Rede von
Dr.
August
Dresbach
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei manchen Ausführungen am heutigen Tage hatte ich den Eindruck, wir wollen das Wort „kommunale Selbstverwaltung" abschaffen und statt dessen „Lokalverwaltung" sagen. Es ist vielleicht etwas vulgär gesagt, wenn ich behaupte, die kommunale Selbstverwaltung, die kommunale Selbstverantwortung erstreckt sich nicht nur auf die Ausgabenseite des Haushalts, sondern auch auf die Einnahmenseite.
Herr Kollege Wienand, ich darf Ihnen die kleine Schmeichelei zurückgeben, die Sie mir dargebracht haben. Sie sind einer der wenigen Abgeordneten gewesen, die auf diesen Zusammenhang hingewiesen haben, vor allen Dingen auch auf die Dotationen und das Betteln in Düsseldorf und anderen Landeshauptstädten vor den Toren der die Fonds verwaltenden Ministerialräte.
Es ist wirklich nicht gleichgültig, woher der Finanzbedarf, oder noch genauer gesagt, der Steuerbedarf einer einzelnen Gemeinde gedeckt wird. Die Gemeindeverbände scheiden bei dieser Betrachtung aus; denn sie sind immer auf Umlagen und Dotationen von oben her angewiesen. Ich darf es jetzt einmal in etwas überspitzter, dialektischer Form sagen: Alle Ausgleiche schwächen prinzipiell die Selbstverantwortung, ob sie nun vom Staate her, von ober her kommen oder sozusagen von der Seite her in Form eines interkommunalen Lastenausgleichs, wie er teilweise auch in der Erklärung der Regierung befürwortet wurde. Aber ich bin mir bewußt, daß es ein Zurück zu Miguel, d. h. zur Finanz- und Steuerautonomie der Einzelgemeinde, nicht mehr geben kann. Ich bin sogar der Meinung, daß der Finanzausgleich, den wir in der Weimarer Republik hatten, recht gut war, auch mit der Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer.
Aber, verehrte Herren Kollegen, wir betreiben hier manchmal das, was wir als alte Waffenstudenten Phantomfechterei nannten. Denn solche Regelungen scheitern doch einfach, wie wir erlebt haben, an der Länderkammer, die sich Bundesrat nennt und die einen direkten Verkehr zwischen Bund und Gemeinden nicht zuläßt. Ich möchte bitten, meine verehrten Herren von der sozialdemokratischen Opposition: Wirken Sie mehr auf die Regierungen, in denen Sie Macht und Stärke haben, ein im Sinne Ihrer Ziele und richten Sie die Angriffe nicht so sehr gegen die Bundesregierung, auch nicht gegen die CDU.
— Verzeihen Sie, aber ich glaube doch, es wäre
nett, wenn man aus den Ländern, die von der So-
7800 Deutscher Bundestag — 3. Wahlperiode — 136. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. Dezember 1960
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zialdemokratie beherrscht werden, einmal eine Initiative erlebte.
Meinetwegen sollte Niedersachsen einmal den Antrag stellen — auch Sie hätten es tun können, als Sie in Nordrhein-Westfalen an der Macht waren —, eine vollzügige Bundesfinanzverwaltung einzurichten. Aber das ist doch nie erfolgt. Es scheint mir so zu sein: es ist fast gleichgültig, wer in den Ländern an der Regierung ist. Sie sind alle von ihrer Macht so trunken, daß sie nichts davon abgeben wollen.
— Ich habe nicht gesagt: „betrunken", sondern ich habe die 'altdeutsche Form „trunken" gebraucht.
Ich habe vorhin den Zwischenruf gemacht, daß wir im Grundgesetz nun einmal das Trennsystem haben, das die Steuerquellen nach den Gebietskörperschaften trennt. Ich darf aber darauf aufmerksam machen, daß wir bei einer Änderung des Art. 106 dieses Trennsystem überwunden haben. Die Körperschaftsteuer und die Einkommensteuer sind nämlich nicht mehr wie ursprünglich Landessteuern, von denen ein Happen auch an den Bund abfällt, wenn er den Etat nicht ausgleichen kann. So war die ursprüngliche Fassung. Sie sind, zwar nicht expressis verbis, aber de facto, Gemeinschaftssteuern geworden. Ich könnte mir vorstellen, daß wir, wenn wir genügend Einfluß beim Bundesrat haben, auch bei der Umsatzsteuer zu einer solchen
Regelung kommen könnten. Allerdings bedarf das einer Änderung des Grundgesetzes.
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dieses Zurück zur vollen Finanzautonomie — ein Ausdruck, den auch Sie, Herr Wienand, gebrauchten — ist nicht mehr möglich; denn solche großen Unterschiede in der öffentlichen Belastung, vor allen Dingen auch in den öffentlichen Verwaltungsleistungen, verträgt die Welt dieser Zeit nicht mehr.
Herr Wienand, wir sind so ungefähr aus denselben Verhältnissen und aus der Nachbarschaft. Wir haben es in meiner Jugendzeit gottergeben hingenommen — wir waren ja immer einfrommes Volk —, daß meinetwegen im Pensionopolis der rheinischen Kapitalisten Godesberg ein Einkommensteuerzuschlag ein 90 % erhoben wurde und wir daheim in unserer Landgemeinde 340 % nötig hatten. Wir haben es gottergeben hingenommen, daß wir nur Straßen hatten, auf denen sich Ochsenfuhrwerke und Fußgänger bewegen konnten, daß wir keine Wasserleitungen und kein elektrisches Licht hatten. Das ist in meinem Heimatdorf erst nach dem ersten Weltkrieg ,gekommen.
Aber die Zeiten sind dahin. An die Stelle der frommen ständischen Auffassung ist das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit getreten, bei dem auch der Neid einen gewissen Motor abgibt. Schön, wir werden eine reine alternative Form in der Gemeindefinanzverfassung nicht mehr, sondern immer ein Mischsystem haben. Nun aber frage ich mich, ab die heutige Finanzverfassung schon Anspruch auf den Begriff eines guten Mischsystems haben kann.
Herr Keuning, es war nett, daß Sie Miquel zitierten; meistens bin ich es, der es tut. Man kann bei der Betrachtung der kommunalen Finanzverhältnisse an Miquel einfach nicht vorbeigehen. Seine Diktion ist von Popitz später übernommen worden. Miguel hatte drei Grundlagen für die Kommunalbesteuerung; es waren der Betrieb, der Boden und die Person. Verehrte Damen und Herren, diese Personenbezogenheit fehlt heutzutage. Als die Erzbergersche Finanzreform 1920 den Gemeinden die Möglichkeiten der Personenbesteuerung nahm, indem sie den Zuschlag zur staatlichen Einkommensteuer durch die Gemeinde beseitigte, da war das in jenen Jahren — ,das hat Herr Keuning durchaus richtig dargestellt — notwendig; denn nach einem verlorenen Krieg bedurfte es einer Verstärkung der Finanzmasse der obersten Körperschaft, die ja Kontrahent bezüglich der Kriegsschuld, der Reparationen war. Aber in jenen Jahren war überall eine gewisse Malaise da, weil gleichzeitig mit dem Wegfall dieser allgemeinen direkten Besteuerung auch für die Gemeinden — wenigstens in Preußen; in Süddeutschland war es nicht nötig — das allgemeine und gleiche Wahlrecht eingeführt wurde.
Wir haben es dann in dem sozialdemokratisch regierten Preußen erlebt, daß eine Art ständisches Element in das System der repräsentativen Demokratie eingeführt wurde, nämlich das Anhörungsrecht der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern bei Beschlüssen der Gemeinden zur Gewerbesteuer. Sie sehen, man hat dort eine Ausflucht in ein an sich fremdes Element versucht, das in 'das reine System der repräsentativen Demokratie, der volonté générale, nicht hineinpaßt.
Dann haben wir seinerzeit in der ersten Brüningschen Notverordnung die Folgerungen aus dieser Malaise gezogen. Sie sah die Bürgersteuer als autonome Steuerquelle - neben der Biersteuer und der Getränkesteuer — vor. Ich habe eben schon dem Kollegen Keuning gesagt, er möchte nicht mit dem Ausdruck „Kopfsteuer", „Negersteuer" operieren. Die Negersteuer war, glaube ich, eine Einheitssteuer pro Kral in der Kolonialwirtschaft. Die Bürgersteuer war nämlich von Anfang an ,schon in der ersten Form, gestaffelt und ist immer wieder verfeinert worden. Im Jahre 1942 ist sie dann in die Reichseinkommensteuer eingebaut worden, damals mit dem unbedingten Versprechen, sie nach Schluß des Krieges wieder aufleben zu lassen. Nach Schluß des Krieges war es eben anders geworden; die Nazis waren Gott sei Dank nicht mehr da, und die Gemeinden waren froh, als sie in den Ländern eine Zeitlang die Bürgersteuerausgleichsbeträge bekamen.
Sie sollten sich deshalb nicht so sehr gegen eine Personalbesteuerung durch die Gemeinden sträuben. Wir haben ja auch das Notopfer Berlin erlebt, das doch etwas Ähnliches 'darstellte, nämlich auch eine Einkommensbesteuerung mit einem etwas gröberen Tarif als die Einkommensteuer. Nach meinem Dafürhalten gehört die allgemeine direkte Steuer nun einmal zum kommunalen Finanzverfassungssystem. Sie entspricht dem genossenschaftlichen,
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gebietskörperschaftlichen Wesen der Gemeinde. Der genossenschaftliche Charakter unterscheidet die Gemeinde vom Staat, wobei ich unter „Staat" den Bund und die Länder verstehe.
Zu einer kommunalen Finanzreform rechne ich auch eine Reform der Einheitswerte, der Besteuerungsgrundlage für die Grundsteuer. Es handelt sich einfach darum, daß wir den Einheitswerten wieder einen ehrlichen Aussagewert geben müssen.
Gestatten Sie mir ein Beispiel! Ich habe mir im Jahre 1954 ein Häuschen gebaut. Das Finanzamt hat mir für dieses Haus nach § 7 b des Einkommensteuergesetzes einen Abschreibungswert von 68 000 DM zugebilligt. Der Einheitswert beträgt 14 600 DM, von demselben Finanzamt festgesetzt. Bei Einfamilienhäusern soll der Einheitswert gleich dem Verkehrswert sein. Ich hoffe, daß, wenn ich mal vom Leben zum Tod gegangen bin und meine Frau ebenfalls, meine Kinder, falls sie das Haus verkaufen müssen, etwas mehr erlösen werden als 14 600 DM.
— Nein, bei Einfamilienhäusern ist der Einheitswert nicht der Ertragswert, sondern der Verkehrswert, lieber Freund! Ich habe Ihnen eben schon gesagt, wenn Sie die Bibel zitieren, müssen Sie sie auch richtig zitieren.
Unter dem Gesichtspunkt, daß die Gemeinden ihre Einnahmen in möglichst großem Maße unter 1) eigener Verantwortung festsetzen sollten, fällt es mir nicht leicht, zu der kommenden Gewerbesteuernovelle ja zu sagen. Ich tue es aber in der Hoffnung, daß diese Novelle zum Gewerbesteuergesetz den Zwang zu solch umfassenden Reformen auslöst, wie sie Ziffer 2 des Antrags der FDP vorsieht. Wenn ich auch nicht geneigt bin, der Ziffer 1 zuzustimmen, — der Ziffer 2 des Antrags Drucksache 2282 möchte ich voll und ganz zustimmen. Die Gewerbesteuernovelle mußte kommen. Der gewerbliche Mittelstand sieht in der Gewerbeertragsteuer, die ja vornehmlich für ihn in Frage kommt, mit Recht eine zusätzliche Einkommensteuer. Aber wir müssen jetzt weiterkommen. Ob es dieser Bundestag noch kann, weiß ich nicht. Die allgemeine Reform der kommunalen Finanzverfassung ist notwendig, und für meinen Geschmack muß sie auch eine kommunale allgemeine direkte Besteuerung enthalten.