Rede von
Werner
Jacobi
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann dem Herrn Kollegen Dr. Willeke versichern, daß weder ich noch ein anderer sozialdemokratischer Redner Anlaß hat, hier nach irgendeiner Seite hin Liebeserklärungen abzugeben. Daß wir die Finanznöte der Gemeinden kennen, daß wir die Abstellung dieser Nöte verlangen, erweist bereits unsere Große Anfrage. Wir brauchen den Gemeinden also nicht unsere Sympathie zu erklären. Aber es genügt auch keineswegs — hier hat der Herr Kollege Willeke recht —, zu glauben, mit Erklärungen auskommen zu können.
Wir sollten im Zusammenhang mit dem, was hier heute erörtert wird, auf die großen Worte überhaupt verzichten. Deshalb sollten wir, Herr Kollege Willeke, auch nicht von einer Feierstunde sprechen. Das Wort von damals hat sich nicht ganz bezahlt gemacht.
Das wäre heute sozusagen eine „Feier ohne Meyer"; denn Vokabeln nähren nicht.
Aber lassen Sie mich, bevor ich zur Sache spreche, einen Blick auf die Regierungsbank werfen.
Dort sitzt einsam und, ich möchte fast sagen, verloren der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums der Finanzen. Dort saß der Herr Bundeswohnungsbauminister, der inzwischen seinen Platz als Abgeordneter eingenommen hat und der sicherlich heute besonders auch deshalb anwesend ist, weil er im Nebenamt Präsident des Deutschen Gemeindetages ist.
— Herr Kollege Dresbach, ich ,stelle ebenso mißbilligend lest, daß in diesem Augenblick auch vom Bundesrat kein Vertreter im Saal ist. Aber ich finde es genauso wenig entschuldbar, daß weder der Herr Bundesminister des Innern noch einer seiner Staatssekretäre es für nötig hält, der heutigen Debatte beizuwohnen.
Schließlich ist es die Aufgabe des Herrn Innenministers, die Interessen der Kommunen, die ja ressortmäßig weitgehend bei ihm zusammenlaufen, zu wahren.
Ich stelle dies fest.
Leider, Herr• Staatssekretär Professor Dr. Hettlage, hin ich auch Ihnen gegenüber nicht in der Lage, Lob zu spenden. Die von Ihnen auf die Große Anfrage meiner Fraktion erteilte Antwort ist für die sozialdemokratische Opposition unbefriedigend.
Zwar hat der Sprecher der Bundesregierung eine Reihe von Tatsachen anerkannt, die zeigen, daß die Verzerrung unserer bundesstaatlichen Finanzverteilung nicht 'anhalten darf und daß eine grundsätzliche Neuordnung unerläßlich ist. Andererseits ist nicht ersichtlich, wann und wie der von ihm ,ausgestellte Zukunftswechsel eingelöst wenden soll. Die von der Opposition erwarteten konkreten Vorschläge der Regierung, die zeigen sollten, wie sie sich die auch von ihr für notwendig erachtete Neuordnung besonders .des kommunalen Finanzsystems vorstellt, sind, selbst was allgemeine reformerische Vorstellungen anbelangt, ausgeblieiben.
Ist dies an sich schon zu bedauern, so muß festgestellt wenden, daß auch die Stellungnahme der Bundesregierung zur gegenwärtigen Finanzsituation der Gemeinden nicht befriedigen kann. Mit Hinweisen auf gestiegene Steuereinnahmen ist nichts getan. Auch mit Zahlen läßt sich bekanntlich trefflich streiten. Sie haben für sich allein jedoch keine Aussagekraft.
Der Herr Staatssekretär 'hätte uns außer den Zahlen, die er heute als Beweis für die angeblich wesentlich verbesserte Finanzsituation der Gemeinden angeführt hat, die Vergleichszahlen des Bundes und der Länder zugleich mit den Zeitdaten nennen sollen. Dann hätte sich gezeigt, daß die Ausgangsgrundlagen völlig verschieden sind. In einer Zeit, in
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der der {Bund bereits in der Lage war, Steuerermäßigungen zu gewähren, mußten Gemeinden sich noch verschulden. Sie sind viel zu spät mitbeteiligt worden. Das ist ja bei den gestiegenen Gewerbesteuereinnahmen ganz eindeutig zu sehen. Daß diese Mehreinnahmen, von denen mein Freund Keuning bereits gesprochen hat, die heute den wesentlichen Teil oder Gemeindeeinnahmen darstellen, auch noch konjunkturempfindlich sind, macht die Hinweise auf gestiegene Einnahmen nicht frostvoller.
Es gibt weitere kritische Punkte, zu denen die Bundesregierung unserer Auffassung nach nicht ausreichend Stellung ;genommen hat. Ich sage dasbesonders im Hinblick auf die Bemerkung des Herrn Staatssekretärs über den an sich anerkannten Investitionsbedarf der Gemeinden und Gemeindeverbände in der nahen und fernen Zukunft. Sie können sich den Anforderungen der Bürger nicht entziehen, sie müssen handeln. Alber sie haben keine genügende Sicherung für die finanziellen Verpflichtungen, die auf sie zukommen. Herr Kollege Kenning hat bereits den wesentlichen Hinweis gegeben, daß die vor etwa zwei Jahren vom Wissenschiaftliichen Beirat beim Bundesfinanzministeriums errechneten Bedarfsziffern heute nicht mehr zutreffen, sondern daß .der tatsächliche Bedarf höher liegt. Er hat die Gründe angeführt, .aus denen sich das ergibt. Wir brauchen nur an die Verpflichtungen dm Verkehrswesen zu denken, an die damit verbundenen Grunderwerbslasten, an die Notwendigkeit der Schaffung von Parkraum, an die Entflechtungserfordernisse für den Individual- und Massenverkehr, die zweite Ebene und vieles andere mehr.
Der hier rühmend erwähnte Gemeindepfennig reicht bei weitem nicht aus. Die von den Gemeinden und Gemeindeverbänden allein im Verkehrsbereich zu lösenden Aufgaben und die ihnen hierfür zur Verfügung stehenden Mittel stehen sich in einem krassen Mißverhältnis gegenüber. Es genügt nicht, sich im wesentlichen mit dem Hinweis auf die Mehreinnahmen aus dem Straßenbaufinanzierungsgesetz zu begnügen — das hat der Herr Staatssekretär getan — und es als eine Aufgabe der Länder hinzustellen, durch geeignete Maßnahmen im Rahmen des Gemeindefinanzausgleichs zusätzliche Deckungsmittel ,aufzubringen. Der Bund selber kann und muß hier sehr viel mehr tun, als bisher geschehen ist. Es bedarf — um hierzu nur Weniges, aber Konkretes zu sagen — der Neubestimmung des Begriffs der Ortsdurchfahrt, der Berücksichtigung der Durchgangs- und Tangentialstraßen und des Bedarfs für die Bezuschussung von Zubringerstraßen über diejenigen hinaus, 'die in der Baulast des Bundes liegen. Es bedarf vieler anderer Regelungen. Diesen kann sich der Bund nicht unter Berufung darauf entziehen, daß angeblich eine Zuständigkeit formal nicht besteht. Die sozialdemokratische Opposition erwartet, daß beispielsweise bei der Beratung des Bundesfernstraßengesetzes, das heute bereits ,erwähnt wurde, wesentliche Verbesserungen der Regierungsvorlage vorgenommen werden.
Der Herr Staatssekretär hat auf andere Schwerpunkte der gemeindlichen Investtitionspolitik hingewiesen. Er hat den Krankenhausbau erwähnt und gemeint, auch hier könnten steigende Einnahmen und erhöhte Zweckzuweisungen der Länder entscheidende Hilfe bringen. Eine solche Feststellung ist im Grunde genommen nichts anderes als ein AusWeichen auf einem Gebiet, dem der Volksgesundheit, auf dem sich ,der Bund seiner Mitverantwortung nicht entziehen kann.
Hierauf ist auch bereits in Verbindung mit der Erwähnung des Goldenen Planes hingewiesen worden. Wir brauchen nur an die Notwendigkeiten zu denken, die sich hinsichtlich der Sportstätten und Erholungsanlagen ganz allgemein ergeben. Im Zusammenhang mit dem Goldenen Plan genügt es nicht — diese Bemerkung richtet sich nun nicht an die Bundesregierung allein —, wenn autorisierte Sprecher. aller Parteien sich für den Goldenen Plan einsetzen und sich dafür verpflichten, wie dies in der letzten Woche vor dem Bundestag des Deutschen Sportbundes geschehen ist. Es müssen vielmehr Konsequenzen gezogen werden. Auch hier ist es notwendig, daß den Gemeinden nicht zuletzt auch vom Bund mehr als bisher geholfen wird.
Alle diese Aufgaben berühren und verpflichten die Gemeinden in einem außerordentlichen Maße. Sie rufen finanzielle Belastungen über das noch vor Jahren Voraussehbare hinaus hervor, denen die kommunale Selbstverwaltung aus eigener Kraft nicht gewachsen ist.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Bundesregierung in der Antwort auf diese zusätzlichen Investitionsprobleme bewußt nicht eingegangen ist; denn die Grundtendenz der Antwort scheint darauf abgestellt zu sein, möglichst nicht zur Sache, sondern an ihr vorbei zu sprechen.
Ich darf einen Punkt herausgreifen. Der Herr Staatssekretär hat den Finanzbedarf für den Ausbau ,der Wasserversorgung und vor allem der Abwässerbeseitigung zwar ,als besonders groß bezeichnet, jedoch gemeint, daß dieser Finanzbedarf im wesentlichen durch die entsprechende Gebührenerhebungen abgedeckt werden könnte. Nun wird von kommunaler Seite nicht bestritten, daß im Prinzip Wasserversorgung und Abwässerwesen — ob nun von wirtschaftlichen Unternehmen oder über Gebührenhaushalte — sich selber tragen sollen. Die aktuelle Frage, vor der wir stehen, ist aber, ob und inwieweit dieser Grundsatz bei den gegebenen Verhältnissen im Augenblick bereits praktisch verwirklicht werden kann. Wir haben es hier mit einer der vielen drückenden Hypotheken aus der Vergangenheit zu tun. Es besteht sowohl auf dem Gebiet der Wasserversorgung als auch auf dem Gebiet des Abwässerwesens ein sehr großer Nachholbedarf. Die Finanzierung dieses Nachholbedarfes ist das eigentliche Problem, vor dem die Städte und Gemeinden stehen. Es kann nicht einfach durch den Hinweis auf den notwendigen Ausgleich des Gebührenhaushalts gelöst werden.
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Es war in der Vergangenheit weder möglich, in ausreichendem Maße Anliegerbeiträge zu erheben, noch den Ausbau der Kanalisationsanlagen zu forcieren. Hierbei darf nicht vergessen werden, daß die Jahre der Wirtschaftskrise, der anschließenden Aufrüstungsperiode, ,des Krieges und die Zeit vor der Währungsreform 'die kommunalen Investitionen besonders auf diesem Gebiete schwer behindert haben. Die Ursachen ides entstandenen Rückstandes liegen also durchaus nicht nur im kommunalen Bereich, sondern weitgehend bei der Politik und Gesetzgebung des Reiches bzw. des Bundes. Auch muß berücksichtigt werden, daß der nunmehr in verstärktem Umfange durchgeführte Ausbau der Anlagen bereits auf den zukünftigen Bedarf ausgelegt werden muß. Das bedeutet, daß im gegenwärtigen Augenblick die Kapazität der Anlagen in vielen Fällen nichtganz ausgenützt ist.
Endlich ist von Bedeutung, daß zur Finanzierung von Wasser- rund Abwasseranlagen besonders langfristige Kredite erforderlich sind, möglichst mit einer Tilgung von 1 % Solche Kredite sind bekanntlich nicht leicht zu beschaffen, und eine wiederholte Umschuldung ist jedesmal mit zusätzlichen Kosten verbunden.
Die von mir ,genannten Argumente lassen sich am besten an einem aus der Praxis stammenden Beispiel belegen. Ich nehme das Beispiel einer Stadt, von der Sie nicht sagen können, daß etwa durch die Tatsache, daß sie von Sozialdemokraten „regiert" wird, dort besondere Schwierigkeiten aufgetreten wären. Es handelt sich um Fulda. Die Stadt Fulda, eine Stadt mit zirka 50 000 Einwohnern, besitzt eine Stadtentwässerung, die aus dem Jahre 1905 stammt und für 17 000 bis 28 000 Einwohner eingerichtet ist. Die neue Stadtentwässerung muß unter Berücksichtigung des Wachstums der Bevölkerung und der Industrie auf 200 000 Einwohner bzw. Einwohnergleichwerte — wie der häßliche Ausdruck lautet — ausgelegt werden. Es ist also ein völliger Neubau erforderlich. Bei dem jetzigen Einwohnerstand können für das Gebührenaufkommen 88 000 Einwohner bzw. Einwohnergleichwerte zugrunde gelegt werden. Die Gesamtkosten der zu bauenden Anlagen im Stadtgebiet belaufen sich auf 27,6 Millionen DM, von denen 5,6 Millionen DM erst später anfallen, so daß sich die Gesamtkosten der jetzt in einem Zuge zu erstellenden Anlagen auf 22 Millionen DM belaufen. Nach Abzug der Anliegerbeiträge und eines von Randgemeinden zu tragenden Kostenbeitrages sind aus dem Gebührenhaushalt Investitionen in Höhe von 15 Millionen DM zu verzinsen und zu tilgen. Bei 88 000 Einwohnern und bei einer Gebührenhöhe von 12 DM je Einwohner ist mit einem Gebührenaufkommen in Höhe von 1,1 Millionen DM einschließlich aller Nebeneinnahmen zu rechnen. Nach Abzug der laufenden Kosten für Unterhaltung, Zinsen und Tilgung auf bereits aufgenommene Darlehen verbleibt für den Schuldendienst der neu aufzunehmenden Darlehen noch ein Spielraum von 275 000 DM.
Die noch verbliebene Schuldenaufnahmefähigkeit des Haushalts der Stadt Fulda in Höhe von 6,5 Millionen DM für unrentierliche Zwecke muß für den
Neubau von vier Volksschulen, einer höheren Schule und eines Krankenhauses von 700 Betten reserviert werden. Aus der Schuldendienstleistungsfähigkeit des Gebührenhaushalts „Abwässerbeseitigung" in Höhe von 275 000 DM ergibt sich, wenn man an die Aufnahme von Kreditmarktmitteln zu 6,5 % Zinsen und 1% Tilgung denkt, eine Schuldenaufnahmefähigkeit von ca. 3,7 Millionen DM. Es bleibt also in diesem Fall eine Finanzierungslücke von 11,3 Millionen DM bestehen.
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich ein solches Beispiel angeführt habe; es ist für die Verlebendigung der heutigen Debatte sicherlich nicht sehr attraktiv. Aber es ist notwendig, sich so konkret wie möglich vor Augen zu führen, wie es wirklich in unseren Gemeinden aussieht, und ich glaube, das Beispiel Fulda beweist, daß durch den Hinweis auf den Ausgleich des Gebührenhaushalts und die Möglichkeit der Kreditaufnahme dieses Problem der Kommunalfinanzen nicht gelöst werden kann. Erst in späteren Jahren, wenn ,der Nachholbedarf abgedeckt und der Gebührenhaushalt in ein dauerndes Gleichgewicht gebracht worden ist, wird eine isolierte Betrachtung des Gebührenhaushalts möglich sein. Vorläufig bleibt die Belastung des allgemeinen Haushalts bestehen.
Ich habe den Eindruck, daß derartige Erwägungen bei der Bundesregierung in keiner Weise angestellt worden sind, als die Antwort auf die Große Anfrage entworfen wurde; denn so und ähnlich, wie ich es eben geschildert habe, sieht es bei vielen Gemeinden aus. Das, was der Herr Staatssekretär heute zu bieten wußte, ist keine Antwort auf ihre drängenden und besorgten Fragen.
Im Gegensatz zu den abschließenden Feststellungen des Herrn Staatssekretärs muß gesagt werden, daß die finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden leider schon heute in stärkstem Maße von der Finanzentwicklung her gefährdet ist.
Die sozialdemokratische Opposition widerspricht der Bundesregierung ebenfalls, wenn sie die Behauptung aufstellt, daß die Gemeinden ihre vermehrten und unaufschiebbaren Aufgaben, vor allem ihre Investitionen, ohne Erhöhung ihres Anteils am gesamten Steueraufkommen erfüllen könnten.
Die Gemeinden können das nicht.
Die sozialdemokratische Opposition bedauert, daß die Bundesregierung die Erstattung des Einnahmeausfalls, der den Gemeinden aus der Grundsteuerbefreiung für den sozialen und steuerbegünstigten Wohnungsbau erwachsen ist und der sie noch auf viele Jahre belastet, kategorisch ablehnt. Was für Manipulationen mit der Gewerbesteuer gilt, gilt auch hier. Aus anderer Leute Leder läßt sich gut Riemen schneiden.
Die Bundesregierung macht es sich sehr leicht, wenn sie die Opfer, die durch den Grundsteuerausfall den Gemeinden auferlegt worden sind, gleichsam mit einem frommen Augenaufschlag als einen zumut-
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baren Beitrag zur Förderung des Wohnungsbaues bezeichnet. Sie läßt dabei nämlich völlig außer acht, was die Gemeinden unter weiteren wesentlichen Opfern aufgebracht haben und auch weiterhin aufbringen müssen. Denken wir nur an finanzielle Eigenleistungen der Gemeinden, an Erschließungsaufwendungen, an die Baulandbereitstellung und vieles andere mehr, was sich bundesstatistischen Globalerhebungen entzieht.
Zur Grundsteuer ist zu sagen, daß es früher — auch das wird meist außer acht gelassen — Grundsteuerbeihilfen nur für Arbeiterwohnstätten mit Mieten bis zu 40 DM gegeben hat. Heute gibt es Grundsteuerbefreiungen auch für Wohnungen im Besitz von Leuten, die zu den gehobenen Einkommensschichten gerechnet werden und Mieten von 2 DM, 2,50 DM und 3 DM pro Quadratmeter aufbringen. Das geschieht zu Lasten der Gemeinden, und das ist im Grunde genommen nicht vertretbar. Heute gibt es auch für Bauten, bei denen noch weitere 50 % Steuervergünstigung in elf Jahren eingeräumt werden, Grundsteuerbeihilfen. Das alles lastet den Gemeinden an, und das ist nicht in Ordnung.
Wir wissen auch, was die Gemeinden heute aufzubringen haben, um Gelände zu erwerben, das den Zwecken dient, die es nun einmal zu erfüllen gilt und denen man nicht ausweichen kann: für den Wohnungsbau, für Grünflächen, für Verkehrsräume usw. usw. Hier ist den Gemeinden mehr auferlegt, als dies von Herrn Staatssekretär Dr. Hettlage beachtet worden zu sein scheint.
Im übrigen: Was an dringenden Wohnungsnotständen von den Gemeinden, besonders in sogenannten Ballungsräumen, aber nicht nur in diesen, noch auf eine Reihe von Jahren hinaus zu beheben ist, wird seit langem von dem Herrn Bundeswohnungsbauminister ungern zur Kenntnis genommen.
Es paßt nämlich nicht so recht in seine an Herrn Coué erinnernde Methode hinein, die Dinge global zu schildern und sich mit allgemeinen statistischen Erfolgsziffern zu trösten.
Ich habe auch an den Herrn Bundeswohnungsbauminister gedacht, als ich die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs über die Grundsteuern hörte. Daß die Einheitswerte für das Grundvermögen seit 1935 nicht neu festgesetzt worden sind, ist doch kein Problem, das heute plötzlich vor uns steht, sondern seit langem eine wesentliche Ursache für die heute zur Erörterung stehenden kommunalen Finanznöte. Das seit Jahren fertiggestellte Bewertungsgesetz ist doch von der Bundesregierung bewußt zurückgehalten worden. Das hat infolgedessen diese Regierung zu verantworten.
Ich habe die Beratungen zum Bundesbaugesetz noch in Erinnerung, ebenso die zum sogenannten Lücke-Plan. Ich weiß daher, wie sehr dem Herrn Bundeswohnungsbauminister daran gelegen war, die Neubewertung des Grundvermögens in diesem Bundestag nicht mehr auf der Tagesordnung erscheinen zu lassen. Hier ist die Bundesregierung im Verzuge, und hier trägt sie die nicht wegzudiskutierende Verantwortung für die ungesunde Verzerrung des kommunalen Finanzsystems.
Im April 1958 hat der Herr Bundesfinanzminister Etzel vor dem Deutschen Gemeindetag in Urach von höheren Grundsteuern gesprochen, die unvermeidlich seien. Er hat damals sogar eine Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer als erörternswert bezeichnet. Vergleicht man diese 2 3/4 Jahre zurückliegenden Erklärungen mit den heutigen Ausführungen des Herrn Staatssekretärs, so wird deutlich, daß die Bundesregierung sich auf dem Gebiet einer Neuordnung der kommunalen Finanzen bisher nichts Förderliches hat einfallen lassen. Das ist aber nicht nur um der speziellen Finanzprobleme willen, sondern aus allgemein staatspolitischen Gründen beklagenswert. Der Kollege Willeke und ebenfalls der Kollege Eilers haben es bereits mit anderen Worten zum Ausdruck gebracht: Eine gesunde Kommunalpolitik setzt gesunde Gemeindefinanzen voraus. Ohne eine gut funktionierende kommunale Selbstverwaltung gibt es auch keinen funktionierenden freiheitlich-demokratischen bürgerschaftlichen Staat. Wenn wir in einer Zeit, die, wie wir alle wissen, in einem außerordentlichen Ausmaß im Schatten eines nicht immer gesunden Sozialprestigedenkens steht, von unseren Bürgern erwarten, daß sie nicht ausschließlich nach Erwerb und Genuß streben, wenn wir nach ihrer Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft rufen, — wo soll und kann dies besser als in den Gemeinden und mit ihnen verwirklicht werden?! Es ist nicht damit getan, bei feierlichen Anlässen von der kommunalen Selbstverwaltung als der Wiege oder Elementarschule der Demokratie zu sprechen. Man muß sie lebensfähig erhalten und, wo sie es nicht mehr ist, wieder lebensfähig, d. h. initiativträchtig, machen.
Es ist heute von der finanziellen Einengung des kommunalen Betätigungsraumes gesprochen worden, und in der Tat muß man unverdrossen immer wieder betonen, daß mehr Geld für die Gemeinden not tut, damit sie für ihre Aufgaben in rechter Weise gerostet sind. Doch daneben gilt es, in vielfältiger Weise um die Erhaltung der gemeindlichen Selbstverwaltung besorgt zu sein.
Es gibt hier unzählige Gefahren. Ich denke da an die mangelnde Finanzautonomie, über die heute bereits sehr viel gesagt worden ist, an das Anschwellen der Aufgaben durch staatliche Auftragsangelegenheiten und durch den besonders in den Gemeinden spürbaren Gesetzesperfektionismus, an dem wir, meine Damen und Herren Kollegen, zum Teil mitbeteiligt sind. Auch gibt es nach wie vor veraltete Vorstellungen über das Verhältnis von Staats- und Selbstverwaltung. Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die das 1945 und in den Jahren danach so oft zitierte Wort von der Gemeindefreiheit nicht mehr sehr ernst nehmen und die den Aktionsradius der kommunalen Selbstverwaltung liebend gern immer weiter einengen möchten. Es darf weder ein Streitverhältnis noch ein obrigkeitlich ausgerichtetes Machtverhältnis zwischen Staat und Gemeinden geben. Es bedarf vielmehr der Part-
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nerschaft, der Einordnung der kommunalen Selbstverwaltung in den sozialen Rechtsstaat. Der von meinem Freunde Keuning heute erwähnte sogenannte unsichtbare Finanzausgleich gehört zu den einem solchen politischen Aufbauprinzip abträglichen Methoden. Es ist — um mit Professor Becker zu sprechen — eine unzulässige Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts und stellt einen bedenklichen Rückfall in ein falsches Trennungsdenken dar, daß Bundes- und Landesgesetzgeber auf Kosten der Gemeinden Geschenke machen. Dies ist ja, wie Sie wissen, mehrfach geschehen und steht auch im Zusammenhang mit der Frage des Gewerbesteuerfreibetrages, die heute diskutiert wird.
Meine Damen und Herren, es gilt, die aktuelle staatspolitische Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung im Denken und im Handeln besser zu honorieren, als dies bisher geschehen ist. Was uns hierzu die Bundesregierung heute an Erkenntnissen und Gedanken vermittelt hat, ist mehr als dürftig. Ihre Gewerbesteuerfreibetrags-Initiative setzt die unserer Meinung nach falsche Politik der Hilfen auf Kosten der Gemeinden fort. Dabei ist es nicht etwa so, daß wir nicht ebenfalls dem Mittelstand, dem Gewerbe, helfen wollten. Nur fragt es sich, wer denn eigentlich die Zeche bezahlen soll.
Diese Gewerbesteuerfreibetrags-Initiative muß je
nach dem Ausgang der angeblichen Ausgleichsbemühungen sogar nach der verfassungsrechtlichen
Seite hin problematisch erscheinen.
Die sozialdemokratische Opposition hofft, daß durch ihre Große Anfrage über die Gemeindefinanzen nicht nur eine neue Diskussion ausgelöst worden ist — möglicherweise bleibt sie in diesem Hause auch noch auf den heutigen Tag beschränkt—, sondern daß nunmehr Taten heranreifen. Wir sind zur Mitwirkung bereit. Noch jedoch haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Mehrheit in diesem Hause. Noch liegt es daher in Ihrer Hand, das bei gutem Willen Mögliche alsbald zu tun.