Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen ,und Herren! Ich habe mich sehr gefreut, als Herr Kollege Oberbürgermeister Keuning daran erinnerte, daß wir seinerzeit — ich wir es, der damals den Ausdruck prägte — von einem Feiertag der Gemeinden gesprochen haben, als wir gemeinsam — beinahe fast einstimmig —den Artikel 106 ides Grundgesetzes, auf den ich gleich noch zurückkommen werde, geändert haben. Auch der heutige Tag könnte ja zu einem Feiertage der Gemeinden werden.
— Nein, ich glaube, es war ein Feiertag. Sternstunde, Herr Kollege Könen, haben Sie nachher in Ihrer poesievollen Haltung daraus gemacht. Immerhin also könnte auch der heutige Tag ein Feiertag der Gemeinden werden. Ich habe auch fast den Eindruck.
Ich muß zunächst ganz kurz etwas zu dean sagen, was Herr Kollege Eilers soeben vorgetragen hat. Auf +die Gewerbesteuer, auf die förderungswürdigen Anliegen des Mittelstandes und auf die dafür nötigen Deckungsvorschläge wenden sicher noch Freunde aus meiner Fraktion zurückkommen. Die Tatsache, daß die FDP zwei Anträge vorgelegt hat, zeigt, wie sehr wir alle doch in der Auffassung übereinstimmen, daß es nicht genügt, bei der Gewerbesteuer den Freibetrag für die Gewerbetreibenden zu erhöhen. Dem steht die dringende Notwendigkeit gegenüber, dafür namentlich im Interesse der kleinen Gemeinden einen Ersatz zu bieten. Aber, wie gesagt, ich möchte zunächst nicht auf die Gewerbesteuer eingehen, sondern mich vielmehr der Großen Anfrage der SPD und der Regierungserklärung zuwenden.
Ich begrüße die Ausführungen ides Herrn Staatssekretärs Dr. Hettlage. Ich freue mich darüber, daß der Gedanke einer großen, einer umfassenden Finanzreform zugunsten der Gemeinden langsam Gestalt annimmt.
Aber, meine sehr verehrten Freunde, ich habe mit Betonung gesagt, „langsam".
— Ich wollte gerade rechtfertigen, warum ein solches Gesetzgebungswerk nicht schneller über die Bühne gehen kann.
Ich glaube; die Geschichte ist immer noch der beste Lehrmeister. Mir hat neulich ein guter Freund eine Monographie über den Oberbürgermeister Dr. Riewe aus Halle an der Saale geschenkt. Dieser ist 30 Jahre Oberbürgermeister der heute so schwer heimgesuchten Stadt gewesen. Es ist hochinteressant, in diesem Buch zu blättern. Vor allen Dingen ist frappierend, wie sich manche Parallelen anbieten.
Nebenbei bemerkt, dort steht auch etwas über den Schuldenstand der Städte. Es ist geradezu interessant, zu lesen, daß die Schuldenlast pro Kopf der Bevölkerung in der Stadt Halle an der Saale 1914, also noch zu Preußens Glanz und Gloria, 220 Mark betrug, daß sie im Jahre 1931, nachdem ein furchtbarer Weltkrieg verloren war, und nach der auf die Inflation folgenden Stabilisierung 216 Mark betrug. Wenn wir die jetzige Schuldenlast, von der wir heute schon einiges gehört haben, auf die 55 Millionen Einwohner umrechneten, kämen wir allerdings auch wieder auf die Zahl von etwa 220 DM. Das sei aber nur in Parenthese bemerkt.
Ganz besonders interessant war mir ein Ausspruch des Dr. Riewe an seine Bevölkerung aus dem Jahre 1931. Er sagte damals: Die öffentlichen Finanzen haben sich so entwickelt, daß das Reich — heute der Bund — saniert, die Länder salviert und die Gemeinden ruiniert sind. — Solch harte Worte sind heute zwar nicht gefallen. Doch muß ich sagen, daß für mich die im ganzen durchaus sympathischen Ausführungen des Kollegen Keuning manchmal einige harte Nuancen trugen, z. B. wenn er davon sprach, daß die Gemeindefinanzen verkümmerten. Wir sollten uns vor solchen Übertreibungen hüten.
Die Situation der Gemeinden nach dem ersten Weltkrieg ist von der nach dem zweiten Weltkrieg nun einmal ganz verschieden. Oberbürgermeister Riewe sagte damals — auch 1931, als er dieses schwerwiegende Wort von der Ruinierung der Gemeindefinanzen aussprach —, die deutschen Gemeinden könnten aber immerhin mit Stolz darauf hinweisen, daß sie 5 Millionen Arbeitslose über den Winter gebracht hätten und daß sie mit 60 % an der Aufbringung der dafür erforderlichen Mittel beteiligt gewesen seien.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wird doch jeder von uns zugeben, daß die heutige Situation eine völlig andere ist. Wir haben heute Gott sei Dank die Tatsache zu verzeichnen, daß Städte, die in Schutt und Asche lagen, wie Münster, wie Essen und kleinere Städte — Dorsten — wiederaufgebaut sind. Freuen wir uns gemeinsam darüber, und freuen wir uns, wenn wir heute von den Schulden der Gemeinden sprechen, daß es sich bei den Ausgaben meistens um solche für den Aufbau der Städte, um wertvollste Investitionen handelt.
Es kann nicht geleugnet werden, daß wir in den letzten Jahren — und jetzt komme ich darauf zurück, warum ich vorhin das Wort „langsam" brauchte — langsam sahen, wie eine große, umfassende Finanzreform auf uns zukommen wird. Wie wir wohl alle zugeben werden, ist in den letzten zehn Jahren doch einiges geschehen, was zu den notwendigen Voraussetzungen für den Wiederaufbau der Städte gehört. Ich will hier keinen Leistungsbericht der Bundesregierung erstatten. Aber im Vergleich zu der Zeit nach dem ersten Weltkrieg ist es heute doch etwas ganz anderes. Heute beschäftigen uns andere Probleme, die Probleme der Vollbeschäftigung, das Flüchtlingsproblem, und wir sind Gott sei Dank über die Schwierigkeiten hinweggekommen, die in den ersten Jahren nach dem zweiten furchtbaren Krieg auf uns zukamen.
Meine sehr verehrten Anwesenden, es ist in diesen zehn .Jahren im Bundestag doch nicht so gewesen, als wenn nicht an die Gemeinden gedacht
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worden wäre. Sehen Sie, der Art. 106, den wir geändert haben, hat uns auf alle Fälle einen dynamischen Steuerverbund geschaffen. Dieser dynamische Steuerverbund, der darin besteht, daß die Gemeinden prozentual am Aufkommen der Länder aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer beteiligt werden müssen, wirkt sich jedenfalls in meinem engeren Vaterland Nordrhein-Westfalen so aus, daß jetzt 25 % mehr an Zuweisungen ausgeschüttet werden können. Mir liegt eine Übersicht darüber vor, wie sich der prozentuale, dynamische Steuerverbund in den einzelnen Ländern gestaltet; aber um meine Ausführungen nicht allzu lang werden zu lassen, möchte ich darauf verzichten, ihren Inhalt hier vorzutragen. Immerhin erscheint mir diese Ubersicht so aufschlußreich, daß ich sie — mit Genehmigung des Präsidenten zu Protokoll geben werde.*)
Wir sollten doch froh darüber sein, daß die Auswirkungen des Art. 106 in der Praxis größer waren, als man ursprünglich erwarten konnte. Wir sollten, wenn wir unsere Tätigkeit im Bundestag rückschauend betrachten, auch nicht vergessen, daß noch einige andere wesentliche Dinge geschehen sind. Sie mögen im Verhältnis zu einer großen Finanzreform wenig bedeutend erscheinen; aber sie sind doch beachtlich. Wir — Herr Kollege Heiland war mit dabei — haben seinerzeit z. B. mit dafür gesorgt, daß die Gemeinden bis 3000 Einwohner bei der Konzessionsabgabe nicht mehr diffamiert wurden, sondern daß sie die Konzessionsabgabe wiederbekamen. Wir haben auch bei der Beförderungsteuer recht beachtlich an die gemeindlichen Verkehrsbetriebe gedacht. Allein bei den Straßenbahnen des Wahlkreises Recklinghausen macht die Befreiung von der Beförderungsteuer pro anno 500 000 bis 600 000 DM aus. Wir haben die Umsatzsteuerfreiheit für die kommunalen Versorgungsbetriebe gerettet. Wir haben den Gemeindepfennig eingeführt. Wir haben auch sonst etliche Verbesserungen auf dem Gebiet des Verkehrs geschaffen bzw. noch zu erwarten.
Nun darf nicht vergessen werden, daß, wie in diesem Hause wiederholt ausgeführt worden ist, eine Aufgabenteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden besteht und daß diese Aufgaben in einer Wandlung begriffen sind. Wir hatten heute morgen den Besuch der Oberhäupter einiger bedeutender Großstädte, München, Frankfurt usw. Sie legten uns eindringlich dar, daß auch diese Großstädte ihre Sorgen haben, daß sie z. B. mit dem Problem des Massenverkehrs nicht fertig werden können, wenn sie, nicht in die zweite Ebene gehen. Ich glaube überhaupt, daß die Gemeinden mit den Verkehrsaufgaben nicht fertig werden können und daß hier, wie es der Bundeskanzler ausgedrückt hat, im Zuge des allgemeinen volkswirtschaftlichen Wachstums eine Aufgabe des Bundes erwächst mit den entsprechenden finanziellen Konsequenzen.
In dieser Debatte über die Finanzsituation der Gemeinden darf ich folgenden Satz mit aller Deutlichkeit sagen: Es gibt keine Kollektivnot aller Gemeinden. Die Unterschiede in den gemeindlichen
*) Siehe Anlage 2. Finanzen sind beträchtlich und ungewöhnlich. Bei dieser Situation kommen wir nicht daran vorbei — was auch Professor Hettlage ausgeführt hat —, den Finanzausgleich zu intensivieren.
Der Finanzausgleich beruht einmal auf der unterschiedlichen Steuerkraft. Sie wissen, daß es auf der einen Seite Großstädte wie Wilhelmshaven gibt, das noch vor zwei Jahren ein Gewerbesteueraufkommen von 70 DM pro Kopf der Bevölkerung hatte, und auf der anderen Seite Städte, die ein Gewerbesteueraufkommen von 450, 600 und noch mehr Mark pro Kopf der Bevölkerung zu verzeichnen haben. Also beträchtliche Differenzen in der Steuerkraft sind gar nicht zu leugnen.
Auf der anderen Seite steht überall der normalisierte Bedarf. Es kann und will keiner mehr arm sein, sagte Kollege Dr. Dresbach seinerzeit. Dadurch entsteht eben eine Egalisierung der Ansprüche der Bürger in allen Gemeinden, die zum großen Teil berechtigt sind, und daher auch der normalisierte Bedarf. Darauf beruhte der Popitzsche Finanzausgleich.
Dieser Finanzausgleich kann nicht mehr entfernt werden, er muß gerechter, er muß intensiver, er muß besser gestaltet werden. Aber seien wir froh, daß wir ihn haben. Daß er überhaupt, nachdem er vor 25 Jahren eingeführt wurde, noch funktioniert, ist durchaus beachtenswert.
Was übrigens ,den Ausgleich der Finanzen anlangt, sollte man auch nicht verkennen, daß sich so ein gewisser stiller Finanzausgleich unter den verschiedenen Gebietskörperschaften vollziehen kann. Manche Aufgaben werden — z. B. in Westfalen — auf das Amt übernommen, manche Aufgaben auf den Landkreis, manche Aufgaben sind kraft Gesetzes 'zusätzlich auf den Landschaftsverband zu übernehmen. Auch dieser Finanzausgleich sollte am Rande vermerkt werden.
Ich betone aber noch einmal ganz besonders: der Wandel der Trägerschaft für diese Aufgaben, die Tatsache," daß Aufgabengebiete von den Gemeinden auf den Bund übergehen, vielleicht auch auf die Länder, ist ein beachtliches Zeichen unserer Zeit; daher ja auch die Bemühungen der Länder um den Schulbau, den Straßenbau, um den Krankenhausbau, den Wohnungsbau usw. Daß wir uns heute darüber unterhalten, wie der Finanzausgleich denn in Zukunft gestaltet werden soll, ist ein wesentlicher Erfolg.
Aber ich möchte doch noch einmal betonen: Man kann nicht in Bausch und Bogen sagen, diese Reform hätte schon viel eher kommen müssen. Seien wir doch einmal ehrlich und klopfen wir an unsere eigene Brust. Es ist leicht, der Bundesregierung den Vorwurf mangelnder Aktivität und Initiative zu machen. Wer, so frage ich das Hohe Haus, so frage ich insbesondere auch unsere Freunde von der Opposition, hat es denn bisher überhaupt fertiggebracht, den Stein der Weisen zu entdecken, das Ei des Kolumbus auf den Tisch zu stellen?
Wer hat denn bisher einen Weg gezeigt, auf dem
diese Finanzreform wirklich nach einer Konzeption
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verläuft, und zwar so, daß einmal die Steuerkraftunterschiede gemildert werden, daß zweitens die Selbstverwaltung, die Finanzautonomie der Gemeinden, gestärkt, zumindest nicht verringert wird und daß drittens die Verteilung der Lasten in einer Gemeinde gerechter wird; das heißt, daß nicht nur auf die Grund- und nicht nur auf die Gewerbesteuerzahler, sondern auf alle Bürger irgendeine Last gelegt wird?
Rufen Sie jetzt nicht sofort „Personalsteuer" oder etwas Ähnliches, sondern bedenken Sie doch bitte, daß die kommunalen Spitzenverbände sich redlich um die Lösung dieses Problems bemüht haben. Die kommunalen Spitzenverbände hatten ja einmal eine gemeinsame Konzeption, und ich habe den Verlauf der Hauptausschußsitzung ,des Deutschen Städtetages vor zwei Jahren in Aachen noch klar vor Augen. Dort wurde aus dieser Konzeption ein wesentlicher Teil herausgenommen.
Aber was ist denn nun eigentlich in den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände von einer kommunalen Finanzreform übriggeblieben? Die kommunalen Spitzenverbände konnten sich zum Teil in ihren Forderungen ja auch nicht mehr einig sein. Geblieben ist eigentlich nur die Forderung nach einer Erhöhung der Grundsteuer um 40% bzw. 20 . Das war der letzte reale Vorschlag, und zwar als Junktim mit dem Lücke-Plan.
Nun wollte ich dazu doch noch eines sagen. Wer erlebt hat — das werden mir meine Kollegen von der Opposition ja nicht übelnehmen, obwohl es das gute Recht der Opposition ist —, wie man gegen
I den Lücke-Plan agitiert hat und wie man die geringen Erhöhungen der Altmieten, die längst fällig waren, für untragbar gehalten hat, der weiß doch, daß in diesem Hause die Opposition sicherlich nicht geneigt gewesen wäre, das zu vertreten, was von ihren Freunden im Städtetag gefordert wurde.
Ich glaube nie und nimmer, daß in der Zeit, in der der Lücke-Plan zur Debatte stand, man hier in diesem Hause realistisch verfahren wäre, wenn man gefordert hätte, daß gleichzeitig auch noch sämtliche andere Mieten erhöht werden; denn das wäre ja die Folge einer 40- oder 20 % igen Erhöhung der Grundzahlen bei der Grundsteuergesetzgebung gewesen.
Wir Kommunalpolitiker dürfen also nicht allzu stolz sein und dürfen nicht allzu scharf das verurteilen, was von der Bundesregierung angeblich versäumt worden ist. Auch in unseren Fachkreisen ist bisher noch keine einheitliche Konzeption für eine kommunale Finanzreform vorhanden.
Ich habe ferner darauf hinzuweisen, daß sich die Institute der Universitäten, soweit sie sich mit kommunalpolitischen und kommunalwirtschaftlichen Fragen befassen, in den letzten Jahren eingehend mit dieser Materie beschäftigt haben. Ich erinnere an die Tätigkeit des Wissenschaftlichen Beirates, in dem der Beigeordnete Dr. Sattler damals sehr dazu beigetragen hat, daß eine ganze Reihe von Erkenntnissen sichtbar geworden sind. Ich erinnere an das Buch von Dr. Horster, dem Schüler von
Schmölders. Ich erinnere auch daran, daß wir seinerzeit die Ehre hatten, Herr Dr. Schäfer und ich, als Dozenten bei der kommunalpolitischen Tagung in Speyer mitzuwirken.
Warum sage ich das alles? Ich sage es, um deutlich werden zu lassen, daß in den letzten Jahren zwar schon sehr viel Beachtliches auch von den kommunalpolitischen Vereinigungen der CDU/CSU, der SPD und der FDP, auch in den Fachblättern der kommunalen Spitzenverbände zu dem Thema geschrieben worden ist; aber es ist bisher nicht gelungen, eine klare, einheitliche, realisierbare Konzeption auf den Tisch zu legen. Um so mehr begrüße ich im Namen meiner Freunde die Erklärung der Regierung, und um so mehr freue ich mich darüber, daß Professor Hettlage uns — zumindest in betonten Andeutungen — gesagt hat, welche Gedanken sich der Herr Bundesfinanzminister über eine Lösung dieses großen Problems macht, wie wir den Gemeinden in Ihrer Finanzlage gerecht werden können.
Ich komme zum Schluß und betone noch einmal: Eine kommunale Finanzreform muß folgenden Gesichtspunkten Rechnung tragen. Eine gerechtere Besteuerung unserer Gemeindeeingesessenen muß Wirklichkeit werden. Wir können die sogenannte dritte Steuer nennen, wie wir wollen; auf die Dauer ist auch dem Mittelstand, auch dem Gewerbetreibenden nur gedient, wenn dieses Problem mutig angepackt wird. Eine Erhöhung der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung wäre damit verbunden. Eine Milderung der Steuerkraftunterschiede — das haben wir ja nun schon wiederholt gehört — kann nur durch den Finanzausgleich herbeigeführt werden.
Ich möchte aber mit aller Deutlichkeit noch folgendes sagen: Wenn heute die großen Liebeserklärungen für den gewerblichen Mittelstand und wenn gleichzeitig die Liebeserklärungen für die Gemeinden, und zwar für die kleinen Gemeinden abgegeben werden, dann muß man sich darüber klar sein, wie man das, was in den kleinen und finanzschwachen Gemeinden vor allen Dingen an Steuerausfall entsteht, indem wir dem Mittelstand helfen — und wir wollen ihm helfen —, wieder ausgleichen kann.
Ich habe mir wiederholt erlaubt, einen Vorschlag in dieser Richtung zu machen. Es geht nicht, daß die Länder einfach erklären: Das kommt ja alles durch den Finanzausgleich Popitzscher Prägung in Ordnung. Diese Rechnung geht ja nicht auf, und daher bin ich der Meinung, daß man über die Bildung eines Sonderstocks nachdenken müßte. In diesen Stock müßten auf alle Fälle die Mehreinnahmen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer fließen, die bei dieser Aktion der Erhöhung des Freibetrags für ,den gewerblichen Mittelstand anfallen. Aber es muß noch mehr hinein. Ich freue mich, daß die Bundesregierung von sich aus bereit ist, etliches in ,dieser Richtung zu tun, wenn auch vielleicht in erster Linie für Berlin, wenn auch in zweiter Linie — oder im gleichen Rang — für das Saargebiet. Ich hoffe aber, daß auch für die Allgemeinheit etwas auf diesem Gebiet geschieht und daß dieser Sanderstock gebildet werden kann. Ich hoffe vor allen Dingen aber auch, daß die Länder ihre Pflicht tun und
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in diesen Sonderstock hineinzahlen. Kommen wir doch nicht immer gleich mit verfassungsrechtlichen Bedenken! Mir fällt gerade kein anderes Beispiel ein: Wir haben doch auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Godesberg ist eine Institution, in die Bundes- und Landesmittel hineinfließen; die Mittel werden dann für einen einheitlichen Zweck verwendet. Die Parallele mag nicht gerade glücklich sein. Aber es wäre doch merkwürdig, wenn dieses Haus sich in dem Bemühen einig ist, den Gemeinden das zu ersetzen, was sie nicht entbehren können, und nachdem wir den Art. 106 GG geändert haben, daß es uns nicht gelingen sollte, eine verfassungsrechtlich mögliche Farm zu finden.
Ich komme nun wirklich zum Schluß. Die Auffassung der CDU/CSU ist folgende. Wir wollen freie Gemeinden. Die Gemeindefreiheit kann nur geschützt und erhalten werden, wenn den Gemeinden die Selbstverantwortung, die Selbstverwaltung und die Finanzautonomie nicht eingeschränkt werden. Aber wir wollen in der freien Gemeinde auch die freien Bürger. Wir wollen nicht auf Kasten der freien Bürger gesunde Gemeindefinanzen schaffen, sondern wir wollen den gesund sich entwickelnden Mittelstand, der immer eine tragende Säule des Staatslebens gewesen ist. Wir wollen in unseren freien Städten den freien Bürger in der freien Gemeinde.