Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich einiges bekanntzugeben und zunächst einige Glückwünsche auszusprechen.
Am 10. Dezember hat Kollege Wittmer-Eigenbrodt seinen 71. Geburtstag gefeiert,
einen Tag später der Abgeordnete Nieberg seinen 73. Geburtstag.
Wir wünschen beiden Kollegen Glück, Gesundheit und Kraft zu weiterem Wirken.
Erlauben Sie mir, daß ich heute noch eines weiteren Geburtstagskindes gedenke, das unserem Hause nicht mehr angehört, aber ihm angehört hat, und das die Möglichkeiten des deutschen Parlamentarismus dieser Zeit in einem Maße vorgeprägt hat wie wenig andere: des 85. Geburtstages von Paul Löbe,
des langjährigen Präsidenten des Deutschen Reichstages, der auch dem Parlamentarischen Rat angehört und dort sehr viel zur Ausformung des Grundgesetzes in seiner heutigen Gestalt beigetragen hat. Es gibt in der ganzen politischen Welt Deutschlands keinen einzigen Menschen, der Paul Löbe jemals Feind gewesen sein könnte. Denn dieser Mann hat sich in all seinem Wirken im Hause und außerhalb -des Hauses immer durch Menschlichkeit und durch Rechtlichkeit ausgezeichnet, durch Wissen um die politischen und — was mir wichtig erscheint — auch um die menschlichen Dinge. Dem verdankt er das hohe Ansehen, das er in unserem Volke und das er — das kann ich aus eigenem Wissen sagen — auch außerhalb der Grenzen unseres Landes genießt. Ich glaube, daß wir alle miteinander diesem Manne gegenüber in einer Dankesschuld stehen. Denn wenn unser Bundestag trotz der schwierigen Umstände seiner Entstehung im Grunde doch sich recht gut gemacht hat, dann verdanken wir das weitgehend Paul Löbe, den Ratschlägen, die er erteilte, und dem stillen Beispiel, das er gab, wenn er in unserer Mitte saß.
Ich glaube in Ihrer aller Namen zu sprechen, wenn ich Paul Löbe die herzlichsten Glückwünsche zu seinem 85. Geburtstag ausspreche.
Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Brüns ist mit Wirkung vom 12. Dezember 1960 der Abgeordnete Rommerskirchen in den Bundestag eingetreten. Ich begrüße ihn als neues Mitglied des Hauses und wünsche ihm eine gute Zusammenarbeit mit uns allen, die wir hier versammelt sind.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um die
erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU eingebrachten. Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes
und um die
erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Neuordnung der Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen .
Es ist weiter interfraktionell vereinbart, die erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes heute und die zweite und dritte Beratung am Freitag vorzunehmen. Ich entnehme dieser Vereinbarung — und ich hoffe, mich nicht zu täuschen —, daß in der ersten Beratung wohl auf eine Aussprache verzichtet wird.
Die erste Beratung des Gesetzentwurfs zur Ergänzung des Gesetzes zur Neuordnung der Pensionskasse Deutscher Eisenbahnen und Straßenbahnen soll am Freitag stattfinden.
Nach einer weiteren interfraktionellen Vereinbarung ist Punkt 19 der gedruckten Tagesordnung abgesetzt worden. Der Ältestenrat war der Meinung, daß man Dinge aus dem Jahre 1956 auch im Januar 1961 behandeln könne.
Die Tagesordnung wird nach interfraktioneller Vereinbarung wie folgt abgewickelt werden: Punkt 1 —Fragestunde —, Punkt 3 — Zuständigkeiten in der Luftverkehrsverwaltung —, Punkt 4 — Maßnahmen auf dem Gebiet des Notarrechts —, Punkt 5 — Statistik der Wirtschaftsrechnungen privater Haus-
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Vizepräsident Dr. Schmid
halte —, Punkt 6 — Änderung des Einkommensteuergesetzes —, Punkt 13 — Gemeindefinanzen —, Punkt 14 — Änderung des Lastenausgleichsgesetzes —, Punkt 2 — Petitionen —; dann soll versucht werden, die Punkte 7 bis 12 und 15 ff zu erledigen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 9. Dezember 1960 die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP betr. wirtschaftsfördernde Maßnahmen nach § 85 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes — Drucksache 2222 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache 2309 verteilt.
Der Herr Bundesminister tür Arbeit und Sozialordnung hat unter dem 13. Dezember 1960 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bach, Wilhelm und Fraktion der SPD betr. Unfallrentner an der Saar — Drucksache 2099 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache 2316 verteilt.
Ich rufe Punkt 1 auf:
Fragestunde ,
Die Frage VI/ 2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Atzenroth — soll vorgezogen werden. Sie fällt in den Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes:
Billigt es der Herr Bundesverteidigungsminister, daß einzelne Truppenteile Ausflüge von Behördenvertretern nach Paris aus Mitteln des Verteidigungshaushalts finanzieren?
Zur Beantwortung hat Herr Staatssekretär von Eckardt das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Mamen und Herren! Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Verteidigung beantworte ich die Frage des Herrn
Abgeordneten Dr. Atzenroth wie folgt: Aus dem Verteidigungshaushalt stehen dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung in Kap. 04 03 Tit. 309 Mittel für die Offentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen zur Verfügung. Aus diesen Mitteln werden unter anderem auch Zuschüsse für Informationsreisen zur NATO in Paris gegeben. Diese Reisen erfolgen im Einvernehmen mit der, NATO, bei der auch die Programmgestaltung liegt. Anregungen zu solchen Reisen sind zuweilen auch von Presseoffizieren einzelner Truppenteile ausgegangen.
Eine Zusatzfrage! Herr Staatssekretär, befürchten Sie nicht, daß diese Einrichtung mißbraucht werden könnte und daß kluge Leute billige Reisen nach Pads unter dem Vorwand einrichten, die NATO zu besichtigen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte, Herr Abgeordneter, nicht sagen, daß ich das befürchte. Aber ich möchte sagen, es ist nicht völlig auszuschließen, daß auch einmal ein solches Motiv bei dem Antrag auf Bewilligung einer solchen Reise eine Rolle spielt.
Ich möchte aber, wenn Sie es mir erlauben, dazu zwei Bemerkungen machen. Einmal: Bei meinem Amt lagen und liegen von mehr als der Hälfte der Abgeordneten des Hohen Hauses, und zwar quer durch alle Fraktionen, Anträge zu solchen Reisen vor.
Zum zweiten darf ich bemerken, daß heute vormittag der Verteidigungsausschuß diese Frage sehr gründlich beraten hat und einmütig der Auffassung war, daß in der bisherigen Form in dieser Aktion fortgefahren werden soll. Diese Form hat man sehr eingehend beraten; man hat die Programmgestaltung und das Verfahren erörtert, wie die Auswahl getroffen werden soll.
Eine weitere Zusatzfrage! Herr Staatssekretär, beabsichtigten Sie, solche oder ähnliche Einrichtungen der Öffentlichkeitsarbeit auch zur Förderung der Ziele anderer Ministerien zu schaffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist ein weites Gebiet, nach dem Sie mich fragen. Wir haben von Zeit zu Zeit vom Bundespresseamt aus Einladungen nach Bonn ausgesprochen, um Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus den einzelnen Ländern mit der Arbeit, die hier in Bonn sowohl in .den Ministerien wie im Parlament geleistet wird, vertraut zu machen. Reisen dieser Art ins Ausland haben wir nicht organisiert.
Ich rufe auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, und zwar zunächst die Frage I/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Treffen die Pressemeldungen zu, nach denen die Bundesregierung sich an einer Anleihe für Jugoslawien direkt oder indirekt beteiligen will, obwohl sie die diplomatischen Beziehungen zu Jugoslawien abgebrochen hat?
Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Dr. Carstens!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut darf ich wie folgt beantworten:
Pressemeldungen, nach denen die Bundesregierung sich an einer Anleihe für Jugoslawien direkt oder indirekt beteiligen will, treffen nicht zu. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, Jugoslawien einen Kredit zu gewähren.
Die Frage ist beantwortet. Frage I/2 — des Abgeordneten Dr. Imle —. Bitte, Herr Staatssekretär.
Welche Voraussetzungen müssen bei Bewerbern bei der Einstellung als Sozialattaché vorliegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Imle darf ich wie folgt beantworten. Die Bewerber für eine Einstellung als Sozialattaché im auswärtigen Dienst sollen die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
Sie sollen ebenso wie die sie begleitenden Familienangehörigen voll tropentauglich sein. Sie sollen in der Regel die Amtssprache des Empfangsstaates beherrschen und gute Kenntnisse der Arbeits- und Sozialgesetzgebung besitzen. Neu in den öffentlichen Dienst zu übernehmende Bewerber sollen ein abgeschlossenes Hochschulstudium oder eine gleichwertige Ausbildung aufweisen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7753
Eine Zusatzfrage.
Nach welchen Besoldungsgrundsätzen erfolgt die Einstellung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Einstellung erfolgt entweder als Angestellter oder durch Übernahme in das Beamtenverhältnis, im ersteren Fall nach TO .A III, im letzteren Fall nach der Besoldungsgruppe A 13.
Frage I/3 — des Abgeordneten Dr. Imle:
Welche Absichten bestehen bei der Bundesregierung hinsichtlich der Entsendung von Sozialattachés in die Entwicklungsländer?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Absichten der Bundesregierung in bezug auf die Entsendung von Sozialattachés in die Entwicklungsländer darf ich wie folgt bekanntgeben:
Die Bundesregierung beabsichtigt — vorbehaltlich der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes —, im Haushaltsjahr 1961 den Botschaften in Accra , in Buenos Aires, in Dakar, in Lagos, in Jaunde und in New Delhi Sozialattachés zuzuteilen.
Eine Zusatzfrage.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Deutsche Gewerkschaftsbund für sich das ausschließliche Vorschlagsrecht für die Besetzung solcher Sozialattachéstellen in Anspruch nimmt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Derartige Ansprüche sind an die Bundesregierung nicht gestellt worden.
Und wenn sie gestellt werden, wie wird die Bundesregierung dann verfahren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung würde derartigen Ansprüchen nicht entsprechen.
Die Frage ist beantwortet. Frage I/4 — des Abgeordneten Dr. Bucher —:
Gedenkt die Bundesregierung die Frage der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Jugoslawien in absehbarer Zeit einer erneuten Prüfung zu unterziehen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher über die Frage der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Jugoslawien wie folgt beantworten:
Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung der jugoslawischen Außenpolitik laufend auch unter dem Gesichtspunkt, ob sich Ansätze zeigen, die eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Jugoslawien möglich erscheinen lassen. Solche Ansatzpunkte haben sich jedoch bisher nicht ergeben.
Die Frage ist beantwortet. Nun die Frage I/5 — des Abgeordneten Dr. Bucher —, verbunden mit den Fragen I/1 und I/2 — der Abgeordneten Schneider und Hansing — aus Drucksache 2311. Diese drei Fragen betreffen denselben Fall. Sind die Fragesteller einverstanden, daß sie zusammen beantwortet werden? — Das ist der Fall.
Was gedenkt die Bundesregierung nach der erneuten Aufbringung eines deutschen Frachtschiffs Weißesee durch französische Schiffe zu unternehmen?
Ist die Bundesregierung bereit, nach den wiederholten Übergriffen französischer Seestreitkräfte gegenüber deutschen Handelsschiffen nunmehr mit allem Nachdruck die französische Regierung aufzufordern, unverzüglich dafür zu sorgen, daß derartige eindeutig völkerrechtswidrige Übergriffe künftig unterbleiben?
Ist der Bundesregierung bekannt, ob in den letzten Monaten Handelsschiffe anderer Länder, die Mitglied der EWG oder der NATO sind, entgegen allen Regeln des Völkerrechts — ähnlich wie der deutsche Frachter Morsum und das deutsche Motorschiff „Weißesee" — von französischen Kriegsschiffen aufgebracht und durchsucht wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Die Fragen beziehen sich sämtlich auf die Aufbringung deutscher Schiffe durch französische Streitkräfte.
Ich darf zunächst auf die Frage antworten, was die Bundesregierung nach Aufbringung des deutschen Frachtschiffs „Weißesee" durch französische Streitkräfte zu tun gedenkt, und darf die Frage wie folgt beantworten:
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Aufbringung des Motorschiffs „Weißesee" hat die Botschaft in Paris im Auftrage der Bundesregierung bei der französischen Regierung Protest erhoben und die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen angekündigt. Das Schiff „Weißesee" wurde inzwischen von den französischen Behörden freigegeben und hat seine Fahrt fortgesetzt.
Darüber hinaus haben der Herr Bundesminister des Auswärtigen und die beiden Staatssekretäre des Auswärtigen Amts in Erklärungen gegenüber dem französischen Botschafter eindringlich darauf hingewiesen, daß die Aufbringung deutscher Schiffe im Widerspruch zu den Regeln des Völkerrechts stehe, und haben verlangt, daß derartige Vorkommnisse in Zukunft unterbleiben.
Ich darf diese Gelegenheit benutzen, um auf einen weiteren Gesichtspunkt hinzuweisen. Die Bundesregierung hat sich zur Vermeidung derartiger Vorkommnisse in der Zukunft der französischen Regierung gegenüber bereit erklärt, mit ihr zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, daß die unerlaubte Ausfuhr oder der unerlaubte Transport von Waffen und Kriegsmaterial in Zukunft gar nicht zustande kommen kann. Dabei ergibt sich aber eine Schwierigkeit, die darin besteht, daß wegen des Fehlens der gesetzlichen . Ausführungsbestimmungen zu Art. 26 des Grundgesetzes die deutschen Behörden bisher nicht in ausreichendem Maße in der Lage sind, die Ausfuhr oder den Transport von Waffen und anderem Kriegsmaterial zu kontrollieren oder gegen Mißbräuche einzuschreiten. Die entsprechenden Bestimmungen sind in Entwürfen des Außenwirtschaftsgesetzes und des Kriegswaffengesetzes enthalten, die beide dem Hohen Hause vorliegen.
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Staatssekretär Dr. Carstens
Ich darf namens der Bundesregierung die dringende Bitte um baldige Verabschiedung beider Gesetzentwürfe aussprechen.
Eine Zusatzfrage? — Zunächst Abgeordneter Dr. Bucher!
Hat die Bundesregierung auch darauf hingewiesen, daß es besonders befremdlich ist, daß bis jetzt von französischer Seite fast nur Schiffe befreundeter Nationen in dieser Weise aufgebracht worden sind?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat darauf hingewiesen, daß es besonders bedauerlich sei, daß in den letzten Wochen mehrere deutsche Schiffe aufgebracht worden sind. Es sind allerdings — wenn ich das in Beantwortung Ihrer Frage hinzufügen darf auch Schiffe anderer Nationen aufgebracht worden.
Herr Abgeordneter Schneider !
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob die französische Regierung auch bei anderen Schiffen ähnliche Durchsuchungen hat vornehmen lassen, und wäre die Bundesregierung gegebenenfalls bereit, auf die anderen verbündeten Nationen einzuwirken, daß sie
3) sich ähnlichen Bestimmungen bezüglich der Waffenausfuhr unterwerfen, wie wir das jetzt zu tun uns anschicken?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bestimmungen, die die Bundesregierung in ihren Entwürfen für das Kriegswaffengesetz und das Außenwirtschaftsgesetz dem Hohen Hause vorgelegt hat, haben Parallelen in nahezu allen anderen Staaten der Welt, d. h. nahezu alle anderen Staaten der Welt verfügen über die gesetzlichen Grundlagen, die die Bundesregierung jetzt von dem Hohen Hause erbeten hat.
Ich danke Ihnen.
Herr Abgeordneter Müller-Hermann zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, war bei den etwa 16 oder 17 Schiffsaufbringungen während der letzten Zeit — außer dem bekanntgewordenen Fall „Las Palmas" — irgendein Anhaltspunkt dafür gegeben, daß tatsächlich Kriegsmaterial befördert wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Fall, bei dem eine unerlaubte Verwendung von Kriegsmaterial als möglich erscheinen mußte, ist in der Tat der von Ihnen erwähnte Fall.
Das heißt mit anderen Worten, daß bei den letzten Schiffsaufbringungen kein Anhaltspunkt gegeben war, daß irgendeine sachliche Berechtigung dafür vorgelegen hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei den letzten Schiffsaufbringungen bestand kein Anhaltspunkt dafür, daß Kriegsmaterial oder Waffen zu einem unerlaubten Zweck benutzt werden sollen.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, seit 1957 haben die französischen Streitkräfte 13 deutsche Handelsschiffe aufgebracht.
— Ich komme gleich zu meiner Frage. Ist in allen 13 Fällen seitens der Bundesregierung Protest bei der französischen Regierung eingelegt worden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat in jedem zu ihrer Kenntnis gelangten Fall der völkerrechtswidrigen Aufbringung eines deutschen Schiffes durch französische Streitkräfte entsprechende Schritte unternommen, u. a. einen Protest bei der französischen Regierung erhoben.
Eine weitere Zusatzfrage!
Hansing {SPD) : Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, nachdem die französische Regierung unseren scharfen Protesten gegenüber nicht nachkommt, mit den Körperschaften der EWG und der NATO dahin gehend zu wirken, daß dieses Verhalten als völkerrechtswidrig bezeichnet wird und daß die französische Regierung diese Umtriebe unterläßt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung möchte die Frage in einer positiven Weise lösen, und zwar dadurch, daß sie in Zusammenarbeit mit der französischen Regierung ein Verfahren sicherstellt, das die unerlaubte Ausfuhr von Waffen und Kriegsmaterial aus der Bundesrepublik von vornherein unterbindet. Dazu ist aber, wie ich eben gesagt habe, die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen eine wesentliche Voraussetzung.
Abg. SchmittVockenhausen!
Herr Staatssekretär, sind Sie sich bewußt, daß Ihre Bitte um baldige Verabschiedung des Waffengesetzes dadurch einen bitteren Beigeschmack bekommt, daß die Bundesregierung über zehn Jahre gebraucht hat, um diesen Entwurf vorzulegen?
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7755
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich finde, daß der bittere Beigeschmack meiner Bemerkungen dadurch weitgehend aufgehoben wird, daß der Gesetzentwurf dem Hohen Hause inzwischen seit zehn Monaten vorliegt.
Herr Abgeordneter Blachstein zu einer Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, bedeutet Ihre Bemerkung über die Waffenlieferung einen Boykott gegenüber der algerischen provisorischen Regierung?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist die ständige Politik der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um zu verhindern, daß Waffen in Gebiete internationaler Spannung geliefert werden.
Herr Abgeordneter Mommer zu einer Zusatzfrage!
Wie erklärt sich die Bundesregierung, daß ein Dutzend Proteste von der französischen Regierung zur Kenntnis genommen, aber nicht beachtet worden sind, daß sie jedenfalls nicht zu Konsequenzen — Unterlassung solcher völkerrechtswidriger Akte — geführt haben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine teilweise Erklärung dieser Tatsache, Herr Abgeordneter, ist darin zu finden, daß die Bundesregierung bisher nicht in der Lage gewesen ist, die Herstellung und Lieferung von Waffen und den Transport von Waffen und Kriegsmaterial in Deutschland und von Deutschland aus in ausreichendem Umfang zu überwachen.
Herr Abgeordneter Schneider !
Herr Staatssekretär, bestehen bei der Bundesregierung Vermutungen oder sogar begründete Vermutungen darüber, weshalb sich das Interesse der französischen Seestreitkräfte ausgerechnet auf die aufgebrachten Schiffe konzentrierte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darüber hat die Bundesregierung keine Vermutungen, Herr Abgeordneter.
Sind ihr auch keine Tatsachen bekannt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auch keine Tatsachen.
Herr Abgeordneter Heye!
Ist der Bundesregierung bekannt, ob die französische Regierung auch Schiffe aufgebracht hat, die im allgemeinen unter Staatsflagge fahren wie, soviel ich weiß, die gesamte sowjetische Handelsmarine, und bedeutet es nicht eine Erschwerung der Verhinderung weiterer Völkerrechtsbrüche, wenn man ,die deutschen Schiffe, die in diesen fraglichen Gebieten fahren, zeitweise unter Bundesdienstflagge, eventuell mit einem staatlichen Superkargo fahren läßt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die von Ihnen gestellte Frage wirft so schwierige Probleme auf, daß ich sie zu einem späteren Zeitpunkt beantworten möchte. Ich bitte um Ihr Einverständnis.
Herr Abgeordneter Bucher!
Herr Staatssekretär, Sie legten großen Wert darauf, daß deutsche Schiffe keine Kriegswaffen befördern. Ich teile diese Ansicht. Ist es aber nicht so, daß ein Schiff in friedlichen Zeiten auf hoher See nur dann aufgebracht werden darf, wenn Verdacht besteht, es betreibe Seeräuberei oder Sklavenhandel?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich habe in meinen Ausführungen keinen Zweifel darüber gelassen, daß die Bundesregierung die Aufbringung dieser Schiffe auf hoher See als nicht mit den Regeln des Völkerrechts im Einklang stehend ansieht.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Ich rufe auf zunächst Frage II/ 1 — ,des Abgeordneten Werner —:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, daß die bisher bei Tbc-Untersuchungen angewandte Methode genügend Sicherheit für eine Diagnose bietet?
Zur Beantwortung der Herr Bundesminister des Innern.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage ist zu bejahen. Ergeben sich bei den TbcUntersuchungen Verdachtsmomente, so ist der untersuchende Arzt gehalten, weitere Untersuchungen, z. B. Schichtaufnahmen und Blutuntersuchungen zum sicheren Ausschluß von Erkrankungen zu veranlassen. Daneben wird erforderlichenfalls eine stationäre Beobachtung durchgeführt.
Eine Zusatzfrage!
7756 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Lehrer, insbesondere der Philologenverband Niedersachsen, sich wegen der Strahlungsschäden gegen diese jährliche Untersuchung wenden, und glaubt nicht auch die Bundesregierung, daß es besser wäre, statt Schirmbildaufnahmen Großformataufnahmen zu machen, die eine geringere Strahlungsbelastung bewirken als Schirmbildaufnahmen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte darauf folgendes erwidern. Zunächst einmal gehört ja die ganze Frage auch in die Kompetenz derjenigen, die für die Anstellung der Lehrer usw. auf Landesebene zuständig sind. Im übrigen sind es Fragen medizinischer Art, die ich hier ohne weitere gutachtliche Äußerungen nicht so schlankweg beantworten möchte.
Eine weitere Zusatzfrage!
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es ein Gutachten von Professor Dr. Witte, Göttingen, über derartige Untersuchungen gibt, das auch an das Verwaltungsgericht Lüneburg geliefert worden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich habe den Eindruck, daß wir im Begriff sind, eine Debatte zu führen, die besser in den Niedersächsischen Landtag passen würde.
Ich rufe auf die Frage II /2 — des Abgeordneten Werner —:
Sieht die Bundesregierung nach der Erkrankung an Tbc- durch Ansteckung einer größeren Anzahl von Schülern in Bonn und in Hannover Möglichkeiten, Lehrpersonal bei Reihenuntersuchungen besonders sorgfältig prüfen zu lassen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet wie folgt:
Die Vorschriften über eine regelmäßige röntgenologische Lungenuntersuchung von Lehrpersonen und anderen Schulbediensteten sind in den Ländern unterschiedlich. Im allgemeinen wird dieser Personenkreis einmal jährlich röntgenologisch untersucht.
Ergeben sich dabei Verdachtsmomente, so ist der untersuchende Arzt gehalten, weitere Untersuchungen — z. B. Schichtaufnahmen und Blutuntersuchungen — zum sicheren Ausschluß von Erkrankungen zu veranlassen.
Der dem Bundestag vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen sieht besondere „Vorschriften für Schulen und sonstige Gemeinschaftseinrichtungen" vor. Danach haben Lehrer und Schulbedienstete vor ihrer Einstellung und jährlich einmal durch Vorlage eines Zeugnisses des Gesundheitsamtes nachzuweisen, daß bei ihnen eine ansteckungsfähige Tuberkulose der Atmungsorgane nicht vorliegt. Bei den Wiederholungsuntersuchungen kann der Nachweis auch durch ein sonstiges ärztliches Zeugnis, das sich auf eine Röntgenuntersuchung der Lungen stützt, geführt werden.
Ich rufe auf die Frage II/ 3 — des Abgeordneten Spitzmüller —:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, zu verhindern, daß bei uns unter Schutz stehende Singvögel , die in den Nachbarländern zum jagdbaren Wild gerechnet werden, als Konserven eingeführt und zum Verzehr angeboten werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet folgendermaßen:
Nach den von meinem Hause getroffenen Feststellungen ist die Einfuhr von Konserven aus dem Fleisch von Singvögeln sehr unwahrscheinlich. Rückfragen bei der Lebensmittelwirtschaft haben ergeben, daß derartige Erzeugnisse, wenn es sie überhaupt gibt, auf dem deutschen Markt nicht angeboten werden. Abgesehen hiervon dürfte ein bundesgesetzliches Verbot schon deswegen nicht ausgesprochen werden können, weil sich eine Zuständigkeit des Bundes zur Regelung der Materie nicht begründen läßt.
Eine Zusatzfrage!
Herr Minister, darf ich Sie dann fragen, ob Ihnen nicht bekannt ist, daß zufolge einer Mitteilung der „Stuttgarter Nachrichten" ein Feinkosthaus aus Koblenz in Inseraten Lerchen zum Verkauf anbietet?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich lese die „Stuttgarter Zeitung", aber nicht deren Anzeigenteil, so daß ich zu diesem nichts sagen kann. Aber ich bin gern bereit, einmal zu sehen, was es für eine Bewandtnis mit den Anzeigen, aber auch mit der Lieferfähigkeit hinsichtlich 'des angebotenen Produkts hat. Vielleicht stimmt die Anzeige nicht so ganz.
Eine letzte Zusatzfrage!
Ich darf nur sagen: es handelt sich um die „Stuttgarter Nachrichten" nicht um die „Stuttgarter Zeitung".
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die „Stuttgarter Nachrichten" und die „Stuttgarter Zeitung" gehören zu meinem täglichen Brot.
Ich rufe auf die Frage II/ 4 — der Abgeordneten Frau Dr. DiemerNicolaus —:
Welche Konsequenzen beabsichtigt die Bundesregierung aus den Pressemeldungen im Zusammenhang mit dem Landesyerratsprozeß gegen den Hilfsamtsboten Willi Knipp zu ziehen, in denen die Sicherheitsbestimmungen im Bundesministerium des Innern als „skandalös" bezeichnet werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet wie folgt:
Die Pressemeldungen, die zu dieser Anfrage geführt haben, sind unrichtig Sie haben in der Hauptverhandlung gegen die Landesverräter Knipp und Paul keine Stütze gefunden. Der Vorsitzende des Senats hat vielmehr bei der mündlichen Urteils-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7757
Bundesinnenminister Dr. Schröder
begründung erklärt, daß kein Anlaß zu einem Vorwurf mangelnder Sorgfalt oder mangelnder Dienstaufsicht gegen das Bundesministerium des Innern bestehe. Die Bundesregierung hat jedoch die ungewöhnliche verbrecherische Energie und Dreistigkeit, mit der nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs Knipp und Paul vorgegangen sind, zum Anlaß genommen, die bestehenden Sicherheitsvorschriften weiter zu verschärfen.
Zusatzfrage!
Herr Minister, wieso hat es dann viereinhalb Jahre gedauert, bis überhaupt diese Vorfälle aufgedeckt wurden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt Verbrechen, die nie aufgedeckt werden!
Die letzte Zusatzfrage!
Sie sind der Auffassung, daß vorher nichts versäumt wurde. Warum wurden dann jetzt die Sicherheitsmaßnahmen geändert? Ist es richtig, daß ein Vertreter der NATO beim Bundesinnenministerium gewesen ist und sich nach dem Stand der Sicherheitsmaßnahmen erkundigt hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf die Fragen nacheinander beantworten. Zu 1): Jede neue Erfahrung gibt Anlaß zu neuen Maßnahmen.
Zu 2): Es ist jemand — wie soll ich sagen: „Beauftragter" paßt nicht ganz; „Interessent" hört sich nicht höflich an — dagewesen, und hat sich für den Stand unserer Abwehrmaßnahmen interessiert. Er ist von uns mit der Einsicht geschieden, daß bei der NATO manches in unserem Sinne zu verbessern wäre.
Zusatzfrage! Herr Dr. Bucher!
Herr Minister, sind Sie nicht der Ansicht, daß zur Kontrolle über die Dienstaufsicht im Bundesinnenministerium der Bundestag berufen ist, nicht aber der Bundesgerichtshof, und daß der Senat seine Befugnisse doch wohl erheblich überschritten hat, wenn er sich außerhalb der Begründung der Strafzumessung zu der Feststellung befugt glaubt, daß die Dienstaufsicht in Ordnung gewesen sei?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Senat hat seine Befugnisse keineswegs überschritten. Ich möchte ihm sogar von dieser Stelle aus ausdrücklich für seine Fairneß danken, daß er von sich aus unrichtige Mitteilungen über den Verlauf einer mündlichen Verhandlung richtiggestellt hat.
Zusatzfrage! Herr Dr. Schäfer.
Herr Minister, darf man davon ausgehen, daß das Personal laufend überwacht und überprüft wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Alle notwendigen Sicherheitsvorkehrungen auf diesem Gebiet umfassen das, wonach Sie fragen.
Danke schön!
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Frage III/1 — des Abgeordneten Bühler —:
Teilt der Herr Bundesfinanzminister die Auffassung der Oberfinanzdirektion Freiburg , daß die Grenzbewohner an der deutsch-schweizerischen Grenze die zollfreie Kaffeemenge von 250 g pro Monat in zwei Rationen von je 125 g einführen müssen, oder ist er bereit, für die Zeit ab 1. Januar 1961 durch Erlaß anzuordnen, daß die jetzige Regelung (250 g auf einmal) weiter bestehenbleibt — eine Lösung, die sich mit Rücksicht auf alte und kränkliche Personen doch dringend empfiehlt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, im Jahre 1945 ist zwischen der Schweiz und der damaligen französischen Besatzungszone ein Abkommen über bestimmte Freimengen für Kaffee und Tee im Kleinen Grenzverkehr geschlossen worden. Die Bundesregierung hat dann später, am 16. Juni 1951, eine entsprechende Verordnung über die abgabefreie Einfuhr von Kaffee und Tee im Kleinen Grenzverkehr an der Schweizer Grenze erlassen. Danach konnten 250 g Kaffee oder 50 g Tee auf einmal oder in fünf Teilmengen abgabenfrei eingeführt werden.
Die Bundesrepublik hat 'dann unter dem 5. Februar 1958 mit der Schweiz ein neues Abkommen über den Grenz- und Durchgangsverkehr geschlossen. Im Art. 11 dieses heute geltenden Grenzabkommens für den Kleinen Grenzverkehr sind die gleichen Freimengen vorgesehen, allerdings mit der Maßgabe, ,daß zweimal monatlich 125 g Kaffee und zweimal 50 g Tee eingeführt werden können. Dieses Abkommen ist am 18. August 1960 vom Deutschen Bundestag mit Gesetzeskraft ratifiziert worden. Dadurch sind wir heute völkerrechtlich gebunden. Es können deshalb nur zweimal monatlich je 125 g Kaffee und 50 g Tee abgabenfrei eingeführt werden.
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Schweizer Zollbeamten bei der Ausfuhr dieser Kleinstmengen überhaupt nicht kontrollieren, daß also die Schweiz anscheinend gar keinen Wert darauf legt, ob diese Kleinstmengen grammweise oder auf einmal im Gewicht von 250 g geholt werden? Und wollen Sie bitte bedenken, daß es eine Belastung sowohl der Zollbeamten wie der Berechtigten ist, wenn sie diesen Weg zweimal im Monat gehen müssen?!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Schweizer Zollbeamten sind an dieser Frage nicht interes-
7758 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Staatssekretär Dr. Hettlage
siert. Es handelt sich um einen Einfuhrzoll auf der deutschen Seite.
Weiter: Bei der Zulassung von einmalig 250 Gramm im Monat ergäbe sich in der Tat eine Verwaltungsvereinfachung. Die Menge ist aber nun einmal völkerrechtlich festgelegt. Dabei ist zweierlei zu bedenken: erstens daß diese Sonderregelung für Freimengen im Kleinen Grenzverkehr nur für die Schweizer Grenze gilt und nicht auch für die übrigen Teile der Bundesgrenze; zweitens daß hierbei auch das Interesse der Einzelhändler auf der deutschen Seite in Betracht.
Nächste Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie dann wenigstens bereit, zuzulassen, daß auch die Angehörigen ermächtigt werden, jeweils diese Kleinstmenge für ihre Familienmitglieder mitzubringen, wenn sie deren Grenzkarte und Kontrollkarte und meinetwegen noch eine zusätzliche schriftliche Ermächtigung vorweisen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden diese Frage gern wohlwollend prüfen.
Eine weitere Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Auffassung, daß durch diese Maßnahmen praktisch nur wieder zum zusätzlichen Kaffeesdimuggel aufgefordert wird und es infolgedessen notwendig wird, daß die Grenzbeamten zusätzliche Kontrollmaßnahmen treffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sagte bereits, Herr Abgeordneter, daß ich die Maßnahme verwaltungstechnisch nicht für zweckmäßig halte. Aber nun ist sie einmal völkerrechtlich verabredet und steht in einem Bundesgesetz.
Letzte Zusatzfrage!
Ist Ihnen auch bekannt, Herr Staatssekretär, daß die Forderung, zweimal 125 Gramm statt einmal 250 Gramm, bei den Verhandlungen nicht von der Schweiz, sondern von der deutschen Seite aus erhoben wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich halte es nicht für unmöglich.
.
Frage III/2 — Abgeordneter Dr. Atzenroth —:
Beabsichtigt der Herr Bundesfinanzminister, den § 53 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz außer Kraft zu setzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Atzenroth, es ist nicht beabsichtigt, die Steuerbegünstigung bei der Umsatzsteuer für Werbungsmittler sowie für Weinkommissionäre und Hopfenkommissionäre zu beseitigen. § 53 Abs. 1 der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz soll unverändert bleiben.
Die Frage ist beantwortet.
Frage III/3 — Abgeordneter Dr. Mommer —:
Wann wird die Bundesregierung — der in der Fragestunde der 120. Sitzung des Bundestages vorn 24. Juni 1960 ausgedrückten Bereitschaft entsprechend — eine Änderung der einkommensteuerlichen Vorschriften vornehmen, so daß eine Nachversteuerung von seiten des Arbeitgebers in aufgerundeten Pfennigbeträgen im Lohnsteuerverfahren nicht mehr notwendig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie hatten in einer früheren Fragestunde gefragt, ob sich die Nachversteuerung bei der Abrundung von Lohnzahlungen nicht vermeiden lasse. Ich mußte Ihnen damals antworten, daß nach dem Einkommensteuergesetz eine solche Steuerbefreiung für Abrundungszahlungen leider nicht möglich sei. Ich hatte Ihnen versprochen, zu prüfen, ob und wie diese, wie mir schien, übermäßige Komplizierung vermieden werden könnte.
In der Zwischenzeit haben Besprechungen mit den beteiligten Wirtschaftskreisenstattgefunden. Von der Arbeitgeberseite ist darauf hingewiesen worden, daß durch die Herausnahme der Abrundungsbeträge aus der Besteuerung im Buchungserfahren und vor allen Dingen bei der Berechnung der Sozialbeiträge neue Ungereimtheiten entstehen warden. Diese Hinweise sind begründet.
Es hat sich aber herausgestellt, daß es ein Verfahren gibt, durch das die ganzen Schwierigkeiten vermieden werden können. Die Arbeitgeber brauchen die Abrundungsbeträge nur auf den nächsten Monat vorzutragen und das fortzusetzen; so entsteht niemals ein Bedürfnis, eine Nachversteuerung vorzunehmen. Mir wird berichtet, daß es sogar schon ,automatische Lohnberechnungsmaschinen gibt, die diesen Vortrag der Abrundungsbeträge ,auf den nächsten Monat selbsttätig buchen.
Danke schön.
Frage III/ 4 — Abgeordneter Spitzmüller —:
Bis wann gedenkt die Bundesregierung dem einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 9. November 1960 Geltung zu verschaffen, mit welchem die Bundesregierung ersucht wurde, die in § 122 der Brennereiordnung zum Branntweinmonopolgesetz vom 8. April 1922 festgesetzten regelmäßigen Ausbeutesätze für das Betriebsjahr 1960/61 anzuwenden sowie abweichend von diesen regelmäßigen Sätzen den Ausbeutesatz bei Zwetschgen und Mirabellen auf 3 1 W/ hl Material und bei Pflaumen auf 2,5 1 W/ hl festzusetzen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Entschließung des Bundestages über die Herabsetzung der regelmäßigen Ausbeutesätze bei den Abfin-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 77J9
Staatssekretär Dr. Hettlage
dungsbrennern nach dem Branntweinmonopolgesetz stößt leider auf rechtliche Bedenken. Diese rechtlichen Bedenken bestehen im wesentlichen darin, daß die tatsächlichen Feststellungen über den wirklichen Weingeistgehalt durch Probebrände gezeigt haben, daß die Obsternte im Jahre 1960 weit über den regelmäßigen Ausbeutesätzen liegt. Angesichts dieses klaren Tatbestandes läßt der Wortlaut des Branntweinmonopolgesetzes es nicht zu, abweichend allgemeine Ausbeutesätze festzusetzen oder die Ausbeutesätze für Zwetschgen, Mirabellen und Pflaumen ausdrücklich herabzusetzen.
Wir haben weiter geprüft, ob die Möglichkeit besteht, durch eine Verordnung der Bundesregierung die Brennereiordnung zu ändern, um den Absichten des Bundestages zu entsprechen. Auf Grund einer rechtsgutachtlichen Äußerung des Bundesjustizministeriums mußten wir feststellen, daß die Verordnungsmacht der Bundesregierung nicht so weit reicht, weil durch eine entsprechende Änderung !der Brennereiordnung materielle Steuerrechtstatbestände geändert werden würden.
Das bedeutet mit kurzen Worten: die Bundesregierung bedauert, daß sie der einmütigen Entschließung des Bundestages in der von ihm vorgeschlagenen Form nicht entsprechen kann. Wir haben in der Zwischenzeit aber Erörterungen gepflogen, ob und inwieweit auf einem anderen Wege den Abfindungsbrennern ein kleiner Voraus gegeben werden kann, beispielsweise wie in Frankreich. Ich vermute, daß im Sinne dieser Vorbesprechungen aus der Mitte des Hohen Hauses eine interfraktionelle Anregung eingebracht werden wird.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär; bestanden gewisse rechtliche Bedenken bei Ihnen nicht schon vor Verabschiedung des Vorschlages, und warum haben Sie sich trotz Ihrer Anwesenheit im Hause nicht zu Wort gemeldet und somit den Weg für eine einmütige Entschließung frei gemacht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese rechtlichen Bedenken sind mir erst später bekanntgeworden.
Frage III/5 — des Abgeordneten Schneider —:
Ist der Herr Bundesfinanzminister bereit, dem Bundestag eine großzügigere Regelung als die bisher gehandhabte für den Wertersatz der im letzten Kriege verlorengegangenen Effekten von Seeleuten vorzuschlagen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Sie fragen nach der Behandlung von Verlusten an Effekten bei deutschen Seeleuten in der Kriegszeit. In der Sitzung des Deutschen Bundestages am 19. Juni 1959 ist eine gleiche Frage des Herrn Abgeordneten Wehr schon beantwortet worden. In dieser Antwort ist hervorgehoben worden, daß die Effekten der deutschen Seeleute, die im Krieg verlorengegangen sind, unter die Bestimmungen des Lastenausgleichsgesetzes über die Erstattung von Kriegssachschäden fallen. Wir haben in der Zwischenzeit durch eine Rückfrage bei dem Bundesausgleichsamt und bei den Entschädigungsbehörden festgestellt, daß bei der Abwicklung der Kriegssachschäden von Seeleuten besondere Schwierigkeiten nicht aufgetreten sind.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß durch die derzeit bestehende Regelung gerade diejenigen benachteiligt werden, die niedrige Chargen auf den Schiffen innegehabt haben? Das Lastenausgleichsgesetz sieht ja vor, daß der Wert der Sachen mindestens 500 RM betragen haben muß. Gerade die niedrigen Chargen auf den Schiffen haben darunter zu leiden, daß sie unter diesen Umständen nicht in den Genuß einer Vergütung kommen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, Ihre Feststellung zum Inhalt des Gesetzes trifft zu. Für sogenannte Bagatellschäden unter 500 RM wird nach dem Lastenausgleichsgesetz keine Entschädigung gewährt. Es gibt keine Sonderregelung für verlorengegangene Seesäcke. Das würde naturgemäß weitere Berufungen nach sich ziehen.
Ist das Bundesfinanzministerium damit einverstanden, daß eine weitere persönliche Fühlungnahme in der Frage erfolgt?
Noch eine Frage zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 2311, eine Frage des Abgeordneten Ritzel:
Wieviel Anträge auf Wiedergutmachung sind schätzungsweise im Bundesgebiet noch unerledigt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Ritzel fragt nach dem Stand der Abwicklung der Wiedergutmachungsansprüche. Herr Abgeordneter, ich vermute, daß sich Ihre Frage auf die drei Hauptsachgebiete der öffentlichen Wiedergutmachung erstreckt. Das ist zunächst das Bundesentschädigungsgesetz, dann das Bundesrückerstattungsgesetz und schließlich die Wiedergutmachung im öffentlichen Dienst. Ich darf zu diesen drei Fragen Stellung nehmen.
Erstens. Das Bundesentschädigungsgesetz wird von den Ländern und den Landesentschädigungsbehörden durchgeführt. Nach den Meldungen der Länder waren bis zum 30. September 1960 insgesamt 2 945 119 Ansprüche angemeldet. Davon sind bis zum gleichen Tage 1 577 486 Ansprüche erledigt worden. Unerledigt waren also an diesem Stichtag 1 367 633 Ansprüche.
7760 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Staatssekretär Dr. Hettlage
Zweitens. Das Bundesrückerstattungsgesetz hatte eine Anmeldefrist bis zum 1. April 1953. Bis zu diesem Zeitpunkt sind 510 000 Rückerstattungsansprüche angemeldet worden. Hiervon sind .bis zum 30. September 1960 120 000, also noch nicht ein Viertel, erledigt worden. Voraussetzung für die Erledigung dieser Ansprüche nach dem Bundesrückerstattungsgesetz ist, daß die Ansprüche vorher nach den rückerstattungsrechtlichen Vorschriften von den Wiedergutmachungsämtern und gegebenenfalls von den Wiedergutmachungsgerichten rechtskräftig festgestellt werden. Diese Feststellungen erfolgen durch die Wiedergutmachungsämter und durch die Wiedergutmachungsgerichte der Länder. Die Bundesregierung tut das Mögliche, um dieses Verfahren zu beschleunigen.
Drittens. Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im öffentlichen Dienst fällt in den Geschäftsbereich des Herrn Bundesinnenministers. Wir haben durch Rückfrage ermittelt, daß Bund, Länder, Gemeinden und sonstige öffentlich-rechtliche Verpflichtete im großen und ganzen die Wiedergutmachung im öffentlichen Dienst abgeschlossen haben. Jedenfalls ist nach unseren allgemeinen Feststellungen der weit überwiegende Teil der Ansprüche inzwischen abgewickelt.
Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, entspricht es nach Kenntnis der Bundesregierung den Tatsachen, daß der ungeheuer große Rückstand in den von den
B) Ländern zu bearbeitenden Wiedergutmachungsfällen in der Hauptsache auf Personalmangel zurückzuführen ist und daß erhebliche Mittel, die den Ländern heute noch zu diesem Zweck zur Verfügung stehen, brachliegen, also den Geschädigten nicht zur Verfügung gestellt werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, eine der Schwierigkeiten liegt im Personalmangel bei den Landesbehörden für Wiedergutmachung. Bei dem wichtigsten Landesamt für Wiedergutmachung, das die Ansprüche der Geschädigten aus Übersee bearbeitet, haben wir von Bundes wegen dazu beigetragen, daß eine Sonderdienststelle in Berlin eingerichtet und vergrößert wird. Durch sie soll wenigstens bei Geschädigten aus Übersee die Prüfung beschleunigt werden.
Ein weiterer Engpaß besteht bei den Gesundheitsschäden wegen der ärztlichen Begutachtung. Auch hier haben wir, beispielsweise durch die Entsendung von Ärzten in die Vereinigten Staaten, dazu beigetragen, daß die ärztliche Begutachtung beschleunigt wird.
Sie können versichert sein, Herr Abgeordneter, daß der Bundesminister der Finanzen alles in seinen Kräften Stehende tut, um gerade diesen Tatbestand möglichst fristgerecht aus der Welt zu schaffen. Wir hoffen, daß der größte Teil der Anträge bis zum Ende des Jahres 1962 erledigt werden kann.
Danke sehr!
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft, Frage IV/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt —:
Welche Vorbereitungen — personell, sachlich und von welcher Stelle aus — werden für die deutsche Beteiligung an der Weltausstellung in New York und für eine spätere Weltausstellung in Moskau getroffen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die amtliche deutsche Beteiligung an beiden Weltausstellungen werden zur Zeit noch keine Vorbereitungen getroffen. Die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an internationalen Ausstellungen ist durch das Gesetz betreffend das Abkommen über Internationale Ausstellungen vom 5. Mai 1930 geregelt. Dieses Abkommen, dem außer 29 weiteren Ländern auch die Bundesrepublik Deutschland angehört, bezweckt eine internationale Verständigung auf dem Gebiete des Ausstellungswesens, insbesondere die zahlenmäßige Einschränkung und die Regelung internationaler Ausstellungen. Die USA sind diesem Abkommen nicht beigetreten. Das Abkommen sieht zwar vor, daß auch in nicht angeschlossenen Ländern internationale Ausstellungen veranstaltet werden können; in diesem Falle haben jedoch die vertragschließenden Länder vor Annahme der Einladung zu dieser Ausstellung die Meinung des Internationalen Ausstellungsbüros einzuholen, das die Anwendung des Abkommens zu überwachen hat. Sie dürfen ihre Teilnahme an der geplanten Ausstellung nur dann zusagen, wenn diese die gleichen Garantien, die das Abkommen fordert, oder mindestens ausreichende Garantien bietet. Länder, die eine unter das Abkommen fallende Ausstellung veranstalten wollen — und um eine solche handelt es sich bei der New Yorker Ausstellung —, müssen beim Internationalen Ausstellungsbüro einen Antrag auf Eintragung dieser Ausstellung einreichen.
Das Internationale Ausstellungsbüro hat den Antrag für die Weltausstellung New York 1964/65 am 8. November dieses Jahres abgelehnt, weil die Ausstellung die vorgesehene Höchstdauer von 6 Monaten um 6 Monate überschreitet, weil ferner nach der vorgesehenen Zeitfolge frühestens im Jahre 1972 in den USA eine internationale Ausstellung veranstaltet werden dürfte und weil der Ausstellungsplatz den teilnehmenden Ländern nicht kostenlos zur Verfügung gestellt werden soll. Die Bundesrepublik Deutschland kann sich daher amtlich an der Ausstellung nicht beteiligen.
Der Veranstaltung einer internationalen Ausstellung in Moskau im Jahre 1967 hat das Internationale Ausstellungsbüro zugestimmt. Für die amtliche Beteiligung an dieser Ausstellung sind noch keine Vorbereitungen getroffen worden, weil hierfür eine Zeit von drei bis vier Jahren ausreicht. Das Bundeskabinett wird sich zu gegebener Zeit mit der Frage der Beteiligung an der Weltausstellung in Moskau 1967 befassen.
Zusatzfrage?
Ja, Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung nicht aus den Erfahrungen bei der Brüsseler Weltausstellung die Überzeugung gewin-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7761
Dr. Arndt
nen müssen, daß eine Vorbereitungszeit von drei bis vier Jahren nicht nur sehr kurz, sondern zu kurz ist, so daß es sich durchaus empfiehlt, die internen Planungen möglichst langfristig zu machen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die bisherigen Erfahrungen, Herr Abgeordneter, haben uns zu der Überzeugung gebracht, daß wir im allgemeinen mit einer Vorbereitungszeit von drei bis vier Jahren unser Auslangen finden würden. Bei der Ausstellung in Moskau aber hätten wir ja noch sieben Jahre Zeit, so daß also zwischen ,dieser Mindestzeitspanne und der von Ihnen gewünschten auch noch ein Spielraum läge.
Danke schön.
Frage IV/ 2 — des Abgeordneten Schmidt —:
Erwartet das Bundeswirtschaftsministerium ein objektives Gutachten über die Möglichkeiten und die wirtschaftlichen Gesichtspunkte hinsichtlich einer Entschwefelung des Mineralöls, wenn die Gesellschaft, die mit der Erstattung des bezahlten Gutachtens beauftragt ist, den Auftrag federführend durch eine im Dienste der Mineralölwirtschaft stehende Persönlichkeit ausführen läßt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Um die Objektivität des Gutachtens zu gewährleisten, hat das Bundesministerium für Wirtschaft den Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Mineralölwissenschaft und Kohlechemie in Hannover erteilt, die ihrerseits dem Deutschen Verband technisch-wissenschaftlicher Vereine angehört. In diesem Verband sind alle bedeutenden technisch-wissenschaftlichen Vereinigungen der Bundesrepublik zusammengeschlossen. Der Gesellschaft ist die Auflage gemacht worden, das Gutachten durch eine Gruppe von Persönlichkeiten erstellen zu lassen, die aus vier Sachverständigen bestehen soll. Von diesen vier Sachverständigen soll einer stammen aus der Kommission zur Reinhaltung der Luft des Vereins deutscher Ingenieure, der zugleich mit der technischen Überwachung vertraut ist, ferner ein Sachverständiger für Mineralöl, ein Sachverständiger für Kohle und ein Sachverständiger für Chemie. Die Bemühungen der Gesellschaft, diese Gruppe zu bilden, sind noch nicht endgültig abgeschlossen, Die Deutsche Gesellschaft für Mineralölwissenschaft und Kohlechemie hat mit den geschäftsmäßigen Vorarbeiten zur Bildung der Gruppe ihren Vizepräsidenten betraut. Das Bundesministerium für Wirtschaft wird dafür sorgen, daß nach Bildung des endgültigen Gutachtergremiums dessen Geschäftsführung einem unabhängigen Obmann . übertragen wird. Damit erscheint die Neutralität der vom Bundeswirtschaftsministerium gewünschten Zusammensetzung und Geschäftsführung der Sachverständigengruppe gewährleistet.
Frage IV/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt — lautet:
Hält es die Bundesregierung für notwendig, daß gesunkene oder sinkende Primärenergiepreise auch dem Energieletztverbraucher zugute kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung ist der Auflassung, daß gesunkene und sinkende Primärenergiepreise auch dem Energieletztverbraucher zugute kommen sollten. Im einzelnen ist dazu folgendes zu sagen.
Auf dem Kohlesektor ist — bei Abnahme größerer Mengen — ein lebhafter Wettbewerb vorhanden, der für den Verbraucher zu günstigeren Bezugsmöglichkeiten geführt hat. Von den stabil gehaltenen und teilweise gesunkenen Kohle- und Kokspreisen für Industrieverbraucher ist jedenfalls ein Impuls zu Preissteigerungen für Industrieerzeugnisse in letzter Zeit nicht ausgegangen. Auch auf dem Mineralölsektor kommt der Energieverbraucher in den Genuß des hier herrschenden Preiswettbewerbs. Die Preise für leichtes Heizöl weisen eine deutlich sinkende Tendenz auf.
Auf dem Gebiet der Elektrizität ist bei' den Sonderabnehmerpreisen das sind vorwiegend die Preise für Industrieabnehmer — zum Teil durch Anwendung der Kohleklausel in den Lieferverträgen eine rückläufige Tendenz zu verzeichnen. Die Haushaltstarife sind zwar im wesentlichen unverändert geblieben, auf Grund des allgemein stark gestiegenen Stromverbrauchs aber ist infolge der damit verbundenen geringeren Bedeutung des Grundpreises im Durchschnitt eine effektive Verbilligung der Kilowattstunde eingetreten.
Bei Gaslieferungen an industrielle Sondertarifabnehmer sowie an Städte und Verteilerunternehmen ,ist ein Preisrückgang zu verzeichnen. Die Haushaltsgastarife sind auf Grund der Bundestarifordnung Gas ab 1. April dieses Jahres neugestaltet worden. Hier ist festzustellen, daß bei steigender Gasabnahme der einzelnen Verbraucher Preisverbilligungen eintreten. Gaskokspreise haben infolge des Preiswettbewerbs mit Öl und Zechenkoks ebenfalls rückläufige Tendenz.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Bundesregierung grundsätzlich den Wettbewerb für das geeignete Mittel hält, um dein Energieletztverbraucher gesunkene oder sinkende Primärenergiepreise zugute kommen zu lassen. Soweit nur ein begrenzter Wettbewerb besteht — wie insbesondere auf dem Gebiet der Strompreisbildung bei Haushaltstarifen —, ist es Aufgabe der Preisüberwachungsstellen der Länder, eine preisgünstige Versorgung der Energieletztverbraucher sicherzustellen.
Eine Zusatzfrage?
Sind die Kohlefrachtbeihilfen Faktoren sinkender Preisbildung? Konnte man billigerweise erwarten, daß die Kohlefrachtbeihilfen auch z. B. an die Energiegroßverbraucher weitergegeben wurden, eventuell unter Anwendung der Kohleklausel?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Darf ich den Herrn Abgeordneten um die Erlaubnis bitten, gleich die nächste Frage zu beantworten? Darin ist ja gerade von der
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Staatssekretär Dr. Westrick
Kohlefrachthilfe im einzelnen die Rede. Ich habe mich bemüht, die von Ihnen soeben gestellte Frage bei der nächsten Frage zu beantworten.
Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen diese Erlaubnis nicht geben, die Fragestunde ist abgelaufen. Sie, Herr Abgeordneter, werden am Freitag Ihre Fragen wiederholen können.
Ich bin dafür verantwortlich, daß wir die Tagesordnung fristgemäß abwickeln.
Meine Damen und Herren, wir haben vereinbart, daß der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes in erster Lesung jetzt behandelt werde. Ich rufe daher auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes .
Die Fraktionen haben auf eine allgemeine Aussprache verzichtet. Sie sind sich darüber einig, daß die Vorlage an den Ausschuß für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen und sonst an keinen Ausschuß überwiesen werden soll. — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Dann rufe ich auf Punkt 3 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 ,des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Zuständigkeiten in der Luftverkehrsverwaltung (Drucksache 2305).
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Senator Klein.
Dr. Klein, Senator des Landes Berlin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vom Vermittlungsausschuß verabschiedete, Ihnen in Drucksache 2305 vorliegende Gesetzesbeschluß kann nicht ohne Zusammenhang mit dem Gesetz zur Einfügung eines Artikels über die Luftverkehrsverwaltung in das Grundgesetz gesehen werden. Dieser Gesetzentwurf war lange Zeit Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und der Mehrheit der Länder über die Frage, ob die Luftverkehrsverwaltung im Grundsatz beim Bund liegen solle oder ob diese Verwaltung grundsätzlich Sache der Länder sei. Diese Meinungsverschiedenheit ist durch den in diesem Jahr beschlossenen Art. 87 d zum Grundgesetz beigelegt. Die Luftverkehrsverwaltung ist jetzt grundsätzlich Sache des Bundes, doch kann den Ländern eine Reihe von Aufgaben auf diesem Gebiet durch Gesetz übertragen werden. Dieser Aufgabe dient der vorliegende Gesetzesbeschluß. Der der Luftverkehrsverwaltung gewidmete § 31 lautete im Luftverkehrsgesetz in der Fassung vom 10. Januar 1959 bisher wie folgt:
Die Zuständigkeit für die Durchführung der sich aus diesem Gesetz ergebenden Aufgaben wird, soweit in diesem Gesetz oder in anderen Gesetzen eine Regelung nicht getroffen ist, durch besonderes Gesetz neu geregelt.
Dieses besondere Gesetz, das hier erwähnt wird, ist der beiliegende Gesetzesbeschluß. Er enthält jetzt einen Katalog derjenigen Aufgaben, die von den Ländern im Auftrage des Bundes wahrgenommen werden.
Trotz seiner Zustimmung zu der Grundkonzeption des Entwurfs hat der Bundesrat in der Sitzung vorn 28. Oktober 1960 beschlossen, hinsichtlich des vom Deutschen Bundestag am 29. September 1960 verabschiedeten Gesetzes über Zuständigkeiten in der Luftverkehrsverwaltung den Vermittlungsausschuß anzurufen mit dem Ziel, die Nummern 2, 3, 11, 14 und 15 dieses Kataloges abzuändern. Des weiteren hat der Bundesrat beschlossen, die Berlin-Klausel des Gesetzes in das Vermittlungsverfahren einzubeziehen, da verschiedene neue Gesichtspunkte eine andere Formulierung dieser Klausel im Zusammenhang mit der Neufassung des § 31 des Luftverkehrsgesetzes notwendig machten. Durch die vorgeschlagenen Änderungen der angeführten Nummern de Kataloges sollten die den Ländern als Auftragsverwaltung übertragenen Befugnisse teils eingeengt so in den vorgeschlagenen Änderungen zu den Nummern 2, 3 und 14, teils etwas erweitert werden so in den beabsichtigten Änderungen zu den Nummern 11 und 15. Alle diese Änderungen betreffen Fragen, die so in technische Einzelheiten der Luftfahrt gehen, daß ich es mir erübrigen kann, sie hie] im einzelnen darzulegen.
Der Vermittlungsausschuß ist dem Anliegen des Bundesrates im wesentlichen gefolgt, hat jedoch ir einzelnen Punkten klarere Formulierungen erarbeitet und im Interesse der Gesetzesklarheit notweh dige Ergänzungen eingefügt.
Die Berlin-Klausel hat im Vermittlungsausschuß diejenige Fassung erhalten, die sich nach den derzeitigen Gegebenheiten als notwendig erwiesen hat
Namens des Ausschusses darf ich Sie darum bitten, den Änderungsvorschlägen des Vermittlungs ausschusses gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Nach der Geschäftsordnung findet über Anträge des Vermittlungsausschusses eine Aussprache nicht statt.
Werden Erklärungen zur Abstimmung abgegeben? — Das ist nicht der Fall.
Dann stimmen wir ab über den Antrag des Vermittlungsausschusses Drucksache 2305. Es soll über den Antrag im ganzen abgestimmt werden. Wer zustimmen will, der möge die Hand erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme fest.
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Vizepräsident Dr. Schmid
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz über Maßnahmen auf dem Gebiet des Notarrechts (Drucksache 2306).
Ich erteile dem Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Seidl , das Wort.
betr. Gemeindefinanzen ;
b) Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes ;
c) Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Gemeindefinanzen .
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, wie folgt zu verfahren: Zunächst wird die Große Anfrage der SPD von dem Herrn Abgeordneten Keuning begründet. Dann wird der Herr Staatssekretär Dr. Hettlage für die Bundesregierung antworten. Darauf erfolgt die Begündung des von der FDP eingebrachten Gesetzentwurfs durch den Abgeordneten Dr. Imle und schließlich die Begründung des Antrags der FDP durch den Abgeordneten Eilers . Danach treten wir in eine verbundene Aussprache ein.
Ich erteile das Wort zur Begründung der Großen Anfrage der SPD dem Abgeordneten Keuning.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hohe Haus hat sei langer Zeit bei vielen Gesetzesvorlagen immer wieder lebhafte Debatten über die Belastungen der Gemeinden und über ihre Finanzgrundlagen geführt, zuletzt noch anläßlich der Rede des Herrn Bundesfinanzministers zum Haushaltsgesetz 1961. Wir alle haben dabei ein eindrucksvolles Zahlenspiel erlebt. Ich will mich bemühen, mit wenigen Zahlen auszukommen, weil ich annehme, daß sie weithin bekannt sind. Trotzdem wird es nicht ganz ohne Zahlen gehen.
Wenn wir über Gemeinden sprechen, steht die ganze Skala der Gemeinden vor uns: die Großstädte, die Mittel- und Kleinstädte wie auch die Landgemeinden mit sehr geringer Einwohnerzahl. Wir wissen, daß Großstadt nicht gleich Großstadt und Landgemeinde nicht gleich Landgemeinde ist, sondern daß die finanziellen Grundlagen je nach der Struktur der Gemeinden sehr unterschiedlich sein können.
In der großen Debatte um den Art. 106 des Grundgesetzes im März 1956 gebrauchten einige Mitglieder dieses Hauses den Ausdruck: Heute erleben wir eine Feierstunde der Gemeinden. In dieser damaligen Debatte war sehr viel Hoffnung, daß es nun vorwärtsgehen und daß nun bald eine grundlegende Änderung stattfinden würde. Aber ich mache kein Hehl daraus, daß schon bald nach dieser Debatte eine große Enttäuschung um sich griff, weil die an die Änderung geknüpften Erwartungen durchaus nicht erfüllt wurden.
In der damaligen Debatte wurde gesagt, daß durch die in Aussicht genommene Änderung die Gemeinden als die dritte Säule im Staate sichtbar würden, daß den Gemeinden endlich das gegeben würde, was ihnen nach dem Gesetz zustehe, und daß sie damit zum Mitträger dieses Staates werden sollten. Dabei ist es aber auch geblieben. Die Kritik hat nach dieser Debatte nicht aufgehört. Nicht lange danach ist das Memorandum der kommunalen Spitzenverbände erschienen, das sich sehr eingehend mit der finanziellen Notlage der Gemeinden beschäftigte.
7766 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Keuning
Dieses Memorandum ist bis heute noch nicht beantwortet.
Als Antwort auf dieses Memorandum wurde dann sicher ein Gutachterkreis, der sogenannte Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium, eingesetzt. Damals wurde versprochen, daß dieses Gutachten möglichst bald zur Debatte gestellt werden solle und daß die entsprechenden Schlußfolgerungen möglichst in gemeinsamer Arbeit gezogen werden sollten. Nun, es ruht, es macht einen langen, langen Winterschlaf. Wir haben noch nichts wieder davon gehört. Aber in den Gemeinden geht die Unruhe weiter, und der Wunsch nach einer baldigen Neuordnung wird immer stärker, zumal in den letzten Jahren eine noch weitere Einengung der Gemeindefinanzen erfolgt ist.
Ich will durchaus anerkennen, daß in diesem Hohen Hause über alle Parteiunterschiede hinweg bei Diskussionen um Gemeindefinanzen immer wieder Abgeordnete aufgestanden sind und darauf aufmerksam gemacht haben, wie wichtig es ist, daß die Gemeinden eine entsprechende finanzielle Grundlage haben. Bei einigen Gesetzen haben wir es auch erlebt, daß dieser Gedanke seinen Niederschlag in Zahlen fand. Ich denke dabei an die letzte Debatte über ,das Straßenbaufinanzierungsgesetz, an den Gemeindepfennig, der noch so in letzter Minute mit hineingeschoben wurde. Das sollten wir dabei auch einmal sehen: er wurde in letzter Minute hineingeschoben, weil man wußte, daß die Gemeinden die Lasten, die durch den Straßenbau auf sie zukommen, einfach nicht würden tragen können, wenn ihnen nicht eine kräftige Hilfe von hier her gegeben würde.
Bei diesen Debatten — zuletzt auch noch wieder anläßlich der Rede des Herrn Bundesfinanzministers — ist uns immer wieder gesagt worden: Die Gemeinden befinden sich doch eigentlich gar nicht in einer so schlechten Finanzlage; im Gegenteil, wir können doch feststellen, daß große Städte heute zum Teil nicht mehr wissen, wohin mit den Steuern, ja, daß sie sogar dazu übergehen, Luxusbauten zu errichten. Dabei wurde die Schwimmoper Wuppertal immer wieder als das Objekt angeführt, ,das hierfür beispielhaft sei.
— Nein, das ist immer wieder angeführt worden. Sonst hat man sich sehr allgemein ausgedrückt und von Luxusbauten gesprochen. Man hat auch noch von den Rathäusern gesprochen. Aber bereits bei der Frage „Wo?" mußte man sagen: Hier stock' ich schon, und auch nach der Schwimmoper kam ein allgemeines Stocken. Ich wünschte, jeder, der dieses Beispiel angeführt hat, nähme einmal die Gelegenheit wahr, sich diese Schwimmoper anzusehen. Es wäre doch unverständlich, wenn wir in dieser Zeit nicht mit den Mitteln unserer Zeit für unsere Zeit bauen würden,
mit dem Blick nach vorwärts bauen würden.
Blicken Sie einmal zurück! Rathäuser sind mit erwähnt worden. Wir sind heute als Deutsche stolz, daß hier und dort noch eines diesr Rathäuser so erhalten ist, wie es einmal gebaut wurde. An ihnen kann man erkennen, daß sie nicht nur für den Tag gebaut wurden; in ihnen kam der Bürgerstolz zum Ausdruck. Wollen Sie es den Bürgern dieser Tage absprechen, in dieser Zeit für die Zeit mit dem Blick nach vorwärts zu bauen? Das sollte man berücksichtigen, wenn man davon spricht, daß Luxusbauten gebaut würden, weil man nicht wisse, was man mit den Steuereinnahmen anfangen solle.
Wie sieht es denn mit den Steuereinnahmen aus, mit denen man nichts anzufangen weiß? Ist es nicht so, daß gerade in den letzten Jahren eine Flut von Steuernachzahlungen auf die Städte zugekommen ist, Steuern, die ,den Städten jahrelang vorenthalten worden waren, Steuern, die hohe Millionenbeträge ausmachen, Steuern, mit denen die betreffenden Unternehmen über viele Jahre — das war das billigste Kapital — gearbeitet haben? Die Gemeinden waren in jenen Jahren gezwungen, Darlehen aufzunehmen und dafür hohe Zinsen zu zahlen, um die notwendigsten Aufgaben zu erledigen. Ich könnte Beispiele nennen, mit deren Hilfe man sich ausrechnen kann, wieviel Millionen D-Mark Verluste den Gemeinden dadurch ,entstanden sind. Die allgemeine Konjunktur hat auch den Städten das gebracht, was Bund und Länder bekommen haben. Ich bitte, dabei aber nicht nur die Städte zu sehe.
Man sollte sehen, daß diese Steuer, die immer wieder in der Diskussion ist, praktisch das eine Bein ist, auf dem die Gemeindefinanzen stehen: die Gewerbesteuer.
Es stiebt doch so aus: Große Gemeinden haben Angst und Sorge, morgen könne es ihnen infolge einer Änderung der Konjunkturlage nicht mehr möglich sein, ihre Aufgaben weiter zu erfüllen. Bei einem Gespräch in Bad Godesberg, an dem auch der Herr Bundeskanzler teilgenommen hat, wurde von dem Vertreter einer großen Stadt darauf aufmerksam gemacht, daß 75 °/o aller Steuereinnahmen dieser Stadt von noch nicht einmal 4 % der Steuerpflichtigen — Gewerbesteuerpflichtigen —aufgebracht würden.
Dabei machte der Herr Bundeskanzler die Bemerkung, er würde nicht mehr ruhig schlafen können, wenn er heute an der Spitze solch eines Gemeinwesens stände.
Bei dieser Einengung, die wir sehen müssen, kommen die Gemeinden in die Gefahr, ihre Finanzautonomie zu verlieren. Die Entwicklung allein bei der Gewerbesteuer sei noch einmal kurz aufgezeigt. 1953 wurde die Freigrenze von 3000 auf 6000 DM erhöht. 1956 wurde der Freibetrag erhöht und die Verdoppelung der Stufen eingeführt. 1958 wurde die Gewerbesteuer bestimmten Betrieben teilweise erlassen.
Die Vorschläge aus dem Hause und auch von der Regierung, die heute hier debattiert werden müs-
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7767
Keuning
sen, haben die große, im ganzen Lande spürbare Unruhe ausgelöst. Niemand kann im Moment sagen, wie das Ergebnis aussehen wird. Aber jeder kann sagen: Bei einer Verwirklichung der Pläne in der Form, wie sie augenblicklich diskutiert werden, dürfte es für viele Gemeinden als Folge der weiteren Einengung keine Finanzautonomie mehr geben, und um die Selbstverwaltung ist es dann auch geschehen.
Auch in der Besprechung in Godesberg trat ein Bürgermeister auf — ich will die Stadt nicht mit Namen nennen —, der darauf hinwies, daß schon jetzt die fortdauernden Ausgaben nicht mehr durch die fortdauernden Einnahmen gedeckt werden, sondern daß das nur Nachzahlungen ermöglichen. Das könnte beliebig weiter fortgesetzt werden. Im Norden wie im Süden der Bundesrepublik sind solche Situationen feststellbar, in Städten und kleinen Gemeinden.
Ich sagte eben, daß wir auch die kleinen Landgemeinden meinen. Dazu nur zwei Hinweise. Bei einer Landgemeinde mit 25 000 Einwohnern würde ein Verlust von 25% der bisherigen Einnahmen eintreten. Das heißt, daß morgen praktisch keine Bewegungsmöglichkeit mehr vorhanden ist. Bei Gemeinden mit 2- bis 3000 Einwohnern tritt ein Verlust von über 50 % der bisherigen Einnahmen ein. Bitte, nur das Nennen der Zahlen zeigt auf, daß diese Gemeinden nicht mehr in der Lage sind, sich weiterhin zu bewegen.
Dann hört man, daß das Ganze, was jetzt debattiert wird, eine Hilfe für die Mittelschichten sein soll. Dagegen haben wir durchaus nichts einzuwenden. Meine Fraktion 'hat sich jahrelang immer wieder für die Mittelschichten eingesetzt und gefordert, daß ihnen geholfen wird. Über die Wege müßte man sich unterhalten. Aber wenn man jetzt hier erklärt, daß man den Mittelschichten Hilfe geben will, dann kann man wohl sagen: Sie helfen den Mittelschichten dadurch, daß Sie den kleineren und mittleren Gemeinden das Wasser abgraben!
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist viel über die Verschuldung der Städte gesprochen und es sind eindrucksvolle Zahlen genannt worden. Man weiß heute, daß eine Verschuldung von 13 Milliarden DM vorhanden ist. Das ist eine sehr globale Zahl, das ist eine Statistik. Aber wenn man genauer hinschaut und untersucht, wie das für die einzelne Stadt aussieht, dann ist es nicht mehr Statistik, dann stellt man die Unmöglichkeit fest, weitere Aufgaben zu erledigen. Diese Gemeinden werden zu Verwaltungszentren degradiert.
Meine Damen und Herren, wir alle sprechen immer wieder gern davon, daß die Gemeinden die Keimzellen der Demokratie sind. Wir sollten bemüht sein und sind bemüht, diese Keimzellen lebendig zu erhalten. Wir wissen aber, daß uns von der ganzen Finanzmasse insgesamt heute kaum 10 % im Schnitt frei zur Verfügung stehen. Auch daran wird der enge Spielraum erkennbar.
Wenn wir von der Keimzelle der Demokratie sprechen, müssen wir doch fragen: wo lebt denn dieser demokratische Staat? Lebt er auf der Bundesebene? Lebt er nicht unten in den Gemeinden? Da ist das pulsierende Leben in unserem Staat. Da wird das Staatsbewußtsein durch ein entsprechendes Verhalten so oder so geformt.
Der Herr Bundesfinanzminister sagte hier in seiner Rede, daß wir verpflichtet seien, mehr die kulturellen Aufgaben zu sehen. Meine Damen und Herren, wo werden denn die kulturellen Aufgaben erfüllt? Meint man etwa, daß die Gewährung von Stipendien oder auch bestimmter Mittel für wissenschaftliche Institute, wie wir sie hier beschließen, schon das ausmacht, was man unter kulturellen Aufgaben versteht? Unten in den Gemeinden müssen sie geleistet werden und werden sie geleistet. Von dort geht die Kraft aus, die diesen Staat mit trägt oder nicht trägt, meine Damen und Herren. Ich meine, wir haben es in unserem Staat nötiger, als es irgendwo anders der Fall ist, das Staatsbewußtsein zu fördern. Gerade in unserer Zeit der Massengesellschaft ist die Aufgabe gestellt, die Bevölkerung dort, wo es möglich ist, zum Staat hinzuführen.
Daraus wird schon erkennbar, wie umfangreich die Aufgaben sind, die es in den Gemeinden zu lösen gilt, um das zu erreichen, was im Grundgesetz, in den Länderverfassungen und in den Gemeindeordnungen mit wohlklingenden Formulierungen festgelegt ist: daß die Bürger ihre Angelegenheiten im gemeindlichen Bereich in freier Selbstverwaltung regeln usw.
Angesichts dessen, was in den Gemeinden wirklich geschieht, muß man fragen — Ziffer 2 unserer Anfrage —:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu ermöglichen, daß die Gemeinden die Aufgaben, mit denen sie sich im Rückstand befinden, beschleunigt durchführen, nachdem der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium den Umfang dieser Aufbaurückstände und die Dringlichkeit ihrer Beseitigung ausdrücklich festgestellt hat?
Zunächst einige Worte darüber, worin diese „Aufbaurückstände" bestehen. In der Regel denkt man nur an die Schäden des letzten Krieges. Aber wir müssen lauch berücksichtigen, was 'die Zeit nach ,dem ersten Weltkrieg gebracht hat: Revolution, Inflation, passiver Widerstand in Teilen unseres Vaterlandes. Die Weimarer Republik brachte nur eine kurze Blütezeit. Mit Beginn der großen Krise im Jahre 1929 wurde nur noch das Notdürftigste +getan; Aufgaben zum Wohle der Allgemeinheit konnten kaum noch gelöst werden. Daraus ergibt sich, daß auch das, was im letzten Krieg nicht vernichtet wurde, zu einem großen Teil überholungs- und erneuerungsbedürftig ist.
Ein Beispiel: Man spricht allgemein von der Notwendigkeit, den Schulbau zu fördern, um möglichst bald die Schulraumnot zu beseitigen. Darüber darf man aber nicht vergessen, daß sich die Schulen, die stehengeblieben sind, in einem Zustand befinden, der nicht mehr den pädagogischen Anforderungen unserer Zeit entspricht. Wir hören sehr eindrucksvolle Zahlen über Idas, was auf dem Sektor des
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Schulbaus noch zu tun ist; man spricht von einem Zehnjahresprogramm, in dessen Verlauf 20 Milliarden DM für den Schulbau aufgebracht werden sollen. Ich halte den Gedanken für unerträglich, daß wir uns noch 10 Jahre mit der Schulraumnot herumschlagen müssen. Der Mangel, dem mit diesem Programm abgeholfen werden soll, ist doch von ganz besonderer Art! Hier geht es um junge Menschen, die in Schulen gehen müssen, in denen sie nicht das Rüstzeug bekommen können, das sie für das Leben brauchen. Darum bin ich der Ansicht, die Vorstellung, daß noch 10 Jahre zur Beseitigung der Schulraumnot benötigt werden und daß ,es mindestens noch sechs bis sieben Jahre Schichtunterricht geben wird, ist unerträglich. Das sollte uns anspornen,alle Kraft daranzusetzen, daß man auf diesem Gebiet schneller vorwärtskommt, als gegenwärtig vorgesehen ist.
Ich ,denke auch an das, was auf dem Sektor des Krankenhausbaues geschehen soll und geschehen muß. Auch hier gilt: Was stehenblieb, ist in solch einem Zustand, daß es kaum verantwortet werden kann, die kranken Menschen in diese Häuser zu schicken, weil sie dort gar nicht die Behandlung erfahren können, die heute möglich ist.
Ich denke an die Sanierung der alten Stadtteile. Was aus dieser Aufgabe auf die Gemeinden zukommt, ist kaum zu übersehen. Wir wissen, daß das mit großen finanziellen Belastungen verbunden ist.
Der Herr Bundesfinanzminister hat hier am
30. September in seiner Rede erklärt, die Entwicklung der Gemeindefinanzen zeige doch deutlich, daß schon jetzt die Zahlenerreicht seien, die eigentlich erst 1964 hätten erreicht werden sollen, daß also die für 1964 vorgesehenen Steuererhöhungen für die Gemeinden schon jetzt erreicht seien. Was will man damit sagen, daß man solche Zahlen einfach anführt und erklärt: wir haben 1959 schon erreicht, was eigenttich 1964 erst erreicht werden sollte? Gilt denn Idas nur für die Gemeindefinanzen? Gilt die Aussage, daß sich das Aufkommen von 1956 über 1957, 1958, 1959 bis 1960 grundlegend geändert hat, nicht auch für die weiten Gebiete der öffentlichen Finanzwirtschaft? Oder will man eventuell damit sagen, daß die Wünsche, die von den Gemeinden geäußert wurden, hierdurch mehr als erfüllt sind? Hätte nicht korrekterweise auch etwas zur Ausgabenseite gesagt werden müssen? Hätte man nicht, wenn man die Einnahmeseite erwähnt,sagen müssen, daß von 1957 bis heute die Baupreise um 20 Punkte, um rund 18 % gestiegen sind?
Wenn ein Gutachten erwähnt wird, dem Zahlen aus den Jahren 1957/58 zugrunde liegen, dann ist allein schon unter Hinweis auf den Bau-Index festzustellen, daß diese Zahlen um 20% erhöht werden müssen, wenn sie in den damals gesehenen Zusammenhängen noch real bleiben sollen. Oder weiß man nicht, was in der Zwischenzeit auf dem Gebiete der Löhne und Gehälter geschehen ist? Wir haben uns hier doch einige Male damit beschäftigt. Hier sind doch heute Millionen über Millionen an Mehrbeträgen von den Gemeinden aufzubringen. Ich meine also, wir hätten von dem Bundesfinanzminister erwarten können, daß er auch diese Seite mit erwähnte.
Wer heute in die Städte, in die großen Gemeinden schaut, der weiß, daß Aufgaben mit einer Wucht auf uns zugekommen sind, die vor Jahren niemand aus diesem Kreis vorausgesehen hat. Ich meine das, was auf dem Gebiete des Verkehrs auf uns zukommt. Wenn man den Verkehr des Jahres 1938 gleich Hundert setzt, muß man heute die Zahl 600 dafür einsetzen. Das bedeutet, daß heute gegenüber dem Jahre 1938 in unseren Gemeinden der sechsfache Verkehr festzustellen ist mit all den Problemen, die damit auftauchen.
Meine Damen und Herren, es genügt doch nicht, zu sagen: wir müssen die Straßen breiter machen und die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Man muß sich vorher ein Bild von dem machen, was an finanzieller Belastung entsteht.
Wie sieht das denn in der Gemeinde aus, wenn man sagt: die Straßen müssen breiter gemacht werden? Es ist ja nicht so, daß die Straßen auf grünen Wiesen liegen und man nur 15 Meter danebenliegendes Gelände abzustecken braucht um dort die Straße zu bauen. Bei den innerstädtischen Straßen sieht es so aus, daß beide Seiten bebaut sind, daß man die Grundstücke, die Häuser, kaufen, abreißen und daß man neu bauen muß, daß man Versorgungsleitungen neu legen muß. Und wenn man die Trauben an den Nahverkehrsmitteln sieht, weiß man, daß das nicht mehr tragbar ist. Sie alle wissen, meine Damen und Herren, wie ernst und unter welchem Druck heute darüber diskutiert wird, daß es nötig ist, den Verkehr in verschiedene Ebenen zu lenken. Große Städte haben schon Vorstellungen davon, wie es in etwa sein könnte. Sie wissen aber auch, wieviele Millionen nötig sind, um diese Maßnahmen durchzuführen. Die Verwirklichung des Planes der Stadt München erfordert eine Summe von 350 Millionen DM. All das muß man sehen, wenn man davon spricht, was an Aufgaben vor den Gemeinden liegt und was noch getan werden müßte.
Ich will nicht noch einmal die Tabelle anführen, die mein Freund Heiland hier bei der letzten Aussprache über dieses Thema erwähnte. Sie erinnern sich an die von den kommunalen Spitzenverbänden zusammengestellte Tabelle, in der aufgezeigt wurde, wofür die Gemeinden in den letzten Jahren das ihnen zur Verfügung stehende Geld verwendet haben. Daraus ist leicht erkennbar, daß das, was hier so oft in der Mitte der Diskussion steht, draußen, in der Praxis, lange nicht in der Mitte steht. Rathäuser, kulturelle Bauten usw. sind mit so geringen Prozentsätzen in der Gesamtsumme vertreten, daß sie eigentlich nicht mit Recht in die Mitte der Diskussion gestellt werden können, wie es leider so oft geschieht.
Ich sagte eben, daß ich diese Zahlen nicht nennen will. Es ließe sich leicht eine stattliche, eindrucksvolle Reihe von Zahlen nennen, die im Zusammenhang mit den Aufgaben zu sehen wäre, von denen ich einige wenige angedeutet habe. Ich sagte, wir dürften eigentlich nicht den Gedanken ertragen, daß noch zehn Jahre lang Schulraumnot sein soll. Ich bitte Sie, dieser Frage Ihre besondere Aufmerk-
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samkeit zu schenken. Der Schichtunterricht wird u. a. nur dadurch beseitigt werden können, daß in den Schulen auch der letzte verfügbare Raum als Klassenraum benutzt wird. Die Räume für Sonderklassen stehen selbst in den neuerrichteten Volksschulen einfach nicht für diesen Zweck zur Verfügung, sondern sie müssen als Klassenräume benutzt werden, um schneller von dem Schichtunterricht wegzukommen. In der Hauptstadt dieses Landes Nordrhein-Westfalen, des Landes, in dem das Parlament der Bundesrepublik tagt, sind heute noch 25 % aller Schüler in Schichtunterricht, meine Damen und Herren, und im Lande Bayern — so habe ich noch vor wenigen Tagen lesen können — sind es heute noch 800 000 Kinder.
Ich möchte noch eine andere Aufgabe erwähnen. Sie alle haben den „Goldenen Plan" bekommen. In Ihren internen Besprechungen haben Sie zum Ausdruck gebracht — das hat man immer wieder lesen und hören könen —, daß er volle Förderung erfahren sollte. Das bedeutet aber doch — auch wenn die vorgesehenen Anteile auf die Gemeinden entfallen —, daß die Mittel für diesen Zweck in doppelter Höhe wie bisher, ja in mehr als doppelter Höhe zur Verfügung gestellt werden müssen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat sich in seiner Rede auch mit den Rücklagen bei den Gemeinden beschäftigt. Dabei hat er eine ganz feine Unterscheidung gemacht, und ich meine, daß dies nicht ohne Absicht geschehen ist. Er hat beim Bund und bei den Ländern von den „allgemeinen Deckungsmitteln" gesprochen, bei den Gemeinden jedoch nur von den „Deckungsmitteln". Die Gemeinden sind in den letzten Jahren von den Aufsichtsbehörden verstärkt dazu angehalten worden, die gesetzlichen Rücklagen zu bilden. Sie haben das getan, und Gemeinden, auf die dieser Strom an Steuergeldern zufloß — es läßt sich nicht abstreiten, daß das zum Teil geschehen ist; ich habe ja eben geschildert, unter welchen Umständen —, sind dazu übergegangen, das Geld nicht zu „verbraten", wie man so sagt, sondern sie haben Rücklagen gebildet, um in Krisenzeiten etwas fester zu stehen. Sie tun damit etwas, was die Bank deutscher Länder den Gemeinden sehr empfiehlt: diese unrentierlichen Investitionen möglichst nicht aus Mitteln zu bestreiten, die auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden. Das sagt die Bank deutscher Länder, das sagt der Wissenschaftliche Beirat des Herrn Bundesfinanzministers, den ich soeben erwähnt habe, ja das sagt sogar der Bund der Steuerzahler. Es ist also eine weithin anerkannte Auffassung, daß jetzt die Möglichkeiten, wo sie gegeben sind, genutzt werden sollen, diese Rücklagen zu bilden, auch um billiger bauen zu können. Denn jedes Bauwerk, jede Schule, die errichtet wird, kostet ungefähr die doppelte Summe, wenn sie aus Mitteln des Kapitalmarkts erstellt wird, als wenn sie aus Mitteln des Ordentlichen Haushalts erstellt würde.
Ich habe damit einige der großen Aufgaben herausgestellt. Dann drängt sich auch sofort die Frage auf: wie soll denn das Große, das hier erkennbar ist und das auf uns zukommt, möglich gemacht werden?
Damit gehe ich zu der Frage 3 über:
Welche Maßnahmen erwägt die Bundesregierung zur Wiederherstellung eines gerechten gemeindlichen Steuersystems?
Bis jetzt ist leider trotz aller Bemühungen der kommunalen Spitzenverbände, trotz aller Debatten, aller Gespräche auf allen Ebenen keine befriedigende Lösung vorgeschlagen oder gefunden worden. Es ist ,auch nicht bekanntgeworden, was die Regierung zu dieser Frage sagt. Bis heute ist die vom Bundeskanzler geforderte und vom Bundesfinanzminister mehrmals in Aussicht gestellte Denkschrift über die Lage der kommunalen Finanzen nicht vorgelegt worden.
Im Rahmen der neuen Debatten, die eine Einengung der Finanzautonomie der Gemeinden zum Ziel haben, hat man noch nicht einmal eine Besprechung mit denen geführt, die so stark davon betroffen werden, ich meine: mit den Gemeinden. Ohne geringste Fühlungnahme mit denen, denen man rund — gut aufgerundet, will ich hier einmal sagen
— 2 Milliarden DM wegnehmen will nach den Vorlagen, die jetzt in etwa in der Diskussion sind, — —
— Die jetzt in der Diskussion sind! Wenn sich das in den letzten Tagen geändert hat — das ließe sich leicht ausrechnen —, wenn der Betrag auch weniger wäre —, ich habe davon gehört, aber offiziell ist nichts anderes bekannt geworden als das, was vor einiger Zeit in der Diskussion war. Danach handelt es sich um zirka 1,8 Milliarden DM.
Meine Damen und Herren! Wir hätten erwarten können, daß man mit denen, denen man diese Beträge nehmen will, vorher Fühlung genommen hätte.
— Es ist nicht 'geschehen!
Bei der Forderung nach der Wiederherstellung eines gerechten Gemeindesteuersystems drängt sich die Frage auf: Was ist ein gerechtes System? Hat es ein solches gerechtes System gegeben? Die alten Fachleute in diesem Hause haben Jahre unter solchen Bedingungen gelebt, in denen die verschiedensten Finanzsysteme für die Gemeinden Gültigkeit hatten.
Ich schaue einmal weit zurück in die Zeit, in der die erste Grundlage für die Gemeinden geschaffen wurde, in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts
in die Zeit, in der das Miquelsche Finanzsystem Grundlage der Gemeindefinanzen wurde. Da waren
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es die Realsteuern, die den Gemeinden als Grundlage gegeben wurden, und dazu ein wichtiger Zusatz: der Zuschlag zur Einkommensteuer.
— Ja, Herr Dr. Dresbach, ich hätte es auch von mir aus gesagt; das kann man nicht übersehen, wenn man von Miquel spricht. Ich will sogar bekennen, daß 1913 in den Gemeinden aus diesem Zuschlag fast 50 % der Ausgaben gedeckt waren. Aber das war in der Zeit bis nach dem ersten Weltkrieg. Der verlorene Krieg brachte große Sorgen und Aufgaben für das Reich. Dann kam die Zeit der Erzbergerschen Finanzreform, ein Suchen, dem Reich eine größere Fülle, eine größere Ausstattung zu geben, aber dabei doch Gemeinden und Länder leben zu lassen. Wir diskutieren heute soviel über Umsatzsteuer und andere Steuern. Es ist sehr interessant, daß das Reich die Länder damals an der Einkommen- und Körperschaftsteuer beteiligte und daß die Länder den Gemeinden weiter Anteile übergeben mußten. Für Preußen wurde die Regelung so gefunden, daß es von seinem Anteil an der Umsatzsteuer 50% und an der Körperschaftsteuer 45 % den Gemeinden zubilligte. Damit ist erkennbar — nur darum erwähne ich es —, welche Möglichkeiten es gibt.
Wir haben dann die Zeit des „Tausendjährigen Reiches" gesehen, kurz vorher die furchtbare Zeit der Bürgersteuer, der „Negersteuer", wie man sie nannte.
— Es waren nicht nur solche, Herr Dr. Dresbach. Ich habe ja auch gesagt: „wie man sie nannte". Die Gemeinden selbst waren damals mit dieser Methode nicht glücklich, Herr Dr. Dresbach.
— Aber so hat man sie genannt!
Das lag daran, daß man das Ganze sehr uniform behandelte. Das war kurz vor ,der Zeit, in der die Gemeinden praktisch völlig ausgeschaltet wurden, in der 'ihnen ihre eigene Finanzgrundlage entzogen wurde. So blieb es bis nach 1945.
Ich erwähne das, weil ich meine, es ging den Gemeinden gut, als die größtmögliche Nähe an das örtliche Steueraufkommen vorhanden war, eine ziemlich nahe Beteiligung an dem, was sich in der Gemeinde bewegte. Das war nicht so einseitig aufgebaut, wie es heute ist.
Wenn wir von den Steuern sprechen, dann fällt auf — und damit leite ich zu Punkt 4 über —, daß eine dieser wichtigen Realsteuern, die Grundsteuer, den Gemeinden sehr eingeengt wurde. Die Grundsteuer, von der man allgemein als von einer Einheit spricht, besteht praktisch aus drei Elementen: aus dem Einheitswert, dem Steuermeßbetrag und dem Hebesatz. Die beiden ersten Elemente unterliegen nicht dem Einfluß der Gemeinde. Die Einheitswerte sind seit 25 Jahren festgefroren. An den Steuermeßbeträgen ist ebenfalls nichts geändert worden.
Wir haben heute, was die Gemeinden angeht, den Zustand, daß der Bund auf Grund von Bundesgesetzen in den Gemeinden hohe Steuerausfälle dadurch verursacht, daß für den Wohnungsbau Grundsteuervergünstigungen gewährt werden.
— Die Vergünstigungen klingen langsam ab, ich weiß es. Das Abklingen erfolgt allerdings sehr langsam. Es ist heute so — auch da will ich nicht die Zahlen für alle nennen; das ist wieder Statistik —, daß für eine mittelgroße Stadt aus diesen Steuervergünstigungen ein Ausfall von rund 30 Millionen DM, in diesem Jahr fast 6 Millionen DM, entsteht.
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— Andere Steuern sind auch nicht gestiegen. Denken Sie an die erste Rede, die der Bundesfinanzminister hier hielt. Dabei klang so durch: Wenn es eben geht, dann werde ich diesen Etat nicht über 40 Milliarden DM steigen lassen. Wenn Sie mir also etwas von der Gewerbesteuer erzählen wollen, dann denken Sie doch bitte auch an solche Aussprüche, die einmal getan wurden.
Mittlerweile sind ja einige Milliarden D-Mark mehr eingesetzt worden. Wir leben in einer Zeit, in der der Blick nur auf das eine gerichtet ist.
Ich wollte also sagen, wenn man dafür war und noch dafür ist, daß Wohnungen mit sozial tragbaren Mieten vorhanden sind, dann darf das nicht nur auf Kosten der Grundsteuer angestrebt werden. Es gibt auch noch andere Möglichkeiten. Man könnte in größerem Maße eine zinsverbilligte oder sogar zinslose Finanzierung vornehmen. Diese Maßnahmen müßten aber von der Ebene aus vorgenommen werden, auf der solche Gesetze beschlossen werden. Das ist die Bundesebene. Hier hätte so etwas mitbeschlossen werden müssen.
Im Jahre 1958 sind durch die erwähnten Maßnahmen den Gemeinden bis zu 30 % des jährlichen Aufkommens der Grundsteuer B ausgefallen.
Wir sind der Meinung, daß es eine gerechte Sache wäre, den Gemeinden diese Last abzunehmen. Es müßte darüber gesprochen werden, wie das geschehen soll. Unter den heutigen Umständen wäre die Finanzzuweisung eine solche Möglichkeit. In dem Gesamtzusammenhang der Neuverteilung, über die jetzt in allen möglichen Debatten gesprochen wird, sollte auch diese Frage angesprochen werden.
Ich komme nun zu Punkt 5 unserer Großen Anfrage:
Ist die Bundesregierung bereit, die gemeindliche Finanzmasse durch eine gesetzliche Beteiligung der Gemeinden an anderen Steuern zu verbessern?
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Ich habe vorhin auf die Möglichkeiten in der Vergangenheit hingewiesen. Man sollte versuchen, in möglichst große Nähe an das zu kommen, was in den Gemeinden aufkommt. Ich weiß, daß wir hier auf Grund unserer Verfassung Schwierigkeiten haben. Ich möchte jedoch darauf aufmerksam machen, daß damals die Änderung des Art. 106 des Grundgesetzes mit einer großen Mehrheit — beinahe möchte ich sagen: fast einstimmig — im Bundestag beschlossen wurde. Über eine Grundgesetzänderung würden sich also solche Möglichkeiten bieten.
— Die Bundesregierung und die dafür zuständigen Kreise sollten sich darüber ernsthafte Gedanken machen, wie man die Beteiligten zusammenbekommen kann. Die Kommunalfreundlichkeit hat sich bei der Änderung des Art. 106 des Grundgesetzes bemerkbar gemacht. Leider ist von dieser Änderung nicht das ausgegangen, was sich viele davon versprochen haben, Herr Dr. Dresbach. Ich habe das soeben schon einmal erwähnt.
Ich darf in diesem Zusammenhang einmal unser Nachbarland Österreich erwähnen. Im Jahre 1959 wurde dort eine sehr bemerkenswerte Regelung gefunden, um den Säulen dieses Staates die Möglichkeit zu geben zu existieren. In dieser Regelung geht es um zwei große Gruppen: einmal um die direkten Gemeindeabgaben, die Realsteuern, von denen hier auch schon einige Male gesprochen worden ist,
und dann weitere kleine Steuern, die auch bei uns zum Teil vorhanden sind. Wenn ich auf dieses Beispiel hinweise, so möchte ich damit nicht sagen, daß man alles schematisch übernehmen sollte. In Osterreich ist eine ganz andere Verfassung vorhanden. Ich wollte diese Beispiele nur als Möglichkeiten erwähnen, die man diskutieren sollte. Bemerkenswert ist auch, daß die Regelung für diese beiden großen Gruppen, die direkten Gemeindeabgaben und die Gemeideanteile an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben mit festen Anteilen für Bund, Länder und Gemeinden, für einen Zeitabschnitt von fünf Jahren getroffen wurde. Also eine weit vorausschauende Arbeit, die da sichtbar wird. Dabei tauchen auf die Einkommensteuer, die Lohnsteuer, die Kapitalertragssteuer, die Umsatzsteuer, die Biersteuer, die Weinsteuer, die Mineralölsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer. Wie oft sind allein die beiden letzgenannten Steuern von den Gemeinden in die Diskussion einbezogen worden, wie oft ist von ihnen geltend gemacht worden, daß sie hier eigentlich die größte Berechtigung hätten, beteiligt zu werden.
— Herr Dr. Dresbach, Sie kommen, glaube ich, aus einem Gebiet, wo in nächster Nähe die Gemeindegetränkesteuer abgeschafft wurde. Der Erfolg für den Verbraucher war gleich Null. Ich erwähne das nur im Zusammenhang mit dem, was ich soeben schon herausgehoben habe: daß wir hier nicht stur nur auf eine Möglichkeit sehen sollten, die vielleicht sehr schwer zu verwirklichen wäre. Ich wollte aufzeigen, daß es eine große Fülle von Möglichkeiten gibt, ernsthaft geprüft werden muß: Was ist für uns tragbar, was ist für uns aus unserem staatlichen Aufbau heraus auch zu verantworten?
Das Wichtigste für uns in dieser Debatte ist aber doch das, was in dem § 15 dieses Finanzausgleichsgesetzes festgelegt ist. Meine Damen und Herren, und Herr Dr. Dresbach, 'darf ich einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Ich weiß ja, —
— Ich will da nicht mitsprechen, — ich weiß aber, wie sehr Ihnen diese Sache am Herzen liegt, Herr Dr. Dresbach; darum meine ich, daß dies Ihre Aufmerksamkeit auch verdient.
In § 15 ist festgelegt worden, Herr Staatssekretär,
— der Herr Minister ist leider heute nicht anwesend, Krankheit hinderte ihn; ich glaube, wir sollten ihm bei dieser Gelegenheit eine baldige Gesundung wünschen —,
daß der Bund v o r Inangriffnahme steuerpolitischer Maßnahmen, die für die Gebietskörperschaften mit einem Ausfall an Steuern verknüpft sein können, Verhandlungen mit den beteiligten Gebietskörperschaften einzuleiten hat. Ich meine, daß das auch an die Adresse gerichtet werden muß, an die ich es soeben von mir aus gerichtet habe. Ich habe soeben Zahlen über die Riesenbeträge genannt, die den Gemeinden weggenommen werden sollen, und darf Ihnen dazu sagen, daß vorher keine Fühlungnahme mit den Gemeinden stattgefunden hat. Es wäre sicher für alle Beteiligten besser, wenn man Fühlung genommen, wenn man dieses Gebot der Fairneß erfüllt hätte.
Ich sagte zu Anfang, daß dieses Hohe Haus viele bemerkenswerte Debatten über die notwendige Finanzgrundlage der Gemeinden erlebt hat. Wir haben dabei viel über die Bedeutung der Gemeinden hören können. Ich habe das schon hervorgehoben. Wir müssen aber auch immer wieder darauf hinweisen, daß 'den Gemeinden, wenn sie diese Aufgaben erfüllen sollen, auch eine entsprechende Finanzgrundlage gegeben werden muß. Die jetzige einseitige Finanzgrundlage, meine Damen und Herren, ist ungenügend und ist ungesund. Sie ist eine Gefahr für die Selbstverwaltung in vielen, vielen Gemeinden, aber auch, möchte ich sagen, eine Gefahr für den Staat, der noch nicht im Bewußtsein genügend vieler Bürger dieses Staates verankert ist, in den großen Städten wie auch in den kleinen, aber auch auf dem sogenannten flachen Lande; denn das gehört mit dazu. Ich las vor einiger Zeit, daß ein Kollege aus unserem Kreise hier — ein Mitglied der CDU — auf einer Veranstaltung des Landkreistages — ich hoffe, daß ich das richtig in Erinnerung
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habe — schilderte, daß bei der letzten Bundestagswahl die Bürger einer Gemeinde gestreikt haben, weil ihr jahrelanger Kampf um bessere Straßen erfolglos geblieben sei. Ich will das in diesem Zusammenhang nicht vertiefen.
Meine Damen und Herren! Die Ungeduld wächst, in den großen Städten wie auch in den finanzschwachen Gemeinden. Ich will hier an die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 29. Oktober 1957 erinnern. Er sagte damals:
Ausdrücklich möchte ich in diesem Zusammenhang auch sagen, daß die Bundesregierung in der kommunalen Selbstverwaltung das Fundament des demokratischen Staatsaufbaues sieht. Es wird eine ihrer vornehmsten Aufgaben sein, zur Förderung der Gemeinden beizutragen.
Der Herr Bundesfinanzminister hat sich hier am 30. September beklagt, daß die Bundesregierung keine direkte Einwirkung auf die Ausgabengebarung der Länder und der Gemeinden habe. Er hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß der Senator Nolting-Hauff im Bundesrat das Problem der Ausgaben nicht nur ein verfassungsmäßiges Problem, sondern auch ein Problem des Gesamtplanes genannt habe. Damit will ich nochmals auf das zurückblenden, was ich soeben in diesem Zusammenhang sagte. „Wenn dem so ist, muß der Gesamtplan von uns auch mitdiskutiert werden können, sonst sind wir in einer schlechten Assiette", — so sagte der Herr Bundesfinanzminister. Denken Sie an den § 15 des österreichischen Finanzausgleichsgesetzes, den ich soeben erwähnte. Das Gespräch mit den Gemeinden muß zur rechten Zeit aufgenommen werden. Die Aushöhlung der Gemeindefinanzen durch den sogenannten unsichtbaren Finanzausgleich muß aufhören. In dem Finanzwissenschaftlichen Institut der Universität Köln ist unter dem Professor Schmölders eine sehr interessante wissenschaftliche Arbeit gemacht worden, die sich mit diesem „unsichtbaren Finanzausgleich" beschäftigt. Damit ist gemeint, daß der Staat den Gemeinden Aufgaben zuschiebt, die für diese zu verminderten Steuereinnahmen, aber auch zu vermehrten Ausgaben führen. Das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Untersuchung ist, daß heute nahezu 10% des Aufkommens aus den wichtigsten Steuern der Gemeinden diesen verlorengehen. Im Mittelpunkt der Untersuchung haben Bundessteuern sowie Landessteuern gestanden.
Meine Damen und Herren, ich habe soeben schon den Herrn Bundeskanzler in Verbindung mit der Tagung in Bad Godesberg erwähnt. Bei der Debatte über die Finanzgrundlagen der Gemeinden wurde erkennbar, daß die Gemeinden große Aufgaben vor sich haben und daß sie praktisch sozusagen auf einem Bein, auf dem Bein „Gewerbesteuer", stehen. Der Herr Bundeskanzler sagte damals:
Bei den Gemeinden liegen die wesentlichsten Aufgaben. Sie müssen in ihren Einnahmequellen frei verantwortlich bleiben. Mir wäre nicht wohl, wenn ich unter diesen Umständen Leiter eines großen Gemeinwesens wäre.
Die Teilnehmer dieses Gesprächs, die aus dem kommualen Bereich kamen, gingen mit dem Gefühl nach Hause: Nun werden weitere Belastungen nicht mehr kommen; sie werden abgewehrt; es wird etwas geschehen, damit die Gemeinden von dem einen Bein herunterkommen. Nichts von alledem bis jetzt! Jetzt soll sogar dieses eine Bein noch angesägt werden, es soll geschwächt werden.
Warum geht man nicht daran, mit Sicherheit erkennbare Komplikationen — vorher! — auszuräumen?
Hinterher wird man sagen: Die Operation ist gut verlaufen — der Patient ist tot. Ich will nicht übertreiben, aber in diesem Fall heißt „tot" ganz klarer Verlust der Selbstverwaltung vieler, vieler Gemeinden, weil ihnen die Finanzgrundlage entzogen wird. Sie werden Verwaltungsstellen. Bei den Bürgern verkümmert das Gefühl, daß sie Mitwirkende, Mittragende dieses Staates sind. Das aber kann und sollte niemand wollen, der es in diesem Hause und in der Regierung mit unserem demokratischen Staatsaufbau ernst meint.
Das steckt hinter der Großen Anfrage der sozialdemokratischen Fraktion. Wie ernst meint man es mit der Demokratie, wenn man ihre Keimzelle verkümmern läßt? Gemeindenot ist Bürgernot, ist Not der Demokratie!
Das Wort zur Beantwortung der Großen Anfrage hat Herr Staatssekretär Hettlage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für den erkrankten Herrn Bundesminister der Finanzen beantwortete ich namens der Bundesregierung die große Anfrage der Fraktion der SPD über den Stand der Gemeindefinanzen.
Würde man die Finanzlage der Gemeinden nach der Entwicklung der gesamten Ausgaben und der Steuereinnahmen aller Gemeinden und Gemeindeverbände beurteilen, so könnte sie nur günstig genannt werden. Die gesamten Gemeindeausgaben sind von 13,6 Milliarden DM in 1955 auf schätzungsweise 20,9 Milliarden DM in 1960 gestiegen. Der gesamte Finanzrahmen der Gemeinden ist in fünf Jahren um rund 53 v. H. gewachsen.
Noch günstiger ist die Entwicklung der allgemeinen Deckungsmittel, vor allen Dingen der Steuern. Diese stiegen von 5 Milliarden DM in 1955 auf schätzungsweise 8,5 Milliarden DM in 1960, d. h. in fünf Jahren um 72 v. H.
Mit dieser außerordentlich großen Zunahme der Steuereinnahmen liegen die Gemeinden weit über dem Bund; sie werden allerdings noch von den gewaltigen Steuermehreinnahmen der Länder über-
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Staatssekretär Dr. Hettlage
troffen. Der Zuwachs für die gleiche Zeit ist beim Bund auf 52 v. H., bei den Ländern auf 85 v. H. zu schätzen.
Ein wirklich zutreffendes Urteil über die Entwicklung der Gemeindefinanzen ist aber ,an Hand solcher Gesamtzahlen für alle Gemeinden und Gemeindeverbände nicht möglich.
Sie erlauben bestenfalls eine stark verallgemeinernde Beurteilung nach Durchschnittsgrößen. Solche Durchschnittszahlen für 24 000 Gemeinden, davon 17 000 unter 1000 Einwohnern, haben wegen der allzu großen örtlichen Unterschiede nur einen recht bedingten Aussagewert. Von einer geordneten und guten Finanzlage der Gemeinden und Gemeindeverbände kann dann gesprochen werden, wenn die unabweisbaren Aufgaben aller Gemeinden und Gemeindeverbände aus eigenen und zugewiesenen Deckungsmitteln ordnungsgemäß erfüllt werden können.
Besonders kennzeichnend für die Lage der Gemeindefinanzen ist der ständig steigende Umfang der gemeindlichen Investitionen, die in wachsendem Maße aus Überschüssen der laufenden Rechnung — einschließlich der Zweckzuweisungen aus Landesmitteln — gedeckt werden. Die aus diesen Deckungsmitteln, also ohne Kreditmarkt-Verschuldung finanzierten Investitionen sind von rund 3 Milliarden DM in 1955 auf rund 4 Milliarden DM in 1958 gestiegen und werden wahrscheinlich rund I 6 Milliarden DM in 1960 betragen. Das bedeutet, daß die nicht aus Krediten finanzierten Investitionen der Gemeinden sich in fünf Jahren etwa verdoppelt haben.
Unzweifelhaft wächst der legitime und großenteils auch unabweisbare Investitionsbedarf der Gemeinden von Jahr zu Jahr. Das hängt mit der Entwicklung unserer gesamten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung zusammen. Bei wachsenden privaten Ansprüchen an die Lebenshaltung wachsen naturgemäß auch die Ansprüche, die die Bürger mit Recht an die Befriedigung öffentlicher Gemeinschaftsbedürfnisse stellen. Im Zuge dieser Entwicklung weitet sich nicht nur der Aufgabenbereich der Gemeinden, gleichzeitig steigen die Ansprüche an die Art und die Güte der öffentlichen Einrichtungen und damit die Kosten. Dies führt zu einem entsprechenden, teilweise sprunghaften Wachstum des Gemeindefinanzbedarfs, vor allem für Bauten und sonstige Investitionen.
Unter diesen gemeindlichen Aufgabenbereichen ragen der Schulbau, der Straßenbau und der Krankenhausbau besonders hervor. Deshalb möchte ich mit wenigen Worten darauf eingehen.
Der Finanzbedarf für Schulbauten ist Gegenstand sorgfältiger Untersuchungen gewesen. Eine Denkschrift der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, bearbeitet von den Herren Edding und Albers, hat die Größe der Schulausgaben von 1960 bis 1970 untersucht. Sie geht davon aus, daß in diesen zehn Jahren für die allgemeinbildenden Schulen unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände ein zusätzlicher Schulraumbedarf von etwa 130 000 Klassen entsteht. Dieser Bedarf von etwa 13 Milliarden DM, einschließlich der Stadtstaaten, umfaßt nicht nur den eigentlichen Fehlbestand an Klassen und die notwendigen Ersatzbauten, sondern darüber hinaus auch den Mehrbedarf infolge der weiteren Zunahme der Schülerzahl, der Einführung eines neunten Schuljahres, eines verstärkten Überganges zu den weiterführenden Schulen und nicht zuletzt auch einer erheblichen Senkung der hohen Klassenfrequenzen. Dieser Schulraumbedarf kann nach unseren Feststellungen im wesentlichen mit den Mitteln, die in den kommenden Jahren voraussichtlich für den Schulbau verfügbar sind, ohne zusätzliche allgemeine Finanzierungsmaßnahmen aus Gemeindemitteln und aus ergänzenden Ländermitteln gedeckt werden. Der Schichtunterricht kann in wenigen Jahren beseitigt werden.
Diese allgemeinen Feststellungen mögen hierzu genügen. Sie werden durch sorgfältige Erhebungen und Berechnungen des Bundesministeriums der Finanzen bestätigt.
Der Straßenbau nimmt unter den gegenwärtigen und künftigen Aufgaben der Gemeinden eine Sonderstellung ein. Hier sind zusätzliche Deckungsmittel zur Erfüllung der ,sprunghaft wachsenden Anforderungen an den Straßen- und Städtebau unentbehrlich. Aus diesem Grunde hat das Straßenbaufinanzierungsgesetz von 1960 für die Gemeinden zusätzliche Einnahmen in beträchtlicher Höhe erschlossen, die dem gemeindlichen Straßenbau jährlich ,etwa 400 Millionen DM mehr als bisher zuführen. Eine Einwirkung auf die Verteilung dieser zusätzlichen Deckungsmittel ,auf die einzelnen Gemeinden und Gemeindeverbände in den Ländern ist dem Bundesgesetzgeber nach der Verfassung im allgemeinen leider verwehrt. Bei der Verabschiedung des Straßenbaufinanzierungsgesetzes und bei seinem zwischenzeitlichen Vollzug beanspruchen die Länder die alleinige Zuständigkeit, über die zweckmäßige Verwendung ,dieser Mittel für den gemeindlichen Straßenbau zu entscheiden. Unmittelbare Finanzhilfen gewährt der Bund im Rahmen des Straßenbaufinanzierungsgesetzes deshalb nur für den Ausbau der Ortsdurchfahrten im Zuge von Bundesstraßen und neuerdings auch für andere gemeindliche Straßenbauten, die mit dem Ausbau des Bundesstraßennetzes in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Von dem Gemeindeanteil an den Mehreinnahmen nach dem Straßenbaufinanzierungsgesetz entfallen .auf diese letzte Zweckbestimmung 100 Millionen DM. Diese Mittel werden in den kommenden Jahren weiter erhöht werden.
Die Mehreinnahmen aus dem Straßenbaufinanzierungsgesetz, die in Iden nächsten Jahren weiter ansteigen, gestatten es, die Aufwendungen der Gemeinden für den Straßenbau in den kommenden vier Jahren um etwa 50 v. H. zu erhöhen. Trotz 'dieser beträchtlichen Vermehrung der Deckungsmittel werden dringende Erfordernisse des Straßen- und Städtebaues an vielen Steilen noch nicht ausreichend finanziert sein. Hier ist es nach dem Willen des Grundgesetzes in erster Linie Aufgabe der Län, der, Idurch geeignete Maßnahmen im Rahmen des
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Staatssekretär Dr. Hettlage Gemeindefinanzausgleichsgesetzes, beispielsweise durch den Steuerverbund bei der Kraftfahrzeugsteuer, zusätzliche Deckungsmittel dorthin zu bringen, wo sie vordringlich benötigt werden.
Weitere Schwerpunkte der gemeindlichen Investitionstätigkeit, wie z. B. der Krankenhausbau, können aus eigenen Einnahmen, vor allem in den großen Städten, in steigendem Maße gefördert werden. Auch die Zweckzuweisungen der Länder zum Ausbau der gemeindlichen Krankenhäuser sind beachtlich erhöht worden.
Der Finanzbedarf für die Wasserversorgung und vor allem für die Abwasserbeseitigungsanlagen ist besonders groß. Die Finanzierung dieser Investitionen wind jedoch wesentlich dadurch erleichtert, daß es sich hier um Gebührenanstalten handelt.
Um eine möglichst zuverlässige Grundlage zur Beurteilung des unabweisbaren gemeindlichen Investitionsbedarfs in den nächsten zehn Jahren zu bekommen, hat das Bundesfinanzministerium vor einiger Zeit ein Gutachten seines Wissenschaftlichen Beirats erbeten. Dieses Gutachten steht zu Ihrer Verfügung. Das Gutachten, das im Juli 1959 abgeschlossen wurde, kommt zu dem Ergebnis, daß der unabweisbare zusätzliche Investitionsbedarf der Gemeinden aus dem alljährlichen Anwachsen des Überschusses der vermögensunwirksamen Rechnung, h: überwiegend aus den. Steuereinnahmen, gedeckt wäre, wenn das Bruttosozialprodukt im Durchschnitt der nächsten zehn Jahre jährlich um 3,5 v. H. wachsen würde. Ein zusätzlicher Finanzbedarf ergibt sich nach Auffassung des Wissenschaft-lichen Beirats nur wegen der ungleichmäßigen Verteilung der Gemeindefinanz masse. Tatsächlich alber ist . das Bruttosozialprodukt schon in 1959 um 8,2 v. H. und in 1960 wahrscheinlich sogar um 11 v. H. gegenüber dem Vorjahr gewachsen. Als Folge dieser Entwicklung haben die Steuereinnahmen der Gemeinden schon im Jahre 1959 den Jahresbetrag überschritten, der nach den Feststellungen des Wissenschaftler-Gutachtens als durchschnittliche Steuereinnahme für die Jahre 1958 bis 1967 angenommen wunde und der nach ihrer Meinung bei besserer Verteilung der Gemeindefinanzmasse bereits zur Deckung der steigenden Investitionsausgaben der Gemeinden ausreichen würde.
Das zentrale Problem der gesamten gemeindlichen Finanzwirtschaft liegt heute und auf absehbare Zeit nach der Meinung des Bundesministeriums der Finanzen nicht mehr in erster Linie darin, daß die Deckungsmittel dem wachsenden Bedarf nur unzureichend folgen, sondern darin, daß die ständig wachsende Gemeindefinanzmasse sehr ungleichmäßig und unzureichend auf die ,einzelnen Gemeinden und Gemeindeverbände verteilt ist.
Die richtige Lösung dieses Problems einer Neuordnung des Gemeindefinanzausgleichs entscheidet nach unserer Meinung über die künftige Entwicklung des Gemeindewesens in unserem Lande und damit über eine kraftvolle örtliche Selbstverwaltung.
Die Unterschiede in der Finanzausstattung der einzelnen
Gemeinden und Gemeindeverbände haben sich seit dem Kriegsende wesentlich vergrößert. Der Anteil der eigenen gemeindlichen Steuereinnahmen und der Finanzzuweisungen der Länder an den Gesamteinnahmen hat sich in den letzten Jahren bei wachsendem Gesamtvolumen der Gemeindehaushalte zwar kaum verändert, jedoch ist innerhalb der Steuereinnahmen — wie allgemein bekannt — eine grundlegende Verschiebung eingetreten. Der Anteil der Gewerbesteuer, der schon während des Krieges eine überragende Stellung im Gemeindesteuersystem hatte, ist von 59 v. H. in 1951 auf 75 v. H. in 1959 und wahrscheinlich auf 77 v. H. in 1960 angewachsen. Gleichzeitig ist 'der Anteil der Grundsteuer, der auf den Werten von 1935 beruht, von 32 v. H. in 1951 auf 18 v. H. in 1959 zurückgegangen.
Dieses Übergewicht der Gewerbesteuer hat zu Unterschieden in der örtlichen Steuerkraft geführt, die mit den bisherigen Methoden und Maßstäben des Gemeindefinanzausgleichs kaum noch hinreichend ausgeglichen werden können. Die Steuerausstattung je Einwohner zwischen den kleinen Landgemeinden und den kreisfreien Städten erreicht mit dem Vierfachen eine Spannweite, wie sie früher nie bestanden hat. Solche Unterschiede in der örtlichen Finanzausstattung können auf die Dauer nicht hingenommen werden, well sich die Ansprüche der Bürger an die örtliche Verwaltung in Stadt und Land immer mehr angleichen. Es ist auf die Dauer nicht vertretbar, daß die Schulen oder die Straßen oder sonstige Gemeindeeinrichtungen deshalb weniger gut sein sollen, weil die betreffende Gemeinde steuerschwächer ist als eine andere.
Hier liegt die wichtigste Zukunftsaufgabe für die Gesetzgebung über den gemeindlichen Finanzausgleich.
Ein intensiverer Gemeindefinanzausgleich soll selbstverständlich nicht die Finanzausstattung aller Gemeinden auf einen einheitlichen Kopfbetrag ausgleichen. Der echte Finanzbedarf der Gemeinden und Gemeindeverbände ist nach Gemeindegrößengruppen recht verschieden und wird es immer bleiben. Diese Unterschiede sind der Ausdruck einer verschiedenen Wirtschafts- und Sozialstruktur, die auch in Zukunft zwischen Stadt und Land und zwischen den Städten bestehenbleiben wird. Eine nivellierende Angleichung von Bedarf und Deckung bei allen Gemeinden würde auch die Lebenskraft des Selbstverwaltungsgedankens aushöhlen und damit zu einer Verarmung des politischen Lebens führen.
Jedoch muß das Ausmaß der heutigen Unterschiede der Finanzausstattung auf die Dauer verringert werden. Der Gemeindefinanzausgleich muß hier die Folgerungen aus der allgemeinen Veränderung der Wirtschafts- und Sozialstruktur und aus dem Wandel der Gemeinschaftsbedürfnisse in Stadt und Land ziehen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7775
Staatssekretär Dr. Hettlage
Unter diesen Gesichtspunkten sind auch die Maßnahmen zu sehen, die im Zuge der geplanten Erleichterung bei der Gewerbesteuer zugunsten finanzschwacher Gemeinden ergriffen werden müssen,
Herr Abgeordneter Keuning, der Ausfall an Gewerbesteuer bei einem Steuerfreibetrag von 7200 DM bei Gewerbeerträgen bis 50 000 DM beträgt etwa 530 Millionen DM jährlich, nicht 1,8 Milliarden DM. Ich möchte auf diese berühmte — —
— Die Mehreinnahmen bei der Einkommensteuer würden, beim Bund etwa 40 Millionen und bei den Ländern ungefähr 80 Millionen DM ausmachen.
Bei den meisten Gemeinden würde die beabsichtigte Erhöhung des Freibetrages auf 7200 DM bei einem Gewerbeertrag bis 50 000 DM nicht zu einer unzumutbaren Minderung des Gewerbesteueraufkommens führen; vielmehr würde nur das weitere Ansteigen des Gewerbesteueraufkommens gebremst. Bei einer Reihe von finanzschwachen Gemeinden würde der Ausfall jedoch besondere Ausgleichsmaßnahmen erfordern. Diesen Ausgleich zu schaffen ist nach der Verfassung Aufgabe der Länder. Die Finanzlage der Länder hat sich in den beiden letzten Jahren ungewöhnlich günstig entwickelt und wird sich weiter verbessern. Die Einnahmen der Länder wuchsen 1959 um 2,3 Milliarden DM. Sie werden 1960 abermals um 3 Milliarden DM steigen,
Nach neuesten Schätzungen werden sie 1961 sogar 3,8 Milliarden DM mehr als im Vorjahr erreichen. Das bedeutet, daß die Steuereinnahmen der Länder in drei Jahren insgesamt um 9,1 Milliarden DM gestiegen sind.
— Die Einnahmen des Bundes sind in der gleichen Zeit um etwas über 10 Milliarden DM gestiegen. Unter diesen Umständen können die erforderlichen Maßnahmen zum Ausgleich eines unzumutbaren Gewerbesteuerausfalls, der mit etwa 250 Millionen DM geschätzt wird, von den Ländern nach unserer Meinung ohne besondere Schwierigkeiten getroffen werden.
Bei ihrer Gewerbesteuerinitiative geht die Bundesregierung davon aus, daß bei der Verabschiedung des Gesetzes der Ausgleich eines unzumutbaren Gewerbesteuerausgleichs für finanzschwache Gemeinden durch die Länder gesichert sein muß. Entsprechende Verhandlungen mit den Landesregierungen sind eingeleitet worden.
Das Grundgesetz verwehrt es dem Bundesgesetzgeber leider — ich sage ausdrücklich „leider" —, diese Fragen zu lösen. Die Regelung des Gemeindefinanzausgleichs ist nach dem Grundgesetz ausschließlich der Landesgesetzgebung vorbehalten.
Angesichts der untrennbaren Verflechtung von Wirtschaft und Steuern und angesichts der finanzwirtschaftlichen Einheit der Haushalte des Bundes, der Länder und der Gemeinden erscheint diese Entscheidung des Grundgesetzes im Hinblick auf die zwischenzeitliche und künftige Entwicklung nicht sinnvoll.
Ein großer Finanz- und Steuerverbund zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden, wie ihn die Weimarer Reichsverfassung mit einem wohlausgewogenen Überweisungs- und Ausgleichssystem kannte, würde den heutigen und künftigen Bedürfnissen besser dienen. Er gäbe den Gemeinden ihre Stellung als dritte selbständige Gruppe im System der bundesstaatlichen Finanzverfassung zurück.
Herr Abgeordneter Keuning, vor etwa anderthalb Jahren haben wir geprüft, ob eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer möglich sei. Die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer war zur Weimarer Zeit das wichtigste Ausgleichsinstrument zwischen Reich, Ländern und Gemeinden. Es wäre erwünscht, wenn unser heutiges Finanzsystem eine ähnliche Überweisungssteuer mit Ausgleichsfunktionen hätte.
Wir haben damals mit den Ländern Fühlung genommen, um festzustellen, ob 'die erforderliche Verfassungsänderung Aussicht auf Annahme habe. Die Länder haben uns erklärt, daß sie einer solchen Verfassungsänderung, die eine unmittelbare Finanzbeziehung zwischen dem Bund und den Gemeinden herstellen würde, nicht zustimmen würden.
Eine umfassende kommunale Finanz- und Steuerreform, deren Programm nicht durch die Schranken der gegenwärtigen Finanzverfassung begrenzt werden darf, sollte daher alsbald in Angriff genommen werden. Sie setzt ein Zusammenwirken aller politischen Kräfte in Bund und Ländern voraus. Eine solche Reform muß sorgfältig vorbereitet werden und nimmt unvermeidlich längere Zeit in Anspruch. Da aber ein verstärkter Steuerkraftausgleich unter den Gemeinden nicht länger hinausgeschoben werden kann, sind Übergangsmaßnahmen der Länder auf dem Gebiet des gemeindlichen Finanzausgleichs im Rahmen der geltenden Finanzverfassung in der Zwischenzeit nicht zu entbehren.
Der Gemeindefinanzausgleich der Länder entspricht in seinen Grundzügen noch dem Schlüsselsystem der Vorkriegszeit und ist auf wesentlich geringere Steuerkraftunterschiede unter den Gemeinden abgestellt, als sie heute bestehen. Eine stärkere Ausrichtung des gesamten Gemeindefinanzausgleichs in den Ländern auf die Deckung des Finanzbedarfes der ,steuerschwachen Gemeinden ist deshalb - notwendig. Darüber hinaus muß erwogen werden, die steuerstarken Gemeinden, deren Finanzkraft weit über dem Durchschnitt ihrer Ge-
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meindegruppe hinausgeht, zur Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben anderer Gemeinden und Gemeindegruppen heranzuziehen. Dieser Gedanke eines zwischengemeindlichen Finanzausgleichs kann nicht durch unmittelbare Zahlungen der steuerstarken an die steuerschwachen Gemeinden verwirklicht werden. Hierzu bedarf es vielmehr besonderer Einrichtungen der Länder, wie z. B. des Ausbaues einer Landesumlage, die in einigen Ländern schon zur Verstärkung der Landesfinanzmasse und damit mittelbar auch zugunsten einer größeren Ausgleichsmasse im Gemeindefinanzausgleich erhoben wird.
Ein Wort noch zu der Entwicklung der gemeindlichen Verschuldung. Sie kann ebenso wenig summarisch beurteilt werden wie die Entwicklung der allgemeinen Deckungsmittel. Die Schuldenlast der Gemeinden insgesamt hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Das allein wäre Grund genug, die Entwicklung sorgfältig zu beobachten. Dabei fällt auf, daß der Zuwachs der Verschuldung im allgemeinen keineswegs bei den steuerschwachen Gemeinden und Städten am größten ist; vielmehr weisen gerade steuerstarke Städte eine außerordentlich hohe Verschuldung auf. Das mag darauf zurückzuführen sein, daß hohe Steuereinnahmen den Verschuldungsrahmen erweitern und die Verschuldungsgrenze hinaufschieben. Bei manchen finanzstarken Städten wäre es jedoch erwünscht, wenn sie sich bei der Neuaufnahme von Schulden stärkere Zurückhaltung auferlegen würden, weil die besonders konjunkturempfindlichen Gewerbesteuermehreinnahmen nicht in vollem Ausmaß als sichere Dekkung für den Schuldendienst angesehen werden können. Auch die Aufsichtsbehörden der Länder sollten bei der Genehmigung von Gemeindedarlehen in dem gleichen Sinne wirken. Es kann jedenfalls nicht allgemein gesagt werden, daß höhere Steuereinnahmen zur Verminderung der Kreditaufnahmen führen würden, weil die erhöhten Einnahmen zugleich die Möglichkeit geben, höhere Aufwendungen für den Schuldendienst zu leisten.
Die Schulden der Gemeinden betrugen am :31. März 1960 rund 12,4 Milliarden D-Mark. Die Bedeutung dieser Zahl wird dadurch beleuchtet, daß die vermögensunwirksamen Einnahmen der Gemeinden im Rechnungsjahr 1959 15,8 Milliarden D-Mark betrugen. Für die Gesamtheit der Gemeinden ist das Verhältnis zwischen Schuldenstand und einem Jahres-Soll der ordentlichen Deckungsmittel nicht zu beanstanden. Auch hier liegen aber die Verhältnisse örtlich außerordentlich verschieden. Bei nicht wenigen Gemeinden hat der Schuldenstand bereits eine kritische Höhe erreicht. Wo diese kritische Höhe im Einzelfall liegt, läßt sich nicht allgemein bestimmen. Einen gewissen Anhalt bietet das Verhältnis der jährlichen Nettoaufwendungen für den Schuldendienst zu den ordentlichen Dekkungsmitteln. Im Jahre 1958 haben die Gemeinden für den Schuldendienst rund 650 Millionen D-Mark aufgewendet, d. h. 4,5 v. H. ihrer ordentlichen Dekkungsmittel. Der Schuldendienst hat sich im Jahre 1958 gegenüber dem Vorjahr zwar um 200 Millionen D-Mark erhöht, jedoch entfallen davon 160 Millionen d. h. 80 v. H. auf höhere Tilgungsleistungen.
Unbeschadet begründeter Besorgnisse bei einzelnen Gemeinden gibt der gesamte Schuldenstand der Gemeinden noch keinen Anlaß zu allgemeinen Besorgnissen. Die Entwicklung muß jedoch von den hier verantwortlichen Landesregierungen und Gemeindeaufsichtsbehörden sorgfältig beobachtet werden.
Diese allgemeinen Überlegungen und Feststellungen über Stand und Entwicklung der Gemeindefinanzen lassen sich in Beantwortung der einzelnen Fragen der Großen Anfrage wie folgt zusammenfassen:
1. Die Gesamtentwicklung der Gemeindefinanzen ist günstig. Es besteht kein Anlaß zu der Befürchtung, daß die finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden von der Finanzentwicklung her beeinträchtigt würde. Auch ist das Anwachsen der gemeindlichen Verschuldung im Hinblick auf die ständige Steigerung der ordentlichen Deckungsmittel, vor allem der Steuern, im allgemeinen nicht beunruhigend.
2. In Übereinstimmung mit den Feststellungen des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium darf erwartet werden, daß die Gemeinden ihre vermehrten und unaufschiebbaren Aufgaben, vor allem ihre Investitionen, ohne Erhöhung ihres Anteils am gesamten Steueraufkommen erfüllen können. Die Bundesregierung ist jedoch der Meinung, daß die bedenkliche Zunahme der Steuerkraftunterschiede unter den Gemeinden und Gemeindeverbänden schnelle und wirksamere Ausgleichsmaßnahmen der Länder im Rahmen des Gemeindefinanzausgleichs erfordert.
Eine teilweise Umschichtung der Steuereinnahmen zwischen den Gemeinden scheint dazu unentbehrlich. Das Grundgesetz versagt dem Bundesgesetzgeber und der Bundesregierung, selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Ziel zu erreichen.
3. Die Ausgewogenheit des Gemeindesteuersystems ist heute durch den übergroßen Anteil der Gewerbesteuer an den Deckungsmitteln und durch das Zurückbleiben der Grundsteuer gestört. Diese Entwicklung ist nicht nur durch das Ansteigen der Gewerbeerträge, sondern wesentlich auch dadurch bestimmt, daß die Einheitswerte für das Grundvermögen seit 1935 nicht neu festgesetzt sind.
Im Rahmen eines neuen Bewertungsgesetzes ist eine Neubewertung des Grundbesitzes dringlich.
Dabei werden die besonderen Verhältnisse beim landwirtschaftlichen Grundbesitz zu würdigen sein. Inwieweit neue Einheitswerte zu einem höheren Grundsteueraufkommen führen, wird unter den Gesichtspunkten einer gerechten Steuerbelastung besonders zu prüfen sein. Der Entwurf eines neuen
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Bewertungsgesetzes sollte zu Beginn der neuen Legislaturperiode alsbald eingebracht werden.
Die Neubewertung des Grundbesitzes sollte nach der Auffassung der Bundesregierung eine allgemeine Überprüfung des gemeindlichen Steuersystems einleiten. Dabei wird der veränderten Stellung der Gemeinden im gesamten öffentlichen Aufgabenbereich Rechnung zu tragen sein. Das wichtigste Ziel einer umfassenden Neuordnung des gemeindlichen Steuersystems sollte sein, die Eigenverantwortung der Gemeinden für ihre Aufgaben und Ausgaben und deren Deckung in größtmöglichem Umfang zu gewährleisten.
4. Eine Erstattung des Einnahmeausfalles, der den Gemeinden aus der Grundsteuerbefreiung für den sozialen und den steuerbegünstigten Wohnungsbau erwächst, ist nicht gerechtfertigt. Die Förderung des Wohnungsbaues ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden. Für die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaues sind in den Jahren 1950 bis 1959 aus öffentlichen Quellen insgesamt 28,7 Milliarden D-Mark aufgewendet worden. Davon entfallen 18,7 Milliarden D-Mark auf den Bund — einschließlich Lastenausgleich und Kohlenabgabe —, 6,8 Milliarden D-Mark auf die Länder und 3,2 Milliarden D-Mark auf die Gemeinden und Gemeindeverbände. Die Mindereinnahmen der Gemeinden an der Grundsteuer werden für den gleichen Zehnjahreszeitraum auf etwa 1,5 Milliarden
D-Mark geschätzt. Diese zeitlich begrenzten Mindereinnahmen bei der Grundsteuer stellen einen Beitrag der Gemeinden zur Förderung des Wohnungsbaues dar, der angesichts der Leistungen des Bundes für den gleichen Zweck zumutbar scheint.
5. Artikel 106 des Grundgesetzes gestattet dem Bund nicht, die Gemeinden am Aufkommen von Bundessteuern zu beteiligen. Nach geltendem Verfassungsrecht können die Gemeinden nur an Landessteuern beteiligt werden; dabei ist der Gemeindeanteil durch Gesetz festzulegen. Nach der Grundkonzeption unserer heutigen Finanzverfassung soll es keinen vertikalen Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geben. Eine Änderung dieser Grundkonzeption haben die Länder mehrfach, vor allem bei der Neuordnung der Finanzverfassung im Jahre 1955, entschieden abgelehnt.
Der Bundesminister der Finanzen hat in seinen Haushaltsreden mehrfach darauf hingewiesen, daß die heutige Finanzverfassung den künftigen finanziellen und politischen Bedürfnissen des Bundes nicht entspricht. Die Zwischenlösung der Finanzverfassung von 1955 kann nicht als endgültig anerkannt werden. Eine Neuordnung der Finanzverfassung ist unausweichlich. Eine grundlegende kommunale Finanz- und Steuerreform muß ein wesentlicher Bestandteil dieser umfassenderen Neuordnung sein. Sie ist jedoch noch nicht verhandlungs- und entscheidungsreif. Außerdem fehlen zur Zeit die politischen Voraussetzungen für ihre Verwirklichung.
Das Wort zur Begründung des FDP-Gesetzentwurfs Drucksache 2118 hat Herr Abgeordneter Dr. Imle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, das Haus sollte der FDP sehr dankbar dafür sein, daß sie am 7. Oktober ihren Antrag auf Einführung eines Unternehmerfreibetrags in Höhe von 7200 DM eingebracht hat, damit wir heute einmal diese grundsätzliche Aussprache haben. Es war wohl an der Zeit, daß diese Aussprache kam. Denn ich darf daran erinnern, daß bereits in dem von der Bundesregierung erstatteten Mittelstandsbericht darauf hingewiesen wurde, daß die Einführung eines solchen Freibetrags für Personenunternehmen beabsichtigt sei. Leider ist bis auf den vor kurzem bekanntgewordenen Beschluß des Kabinetts, einen solchen Antrag zu stellen, bisher nichts geschehen.
Der Entwurf der Bundesregierung steht in Aussicht. Wir sind der Meinung, daß eine Beschränkung auf 50 000 DM des Gewerbesteuerertrages nicht erfolgen sollte. Wir sehen diese Beschränkung als ungerechtfertigt an.
Es ist noch etwas in Ergänzung zu dem zu sagen, was der Herr Staatssekretär Hettlage über die Entwicklung der Gewerbesteuer gesagt hat. Im Jahre 1894/95 betrug der Anteil der Gewerbesteuer am Gemeindesteueraufkommen 2,37 %, 1911 waren es 11,59 % und 1925 rund 25 %. Bis 1949 stieg der Anteil dann auf 44,43 %, 1954 auf 66,32%. Soeben haben wir gehört, daß 1960 die Gewerbesteuer einen Anteil am Gemeindesteueraufkommen von rund 77 % erreichen wird. Mit anderen Worten: wenn das so weitergeht, haben wir in sechs Jahren bereits einen Anteil von 90%; und wiederum mit anderen Worten: die Gewerbesteuer und das Hauptgemeindeaufkommen wird allein von den Unternehmern aufgebracht.
— Sie können ruhig anderer Meinung sein, aber Ihre Behauptung werden Sie schwer beweisen können. Jedenfalls steht doch wohl fest, daß kein angemessenes Verhältnis zu den übrigen Gemeindesteuern besteht.
Ich darf noch folgendes erklären. Der Anteil der Gewerbesteuern am Haushaltsbedarf zwischen den beiden Weltkriegen ergab fast gleichmäßige Jahressummen für die Zwecke der gemeindlichen Aufgaben. Jetzt hat sich das grundlegend geändert. Nun wird hier gesagt, die Steueranträge, die von der Bundesregierung beabsichtigt seien, brächten einen Ausfall von 500 Millionen DM und der sei doch nicht zu verkraften, um so weniger unser Antrag. Da darf ich darauf hinweisen, daß die Gewerbesteuersenkung 1956 einen Ausfall zwischen 400 Millionen DM und 450 Millionen DM gebracht hat und gleichwohl die Gewerbesteuereinnahmen immer weiter gestiegen sind, wie wir soeben gehört haben. Wenn weiterhin erklärt wird, die Schulden der Gemeinden seien bereits auf über 12 Milliarden DM gestiegen und deswegen könne eine Gewerbesteuersenkung nicht vorgenommen werden,
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Dr. Imle
so ist das wohl keine richtige Begründung. Denn dann könnte man sagen: man müßte doch wegen der großen Aufgaben, die hier genannt wurden — der Schulbau, der Straßenbau —, immer noch eine höhere Verschuldung in Kauf nehmen. Das ist also keine Begründung dafür, daß man die Gewerbesteuer nicht senkt.
Es kommt die Behauptung hinzu, die Gewerbesteuersenkung wäre keine sinnvolle Hilfe für den Mittelstand, weil dann eine höhere Einkommensteuer anfiele. Es steht aber fest, daß bei Wegfall der Gewerbesteuer die Erhöhung 'der Einkommensteuer nicht so groß ist wie die weggefallene Gewerbesteuer. Es tritt also in jedem Falle eine Ersparnis ein.
Hinzu kommt, daß heute bei der Gewerbesteuer Einzelfirmen und Personengesellschaften gegenüber den Kapitalgesellschaften benachteiligt sind, weil sie im Gegensatz zu .den Kapitalgesellschaften eine Vergütung für die Unternehmensleistung im Betrieb nicht als Betriebsausgabe abziehen können. Dadurch wird heute derjenige Gewerbebetrieb, in dem der Unternehmer selbst mit tätig ist, mit einer höheren Gewerbesteuer belastet als ein völlig gleicher Betrieb, in dem zwar die gleiche Anzahl von Personen arbeiten, unter denen sich aber n nicht der Betriebseigentümer befindet.
Gelegentlich wird noch behauptet, die soziale Staffelung der Meßzahlen, wie wir sie heute schon haben, bedeute eine indirekte Berücksichtigung des Unternehmerlohnes. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß die soziale Staffelung von der Mitarbeit des Unternehmers im Betrieb unabhängig ist. Sie kommt also auch dem Betrieb zugute, in dem der Unternehmer nicht mitarbeitet.
Im Ausschuß wäre ferner zu prüfen, ob nicht eine gleiche Regelung des Abzugs eines Unternehmerfreibetrages auch für solche Kapitalgesellschaften in Betracht kommen sollte, bei denen die Geschäftsführer und Angestellten entsprechend wesentlich beteiligt sind, was ja bisher ebenfalls schon berücksichtigt, eben hinzugerechnet wird.
Wir sind der Meinung, daß diese ganzen Probleme nun alsbald in Angriff genommen werden sollten,. damit endlich einmal die schon seit 1956 und wohl auch früher gemachten Zusagen, daß eine Neuregelung 'des Gewerbesteuerrechts erfolgen solle, in die Tat umgesetzt werden. Die Gewerbesteuer, die allgemein als drückend empfunden wird, sollte durch einen gerechten Steuerausgleich, wie er soeben auch von Herrn Staatssekretär Hettlage erwähnt wurde, wieder zu einer Steuer werden, die nicht zum Nachteil eines einzelnen Standes ist und nicht lediglich die Unternehmer verpflichtet, die gesamten Ausgaben für die Gemeinden zu tragen, an deren Nutzen alle Gemeindeeinwohner teilhaben.
Zur Begründung des Antrags der FDP Herr Abgeordneter Eilers !
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, glaube ich, sollten wir alle in diesem Hohen Hause sehr froh darüber sein, daß endlich der Zeitpunkt gekommen ist, über die Frage der Gemeindefinanzen im Rahmen der Finanzverfassung des Bundes, der Länder und der Gemeinden zu sprechen. Ganz so optimistisch, wie Herr Staatssekretär Professor Dr. Hettlage sich hier äußerte, vermag ich zu meinem größten Bedauern nicht zu sein.
Der Herr Bundesfinanzminister Etzel sagte nämlich bereits am 1. Juli 1958 bei der Begründung des Haushaltsplans — ich will es wörtlich sagen; Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich es zitiere —:
Ich will heute zu den Einzelheiten
— der kommunalen Finanzlage —
nicht Stellung nehmen, das wäre durchaus verfrüht. Das Problem der Deckungsmittel -sei es Bürgersteuer, sei es Umbau der Grundsteuer, in Zusammenhang mit einer Gewerbesteuerreform — ist ein ernstes Problem; wir werden es nach den Ferien sofort in Angriff nehmen.
Meine Damen und Herren, das war am 1. Juli 1958. Ein entscheidendes Ergebnis liegt uns leider bisher immer noch nicht vor!
Allerdings meine ich, daß die Auffassung des Bundesfinanzministeriums, soeben durch Sie, Herr Staatssekretär, hier interpretiert, uns einen Lichtblick geben müßte. Ich möchte nur hoffen, daß daraus in der Praxis recht bald die Folgerungen gezogen werden.
Inzwischen pfeifen es nämlich die Spatzen von den Dächern in unserer Bundesrepublik, daß der Bund, die Länder und die Gemeinden durch eine falsche Konstruktion der Finanzverfassung in unserer Bundesrepublik geradezu angereizt werden, nicht das Wohl des ganzen Staatswesens zu verfolgen, sondern im Gegenteil jeder für sich egoistische Motive als das Hauptziel für die Staatsbürger anzupreisen und zum Tragen zu bringen.
— Ich komme jetzt darauf zu sprechen. Ich bin Ihnen für diesen Hinweis außerordentlich dankbar, lieber Herr Kollege Dr. Dresbach.
Unbestritten ist, daß der Parlamentarische Rat bei den Beratungen über das Grundgesetz eine einheitliche Bundesfinanzverfassung und eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung gefordert hat. Die Einheit der Bundesfinanzverfassung und der Bundesfinanzverwaltung ist damals an dem Einspruch der Alliierten gescheitert.
— Ja, unsere brüderliche Verbundenheit mit unseren bayerischen Volksfreunden ist einfach unlösbar.
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Eilers
Ich bin auch überzeugt, daß Herr Dollinger, wenn er nachher dazu Stellung nehmen wird, diese unsere Auffassung unterstützen kann und wird.
Im Parlamentarischen Rat wurde die erwähnte Auffassung besonders durch den leider viel zu früh verstorbenen Kollegen Höpker-Aschoff und durch den gerade amtierenden Bundestagsvizepräsidenten Dehler vertreten. Wir können nur hoffen, daß mit der Einsicht bei der Bundesregierung endlich das Tatsache wird, was damals von den Deutschen im Parlamentarischen Rat vorgeschlagen wurde.
Die fehlerhafte Finanzverfassung, die Konstruktion unserer Finanzverfassung ist Anlaß dafür, daß wir in großem Maße bei den Reibungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden unsere Kräfte verschleißen.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang auch den Hinweis, daß der Bundesrat nach dem Grundgesetz ein Gesetzgebungsorgan des Bundes sein soll. Was ist er aber geworden? Der Bundesrat ist leider zu einem Organ der Länder beim Bund geworden. Ich habe mich sehr darüber gefreut, daß der jetzt amtierende Präsident des Bundesrates, Herr Ministerpräsident Dr. Meyers, bei der Rede aus Anlaß der Übernahme seines Amtes gesagt hat, der Bundesrat sei ein Gesetzgebungsorgan des Bundes. Wir dürfen also hoffen, daß diese von Herrn Staatssekretär Dr. Hettlage vorhin hier genannten Pläne auch im Bundesrat eine andere, eine bessere Aufnahme finden werden. Das sei heute auch unser Wunsch an die Vertreter des Bundesrates.
Nun möchte ich auf die Begründung im einzelnen eingehen. Es ist doch in der Tat so, daß die Gewerbesteuer seit ihrer Einführung im Jahre 1810 in Preußen immer im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen um die Steuereinnahmen gestanden hat. Leider hat sich die Bedeutung der Gewerbesteuer für die Gemeinden inzwischen völlig geändert. Die Gewerbesteuer gibt es im übrigen — auch das darf bei dieser Erörterung nicht vergessen werden — nur in Deutschland und in Osterreich. In den anderen Ländern kennt man eine Gewerbesteuer dieser Art nicht.
Lassen Sie mich auch noch einmal in unsere Erinnerung zurückrufen, daß auch schon 1926 die Abzugsfähigkeit von Miet- und Pachtzinsen, Schulden und Schuldzinsen erörtert wurde. Damals ist diese Abzugsfähigkeit an dem Charakter der Gewerbesteuer als einer Realsteuer gescheitert. Damals wurde die Abzugsfähigkeit abgelehnt, und der Charakter als Realsteuer blieb erhalten.
Bereits im Jahre 1926, also vor 34 Jahren, schlug der damalige Ministerialdirektor Hog aus dem Preußischen Finanzministerium vor, man möge die eigene Finanzhoheit der Gemeinden im Deutschen Reich verbessern. Er sagte, er sehe diese Verbesserung darin, daß den Gemeinden ein Zuschlag zur Einkommen- und Körperschaftsteuer gegeben werde. Ich erwähne das nur deshalb, damit wir diese Fragen in ihrer Gesamtheit sehen.
Die tatsächliche Entwicklung ist aber trotz all dieser Bemühungen so gewesen, daß die Gemeinden immer mehr zu finanziellen Kostgängern beim Reich, beim Bund und bei den deutschen Ländern wurden. Während der Anteil der Gemeinden an eigenen Steuereinnahmen 1914 noch 37 % betrug, war er 1960 nur noch 14,7 %. Die Gewerbesteuer — Herr Staatssekretär Professor Hettlage sagte es vorhin — machte 1935 27,5 % der Gemeindeeinnahmen aus; heute beträgt der Anteil 75 % während der Anteil der Grundsteuer nur noch 18 % gegenüber 32 % im Jahre 1935 ausmacht. Gerade das muß die Gemeinden so außerordentlich ängstlich werden lassen, wenn es nun daran geht, die Gewerbesteuer, diese Grundlage der gemeindlichen Einnahmen, etwa einzuschränken.
Meine Damen und Herren, es liegt auch — ich will es kurz machen und versuchen, die Dinge in Stichworten darzustellen — eine gewisse Tragik in der Durchführung des sozialen Wohnungsbaues der letzten zehn Jahre. Während der Bund und die Länder inzwischen Gläubiger von Milliardenforderungen geworden sind, sind die Gemeinden Schuldner von Milliardenbeträgen.
— Ja, davon bin ich überzeugt, und das begrüßen wir alle sehr, daß dadurch der allgemeinen deutschen Volkswirtschaft, der Bauindustrie und dem Baugewerbe als Schlüsselgewerbe eine Hilfe gegeben wurde. Aber — auch das lassen Sie uns noch einmal feststellen — diese zehnjährige Befreiung des sozialen Wohnungsbaues von der Grundsteuer ist von den Gemeinden gern getragen worden, weil sie eine zusätzliche Hilfe für den sozialen Wohnungsbau darstellte.
— Natürlich, Herr Dr. Willeke, einstimmig beschlossen. Auch ich würde es heute gemeinsam mit Ihnen einstimmig beschließen, weil ich es für eine absolute Notwendigkeit halte und gehalten hätte. Aber daß der Ausfall von rund 3 Milliarden DM Grundsteuer bei den Gemeinden zu verkraften war, das soll man in diesem Zusammenhang nicht vergessen. Diese Bemerkung soll nicht als eine Kritik angesehen werden, sondern nur als eine Feststellung der Tatsache schlechthin.
Es ist von den Einheitswerten gesprochen worden. Sie sind in diesem Jahr 25 Jahre alt; also ein seltenes Jubiläum. Wir haben keinen Grund, dieses Jubiläum feierlich zu begehen. Denn auch darin liegt ja, wie Herr Professor Hettlage als Vertreter der Bundesregierung zum Ausdruck brachte, eine Schmälerung der Gemeindeeinnahmen um Milliarden.
Immer wieder hat man nicht die Gemeinden gefragt, ob sie es tun möchten. Durch den Bundesgesetzgeber sind diese Ausfälle, sind diese Leistungen der Gemeinden hervorgerufen worden. In der gleichen Zeit, wo Milliarden nicht eingingen, wurde die Verschuldung der Gemeinden auf 13 Milliarden gesteigert. Die Gemeinden konnten diesen Aufgaben einfach nicht ausweichen. In der Wirtschaft, aber
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Eilers
auch in der Bevölkerung ist leider nicht immer das Verständnis dafür vorhanden, daß diese Verschuldung unausbleiblich war.
Durchaus, Herr Professor Burgbacher. — Deshalb möchte ich hier als Kommunalpolitiker und Bundespolitiker sagen, daß in den Gemeinden und Städten durchaus Verständnis dafür vorhanden ist, wenn jetzt die gewerbliche Wirtschaft, wenn Wirtschaftspolitiker hier in diesem Hohen Hause der Meinung sind, daß man diese ungerechte Gewerbesteuer nun in ihren Spitzen abschleifen sollte. Wir sind in den Gemeinden und Städten weit entfernt davon, uns gegen eine solche Änderung der Gewerbesteuer zu wenden.
Ja, ich stimme völlig mit Ihnen überein. Nur möchten wir im gleichen Zuge die Neuordnung des kommunalen Finanzsystems erreichen. Insofern können wir, glaube ich, allen denen nur dankbar sein, die von einer solchen Änderung der Gewerbesteuer überhaupt gesprochen haben, entsprechende Anträge hier im Bundestag einbringen, diese Frage in der Regierungskoalition oder auch im Bundeskabinett erörtern oder aber, wie der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem Bericht über die Lage der gewerblichen Mittelschichten zum Ausdruck brachte, zur Debatte stellen.
Meine Damen und Herren! Solange den Gemeinden für diesen Ausfall an Gewerbesteuer nicht eine andere Einnahme gegeben werden kann, ganz gleich, worin sie zunächst finanziell bestehen würde, so lange wird man hier sehr vorsichtig vorgehen müssen.
Deshalb auch der Antrag der Freien Demokratischen Partei, der besagt, daß die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen möge, der die Erstattung des Ausfalls, der den Gemeinden durch diese Gewerbesteueränderung entsteht, vom Bund und von den Ländern fordert.
Warum ein Gesetzentwurf? Meine Damen und Herren, erinnern Sie sich noch der Änderung der Gewerbesteuer bei der Erhöhung des Freibetrages von 1200 auf 2400 DM. Damals hat dieses Hohe Haus — ich glaube, einstimmig — eine Entschließung gefaßt, die besagte, daß die Länder diesen Ausfall finanziell auszugleichen hätten. Was ist aus dieser Entschließung geworden? Die meisten Länder haben einmalig einen gewissen Ersatz gegeben. Einige Länder haben sich allerdings den Gemeinden etwas mehr verbunden gezeigt. Weil ich also der Meinung bin, daß mit einer Entschließung nichts zu erreichen ist, sollten wir, was nach Art. 107 Abs. 2 des Grundgesetzes möglich ist, von der Bundesregierung die Vorlage eines Gesetzentwurfs verlangen. In Art. 107 Abs. 2 heißt es nämlich:
Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, ist ein angemessener finanzieller Ausgleich zwischen leistungsfähigen und leistungsschwachen Ländern sicherzustellen;
hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden zu berücksichtigen.
— Lieber Herr Dresbach, Sie heben den Finger mahnend.
— Herr Dresbach, ich bin der Meinung, man sollte nicht so sehr auf Krakeeler achten, sondern auf jene, die sich um eine konstruktive Neuordnung bemühen.
— Es sei ferne von mir, Ihnen das unterstellt zu haben! Ich weiß, Sie sind unser Bundesgenosse, und ich freue mich auch darüber.
Meine Damen und Herren! Wenn eine Änderung in der Gewerbesteuergesetzgebung eintritt, müssen wir bereit sein, sofort eine ausgleichende Maßnahme seitens des Bundes und der Länder herbeizuführen. Ich glaube, daß nur auf diese Weise die kommunale Selbstverwaltung, die in Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes garantiert ist, auch in der Zukunft lebensfähig bleibt.
Herr Abgeordneter Eilers, gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Burgbacher?
Aber gern, Herr Dr. Burgbacher!
Sehr verehrter Herr Kollege Eilers, habe ich Sie richtig verstanden: Wollen Sie die Beseitigung einer offenbaren Ungerechtigkeit, nämlich der Gewerbesteuerpflicht des Arbeitseinkommens der gewerblichen Unternehmer, von der Einsicht der Länderfinanzminister zwingend abhängig machen?
Herr Kollege Dr. Burgbacher, ich bin der Meinung, daß wir hinsichtlich der Aufgaben des Staates, die gleichermaßen beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden liegen, zunächst einmal dafür zu sorgen haben, daß die kommunale Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht leere Proklamation bleibt, sondern daß ihre finanzielle Grundlage gesichert wird.
Ich meine, Herr Burgbacher — wenn ich das einmal weiterführen 'darf —, daß wir allen Anlaß haben, uns dieser Bestimmung des Grundgesetzes zuzuwenden, nachdem das Bundesverfassungsgericht auf sie so außerordentlich großen Wert gelegt hat. Sie alle wissen, daß das Bundesverfassungsgericht die kommunalen Wahlgesetze im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und in Niedersachsen deshalb für ungültig erklärt hat, weil das Recht der Bürger auf
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Selbstverwaltung, das in Art. 28 Abs. 3 garantiert ist, nicht gewährleistet erschien. Wenn jetzt die kommunale Selbstverwaltung ihren. Boden deshalb verliert, weil ihre finanzielle Grundlage zerstört wird, möchte ich glauben, daß in diesem Falle das Bundesverfassungsgericht ähnlich entscheiden könnte. Herr Burgbacher, das sind meine Bedenken gegen eine einseitige Maßnahme.
Ich weiß, meine Damen und Herren, daß wir ja sonst, um mit dem Herrn Bundeskanzler zu sprechen, nicht gerade pingelig sind, wenn es sich um die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen handelt. Denken Sie an das Gesetz über das Verbot des Behörden- und Belegschaftshandels! Unser Rechtsausschuß, unsere Fraktionen, alle waren der Meinung, daß dieses Gesetz möglicherweise verfassungswidrig sein könne. Auch der Rechtsausschuß des Bundesrats vertritt diese Auffassung. Dennoch haben wir frank und frei das Gesetz beschlossen. Ich kann mich auf solche staatsrechltich bedenklichen Grundlagen nicht begeben und muß sie für mich persönlich ablehnen.
Wir sollten uns auch davor hüten, die parlamentarische Demokratie durch uns selber auszuhöhlen, indem wir es dem Bundesverfassungsgericht überlassen, zu entscheiden, ob unsere Gesetze verfassungsgemäß sind oder nicht.
Meine Bedenken ergeben sich auch aus dem Art. 106 Abs. 6 des Grundgesetzes. Dort steht ausdrücklich: „Das Aufkommen der Realsteuern steht den Gemeinden zu." Soll das auch nur eine Proklamation sein? Ich glaube nicht, daß das irgend jemand von uns will. Niemand von uns wird der Meinung sein, daß das, was wir selbst vor vier Jahren im Grundgesetz verankert haben, nur eine Proklamation sein soll. Der Bundesgesetzgeber darf nicht Geschenke machen auf Kosten anderer,
Geschenke, die andere zu bezahlen haben würden und bei denen er dann noch, gemeinsam mit den Ländern, selbst verdient; denn durch diese Gesetzesmaßnahme würde neben der Senkung der Einnahmen bei den Gemeinden eine Mehreinnahme — Herr Professor Hettlage hat das 'bestätigt — bei den Ländern und auch beim Bund eintreten. Wir müssen der gewerblichen Wirtschaft, besonders den kleineren und mittleren Betrieben helfen. Zur gleichen Zeit sollten wir aber den Ausgleich für die Gemeinden und Städte herbeiführen, um eine Ungerechtigkeit von vornherein zu vermeiden.
Das zu der Ziffer 1 unseres Antrags.
Nun zu Ziffer 2. Die kommunale Finanzreform, wie sie von der Bundesregierung offenbar beabsichtigt ist, kann nur im Rahmen der Änderung der Konstruktion unserer allgemeinen Finanzverfassung in der Bundesrepublik wirksam werden.
Ich habe soeben bereits auf die Zwischenfrage von Herrn Professor Burgbacher gesagt, daß nach meiner Meinung alle öffentlichen Aufgaben, die des Bundes, der Länder und der Gemeinden, im Range gleichbehandelt werden müssen. Wir alle wissen, welche ungeheuren Aufgaben die Gemeinden noch zu erfüllen haben. Ich möchte jetzt nicht bereits die Aussprache eröffnen, habe mir aber im Hinblick auf die Ausführungen von Herrn Professor Hettlage vorgenommen, darauf hinzuweisen, daß es angesichts der Verkehrsverhältnisse in der gesamten Bundesrepublik wenig Sinn hat, nur Fernstraßen, nur Bundesstraßen und nur Bundesautobahnen zu bauen, sondern daß wir im gleichen Atemzuge das Verkehrsnetz in den Gemeinden und Städten leistungsfähig machen müssen.
Die Verkehrsteilnehmer auf den Bundesfernstraßen, auf den Bundesstraßen haben Ziel und Ausgangsort in den Gemeinden und Städten. Was für einen Sinn hätte es, wenn die großen Straßen leistungsfähig, in den Flaschenhälsen der Gemeindestraßen die Verkehrsteilnehmer aber einfach nicht mehr in der Lage wären, sich flüssig zu bewegen?
Dieselben Verkehrsteilnehmer, die sich auf den Bundesfernstraßen bewegen, bewegen sich auch in den Gemeinde- und Stadtstraßen und versuchen, von Ort zu Ort zu kommen. Schauen Sie sich doch einmal die Verhältnisse in München, Stuttgart, Mannheim, Ludwigshafen, Köln, Düsseldorf oder Hamburg an!
— Natürlich auch Bonn! Wie konnte ich die Bundeshauptstadt vergessen! Wir haben in verhältnismäßig kurzer oder längerer Zeit die Bundeshauptstadt angesteuert. Um dann aber zu unserem Ziel in der Hauptstadt zu gelangen, brauchen wir manchmal die gleiche Zeit.
— Nein, es fehlt nicht an dem notwendigen Geld, sehr verehrter Herr Rösing!
— Nein, es liegt daran, daß der Bund bisher die Einnahmen aus den Kraftverkehrsabgaben, aus der Kraftfahrzeugsteuer, aus der Mineralölsteuer und aus den Mineralölzöllen, nicht völlig für den Straßenbau verwendet.
Vielmehr werden immer noch 600 Millionen DM als Sockelbetrag, als allgemeine Deckungsmittel im Bundeshaushalt verwendet.
— Erfreulicherweise! Aber auch das ist ja bisher leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wenn die Verkehrsverhältnisse in den Städten und Gemeinden in absehbarer Zeit einfach unhaltbar geworden sein werden,
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ergibt sich eine Hinderung, eine Erschwernis für die gesamte deutsche Wirtschaft, für das gesamte deutsche Leben. Deshalb kann, meine ich, die Regelung dieser Verkehrsverhältnisse, kann der Straßenbau in den Gemeinden und Städten nicht allein eine Aufgabe der Gemeinden und Städte sein, sondern hier handelt es sich, wie der hochachtbare Herr Bundeskanzler in der Besprechung mit den kommunalen Spitzenverbände in Bad Godesberg sagte, urn eine wesentliche Aufgabe des Bundes. Ich bin außerordentlich froh gewesen, diese Aussage von Herrn Bundeskanzler Adenauer zu hören. Zur gleichen Zeit — das muß ich Ihnen sagen — hat er ganz eindeutig zum Ausdruck gebracht — Sie von der CDU/CSU-Fraktion waren ja dabei —, daß die Gemeinden nicht in der Lage seien, einen solchen Ausfall bei der Gewerbesteuer hinzunehmen, sondern daß hier ausgleichende Maßnahmen des Bundes und der Länder notwendig seien.
— Ja, ich möchte es, da ich nicht die Ehre habe, der Regierungskoalition anzugehören, noch einmal als Mitglied der Opposition feststellen.
— Lieber Herr Dollinger, darüber sprechen wir am besten nach der Wahl.
Noch einmal ein Hinweis auf die Verhältnisse in Österreich! Es ist davon gesprochen worden, daß die Gewerbesteuer nur in Deutschland und in Osterreich existiere. Lassen Sie mich die Ausführungen von Herrn Keuning ergänzen: In Osterreich sind die Gemeinden gegenwärtig mit 20 % an ,der Einkommen- und Körperschaftsteuer, mit 19 % an der Weinsteuer und mit 17 % an der Umsatzsteuer beteiligt. Ich glaube, Herr Staatssekretär Hettlage wird nicht in der Lage sein, auch den Gemeinden in der Bundesrepublik eine solche Beteiligungsquote anzubieten.
— Ja, meine Damen und Herren, ich bin nun einmal von Natur aus ein Optimist. Man sollte der, Blick nicht immer so sehr nach rückwärts, sondern lieber vorwärts in eine von uns besser zu gestaltende Zukunft wenden. Ich glaube, es nützt nicht viel, das, was 1955, 1958, 1959 oder 1960 falsch gemacht wurde, heute zu kritisieren. Wir sollten nachdrücklich versuchen, aus diesen falsch angelegten Konstruktionen zu lernen, um eine bessere Lösung für die Zukunft zu schaffen.
— Sehr verehrter Herr Dresbach, ich habe doch, wie ich meine, unsere Freunde vom Bundesrat vorhin schon einigermaßen ermuntert und sie gebeten, die Dinge in der Zukunft doch ein wenig positiver anzusehen. Ich hoffe, daß die heutige Aussprache mit dazu beitragen kann, ein besseres, ein einsichtsvolleres Verhältnis zwischen Bund und Ländern herbeizuführen. Lassen Sie mich dieser Hoffnung hier noch einmal nachdrücklich Ausdruck geben.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, daß die Finanzmasse aller Steuern und Abgaben ,in der Bundesrepublik, also beim Bund, bei den Ländern und bei den Gemeinden, neu verteilt werden sollte, wie es auch der Herr Bundeskanzler — ich glaube, in der Besprechung in Bad Godesberg schlug .sein altes Oberbürgermeisterherz besonders kräftig — schon zum Ausdruck gebracht hat. Er war der Meinung, die Gemeinden könnten den Ausfall in der Gewerbesteuer nicht tragen. Er empfahl
ich erinnere mich dessen noch genau —, daß Sie in der CDU einen Ausschuß bilden sollten, der 'sich der Neuordnung der Gemeindefinanzen im Rahmen der Konstruktion einer allgemeinen neuen Finanzverfassung annehmen solle. Lassen Sie den heutigen Tag auch in Ihrer Fraktion einen weiteren Anlaß sein, dieser Anregung, dieser Mahnung Ihres hochverehrten Parteichefs und unseres Regierungschefs, des Bundeskanzlers, nachzukommen.
— Meine Damen und Herren von der CDU, ich könnte Sie noch weiter aufmuntern. Sie wissen, daß Ihnen der Herr Bundeskanzler auf Ihrem letzten Karlsruher Parteitag gesagt hat: Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist nötig, daß Sie sich den Nöten der Gemeinden mehr zuwenden als bisher.
Das war eine Anregung des Herrn Bundeskanzlers
— sich habe das damals mit sehr großer Aufmerksamkeit —
— Sie haben den zweiten Halbsatz meines Satzes noch nicht vernommen. Weil wir von der Freien Demokratischen Partei in unserem Antrag unter Ziffer 2 eine umfassende Reform verlangen und die Regierung ersuchen, einen solchen Entwurf möglichst bald vorzulegen, möchten wir Sie bitten, dieser Anregung Ihres Parteivorsitzenden und des Bundeskanzlers Dr. Adenauer eingedenk zu sein und ihm diesen Entwurf bereits am 5. Januar als ein Geburtstagsgeschenk zu überreichen.
Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, daß nach der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD eine Beratung stattfinden soll und daß mehr als 30 Mitglieder eine Aussprache wünschen. Mit 'dieser Aussprache wird die über die Punkte unter 13 b) und c) verbunden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Willeke.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen ,und Herren! Ich habe mich sehr gefreut, als Herr Kollege Oberbürgermeister Keuning daran erinnerte, daß wir seinerzeit — ich wir es, der damals den Ausdruck prägte — von einem Feiertag der Gemeinden gesprochen haben, als wir gemeinsam — beinahe fast einstimmig —den Artikel 106 ides Grundgesetzes, auf den ich gleich noch zurückkommen werde, geändert haben. Auch der heutige Tag könnte ja zu einem Feiertage der Gemeinden werden.
— Nein, ich glaube, es war ein Feiertag. Sternstunde, Herr Kollege Könen, haben Sie nachher in Ihrer poesievollen Haltung daraus gemacht. Immerhin also könnte auch der heutige Tag ein Feiertag der Gemeinden werden. Ich habe auch fast den Eindruck.
Ich muß zunächst ganz kurz etwas zu dean sagen, was Herr Kollege Eilers soeben vorgetragen hat. Auf +die Gewerbesteuer, auf die förderungswürdigen Anliegen des Mittelstandes und auf die dafür nötigen Deckungsvorschläge wenden sicher noch Freunde aus meiner Fraktion zurückkommen. Die Tatsache, daß die FDP zwei Anträge vorgelegt hat, zeigt, wie sehr wir alle doch in der Auffassung übereinstimmen, daß es nicht genügt, bei der Gewerbesteuer den Freibetrag für die Gewerbetreibenden zu erhöhen. Dem steht die dringende Notwendigkeit gegenüber, dafür namentlich im Interesse der kleinen Gemeinden einen Ersatz zu bieten. Aber, wie gesagt, ich möchte zunächst nicht auf die Gewerbesteuer eingehen, sondern mich vielmehr der Großen Anfrage der SPD und der Regierungserklärung zuwenden.
Ich begrüße die Ausführungen ides Herrn Staatssekretärs Dr. Hettlage. Ich freue mich darüber, daß der Gedanke einer großen, einer umfassenden Finanzreform zugunsten der Gemeinden langsam Gestalt annimmt.
Aber, meine sehr verehrten Freunde, ich habe mit Betonung gesagt, „langsam".
— Ich wollte gerade rechtfertigen, warum ein solches Gesetzgebungswerk nicht schneller über die Bühne gehen kann.
Ich glaube; die Geschichte ist immer noch der beste Lehrmeister. Mir hat neulich ein guter Freund eine Monographie über den Oberbürgermeister Dr. Riewe aus Halle an der Saale geschenkt. Dieser ist 30 Jahre Oberbürgermeister der heute so schwer heimgesuchten Stadt gewesen. Es ist hochinteressant, in diesem Buch zu blättern. Vor allen Dingen ist frappierend, wie sich manche Parallelen anbieten.
Nebenbei bemerkt, dort steht auch etwas über den Schuldenstand der Städte. Es ist geradezu interessant, zu lesen, daß die Schuldenlast pro Kopf der Bevölkerung in der Stadt Halle an der Saale 1914, also noch zu Preußens Glanz und Gloria, 220 Mark betrug, daß sie im Jahre 1931, nachdem ein furchtbarer Weltkrieg verloren war, und nach der auf die Inflation folgenden Stabilisierung 216 Mark betrug. Wenn wir die jetzige Schuldenlast, von der wir heute schon einiges gehört haben, auf die 55 Millionen Einwohner umrechneten, kämen wir allerdings auch wieder auf die Zahl von etwa 220 DM. Das sei aber nur in Parenthese bemerkt.
Ganz besonders interessant war mir ein Ausspruch des Dr. Riewe an seine Bevölkerung aus dem Jahre 1931. Er sagte damals: Die öffentlichen Finanzen haben sich so entwickelt, daß das Reich — heute der Bund — saniert, die Länder salviert und die Gemeinden ruiniert sind. — Solch harte Worte sind heute zwar nicht gefallen. Doch muß ich sagen, daß für mich die im ganzen durchaus sympathischen Ausführungen des Kollegen Keuning manchmal einige harte Nuancen trugen, z. B. wenn er davon sprach, daß die Gemeindefinanzen verkümmerten. Wir sollten uns vor solchen Übertreibungen hüten.
Die Situation der Gemeinden nach dem ersten Weltkrieg ist von der nach dem zweiten Weltkrieg nun einmal ganz verschieden. Oberbürgermeister Riewe sagte damals — auch 1931, als er dieses schwerwiegende Wort von der Ruinierung der Gemeindefinanzen aussprach —, die deutschen Gemeinden könnten aber immerhin mit Stolz darauf hinweisen, daß sie 5 Millionen Arbeitslose über den Winter gebracht hätten und daß sie mit 60 % an der Aufbringung der dafür erforderlichen Mittel beteiligt gewesen seien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wird doch jeder von uns zugeben, daß die heutige Situation eine völlig andere ist. Wir haben heute Gott sei Dank die Tatsache zu verzeichnen, daß Städte, die in Schutt und Asche lagen, wie Münster, wie Essen und kleinere Städte — Dorsten — wiederaufgebaut sind. Freuen wir uns gemeinsam darüber, und freuen wir uns, wenn wir heute von den Schulden der Gemeinden sprechen, daß es sich bei den Ausgaben meistens um solche für den Aufbau der Städte, um wertvollste Investitionen handelt.
Es kann nicht geleugnet werden, daß wir in den letzten Jahren — und jetzt komme ich darauf zurück, warum ich vorhin das Wort „langsam" brauchte — langsam sahen, wie eine große, umfassende Finanzreform auf uns zukommen wird. Wie wir wohl alle zugeben werden, ist in den letzten zehn Jahren doch einiges geschehen, was zu den notwendigen Voraussetzungen für den Wiederaufbau der Städte gehört. Ich will hier keinen Leistungsbericht der Bundesregierung erstatten. Aber im Vergleich zu der Zeit nach dem ersten Weltkrieg ist es heute doch etwas ganz anderes. Heute beschäftigen uns andere Probleme, die Probleme der Vollbeschäftigung, das Flüchtlingsproblem, und wir sind Gott sei Dank über die Schwierigkeiten hinweggekommen, die in den ersten Jahren nach dem zweiten furchtbaren Krieg auf uns zukamen.
Meine sehr verehrten Anwesenden, es ist in diesen zehn .Jahren im Bundestag doch nicht so gewesen, als wenn nicht an die Gemeinden gedacht
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Dr. Willeke
worden wäre. Sehen Sie, der Art. 106, den wir geändert haben, hat uns auf alle Fälle einen dynamischen Steuerverbund geschaffen. Dieser dynamische Steuerverbund, der darin besteht, daß die Gemeinden prozentual am Aufkommen der Länder aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer beteiligt werden müssen, wirkt sich jedenfalls in meinem engeren Vaterland Nordrhein-Westfalen so aus, daß jetzt 25 % mehr an Zuweisungen ausgeschüttet werden können. Mir liegt eine Übersicht darüber vor, wie sich der prozentuale, dynamische Steuerverbund in den einzelnen Ländern gestaltet; aber um meine Ausführungen nicht allzu lang werden zu lassen, möchte ich darauf verzichten, ihren Inhalt hier vorzutragen. Immerhin erscheint mir diese Ubersicht so aufschlußreich, daß ich sie — mit Genehmigung des Präsidenten zu Protokoll geben werde.*)
Wir sollten doch froh darüber sein, daß die Auswirkungen des Art. 106 in der Praxis größer waren, als man ursprünglich erwarten konnte. Wir sollten, wenn wir unsere Tätigkeit im Bundestag rückschauend betrachten, auch nicht vergessen, daß noch einige andere wesentliche Dinge geschehen sind. Sie mögen im Verhältnis zu einer großen Finanzreform wenig bedeutend erscheinen; aber sie sind doch beachtlich. Wir — Herr Kollege Heiland war mit dabei — haben seinerzeit z. B. mit dafür gesorgt, daß die Gemeinden bis 3000 Einwohner bei der Konzessionsabgabe nicht mehr diffamiert wurden, sondern daß sie die Konzessionsabgabe wiederbekamen. Wir haben auch bei der Beförderungsteuer recht beachtlich an die gemeindlichen Verkehrsbetriebe gedacht. Allein bei den Straßenbahnen des Wahlkreises Recklinghausen macht die Befreiung von der Beförderungsteuer pro anno 500 000 bis 600 000 DM aus. Wir haben die Umsatzsteuerfreiheit für die kommunalen Versorgungsbetriebe gerettet. Wir haben den Gemeindepfennig eingeführt. Wir haben auch sonst etliche Verbesserungen auf dem Gebiet des Verkehrs geschaffen bzw. noch zu erwarten.
Nun darf nicht vergessen werden, daß, wie in diesem Hause wiederholt ausgeführt worden ist, eine Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden besteht und daß diese Aufgaben in einer Wandlung begriffen sind. Wir hatten heute morgen den Besuch der Oberhäupter einiger bedeutender Großstädte, München, Frankfurt usw. Sie legten uns eindringlich dar, daß auch diese Großstädte ihre Sorgen haben, daß sie z. B. mit dem Problem des Massenverkehrs nicht fertig werden können, wenn sie, nicht in die zweite Ebene gehen. Ich glaube überhaupt, daß die Gemeinden mit den Verkehrsaufgaben nicht fertig werden können und daß hier, wie es der Bundeskanzler ausgedrückt hat, im Zuge des allgemeinen volkswirtschaftlichen Wachstums eine Aufgabe des Bundes erwächst mit den entsprechenden finanziellen Konsequenzen.
In dieser Debatte über die Finanzsituation der Gemeinden darf ich folgenden Satz mit aller Deutlichkeit sagen: Es gibt keine Kollektivnot aller Gemeinden. Die Unterschiede in den gemeindlichen
*) Siehe Anlage 2. Finanzen sind beträchtlich und ungewöhnlich. Bei dieser Situation kommen wir nicht daran vorbei — was auch Professor Hettlage ausgeführt hat —, den Finanzausgleich zu intensivieren.
Der Finanzausgleich beruht einmal auf der unterschiedlichen Steuerkraft. Sie wissen, daß es auf der einen Seite Großstädte wie Wilhelmshaven gibt, das noch vor zwei Jahren ein Gewerbesteueraufkommen von 70 DM pro Kopf der Bevölkerung hatte, und auf der anderen Seite Städte, die ein Gewerbesteueraufkommen von 450, 600 und noch mehr Mark pro Kopf der Bevölkerung zu verzeichnen haben. Also beträchtliche Differenzen in der Steuerkraft sind gar nicht zu leugnen.
Auf der anderen Seite steht überall der normalisierte Bedarf. Es kann und will keiner mehr arm sein, sagte Kollege Dr. Dresbach seinerzeit. Dadurch entsteht eben eine Egalisierung der Ansprüche der Bürger in allen Gemeinden, die zum großen Teil berechtigt sind, und daher auch der normalisierte Bedarf. Darauf beruhte der Popitzsche Finanzausgleich.
Dieser Finanzausgleich kann nicht mehr entfernt werden, er muß gerechter, er muß intensiver, er muß besser gestaltet werden. Aber seien wir froh, daß wir ihn haben. Daß er überhaupt, nachdem er vor 25 Jahren eingeführt wurde, noch funktioniert, ist durchaus beachtenswert.
Was übrigens ,den Ausgleich der Finanzen anlangt, sollte man auch nicht verkennen, daß sich so ein gewisser stiller Finanzausgleich unter den verschiedenen Gebietskörperschaften vollziehen kann. Manche Aufgaben werden — z. B. in Westfalen — auf das Amt übernommen, manche Aufgaben auf den Landkreis, manche Aufgaben sind kraft Gesetzes 'zusätzlich auf den Landschaftsverband zu übernehmen. Auch dieser Finanzausgleich sollte am Rande vermerkt werden.
Ich betone aber noch einmal ganz besonders: der Wandel der Trägerschaft für diese Aufgaben, die Tatsache," daß Aufgabengebiete von den Gemeinden auf den Bund übergehen, vielleicht auch auf die Länder, ist ein beachtliches Zeichen unserer Zeit; daher ja auch die Bemühungen der Länder um den Schulbau, den Straßenbau, um den Krankenhausbau, den Wohnungsbau usw. Daß wir uns heute darüber unterhalten, wie der Finanzausgleich denn in Zukunft gestaltet werden soll, ist ein wesentlicher Erfolg.
Aber ich möchte doch noch einmal betonen: Man kann nicht in Bausch und Bogen sagen, diese Reform hätte schon viel eher kommen müssen. Seien wir doch einmal ehrlich und klopfen wir an unsere eigene Brust. Es ist leicht, der Bundesregierung den Vorwurf mangelnder Aktivität und Initiative zu machen. Wer, so frage ich das Hohe Haus, so frage ich insbesondere auch unsere Freunde von der Opposition, hat es denn bisher überhaupt fertiggebracht, den Stein der Weisen zu entdecken, das Ei des Kolumbus auf den Tisch zu stellen?
Wer hat denn bisher einen Weg gezeigt, auf dem
diese Finanzreform wirklich nach einer Konzeption
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verläuft, und zwar so, daß einmal die Steuerkraftunterschiede gemildert werden, daß zweitens die Selbstverwaltung, die Finanzautonomie der Gemeinden, gestärkt, zumindest nicht verringert wird und daß drittens die Verteilung der Lasten in einer Gemeinde gerechter wird; das heißt, daß nicht nur auf die Grund- und nicht nur auf die Gewerbesteuerzahler, sondern auf alle Bürger irgendeine Last gelegt wird?
Rufen Sie jetzt nicht sofort „Personalsteuer" oder etwas Ähnliches, sondern bedenken Sie doch bitte, daß die kommunalen Spitzenverbände sich redlich um die Lösung dieses Problems bemüht haben. Die kommunalen Spitzenverbände hatten ja einmal eine gemeinsame Konzeption, und ich habe den Verlauf der Hauptausschußsitzung ,des Deutschen Städtetages vor zwei Jahren in Aachen noch klar vor Augen. Dort wurde aus dieser Konzeption ein wesentlicher Teil herausgenommen.
Aber was ist denn nun eigentlich in den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände von einer kommunalen Finanzreform übriggeblieben? Die kommunalen Spitzenverbände konnten sich zum Teil in ihren Forderungen ja auch nicht mehr einig sein. Geblieben ist eigentlich nur die Forderung nach einer Erhöhung der Grundsteuer um 40% bzw. 20 . Das war der letzte reale Vorschlag, und zwar als Junktim mit dem Lücke-Plan.
Nun wollte ich dazu doch noch eines sagen. Wer erlebt hat — das werden mir meine Kollegen von der Opposition ja nicht übelnehmen, obwohl es das gute Recht der Opposition ist —, wie man gegen
I den Lücke-Plan agitiert hat und wie man die geringen Erhöhungen der Altmieten, die längst fällig waren, für untragbar gehalten hat, der weiß doch, daß in diesem Hause die Opposition sicherlich nicht geneigt gewesen wäre, das zu vertreten, was von ihren Freunden im Städtetag gefordert wurde.
Ich glaube nie und nimmer, daß in der Zeit, in der der Lücke-Plan zur Debatte stand, man hier in diesem Hause realistisch verfahren wäre, wenn man gefordert hätte, daß gleichzeitig auch noch sämtliche andere Mieten erhöht werden; denn das wäre ja die Folge einer 40- oder 20 % igen Erhöhung der Grundzahlen bei der Grundsteuergesetzgebung gewesen.
Wir Kommunalpolitiker dürfen also nicht allzu stolz sein und dürfen nicht allzu scharf das verurteilen, was von der Bundesregierung angeblich versäumt worden ist. Auch in unseren Fachkreisen ist bisher noch keine einheitliche Konzeption für eine kommunale Finanzreform vorhanden.
Ich habe ferner darauf hinzuweisen, daß sich die Institute der Universitäten, soweit sie sich mit kommunalpolitischen und kommunalwirtschaftlichen Fragen befassen, in den letzten Jahren eingehend mit dieser Materie beschäftigt haben. Ich erinnere an die Tätigkeit des Wissenschaftlichen Beirates, in dem der Beigeordnete Dr. Sattler damals sehr dazu beigetragen hat, daß eine ganze Reihe von Erkenntnissen sichtbar geworden sind. Ich erinnere an das Buch von Dr. Horster, dem Schüler von
Schmölders. Ich erinnere auch daran, daß wir seinerzeit die Ehre hatten, Herr Dr. Schäfer und ich, als Dozenten bei der kommunalpolitischen Tagung in Speyer mitzuwirken.
Warum sage ich das alles? Ich sage es, um deutlich werden zu lassen, daß in den letzten Jahren zwar schon sehr viel Beachtliches auch von den kommunalpolitischen Vereinigungen der CDU/CSU, der SPD und der FDP, auch in den Fachblättern der kommunalen Spitzenverbände zu dem Thema geschrieben worden ist; aber es ist bisher nicht gelungen, eine klare, einheitliche, realisierbare Konzeption auf den Tisch zu legen. Um so mehr begrüße ich im Namen meiner Freunde die Erklärung der Regierung, und um so mehr freue ich mich darüber, daß Professor Hettlage uns — zumindest in betonten Andeutungen — gesagt hat, welche Gedanken sich der Herr Bundesfinanzminister über eine Lösung dieses großen Problems macht, wie wir den Gemeinden in Ihrer Finanzlage gerecht werden können.
Ich komme zum Schluß und betone noch einmal: Eine kommunale Finanzreform muß folgenden Gesichtspunkten Rechnung tragen. Eine gerechtere Besteuerung unserer Gemeindeeingesessenen muß Wirklichkeit werden. Wir können die sogenannte dritte Steuer nennen, wie wir wollen; auf die Dauer ist auch dem Mittelstand, auch dem Gewerbetreibenden nur gedient, wenn dieses Problem mutig angepackt wird. Eine Erhöhung der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung wäre damit verbunden. Eine Milderung der Steuerkraftunterschiede — das haben wir ja nun schon wiederholt gehört — kann nur durch den Finanzausgleich herbeigeführt werden.
Ich möchte aber mit aller Deutlichkeit noch folgendes sagen: Wenn heute die großen Liebeserklärungen für den gewerblichen Mittelstand und wenn gleichzeitig die Liebeserklärungen für die Gemeinden, und zwar für die kleinen Gemeinden abgegeben werden, dann muß man sich darüber klar sein, wie man das, was in den kleinen und finanzschwachen Gemeinden vor allen Dingen an Steuerausfall entsteht, indem wir dem Mittelstand helfen — und wir wollen ihm helfen —, wieder ausgleichen kann.
Ich habe mir wiederholt erlaubt, einen Vorschlag in dieser Richtung zu machen. Es geht nicht, daß die Länder einfach erklären: Das kommt ja alles durch den Finanzausgleich Popitzscher Prägung in Ordnung. Diese Rechnung geht ja nicht auf, und daher bin ich der Meinung, daß man über die Bildung eines Sonderstocks nachdenken müßte. In diesen Stock müßten auf alle Fälle die Mehreinnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer fließen, die bei dieser Aktion der Erhöhung des Freibetrags für ,den gewerblichen Mittelstand anfallen. Aber es muß noch mehr hinein. Ich freue mich, daß die Bundesregierung von sich aus bereit ist, etliches in ,dieser Richtung zu tun, wenn auch vielleicht in erster Linie für Berlin, wenn auch in zweiter Linie — oder im gleichen Rang — für das Saargebiet. Ich hoffe aber, daß auch für die Allgemeinheit etwas auf diesem Gebiet geschieht und daß dieser Sanderstock gebildet werden kann. Ich hoffe vor allen Dingen aber auch, daß die Länder ihre Pflicht tun und
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in diesen Sonderstock hineinzahlen. Kommen wir doch nicht immer gleich mit verfassungsrechtlichen Bedenken! Mir fällt gerade kein anderes Beispiel ein: Wir haben doch auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Godesberg ist eine Institution, in die Bundes- und Landesmittel hineinfließen; die Mittel werden dann für einen einheitlichen Zweck verwendet. Die Parallele mag nicht gerade glücklich sein. Aber es wäre doch merkwürdig, wenn dieses Haus sich in dem Bemühen einig ist, den Gemeinden das zu ersetzen, was sie nicht entbehren können, und nachdem wir den Art. 106 GG geändert haben, daß es uns nicht gelingen sollte, eine verfassungsrechtlich mögliche Farm zu finden.
Ich komme nun wirklich zum Schluß. Die Auffassung der CDU/CSU ist folgende. Wir wollen freie Gemeinden. Die Gemeindefreiheit kann nur geschützt und erhalten werden, wenn den Gemeinden die Selbstverantwortung, die Selbstverwaltung und die Finanzautonomie nicht eingeschränkt werden. Aber wir wollen in der freien Gemeinde auch die freien Bürger. Wir wollen nicht auf Kasten der freien Bürger gesunde Gemeindefinanzen schaffen, sondern wir wollen den gesund sich entwickelnden Mittelstand, der immer eine tragende Säule des Staatslebens gewesen ist. Wir wollen in unseren freien Städten den freien Bürger in der freien Gemeinde.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jacobi.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Herrn Kollegen Dr. Willeke versichern, daß weder ich noch ein anderer sozialdemokratischer Redner Anlaß hat, hier nach irgendeiner Seite hin Liebeserklärungen abzugeben. Daß wir die Finanznöte der Gemeinden kennen, daß wir die Abstellung dieser Nöte verlangen, erweist bereits unsere Große Anfrage. Wir brauchen den Gemeinden also nicht unsere Sympathie zu erklären. Aber es genügt auch keineswegs — hier hat der Herr Kollege Willeke recht —, zu glauben, mit Erklärungen auskommen zu können.
Wir sollten im Zusammenhang mit dem, was hier heute erörtert wird, auf die großen Worte überhaupt verzichten. Deshalb sollten wir, Herr Kollege Willeke, auch nicht von einer Feierstunde sprechen. Das Wort von damals hat sich nicht ganz bezahlt gemacht.
Das wäre heute sozusagen eine „Feier ohne Meyer"; denn Vokabeln nähren nicht.
Aber lassen Sie mich, bevor ich zur Sache spreche, einen Blick auf die Regierungsbank werfen.
Dort sitzt einsam und, ich möchte fast sagen, verloren der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen. Dort saß der Herr Bundeswohnungsbauminister, der inzwischen seinen Platz als Abgeordneter eingenommen hat und der sicherlich heute besonders auch deshalb anwesend ist, weil er im Nebenamt Präsident des Deutschen Gemeindetages ist.
— Herr Kollege Dresbach, ich ,stelle ebenso mißbilligend lest, daß in diesem Augenblick auch vom Bundesrat kein Vertreter im Saal ist. Aber ich finde es genauso wenig entschuldbar, daß weder der Herr Bundesminister des Innern noch einer seiner Staatssekretäre es für nötig hält, der heutigen Debatte beizuwohnen.
Schließlich ist es die Aufgabe des Herrn Innenministers, die Interessen der Kommunen, die ja ressortmäßig weitgehend bei ihm zusammenlaufen, zu wahren.
Ich stelle dies fest.
Leider, Herr• Staatssekretär Professor Dr. Hettlage, hin ich auch Ihnen gegenüber nicht in der Lage, Lob zu spenden. Die von Ihnen auf die Große Anfrage meiner Fraktion erteilte Antwort ist für die sozialdemokratische Opposition unbefriedigend.
Zwar hat der Sprecher der Bundesregierung eine Reihe von Tatsachen anerkannt, die zeigen, daß die Verzerrung unserer bundesstaatlichen Finanzverteilung nicht 'anhalten darf und daß eine grundsätzliche Neuordnung unerläßlich ist. Andererseits ist nicht ersichtlich, wann und wie der von ihm ,ausgestellte Zukunftswechsel eingelöst wenden soll. Die von der Opposition erwarteten konkreten Vorschläge der Regierung, die zeigen sollten, wie sie sich die auch von ihr für notwendig erachtete Neuordnung besonders .des kommunalen Finanzsystems vorstellt, sind, selbst was allgemeine reformerische Vorstellungen anbelangt, ausgeblieiben.
Ist dies an sich schon zu bedauern, so muß festgestellt wenden, daß auch die Stellungnahme der Bundesregierung zur gegenwärtigen Finanzsituation der Gemeinden nicht befriedigen kann. Mit Hinweisen auf gestiegene Steuereinnahmen ist nichts getan. Auch mit Zahlen läßt sich bekanntlich trefflich streiten. Sie haben für sich allein jedoch keine Aussagekraft.
Der Herr Staatssekretär 'hätte uns außer den Zahlen, die er heute als Beweis für die angeblich wesentlich verbesserte Finanzsituation der Gemeinden angeführt hat, die Vergleichszahlen des Bundes und der Länder zugleich mit den Zeitdaten nennen sollen. Dann hätte sich gezeigt, daß die Ausgangsgrundlagen völlig verschieden sind. In einer Zeit, in
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Jacobi
der der {Bund bereits in der Lage war, Steuerermäßigungen zu gewähren, mußten Gemeinden sich noch verschulden. Sie sind viel zu spät mitbeteiligt worden. Das ist ja bei den gestiegenen Gewerbesteuereinnahmen ganz eindeutig zu sehen. Daß diese Mehreinnahmen, von denen mein Freund Keuning bereits gesprochen hat, die heute den wesentlichen Teil oder Gemeindeeinnahmen darstellen, auch noch konjunkturempfindlich sind, macht die Hinweise auf gestiegene Einnahmen nicht frostvoller.
Es gibt weitere kritische Punkte, zu denen die Bundesregierung unserer Auffassung nach nicht ausreichend Stellung ;genommen hat. Ich sage dasbesonders im Hinblick auf die Bemerkung des Herrn Staatssekretärs über den an sich anerkannten Investitionsbedarf der Gemeinden und Gemeindeverbände in der nahen und fernen Zukunft. Sie können sich den Anforderungen der Bürger nicht entziehen, sie müssen handeln. Alber sie haben keine genügende Sicherung für die finanziellen Verpflichtungen, die auf sie zukommen. Herr Kollege Kenning hat bereits den wesentlichen Hinweis gegeben, daß die vor etwa zwei Jahren vom Wissenschiaftliichen Beirat beim Bundesfinanzministeriums errechneten Bedarfsziffern heute nicht mehr zutreffen, sondern daß .der tatsächliche Bedarf höher liegt. Er hat die Gründe angeführt, .aus denen sich das ergibt. Wir brauchen nur an die Verpflichtungen dm Verkehrswesen zu denken, an die damit verbundenen Grunderwerbslasten, an die Notwendigkeit der Schaffung von Parkraum, an die Entflechtungserfordernisse für den Individual- und Massenverkehr, die zweite Ebene und vieles andere mehr.
Der hier rühmend erwähnte Gemeindepfennig reicht bei weitem nicht aus. Die von den Gemeinden und Gemeindeverbänden allein im Verkehrsbereich zu lösenden Aufgaben und die ihnen hierfür zur Verfügung stehenden Mittel stehen sich in einem krassen Mißverhältnis gegenüber. Es genügt nicht, sich im wesentlichen mit dem Hinweis auf die Mehreinnahmen aus dem Straßenbaufinanzierungsgesetz zu begnügen — das hat der Herr Staatssekretär getan — und es als eine Aufgabe der Länder hinzustellen, durch geeignete Maßnahmen im Rahmen des Gemeindefinanzausgleichs zusätzliche Deckungsmittel ,aufzubringen. Der Bund selber kann und muß hier sehr viel mehr tun, als bisher geschehen ist. Es bedarf — um hierzu nur Weniges, aber Konkretes zu sagen — der Neubestimmung des Begriffs der Ortsdurchfahrt, der Berücksichtigung der Durchgangs- und Tangentialstraßen und des Bedarfs für die Bezuschussung von Zubringerstraßen über diejenigen hinaus, 'die in der Baulast des Bundes liegen. Es bedarf vieler anderer Regelungen. Diesen kann sich der Bund nicht unter Berufung darauf entziehen, daß angeblich eine Zuständigkeit formal nicht besteht. Die sozialdemokratische Opposition erwartet, daß beispielsweise bei der Beratung des Bundesfernstraßengesetzes, das heute bereits ,erwähnt wurde, wesentliche Verbesserungen der Regierungsvorlage vorgenommen werden.
Der Herr Staatssekretär hat auf andere Schwerpunkte der gemeindlichen Investtitionspolitik hingewiesen. Er hat den Krankenhausbau erwähnt und gemeint, auch hier könnten steigende Einnahmen und erhöhte Zweckzuweisungen der Länder entscheidende Hilfe bringen. Eine solche Feststellung ist im Grunde genommen nichts anderes als ein AusWeichen auf einem Gebiet, dem der Volksgesundheit, auf dem sich ,der Bund seiner Mitverantwortung nicht entziehen kann.
Hierauf ist auch bereits in Verbindung mit der Erwähnung des Goldenen Planes hingewiesen worden. Wir brauchen nur an die Notwendigkeiten zu denken, die sich hinsichtlich der Sportstätten und Erholungsanlagen ganz allgemein ergeben. Im Zusammenhang mit dem Goldenen Plan genügt es nicht — diese Bemerkung richtet sich nun nicht an die Bundesregierung allein —, wenn autorisierte Sprecher. aller Parteien sich für den Goldenen Plan einsetzen und sich dafür verpflichten, wie dies in der letzten Woche vor dem Bundestag des Deutschen Sportbundes geschehen ist. Es müssen vielmehr Konsequenzen gezogen werden. Auch hier ist es notwendig, daß den Gemeinden nicht zuletzt auch vom Bund mehr als bisher geholfen wird.
Alle diese Aufgaben berühren und verpflichten die Gemeinden in einem außerordentlichen Maße. Sie rufen finanzielle Belastungen über das noch vor Jahren Voraussehbare hinaus hervor, denen die kommunale Selbstverwaltung aus eigener Kraft nicht gewachsen ist.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Bundesregierung in der Antwort auf diese zusätzlichen Investitionsprobleme bewußt nicht eingegangen ist; denn die Grundtendenz der Antwort scheint darauf abgestellt zu sein, möglichst nicht zur Sache, sondern an ihr vorbei zu sprechen.
Ich darf einen Punkt herausgreifen. Der Herr Staatssekretär hat den Finanzbedarf für den Ausbau ,der Wasserversorgung und vor allem der Abwässerbeseitigung zwar ,als besonders groß bezeichnet, jedoch gemeint, daß dieser Finanzbedarf im wesentlichen durch die entsprechende Gebührenerhebungen abgedeckt werden könnte. Nun wird von kommunaler Seite nicht bestritten, daß im Prinzip Wasserversorgung und Abwässerwesen — ob nun von wirtschaftlichen Unternehmen oder über Gebührenhaushalte — sich selber tragen sollen. Die aktuelle Frage, vor der wir stehen, ist aber, ob und inwieweit dieser Grundsatz bei den gegebenen Verhältnissen im Augenblick bereits praktisch verwirklicht werden kann. Wir haben es hier mit einer der vielen drückenden Hypotheken aus der Vergangenheit zu tun. Es besteht sowohl auf dem Gebiet der Wasserversorgung als auch auf dem Gebiet des Abwässerwesens ein sehr großer Nachholbedarf. Die Finanzierung dieses Nachholbedarfes ist das eigentliche Problem, vor dem die Städte und Gemeinden stehen. Es kann nicht einfach durch den Hinweis auf den notwendigen Ausgleich des Gebührenhaushalts gelöst werden.
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Es war in der Vergangenheit weder möglich, in ausreichendem Maße Anliegerbeiträge zu erheben, noch den Ausbau der Kanalisationsanlagen zu forcieren. Hierbei darf nicht vergessen werden, daß die Jahre der Wirtschaftskrise, der anschließenden Aufrüstungsperiode, ,des Krieges und die Zeit vor der Währungsreform 'die kommunalen Investitionen besonders auf diesem Gebiete schwer behindert haben. Die Ursachen ides entstandenen Rückstandes liegen also durchaus nicht nur im kommunalen Bereich, sondern weitgehend bei der Politik und Gesetzgebung des Reiches bzw. des Bundes. Auch muß berücksichtigt werden, daß der nunmehr in verstärktem Umfange durchgeführte Ausbau der Anlagen bereits auf den zukünftigen Bedarf ausgelegt werden muß. Das bedeutet, daß im gegenwärtigen Augenblick die Kapazität der Anlagen in vielen Fällen nichtganz ausgenützt ist.
Endlich ist von Bedeutung, daß zur Finanzierung von Wasser- rund Abwasseranlagen besonders langfristige Kredite erforderlich sind, möglichst mit einer Tilgung von 1 % Solche Kredite sind bekanntlich nicht leicht zu beschaffen, und eine wiederholte Umschuldung ist jedesmal mit zusätzlichen Kosten verbunden.
Die von mir ,genannten Argumente lassen sich am besten an einem aus der Praxis stammenden Beispiel belegen. Ich nehme das Beispiel einer Stadt, von der Sie nicht sagen können, daß etwa durch die Tatsache, daß sie von Sozialdemokraten „regiert" wird, dort besondere Schwierigkeiten aufgetreten wären. Es handelt sich um Fulda. Die Stadt Fulda, eine Stadt mit zirka 50 000 Einwohnern, besitzt eine Stadtentwässerung, die aus dem Jahre 1905 stammt und für 17 000 bis 28 000 Einwohner eingerichtet ist. Die neue Stadtentwässerung muß unter Berücksichtigung des Wachstums der Bevölkerung und der Industrie auf 200 000 Einwohner bzw. Einwohnergleichwerte — wie der häßliche Ausdruck lautet — ausgelegt werden. Es ist also ein völliger Neubau erforderlich. Bei dem jetzigen Einwohnerstand können für das Gebührenaufkommen 88 000 Einwohner bzw. Einwohnergleichwerte zugrunde gelegt werden. Die Gesamtkosten der zu bauenden Anlagen im Stadtgebiet belaufen sich auf 27,6 Millionen DM, von denen 5,6 Millionen DM erst später anfallen, so daß sich die Gesamtkosten der jetzt in einem Zuge zu erstellenden Anlagen auf 22 Millionen DM belaufen. Nach Abzug der Anliegerbeiträge und eines von Randgemeinden zu tragenden Kostenbeitrages sind aus dem Gebührenhaushalt Investitionen in Höhe von 15 Millionen DM zu verzinsen und zu tilgen. Bei 88 000 Einwohnern und bei einer Gebührenhöhe von 12 DM je Einwohner ist mit einem Gebührenaufkommen in Höhe von 1,1 Millionen DM einschließlich aller Nebeneinnahmen zu rechnen. Nach Abzug der laufenden Kosten für Unterhaltung, Zinsen und Tilgung auf bereits aufgenommene Darlehen verbleibt für den Schuldendienst der neu aufzunehmenden Darlehen noch ein Spielraum von 275 000 DM.
Die noch verbliebene Schuldenaufnahmefähigkeit des Haushalts der Stadt Fulda in Höhe von 6,5 Millionen DM für unrentierliche Zwecke muß für den
Neubau von vier Volksschulen, einer höheren Schule und eines Krankenhauses von 700 Betten reserviert werden. Aus der Schuldendienstleistungsfähigkeit des Gebührenhaushalts „Abwässerbeseitigung" in Höhe von 275 000 DM ergibt sich, wenn man an die Aufnahme von Kreditmarktmitteln zu 6,5 % Zinsen und 1% Tilgung denkt, eine Schuldenaufnahmefähigkeit von ca. 3,7 Millionen DM. Es bleibt also in diesem Fall eine Finanzierungslücke von 11,3 Millionen DM bestehen.
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich ein solches Beispiel angeführt habe; es ist für die Verlebendigung der heutigen Debatte sicherlich nicht sehr attraktiv. Aber es ist notwendig, sich so konkret wie möglich vor Augen zu führen, wie es wirklich in unseren Gemeinden aussieht, und ich glaube, das Beispiel Fulda beweist, daß durch den Hinweis auf den Ausgleich des Gebührenhaushalts und die Möglichkeit der Kreditaufnahme dieses Problem der Kommunalfinanzen nicht gelöst werden kann. Erst in späteren Jahren, wenn ,der Nachholbedarf abgedeckt und der Gebührenhaushalt in ein dauerndes Gleichgewicht gebracht worden ist, wird eine isolierte Betrachtung des Gebührenhaushalts möglich sein. Vorläufig bleibt die Belastung des allgemeinen Haushalts bestehen.
Ich habe den Eindruck, daß derartige Erwägungen bei der Bundesregierung in keiner Weise angestellt worden sind, als die Antwort auf die Große Anfrage entworfen wurde; denn so und ähnlich, wie ich es eben geschildert habe, sieht es bei vielen Gemeinden aus. Das, was der Herr Staatssekretär heute zu bieten wußte, ist keine Antwort auf ihre drängenden und besorgten Fragen.
Im Gegensatz zu den abschließenden Feststellungen des Herrn Staatssekretärs muß gesagt werden, daß die finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden leider schon heute in stärkstem Maße von der Finanzentwicklung her gefährdet ist.
Die sozialdemokratische Opposition widerspricht der Bundesregierung ebenfalls, wenn sie die Behauptung aufstellt, daß die Gemeinden ihre vermehrten und unaufschiebbaren Aufgaben, vor allem ihre Investitionen, ohne Erhöhung ihres Anteils am gesamten Steueraufkommen erfüllen könnten.
Die Gemeinden können das nicht.
Die sozialdemokratische Opposition bedauert, daß die Bundesregierung die Erstattung des Einnahmeausfalls, der den Gemeinden aus der Grundsteuerbefreiung für den sozialen und steuerbegünstigten Wohnungsbau erwachsen ist und der sie noch auf viele Jahre belastet, kategorisch ablehnt. Was für Manipulationen mit der Gewerbesteuer gilt, gilt auch hier. Aus anderer Leute Leder läßt sich gut Riemen schneiden.
Die Bundesregierung macht es sich sehr leicht, wenn sie die Opfer, die durch den Grundsteuerausfall den Gemeinden auferlegt worden sind, gleichsam mit einem frommen Augenaufschlag als einen zumut-
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baren Beitrag zur Förderung des Wohnungsbaues bezeichnet. Sie läßt dabei nämlich völlig außer acht, was die Gemeinden unter weiteren wesentlichen Opfern aufgebracht haben und auch weiterhin aufbringen müssen. Denken wir nur an finanzielle Eigenleistungen der Gemeinden, an Erschließungsaufwendungen, an die Baulandbereitstellung und vieles andere mehr, was sich bundesstatistischen Globalerhebungen entzieht.
Zur Grundsteuer ist zu sagen, daß es früher — auch das wird meist außer acht gelassen — Grundsteuerbeihilfen nur für Arbeiterwohnstätten mit Mieten bis zu 40 DM gegeben hat. Heute gibt es Grundsteuerbefreiungen auch für Wohnungen im Besitz von Leuten, die zu den gehobenen Einkommensschichten gerechnet werden und Mieten von 2 DM, 2,50 DM und 3 DM pro Quadratmeter aufbringen. Das geschieht zu Lasten der Gemeinden, und das ist im Grunde genommen nicht vertretbar. Heute gibt es auch für Bauten, bei denen noch weitere 50 % Steuervergünstigung in elf Jahren eingeräumt werden, Grundsteuerbeihilfen. Das alles lastet den Gemeinden an, und das ist nicht in Ordnung.
Wir wissen auch, was die Gemeinden heute aufzubringen haben, um Gelände zu erwerben, das den Zwecken dient, die es nun einmal zu erfüllen gilt und denen man nicht ausweichen kann: für den Wohnungsbau, für Grünflächen, für Verkehrsräume usw. usw. Hier ist den Gemeinden mehr auferlegt, als dies von Herrn Staatssekretär Dr. Hettlage beachtet worden zu sein scheint.
Im übrigen: Was an dringenden Wohnungsnotständen von den Gemeinden, besonders in sogenannten Ballungsräumen, aber nicht nur in diesen, noch auf eine Reihe von Jahren hinaus zu beheben ist, wird seit langem von dem Herrn Bundeswohnungsbauminister ungern zur Kenntnis genommen.
Es paßt nämlich nicht so recht in seine an Herrn Coué erinnernde Methode hinein, die Dinge global zu schildern und sich mit allgemeinen statistischen Erfolgsziffern zu trösten.
Ich habe auch an den Herrn Bundeswohnungsbauminister gedacht, als ich die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs über die Grundsteuern hörte. Daß die Einheitswerte für das Grundvermögen seit 1935 nicht neu festgesetzt worden sind, ist doch kein Problem, das heute plötzlich vor uns steht, sondern seit langem eine wesentliche Ursache für die heute zur Erörterung stehenden kommunalen Finanznöte. Das seit Jahren fertiggestellte Bewertungsgesetz ist doch von der Bundesregierung bewußt zurückgehalten worden. Das hat infolgedessen diese Regierung zu verantworten.
Ich habe die Beratungen zum Bundesbaugesetz noch in Erinnerung, ebenso die zum sogenannten Lücke-Plan. Ich weiß daher, wie sehr dem Herrn Bundeswohnungsbauminister daran gelegen war, die Neubewertung des Grundvermögens in diesem Bundestag nicht mehr auf der Tagesordnung erscheinen zu lassen. Hier ist die Bundesregierung im Verzuge, und hier trägt sie die nicht wegzudiskutierende Verantwortung für die ungesunde Verzerrung des kommunalen Finanzsystems.
Im April 1958 hat der Herr Bundesfinanzminister Etzel vor dem Deutschen Gemeindetag in Urach von höheren Grundsteuern gesprochen, die unvermeidlich seien. Er hat damals sogar eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer als erörternswert bezeichnet. Vergleicht man diese 2 3/4 Jahre zurückliegenden Erklärungen mit den heutigen Ausführungen des Herrn Staatssekretärs, so wird deutlich, daß die Bundesregierung sich auf dem Gebiet einer Neuordnung der kommunalen Finanzen bisher nichts Förderliches hat einfallen lassen. Das ist aber nicht nur um der speziellen Finanzprobleme willen, sondern aus allgemein staatspolitischen Gründen beklagenswert. Der Kollege Willeke und ebenfalls der Kollege Eilers haben es bereits mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht: Eine gesunde Kommunalpolitik setzt gesunde Gemeindefinanzen voraus. Ohne eine gut funktionierende kommunale Selbstverwaltung gibt es auch keinen funktionierenden freiheitlich-demokratischen bürgerschaftlichen Staat. Wenn wir in einer Zeit, die, wie wir alle wissen, in einem außerordentlichen Ausmaß im Schatten eines nicht immer gesunden Sozialprestigedenkens steht, von unseren Bürgern erwarten, daß sie nicht ausschließlich nach Erwerb und Genuß streben, wenn wir nach ihrer Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft rufen, — wo soll und kann dies besser als in den Gemeinden und mit ihnen verwirklicht werden?! Es ist nicht damit getan, bei feierlichen Anlässen von der kommunalen Selbstverwaltung als der Wiege oder Elementarschule der Demokratie zu sprechen. Man muß sie lebensfähig erhalten und, wo sie es nicht mehr ist, wieder lebensfähig, d. h. initiativträchtig, machen.
Es ist heute von der finanziellen Einengung des kommunalen Betätigungsraumes gesprochen worden, und in der Tat muß man unverdrossen immer wieder betonen, daß mehr Geld für die Gemeinden not tut, damit sie für ihre Aufgaben in rechter Weise gerostet sind. Doch daneben gilt es, in vielfältiger Weise um die Erhaltung der gemeindlichen Selbstverwaltung besorgt zu sein.
Es gibt hier unzählige Gefahren. Ich denke da an die mangelnde Finanzautonomie, über die heute bereits sehr viel gesagt worden ist, an das Anschwellen der Aufgaben durch staatliche Auftragsangelegenheiten und durch den besonders in den Gemeinden spürbaren Gesetzesperfektionismus, an dem wir, meine Damen und Herren Kollegen, zum Teil mitbeteiligt sind. Auch gibt es nach wie vor veraltete Vorstellungen über das Verhältnis von Staats- und Selbstverwaltung. Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die das 1945 und in den Jahren danach so oft zitierte Wort von der Gemeindefreiheit nicht mehr sehr ernst nehmen und die den Aktionsradius der kommunalen Selbstverwaltung liebend gern immer weiter einengen möchten. Es darf weder ein Streitverhältnis noch ein obrigkeitlich ausgerichtetes Machtverhältnis zwischen Staat und Gemeinden geben. Es bedarf vielmehr der Part-
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nerschaft, der Einordnung der kommunalen Selbstverwaltung in den sozialen Rechtsstaat. Der von meinem Freunde Keuning heute erwähnte sogenannte unsichtbare Finanzausgleich gehört zu den einem solchen politischen Aufbauprinzip abträglichen Methoden. Es ist — um mit Professor Becker zu sprechen — eine unzulässige Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts und stellt einen bedenklichen Rückfall in ein falsches Trennungsdenken dar, daß Bundes- und Landesgesetzgeber auf Kosten der Gemeinden Geschenke machen. Dies ist ja, wie Sie wissen, mehrfach geschehen und steht auch im Zusammenhang mit der Frage des Gewerbesteuerfreibetrages, die heute diskutiert wird.
Meine Damen und Herren, es gilt, die aktuelle staatspolitische Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung im Denken und im Handeln besser zu honorieren, als dies bisher geschehen ist. Was uns hierzu die Bundesregierung heute an Erkenntnissen und Gedanken vermittelt hat, ist mehr als dürftig. Ihre Gewerbesteuerfreibetrags-Initiative setzt die unserer Meinung nach falsche Politik der Hilfen auf Kosten der Gemeinden fort. Dabei ist es nicht etwa so, daß wir nicht ebenfalls dem Mittelstand, dem Gewerbe, helfen wollten. Nur fragt es sich, wer denn eigentlich die Zeche bezahlen soll.
Diese Gewerbesteuerfreibetrags-Initiative muß je
nach dem Ausgang der angeblichen Ausgleichsbemühungen sogar nach der verfassungsrechtlichen
Seite hin problematisch erscheinen.
Die sozialdemokratische Opposition hofft, daß durch ihre Große Anfrage über die Gemeindefinanzen nicht nur eine neue Diskussion ausgelöst worden ist — möglicherweise bleibt sie in diesem Hause auch noch auf den heutigen Tag beschränkt—, sondern daß nunmehr Taten heranreifen. Wir sind zur Mitwirkung bereit. Noch jedoch haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Mehrheit in diesem Hause. Noch liegt es daher in Ihrer Hand, das bei gutem Willen Mögliche alsbald zu tun.
Herr Abgeordneter Jacobi, während Ihrer Ausführungen ist der Herr Staatssekretär im Bundesministerium des Innern erschienen. Er war vorher infolge dringender Inanspruchnahme in Ausschüssen ,des Hauses verhindert.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stecker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf eine verfassungsrechtliche Frage eingehen. Herr Kollege Eilers und Herr Kollege Jacobi: Das Schlagwort von dem Bund, der auf Kosten der Gemeinden Geschenke verteile oder sich aus anderer Leute Fell Riemen schneide, wird nicht dadurch zu einem echten Argument, daß es ständig wiederholt wird. Unsere Verfassung, die Sie mit beschlossen haben, gibt dem Bund das Gesetzgebungsrecht für alle Steuern, auch für die kommunalen Steuern. Daraus ergibt sich auch die verfassungsmäßige Pflicht, dann Steuersenkungen vorzunehmen, wenn dafür Gründe bei den Steuerpflichtigen vorliegen. Es kann keine Rede davon sein, daß Geschenke auf anderer Leute Kosten verteilt würden.
Aber für das materielle Steuerrecht, auch für die Gewerbesteuer, hat der Bund das Gesetzgebungsrecht.
— Das ist sehr richtig, Herr Kollege Dresbach, aber ich glaube, daß mein Argument darum nicht schlechter wird.
Ich möchte mich im übrigen mit der Situation unserer Landkreise und Landgemeinden befassen. Das ist in diesem Hause nicht so sehr attraktiv. Man liebt hier mehr, von den „großen Dimensionen" des Daseins zu sprechen, 'die man „in den Griff bekommen" möchte, wie das so schön heißt.
— Nein, keineswegs, Herr Heiland. Wer aus der Welt der kleinen Gemeinden kommt und die Ehre hat, für sie gestaltend tätig zu sein, empfindet das keineswegs als etwa Diminutives, sondern durchaus als ehrenvoll. Auch der Zahl nach nehmen die Landgemeinden keine so unbedeutende Stellung ein, wie man so oft denkt. Noch heute wohnen drei Fünftel unserer Bevölkerung in den Landkreisen. Die Zahl der Einwohner der echten Landgemeinden mit weniger als 3000 Einwohnern ist heute noch größer als die der Großstädte. 90% unserer Landgemeinden haben eben weniger als 3000 Einwohner, sind also noch echte Landgemeinden.
Abgesehen von der Bedeutung der Zahl der Gemeinden ist in den letzten Jahren der Finanzbedarf durch zwei Ereignisse außerordentlich gestiegen. Der Flüchtlingsstrom ergoß sich nach dem Kriege zu 75 bis 80 % in die Landkreise. Im Jahre 1950 wohnten mindestens 75 % der Flüchtlinge in den Landkreisen. Das hat sich nachher verändert; die Landkreise wurden dadurch zwar in quantitativer, aber nicht in qualitativer Hinsicht entlastet: die arbeitsfähigen und arbeitskräftigen jungen Leute sind vom Lande weggezogen. In unseren Landgemeinden sind die oft unterstützungsbedürftigen, die, sagen wir einmal, nicht produktiv mitarbeitenden Menschen zurückgeblieben. Das hat zu einer völligen Veränderung der sozialen Struktur auf dem Lande geführt.
Dazu ist eine zweite Tatsache gekommen, von der heute schon einmal gesprochen worden ist. Bereits seit dem ersten Weltkrieg ist festzustellen, daß auch der Bürger auf dem Lande eine gleichwertige Versorgung mit den Leistungen des öffentlichen Dienstes verlangt. Man mag das begrüßen, oder
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0 man mag es verurteilen. Ich persönlich bin der Meinung, daß die Maxime „Wohlstand für alle" auch durchaus eine brauchbare Maxime für die kommunale Finanzverteilung ist.
— Ja, das kommt gleich, Herr Kollege.
Ich will nun, wenn ich die Situation der Finanzen der Landkreise schildere und untersuche, ob sie den gestiegenen Bedürfnissen entsprechen, keineswegs von einem kommunalen Notstand sprechen, auch nicht bei den Landgemeinden, wie das Herr Kollege Eilers schon einmal getan hat und wie das auch hier geschehen ist.
— Ich spreche von den Landgemeinden allgemein. Herr Professor Hettlage hat doch, Herr Kollege Jacobi, eindrucksvolle Zahlen über die Entwicklung der Finanzen gegeben.
Unsere Landgemeinden haben an der wirtschaftlichen Entwicklung durchaus teilgenommen; das wollen wir nicht verkennen.
— Gewiß, wir sind etwas später gekommen, Herr Brese! Aber, meine Damen und Herren, ich möchte jedenfalls nicht in die Verlegenheit kommen, wenn es einmal wirklich schlechter wird, ein neues Vokabular für die Schilderung der kommunalen Finanzsituation erfinden zu müssen.
Meine Damen und Herren, wir reden im Zusammenhang mit den kommunalen Finanzen so oft und so gern von der Hoheit der Gemeinden. Ich meine, daraus resultiert auch die Pflicht, daß wir uns nicht den Jargon zulegen, dessen sich manche Interessenten in ihren Übertreibungen bedienen.
Manches ist auch in der Tat vom Bund und von den Ländern — —
— Ich bin ja selber an der Klagemauer, Herr Kollege; so schlimm ist das nicht.
Wenn wir die spezielle Situation der Landkreise und ihrer Gemeinden in Relation zur Finanzausstattung und zur Finanzentwicklung in den übrigen Körperschaften setzen, ergibt sich allerdings in der Tat, Herr Kollege Brese, ein ungeheures Gefälle, das sich noch ständig zuungunsten der Landgemeinden verstärkt und das auf die Dauer unerträglich ist, weil es zu einer Minderleistung der kommunalen Dienste auf dem Lande und damit zu einer Verschärfung der Abwanderung vom Lande führt, die wir in keiner Weise wünschen.
Ich möchte da einige spezielle Zahlen in Ergänzung zu den Ausführungen von Herrn Professor Hettlage geben. Die Steuerkraft der Gemeinden unter 3000 Einwohner beträgt — das wurde schon gesagt — nur ein Viertel derjenigen der kreisfreien Städte. Auch unter Einbeziehung des Finanzausgleichs zeigt die Statistik für das Jahr 1956 — das ist das letzte Jahr, von dem ich die Zahl zur Verfügung hatte —, daß die Ausstattung der kreisfreien Städte noch um 70 % höher liegt als die der Landgemeinden.
Ich darf ein spezielles Beispiel aus dem Land Niedersachsen anführen. Da weist ein Landkreis meines Wahlkreises — ich will nicht einseitig eine einzelne Gemeinde herausstellen — mit 65 000 Einwohnern eine Steuerkraft von 38 DM pro Kopf aus und eine Stadt im selben Land eine solche von 630 DM; das ist ungefähr das Zwanzigfache. Darin sehe ich in der Tat das Problem.
— Aber es gibt außerdem noch eine Gemeinde, deren Steuerkraft über 400 DM pro Kopf liegt.
— Nein, damit schade ich nicht, sondern nütze ich den Landgemeinden.
— Ich trage hier meine Meinung vor, und ich glaube, daß sie auch berechtigt ist.
Dann ist auch über die kommunale Verschuldung gesprochen worden. Meine Erfahrung ist die — und das weist ja auch die Statistik aus —, daß die Schuldenlast allein kein Maßstab der Finanzsituation der betreffenden Gemeinde ist. Steuerkräftige Gemeinden sind oft leichter bereit, Schulden zu machen, als es arme Gemeinden sind. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch ehrlich sehen, daß bei der Situation der Landgemeinden die mangelnde Steuerkraft vielfach dazu führt, daß beim Bau eines einzigen Kilometers Straße oder einer einzigen Schulklasse oder eines Feuerlöschteichs jede Investitionstätigkeit praktisch für Jahre ruhen muß,
Weil der Kapitaldienst einen so hohen Prozentsatz der Deckungsmasse erreicht, daß man überhaupt keine Schulden mehr machen kann.
— Ich differenziere ja, meine Damen und Herren. Darin sehe ich das Problem der kommunalen Finanzen.
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Das sind die Größenondnungen — ich will das hier nur anreißen —, 'in denen unsere Landgemeinden denken und mit (denen sie rechnen müssen, wobei wir durchaus auch noch die Nöte sehen müssen, die die Städte insbesondere mit dem Verkehrsproblem haben und !die sie auch ,auf anderen Gebieten vor sich sehen.
Dieser Situation kann man nicht durch Schlagworte gerecht werden, sondern nur dadurch, daß den steuerschwachen Gemeinden gleichzeitig mit der Verabschiedung der Gewerbesteuernovelle der Ausfall erstattet wird. Dazu besteht nach meiner Ansicht durchaus eine reale Chance. Der Herr Staatssekretär hat das Steueraufkommen de r Länder angeführt. Wir erkennen daraus, daß die Länder bei ,einigem guten Willen dazu in der Lage sind. Ich glaube auch nicht, daß sich die Länder die Patenschaft über die Gemeinden, auf die sie so sehr Wert Legen, abkaufen lassen. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß sich auch der Bund die Förderung des Gewerbes etwas kosten lassen sollte. Da läßt sich durchaus ein Weg finden, der beiden Interessen gerecht wird.
--- Nein, nein, das ist nur eine andere Aufgliederung. Wir haben ja jetzt schon eine Aufgliederung zwischen Gewerbekapital und Gewerbeertrag. Das Aufkommen aus dem Gewerbekapital beträgt jetzt schon etwa 10 %. Ich stelle mir vor: wenn man das auf 20 % heraufsetzte und 80 % aus dem Ertrag nähme, so wäre das eine bessere Relation.
Wenn wir uns über die gemeindliche Steuerhoheit, über die Mitbeteiligung und die Gemeinde als demokratische Erziehungsstätte — oder was sonst alles für große Worte gebraucht worden sind — einig sind, sollten wir uns auch ernsthaft die Frage eines allgemeinen, an die Person gebundenen, grob nach Einkommen gestaffelten Gemeindebeitrags überlegen.
Das zweite Problem, die Beseitigung oder — sagen wir besser — die Milderung der Finanzkraftunterschiede, erscheint mir noch bedeutungsvoller. Auch ich bin keineswegs für eine Nivellierung. Es muß, um das Leben in der Gemeinde zu erhalten, sicher auch Unterschiede geben, und es müssen auch Unterschiede bleiben. Es wäre auch verfrüht, an dieser Stelle jetzt einen Überblick zu geben, wie man sich insgesamt etwa den Finanz-
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ausgleich denken kann. Ich möchte nur einige Gesichtspunkte hervorheben.
Wie schon Herr Professor Hettlage ausgeführt hat, zwingt die wirtschaftliche Entwicklung, die zumindest auch in einer natürlichen Konzentration liegt, dazu, einen interkommunalen Ausgleich in den Bereich der Überlegungen einzubeziehen. Für viele mag das ein schreckliches Wort sein. Mein Kollege Dresbach sitzt mir hier gegenüber; er wird sich ja auch noch dazu äußern. Ich meine, die Kommunen sollten sich in der Tat zu dieser Solidarität bekennen. Wir haben ja auch schon einen Ausgleich in der Form des Gewerbesteuerausgleichs zwischen Wohn- und Betriebsgemeinden. Es gibt die Abschöpfung über die Landesumlage. Einen sehr interessanten Versuch, finde ich, hat das Saarland mit einer allgemeinen Umlage gemacht, die nach der Steuerkraft erhoben wird und die voll und ganz in die kommunale Schlüsselmasse eingeführt wird.
— Herr Dresbach, Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Ich glaube, daß der Kreis in der Tat eine ganz wesentliche Lastenausgleichsfunktion ausübt, und ich möchte auch sagen, daß manche Anomalien in der Verteilung der Steuern deshalb entstehen, weil man wirtschaftlich zusammengehörige Gebiete auseinanderreißt, indem z. B. in einigen Ländern Städte, wenn sie gerade Kleinstadtformat erreicht haben, schon selbständig, d. h. kreisunmittelbare Städte werden wollen. Das bedeutet, daß sich die Steuerkraft in einer einzigen Gemeinde zusammenfindet und das umliegende Land völlig ohne Finanzkraft bleibt.
Die größere Reform, die natürlich nur im Wege einer Grundgesetzänderung kommen kann, würde auch ich etwa — das ist hier schon öfter angesprochen worden — in dem österreichischen Modell sehen. Das heißt, daß die Gewerbesteuer — wie sie das früher ja auch war, wie sie das bis 1937 in außerpreußischen Ländern vielfach war — eine zwischen Ländern und Gemeinden geteilte Steuer wäre und die Gemeinden dafür an der Einkommen- und Körperschaftsteuer beteiligt würden. Herr Dresbach, ich weiß, Sie werden mir sagen: Sie geben damit das Prinzip der Trennung der Steuerquellen auf! Aber ich glaube, das tun wir gar nicht. Wir haben ja auch jetzt die Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern geteilt. Wir könnten, wenn wir diese Lösung fänden, damit gleichzeitig das Problem der einseitigen Abstützung der gemeindlichen Finanzen auf die Gewerbesteuer lösen. Wir könnten auch ein drittes Problem lösen, dessen Lösung ich für wichtig halte. Die jetzige Regelung der Gewerbesteuer stellt einen Anreiz dar, in die steuerstarken Gemeinden immer noch mehr Gewerbe hineinzuziehen. Dadurch ergeben sich Verfälschungen der Standortkosten, die ganz erheblich sind.
Nun soll man nicht sagen, ich brächte durch meine Ausführungen die Finanzhoheit der Kommunen und damit die Selbstverwaltung in Gefahr.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Ich darf dem Vizepräsidenten des Hauses, Herrn Abgeordneten Dr. Dehler, die herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag aussprechen.
Ich bitte fortzufahren.
Meine Damen und Herren, ich hatte gerade gesagt, daß ich den Gemeinden keineswegs ihre Finanzhoheit nehmen will, sondern ich will durchaus den Gemeinden eigene Steuern in ihrer eigenen Verantwortung belassen und diese Zahl sogar noch vermehren. Aber ich sehe die größte Gefahr für die gemeindliche Selbstverwaltung gegeben, wenn auf der einen Seite kapitalstarke, zum Teil schon bürokratisierte Städte Landgemeinden gegenüberstehen, die wegen schwindender Steuer- und Verwaltungskraft immer weniger in der Lage sind, ihre Selbstverwaltungsaufgaben zu erfüllen.
Nun werden bei kommunalen Diskussionen sehr viele Reminiszenzen aus alten Zeiten gebracht, und ich nehme hier den früheren Oberbürgermeister von Köln nicht aus. Bei diesen Reminiszenzen sind immer Gedanken daran im Spiel, daß einmal in Köln eine sehr schöne Selbstverwaltung war. Wer aber die Verhältnisse kennt, wird mir recht geben, wenn ich sage, daß zur gleichen Zeit in den Eifeldörfern oder in der Oberpfalz oder im Emsland doch nur Rudimente einer Selbstverwaltung in den Gemeinden vorhanden waren.
Als besonderes Problem will ich kurz den Straßenbau ansprechen, der schon mehrfach erwähnt worden ist. Den Straßenbau für die Gemeinden sehe ich in den kommenden Jahren als das Investitionsproblem ,der Kommunen an. Auf der einen Seite stehen die vollgestopften Stadtstraßen, auf der anderen Seite die völlig unzulänglichen Kreis-. und Gemeindestraßen, deren Unterbau, Breite und Dekkenart in keiner Weise mit der wachsenden Motorisierung Schritt hält. Ich bin der Meinung, daß die Abzweigung von Mitteln aus der Mineralölsteuer für den gemeindlichen Straßenbau ein erster Schritt war, den wir konsequent weitergehen müssen. Doch das sind Sorgen am Rande.
Die Hauptsorge der Landkreise besteht darin — das habe ich dargestellt, und ich komme damit zum Schluß wenn wir Selbstverwaltung erhalten wollen, müssen wir sie in allen Bereichen unserer Gemeinden erhalten, dann müssen wir dafür sorgen, daß die Finanzausstattung aller Gemeinden so ist, daß Selbstverwaltung in ihnen leben und existieren kann. Das sollten wir bei allen Maßnahmen, die wir jetzt und in der Zukunft ergreifen, bedenken.
Das Wort hat der Herr Kollege Wienand.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Stecker hat hervorgehoben, daß der Herr Staatssekretär bei der Ant-
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wort der Bundesregierung eindrucksvolle Zahlen genannt habe, und ich glaube, wir sollten in der Tat trotz der Dürftigkeit der Antwort der Bundesregierung dem Herrn Staatssekretär dafür dankbar sein, daß er eine Reihe von Zahlen genannt hat, weil gerade auch diese Zahlen unter Beweis stellen — das klang ja trotz aller Verschwommenheit aus der Antwort 'heraus —, daß die Gemeinden wirklich nicht in einer beneidenswerten Situation sind.
Wenn man also von der Antwort der Regierung ausgeht und wenn hier aufgezeigt wurde, wie das Einkommen ,der Gemeinden gerade von der Gewerbesteuerseite her in Iden vergangenen Jahren gewachsen ist, dann hätte nach meinem Dafürhalten aber auch darauf hingewiesen werden müssen, wie die Aufgaben der Gemeinden in diesen Jahren gewachsen sind; es geht 'darum, hier die Relation herzustellen.
Wenn ich auf der einen Seite nur von den Einnahmen ausgehe und auf der anderen Seite nichts von den Ausgaben sage, von den Ausgaben, die zwangsläufig bedingt sind, weil neue Aufgaben hinzugekommen sind, muß ein verzerrtes Bild gezeichnet werden, und dann kann man eine solche Antwort nicht als befriedigend gelten lassen.
Ich will nicht noch einmal selber das Zahlenspiel mitmachen. Ich möchte der vorgerückten Stunde in diesem Hause Rechnung tragen und nur einige Gedanken aufgreifen. Vorhin wurde von dem Kollegen Stecker gesagt, wir sollten uns nicht mit großen
B) Worten auf die Ebene von Interessenverbänden begeben. Ich werde nachher noch einmal darauf zurückkommen. Ich glaube nicht, 'daß die kommunalen Spitzenverbände und diejenigen, die in der Bundesrepublik Kommunen vertreten, sich jemals auf die Ebene der Interessenverbände -- im übelsten Sinne des Wortes — begeben haben. Denn hier kommt es nicht darauf an, Interessen wahrzunehmen, sondern hier kommt es 'darauf an, innerhalb der Partnerschaft zwischen Gemeinde, Land und Bund das Notwendige zu vertreten, damit auch von dieser Seite her gesehen die Gemeinden nicht systematisch zum Kostgänger von Bund und Land degradiert werden und damit nicht die bürgerschaftliche Selbstverwaltung stranguliert wird
und damit auch nicht das letzte Element, das gerade auf dieser Ebene zur Festigung unserer Demokratie mit beitragen kann, von vornherein so eingezwängt wird, daß der demokratische Gedanke in Bund und Land — auf die Dauer gesehen — Schaden tragen muß. Das wollen wir alle nicht.
Der Kollege Dresbach machte vorhin einen recht interessanten Zwischenruf in einem Zwiegespräch mit dem Kollegen Stecker. Er sagte: Der Gemeindeverband ist dort, wo er Gemeindeverband ist, Lastenausgleichsträger. Wir haben das auch aus der Antwort der Bundesregierung herausgehört, die darauf hingewiesen hat, daß 'unter den Gemeinden so etwas wie ein interkommunaler Finanzausgleich zustande kommen müsse. Ich möchte diesem Gedanken nur einen Augenblick nachgehen und einmal versuchen, die Funktion zu untersuchen, die dort l gegeben ist. 'Es trifft zwar zu, daß innerhalb eines Kreises für 'die kreisangehörigen Gemeinden in etwa die Funktion des Lastenausgleichs vom Kreis aus gegeben ist, weil über die Kreisumlage von finanzstarken Gemeinden auch zu finanzschwachen Gemeinden gewisse finanzielle Zuflüsse möglich sind.
— Das ist hauptsächlich für die Verwaltung; ich komme darauf, Herr Kollege Dröscher.
Wir haben auf der anderen Seite — ich denke an die Funktion der Ausgleichsstöcke und ich denke an andere Bedarfszuweisungen — so etwas wie einen Finanzausgleich, der über die Gemeindeverbände hinausgehoben worden ist. Aber hier, glaube ich, fängt gerade das an, was hart angesprochen werden muß, weil hier die bürgerschaftliche Selbstverwaltung nach meinem Dafürhalten stranguliert wird. Warum? Wenn wir uns einmal die Finanzmasse ansehen, die den Gemeinden in der Größenordnung bis 5000 oder 10 000 Einwohner im Schnitt zur Verfügung steht, können wir doch feststellen, Herr Staatssekretär, daß der überwiegende Prozentsatz dieser Landgemeinden nicht an den Zahlen, die hier genannt worden sind, partizipiert. Wir können feststellen, daß der finanzielle Spielraum, der ihnen zur Verfügung steht, wenn die sogenannten Pflichtaufgaben und alles das, was gesetzlich geregelt ist, finanziell abgedeckt sind, so minimal geworden ist, daß er — wenn er überhaupt noch vorhanden ist — nur noch mit einem Prozentsatz von 2 bis 10 % angegeben werden kann. Das bedeutet aber, wenn ich noch die Schulden hinzunehme, die gedeckt werden müssen, die amortisiert werden müssen, daß in der Landgemeinde meistens eine bürgerschaftliche und kommunale Selbstverwaltung Nicht mehr möglich ist, weil sie über keinen finanziellen Spielraum mehr verfügt und weil die Leute dann zwangsläufig die Lust am Arbeiten verlieren müssen. Damit wollte ich erhärtet haben, was ich einleitend gesagt habe. Man braucht dann keine Räte mehr zu wählen, man braucht dann nicht mehr um ehrenamtliche Mitarbeiter nachzusuchen, wenn ein Inspektor der Verwaltung in der Lage ist, auf der Einnahmeseite festzustellen, was im Laufe des Jahres hereinkommt. Er sieht die zweckgebundenen und vom Gesetz uns auferlegten Ausgaben auf der anderen Seite und stellt nur fest: Es ist ein Fehlbestand von 10 000 oder 50 000 oder 100 000 DM je nach der Größe der Gemeinde gegeben, und jetzt muß ich nur noch manipulieren, um den Richtlinien des Ausgleichsstocks gerecht zu werden, damit ich, wenn ich jetzt zu den Prüfungsämtern komme und etwas vom Ausgleichsstock haben will, wenigstens das noch für meine Gemeinde heranhole. Genau auf dieser Ebene ist zu sehen, was vorhin schon angedeutet worden ist, als die Rede davon war, daß immer mehr eine gewisse Bürokratie mit Richtlinien, mit Ausführungsbestimmungen, mit ganz bestimmten Hinweisen die bürgerschaftliche Selbstverwaltung in den Griff zu bekommen versucht und wir uns nicht dagegen wehren können.
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Wienand
Ich möchte es einmal auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Auch Kommunalpolitiker, ehrenwerte Kommunalpolitiker, tragen mit dazu bei, weil nicht mehr die Initiative, nicht mehr das gesunde Überlegen, nicht mehr die Frage der Priorität in den Überlegungen in der Gemeinde den breitesten Raum einnehmen, sondern das, was an Dotationen von oben kommt,
auf das man sich einstellen muß, um in den Genuß der Zuwendungen zu kommen.
— So schnell kann man mich auf die Bürgersteuer nicht festnageln.
— Aber Herr Dr. Willeke, Sie sind doch ein kluger und reifer Mann. Sie wissen doch, daß ich nicht am Anfang schon alles sagen kann. Ich werde gewiß noch darauf kommen.
Hier, glaube ich, ist ganz besonders die Gefahr gegeben, daß von oben her ein gewisser Dirigismus zustandekommt. Ich möchte meine Sorgen einmal in folgende Worte zu kleiden versuchen. Wenn wir von diesem Dotationswesen und von diesem Finanzsystem offensichtlich nicht loskommen, dann haben wir, wenn auch in der Verfassung anders ausgedrückt, weitestgehend einen zentralisierten Staat. Auch ein zentralisierter Staat mit demokratischer Spitze bleibt aber in der Endkonsequenz Herrschaft einer Bürokratie, die bis nach unten hin regiert und alles das zu ersticken versucht und erstickt, was dort an demokratischem Handeln sichtbar wird.
Ich möchte das im einzelnen nicht weiter auswalzen.
Ich will mich aber jetzt einmal kurz speziell mit der Situation der Landgemeinden und der Landkreise befassen. Bei der Untersuchung der Gemeindefinanzen kommt nach meinem Dafürhalten den kleineren Gemeinden bis zu 3000 oder 5000 Einwohnern eine besondere Bedeutung zu, ohne daß ich damit die Bedeutung der kreisfreien Städte und der großen Kommunen in dieser Frage verkleinern will. Rund 29 % der Wohnbevölkerung im Bundesgebiet wohnt noch in diesen Gemeinden. Allein 3 150 000 wohnen in Gemeinden unter 500 Einwohnern. In Gemeinden von 500 bis 1000 Einwohnern wohnen rund 4,4 Millionen, in Gemeinden von 1000 bis 2000 Einwohnern rund 5,1 Millionen und in Gemeinden von 2000 bis 3000 Einwohnern rund 2,9 Millionen. In 21 000 Gemeinden der Bundesrepublik wohnen also weniger denn 2000 Einwohner in der einzelnen Gemeinde.
Bei einer Betrachtung der Gemeindefinanzen kommt gerade diesen Gemeinden eine besondere Bedeutung zu. Der größte Prozentsatz dieser kleinen Gemeinden, in denen aber rund 13 bis 14 Millionen Menschen wohnen, ist fast nur auf die Grundsteuer und auf das vorhin angesprochene Finanzzuweisungssystem angewiesen. Gerade in diesen Gemeinden ist in den vergangenen Jahren ein sehr hoher Nachholbedarf entstanden, der mitberücksichtigt werden muß. Das ist nach meinem Dafürhalten in der Antwort der Bundesregierung nicht gewürdigt worden.
— Es ist auf gewisse Unterschiede hingewiesen worden. Aber das scheint mir nicht genügend gewürdigt worden zu sein.
Ich möchte jetzt nicht noch einmal auf die zehnjährige Grundsteuerbefreiung beim ,sozialen Wohnungsbau und alles das eingehen. Wenn man aber davon ausgeht, daß die Grundsteuer — von ihrem realen Wert her gesehen — weit hinter dem zurückgeblieben ist, was sie vor 20 oder 30 Jahren ausgemacht hat, kommt man zwangsläufig zu dem Ergebnis, daß hier mehr getan werden muß.
— Meine Damen und Herren, ich konnte zwar nicht feststellen, daß gerade die Landwirte lachten; ich habe festgestellt, daß andere lachten, die einen falschen Eindruck von den Landwirten haben.
Ich habe nicht an das Milchpanschen gedacht. Ich habe daran gedacht, daß es heute eine unabdingbare Voraussetzung für die Erzeugung von Qualitätsmilch, von Tbc-freier Milch ist, hygienisch einwandfreies Wasser zur Verfügung zu haben.
Gerade von daher gesehen hat die Landwirtschaft ein erhöhtes Interesse daran, daß auf diesem Gebiet etwas Besonderes getan wird. Wir können es uns auch nicht mehr erlauben, daß, wie es früher der Fall war, die Vorfluter die Abwässer in die Seiten- und Wiesentäler fließen lassen; denn Tbc-freier Rindviehbestand wird wieder verseucht, wenn das Vieh an diesen Vorflutern oder auf solch verseuchten Wiesen sein Futter aufnimmt. Dieser Kausalzusammenhang ist auf jeden Fall gegeben.
Man kann, glaube ich, nicht so tun, als habe man vom Bund her den guten Willen, alles das aber, was geschehen müsse, müsse von den Ländern her geschehen. Ich will auf diese verfassungsrechtlichen Fragen hier nicht eingehen; es gibt berufenere Leute, die das tun können. Ich vertrete aber folgenden Standpunkt, meine Damen und Herren: wenn man etwas als notwendig erkannt hat und sich im klaren darüber ist, daß es um der Sache willen erreicht werden muß — und wir haben ja in vielen Punkten eine allgemeine Übereinstimmung erzielt —, dann kann es nicht schwierig sein, auch die Mittel und Wege zu finden, um hier wirklich zu helfen. Es muß gerade auf diesem Gebiet mehr getan werden, und dafür bieten sich MögLichkeiten. Herr Kollege Willeke sagte vorhin, die kommunalen Spitzenverbände hätten sich nicht einigen können. Nun, Herr Kollege Willeke, ich will nicht im einzelnen untersuchen, warum es nachher wieder etwas auseinanderging, obwohl das recht interessante Hintergründe und Perspektiven aufzeigen würde; ich glaube, Sie verstehen, was ich damit andeuten will.
-- Herr Schmücker, ich streite mich mit Ihnen gar nicht über solche Städte, die 500 DM haben. Wolfsburg hat über 800 DM, und solche Gemeinden gibt es eben nicht noch einmal. Ich wende mich nur gegen das Beispiel Wolfsburg und nicht gegen andere, die 500 DM haben. Daß solche Unterschiede in der Steuerkraft vorhanden sind, ist eine Selbstverständ-
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Eilers
lichkeit; das leugnen zu wollen, wäre völlig falsch und liegt auch gar nicht in meiner Absicht.
— Lieber Dr. Stecker, wir kennen uns gut genug. Ich möchte nur dieses Beispiel nicht im Raume stehenlassen.
— Doch, durchaus! Aber darüber brauchen wir uns
jetzt in der vorgeschrittenen Zeit nicht zu streiten.
Die staatliche Einheit im Bund, bei den Ländern und in den Gemeinden ist nur entwicklungsfähig und kann nur von Bestand sein, wenn diese Mitglieder unserer Staatsfamilie in Zukunft gleichrangig betrachtet und behandelt werden. Der Bund und die Länder müssen die Gemeinden bei der Verteilung der Steuerquellen, der Finanzquellen gleichberechtigt berücksichtigen, damit, wie es im Art. 106 des Grundgesetzes heißt, „die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird". Daran sind doch auch diejenigen Herren besonders interessiert, die auf die unterschiedlichen Verhältnisse in den kleinen Gemeinden und in den Landkreisen hingewiesen haben.
Die Fraktion der Freien Demokratischen Partei erwartet für die Gemeinden eine umfassende Finanzreform dergestalt, daß die Rolle des Prügelknaben der öffentlichen Finanzen für die Gemeinden ein Ende nimmt. Es braucht wohl auch kaum befürchtet zu werden — auch nicht nach den Ausführungen des Staatssekretärs Herrn Professor Hettlage —, daß die Gemeinden nun plötzlich zu Lieblingskindern des Bundesfinanzministers oder etwa der Länderfinanzminister erkoren werden. Die Gemeinden dürfen aber erwarten, daß sie nicht nur hinsichtlich ihrer Aufgaben, sondern endlich auch einmal bei der Ausstattung ihrer Finanzen als gleichberechtigte Mitglieder unserer Staatsfamilie anerkannt werden. Da ich hoffe, daß Sie mir darin zustimmen, bitte ich, auch unserem Antrag Drucksache 2282 Ziffern 1 und 2 Ihre Zustimmung zu geben.
Das Wort hat .der Herr Abgeordnete Dr. Toussaint.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte keine vorbereitete Rede vorlesen, sondern nur etwas zu dem sagen, was bisher ausgeführt worden ist. Zunächst scheint mir, daß wir uns in bezug auf zwei Hauptprobleme einig sind. Einigkeit zwischen der Regierung, der Regierungsmehrheit und auch der Opposition besteht darin, daß die jetzige Aufteilung der Steuerquellen der Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden nicht mehr gerecht wird. Da wir nunmehr die Aufgaben, die dem Bund, den Ländern und den Gemeinden auf die Dauer wohl verbleiben werden, im wesentlichen erkennen können, ist es dringend notwendig, zu der großen Finanzreform zu kommen.
Das zweite Problem liegt darin, daß die einzelnen Gemeinden eine außerordentlich unterschiedliche Steuerkraft haben. Daher müssen wir Maßnahmen treffen, durch die ein Ausgleich erfolgt. Es muß, wie auch der Herr Staatssekretär ausgeführt hat, dafür gesorgt werden, daß die Finanzgrundlage der Gemeinden zunächst allgemein gesichert ist.
Dieses Problem erörtern wir nicht deswegen so eingehend mit Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, weil wir glaubten, die Not in den Gemeinden sei so groß und es brenne dort so sehr, daß man dringendst für Abhilfe sorgen müsse, sondern deshalb, weil die Gemeiniden trotz gestiegener Einnahmen unserer Ansicht nach keine gesicherte finanzielle Grundlage haben, solange sie noch zu 70 oder 75 % von der Gewerbesteuer abhängig sind.
Wir wünschen energisch, daß hier etwas geschieht; denn wir sind der Ansicht, daß die Gemeinden heute ein zu hohes Konjunkturrisiko tragen. Die Differenz zwischen steuerstarken und steuerschwachen Gemeinden ist, wie eben auch der Herr Staatssekretär ausgeführt hat, nicht mehr erträglich. Ich glaube, darin sind wir einig. Es wäre aber falsch, hier einfach nur die kleinen Gemeinden, also die Landgemeinden, auf der einen und die Großstädte auf der anderen Seite zu sehen. Das ist einfach falsch! Hier darf ich, glaube ich, den Landgemeinden sagen, daß die Großstädte des Ruhrgebietes sich völlig an ihrer Seite befinden; denn Sie sind ebenfalls weitaus steuerschwächer als der Durchschnitt der Städte und Großgemeinden.
Ich habe das Wort gewünscht, um Ihnen zu sagen, daß ich es nicht für richtig halte, daß man hier so tut, als sei der Rückstand im Schulbau oder im Wohnungsbau darauf zurückzuführen, daß Bund, Länder und Gemeinden -die Finanzquellen nicht so ausgeschöpft hätten, wie es notwendig gewesen wäre, 'um dieser Probleme Herr zu werden. Wer wie ich in der Kommune steht, weiß genau, daß wir heute Gott 'sei Dank so weit sind, einen Teil der Aufgaben, die wir normalerweise nur über den außerordentlichen Haushalt hätten lösen können, über den ordentlichen Haushalt der Lösung entgegenbringen zu können.
Es kann doch nicht geleugnet werden, daß unsere Bauämter in den Großstädten überlastet sind. Die Städte sind darauf angewiesen, auch im Bauwesen Schwerpunkte zu bilden und dafür zu sorgen, daß die Aufgaben nicht so, wie das zur Zeit der Fall ist, nebeneinander herlaufen. Die Städte müssen dafür sorgen, daß die Aufgaben entsprechend ihrer Dringlichkeit durchgeführt werden, damit solide Arbeit geleistet werden kann.
— Das beweist, daß Ihre Behauptungen in der Öffentlichkeit, nach denen sich die Gemeinden in einer Not befinden, .der sofort abgeholfen werden muß, nicht den Tatsachen entsprechen.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7799
Dr. Toussaint
-- Ich habe jetzt nicht von Ihnen, sondern von meinem Kollegen Keuning gesprochen.
— Ich habe eben noch die Überschrift einer Zeitung gelesen: „Die dringende Not der Gemeinden". Herr Kollege Keuning, Sie wissen genau wie ich, daß die Not, die wir noch in den Gemeinden haben, zur Zeit nicht allein mit finanziellen Mitteln behoben werden kann, sondern daß wir Schwierigkeiten auf den Bauämtern und auf dem Arbeitsmarkt haben.
Wenn wir vernünftige Arbeit leisten wollen, dürfen wir nichts übersteigern, sonst kommt etwas heraus, was nicht in Ordnung ist.
In einem Punkte bin ich vielleicht mit Ihnen einig. Ich bedauere es, daß eine Reihe von Gemeinden kein Auge mehr für das Maßhalten hat.
Diese Gemeinden werden zu beweisen haben, ob ihre Nachkriegspolitik richtig war. Ich bedauere es mit Ihnen, daß hier noch kein echter Steuerkraftausgleich stattfinden kann, durch den diesen Gemeinden die Möglichkeit genommen wird, so horrende Ausgaben für Aufgaben zu machen, deren Lösung nicht so dringlich ist wie die vieler anderer Aufgaben, die die Landgemeinden und meinetwegen auch die Ruhrgebietsstädte wie auch andere Großstädte zu lösen haben.
-- Was wollen Sie konkreter ausgeführt haben?
— Ich sage nicht, daß das allgemeingültig ist. Ich sage nur, daß nicht allgemeingültig ist, was Sie sagen, daß sich alle deutschen Gemeinden in Not befänden.
Infolge der günstigen Wirtschaftslage, die wir haben, und infolge des Steuerstroms, den wir alle Gott sei Dank in den Gemeinden zu verzeichnen haben, stehen wir nicht unter Druck bei der Lösung der Aufgaben, die wir uns und die Sie und die Regierung sich gestellt haben. Wir sind im Prinzip einig. Wir glauben aber, daß es eine schlechte Politik ist, gute Ziele so zu begründen, wie Sie es getan haben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dresbach.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei manchen Ausführungen am heutigen Tage hatte ich den Eindruck, wir wollen das Wort „kommunale Selbstverwaltung" abschaffen und statt dessen „Lokalverwaltung" sagen. Es ist vielleicht etwas vulgär gesagt, wenn ich behaupte, die kommunale Selbstverwaltung, die kommunale Selbstverantwortung erstreckt sich nicht nur auf die Ausgabenseite des Haushalts, sondern auch auf die Einnahmenseite.
Herr Kollege Wienand, ich darf Ihnen die kleine Schmeichelei zurückgeben, die Sie mir dargebracht haben. Sie sind einer der wenigen Abgeordneten gewesen, die auf diesen Zusammenhang hingewiesen haben, vor allen Dingen auch auf die Dotationen und das Betteln in Düsseldorf und anderen Landeshauptstädten vor den Toren der die Fonds verwaltenden Ministerialräte.
Es ist wirklich nicht gleichgültig, woher der Finanzbedarf, oder noch genauer gesagt, der Steuerbedarf einer einzelnen Gemeinde gedeckt wird. Die Gemeindeverbände scheiden bei dieser Betrachtung aus; denn sie sind immer auf Umlagen und Dotationen von oben her angewiesen. Ich darf es jetzt einmal in etwas überspitzter, dialektischer Form sagen: Alle Ausgleiche schwächen prinzipiell die Selbstverantwortung, ob sie nun vom Staate her, von ober her kommen oder sozusagen von der Seite her in Form eines interkommunalen Lastenausgleichs, wie er teilweise auch in der Erklärung der Regierung befürwortet wurde. Aber ich bin mir bewußt, daß es ein Zurück zu Miguel, d. h. zur Finanz- und Steuerautonomie der Einzelgemeinde, nicht mehr geben kann. Ich bin sogar der Meinung, daß der Finanzausgleich, den wir in der Weimarer Republik hatten, recht gut war, auch mit der Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer.
Aber, verehrte Herren Kollegen, wir betreiben hier manchmal das, was wir als alte Waffenstudenten Phantomfechterei nannten. Denn solche Regelungen scheitern doch einfach, wie wir erlebt haben, an der Länderkammer, die sich Bundesrat nennt und die einen direkten Verkehr zwischen Bund und Gemeinden nicht zuläßt. Ich möchte bitten, meine verehrten Herren von der sozialdemokratischen Opposition: Wirken Sie mehr auf die Regierungen, in denen Sie Macht und Stärke haben, ein im Sinne Ihrer Ziele und richten Sie die Angriffe nicht so sehr gegen die Bundesregierung, auch nicht gegen die CDU.
— Verzeihen Sie, aber ich glaube doch, es wäre
nett, wenn man aus den Ländern, die von der So-
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Dr. Dr. h. c. Dresbach
zialdemokratie beherrscht werden, einmal eine Initiative erlebte.
Meinetwegen sollte Niedersachsen einmal den Antrag stellen — auch Sie hätten es tun können, als Sie in Nordrhein-Westfalen an der Macht waren —, eine vollzügige Bundesfinanzverwaltung einzurichten. Aber das ist doch nie erfolgt. Es scheint mir so zu sein: es ist fast gleichgültig, wer in den Ländern an der Regierung ist. Sie sind alle von ihrer Macht so trunken, daß sie nichts davon abgeben wollen.
— Ich habe nicht gesagt: „betrunken", sondern ich habe die 'altdeutsche Form „trunken" gebraucht.
Ich habe vorhin den Zwischenruf gemacht, daß wir im Grundgesetz nun einmal das Trennsystem haben, das die Steuerquellen nach den Gebietskörperschaften trennt. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, daß wir bei einer Änderung des Art. 106 dieses Trennsystem überwunden haben. Die Körperschaftsteuer und die Einkommensteuer sind nämlich nicht mehr wie ursprünglich Landessteuern, von denen ein Happen auch an den Bund abfällt, wenn er den Etat nicht ausgleichen kann. So war die ursprüngliche Fassung. Sie sind, zwar nicht expressis verbis, aber de facto, Gemeinschaftssteuern geworden. Ich könnte mir vorstellen, daß wir, wenn wir genügend Einfluß beim Bundesrat haben, auch bei der Umsatzsteuer zu einer solchen
Regelung kommen könnten. Allerdings bedarf das einer Änderung des Grundgesetzes.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dieses Zurück zur vollen Finanzautonomie — ein Ausdruck, den auch Sie, Herr Wienand, gebrauchten — ist nicht mehr möglich; denn solche großen Unterschiede in der öffentlichen Belastung, vor allen Dingen auch in den öffentlichen Verwaltungsleistungen, verträgt die Welt dieser Zeit nicht mehr.
Herr Wienand, wir sind so ungefähr aus denselben Verhältnissen und aus der Nachbarschaft. Wir haben es in meiner Jugendzeit gottergeben hingenommen — wir waren ja immer einfrommes Volk —, daß meinetwegen im Pensionopolis der rheinischen Kapitalisten Godesberg ein Einkommensteuerzuschlag ein 90 % erhoben wurde und wir daheim in unserer Landgemeinde 340 % nötig hatten. Wir haben es gottergeben hingenommen, daß wir nur Straßen hatten, auf denen sich Ochsenfuhrwerke und Fußgänger bewegen konnten, daß wir keine Wasserleitungen und kein elektrisches Licht hatten. Das ist in meinem Heimatdorf erst nach dem ersten Weltkrieg ,gekommen.
Aber die Zeiten sind dahin. An die Stelle der frommen ständischen Auffassung ist das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit getreten, bei dem auch der Neid einen gewissen Motor abgibt. Schön, wir werden eine reine alternative Form in der Gemeindefinanzverfassung nicht mehr, sondern immer ein Mischsystem haben. Nun aber frage ich mich, ab die heutige Finanzverfassung schon Anspruch auf den Begriff eines guten Mischsystems haben kann.
Herr Keuning, es war nett, daß Sie Miquel zitierten; meistens bin ich es, der es tut. Man kann bei der Betrachtung der kommunalen Finanzverhältnisse an Miquel einfach nicht vorbeigehen. Seine Diktion ist von Popitz später übernommen worden. Miguel hatte drei Grundlagen für die Kommunalbesteuerung; es waren der Betrieb, der Boden und die Person. Verehrte Damen und Herren, diese Personenbezogenheit fehlt heutzutage. Als die Erzbergersche Finanzreform 1920 den Gemeinden die Möglichkeiten der Personenbesteuerung nahm, indem sie den Zuschlag zur staatlichen Einkommensteuer durch die Gemeinde beseitigte, da war das in jenen Jahren — ,das hat Herr Keuning durchaus richtig dargestellt — notwendig; denn nach einem verlorenen Krieg bedurfte es einer Verstärkung der Finanzmasse der obersten Körperschaft, die ja Kontrahent bezüglich der Kriegsschuld, der Reparationen war. Aber in jenen Jahren war überall eine gewisse Malaise da, weil gleichzeitig mit dem Wegfall dieser allgemeinen direkten Besteuerung auch für die Gemeinden — wenigstens in Preußen; in Süddeutschland war es nicht nötig — das allgemeine und gleiche Wahlrecht eingeführt wurde.
Wir haben es dann in dem sozialdemokratisch regierten Preußen erlebt, daß eine Art ständisches Element in das System der repräsentativen Demokratie eingeführt wurde, nämlich das Anhörungsrecht der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern bei Beschlüssen der Gemeinden zur Gewerbesteuer. Sie sehen, man hat dort eine Ausflucht in ein an sich fremdes Element versucht, das in 'das reine System der repräsentativen Demokratie, der volonté générale, nicht hineinpaßt.
Dann haben wir seinerzeit in der ersten Brüningschen Notverordnung die Folgerungen aus dieser Malaise gezogen. Sie sah die Bürgersteuer als autonome Steuerquelle - neben der Biersteuer und der Getränkesteuer — vor. Ich habe eben schon dem Kollegen Keuning gesagt, er möchte nicht mit dem Ausdruck „Kopfsteuer", „Negersteuer" operieren. Die Negersteuer war, glaube ich, eine Einheitssteuer pro Kral in der Kolonialwirtschaft. Die Bürgersteuer war nämlich von Anfang an ,schon in der ersten Form, gestaffelt und ist immer wieder verfeinert worden. Im Jahre 1942 ist sie dann in die Reichseinkommensteuer eingebaut worden, damals mit dem unbedingten Versprechen, sie nach Schluß des Krieges wieder aufleben zu lassen. Nach Schluß des Krieges war es eben anders geworden; die Nazis waren Gott sei Dank nicht mehr da, und die Gemeinden waren froh, als sie in den Ländern eine Zeitlang die Bürgersteuerausgleichsbeträge bekamen.
Sie sollten sich deshalb nicht so sehr gegen eine Personalbesteuerung durch die Gemeinden sträuben. Wir haben ja auch das Notopfer Berlin erlebt, das doch etwas Ähnliches 'darstellte, nämlich auch eine Einkommensbesteuerung mit einem etwas gröberen Tarif als die Einkommensteuer. Nach meinem Dafürhalten gehört die allgemeine direkte Steuer nun einmal zum kommunalen Finanzverfassungssystem. Sie entspricht dem genossenschaftlichen,
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Dr. Dr. h. c. Dresbach
gebietskörperschaftlichen Wesen der Gemeinde. Der genossenschaftliche Charakter unterscheidet die Gemeinde vom Staat, wobei ich unter „Staat" den Bund und die Länder verstehe.
Zu einer kommunalen Finanzreform rechne ich auch eine Reform der Einheitswerte, der Besteuerungsgrundlage für die Grundsteuer. Es handelt sich einfach darum, daß wir den Einheitswerten wieder einen ehrlichen Aussagewert geben müssen.
Gestatten Sie mir ein Beispiel! Ich habe mir im Jahre 1954 ein Häuschen gebaut. Das Finanzamt hat mir für dieses Haus nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes einen Abschreibungswert von 68 000 DM zugebilligt. Der Einheitswert beträgt 14 600 DM, von demselben Finanzamt festgesetzt. Bei Einfamilienhäusern soll der Einheitswert gleich dem Verkehrswert sein. Ich hoffe, daß, wenn ich mal vom Leben zum Tod gegangen bin und meine Frau ebenfalls, meine Kinder, falls sie das Haus verkaufen müssen, etwas mehr erlösen werden als 14 600 DM.
— Nein, bei Einfamilienhäusern ist der Einheitswert nicht der Ertragswert, sondern der Verkehrswert, lieber Freund! Ich habe Ihnen eben schon gesagt, wenn Sie die Bibel zitieren, müssen Sie sie auch richtig zitieren.
Unter dem Gesichtspunkt, daß die Gemeinden ihre Einnahmen in möglichst großem Maße unter 1) eigener Verantwortung festsetzen sollten, fällt es mir nicht leicht, zu der kommenden Gewerbesteuernovelle ja zu sagen. Ich tue es aber in der Hoffnung, daß diese Novelle zum Gewerbesteuergesetz den Zwang zu solch umfassenden Reformen auslöst, wie sie Ziffer 2 des Antrags der FDP vorsieht. Wenn ich auch nicht geneigt bin, der Ziffer 1 zuzustimmen, — der Ziffer 2 des Antrags Drucksache 2282 möchte ich voll und ganz zustimmen. Die Gewerbesteuernovelle mußte kommen. Der gewerbliche Mittelstand sieht in der Gewerbeertragsteuer, die ja vornehmlich für ihn in Frage kommt, mit Recht eine zusätzliche Einkommensteuer. Aber wir müssen jetzt weiterkommen. Ob es dieser Bundestag noch kann, weiß ich nicht. Die allgemeine Reform der kommunalen Finanzverfassung ist notwendig, und für meinen Geschmack muß sie auch eine kommunale allgemeine direkte Besteuerung enthalten.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dollinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich nunmehr dem Thema der Gewerbesteuer zuwenden. Es liegt zwar kein Antrag der CDU/CSU-Fraktion vor, aber es ist ja allgemein bekannt, daß der zuständige Arbeitskreis bereits im Mai dieses Jahres einen grundsätzlichen Beschluß in dieser Richtung gefaßt hat. Wir haben ihn deshalb gefaßt, weil wir überzeugt sind, daß hier steuerliche Gerechtigkeit geschaffen werden muß, und — ich schließe mich dem an, was Herr Kollege Dresbach sagte — weil für viele Kreise des gewerblichen Mittelstandes die Gewerbesteuer wie eine zweite Einkommensteuer wirkt.
Nun werden Sie sagen: Warum ist der Antrag nicht eingereicht worden? — Das hatte seinen ganz klaren Grund. Es geschah aus der Verantwortung heraus, die wir tragen. Wir haben zu unterscheiden zwischen finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden. Ich halte es immer für etwas falsch, zu sagen: Großstädte und Kleinstädte oder Gemeinden. Ich möchte vielmehr von finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden sprechen.
Es wurden einige Beispiele aufgeführt. Ich möchte, weil Wolfsburg als ein Sonderfall aufgeführt war, ein weiteres Beispiel hinzufügen. Ich kenne eine Stadt mit 92 000 Einwohnern und einem Gewerbesteueraufkommen von 70 Millionen DM. Das sind pro Kopf 760 DM. In diesen finanzstarken Gemeinden macht der Unternehmerfreibetrag praktisch keine entscheidende Schwierigkeit. Die Schwierigkeit liegt bei den finanzschwachen Gemeinden, wo eine entscheidende Einnahmequelle beseitigt wird.
Hier sind wir der Meinung, daß im Einvernehmen mit den Ländern ein Ergebnis erzielt werden muß, um den entsprechenden Ausgleich zu geben; denn sonst bestünde die Gefahr, daß die Gemeinderäte unter Umständen gezwungen sein könnten, den Gewerbesteuerausfall dadurch auszugleichen, daß sie die Hebesätze erhöhen. Damit wäre den Leuten, denen wir helfen wollen, wiederum nicht gedient. Wir begrüßen daher den Beschluß der Bundesregierung und die klare Formulierung, daß hier der Ausgleich sichergestellt sein muß.
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt grundsätzlich diesen Unternehmerfreibetrag, wobei allerdings — das muß ich hier sagen — die Meinungen über die Höhe des Betrages im Hinblick auf den Ausfall bei den finanzschwachen Gemeinden noch auseinandergehen. Man macht sich auch Gedanken, ob man eine Begrenzung für den Freibetrag auf 50 000 DM Gewerbeertrag oder auf einen anderen Betrag einführen sollte. Ich persönlich bin der Meinung, man sollte eine solche Grenze nicht ziehen.
Die hohe Verehrung für den Herrn Bundeskanzler von seiten der FDP hat die FDP sicher auch veranlaßt, unser Manuskript, so möchte ich einmal sagen, in die entsprechende Form zu bringen.
Das ist am 7. Oktober geschehen. Wir haben das festgestellt. Nun ist allerdings später bei der Bevölkerung etwas Verwirrung entstanden, und manche meinten, die FDP habe einen solchen Antrag gar nicht gestellt, sondern es sei unser Antrag.
Ich habe hier einen kleinen Artikel. Er ist überschrieben „Gemeinden in Gefahr". Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten kurz zitieren. Es heißt dort:
7802 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Dr. Dollinger
Insbesondere wandte sich der Redner gegen die vom Bundeswirtschaftsminister im Wahljahr angekündigte Senkung der Gewerbesteuer auf Kosten der Gemeinden. Ein derartiges Vorgehen, das besonders die kleinen und die mittleren Gemeinden völlig lähmen würde, ware nach seinen Worten ein unzulässiger Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. Die Gemeinden, so sagte er, würden in diesem Fall den Verfassungsgerichtshof anrufen.
Das ist am 14. November passiert, und der Redner war der Herr Abgeordnete Eilers von der FDP. Offenbar hatte sich zu jenem Zeitpunkt der Beschluß seiner Fraktion vom 7. Oktober noch nicht ganz herumgesprochen, oder er war bereits vergessen. Aber wir sind froh, daß er heute doch den Freibetrag mitmachen will. Herr Eilers hat sich zwischenzeitlich auch Gedanken gemacht und hat am 6. Dezember einen weiteren Antrag nachgeschoben und ist in dieser Richtung auch wieder uns gefolgt.
Eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Eilers!
Herr Dr. Dollinger, Sie gestatten mir die Frage: Haben Sie nicht geglaubt, daß ich diesen Zusatzantrag gleich hätte stellen können? Ich habe es aber nicht getan, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, auf den gleichen Boden zu treten.
Das war keine Frage, Herr Kollege. Ich meine, daß Sie aus Ihrer Situation endlich heraus mußten. Es geht ja nicht, daß auf der einen Seite die FDP in Rundschreiben dem gewerblichen Mittelstand erklärt: wir sind diejenigen die für euch arbeiten und alles tun, und daß auf der anderen Seite gleichzeitig ein prominentes Mitglied der Partei wie Sie erklärt, man solle die Gemeinden durch solche Anträge nicht kaputtmachen.
Nun sind eine Reihe von Argumenten gegen diesen Unternehmerfreibetrag bei der Gewerbesteuer vorgebracht worden. — Herr Kollege Keuning, auch wir leben in Gemeinden, und wir haben bestimmt nicht die Absicht, die Gemeinden kaputtzumachen oder einen Angriff gegen die Gemeinden zu führen. Aber man muß wirklich einmal die Frage stellen: Wer hat eigentlich in unseren Tagen genug, und wann hat jemand genug?
— „Nie" ist die Antwort. Das ist klar. Ich muß die Entwicklung der Gewerbesteuer einmal kurz skizzieren. Im Jahre 1952 betrugen die Einnahmen 2,6 Milliarden, 1955 3,7 Milliarden, 1958 5,2 Milliarden, 1959 6,5 Milliarden, 1960 werden es 7,2 Milliarden sein und 1961 8,2 Milliarden. Ich glaube, diese Zahlenreihe zeigt doch, daß eine enorme Zunahme an Einnahmen bei den Gemeinden vorhanden ist.
Meine Damen und Herren, eines sollte man sich auch einmal vor Augen halten. Kollege Toussaint hat es schon angedeutet. In dem jetzt zu Ende gehenden Jahr hat sich doch immer wieder gezeigt, daß das Problem bei der Erfüllung der Aufgaben der Gemeinden häufig gar nicht im Geldmangel bestand, sondern viel häufiger war es der Mangel an Arbeitskräften und an freier Kapazität.
— Meine Herren, das können Sie nicht bestreiten.
Das hat sich immer wieder gezeigt. Die Meldungen der Bundesanstalt in Nürnberg — z. B. „90 000 Bauarbeiter gesucht" — sind charakteristisch für die Beschäftigungslage.
Ich möchte weiter sagen, daß das Argument „Gewerbesteuer und Selbstverwaltung" auch nicht zieht; denn was hilft einer Gemeinde das Recht, eine Gewerbesteuer zu erheben, wenn sie praktisch kein Gewerbe mehr hat? Da ist es einfach vorbei. Ich glaube, man sollte solche Argumentation auch nicht übertreiben.
Nun wurden starke Bedenken aus verfassungsrechtlichen Gründen geäußert. Ich bin kein Jurist, möchte mich aber auf einen Artikel von Professor Flume beziehen, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf:
Was die Denkschrift
— es ist jene Schrift „Angriff auf die Gewerbesteuer"gemeint —
an rechtlichen Erwägungen gegen die Erhöhung des Unternehmerfreibetrags vorbringt, ist nicht ernst zu nehmen. Sie beruft sich einmal darauf, daß nach Art. 106 Abs. 6 des Grundgesetzes den Gemeinden das Aufkommen der Realsteuern garantiert sei. Selbstverständlich kann die Gewerbesteuer nicht beseitigt und kann auch der Unternehmerfreibetrag nicht willkürlich so hoch festgesetzt werden, daß damit de facto die Gewerbesteuer beseitigt würde.
Eine sachgerechte Änderung der Gewerbesteuer nach Ermessen des Gesetzgebers ist aber zweifellos zulässig, und daß sachgerechte Erwägungen für eine Erhöhung des Unternehmerfreibetrags sprechen, kann ernsthaft nicht bestritten werden.
So weit das Zitat. Ichglaube, daß, wenn die Möglichkeit einer Senkung einmal gegeben ist, sie bestimmt in dem Augenblick vorhanden ist, wo die Zuwachsrate im Jahr eine Milliarde beträgt.
Nun die Frage einer Änderung der Finanzverfassung! Ich bin mit vielen Dingen in unserer Finanzverfassung nicht einverstanden; ich glaube aber, daß so kurzgestellte Termine wie „bis Mitte nächsten Jahres" einfach nicht praktikabel sind. Es ist ja nicht nur eine Zeitfrage, sondern auch eine Frage
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7803
Dr. Dollinger
von technischen Voraussetzungen — abgesehen von der Frage Bundesrat —, die ,erfüllt sein müssen. Schließlich ist bei einem solchen Finanzausgleich nach meiner Meinung auch die Frage des interkommunalen Finanzausgleichs im Hinblick auf die verschiedene Finanzstärke entsprechend zu berücksichtigen.
Ich komme also zu dem Ergebnis, daß der Freibetrag möglich ist, weil wir eine Zuwachsrate von einer Milliarde haben. Der Ausfall bei 7200 DM ohne Grenze entsprechend dem FDP-Antrag würde 600 Millionen DM betragen, nach der Konzeption der Bundesregierung — 7200 DM, begrenzt bis zu einem Gewerbeertrag von 50 000 DM — 530 Millionen DM. Wenn wir dann die Erhöhung der Einkommensteuer bei den Ländern hinzurechnen, würden sich in einem Fall 120 Millionen, im andern Fall 80 Millionen ergeben, so daß ein Ausfall bliebe von 580 Millionen bzw. 450 Millionen DM. Das bedeutet, daß praktisch die Zuwachsrate von 1 Milliarde DM halbiert wird.
Nun dürfte ohne Zweifel sein, daß es Gemeinden gibt, die auf einen Ausgleich des Ausfalls überhaupt nicht angewiesen sind. Es gibt Rechnungen, die zu dem Ergebnis kommen, daß tatsächlich ein Ersatz von 250 Millionen DM für die finanzschwachen Gemeinden erforderlich wäre. Ich bin der Meinung, daß ein solcher Ausgleich bei gutem Willen von den Ländern ermöglicht werden kann. Ich freue mich, daß das Land Nordrhein-Westfalen in dieser Beziehung bereits eine Zusage gegeben hat.
— Ja, das mag sein; 250 Millionen DM Ausgleichsmasse bei den gesamten Ländern bei einer Mehreinnahme von 3,5 bis 3,8 Milliarden DM.
Wir hoffen also, daß dieser Beschluß der Bundesregierung bald zu einer Vorlage führt, die schließlich der steuerlichen Gerechtigkeit dient, die dem gewerblichen Mittelstand dient und die dazu führt, daß wir gegen die Konzentration im Raum etwas tun. Denn wenn die Entwicklung bei den finanzstarken Gemeinden so wie bisher weiterginge, so würden diese ihre Pflichtaufgaben in wenigen Jahren erfüllt haben, die finanzschwachen Gemeinden dagegen werden sie noch nicht erfüllt haben. Die finanzstarken Gemeinden werden die Hebesätze dann reduzieren können, und die finanzschwachen Gemeinden werden von den ihren nicht herunter können. Das würde dazu führen, daß die finanzschwachen Gemeinden weiterhin Menschen und Unternehmungen an die finanzstarken Gemeinden verlieren.
Deshalb glauben wir, daß die Vorlage zur Gewerbesteuer geradezu geeignet ist, auch etwas gegen die Konzentration im Raum zu unternehmen um dieses Problem mit zu lösen.
Herr Abgeordneter Dr. Starke!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich sehr kurz fassen, aber doch noch einmal etwas auf die Frage der Gewerbesteuer eingehen. Ich habe festgestellt, daß in der Sache kaum mehr eine Meinungsverschiedenheit besteht.
Vielleicht ist es dem Hohen Hause nicht mehr in Erinnerung, daß wir bereits im Sommer einmal den Antrag auf den Unternehmerfreibetrag in diesem Hohen Hause gestellt hatten und daß uns angeraten worden war, diesen Antrag in einen Entschließungsantrag umzuändern. Dann haben alle drei Parteien dieses Hohen Hauses dem Antrag zugestimmt. Das ist, soweit es den Sommer betrifft, die Vorgeschichte.
Heute hat der Kollege Dresbach von der CDU gesagt, auch er begrüße es, daß die Novelle zur Gewerbesteuer jetzt komme, damit die zusätzliche Einkommensteuer — so wird sie in den Kreisen der Gewerbetreibenden angesehen — beseitigt wird. Auch Sie, Herr Kollege Dollinger, haben zur Gewerbesteuer gesprochen. Wir sind uns, soweit ich sehe, in der Frage alle einig.
Es stimmt nicht ganz, wenn Sie von einem „Gedanken" an eine Begrenzung bis 50 000 DM sprechen. Sie wissen doch genau, daß das ein Kabinettsbeschluß ist; es sind also nicht etwa irgendwelche unwägbaren Gedanken in der Luft. Wir sind der Meinung — das möchte ich Ihnen darauf erwidern
—, daß es sehr wesentlich ist, daß die Freien Demokraten diese 50 000-DM-Grenze wieder ablehnen. Damit werden wir Ihnen die Arbeit in Ihrer Fraktion etwas erleichtern; sie war ja schwer genug bei der Gewerbesteuer. Sie müssen uns eigentlich ein wenig dankbar sein dafür, daß wir Sie so unterstützen.
— Nein, immer auf einem! Wenn Sie nicht so sehr auf die letzten Monate eingegangen wären, hätte ich das ganz unerörtert gelassen.
Aber eines möchte ich Ihnen sagen. Wir sind zutiefst überzeugt und wissen aus den Debatten, die es bei uns erfordert hat, den Antrag auf den Unternehmerfreibetrag zu stellen, sehr genau: Sie wären in der CDU heute noch nicht durch, wenn wir den Antrag nicht gestellt hätten.
— Sicherlich! Diese Frage hat auch bei uns die Debatte in der Fraktion gebracht. Aber wir haben uns dann geeinigt; Sie haben ja unsere Anträge gesehen. Wir sind der Meinung, daß wir damit einmal in den Fragen, in denen wir uns immer gemeinsam bemüht haben — für den Mittelstand —, eine Bahn gebrochen haben; denn die Frage ruhte zu lange. Sie und auch wir haben sie zu lange angekündigt. Jetzt haben wir den Antrag gestellt, und nun wollen wir es einmal dabei bewenden lassen. Das wird Ihnen in Ihrer Fraktion dienlich sein.
Ich habe überhaupt das Gefühl, daß es nicht sehr nutzbringend ist, wenn man nun versucht, Fronten
7804 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Dr. Starke
aufzurichten — ein wenig habe ich heute manchmal den Eindruck gehabt —; denn hier geht es doch um etwas, was nur Hand in Hand geschehen kann.
Die Grundlage für die Gemeindefinanzreform ist bei uns eindeutig; das möchte ich noch einmal sagen. Für das System, wie es sich entwickelt hat, kann im Augenblick niemand außer der Bundesregierung, die ja die Mehrheit hinter sich hatte und seit geraumer Zeit mindestens den Versuch einer Gemeindefinanzreform hätte machen können.
Sie ist die einzige Stelle, die wir anklagen müssen.
Sie hat es nicht gewagt, überhaupt einen einzigen Gedanken zu der Frage zu äußern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, für uns alle ist es doch unschön, daß die Masse der Steuern in den Gemeinden von einer kleinen Minderheit bezahlt wird. Das schwächt den Gedanken der Selbstverwaltung. Darüber werden wir uns irgendwie einigen müssen, ohne daß es heute Zweck hat, sich etwa darüber zu unterhalten, wie man das macht. Das wird ja gerade einmal die Gemeindefinanzreform der Regierung — so der Entwurf einmal kommt — bringen. Ich bin überhaupt der Meinung, daß bei der heutigen Komplikation Fraktionen und Parteien in mancher Beziehung etwas überfordert sind, wenn man von ihnen etwa Entwürfe
verlangt wie den zur Gemeindefinanzreform. Man kann dazu ein paar Gedanken äußern, man kann das eine oder das andere festhalten. Aber diejenige Stelle, die mit ihrem Apparat, mit ihren Erfahrungen, mit dem Milliardenaufwand für die ganze Bürokratie in diesen Fragen dazu in der Lage ist, ist die Bundesregierung. Deshalb ist es bedauerlich, daß die Bundesregierung uns in diesen Fragen im Parlament, auch draußen in den Gemeinden und überall, hat sitzen lassen, insbesondere angesichts der Verschiebungen im Steueraufkommen in Bund, Ländern und Gemeinden. Das mußte man doch einmal sagen.
Wenn man sich darüber einig ist, dann wird man auch in der Frage der Gewerbesteuerreform zu einem Ergebnis kommen.
Nach meinem Hinweis, daß wir das schon im Sommer gefordert haben, habe ich zum Abschluß nur noch das eine zu sagen: Wir haben uns nicht widersprochen, indem wir die 'beiden Anträge zur Gewerbesteuer und zur Gemeindefinanzreform nacheinander gebracht haben. Denn es ging einfach darum, ob wir von der FDP heute schon Gedanken äußern wollen, wie die Gemeindefinanzreform aussehen soll, oder ob man, was wir ja getan haben, nur sagt, daß sie kommen muß und daß man einen Entwurf der Bundesregierung verlangt. Das war eigentlich der Streitpunkt. Ich finde, es macht nichts aus, wenn man dazu eine Weile braucht.
Wenn wir uns insoweit einig sind, möchte ich zum Schluß zusammenfassen: Dieser Tag — an dem wir verhältnismäßig einig über die Frage der Gewerbesteuernovelle debattiert haben, so daß wir sagen konnten, dafür wird es eine Mehrheit geben — ist ein gewisser Wendepunkt in der Behandlung der Mittelstandsfragen. Man hat wirklich allzu lange gewartet, in einer so entscheidenden Frage endlich einmal einen entscheidenden Schritt zu tun.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzter Redner der anfragenden Fraktion darf ich zugleich den Antrag Umdruck 729 begründen. Ich darf anknüpfen an das, was mein Vorredner soeben sagte, und darf dazu ergänzend noch folgendes ausführen. Im ganzen Hause kam heute ein einheitlicher Wille zum Ausdruck, daß eine Finanzreform durchgeführt werden soll, weil sie notwendig ist. Es wurde davon gesprochen, daß die Regelung von 1956 nur provisorischen Charakter hat. Trotzdem habe ich ein sehr unwohles Gefühl; denn in der Regierungserklärung von 1957 war ausdrücklich gesagt, daß in dieser Legislaturperiode eine echte — so sagte ,der Herr Bundeskanzler damals: eine echte — Gesamtfinanzreform durchgeführt werden soll. Am 29. Oktober 1957 hat der Herr Bundesfinanzminister Etzel in einer Pressekonferenz die Richtlinien für die Behandlung dieser Dinge dargelegt. Im März 1958 hat er sich von diesem Platz aus wiederum dazu bekannt und hat angefügt: „Die Frage der Finanzreform ist die Gretchenfrage des deutschen Föderalismus Was ist in diesen Jahren geschehen? Nichts ist geschehen; von der Regierung wurde keine Vorlage vorgelegt. Gewiß, es haben interne Besprechungen und Prüfungen stattgefunden. Was ist aber dem Parlament vorgelegt worden? Nichts! Diese Legislaturperiode ist vorbeigegangen, ohne daß die Regierung ihr Versprechen von 1957 auch nur annähernd realisiert hat. Gar nichts ist in dieser Hinsicht geschehen. Das muß man heute einmal ganz deutlich aussprechen und festhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Länder sind zuständig, oder daß er ausführte: Die derzeitige Verfassung läßt es nicht zu. Wenn man aber einheitlich der Auffassung ist — das war doch heute festzustellen —, daß hier einiges zu ändern ist, dann hat die Regierung die Initiative zu ergreifen und mindestens eine Verhandlungsgrundlage zu schaffen. Wie wollen Sie denn immer sagen: Die Länder wollen nicht, wenn sie den Ländern nicht einmal eine Verhandlungsgrundlage hinlegen, auf Grund deren mit ihnen Punkt um Punkt gehandelt und verhandelt werden kann! Das ist doch das mindeste, was man erwarten muß.
Deshalb beantragen wir in Ziffer 2 unseres Antrags, daß bis zum 31. März 1961 die Vorarbeiten — mehr ist es nicht — vorgelegt werden. Das ist ein ganz realer Termin. Dann kann man in diesem Hause noch zu internen Besprechungen kommen, und dann kann die Zeit des nächsten Sommers zu
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7805
Dr. Schäfer
Verhandlungen mit den Ländern genutzt werden. So kann man in der nächsten Legislaturperiode auf jeden Fall zu einer Entscheidung kommen. Ein solches Hinausschieben von Legislaturperiode zu Legislaturperiode ist doch unbefriedigend. Der Wille, eine Entscheidung zu treffen, ist doch in allen Fraktionen vorhanden.
Ich will jetzt nicht auf die Probleme im einzelnen eingehen. Ich darf aber doch an den Art. 28 erinnern und daran, daß auf steuergesetzlichem Gebiet die Zuständigkeit beim Bunde liegt. Bei der Gewerbesteuer, bei der Einheitsbewertung und bei einer ganzen Anzahl von Fragen liegt die Zuständigkeit beim Bund. Man kann es sich nicht so einfach machen, die Fragen wieder an die Länder zurückzuschieben.
— Der Finanzausgleich ist in erster Linie eine Sache des Bundes. Man muß die Gesamtfinanzmasse und die Gesamtaufgaben sehen und eine Regelung finden, nach der sich die Ausgaben für die Aufgaben und das eigene Steueraufkommen einigermaßen decken. Die Deckung wird nie vollständig sein. Aber das Dotationensystem sollte die Ausnahme sein.
Am Schluß dieser Debatte sollten wir festhalten, was wir von der Regierung wünschen und in welcher Hinsicht ein Entwurf vorgelegt werden soll. Die Aufgaben sollen noch einmal überprüft werden. Es soll eine Bewertung der gesamten Aufgaben der ganzen öffentlichen Hand erfolgen. Zur Deckung der entstehenden Ausgaben sollen Steuerquellen gesucht werden. Die Träger der Aufgaben sollen in eigener Verantwortung diese Quellen in Anspruch nehmen. In dieser Weise soll eine Finanzreform durchgeführt werden. Dabei geht es nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität der finanziellen Mittel sowie um die Eigenständigkeit und die Eigenverantwortung. Denn darüber ist man sich in diesem Hause einig: was man selber bewilligen muß, gibt man nicht so leicht aus.
Ich meine, daß Sie der Ziffer 2 unseres Antrages auf jeden Fall zustimmen sollten. Was darin gefordert wird, kam ja heute einmütig zum Ausdruck: die Regierung möge in dieser Hinsicht die Arbeit intensivieren, um Verhandlungsgrundlagen zu schaffen.
Ich bitte Sie aber auch, der Ziffer 1 unseres Antrags zuzustimmen. Ich will jetzt nicht mehr auf die Ausführungen des Kollegen Dollinger zur Gewerbesteuer eingehen. Ich darf für meine Fraktion erklären, ,daß wir der beabsichtigten Änderung der Gewerbesteuer wohlwollend gegenüberstehen.
Aber auch das kam hier einheitlich zum Ausdruck: es ist keine ausreichende Hilfe — Herr Dr. Dollinger, das wissen Sie auch — für den Mittelstand. Es ist eine kleine Hilfe; aber es wird noch einiges andere geschehen müssen, bevor man von einer echten Mittelstandspolitik überhaupt sprechen kann.
— Nicht wahr, darüber dürfte hier wohl Einigkeit bestehen.
Und auch das kam hier einheitlich zum Ausdruck: die Leidtragenden sollen nicht die Gemeinden sein.
Wenn wir darüber einig sind — und auch der Herr Staatssekretär hat vorgetragen, daß eine Vereinbarung vorliegen muß; so heißt es in Ihrem Wortlaut —, dann decken sich ja die Ansichten bezüglich der Ziffer 1 unseres Antrages. Wir meinen, daß bis zur Behandlung des Gesetzes zur Änderung der Gewerbesteuer dem Bundestag berichtet sein muß, wie die Verhandlungen mit den Ländern gelaufen sind; daß ein verbindliches Abkommen vorliegen muß, wonach die Gemeinden den Ersatz für den Gewerbesteuerausfall bekommen. Denn das darf sich nicht wiederholen, was beim Erlaß der Grundsteuer eintrat: daß der Bund Geschenke gibt und die Gemeinden bezahlen. Das ist keine normale Methode. Daß man dann andererseits wieder mit Dotationen im einzelnen nachhilft, ist ein politisch schlechtes System. Auch in diesem Punkt besteht Einigkeit.
Wenn ich mir den letzten Absatz Ihrer Erklärung, Herr Staatssekretär, ansehe, dann reizt es mich geradezu, den letzten Satz vielleicht ein bißchen anders aufzufassen, als Sie ihn gemeint haben. Wenn Sie hier sagen: „Außerdem fehlen zur Zeit die politischen Voraussetzungen zu ihrer Verwirklichung", dann habe ich den Eindruck, daß eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse in diesem Hause der Verwirklichung wirklich dienlich wäre.
Keine weiteren Wortmeldungen. Meine Damen und Herren, es liegen zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD ein Antrag der Fraktion der SPD — Umdruck 729 — und ein, soweit ich sehe, interfraktioneller Antrag oder ein Antrag von Gruppen von Abgeordneten quer durch die Fraktionen — Umdruck 730 — vor. Ich bemühe mich, die Unterschiede zu finden. In dem Antrag Umdruck 730 heißt es nun — die Antragsteller haben die Fassung inzwischen korrigiert — in Ziffer 2:
dem Bundestag so bald als möglich Vorschläge für eine umfassende Neuordnung des gemeindlichen Steuersystems vorzulegen.
Ursprünglich hieß es: „bis zum 1. Juli 1961". Am 5. Juli ist wahrscheinlich Feierabend bei uns; es hat keinen Zweck, wenn wir am 1. Juli hier im Bundestag noch eine große Vorlage machen. Es ist also in Ziffer 2 zu lesen: „so bald als möglich".
— Es wird Ausschußüberweisung beantragt. — Ich finde, daß die Ziffern der beiden Anträge mit Ausnahme des Termins — im Antrage der Fraktion der SPD: 31. März — doch eigentlich übereinstimmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag auf Umdruck 729 ist zweifellos der weitergehende, weil er in der
7806 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Schmitt-Vockenhausen
Ziffer 1 eine konkrete Forderung aufstellt und außerdem festlegt, daß das Ergebnis der Verhandlungen dem Bundestag bis zur ersten Beratung des Gesetzentwurfs vorzulegen ist, während der Antrag auf Umdruck 730 nur den Wunsch ausspricht. Wir bitten deshalb, zunächst über unseren Antrag abzustimmen.
Ja, gut; Sie müssen die Materie besser verstehen als ich; ich folge dieser Belehrung. Aber es ist Ausschußüberweisung beantragt.
— Natürlich, Sie können ja Abstimmung wünschen; aber ich muß zuerst über den Antrag auf Ausschußüberweisung abstimmen lassen; dieser Antrag geht immer vor.
— Sie beantragen für beide Anträge Ausschußüberweisung?
— Sie verlangen jetzt getrennte Abstimmung?
Ich folge Ihnen darin, daß Ihr Antrag der weitergehende ist, und lasse zunächst über den Antrag Umdruck 729 — Antrag der Fraktion der SPD — abstimmen. Herr Kollege Jacobi, über Ihren Antrag wird jetzt abgestimmt; aber jetzt erhebt sich die Frage wegen der Ausschußüberweisung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beantragen, ziffernweise abzustimmen. Dabei möchte ich ausdrücklich noch einmal darauf hinweisen — auch im Namen meiner politischen Freunde —: Wer der Ausschußüberweisung zustimmt, weicht heute einer sachlichen Klärung aus; der geht in die Weihnachtsferien, ohne den Gemeinden die von uns angestrebte Sicherheit zu geben.
Wir bitten deshalb, gegen den Antrag auf Ausschußüberweisung zu stimmen.
Ich lasse auch ziffernweise abstimmen — auch das kann verlangt werden —, aber immer noch über die Ausschußüberweisung. Wer der Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD Umdruck 729 Ziffer 1 an den Ausschuß zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit.
Ziffer 2. Wer die Überweisung an den Ausschuß will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war die Mehrheit. Für beide Ziffern ist Ausschußüberweisung beschlossen.
Für den Antrag Umdruck 730 wird ebenfalls Ausschußüberweisung beantragt. — Wollen Sie dazu das Wort?
--- Bitte sehr, Herr Abgeordneter Könen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fühlt sich versucht, so ähnlich aufzutreten wie der Diskussionsleiter im Deutschen Fernsehen, der hinterher festzustellen pflegt, daß weitgehende Übereinstimmung bestehe. Ich habe mir die Debatte sehr sorgfältig angehört. Ganz unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Fraktion, zur Opposition, zur Regierungspartei oder zur Bundesregierung haben Sie alle miteinander, natürlich mit gewissen Nuancierungen — das gebe ich gern zu —, alles das als heilige Anliegen Ihrer Partei oder Ihrer Bundesregierung betrachtet und ausgesprochen, was in diesem Antrag steht.
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter! Ich habe Ihnen das Wort zur Abstimmung gegeben. Ich kann jetzt nicht wieder in eine Debatte eintreten. Also bitte, sprechen Sie zur Abstimmung.
Verzeihung, Herr Präsident! Ich habe nicht mit Absicht gegen die Geschäftsordnung verstoßen wollen.
Ich wollte nur begründen, warum ich Sie bitten will, diesen Antrag hier zu erledigen, indem Sie nämlich all das, was Sie gesagt haben und was in diesem Antrag steht, jetzt beschließen und nicht an den Ausschuß überweisen. Warum Sie das an den Ausschuß überweisen wollen, — so alt kann ich nie werden, um das begreifen zu können.
Ich lasse abstimmen über ,den Antrag der Abgeordneten ,Heiland, Dr. Willeke, Spies , Corterier und Genossen auf Umdruck 730. Wer der Überweisung — an welchen Ausschuß?
— den Finanzausschuß — zustimmen will, gebe bitte ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Das erste war wieder die Mehrheit; die Überweisung an den Finanzausschuß ist beschlossen.
Ich nehme an, daß auch bei dem Antrag Umdruck 729 Überweisung an den Finanzausschuß gemeint war. — Ich stelle das fest. Die Überweisung beider Anträge an den Finanzausschuß ist beschlossen.
Nun, meine Damen und Herren, die Anträge der Fraktion der FDP Drucksachen 2118 und 2282. Hier wird vom Ältestenrat Überweisung an den Finanzausschuß — federführend — sowie den Ausschuß für Mittelstandsfragen und den Ausschuß für Kommunalpolitik — mitberatend — vorgeschlagen. Das
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7807
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Haus ist damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
— Meine Damen und Herren, ich bin für Großzügigkeit. Sie möchten, daß diese beiden Anträge Umdrucke 729 und 730 nicht nur an den Finanzausschuß, sondern auch an den Ausschuß für Kommunalpolitik — mitberatend — überwiesen werden. — Das Haus ist einverstanden; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich kann heute abend den Lastenausgleich nicht mehr aufrufen. Ich nehme an, daß wir uns am Freitag mit einem vollen Hause nach der Fragestunde dem Lastenausgleich zuwenden wollen. Aber vorher muß ich noch eine Reihe anderer Punkte erledigen.
Wir kehren zurück zur Tagesordnung. Ich rufe auf Punkt 7:
Zweite und dritte Beratung des von ,der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über ;den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (Drucksache 38),
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres (Drucksache 2272)
.
Wünscht der Herr Berichterstatter 'das Wort? —Bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, Sie noch mit einigen Bemerkungen aufhalten zu müssen, aber ich lege Wert darauf, daß sie im Protokoll festgehalten werden.
Das uns zur Verabschiedung vorliegende Gesetz regelt die Anwendung unmittelbaren Zwanges, regelt den Schußwaffengebrauch. Der Rechtsausschuß und der Innenausschuß sind der Auffassung, daß mit diesem Gesetz die Materie abschließend
, und ausschließlich geregelt ist, daß das Gesetz also der Verwaltung nicht gestattet, zusätzliche Ausführungsbestimmungen, Erläuterungsbestimmungen oder irgendwelche andere zusätzliche, eventuell sogar abweichende Bestimmungen für den Schußwaffengebrauch zu erlassen. Ich lege Wert darauf, das hier ausdrücklich festzustellen.
Für spätere Auslegungen weise ich ferner darauf hin, daß in § 9 ausdrücklich festgehalten ist: Zweck des Schußwaffengebrauchs darf nur sein, angriffsoder fluchtunfähig zu machen. Der Beamte der von der Schußwaffe Gebrauch macht, insbesondere bei dem Verdacht eines Vergehens, bei Fluchtverdacht — die berühmt-berüchtigten Fälle, die die Öffentlichkeit immer wieder beschäftigen —, muß objektive Anhaltspunkte dafür haben, daß der andere, sofern er eines Vergehens dringend verdächtig ist, von einer Schußwaffe Gebrauch macht und machen wird. Es ist durchaus möglich, daß sich der Beamte dabei irrt, aber er muß diese Anhaltspunkte nachher in einem Verfahren selbst darlegen können.
Das Gesetz ermächtigt die Regierung, festzustellen, welche Hieb- und Stoßwaffen zugelassen sind.
Der Ausschuß war sich darüber einig, daß in Zukunft bei der Verabschiedung des Haushaltsplans dem Innenausschuß und dem Haushaltsausschuß eine Liste über alle die Waffen vorzulegen ist, die dienstlich zugelassen sind und für deren Beschaffung Mittel gefordert werden. Wir sind der Auffassung, daß die Waffen im Endergebnis nur durch einen Parlamentsbeschluß zugelassen werden können.
Die Regelung der außerordentlich wichtigen Materie fällt nicht allein in die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers. Für alle Landesbeamten liegt die Zuständigkeit bei den Ländern. Wir haben mit den Ländern ;darüber verhandelt. Es sind die entsprechenden Voraussetzungen dafür gegeben — die Länderinnenminister haben auch zugesagt —, daß den Länderparlamenten gleichlautende Gesetzentwürfe zugeleitet werden, so daß wir in absehbarer Zeit ein einheitliches Waffengebrauchsrecht für die Polizei in ganz Deutschland haben können.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf in zweiter Lesung §§ 1 bis 14 sowie Einleitung und Überschrift. Wird das Wort gewünscht? —Das Wort wird nicht gewünscht. Änderungsanträge liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer zustimmen will, den bitte ich um ;ein Handzeichen.— Gegenprobe! — 'Enthaltungen? — In zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthailtungen? — Einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Sammelübersicht 28 des Ausschusses für Petitionen über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages zu Petitionen (Drucksache 2297).
Wünscht die Frau Vorsitzende und Berichterstatterin das Wort? — Sie verzichtet.
Ich eröffne die Aussprache. Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wer dem Antrag des Asschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich rufe auf Punkt 8 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ergänzung des § 64 des Landbeschaffungsge-
7808 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
setzes vom 23. Dezember .1958 (Drucksache 2188),
Schrifticher Bericht des Ausschusses für Inneres (Drucksache 2269),
.
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wart? — Der Herr Berichterstatter verzichtet.
Ich rufe auf in zweiter Lesung die Art. 01, 1 und 2 sowie Einleitung und Überschrift. Wind dazu das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Wer zustimmen will, den bitte ich um ;ein Handzeichen. —Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei zahlreichen Enthaltungen in zweiter Lesung angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Allgemeine Aussprache! — Keine Wortmeldungen;
die Aussprache ist geschlossen. Wer dem Gesetzentwurf in dritter Lesung zustimmen will, den bitte
sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Wiederum bei zahlreichen Enthaltungen in dritter Lesung angenommen.
Punkt 9 der Tagesordnung:
.
.
— Das Wort hat zunächst ;die Frau Berichterstatterin, Herr Kollege Rasner. Wollen Sie das Wort nehmen oder lieber nicht?
— Dann hätte sich der Auschuß früher bei mir beschweren sollen. Das hat jetzt keinen Zweck mehr. Das Haus ist jetzt in der Abstimmung.
— Möchten Sie dazu das Wort nehmen, Herr Abgeordneter Rasner? — Zum Bericht?
— Sie möchten eine Rücküberweisung beantragen. Dann möchte ich der Frau Berichterstatterin jedenfalls ;für die seither aufgewandte Mühe danken. — Bitte, Herr Rasner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Sechste Zolländerungsgesetz ist nicht im .Außenhandelsausschuß gewesen. Das ist aber bei einem Zolländerungsgesetz sinnvoll. Wir haben uns eben interfraktionell darüber verständigt, daß wir vor diesem Hintergrund darum bitten wollen, den Gesetzentwurf an die beiden Ausschüsse, die ihn bisher bearbeitet haben, zurückzuüberweisen, also an ;den Finanzausschuß als federführenden und an den Ernährungsauschuß als reitberatenden Ausschuß, und ihn zusätzlich an den Außenhandelsausschuß zu überweisen.
— Entschuldigen Sie bitte, gnädige Frau!
Die Frau Berichterstatterin war davon nicht unterrichtet? — Sie zu unterrichten gebietet nicht nur die Courtoisie, sondern das gebietet auch der Geschäftsgang des Hauses.
Also der Bericht wird damit zurückgezogen. Ich habe es wohl richtig verstanden, daß das ein interfraktionelles Übereinkommen ist. Ist das Haus mit der Rücküberweisung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 11 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Artikels 10 Absatz 2 des in Rom am 25. März 1957 unterzeichneten Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ,
Mündlicher Bericht ides Finanzausschusses (Drucksache 2304),
.
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7809
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ich frage die Frau Berichterstatterin, ob sie dazu das Wort wünscht.
— Die Frau Berichterstatterin verweist auf den schriftlichen Bericht *). Ich bedanke mich.
Ich rufe auf in zweiter Lesung die §§ 1 bis 12, Einleitung und Überschrift. — Keine Wortmeldungen. — Wer zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Das Gesetz ist in zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Dritte Lesung.
Allgemeine Aussprache. — Keine Wortmeldungen. Wer zustimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen.
Punkt 12 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Ersten Neuordnungsgesetzes .
Auf das Wort zur Einbringung wird verzichtet. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vorgesehen. Es wird mir mitgeteilt, daß der Abgeordnete Bazille für die Fraktion der SPD eine schriftliche Erklärung zu Punkt 12 zu Protokoll gegeben hat I. Die Erklärung liegt mir vor. — Das Wort wird nicht gewünscht. Das Haus ist mit der Überweisung an diese Ausschüsse einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Die Punkte 7 und 14 werden am Freitag nach der Fragestunde aufgerufen.
Ich rufe auf Punkt 15 ,der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. März 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind .
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht wird. — Die Regierung verzichtet. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — federführend —, an den Ausschuß für Wiedergutmachung — mitberatend — und an den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung. Das Haus ist mit dieser Überweisung einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
*) Siehe Anlage 3
*) Siehe Anlage 4
Punkt 16:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Verkehr mit Düngemitteln (Drucksache 2258).
Ich frage, ob das Wort zur Einbringung gewünscht wird. — Das ist nicht der Fall. Allgemeine Aussprache. Keine Wortmeldungen? — Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Das Haus ist damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 17:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. März 1960 über die Aufstellung eines Teils des Gemeinsamen Zolltarifs betreffend die Waren der Liste G in Anhang I des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft .
Auf das Wort zur Einbringung wird verzichtet. — Keine Wortmeldungen zur Aussprache in erster Lesung. - Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Außenhandelsausschuß. Kein Widerspruch? — Das Haus ist damit einverstanden; es ist so beschlossen.
Punkt 18:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Bauknecht, Kriedemann, Walter, Logemann und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mühlengesetzes .
Auf das Wort zur Einbringung wird verzichtet. Keine Wortmeldungen. — Vorgesehen ist die Überweisung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten — federführend — und an den Wirtschaftsausschuß — mitberatend —. Das Haus ist damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 19 ist abgesetzt. Punkt 20:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Vierundzwanzigsten Verordnung über Zolltarifänderungen zur Durchführung des Gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Wälzlagerstahl usw.) (Drucksachen 2025, 2274).
Ich frage den Herrn Berichterstatter, ob er das Wort wünscht. — Der Herr Berichterstatter verzichtet. Wird das Wort in der allgemeinen Aussprache gewünscht? — Keine Wortmeldungen. — Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -- Der Antrag des Ausschusses ist angenommen.
7810 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Präsident D. Dr. Gerstenmaier Punkt 21:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außenhandelsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf einer Dritten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1960 (geräucherte Heringe usw.) (Drucksachen 2132, 2281) .
Ich frage den Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Bauer , ob er dazu das Wort wünscht. — Er verzichtet. — Keine Wortmeldungen. — Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? -- Einstimmig angenommen.
Punkt 22:
Beratung der Entschließungen der 49. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union .
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Vorgeschlagen ist Überweisung an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten. Ist das Haus I damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 23:
Wahl eines stellvertretenden Mitglieds im Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost.
Die Fraktion der SPD schlägt vor, an Stelle des ausgeschiedenen Abgeordneten Frenzel den Abgeordneten Cramer zum stellvertretenden Mitglied zu bestellen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist der Herr Abgeordnete Cramer als stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Deutschen Bundespost gewählt.
Damit sind wir für heute am Ende unserer Arbeit.
Ich berufe die nächste Sitzung ein auf Freitag, den 16. Dezember, 9.00 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.