Gerade in der Debatte um solche Fragen ist immer wieder eines zu hören gewesen — dies ist allerdings heute nicht geschehen —, auch und gerade aus dem Munde Ihres Fraktionsvorsitzenden Herrn Dr. Kohl, der da behauptet, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt. Er soll doch einmal sagen, wen er mit „wir" meint.

(Günther [CDU/CSU]: Das sagt der Bundeskanzler doch auch!)

Ist es nicht besser, das ein bißchen zu differenzieren? Wer ist denn eigentlich „wir"? Doch wohl nicht der Sozialhilfeempfänger, doch wohl nicht die Arbeiterwitwe, deren Rente immer noch bei durchschnittlich 628 Mark im Monat liegt! Eher schon, Herr Franke, die, um die es heute morgen in der ersten Runde unserer Diskussion ging, die Ehepaare mit Jahreseinkommen von über 100 000 DM, die trotz oder gerade wegen ihrer hohen Einkünfte von Steuervergünstigungen besondere Vorteile haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Einschließlich Minister!)

Andererseits: Ölpreisschock, Hochzinsphase, geburtenstarke Jahrgänge, die Arbeit fordern, haben in der Tat zu einer Situation geführt, in der es eben darum geht, im sozialen Bereich den Zuwachs zu bremsen. Wir machen dies, um das Übel — und das Hauptübel ist Arbeitslosigkeit — an der Wurzel pakken zu können und Handlungsspielräume für beschäftigungspolitische Maßnahmen zu gewinnen.
Das ist der hinter diesen wenig erfreulichen Gesetzgebungsteilen, über die wir jetzt sprechen, stehende Sinn. Unser Hauptproblem ist und war, das überlastete System der Arbeitslosenversicherung von seiner Überlastung zu befreien.
Ich will einfach mal versuchen, das gedanklich zu entwickeln. Dafür boten sich theoretisch drei Denkmöglichkeiten an:
Die erste Möglichkeit besteht darin, daß wir von den Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz ausgehen und dort Kürzungen vornehmen. Wir sind diesen Weg nicht gegangen; er wäre falsch gewesen nach dem kräftigen Einschnitt, der auf das Jahr 1982 hin im Umfang von dreieinhalb Milliarden DM in diesem Bereich für das Instrumentarium der Arbeitsmarktpolitik, die Arbeitsförderung, vorgenommen worden ist.
Die zweite denkbare Möglichkeit ist die Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
Die dritte Möglichkeit ist, daß die Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit für die Arbeitslosen gegenüber den beiden anderen Systemen der sozialen Sicherung, der Krankenversicherung und der Rentenversicherung, herabgesetzt werden.
Der Entwurf des 6. Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes, über den vorhin gesprochen worden ist, sieht eine Kombination der beiden zuletzt genannten Möglichkeiten vor: Der Beitragssatz für Arbeitnehmer und Arbeitgeber soll um je V4 4 Prozentpunkt angehoben werden, also insgesamt auf 4,5 %. Bei einem durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgelt von 2 900 DM ist das ein zusätzlicher Beitrag des Arbeitnehmers von 7,25 DM monatlich. Die Maßnahme ist auf drei Jahre begrenzt. Eine Überlastung der Arbeitnehmer und auch der Arbeitgeber wurde dadurch vermieden, daß man nicht alles durch Beitrag deckt, sondern nur einen Teil des Problems dort löst.
Als zweite Maßnahme haben wir vorgesehen, daß die Bundesanstalt für die Arbeitslosengeldbezieher ab 1983 — mir ist es sehr wichtig, daß das hier noch einmal deutlich gemacht wird — Beiträge an die Renten- und Krankenversicherung nach 70 % statt wie bisher nach 100 % des zugrunde liegenden Bruttoarbeitsentgelts zahlt. Hätten wir allein die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung erhöht, so wären die Belastungen der Arbeitnehmer zu groß geworden. Hätten wir — jetzt muß ich dieses „Wir" betonen — allein die Leistungen der Bundesanstalt an die Renten- und die Krankenversicherung herabgesetzt, wie es, Herr Franke — es ist heute schon mehrmals gesagt worden —, die CDU/CSU-Mehrheit im Bundesrat am 26. September 1981 in ihrer Stellungnahme zum Haushaltsstrukturgesetz der Bundesregierung sozusagen empfohlen hat — dort hat sie verlangt, wir sollten eine derartige Regelung vorlegen —, dann könnte ich mir den Empörungsschrei der Opposition in diesem Haus gut vorstellen.

(Franke [CDU/CSU]: Sie sind nicht ganz orientiert, Herr Minister; Sie sind nicht auf dem laufenden!)




Bundesminister Westphal
— Selbstverständlich bin ich auf dem laufenden. Ich habe die Texte hier.

(Franke [CDU/CSU]: Lesen Sie mal die Protokolle des Ausschusses nach!)

Lesen Sie, was in der Stellungnahme des Bundesrates steht. Ich komme darauf an anderer Stelle zurück; das brauchen wir nicht jetzt zu machen.
So ist es eben mit Ihnen, Herr Franke. Im Bundesrat lassen Sie Ihre Kollegen fordern, daß die Bundesanstalt für Arbeit die Beiträge an die Renten- und die Krankenversicherung kürzen und von 68 % des Nettoeinkommens, also von 45 % des letzten Bruttoeinkommens, ausgehen soll. Gleichzeitig stellen Sie sich hin — ich nehme jetzt mal den Abgeordneten Höpfinger — und erklären, unser Beschluß, 70 vom Bruttoeinkommen als Ausgangsbasis zu nehmen, mache die Rentenversicherung zum finanzpolitischen Spielball und zur Melkkuh für den Bundeshaushalt — so gesagt am 1. Juli 1982.
Herr Franke hat in der Debatte heute morgen gesagt: Wer zwei Millionen Arbeitslose nicht verhindert, dem fehlen zwei Millionen Beitragszahler bei der Rentenversicherung und der Krankenversicherung. Herr Franke, dies war sehr leichtfertig. Was Sie da gesagt haben, ist in der Sache falsch gewesen, denn Sie müssen sich einmal angucken, wie das im Krankenversicherungssystem aussieht; Sie müßten das von Ihrem Sachverständnis her eigentlich besser beurteilen können als ich. Auch in der Rentenversicherung sieht es seit 1978 ganz und gar anders aus; dort fehlen eben nicht Beitragszahler, sondern die Bundesanstalt für Arbeit tritt dort ein. Vor einem Jahr hat übrigens — —

(Franke [CDU/CSU]: Herr Westphal, das war schlimm, was Sie da gesagt haben!)

— Ich habe doch korrekt unsere Gesetzgebung dargestellt. Wir kürzen um ein Stück, während Sie um ein gewaltiges Stück kürzen wollten. Ich kann mit Recht sagen: Was es für die Rentenversicherung an Einnahmeausfällen bedeutet hätte, wenn wir auf die Lohnersatzleistung als Bemessungsgrundlage heruntergegangen wären, Herr Franke, möchte ich hier gar nicht erst beschreiben.
Ich habe bei all den Verhandlungen darüber immer aufgepaßt, daß unsere Schwankungsreserven immer hoch genug waren, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß jetzt auf 70 % des Bruttoentgelts gekürzt wird. Aber ich gehe von dem aus, was der Bundesrat, in dem Sie ja die Mehrheit haben, zu dem Thema gesagt hat. Dies sind Dokumente; dabei brauche ich mich nicht auf Meinungen zu stützen, sondern das kann jeder in diesem Land in den Bundesratsdrucksachen vom 26. September des vergangenen Jahres nachlesen.

(Franke [CDU/CSU]: Sie haben gesagt: Die zwei Millionen fehlen nicht!)

Meine Damen und Herren, vor einem Jahr hat dieselbe konservative Mehrheit des Bundesrates die Bundesregierung aufgefordert, umgehend — ab 1982 — einen Krankenversicherungsbeitrag der Rentner von 2 bis 3 % einzuführen. Eine unvertretbar hohe Absenkung des Nettorentenniveaus wäre die Folge gewesen. Von der anzustrebenden Parallelentwicklung zwischen Renten- und Arbeitnehmereinkommen wäre keine Rede gewesen.
Wir mußten — so sage ich — uns entschließen, den einprozentigen Rentnerkrankenversicherungsanteil schon auf 1983 vorzuziehen. Die Art, wie dies mit jährlich einem weiteren Prozentpunkt bis 1986 geschieht, stellt die gewünschte Parallelentwicklung zwischen Renteneinkommen auf der einen Seite und Arbeitnehmereinkommen auf der anderen Seite her. Auf diese Parallelentwicklung kommt es uns an.
Daß dies vor den Arbeitnehmern, aber eben gerade auch vor den Rentnern draußen vertreten werden kann, geht schon daraus hervor, daß die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung von 1969 bis heute real — d. h. nach Abzug der Preissteigerungen — um 43 % gestiegen sind, während der entsprechende reale Anstieg der Arbeitnehmereinkommen im gleichen Zeitraum 28 % beträgt. Wir wollten diese Entwicklung der Renten. Nun befinden wir uns in einer Situation, in der wir nicht zulassen sollten, daß sich die Schere wieder öffnet — auch und gerade im Interesse der Arbeitnehmereinkommen, aber, so meine ich, mit Verständnis auf der Seite der Rentner.
Das Nettorentenniveau, d. h. der Anteil der Rente am Nettoarbeitseinkommen eines vergleichbaren Aktiven, wird also in den kommenden Jahren nicht mehr steigen, aber auf dem heute erreichten hohen Stand verbleiben. Dasselbe gilt für die Kriegsopferrenten.
Es ist langsam schon ein makabres Spiel, wenn von interessierter Seite immer wieder versucht wird, die Rentner zu verunsichern und in die Irre zu führen. Es wird Ihnen eingeflüstert, die Renten würden gekürzt.

(Hölscher [FDP]: Der VdK zum Beispiel!)

Lassen Sie mich hierzu eines klarstellen: Es wird keine Rente gekürzt, sondern im wirtschaftlichen Ergebnis fallen die Rentenerhöhungen in den nächsten Jahren durch die Beteiligung der Rentner an den Kosten ihrer Krankenversicherung jeweils um etwa 1 % geringer aus als ohne eine solche Beteiligung. Das ist der Vorgang. Im nächsten Jahr beträgt also der Einkommenszuwachs für die Rentner statt rund 5,6 % nunmehr etwa 4,6 %.

(Pohlmann [CDU/CSU]: Nehmen Sie aber auch die Inflationsrate dazu!)

— Ja, aber das gilt für alle. Im übrigen bleibt der Anstieg für die Renten so. Ich habe auch nicht gesehen, daß Sie irgend etwas anderes vorzuschlagen hatten.
Meine Damen und Herren, die Rentenanpassung 1983 wird die Renten von rund 10 Millionen Rentnern im nächsten Jahr unter Berücksichtigung des Krankenversicherungsbeitrages der Rentner im wirtschaftlichen Ergebnis auf etwa 4,6 % erhöhen. Die damit verbundenen Mehrausgaben in Höhe von rund 7 Milliarden DM sind für die Rentenversicherung finanzierbar.



Bundesminister Westphal
Nun müßte man ja von denen, die Kritiker sind und glauben, daß die Rentenfinanzierung in Unordnung käme — vielleicht auch von den Parteien, die etwa so denken oder so reden würden —, erwarten, daß sie dann den Schluß ziehen, einer solchen Gesetzgebung nicht zuzustimmen, die zu Rentenerhöhung und 7 Milliarden DM Ausgaben führt. Herr Franke hat diesem Vorhaben hier heute morgen zugestimmt, wie ich gehört habe; dieses Gesetz wird also die einstimmige Zustimmung des Bundestages finden. Die Sorgen um die Rentenfinanzen können daher auch in der Oppositionspartei nicht so groß sein, daß sie Konsequenzen zieht, wie sie sonst logisch wären. Sie haben das nicht getan.

(Franke [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)

Ich stelle das hier fest.

Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911207500
Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hölscher?

Friedrich Hölscher (FDP):
Rede ID: ID0911207600
Herr Bundesminister, da Sie mit Recht von der Verunsicherung der Rentner sprachen, frage ich: Ist Ihnen bekannt, daß der VdK in dieser Woche in Bonn eine Protestveranstaltung hatte, auf der ein Flugblatt verteilt wurde, in dem u. a. der Eindruck erweckt wurde, daß eine Witwe, die heute eine Rente von 720 DM bekommt, im Jahr 1986 dafür etwa 30 DM als Krankenversicherungsbeitrag zahlen müsse? Und können Sie einmal feststellen, daß solche Rechnungen nicht nur falsch, sondern auch unverantwortlich sind? Denn die Rente dürfte im Jahr 1986 wesentlich höher sein, wenn sie heute 720 DM beträgt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID0911207700
Herr Hölscher, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie auf diesen Vorgang hinweisen. Aber bei mir war er schon dadurch abgeschlossen, daß ich an den Präsidenten des VdK einen Brief geschrieben habe, in dem ich dies widerlegt habe. Mir wäre es am liebsten gewesen, der Brief wäre auf der Veranstaltung verlesen worden; das konnte ich von dem Verband aber nicht verlangen. Doch ich habe mir erlaubt, allen Kollegen des Hauses — quer durch alle Reihen und Fraktionen — diesen Brief zur Kenntnis zu geben, um sie auch von der Sache her für solche Diskussionen argumentativ auszustatten, die vielleicht auch an anderer Stelle noch stattfinden werden. Ich danke für den Hinweis.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort zu dem anderen aufgerufenen Gesetzentwurf zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften fragen.
Die Herabsetzung der Beitragsabrechnungsbasis für die Beiträge der Bundesanstalt für Arbeit an die Sozialversicherungssysteme auf 70 % des letzten Bruttoeinkommens vor Eintritt der Arbeitslosigkeit führt bei den Krankenkassen zu einem Einnahmeverlust, der nach vorläufigen Schätzungen etwa in der Größenordnung von 0,2 Beitragspunkten liegt.
Nun könnte man sagen, daß Kostendämpfungserfolge und geringere Inanspruchnahme zur Zeit eine Lage geschaffen haben, die es möglich erscheinen läßt, diesen Einnahmeverlust bei den Krankenkassen ohne Beitragserhöhung für eine gewisse Zeit aufzufangen. Aber das stimmt deshalb nicht ganz, weil die Einnahmeminderung die Kassen und Kassenarten nicht gleichmäßig trifft. Ganz eindeutig läßt sich nachweisen, daß sich das Arbeitslosenrisiko auf die Kassen und Kassenarten der gesetzlichen Krankenversicherung sehr unterschiedlich verteilt.
Um Beitragserhöhung zu vermeiden, wie es unser Ansatz war, und um innerhalb des gegliederten Systems keine tiefergehenden Verzerrungen zu bewirken — dies ist eine Antwort auf die Auffassungen und Meinungen, die Herr Franke eben geäußert hat; diese Verzerrungen können nämlich das gegliederte System irgendwann einmal sprengen; das galt es zu verhindern —, haben wir uns zu zwei Wegen nebeneinander entschieden. Einerseits gleichen wir die Mindereinnahmen auf der Beitragsseite durch Minderausgaben aus. Dies geschieht durch die Erhöhung der Verordnungsblattgebühr um 50 Pf, durch Ausschluß von vier Arten sogenannter Bagatellarzneimittel aus der Erstattungspflicht der Kassen und durch die Zahlung eines Beitrags von 5 DM täglich für die ersten sieben Tage eines Krankenhausaufenthalts sowie durch Zuzahlung von 10 DM je Tag bei voll von den Sozialversicherungsträgern finanzierten Kuren.
Herr Hölscher, wir haben in die Begründung, die wir im Rahmen unserer Regierungsverantwortung zu geben hatten, nicht hineingeschrieben, daß es sich um Selbstbeteiligung handelt. Wir haben auch nicht hineingeschrieben, daß es sich um häusliche Ersparnisse handelt. Ich weiß, daß Sie das kritisieren. Ich hätte das nicht verantworten können, weil beide Gedanken, gerade auch der der häuslichen Ersparnis, so nicht zutreffend als Begründung hätten durchgehalten werden können; die hätte mir jeder widerlegen können.

(Franke [CDU/CSU]: Aber Selbstbeteiligung stimmt!)

Was ich hier deutlich machen möchte, ist folgendes — warum sollten wir das gerade nach der Debatte, die hier geführt worden ist, vertuschen? —: Wir denken über den Sinn oder auch Nichtsinn, gerade dort bezogen auf die 5 DM täglich für die ersten sieben Tage eines Krankenhausaufenthalts, in dieser Koaltion unterschiedlich. Warum sollen wir das vertuschen? Der Bürger kann und darf doch wissen, daß dies das Ergebnis einer Aushandlung unterschiedlicher und auch nebeneinander an anderer Stelle zur Debatte stehender Vorschläge und Forderungen war. Ich habe das einmal auf eine etwas burschikose Formel gebracht — ich hoffe, sie wird mir nicht übelgenommen —: Kompromiß und Krötenfressen fangen beide mit K an wie Koalition. Darf man das Freitagnachmittag noch sagen, ohne daß es einem übelgenommen wird?

(Mischnick [FDP]: Und Konzeption auch!)

— Aber auch Konzeption, jawohl, Herr Mischnick.
Dazu habe ich am Anfang sehr vieles gesagt, bei dem



Bundesminister Westphal
wir übereinstimmen; doch bei diesem Teilschrittchen, Herr Mischnick, stimmen wir inhaltlich wohl oder übel nicht überein. Daß hier jemand steht, der das zu vertreten hat, der diesen Gesetzentwurf mit unterschrieben hat, ist wohl klar genug geworden. Davon spreche ich mich nicht frei; ich trage dafür Mitverantwortung.
Den zweiten Teil der Maßnahmen in diesem Bereich haben wir getroffen, um für das Risiko Arbeitslosigkeit einen Belastungsausgleich vorzusehen, und zwar sowohl rechnerisch innerhalb der einzelnen Kassenarten als auch kassenübergreifend, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Dies war mein Überlegungsgang, den ich noch einmal vortragen wollte. Mir kam es lediglich darauf an, Ihnen zu verdeutlichen, daß die Regierung sozusagen doppelt genäht hat, um Beitragserhöhungen bei der Krankenversicherung aus Gründen unserer Konsolidierungsmaßnahmen beim Arbeitslosensicherungssystem zu verhindern.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Ich habe den prinzipiellen Überlegungen des Kollegen Glombig, den dazu erfolgten Äußerungen von Herrn Kollegen Franke und dem, was meine Kollegen von der FDP-Seite zu dieser Gesamtproblematik gesagt haben, aufmerksam zugehört. Ich kann zu dieser späten Stunde unserer parlamentarischen Beratungen nicht noch den Ausblick auf die fernere Zukunft anfügen. Überlegungen zu einer Langzeitkonzeption bewegen aber auch mich und meine Mitarbeiter im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung. Ich weiß, daß ich Mitverantwortung für das Voranbringen dieser Debatte trage. Sie können sicher sein, daß wir an diese, uns alle umtreibende Problematik herangehen werden. — Ich möchte mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

(Beifall bei der SPD und der FDP)


Georg Leber (SPD):
Rede ID: ID0911207800
Ich schließe die allgemeine Aussprache zu allen Vorlagen, über die noch nicht abgestimmt worden ist.
Über den Tagesordnungspunkt 24 ist schon abgestimmt worden. Interfraktionell wird aber vorgeschlagen, die Drucksache 9/1956 zur Mitberatung auch an den Rechtsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist entsprechend beschlossen.
Wir stimmen nun über Tagesordnungspunkt 22, Sechstes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz, auf Drucksache 9/1957, ab. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP auf Drucksache 9/1957 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Verteidigungsausschuß, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie zur Mitberatung und Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 23, Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 1983, auf der Drucksache 9/1730. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 9/1730 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 21. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und FDP zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften auf Drucksache 9/1958 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung und Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist entsprechend beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. September 1982, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.