Rede von
Dr.
Werner
Dollinger
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)
Das war keine Frage, Herr Kollege. Ich meine, daß Sie aus Ihrer Situation endlich heraus mußten. Es geht ja nicht, daß auf der einen Seite die FDP in Rundschreiben dem gewerblichen Mittelstand erklärt: wir sind diejenigen die für euch arbeiten und alles tun, und daß auf der anderen Seite gleichzeitig ein prominentes Mitglied der Partei wie Sie erklärt, man solle die Gemeinden durch solche Anträge nicht kaputtmachen.
Nun sind eine Reihe von Argumenten gegen diesen Unternehmerfreibetrag bei der Gewerbesteuer vorgebracht worden. — Herr Kollege Keuning, auch wir leben in Gemeinden, und wir haben bestimmt nicht die Absicht, die Gemeinden kaputtzumachen oder einen Angriff gegen die Gemeinden zu führen. Aber man muß wirklich einmal die Frage stellen: Wer hat eigentlich in unseren Tagen genug, und wann hat jemand genug?
— „Nie" ist die Antwort. Das ist klar. Ich muß die Entwicklung der Gewerbesteuer einmal kurz skizzieren. Im Jahre 1952 betrugen die Einnahmen 2,6 Milliarden, 1955 3,7 Milliarden, 1958 5,2 Milliarden, 1959 6,5 Milliarden, 1960 werden es 7,2 Milliarden sein und 1961 8,2 Milliarden. Ich glaube, diese Zahlenreihe zeigt doch, daß eine enorme Zunahme an Einnahmen bei den Gemeinden vorhanden ist.
Meine Damen und Herren, eines sollte man sich auch einmal vor Augen halten. Kollege Toussaint hat es schon angedeutet. In dem jetzt zu Ende gehenden Jahr hat sich doch immer wieder gezeigt, daß das Problem bei der Erfüllung der Aufgaben der Gemeinden häufig gar nicht im Geldmangel bestand, sondern viel häufiger war es der Mangel an Arbeitskräften und an freier Kapazität.
— Meine Herren, das können Sie nicht bestreiten.
Das hat sich immer wieder gezeigt. Die Meldungen der Bundesanstalt in Nürnberg — z. B. „90 000 Bauarbeiter gesucht" — sind charakteristisch für die Beschäftigungslage.
Ich möchte weiter sagen, daß das Argument „Gewerbesteuer und Selbstverwaltung" auch nicht zieht; denn was hilft einer Gemeinde das Recht, eine Gewerbesteuer zu erheben, wenn sie praktisch kein Gewerbe mehr hat? Da ist es einfach vorbei. Ich glaube, man sollte solche Argumentation auch nicht übertreiben.
Nun wurden starke Bedenken aus verfassungsrechtlichen Gründen geäußert. Ich bin kein Jurist, möchte mich aber auf einen Artikel von Professor Flume beziehen, den ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten zitieren darf:
Was die Denkschrift
— es ist jene Schrift „Angriff auf die Gewerbesteuer"gemeint —
an rechtlichen Erwägungen gegen die Erhöhung des Unternehmerfreibetrags vorbringt, ist nicht ernst zu nehmen. Sie beruft sich einmal darauf, daß nach Art. 106 Abs. 6 des Grundgesetzes den Gemeinden das Aufkommen der Realsteuern garantiert sei. Selbstverständlich kann die Gewerbesteuer nicht beseitigt und kann auch der Unternehmerfreibetrag nicht willkürlich so hoch festgesetzt werden, daß damit de facto die Gewerbesteuer beseitigt würde.
Eine sachgerechte Änderung der Gewerbesteuer nach Ermessen des Gesetzgebers ist aber zweifellos zulässig, und daß sachgerechte Erwägungen für eine Erhöhung des Unternehmerfreibetrags sprechen, kann ernsthaft nicht bestritten werden.
So weit das Zitat. Ichglaube, daß, wenn die Möglichkeit einer Senkung einmal gegeben ist, sie bestimmt in dem Augenblick vorhanden ist, wo die Zuwachsrate im Jahr eine Milliarde beträgt.
Nun die Frage einer Änderung der Finanzverfassung! Ich bin mit vielen Dingen in unserer Finanzverfassung nicht einverstanden; ich glaube aber, daß so kurzgestellte Termine wie „bis Mitte nächsten Jahres" einfach nicht praktikabel sind. Es ist ja nicht nur eine Zeitfrage, sondern auch eine Frage
Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960 7803
Dr. Dollinger
von technischen Voraussetzungen — abgesehen von der Frage Bundesrat —, die ,erfüllt sein müssen. Schließlich ist bei einem solchen Finanzausgleich nach meiner Meinung auch die Frage des interkommunalen Finanzausgleichs im Hinblick auf die verschiedene Finanzstärke entsprechend zu berücksichtigen.
Ich komme also zu dem Ergebnis, daß der Freibetrag möglich ist, weil wir eine Zuwachsrate von einer Milliarde haben. Der Ausfall bei 7200 DM ohne Grenze entsprechend dem FDP-Antrag würde 600 Millionen DM betragen, nach der Konzeption der Bundesregierung — 7200 DM, begrenzt bis zu einem Gewerbeertrag von 50 000 DM — 530 Millionen DM. Wenn wir dann die Erhöhung der Einkommensteuer bei den Ländern hinzurechnen, würden sich in einem Fall 120 Millionen, im andern Fall 80 Millionen ergeben, so daß ein Ausfall bliebe von 580 Millionen bzw. 450 Millionen DM. Das bedeutet, daß praktisch die Zuwachsrate von 1 Milliarde DM halbiert wird.
Nun dürfte ohne Zweifel sein, daß es Gemeinden gibt, die auf einen Ausgleich des Ausfalls überhaupt nicht angewiesen sind. Es gibt Rechnungen, die zu dem Ergebnis kommen, daß tatsächlich ein Ersatz von 250 Millionen DM für die finanzschwachen Gemeinden erforderlich wäre. Ich bin der Meinung, daß ein solcher Ausgleich bei gutem Willen von den Ländern ermöglicht werden kann. Ich freue mich, daß das Land Nordrhein-Westfalen in dieser Beziehung bereits eine Zusage gegeben hat.
— Ja, das mag sein; 250 Millionen DM Ausgleichsmasse bei den gesamten Ländern bei einer Mehreinnahme von 3,5 bis 3,8 Milliarden DM.
Wir hoffen also, daß dieser Beschluß der Bundesregierung bald zu einer Vorlage führt, die schließlich der steuerlichen Gerechtigkeit dient, die dem gewerblichen Mittelstand dient und die dazu führt, daß wir gegen die Konzentration im Raum etwas tun. Denn wenn die Entwicklung bei den finanzstarken Gemeinden so wie bisher weiterginge, so würden diese ihre Pflichtaufgaben in wenigen Jahren erfüllt haben, die finanzschwachen Gemeinden dagegen werden sie noch nicht erfüllt haben. Die finanzstarken Gemeinden werden die Hebesätze dann reduzieren können, und die finanzschwachen Gemeinden werden von den ihren nicht herunter können. Das würde dazu führen, daß die finanzschwachen Gemeinden weiterhin Menschen und Unternehmungen an die finanzstarken Gemeinden verlieren.
Deshalb glauben wir, daß die Vorlage zur Gewerbesteuer geradezu geeignet ist, auch etwas gegen die Konzentration im Raum zu unternehmen um dieses Problem mit zu lösen.