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ID0911204800

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    Plenarprotokoll 9/112 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 112. Sitzung Bonn, Freitag, den 10. September 1982 Inhalt: Abwicklung der Tagesordnung 6837 A Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes (Einkommensteueränderungsgesetz 1983) — Drucksache 9/1956 — Poß SPD 6837 B Dr. Kreile CDU/CSU 6839 D Frau Matthäus-Maier FDP 6844 B Lahnstein, Bundesminister BMF . . . 6848 B Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung und von anderen Vorschriften (Sechstes Rentenversicherungs-Änderungsgesetz) — Drucksache 9/1957 — in Verbindung mit Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1983 — Drucksache 9/1730 — Glombig SPD 6851 B Franke CDU/CSU 6855 D Heyenn SPD 6861 B Schmidt (Kempten) FDP 6863 B Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften (SVÄG 1982) — Drucksache 9/1958 — Hölscher FDP 6867 A Franke CDU/CSU 6870 C Urbaniak SPD 6873 B Westphal, Bundesminister BMA . . . 6875C Nächste Sitzung 6879 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6880*A Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1982 6837 112. Sitzung Bonn, den 10. September 1982 Beginn: 9.00 Uhr
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    6880 * Deutscher Bundestag — 9. Wahlperiode — 112. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. September 1982 Anlage zum Stenographischen Bericht Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. van Aerssen * 10.9. Dr. Ahrens ** 10.9. Bamberg 10.9. Bohl 10.9. Dr. Bardens ** 10.9. Büchner (Speyer) ** 10.9. Dr. Dregger 10.9. Eickmeyer ** 10.9. Eigen 10.9. Dr. Faltlhauser 10.9. Feinendegen 10.9. Fellner 10.9. Frau Fromm 10.9. Funke 10.9. Frau Geier 10.9. Hauck 10.9. Herterich 10.9. Hoppe 10.9. Frau Luuk 10.9. Dr. Müller ** 10.9. Müller (Bayreuth) 10.9. Müller (Wadern) 10.9. Neumann (Bramsche) 10.9. Pensky ** 10.9. Rappe (Hildesheim) 10.9. Rösch 10.9. Dr. Schachtschabel 10.9. Schäfer (Mainz) 10.9. Schmidt (Wattenscheid) 10.9. Schulte (Unna) ** 10.9. Dr. Freiherr Spies v. Büllesheim ** 10.9. Stöckl 10.9. Dr. Unland ** 10.9. Dr. Vohrer ** 10.9. Dr. Warnke 10.9. Frau Dr. Wex 10.9. * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parlaments ** für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates
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    Rede von Friedrich Hölscher


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (FDP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (FDP)

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Initiativentwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften, den ich hiermit im Namen der Koalitionsfraktionen SPD und FDP einbringe, ist inhaltsgleich mit dem von der Bundesregierung kürzlich über den Bundesrat vorgelegten Entwurf. Diese parallele Einbringung aus der Mitte des Bundestages ermöglicht es uns, bereits heute die erste Lesung durchzuführen und unmittelbar danach mit den Beratungen in den Ausschüssen zu beginnen.
    Aber dabei darf nicht übersehen werden: Dieser Gesetzentwurf steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Beschlüssen der Koalition zum Haushalt 1983. Manchem Sozialpolitiker — das weiß ich — wäre es lieber gewesen, wenn wir diese Debatte deshalb in der nächsten Woche im Zusammenhang mit dem Gesamthaushalt hätten führen können. Denn mit dem Haushalt 1983 werden wir die bereits mit dem Haushalt 1982 begonnenen Konsolidierungsmaßnahmen fortsetzen. Unser gemeinsames Ziel ist es, durch die Begrenzung der Nettokreditaufnahme Rahmenbedingungen zu schaffen, die vor allem der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit dienen. Denn je mehr der Staat sich verschuldet, je mehr die ohnehin hohe Last der Bürger durch Steuern und Abgaben erhöht wird, um so schwieriger wird es sein, die notwendige Investitionsbereitschaft für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zu erhalten.
    Ziel der „Operation '83" ist daher wiederum, eine Umschichtung von den konsumtiven zu den investiven Ausgaben zu erreichen und überall dort zu sparen, wo es ökonomisch sinnvoll und sozial vertretbar ist.
    Zur Entlastung der Bundesanstalt für Arbeit von den bedrohlich angewachsenen Ausgaben für Arbeitslose sollen daher die Beiträge an die Krankenkassen von 100 auf 70 % des letzten Bruttoentgelts gesenkt werden.
    Selbstverständlich wäre es uns lieber gewesen, wenn wir es bei der bisherigen Bemessungsgrundlage für die Zahlungen der Bundesanstalt an die Krankenversicherung der Arbeitslosen hätten belassen können. Aber an den Realitäten konnten wir nicht vorbeisehen. Die veränderten ökonomischen Rahmenbedingungen machen eine Orientierung der Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit an den tatsächlichen Einkommensverhältnissen notwendig. Im Hinblick darauf, daß das tatsächliche Einkommen, das auch sonst Grundlage der Beitragsbemessung ist, bei den Arbeitslosen 68 % des letzten Nettoeinkommens beträgt, stellt die in diesem Gesetzentwurf und im vorher beratenen Gesetzentwurf vorgesehene Bemessungsgrundlage von 70 % einen vertretbaren Kompromiß dar, der jedenfalls nicht so weit geht — ich erwähne auch das noch einmal, Herr Kollege Franke — wie der 1981 über den Bundesrat eingebrachte Vorschlag Ihrer Parteifreunde, bei der Senkung sogar auf 68 % des Nettoentgelts zu gehen. Aber, wenn Sie so wollen: Wir waren offen für Ihre Vorschläge und haben den Vorschlag der Opposition aus dem vorigen Jahr übernommen. Um so weniger verstehe ich, daß gerade dies dort hin und wieder kritisiert wird.

    (Franke [CDU/CSU]: Herr Hölscher, Sie wissen, weshalb wir 68 genommen haben!)

    — Ja, ja.
    Die nunmehr vorgesehene Senkung der Beiträge auf 70 % des Bruttoentgelts würde aber bei den gesetzlichen Krankenversicherungen natürlich ein Defizit von ca. 1,3 Milliarden DM im Jahr 1983 entstehen lassen. Dies mußten, dies wollten wir selbstverständlich vermeiden.
    Deshalb sieht der Gesetzentwurf Maßnahmen vor, die es den Krankenkassen ermöglichen, Beitragserhöhungen zu vermeiden. Wir garantieren also — und dies auch im Interesse der versicherten Arbeitnehmer — trotz der Einnahmeausfälle die dringend notwendige Beitragssatzstabilität.
    Der Entwurf schlägt im Rahmen dieser Konzeption vier Maßnahmen zur Entlastung der Solidargemeinschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung vor: die Anhebung der Arzneimittelgebühr auf zwei DM; die Eigenbeteiligung mit fünf DM in den ersten sieben Tagen, also insgesamt 35 DM bei einem Krankenhausaufenthalt; die Eigenbeteiligung mit 10 DM täglich während einer vollbezahlten Kur, und bei geringfügigen Gesundheitsstörungen die Herausnahme bestimmter Bagatellarzneimittel aus der Kassenleistung.
    Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß unzumutbare Belastungen von Versicherten vermieden werden sollen. Denn dafür sind — was, wie ich erlebt habe, in der öffentlichen Diskussion oft übersehen wird — entsprechende Härteregelungen vorgesehen, die von der Selbstverwaltung noch im einzelnen zu konkretisieren sind. Der Gesamtbetrag der zu erwartenden Belastungen entspricht den Einnahmeausfällen, die durch die Absenkung der Beitragsbe-



    Hölscher
    messungsgrundlage für Arbeitslose auf 70 % des letzten Bruttoentgelts entstehen.

    (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Wunschdenken!)

    Meine Damen und Herren, außer den Maßnahmen zur finanziellen Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung war eine Regelung erforderlich, durch die eine gleichmäßige Verteilung der Mindereinnahmen, die den Krankenkassen durch die Kürzung der Krankenversicherungsbeiträge für Arbeitslose entstehen, auf alle Kassen erreicht wird. Es steht fest, daß der Anteil der arbeitslosen Mitglieder bei den einzelnen Krankenkassen und Kassenarten unterschiedlich hoch ist — z. B. die AOKs haben einen höheren Anteil an Arbeitslosen als Ersatzkassen —, wohingegen die vorgesehenen Maßnahmen zum Ausbau der Eigenbeteiligung in der Krankenversicherung die Krankenkassen gleichmäßig entlasten. Damit aber nun keine Kassenart wegen des besonderen Strukturproblems Arbeitslosigkeit — es ist ja ein Strukturproblem — benachteiligt oder bevorzugt wird, mußte ein Belastungsausgleich vorgesehen werden.
    Im Rahmen eines Kompromisses zwischen den Koalitionsfraktionen haben wir uns auf einen zweistufigen Ausgleich geeinigt. Dieser Kompromiß sieht vor, daß in der ersten Stufe die Beitragsausfälle kassenartintern gleichmäßig verteilt werden und daß erst in der zweiten Stufe Belastungsspitzen unter den verschiedenen Kassenarten ausgeglichen werden. Nach diesem Verfahren kommen also übergreifende Ausgleichszahlungen nur dann in Betracht, wenn ein interner Ausgleich durchgeführt worden ist und dieser allein nicht ausreicht, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden. Das Beitragssatzgefüge — darauf kommt es an — zwischen den Kassenarten wird nicht verändert. Diese Wettbewerbsneutralität verhindert Beitragserhöhungen bei den Kassen, derzeit also bei den Ortskrankenkassen.
    Nach der im Entwurf vorgesehenen Regelung können die erforderlichen Verrechnungen unmittelbar über die Bundesanstalt für Arbeit abgewickelt werden. Wir wollten damit neue Verwaltungsorganisationen vermeiden; sie brauchen nicht aufgebaut zu werden. Die Einzelheiten des Verfahrens sollen die Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Bundesanstalt für Arbeit vereinbaren; es handelt sich also — das liegt uns sehr am Herzen — um eine Art Selbstverwaltungsregelung.
    Nach dem derzeitigen Stand würde nach Durchführung dieses Ausgleichsverfahrens im Ergebnis jede Krankenkasse mit rund 0,2 Beitragssatzpunkten durch die Mindereinnahmen belastet. Dem stehen auf der Ausgabenseite die durch die vorgesehenen Maßnahmen bewirkten Einsparungen gegenüber; aus heutiger Sicht wird jede Kasse um rund 0,24 Beitragssatzpunkte entlastet. Beitragserhöhungen sind demnach also nicht zu erwarten.
    Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach der Erläuterung des Gesetzentwurfs für die Koalitionsfraktionen SPD und FDP möchte ich den Gesetzentwurf aber auch aus der Sicht meiner Fraktion bewerten. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen
    Regelungen bezüglich einer Eigenbeteiligung an den Leistungen der Krankenversicherung sind für uns Liberale mehr als nur eine fiskalische Operation im Rahmen des Haushalts 1983.

    (Zustimmung bei der FDP) Sie stellen sehr wohl eine Wende dar,


    (Zuruf von der CDU/CSU: Noch eine „Wende"!)

    und zwar hin zu mehr Eigenverantwortung und Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung.

    (Zustimmung bei der FDP)

    Wenn unser Sozialsystem seine fundamentale Aufgabe der Existenzsicherung auch in Zukunft erfüllen soll — das setzt ja seine Finanzierbarkeit voraus —, dann muß es in seiner Struktur den neuen Herausforderungen angepaßt werden. Dies gilt nicht nur für die Krankenversicherung, dies gilt für alle Formen der sozialen Vorsorge.
    Der Vorsitzende der FDP, Hans-Dietrich Genscher, hat gestern von diesem Platz von der Herausforderung gesprochen, die da lautet: Wie können wir angesichts geringer Wachstumsraten auch in Zukunft Freiheit und sozialen Frieden sicherstellen? Die veränderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben eben vor allem unser Sozialsystem einer großen Belastungsprobe ausgesetzt. Ich denke auch, wenn wir unser Sozialsystem auf Dauer wetterfest machen wollen, dann müssen wir mit Reformen am System selbst beginnen. Dabei kann — damit es da gar kein Mißverständnis gibt — nicht Abbau, sondern nur Umbau die Devise sein. Wir müssen dabei aber auch zur Kenntnis nehmen, daß die Belastungsgrenze erreicht und die finanzielle Leistungsfähigkeit des Systems — insbesondere auch der Krankenversicherung — langsam überfordert wird. Wir sind längst an einer Grenze angelangt, wo Finanzierbarkeit und Leistungsfähigkeit noch sichergestellt werden können. Aus dieser Erkenntnis heraus müssen wir uns einmal auf Solidarität zwischen Versicherten, aber auch auf Eigenverantwortung und Selbsthilfe besinnen.
    Ich weiß, die Eigenbeteiligung von 5 DM pro Tag bei Krankenhausaufenthalt und von 10 DM pro Tag bei vollbezahlten Kuren wird scharf kritisiert. Aber — ich wende mich da insbesondere den Kollegen von der SPD zu — hat denn nicht die Solidargemeinschaft der Versicherten, die doch neben den Arbeitgebern all diese Leistungen bezahlen muß, ein Recht darauf, sein Mitglied zu bitten, doch wenigstens einen kleinen Teil der häuslichen Ersparnis bei Krankenhausaufenthalt und Kuren selber zu zahlen? Ist es wirklich Aufgabe der Solidargemeinschaft Krankenversicherung, etwa bei einer Kur auch noch die letzte Mark für Essen und Trinken zu finanzieren? Ich glaube, das wäre ein falsch verstandener Begriff von Solidarität im Rahmen einer Krankenversicherung, wobei j a sichergestellt ist, daß es eine ungeschmälerte, hundertprozentige Leistung für all das gibt, was für die Gesundheit notwendig ist: Arzt, Unterbringung und vieles andere mehr.

    (Zurufe von der SPD)




    Hölscher
    Kann es weiterhin Aufgabe der Versichertengemeinschaft sein, Abführmittel oder Kopfschmerztabletten zum Nulltarif zu liefern, obwohl gar keine ernsthafte gesundheitliche Gefährdung vorliegt?
    Die Eigenbeteiligung bei der Krankenversicherung war für uns eigentlich immer auch deshalb eine entscheidende Frage, weil wir damit ein politisches Signal setzen wollten, das von einer — zugegeben — entstandenen Anspruchsgesellschaft wegführt und aus der Krankenversicherung wieder eine Gemeinschaft macht, in der nicht nur Solidarität, sondern auch Eigenverantwortung und Subsidiarität wieder eine wichtige Rolle spielen. Ich komme darauf noch.
    Ein Blick in die Geschichte ist da sehr lehrreich. Was ich jetzt sage, habe ich vom DGB gelernt. Er hat nämlich eine sehr interessante Dokumentation über das Entstehen unseres Sozialsystems herausgebracht. Was darin steht, war mir neu. Für mich war deutsche Sozialgesetzgebung bzw. deutsches soziales Sicherungssystem nämlich immer nur mit dem Namen Bismarck verbunden. Aber jetzt habe ich viel gelernt; denn nach der Dokumentation sind die ersten sozialen Sicherungssysteme schon Mitte des vorigen Jahrhunderts entstanden.

    (Zurufe von der CDU/CSU: In Selbsthilfe!)

    Bürger schlossen sich zu kleinen dezentralen, selbstverantwortlichen Selbsthilfeorganisationen zusammen.
    Deshalb frage ich mich, ob es eigentlich richtig war, daß wir 100 Jahre Bismarcksche Sozialgesetzgebung so gefeiert haben, mit der j a auch der Grundstein für ein Sozialsystem gelegt wurde, das heute schon die Züge — ich will es nicht verallgemeinert verstanden wissen — eines Gießkannensystems staatlicher Prägung von Zwangsversicherten hat, womit auch die Gefahr besteht, daß es verkümmert.

    (Kolb [CDU/CSU]: Bis zum Selbstbedienungsladen!)

    Das Gefühl, zu wissen, was dieses System ist, schwindet völlig. Es sollte nämlich eigentlich eine Solidargemeinschaft sein, bei der der einzelne ganz selbstverständlich das Recht hat, Leistungen zu beziehen, da er es ja auch mitfinanziert, aber auch selber mitverantwortet.
    Da ist mir das Jahr 1848 schon lieber als die Geburtsstunde des deutschen Sozialsystems. Jedenfalls scheint mir nach dem, was ich gelesen habe, der Arbeiterverbrüderungsverein in Berlin-Kreuzberg aus jenem Jahr — das war die erste von Arbeitern gegründete deutsche Krankenversicherung — demokratischer, solidarischer, motivierter und auch relativ wirtschaftlicher gewesen zu sein als manche heutige RVO-Kasse.
    Im übrigen sehe ich mich hier als Liberaler in einer guten Tradition. Denn auch die Liberalen gingen im letzten Jahrhundert vom Genossenschaftsgedanken aus, für den eben auch Selbstverantwortung, Solidarität und Selbstbeteiligung die tragenden Säulen waren.
    Formal findet sich dieses Prinzip auch heute noch in unserer Sozialversicherung. Aber wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir eben eingestehen, daß die tragenden Säulen der sozialen Sicherung, auch der Krankenversicherung, kaum noch im Bewußtsein der Menschen von Solidarität getragene Selbsthilfeorganisationen sind, bei denen jeder nach seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten seinen Beitrag leistet, damit er und die anderen in der Gemeinschaft Schutz finden vor Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter.

    (Beifall bei der FDP)

    So verstanden, meine Damen und Herren, ist dieser Gesetzentwurf auch eine Aufforderung, gerade in einer Zeit der leeren Kassen alle Möglichkeiten zu nutzen, wieder zu den Werten von Selbstverantwortung, Selbsthilfe und Solidarität zurückzufinden.

    (Beifall bei der FDP)

    Natürlich sehe ich die Gefahr, daß solche Gedanken von Neokonservativen mißbraucht werden. Sie ist sogar sehr groß. Deshalb möchte ich hier einmal klipp und klar feststellen, damit es da keine Mißverständnisse gibt: Der einzelne ist ohne den Schutz der Gemeinschaft machtlos und nicht in der Lage, sich zu behaupten gegen die mannigfaltigen Wechselfälle des Lebens. Niemand, der in Not gerät — das halte ich für selbstverständlich, aber ich möchte es hier sagen —, darf allein gelassen werden.

    (Beifall bei der FDP)

    Niemandem darf bei einer Krankheit die optimale medizinische Versorgung verweigert werden.
    Ich gebe offen zu, daß es auch meiner Partei bisher noch nicht gelungen ist — genausowenig wie den anderen Parteien —, die schlüssigen Konzepte für den notwendigen Umbau unseres Sozialsystems zu entwickeln. Wir waren zu sehr von der Hektik der Arbeiten am Zustandekommen eines soliden Haushalts 1981 und 1982 in Anspruch genommen. Erkennen wir daher bitte — diese Bitte richtet sich an die SPD, natürlich auch an die CDU — in dem vorliegenden Gesetzentwurf auch die Chance für einen Einstieg, einen kleinen Einstieg in eine Reform unserer Krankenversicherung!

    (Beifall bei der FDP)

    Über alles andere — und da ist noch sehr viel zu tun — müssen wir miteinander reden. Denn es gilt, die Solidarität zwischen Beitragzahlern und Leistungsempfängern durch eine stärkere individuelle Verantwortung der Versicherten — derjenigen Versicherten, denen es zumutbar ist, will ich gleich sagen —

    (Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist das?)

    zu festigen, gerade weil wir die Sicherung gegen soziale Risiken auf solidarischer Grundlage schon zu unseren Traditionen rechnen.
    Eine Sozialpolitik jedenfalls, die den einzelnen aus der Verantwortung entläßt — damit meine ich nicht nur die Versicherten im Bereich der Krankenversicherung, sondern auch die Ärzte —, endet in einer anonymeren, noch bürokratischeren, noch weni-



    Hölscher
    ger finanzierbaren staatlichen Fürsorgeeinrichtung, die letztlich weder leistungsfähig noch human sein kann.

    (Beifall bei der FDP)

    Zum Schluß eine ganz andere Feststellung, die der Kollege Schmidt schon getroffen hat, die ich aber so wichtig finde, daß ich sie mit meinen Worten wiederholen möchte: Mit der gemeinsamen Vorlage dieses Gesetzentwurfs wurde noch etwas ganz anderes erreicht, was gerade in dieser Woche festzustellen besonders wichtig ist. Wir haben nämlich hier den Beweis erbracht, daß diese Koalition sehr wohl handlungsfähig ist. Wir haben uns geeinigt auf einem Feld, auf dem — und das weiß jeder — die Grundvorstellungen von SPD und FDP zunächst weit auseinander lagen. Es war wirklich nicht einfach, aber ich denke, wir haben ganz gute Arbeit geleistet. Deshalb verstehe ich als FDP-Mitglied auch gar nicht,

    (Frau Hürland [CDU/CSU]: Das sind die Sozialausschüsse der Koalition, nicht?)

    warum so viel vom Ende der Gemeinsamkeiten zwischen SPD und FDP geredet wird.

    (Franke [CDU/CSU]: „Reisende soll man nicht aufhalten", sagt Schmidt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

    Ich frage mich: Wo sind eigentlich die so oft zitierten neuen Mehrheiten für die Bewältigung unserer strukturellen Probleme?

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Löffler [SPD]: Eine sehr berechtigte Frage! — Frau Hürland [CDU/CSU]: Wo ist denn die „Wende"?)

    Vermutet werden sie doch von vielen, auch in meiner eigenen Fraktion, gerade in der Sozialpolitik. Aber wie sieht es denn tatsächlich aus?
    Wir haben es heute — obwohl es nicht ganz so schlimm war wie sonst, Herr Kollege Franke — wieder erlebt: Die Einsicht in die Notwendigkeit, das Sozialsystem den neuen Rahmenbedingungen anzupassen, kommt nicht, wie viele erwartet hatten, von der CDU/CSU, sondern von den Herren Glombig und Glotz — von uns einmal abgesehen; für uns ist das seit einiger Zeit in der Diskussion. Uneinsichtigkeit und Konzeptionslosigkeit finden wir dafür bei der CDU/CSU. Konzeptionslosigkeit hat jedenfalls heute Ihren Beitrag, Herr Kollege Franke, auch wenn er sachlicher als sonst war, bestimmt.

    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

    Wir finden diese Uneinsichtigkeit und Konzeptionslosigkeit bei Männern mit Namen, bei Herrn Geißler, welcher der SPD noch im Februar dieses Jahres hier vorgeworfen hat, sie habe sich von uns das soziale Gewissen abnehmen lassen.

    (Beifall bei der FDP)

    Wir finden sie auch bei Herrn Kohl und bei vielen Ihrer Kollegen auf DGB-Konferenzen, an denen Sie zur Zeit alle teilnehmen, da Sie sich den Gewerkschaften anbiedern und so tun, als wenn sich, wenn
    Sie an die Macht kämen, überhaupt nichts ändern würde.

    (Zurufe von der CDU/CSU)

    Jeder, der sich angesprochen fühlt, soll das hören. Deshalb — ich wende mich jetzt an die Koalitionsfraktionen — sind für mich nach diesen Erfahrungen die neuen Mehrheiten zur Bewältigung der Probleme die alten Mehrheiten. Deshalb, liebe Kollegen von der SPD: Wir haben noch viel zu tun — packen wir's gemeinsam an!

    (Beifall bei der FDP und der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Jetzt geben alle eine persönliche Erklärung ab!)



Rede von Georg Leber
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Die Vorlage ist eingebracht. Das Wort zur Begründung wird nicht weiter gewünscht.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Als erster Redner hat der Herr Abgeordnete Franke das Wort.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von: Unbekanntinfo_outline


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: ()

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wäre ja gespannt, wenn noch mehr FDP-Kollegen hier persönliche Bekenntnisse ablegen könnten, die etwas von dem abweichen, was Ihr Parteivorsitzender gestern hier gesagt hat. Aber der Zug der Zeit ist nicht aufzuhalten. Diejenigen, die sich dagegenstemmen, werden sehen, daß der Zug der Zeit auch sie überrollt.

    (Zurufe von der SPD)

    Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften ist ein sogenanntes Begleitgesetz zu dem, was wir heute morgen schon gelesen haben. Bei diesem Gesetzentwurf, den der Herr Kollege Hölscher hier gerade begründet hat, muß man einmal auf folgendes achten, was die Öffentlichkeit, die leider nicht in sehr großer Zahl vertreten ist, sicherlich interessieren wird. Herr Glombig hat heute morgen gesagt, er lehne es sozusagen ab, die 5 DM für die ersten Tage eines Krankenhausaufenthaltes zu begründen. Herr Hölscher wirbt, während er von großer Geschlossenheit spricht, um das Zugeständnis der SPD für die Maßnahmen, die die FDP mit in dieses Paket der Operationen 1983 mit eingebracht hat. Da noch von festen Mauern zu sprechen, die auch das Lob und den Beifall des Herrn Bundesarbeitsministers, jetzt schon der dritte in der sozialliberalen Koalition, gefunden hat, das ist, glaube ich, so, als wenn ein Haus auf einem zerbrochenen Grundstein errichtet wird. Ich glaube, daß es auf die Dauer nicht haltbar ist, dieses miteinander zu vereinbaren. Ich will jetzt nicht weiter spekulieren, sondern ich halte mich an das, was wir hier gestern alle erlebt haben.

    (Lachen bei der SPD — Löffler [SPD]: Das war schlimm!)

    In diesem Gesetzentwurf planen Sie erstens, die Rezeptblattgebühr je verordnetem Arzneimittel von 1,50 DM auf 2 DM anzuheben. Zweitens soll der Versicherte zu einer voll finanzierten Kur künftig eine Zuzahlung von 10 DM pro Tag leisten. Drittens soll der Patient bei einem Krankenhausaufenthalt pro Tag 5 DM für maximal sieben Tage bezahlen. Vier-



    Franke
    tens dürfen bestimmte Arzneimittel, bei geringfügigen Beschwerden üblicherweise verordnet, von den Krankenkassen nicht mehr übernommen werden. Hier gibt es den Begriff „Bagatellarzneimittel", über den wir noch reden werden. Die fünfte Maßnahme scheint mir die wichtigste zu sein, wobei es um Geld-und Strukturveränderungen geht: ein zweistufiger Finanzausgleich, der kassenartübergreifende Wirkung hat.

    (Günther [CDU/CSU]: Einheitsversicherung!)

    — Herr Kollege Günther, Sie haben völlig recht: Das ist der Weg zur Einheitsversicherung.

    (Lachen bei der SPD)

    Ich komme gleich noch einmal darauf zurück.
    Nun kurze Bemerkungen zu den einzelnen Positionen. Erstens zu der Anhebung der Rezeptgebühr. Es gibt überhaupt keine medizinischen Gründe, die Gebühr anzuheben, sondern es sind reine fiskal-politische Überlegungen. Sie greifen dem Bürger mit dieser Maßnahme nochmals in die Tasche. Ob eine Verstärkung der Motivation — Herr Kollege Hölscher, ich hätte gerne Ihre Aufmerksamkeit, nachdem Sie hier vorgetragen haben; wenn Sie versuchen, Ihren stellvertretenden Franktionsvorsitzenden hinsichtlich der grundsätzlichen FDP-Linie auf Ihre Linie zu bringen, machen Sie bitte nachher weiter — zur Eigenverantwortung und Kostendämpfung erreicht werden kann, soll — und darüber müssen wir mit den Kollegen aus dem anderen Ausschuß reden — die Sachverständigenanhörung erweisen. Wir wollen uns hier die Sachverständigen anhören. Wir sollten bei unseren Beratungen auch die Auswertung des Symposiums, das die pharmazeutische Industrie vor einiger Zeit veranstaltet hat, mit zu Rate ziehen. Ich empfehle die Auswertung dieses Symposiums Ihrer Aufmerksamkeit. Die Unterlagen kann ich Ihnen selbstverständlich zur Verfügung stellen. Ich habe mir davon einige Exemplare besorgt.
    Zur Frage der Beteiligung an den Kosten einer vollfinanzierten Kur muß man natürlich auch die soziale Komponente diskutieren. Das haben Sie, Herr Hölscher, hier ausgelassen. Aber ich kenne Sie so gut, daß ich weiß, daß Sie sich einer solchen Argumentation möglicherweise nicht verschließen werden.

    (Hölscher [FDP]: Härteregelung!)

    — Bitte schön, ich bestätige ausdrücklich, daß Sie auf Härteregelungen hingewiesen haben.
    Wie wirkt sich die Absicht auf Familien mit Kindern aus? Auch muß man fragen, ob man mit der hier vorgestellten Initiative volkswirtschaftlich nicht zusätzlichen Schaden in den Kureinrichtungen anrichtet. Alle diese Fragen gilt es hier abzuwägen. Ich sage hier ganz freimütig: Wenn das dämpfende Wirkung hat — allerdings darf darunter nicht die medizinische Rehabilitation leiden —, können Sie — —

    (Cronenberg [FDP]: Kurlaub!)

    — Herr Kollege Cronenberg, hier sind es die vollfinanzierten medizinischen Rehabilitationsleistungen nach § 184 a der Reichsversicherungsordnung — ich spreche jetzt sicherlich für viele etwas unverständlich —, nicht solche wie die, die Sie gerade erwähnt haben — Sie haben von „Kurlaub" gesprochen —, die wir mit den §§ 187 und 187 a erfaßt haben.
    Ich sage noch einmal: Wir müssen darüber reden. Wir sind offen für diese Diskussion. Wir haben mit den Beteiligten über diese Fragen schon im Vorwege gesprochen.
    Nunmehr zu den berühmten 5 DM: Ich weiß nicht, wohin ich mich wenden soll, dort hinüber oder dort hinüber. Ich bleibe hier bei dieser Richtung. Es sind 5 DM pro Tag Krankenhausaufenthalt für maximal sieben Tage zu entrichten. Mit der Union kann man jederzeit über vernünftige Absichten zur Verstärkung der Eigenverantwortung reden.
    Ich habe mir erlaubt, auf dem Verbandstag des Verbandes der Ersatzkassen vor kurzem auch zu dieser Frage eine Bemerkung zu machen. Ob diese Art Selbstbeteiligung zu einer Kostendämpfung führt, ist zu prüfen. Das müssen wir ernsthaft prüfen. Eine Erhöhung der Eigenverantwortung und Selbstbeteiligung, die lediglich zu einer Kostenverlagerung führt, ohne Kosten zu dämpfen,

    (Günther [CDU/CSU]: So ist es doch!) kann doch hier im Hause wohl niemand wollen.


    (Günther [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

    Ich wiederhole: Eine Kostenbeteiligung, bei der es lediglich um eine Verlagerung der Kosten von den Krankenkassen auf die Taschen der Inanspruchnehmer geht und von der keine dämpfende Wirkung ausgeht, können wir uns, glaube ich, nicht erlauben. Wir sollten ernsthaft prüfen, ob mit dieser Maßnahme das, was Sie — das unterstelle ich Ihnen selbstverständlich — anstreben, erreicht wird.

    (Günther [CDU/CSU]: Mitnichten!)

    Wenn wir in diesem Jahr über hundert Milliarden DM für Gesundheitsleistungen ausgeben, davon ca. 35 Milliarden DM für die stationäre Versorgung, dann müssen wir über Kostendämpfung noch intensiver nachdenken, als das bislang hier ausweislich dieser Vorlagen geschehen ist — auch ausweislich der in Rede stehenden Vorlage.