Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich bekannt, daß am 8. Dezember 1966 der Herr Abgeordnete Adams als Nachfolger für den durch Verzicht ausgeschiedenen Herrn Abgeordneten Figgen die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben hat. Ich begrüße den Herrn Abgeordneten Adams in unserer Mitte und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit.
Zu den in der Fragestunde der 76. Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. November 1966 gestellten Fragen des Abgeordneten Müller , Drucksache V/1159 Nrn. I/1, I/2 und I/3 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Höcherl vom 12. Dezember 1966 eingegangen:
Zu 1.:
Pellets werden sowohl aus Tapiokamehl als auch aus Tapiokawurzeln hergestellt. Aus Tapiokamehl hergestellte Pellets werden nach Zolltarifnummer 11.06 tarifiert und unterliegen daher der Abschöpfung.
Aus Wurzeln hergestellte Pellets werden der Zolltarifnummer 07.06 zugeordnet und unterliegen daher nicht der Abschöpfung. Es wird ein Zoll von zur Zeit 3,6 % erhoben.
Bei Pellets, die unter Verwendung von Tapiokawurzeln und Tapiokamehl hergestellt werden, richtet sich die Tarifierung entsprechend den allgemeinen Tarifierungsvorschriften nach dem überwiegenden Anteil des Rohstoffes. Enthalten die Pellets also mindestens 50 % Chips aus Tapiokawurzeln und weniger als 50 % Tapiokamehl, so werden sie nach Tarifnummer 07.06 tarifiert.
Die Mitverarbeitung von Tapiokamehl oder Stärkerückständen — soweit sie nicht den überwiegenden Anteil ausmachen — in den Pellets aus Tapiokawurzeln führt daher nicht zur Erhebung einer Abschöpfung bei der jeweiligen Partie Pellets oder Teilen daraus.
Diese Regelung wird von der Bundesregierung nicht als befriedigend empfunden; einer sachgerechten Lösung dieses Problems stehen jedoch tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten entgegen. Von Bedeutung ist hierbei, daß sich beide Arten von Pellets nicht nach den verwendeten Rohstoffen unterscheiden lassen. In den Pellets aus Chips können reines Tapiokamehl, Rückstände aus der Stärkeherstellung oder eine Mischung aus diesen beiden enthalten sein. In den Pellets aus Tapiokamehl können andererseits Rückstände aus der Stärkeherstellung oder Chips enthalten sein. In beiden Fällen kann die Zusammensetzung nicht mehr ermittelt werden, weil sich in der Untersuchung der ursprüngliche Zustand der Rohstoffteile wegen des vorangegangenen Preßvorganges nicht mehr eindeutig herstellen läßt.
Eine andere Tarifierung der Pellets scheitert an den allgemeinen Tarifierungsvorschriften.
Zu 2.:,
Wie unter 1. dargestellt, läßt sich der Anteil an Tapiokamehl in den Pellets aus Chips nicht ermitteln; deshalb kann ein Ausfall an Abschöpfungen nicht beziffert werden.
*) Siehe 76. Sitzung, Seite 3527 B
Zu 3.:
Eine befriedigende Lösung der unter 1. angesprochenen Probleme läßt sich nur durch eine gleiche Einfuhrbelastung für Tapiokawurzeln, Pellets aller Art und Tapiokamehl erreichen. Dazu wäre es erforderlich, die Tapiokawurzeln und die Pellets aus Tapiokawurzeln in die EWG-Marktordnung aufzunehmen. Die Bundesregierung hat dieses Problem bereits vor einiger Zeit an die EWG-Kommission herangetragen, zur Zeit wird über diese Frage in Brüssel verhandelt.
Ihre mündlich gestellte Zusatzfrage:
„Ist der Bundesregierung bekannt, daß maßgebliche Mühlenbauanstalten die Meinung vertreten, von einer Pelletierung könne nur bei staubförmigen Gütern gesprochen werden, und infolgedessen seien Pellets aus Chips technisch nicht denkbar, da die Chips vor der Pelletierung gemahlen werden müssen?"
wird wie folgt beantwortet:
„Die Pelletierung beschränkt sich nach Ansicht der Bundesregierung nicht nur auf staubförmige Güter. Im Außenhandel findet die Pelletierung in großem Umfange Anwendung, z. B. bei Kleie und bei Rückständen der Ölgewinnung. In beiden Fällen handelt es sich nicht um staubförmige Güter."
Zu der in der Fragestunde der 79. Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. Dezember 1966 gestellten Frage des Abgeordneten Dröscher, Drucksache V/1182 Nr. X/5 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Dr. Schröder vom 12. Dezember 1966 eingegangen:
Soldaten können aus wichtigem Grunde, wie zum Beispiel zur Erntehilfe im Familienbetriebe oder zum Studienabschluß oder zu einer Studienreise, Urlaub unter Fortfall der Geld- und Sachbezüge erhalten. Dieser Urlaub wird den betreffenden Soldaten bis zur Dauer von 14 Tagen durch den Bataillonskommandeur, darüber hinaus bis zur Dauer eines halben Jahres durch die personalbearbeitende Stelle gewährt.
Eine ablehnende Haltung bei entsprechenden Urlaubsgesuchen durch die Truppe in der von Ihnen geschilderten Weise ist mir nicht bekannt. Gegen eine generell ablehnende Haltung sprechen auch folgende Zahlen:
Gestellte Anträge nach § 8, davon abgelehnt
3 Soldatenurlaubsverordnung . genehmigt
1. Halbjahr 1964 1 485 1 324 161
2. Halbjahr 1964 4 882 4 472 410
1. Halbjahr 1965 2 051 1 855 196
2. Halbjahr 1965 7 857 7 237 620
In den Jahren 1964 und 1965 sind also nur etwa 8,5 % der gestellten Urlaubsanträge abgelehnt worden. 1m einzelnen darf ich hierzu auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bauer , Bals, Felder, Herold und Genossen — Drucksache V/235 — und die Antwort der Bundesregierung auf diese Anfrage — Drucksache V/456 — vom 16. März 1966 verweisen.
Wenn von den Wehrbezirksverwaltungen jungen Landwirten, die einen Antrag auf Zurückstellung vom Wehrdienst gemäß § 12 des Wehrpflichtgesetzes gestellt haben, ein ablehnender Bescheid erteilt wird, so habe ich keine Bedenken, wenn in dem Ablehnungsbescheid ein entsprechender Hinweis auf Urlaubsmöglichkeiten gegeben wird.
Auch in Zukunft wird Sonderurlaub zur Verrichtung landwirtschaftlicher Arbeiten großzügig gewährt werden.
Darüber hinaus werden in der Landwirtschaft tätige Wehrpflichtige, soweit es sich ermöglichen läßt, auf Wunsch in betriebsnahe Standorte einberufen.
1 Siehe 79. Sitzung, Seite 3633 A
3644 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Damit sind wir bei der Tagesordnung, Punkt 1:
Fragestunde
— Drucksachen V/1215, V/1217, V/1225 —
Die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts werden am Mittwoch aufgerufen, da der Herr Außenminister heute dienstlich verhindert ist.
Ich rufe zunächst zwei Dringliche Mündliche Anfragen des Herrn Abgeordneten Fellermaier aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Gesundheitswesen auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache, daß an der Pipeline Bodensee-Ingolstadt binnen weniger Wochen zweimal große Mengen 01 ausgelaufen sind und dies nicht von den Kontrollstationen, sondern von Privatpersonen festgestellt worden ist?
Hält die Bundesregierung die Sicherheitsvorrichtungen an der in Frage 1 erwähnten Pipeline und die staatlichen Überwachungsmaßnahmen im Interesse des Schutzes der Wasserversorgung weiter Gebiete überhaupt für ausreichend?
Zur Beantwortung die Frau Bundesministerin für das Gesundheitswesen.
Zur Frage 1: Die Pipeline ist nach den Vorschriften des Wasserhaushaltsgesetzes und der Gewerbeordnung von der Bayerischen Staatsregierung genehmigt worden. Die Landesbehörden sind auch für die Überwachung der Leitungsanlagen zuständig. Die Bundesregierung hat sich deshalb unverzüglich mit der Bayerischen Staatsregierung in Verbindung gesetzt, um nähere Einzelheiten über Ursache, Umfang und Folgen des Ölunfalls zu erfahren. Der Untersuchungsbericht liegt mir zur Zeit noch nicht vor. Erst nach Kenntnis der näheren Umstände kann beurteilt werden, welche Konsequenzen aus dem Unfall zu ziehen sind.
Zusatzfrage.
Frau Minister, darf ich Sie fragen, ob nach den zwei Unfällen innerhalb von sechs Wochen die Bundesregierung nicht mit mir der Meinung ist, daß es vielleicht notwendig wäre, über die Sicherheitsmaßnahmen hinaus, die bisher die Bayerische Staatsregierung getroffen hat, aus allgemeinen gesundheitspolitischen Erwägungen heraus zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen zumindest in eine ernsthafte Prüfung einzubeziehen.
Herr Kollege Fellermaier, der Bundesregierung ist bekannt, daß sich bei solchen Ölleitungen das Risiko nicht voll ausschließen läßt. Es hat aber den Anschein, daß sowohl die Auflagen als auch die Überwachung nicht voll genügen und daß tatsächlich zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Damit bin ich nun bei Ihrer Frage 2, zu der ich sagen darf, daß es die Bundesregierung für erforderlich hält, daß die mit der Genehmigung vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen daraufhin überprüft werden, welche zusätzlichen Maßnahmen, vor allem in bezug auf eine Verbesserung und eine bessere Überwachung der Ölleckanzeige, geboten sind, um Undichtigkeiten schneller zu erkennen.
Zusatzfrage.
Frau Minister, würden Sie bei dieser Prüfung, die Sie sicherlich mit den baden-württembergischen und bayerischen Landesbehörden vornehmen, auch nochmals gesondert untersuchen, ob wirklich alles Erdenkliche getan wurde, was technisch möglich ist, um einen mittelbaren Ausfluß des Öls in der unmittelbaren Nähe des Bodensees zu verhindern, der ungeheure Konsequenzen für die Gesundheit der Menschen hätte?
Herr Kollege Fellermaier, in der Nähe des Bodensees ist eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme damit ergriffen, daß auf der 1,8 km langen Bodenseestrecke für eine Undichtigkeit ein besonderes Mantelrohr geschaffen wurde, welches ausströmendes Öl auffangen soll. Trotzdem ist es notwendig, auch hier zu überprüfen, ob nicht strengere Auflagen gemacht werden müssen.
Frau Ministerin, ist Ihnen bekannt, daß nach übereinstimmenden Berichten süddeutscher Zeitungen in der letzten Woche an der Unglücksstelle des Ölunfalls das Auffangbecken nicht gemauert und betoniert war, sondern in Kies endete, wodurch es erst möglich war, daß das Öl in einen Bach und weiter in einen Weiher abfließen konnte?
Herr Kollege Fellermaier, das ist mir aus der Zeitung bekannt. Ein Bericht der Staatsregierung dazu liegt bisher nicht vor. Aber es würde bedeuten, daß nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind.
Letzte Zusatzfrage!
Frau Ministerin, darf ich darum bitten, daß das Hohe Haus oder der zuständige Fachausschuß nach Abschluß dieser Prüfungen in geeigneter Form umfassend über die Maßnahmen informiert wird, die die Bundesregierung zu ergreifen gedenkt?
Selbstverständlich, Herr Kollege Fellermaier. Sowohl über die Ursachen als auch über die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, wird der zuständige Ausschuß nach Ihrem Wunsch unterrichtet werden.
Danke sehr.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schmidt .
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966 3645
Frau Ministerin, ist Ihnen bekannt, daß sich die Bodenseeanliegergemeinden beim Bau der Pipeline in einem sehr harten Kampf bemüht haben, alle Sicherheitsvorkehrungen zu erreichen, und sich erst dann einverstanden erklärten, als man sagte, daß es die sicherste Pipeline Europas sei?
Das ist mir bekannt. Mir ist auch bekannt, daß die Fachleute der Meinung waren, daß die Ergreifung aller Sicherheitsmaßnahmen, die technisch möglich sind, zur Auflage gemacht worden ist.
Zweite Zusatzfrage!
Frau Ministerin, sehen Sie eine Möglichkeit, bei Ihren Ermittlungen auch an die von den Bodenseegemeinden in dieser Frage erstellten Unterlagen heranzukommen und mit den dortigen Dienststellen in Verbindung zu treten, um auch von daher alle Vorsichtsmaßnahmen für die Zukunft zu erreichen?
Auf dem Weg über die Staatsregierungen von Baden-Württemberg und Bayern ja.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ott.
Frau Ministerin, sind Sie in der Lage, mir darüber Auskunft zu geben, welche Vorsorgemaßnahmen für den Fall getroffen sind, daß nicht nur technische Störungen auftreten, sondern auch einmal Sabotageakte beabsichtigt sind?
Alle technisch möglichen Maßnahmen und Auflagen sind ergriffen worden. Aber die Erfahrungen, die bisher gemacht wurden, haben uns gezeigt, daß die Richtlinien bzw. die Auflagen immer wieder ergänzt werden müssen.
Eine Zusatzfrage.
Frau Ministerin, darf ich die Frage präzisieren? Ich will nicht davon reden, welche technischen Mängel das Auslaufen von Öl ermöglichen, sondern es geht mir darum, zu fragen: Welche Maßnahmen sind ergriffen, um für den Fall von Sabotageakten Sicherungen zu treffen?
Dazu ist vor allem eine Ölwehr jederzeit einsatzbereit.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf, die Fragen II/1 und II/2 des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher:
Ist die Bundesregierung bereit, bei den Innenministerien der Länder darauf hinzuwirken, die gebührenpflichtigen Verwarnungen von den Polizeibeamten künftig mit Zahlkarten auszusprechen, um dem Bürger das Unbehagen zu nehmen, in aller Öffentlichkeit die Geldbörse zücken und zahlen zu müssen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Zahlkartensystem, das vor kurzem auch der Polizeidirektor von Südbaden als zeit- und kostensparend befürwortete, ab 1. Januar 1967 in Schweden praktiziert wird?
Ist der Herr Abgeordnete Dr. Rinderspacher nicht im Saal? — Die Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Die Frage III/1
Nachdem für die Abwicklung. von Prozessen bzw. Vergleichen 700 000 DM im Rahmen des Einzelplans 10 — die Einfuhr- und Vorratsstelle Fette betreffend — bereitgestellt worden sind, wird die Bundesregierung um Auskunft darüber gebeten, welche Firmen welche Beträge gefordert und welche Summen mit den einzelnen Firmen zwecks Auszahlung vereinbart worden sind.
des Herrn Abgeordneten Müller wird im Einvernehmen mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Dann die Fragen III/2 und III/3 des Abgeordneten Müller :
Wann gedenkt die Bundesregierung zur Abwendung der Rechtsunsicherheit auf dem Futtermittelsektor den Gesetzentwurf zur Änderung futtermittelrechtlicher Vorschriften dem Bundestag vorzulegen, damit die größten Unebenheiten und Wettbewerbsschwierigkeiten, die sich zum Nachteil der deutschen Landwirtschaft auszuwirken drohen, noch vor dem 1. Juni 1967 beseitigt werden können?
Wann gedenkt die Bundesregierung den Entwurf für ein neues Futtermittelgesetz vorzulegen?
Ist der Herr Abgeordnete Müller im Saal? — Ja. Bitte sehr, Herr Minister!
Ich darf die erste Frage folgendermaßen beantworten: Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher Vorschriften, das sogenannte Vorschaltgesetz, ist in der Zwischenzeit fertiggestellt worden. Dieser Entwurf wurde mit den zuständigen obersten Landesbehörden und mit den beteiligten Wirtschaftsorganisationen erörtert und soll demnächst dem Bundesminister der Justiz zur rechtsförmlichen Prüfung und dann den gesetzgebenden Körperschaften zugeleitet werden.
Ich darf gleich die Antwort auf die zweite Frage anschließen, die mit der ersten Frage im Sachzusammenhang steht. Unabhängig von den Arbeiten an dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher Vorschriften, dem sogenannten Vorschaltgesetz, ist mit den Vorarbeiten für eine Gesamtnovellierung der geltenden futtermittelrechtlichen Vorschriften begonnen worden. In diesem Zusammenhang wurde eine kleine Kommission gebildet, die sich aus Vertretern der obersten Landesbehörden, wissenschaftlichen Sachverständigen und Vertretern der beteiligten Wirtschaftsorganisationen zusammensetzt. Diese Kommission wird sich insbesondere mit der Lösung der umfangreichen und in
3646 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966
Bundesminister Höcherl
ständigem Fluß befindlichen fachlichen und rechtlichen Probleme beschäftigen müssen. In -Anbetracht des umfangreichen Aufgabengebiets sehe ich mich im Augenblick aber noch nicht in der Lage, schon einen Termin für die Beendigung der Arbeiten an dem Gesetzentwurf anzugeben, die zweckmäßigerweise auch eine europäisch-rechtliche Abstimmung mit einbeziehen.
Zusatzfrage!
Was die erste Frage betrifft, würde mich interessieren: Bis wann sind die Prüfungen für das Vorschaltgesetz durch den Bundesminister der Justiz abgeschlossen?
Herr Kollege, diese Frage müßte dem Herrn Bundesminister der Justiz vorgelegt werden. Ich habe keinen Zweifel, daß diese Prüfung so rasch als möglich abgeschlossen wird.
Zweite Zusatzfrage!
Nachdem die Vorarbeiten für ein neues Futtermittelgesetz in Angriff genommen worden sind, frage ich: Wann sehen Sie die Möglichkeit, dem Parlament einen Gesetzentwurf vorzulegen?
Ich habe schon gesagt: es ist ein sehr umfangreicher und außerordentlich schwieriger Komplex. Wesentliche Teile, nämlich die Normentabelle, werden durch das Vorschaltgesetz geregelt, so daß der Praxis bereits eine gewisse Hilfestellung geleistet ist. Aber alles andere muß angesichts des immer größer werdenden Komplexes sehr bedacht werden. Alle Kreise wollen — mit Recht.— und müssen gehört werden. Insbesondere liegt mir daran, EWG-rechtlich eine Abstimmung zu erreichen, so daß ich jetzt noch keineswegs einen Zeitpunkt angeben kann. Ich kann nur sagen, daß ich alle Anstrengungen machen werde, um zusammen mit der Kommission möglichst bald zu einem solchen Entwurf zu kommen.
Noch eine Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie nicht der Meinung, daß die Zeit schon etwas strapaziert worden ist, nachdem sich bereits ihr Vorgänger mit den Vorarbeiten für ein Futtermittelgesetz befaßt hat?
Ja, ganz offenbar hat sich herausgestellt, daß die Materie doch viel schwieriger ist. Deswegen sind wir zu der Erkenntnis gekommen, daß der Praxis am besten durch die Aufteilung in Vorschaltgesetz und Hauptgesetz gedient ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Logemann.
Herr Minister, wären Sie, wenn die Verabschiedung eines Futtermittelgesetzes noch so lange dauern sollte, nicht bereit, dafür Sorge zu tragen, daß Anträge von Futtermittelfirmen auf Neuzulassung von Futtermischungen beschleunigt bearbeitet werden und die bisherige Wartezeit verkürzt wird?
Ja, das möchte ich sagen.
Als Laie würde ich mir, wenn ich ein Fragerecht hätte, gern die Frage erlauben, ob der Begriff „futtermittelrechtlich" ein Terminus technicus ist und ob ihn das Liebesverhältnis zur deutschen Sprache, das wir in diesem Hause pflegen, zuläßt.
Herr Bundestagspräsident, wenn dies eine Frage außerhalb der Geschäftsordnung sein sollte, möchte ich sagen: wenn man es vom ästhetischen und kosmetischen Standpunkt aus betrachtet, teile ich Ihre Aufassung.
„Kosmetisch" ist gut. — Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in der Drucksache V/1217. Ich rufe die Frage VI/1 des Herrn Abgeordneten Picard auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Abwanderung der Warmblutpferdezucht ins Ausland zu verhindern?
Ich kann die Frage ganz kurz beantworten. Eine Abwanderung der Warmblutpferdezucht ins Ausland ist nicht feststellbar. Es gibt einen gewissen Austausch; es gibt Einfuhren und Ausfuhren. Ausfuhren hochwertiger Pferde sind genauso wie die Einfuhren zur Ergänzung der Stämme und aus anderen Gesichtspunkten erwünscht. Aber die Frage als solche muß mit Nein beantwortet werden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß kürzlich wiederum ein Gestüt mit einem größeren Teil seines Bestandes die Bundesrepublik verlassen hat, weil hier nach Auffassung der Mehrheit der Rennstallbesitzer sowohl die steuerlichen als auch die Zuchtbestimmungen wesentlich enger sind als im Ausland und sicher auch die bei uns geübte Art der Wetten keine große Gewinnmöglichkeit bei Pferderennen bietet?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966 3647
Herr Kollege Picard, ich habe diese Frage schon vermutet; ihr erster Teil kommt etwas an den eigentlichen Kern heran, müßte aber dem Bundesfinanzminister vorgelegt werden. Ich bin selber wie vermutlich auch Sie ein unbedingter Anhänger der Pferdezucht, und ich muß sagen, daß mir persönlich die steuerlichen Bestimmungen auch nicht als ausreichend erscheinen. Diese steuerlichen Bestimmungen sind der Grund dafür, daß in der Zwischenzeit schon sieben Gestüte in Ländern mit günstigeren Steuerbestimmungen, in „Steueroasen", abgewandert sind.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es im Interesse nicht nur der Pferdezucht, sondern auch des Ansehens der Bundesrepublik bei internationalen Pferderennen läge, wenn wir uns bemühten, die Bedingungen für die Pferdezucht in der Bundesrepublik auch in steuerlicher Hinsicht zu verbessern? Sollte man nicht in Kürze Maßnahmen in dieser Richtung ergreifen?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat schon einiges getan. Es gibt bei der Rennwettsteuer bestimmte Leistungen, wir haben gewisse Prämien für ausgezeichnete Fohlen, und wir haben eine gewisse Einkommensteuervergünstigung. Diese drei Maßnahmen reichen offenbar nicht aus. Ich bin der Meinung, wenn eine Verbesserung vor allem in finanzieller Hinsicht, möglich wäre, sollte man sie durchführen.
Ich rufe die Frage VI/2 des Herrn Abgeordneten Josten auf:
Wie steht die Bundesregierung zu dem Wunsch des Weinbauausschusses des Landtages von Rheinland-Pfalz, daß bei den Beratungen zur EWG-Weinmarktordnung in Brüssel ein hochqualifizierter Weinbaufachmann aus Rheinland-Pfalz hinzugezogen wird?
Bitte, Herr Minister!
Herr Kollege Josten, ich stehe auf dem • Standpunkt, daß es durchaus erwünscht ist — ich habe es schon vorbereitet —, den von Ihnen in Aussicht genommenen besonders hervorragenden und auch von uns als hervorragend anerkannten Weinbaufachmann des Weinbauausschusses des Landtages von Rheinland-Pfalz bei den EWG-Beratungen hinzuzuziehen. Das gilt aber nicht nur für dieses Anbaugebiet, sondern auch für die übrigen Anbaugebiete, die gleichbehandelt werden müssen.
Herr Minister, kann ich Sie also so verstehen, daß Sie dem Wunsch der drei Fraktionen des Landtags von Rheinland-Pfalz entsprechen werden?
Ich wußte noch gar nichts von dem Wunsch der drei Fraktionen, sondern habe mich von mir aus zu dem Schritt entschlossen, der ja auch der in unserer Geschäftsordnung vorgesehenen Verpflichtung zur Anhörung entspricht.
Ich rufe die Frage VI/3 aus der Drucksache V/1217, ebenfalls von dem Abgeordneten Josten gestellt, auf:
Ist die Bundesregierung bereit, für den vorgesehenen Sanierungsplan der Landesregierung Rheinland-Pfalz für das Ahrweinbaugebiet entsprechende finanzielle Mittel in den kommenden Jahren zur Verfügung zu stellen?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Frage des Abgeordneten Kubitza zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend auf:
Welche Schlußfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Entschließung der 33. Vollversammlung des Deutschen Jugendringes zur Frage der Errichtung einer Zentralstelle für internationale Jugendarbeit?
Herr Kollege, die Entschließung, die der Bundesjugendring auf seiner 33. Vollversammlung gefaßt hat, ist meinem Hause vom Bundesjugendring noch nicht zugeleitet worden. Sobald diese Entschließung bei mir eingegangen ist, werden wir uns mit dem Bundesjugendring über den Inhalt dieser Entschließung aussprechen, und danach erst wird man sagen können, inwieweit das Petitum dieser Entschließung berücksichtigt werden kann.
Zusatzfrage.
Herr Minister, unabhängig davon, ob die Entschließung — deren Inhalt ja nicht neu ist und Ihnen bekannt sein wird — Ihrem Hause vorliegt, möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung bereit ist, den Plan, die Zentralstelle für internationale Jugendarbeit bei der Deutschen Gesellschaft für internationale Jugendarbeit einzurichten, nicht weiterzuverfolgen.
Auf diese Frage möchte ich jetzt nicht abschließend anworten, denn dieser Plan ist nach sorgfältigen Überlegungen gefaßt worden. Solange ich von den Vertretern des Bundesjugendringes nicht die Begründung für manche ihrer Behauptungen gehört habe, habe ich keinen Anlaß, die bisherige Planung zu ändern.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie bereit, mit den freien Trägern der Jugendhilfe ein Gespräch über die grundsätzliche Frage der Eingliederung der Zentralstelle zu führen und bis zu diesem Gespräch keinerlei Entscheidungen zu treffen?
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Selbstverständlich bin ich zu diesem Gespräch bereit. Ich sagte Ihnen schon: sobald diese Entschließung meinem Hause zugeleitet ist, werden wir von uns aus die Initiative ergreifen, um mit den Vertretern des Bundesjugendringes zu sprechen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung. Ich rufe die Frage des Abgeordneten Kahn-Ackermann auf:
Trifft es zu, daß die Bundesregierung für ihr Historisches Institut in Paris einen Neubau zu errichten beabsichtigt?
Der Herr Kollege Kahn-Ackermann ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Herr Präsident, es liegen zwei weitere Fragen aus meinem Geschäftsbereich vor. Könnten die aufgerufen werden?
Nein, das können wir nicht machen.
Das ist aber wenig rationell.
Wie bitte? — Herr Bundesminister, das hat seine tiefen Gründe: damit nämlich die Fragesteller in der vorgesehenen Reihenfolge bedient werden können. Aber im übrigen sind derlei Fragen von der Regierungsbank bis jetzt nicht üblich_ gewesen. Es tut mir leid, ich kann auch nicht immer danach vorgehen, was rationell ist, sondern ich muß so verfahren, daß die Fragesteller nach dem Eingang ihrer Fragen bedient werden können.
Wir kommen zu den drei Fragen des Abgeordneten Zebisch aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers:
Wann gedenkt der Bundesschatzminister Maßnahmen zur Behebung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Luitpoldhütte Amberg einzuleiten?
Treffen Meldungen zu, wonach in der jetzigen gesamtwirtschaftlichen Situation der Luitpoldhütte mit Massenentlassungen und Kurzarbeit zu rechnen sei?
Welche Absprachen zur Hilfe für die Luitpoldhütte sind mit dem Bayerischen Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr bereits getroffen worden?
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Dazu liegen drei Fragen des Abgeordneten Geiger vor:
Hält die Bundesregierung Verhandlungen mit der spanischen Regierung für möglich, um von dieser die Anerkennung von Ehen zu erreichen, die spanische Gastarbeiter in der Bundesrepublik nach deutschem Standesrecht und z. B. nach evangelischem Kirchenrecht vollziehen lassen?
Was sagt die Bundesregierung dazu, daß deutsche Standesämter Kindern aus spanisch-deutschen Ehen, die nicht nach spanischem, sondern nach deutschem Recht geschlossen wurden, den Familiennamen nicht in die Standesbücher eintragen, also die Ehelichkeit nicht anerkennen können?
Ist es nach dem Gleichheitsgrundsatz zulässig, daß in den in Frage VII/12 genannten Fällen Behörden empfehlen, eine katholische Trauung nachzuvollziehen, obwohl die Ehe schon vor einem protestantischen Geistlichen vollzogen wurde?
Ist der Herr Abgeordnete Geiger im Saal? — Nicht. Dann tut es mir allerdings leid, daß sich die Herren Bundesminister herbemüht haben. Ich bitte um Nachsicht, meine Herren. Auch diese Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Abschnitt VIII, Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. — Mir wird gerade gesagt, der Herr Finanzminister ist nicht da. Ist der Staatssekretär da? — Auch nicht.
Das ist eine Fragestunde, meine Damen und Herren! Erst muß sich der Bundestagspräsident bei der Regierung entschuldigen, daß nicht alle Fragesteller anwesend sind, und nachher kann sich die Regierung beim. Bundestag entschuldigen, daß nicht alle Minister da sind. — Ich komme auf diese Fragen zurück.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Ich rufe die Frage IX/1 der Abgeordneten Frau Dr. Diemer-Nicolaus auf:
Ist dem Bundesverteidigungsministerium bekannt, daß in einigen Kommunalparlamenten und nun auch im Bayerischen Landtag aktive Angehörige der Bundeswehr als NPD-Abgeordnete wirken, obwohl die NPD nach den Erklärungen ihrer Führer den Austritt der Bundesrepublik aus der NATO und die Bildung einer eigenen Armee mit ausschließlich deutschem Oberbefehl fordert?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe hier noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen, die aus der letzten Sitzung übriggeblieben ist. Wird die auch aufgerufen?
Nein, Herr Staatssekretär, das können wir nicht machen: Fragen, die übriggeblieben sind, müssen schriftlich beantwortet werden. Deshalb ist für Zusatzfragen eine Grenze gesetzt, damit die Fragen, die ordnungsgemäß eingebracht sind, auch ordnungsgemäß beantwortet werden können. Was übrigbleibt, wird schriftlich beantwortet.
— Ich bin für großzügige Bedienung des Hauses, aber was Sie da geschäftsordnungsmäßig beim Mikrophon Nr. 4 als Frage •vorbringen, ist ein glatter Sprung aus der Geschäftsordnung heraus; das ist gar nicht zulässig. Außerdem kostet das zwei Minuten, die ich an die Fragestunde anhängen muß. Ich muß diese Sachen jetzt ein bißchen kurz machen.
Herr Staatssekretär, diese Frage kann jetzt nicht mündlich beantwortet werden, dafür kommt jetzt aber die Abgeordnete Frau Dr. Diemer-Nicolaus
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966 3649
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
mit ihrer Frage IX/1, die ich schon aufgerufen hatte. Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dem Bundesminister der Verteidigung ist bekannt, daß einigen Kommunalparlamenten aktive Angehörige der Bundeswehr als NPD-Abgeordnete angehören. In den Landtagen gibt es nur im Bayerischen Parlament einen Abgeordneten dieser Partei, der Soldat war. Er ist mit Annahme seines Mandats gemäß § 25 des Soldatengesetzes in den Ruhestand versetzt worden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie darüber Auskunft geben, wie viele und gebenenfalls wo Bundeswehrangehörige sowohl für Gemeindeparlamente wie auch für die Landtage kandidiert haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es tut mir leid, Frau Abgeordnete, darüber kann ich Ihnen jetzt keine Auskunft geben. Ich habe keine Unterlagen darüber.
Zweite Zusatzfrage.
Wären Sie bereit, das schriftlich zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin bereit, die Frage zu beantworten, wenn ich die Unterlagen habe, Frau Abgeordnete.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, diesen Fragenkomplex Bundeswehr, NPD und Stahlhelm wegen der Schwierigkeit des Problems, so, wie wir das beantragt haben, demnächst im Verteidigungsausschuß des Bundestages zu behandeln?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dazu wäre ich bereit, Herr Abgeordneter.
Die Fragen IX/2 bis IX/4 des Abgeordneten Schmidt :
Teilt die Bundesregierung den von der Mehrzahl der Ausbildungsoffiziere und -unteroffiziere wie auch von den meisten Wehrpflichtigen vertretenen Standpunkt, daß bei intensiverer Dienstplangestaltung und Dienstzeitregelung das für die 18 Monate dienenden Wehrpflichtigen gesteckte Ausbildungsziel auch bei einer 12monatigen Wehrpflicht erreicht werden kann, ohne daß dabei der gesamte Ausbildungsstand der Bundeswehr leiden bzw. ihr Verteidigungsauftrag im Rahmen der NATO erschwert würde?
Ist die Bundesregierung bereit, nach entsprechender Überprüfung der in Frage IX/2 erwähnten Möglichkeiten für eine Herabsetzung der Wehrdienstpflicht in Gespräche mit unseren NATO-
Partnern einzutreten, die eine Herabsetzung der Wehrpflicht auf 12 Monate zum Ziel haben?
Welche haushaltsmäßigen Auswirkungen würde eine Herabsetzung der Wehrpflicht auf 12 Monate unter Erreichung des gleichen Ausbildungszieles und Erfüllung des Verteidigungsauftrages haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dem Hohen Hause ist bekannt, daß Fachleute seit Beginn der Aufstellung der Bundeswehr einen Grundwehrdienst von mindestens 18 Monaten Dauer als notwendig angesehen haben und an dieser Forderung auch heute noch festhalten.
Die Bundeswehr ist nicht allein Ausbildungsinstitution, die junge Staatsbürger mit militärischen Kenntnissen und Fertigkeiten vertraut macht. Sie muß darüber hinaus in jedem Zeitpunkt über voll kampffähige Verbände verfügen. Die Soldaten der Bundeswehr müssen daher nach abgeschlossener Einzelausbildung der Truppe noch für die Verbandsausbildung zur Verfügung stehen. Eine Straffung und Intensivierung einzelner Ausbildungsabschnitte, die auch die Streitkräfte erstreben, soll den Nutzeffekt ,der Ausbildung erhöhen, nicht aber der Verkürzung der Dienstzeit dienen.
Eine solche Verkürzung scheidet aber auch aus einem weiteren Grunde, aus. Nach dem Eintritt der geburtenschwachen Nachkriegsjahrgänge in das Wehrpflichtalter kann gegenwärtig und bis etwa zum Jahre 1971 der Personalbedarf nur mit Mühe und nur durch den Rückgriff auf zunächst zurückgestellte Wehrpflichtige älterer Geburtsjahrgänge gedeckt werden. Bei gleichbleibender Stärke der Bundeswehr würde eine Verkürzung des Grundwehrdienstes auf zwölf Monate den bisherigen Personalbedarf um die Hälfte erhöhen. Hierzu reichen die zum Wehrdienst heranstehenden tauglichen- und verfügbaren Wehrpflichtigen in den nächsten Jahren nicht aus.
Zu Ihrer letzten Frage: Die hiermit zusammenhängenden Haushaltsfragen wurden bereits mehrfach untersucht. Die Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß auch haushaltsmäßige Gründe gegen eine Herabsetzung des Grundwehrdienstes auf zwölf Monate sprechen, da eine höhere Rekruteneinstellungsquote zu einer Vergrößerung der Ausbildungsorganisation und damit zu höheren Kosten führen würde.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie ist es dann zu verstehen — wenn ich Ihre Antwort richtig gedeutet habe —, daß in weiten Kreisen der Wehrpflichtigen und auch von der Außenwelt her gesehen immer wieder die Beobachtung gemacht wird, daß die zusätzlichen sechs Monate wenig für die weitere Ausbildung oder die Schlagkraft und mehr eine fatale Zeit für ,die weitere Berufsausbildung der jungen Leute bedeuten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, mir sind derartige Klagen nicht bekanntgeworden. Ich bitte Sie, zu berücksichtigen, daß ich mein Amt seit zwei Tagen ausübe. Ich will dieser Frage, die von Ihnen aufgeworfen worden ist, nachgehen.
Die nächste Frage.
3650 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Borin, Dienstag, den 13. Dezember 1966
Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Antwort, daß hier keine haushaltsmäßigen Einsparungsmöglichkeiten bestehen, dahin gehend verstehen, daß Sie der Meinung sind, bei einer zwölfmonatigen Dienstzeit würden mehr eingezogen, mehr Beamte und mehr Ausbilder gebraucht und entstünden mehr Kosten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Ausbildungskosten, Herr Abgeordneter, würden sich erhöhen, und das würde im Ergebnis zu einer Mehrbelastung im Haushalt führen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist nicht auch zu überlegen, ob bei dem oft beklagten Mangel an Ausbildungspersonal und Unterführerpersonal, der leider noch vorhanden ist, die Dinge sich bei einer Verkürzung sowohl für die Ausbilder als auch für die Auszubildenden leichter gestalten würden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, nach den Überlegungen, die ich hier vorgetragen habe, würde eine Verkürzung des Wehrdienstes eine vermehrte Ausbildung erforderlich machen, so daß sich eher das Problem im entgegengesetzten Sinne stellen würde.
Zusatzfrage!.
Herr Staatssekretär, die von mir angeschnittene intensivere Dienstgestaltung und Dienstzeitregelung ging darauf hinaus — und das bitte ich Sie zu überprüfen —, ob man nicht beispielsweise mit der Sechstagewoche, die von den Wehrpflichtigen sehr begrüßt würde, wenn sie dafür wieder eher in ihre Berufsausbildung gehen könnten, die Ausbildung intensivieren könnte, ohne daß man mehr Ausbilder und mehr Geld braucht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich will diese Frage gern prüfen.
Ich rufe die Fragen IX15, IX/6 und IX/7 des Abgeordneten Hilbert auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei motorisierten Einheiten der Bundeswehr in der Regel nur 60 % der Motorfahrzeuge einsatzfähig sind, weil anfallende Reparaturen von sogenannten Vertragswerkstätten als Füllarbeit angesehen und behandelt werden, und die Fahrzeuge vielfach monatelang in diesen Werkstätten liegen, obwohl bei der Truppe voll handwerksmäßig ausgebildete Soldaten diese Reparaturen in kürzester Zeit ausführen konnten, wenn der Truppe eine Werkstätte und Ersatzteillager zur Verfügung stünden?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß einem Regiment mit einem Sollbestand an Kraftfahrzeugen von 600 Stück aus den in Frage IX/5 angeführten Gründen laufend nur 350 Fahrzeuge einsatzbereit zur Verfügung stehen und trotzdem im abgelaufenen Jahr einen Anfall von Reparaturkosten für Kraftfahrzeuge in Höhe von über 600 000 DM hatte?
Ist die Bundesregierung bereit zu prüfen, ob vollmotorisierten Einheiten der Bundeswehr gut ausgerüstete Werkstätten mit Ersatzteillager zur Vermeidung der in Fragen IX/5 und IX/6 geschilderten Mißstände zur Verfügung gestellt werden sollten?
Herr Abgeordneter Hilbert hat sich mit schriftlicher Beantwortung der Fragen einverstanden erklärt. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.
Ich rufe die Fragen IX/8 und IX/9 des Abgeordneten Ertl auf:
Welche Gesichtspunkte waren für die Auswahl des Kreuzlinger Forstes als Standort für ein Bundeswehrlazarett maßgebend, obwohl sich in unmittelbarer Nähe eines der größten Treibstofflager der Bundesrepublik und die Dornier-Flugzeugwerke be finden?
Ist die Bundesregierung bereit, auf die Einsprüche der örtlichen Behörden wegen der in Frage IX/8 erwähnten Tatsachen Rücksicht zu nehmen und damit auch zu respektieren, daß das Gebiet unter Landschaftsschutz steht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich auch diese Fragen im Zusammenhang beantworten, Herr Präsident?
Bitte sehr!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Auswahl des Pentenrieder Schlages am Südwestrand des Kreuzlinger Forstes als Standort für ein Bundeswehrlazarett waren ausschlaggebend sowohl die verkehrsgünstige Lage zu München als auch die zentrale Lage für alle südostwärts bis nordwestlich Münchens stationierten Truppenteile. Außerdem sprechen medizinische Gründe dafür, das Lazarett am Rande eines ruhigen Naherholungsgebietes zu errichten.
Das bundeseigene Großtanklager ist etwa 2 km, die Dornier-Werke sind etwa 4 km von dem vorgesehenen Baugelände entfernt. Von diesen Anlagen werden daher keine Störungen für den Lazarettbetrieb befürchtet. Völkerrechtliche Bedenken bestehen nicht.
Das Gelände ist dem Bund 1964 vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten angeboten worden, nachdem seit 1957 15 andere Objekte geprüft und abgelehnt worden waren.
Einsprüche der von der Planung betroffenen örtlichen Behörden werden in dem von der Bayerischen Staatskanzlei zur Zeit durchgeführten Raumordnungsverfahren behandelt. Soweit sie begründet sind, wird ihnen Rechnung getragen werden. Hierzu gehören auch die Gesichtspunkte des Landschaftsschutzes, die bei der Planung berücksichtigt werden.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, inweiweit Sie den Einsprüchen der örtlichen Behörden Rechnung tragen wollen. Soweit mir bekannt ist, sind das Landratsamt Starnberg, die Gemeinde Gauting und eigentlich fast alle Anlieger dagegen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, soweit ich unterrichtet bin und soweit ich mich jetzt zu diesem Zeitpunkt äußern kann, sind alle Beteiligten
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966 3651
Staatssekretär Dr. Carstens
gehört worden. Ein großer Teil der Beteiligten hat zugestimmt. Soweit Einsprüche erhoben worden sind, müssen sie von den bayerischen Behörden, die dafür zuständig sind, behandelt werden.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es bezüglich der Lage militärischer Objekte in der Nähe von Lazaretten Bestimmungen im Rahmen der Genfer Konvention und kann man diese auslegen, wie man will, was die Entfernungen von Flugplätzen, Munitionsdepots und ähnlichem angeht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, diese Frage muß ich prüfen. Ich kann sie Ihnen nicht aus dem Handgelenk beantworten. Ich bin gerne bereit, sie Ihnen schriftlich zu beantworten.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kehren dann zurück zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen.
Ich möchte aber vorher noch folgendes sagen. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich habe mir hier diese Vorlagen angesehen. Das geht heute durcheinander wie Kraut und Rüben. Aber das liegt, wovon ich mich in der Zwischenzeit überzeugt habe, einfach an der zwingenden Vorschrift der Sperrfristen. Ich muß die Fragen nach den gegebenen und beschlossenen Sperrfristen in die Frageliste aufnehmen. Tue ich das nicht, dann kommen die letzten möglicherweise zuerst, und die anderen finden keine Berücksichtigung. In dieser Woche ist es besonders dumm, weil wir schon heute am Dienstag eine Fragestunde haben und nicht erst morgen am Mittwoch. Das müssen wir also ausnahmsweise hinnehmen.
— Das ist erledigt, aber ich mußte es erst vorher prüfen, bevor ich diese Antwort geben konnte.
Nun zurück zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Ich rufe die Fragen VIII/1 bis VIII/3 des Herrn Abgeordneten Reichmann auf:
Ist es zutreffend, daß Schwerkriegsbeschädigte bei der Antragstellung auf Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer bei den Finanzämtern die Art der Körperbehinderung angeben müssen?
Weshalb genügt bei der in Frage VIII/l erwähnten Antragstellung die Vorlage des amtlichen Schwerbeschädigtenausweises und die Angabe des Rentenbescheids nicht?
Wird nach Auffassung der Bundesregierung durch die Forderung der zusätzlichen ausdrücklichen Angabe der Körperbehinderung bei einer in Frage VIII!! erwähnten Antragstellung die persönliche Intimsphäre gewahrt oder gefährdet?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident, ich bitte, die drei Fragen zusammen beantworten zu dürfen, wenn der Fragesteller einverstanden ist.
Bitte sehr!
Soweit der Bundesregierung die Verwaltungspraxis der Landesfinanzbehörden bekannt ist, wird bei Schwerkriegsbeschädigten und den ihnen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes gleichgestellten Körperbehinderten — das sind die rassisch, politisch oder religiös Verfolgten — nicht gefordert, daß sie bei einem Antrag auf Erlaß der Kraftfahrzeugsteuer die Art ihrer Körperbehinderung angeben. Bei diesem Personenkreis genügt die Vorlage des Rentenbescheids, aus dem sich eine Erwerbsminderung um wenigstens 50 v. H. ergibt.
Von anderen Schwerbeschädigten werden dagegen Angaben über die Art der Körperbehinderung verlangt, weil nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes diesen anderen Schwerbeschädigten die Steuer nur dann ganz oder teilweise erlassen werden kann, wenn sie zur Fortbewegung auf die Benutzung eines Personenkraftfahrzeugs nicht nur vorübergehend angewiesen sind. Nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes sind bei der Entscheidung über den Erlaßantrag außerdem Art und Schwere der Körperbehinderung zu berücksichtigen. Die auf Grund des Gesetzes erforderlichen Prüfungen können die Finanzämter nicht durchführen, wenn ihnen nur der Schwerbeschädigtenausweis oder der Rentenbescheid vorgelegt wird. Die hiernach gesetzlich vorgeschriebene Forderung nach Angaben über, die Art der Körperbehinderung greift zwar in die persönliche Sphäre des Körperbehinderten ein. Es liegt aber im Bereich unserer verfassungsmäßigen Ordnung, wenn Vergünstigungen, die der soziale Rechtsstaat bestimmten Personenkreisen einräumt, an gewisse persönliche Voraussetzungen geknüpft werden.
Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß dann auf dem Antragsfragebogen die Befragung auf die Schwere der Körperbehinderung beschränkt werden sollte?
Nach Wortlaut und Inhalt des Gesetzes ist zwischen den beiden Kategorien der Schwerbeschädigten zu unterscheiden. Es besteht nach dem Gesetz im Zusammenhang mit der hier erwähnten Vorschrift ein grundsätzlicher Unterschied, je nach dem, ob es sich um Schwerkriegsbeschädigte, rassisch, politisch oder religiös Verfolgte einerseits oder um Schwerbeschädigte andererseits handelt, die nicht den vorher genannten Personenkreisen angehören.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß im Rentenbescheid ausdrücklich die Körperbehinderung angeführt ist?
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Herr Kollege, daß es darum nach dem Wortlaut und dem
3652 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
Sinn des Gesetzes nicht geht. Es geht darum, ob der Betreffende nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Personenkraftwagens angewiesen ist. Eine Änderung in der Praxis der Finanzämter kann nur durch eine Änderung des Gesetzes,' nicht durch eine andere Anwendung, die im Widerspruch zum Inhalt des Gesetzes stehen würde, herbeigeführt werden.
Weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, wären Sie bereit, diese Problematik zu überprüfen und unter Umständen eine entsprechende Änderung vorzunehmen?
Ich darf Sie in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam machen, daß die Anwendung des § 3 Abs. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes im einzelnen durch sachlich übereinstimmende Erlasse aller obersten Landesfinanzbehörden geregelt ist. Ich bin selbstverständlich zu einer Überprüfung bereit, die dem von Ihnen vorgetragenen Anliegen Rechnung tragen soll.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Minister, dürfte ich Sie bitten, mich von dem Ergebnis der Überprüfung zu unterrichten.
Von dem Ergebnis der Überprüfung, ob der gegenwärtige Wortlaut des Gesetzes eine andere Auslegung zuläßt; meinen Sie das?
Weitere Zusatzfrage!
Herr Minister, meine Frage bezieht sich insbesondere auf die Intimsphäre. Ich frage, ob die ausdrückliche Angabe von Körperbehinderungen, die die Intimsphäre berühren, erforderlich ist.
Ich bin nicht in der Lage, hier nunmehr im einzelnen anzugeben, welche Arten der Körperbehinderung zur Intimsphäre gehören und welche nicht.
Zusatzfrage der Frau Abgeordneten Funcke.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht der Meinung, daß man Zivilbeschädigten bei Überschreitung eines gewissen Prozentsatzes bereits diese Vergünstigung ohne exakte Angabe geben könnte, und würde das nicht durchaus im Einklang mit den Bestimmungen des Gesetzes stehen?
Bei Schwerkriegsbeschädigten, politisch, rassisch oder religiös Verfolgten wird grundsätzlich wegen der besonderen Fürsorgepflicht, die der Staat seit vielen Jahren, nicht erst seit dem Ende des zweiten Weltkriegs anerkennt, nicht geprüft, ob der Schwerbeschädigte vorübergehend oder für immer auf die Benutzung eines Personenkraftfahrzeugs angewiesen ist. Bei dem anderen Kreis der Beschädigten muß es der Staat prüfen. Für die Erfüllung dieses Zwecks reicht die Vorlage des Rentenbescheids mit Angabe des Prozentsatzes der Beschädigung nicht aus.
Weitere Zusatzfrage!
Herr Bundesminister, es gibt doch im Einkommensteuerrecht die Bestimmung, daß lediglich Beschädigte mit einem Beschädigungsgrad zwischen 50 und 70 % Gehbehinderung nachweisen müssen, bei über 70 % aber ein Nachweis nicht erforderlich ist. Ließe sich das im Kraftfahrzeuggesetz nicht genauso handhaben?
Das ist eine Frage der Formulierung, nicht der Auslegung des Gesetzes.
Ich rufe die Frage VIII/4 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Entspricht es den Tatsachen, daß von den Fuhrunternehmen der Bundesrepublik bei Fahrten durch die SBZ von und nach Berlin für die gesamte Strecke, auch für die zurückgelegten Kilometer in der SBZ, die westdeutsche Beförderungsteuer in voller Höhe gezahlt werden muß?
Ist der Abgeordnete Dr. Apel im Saal? — Zur Beantwortung, bitte, Herr Minister!
Herr Präsident, darf ich die zwei Fragen mit Genehmigung des Fragestellers zusammen beantworten?
Dann rufe ich noch die Frage VIII/5 des Abgeordneten Dr. Apel auf:
Bei Bejahung der Frage VIII/4: ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß diese steuerliche Belastung für Fahrkilometer in der SBZ dann nicht mehr gerechtfertigt ist, wenn die Bundesregierung die von der SBZ erhobenen Straßenbenutzungsgebühren an westdeutsche Fuhrunternehmen nicht mehr erstatten wird?
Bei Personen- oder Güterbeförderungen mit Kraftfahrzeugen zwischen dem Bundesgebiet und Berlin wird die Beförderungsteuer für die gesamte Beförderungsstrecke, also auch für die in der Sowjetzone zurückgelegte Strecke, erhoben, sofern die Behörden der Bundesrepublik oder Berlins für die Besteuerung zuständig sind. Andererseits wird von unserer Seite für Teilbeförderungsstrecken in der Bundesrepublik Deutschland Beförderungsteuer nicht erhoben, wenn die Zuständigkeit von Behörden der sowjetischen Besatzungszone gegeben ist, z. B. für eine schwedische Touristenfahrt über Rostock, Berlin, Helmstedt, Aachen nach Frankreich
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966 3653
Bundesminister Dr. h. c. Strauß
oder für den Gütertransport eines Magdeburger Unternehmens von Magdeburg nach Aachen. Da die Personenbeförderungsunternehmer und die ausländischen Güterfernverkehrsunternehmer im Berlinverkehr schon bisher ohne Betriebsbeihilfe neben der sowjetzonalen Straßenbenutzungsgebühr Beförderungsteuer entrichtet haben, kann der Wegfall der Betriebsbeihilfe für die westdeutschen Unternehmen nicht ohne weiteres einen Verzicht auf die Beförderungsteuer begründen. Ich lasse aber bereits prüfen, ob und inwieweit aus anderen Gründen Härtefälle auf diesem Gebiet abgestellt werden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß ab 1. Januar 1967 quasi eine Doppelbesteuerung stattfindet, da einmal die Beförderungsteuer für den Transitverkehr durch die SBZ bezahlt werden muß und zweitens .die Straßenbenutzungsgebühr der SBZ von den Unternehmen voll zu tragen ist, und daß das mit den allgemeinen Grundsätzen westdeutscher Verkehrspolitik nicht zu vereinbaren ist?
Die sowjetzonale Straßenbenutzungsgebühr, die es leider gibt, wird nicht für die Beförderung, sondern für die Benutzung der Straßen erhoben. Sie muß auch für Leerfahrten und private Personenkraftwagen entrichtet werden. Eine Doppelbesteuerung im Sinne des Wortes liegt nicht vor.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, wann, meinen Sie, werden Sie diesen Problemkreis, den Sie untersuchen werden, vor diesem Hause so darstellen können, daß wir daraus politische Schlußfolgerungen ziehen können?
Ich bin jederzeit bereit, im Finanz- oder im Haushaltsausschuß über die Problematik zu berichten und das finanzielle Volumen anzugeben. Es gibt eine unterschiedliche Regelung für Unternehmen mit dem Sitz im Bundesgebiet und für Unternehmen mit dem Sitz in Berlin. Berlin zahlt auch weiterhin Ersatz für die Straßenbenutzungsgebühr,
Ich muß allerdings auch darauf aufmerksam machen, daß die Beförderungsteuer beispielsweise auch dann entrichtet werden müßte, wenn das System der Finanzierung der Autobahn oder jedenfalls von Teilstrecken der Autobahn bei uns genauso wäre wie in Italien, Frankreich oder den Vereinigten Staaten von Amerika. Auch die Erhebung einer solchen Autobahnbenutzungsgebühr würde nicht von der Entrichtung der Beförderungsteuer befreien.
Gibt es bei der neuen Bundesregierung Vorstellungen oder Ansätze dafür, daß sie im Gegensatz zu den Beschlüssen der jetzt abgelösten Bundesregierung doch daran denkt, die Gebühren, die die SBZ erhebt, an westdeutsche Kraftfahrzeugunternehmen zurückzuerstatten?
Das Ausmaß der zur Verfügung stehenden Mittel und die gebotene Sparsamkeit hängen leider nicht von der Kombination der Koalition oder von dem Namen des Bundeskanzlers und der Bundesminister ab.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe die Fragen X/1 und X/2 des Herrn Abgeordneten Meister auf:
Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, um die unhaltbare Verkehrssituation am Bahnübergang in der Gemeinde Ispringen im Landkreis Pforzheim baldmöglichst verkehrsgerecht zu beheben?
Ist die Bundesregierung bereit, nicht nur auf die Deutsche Bundesbahn, sondern auch auf die Landesregierung von Baden-Württemberg als Träger der Straßenbaulast dem Sinne der Frage X/I entsprechend einzuwirken?
Der Bahnübergang in Ispringen liegt im Zuge der Landesstraße 560 Ispringen–Pforzheim und der zweigleisigen Hauptbahn Karlsruhe–Pforzheim. Die Verantwortung für den Bahnübergang haben nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz auch in finanzieller Hinsicht nicht der Bund, sondern das Land Baden-Württemberg und die Deutsche Bundesbahn. Der Bundesminister für Verkehr hätte nur dann einzugreifen und eine Anordnung zu erlassen, wenn Land und Deutsche Bundesbahn nicht von sich aus bereit wären, den Bahnübergang zu verbessern oder wenn sie über die zu ergreifenden Maßnahmen nicht einig werden. Dazu besteht zur Zeit kein Anlaß, weil nach Auskunft des Innenministeriums Baden-Württemberg der Bahnübergang im Zusammenhang mit dem Bau der Umgehungsstraße Ispringen beseitigt werden soll. Ein Vorentwurf ist bereits 1965 genehmigt worden. Für die erste Teilmaßnahme — den Bau einer Fußgängerunterführung am Bahnübergang — ist ein Bauentwurf aufgestellt worden. Das Land hat der Bundesbahndirektion Stuttgart im November 1966 einen Vereinbarungsentwurf übersandt, über den zur Zeit noch verhandelt wird.
Ich werde das Land und die Deutsche Bundesbahn bitten, der Beseitigung des Bahnüberganges in Ispringen besondere Aufmerksamkeit zu widmen, damit mit dem Bau möglichst bald begonnen werden kann.'
Keine Zusatzfrage.
Frage X/3 des Herrn Abgeordneten Ramms:
Wie weit sind die Vorstellungen der Bundesregierung über eine Verringerung der Zahl der Bundesbahndirektionen gediehen?
Die neue Bundesregierung hat sich — schon mit Rücksicht auf die Kürze der Zeit, in der sie sich im Amte befindet — naturgemäß noch keine feste Vorstellung über eine Verringerung der Zahl der Bundesbahndirek-
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Bundesminister Leber
tionen gebildet. Sie erwartet vielmehr, ob, mit welchem Inhalt und zu welchem Zeitpunkt dem Bundesminister für Verkehr vom Vorstand der Deutschen Bundesbahn Anträge auf Aufhebung oder wesentliche organisatorische Veränderungen von Bundesbahndirektionen- nach dem im Bundesbahngesetz vorgesehenen Verfahren vorgelegt werden.
Zusatzfrage!
Herr Minister, werden Sie, wenn die Anträge vorliegen, dem Verkehrsausschuß darüber berichten?
Selbstverständlich.
Fragen X/4 bis X/6 des Herrn Abgeordneten Jung:
Wie weit hat nach Ansicht der Bundesregierung die Rücksicht zu gehen, die ein Kraftfahrer auf den Straßenbahnschienen in - den Städten auf eine ihm folgende Straßenbahn nehmen muß?
Dürfen sich Linksabbieger vor Ampeln bei Rot auf dem Straßenbahngleis aufstellen?
Ist die Bundesregierung bereit, die Kraftfahrer mehr als bisher über strittige Fragen der Straßenverkehrs-Ordnung aufzuklären, damit Schäden, Arger und gerichtliche Auseinandersetzungen vemieden werden?
Herr Präsident, ich bitte, die drei Fragen zusammen beantworten zu dürfen, wenn der Herr Kollege Jung einverstanden ist.
Bitte sehr!
Die Rücksicht, die Kraftfahrer auf Straßenbahnen zu nehmen haben, bestimmt sich nach dem Gesetz, nämlich nach der Straßenverkehrs-Ordnung. Danach ist es den Kraftfahrern insbesondere verboten, Straßenbahnen mehr als unvermeidbar zu behindern.
Linksabbieger dürfen sich dann nicht vor Ampeln bei Rot auf den Straßenbahngleisen aufstellen, wenn sie dadurch die Straßenbahn mehr als unvermeidbar behindern.
Die Kraftfahrerwerden laufend insbesondere durch die Automobilclubs und durch die öffentlichen Publikationsmittel über Zweifelsfragen aus der Straßenverkehrs-Ordnung aufgeklärt. Mit der Verkehrserziehung, wozu auch die Aufklärung der Kraftfahrer gehört, befaßt sich laufend die Bundesverkehrswacht mit ihren Landesverkehrswachten. Darüber hinaus ist beabsichtigt, rechtzeitig vor Inkrafttreten einer neuen Straßenverkehrs-Ordnung die gesamte Offentlichkeit umfassend unter Ausnutzung aller Publikationsmittel zu unterrichten.
Keine Zusatzfrage.
Frage X/7 des Herrn Abgeordneten Rehs:
Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über die Fortführung der Planung, Vorbereitung und Fertigstellung der Autobahn Flensburg—Hamburg?
In den Entwurf des Straßenbauplanes 1967 ist die Bundesautobahn-Neubaustrecke Hamburg—Flensburg erstmalig aufgenommen worden.
Die Planung für diese Bundesautobahn-Neubaustrecke ist im wesentlichen abgeschlossen. Auf niedersächsischem Gebiet zweigt sie südlich des Horster Dreiecks aus der Bundesautobahn-Strecke Hamburg—Hannover ab und berührt dann westlich das Stadt- und Hafengebiet Hamburgs, wobei die Elbe mit einem 3 km langen Tunnel unterfahren werden soll. Auf schleswig-holsteinischem Gebiet führt sie westlich an Neumünster vorbei, überquert den Nord-
Ostsee-Kanal östlich von Rendsburg und schließt nordwestlich von Flensburg an das dänische Straßennetz an. Ferner ist beabsichtigt, den Raum Kiel mit einer weiteren bei Neumünster abzweigenden Bundesautobahn-Neubaustrecke Neumünster—Kiel an die Bundesautobahn-Neubaustrecke Hamburg—Flensburg anzuschließen.
Bereits jetzt sind einzelne Streckenabschnitte der Bundesautobahn-Neubaustrecke Hamburg—Flensburg im Nordwesten Hamburgs sowie im Raume Neumünster in Bau oder Bauvorbereitung. Die im Entwurf des Straßenbauplanes 1967 vorgesehenen Mittel erlauben, auf diesen Streckenabschnitten im Jahre 1967 zügig weiterzubauen.
Die Gesamtkosten für die 180 km lange Bundesautobahn-Neubaustrecke sind mit 1500 Millionen DM geschätzt. Der Entwurf des 3. Vierjahresplanes für den Ausbau der Bundesfernstraßen sieht für die Bundesautobahn-Neubaustrecke Hamburg—Flensburg Investitionen in Höhe von 575 Millionen DM vor. Es wird angestrebt, mit diesen Mitteln zunächst den für das ganze Land Schleswig-Holstein verkehrswichtigen Abschnitt von Hamburg bis nach Neumünster fertigzustellen sowie den Streckenabschnitt Westliche Umgehung • Hamburg in Bau zu nehmen. Ferner soll im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten mit den Arbeiten für die Überquerung des Nord-
Ostsee-Kanals und mit dem Bau eines Abschnittes südlich Flensburg von der B 200 bis zur B 76 im Raume Tarp begonnen werden.
Von den insgesamt für die Bundesautobahn-Neubaustrecke Hamburg—Flensburg erforderlichen Mitteln werden am Ende des 3. Vierjahresplanes voraussichtlich 60 % noch nicht investiert sein. Es bleibt abzuwarten, ob in Anbetracht des hohen Restbetrages von 875 Millionen DM im 4. Vierjahresplan die gesamte Strecke vom Horster Dreieck bis zur dänischen Grenze dem Verkehr übergeben werden kann.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rehs.
Herr Minister, können Sie etwas darüber sagen, bis zu welchem Zeitpunkt etwa insbesondere der Teil Hamburg—Neumünster fertiggestellt sein kann? Welche Ziele sind da gesteckt?
Es sind keine festen Ziele gesteckt. Das hängt von vielerlei Voraussetzungen ab, auch von dem zügigen Fortgang der Bauarbeiten.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966 3655
Keine weiteren Zusatzfragen.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau.
Ich rufe die Fragen XI/1 und XI/2 des Abgeordneten Baier auf:
Sind dem Bundeswohnungsbauminister die Äußerungen des Staatssekretärs Dr. Schornstein vom 15. Oktober 1966 in einer öffentlichen Kundgebung in Berlin bekannt, wo er u. a. wörtlich erklärte:
Ich nehme gern die Gelegenheit wahr, um vor Ihnen, meine lieben Siedlerfreunde, im Namen meines Herrn Ministers nochmals ein Bekenntnis zum Gedanken der Kleinsiedlung abzugeben, indem ich erkläre, daß der Kleinsiedlung auch in unserer heutigen Zeit eine unverändert hohe Bedeutung zukommt,
und die Veröffentlichung im Oktoberheft des Bundesbaublattes, dessen Herausgeber das Bundeswohnungsbauministerium ist, unter der Überschrift „Kleinsiedlung nicht mehr gefragt", worin es heißt:
Die Kleinsiedlung ist im Zeichen des ständig zunehmenden allgemeinen Wohlstandes weitgehend überlebt und deshalb — auch im Rahmen des Wohnungsbaues — fast zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken.
Welche einheitliche und offizielle Auffassung zur Frage der Bedeutung der Kleinsiedlung hat das Bundeswohnungsbauministerium nunmehr?
Bitte, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir sind die beiden von Ihnen, Herr Abgeordneter Baier, zitierten Meinungsäußerungen bekannt.
Die Kleinsiedlung ist nach meiner Auffassung eine aus wohnungs- und sozialpolitischen wie auch städtebaulichen Gründen besonders förderungswürdige Wohn- und Eigentumsform. Sie eignet sich ihrem Wesen nach besonders für einkommensschwache Personenkreise, aber auch für kinderreiche Familien, und es verdient besondere Anerkennung, daß zur Finanzierung des Baus von Kleinsiedlungen oft erhebliche Selbsthilfeleistungen erbracht werden. Mit der Auffassung, wie sie hierzu mein Staatssekretär in der in der Frage genannten Kundgebung als Meinung meines Hauses geäußert hat, stimme ich daher völlig überein. Die Glosse im Oktoberheft des Bundesbaublattes stellt nicht die Meinung meines Ministeriums dar. Durch eine Gegendarstellung im Novemberheft des Bundesbaublattes ist sie unter dem Titel „Um die Zukunft der Kleinsiedlung" inzwischen — meines Erachtens zutreffend — berichtigt worden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Bundesminister, halten Sie es für sinnvoll, daß im offiziellen Bundesbaublatt solche in der Form von nicht als private Äußerungen erkennbare Glossen Aussagen über wohnungspolitische Maßnahmen gemacht werden, die eine so erhebliche Unruhe in weiten Kreisen hervorrufen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Vorfall, Herr Bundestagsabgeordneter, hat mir Veranlassung gegeben, mit den leitenden Herren des Hauses die Angelegenheit eingehend zu besprechen. Ich glaube, dadurch Vorsorge getroffen zu haben, daß sich solche Ereignisse nicht wiederholen.
Eine zweite Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier:
Herr Bundesminister, darf ich aus Ihren Antworten schließen, daß der Bundesminister für Wohnungswesen und Städtebau der Förderung der Kleinsiedlung als Bestandteil der Eigentumspolitik im Wohnungsbau wie der gesamten Eigentumspolitik nach wie vor eine unverändert hohe Priorität im Wohnungsbau einräumt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ja, das ist meine Auffassung.
Meine Damen und Herren, ich bitte, Platz zu nehmen. Wir befinden uns noch in der Fragestunde.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Minister, ist nach den bisherigen Erklärungen also damit zu rechnen, daß auch weiterhin die Eigentumsbildung durch Wohnungsbau in einem angemessenen Maße gefördert wird, und zwar in einem Maße, das dem nachgewiesenen Willen der förderungsberechtigten Antragsteller entspricht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Prinzip ja! Nur über das Ausmaß werden wir uns unterhalten müssen, wenn wir wissen, wieviel Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe dann die Fragen XI/3, XI/4 und XI/5 der Abgeordneten Frau Griesinger auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, die in der vergangenen Legislaturperiode im Ressort des Bundeswohnungsbauministers eingerichtete Arbeitsgruppe „Spiel- und Freizeitanlagen" wieder einzusetzen und die Anregung der Arbeitsgruppe aufzunehmen, vorbildliche Anlagen im Rahmen des Demonstrativprogramms zu fördern?
Wird die Bundesregierung den Vorschlag der Arbeitsgruppe „Spiel- und Freizeitanlagen" verwirklichen und einen internationalen Wettbewerb für ein Freizeitzentrum, das auf der Bundesgartenschau 1969 errichtet werden soll, finanzieren?
Ist die Bundesregierung, da ausländische Luftschutzbauten zum Teil neuerdings so geplant werden, daß eine Nutzung des Freizeitzentrums erfolgen kann, bereit zu prüfen, ob nicht eine ähnliche Baudurchführung auch in der Bundesrepublik Deutschland erfolgen könnte?
Bitte, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zur Frage XI/3: Es ist beabsichtigt, die Arbeitsgruppe „Spiel- und Freizeitanlagen" wieder einzurichten. Die bis 1965 gewonnenen Erfahrungen sind bereits in den „Grundsätzen für Demonstrativbauvorhaben des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau 1965/
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Bundesminister Dr. Lauritzen
1966" erfaßt. Der Anregung der bisherigen Arbeitsgruppe folgend, ist die Ausarbeitung von Planeinrichtungen für Spiel- und Freizeitanlagen durch den Fachnormenausschuß Bauwesen veranlaßt und finanziell gefördert worden.
Zur Frage XI/4: Der Vorschlag der Arbeitsgruppe „Spiel- und Freizeitanlagen", einen Wettbewerb für ein Freizeitzentrum, das auf einer Bundesgartenschau — der Euroflor 1969 in Dortmund — errichtet werden soll, zu finanzieren, wird von mir nach wie vor verfolgt. Allerdings muß erst ein Überblick über die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel möglich sein.
Im Einvernehmen mit dem für den Zivilschutz federführenden Herrn Bundesminister des Innern beantworte ich die Frage XI/5 wie folgt. Schon seit Jahren besteht mit den Dienststellen der NATO-Länder sowie denen von Schweden und der Schweiz auf dem Gebiet des baulichen Zivilschutzes ein enger Kontakt. Dabei sind Fragen der Nutzung im Frieden — auch als Freizeitzentrum gedacht — erörtert worden. Das deutsche Schutzbaugesetz sieh t in § 1 Abs. 2 ausdrücklich eine friedensmäßige Nutzung von Schutzräumen für andere Zwecke vor, soweit dadurch der eigentliche Verwendungszweck nicht gefährdet wird. Aus diesem Grunde steht bei Hausschutzräumen einer Verwendung als Hobbyraum nichts entgegen.
Die vorhandenen öffentlichen Schutzräume, die im Bundesgebiet instand gesetzt werden, sind durch die vorgegebene Grundrißgestaltung im allgemeinen für eine friedensmäßige Nutzung nicht geeignet. Für neue Schutzbauten wird diese Frage im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel weiter geprüft werden.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß während der Zeit, in der die Arbeitsgruppe noch getagt hat, sich bereits drei Städte bereit erklärt haben, Modelleinrichtungen zu planen, und sind Sie bereit, mit diesen drei Städten noch einmal Verbindung aufzunehmen, damit diese Modelleinrichtungen eventuell entsprechend gefördert werden können?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin durchaus dazu bereit, die drei Vorhaben im Rahmen der Möglichkeiten, die wir dazu zur Verfügung haben, zu fördern.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Bundesminister, darf ich Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob Sie auch einmal überprüfen, wieweit andere Arbeitsgruppen Ihres Hauses — beispielsweise die zur Förderung des Baus von Altenwohnungen — wieder ins Leben gerufen werden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Über die Aufnahme der Arbeiten der Arbeitskreise haben wir bereits in meinem Hause gesprochen. Ich will diese Angelegenheit sofort in Angriff nehmen.
Die Fragestunde ist geschlossen.
Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bildung dieser Bundesregierung, in deren Namen ich die Ehre habe zu Ihnen zu sprechen, ist eine lange, schwelende Krise vorausgegangen, deren Ursachen sich auf Jahre zurückverfolgen lassen. Ihr offener Ausbruch erfolgte kaum ein Jahr nach den Wahlen zum 5. Deutschen Bundestag, die einen eindrucksvollen Vertrauensbeweis für meinen Vorgänger, Professor Ludwig Erhard, erbracht und den Parteien der bisherigen Regierungskoalition deren Fortsetzung ermöglicht hatte. In der Folge belasteten innenpolitische Schwierigkeiten, innerparteiliche Auseinandersetzungen und außenpolitische Sorgen die Arbeit der Regierung, bis schließlich die Uneinigkeit über den Ausgleich des Bundeshaushalts 1967 und über die auf lange Sicht notwendigen finanzpolitischen Maßnahmen zum Auseinanderbrechen der bisherigen Koalition und zu einem Minderheitskabinett führten.
Aus- den dadurch notwendig gewordenen Koalitionsverhandlungen ist die neue Regierung der Großen Koalition hervorgegangen. Die Verhandlungen der Parteien haben zu der wohl bisher gründlichsten Bestandsaufnahme der Möglichkeiten und Notwendigkeiten deutscher Politik vor einer Regierungsbildung geführt.
Zum erstenmal haben sich die Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Union und die Sozialdemokratische Partei auf der Ebene des Bundes zur Bildung einer gemeinsamen Regierung entschlossen. Das ist ohne Zweifel ein Markstein in der Geschichte der Bundesrepublik, ein Ereignis, an das sich viele Hoffnungen und Sorgen unseres. Volkes knüpfen.
Die Hoffnungen richten sich darauf, daß es der Großen Koalition, die über eine so große, zwei Drittel weit übersteigende Mehrheit im Bundestag verfügt, gelingen werde, die ihr gestellten schweren Aufgaben zu lösen, darunter vor allem die Ordnung der öffentlichen Haushalte, eine ökonomische, sparsame Verwaltung, die Sorge für das Wachstum unserer Wirtschaft und die Stabilität der Währung.
Dies alles sind Voraussetzungen des privaten und öffentlichen Wohles in unserem wie in jedem anderen Lande. Sie verbürgen der Regierung und dem Parlament die nötige Kraft zum Handeln in allen Bereichen der Innen- und der auswärtigen Politik. Die Sorgen vieler gelten den möglichen Gefahren einer Großen Koalition, der nur eine verhältnismäßig kleine Opposition gegenübersteht.
Wir sind entschlossen, soviel an uns liegt, die auf uns gesetzten Hoffnungen zu erfüllen und die befürchteten Gefahren abzuwehren. In dieser Koalition, meine Damen und Herren, werden keine Macht und Pfründen zwischen Partnern geteilt, keine Miß-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966 3657
Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
stände vertuscht und die Kräfte des parlamentarischen Lebens nicht durch Absprachen hinter den Kulissen gelähmt werden, wie es ihr mit dem Schlagwort „Proporzdemokratie" unterstellt wird. Die Opposition wird alle parlamentarischen Möglichkeiten haben, ihre Auffassung zur Darstellung und Geltung zu bringen.
Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Mißbrauch der Macht ist der feste Wille der Partner der Großen Koalition, diese nur auf Zeit, also bis zum Ende dieser Legislaturperiode fortzuführen.
Während dieser Zusammenarbeit soll nach Auffassung der Bundesregierung ein neues Wahlrecht grundgesetzlich verankert werden, das für künftige Wahlen zum Deutschen Bundestag nach 1969 klare Mehrheiten ermöglicht.
Dadurch wird ein institutioneller Zwang zur Beendigung der Großen Koalition und eine institutionelle Abwehr der Notwendigkeit zur Bildung von Koalitionen überhaupt geschaffen. Die Möglichkeit für ein Übergangswahlrecht für die Bundestagswahl 1969 wird von der Regierung geprüft.
Dieser Entschluß, nur eine zeitlich begrenzte Koalition zu bilden, wird uns aber nicht davon abhalten, in der Zeit unseres Koalitionsbündnisses alle wichtigen Aufgaben mit äußerster Entschlossenheit zu bewältigen.
Unsere nächstliegende Sorge ist, den Haushalt 1967 auszugleichen. Dies muß rasch geschehen. Das Finanzplanungsgesetz, das Steueränderungsgesetz 1966 und das Ergänzungshaushaltsgesetz 1967 reichen nicht aus, um die Deckungslücken des Haushalts voll zu beseitigen. Trotz der drei Gesetze müssen wir 1967 mit einer Deckungslücke von rund 3,3 Milliarden DM rechnen. Die Regierung wird alsbald neue Ausgleichsvorschläge in dieser Höhe vorlegen.
In den kommenden Jahren bietet die Finanzlage des Bundes ein noch düstereres Bild. Im Jahresdurchschnitt drohen Deckungslücken, die etwa so groß sind wie das gesamte Haushaltsvolumen eines der finanzstärksten Länder der Bundesrepublik, und dies trotz der vom Hohen Hause inzwischen verabschiedeten drei Gesetze.
Wie kam es zu dieser Entwicklung?
1. Es fehlte an der mittelfristigen Vorausschau. Hätten wir schon rechtzeitig die schlichten Finanzprognosen, wie wir sie heute aufstellen, erarbeitet, so wäre diese Entwicklung vermieden worden.
Aber die in der Hochkonjunktur anschwellenden Staatseinnahmen, eine überalterte Haushaltspraxis, die verwirrende Vielfalt der öffentlichen Aufgaben, aber auch zu große Nachgiebigkeit gegenüber Interessengruppen
und Überschätzung unserer Möglichkeiten haben
dazu. verführt, Jahr für Jahr neue fortlaufende Ausgaben und fortwirkende Einnahmeverminderungen zu beschließen, ohne ihre Folgen für die Zukunft genügend zu bedenken.
2. Noch 1965 wurden die Bundeshaushalte durch Einnahmeverzichte und Ausgabeerhöhungen zusätzlich mit insgesamt 7,2 Milliarden DM belastet. Die beiden Steueränderungsgesetze führten für Bund und Länder zu Einnahmeverlusten in Höhe von 3,1 Milliarden DM; zusätzliche Ausgaben in Höhe von 6 Milliarden DM wurden beschlossen. Hinzu kommt, daß sich 1965 erstmals die 1964 beschlossene Übernahme des Kindergeldes auf den Bundeshaushalt mit einem vollen Jahresbetrag von rund 2,8 Milliarden DM auswirkte.
Die Unzulänglichkeit des Art. 113 des Grundgesetzes und auch die unbegründete Furcht vor der Ungunst der Wähler haben eine Korrektur dieser Entscheidungen vor den Bundestagswahlen verhindert.
Auch nach den Wahlen gelang es nicht, den eingeschlagenen Weg ins Defizit zu verlassen. Das Haushaltssicherungsgesetz 1966 war eine Krücke, die nur über die Schwierigkeiten eines einzigen Jahres hinweghalf: Von 3,1 Milliarden DM Ausgabekürzungen waren nur rund 400 Millionen DM Dauereinsparungen; die übrigen Ausgaben wurden lediglich um 1 bis 2 Jahre verschoben.
Das ist ,die Wahrheit, die wir uns eingestehen müssen und die wir unserem Volk nicht vorenthalten dürfen.
Wäre von vornherein das getan worden, was wir nunmehr tun müssen, wären nicht jene Erwartungen und Gewöhnungen entstanden, die heute enttäuscht werden müssen.
Die Gesundung der Bundesfinanzen ist weniger eine Frage des Sachverstandes als des politischen Mutes und der Einsicht aller Mitverantwortlichen.
Die Regierung weiß das und wird die Entscheidungen vorbereiten, die nötig sind, um die ab 1968 drohenden Deckungslücken auszugleichen, und dafür sorgen, daß vorrangige Aufgaben besser erfüllt werden können. Dies wird nicht allein durch Maßnahmen gelingen, die niemandem wehtun.
Bei der Neuorientierung der Haushaltspolitik und der Auswahl der Maßnahmen zur Ausgabeverminderung oder Einnahmeerhöhung wird die Bundesregierung von folgenden Leitlinien ausgehen:
1. Wir werden uns um eine Normalisierung der Kapitalmarktlage bemühen und Investitionsausgaben, soweit das wirtschaftspolitisch und konjunkturpolitisch vertretbar ist, durch Kredite finanzieren.
2. Wirtschaftswachstum, Erhöhung der Produktivität und Vollbeschäftigung müssen gesichert blei-
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ben. Nur eine vollbeschäftigte und beständig wachsende Wirtschaft kann uns jene Staatseinnahmen erbringen, die für die öffentlichen Aufgaben gebraucht werden.
3. Die notwendigen Einschränkungen und Belastungen müssen möglichst gleichmäßig auf alle Gruppen und Schichten des Volkes verteilt werden.
4. Die großen Blöcke der Konsumausgaben im Bundeshaushalt müssen ohne Scheu vor Tabus überprüft werden.
Niemandem, am wenigsten den scheinbar Begünstigten, würde eine wirklichkeitsfremde Politik nützen, der die Finanzgrundlage fehlt oder die nur zu Lasten anderer für unser Volk lebenswichtiger Zukunftsaufgaben finanziert werden könnte. Die Bundesrepublik wendet von ihrem Bruttosozialprodukt für soziale Leistungen so viel auf wie kein anderes Land. Das ist kein Wohlstandsübermut; wir müssen Milliarden für Kriegsopfer, Vertriebene und Flüchtlinge ausgeben und immer mehr alte Menschen versorgen, — eine Folge der Kriegsverluste und der großen Geburtenausfälle während der beiden Weltkriege und der Wirtschaftskrise um 1932.
Politik ist in allen Bereichen die Kunst des Möglichen. Eine fortschrittliche Gesellschaftspolitik setzt ) eine gesunde, wachsende Wirtschaft und eine stabile Währung voraus. Sie würde den Boden unter den Füßen verlieren, wenn sie die Leistungen so stark ausdehnen wollte, daß das Wachstum unserer Wirtschaft die Stabilität der Währung gefährdete und die die Zukunft unseres Volkes sichernden Infrastrukturinvestitionen unterbleiben müßten.
In unserem System der Sozialversicherung werden wir am Prinzip • der dynamischen Rente festhalten.
Bei den Sozialleistungen, die der Lebenssicherung dienen, soll weder der Besitzstand gemindert noch sollen sie auf die gegenwärtige Höhe festgelegt werden. Wir müssen aber sehr ernsthaft die Bemessung der jährlichen Zuwachsraten der Sozialleistungen und der Bundeszuschüsse prüfen und sie mit den Möglichkeiten und Grundsätzen einer gesunden Finanzpolitik in Einklang bringen.
5. Andere Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt sollten nicht mehr ohne Rücksicht auf die Wirtschaftslage des Empfängers, sondern nur dann gewährt werden, wenn der Bedarf gesellschaftspolitisch gerechtfertigt ist.
Wir werden prüfen, wo Einkommensgrenzen eingeführt werden sollen.
Wir können es uns nicht leisten, öffentliche Mittel unterschiedslos nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen.
Unter diese Erwägungen fällt die Sparförderung ebenso wie Leistungen, die nicht Fürsorgecharakter haben. Aber wenn die notwendigen Mittel fehlen, kann eben auch hier nur das Mögliche und Dringlichste geschehen.
6. Unsere Außenverpflichtungen müssen ebenfalls mit unseren Leistungsmöglichkeiten in Einklang stehen oder in Einklang gebracht werden. Die Bundesregierung wird alle bisher eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Sie muß jedoch dafür sorgen, daß in Zukunft die Belastungen durch Beiträge an supranationale oder internationale Einrichtungen — allen voran die EWG — nicht in der bisherigen Weise weiterwachsen.
Auch die unvermeidliche Steigerung der Entwicklungshilfe wird unseren finanziellen Leistungskräften angepaßt werden müssen.
Ebenso wenig dürften künftige Verpflichtungen zum Ausgleich von Devisenaufwendungen für im Bundesgebiet stationierte Truppen ohne Rücksicht auf unsere Finanzlage übernommen werden.
7. Auch die Personalausgaben müssen der Finanzlage angepaßt werden.
8. Die Gesetzgebung über die Abwicklung von Kriegs- und Nachkriegsfolgen sollte abgeschlossen werden. Die Finanzlage des Bundes beweist, daß wichtige Aufgaben der Zukunftsvorsorge sträflich vernachlässigt werden würden, wenn die kommenden Jahre durch neue Zahlungen für die Vergangenheit belastet würden.
Auch die geltenden Regelungen müssen mit dem Ziel überprüft werden, die Ausgabeverpflichtungen mit der Einnahmeentwicklung des Bundes in Einklang zu bringen.
9. Für Sozialinvestitionen aller Bereiche, besonders für Wissenschaft und Forschung, müssen erheblich größere Geldmittel bereitgestellt werden.
Dies ist freilich nur möglich durch Einsparungen bei Konsumausgaben, bei Subventionen oder durch Steuererhöhung.
Die Förderung der Forschung in Schlüsselbereichen der technischen Entwicklung — wie der Elektronik, der Atomenergie und der Weltraumforschung — ist für die Zukunft der Gesamtwirtschaft und damit für den Wohlstand unseres Volkes ertragreicher als
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Subventionen, die nur der Erhaltung von stagnierenden Bereichen dienen.
Die Regierung muß insbesondere auch durch gemeinsame Anstrengungen mit befreundeten Staaten der Gefahr eines technologischen Rückstandes entgegenwirken.
10. Die Regierung kann nicht von vornherein auf Steuererhöhungen verzichten. Je breiter die gegeneinander abzuwägenden Möglichkeiten zum Haushaltsausgleich angelegt sind, um so eher sind besondere Härten für einzelne Bevölkerungsgruppen vermeidbar. Das Wachstum der Wirtschaft darf jedoch durch steuerliche Maßnahmen nicht beeinträchtigt werden.
11. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und den Ländern über die Anteile an der Einkommen- und Körperschaftsteuer litten in den vergangenen Jahren daran, daß die Maßstäbe für eine gerechte Verteilung fehlten. Diese Maßstäbe müssen erst durch eine vertikale Rangliste der Aufgaben in Bund, Ländern und Gemeinden erarbeitet werden.
12. Der schwierige Anpassungsprozeß, der sich in den Steinkohlengebieten vollzieht, verlangt dringend wohlgeplante Maßnahmen, die eine dauernde Heilung versprechen.
Es muß dafür gesorgt werden, daß der Steinkohlenabsatz bei der Elektrizität und der Stahlindustrie stabilisiert wird. Die Ansiedlung von Ersatzindustrien und andere Maßnahmen müssen die wirtschaftliche und soziale Zukunft der von unvermeidlichen Zechenstillegungen gefährdeten Menschen gewährleisten. Die betroffenen Länder vermögen dies aus eigenen Kräften allein nicht. Sie und der Bund müssen gemeinsam Mittel zur Bereinigung der schwierigen Lage bereitstellen.
13. Auch die Verteidigungsausgaben müssen sich nach der Finanzlage des Bundes richten.
Der Verteidigungshaushalt ist aber keine Reservekasse für die Korrektur der Haushaltssünden vergangener Jahre.
In unserer künftigen Haushaltspolitik wird es nicht leicht sein, diese allgemeinen Zielsetzungen zu verwirklichen. Konflikte sind unvermeidlich. Wir können nicht einfach mit der Holzaxt das Gestrüpp der für die Zukunft angelegten öffentlichen Ausgaben planlos zu lichten versuchen. Im Gegenteil, diese Bereinigung soll uns instandsetzen, künftige Haushalte als Instrumente einer klaren, vorausschauenden Gesamtpolitik zu benützen, die Wichtigstes von Wichtigem und Wichtiges von nur Wünschenswertem unterscheidet. Ein Haushalt darf nicht nur ein Flickenteppich von Interessen- und Ressortkompromissen sein, er muß vielmehr das Spiegelbild eines politischen Gesamtprogramms darstellen.
{Beifall bei den Regierungsparteien.)
Erlauben Sie mir, an dieser Stelle auf eine Problematik hinzuweisen, welche die Verwirklichung eines ausgewogenen politischen Gesamtprogramms in der gesetzgeberischen Praxis erfahrungsgemäß gefährdet, wenn nicht gar behindert. Es ist schon schwierig, ein solches geschlossenes Programm innerhalb der Kabinettsberatungen zu bewahren, da verständlicherweise jedes Ressort um seine eigenen Vorstellungen kämpft und ihnen, oft ohne genügende Rücksicht auf andere Aufgaben, eine zu große Wichtigkeit beimißt. Die Aufgabe des Regierungschefs ist es, diese Ressortwünsche mit dem Gesamtprogramm in Einklang zu bringen, sie also auf das ihnen gebührende Maß zurückzuschneiden.
Im Parlament setzt sich derselbe Prozeß fort. Arbeitskreise, Fraktionen, Ausschüsse sehen vielfach auch nur ihren eigenen Arbeits- und Interessenbereich, vor allem, wenn Gremien so zusammengesetzt sind, daß die Repräsentanten von Gruppeninteressen über ihre eigenen Anliegen entscheiden.
Den führenden Kräften des Parlaments, insbesondere den Fraktionsvorständen und -vorsitzenden, kommt hier eine ähnliche Ordnungs- und Führungsaufgabe wie den Regierungschefs im Kabinett zu,
wenn eine geordnete Politik, die sich am Gemeinwohl orientiert, gelingen soll.
Um eine solche am Gemeinwohl orientierte und den Rahmen der finanziellen Möglichkeiten nicht überschreitende Politik zu sichern, wird die Bundesregierung zusammen mit dem Entwurf einer Bundeshaushaltsordnung eine Änderung des Art. 113 des Grundgesetzes vorschlagen,
die es ermöglichen soll, ihre Zustimmung zu Beschlüssen über zusätzliche oder neue Ausgaben oder über Einnahmeminderungen auf einen bestimmten Höchstbetrag zu beschränken und gleichzeitig eine nochmalige Beschlußfassung des Bundestages zu beantragen. Dies würde eine mittlere Lösung zwischen dem bisherigen deutschen Recht und etwa dem englischen Recht darstellen, nach dem das Parlament zwar Ausgabekürzungen, aber keine Ausgabeerhöhungen beschließen kann. In diesem Zusammenhang begrüßt die Regierung den Initiativantrag einiger Abgeordneter zur Änderung des § 96 der Geschäftsordnung des Bundestages, der eine Stärkung der Einflußmöglichkeiten des Haushaltsausschusses anstrebt.
Meine Damen und Herren, es ist hohe Zeit, daß wir aus dieser Erkenntnis die Folgerungen ziehen. Freilich hat die Gesetzgebung der vergangenen Jahre — und das ist einer der bedenklichsten Sach-
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verhalte — uns schon viele Wege dadurch verlegt, daß auf lange Zeit hinaus wirkende und sich zum Teil außerordentlich steigernde Ausgabeverpflichtungen jeden künftigen Haushalt in gefährlicher Weise vorbelasten. Es muß uns gelingen, den verlorengegangenen finanziellen Spielraum für unsere politischen Entscheidungen wiederzugewinnen.
Gelänge dies nicht, dann wären die Haushalte der kommenden Jahre nur noch die Zwangsvollstrekkung früherer Regierungsvorlagen und Parlamentsbeschlüsse.
Eine sorgfältige, nicht nur eine Addition der Ressortvorstellungen widerspiegelnde mittelfristige Finanzplanung muß uns in den Stand setzen, diesen notwendigen finanziellen Spielraum wiederzugewinnen und damit die Möglichkeiten zu neuen politischen Entscheidungen wieder zu erlangen.
Wir dürfen bei diesen Überlegungen freilich nicht nur die Bundeshaushalte im Auge haben. Wir leben in einem Bundesstaat, in welchem Bund, Länder und Gemeinden ihre eigenen Aufgabenbereiche zu erfüllen haben. Ob die Aufgabenverteilung durch das Grundgesetz heute noch sachgerecht ist, oder ob etwa bestimmte Bundeskompetenzen auf die Länder, Länderkompetenzen auf den Bund übertragen werden sollten, wird zu prüfen sein im Zusammenhang mit der Reform der Finanzverfassung, welche diese Regierung als eine der großen innenpolitischen Aufgaben betrachtet und verwirklichen will.
Ich erwähnte schon, daß die Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und den Ländern über die Anteile an der Einkommen- und Körperschaftsteuer in den vergangenen Jahren darunter litten, daß die Maßstäbe für eine gerechte Verteilung fehlten, und daß diese Maßstäbe erst durch eine vertikale Rangliste der Aufgaben in Bund, Ländern und Gemeinden erarbeitet werden müßten. Das wird aber nur gelingen, wenn auch die Länder und die Gemeinden ihre Haushaltspolitik nach den Grundsätzen gestalten, die ich für die künftige Haushaltspolitik des Bundes dargelegt habe. Das Stabilitätsgesetz wird dafür einen Teil der rechtlichen und politischen Voraussetzungen schaffen. Im übrigen wird es nötig sein, durch einen kooperativen Föderalismus eine gerechte und fruchtbare Ordnung in den Bereichen des Bundes, der Länder und der Gemeinden herbeizuführen.
Meine Damen und Herren, bei unseren politischen Planungen können wir die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Eine gesunde, wachsende Wirtschaft ist die Voraussetzung für das private wie für das öffentliche Wohl. Die Bundesrepublik Deutschland zählt heute zu den großen Industrie- und Handelsnationen der Erde. Es muß das Ziel der Wirtschaftspolitik sein, diesen von unserem ganzen Volk hart erarbeiteten Erfolg zu bewahren. Nur wenn uns dieses gelingt, werden auch wir die erforderlichen Mittel für die Durchführung einer erfolgreichen Politik in allen Bereichen erhalten.
Die Bundesregierung bekennt sich daher ausdrücklich zu den wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, die der Deutsche Bundestag im Gesetz über die Bildung des Sachverständigenrates niedergelegt hat: im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig Stabilität des Preisniveaus, hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wachstum anzustreben.
Diese Aufgabenkombination verlangt von der Wirtschaftspolitik, daß sie sich jeweils auf die Einzelziele konzentriert, die am meisten gefährdet sind. Dies sind nach Auffassung der Bundesregierung zur Zeit das optimale Wirtschaftswachstum und die Sicherung eines hohen Beschäftigungsstandes. Es droht sogar die Gefahr eines gesamtwirtschaftlichen Rückschlages. Meine Damen und Herren, die Vorausschätzungen der wissenschaftlichen Institute und des Sachverständigenrates für 1967 haben den Ernst der Lage deutlich gemacht. Die Talsohle in der Konjunkturentwicklung kann sogar noch vor uns liegen, zumal dann, wenn ein harter Winter einen besonders starken Saisoneinbruch bewirken würde.
Bei dieser Ausgangslage ist daher eine expansive und stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik das Gebot der Stunde.
Allerdings hat sich der Wachstumsspielraum der deutschen Wirtschaft gegenüber dem vergangenen Jahrzehnt erheblich verringert, so daß die Preisstabilität schneller gefährdet werden kann. Trotz dieser Schwierigkeit ist die Bundesregierung entschlossen, einem wirtschaftlichen Aufschwung ohne spätere Überhitzungserscheinungen den Weg zu bahnen. Die Bundesregierung sieht in dieser Herausforderung keinen Grund, auch nur eines der gesamtwirtschaftlichen Ziele zu vernachlässigen, sondern sie nimmt sie als Ansporn zu besonderer Leistung. Sie fordert diese Leistung von sich selbst, von den Vertretern der gesellschaftlichen Gruppen und vom einzelnen Staatsbürger.
Die Bundesregierung wird unverzüglich folgende Maßnahmen unterstützen und einleiten:
Erstens: Die Deutsche Bundesbank hat in letzter Zeit mehrfach zu erkennen gegeben, daß sie aus konjunkturpolitischen Gründen eine weitere Lockerung der Kreditrestriktionen ins Auge fassen werde, wenn hieraus keine Gefahren für die Geldwertstabilität erwüchsen. Die Bundesregierung hält nunmehr eine entscheidende Lockerung der Kreditrestriktionen durch die Deutsche Bundesbank für sachlich geboten. Die Bundesregierung würde eine fühlbare Senkung des Diskontsatzes und entsprechende Erleichterungen für den Geld- und Kapitalmarkt begrüßen.
Zweitens bittet die Bundesregierung den Deutschen Bundestag, den Gesetzentwurf zur Abschaffung der Kuponsteuer bald zu beraten. Dabei sollte der enge Zusammenhang mit Zeitpunkt und Ausmaß der erhofften kreditpolitischen Entscheidungen der Deutschen Bundesbank berücksichtigt werden.
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Drittens wird die Bundesregierung, wenn es erforderlich ist, durch gezielte Ausgaben die Investitionstätigkeit in unserer Volkswirtschaft beleben. Für den Straßenbau, für die Modernisierung von Bundesbahn und Bundespost sowie für andere vordringliche Investitionen ist für diesen Fall im Rahmen eines Eventualhaushaltes oder nach Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes in Anwendung des § 3 des Entwurfs ein zusätzlicher Betrag bis zu 2,5 Milliarden DM vorzusehen.
Viertens erwartet die Bundesregierung von den genannten Maßnahmen Impulse, die weit über ihre unmittelbaren Wirkungen hinausgehen. Ihre wirtschaftspolitische Aktion ist die Aktion einer stabilen und handlungsfähigen Regierung mit breiter parlamentarischer Grundlage. Diese staatliche Autorität gewährt den Unternehmen die notwendige Sicherheit, um ihre betrieblichen Planungen und ihre Investitionsentscheidungen auf eine Wiederbelebung der Konjunktur zu richten. Nachdem die innenpolitische Unsicherheit gewichen ist, können sich die spontanen Kräfte des Marktes wieder entfalten.
Ein stärkeres Wachstum der Realeinkommen darf aber nicht in eine neue Preissteigerung ausarten.
Stabilität im Wachstum kann jedoch nur dann gesichert werden, wenn ein enges Zusammenwirken
mit den autonomen Tarifvertragsparteien zustande
kommt.
Meine Damen und Herren, der Spielraum der Expansionspolitik hängt entscheidend — ich betone: entscheidend — von dem Erfolg einer freiwilligen und gemeinsamen Aktion der Gewerkschaften und Unternehmerverbände zu einem stabilitätsgerechten Verhalten im Aufschwung ab.
Die Bundesregierung wird deshalb durch ihr Beispiel und ihr Vorangehen eine solche konzertierte Aktion unterstützen und hierzu sofort die notwendigen Initiativen ergreifen. Beide Tarifpartner haben in der Vergangenheit mehrfach ihre Bereitschaft zu einer solchen freiwilligen Mitarbeit erklärt. Die Bundesregierung erkennt dies ausdrücklich an. Sie wird alle notwendigen Voraussetzungen für eine solche Aktion schaffen, insbesondere wird sie in Zusammenarbeit mit dem Sachverständigenrat den Tarifpartnern Orientierungsdaten für deren eigene Entscheidungen zur Verfügung stellen und diese mit allen Beteiligten erörtern.
Unter den geschilderten Voraussetzungen einer „kontrollierten Expansion" strebt die Bundesregierung eine Wachstumsrate des realen Bruttosozialproduktes in der Größenordnung von 4 % an. Wachstumsförderung und Zusammenwirken mit allen verantwortlichen Kräften müssen in eine neue Politik der Globalsteuerung eingeordnet werden. Diese Politik schützt vor der Flucht in den Einzeldirigismus, sichert die marktwirtschaftlich-freiheitliche Ordnung und ist damit allen anderen Systemen weit überlegen. Die Bundesregierung sieht in der
Verabschiedung eines umfassenden Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft eine notwendige Voraussetzung für diese Politik.
Die Bundesregierung wird eine Kommission unabhängiger Sachverständiger berufen und sie mit der Auswertung der bisherigen Erfahrungen bei der Mitbestimmung als Grundlage weiterer Überlegungen beauftragen. Die Bundesregierung lehnt Bestrebungen ab, die den bewußten und erkennbaren Zweck einer Aushöhlung der Mitbestimmung verfolgen.
An der Koordinierung der internationalen Währungs- und Konjunkturpolitik wird die Bundesregierung auch in Zukunft intensiv teilnehmen. Sollten sich hier jedoch keine Erfolge zeigen, so muß sich eine Wirtschaftspolitik, die auf Stabilität und Wachstum bedacht ist, gegenüber außenwirtschaftlichen Störungen möglichst zusammen mit anderen, wirtschaftspolitisch gleich orientierten Staaten absichern. Die Entwicklung zu einem europäischen Hartwährungsblock wäre einem nationalen Alleingang vorzuziehen.
Die Wirtschafts- und Finanzpolitik, meine Damen und Herren, aber auch alle übrigen innenpolitischen Bereiche, insbesondere die Gesellschafts-, Agrar-, Verkehrs-, Wohnungsbau- und Sicherheitspolitik müssen langfristig angelegt und aufeinander abgestimmt werden. Ein solches Gesamtprogramm setzt aber eine umfassende Bestandsaufnahme über die gesetzlichen, vertraglichen und internationalen Verpflichtungen voraus, ihre Überprüfung nach Schwerpunkten und Prioritäten und vor allem ihre Anpassung an die finanziellen Möglichkeiten.
Die Bundesregierung wird die Arbeiten für dieses Gesamtprogramm sofort beginnen. Unabhängig von dem wiederkonstituierten Kabinettsausschuß für Wirtschaft hat sie für diese Aufgabe einen Kabinettsausschuß für längerfristige Finanzplanung eingesetzt. Die Bundesregierung wird bemüht sein, diesem Gesamtprogramm einen mehrjährigen Finanzplan und mehrjährige Investitionsprogramme für die öffentliche Hand aller Ebenen zugrunde zu legen, der unter Mitwirkung der Länder aufgestellt und mit den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Einklang stehen soll.
Ich bitte das Hohe Haus daher um Verständnis, daß ich heute darauf verzichte, einen Katalog von unverbindlichen Zusagen und Absichtserklärungen für die einzelnen Ressortbereiche vorzutragen.
Alle unsere Bemühungen um die innere Ordnung, um wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit, meine Damen und Herren, haben freilich nur Sinn und Bestand, wenn es gelingt, den Frieden und eine freiheitliche Lebensordnung zu bewahren.
Daß der Friede bewahrt werde, ist die Hoffnung aller Völker, und das deutsche Volk wünscht dies nicht weniger als die anderen.
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Darum ist der Wille zum Frieden und zur Verständigung der Völker das erste Wort und das Grundanliegen der Außenpolitik dieser Regierung.
Zwar dient jede Außenpolitik unmittelbar den Interessen des eigenen Volkes; aber in einer Welt, in welcher die Schicksale der Völker so eng miteinander verknüpft sind, darf sich niemand der Mitverantwortung für diese Welt und für den Frieden in dieser Welt entziehen.
Die deutsche Regierung tritt für eine konsequente und wirksame Friedenspolitik ein, durch die politische Spannungen beseitigt und das Wettrüsten eingedämmt werden. Wir werden an Vorschlägen zur Rüstungskontrolle, Rüstungsminderung und Abrüstung mitarbeiten. Die Bundesrepublik hat gegenüber ihren Bündnispartnern auf die Herstellung von Atomwaffen verzichtet und sich entsprechenden internationalen Kontrollen unterworfen. Wir streben keine nationale Verfügungsgewalt über Atomwaffen und keinen nationalen Besitz an solchen Waffen an.
Wir sind entschlossen, mit allen Völkern Beziehungen zu unterhalten, die auf Verständigung, auf gegenseitiges Vertrauen und auf den Willen der Zusammenarbeit gegründet sind.
Dies gilt auch für unser Verhältnis zur Sowjetunion, obwohl unsere Beziehungen immer noch durch das ungelöste Problem der Wiedervereinigung unseres Volkes belastet sind. Ich gehörte im Jahre 1955 bei unserem Besuch in Moskau — erlauben Sie mir diese persönliche Erinnerung — zu denjenigen, die mit Nachdruck für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion eintraten. Sicherlich hat die Entwicklung dieser Beziehungen die Erwartungen auf beiden Seiten enttäuscht. Das soll für uns kein Anlaß sein, unsere Bemühungen um eine Verständigung Schritt für Schritt und um zunehmendes, gegenseitiges Vertrauen zu verringern. In meiner letzten Rede im Deutschen Bundestag am 1. Oktober 1958 in Berlin habe ich gesagt, das deutsche Volk hege weder Feindschaft noch Haß gegen die Völker der Sowjetunion, es möchte mit ihnen im Gegenteil in guter friedlicher Nachbarschaft leben, und es denke auch nicht daran, sich in die inneren Verhältnisse der Sowjetunion einzumischen. Ich habe hinzugefügt, es möge für die Sowjetunion im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands Probleme geben, deren Lösung ihr schwierig scheine. Politische Klugheit und weitblickender Verständigungswille auf allen Seiten würden aber solche Schwierigkeiten überwinden können. Ich bin auch heute noch dieser Überzeugung. Und diese Regierung wird nach dieser Überzeugung handeln.
Die letzte Bundesregierung hat in der Friedensnote
vom März dieses Jahres auch der Sowjetunion den
Austausch von Gewaltverzichtserklärungen angeboten, um erneut klarzustellen, daß sie nicht daran denke, unsere Ziele anders als mit friedlichen Mitteln anzustreben. Die Bundesregierung wiederholt heute dieses auch an die anderen osteuropäischen Staaten gerichtete Angebot. Sie ist bereit, das ungelöste Problem der deutschen Teilung in dieses Angebot einzubeziehen.
Im übrigen hoffen wir, das gegenseitige Verständnis und Vertrauen durch die Entwicklung unserer wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Beziehungen beständig zu fördern und zu vertiefen, um so die Voraussetzungen für künftige erfolgreiche Gespräche und Verhandlungen zu schaffen.
Deutschland war jahrhundertelang die Brücke zwischen West- und Osteuropa. Wir möchten diese Aufgaben auch in unserer Zeit gerne erfüllen. Es liegt uns darum daran, das Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn, die denselben Wunsch haben, auf allen Gebieten des wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Lebens zu verbessern und, wo immer dies nach den Umständen möglich ist, auch diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
In weiten Schichten des deutschen Volkes besteht der lebhafte Wunsch nach einer Aussöhnung mit Polen, dessen leidvolle Geschichte wir nicht vergessen haben und dessen Verlangen, endlich in einem Staatsgebiet mit gesicherten Grenzen zu leben, wir im Blick auf das gegenwärtige Schicksal unseres eigenen geteilten Volkes besser als in früheren Zeiten begreifen. Aber die Grenzen eines wiedervereinigten Deutschlands können nur in einer frei vereinbarten Regelung mit einer gesamtdeutschen Regierung festgelegt werden, einer Regelung, die die Voraussetzung für ein von beiden Völkern gebilligtes, dauerhaftes und friedliches Verhältnis guter Nachbarschaft schaffen soll.
Auch mit der Tschechoslowakei möchte sich das deutsche Volk verständigen. Die Bundesregierung verurteilt die Politik Hitlers, die auf die Zerstörung des tschechoslowakischen Staatsverbandes gerichtet war. Sie stimmt der Auffassung zu, daß das unter Androhung von Gewalt zustandegekommene Münchener Abkommen nicht mehr gültig ist.
Gleichwohl bestehen noch Probleme, die einer Lösung bedürfen, wie zum Beispiel das des Staatsangehörigkeitsrechts. Wir sind uns unserer. Obhutspflicht gegenüber den sudetendeutschen Landsleuten wie gegenüber allen anderen Vertriebenen und Flüchtlingen bewußt und nehmen sie ernst. Diese Vertriebenen haben, wie das tschechoslowakische Volk zuvor, bitteres Leid und Unrecht erfahren. Der Bundesregierung liegt daran, dieses trübe Kapitel der Geschichte unserer Völker zu beenden und ein Verhältnis vertrauensvoller Nachbarschaft herzustellen.
Mit den Vereinigten Staaten von Amerika sind wir durch vielfache freundschaftliche Beziehungen
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und im Nordatlantischen Pakt eng verbunden, dessen Festigung und zeitgerechte Fortentwicklung uns ein wichtiges Anliegen ist. Diese Regierung wird keine der großen Hilfen vergessen, die uns die Vereinigten Staaten in den vergangenen beiden Jahrzehnten geleistet haben.
Sie weiß, daß das Bündnis mit den Vereinigten Staaten und den übrigen Partnern des Nordatlantischen Paktes auch heute und in der Zukunft, die wir zu überblicken vermögen, für uns lebenswichtig ist. Jedes Bündnis, meine Damen und Herren, ist nur so viel wert und hat nur so viel Festigkeit wie das Vertrauen der Bündnispartner zueinander, daß ihre vitalen Interessen vom Partner verstanden und berücksichtigt werden. Das gilt auch für die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und uns. Vielleicht haben wir in den vergangenen Jahren im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten manchmal zu sehr unsere eigenen Sorgen, Nöte und Anliegen betont, was ja bei einem schwächeren und bedrängten Partner naheliegt, und darüber übersehen, daß auch eine große Macht wie die Vereinigten Staaten ihre Sorgen und Probleme hat, für die sie bei ihren Verbündeten Verständnis und, wo dies möglich ist, Unterstützung erwartet. Fast wider ihren Willen ist diese mächtige Nation nach dem letzten Krieg in eine Lage geraten, die sie in allen Kontinenten engagiert. Wir sollten dies nicht vergessen und uns überlegen, wie wir zu unserem Teil an der Bewahrung des Weltfriedens entschiedener als bisher Mitverantwortung übernehmen können.
Freilich muß sich jedes europäische Land, das dazu entschlossen ist, eingestehen, daß seine eigenen Kräfte begrenzt sind und daß die europäischen Völker einen viel stärkeren Beitrag für den Frieden in der Welt und die Wohlfahrt der Völker leisten könnten, wenn sie ihre Kräfte miteinander verbänden.
Wir sind daher davon überzeugt, daß die wirtschaftliche und politische Einigung Europas ebenso im Interesse der europäischen Völker wie in dem der Vereinigten Staaten liegt, und ich wage die Hoffnung auszusprechen, daß eines Tages auch die Sowjetunion in einem solchen einigen Europa ein wesentliches Element der Friedensordnung in unserer Welt erblicken wird. Das mag manchem als eine zu kühne Hoffnung erscheinen. Aber die Größe der Aufgabe verlangt von uns, daß wir den Mut haben, über die aktuellen Sorgen und Probleme hinaus eine zukünftige Friedensordnung auf diesem Planeten vorauszudenken.
Wir wollen aber den Willen zur Einigung Europas nicht als Vorwand dafür benützen, das, was uns jetzt zu tun möglich ist, zu unterlassen. Daher ist diese Regierung entschlossen, in einer der Kraft und den Möglichkeiten unseres Volks angemessenen Weise ihren Beitrag für einen gerechten und dauerhaften Frieden zu leisten.
Die bestehenden europäischen Gemeinschaften, welche die vorangegangenen Regierungen der Bundesrepublik mit beständiger Energie gefördert haben, haben große Fortschritte erzielt. Wir werden auf den konsequenten Ausbau der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ihrer Institutionen hinwirken. Die Gemeinschaft der Sechs soll allen europäischen Staaten offenstehen, die sich zu ihren Zielen bekennen. Besonders würden wir eine Teilnahme Großbritanniens und anderer EFTA-Länder an den europäischen Gemeinschaften begrüßen.
Wir wünschen, unsere Beziehungen zu Großbritannien fortschreitend zu entwickeln und zu vertiefen. Wir werden die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Italien fortsetzen. Dies gilt gleichermassen für die Niederlande, Belgien und Luxemburg. Diese Regierung wird entschieden darauf drängen, daß gleichzeitig mit der inneren Entwicklung des Gemeinsamen Marktes eine weltoffene Handelspolitik betrieben wird. Sie wird sich daher mit Nachdruck für einen erfolgreichen Abschluß der Kennedy-Runde einsetzen.
Meine Damen und Herren, die entscheidende Rolle für die Zukunft Europas fällt der Entwicklung des deutsch-französischen Verhältnisses zu.
Die vom Osten und Westen erhoffte europäische Friedensordnung ist ohne ein enges und vertrauensvolles Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich nicht denkbar. Weitblickende Staatsmänner in unseren Nachbarländern, in den Vereinigten Staaten und in der Sowjetunion haben diese elementare Tatsache, wenn auch unter verschiedenen Gesichtspunkten, erkannt.
In ihrer Haltung gegenüber Frankreich läßt sich die Bundesregierung von folgenden Erwägungen leiten:
Erstens. Aus den Fakten der europäischen Geographie und aus der Bilanz der Geschichte unseres Kontinents ergibt sich unter den Bedingungen der Gegenwart ein besonders hohes Maß an Übereinstimmung der Interessen unserer beiden Völker und Länder.
Zweitens. Gemeinsam mit Frankreich, dem ältesten Verbündeten Amerikas in Europa, halten wir ein solides Bündnis zwischen den freien, sich einigenden Nationen Europas und den Vereinigten Staaten von Amerika für unerläßlich, wie immer auch die Struktur dieses Bündnisses angesichts einer gewandelten Welt künftig gestaltet werden wird. Wir weigern uns, uns eine falsche und gefährliche Alternative der Wahl aufreden zu lassen.
Drittens. Mit Frankreich treten wir ein für die Wiederherstellung der historisch gewachsenen europäischen Völkerfamilie, ein Ziel, das die Beendigung der geschichtswidrigen und unnatürlichen Zerreißung unseres Volkes einschließt.
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Viertens. Die deutsch-französische Zusammenarbeit, die wir wünschen, richtet sich gegen kein anderes Volk und Land. Sie ist vielmehr Kristallisationspunkt einer Politik, die sich die Einigung Europas zum Ziel gesetzt hat. Sie ist unerläßlich, wenn Europa ein mitverantwortlicher Partner werden soll. Jenes Europa, das „mit einer Stimme" spricht, wie es amerikanische Staatsmänner forderten, setzt eine ständig wachsende Übereinstimmung der deutschen und der französischen Politik voraus. Europa kann nur mit Frankreich und Deutschland, nicht ohne oder gar gegen eines der beiden Länder, gebaut werden. Worauf es nun ankommt, sind praktische Schritte auf dem Wege zur Einigung, nicht die unnachgiebige Verfolgung von idealen Vorstellungen.
Das Wünschenswerte, meine Damen und Herren, darf das Mögliche nicht verhindern.
Fünftens. Für die Verbesserung des Verhältnisses zu den osteuropäischen Nachbarn ist eine deutschfranzösische Zusammenarbeit auf möglichst vielen Gebieten von größtem Wert.
Sechstens. Aus allen diesen Gründen wünscht die Bundesregierung, die im deutsch-französischen Vertrag vom 22. Januar 1963 enthaltenen Chancen zur Koordinierung der Politik beider Länder so konkret wie möglich zu nützen. Sie wird dafür Vorschläge unterbreiten.
Die besonderen Gegebenheiten unserer beiden Nationen werden auch in Zukunft in manchen Fragen Unterschiede von Interessen und Meinungen aufweisen. Die Bundesregierung ist jedoch überzeugt, daß solche Probleme geringer wiegen als die für das Schicksal unserer beiden Völker und Europas gebieterische Notwendigkeit zu einer immer weitere Bereiche umfassenden wirtschaftlichen, technologischen kulturellen, militärischen und politischen Zusammenarbeit.
Wir sind unseren Verbündeten dafür dankbar, daß sie unseren Standpunkt in der Frage unseres geteilten Volkes und seines Rechtes auf Selbstbestimmung unterstützen. Die politischen Gegebenheiten haben die Wiedervereinigung unseres Volkes bisher verhindert. Und noch ist nicht abzusehen, wann sie gelingen wird. Auch in dieser für unser Volk so . entscheidend wichtigen Frage geht es uns um Frieden und Verständigung. Wir sind keine leichtfertigen Unruhestifter, denn wir wollen ja gerade den Unruheherd der deutschen Teilung, die ja auch eine europäische Teilung ist, durch friedliche Verständigung beseitigen und unserem Volk seinen Frieden mit sich und mit der Welt wiedergeben. Auch diese Bundesregierung betrachtet sich als die einzige deutsche Regierung, die frei, rechtmäßig und demokratisch gewählt und daher berechtigt ist, für das ganze deutsche Volk zu sprechen.
Das bedeutet nicht, daß wir unsere Landsleute im anderen Teil Deutschlands, die sich nicht frei entscheiden können, bevormunden wollen. Wir wollen, soviel an uns liegt, verhindern, daß die beiden Teile unseres Volkes sich während der Trennung auseinanderleben.
Wir wollen entkrampfen und nicht verhärten, Gräben überwinden und nicht vertiefen. Deshalb wollen wir die menschlichen, wirtschaftlichen und geistigen Beziehungen mit unseren Landsleuten im anderen Teil Deutschlands mit allen Kräften fördern. Wo dazu die Aufnahme von Kontakten zwischen Behörden der Bundesrepublik und solchen im anderen Teil Deutschlands notwendig ist, bedeutet dies keine Anerkennung eines zweiten deutschen Staates. Wir werden diese Kontakte von Fall zu Fall so handhaben, daß in der Weltmeinung nicht der Eindruck erweckt werden kann, als rückten wir von unserem Rechtsstandpunkt ab.
Die Bundesregierung ist um - die Ausweitung des innerdeutschen Handels, der kein Außenhandel ist, bemüht. Sie wird dabei auch eine Erweiterung von Kreditmöglichkeiten anstreben und gewisse organisatorische Maßnahmen zur Verstärkung der innerdeutschen Kontakte ins Auge fassen.
Die Bundesregierung wird alles tun, um die Zugehörigkeit Berlins zur Bundesrepublik zu erhalten, und gemeinsam mit dem Senat und den Schutzmächten prüfen, wie die Wirtschaft Berlins und seine Stellung in unserem Rechtsgefüge gefestigt werden können.
Wir wollen, was zum Wohl der Menschen im gespaltenen Deutschland möglich ist, tun und, was notwendig ist, möglich machen.
In unserer auswärtigen Politik werden wir alle traditionellen guten Beziehungen, die uns mit vielen Völkern der Erde verbinden, bewahren und vertiefen.
Seit dem Ende des letzten Krieges sind in Asien und Afrika viele neue Staaten entstanden, die nun um ihre innere Ordnung und um ihre wirtschaftliche Konsolidierung ringen. Das deutsche Volk, insbesondere seine Jugend, verfolgt diese Entwicklung mit lebhafter Anteilnahme und Sympathie. Unsere Politik, die sich für einen gerechten und dauerhaften Frieden in der Welt verantwortlich weiß, muß diese Völker beim Aufbau ihres wirtschaftlichen und staatlichen Lebens im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach besten Kräften unterstützen. Das gilt auch für die Länder Lateinamerikas. Wir erinnern uns dabei an die große Hilfe, die wir selbst und andere europäische Länder nach dem letzten Weltkrieg durch den Marshallplan erhalten haben.
Mit zehn arabischen Staaten haben wir zur Zeit bedauerlicherweise keine diplomatischen Beziehungen. Wir vertrauen aber darauf, daß die traditionell gute Zusammenarbeit im beiderseitigen Interesse bald wieder aufgenommen und fortentwickelt werden kann.
Unter Mißbrauch des Namens unseres Volkes sind gegen jüdische Menschen grauenhafte Verbre-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 80. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 13. Dezember 1966 3665
Bundeskanzler Dr. h. c. Kiesinger
chen begangen worden. Diese gestalteten unser Verhältnis zu Israel problematisch und schwierig. Es wurde durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen verbessert und gefördert. Die Bundesregierung wird auf diesem Wege fortschreiten.
Die Regierungserklärung hat dauf verzichtet, in der bisher üblichen Weise die ganze Breite der politischen Aufgaben aufzufächern. Sie wollte Neues sagen, wo jetzt Neues zu sagen und zu wagen ist: in der Finanzpolitik, der Wirtschaftspolitik, der Außenpolitik und der Deutschlandpolitik. Es ist nicht die Erklärung einer Regierung, die aus einem glänzenden Wahlsieg, sondern aus einer von unserem Volk mit tiefer Sorge verfolgten Krise hervorging. Aber gerade diese Tatsache verleiht ihr ihre Kraft: zu entscheiden, was entschieden werden muß, ohne Rücksicht auf ein anderes Interesse als das des gemeinen Wohls oder, ich sage es, der Nation und des Vaterlandes.
Dies ist nicht die Geburtsstunde eines neuen Nationalismus in Deutschland, nicht in dieser Regierung, nicht in diesem Hohen Hause, nicht in unserem Volk! Auch bei den letzten Landtagswahlen hat sich die überwältigende Mehrheit der Wähler — in Hessen 92,1 %, in Bayern 92,6 % — zu den demokratischen Parteien bekannt, die während der beiden letzten Jahrzehnte den Aufbau eines demokratischen Staates und die Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die europäische, die westliche Völkerfamilie vollzogen haben, deren Ideale und deren politisches Ethos wir teilen.
Wenn wir unser Volk von unserem redlichen Willen durch Wort und Tat überzeugen, wenn wir auch den Stil unseres politischen Lebens von dem Verdacht des Interessenschachers oder des ehrgeizigen Ränkespiels befreien, wenn wir ohne Arroganz, aber mit Würde die Sache unseres Volkes vor der Welt vertreten, wenn wir, wie wir es beschworen haben, unsere Kraft dem deutschen Volke widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, unsere Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegenüber jedermann üben werden, dann wird dieses Volk in der Bundesrepublik, vor allem seine Jugend, und einmal das ganze deutsche Volk seinem freien demokratischen Staat vertrauen und zu ihm stehen in Glück und Not.
Meine Damen und Herren, die Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung findet vereinbarungsgemäß am Donnerstag, dem 15. Dezember 1966, statt.
Ich teile mit, daß die Sitzung des Ältestenrats heute erst um 13 Uhr stattfindet.
Die nächste Plenarsitzung findet am Mittwoch, dem 14. Dezember 1966, 14.30 Uhr statt.
Die Sitzung ist geschlossen.