Rede von
Karl
Wienand
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(SPD)
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Stecker hat hervorgehoben, daß der Herr Staatssekretär bei der Ant-
7794 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
Wienand
wort der Bundesregierung eindrucksvolle Zahlen genannt habe, und ich glaube, wir sollten in der Tat trotz der Dürftigkeit der Antwort der Bundesregierung dem Herrn Staatssekretär dafür dankbar sein, daß er eine Reihe von Zahlen genannt hat, weil gerade auch diese Zahlen unter Beweis stellen — das klang ja trotz aller Verschwommenheit aus der Antwort 'heraus —, daß die Gemeinden wirklich nicht in einer beneidenswerten Situation sind.
Wenn man also von der Antwort der Regierung ausgeht und wenn hier aufgezeigt wurde, wie das Einkommen ,der Gemeinden gerade von der Gewerbesteuerseite her in Iden vergangenen Jahren gewachsen ist, dann hätte nach meinem Dafürhalten aber auch darauf hingewiesen werden müssen, wie die Aufgaben der Gemeinden in diesen Jahren gewachsen sind; es geht 'darum, hier die Relation herzustellen.
Wenn ich auf der einen Seite nur von den Einnahmen ausgehe und auf der anderen Seite nichts von den Ausgaben sage, von den Ausgaben, die zwangsläufig bedingt sind, weil neue Aufgaben hinzugekommen sind, muß ein verzerrtes Bild gezeichnet werden, und dann kann man eine solche Antwort nicht als befriedigend gelten lassen.
Ich will nicht noch einmal selber das Zahlenspiel mitmachen. Ich möchte der vorgerückten Stunde in diesem Hause Rechnung tragen und nur einige Gedanken aufgreifen. Vorhin wurde von dem Kollegen Stecker gesagt, wir sollten uns nicht mit großen
B) Worten auf die Ebene von Interessenverbänden begeben. Ich werde nachher noch einmal darauf zurückkommen. Ich glaube nicht, 'daß die kommunalen Spitzenverbände und diejenigen, die in der Bundesrepublik Kommunen vertreten, sich jemals auf die Ebene der Interessenverbände -- im übelsten Sinne des Wortes — begeben haben. Denn hier kommt es nicht darauf an, Interessen wahrzunehmen, sondern hier kommt es 'darauf an, innerhalb der Partnerschaft zwischen Gemeinde, Land und Bund das Notwendige zu vertreten, damit auch von dieser Seite her gesehen die Gemeinden nicht systematisch zum Kostgänger von Bund und Land degradiert werden und damit nicht die bürgerschaftliche Selbstverwaltung stranguliert wird
und damit auch nicht das letzte Element, das gerade auf dieser Ebene zur Festigung unserer Demokratie mit beitragen kann, von vornherein so eingezwängt wird, daß der demokratische Gedanke in Bund und Land — auf die Dauer gesehen — Schaden tragen muß. Das wollen wir alle nicht.
Der Kollege Dresbach machte vorhin einen recht interessanten Zwischenruf in einem Zwiegespräch mit dem Kollegen Stecker. Er sagte: Der Gemeindeverband ist dort, wo er Gemeindeverband ist, Lastenausgleichsträger. Wir haben das auch aus der Antwort der Bundesregierung herausgehört, die darauf hingewiesen hat, daß 'unter den Gemeinden so etwas wie ein interkommunaler Finanzausgleich zustande kommen müsse. Ich möchte diesem Gedanken nur einen Augenblick nachgehen und einmal versuchen, die Funktion zu untersuchen, die dort l gegeben ist. 'Es trifft zwar zu, daß innerhalb eines Kreises für 'die kreisangehörigen Gemeinden in etwa die Funktion des Lastenausgleichs vom Kreis aus gegeben ist, weil über die Kreisumlage von finanzstarken Gemeinden auch zu finanzschwachen Gemeinden gewisse finanzielle Zuflüsse möglich sind.
— Das ist hauptsächlich für die Verwaltung; ich komme darauf, Herr Kollege Dröscher.
Wir haben auf der anderen Seite — ich denke an die Funktion der Ausgleichsstöcke und ich denke an andere Bedarfszuweisungen — so etwas wie einen Finanzausgleich, der über die Gemeindeverbände hinausgehoben worden ist. Aber hier, glaube ich, fängt gerade das an, was hart angesprochen werden muß, weil hier die bürgerschaftliche Selbstverwaltung nach meinem Dafürhalten stranguliert wird. Warum? Wenn wir uns einmal die Finanzmasse ansehen, die den Gemeinden in der Größenordnung bis 5000 oder 10 000 Einwohner im Schnitt zur Verfügung steht, können wir doch feststellen, Herr Staatssekretär, daß der überwiegende Prozentsatz dieser Landgemeinden nicht an den Zahlen, die hier genannt worden sind, partizipiert. Wir können feststellen, daß der finanzielle Spielraum, der ihnen zur Verfügung steht, wenn die sogenannten Pflichtaufgaben und alles das, was gesetzlich geregelt ist, finanziell abgedeckt sind, so minimal geworden ist, daß er — wenn er überhaupt noch vorhanden ist — nur noch mit einem Prozentsatz von 2 bis 10 % angegeben werden kann. Das bedeutet aber, wenn ich noch die Schulden hinzunehme, die gedeckt werden müssen, die amortisiert werden müssen, daß in der Landgemeinde meistens eine bürgerschaftliche und kommunale Selbstverwaltung Nicht mehr möglich ist, weil sie über keinen finanziellen Spielraum mehr verfügt und weil die Leute dann zwangsläufig die Lust am Arbeiten verlieren müssen. Damit wollte ich erhärtet haben, was ich einleitend gesagt habe. Man braucht dann keine Räte mehr zu wählen, man braucht dann nicht mehr um ehrenamtliche Mitarbeiter nachzusuchen, wenn ein Inspektor der Verwaltung in der Lage ist, auf der Einnahmeseite festzustellen, was im Laufe des Jahres hereinkommt. Er sieht die zweckgebundenen und vom Gesetz uns auferlegten Ausgaben auf der anderen Seite und stellt nur fest: Es ist ein Fehlbestand von 10 000 oder 50 000 oder 100 000 DM je nach der Größe der Gemeinde gegeben, und jetzt muß ich nur noch manipulieren, um den Richtlinien des Ausgleichsstocks gerecht zu werden, damit ich, wenn ich jetzt zu den Prüfungsämtern komme und etwas vom Ausgleichsstock haben will, wenigstens das noch für meine Gemeinde heranhole. Genau auf dieser Ebene ist zu sehen, was vorhin schon angedeutet worden ist, als die Rede davon war, daß immer mehr eine gewisse Bürokratie mit Richtlinien, mit Ausführungsbestimmungen, mit ganz bestimmten Hinweisen die bürgerschaftliche Selbstverwaltung in den Griff zu bekommen versucht und wir uns nicht dagegen wehren können.
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Ich möchte es einmal auf einen ganz einfachen Nenner bringen: Auch Kommunalpolitiker, ehrenwerte Kommunalpolitiker, tragen mit dazu bei, weil nicht mehr die Initiative, nicht mehr das gesunde Überlegen, nicht mehr die Frage der Priorität in den Überlegungen in der Gemeinde den breitesten Raum einnehmen, sondern das, was an Dotationen von oben kommt,
auf das man sich einstellen muß, um in den Genuß der Zuwendungen zu kommen.
— So schnell kann man mich auf die Bürgersteuer nicht festnageln.
— Aber Herr Dr. Willeke, Sie sind doch ein kluger und reifer Mann. Sie wissen doch, daß ich nicht am Anfang schon alles sagen kann. Ich werde gewiß noch darauf kommen.
Hier, glaube ich, ist ganz besonders die Gefahr gegeben, daß von oben her ein gewisser Dirigismus zustandekommt. Ich möchte meine Sorgen einmal in folgende Worte zu kleiden versuchen. Wenn wir von diesem Dotationswesen und von diesem Finanzsystem offensichtlich nicht loskommen, dann haben wir, wenn auch in der Verfassung anders ausgedrückt, weitestgehend einen zentralisierten Staat. Auch ein zentralisierter Staat mit demokratischer Spitze bleibt aber in der Endkonsequenz Herrschaft einer Bürokratie, die bis nach unten hin regiert und alles das zu ersticken versucht und erstickt, was dort an demokratischem Handeln sichtbar wird.
Ich möchte das im einzelnen nicht weiter auswalzen.
Ich will mich aber jetzt einmal kurz speziell mit der Situation der Landgemeinden und der Landkreise befassen. Bei der Untersuchung der Gemeindefinanzen kommt nach meinem Dafürhalten den kleineren Gemeinden bis zu 3000 oder 5000 Einwohnern eine besondere Bedeutung zu, ohne daß ich damit die Bedeutung der kreisfreien Städte und der großen Kommunen in dieser Frage verkleinern will. Rund 29 % der Wohnbevölkerung im Bundesgebiet wohnt noch in diesen Gemeinden. Allein 3 150 000 wohnen in Gemeinden unter 500 Einwohnern. In Gemeinden von 500 bis 1000 Einwohnern wohnen rund 4,4 Millionen, in Gemeinden von 1000 bis 2000 Einwohnern rund 5,1 Millionen und in Gemeinden von 2000 bis 3000 Einwohnern rund 2,9 Millionen. In 21 000 Gemeinden der Bundesrepublik wohnen also weniger denn 2000 Einwohner in der einzelnen Gemeinde.
Bei einer Betrachtung der Gemeindefinanzen kommt gerade diesen Gemeinden eine besondere Bedeutung zu. Der größte Prozentsatz dieser kleinen Gemeinden, in denen aber rund 13 bis 14 Millionen Menschen wohnen, ist fast nur auf die Grundsteuer und auf das vorhin angesprochene Finanzzuweisungssystem angewiesen. Gerade in diesen Gemeinden ist in den vergangenen Jahren ein sehr hoher Nachholbedarf entstanden, der mitberücksichtigt werden muß. Das ist nach meinem Dafürhalten in der Antwort der Bundesregierung nicht gewürdigt worden.
— Es ist auf gewisse Unterschiede hingewiesen worden. Aber das scheint mir nicht genügend gewürdigt worden zu sein.
Ich möchte jetzt nicht noch einmal auf die zehnjährige Grundsteuerbefreiung beim ,sozialen Wohnungsbau und alles das eingehen. Wenn man aber davon ausgeht, daß die Grundsteuer — von ihrem realen Wert her gesehen — weit hinter dem zurückgeblieben ist, was sie vor 20 oder 30 Jahren ausgemacht hat, kommt man zwangsläufig zu dem Ergebnis, daß hier mehr getan werden muß.
— Meine Damen und Herren, ich konnte zwar nicht feststellen, daß gerade die Landwirte lachten; ich habe festgestellt, daß andere lachten, die einen falschen Eindruck von den Landwirten haben.
Ich habe nicht an das Milchpanschen gedacht. Ich habe daran gedacht, daß es heute eine unabdingbare Voraussetzung für die Erzeugung von Qualitätsmilch, von Tbc-freier Milch ist, hygienisch einwandfreies Wasser zur Verfügung zu haben.
Gerade von daher gesehen hat die Landwirtschaft ein erhöhtes Interesse daran, daß auf diesem Gebiet etwas Besonderes getan wird. Wir können es uns auch nicht mehr erlauben, daß, wie es früher der Fall war, die Vorfluter die Abwässer in die Seiten- und Wiesentäler fließen lassen; denn Tbc-freier Rindviehbestand wird wieder verseucht, wenn das Vieh an diesen Vorflutern oder auf solch verseuchten Wiesen sein Futter aufnimmt. Dieser Kausalzusammenhang ist auf jeden Fall gegeben.
Man kann, glaube ich, nicht so tun, als habe man vom Bund her den guten Willen, alles das aber, was geschehen müsse, müsse von den Ländern her geschehen. Ich will auf diese verfassungsrechtlichen Fragen hier nicht eingehen; es gibt berufenere Leute, die das tun können. Ich vertrete aber folgenden Standpunkt, meine Damen und Herren: wenn man etwas als notwendig erkannt hat und sich im klaren darüber ist, daß es um der Sache willen erreicht werden muß — und wir haben ja in vielen Punkten eine allgemeine Übereinstimmung erzielt —, dann kann es nicht schwierig sein, auch die Mittel und Wege zu finden, um hier wirklich zu helfen. Es muß gerade auf diesem Gebiet mehr getan werden, und dafür bieten sich MögLichkeiten. Herr Kollege Willeke sagte vorhin, die kommunalen Spitzenverbände hätten sich nicht einigen können. Nun, Herr Kollege Willeke, ich will nicht im einzelnen untersuchen, warum es nachher wieder etwas auseinanderging, obwohl das recht interessante Hintergründe und Perspektiven aufzeigen würde; ich glaube, Sie verstehen, was ich damit andeuten will.