Rede von
Dr.
Josef
Stecker
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf eine verfassungsrechtliche Frage eingehen. Herr Kollege Eilers und Herr Kollege Jacobi: Das Schlagwort von dem Bund, der auf Kosten der Gemeinden Geschenke verteile oder sich aus anderer Leute Fell Riemen schneide, wird nicht dadurch zu einem echten Argument, daß es ständig wiederholt wird. Unsere Verfassung, die Sie mit beschlossen haben, gibt dem Bund das Gesetzgebungsrecht für alle Steuern, auch für die kommunalen Steuern. Daraus ergibt sich auch die verfassungsmäßige Pflicht, dann Steuersenkungen vorzunehmen, wenn dafür Gründe bei den Steuerpflichtigen vorliegen. Es kann keine Rede davon sein, daß Geschenke auf anderer Leute Kosten verteilt würden.
Aber für das materielle Steuerrecht, auch für die Gewerbesteuer, hat der Bund das Gesetzgebungsrecht.
— Das ist sehr richtig, Herr Kollege Dresbach, aber ich glaube, daß mein Argument darum nicht schlechter wird.
Ich möchte mich im übrigen mit der Situation unserer Landkreise und Landgemeinden befassen. Das ist in diesem Hause nicht so sehr attraktiv. Man liebt hier mehr, von den „großen Dimensionen" des Daseins zu sprechen, 'die man „in den Griff bekommen" möchte, wie das so schön heißt.
— Nein, keineswegs, Herr Heiland. Wer aus der Welt der kleinen Gemeinden kommt und die Ehre hat, für sie gestaltend tätig zu sein, empfindet das keineswegs als etwa Diminutives, sondern durchaus als ehrenvoll. Auch der Zahl nach nehmen die Landgemeinden keine so unbedeutende Stellung ein, wie man so oft denkt. Noch heute wohnen drei Fünftel unserer Bevölkerung in den Landkreisen. Die Zahl der Einwohner der echten Landgemeinden mit weniger als 3000 Einwohnern ist heute noch größer als die der Großstädte. 90% unserer Landgemeinden haben eben weniger als 3000 Einwohner, sind also noch echte Landgemeinden.
Abgesehen von der Bedeutung der Zahl der Gemeinden ist in den letzten Jahren der Finanzbedarf durch zwei Ereignisse außerordentlich gestiegen. Der Flüchtlingsstrom ergoß sich nach dem Kriege zu 75 bis 80 % in die Landkreise. Im Jahre 1950 wohnten mindestens 75 % der Flüchtlinge in den Landkreisen. Das hat sich nachher verändert; die Landkreise wurden dadurch zwar in quantitativer, aber nicht in qualitativer Hinsicht entlastet: die arbeitsfähigen und arbeitskräftigen jungen Leute sind vom Lande weggezogen. In unseren Landgemeinden sind die oft unterstützungsbedürftigen, die, sagen wir einmal, nicht produktiv mitarbeitenden Menschen zurückgeblieben. Das hat zu einer völligen Veränderung der sozialen Struktur auf dem Lande geführt.
Dazu ist eine zweite Tatsache gekommen, von der heute schon einmal gesprochen worden ist. Bereits seit dem ersten Weltkrieg ist festzustellen, daß auch der Bürger auf dem Lande eine gleichwertige Versorgung mit den Leistungen des öffentlichen Dienstes verlangt. Man mag das begrüßen, oder
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0 man mag es verurteilen. Ich persönlich bin der Meinung, daß die Maxime „Wohlstand für alle" auch durchaus eine brauchbare Maxime für die kommunale Finanzverteilung ist.
— Ja, das kommt gleich, Herr Kollege.
Ich will nun, wenn ich die Situation der Finanzen der Landkreise schildere und untersuche, ob sie den gestiegenen Bedürfnissen entsprechen, keineswegs von einem kommunalen Notstand sprechen, auch nicht bei den Landgemeinden, wie das Herr Kollege Eilers schon einmal getan hat und wie das auch hier geschehen ist.
— Ich spreche von den Landgemeinden allgemein. Herr Professor Hettlage hat doch, Herr Kollege Jacobi, eindrucksvolle Zahlen über die Entwicklung der Finanzen gegeben.
Unsere Landgemeinden haben an der wirtschaftlichen Entwicklung durchaus teilgenommen; das wollen wir nicht verkennen.
— Gewiß, wir sind etwas später gekommen, Herr Brese! Aber, meine Damen und Herren, ich möchte jedenfalls nicht in die Verlegenheit kommen, wenn es einmal wirklich schlechter wird, ein neues Vokabular für die Schilderung der kommunalen Finanzsituation erfinden zu müssen.
Meine Damen und Herren, wir reden im Zusammenhang mit den kommunalen Finanzen so oft und so gern von der Hoheit der Gemeinden. Ich meine, daraus resultiert auch die Pflicht, daß wir uns nicht den Jargon zulegen, dessen sich manche Interessenten in ihren Übertreibungen bedienen.
Manches ist auch in der Tat vom Bund und von den Ländern — —
— Ich bin ja selber an der Klagemauer, Herr Kollege; so schlimm ist das nicht.
Wenn wir die spezielle Situation der Landkreise und ihrer Gemeinden in Relation zur Finanzausstattung und zur Finanzentwicklung in den übrigen Körperschaften setzen, ergibt sich allerdings in der Tat, Herr Kollege Brese, ein ungeheures Gefälle, das sich noch ständig zuungunsten der Landgemeinden verstärkt und das auf die Dauer unerträglich ist, weil es zu einer Minderleistung der kommunalen Dienste auf dem Lande und damit zu einer Verschärfung der Abwanderung vom Lande führt, die wir in keiner Weise wünschen.
Ich möchte da einige spezielle Zahlen in Ergänzung zu den Ausführungen von Herrn Professor Hettlage geben. Die Steuerkraft der Gemeinden unter 3000 Einwohner beträgt — das wurde schon gesagt — nur ein Viertel derjenigen der kreisfreien Städte. Auch unter Einbeziehung des Finanzausgleichs zeigt die Statistik für das Jahr 1956 — das ist das letzte Jahr, von dem ich die Zahl zur Verfügung hatte —, daß die Ausstattung der kreisfreien Städte noch um 70 % höher liegt als die der Landgemeinden.
Ich darf ein spezielles Beispiel aus dem Land Niedersachsen anführen. Da weist ein Landkreis meines Wahlkreises — ich will nicht einseitig eine einzelne Gemeinde herausstellen — mit 65 000 Einwohnern eine Steuerkraft von 38 DM pro Kopf aus und eine Stadt im selben Land eine solche von 630 DM; das ist ungefähr das Zwanzigfache. Darin sehe ich in der Tat das Problem.
— Aber es gibt außerdem noch eine Gemeinde, deren Steuerkraft über 400 DM pro Kopf liegt.
— Nein, damit schade ich nicht, sondern nütze ich den Landgemeinden.
— Ich trage hier meine Meinung vor, und ich glaube, daß sie auch berechtigt ist.
Dann ist auch über die kommunale Verschuldung gesprochen worden. Meine Erfahrung ist die — und das weist ja auch die Statistik aus —, daß die Schuldenlast allein kein Maßstab der Finanzsituation der betreffenden Gemeinde ist. Steuerkräftige Gemeinden sind oft leichter bereit, Schulden zu machen, als es arme Gemeinden sind. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen auch ehrlich sehen, daß bei der Situation der Landgemeinden die mangelnde Steuerkraft vielfach dazu führt, daß beim Bau eines einzigen Kilometers Straße oder einer einzigen Schulklasse oder eines Feuerlöschteichs jede Investitionstätigkeit praktisch für Jahre ruhen muß,
Weil der Kapitaldienst einen so hohen Prozentsatz der Deckungsmasse erreicht, daß man überhaupt keine Schulden mehr machen kann.
— Ich differenziere ja, meine Damen und Herren. Darin sehe ich das Problem der kommunalen Finanzen.
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Das sind die Größenondnungen — ich will das hier nur anreißen —, 'in denen unsere Landgemeinden denken und mit (denen sie rechnen müssen, wobei wir durchaus auch noch die Nöte sehen müssen, die die Städte insbesondere mit dem Verkehrsproblem haben und !die sie auch ,auf anderen Gebieten vor sich sehen.
Dieser Situation kann man nicht durch Schlagworte gerecht werden, sondern nur dadurch, daß den steuerschwachen Gemeinden gleichzeitig mit der Verabschiedung der Gewerbesteuernovelle der Ausfall erstattet wird. Dazu besteht nach meiner Ansicht durchaus eine reale Chance. Der Herr Staatssekretär hat das Steueraufkommen de r Länder angeführt. Wir erkennen daraus, daß die Länder bei ,einigem guten Willen dazu in der Lage sind. Ich glaube auch nicht, daß sich die Länder die Patenschaft über die Gemeinden, auf die sie so sehr Wert Legen, abkaufen lassen. Ich bin darüber hinaus der Meinung, daß sich auch der Bund die Förderung des Gewerbes etwas kosten lassen sollte. Da läßt sich durchaus ein Weg finden, der beiden Interessen gerecht wird.
--- Nein, nein, das ist nur eine andere Aufgliederung. Wir haben ja jetzt schon eine Aufgliederung zwischen Gewerbekapital und Gewerbeertrag. Das Aufkommen aus dem Gewerbekapital beträgt jetzt schon etwa 10 %. Ich stelle mir vor: wenn man das auf 20 % heraufsetzte und 80 % aus dem Ertrag nähme, so wäre das eine bessere Relation.
Wenn wir uns über die gemeindliche Steuerhoheit, über die Mitbeteiligung und die Gemeinde als demokratische Erziehungsstätte — oder was sonst alles für große Worte gebraucht worden sind — einig sind, sollten wir uns auch ernsthaft die Frage eines allgemeinen, an die Person gebundenen, grob nach Einkommen gestaffelten Gemeindebeitrags überlegen.
Das zweite Problem, die Beseitigung oder — sagen wir besser — die Milderung der Finanzkraftunterschiede, erscheint mir noch bedeutungsvoller. Auch ich bin keineswegs für eine Nivellierung. Es muß, um das Leben in der Gemeinde zu erhalten, sicher auch Unterschiede geben, und es müssen auch Unterschiede bleiben. Es wäre auch verfrüht, an dieser Stelle jetzt einen Überblick zu geben, wie man sich insgesamt etwa den Finanz-
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ausgleich denken kann. Ich möchte nur einige Gesichtspunkte hervorheben.
Wie schon Herr Professor Hettlage ausgeführt hat, zwingt die wirtschaftliche Entwicklung, die zumindest auch in einer natürlichen Konzentration liegt, dazu, einen interkommunalen Ausgleich in den Bereich der Überlegungen einzubeziehen. Für viele mag das ein schreckliches Wort sein. Mein Kollege Dresbach sitzt mir hier gegenüber; er wird sich ja auch noch dazu äußern. Ich meine, die Kommunen sollten sich in der Tat zu dieser Solidarität bekennen. Wir haben ja auch schon einen Ausgleich in der Form des Gewerbesteuerausgleichs zwischen Wohn- und Betriebsgemeinden. Es gibt die Abschöpfung über die Landesumlage. Einen sehr interessanten Versuch, finde ich, hat das Saarland mit einer allgemeinen Umlage gemacht, die nach der Steuerkraft erhoben wird und die voll und ganz in die kommunale Schlüsselmasse eingeführt wird.
— Herr Dresbach, Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Ich glaube, daß der Kreis in der Tat eine ganz wesentliche Lastenausgleichsfunktion ausübt, und ich möchte auch sagen, daß manche Anomalien in der Verteilung der Steuern deshalb entstehen, weil man wirtschaftlich zusammengehörige Gebiete auseinanderreißt, indem z. B. in einigen Ländern Städte, wenn sie gerade Kleinstadtformat erreicht haben, schon selbständig, d. h. kreisunmittelbare Städte werden wollen. Das bedeutet, daß sich die Steuerkraft in einer einzigen Gemeinde zusammenfindet und das umliegende Land völlig ohne Finanzkraft bleibt.
Die größere Reform, die natürlich nur im Wege einer Grundgesetzänderung kommen kann, würde auch ich etwa — das ist hier schon öfter angesprochen worden — in dem österreichischen Modell sehen. Das heißt, daß die Gewerbesteuer — wie sie das früher ja auch war, wie sie das bis 1937 in außerpreußischen Ländern vielfach war — eine zwischen Ländern und Gemeinden geteilte Steuer wäre und die Gemeinden dafür an der Einkommen- und Körperschaftsteuer beteiligt würden. Herr Dresbach, ich weiß, Sie werden mir sagen: Sie geben damit das Prinzip der Trennung der Steuerquellen auf! Aber ich glaube, das tun wir gar nicht. Wir haben ja auch jetzt die Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern geteilt. Wir könnten, wenn wir diese Lösung fänden, damit gleichzeitig das Problem der einseitigen Abstützung der gemeindlichen Finanzen auf die Gewerbesteuer lösen. Wir könnten auch ein drittes Problem lösen, dessen Lösung ich für wichtig halte. Die jetzige Regelung der Gewerbesteuer stellt einen Anreiz dar, in die steuerstarken Gemeinden immer noch mehr Gewerbe hineinzuziehen. Dadurch ergeben sich Verfälschungen der Standortkosten, die ganz erheblich sind.
Nun soll man nicht sagen, ich brächte durch meine Ausführungen die Finanzhoheit der Kommunen und damit die Selbstverwaltung in Gefahr.