Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich folgendes bekanntzugeben. Die Fraktion der CDU/CSU hat mit Schreiben vom 15. Juli 1955 mitgeteilt, daß die Abgeordneten Gräfin Finckenstein, Bender, Dr. Eckhardt, Haasler, Kraft, Dr. Dr. Oberländer und Samwer um Aufnahme als Hospitanten gebeten haben und daß die Fraktion diesem Wunsche stattgegeben hat.
Ich rufe auf Punkt 1 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Personalvertretungsgesetz (Drucksache 1605).
Das Wort als Berichterstatter hat der Abgeordnete Sabel.
— Meine Damen und Herren, ich darf um etwas Ruhe für den Herrn Berichterstatter bitten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 24. Juni 1955 beschlossen, bezüglich des vom Deutschen Bundestag am 8. Juni verabschiedeten Personalvertretungsgesetzes den Vermittlungsausschuß gemäß Art. 77 des Grundgesetzes anzurufen. Der Bundesrat hat eine Reihe von Beanstandungen zum Personalvertretungsgesetz erhoben; sie entfallen zur Hälfte auf den Teil des Gesetzes, der sich mit der Regelung des Problems in Bundesverwaltungen beschäftigt, zur anderen Hälfte auf die Rahmenbestimmungen für die Landesgesetzgebung. Im einzelnen ist zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates und zu den Empfehlungen des Vermittlungsausschusses folgendes zu bemerken:
Im § 47 ist vorgesehen, daß die Personalvertretungen in bestimmten Zeitabschnitten der Personalversammlung einen Tätigkeitsbericht zu erstatten haben. Entsprechend der Regelung im Betriebsverfassungsgesetz und entsprechend der Regelung, wie sie dann im Regierungsvorschlag übernommen war, hatte der Bundestag beschlossen, hier vorzusehen, daß solche Personalversammlungen in Zeitabständen von einem Vierteljahr stattfinden sollten. Der Bundesrat hielt es für ausreichend, wenn diese Personalversammlungen in Zeitabständen von einem Jahr stattfinden. Der Vermittlungsausschuß schlägt vor, daß diese obligatorischen Personalversammlungen in Zeitabständen von einem
halben Jahr stattfinden sollen. Dadurch soll sichergestellt werden, daß die Personalvertretungen den
Kontakt zu dem Personal einer Dienststelle halten.
Im § 62 Abs. 3 ist das Initiativrecht des Personalrates enthalten. Hier empfiehlt der Vermittlungsausschuß, dem Vorschlag des Bundesrates auf Neufassung des § 62 Abs. 3 zuzustimmen, da diese Neufassung einer Klarstellung dient. Sie entspricht auch den Beschlüssen des Ausschusses, die vom Bundestag in der dritten Lesung übernommen wurden.
Zu § 62 Abs. 5 und § 63 hatte der Bundesrat eine Änderung bzw. eine Streichung beantragt. In diesen Bestimmungen wird die Frage der Entscheidung in Mitbestimmungsfällen behandelt, sofern eine Verständigung unter den Beteiligten nicht erzielt wird. In den langwierigen Beratungen waren differenzierte Regelungen in Vorschlag gebracht worden. Im wesentlichen handelte es sich darum, ob in echten Streitfällen die letzte Entscheidung bei dem Leiter der Verwaltung liegen soll, also bei einem der beteiligten Partner, oder ob in solchen Fällen die letzte Entscheidung von einer Schiedsstelle getroffen werden soll. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, die genannten Paragraphen in der Fassung der dritten Lesung zu belassen.
In § 66 sind die Mitwirkungsrechte des Personalrates in sozialen Angelegenheiten verankert. Der Bundesrat wünscht, daß die Mitwirkung bei der Gewährung von Unterstützungen und sozialen Zuwendungen von der Zustimmung desjenigen abhängig gemacht werden soll, der einen Antrag auf Unterstützung bzw. auf eine Zuwendung gestellt hat. Der Bundestag hatte ein Mitwirkungsrecht des Personalrates vorgeschlagen, da er der Meinung war, daß der Personalrat darüber zu wachen habe, daß bei der Gewährung von Unterstützungen und sozialen Zuwendungen gerecht verfahren werde. Der Vermittlungsausschuß glaubt, daß § 66 Abs. 2 dem Personalrat die Möglichkeit gibt, generell den Überblick über die Leistungen von Unterstützungen und sozialen Zuwendungen zu erhalten; er habe dann die Möglichkeit, auf eine gerechte Verteilung hinzuwirken. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, dem Antrag des Bundesrates zu folgen und § 66 Abs. 1 zu ergänzen, wie vorgeschlagen.
Zu § 66 Abs. 3 ist vom Bundesrat ein ähnlicher Vorschlag gemacht worden. Hier geht es um die Frage der Mitwirkung des Personalrates in den Fällen, wo gegen einen Bediensteten Ersatzansprüche gestellt werden. Hier hat der Vermittlungsausschuß einstimmig dem Vorschlag des Bundesrates zugestimmt, die Mitwirkung abhängig zu machen von dem Antrag des Bediensteten, um den es im Einzelfall geht.
In § 71 Abs. 1 wird das Mitbestimmungsrecht in Personalangelegenheiten der Angestellten und Arbeiter angesprochen. Hier beantragte der Bundesrat, Abs. 1 Buchstabe a, d. h. die Mitbestimmung bei der Einstellung von Angestellten und Arbeitern, zu streichen. Der Vermittlungsausschuß empfiehlt, diese Bestimmung in den § 70 Abs. 1 Buchstabe b Ziffer 1 einzufügen. Das bedeutet eine Reduzierung der bisherigen Mitbestimmungsrechte bei der Einstellung von Angestellten und Arbeitern auf ein Mitwirkungsrecht.
In § 71 Abs. 2 soll nach den Vorschlägen des Vermittlungsausschusses ein neuer Buchstabe a eingefügt werden. Hier handelt es sich um die Wiederherstellung der Regierungsvorlage bei der Aufzählurig der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen für die Inanspruchnahme des Mitbestimmungsrechtes in personellen Fragen der Angestellten und Arbeiter und teilweise beim Mitwirkungsrecht in personellen Fragen der Beamten.
Zu § 77: Dem Änderungsvorschlag des Bundesrates stimmt der Vermittlungsausschuß zu. Die Rücksichtnahme auf den differenzierten Verwaltungsaufbau bzw. die differenzierte Ressortverteilung in den Ländern läßt diese Regelung zweckmäßig erscheinen.
In § 80 ist die Frage geregelt, ob Rechtsverordnungen — insbesondere die Wahlvorschriften — mit oder ohne Zustimmung des Bundesrates zu erlassen sind. Da es sich nur um Regelungen für Bundesbedienstete und Bundesverwaltungen handelt, empfiehlt der Vermittlungsausschuß hier, entsprechend dem Wunsche des Bundesrates, festzulegen, daß die in § 80 genannte Rechtsverordnung nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Nun noch einige Bemerkungen zu den Änderungsvorschlägen für die Rahmenbestimmungen. In der Gesetzesfassung der dritten Lesung war in § 82 Abs. 2 vorgesehen, daß die Länder bis zum Ablauf einer bestimmten Frist den Rahmenvorschriften entsprechende gesetzliche Regelungen treffen sollten; andernfalls sollten die §§ 83 bis 95 in den Verwaltungen der Länder unmittelbar gelten. Der Bundesrat war der Auffassung, es sollte entsprechend den Beschlüssen des Bundesrates zum Beamtenrechtsrahmengesetz auch hier keine bestimmte Frist bezüglich der unmittelbaren Geltung der Rahmenvorschriften vorgesehen werden. Der Vermittlungsausschuß hat dem Vorschlag des Bundesrates mit Mehrheit zugestimmt. Es soll dabei jedoch erklärt werden, daß es sich um kein Präjudiz für die Beschlußfassung zu § 121 der Regierungsvorlage für das Beamtenrechtsrahmengesetz handelt.
Zu § 83 wurde dem Vorschlag des Bundesrates für eine Neufassung zugestimmt, doch wurden auch die Gerichte noch in die Aufzählung der Verwaltungen aufgenommen, in denen Personalvertretungen nach diesem Gesetz zu bilden sind. Im zweiten Halbsatz des Abs. 1 Satz 1 wird sichergestellt, daß für bestimmte Dienststellen, z. B. für die Polizei sowie für Dienststellen, die bildenden, wissenschaftlichen und künstlerischen Zwecken dienen, besondere Regelungen vorgesehen werden können. Die Annahme dieses Vorschlages des Bundesrates macht es notwendig, den § 95 zu streichen, weil hier das gleiche Problem angesprochen wird.
Der Bundesrat hatte zu § 83 noch vorgeschlagen, in Abs. 1 den Satz 2 zu streichen. Dieser Satz lautet:
Die Bildung von Stufenvertretungen und Gesamtpersonalräten ist vorzusehen.
Der Vermittlungsausschuß hat dem Vorschlag des Bundesrates entsprochen. Dabei wurde vereinbart, daß der Berichterstatter darauf hinweisen solle, mit der Annahme des Vorschlages des Bundesrates solle nicht zum Ausdruck kommen, daß die Bildung von Stufenvertretungen und Gesamtpersonalräten nicht notwendig sei, vielmehr solle das der Überprüfung durch die Länder vorbehalten bleiben.
Zu § 84 empfiehlt der Vermittlungsausschuß die Beibehaltung der Formulierung entsprechend den Beschlüssen der dritten Lesung. Es geht hier um die Festlegung des Grundsatzes, daß bei Vorliegen mehrerer Wahlvorschläge zur Wahl von Personal-
vertretungen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden soll. Ein Abweichen von der Regelung im Betriebsverfassungsgesetz und im Zweiten Kapitel des Personalvertretungsgesetzes erschien dem Vermittlungsausschuß nicht zweckmäßig.
Zu § 87 empfiehlt der Vermittlungsausschuß, dem Vorschlag des Bundesrates nicht zu folgen, d. h. die Absätze 1 und 3 in der Fassung der dritten Lesung zu belassen.
Zu § 88 empfiehlt der Vermittlungsausschuß, dem Vorschlag des Bundesrates zuzustimmen, der dahin geht, den Abs. 3 zu streichen. Der Bundesrat ist hier der Meinung, daß die Vorschrift über den Charakter einer Rahmenvorschrift hinausgehe; man solle die Regelung deshalb den Ländern überlassen.
Wesentlich ist noch der § 90. Darin ist der Katalog der Fragen enthalten, bei denen den Personalvertretungen Beteiligungsrechte zugebilligt werden sollen, ohne allerdings die Form des Beteiligungsrechtes zu bestimmen. Der Bundesrat hatte die Streichung des § 90 mit der Begründung verlangt, daß die darin vorgesehene Regelung über das verfassungsrechtlich zulässige Maß bundesgesetzlicher Regelung hinausgehe. Der Vermittlungsausschuß schlägt hier eine Generalklausel vor, in welcher festgelegt ist, daß die Personalvertretungen in innerdienstlichen, sozialen und personellen Angelegenheiten zu beteiligen sind, wobei eine Regelung angestrebt werden soll, wie sie für die Personalvertretungen in den Bundesbehörden nach diesem Gesetz festgelegt wird. Somit ist den Ländern die Aufgabe zugewiesen, die Beteiligungsrechte ihrer Personalvertretungen zu regeln, wobei die Regelung für die Bundesbediensteten Beispiel sein soll.
Zu § 91 empfiehlt der Vermittlungsausschuß, dem Vorschlag des Bundesrats nicht zu folgen, d. h. den § 91 in der bisherigen Fassung des Gesetzes zu belassen.
§ 101 behandelt lediglich noch die Berlin-Klausel. Hier wird dem Änderungsvorschlag des Bundesrats zugestimmt.
Gemäß § 10 Abs. 3 seiner Geschäftsordnung hat der Vermittlungsausschuß festgelegt, daß über den Vermittlungsvorschlag gemeinsam abzustimmen ist. Namens des Vermittlungsausschusses darf ich Sie um die Zustimmung zu dem Vermittlungsvorschlag bitten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wird das Wort zur Abgabe von Erklärungen gemäß § 10 der gemeinsamen Geschäftsordnung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich darf noch darauf hinweisen, daß hier ein Druckfehler vorliegt. In Ziffer 12 muß in § 98 nach den Worten „in innerdienstlichen" und vor den Worten „sozialen und persönlichen Angelegenheiten" das Komma gestrichen werden. Mit dieser redaktionellen Änderung stelle ich den Antrag des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 1605 zur Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe! — Enthaltungen? —Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Gemäß § 47 der Geschäftsordnung hat das Wort zur
Abgabe einer Erklärung
der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Vor Beginn der Genfer Konferenz irgend etwas zu sagen, was die Verhandlungen stören oder sogar einen wirklichen Erfolg gefährden könnte, liegt mir fern. Ich halte es aber für notwendig, im Hinblick auf in der letzten Zeit lautgewordene Äußerungen folgendes vor dem Bundestag in seiner letzten Sitzung vor den Ferien zu erklären.
Ein europäisches Sicherheitssystem, das die Beibehaltung der Teilung Deutschlands vorsieht, ist für uns unannehmbar.
Ein solches System würde die Teilung Deutschlands für eine gar nicht zu schätzende Zeit festlegen. Es würde dadurch Europa keine Sicherheit gegeben. Auf der Außerachtlassung einer so tief im deutschen Volk verankerten Forderung kann niemals ein Sicherheitssystem aufgerichtet werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion möchte ich zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers folgendes feststellen: Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt den Zusammentritt der Genfer Konferenz, und sie hofft, daß diese Konferenz im Interesse der internationalen Entspannung und der Lösung der Frage der Wiedervereinigung Deutschlands zu einem Erfolg führt. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion teilt die Auffassung des Herrn Bundeskanzlers, daß ein europäisches Sicherheitssystem, das die Beibehaltung der Teilung Deutschlands vorsieht, für das deutsche Volk unannehmbar wäre.
Aber gerade aus dieser Überzeugung hält es die sozialdemokratische Bundestagsfraktion in diesem Augenblick für notwendig, darauf hinzuweisen, daß die Zeit zum Handeln in der Frage der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands jetzt gekommen ist.
Es muß und kann ein Weg gefunden werden, der zu diesem Ziel führt. Der Beitrag, der von den vier früheren Besatzungsmächten geleistet werden kann, muß darauf hinauslaufen, daß von allen Seiten die Versuche eingestellt werden, die deutschen Teilstaaten oder ganz Deutschland jeweils in das Militärsystem des Ostens oder des Westens eingliedern zu wollen.
Wenn sich die vier Verhandlungsmächte in Genf auf die Einstellung solcher Versuche einigen könnten, würde der in letzter Zeit spürbar gewordene Prozeß der internationalen Entspannung eine wesentliche Förderung erfahren.
Wer den Status quo mit seinen Gefahren für den Frieden überwinden will, der muß auch bereit sein, die Bindungen der Bundesrepublik und der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands an die Militärsysteme in West und Ost, NATO und WarschauerPakt-Organisation, zur Erörterung zu stellen.
Mit dem Verzicht auf die Eingliederung der Bundesrepublik und der sowjetisch besetzten Zone und später des wiedervereinigten Deutschlands in ein Militärsystem des Ostens oder des Westens wäre gleichzeitig die Möglichkeit gegeben, im Rahmen der Vereinten Nationen ein System zu schaffen, das das berechtigte Sicherheitsbedürfnis unseres Volkes und der anderen Staaten befriedigt. Die Bundesregierung hat in dieser Situation die Pflicht, jede sich bietende Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit durch eigene Vorschläge in dieser Richtung zu nutzen.
Das Wort wird weiter nicht begehrt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften (Drucksachen 1600, 1467).
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Cillien.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Wie jeder, der an dieses Pult tritt, so habe auch ich den dringenden Wunsch, daß ich mit meinen Ausführungen verstanden werde, und zwar nicht in dem flüchtigen Sinne stimmlicher Art, sondern auch hinsichtlich meiner Beweggründe. Ich habe nicht die Absicht, zu dem vorliegenden Freiwilligengesetz in der dritten Lesung noch im einzelnen ausführlich Stellung zu nehmen. Das ist ausführlich in den zwei Lesungen und in den Beratungen der Ausschüsse geschehen. Ich habe vielmehr die Absicht, in dieser sehr ernsten Schicksalsstunde des deutschen Volkes einige sehr grundlegende und besinnliche Ausführungen zu machen, wie sie nach meinem Dafürhalten der Verantwortung angemessen sind, die wir gemeinsam zu tragen haben. Ich habe nicht die Absicht, Stoff zu liefern zu einer Auseinandersetzung, sondern zu einer Verständigung.
Aus diesem Grunde und nur zu diesem Zwecke darf ich mir die persönliche Bemerkung erlauben, daß ich den ersten Weltkrieg als Freiwilliger zugleich mit sechs Brüdern mitgemacht habe. Viele von uns erinnern sich gewiß noch daran, was in jenen Kriegsfreiwilligen an einer inneren Bereitschaft steckte, an einer Hingabe, an einer Treue zu dem, was man damals „vaterländisches Ideal" nannte. Selbst in der Bezeichnung „Kriegsmutwilliger", die ja die alten Leute der Kompanien und Schwadronen gerne benutzten, steckte doch immer noch ein Stück Hochachtung vor diesen jungen Menschen.
Ich halte die Bestrebungen, unser Volk in irgendeiner Weise geschichtslos zu machen, ganz allgemein für bedenklich, und ich halte all die Versuche für verderblich und gefährlich, einzelne Perioden deutscher Geschichte irgendwie ausmerzen zu wollen. Die ganze deutsche Geschichte ist unser Schicksal, und wir haben uns mit ihr auseinanderzusetzen und sie zu tragen in ihren Höhepunkten und in ihren Tiefpunkten. Aus diesem Grunde liegt es mir nahe, hier das Wort von jenen Kriegsfreiwilligen doch einmal in diesem Augenblick zu gebrauchen, wo wir vor der Notwendigkeit stehen, ein neues erstes Soldatengesetz zu verabschieden. Wie kurz ist die Spanne Zeit seit jenen Jahren und wie tief und aufwühlend der Unterschied in der Beurteilung und in der Betrachtung jener Menschen und jener Ereignisse! Seit jenen Jahren ist das deutsche Soldatentum zweimal durch Schande und durch Schmach hindurchgegangen. Zweimal hat das deutsche Volk den starken Willen und den heißen Wunsch gehabt: „Nie wieder Krieg!", und weite Teile haben sich völlig abgewandt von jedem militärischen Denken. Es wäre gut und schön gewesen, wenn sich das erfüllt hätte, was 'wir gemeinsam erhofften und ersehnten. Aber vor einem möchte ich warnen und spreche es ganz offen aus: es wäre unverantwortlich, wenn wir uns bei dieser Arbeit, die jetzt vor uns liegt, und bei den Pflichten, die auf uns warten, abwenden wollten von jenen Werten echten, tapferen, hingebungsvollen Soldatentums, wie es in der deutschen Geschichte so oft hervorragend in Erscheinung getreten ist.
Ich würde eine solche Abwendung als einen Verzicht an Selbstachtung betrachten, ohne die eine Nation nicht in Ehren zu bestehen vermag.
Es sei mir erlaubt, nun einige allgemeine Feststellungen zu machen. Wir sind uns im ganzen Hause, wir sind uns in allen Schichten unseres Volkes darin einig: wir hätten es gewünscht, daß wir ein solches Gesetz und seine Nachfolgegesetze niemals hätten zu beschließen brauchen.
Aber die geschichtliche Entwicklung seit dem Jahre 1945 ist anders gelaufen, als wir es uns gedacht und als manche es sich erträumt hatten, die sich niemals dazu veranlaßt sahen, mit den Realitäten und Wirklichkeiten des menschlichen Lebens und des Völkerlebens zu rechnen. Uns sind schwere Enttäuschungen bereitet worden. Aber diese Enttäuschungen entbinden uns nicht von der Verantwortung, für den Frieden und die Wohlfahrt unseres Volkes zu sorgen. Genauso wie wir in jenen chaotischen Zeiten vor zehn Jahren die Arme nicht haben sinken lassen, sondern darangegangen sind — unterstützt, und das unterstreiche ich mit aller Betonung, von allen Berufen, Klassen und Schichten unseres Volkes —, dennoch einen Aufbau zu wagen, haben wir auch jetzt die Verpflichtung, in keinem Augenblick die Sicherheit und den Frieden unseres Volkes aus den Augen zu lassen.
Dabei verschweige ich nicht, daß auch wir — und damit meine ich jetzt einmal meine politischen Freunde — unter denselben Belastungen und vor schwerwiegenden Fragen stehen, die augenblicklich unser ganzes Volk bewegen. Wir nehmen an all der Ungesichertheit unserer Existenz teil und haben schwere Sorgen über das, was etwa an dem europäischen oder am Himmel der gesamten Völkerwelt heraufzieht.
Ich greife aus den besonderen Fragen drei einzelne Fragen heraus, die ja landauf, landab erör-
tert werden. Ist ein Verteidigungsbeitrag des deutschen Volkes in der Situation, in der wir stehen, angebracht? Könnte nicht darauf verzichtet werden, eben weil wir den Frieden und nichts als den Frieden wollen? Es hieße doch, sich einer gefährlichen Täuschung sowohl über die Natur des einzelnen Menschen wie über die Natur der Völker hingeben, wenn wir uns auf irgendwelche Versprechungen oder irgendwelche Worte hin der Sicherheit begeben wollten, die wir zu erstreben verpflichtet sind. Wir glauben - und das haben wir in diesen vergangenen Jahren unentwegt verfolgt —, daß das Mindestmaß an Sicherung für unser Volk am ehesten gewährleistet wird, wenn wir nicht wie in vergangenen Jahren deutscher Geschichte allein in der Weltgeschichte stehen, allein vertrauend auf unsere Kraft und unser Können, sondern wenn wir uns bemühen um Freunde und Genossen, wenn wir uns in die Gemeinschaft der freien Völker hineinstellen und wenn wir mit ihnen zusammenwirken für dieses große gemeinsame Ziel. Wer so eine Partnerschaft erstrebt, um ein hohes Ziel zu verwirklichen, kann sich dann allerdings nicht von den Pflichten, von den Opfern dispensieren, die in einer solchen Gemeinschaft gefordert werden müssen.
Dazu gehört eben, daß auch wir den bescheidenen Verteidigungsbeitrag leisten, wie er unseren Kräften entspricht.
Ebenso schwer, ebenso bedrohlich ist die andere Frage, ob es in einer Zeit einer atomaren Bedrohung des ganzen Weltgeschehens überhaupt noch sinnvoll ist, sich über einen Verteidigungsbeitrag zu unterhalten. Wir werden heute im Laufe des Tages noch einen besonderen Bericht über die Erfahrungen der letzten Manöver hören, die sich über dem Raum unseres Volkes abgespielt haben. Ich verstehe es menschlich durchaus, wenn der eine oder andere sagt: Was sollen solche kleinen Abwehrmittel bei einer solchen radikalen Bedrohung des ganzen Globus, auf dem wir leben? Ist es nicht einfach sinnlos, hier Geld und Kraft in ein Unternehmen zu vergeuden, das doch hoffnungslos ist? Meine Damen, meine Herren, ich streiche nichts ab von dem, was erfahrene Menschen über die Vernichtungskraft dessen zu sagen wissen, was auch menschlicher Geist erfunden hat. Aber ich wende mich sehr viel lieber auch den Dingen zu, die auch von Menschen unternommen werden und die dahin zielen, dieses Verderben von uns abzuwehren. Ich glaube, daß bei aller Bedrohung der Welt und bei aller Spannung auch die Bereitschaft der Völker, aufeinander zu hören und einander zu helfen, niemals so groß gewesen ist wie heute. Wir selbst haben es spüren dürfen, und die Verbindung untereinander ist so groß und so lebendig geworden, wie nie zuvor. Wir spüren, wie wir aufeinander angewiesen sind, und sind bereit, miteinander zu reden und nach den besten Möglichkeiten zu einer gemeinsamen Wohlfahrt der Welt zu suchen.
Ich gehöre auch zu denen, die von dem Geschehen in Genf eine weitere Förderung dessen erwarten, was allen Menschen dieser krummen Erde am Herzen liegt. Sollte nicht gerade der letzte grausige Krieg und das, was wir von einem bevorstehenden etwa ahnen können, auch dazu dienen, daß der Krieg den Krieg verschlingt, ihn unmöglich macht?
Ich möchte nicht, daß wir bei dieser wirklich nüchternen und notwendigen Betrachtung über all die Kräfte des Herzens, die auch lebendig sind,
über die sittlichen, die moralischen, die geistigen
und die geistlichen Kräfte einfach hinweggehen,
die nicht nur in unserem Volk, sondern überall
lebendig sind, um das Unheil von uns abzuwenden.
Ich glaube, es entspricht unserer gemeinsamen Überzeugung, daß es nicht nur irgendwie eine alte Gewohnheit ist, wenn die Menschheit aufgerufen worden ist, sich vor dieser Tagung in Genf in einem fürbittenden Gebet für den Weltfrieden einzusetzen.
Ich glaube, daß diese geistigen und geistlichen
Kräfte lebendig sind und stärker sind als die radikalen Ströme und Bewegungen der Vernichtung.
Lassen Sie mich's an einem kleinen Beispiel deutlich machen, das mich vorgestern so bewegt hat. Eine Dame, die dabei ist, sich ein Haus zu bauen, erzählte mir, sie seien an dem weiteren Ausbau gehindert — ich dachte, sie würde sagen: weil das Geld oder die Materialien fehlten, nein: weil ein Rotschwänzchenpaar ein Nest in ihrem werdenden Bau gebaut hätte, und deshalb könne der Bau nicht vollendet werden. Das mag sentimental klingen; es ist mir ein Beweis dafür, daß die Kräfte des Mitleids und der Barmherzigkeit nicht ausgestorben sind
und daß die Menschen bereit sind, Opfer an Zeit und Geld zu bringen, um die Brut eines Rotschwänzchenpaares am Leben zu erhalten. Wo solche Gedanken und solche starken Gefühle lebendig sind, da ist nach meinem Dafürhalten auch noch etwas anderes lebendig, was allerdings noch wichtiger und durchschlagender ist: da ist auch die Achtung vor dem Herrn des Lebens selber lebendig, der das Leben gegeben hat und erhalten wissen will.
Es bewegt uns auch noch eine ganz andere Frage, die bei der Verwirklichung dieses Gesetzes in der Praxis von einer ganz großen und entscheidenden Bedeutung ist; sie lautet ganz einfach so: Wie wird unsere Jugend, von der dieses Opfer gefordert werden soll, dieses Gesetz hinnehmen? Ist sie bereit dazu? Hält sie eine Verteidigung dessen, was jetzt ihr Leben umschließt, für sinnvoll und wertvoll? Meine Damen, meine Herren, es gibt viele Fragen, letzte Fragen des menschlichen Lebens, die mit Hilfe solcher rationalen Erwägungen nicht beantwortet werden können. Deshalb liegt es mir auch völlig fern, in einer solchen Diskussion etwa darauf hinzuweisen, wieweit wir es gebracht haben seit dem Chaos und seit dem Zusammenbruch jener Jahre, was alles erreicht worden ist, wie auch für die Jugend gesorgt und wie sie wieder in ganz andere Lebensverhältnisse hineingebracht worden ist, als sie selber vielleicht damals ahnen konnte. Wir haben vieles erreicht; da ist gar kein Zweifel. Aber wo Opfer nur vom Materiellen her begründet werden, da handelt es sich nicht um echte Opfer und um echten Einsatz.
Erlauben Sie mir, daß ich das, was mich in diesem Augenblick bewegt, auch durch ein kleines Erlebnis zu verdeutlichen versuche.
Ich habe vor einigen Jahren in einer Versammlung gesprochen, wie wir alle es tun, und habe dort versucht, ebenso wie wir es alle tun, mit Kräften des Verstandes und des Herzens zu reden über die Nöte und über die Schwierigkeiten unseres Volkes und über die Auswege, die wir planen, und die Taten, die wir vollbringen wollen. Daran schloß sich eine Aussprache an — und wieder sage ich: wie es uns meistens allen passiert — mit Fragen, die aus einem ganz kleinen und persönlichen Interesse herauskamen, Fragen, die einen etwas ernüchtern, wenn man an die großen Schicksalsfragen unseres Volkes dachte. Zum Schluß meldete sich dann noch ein junger Mensch, ein Heimkehrer. Ich muß gestehen, ich war etwas verdrießlich, daß nun noch solch ein ähnlicher Beitrag geleistet werden sollte. Am Schluß habe ich aussprechen dürfen — leider war es nur das einzige Mal —, daß den besten Beitrag dieses Abends jener junge Heimkehrer mit seinen kurzen Ausführungen geleistet hatte. Er war der einzige, der gesagt hatte: mein Volk, mein Vaterland. Das ist etwas, was uns weithin fehlt. Diese distanzierte Betrachtung unseres Schicksals, dieses Reden: Bonn, Bonn, wie wenn man auf dem Monde säße und nicht mit verpflichtet wäre, an dem Schicksal unseres Volkes Anteil zu nehmen!
Das kann nicht erreicht werden durch irgendwelche Gesetze und Vorschriften. Auch die Brut jener Rotschwänzchen — ich gebrauche das ruhig noch einmal, trotz dieses Zwischenrufes vorhin —,
auch das Schicksal dieses Rotschwänzchenpaares kann nicht gesichert werden durch die Bestimmungen des Tierschutzvereins. Ebensowenig kann das, was wir hier wünschen, nämlich der Schutz, die Einheit, der Frieden für unser Volk durch solche Gesetze erreicht werden, die wir beschließen. Diese Dinge können nur geschützt und gefördert werden durch das lebendige Beispiel und durch das Vorbild, und das ist die Aufgabe ganz besonders eines Parlaments in einer repräsentativen Demokratie.
Ich habe es deshalb mit ganz besonderer Freude verfolgt, wie bei den Beratungen dieser Gesetze sich doch, insonderheit in den Ausschüssen, erfreuliche Ansätze für eine gemeinsame Zusammenarbeit, zum Tragen gemeinsamer Verantwortung gezeigt haben.
Ich stehe nicht an, all den Kollegen und Kolleginnnen zu danken, die bei aller Differenziertheit ihrer politischen Anschauungen ein großes gemeinsames Ziel, eine gemeinsame Verantwortung für Deutschland gesehen haben.
Das bedeutet in keiner Weise eine Verflachung der politischen Auseinandersetzungen.
Ich erinnere mich mit Dank daran, daß von dieser Stelle einmal einer meiner Kollegen gesagt hat: Es kann für eine politische Überzeugung, für eine politische Ansicht nicht Gültigkeit für jedermann verlangt werden. Die Richtigkeit politischer Anschauungen kann nicht bewiesen werden. Ich füge dem hinzu: Aber nur dort, wo eine hohe Achtung vor den Überzeugungen und den politischen Ansichten des andern besteht, ist auch der Boden für eine fruchtbare Aussprache bereitet.
Und wenn das als gemeinsame Verpflichtung unserem armen, geschlagenen Volke gegenüber stärker sichtbar würde, als wir es bislang erfahren durften, müßte das auch zum Brückenschlagen, zum Überbrücken der Gegensätze, die nun einmal da sind, beitragen. Wir werden auch in Zukunft Differenzen untereinander haben, und diese müssen ausgetragen werden. Aber ich habe, entschuldigen Sie, nachdem ich nun zehn Jahre im parlamentarischen Leben stehe, die Vorstellung, als wenn auch da Reformen durchaus möglich und nötig wären.
Der Beitrag muß von allen gemeinsam geleistet werden. Nur so werden wir der jungen Generation, von der wir in besonderer Weise Opfer fordern, nahebringen können, daß es sich doch lohnt, für dieses Volk, für dieses Vaterland einzustehen, ohne zu fragen: „Was bringt es mir?", „Lohnt es sich?", „Komme ich damit weiter?".
Aus all diesen Gründen, aus einer fest fundierten und immer wieder überprüften politischen Überzeugung sind meine Freunde bereit, diesem ersten Soldatengesetz ihre Zustimmung zu geben. Sie tun es gerade auch deshalb, weil in diesem Hause in seiner ganzen Breite Leitbilder für den künftigen deutschen Soldaten vorhanden sind, die uns mit Zuversicht erfüllen können. Wir sind alle gewillt, diesem deutschen Soldaten eine würdige und ehrenhafte Stellung in unserem bürgerlichen Leben zu gewähren.
Wir sind alle entschlossen, dazu beizutragen, daß Überwucherungen, wie sie einmal vorhanden gewesen sind, nicht wieder einzutreten vermögen.
Ziel bleibt für uns die Sicherung des Friedens, die Erhaltung unserer Freiheit. Wir glauben, daß wir gerade auf diesem Wege das verwirklichen, was uns zutiefst am Herzen liegt: die beiden getrennten Teile Deutschlands wieder zusammenzufügen zu einem gemeinsamen Vaterland.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Mellies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der ersten Lesung dieses Gesetzes hat mein Freund Arndt seine Ausführungen mit den Worten eingeleitet: Nicht jetzt und nicht so! Auch nach den Ausschußberatungen und der zweiten Lesung im Plenum ist diese Formulierung für die Haltung der sozialdemokratischen Fraktion bestimmend.
„Nicht jetzt!": Wahrscheinlich wird in späteren Jahren niemand verstehen, daß das deutsche Volk gerade am Vorabend der Genfer Konferenz diesen Schritt getan hat.
Der Bundeskanzler wünscht diese Verabschiedung aus außenpolitischen Gründen. Er ist der Ansicht, daß man den Westen davon überzeugen müsse, daß Deutschland gewillt sei, die Verträge zu erfüllen.
In der ersten Lesung des Gesetzes hat die sozialdemokratische Fraktion mehrfach darauf hingewiesen, daß auch sie die Tatsache anerkenne, daß durch die Pariser Verträge völkerrechtliche Bindungen für die Bundesrepublik geschaffen seien. Aber, meine Damen und Herren, bedeutet das gleichzeitig, daß man bei der Durchführung der vertraglichen Bestimmungen eine solche hektische Eile an den Tag legen muß? Bedeutet das angesichts der Genfer Konferenz nicht vielmehr für die Welt die Festlegung in einer bestimmten Richtung? Der Bundeskanzler hat in der letzten Woche noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das deutsche Volk hinsichtlich der außenpolitischen Entwicklung Geduld haben müsse. Wir wünschten nur, meine Damen und Herren, man hätte auch in dieser Frage etwas mehr Geduld gehabt.
In einem Punkt allerdings — das darf ich gleich hinzufügen — hätten wir der Politik der Bundesregierung viel mehr Ungeduld gewünscht, nämlich in der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit.
Wenn es richtig ist, daß politische Entwicklungen auch einmal mit Geduld betrachtet werden müssen, — in dieser wichtigen und für uns entscheidenden Frage muß die Welt davon überzeugt werden, daß das deutsche Volk und seine Regierung von einer solchen Ungeduld erfüllt sind, daß niemand an dieser Ungeduld vorübergehen kann.
Anstatt die Eile bei dieser Gesetzgebung an den Tag zu legen, hätte man sich nach unserer Auffassung lieber bemühen sollen, alle Kräfte zu fördern und zu stärken, die im Augenblick in starkem Maße für die Entspannung und friedliche Entwicklung in der Welt tätig sind.
Wir bedauern es außerordentlich, daß der Bundeskanzler nicht alle Anstrengungen gemacht hat, den indischen Ministerpräsidenten Nehru zu einem Besuch der Bundesrepublik zu bewegen.
Hier liegt eines der großen Versäumnisse der deutschen Außenpolitik in der Nachkriegszeit.
Wir können froh sein, meine Damen und Herren, daß Tausende von Deutschen durch die großartige Begrüßung Nehrus auf dem Düsseldorfer Flughafen dieses Versagen des Bundeskanzlers wieder wettgemacht haben.
In Düsseldorf hat der indische Ministerpräsident durch die jubelnde Begrüßung der Tausende die wirkliche Stimmung des deutschen Volkes kennengelernt. Das deutsche Volk ist dem indischen Ministerpräsidenten außerordentlich dankbar dafür, daß er keine Mühen und Strapazen scheut, um durch Besuche in den wichtigsten Hauptstädten der Welt und durch eingehende Aussprache den hoffentlich erfolgreichen Versuch zu machen, einer Politik der Entspannung und der friedlichen Entwicklung den Weg zu ebnen. Wir sind ihm auch dafür zu tiefem Dank verpflichtet, daß er sich des wichtigsten Anliegens der deutschen Politik, der Wiederherstellung der deutschen Einheit, so angenommen hat.
Der Herr Bundeskanzler ist der Auffassung, daß der jetzige Schritt notwendig sei, um das Vertrauen der Westmächte zu der deutschen Politik zu erhalten. Es wäre schon erstaunlich, meine Damen und Herren, wenn nach all dem, was in den letzten Jahren geschehen ist, ein solcher Schritt noch notwendig sein sollte. Aber — die Frage müssen wir hier aufwerfen — hat denn nicht der Herr Bundeskanzler selbst zu einem gewissen Teil dazu beigetragen, daß ein solches Mißtrauen, wenn es vorhanden sein sollte, noch besteht? Er hat — und Sie von den Regierungsparteien sind ihm darin fast immer gefolgt — in den verflossenen Jahren aus parteipolitischen Erwägungen immer wieder den Versuch gemacht, die deutsche Opposition, die Sozialdemokratische Partei als kommunistenanfällig hinzustellen.
Damit, meine Damen und Herren, ist nicht nur die innerpolitische Situation schwer belastet worden. Herr Kunze, wenn Sie auch noch so den Kopf schütteln, an dieser Tatsache können Sie nicht vorbeigehen. Selbstverständlich müssen solche dauernden Versuche auch ihre außenpolitische Auswirkungen haben. Aber offenbar geht der Bundeskanzler von der einfachen Formulierung aus: Wer nicht hundertprozentig für seine Politik ist, der ist eben anfällig für die kommunistische Politik.
In der ersten Lesung hat mein Freund Ollenhauer davon gesprochen, wie gespenstisch die Debatte angesichts der Feststellungen anmutete, die im Anschluß an die Manöver Carte Blanche getroffen worden sind. Wir sollen ja nachher noch etwas über diese Frage hören, und mein Freund Blachstein wird dann dazu noch einiges sagen. Wir hoffen auch, meine Damen und Herren, daß der Herr Verteidigungsminister, der sich bei der ersten Lesung hier im Plenum über diese Frage ausgeschwiegen hat, dem Hause seine Auffassung über diese Dinge noch einmal darlegen wird.
Aber heute kann man zu dieser Feststellung Ollenhauers doch nur hinzufügen, daß es einfach grotesk ist, wenn am Vorabend der Genfer Konferenz die ersten Schritte zur Aufstellung der deutschen Streitkräfte getan werden. In Genf soll über die Abrüstung und über die deutsche Wiedervereinigung verhandelt werden. Wir verabschieden heute, zwei Tage vor der Konferenz, ein Gesetz, das für die Bundesrepublik die Aufrüstung bringt. Durch diese Aufrüstung wird — darüber besteht doch bei niemandem ein Zweifel, meine Damen und Herren - die Wiederherstellung der deutschen Einheit in außerordentlichem Maße erschwert. Bundesregierung und Koalition werden wahrscheinlich nachher darauf hinweisen — und der Herr Kollege Jaeger hat das gestern in seinen Ausführungen auch schon getan —, daß ihre bisherige Politik die Genfer Konferenz erst ermöglicht habe und daß diese Politik deshalb fortgesetzt werden müsse.
— Meine Damen und Herren, Sie sagen „Sehr richtig". Aber wie liegen denn die Dinge in Wirklichkeit? Die entscheidende Sprache für die Notwendigkeit einer Entspannung in der Welt und für eine friedliche Verständigung der Völker sprechen die Wasserstoffbomben mit dem Kobaltmantel, von
denen jeder weiß, daß sie innerhalb kurzer Zeit alles Leben auf der Erde auslöschen können.
Herr Cillien hat in seinen Ausführungen darauf hingewiesen, wie stark unter Umständen menschliche Gefühle sein können, als er erzählte, wie ein Ehepaar den Hausbau einstellte, um den Nestbau eines Rotschwänzchenpaares nicht zu stören. Herr Cillien, solche Dinge haben wir doch zu allen Zeiten erlebt, und diese Dinge haben nicht verhindert, daß dann anschließend die grauenhaftesten Zerstörungen und Verwüstungen kamen.
— Nein, das haben Sie nicht behauptet. Aber, Herr Cillien, es ist doch notwendig, diese Dinge in ihrer ganzen Bedeutung und Schwere zu sehen. Erinnern wir uns denn nicht mehr an die entsetzliche Bewußtseinsspaltung, die z. B. während des „Dritten Reiches" bei Menschen vorhanden war, daran, daß die SS-Leute, die in den Konzentrationslagern die Menschen quälten und zu Tode brachten, nachher zu Hause die rührendsten Familienväter waren?
Ich habe das nur eingefügt, um darauf hinzuweisen, daß man diese Dinge auch in ihrem ganzen
Gehalt und in ihrer ganzen Bedeutung sehen muß.
Nun, meine Damen und Herren, die Umgestaltung, die das Gesetz in den Ausschüssen erfahren hat, zeigt, wie berechtigt die Worte meines Freundes Arndt waren, als er formulierte: Nicht so! Ich habe in der Erklärung meiner Fraktion zum Personalgutachterausschuß-Gesetz und bei meinen Darlegungen in der zweiten Lesung zu § 2 a dieses Gesetzes bereits darauf aufmerksam gemacht, wie schlecht dieses Gesetz von der Regierung vorbereitet war.
Die Bedeutung dieses Schrittes für die innerpolitische Entwicklung und Gefährdung hat man offenbar gar nicht gesehen. In der Ausschußberatung ist aus den Reihen der Koalition das Wort gefallen: Der Kanzler sieht die Dinge eben nur außenpolitisch. Aber die außenpolitische Auswirkung ist doch nur die eine Seite der Angelegenheit. Angesichts der Tatsache, daß die politischen Dinge in der Weit in außerordentlich starkem Maße in Fluß gekommen sind, ist diese außenpolitische Überlegung vielleicht morgen oder übermorgen schon überholt. Aber die innerpolitischen Auswirkungen, meine Damen und Herren, bestimmen das Geschick des deutschen Volkes und der deutschen Demokratie in den nächsten Jahrzehnten.
Deshalb hätten die Überlegungen über die innerpolitischen Auswirkungen im Vordergrund stehen müssen.
Ich höre dann von Ihnen den Hinweis auf den Primat der Außenpolitik. Nun ja, wir haben — und ich glaube, in diesem Fall muß man sagen: leider — in den verflossenen Jahren doch oft den Zustand erlebt, daß nicht nur von einem Primat der Außenpolitik gesprochen werden konnte, sondern daß die Außenpolitik eigentlich völlig das Feld beherrschte und die innerpolitische Entwicklung zu einer echten parlamentarischen Demokratie dabei Schaden litt.
Aber, meine Damen und Herren, wie kurzsichtig ist doch eine solche Politik! Eine gute Außenpolitik auf lange Sicht kann doch nur dann Erfolg haben, wenn sie von guten, festen innerpolitischen Fundamenten getragen wird. Das bedeutet für die Bundesrepublik, daß eine Außenpolitik nur tragfähig ist und bleibt, wenn sie sich auf das Fundament einer gesunden parlamentarischen Demokratie im Innern stützen kann. Ist diese parlamentarische Demokratie nicht gesichert oder ist sie sehr schwach, so werden die außenpolitischen Bemühungen an dieser Tatsache bald zerbrechen. Denn dann, Herr Bundeskanzler, wird das Mißtrauen uns gegenüber in der Welt nicht aufhören, sondern es wird sich verstärken.
Wie dünn die Decke ist und wie gering das Vertrauen der Bevölkerung zu dieser Demokratie ist, haben wir doch vor einem Jahre alle erlebt. Das hat uns der Schock gezeigt, der bei dem Fall John durch die Bevölkerung ging. Ich glaube, wir sollten uns in diesem Augenblick auch einmal wieder an diese Vorgänge erinnern.
Aber, meine Damen und Herren, wie schwach ist doch diese parlamentarische Demokratie auch noch in Deutschland, wenn man die Stellung der Regierung zum Parlament betrachtet. In der ersten Lesung ist dieser Gesetzentwurf von allen Fraktionen des Hauses so zerfetzt worden wie wohl noch nie eine Vorlage der Regierung.
Wie reagierte die Regierung darauf? Sie schwieg im wesentlichen. Den Zornesausbruch des Bundeskanzlers kann man ja wohl nicht als eine echte Auseinandersetzung mit der kritischen Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion betrachten. Und die Ausführungen des Verteidigungsministers betrafen nur einen Punkt der Ausführungen meines Freundes Arndt.
Es wird so viel von der Verantwortung der Mininister gegenüber dem Parlament geredet. Ich glaube aber, diese Verantwortung besteht doch nicht nur darin, daß die Minister durch ihre Anwesenheit bei der Beratung der Gesetze dem Parlament ihren Respekt bezeugen. Verantwortung heißt doch wohl auch, daß sich die Minister der Kritik des Parlaments stellen und daß sie die Vorlagen, die vom Kabinett gemacht worden sind, hier im Parlament, hier im Plenum auch verteidigen. Sollte dann die Regierung dabei den Eindruck gewinnen, daß diese Kritik an fast allen Punkten von allen Fraktionen berechtigt sei, bleibt doch nur ein Weg: dann die Vorlage zurückzuziehen und dem Parlament eine bessere zu unterbreiten. Aber das ist in diesem Falle nicht geschehen.
Wir sollten diese Dinge nicht unterschätzen. Denn durch das konstruktive Mißtrauensvotum und durch die Tatsache, daß der Bundeskanzler sich bisher geweigert hat, dem Bundespräsidenten die Abberufung eines Ministers vorzuschlagen, auch wenn das ganze Parlament heftige Kritik an diesem Minister zu üben hatte, ist doch schon der Eindruck entstanden, daß die Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Parlament nur auf dem Papier steht. Das konstruktive Mißtrauensvotum — meine Damen und Herren, darüber sollten sich alle Befürworter dieser Bestimmung des Grundgesetzes klar sein — ist doch nur zu halten, wenn sich die Minister hier im Parlament auch mit der Argumentation und der Kritik der Fraktionen auseinandersetzen.
Als das hier bei der ersten Lesung im Plenum nicht geschehen war, hätte man mindestens annehmen sollen, daß das Kabinett sich nach dieser für die Vorlage vernichtenden Debatte zusammengesetzt hätte, um die notwendigen Folgerungen daraus zu ziehen und dann bei Beginn der Ausschußberatungen wenigstens entsprechende Erklärungen abzugeben. Aber auch das ist nicht geschehen. Auf meine Frage bei Beginn der Beratungen im Sicherheitsausschuß begegnete ich sogar einem großen Erstaunen und dem Hinweis, daß das doch bisher nicht üblich gewesen sei. Nun, meine Damen und Herren, es dürfte in einer guten parlamentarischen Demokratie auch nicht üblich sein, daß die Regierung auf eine solche Kritik einer ihrer Vorlagen im Parlamente nichts zu sagen weiß.
Die völlige Umgestaltung der Vorlage beweist, wie schlecht der Entwurf der Regierung ausgearbeitet war. Es ist nicht zu verkennen, daß durch die Umgestaltung in den Ausschüssen eine Reihe der wichtigsten und entscheidendsten Mängel des Gesetzes beseitigt worden sind. Es ist außerordentlich zu begrüßen, daß Vertreter aller Fraktionen bemüht waren, eine entsprechende Umgestaltung zu erreichen. Allerdings bot die Regierung dabei wenig Hilfe, ja, in den entscheidenden Punkten legte sie sich sogar zunächst quer.
Der 8. Juli dieses Jahres wird immer ein Tag von besonderer Bedeutung für dieses Parlament und für diese Auseinandersetzung bleiben. Es zeigte sich an diesem Tage die Möglichkeit, die ja inzwischen Wirklichkeit geworden ist, daß das Gesetz über den Personalgutachterausschuß von einer sehr großen Mehrheit des Hauses getragen werden würde. Der Herr Verteidigungsminister hatte die innerpolitische Bedeutung dieser Situation erkannt, und er erstattete sofort dem Kabinett Bericht. Was tat der Bundeskanzler, was tat das Kabinett, von denen wir hier immer so schöne Worte über die gemeinsame Arbeit hören? Sie sagten in diesem innerpolitisch entscheidenden Augenblick nein.
Und damit die Situation klar wurde, sagte man noch ein zweites Nein bei der anderen entscheidenden Frage, in der sich der Sicherheitsausschuß einig war, nämlich in der Frage des § 2 c — wir haben gestern darüber gesprochen —, der die Organisationsgesetze für das Ministerium und für die Spitzengliederung der Streitkräfte fordert. Hätten Kanzler und Regierung die Situation richtig erkannt, wäre das dann einsetzende tagelange Feilschen nicht notwendig gewesen. Leider hat die Regierung durch ihre Hartnäckigkeit und starre Haltung einen großen Teil des Gewinns für die Demokratie, der aus diesen Vorgängen entstanden war, wieder vertan.
Die Regierung hat verfassungsmäßige Bedenken geltend gemacht. Das ist sicher ihr gutes Recht. Wir hätten aber nur gewünscht, meine Damen und Herren, das verfassungspolitische Gewissen der Regierung wäre in den verflossenen Jahren genau so empfindlich gewesen wie in den letzten Tagen.
Da es nun aber offenbar wach geworden ist, wollen wir hoffen, daß es immer so bleibt. Aber selbst wenn — ich setze das einmal voraus — die Verfassungsbedenken der Regierung zu Recht bestanden hätten, mußte sie mit dem Parlament Wege suchen, um Schwierigkeiten zu beseitigen. Angesichts der großen Mehrheit im Parlament in den beiden wichtigen und entscheidenden Fragen des Personalgutachterausschusses und der Organisationsgesetze hätte sie ihre Bedenken vortragen müssen, aber doch gleichzeitig erwägen müssen, ob man nicht, und sei es unter Umständen durch eine Verfassungsänderung, diese Dinge in Ordnung bringen könnte.
Eine gesunde, lebensvolle und tatkräftige parlamentarische Demokratie kann sich nur entwickeln und das Vertrauen des Volkes gewinnen, wenn auch für die Regierung der Wille des Parlaments an erster Stelle steht und von Regierung und Parlament gemeinsam Anstrengungen gemacht werden, um diesen Willen zu verwirklichen. Ein großer und entscheidender Augenblick für die Demokratie ist in der vorigen Woche von der Regierung nicht genutzt worden.
Um so erfreulicher war die Festigkeit des Parlaments in diesen Tagen. Es wird vom Gesichtspunkt der parlamentarischen Demokratie die entscheidendste Tatsache seit 1949 bleiben, daß das Parlament gegenüber der Regierung nicht nachgegeben hat. Wenn es für die gesunde Entwicklung unserer Demokratie einen Lichtblick gibt, dann ist es diese Tatsache. Das Parlament hat die entscheidende Stunde, die von der Regierung verpaßt wurde, genutzt. Wir wollen hoffen und wünschen, daß das ein gutes Omen auch für die zukünftige Entwicklung sein wird. Die Vorgänge der letzten Tage haben bei unzähligen Bewohnern der Bundesrepublik neue Hoffnungen auf eine gute Entwicklung der parlamentarischen Demokratie geweckt. Es müßte sich furchtbar auswirken, wenn sie enttäuscht würden.
Meine Damen und Herren, gerade angesichts dieser Vorgänge bedauern wir es um so mehr, daß die Mehrheit des Hauses dem Wunsch der Regierung auf Verabschiedung dieses auch jetzt noch unzulänglichen Gesetzes entsprochen hat. Wenn das Parlament ebenso wie in den beiden genannten Fragen hart geblieben wäre in der Frage der Wehrverfassung, hart geblieben wäre in der Forderung, daß die wichtigsten Gesetze zunächst insgesamt dem Parlament vorliegen müßten, wären noch mehr Sorgen für die innerpolitische Entwicklung von uns genommen.
In der Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion zum Gesetz über den Personalgutachterausschuß haben wir bereits gestern darauf hingewiesen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die außen- und innerpolitischen Voraussetzungen für den Aufbau von Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland nicht für gegeben hält. Zu dieser Frage brauche ich deshalb weitere Ausführungen nicht zu machen. Diese Auffassung ist der entscheidendste Gesichtspunkt für die Ablehnung dieses Gesetzes durch die sozialdemokratische Fraktion.
Aber auch, meine Damen und Herren, wenn diese entscheidenden Gesichtspunkte nicht gegeben wären, könnten wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen. Die völlige Unzulänglichkeit und Unmöglichkeit der Regierungsvorlage ist zwar durch die Ausschußberatungen in weitgehendem Maße beseitigt. Aber auf dem von der Regierung und der Mehrheit des Hauses eingeschlagenen
Wege kann man mit der Aufstellung von Streitkräften in der Bundesrepublik nicht beginnen, wenn man nicht große Gefahren für die Demokratie heraufbeschwören will. Um eine gute und weniger von Gefahren umwitterte Entwicklung zu erreichen, hätte zunächst die Wehrverfassung geschaffen und ordnungsmäßig in das Grundgesetz eingebaut werden müssen. Trotz aller Warnungen und Mahnungen haben Bundesregierung und Regierungsparteien diesen gefährlichen und unheilvollen Weg des Freiwilligengesetzes gewählt. Die sozialdemokratische Fraktion kann sich an den damit verbundenen Gefahren nicht mitschuldig machen. Zu der Ablehnung des Gesetzes aus den grundsätzlichen Erwägungen kommt die Ablehnung wegen der völligen Unzulänglichkeit der Regelung. Die sozialdemokratische Fraktion wird deshalb das Gesetz in der Schlußabstimmung ablehnen.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Der Herr Verteidigungsminister wird auf Ausführungen des Herrn Kollegen Mellies antworten. Aber da Herr Mellies mich mehrfach persönlich angesprochen hat, möchte ich auf diese persönlichen Fragen oder Ansprachen etwas antworten.
Er hat gefragt: Warum ist Nehru nicht nach Bonn gekommen? Nun, meine Damen und Herren, sowohl Ministerpräsident Nehru wie Krishna Menon haben sich Kenntnis davon verschafft, daß ihr Besuch hier willkommen sei. Sie haben ihre Reisedispositionen anscheinend später geändert.
Dann hat Herr Mellies, wenn ich ihn recht verstanden habe, gesagt, daß ich die sozialdemokratische Fraktion kommunistischer Neigungen verdächtigte. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß das nicht der Fall ist und daß ich das niemals getan habe.
Endlich hat Herr Kollege Mellies gesagt, es sei sehr merkwürdig und auffallend, wenn bei den Westmächten noch Mißtrauen bestände, ob wir die Pariser Verträge innehalten würden; das sei kein stichhaltiger Grund, Sie zu bitten, heute dieses Gesetz zur Verabschiedung zu bringen. Darauf möchte ich folgendes .antworten. Wenn das Gesetz heute nicht verabschiedet wird, würde es, da der Bundestag heute seinen letzten Sitzungstag vor Antritt der Ferien hat, erst im Laufe des Herbstes zur Verabschiedung kommen können, und das würde allerdings ein Zeitverlust sein, den wir, glaube ich, nicht verantworten können. Ich möchte auch feststellen, daß auf seiten der Westmächte kein Mißtrauen besteht, aber eine gewisse Sorge im Hinblick auf die Haltung der deutschen Sozialdemokratie und der sozialdemokratischen Fraktion hier im Bundestag, die ja am Freitag vor Pfingsten den ausdrücklichen Antrag gestellt hat, die Durchführung der Pariser Verträge bis auf weiteres nicht vorzunehmen,
und die an diesem Standpunkt festgehalten hat, auch heute festhält.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist eine absolute Notwendigkeit, daß bei diesen Genfer
Verhandlungen und den sich hoffentlich daran anschließenden Konferenzen, in denen gerade für das deutsche Volk mehr auf dem Spiele steht als für irgendein anderes Volk,
wir doch die eine Seite der Verhandelnden fest auf dem Standpunkt der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden haben.
Ich habe wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß ich in außenpolitischen Angelegenheiten ein Zusammengehen des ganzen Bundestags außerordentlich begrüße, weil es naturgemäß die Stellung Deutschlands draußen stärkt. Ich freue mich — ich nehme an, daß diese Mitteilung richtig ist -, daß Herr Kollege Ollenhauer in London auf der internationalen Sozialistenkonferenz — wenigstens nach den Depeschen — denselben Standpunkt vertreten hat, den die Bundesregierung und der überwiegende Teil dieses Hauses vertritt. Er hat dort ausgeführt, ein wiedervereinigtes Deutschland dürfe sich nicht in der Verpflichtung befinden, sich einem Militärblock anschließen zu müssen. Es müsse frei über seine internationale Mitarbeit im Rahmen der UNO entscheiden können. Meine Damen und Herren, das ist der Standpunkt, den wir immer eingenommen haben.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Verteidigung.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Ollenhauer hat sich in der 93. Sitzung dieses Hohen Hauses bei der ersten Beratung des Freiwilligengesetzes mit den damals gerade in Gang befindlichen Luftmanövern, Carte Blanche genannt, befaßt, und er hat daraus die Folgerung gezogen, daß der geplante deutsche Verteidigungsbeitrag in der Ihnen bekannten Stärke keine nennenswerte Sicherheit für das deutsche Volk brächte. Der Abgeordnete Mellies hat dies heute noch einmal in unser aller Gedächtnis zurückgerufen und daran die Frage geknüpft, warum sich der Verteidigungsminister zu dieser Problematik nicht äußere.
Als damals in diesem Hohen Hause über diese Fragen debattiert wurde, waren die Manöver noch im Gange, und es gab lediglich einige Pressemitteilungen; diese aber können keine Basis sein für Äußerungen, die der Verteidigungsminister in diesen Angelegenheiten zu tun gedenkt, sondern er hat die Aufgabe, den Abschluß dieser Manöver abzuwarten und sich die Gewißheiten zu verschaffen, die in kurzer Zeit nach den Manövern über die dort gewonnenen Erkenntnisse zu erzielen sind. Niemand ist heute in der Lage, abschließend über die Erkenntnisse, die aus diesen Manövern zu ziehen sind, zu urteilen, weil hierzu eine längere Zeit gebraucht wird und weil die Ergebnisse einem ernsten Studium durch die Fachleute unterzogen werden müssen. Damit will ich nicht sagen, daß es überhaupt nicht möglich wäre, schon einige Folgerungen zu ziehen. Das will ich tun, soweit mir diese Folgerungen gut begründet zu sein scheinen.
Darf ich zunächst ein paar Worte über den Zweck der NATO-Manöver sagen. Jedes Manöver ist, wenn man es beurteilt, zunächst auch auf seine Anlage hin zu sehen. Der Zweck der NATO-Luftmanöver war, Auswirkungen und Abwehrmaßnahmen zu Beginn eines Überfalls aus der Luft, eines Überfalls, der unter taktischem Luftwaffeneinsatz und unter Verwendung von Atombomben erfolgen würde, zu prüfen. Hierzu wurde der Besitz von taktischen Atombomben auf beiden Seiten der miteinander Kriegführenden vorausgesetzt. Sie wissen übrigens, daß die Anlage der Manöver so war, daß Nord gegen Süd eingesetzt und somit die Bundesrepublik in ihrer ganzen Breite bei der Nord-Süd-
und Süd-Nord-Bewegung im Wirkungsbereich dieses Manövers lag. Die durchgespielten Angriffe richteten sich auf Flugplätze und gegen die Bodenorganisation der Luftwaffe. Der Übungszweck dieser Manöver war, das rechtzeitige blitzartige Ausweichen der fliegenden Verbände auf die Behelfsplätze, die sofortige Bekämpfung der angreifenden Verbände, Einzelmaschinen und ferngelenkten Flugkörper, den umgehenden Start zu umfassenden Vergeltungsmaßnahmen und Vernichtungsangriffen gegen die feindlichen taktischen Luftbasen, die Aufrechterhaltung der Fernmeldeverbindung für Führung und Nachschub, die schnellste und laufende Betankung und Munitionierung der Kampfflugzeuge unter schwierigsten Bedingungen und die Wahl der Nachschubwege und -mittel zu üben. Dazu kamen als Übungszwecke der Schutz der Erdanlagen, der Flugplätze, der Instandsetzungs- und Depoteinrichtungen durch Bau, Tarnung und Erdtruppen, ferner Radarabwehr und -störmaßnahmen, d. h. einerseits eine lückenlose Erfassung feindlicher Einflüge und ihre zeitverzugslose Übermittlung durch ein Luftwarnsystem und andererseits die Abschirmung eigener Fernmeldetätigkeit gegenüber der feindlichen Fernmeldeaufklärung.
Damit haben Sie eine ungefähre Vorstellung von der Größe und der Art dieser Manöveranlage. An ihr waren 11 verschiedene Nationen mit über 3000 Kampfflugzeugen beteiligt. Die Vorbereitung, Anlage und Durchführung einer solchen Übung stellen außerordentliche Ansprüche an die Führung und setzen weitgehende Fortschritte in der integrierten Führungsorganisation voraus. Insofern darf man von diesem Manöver sagen, daß schon die Tatsache der Übung allein militärisch gesehen als ein Erfolg zu buchen ist. Die Qualität und Einsatzfähigkeit von Fliegern und Maschinen wirkten bei nüchterner Betrachtung beruhigend. Die Pflicht einer jeden militärischen Führung ist es, die Lage so realistisch wie möglich zu gestalten; denn nur dann können die politischen Konsequenzen von den Staatsmännern richtig gezogen werden. Die militärischen Konsequenzen — darauf weise ich noch einmal hin — können natürlich erst nach eingehendem Studium der Einzelheiten gezogen werden. Hierbei bitte ich noch insbesondere zu berücksichtigen, daß das Manöver sich nur mit Teilproblemen beschäftigt hat, nämlich dem taktischen Atombombeneinsatz, daß keine Aktionen von Land-, See- und strategischen Luftstreitkräften vorgesehen und geplant waren.
Dennoch können wir aus dem Ablauf der Manöver mit gebotener Vorsicht heute folgende Folgerungen ziehen. Der Atombombenvorrat ist in den letzten Jahren so angewachsen, daß sein Einsatz auch für taktische Ziele möglich ist. Die Kosten für Atombomben sind aber noch so groß, daß ihr
Einsatz auf militärisch lohnende Ziele wie Flugplätze, Großanlagen, z. B. Depots, Truppenmassierungen und ähnliches beschränkt werden muß. Eine weitere Folgerung, die gezogen werden kann: die wichtigste Forderung bleibt die Erringung der alsbaldigen Luftherrschaft zum Schutze, des eigenen Gesamtpotentials und zur Ausschaltung des feindlichen Kriegspotentials, vor allem der Luft- und Raketenabschußbasen des Gegners. Weiter: das Ziel aller zu ergreifenden Maßnahmen muß daher die jederzeitige Einsatzbereitschaft ausreichender militärischer Mittel, Streitkräfte, Warnsysteme, d. h. das Ergreifen aktiver Maßnahmen sein. Eine Beschränkung auf nur passive Maßnahmen reicht nicht aus. Um einmal mit einem Satz nur von diesem Manöver abzuschweifen: auch Schweden und die Schweiz betreiben trotz Neutralität neben passiven vor allem aktive Abwehrvorbereitungen.
Aus den Manövern läßt sich die weitere Folgerung ziehen — und diese scheint mir bedeutsam zu sein —, daß die Erdtruppen trotz nuklearer Waffen, Flugzeugen und Raketen nicht überflüssig geworden sind. Hierzu einige wenige Ausführungen. Der Führungs- und Versorgungsapparat moderner Luftstreitkräfte ist so kompliziert und umfangreich, daß er ohne ausreichenden Schutz auf der Erde überhaupt nicht arbeiten kann. Dies gilt in besonderem Maße für unsere geographische Situation in Mitteleuropa. Der Einsatz von Erdtruppen kann dann von besonderer Bedeutung werden, wenn die Luftschlacht beide Seiten entscheidend geschwächt hat. Bei Annahme des Gleichgewichts der Atomwaffenaufrüstung und eines möglichen Gleichgewichts in der Luftrüstung zwischen West und Ost besteht ja auch die Möglichkeit, daß beide Seiten aus Risikogründen auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten. Würde man auf Erdtruppen verzichten, so würde man in diesem Fall völlig wehrlos sein.
Drittens eine Erkenntnis, die man immer wieder aus der Kriegsgeschichte ins Gedächtnis zurückrufen muß: eine- wirkliche Beendigung einer kriegerischen Auseinandersetzung ist nur durch Landstreitkräfte möglich, und zwar durch die endgültige Besetzung der entscheidenden Punkte eines Landes zur Sicherung des militärischen Erfolges. Das Übergewicht der sowjetischen Landstreitkräfte und ihrer konventionellen Waffen ist erdrückend. Ich will Sie, weil wir darüber schon häufiger gesprochen haben, heute morgen nicht mit dem Zahlenmaterial behelligen. Solange aber nicht ausreichende Streitkräfte im mitteleuropäischen Raum aufgestellt sind, bleibt eben dieses Übergewicht der sowjetischen Landstreitkräfte und ihrer konventionellen Waffen schlechthin erdrückend.
Noch immer ist Mitteleuropa trotz westlicher Atomüberlegenheit in Gefahr, von sowjetischen Panzern überrollt zu werden. Die Aufstellung deutscher Streitkräfte wird diesen Mangel beheben und damit die Kriegsgefahr entscheidend verringern helfen. Die Erfahrungen, die man in Amerika in der Wüste von Nevada gemacht hat, haben gezeigt, daß weit auseinandergezogene kampfstarke Erdtruppen der Vernichtung durch Atomwaffeneinsatz entgehen können, wenn sie durch entsprechende Gliederung und Ausbildung den Bedingungen des Atomkrieges angepaßt werden. Ich bedaure, daß gerade über diese Manöver und über ihre Auswirkungen, die Lehren und Folgerungen, die daraus zu ziehen sind, in dieser Breite anläßlich
der Debatte in der ersten Lesung des Freiwilligengesetzes in unserer Presse nicht berichtet worden ist.
— Es geht nicht um die Wüste, Herr Kollege Wehner, sondern darum, daß die Manöver, die in dieser Wüste geführt worden sind, gezeigt haben, wie es trotz des Einsatzes von Atomwaffen möglich war, die Panzerverbände bereits zehn Minuten später durch dieses Gebiet hindurchbrausen zu lassen. Darauf kommt es an, wenn wir uns hier über die Frage unterhalten, ob etwa deutsche gepanzerte Verbände irgendeinen Verteidigungswert hätten.
Unsere militärischen Überlegungen hinsichtlich der Gliederung, Ausrüstung und Stationierung der Streitkräfte tragen diesen Grundsätzen Rechnung. Sie sind mit den Erfahrungen unserer Vertragspartner eingehend abgestimmt. Ich darf Ihnen an dieser Stelle noch einmal einen Satz sagen: Wenn Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keinen einzigen Soldaten hat, so haben wir dennoch schon seit langem die Möglichkeit, intensiv mitzuberaten, intensiv an diesen Überlegungen beteiligt zu sein, und man hat uns auch in die Erfahrungen und Versuche Einblick gewährt, die von anderen NATO-Nationen gemacht werden. Ich kann hier erklären, daß die deutschen militärischen Planungen diesen modernsten Erkenntnissen in vollem Umfang Rechnung tragen.
Dann noch eins! Die tatsächlichen Verhältnisse in allen militärisch bedeutenden Ländern stehen in einem deutlichen Gegensatz — ich muß das hier einmal aussprechen — zu mitunter recht pseudostrategischen und voreiligen Polemiken in der Presse. Es wird unsere Aufgabe sein, den Aufbau unserer Streitkräfte an die dynamische Entwicklung durch Wendigkeit in der Planung, rechtzeitiges Auswerten der Erfahrungen aus aller Welt und durch engen Kontakt mit unseren Vertragspartnern anzupassen und damit modern und wirksam zu erhalten.
Lassen Sie mich abschließend noch mit aller Eindringlichkeit auf folgende Erfahrung hinweisen. Der Aufbau moderner Streitkräfte sowie die Organisation sonstiger militärischer und ziviler Abwehrmaßnahmen sind im nationalen Rahmen allein unmöglich. Der westeuropäische Raum ist dazu zu eng. Die notwendigen materiellen und finanziellen Anstrengungen überschreiten die Möglichkeiten eines einzelnen Landes. Der Aufbau einer wirksamen Verteidigung ist nur durch die gemeinsame Anstrengung mehrerer Völker möglich. Die deutschen Streitkräfte können daher nach Organisation, Ausstattung und Führung immer nur im Rahmen der Gesamtstreitkräfte der NATO betrachtet werden. Die deutschen Divisionen sollen und werden die Kriegsgefahr in Mitteleuropa verhindern helfen. Denn im Falle eines Krieges darf ein Überrollen durch die sowjetische Panzerwaffe nicht erfolgen.
Daß der aktive Schutz der Bevölkerung durch die Streitkräfte nur ein Teil der Verteidigungsmaßnahmen ist, ist auch der Bundesregierung geläufig, und daß es dazu auch noch eines anderen Teiles bedarf, nämlich des passiven Schutzes der Bevölkerung, ist selbstverständlich. Aber es ist nicht meine Aufgabe, über den passiven Luftschutz der Bevölkerung vor Ihnen zu sprechen.
Der Verteidigungsminister hat damit über die Manöver „Carte blanche" und den bis zum Augenblick zu ziehenden Lehren und Folgerungen das gesagt, was bei ruhiger Beurteilung bis zum gegenwärtigen Augenblick zu sagen ist. Er ist sich darüber klar, daß man das weitere Studium noch abwarten muß. Es wird ihm selbstverständlich eine Ehre sein, diesem Hohen Hause auch später über den weiteren Fortgang der militärfachlichen Untersuchungen zu berichten. Der Verteidigungsminister ist aber nicht in der Lage, zu solchen schwierigen Problemen jeweils auf Veranlassung durch einen Presseartikel hin, ohne die Dinge in ihrer Gänze überschaut und geprüft zu haben, zu reden.
Das Wort hat der Abgeordnete von Manteuffel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Freien Demokratischen Partei und ihrer Bundestagsfraktion habe ich die Ehre, Ihnen zu dem vorliegenden Freiwilligengesetz folgendes zu erklären:
Obenan steht, daß auch wir uns freuen, daß in gemeinsamer Arbeit ein in etwa brauchbares Gesetz zustande gekommen ist, das nicht alle Wünsche befriedigt, das uns aber — das möchte ich herausstellen — als Provisorium genügt. Wir haben dabei die Hoffnung, daß wir bald nach den Parlamentsferien mit den Vertretern der Bundesregierung, im besonderen mit dem Verteidigungsminister, die endgültige Wehrverfassung diskutieren können. Wenn ich diese Einschränkung mache, so deshalb, weil uns Freien Demokraten noch immer die Regelung der Probleme des Oberbefehls, der bundeseigenen Verwaltung und einer Notstandsgesetzgebung aussteht, wenngleich neulich die ersten Besprechungen in diesen Fragen stattgefunden haben, also diese Regelung in etwa eingeleitet ist.
Ich mußte die Einschränkung aber auch machen, weil uns die Besoldungsregelung nicht ausreichend erscheint. Ich darf Sie freundlichst an das erinnern, was ich in der ersten Lesung sagte. Ich befürchte nach wie vor, daß bei der Besoldungsregelung, die nunmehr getätigt wird, eine mehr oder weniger negative Auslese stattfindet.
Wir bedauern aber auch — und deswegen mußte ich die Einschränkung machen —, daß wir alle im Ausschuß keine Zeit fanden. zu gleicher Zeit die wirklichen Grundlagen der Wehrverfassung zu diskutieren. Meine Stellungnahme kann nicht wundernehmen. Denn wir haben in der ersten Lesung durch mich zum Ausdruck bringen lassen, daß wir das Freiwilligengesetz nur als Auffüllung eines unserer unveräußerlichen Souveränitätsrechte sehen, eines Rechtes, das wir auch auf diesem Sektor voll ausgeschöpft wissen wollen. Immerhin teilen wir Freien Demokraten nicht ganz die schwere Sorge, die gestern Herr Kahn-Ackermann hier zum Ausdruck gebracht hat, der glaubt, daß jetzt schon mit diesem Gesetz etwa der Keim zu irgendwelchen Fehlentwicklungen gegeben sei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben uns in dem Ausschuß für europäische Sicherheit erfreulicherweise unter Mitarbeit aller Mitglieder sehr nachdrücklich über diese Frage unterhalten und glaubten, Ihnen erklären zu dürfen — und die Zustimmung der Freien Demokraten dazu ist erfolgt —, daß wir volles Vertrauen zu dem Personalgutachterausschuß haben. Wir glaubten,
daß damit das Bestmögliche getan ist, was in dieser Beziehung geschehen kann.
Wir haben weiterhin die Hoffnung, daß die Regierung durch ihre Vertretung uns möglichst bald das Bündel der Gesetze, die der Herr Bundesverteidigungsminister uns in der ersten Lesung angekündigt hat, zusendet. Dies ist dann wahrhaftig der Grundstein für die künftige Wehrverfassung, insbesondere für die Einordnung der Streitkräfte in unser demokratisches Zusammenleben, in unseren Staat.
Dabei möchte ich dem Herrn Verteidigungsminister in die Erinnerung zurückrufen, was ich auch in der ersten Lesung als Sprecher meiner Fraktion sagen durfte: Wenn wir auf der Regelung des § 2c sosehr bestanden haben, so soll damit keine Bespitzelung der Regierung erfolgen, insbesondere soll es in keiner Weise, verehrter Herr Kollege Blank, eine Einengung des Verteidigungsministers sein, sondern soll ihn im Gegenteil entlasten, ihm Verantwortung abnehmen und soll vor allen Dingen auch, wie es mein Kollege Heye gestern ausgeführt hat, zum Schutz der führenden Soldaten dienen.
Der Herr Bundesverteidigungsminister hat soeben eine allerdings etwas kurze Analyse der atomaren Kriegführung gegeben. Erfreulicherweise hat er dabei angekündigt, daß er bereit und willens ist, dem Hohen Hause nähere Unterlagen zu geben, sobald er solche hat. Wir hoffen sehr, daß wir dann konkrete Angaben bekommen, was die Bundesregierung nun eigentlich in Auswertung der verschiedensten Verteidigungsmöglichkeiten und Verteidigungsnotwendigkeiten zum Schutz unseres Landes plant.
Ich darf noch einmal sagen und unterstreichen, was der Herr Bundesverteidigungsminister schon gesagt hat: Wir glauben auch, daß — und das hängt mit der Frage der Bewertung des Freiwilligengesetzes zusammen — die konventionellen Waffen zwar ihren politischen Wert etwas eingebüßt haben, daß sie aber ihren militärischen Wert voll behalten haben, wenngleich diese Divisionen — wenn man diesen Ausdruck überhaupt noch benutzen will — wahrscheinlich nicht mehr die Entscheidungswaffe sein werden. Sie werden anders gegliedert sein. Ihre Führung und Form muß eben dem modernen Zeitalter angepaßt werden. Wir persönlich haben das feste Vertrauen, daß der Bundesverteidigungsminister mit einem vorzüglichen Stab von Mitarbeitern schon die rechte Form finden wird, um sich dieser neuen Idee anzupassen.
Deshalb glauben wir, daß kein Grund vorliegt, daran zu zweifeln, daß im Verteidigungsministerium schon derartige Erwägungen, vielleicht schon Planungen in der Art, wie sie soeben Herr Blank angekündigt hat, vorliegen. Wir hoffen nur, daß wir darüber bald hören; denn in der Tat stehen wir am Anfang oder schon mitten in einer Revolution des Krieges drin, dessen Verheerungen niemand voraussehen kann, dessen Ende gar niemand absehen kann. Trotzdem benötigen wir vielleicht in der Atempause, die uns noch gegeben ist, die konventionellen Waffen, auch bei Abnutzung der Luftwaffe, die, wie wir hören, in den letzten Manövern der Carte blanche auf beiden Seiten ganz erhebliche Verluste bereits in den ersten Stunden zu verzeichnen hatte. Wir benötigen die konventionellen Waffen auch zur Abwehr von Teilkriegen, die wir doch alle noch in den vergangenen Jahren in den verschiedensten Erdteilen erlebt haben.
Schließlich ist ein weiteres Argument, das der Herr Verteidigungsminister angeführt hat, zu unterstreichen. Auch die anderen haben doch die konventionellen Waffen aus denselben Gründen, aus denen auch wir glauben, daß wir sie benötigen. Wir werden aber die Entwicklung sehr scharf beobachten und auswerten müssen. Wir als Freie Demokratische Partei bitten daher die Bundesregierung, uns recht bald konkrete Angaben darüber zu machen, wie sie gedenkt, die Aufgaben auf diesem sehr verzweigten und in sich verzahnten Gebiet der gesamten Verteidigung unseres Landes und damit des Schutzes der darin wohnenden Menschen zu koordinieren. Ebenso bitten wir die Bundesregierung, keinesfalls in ihren Anstrengungen für eine allgemeine Abrüstung nachzulassen, die allerdings von allen Vertragspartnern in gleichem Maße kontrolliert sein müßte, ihre Bemühungen darum ernstlich und nachhaltig fortzusetzen und sie nachdrücklich mit der gleichen Standfestigkeit zu betreiben, mit der sie ihre bisherigen außenpolitischen Ziele verfolgt hat.
Lassen Sie mich zum Schluß eine Bitte im Namen meiner politischen Freunde und meiner selbst aussprechen. Die Diffamierung des deutschen Soldatentums nach 1945 darf, wie es Herr Kollege Cillien uns so außerordentlich eindrucksvoll geschildert hat, nach unserer Auffassung nicht in einer Herabsetzung der künftigen Soldaten ihre Fortsetzung finden. Die durchaus berechtigte Kritik an der Führung der Wehrmacht und an der Spitzengliederung trifft diesen Soldaten nicht, wie Herr Kollege Cillien ausgeführt hat, der sich tapfer, treu und zuverlässig eingesetzt hat. Den Leuten, die wieder bereit sind, neue Opfer auf sich zu nehmen, sollten wir mit Verständnis und Vertrauen begegnen und sie entsprechend aufnehmen, wie es soeben der Kollege Cillien gesagt hat und wie es, glaube ich, auch der Wunsch großer Teile dieses Hauses ist. Darum darf ich Sie, meine verehrten Damen und Herren, auch im Namen meiner politischen Freunde bitten. Nur dann wird — unter voller Achtung der von Ihnen allen hier beschlossenen Gesetze —laus dem Soldatentum das werden, was Sie alle wollen: ein zuverlässiger und schlagkräftiger Schutz unserer Heimat. Aus diesem Grunde stimmen wir dem Gesetz zu, das diesen Schutz vorbereiten soll.
Das Wort hat der Abgeordnete Feller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Auftrag und die Absicht, Ihnen hier die Stellungnahme meiner Fraktion zu dem vorliegenden Entwurf eines Freiwilligengesetzes vorzutragen und zu begründen, weshalb wir diesem Gesetz zustimmen werden. Ich habe keineswegs den persönlichen Ehrgeiz, bei allen nunmehr sich häufig bietenden Gelegenheiten hier als Wehr- und Waffenredner in Erscheinung zu treten und über alle denkbaren militärfachlichen und strategischen Probleme Ausführungen zu machen. Das bedeutet jedoch nicht, daß ich die Bedeutung dieser Frage verkenne und es für unangebracht halte, daß wir uns darüber Gedanken machen. Aber einmal geht es hier um
die Annahme eines Gesetzes mit einer zunächst streng begrenzten Geltung und Auswirkung. Es erscheint mir angebracht, dies auch der Öffentlichkeit bewußt zu machen oder es in ihrem Bewußtsein zu erhalten. Denn sonst könnte sich ihrer leicht eine gewisse Unruhe und Unsicherheit darüber bemächtigen, was eigentlich an weitreichenden militärischen Entscheidungen schon im Gange ist. Zum anderen könnte — darauf deuten doch einige Anzeichen in der Öffentlichkeit schon hin —das eigentlich Politische überdeckt oder verdrängt werden, das uns hier zunächst beschäftigt und unsere Entscheidung bedingt. Das besteht doch darin — davon haben wir auszugehen —, daß gegebene oder von uns mitgeschaffene Tatbestände vorliegen, die uns ein bestimmtes Handeln abnötigen. Wir haben auf Grund der weltpolitischen Lage und unserer Stellung darin mehrheitliche Beschlüsse gefaßt, die uns Bindungen und Verpflichtungen auferlegt haben: die Verpflichtung zum Aufbau einer Wehrmacht von 12 Divisionen. Man sagt uns, daß unsere Partner von uns erwarten, daß wir in Einhaltung dieser Verpflichtungen nun mit dem Aufbau dieser Divisionen beginnen und schon jetzt vorbereitende Handlungen dazu unternehmen. Wenn ich sage: „Schon jetzt", dann beziehe ich mich auf eine auch heute wieder von der Opposition vertretene Meinung, daß der Zeitpunkt für den Beginn dieser Handlungen im Hinblick auf die bevorstehenden außenpolitischen Konferenzen zu früh gewählt sei. Ich gebe zu, daß es dafür eine Reihe von Argumenten gibt, über die sich diskutieren läßt. Aber niemand kann heute mit Gewißheit sagen, ob sie sich als berechtigt erweisen werden.
Es ist doch nicht so, daß sich beweiskräftig behaupten ließe, der Osten sei dann nicht mehr bereit, mit uns überhaupt noch über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands zu sprechen, wenn wir das vorliegende Gesetz angenommen hätten, nachdem die Entschlüsse, welche nun dieses Gesetz zur zwingenden Folge haben, ihn nicht daran , gehindert haben, es dennoch zu versuchen. Welche Konzessionen im Zuge beginnender und weiter zu führender Verhandlungen für eine Freigabe der mittel- und ostdeutschen Gebiete endgültig von uns gefordert werden, wissen wir heute noch nicht. Aber wir können doch wohl annehmen, dazu werde nicht etwa die Forderung gehören, daß die 6000 Freiwilligen, die nunmehr auf Grund dieses Gesetzes eingestellt werden, eines Tages in ihre Zivilberufe zurückkehren. Das wird und kann auch schon deshalb nicht der Fall sein — ich bin mir natürlich bewußt, daß das eine gewisse Vereinfachung bedeutet; aber ich sage es einmal bewußt in dieser vereinfachenden, zugespitzten Form —, weil sich ja jenseits der Zonengrenze eine vielfache Zahl von Deutschen seit Jahren unter Waffen und in militärischer Ausbildung befinden; sie werden am Tage X, nämlich am Tage der Wiedervereinigung, ebensowenig aus der Welt, j a nicht einmal aus Deutschland verschwinden. Über das Problem, was dann mit diesen 6000 werden soll, die nunmehr im Rahmen dieses Gesetzes zunächst, wenn Sie wollen, unter Waffen oder jedenfalls in militärische Funktionen berufen werden, würde es, wenn die bevorstehenden Verhandlungen zu einem in der deutschen Frage überraschend günstigen Ergebnis führen sollten, nicht mehr Schwierigkeiten geben als über die vielfach stärkere Zahl der Volkspolizei in der Zone.
Von hier aus lassen sich also, meine Damen und Herren, wohl keine stichhaltigen Bedenken gegen eine Annahme gerade dieses Freiwilligengesetzes vorbringen, selbst dann nicht, wenn man das nach den letzten Erklärungen der Sowjetunion unmöglicher denn je Erscheinende für möglich halten sollte.
Die Frage, die wir uns hier und heute zu stellen haben, ist vielmehr die, ob das, was wir mit diesem Gesetz schaffen, im Ansatz richtig oder falsch ist. Dazu meinen wir, daß der Entwurf bei allen durch die Eile bedingten Mängeln, die ihm noch anhaften, nunmehr doch eine richtige Grundkonzeption insofern erhalten hat, als er zunächst einmal eine streng begrenzte Zahl von freiwilligen Soldaten mit ganz bestimmten Aufgaben an die Arbeit gehen lassen will, damit die Voraussetzungen geschaffen werden können, auf denen alles Weitere aufgebaut werden kann.
Ich habe bei der ersten Lesung des reichlich unglücklichen Gesetzentwurfes gemeint: Wir sollten versuchen, das Beste aus ihm zu machen. Ich glaube, daß uns das, wenn auch nicht in vollkommener Weise, so doch in vielfacher Hinsicht, gelungen ist, gerade durch die neue Fassung des § 1. Wenn man ihn mit § 2 c in Verbindung setzt, erkennt man, daß erreicht worden ist, was zu erreichen war: die Ingangsetzung einer Vorbereitung, über die sich das Parlament kraft seines Kontrollrechts zu gegebener Zeit wird informieren und sein Urteil bilden müssen, aus dem dann die weiteren Entschlüsse erwachsen werden.
Unter diesem Gesichtspunkt kann die mit der Verkündung des Gesetzes beginnende Anlaufperiode nur als ein Vorteil für die weitere Entwicklung betrachtet werden. Wir werden ausreichend Zeit und hoffentlich auch die notwendige Ruhe haben, die weitere Gesetzgebungsarbeit für den Aufbau der neuen Streitkräfte durchzuführen, und in der Zwischenzeit in vielerlei Hinsicht Erfahrungen sammeln können, die wir doch alle wohl noch dringend benötigen; denn es handelt sich bei dem ganzen Vorgang des Neuaufbaues der deutschen Streitkräfte, wie schon von verschiedener Seite gesagt wurde, um eine einmalige Aufgabe, die weder in unserer noch in der Geschichte anderer Staaten ein Beispiel hat. Deshalb wird uns auch jeder weitere Schritt der Wehrgesetzgebung vor neue Entscheidungen stellen, die von der Verantwortung jedes einzelnen und von den Erfahrungen getragen sein müssen, die ihm in der Zwischenzeit zu machen möglich war. Wir konnten sie nicht alle in der Vergangenheit so umfangreich und in so unmittelbarer Weise sammeln, wie es der Kollege Heye konnte. Was er uns gestern darüber sagte, war eindrucksvoll genug, uns alle darüber klarwerden zu lassen, daß es keineswegs schaden kann, wenn uns die kommenden Monate noch Zeit lassen, unsere endgültigen, wohl abgewogenen Entscheidungen in vollem Verantwortungsbewußtsein zu fällen.
Das gilt zunächst für alle die Fragenkomplexe, die das Gesetz nur vorläufig regelt und die ihre endgültige Regelung im Soldatengesetz, in einer Besoldungsordnung für die Soldaten, im Haushaltsplan und in einem Gesetz über die Organisation der Verteidigung und des Verteidigungsministeriums finden müssen. Wir sind — um das hier einzufügen — der Meinung, daß gerade die besoldungsrechtliche Regelung, über die sich die Regie-
rung selbst noch nicht ganz einig und schlüssig zu sein scheint, besonders schnell mit Rücksicht auf die kommenden Soldaten und wohl abgewogen im Hinblick auf das Gesamtgefüge der Besoldung der öffentlich Bediensteten erfolgen muß.
Das gilt aber auch vor allem für die hier schon oft angesprochenen Fragen, die einer verfassungsrechtlichen Regelung bedürfen. Über ihre Notwendigkeit scheint auf allen Seiten dieses Hauses Übereinstimmung zu bestehen, noch nicht aber über ihre inhaltliche Gestaltung. Auch meine Fraktion hat sich darüber, wie ich schon bei der ersten Lesung betont habe, noch keine endgültige Meinung gebildet. Ich halte es aber für sehr gut möglich, daß sich aus den Besprechungen, die in den letzten Tagen darüber stattgefunden haben, eine Lösung insbesondere der Frage des Oberbefehls ergeben wird, die für alle Parteien des Hauses annehmbar sein wird und der auch meine Fraktion ihre Zustimmung wird geben können. Ich sehe sie etwa auf dem Wege einer Teilung von Befehls- und Kommandogewalt, einer Delegation der ersteren ähnlich der Regelung der Weimarer Verfassung und einer verfassungsrechtlich hervorgehobenen Verantwortlichkeit des Verteidigungsministers.
Der dagegen schon geltend gemachte Einwand, daß damit eine Schwächung der Stellung des Verteidigungsministers verbunden sein müsse, scheint mir nicht stichhaltig zu sein; denn die Stellung und die Aufgaben des Verteidigungsministers lassen keinen Vergleich mit denen anderer Minister zu. Sie erfordern eine Persönlichkeit, die sich nach allen Seiten zu behaupten wissen muß und die dann auch, durch das besondere Vertrauen des Parlaments getragen, schon einen erheblichen Teil dessen in sich verwirklicht, was zwar von allen Seiten als das Postulat der parlamentarischen Kontrolle aufgestellt wird, über dessen Inhalt, Art und Abgrenzung aber noch sehr große Meinungsunterschiede bestehen.
Die Debatten erweisen immer wieder, daß hierbei echte Grenzprobleme entstehen, die wie alle Grenzprobleme nicht in Normen gefaßt, sondern von Fall zu Fall entschieden werden müssen. Ich meine, daß hierin nicht eine Gefahr für Staat oder Wehrmacht zu sehen ist, oder, wenn doch, daß diese Gefahr in Kauf zu nehmen oder gering zu schätzen ist gegenüber der Gefahr, die sich für das Ganze ergeben könnte, wenn eine Fehlentwicklung einträte, wie wir sie aus der Weimarer Zeit kennen. Es ist müßig, über deren Ursachen an dieser Stelle ins einzelne gehende Betrachtungen anzustellen; denn eine solche Gefahr liegt in der Natur der Sache, in der Agglomeration der Machtmittel. Sie ist damit stets latent verbunden, und schon manches, was bei der Beratung dieses Gesetz gesagt wurde, weist uns darauf hin: Vestigia terrent!
Aber es ist auch schon gesagt worden, daß alles eine Vertrauensfrage sei, daß man den neuen Streitkräften und ihrer Leitung ein besonderes Vertrauen entgegenbringen müsse, wenn das schwierige Werk ihres Aufbaus gelingen solle. Wir sind dazu bereit. Nur erlauben Sie mir, dies zu betonen: Wer besonderes Vertrauen braucht, darf sich der Frage danach nie entziehen. Wer sich ihr nicht stellt, kann es schon dadurch leicht verlieren!
Wie man diesem Grundsatz gerecht wird und wie man ihn in Übereinstimmung mit unserer Verfassungswirklichkeit bringt, ist hier nicht der Ort zu untersuchen. Das wird Aufgabe der Verfassungsrechtler sein. Wir, die gewöhnlichen Volksvertreter, wenn ich einmal so sagen darf, haben die Dinge vor allem unter wehrpsychologischen Gesichtspunkten zu sehen.
Damit darf ich nochmals an etwas anknüpfen, was gestern der Herr Kollege H e y e hier meinte, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Er sagte, im Soldaten stecke ebensosehr der Untertan wie in uns Deutschen allen, und erklärte daraus mit die merkwürdige Stellung, welche die Reichswehr im und zum Weimarer Staat eingenommen habe. Diese Erklärung des Herrn Kollegen Heye scheint mir für die Reichswehr durchaus zutreffend zu sein. Aber sie hängt zusammen mit deren soziologischer Zusammensetzung. Denn diese wurde nach Angaben, die Seeckt selbst in seinem Buch über die Reichswehr gemacht hat, bewußt homogen gehalten in dem Sinne, daß der Nachwuchs für Offiziere und Mannschaften vornehmlich in den Bevölkerungskreisen gesucht wurde, von denen man ein Verständnis für militärische Tradition und ihre Pflege erwarten durfte. Es gibt statistische Aufstellungen, die in diesem Falle wohl durchaus zuverlässig und sehr interessant sind und die einwandfrei beweisen, daß die soziologische Zusammensetzung der Rechswehr sich ganz wesentlich von der unterscheidet, die die deutsche Wehrmacht etwa im Jahre 1913 gehabt hat. Aus dieser Zusammensetzung ergab sich der unpolitische Untertanengeist, der weite Teile der Reichswehr in Übereinstimmung allerdings mit gewissen Teilen der Bevölkerung beseelte. Das hätte nun mit der Einführung der Wehrpflicht anders werden können. Aber an Stelle des Geistes freier Staatsbürger trat damals leider die Ideologie des Nationalsozialismus mit der Bindung des einzelnen an Begriffe wie Führer, Volkgemeinschaft, Reich usw.
Inzwischen hat sich doch einiges in unserem Volke geändert. Es hat eine Umerziehung zum demokratischen Denken stattgefunden. Ich meine hier weniger das, was uns die Besatzungsmächte mit mehr oder weniger geeigneten Methoden und mit entsprechend unterschiedlichem Erfolg in dieser Hinsicht beigebracht haben, als das, was uns aus unserem Schicksal an Erkenntnissen zugewachsen ist.
Wir sind uns unseres Staatsbürgertums bewußter geworden. Aber wir haben uns gleichzeitig auch von dem entfernt, was früher als unentbehrliche Voraussetzung für einen guten Soldaten angesehen wurde. Das hat sich teilweise sogar bis zu einer mentalen und bewußten Ablehnung alles Militärischen gesteigert, mit der bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht gerechnet werden muß und mit der es sich auseinanderzusetzen gilt.
Deshalb kann das heutige Gesetz auch kein Anfang sein, sondern nur der Vorbereitung auf die eigentlichen Aufgaben dienen, die mit der Einziehung von Wehrpflichtigen und den dafür zu schaffenden Gesetzen beginnen. Freiwillige sind noch keine Wehrpflichtigen, und eine Gruppe von Berufssoldaten ist noch kein Volksheer. Man kann etwas von Politik und von der Mentalität des Wählers verstehen. Etwas anderes aber ist die Psychologie junger Menschen, die Soldat werden sollen oder müssen. Diese beiden Komplexe sollten auch nicht miteinander vermengt werden. Wir sollten eine ganz saubere Trennung vornehmen.
Was wir heute hier vornehmen, ist die Bewältigung einer gesetzestechnischen Aufgabe, welche die Bewältigung militärtechnischer Aufgaben vorbereitender Art ermöglichen soll. Darum ist es gut, daß alle Vorbehalte eingebaut worden sind, die verhindern, daß ein Vorgriff auf das erfolgt, was noch zu bewältigen sein wird, oder Fakten geschaffen werden, die kommende Entscheidungen präjudizieren. Diese kommenden Entscheidungen müssen wir uns im einzelnen vorbehalten, weil sie unter denselben psychologischen Aspekten zu erfolgen haben, wie sie auch bei der Schaffung des Gesetzes über den Personalgutachterausschuß von entscheidender Bedeutung waren.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf wird meine Fraktion aus den aufgezeichneten Gründen ihre ungeteilte Zustimmung geben.
Das Wort hat der Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits bei der Vorlage des Freiwilligengesetzes hat meine Fraktion gewisse Bedenken angemeldet. Diese Bedenken sind auch, nachdem der Sicherheitsausschuß in ausgiebigen Beratungen die verschiedensten Verbesserungen angebracht hat, noch nicht vollends ausgeräumt. Andererseits sind meine Freunde von der Deutschen Partei und ich fest davon überzeugt, daß es notwendig ist, dieses Gesetz umgehend unter Dach und Fach zu bringen, und zwar aus außenpolitischen Überlegungen. Denn wenn wir bedenken, daß in diesen Tagen die Führer der Großmächte in Genf zusammentreten, dann gibt es in unserer Situation nur die Alternative, ob wir, ich möchte sagen: als unsichtbarer Verhandlungspartner mit am Verhandlungstisch sitzen oder oh wir als Faustpfand dafür dasein sollen, daß eventuell Konzessionen auf unserem Rücken ausgehandelt werden können. Es ist dabei noch keineswegs entschieden, welche Rolle Deutschland bei diesen Beratungen endgültig spielen wird, ob es aktiver Mitspieler sein kann oder ob es die Rolle eines passiven Objekts zugewiesen bekommen wird.
Meine Freunde und ich haben aber das Vertrauen in die Westmächte, daß sie ihre gegebenen Zusagen in dem Umfang einhalten, wie das bisher stets der Fall gewesen ist und wie andererseits auch die Bundesrepublik die eingegangenen Verpflichtungen stets getreulich erfüllt hat. Trotzdem dürfen wir uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß angesichts der sicherlich langwierigen Verhandlungen, die bevorstehen, Überraschungen nicht ausgeschlossen erscheinen. Dieses Moment macht es notwendig — das muß hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden, denn es ist meines Erachtens in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit und in der Presse noch nicht deutlich genug geworden —, daß wir jetzt zur Verabschiedung dieses Gesetzes schreiten.
Meine Damen und Herren, wir sind fest überzeugt — wir können es natürlich, wie hier vorhin schon gesagt wurde, nicht beweisen; den Beweis muß sowohl der Führer der Opposition wie der Regierungschef schuldig bleiben; ob der eingeschlagene Weg richtig ist, wird erst die Zukunft beweisen —, wir sind aber überzeugt davon, daß wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzes unter anderem in dem diplomatischen Kräftemessen der Zukunft eine weit aktivere Rolle spielen können, als es bisher der Fall war, und daß insonderheit die konsequente Verfolgung der bisher eingeschlagenen Außenpolitik schlechthin dazu führen wird, daß die deutschen Probleme eher einer uns genehmen Regelung zugeführt werden können, als es unter den derzeitigen Umständen der Fall ist.
Ich hoffe mir nicht wieder einen Zuruf wie gestern zuzuziehen, wenn ich hier feststelle, daß wir mit der großen Mehrheit der Koalitionsfraktionen in der Außenpolitik der vergangenen Jahre absolut übereingestimmt haben. Der beste Beweis dafür, daß dies eine gute Außenpolitik war, ist, glaube ich, die Tatsache, daß wir heute wieder über unsere volle Handlungsfreiheit und Souveränität verfügen, und schließlich auch die Tatsache, daß die Russen sich veranlaßt sahen, den Bundeskanzler nach Moskau einzuladen.
Unter diesen Umständen ist es meinen Freunden und mir unverständlich, wie von seiten der Opposition noch in so heftiger Weise Kritik an der Außenpolitik der Regierung geübt werden kann. Ich möchte dem, was hier schon mehrfach von verschiedenen Sprechern anderer Fraktionen gesagt wurde, ebenfalls Ausdruck geben: daß wir uns als Ganzes einschließlich der Opposition in diesem Hause schließlich und endlich doch zu einer gemeinsamen Linie der Außenpolitik finden können.
Wenn ich sage, daß wir die bisherige Außenpolitik konsequent weiterverfolgen wollen, dann meine ich damit die Grundlinien dieser Außenpolitik, wobei wir in einzelnen Fällen uns selbstverständlich auch entsprechend geschmeidig verhalten müssen.
Wenn wir das beachten, glauben meine Freunde und ich, daß wir für die eine Seite durchaus interessant sein können, für eine andere Seite vielleicht sogar interessant sein müssen.
Um es abschließend zu sagen: Wir erachten die Beschlußfassung über das vorliegende Gesetz als eine Honorierung der eingegangenen Verpflichtungen innerhalb der NATO bzw. der Westeuropäischen Union. Wenn von den Kritikern der Wehrgesetze in der Öffentlichkeit immer wieder schlechthin gesagt wird, dieser bescheidene Verteidigungsbeitrag könne niemals verhindern, daß böse Ereignisse eventuell doch einträten und über uns hinweggingen, dann stehe ich nicht an zu erklären, daß auf der einen Seite durch die Erfüllung der eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen wir uns wieder ein Stück moralischen Kredits mehr zuziehen und daß auf der anderen Seite selbstverständlich dies auch nur ein Beginn sein kann. Es wäre jedenfalls das Dümmste und Schlechteste, was die Bundesrepublik tun könnte, wenn sie wie eine Windfahne auf jeden Luftzug reagieren und einmal in diese, einmal in jene Richtung schwenken würde. Gerade die Tatsache, daß wir in der Vergangenheit konsequent eine klare und gerade Linie verfolgt haben, hat uns den Kredit in der Welt wieder eingebracht, den wir heute haben.
Im übrigen ist die Deutsche Partei der Auffassung, daß ein standhaftes und sich selbst getreues Volk auch nicht das ständige Objekt fremder Interessen auf alle Zeiten sein kann.
Meine Damen und Herren! Die psychologische Situation, die wir im Zeitpunkt der Verabschie-
dung des Freiwilligengesetzes und damit des ersten Wehrgesetzes vorfinden, ist dagegen keineswegs so erfreulich. Darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen.
Herr Kollege Cillien hat heute morgen hier sehr richtig ein Wort gesprochen, das meine Freunde von der DP schon vor Jahren oftmals ausgesprochen haben, das ihnen aber manchmal recht unfreundliche Bemerkungen eingebracht hat, nämlich daß es notwendig ist, daß wir uns als Deutsche zu den Höhen und zu den Tiefen unserer Geschichte bekennen, da es nicht möglich ist, eine Geschichtsära einfach zu verschweigen oder den Kopf vor ihr in den Sand zu stecken. Wir sind darüber hinaus sogar der Meinung, daß, wenn man sich aufrichtig auch mit einer Ara wie der verflossenen auseinanderzusetzen vermag, dann der Sache des ganzen Volkes nur ein großer Dienst erwiesen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Krieg selbst und die Not und das Elend der Nachkriegszeit, die langjährige Gefangenschaft vieler Hunderttausender von Männern und Frauen, die teilweise heute noch nicht zurückgekehrt sind, das, was nach dem Kriege, nach 1945 als Entnazifizierung durch unser Land ging, die Art und Weise, in der die ehemaligen Soldaten nach 1945 nicht nur von den Alliierten, sondern leider Gottes auch von Deutschen oftmals behandelt wurden, haben nicht dazu beitragen können, daß heute eine wirkliche Wehrbereitschaft im deutschen Volke, sei es bei den Alteren, sei es bei der Jugend, vorhanden ist. Wenn wir uns daranbegeben, eine Wehrgesetzgebung zu machen, sollten wir über allen Formalien nicht vergessen, gerade dieser äußerst schlechten psychologischen Situation entsprechend Rechnung zu tragen und alles zu tun auf sozialen und anderen Sektoren, um eine größere Bereitschaft für diese notwendigen Dinge zu schaffen, als wir sie bisher haben.
Wir haben auch heute noch die Nachwirkungen unserer totalen Niederlage im Lande, obwohl sie natürlich gegenüber den früheren Jahren erheblich abgeschwächt sind. Herr Kollege Heye hat hier gestern ganz mit Recht darauf hingewiesen, daß die Verärgerung in den Kreisen der Soldaten über die vielfältigen Bestimmungen des 131er-Gesetzes vorhanden ist. Ich darf Sie auch daran erinnern, meine Damen und Herren, daß heute noch ein Teil der Soldaten außerhalb der Gemeinschaft der ehemaligen deutschen Soldaten steht. Das ist ein Teil der Waffen-SS, die wir auch nicht kollektiv verurteilen können. Und ich darf Sie vor allem daran erinnern, daß wir noch mit einer schweren Hypothek belastet sind. Das ist die Tatsache, daß bis zum heutigen Tage immer noch nicht alle jene Männer und Frauen aus alliierten Kerkern und Gefängnissen entlassen sind, daß wir heute, zehn Jahre nach Kriegsende und in einem Augenblick, in dem wir uns anschicken, eine neue Wehrmacht aufzustellen, vermerken müssen — angesichts noch dazu der Tatsache, daß wir uns mit vielen Nationen freundschaftlich verbunden haben —, daß diese selben Nationen unsere ehemaligen Soldaten noch zurückhalten. Das ist eine tiefbetrübliche Tatsache, und ich kann nur hoffen, daß die Informationen richtig sind, die mir in jüngster Zeit geworden sind, daß nämlich im Herbst dieses Jahres mit einer Bereinigung dieses Problems von alliierter Seite gerechnet werden könne, die so weit gehen solle, daß man zwar nicht diejenigen, die wirklich
Verbrechen begangen hätten und die wahrscheinlich auch vor deutsche Gerichte gestellt werden müßten, entlassen wolle, daß aber alle diejenigen, die den zweifelhaften Methoden der damaligen Gerichte erlegen seien, ihre Freiheit wiedererlangen sollten. Vorsichtshalber möchte ich aber für meine Freunde und, ich glaube, sicherlich auch für viele Angehörige der übrigen Fraktionen von hier aus noch einmal den Appell an die Gewahrsamsmächte richten, endlich dem Recht seinen freien Lauf zu lassen.
Wir dürfen auch nicht übersehen, meine Damen und Herren, wenn die Wehrmacht, die wir jetzt aufstellen wollen und deren erste Grundlage das Freiwilligengesetz ist, auch eine absolute Verteidigungswehrmacht sein soll, was wir nicht oft genug betonen können, daß wir den Opfern des letzten und des vorletzten Krieges gegenüber noch Verpflichtungen haben, die noch nicht in vollem Umfange eingelöst sind; diese Einlösung wäre auch ein Stück psychologischen Wehrbeitrages. Für meine Freunde von der Deutschen Partei und mich steht es aber fest, daß es keine Freiheit ohne Sicherheit geben kann, und wenn wir das erkennen, meine Damen und Herren, dann müssen wir den Mut haben, der Öffentlichkeit die sicherlich unpopuläre Gesetzgebung klarzumachen und ihr zu erklären, daß das, was wir jetzt unternehmen, einfach sein muß. Denn es ist ein ungeschriebenes Gesetz aller freien Nationen, daß sie eine Wehrmacht haben, diese aber nicht haben, um etwa ihre Nachbarn zu überfallen, sondern um im Falle eines Angriffs gewappnet zu sein. Und wer wollte in Westdeutschland behaupten, daß wir im Falle eines Angriffs erwarten könnten, daß etwa Franzosen, Engländer, Amerikaner und andere Nationen unser Volk, unsere Frauen und Kinder, unser Land verteidigen, während wir selbst mit den Händen in den Hosentaschen dabei ständen!?
Es ist eine verwerfliche und sehr durchsichtige Propaganda, die dem deutschen Volk weiszumachen versucht, daß mit der Aufstellung der Streitkräfte der neue Krieg bereits im Kommen sei und selbstverständlich von Deutschland angezettelt würde. Meine Damen und Herren, ein ernsthafter Mensch kann so etwas doch nicht glauben; denn Deutschland verfügt ja, um nur ein Beispiel zu nennen, gar nicht über die entsprechende Rüstungswirtschaft. Man würde uns die Waffen, die man uns jetzt gibt, um uns in den Stand der Verteidigungsbereitschaft zu setzen, sehr schnell wegnehmen und unter Umständen diese Waffen gegen uns selbst gebrauchen müssen. Der deutschen Öffentlichkeit kann daher nicht nachdrücklich genug gesagt werden, daß mit diesem Beitrag, den die einen als viel zu gering bezeichnen, niemals eine Propaganda in dem Sinne getrieben werden darf, daß wir etwa militaristisch und kriegslüstern seien. Aber eins lassen wir uns nicht nehmen: diesen freiheitlichen Raum so zu schützen, wie es in einer Welt voller Unfrieden und voller Hinterhalt notwendig ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe vorhin vom psychologischen Wehrbeitrag gesprochen und einige Beispiele dafür genannt. Dazu gehört auch die Ehrenerklärung, die Herr Verteidigungsminister Blank anläßlich der ersten Lesung des Freiwilligengesetzes abgegeben hat, indem er der Wehrmacht bescheinigte, daß sie, abge-
sehen selbstverständlich von einigen Elementen, die es überall gibt, ehrenhaft, brav und tapfer gekämpft habe. Diese Erklärung kommt zwar zehn Jahre nach Kriegsende etwas spät von dieser Tribüne, aber meines Erachtens noch nicht zu spät.
Ich will nicht in Einzelheiten der gestrigen Auseinandersetzung über unsern Standpunkt zum Personalgutachtergesetz einsteigen. Erlauben Sie mir aber bitte noch kurz zu bemerken, daß wir uns bei der Ablehnung des Personalgutachterausschusses in der angenehmen Gesellschaft der Professoren Bergstraeßer und Eschenburg befinden. Wenn Herr Kollege Mende gestern hier verkündete, daß auch 1807 — nach Tilsit — Königliche Kommissionen eingesetzt wurden, die die Aufgabe hatten, eine solche Überprüfung vorzunehmen, und wenn heute vielfach in der Presse gerade dieses Beispiel genannt wird, dann muß ich um der Wahrheit der Geschichte willen richtigstellen, daß es solche Königlichen Kommissionen zwar gab, daß sie aber unmittelbar nach Beendigung der Feindseligkeiten eingerichtet wurden und daß sie sich mit ganz konkreten militärischen Vorgängen zu befassen, aber nicht eine charakterliche oder persönliche Eignungsprüfung vorzunehmen hatten. Das ist der Unterschied.
Verzeihen Sie, wenn ich im Rahmen dieser Debatte, ohne alte Wunden — es war zwar gestern, aber ich betrachte es als alte Wunden — aufreißen zu wollen, noch einmal nachdrücklich darauf hinweise: Wenn meine Fraktion, von wirklich ernster Sorge um die Entwicklung dieser Dinge getragen, den Personalgutachterausschuß abgelehnt hat, dann ist es nicht aus irgendwelchen parteipolitischen Gründen geschehen,
— ich bitte doch, uns den guten Willen so zu unterstellen, wie wir das bei Ihnen auch tun —
sondern weil wir uns ernsthafte Gedanken über dieses Gesetz und seine Bestimmungen gemacht haben. Ich erkläre auf Grund der Zwischenrufe der Opposition, daß wir selbstverständlich auch den Standpunkt jeder anderen Fraktion dieses Hauses und ihre Argumentation anerkennen, die ja nicht von irgendeinem Führer diktiert worden ist, sondern die von den Fraktionen in ihrer Gesamtheit nach ernsthaftester Gewissensprüfung erarbeitet worden ist. Ich habe gestern allerdings einen Hinweis der Koalitionsfraktionen und auch des Herrn Kollegen Mellies vermißt, daß Einmütigkeit darüber bestände, daß dieser Personalgutachterausschuß unter allen Umständen, wenn es auch nicht formal im Gesetz verankert ist, zu unserem Bedauern eines Tages seine Tätigkeit einstellen muß und daß es nicht dahin kommen darf, daß man ihn bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag als Instrument gebraucht, um diese oder jene Maßnahmen zu begründen bzw. zu erforschen. Wir werden also darauf achten, — —
— Ich habe alles mitbekommen, Herr Mellies. Im Gesetz steht aber kein Termin; deswegen lege ich Wert darauf, daß das hier protokollarisch festgehalten wird.
Es war der Kollege Heye, der gestern verschiedentlich sehr tiefschürfende und auch mir sehr zu Herzen gehende Ausführungen machte. Er hat doch auch indirekt zum Ausdruck gebracht, daß auf Grund der Vorkommnisse der verflossenen Jahrzehnte eine gewisse Vorsicht und ein gewisses Mißtrauen angebracht seien. Aber, meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie alle: Bitte, betrachten Sie den Soldaten, auch den neuen deutschen Soldaten, nicht von vornherein als etwas, was vielleicht nicht so innerhalb der zivilen Gemeinschaft stehen könnte. Ich weiß, daß die Vergangenheit dazu reizt, ihm von vornherein eine besondere Stellung zuzuschieben. Ich bin aber andererseits überzeugt, daß gerade die, man kann schon sagen, ausgezeichnet gelungene Umerziehung der letzten zehn Jahre auch dem deutschen Soldaten innerhalb unserer zivilen Gemeinschaft eine Stellung geben wird die wir alle respektieren können und bei der wir vor allen Dingen erwarten können, daß der Soldat auch das zivile Element, das Parlament und die Regierung, respektiert. Wir können keinen größeren psychologischen Fehler machen, als immer wieder darauf hinzuweisen, daß eine neue Wehrmacht etwa eine potentielle Gefahr für die Demokratie darstelle. Damit bringen wir diese neuen Soldaten und Offiziere von vornherein in eine Abwehrstellung gegenüber unserem jungen Staate. Ich glaube im übrigen, daß die ehemaligen Soldaten aller Dienstgrade, gleichgültig ob Unteroffiziere, Mannschaften oder Offiziere, inzwischen wahrhaftig nicht die schlechtesten Zivilisten geworden sind. Sie haben es, nachdem sie ihren Beruf nach der totalen Kapitulation aufgeben mußten, alle verstanden, durch ihrer Hände und ihres Kopfes Arbeit sich wieder eine entsprechende Stellung zu erwerben.
Ich nehme auch hier die wenigen aus, die immer aus der Reihe tanzen werden, wie es aber, was ich immer wieder betone, auch in vielen anderen Berufssparten der Fall ist.
Gewisse weitere Bedenken meldet meine Fraktion zu § 2 c an, der bekanntlich die Spitzengliederung und die Organisation in etwa präjudiziert. Hierüber sind verfassungsrechtliche Streitereien im Gange gewesen. Ganz geklärt sind die Dinge zwischen Parlament und Regierung in diesem Fall noch nicht. Deswegen haben wir uns gestern der Stimme enthalten. Ich 'betone bei der Gelegenheit ausdrücklich, damit auch seitens der Opposition und auch seitens der Presse, die sich heute morgen jedenfalls in Bonn bemüßigt fühlte, die Dinge so darzustellen, als wolle die Deutsche Partei das Parlament in der Wehrgesetzgebungausschalten, Klarheit besteht: das ist eine böswillige Verdrehung, gegen die ich von dieser Stelle aus mit aller Entschiedenheit protestiere. Ich erkläre hier für die Fraktion der Deutschen Partei, daß wir uns in unserem Verlangen und unserem Wunsche, die parlamentarische Kontrolle so stark wie möglich zu machen und im übrigen auch die zivile Kraft in der Wehrmacht so stark wie möglich zu machen, mit allen Fraktionen dieses Hauses treffen, wenn wir auch in Details manchmal verschiedener Auffassung sind. Im vorliegenden Fall des § 2 c kann vielleicht nicht ganz bestritten werden, daß ein gewisses Präjudiz vorliegt, indem hier die Legislative in die Exekutive in einer Form eingreift, die vielleicht für andere Fälle Schule machen könnte. Aber auch hier ist noch ein psychologisches Moment dabei, indem eine solche Formulierung leicht dazu führen kann,
als eine Sonderregelung für die Wehrmacht bzw. als ein Vorurteil gegen die Wehrmacht ausgelegt zu werden. Wir sind, da wir natürlich auf rechtsstaatlichem Boden stehen, absolut für klare Begrenzung der Gewalten, für klare Begrenzung der Verantwortlichkeiten und Befugnisse. Insofern ist uns bei dem § 2 c nicht so ganz wohl in unserer Haut. Wenn eingewandt wird, daß gegen den jetzigen Bundesverteidigungsminister keine Bedenken bestünden — und ich glaube, aus den Erörterungen mit Kollegen der Opposition schließen zu können, daß diese Meinung auch dort vielfach vorherrscht —, dann darf ich vielleicht darauf verweisen, daß, wenn Herr Blank nicht Minister wäre, wahrscheinlich ein anderer Minister aus diesem Hause an seiner Stelle säße und daß letzten Endes keine Bundesregierung es wagen könnte, auch keine sozialdemokratisch geführte, sich über ein etwaiges Mißtrauensvotum des Parlaments hinwegzusetzen. Ich darf hierbei auf Art. 67 des Grundgesetzes verweisen.
Es ist im Rahmen der Wehrgesetzgebung sehr viel vom inneren Gefüge gesprochen worden. Ich denke, wir werden bei der Erörterung des eigentlichen Soldatengesetzes auf diese Dinge noch zu sprechen kommen. Aber es sei mir gestattet, einen Satz zum inneren Gefüge der Dienststelle Blank selber zu sagen, wobei ich betonen möchte, daß ich selbstverständlich keiner Abteilung und keiner Person in diesem Amte zu nahe treten will. Meine Freunde und ich würden es bedauern — unseres Wissens haben sich dafür noch keine Ansätze gezeigt, aber wir wollen rechtzeitig darauf hinweisen —, wenn so wie in der Vergangenheit etwa ein edler Wettlauf oder Wettstreit der einzelnen Wehrmachtteile um die Gunst des Ministers in diesem Amt beginnen würde, der sich in der Vergangenheit nicht zum Guten für die Wehrmacht und für ihre Aufgaben ausgewirkt hat. Darüber hinaus möchten wir den Herrn Verteidigungsminister bitten, darauf zu sehen, daß auch die Personalpolitik keinen Anlaß dazu bietet, daß etwa von außenstehender Seite eine Kritik zutage treten kann, wie sie in den letzten Monaten leider Gottes schon vielfach laut geworden ist. Wie gesagt: über das innere Gefüge der Wehrmacht und über den Status und die Behandlung der Soldaten werden wir zu sprechen haben. Aber auf diese Punkte des inneren Gefüges des Amtes Blank meinte ich heute schon hinweisen zu müssen. Es erübrigt sich also, hier noch einmal besonders zu betonen, daß selbstverständlich die zivile Gewalt auch den Vorrang vor der militärischen haben muß.
Noch ein kurzes Wort zu den Erörterungen über die atomare Kriegführung. Ich will hier keine lange Debatte entfesseln. Ich möchte nur feststellen — wie es vorhin der Herr Verteidigungsminister getan hat; wir können es nur 100%ig unterstreichen —: es ist dilettantisch, zu glauben, daß es im Falle eines Atomangriffs genügen würde, sich in den Luftschutzbunker zu verkriechen und dann irgendwann einmal wieder hervorzukommen, und daß es sich damit überhaupt erübrige, andere Waffengattungen und Wehrmachtteile noch aufzustellen und zu unterhalten. Wenn dem so wäre, meine ich, wären die anderen Staaten, die ja in dieser Hinsicht weit besser ausgerüstet sind als wir, längst mit gutem Beispiel vorangegangen. Es wird nach meiner Überzeugung trotz aller Fortentwicklung der Technik auch in einem künftigen Kriege nicht möglich sein, ohne den Menschen auszukommen.
Deswegen ist es unsinnig, zu behaupten, es sei auf der einen Seite gar nicht mehr notwendig, Streitkräfte aufzustellen, und auf der anderen Seite schon deswegen nicht angebracht, weil es jetzt notwendig sei, die gesamten Mittel nur in den Luftschutz hineinzutun.
Wenn ich das schon sage, dann möchte ich auch nur mit einem Satz betonen, daß das gesamte Parlament — ich nehme an, daß hierüber von der Opposition bis zur Koalition Einmütigkeit herrscht — und auch das Bundesverteidigungsministerium sich darin einig sind, daß diese Dinge besonders aufmerksam beobachtet werden müssen und daß wir in Zukunft bereit sein müssen, auch größere materielle Opfer zu bringen, als dies zur Zeit der Fall ist, um einen ausreichenden Schutz unserer Zivilbevölkerung gegen Angriffe aus der Luft zu gewährleisten.
Die deutsche Presse möchte ich bei der Erörterung in dieser Stunde, die ja in gewisser Weise eine historische Bedeutung hat, nicht auslassen. Ich möchte die verantwortungsvolle Aufgabe unterstreichen, die sie hat und die darin besteht, jetzt und auch in Zukunft die Öffentlichkeit so zu unterrichten, wie es notwendig ist, damit sie sich von der Meinung der Parteien zu dem, was das ganze Volk, die ganze Nation betrifft, ein richtiges Bild machen kann. Insofern bedaure ich es, wenn beispielsweise in der heutigen Presse parteipolitische Auseinandersetzungen, die ja niemals ausbleiben können, gerade bei schwerwiegenden Fragen nicht, in den Vordergrund gestellt werden und die sachlichen Meinungsverschiedenheiten darüber zu kurz kommen. Dies soll nicht etwa ein allgemeiner Vorwurf an die gesamte Presse sein. Wer sich getroffen fühlt, möge sich diesen Vorwurf bzw. diese Mahnung zuziehen.
Meine Freunde von der Deutschen Partei werden dem Freiwilligengesetz zustimmen in der Hoffnung, daß wir damit in Verfolgung unserer bisherigen konsequenten Außenpolitik das Richtige getan haben, und mit dem Wunsch, daß der Allmächtige seinen Segen dazu geben möge.
Das Wort hat der Abgeordnete Blachstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich hier mit den Ausführungen des Herrn Verteidigungsministers beschäftigen, die er vorhin im Zusammenhang mit dem Manöver Carte blanche gemacht hat. Herr Minister, wir haben Verständnis dafür, daß Sie nicht am gleichen Tage, an dem die Presse Veröffentlichungen über ein solches Manöver bringt, und bevor die endgültigen Auswertungen einer solchen militärischen Übung vorliegen, hier vor dem Hause dazu Stellung nehmen. Aber es beunruhigt uns, daß Sie während der Debatten über einen deutschen Wehrbeitrag, über die Pariser Verträge und in den letzten Wochen über die ersten Wehrgesetze, die dieses Haus beschäftigt haben, von Ihrer Seite zur Frage des Atomkriegs in all seiner heute vorhandenen umfassenden Veränderung der militärischen und allgemeinen Verhältnisse bisher nicht Stellung genommen haben. Wir haben doch nicht auf das Manöver Carte blanche zu warten brauchen, um einiges über die Veränderungen in der Kriegführung und in den Möglichkeiten der Kriegführung aus anderen Län-
dern zur Kenntnis zu nehmen. Ich bedaure deshalb Ihre gereizte Abwehr von, wie Sie gesagt haben, „pseudostrategischen" Presseartikeln. Ich glaube, wir können dem Teil der deutschen Presse, der nach einem langen Schweigen endlich begonnen hat, sich mit diesen für unser. Volk und für alle Völker so entscheidenden Fragen zu beschäftigen, nur dankbar sein,
um so dankbarer, meine Damen und Herren, weil — Sie sagen jetzt, die Dilettanten sprechen — die deutschen Fachleute bisher überhaupt nichts zu diesen Dingen gesagt haben.
In Ihrer Erklärung war kein Wort darüber, welche Folgerungen sich, soweit bisher bekannt, aus dem Manöver Carte blanche für die Zivilbevölkerung ergeben. Sie können doch nicht sagen: das ist eine Ressortfrage, die geht nur den Innenminister etwas an. — Wenn hier über ein solches Manöver zum erstenmal durch den Verteidigungsminister etwas gesagt wird, so müssen wir von ihm fordern — und die deutsche Öffentlichkeit kann es erwarten —, daß etwas zu den Folgen der 268 Atombomben gesagt wird, die während dieses Manövers auf deutsches Gebiet gefallen sind.
Ich glaube, daß das keine Ressortfrage ist, sondern daß hier die Bundesregierung diesem Hause und der deutschen Bevölkerung eine klare Antwort schuldig ist.
Sie haben, Herr Minister, von den Atomexperimenten in der Wüste von Nevada gesprochen. Wir sind ja hier keine Militärakademie,
in der wir Einzelheiten der Erfahrungen mit den neuen Waffen zu diskutieren hätten. Aber in einem Zwischenruf wurde schon eingewandt, daß wir hier keine Wüste haben und daß, wenn es je wieder zu einem Krieg in Europa kommen wird, er in einem hochentwickelten, dichtbesiedelten Teil der Welt und nicht unter besonderen Manöverbedingungen wie denen in der Wüste von Nevada stattfinden wird. Die militärischen Erfahrungen aus jenen Experimenten in der Wüste von Nevada sind Teilerfahrungen wie auch die Erfahrungen im Manöver Carte blanche und in anderen Manövern, die im Laufe der Jahre von der NATO und den alliierten Streitkräften in verschiedenen Teilen der Welt durchgeführt worden sind und die in der Regel nicht von dem Fall ausgingen, daß die größten Bomben zum Einsatz kommen, sondern von einem bestimmten, abgesteckten, begrenzten Einsatz von Atomwaffen.
Ich glaube, wenn Sie heute dem Hause erklärt haben, daß der Aufbau der deutschen Streitkräfte nach neuen Planungen vorgehen werde, die auf der Höhe neuester Erfahrungen stehen, so darf dieses Haus den Wunsch und die Forderung anmelden, daß wir erfahren, wie diese neuesten Erfahrungen aussehen und welche Konsequenzen sie für die 12 deutschen Divisionen haben sollen.
Das, was wir bisher darüber wissen, sind die Planungen, die ein Teil der EVG-Verträge waren und die in die Pariser Verträge in der gleichen Weise übernommen wurden. Wir erwarten, daß wir diese
neuen Planungen, von denen Sie gesprochen haben, für den Teil, der in unserer Entscheidung liegt, hier in diesem Hause vorgelegt bekommen.
Herr Minister Blank hat bereits von der Ausgangsposition der Manöver Carte blanche gesprochen, von der neuen Situation, von der man ausging, daß auf beiden Seiten reichlich Atombomben zum Einsatz vorhanden seien. Aber, Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt, daß die Atombomben noch immer so teuer seien, daß nur militärische Ziele damit bombardiert werden könnten. In den Berichten über dieses Manöver heißt es aber, daß bereits am zweiten Tage von dem einen der an dem Manöver Beteiligten empörter Protest gegen die Ausradierung ziviler Wohnzentren eingelegt wurde.
Hier ergibt sich doch, wie fragwürdig es ist, von militärischen Zielen zu sprechen. Die Aufgabenstellung, die Sie für dieses Manöver dargelegt haben, beim Gegner die Luft- und Raketenbasen zu zerstören, einen vernichtenden Schlag gegen die Luftverteidigung zu führen, bedeutet doch, daß enorme Anstrengungen gemacht werden, die Flugplätze und Raketenbasen zu vernichten, womit in einem Gebiet, wie es Deutschland ist, wo diese Basen in der Nähe der großen Städte und Wohnzentren liegen, höchste Gefahr für die Zivilbevölkerung entsteht. In diesem Punkt haben Sie dann geschwiegen.
Es ist uns nicht bekannt, wie groß die Atombomben waren, von denen bei den Manövern ausgegangen wurde. Es wird angenommen, daß sie kleiner als die sogenannte Normalbombe waren, die erste, die über Hiroshima zum Einsatz gebracht würde. 335 Atomtreffer in wenigen Tagen, 171 im Bereich der Verteidigung und 164 beim Angreifer, daraus geht hervor, daß es nicht möglich ist — und das wird auch heute allgemein angenommen —, den Einflug von feindlichen Flugzeugen in das eigene Gebiet - Flugzeugen, die Atombomben mit sich führen — zu verhindern. Aber was wäre geschehen, wenn bei diesem Manöver auch große Bomben zum Einsatz gekommen wären, nicht nur kleine, taktische Atomwaffen zur Vernichtung der Flugbasen, sondern in Verbindung damit eine Anzahl von modernsten Wasserstoff- oder Kobaltbomben mit ihrem furchtbaren Grad an Vernichtung alles dessen, was lebt? Wir haben einige Jahre geglaubt, einen gewissen Schutz darin sehen zu dürfen, daß der Westen einen Vorsprung habe gegenüber dem Osten sowohl auf wissenschaftlichem wie auf technischem Gebiet — in der Herstellung der Bomben — und auch in den Transportmitteln, den Langdistanzflugzeugen, die notwendig sind, um im Kriegsfall Atombomben einsetzen zu können. Wir wissen heute von berufener amerikanischer Seite, daß dieser Vorsprung immer geringer wird, daß, wenn er heute noch auf einzelnen Gebieten einige Jahre betragen mag, der Abstand kleiner wird, und man weiß heute in Moskau ebenso wie in Washington, daß jeder den anderen vernichten kann.
Wir stehen bei allen Überlegungen zur Verteidigung der Heimat, zur Verteidigung der Freiheit vor dieser Tatsache, daß beide Machtblöcke, die heute die militärisch stärksten sind, in der Lage sind, einer den anderen zu vernichten. Dabei entsteht die Lage, wenn wir den Worten eines alliier-
ten Luftmarschalls glauben dürfen: wenn die erste Stunde in einem Krieg heute entscheidend für seinen Verlauf ist und nicht mehr, wie es früher als richtig galt, die letzte Schlacht über den Ausgang eines Krieges entscheidet, wenn es richtig ist, daß die erste Stunde entscheidet, dann wird der Verteidiger benachteiligt einem Angreifer gegenüberstehen. Aber dann wird auch ein Verteidigungsbündnis, wie es die NATO sein soll und nach Ihrer Erklärung ist, fragwürdig in der Möglichkeit der Sicherstellung der Verteidigung. Wenn der Feldmarschall Montgomery bereits im November vorigen Jahres erklärt hat, daß die NATO den Punkt der Entwicklung bereits überschritten habe, von dem aus es noch möglich sei, die Organisation auf die Nichtanwendung von Atomwaffen umzustellen, so liegt darin wie auch in den Beschlüssen der Minister im Rahmen der NATO-Organisation, in jedem Kriegsfalle zu Atomwaffen zu greifen, eine außerordentliche Gefährdung, besonders für uns hier in Deutschland.
Es gibt eine Theorie, daß man Atomwaffen, nicht nur Bomben, auch Raketen, Granaten und andere Waffen, nur zu taktischen Zwecken einsetzen solle, um bestimmte begrenzte Ziele in einem Krieg erreichen zu können und um auf diese Weise der allgemeinen Massenvernichtung durch die großen Bomben zu entgehen. Nun, meine Damen und Herren, es gibt dabei die Gefahr, daß sich aus der Anwendung der sogenannten taktischen Atomwaffen der große Atomvernichtungskrieg mit der Ausrottung des größten Teils der heute lebenden Menschen entwickelt. Deshalb sind wir in Sorge, daß man heute im militärischen Lager teilweise so tut, als seien Atomwaffen sogenannte konventionelle oder klassische Waffen. Wenn die Militärs heute, wie auch bei ihrer 'Übung hier über unseren Köpfen, nur von der Anwendung der sogenannten taktischen Atomwaffen ausgehen, so besteht dabei die Gefahr, daß derjenige, der schwerer getroffen wird, wenn er dazu noch imstande ist, zum totalen strategischen Atomkrieg übergeht.
Bei den Manövern, die hier abgehalten wurden, wären, wenn es Ernstfall gewesen wäre, nach vorsichtigen Schätzungen etwa 1,7 Millionen Deutsche getötet und 3,5 Millionen Deutsche verwundet worden. Diese Zahlen sollen niedrig geschätzt sein, weil es sich um ein Manöver zur Vernichtung der Flug- und Raketenbasen gehandelt hat.
Aber wie ist es eigentlich mit der radioaktiven Strahlung von 268 Bomben, die in wenigen Tagen auf deutsches Gebiet fielen?
Auf wie lange würde unser Boden durch diese Strahlen verseucht werden, wie lange würde es dauern, nicht nur, bis man mit Panzern durch dieses Gebiet fahren kann, sondern bis die Menschen, falls sie Keller hatten und falls sie überlebt hätten, wieder herauskommen könnten?
Der Herr Kollege Heye hat gestern hier sehr eindrucksvoll von Erfahrungen aus seiner Offizierslaufbahn gesprochen, wie unter bestimmten Umständen sich die Soldaten und Offiziere ganz anders verhielten, als man es vorher als selbstverständlich angenommen hatte. Wie würden denn Truppen aussehen und wie würden sie reagieren, wenn 335 Atombomben in kurzer Frist fielen? Wie würde z. B. die Zivilbevölkerung reagieren? Wie würde die politische und militärische Führung am Tage danach aussehen?
Ich glaube, man kann nicht einfach über diese Dinge hinweggehen. Hier ist heute von den psychologischen Faktoren gesprochen worden. Die psychologischen Faktoren sowohl in der Bevölkerung wie in einer Truppe spielen sicher für die Verteidigung eine entscheidende Rolle. Wie würde das am Tage nach einem solchen Bombenhagel aussehen?
Man hat uns — auch heute wieder — gesagt: Diese deutschen Divisionen sollen die allgemeine Sicherheit der westlichen Welt erhöhen. Nun, die 500 000 Mann, mit denen wir in den nächsten Jahren zur Verstärkung der westlichen Sicherheit beitragen sollen, entsprechen etwa der Zahl, um die das amerikanische Heer verringert wird. Nach genauen Zahlen des Heeresministers der Vereinigten Staaten Stevens soll in der künftigen Planung das amerikanische Heer 578 000 Mann umfassen, genau 450 000 Mann weniger, als heute im amerikanischen Heer unter Waffen stehen.
Ich glaube, wir können ganz einfach sagen, daß hier deutsche an Stelle amerikanischer Soldaten treten und durch diese Verlagerung in Wirklichkeit nicht eine zusätzliche Verstärkung der Verteidigungskraft des Westens eintritt.
Aber zurück zu den Carte-Blanche-Manövern! Wir haben die Karte mit den Treffern gesehen, die erfreulicherweise veröffentlicht worden ist, um uns nicht im Zweifel zu lassen, wie ein solcher Krieg aussehen würde. Wir haben die Bombenziele von Hamburg bis München gesehen. Es graut uns vor dieser Karte und ihren Konsequenzen.
Der Herr Bundeskanzler hat uns hier vor kurzer Zeit erklärt: Wenn wir in die Atlantikpaktorganisation eintreten, wird unser Land nicht Schlachtfeld sein. Nun, was ist denn nach diesen Manövern an dieser Erklärung des Bundeskanzlers? Hat sie denn mehr Wahrheitsgehalt als jene Behauptung vor zwanzig Jahren, daß keine Bombe jemals auf deutschen Boden fallen würde?
Herr Bundeskanzler, da wir uns nicht wie Lämmer und Schafe zur Schlachtbank eines Atomkrieges führen lassen wollen, gerade darum protestieren wir mit solcher Leidenschaft gegen den Gedanken, in diesem Land und in diesem Teil Europas überhaupt einen Atomkrieg zu führen.
— Meine Damen und Herren, ein Parlament, das nicht bereit ist, die Wahrheit über die Lage seines Volkes zu hören, begibt sich des Rechtes, über das Geschick seines Volkes zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, ein Volk, das nicht bereit wäre, die Wahrheit zu hören,
die Bedingungen kennenzulernen, unter denen es leben muß, hätte sich von vornherein aufgegeben.
Der totale Krieg, meine Damen und Herren, bedroht nicht nur unser Volk und nicht nur dieses Europa, sondern er würde zu einer Bedrohung der ganzen Welt. Deshalb wehren wir uns auch schon gegen den Gedanken des Krieges mit taktischen Atomwaffen, weil wir fürchten, daß es nicht gelingen wird, eine Grenze zu ziehen, die haltbar ist, daß es nicht gelingen wird, einen Platz zu finden, wie man in militärischen Kreisen manchmal sagt, zwischen Polizei und der Wasserstoffbombe. Wir fürchten, daß sich aus einem solchen Beginn das furchtbare Ende notwendig ergeben muß.
Wir sprechen deshalb nicht für Tatenlosigkeit oder für Abwarten oder Nichtstun.
Wir glauben, daß im Vorhandensein dieser Waffen in beiden Lagern die letzte und einzige Chance liegt, daß sie vielleicht nicht zur Anwendung kommen werden.
Wir treten deshalb für die Politik ein, daß die beiden Seiten auf die Verwindung dieser Waffen in der Zukunft verzichten.
Meine Damen und Herren, im Anschluß an diese Manöver sind von dem militärischen Berater der Bundesregierung dazu im Rundfunk Äußerungen gemacht worden, die nicht zur Klärung, sondern bestenfalls zur Beschwichtigung dienen konnten. Es war mehr der Versuch, von etwas anderem zu reden als von dem, was wirklich zur Debatte stand und sich über unserem Lande abgespielt hatte. Ich glaube, es ist notwendig, daß wir über diese Fragen nicht nur allgemein sprechen, sondern daß wir auch in diesem Hause aus der vornehmen Zurückhaltung heraustreten und die Dinge so darstellen, wie sie sind. Von der Normalbombe von Hiroshima mit 200 000 Toten und Verletzten und der Bombe von Nagasaki, der „nur" 66 % der dortigen Bevölkerung zum Opfer fielen, bis neun Jahre nach dem Tag, als diese Bombe über Nagasaki abgeworfen wurde, also bis zum Jahre 1954, gab es unter 30 000 Geburten mehr als 8500, die nicht normal verliefen. 4500 Neugeborene starben sofort, 500 waren Totgeburten und 3600 Mißgeburten oder Schwachsinnige. Auf so lange Zeit wirken die Kräfte, die Strahlen, die Giftstoffe dieser Bomben auf den menschlichen Organismus nach. Wenn damals eine Bombe reichte, um Hiroshima zu zerstören, so ist heute — das wissen wir — eine Wasserstoffbombe genug für Paris, New York, Berlin oder Moskau. Wenn heute eine Wasserstoffbombe ohne Warnung auf eine deutsche Großstadt mit 650 000 Einwohnern fiele, gäbe es mehr als 400 000 Tote und mehr als 200 000 Verletzte. Meine Damen und Herren, diese Zahlen sind von amerikanischen und deutschen amtlichen Stellen berechnet. Der Herr Innenminister wird mir bestätigen, daß sie auf Grund nüchterner und gewissenhafter Berechnungen gefunden worden sind.
In der Weite des Pazifik ist eine Wasserstoffbombe zur Explosion gebracht worden, die 600mal so stark wie die sogenannte erste Normalbombe war. Sie kennen das Schicksal der japanischen Fischer, die weit davon entfernt ihrem Beruf nachgingen, aber nur wenig wissen wir bisher aus dem Munde von Wissenschaftlern, nicht zuletzt auch des deutschen Professors Hahn, über die Wirkung der Atomteile bei Kobalt-, Wasserstoff- und Atombomben, die in die Atmosphäre gehen, die ihre tödliche Strahlungskraft auf lange Zeit behalten, weit vom Ort der Detonation entfernt nach mehr oder weniger langer Zeit auf die Erde niederfallen können und furchtbare Verheerungen und Verwüstungen anrichten.
Wenn wir uns die Karte der Ziele beim Manöver Carte blanche ansehen, so müssen wir sagen: Wir haben zwar Atomkanonen in diesem Lande, aber wir haben bis zum heutigen Tage keinen echten Schutz gegen die Folgen eines Atomkrieges.
Wenn man die Stationierung von Atomkanonen in unserem Lande damals begrüßt hat, so wäre es nach unserer Auffassung die Sache der Bundesregierung gewesen, gleichzeitig an den Schutz der Zivilbevölkerung, soweit er überhaupt noch möglich ist — und es gibt Möglichkeiten dafür —, heranzugehen.
Aber was haben Sie erst vor wenigen Wochen bei der Beratung des Haushalts des Bundes getan, meine Damen und Herren, als wir forderten, daß für den Schutz der Zivilbevölkerung 1,5 Milliarden DM ausgegeben werden? Sie waren nicht dazu bereit. Gerade in diesen Tagen geht eine Notiz durch die Presse, daß die Bundesregierung 70 Millionen DM — 12 Millionen DM mehr als ursprünglich vorgesehen — für den Luftschutz zur Verfügung stellen wolle. Hier stehen 9 Milliarden für Verteidigungszwecke 70 Millionen gegenüber für die Sicherung des Lebens der Bevölkerung unseres Landes. Das ist ein krasses Mißverhältnis, wenn man weiß, wie Kriege, wenn sie ausbrechen, heute wirken müssen.
Man hat in diesem Lande lange Zeit versucht, über diese Dinge ein Schweigen zu breiten. Erst heute hat der Verteidigungsminister, der in einer Regierungserklärung diese Dinge neulich auch übergangen hat, wenige Worte dazu gesagt. Allzu lange hat auch die Presse sich wenig damit beschäftigt. Der Rundfunk — teils sollte er nicht, teils tat er es nicht — ist erst spät ernsthaft an die Behandlung dieser Frage herangegangen. Deshalb sind wir dankbar dafür, daß die Frage der Verteidigung der Bundesrepublik, von der Sie gerade in diesem Hause so gern reden, zum erstenmal echt als eine Alternative aus deutschem Gesichtspunkt von einem ungehorsamen Oberst gestellt wurde, und wir sind dankbar für einen Publizisten, der begann, sich mit dieser Frage ernsthaft zu befassen, ohne daß wir jede Zeile und auch jede Wendung, die er in dieser Zeit geschrieben bzw. gebraucht hat, nun zu unserer eigenen machen. Aber jeder, der anfängt, sich mit diesen Fragen ernsthaft zu beschäftigen, wird vielleicht im Laufe des Durchdenkens und des Be-
handelns der Probleme zu anderen Schlüssen kommen als denen, mit denen er am Anfang darangegangen ist.
Schließlich sind es die Wissenschaftler, die in den letzten Monaten und in den letzten Tagen ihre Stimme erhoben haben, vielleicht gerade darum, weil sie mehr von den Dingen wissen, die sie selbst erdacht, die sie vor uns aufgebaut und die sie den Regierungen und Militärs an die Hand gegeben haben, weil sie mehr Phantasie haben oder weil ihre Technik heute phantasievoller ist als alle Phantasie, die wir sonst aufbringen können. Sie werden gerade von diesen Menschen, die ihre warnende Stimme erheben, sicher nicht behaupten wollen, daß sie alle etwa außenpolitisch auf dem Boden der Sozialdemokratie stünden oder ihre Warnungen aus innerpolitischen Erwägungen aussprächen.
Es gibt kein Entrinnen für uns, auf Grund unserer geographischen Lage, auf Grund der Bedeutung, die unsere Wirtschaft und unsere Rohstoffe haben, und schließlich auf Grund der fremden Basen in beiden Teilen Deutschlands, die wir nicht einfach durch Worte aus unserem Land herausbringen können, aus deren Existenz sich aber für diese Fragen entscheidende Folgerungen ergeben. Es darf nicht so bleiben, daß das „deutsche Wunder" durch die Behandlung dieser Probleme nicht gestört werden soll, daß die Behaglichkeit in einem Teil unseres Volkes nicht durch diese brutale Wirklichkeit gestört werden will.
Wir Sozialdemokraten haben in den letzten Jahren in diesem Hause mehrfach auf die Gefahren des Atomkrieges hingewiesen und von der Bundesregierung Maßnahmen gefordert, die vor allem dem Schutz der Bevölkerung unseres Landes dienen sollten. Wenn uns heute gesagt wurde, man brauche auf jeden Fall eine Wehrorganisation, wenn der Verteidigungsminister gesagt hat, man werde sie nach den neuesten Erfahrungen aufbauen, so entsteht etwas der Eindruck, daß man nach der Devise handelt: Fangen wir erst mal an, irgend etwas wird dabei schon herauskommen!
Sehr überzeugend ist das bei der dritten Lesung des ersten Wehrgesetzes von der Regierung Gesagte nicht. Wir glauben, daß es notwendig sein wird, umzulernen, und daß es schädlich wäre, weiterzuwurschteln, sowohl auf militärischem Gebiet wie auf dem Gebiet des Luftschutzes und anderen damit in engem Zusammenhang stehenden Gebieten.
Wir haben Bedenken, wenn wir sehen, wie schnell die Generäle bereit sind, zu lernen, und da Sie empfindlich sind gegenüber Kritik an den deutschen, lassen Sie mich aus einer anderen Armee ein Beispiel geben — es kommt dabei nicht auf die Nationalität an, sondern auf den konservativen und traditionellen Geist, der in jeder Truppe, in jedem Generalstab und bei den meisten Generälen vorhanden ist —: Denken Sie an die katastrophale Fehleinschätzung des französischen Generalstabs vor 1939 über die technische und militärische Entwicklung. Wird Ihnen dabei nicht etwas Sorge aufkommen, ob es so etwas nicht auch heute geben und nicht auch in anderen Ländern geschehen könnte? Die EVG — wird uns heute erklärt — sei völlig überholt, die Manövererfahrungen der Alliierten von 1953 seien völlig überholt. Jeden Tag neue Entscheidungen auf diesem Gebiet, die zum Umdenken auffordern, aber vor allem zu der großen Frage: Ist ein Krieg überhaupt noch zu verantworten? Ist der Sinn eines Krieges — das zu verteidigen, was lohnt, verteidigt zu werden — noch vorhanden, wenn mit diesem Kriege Menschen, Städte und Kulturen versinken werden?
Albert Einstein hat diese Frage einmal kurz beantwortet, als man ihn fragte, wer nach seiner Meinung den dritten Weltkrieg — als Atomkrieg — gewinnen würde. Er sagte, das wisse er nicht, aber er wisse, daß der Krieg danach wieder mit Steinäxten geführt werden würde. Damit wollte er sagen, daß mit dem Atomkrieg das Ende der Zivilisation kommt, das Ende all dessen, was uns, wie wir es nennen mögen, das Leben lebens- und verteidigenswert macht.
Wir glauben, daß diese Fragen vor dem ganzen Volk in aller Ruhe, in aller Sachlichkeit, aber ohne Verschleierungen erörtert werden müssen. Dabei ist es nicht Sache der Sprecher der Regierung, zu beschwichtigen oder zu vertuschen, sondern aufzuklären. Denken wir an die Rede, die Eisenhower über diese Dinge vor den Vereinten Nationen gehalten hat, oder denken wir daran, wie Winston Churchill vor dem britischen Unterhaus und damit vor dem ganzen englischen Volk die Wahrheit über die Lage dieses Volkes und die Möglichkeiten zu überleben ausbreitete! Warum folgt der Bundeskanzler nicht diesen Beispielen und tritt auch vor das deutsche Volk und sagt, was vor ihm steht und wie die Aufgabe gemeistert werden kann?
— Der Bundeskanzler antwortet auf Kritik an seinen militär- und außenpolitischen Konzeptionen in der Regel mit Verdächtigungen und Unterstellungen wie in der ersten Lesung in diesem Hause zu dem Gesetz, das heute hier verabschiedet wird.
— Werden Sie doch nicht so ungeduldig! Sie können doch auch von hier reden!
Es gibt eine Gruppe von Menschen, die um den Ernst der heutigen Lage weiß. Eine Reihe von Gelehrten hat vor einigen Tagen einen Aufruf an die Regierungen und an die Völker erlassen; unter diesen Gelehrten der jüngst verstorbene Albert Einstein, der kurz vor seinem Tode diesen Aufruf mit unterschrieben hat. Er ist jetzt von Bertrand Russell veröffentlicht worden. Gestatten Sie mir, einige Sätze aus dem Aufruf zu verlesen:
Wir müssen lernen umzudenken. Wir müssen lernen, uns nicht die Frage vorzulegen, welche Schritte getan werden können, um der Gruppe, die wir bevorzugen, den militärischen Sieg zu verleihen, denn solche Schritte gibt es nicht mehr. Die Frage, die wir uns vorlegen müssen, lautet: Welche Schritte können unternommen werden, um eine militärische Auseinandersetzung zu verhindern, deren Ergebnis für alle Seiten katastrophal sein muß? Die Öffentlich-
keit und selbst viele Männer in verantwortlicher Position haben nicht erkannt, was ein Krieg mit Atombomben bedeuten würde. Die Öffentlichkeit lebt noch in der Vorstellungswelt der Vernichtung von Städten. Bekanntlich sind die neuen Bomben stärker als die alten. Während eine Atombombe Hiroshima vernichten konnte, könnte eine Wasserstoffbombe die größten Städte wie London, New York und Moskau vernichten. Von Fachseite wird erklärt, daß jetzt eine Bombe hergestellt werden kann, die 2500mal stärker ist als die, die Hiroshima zerstörte. Hier liegt also das Problem, das wir Ihnen vorlegen, nackt, furchtbar und unausweichlich. Sollen wir das Ende der Menschheit herbeiführen, oder verzichtet die Menschheit auf einen Krieg? Man sieht diese Alternative nicht gern, weil es so schwierig ist, den Krieg abzuschaffen.
Obwohl ein Übereinkommen, im Rahmen einer allgemeinen Abrüstung auf die Anwendung von Atomwaffen zu verzichten, noch keine endgültige Lösung darstellte, würde es einem wichtigen Zweck dienen.
Erstens. Jedes Übereinkommen zwischen Ost und West ist insofern zum Guten, als es dazu beiträgt, die Spannung zu mindern.
Zweitens. Wenn jede Seite glaubt, daß die andere die Abschaffung von thermonuklearen Waffen ehrlich vorgenommen hat, so nimmt die Furcht vor einem plötzlichen Angriff im Stile Pearl Harbours ab, die gegenwärtig beide Seiten in einem Zustand nervöser Angst hält.
Wir sollten deshalb ein solches Abkommen begrüßen, wenn auch nur als einen ersten Schritt.
Und am Ende heißt es in dieser Erklärung:
Angesichts der Tatsache, daß in jedem künftigen Weltkrieg ohne Zweifel Atomwaffen zur Anwendung kommen und diese Waffen den weiteren Bestand der Menschheit bedrohen, fordern wir die Regierungen der Welt auf, einzusehen und öffentlich zu versprechen, daß ihren Zielen nicht durch einen Weltkrieg gedient werden kann, und wir fordern sie dementsprechend auf, friedliche Wege zur Beilegung aller unter ihnen bestehenden Streitfragen zu finden.
Sie wissen, meine Damen und Herren, daß Professor Hahn aus Göttingen sich ähnlich geäußert hat, daß aus demselben Geiste gestern in Lindau am Bodensee auf einer Tagung von Naturwissenschaftlern aus verschiedenen Ländern eine Entschließung gefaßt worden ist, die sich in gleicher Weise an die Völker und Regierungen wendet.
Meine Damen und Herren! Wir wünschen, daß in dieser Lage alles getan wird, was möglich ist, um unser Volk vor den Folgen eines Atomkrieges zu schützen.
Das ist sicher in erster Linie auch eine politische Frage, zu der ich in diesem Augenblick hier nicht zu sprechen habe, zu der der Vorsitzende meiner Fraktion heute morgen das gesagt hat, was für uns Sozialdemokraten in diesem Augenblick, am Vorabend der Genfer Konferenz, zu sagen notwendig war.
Wir glauben an die Kraft der Völker, mit den Tatsachen fertigzuwerden, die die Wissenschaft geschaffen hat und denen die militärischen und zivilen Machthaber heute gegenüberstehen. Wir Sozialdemokraten wollen keine Apathie und keine Resignation gegenüber diesen Dingen, sondern wir wollen ganz nüchtern das tun, was getan werden muß, im Vertrauen auf unser Volk, daß es auch mit diesen Dingen fertig wird und daß es entschlossen ist, seinen Beitrag dafür zu leisten, den Krieg von unserem Lande fernzuhalten
und die Atomkräfte dafür einzusetzen, daß sie der
Wohlfahrt und dem Wohlstand der Völker dienen.
Darum ist nach unserer Auffassung die Aufgabe dieser Stunde nicht die Aufrüstung der Bundesrepublik, sondern die Abrüstung hier und in der Welt überhaupt,
das Verbot der Atomwaffen im Rahmen einer allgemeinen Abrüstungsvereinbarung, weil wir den Zusammenhang mit den sogenannten konventionellen Waffen durchaus kennen.
Wir fordern einen wirksamen Schutz für die Zivilbevölkerung und für die Bevölkerung überhaupt, und wir halten 70 Millionen DM dafür für absolut nicht ausreichend. Zuerst die Menschen sichern, dann die Kanonen!
Wir glauben, daß die Probleme, die der moderne Atomkrieg vor uns aufrichtet, so weitgehende Veränderungen und Entschlüsse notwendig machen, daß wir es gut fänden, wenn eine wissenschaftliche Kommission, eine auch von der Regierung unabhängige Kommission sich mit allen Fragen der modernen Vernichtungstechnik und den Folgen für unser Land beschäftigte und Regierung wie Parlament bei den Maßnahmen beriete, zu denen wir uns sicher in der Zukunft werden entscheiden müssen. Wir werden bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage über die Manöver Carte blanche, die die Regierung im Herbst geben wird, in konkreter Form auf diesen Vorschlag zurückkommen. Wir glauben auch, daß bei späterer Gelegenheit über die Fragen der Strategie und die Möglichkeiten der Verteidigung der Bundesrepublik in diesem Hause ausführlich wird gesprochen werden müssen. Die Chance der Deutschen liegt in der Entspannung, und wir meinen, die Entspannung Europas wird nur möglich sein, wenn die Wiedervereinigung Deutschlands gelingt.
Wir fürchten, daß, wenn es zu einem dritten Weltkrieg käme, es in unserem Lande und in Europa wenig Hinterbliebene geben würde.
Nur die Toten würden Zeugen sein, daß wir unfähig und unvernünftig und nicht imstande waren, den dritten Weltkrieg zu verhindern. Das aber zu tun, ist Sache dieses Parlaments
und dieser Regierung, und darauf sollten unsere Anstrengungen gerichtet sein.
Das Wort hat Bundesminister Strauß.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute die 100. Sitzung der zweiten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages. Es ist für uns dabei eine Beruhigung, festzustellen — auch nach der Rede des Kollegen Blachstein —, daß wir uns im Ziel, einen Krieg verhindern zu wollen und für einen trotzdem eintretenden Ernstfall ein Maximum an Schutz verschaffen zu wollen, durchaus einig sind,
daß wir uns aber wiederum einmal in der Methode nicht finden können.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Jedermann weiß, daß im Zeitalter des Atomkrieges weder diese 6000 Freiwilligen noch die 12 Divisionen, die wir nach den Pariser Verträgen aufstellen sollen, irgendeinen nennenswerten Beitrag für die Sicherheit der Menschen in der Bundesrepublik darstellen werden oder können.
Das Volk fühlt es, mit jedem Tag mehr . . . , daß man auf diesem Wege der Aufrüstung der Sicherheit der Bundesrepublik nicht gerecht werden kann. Aber die Bundesregierung und die Koalition
— so führte er aus —
bestehen trotzdem auf ihren Divisionen, als wäre seit 1952 nichts in der Welt geschehen.
Ich finde, es ist eine geradezu gespenstische Situation, in der wir uns heute in dieser Debatte befinden.
So weit der Kollege Ollenhauer.
Ähnlich hat sich heute Kollege Mellies ausgedrückt, und damit ist die Frage angeschnitten worden, die seit der Erfindung der Atombombe gestellt werden muß und die mit der weiteren Entwicklung der Massenvernichtungswaffen mit immer größerer Dringlichkeit erhoben worden ist, die Frage, welche Bedeutung konventionelle Streitkräfte im Atomzeitalter überhaupt noch haben.
Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetz handelt es sich darum, ob die Einberufung von 6000 Freiwilligen zur Vorbereitung des Aufbaues der deutschen Streitkräfte im Rahmen der Pariser Verträge überhaupt einen realen Sinn hat. Es geht uns ja nicht darum, einen Schattenbeitrag zu liefern, der vor der technischen Wirklichkeit nicht mehr bestehen kann. Es geht hier auch nicht allein um militärtechnische Gesichtspunkte, wie sie heute vorgetragen worden sind. Es geht auch um die politischen Gesichtspunkte dieses Problems. Es geht uns nicht darum, die Sicherheit der anderen Vertragspartner zu erhöhen und für uns nur ein gesteigertes Risiko in Kauf zu nehmen. Es geht uns in erster Linie darum, durch den deutschen Beitrag zur NATO die Sicherheit für alle beteiligten Staaten zu erhöhen. Die Erfüllung der Pariser Verträge ist für uns kein Selbstzweck; sie entspricht einer klaren politischen Konzeption, die dem deutschen Volke Frieden, Freiheit und nach Maß aller Kräfte die nationale Einheit ermöglichen soll.
Ich erlaube mir, im Zusammenhang mit diesem Problem einige grundsätzliche politische Gedanken zu erwähnen. Ich tue es nicht deshalb, weil der Herr Kollege Ollenhauer in der gleichen Rede erklärt hat, daß schon viele von unten nach oben gestiegen und in den Höhen des ewigen Schweigens verschwunden seien.
— Ich sage, ich tue es nicht deswegen; ich hätte es auch so getan, Herr Kollege Ollenhauer. Nur wenn wir das Problem unserer Sicherheit, die nach unserer Auffassung erst durch die Pariser Verträge identisch mit der Sicherheit der freien Welt geworden ist, jenseits der Grenzen aller Parteipolitik, frei von Wunschvorstellungen besprechen, werden wir zu realistischen Ergebnissen gelangen. Die Bedenken der Opposition werden dabei um so ernsthafter geprüft werden, je weniger sie mit diesen Bedenken bei den Regierungsparteien den Eindruck erweckt, daß es ihr nur darum gehe, die Erfüllung der Pariser Verträge zu verzögern oder zu verhindern.
Unsere Debatte erhielte allerdings eine gespenstische Irrealität, wenn wir nur die innenpolitische Seite des Aufbaus der deutschen Streitkräfte behandeln wollten, so notwendig ohne Zweifel diese Arbeit für die Zukunft der Demokratie ist, so weitgehend hier auch unsere Übereinstimmung ist und so notwendig das Ganze für ein mißtrauensfreies Verhältnis zwischen Streitkräften und Parlament und für eine Kontrolle der bewaffneten Macht im Staate ist.
Ich darf auf die Fragen, die Kollege Blachstein gestellt hat, mit einigen politischen Ausführungen antworten. Er sprach von der Berechtigung des Krieges. Ich glaube, wir sind uns wohl alle darin einig, daß der Krieg heute keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln mehr sein kann, wie es seinerzeit Clausewitz formuliert hat. Für ihn und für seine Zeit mußte der Krieg trotz aller Schrecken und Scheußlichkeiten noch in einer Begrenzung erscheinen, die nach der Sprache der Waffen auch noch die Sprache der Konferenzen, d. h. politische Lösungen ermöglichte. Für das 19. Jahrhundert war der Krieg ein Ausnahmezustand, dessen an sich sehr traurige Folgen doch bald wieder überwunden werden konnten, um einem vernünftigen Gespräch der Staatsmänner nicht mehr im Wege zu stehen. Es wurde anders im 20. Jahrhundert. Der erste und der zweite Weltkrieg waren die mit steigender Brutalität geführten Auseinandersetzungen zwischen zwei Mächtegruppen, in denen alle Kraftquellen der Völker und alle verfügbaren Mittel der Technik in den Dienst der Vernichtung gestellt wurden. Die Tatsache, daß im zweiten Weltkrieg die Gaswaffe nicht mehr angewendet wurde, spielt in diesem Zusammenhang keine wesentliche Rolle und darf nicht zu der automatischen Schlußfolgerung führen, daß aus dem gleichen Grunde die Verwendung von Atomwaffen heute nicht in Betracht käme; denn in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, als je eine Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki geworfen wurde, hat eine völlig neue Epoche begonnen.
In der Zwischenzeit ist die Entwicklung der Massenvernichtungswaffen so weit fortgeschritten, daß nicht nur Städte vernichtend getroffen, sondern auch ganze Landstriche verwüstet werden
können, wenn eine einzige Bombe auf sie fällt. Die Technik hat begonnen, der Kontrolle der Menschen zu entgleiten. Mit der Produktion dieser Massenvernichtungswaffen in größeren Zahlen, wie sie jetzt möglich geworden ist, ist ohne Zweifel das apokalyptische Gespenst der Selbstvernichtung der Menschheit am Angsthorizont der menschlichen Kreatur aufgetaucht. Ohne Zweifel haben die Amerikaner einen qualitativen und quantitativen Vorsprung auf diesem Gebiete. Ohne Zweifel versuchen die Sowjets alles, um diesen Vorsprung einzuholen. Dabei kann eines Tages die Lage eintreten, daß ein quantitativer Unterschied nicht mehr von Bedeutung ist, wenn nämlich beide über so viel Massenvernichtungswaffen verfügen, daß sie kontinentale Verwüstungen in ausreichendem Umfang anrichten können, falls es ihnen gelingt, diese Waffen in das Land des Gegners zu tragen. Nach einer Auseinandersetzung mit solchen Mitteln — darin stimmen wir durchaus mit dem Vorredner überein — gibt es keine politische Lösung mehr, d. h. der seinerzeit aufgestellte Grundsatz vom totalen Kriege hat sich dann selbst überlebt. Die Technik ist über den Sinn eines jeden Krieges, der mit totalen Mitteln geführt würde, hinausgewachsen. Die alten militärischen Begriffe haben weitgehend ihren Wert verloren, die alten Ideale ihren Glanz eingebüßt. Es gibt keine schimmernde Wehr mehr, die begeisterungsfähige Herzen höher schlagen ließ. Es gibt nur mehr das todernste Problem der Sicherheit unseres Volkes an der Nahtstelle zweier Weltmächte, die beide über Massenvernichtungswaffen verfügen.
Daraus ergibt sich für uns die oberste politische Aufgabe, und diese oberste politische Aufgabe ist die Verhinderung des Krieges. Wir sagen nicht wie Kollege Blachstein: Wir lehnen den Gedanken eines Krieges mit taktischen Atombomben leidenschaftlich ab. Wer garantiert uns denn, daß nicht nach dem Einsatz taktischer Atombomben als nächste Phase der Einsatz strategischer Atomwaffen beginnt? Wer garantiert uns denn, daß nicht nach dem Einsatz konventioneller Waffen in ständig steigendem Grade der Einsatz von ABC-Waffen kommt? Das oberste Ziel, auf das wir heute in diesem Jahrhundert der Risiken, in diesem Jahrhundert der Entscheidungen unsere Politik abstellen müssen, ist, alles, aber auch alles zu tun für 'die Verhinderung eines Krieges!
Kollege Blachstein hat ein rührendes Bild der Welt nach seinen idealistischen Vorstellungen entworfen. Wenn alle Staaten dieser Erde, wenn alle Machthaber dieser Welt, gleichgültig welches Kontinents, gleichgültig welcher Rasse, gleichgültig welcher Weltanschauung, sich ein und demselben moralischen Gesetz verpflichtet fühlten, sich ein und demselben Gewissen unterworfen fühlten, ich darf es noch deutlicher sagen, ein und dieselbe — im großen gesprochen — religiöse Bindung an eine höhere Verantwortung hätten, dann gäbe es dieses Problem der Sicherheit für uns bestimmt nicht, dann würden Konferenzen ausreichen!
Erst nach diesem obersten Ziel ist eine andere Frage von Bedeutung — wir müssen hier klare Prioritäten einhalten —: ob es einen technischen oder politischen Weg gibt, der selbst im Falle eines Zusammenstoßes die Möglichkeit bietet, daß im Gegensatz zu früher und wider die Erfahrungen, die man mit der menschlichen Natur gemacht hat, nicht das Höchstmaß an Vernichtungstechnik angewendet, sondern wegen der selbstmörderischen Sinnlosigkeit eine Auseinandersetzung mit beiderseits freiwillig und auf Gegenseitigkeit begrenzten Mitteln geführt wird.
Nach diesem obersten Ziel und nach dieser zweiten Frage ist eine dritte Frage von Bedeutung: welche aktiven und passiven Sicherheitsmaßnahmen in beiden Fällen den größtmöglichen Schutz bieten. In jedem Falle wird es unsere Pflicht sein, illusionslos und realistisch uns für den Ernstfall einzurichten. Wir können dabei gewiß sein, daß wir, je mehr wir uns auf den Ernstfall einrichten, eine um so größere Chance haben, ihn nicht erleben zu müssen.
Denn unser wirksamster Schutz besteht leider nicht, muß ich sagen, in passiven Maßnahmen, so unentbehrlich diese sind und zur Ergänzung ergriffen werden müssen. Sie könnten die Folgen lindern, sie könnten das Ausmaß der Katastrophe vielleicht vermindern; sie könnten aber nicht die Schrecken ersparen, die eine Serie von Atombombenexplosionen durch Druckwelle, Hitze und radioaktive Verseuchung hervorrufen würde.
— Einen Augenblick, Herr Kollege; ich werde mich
dazu noch sehr deutlich äußern! — Hier darf ich
den Kronzeugen des Kollegen Blachstein zitieren
— er hat es nicht unbedingt verdient, weder daß er von mir, noch daß er von ihm zitiert wurde —, nämlich den letzten englischen Premierminister Churchill, der davon sprach, daß unser wirksamster Schutz in der Abschreckung jedes Angreifers besteht und bestehen wird, solange alle Menschen und die Machthaber auf der Welt nicht ein und demselben Gesetz und ein und demselben Gewissen unterworfen sind.
— Ich habe hier nicht die Aufgabe, Herr Kollege, die Militärs zu verteidigen; dafür ist ein zuständiger Ressortminister da. Ich glaube aber sagen zu dürfen, daß die Militärs, die den Krieg kennengelernt haben, oft eine größere Angst vor ihm hatten und mehr vor ihm zurückgeschreckt sind als manche Politiker, die vom Jubel der Massen umbraust worden sind.
— Es geht uns hier nicht um Finten, Herr Kollege, es geht in diesem Zusammenhang um ernstere Dinge.
Die Berichterstattung über die NATO-Luftmanöver Carte blanche, der Aufruf der sieben Wissenschaftler mit dem Vermächtnis von Albert Einstein und der Aufruf der achtzehn Nobelpreisträger in Lindau von gestern haben ohne Zweifel und mit Recht Unruhe und Besorgnis ausgelöst. Ich möchte nicht im einzelnen — das ist heute morgen durch den Kollegen Blank geschehen — darauf eingehen, daß diese NATO-Luftmanöver einem ganz bestimmten Zweck dienten, daß sie aus technischen Gründen in engen räumlichen Grenzen gehalten werden
mußten, daß sie den Einsatz der strategischen Waffen — deshalb sind alle unsere Schlußfolgerungen noch sehr unvollkommen — aus den weiter zurückliegenden englischen und amerikanischen Basen nicht berücksichtigten, daß sie sich infolge der Begrenzung der Aufgabenstellung nicht mit den Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes befaßten, woraus viel Verwirrung entstanden ist. Aber ich möchte sie trotzdem sehr realistische Manöver nennen. Der amerikanische Luftmarschall WykehamBarnes, der nicht weit von hier die Ergebnisse in einer Schlußbesprechung zusammengefaßt hat, sprach ja auch sehr realistisch. Er sprach davon, daß es nicht mehr darum gehe, von Kriegführen oder von Krieggewinnen zu reden, sondern daß man in der Lage sein müsse, einen Krieg zu verhindern. Der Auftrag, den die NATO-Manöver hatten, war der, einen Beitrag zur Verhinderung des Krieges zu leisten, indem sie sein Bild realistisch geboten haben, auch gegenüber denen, für die Krieg oder Frieden reine Zweckmäßigkeitsdinge sind.
Ohne Zweifel ist es richtig, daß heute ein Überraschungsangriff mit Atomwaffen strategische Vorteile bietet, wenn ein Angriff wirklich noch ex improviso, wie ein Blitz aus heiterem Himmel, erfolgen könnte. Aber ein Angriff auf Europa kann nicht ohne erkennbare Vorbereitungen erfolgen, die für die NATO warnende Vorzeichen wären. Der politische Sinn der NATO-Luftmanöver lag darin, den Sowjets zu zeigen, daß die NATO in der Lage ist, den erhobenen Atomarm abzuschlagen. Damit sollen die auch dann noch möglichen Folgen nicht verharmlost werden. Damit soll nicht gesagt sein, daß es einem Angreifer nicht gelingen würde, schreckliche Verwüstungen anzurichten. Aber er könnte den Krieg nach den Ergebnissen der NATO-Manöver nicht mehr gewinnen, auch nicht in der ersten Phase. Er müßte damit rechnen, daß die strategischen Vergeltungswaffen der Amerikaner — mit ihrem kürzeren Anflugweg nach der Sowjetunion, daher Stützpunktsystem, gegenüber dem sowjetischen Anflugweg, auch über die Polarroute, nach den strategischen Kraftquellen der USA und Kanadas — innerhalb kurzer Zeit die Sowjetunion zur Einstellung ihres Angriffs in Mitteleuropa zwingen würden. Nicht umsonst fordern die Sowjets dauernd die Auflösung der amerikanischen Stützpunkte; denn die Auflösung der amerikanischen Stützpunkte wäre die Voraussetzung dafür, daß sie ohne Selbstmordrisiko einen Angriff auf Europa unternehmen könnten.
Wir treiben mit dieser Betrachtung keine amerikanische Politik, wir zerbrechen uns nicht den Kopf mit den Problemen der USA-Strategen über ihre Sicherheit. Aber wir sind dafür dankbar, daß es ein integrierendes Sicherheitssystem gibt, in dem wir alle im selben Boot sitzen und in dem wir ohne die Aufhebung dieser Basen nicht ohne vernichtende Folgen auch für den Angreifer angegriffen werden können. Das ist leider der dünne Faden, an dem unsere Sicherheit hängt.
Gerade die ungeheure Übersteigerung der Wirkung der Massenvernichtungswaffen auf große Flächen macht die Sowjetunion gegenüber der Wasserstoffbombe — und darin liegt ihr politisches
Moment — nicht minder empfindlich, als Europa mit seinen dichtgedrängten Siedlungen durch die Atombombe ohne jeden Zweifel verwundbar ist. Damit hat der Krieg für den Angreifer einen echten Sinn verloren. Bei den NATO-Luftmanövern kam sehr klar zum Ausdruck, daß die NATO ausschlaggebenden Wert auf eine ständige, ich möchte sagen, auf den Kampf um Sekunden abgestellte Abwehrbereitschaft legt. Damit ist die alte angelsächsische These infolge der technischen Entwicklung abgelegt worden, die immer darin bestanden hatte, erst nach und nach die eigenen Kraftquellen zu mobilisieren, um die letzte Entscheidung zu gewinnen. Für uns ist es heute nicht mehr interessant, ob die Vereinigten Staaten von Amerika die letzte Entscheidung gewinnen würden. Für uns ist es interessant, daß sie die erste Entscheidung durch ihre Abwehrbereitschaft für den Angreifer aussichtslos machen würden.
Damit mag Churchill, den wir heute ja schon mehrfach strapaziert haben und sicher noch strapazieren werden, recht haben, „daß wir durch eine wahrhaft großartige Ironie des Schicksals" — ich zitiere jetzt wörtlich; in meinem Munde würden diese Worte vielleicht zu gefährlich klingen —„jetzt in dieser Sache ein Stadium erreicht haben, da Sicherheit das kräftige Kind der Angst und unser Fortbestand der Zwillingsbruder der Vernichtung sein werden." So weit Churchill.
In diesem Rahmen stellt sich die Frage nach dem Sinn und nach der Zweckmäßigkeit der deutschen Streitkräfte gemäß den Pflichten und den Beschränkungen aus den Pariser Verträgen. Es steht außer Zweifel, daß die Entwicklung der Massenvernichtungswaffen und die Fähigkeit, sie in immer größerer Zahl zu produzieren, auf der einen Seite, die Möglichkeit, sie durch bemannte oder unbemannte Flugzeuge bzw. ferngesteuerte Geschosse in das Land des Gegners zu bringen auf der anderen Seite, nicht nur das Abschreckungsmoment für jeden Angreifer erhöhen, sondern auch eine strategische Revolution hervorgerufen haben. Es steht außer Zweifel, daß die Landstreitkräfte ihre ursprüngliche klassische Bedeutung heute wohl nicht mehr haben, daß sie aus einer absoluten militärischen Größe im Sinne der vergangenen Auseinandersetzungen zu einer relativen Größe geworden sind.
Die deutschen Streitkräfte — und da kommen wir zu dem wesentlichen Punkte — im Rahmen der NATO haben aber gar nicht mehr die Aufgabe, eine für sich alleinstehende strategische Bedeutung im Sinne einer deutschen militärischen Weltmacht zu gewinnen. Die Zeit einer deutschen Militärmacht im Maßstabe einer Weltmacht ist endgültig vorbei. Die zwölf deutschen Divisionen, in Gliederung, Ausrüstung und Ausbildung dem Zeitalter des Atomkrieges angepaßt, sind weder eine Bedrohung für die Sowjetunion, geschweige denn eine Bedrohung für irgendeinen anderen Nachbarn. Sie sind zusammen mit ihren taktischen Luftstreitkräften genau das, was sie sein sollen — und auch nach unserer Auffassung dürfen sie nicht mehr sein —, nämlich eine Ergänzung und Verstärkung der NATO, um den vorher genannten politischen Zweck Nummer eins noch wahrscheinlicher und noch sicherer zu erreichen.
Die NATO ist kein Angriffsinstrument, nicht so sehr wegen ihrer technischen Zusammensetzung als wegen der Gesinnung der Staatsmänner, die den menschen- und erdzerstörenden Blitz in diesem Instrument in ihren Händen haben, wohl aber ein Abschreckungsinstrument mit der Fähigkeit, verheerende Vergeltungsschläge auszuteilen.
Mit Recht hat Churchill in seiner bekannten Rede „Statement of defence" Ende Februar dieses Jahres die Frage gestellt, was wohl Hitler getan hätte, wenn in seinen Händen die Wasserstoffbombe gewesen wäre. Er hat den Sowjets vielleicht keine weniger schlechte Gesinnung unterstellt, aber eine ausreichendere Vernunft, um einzusehen, daß nur mehr ein Wahnsinniger heute von diesem Mittel Gebrauch machen könnte.
Die NATO ist ein Sicherheitssystem auf Gegenseitigkeit mit einer geschickt vorgenommenen Arbeitsteilung. Gerade die NATO-Luftmanöver haben bewiesen, daß Deutschland, Frankreich und die Benelux-Länder schon innerhalb der ersten Stunden einer Auseinandersetzung derselben Bedrohung aus der Luft unterliegen würden. Gemeinsame Bedrohung und gemeinsame Aufgabe werden die politische Zusammenarbeit erleichtern. Die Aufgabe eines deutschen Beitrages kann und soll nicht darin bestehen, eine selbständige strategische Größe darzustellen. Aber der deutsche Beitrag erhöht die Gesamtwirksamkeit der NATO, die Abschreckung für jeden Angreifer, und gibt — und das wird auch die Opposition in seinem Werte nicht bestreiten — der Bundesrepublik Deutschland das Recht der Einflußnahme auf die Planung der NATO auch nach deutschen Interessen.
Auch für uns gilt, was Churchill für England sagte: „Wenn wir keinen eigenen Beitrag leisten" - und das ist doch die glänzende Widerlegung des Kollegen Blachstein, der ebenfalls Churchill für seine Thesen herangezogen hat —, „können wir nicht sicher sein, daß die Mittel der anderen Mächte im Ernstfall so eingesetzt werden, wie wir es für richtig halten."
Es mag in diesem Zusammenhang von Interesse sein, was General Svedlund jüngst im Zusammenhang mit dem schwedischen Verteidigungsproblem, das ganz anders liegt als das deutsche, aber in der Gefährdung vergleichbar ist, ausgeführt hat. Er sagte — in einem bündnisfreien Staate —:
Wenn ein Kleinstaat nicht über Atomwaffen verfügt und keine Allianz mit einem über solche Waffen verfügenden Partner eingeht, dann kann dieser Mangel für einen Angreifer zur Verlockung werden.
Was vielleicht bei der schwedischen Situation und der Neutralität Finnlands noch eine infolge der Verteidigungsbereitschaft Mitteleuropas haltbare Situation ist, würde, angewendet auf Mitteleuropa, für uns sehr bald eine unhaltbare Situation ergeben.
Damit ist von der deutschen Situation aus gesehen ein schwerwiegendes Wort gegen die sozialdemokratischen Vorstellungen von bewaffneter Neutralität gesprochen worden. Ein Nebeneinander von lauter Neutralitätswehrmachten in einem allumfassenden Sicherheitssystem der kommunistischen und nichtkommunistischen Staaten würde finanziell und wirtschaftlich ohne Zweifel drückender sein als die Beiträge zur NATO, würde aber kaum einen Bruchteil der Abschreckungswirkungen erhalten, die eine auf Arbeitsteilung abgestellte, über konventionelle Streitkräfte, taktische und strategische Atomwaffen verfügende Verteidigungsorganisation gerade nach den Erfahrungen von Carte blanche darstellt.
In diesem Zusammenhang kann auch nichts dagegen gesagt werden, daß die Amerikaner mit dem weiteren Ausbau ihrer Luftwaffe ihre auf amerikanischem Boden stehenden Landstreitkräfte in begrenztem Umfang abbauen. Ihre Aufgabe innerhalb der NATO liegt ohne Zweifel, da sie zunächst nur auf dem Luftweg über die Polarroute erreicht werden können, anders, als unsere Aufgaben liegen. Den Sinn erreicht die NATO durch die Arbeitsteilung, indem jeder seinen Beitrag zu leisten und damit die gemeinsame Sicherheit zu erhöhen und das Risiko für den Angreifer zu verstärken hat. Mehr können wir dazu nicht sagen.
Es gibt in unserer Situation — und das ist die Illusion des Vorredners, das ist die Tragik der wohlmeinenden Idealisten bei uns, die sich mit demselben heißen Herzen wie wir um die Erhaltung des Friedens und die Sicherung des Friedens bemühen — keine Sicherheitspolitik ohne Risiko. Das größte Risiko liegt aber für uns in der Versuchung, daß ein Angreifer ungestraft seine Hand auf Europa ausstrecken könnte.
Wenn wir da von Prioritäten sprechen, dann ist festzustellen, daß ein wohlfunktionierendes System europäischer Luftschutzmaßnahmen mit Bunkern und Evakuierungsdienst zwar ermöglichen würde, daß die sowjetischen Panzer ohne Verkehrsunfälle bei uns einfahren, es würde aber nicht dazu beitragen, daß sie sich das vor Erreichen der Grenze noch einmal ernsthaft überlegen würden.
In diesem Zusammenhang hat der Sozialdemokratische Pressedienst vom 29. Juni 1955 eine erstaunliche realistische Darstellung über Carte
blanche gebracht. Es heißt dort als Manöverbericht:
Es erwies sich, daß der westeuropäische Raum
praktisch zu eng für das Manöver war. Das
wird sich im Ernstfalle noch deutlicher zeigen.
Die schleunige Errichtung eines geschlossenen
Luftwarnsystems meldet sich gebieterisch an.
— Alles Gedankengänge, mit denen wir übereinstimmen! —
Die Tiefe Westeuropas
— so heißt es wörtlich in dem Informationsdienst der Opposition —
von der Werra bis zum Atlantik ist unerläßlich, wenn eine Abwehr überhaupt funktionsfähig sein soll.
Ich darf mir bloß die bescheidene Frage erlauben, warum die Opposition aus dieser Darstellung ihrer Militärspezialisten nicht selbst die politischen Konsequenzen zieht.
Im Lichte dieser Erkenntnis ist das Nein zum Beitritt zur NATO und das Nein auch heute noch zur
Ausführung der Pariser Verträge identisch mit einem Nein zur Anerkennung der Verteidigungsfähigkeit Europas und würde die Verewigung dieses Zustandes bedeuten.
Dabei muß man auch manchmal Glück haben mit den eigenen Militärexperten. Der Kollege Blachstein hat sich heute sehr anerkennend für den ungehorsamen Obristen von Bonin ausgesprochen. Es ist nicht meine Aufgabe, hier für oder gegen den ungehorsamen Obristen von Bonin ein lobendes oder ein tadelndes Wort zu sagen. Ich bin sogar der Meinung, daß man seine Vorstellungen in sehr sachlicher Weise diskutieren muß, daß man sich bemühen muß, aus ihnen zu lernen, was für unsere Situation von einem militärischen Fachmann gelernt werden kann,
ohne einen Zweifel daran zu lassen, daß für strategische Konsequenzen nicht allein die Militärs, sondern in erster Linie die Politiker auf der Grundlage des militärischen Rates zuständig sind.
Aber wenn Sie heute dem Herrn von Bonin ein so ideales Zeugnis ausgestellt haben — ich sage ausdrücklich: ich möchte gegen ihn persönlich nichts einwenden —, dann habe ich den Eindruck, daß Sie sich bei ihm ursprünglich in der politischen Einstellung geirrt haben. Denn am Anfang hat Ihr Pressedienst den Herrn von Bonin in Grund und Baden hinein verrissen.
Als Herr von Bonin bei dem Vortrag in München sich bei den Sozialdemokraten als Anhänger ihrer Neutralitätspolitik bekanntgab, ist er auf einmal zum vorbildlichen Strategen für Ihre Vorstellungen emporgestiegen.
Ich war selbst davon überrascht, daß Sie Herrn von Bonin anfänglich so verdonnert haben; denn ich hatte schon das Gefühl, daß aus seinen Thesen etwas für Sie herausspringt. Aber hier überwog noch die ursprüngliche Einstellung. Erst als Herr von Bonin in München gesprochen hatte, hat er so sukzessive die Leiter des sozialdemokratischen Beifalls Sprosse für Sprosse erklommen, ist aber bis jetzt noch nicht in den Höhen des ewigen Schweigens verschwunden.
Ich glaube, es gibt in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheit darüber, daß Gewaltanwendung heute kein Mittel nationaler Politik mehr ist. Der Lindauer Aufruf der 18 Nobelpreisträger entspricht genau so unseren Vorstellungen. Krieg ist heute kein Mittel der Politik, und Gewaltanwendung ist kein Instrument politischer Auseinandersetzungen mehr. Mochte es früher zahlreiche große und, am Ergebnis gemessen, kleine Anlässe für die Anwendung kriegerischer Mittel geben, heute beginnt für uns das Recht zur Gewaltanwendung nur im Falle der nackten Notwehr unserer Nation und sonst in keinem Falle mehr.
Leider besteht aber kein Zweifel, daß unsere Nation aus eigener Kraft für ihre Sicherheit, die ihrerseits Voraussetzung für Wiedervereinigung ist, nicht mehr aufkommen kann. Es wäre für uns — darin, glaube ich, sind wir uns doch einig — schlechthin selbstmörderisch, an die absolute Friedensliebe der Sowjets zu glauben. Die Gewaltpolitik der Sowjets nach dem zweiten Weltkrieg steckt doch uns allen noch tief in den Knochen, und die letzte Phase hat noch nicht dazu geführt, daß wir dieses Gefühl und diese drastische Erinnerung jetzt einfach ablegen konnten, als stünde dahinter nichts mehr als ein friedensbedürftiger Riesenblock.
Friedensliebe und Friedenspropaganda der Sowjets entspringen — das ist der tragische Gegensatz, von dem ich vorher gesprochen habe — nicht absoluten ethischen Wertungen, sondern sind ein Ergebnis der Aussichtslosigkeit eines heißen Krieges, dessen Aussichtslosigkeit durch die NATO begründet worden ist und durch den deutschen Beitrag vollendet werden soll; Thema: Verhütung des Krieges.
Der Widersinn einer Neutralitätspolitik für Deutschland liegt darin, daß die einzelnen europäischen Nationalstaaten heute keine souveränen Faktoren mehr darstellen. Gerade im Lichte der Sicherheitsfrage zeigt sich der Begriff der Souveränität für die einzelnen europäischen Völker in seiner ganzen Fragwürdigkeit und in dem Wandel, den er durch den Fortschritt der Technik hat erleben müssen. Nicht zuletzt 'deshalb haben wir immer auf die Vereinigung Europas hingearbeitet und werden es auch fürderhin tun. Europa ist nach Menschenzahl, Potential und Lage, wenn seine einzelnen Völker aus ihrer Situation die Konsequenzen zu ziehen vermöchten, ein für die eigene Sicherheit gerade noch ausreichendes Territorium am Westrande der eurasiatischen Landmasse. Europa wäre von sich aus zu einem Angriff aus materiellen und psychologischen Gründen unfähig, in der Verteidigung aber ist es durch das Bündnis mit den USA schlechthin unüberwindlich.
Ohne Zweifel ist es die Angst, die den Ausbruch eines dritten Weltkrieges erschwert, die ihn hoffentlich und wahrscheinlich unmöglich macht. Die Angst vor einem sowjetischen Überfall hat bei uns lange Jahre bestanden. Die Angst der Abschrekkung und damit die Verhinderung eines solchen Überfalles ist für die Sowjets erst durch die NATO herbeigeführt worden.
Die NATO ist ein Ergebnis der sowjetischen Politik und nicht die Konferenzliebe der „unschuldig verfolgten" Sowjets ein Ergebnis der Verfolgungsoder Rachsucht der NATO.
Es ist kein Zufall, daß sich im Laufe der letzten Monate die Abrüstungsvorschläge der Sowjetunion und der westlichen Großmächte näher gekommen sind. Es kann als sicher gelten, daß die Fragen der Abrüstung auf der Viererkonferenz eine wesentliche und gemeinsam mit den sonstigen Sicherheitsvorschlägen auch für die Wiedervereinigung Deutschlands erhebliche Rolle spielen werden.
Es spricht für die Regierungspolitik und gegen die Außenpolitik der Opposition, wenn Eisenhower
und Bulganin am Vorabend der Genfer Konferenz ihre Verständigungsbereitschaft betonen. Denken Sie an Ihre Prophezeiungen vor der Ratifizierung der Pariser Verträge!
Es ist nicht erlaubt, aus Carte blanche voreilige Rückschlüsse zu ziehen. Das Ergebnis dieser Manöver muß sorgfältig ausgewertet und den einzelnen NATO-Partnern zugestellt werden. Insofern war die Zurückhaltung des Bundesverteidigungsministers heute das einzig Mögliche angesichts der noch nicht zu Ende geführten Auswertung, die wohl noch eine Reihe von Wochen dauern wird. Auch die beruhigende Wirkung der Abschreckungsstrategie ohne eigene Angriffsabsichten enthebt uns nicht der Pflicht zur Vorbereitung für den Ernstfall, wie alle europäischen Staaten sich mit diesem Problem beschäftigen.
In dem Zusammenhang, meine Damen und Herren von der Opposition: Da Sie damit ja kein moralisches Obligo eingehen würden, hätten wir gerne unsere überzähligen Sitze für die Fahrt in der nächsten Woche nach Paris zur NATO für Ihre Orientierung zur Verfügung gestellt. Es ist bedauerlich, daß Sie nicht daran teilnehmen. Ich glaube, daß der Kollege Erler in diesem Kreise vermißt wird. Ich meine das sehr ehrlich, Herr Kollege Erler.
Kollege Ollenhauer hat in seiner letzten Rede die Schlußfolgerung gezogen, man sollte den ganzen deutschen finanziellen NATO-Beitrag nicht für die Aufstellung von Streitkräften, sondern für Luftschutzmaßnahmen verwenden. Sicher sind Luftschutzmaßnahmen und alles, was damit zusammenhängt, ein Mittel, das Ausmaß einer Katastrophe relativ zu verkleinern. Eine Katastrophe bliebe der Ernstfall trotzdem, und wenn wir 50 % unseres Sozialprodukts in den Luftschutz hineinsteckten. Lediglich Maßnahmen des passiven Luftschutzes würden den Zweck, den wir nach unserem obersten politischen Ziel erreichen wollen, einen Angriff zu verhindern, nicht von sich aus unterstützen.
Kollege Ollenhauer hat sich dabei auf den Militärkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berufen. Aber dieser Militärkritiker hat nach der Rede des Kollegen Ollenhauer, um falschen Schlüssen vorzubeugen, andere Schlußfolgerungen gezogen, daß nämlich deutsche Divisionen nicht überflüssig geworden seien. So alarmierend sein Artikel war, nachdem ein amerikanischer Oberst ihm auf Befragen erklärt hatte, daß im Rahmen des Manövers Carte blanche der Luftschutz für die Zivilbevölkerung nicht geübt worden sei — das war ja der Ausgangspunkt für diesen alarmierenden Artikel —, so hat Adelbert Weinstein doch in der Ausgabe vom 12. Juli geschrieben, daß er sich niemals gegen die Aufstellung von Divisionen, selbst bei voller Berücksichtigung des Atomkrieges, gewandt habe.
Ich erwähne das hier, weil Herr Weinstein heute wieder genannt worden ist. Es mag durchaus gut sein, daß die Öffentlichkeit, gerade durch solche Artikel alarmiert, zum Nachdenken angeregt wird. Man hat bei uns ohnehin den Eindruck, daß der Hang zum Illusionismus schon weitgehend überhand genommen hat und daß ihn eine kurzsichtige politische Propaganda noch unterstützt hat. Niemand braucht so notwendig wie wir eine klare Vorstellung über den Ernst unserer Gesamtsituation im Falle eines Zusammenstoßes. Nichts schadet uns mehr als der Hang zur militärischen Utopie und zur politischen Illusion. Realistik und Ehrlichkeit werden unbeschadet der Meinungsverschiedenheiten im Detail nur zu einer positiven Beurteilung der Sicherheitspolitik der Bundesregierung führen.
Ich glaube, daß auch unsere sozialdemokratischen Vertreter bei dem Londoner Sozialistenkongreß in diesen Tagen im Zusammenhang mit der Sicherheitsfrage einiges zu hören bekommen haben, auch im Sinne der Abschreckungsstrategie.
Ich lasse mich durch „Die Welt" unterrichten, da ich unmittelbare Informationen von dem Kollegen Ollenhauer nicht beziehe. Aber sicher waren dort auch die norwegischen Sozialisten, die Regierungspartei sind, vertreten. Während sich in Mitteleuropa das NATO-System vervollständigt, verlegen die Norweger ihre Sicherheitsgrenze weit über den Polarkreis hinaus in ein Gebiet, das sie früher nie zu verteidigen beabsichtigten. Das heißt, das System der NATO gewinnt an Kraft, an Inhalt und an Abschreckungswirkung. Das Risiko, daß, gleichgültig, wo zugegriffen wird, der Angriff zurückgeschlagen wird, ist größer geworden, und die Gewähr, daß der Angriff nicht kommt, verdichtet sich für uns mehr und mehr, ich möchte sagen, zu einer Lebenshoffnung. Denn alle passiven Maßnahmen, selbst erfolgreichster Art, werden im Falle eines atomaren Zusammenstoßes auf deutschem Boden nur den prozentualen Umfang der Katastrophe, aber nicht ihr Ausbleiben bestimmen können.
Man muß sich bei allen Wertungen der Carte blanche vom Wunschdenken freihalten. Die Konsequenzen aus Carte blanche zu ziehen, ist nicht allein eine Angelegenheit der militärischen Fachleute, die es oft nicht leicht haben, sich von überkommenen Vorstellungen zu lösen. Aber ebenso liegt das Wunschdenken auf der anderen Seite, wenn man kurzerhand, wie die Opposition, die Abschaffung der konventionellen Streitkräfte für ein selbstverständliches Resultat hält. Natürlich kann man nicht so tun, als ob seit 1952 nichts geschehen wäre. Natürlich gehören Divisionen nach dem Militärprotokoll der EVG großenteils der Vergangenheit an. Man muß die Landstreitkräfte nach Beweglichkeit, Ausrüstung, Bewaffnung und Ausbildung den Notwendigkeiten der atomaren Kriegführung anpassen. Man muß sie in den Stand setzen, für einige Zeit vom Nachschub unabhängig zu sein. Ihre Aufgabe würde nicht mehr darin bestehen, Entscheidungsschlachten zu Lande herbeizuführen. Es gibt nicht mehr Bereitstellungs- und Manövrierräume im alten Sinne des Wortes. Die Veranstalter von Carte blanche haben sich ja zur Aufgabe der Erdtruppen geäußert. Sie haben klar geäußert: sie haben ihnen die Aufgabe zugewiesen, dezentralisierte Basen für eine Anfangszeit zu halten, sowjetische Truppen so lange zu binden, bis der strategische Gegenschlag erfolgt ist. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß heute ein abschließendes Bild noch nicht möglich ist. Bei dem raschen Fortschritt der Technik wird das noch längere Zeit so sein, bei dem stürmischen Wandel der technischen Erfindungen vielleicht immer.
Wir müssen bei der Aufstellung unserer Streitkräfte eine außergewöhnliche Beweglichkeit und Unabhängigkeit von überkommenen Vorstellungen
an den Tag legen. Wir müssen uns auch darauf einstellen, daß die einzelnen Wehrmachtteile — wenn ich mich so ausdrücken darf, ohne daß die Bezeichnung heute schon endgültig festgelegt ist; ich selbst bin ja für „Bundeswehr" —, daß die einzelnen Teile der Streitkräfte verschiedene Schlußfolgerungen ziehen, zum Teil konträrer Art, wie es auch in Amerika der Fall gewesen ist. Wir müssen über die erhöhten Anforderungen Bescheid wissen, die an die militärischen Nachrichtenmittel und an die Selbständigkeit der unteren Führung gestellt werden. Wir müssen aber auch wissen, daß konventionelle Streitkräfte im Zeitalter des Atomkrieges nicht überflüssig geworden sind. Sie sind nach wie vor unentbehrlich, nicht mehr allein strategisch entscheidend wie früher, aber sowohl für die Abschreckung des Angreifers wie für den strategischen Erfolg unentbehrliche Hilfsmittel, auch bei dem Wandel der Verhältnisse.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch wenige Argumente erwähnen, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden müssen. Alle Abrüstungsgespräche drehen sich um eine Verminderung der Atomwaffen und zielen letzten Endes auf ein Verbot der Atomwaffen ab. So skeptisch man aus den Erfahrungen der Vergangenheit heraus alle Abrüstungsgespräche beurteilen muß, so sehr bleibt die Hoffnung, daß der Faktor Angst zu einer Vernunftlösung führt, die ihrerseits wiederum geeignet ist, den Faktor Angst langsam abzubauen, das heißt: es genügt nicht, sich auf ein mehr oder weniger wirksames Verbot der Atomwaffen zu einigen. Wir müssen doch Realisten sein. Bei der unaufhebbaren Gegenseitigkeit von Abrüstung und Entspannung gilt es, die politischen Vertrauensvoraussetzungen zu schaffen, die einen Einsatz von Atomwaffen ausschließen. Bis dahin ist sicherlich noch ein weiter Weg. Hoffentlich wird in Genf dazu der Anfang gemacht. Die letzten Erklärungen könnten ein gutes Vorzeichen sein. Die Sowjets brauchen vor uns und vor dem Westen keine Angst zu haben. Wohl aber müßten wir vor ihnen Angst haben, wenn nicht politische Solidarität des Westens und Schließung des militärischen Sicherheitssystems durch Beitrag der Bundesrepublik eine Situation geschaffen hätten, die den Anfang einer echten Entspannung bedeuten kann und nicht den Beginn einer neuen Spannung zu bedeuten braucht. Wir müssen hierfür die politischen Voraussetzungen schaffen.
Wir dürfen nicht vergessen, daß der Einsatz der Atomwaffen von der NATO vorgesehen ist, weil die Sowjets nach dem zweiten Weltkriege konventionelle Streitkräfte in ungewöhnlichem Maße beibehalten haben — das spricht doch gegen die Theorie der SPD — und weil sie sie trotz der Entwicklung der Atomwaffen nicht abgebaut haben, im Gegenteil, sie von Stunde zu Stunde vervollkommnen und modernisieren. Das heißt: die Sowjets haben sich sowohl auf atomare wie auf konventionelle oder gemischte Kriegführung vorbereitet. Sie haben den Westen gezwungen, sich bei seiner Unterlegenheit an konventionellen Mitteln stärker auf die Vorbereitung des atomaren Kampfes einzustellen. Jedes Gespräch über Verminderung oder Abschaffung der Atomwaffen setzt voraus, daß zwischen der NATO und dem Sowjetblock keine unerträglichen Unterschiede in konventionellen Kampfmitteln zugunsten der Sowjets weiterhin bestehenbleiben.
Es ist nicht richtig, daß den 500 000 Mann deutscher Streitkräfte auf seiten der NATO ein entsprechendes Äquivalent der Ostseite ohne weiteres gegenübergestellt werden könnte. Der Aufbau deutscher konventioneller Streitkräfte erhöht die Chancen für ein realistisches Abrüstungsgespräch auf dem Gebiete der Atomwaffen. Auch aus psychologischen Gründen können die Großmächte der NATO es sich nicht leisten, dem Drängen der Sowjets auf Abschaffung oder Einschränkung der Atomwaffen nur ein Nein entgegenzusetzen. Sie müssen neben einer wirksamen Kontrolle auch die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sie eine Verminderung oder Abschaffung der Atomwaffen im Interesse der Sicherheit ihrer Völker verantworten können. In diesem Zusammenhang erhält der deutsche Beitrag erst seinen eigentlichen, ich gebe gern zu: relativen, aber trotzdem bei der Natur der gegebenen Tatsachen leider unentbehrlichen Sinn.
Der Westen kann sich nicht auf die Abschaffung der Atomwaffen einlassen, solange nicht sein Sicherheitsbedürfnis durch ausreichende konventionelle Streitkräfte gesichert ist. Der Aufbau der deutschen Streitkräfte im Rahmen der Pariser Verträge gibt die Möglichkeit, auf die NATO-Planung Einfluß zu nehmen. Starke konventionelle Streitkräfte der NATO, wie sie gerade durch unseren Beitrag ermöglicht werden, vermindern die Notwendigkeit der Verwendung von Atomwaffen gegen einen nicht mit atomaren Mitteln unternommenen Vorstoß.
Das setzt voraus, daß keine der beiden Seiten ernsthaft den dritten Weltkrieg in letzter Entscheidung sucht. Beim Westen kann das unterstellt werden; bei den Sowjets wächst die Wahrscheinlichkeit für eine solche Haltung gerade infolge der abschreckenden Wirkung, wie sie nicht zuletzt gerade durch Carte blanche erzielt werden sollte und auch wohl erzielt worden ist. Im Falle der Abschaffung konventioneller Streitkräfte besteht die Gefahr, daß bei kleineren Konflikten sofort Atomwaffen verwendet werden und daß bei einem Gegenschlag durch andere Atomwaffen die Katastrophe erwächst.
Hören Sie noch einmal Churchill:
Ich stimme denen nicht zu, die sagen: Laßt uns unsere Verteidigungseinrichtungen wegfegen und unsere Kräfte und Mittel auf nukleare Waffen konzentrieren. Die Politik der Abschreckung kann nicht auf nuklearen Waffen allein aufgebaut sein.
Er fuhr fort:
Wenn die NATO-Mächte keine einsatzbereiten Landstreitkräfte besitzen, um Widerstand zu leisten, dann könnte nichts einmal hier, einmal da vorgetragene Angriffe und Übergriffe der Kommunisten in dieser Zeit des sogenannten Friedens verhindern.
— Alles Churchill, der heute für die gegenteilige These strapaziert worden ist! —
Durch dauernde Infiltrationen könnten die Kommunisten in ständigem Fortschritt die Sicherheit Europas unterminieren. Wenn wir nicht bei örtlichen Angriffen sofort bereit sein wollen, den totalen Atomkrieg auszulösen, dann müssen wir konventionelle Streitkräfte auch weiterhin haben, um solchen Situationen begegnen zu können.
So weit Churchill.
Was für England gilt, gilt für uns in doppeltem Maße. Damit hat Churchill nicht zuletzt auch ein für uns sehr ernst zu nehmendes Wort über den Wert konventioneller Streitkräfte im Kalten Kriege und zur Verhinderung eines Atomkrieges dargelegt.
Der Ausbau der NATO durch die Aufstellung konventioneller deutscher Streitkräfte hat zur Folge, daß die taktische Luftwaffe der NATO verstärkt und in ihrer bei Tag und Nacht prompten Abwehrbereitschaft unterstützt wird. Auch das nimmt den Sowjets die Hoffnung, durch überraschenden Vorstoß oder durch größere Luftlandeaktionen sich in den Besitz der europäischen Flughäfen setzen zu können.
Da die Sowjets — und das ist die für uns entscheidende politische These — im Falle eines Angriffes auf Europa, auch wenn sie aufs Ganze gehen, nicht mehr mit entscheidenden Erfolgen rechnen können, andererseits nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten mit vernichtenden Schlägen der amerikanischen strategischen Luftwaffe rechnen müssen, ist gerade durch die Aufstellung der deutschen NATO-Streitkräfte der Anreiz, von der Überraschungsstrategie in Europa Gebrauch zu machen, wesentlich geringer geworden.
Natürlich müssen auf Grund von Carte blanche Gliederung, Ausbildung, Ausrüstung usw. den Möglichkeiten der atomaren Kriegführung angepaßt werden. Militärische Fachleute und Politiker werden sich damit beschäftigen müssen. Was heute gilt, mag in drei Jahren überholt sein. Wenn aber der Gesamtzweck der NATO erreicht werden soll, der nur in der Verhinderung des Krieges bestehen kann, so entheben uns gerade die Schlußfolgerungen aus Carte blanche nicht der Notwendigkeit, diese 6000 Freiwilligen einzuberufen und auszubilden. Der Bundestag mag der Bundesregierung glauben, daß sie keine Einheiten mit veralteter Gliederung und überholter Ausrüstung aufstellen wird. Es wird vielleicht für manchen auch schwer sein, sich von überkommenen Vorstellungen zu lösen. Wenn wir den dritten Weltkrieg verhindern wollen — nur diesem Ziele kann unser Beitrag dienen —, dann müssen unsere Streitkräfte für diesen Ernstfall vorbereitet und dürfen nicht auf die Erfahrungen des zweiten Weltkrieges abgestellt sein.
Die besondere Lage der Bundesrepublik bringt es mit sich, daß die Bundesrepublik den Aufgaben der Heimatverteidigung und des Bevölkerungsschutzes eine besondere Bedeutung beimessen muß. Dazu werden zur rechten Stunde, auch in Beantwortung der beiden Großen Anfragen der SPD, die zuständigen Ressortminister Stellung nehmen. Eines, glaube ich, ist für uns gemeinsame Erkenntnis: Der Wert der zukünftigen deutschen Streitkräfte wird, was Haltung und Moral der Truppe betrifft, um so größer sein, je mehr die einzelnen Soldaten davon überzeugt sind, daß ihre Tätigkeit der Verhinderung eines Krieges dient und daß im Ernstfall für den Schutz ihrer Angehörigen und ihres Eigentums die bestmöglichen Vorbereitungen getroffen sind.
Ich darf an die Adresse der Opposition sagen: Die Hände in den Schoß zu legen und sich mit passiven Maßnahmen zu begnügen, hieße, aus Angst vor dem Tode nackten Selbstmord zu begehen.
Unser oberstes Ziel heißt Verhinderung eines Krieges durch Zusammenfassung der Verteidigungskräfte der freien Welt zu einem für den Abschrekkungszweck ausreichenden Instrument. Je schrecklicher die Entwicklung der Massenvernichtungswaffen geworden ist, desto mehr besteht Aussicht, daß der totale Krieg als Mittel der Politik ausgeschaltet wird. Die Kobaltbombe klopft auch an die Konferenztüren von Genf.
Wir konnten in unserer politischen und geographischen Situation nicht anders handeln, als wir getan haben, wenn wir nicht durch Kapitulation vor der sowjetischen Macht von vornherein das Schicksal der Sklaverei auf uns herabbeschwören wollten.
Wir können heute nicht anders handeln, als die Pariser Verträge loyal zu erfüllen. Sie sind für uns kein Kompensationsobjekt, sie sind für uns kein Selbstzweck. Die Sowjets wissen, daß die Bundesrepublik Deutschland mit ihren künftigen Streitkräften gegen sie weder Krieg führen will noch kann. Es ist nicht zuletzt für uns der Sinn der Pariser Verträge, daß die Westmächte in Genf um die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit mit Zähigkeit ringen werden. Mag die Periode der Konferenzen lange dauern, es ist gut, daß sie jetzt begonnen hat. Wir sind durch das Ereignis vom 5. Mai — das Inkrafttreten der Pariser Verträge — in einer besseren Position, als wir bei der Utopie der Bündnisfreiheit gewesen wären.
Die Opposition hat immer den Grundsatz vertreten: lieber 10 Jahre verhandeln als einen Tag Krieg führen. Auf der durch die Pariser Verträge und unseren Beitrag gefestigten Gundlage können wir heute mit Ernst und Ruhe sagen: lieber jahrelang verhandeln als einen Tag Krieg führen. Wir haben eine echte Basis für Verhandlungen, und darin sollte uns die Opposition unterstützen.
Auch für uns gilt schließlich das Wort Churchills vor seinem Abgang von der großen politischen Bühne: „In der Zwischenzeit, bis dieses Ziel erreicht ist, nicht wanken, nicht müde werden, nicht verzweifeln." Nicht in Weltuntergangsstimmung und in eschatologische oder chiliastische Gefühle sich hineintreiben lassen! Wenn wir bedenken, daß vor 10 Jahren Potsdam gewesen ist und am Montag Genf beginnt, und den Bogen der 10 Jahre überblicken, dann gibt uns die bisher betriebene Politik die beruhigende Gewißheit, daß der Verlauf der nächsten Jahre uns weitere Ergebnisse dieser Art bringen wird.
Das Wort hat Bundesinnenminister Dr. Schröder.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf gleich von vornherein sagen, daß ich den Blick auf die Uhr gerichtet halte und nur ganz wenige Bemerkungen machen will.
Herr Kollege Blachstein hat des längeren den zivilen Bevölkerungsschutz, insbesondere den Luftschutz, behandelt und einige Angaben gemacht, die nicht ganz zutreffend sind. Ich möchte dem Hohen Haus gegenüber folgendes klarstellen.
Der Bundeshaushalt 1955, der kürzlich verabschiedet worden ist, enthielt für Luftschutzzwecke im engeren Sinne 12 Millionen DM. Der Nachtragshaushalt, den das Bundeskabinett in wenigen Wochen diesem Hause zuleiten wird, wird weitere 70 Millionen DM für dringendste Vorkehrungen enthalten. Dieser Nachtragshaushalt — man muß das wissen, um ihn richtig zu verstehen — ist nur ein Ausschnitt aus einem umfassenden Programm, das innerhalb der drei nächsten Jahre Gesamtaufwendungen von 1,2 Milliarden DM vorsehen wird.
Das Hohe Haus wird, wenn es aus den Ferien zurückkehrt, die Gelegenheit haben, sich mit den Fragen des Luftschutzes eingehend zu beschäftigen. Ich hoffe, daß ihm dann der Entwurf eines Luftschutzgesetzes vorliegen wird. Dieser Entwurf beruht auf den modernsten Untersuchungen, die anzustellen wir in der Lage waren. Wir haben eine Kommission, ausgestattet mit den ausgezeichnetsten Wissenschaftlern in Deutschland, in den Vereinigten Staaten gehabt, und auf der Basis ihres Berichts ist dieses Programm erstellt worden.
Meine Damen und Herren, ich möchte schließen mit einer einzigen weiteren Bemerkung. Ich hoffe, wir werden alle mehr und mehr die Überzeugung gewinnen, daß die Fragen sowohl der äußeren Sicherheit wie der inneren Sicherheit Fragen sind, die aus dem Streit der Fraktionen und Parteien herausgenommen werden müssen; und in diesem Sinne habe ich die herzliche Bitte an die Opposition, nicht auch das Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes zu einem Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen, sondern es zu einem Gegenstand der Zusammenarbeit werden zu lassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Minuten sprach zu uns Herr Bundesminister Strauß. Es sprach nicht der Herr Abgeordnete Strauß. Ich bin daher einigermaßen begierig auf den Gesetzentwurf, den uns die Bundesregierung vorlegen wird für die Organisation des Verteidigungsministeriums
und die Position, die der Herr Bundesminister Strauß dann dort offenbar nach dem Inhalt seines Referates zu bekleiden haben wird; denn nach dem Grundgesetz ist es immerhin der Verteidigungsminister, der die Verantwortung für all die Fragen trägt, die der Herr Bundesminister Strauß behandelt hat. Wir werden also künftig wohl mit zwei Ministern zu rechnen haben, was ja der Stärkung der zivilen Kontrolle nur nützlich sein kann.
Falls etwa nicht an zwei Minister gedacht wird, sondern falls es allgemein im Kabinett üblich wird, daß jeder Minister zu allen Fragen spricht, sehe ich schon mit Interesse den demnächstigen Ausführungen des Herrn Bundesministers für Familienfragen auf dem Gebiet der Außenpolitik entgegen.
Doch nun, meine Damen und Herren, zu dem Inhalt der Ausführungen des Herrn Ministers nur einige — ich weiß, daß wir alle allmählich das Ende dieser Sitzung herbeisehnen — kritische Anmerkungen.
Zunächst hat sich der Herr Minister darüber beklagt, daß — im wesentlichen wohl von der Opposition — bei der heutigen Debatte und überhaupt bei den Beratungen über das Freiwilligengesetz die innenpolitischen Gesichtspunkte zu sehr in den Vordergrund gebracht worden seien. Ja, aber, meine Damen und Herren, wenn man mit ,dem Aufbau einer bewaffneten Macht beginnt, dann ist das nun einmal ein innenpolitisches Problem allerersten Ranges, und wir haben uns bis zur Stunde nicht davon überzeugen lassen, daß man die gesunde Entwicklung der Demokratie in unserem Lande einfach dem außenpolitischen Fahrplan aufzuopfern gezwungen sein sollte.
Das ist der Grund gewesen, der uns veranlaßt hat, mit Ihnen zusammen eine ganze Reihe von Fragen doch gerade um das Freiwilligengesetz herum unter innenpolitischen Gesichtspunkten zu behandeln.
Zum zweiten: Soeben hat der Herr Bundesinnenminister an uns appelliert, auf dem Gebiete des Schutzes der Zivilbevölkerung keinen parteipolitischen Hader zu beginnen, sondern dort mitzuarbeiten, damit man möglichst das Beste und Notwendige tue. Meine Damen und Herren, das hat zur Voraussetzung, zur einfachen Voraussetzung, daß der Herr Innenminister uns allen dabei hilft, daß diese Fragen auch den gebührenden Rang sowohl in der Zeitfolge als auch in der Ausstattung mit finanziellen Mitteln gewinnen.
Wer nun einmal, aus welchen Gründen auch immer, sich im Augenblick, wie Sie, zu der Entscheidung durchringt, daß mit der Bewaffnung der Bundesrepublik Ernst gemacht werden soll, der geht doch immerhin von der Möglichkeit aus — die tatsächlich vorhanden ist —, daß leider noch nicht alle Gefahren in der Richtung eines militärischen Konflikts aus der Welt geschafft sind. Wenn man also diese Möglichkeit überhaupt ins Auge faßt, dann muß man bei der exponierten Lage, in der sich dieses unser Land hier befindet, bei der Rangordnung der Probleme davon ausgehen, daß jeder Konflikt das Leben unseres Volkes auf das äußerste gefährdet und daß wir dann, wenn wir schon an den Aufbau von bewaffneten Streitkräften herangehen, mindestens den gleichen Eifer und den gleichen finanziellen Aufwand für das nackte Überleben der Bevölkerung zur Verfügung stellen.
Das ist zu diesem Problem unser Begehren, das Sie seit langem kennen und das bisher leider nicht die erforderliche Resonanz auf den Bänken der Bundesregierung gefunden hat.
Damit bin ich bei dem militärpolitischen Kapitel der Ausführungen des Herrn Ministers Strauß. Es ist auch bei ihm sichtbar geworden, daß er, wenn er auch eine Begründung dafür gegeben hat, immerhin den nackten Tatbestand zugibt, daß die 12 Divisionen, die die Bundesrepublik im Rahmen der Pariser Verträge aufstellen soll, im wesentlichen eine Ablösung zum Ausgleich der Verminderung des amerikanischen Heeres bedeuten. Wieweit dadurch tatsächlich eine Verbesserung der effektiven, der militärischen Sicherheit einzutreten vermag, bleibt doch unter allen Umständen zwei-
felhaft. Aber ganz zweifelhaft bleibt es auch, wieweit nun durch das Hinzufügen dieser 12 bundesrepublikanischen Divisionen die Abschreckungskraft der Atlantikorganisation bis zur letzten Vollkommenheit gesteigert wird. Meine Damen und Herren, halten wir uns doch einmal an das Wort des amerikanischen Präsidenten Eisenhower: Der Westblock und der Ostblock sind zwei Skorpione, die sich in einer Flasche befinden und, wenn sie sich gegenseitig etwas tun wollen, nur gemeinsam miteinander Selbstmord begehen können.
Das ist die tatsächliche Lage — es ist auch der wirkliche Hintergrund —, die zu einer gewissen Auflockerung in den Beziehungen dieser beiden Blöcke zueinander geführt hat und sie an den Verhandlungstisch treibt. Keiner von beiden hätte eine Aussicht, einen solchen Konflikt siegreich zu überstehen, ja ich möchte sogar sagen: keiner von ihnen hätte eine Aussicht, einen solchen Konflikt auch nur zu überleben, keiner von beiden, und wir schon ganz und gar nicht, die wir von beiden Seiten her der gnadenlosen Vernichtung ausgesetzt wären.
In dem Zusammenhang hat es mich sehr betrübt, daß Herr Minister Strauß all' seine Befürwortung der Mitwirkung der Bundesrepublik im Rahmen des Atlantikpakts so dargestellt hat, als gäbe es den anderen Teil Deutschlands gar nicht.
Er sprach unentwegt davon, daß die strategische Situation es eben erfordere, daß die Atlantikpaktorganisation so bleibe, wie sie sei, und daß die Deutschen darin ihren Beitrag leisteten. Aber dieser Teil Deutschlands ist eben leider nicht ganz Deutschland. Das ist die wirkliche Problematik dieser Stunde und gar nichts anderes! Die wirkliche Bewährungsprobe hat auch die Außenpolitik des Herrn Bundeskanzlers erst noch zu bestehen;
denn sonst stehen wir vor der bitteren Konsequenz — die man ziehen muß, wenn man sich die Ausführungen des Herrn Bundesministers ganz nüchtern überlegt —, daß aus strategischen Erwägungen die Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr möglich ist.
Das ist die Konsequenz, die man zu ziehen gezwungen ist, wenn man die deutsche Mitgliedschaft im Atlantikpakt so verabsolutiert, wie das hier geschehen ist. Die wirkliche Bewährungsprobe der deutschen Politik kommt auf uns zu, wenn die Frage gestellt wird, die unvermeidbar seit langem auf der Tagesordnung ist und um deren Beantwortung keiner von uns herumkommen wird, wenn die Deutschen zu wählen haben entweder die Wiedervereinigung oder die Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands zum Atlantikpakt. Da sollten wir uns bemühen, beizeiten dieser Frage — so nackt, wie sie auf uns zukommt — ins Auge zu sehen, damit wir die Möglichkeit finden, sie im Sinne der Wiedervereinigung zu beantworten und trotzdem Sicherheit, jawohl: Sicherheit für uns und unsere Nachbarn zu schaffen;
sonst befänden wir uns in einer Situation, aus der es für unser Volk keinen Ausweg gibt.
Der Minister sprach von dem Raum zwischen der Werra und dem Atlantik, den man brauche, wenn man überhaupt im gegenwärtigen Moment an eine Verteidigung Westeuropas denken wolle. Das ist sicher richtig.
Herr Abgeordneter Erler, gestatten Sie eine Frage?
Bitte schön!
Gestatten Sie eine Frage, Herr Kollege Erler. Ist Ihnen bewußt, daß nicht ich von der Notwendigkeit des Raumes zwischen Werra und Atlantik für die Funktionsfähigkeit der europäischen Verteidigung gesprochen, also meine Meinung wiedergegeben habe, sondern daß ich hier ausschließlich den Sozialdemokratischen Pressedienst vom 29. Juni zitiert habe?
Das ist mir völlig bewußt, und Sie haben absolut korrekt zitiert. Ich komme darauf zurück. Der Sozialdemokratische Pressedienst hat dadurch wiedergegeben, in welcher Lage man sich befindet, wenn das Denken an die Verteidigung an der Werra aufhört und nicht ein wiedervereinigtes Deutschland umschließt.
Zum letzten: Sicher sind wir uns alle in dem Ziele einig, daß ein Krieg verhindert werden muß, weil wir genau wissen, daß, welche Vorkehrungen man auch immer trifft, ein Krieg im Herzen Europas mit dem Untergang unseres Volkes enden wird. Es ging also darum: Was ist zu tun, um einen solchen Konflikt zu vermeiden? Ich bin überzeugt davon, daß der einzige Weg, den Konflikt wirklich zu vermeiden, wirklich dauerhaft zu bannen, darin besteht, daß, wenn Sie schon die Pariser Verträge unterzeichnet haben, mindestens die gleiche Energie, die Sie für dieses Vertragswerk aufgewandt haben — auch die Zeit übrigens, die Sie jahrelang damit verbracht haben, mit den Augen gebannt nur auf dieses Ziel starrend —, für eine konstruktive Politik der Entspannung verwendet wird. Ich sehe nicht, wie ein doch nun angesichts der parlamentarischen Situation nach wie vor auch in den Formen etwas überstürztes Beginnen der Bewaffnung der Bundesrepublik gerade der konstruktivste Beitrag zu einer Politik einer wirksamen Entspannung sein soll.
Daß man den Weg zur Weltabrüstung am wirksamsten mit der Aufrüstung der Bundesrepublik beginne, ist ein Argument, das in sich nicht schlüssig ist.
Wettrüsten hat bisher noch nie dazu geführt, daß sich die beiden Teile aus Furcht voreinander in Ruhe gelassen haben, sondern es kam zu Kurzschlüssen, wenn in Situationen der Spannung jeder der beiden Wettrüstenden dann doch geglaubt hat, den günstigeren Zeitpunkt für das Zuschlagen ausnutzen zu können. Das ist ein klarer Beweis dafür, daß Sicherheit heute mit rein militärischen Mitteln überhaupt nicht mehr erreicht werden kann. Wirkliche Sicherheit kann uns nur die Politik verschaffen und nichts anderes.
In dem Zusammenhang sprach der Herr Minister von der Abrüstung, und ich bin ihm sehr dankbar
dafür, daß er fast wörtlich das aufgegriffen hat, was ich vor einigen Monaten von der Tribüne dieses Hohen Hauses zu dem Problem gesagt habe. Wir sind keine Utopisten, die sagen, die Abrüstung könne auf Einseitigkeit beruhen. Natürlich muß sie die Überlegenheiten beider Seiten einbeziehen. Man kann von keiner Seite verlangen, daß sie das fortwirft, worin sie überlegen ist, und sich dann schutzlos der anderen ausgeliefert sieht. Das isst ein selbstverständlicher Zusammenhang. Zum zweiten ist die Abrüstung auch an die Schaffung einer wirksamen internationalen Kontrolle gebunden, damit man sich darauf verlassen kann, daß das, was verabredet worden ist, auch eingehalten wird. Ich lege Wert darauf, das jetzt noch einmal an dieser Stelle zu sagen, nicht aus irgendwelchen Gründen parteipolitischer Rechthaberei — wir sind uns darin einig —, sondern damit die Staatsmänner in Genf, wo kein Deutscher am Verhandlungstisch sitzen wird, wissen, wie das ganze deutsche Volk in Fragen der Abrüstung denkt und daß es sich davon einen Erfolg erhofft, weil nur so auch das Klima für die Wiedervereinigung unseres Landes in Frieden und in Freiheit geschaffen werden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Euler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich pflichte Herrn Kollegen Erler völlig darin bei, daß die Entscheidung über die Richtigkeit unserer Außenpolitik erst noch vor uns liegt; denn das Ziel unserer Außenpolitik muß die Verwirklichung der deutschen Einheit auf der Grundlage der Freiheit für ganz Deutschland sein, und das allein auf dem Wege des Friedens.
Aber es sind doch immerhin in der bisherigen außenpolitischen Entwicklung sehr wichtige Stationen zu durchschreiten gewesen. So, wie die Entwicklung gelaufen ist, haben wir doch zunächst einmal als erstes und wichtigstes für einen erfolgreichen Fortgang dieser Politik das eine erreichen müssen und tatsächlich erreicht: die Sowjets sind inzwischen offensichtlich zu der Erkenntnis gekommen, daß es für sie unzweckmäßig ist, jene Politik der Aggressionen fortzusetzen, die sie jahrelang nach 1945 getrieben haben. Dieser Erkenntnis mußten die Sowjets erst einmal zugeführt werden. Denn wenn ihnen diese Erkenntnis zu eigen gewesen wäre, dann hätten sie wohl in den Jahren nach 1945 eine andere Politik gemacht, in jener Zeit, als die westlichen Demokratien, und gerade die stärksten Mächte unter ihnen fast zur völligen Abrüstung gekommen waren. Die Sowjets haben mit ihrer Politik des Schreckens, den sie über ganze Völker legten, erst wieder die Aufrüstungsmaßnahmen der westlichen Welt zur Selbsterhaltung, zur nackten Selbsterhaltung der demokratischen Völker erzwungen.
Wir wissen gerade aus dem Verhalten der Sowjets der letzten Wochen, daß bei ihren bisherigen Erwägungen sehr entscheidend das Faktum des Wirksamwerdens der Pariser Verträge gewesen ist. Leider ist der Friede nicht dadurch zu sichern, daß man nur den Friedenswillen beteuert, so wichtig es ist, daß immer wieder der unbedingte Entschluß zum Frieden vom Westen verkündet wird. Man durfte sich aber nicht darauf beschränken, sondern es war die Aufgabe der westlichen Völker, durch gemeinsame Politik die Fakten zu setzen, die die
Sowjets von der Aussichtslosigkeit der Fortsetzung ihrer bisherigen aggressiven Politik überzeugten. Nur dadurch, daß diese Fakten gesetzt worden sind, Fakten, die den Sowjets deutlich machten: Das Risiko für Gewaltanwendung wird nun fortlaufend steigen, auf eine Weise, daß sie sich von überraschenden Angriffen in Zukunft gar keinen Erfolg mehr versprechen können, sind sie einstweilen zu dem, wie ich meine, erst taktischen Ergebnis gekommen, eine Politik der Beschwichtigung einer Periode der aggressiven Haltung folgen zu lassen. Wir würden für die jetzt beginnende Periode der internationalen Konferenzen die durch unsere bisherige Politik geschaffenen Erfolgsaussichten sofort wieder zerstören, wenn wir die Erkenntnisse preisgäben, die unsere Politik bisher genährt haben.
Diese Außenpolitik war bisher immer nur ausschließlich — das möchte ich namens der Freien Demokraten mit aller Entschiedenheit im Augenblick vor dem Beginn der Genfer Konferenz hier vor der Welt erklären, und da darf ich wohl auch namens aller Koalitionsparteien sprechen —, war nur und ausschließlich als eine Politik der Friedenssicherung, der Friedensfestigung und der Friedensstärkung gemeint und beabsichtigt.
Dieses einzige Orientierungsziel im großen Fortgang unserer außenpolitischen Bestrebungen ist gerade durch die Art der defensiven Ausgestaltung der Pariser Verträge auf eine Weise verkörpert worden, daß es die Sowjets gar nicht übersehen können, ganz davon abgesehen, daß die Sowjets von sich aus das deutlichste Bewußtsein dafür haben, wieviel mehr Garantien in demokratischen Völkern für die Erhaltung des Friedens gegeben sind als unter einem diktatorischen System,
das eine ganz andere Bewegungsfreiheit hat und keinerlei Hemmungen durch die öffentliche Meinung unterliegt.
Das wird insbesondere bei all den Bestrebungen, die eingeleitet werden müssen, um über Abrüstung und Atombannung zu einer Sicherung des Friedens zu kommen, beachtet werden müssen. Da darf ich noch einmal das Augenmerk darauf richten, daß es nicht damit getan ist, Abkommen der Abrüstung, Abkommen über den Ausschluß des Atomkrieges zu schließen, wenn keine Garantien dafür zu erhalten sind, daß die übernommenen Verpflichtungen auch von allen Vertragspartnern respektiert werden. Das Wichtigste für den praktischen Erfolg aller Abrüstungsverträge mit dem Osten wird sein, daß eine Kontrolle eingeführt wird und die Sowjets bereit sind, sich einer solchen Kontrolle zu unterwerfen, die die Gefahr ausschließt, daß die Verpflichtungen von den Sowjets lediglich als Papier genommen werden, daß sie die Verpflichtung zur Rüstungsbeschränkung zu propagandistischen Zwecken mißbrauchen, während sie sich in der inneren Praxis gar nicht um die international übernommenen Beschränkungen kümmern.
Wenn man nun in Anbetracht der unermeßlichen Gefahren für die Menschheit alles tun soll, um diese Verträge über Rüstungsbeschränkung, über den Ausschluß eines Atomkriegs durchzusetzen, dann darf ich doch daran erinnern, daß es nicht der Osten war, sondern der Westen, daß es der amerikanische Präsident Eisenhower war, der den bisher einzigen praktischen Vorschlag einer Bannung der
Atomgefahren für die zukünftige politische Entwicklung gemacht hat. Unter dem Gesichtspunkt einer wirksamen Einhaltung zukünftig zu schaffender Verträge hat er den Vorschlag unterbreitet, daß sämtliche Mächte, die sich im Besitze von Rohmaterial für nukleare Waffen befinden, diese Rohstoffe an einen internationalen Atompool abliefern, der nicht nur dafür zu sorgen hat, daß diese Atomrohstoffe nicht für die Produktion von Waffen verwandt werden, sondern umgekehrt positiv zu gewährleisten hat, daß sie ausschließlich in den Dienst der friedlichen Entwicklung der Menschheit gestellt werden, also der Menschheit zum Segen gereichen über ihre praktische Anwendung als Energiequellen in der Wirtschaft, als Mittel der Beeinflussung des Pflanzenwachstums in der Landwirtschaft und als Heilmittel für Zwecke der Medizin.
Es wird sehr viel von der Zukunft der praktischen Verwirklichung der Abrüstung und der Bannung des Atomkriegs abhängen, daß die Sowjets sich nicht nur theoretisch zu dem Gedanken des Ausschlusses eines Atomkriegs bekennen, sondern daß sie auch die praktischen Maßnahmen gutzuheißen gewillt sind, von denen allein die Verwirklichung der Idee, der Atomkrieg solle gebannt werden, abhängt. Wir im Deutschen Bundestag haben in diesem Augenblick die Pflicht, vor der Menschheit zu erklären, daß es der Wille des deutschen 'Volkes und seiner Volksvertreter ist, es möchten bald jene Abkommen erzielt werden, die zu einer Bannung nicht nur des Atomkrieges, sondern darüber hinaus des Krieges als solchen führen. Gerade für deutsche Politiker, Politiker eines Landes in der gefährlichsten Lage, gilt es, immer wieder die Erkenntnis auszusprechen, daß eine deutsche Politik, die nicht ausschließlich darauf orientiert ist, den Frieden zur sichern und zu stärken, den Krieg auszuschließen und den Atomkrieg als Verderblichstes vorerst mit Sicherheit zu bannen, nur von gemeingefährlichen Narren oder von Verbrechern gemacht werden könnte.
So kommt es gerade in diesem Augenblick der internationalen Entwicklung darauf an, der ganzen Welt verständlich zu machen: Unsere gesamte Außenpolitik ist lediglich auf das Ziel orientiert, die Friedenssehnsucht der europäischen Völker und darüber hinaus der Völker der Welt zu erfüllen, die in ihnen lebendig ist auf Grund der katastrophalen Erfahrungen zweier Weltkriege und auf Grund dessen, was wir über die verheerenden Folgen des Atomkrieges der Zukunft wissen.
Es ist überaus wünschenswert, und es muß amtlicherseits alles getan werden, daß die Erkenntnisse der Atomwissenschaftler in die breitesten Volksschichten hineingetragen werden, damit diese erkennen, wie verhängnisvoll ein zukünftiger Krieg wäre. Die Besorgnis, die man dabei allerdings haben muß, ist die: Wird in der östlichen Welt ebenso dafür Sorge getragen, daß die Folgen eines zukünftigen Krieges dem russischen Volke und den anderen Völkern, die heute in der Unfreiheit schmachten, ebenso bewußt werden, wie sie uns in der westlichen Welt bewußt sind? In dieser Richtung muß man Besorgnisse haben. Um so mehr ist der gesamte Westen verpflichtet, dafür zu sorgen, daß er gegenüber der östlichen Welt nicht militärisch ins Hintertreffen kommt. Denn je mehr das der Fall wäre, um so mehr würden sich die Gefahren wieder erhöhen. Jede Risikoverminderung für sowjetische Angriffe der Zukunft hat zur Folge nicht, daß der Frieden gesichert ist, sondern eben dadurch gefährdet wird.
Auf Grund dieser Zusammenhänge ist es völlig falsch, heute vom deutschen Standpunkt aus immer wieder jene Alternative in die Bevölkerung hineinzuschleudern, wie sie vorhin Herr Kollege Blachstein aufgenommen hat, es handle sich darum, entweder die Menschen zu sichern oder aber sicherzustellen, daß Kanonen produziert werden. Nein, im Zuge unserer Politik, bei der wir Gott sei Dank nicht isoliert dastehen, nicht auf uns allein gestellt sind, sondern heute zusammenwirken mit einer breiten Front von Völkern, die alle durch dasselbe fundamentale Lebensinteresse der Erhaltung des Friedens geeint sind, kommt es allein darauf an, die Produktion der erforderlichen Abwehrwaffen nicht zu unterlassen, damit der Frieden durch einen östlichen Angriff nicht gebrochen wird. Infolgedessen ist diese Alternative, die Sie draußen in der Bevölkerung in einer viel gröberen Form als hier im Bundestag darbieten, nur geeignet, riesige Mißverständnisse zu wecken. Wenn unser Volk in diesen wichtigsten Fragen erneut Irrtümern zum Opfer fiele, dann wäre das Ergebnis für unser Volk nicht etwa segensreich, sondern die betrübliche Konsequenz wäre wahrscheinlich, daß wir gerade dadurch in Krisen von unwahrscheinlichem Ausmaß hineingestellt würden.
Durch die bisherige Entwicklung, dadurch, daß die Außenpolitik, wie sie die Regierungsparteien durch die Jahre hindurch in Solidarität mit den demokratischen Kräften aller westlichen Völker getrieben haben, die Sowjets zu der Erkenntnis gebracht hat, daß sie sich von Überraschungsangriffen in der Zukunft keinen Erfolg mehr versprechen können, haben wir, glaube ich, auch den wichtigsten praktischen Beitrag dafür geleistet, daß wir auf friedliche Weise zu der Wiedervereinigung kommen, allerdings in der Form, wie sie unsere 20 Millionen schwergeprüften Menschen in Mitteldeutschland erhoffen, nämlich so, daß die Wiedervereinigung für sie die Befreiung von einer Sklaverei wird, gegen die sie am 17. Juni 1953 auf eine Weise, die für die ganze Welt denkwürdig war, aufgestanden sind. Wir haben den wichtigsten praktischen Beitrag für die Wiedervereinigung geleistet, und wir glauben, daß nur bei konsequenter Fortsetzung dieser Politik die Wiedervereinigung auf eine Weise zustande kommt, wie sie nicht nur das deutsche Volk, sondern alle europäischen Völker wünschen müssen.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Lüders.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle können uns wohl nach diesen Reden des Eindrucks nicht erwehren, daß die ganze Welt in Angst vor der Angst lebt und zittert. Wir haben allen Anlaß, uns das täglich aufs neue klarzumachen, auch für die Beurteilung der Maßnahmen, von denen wir glauben, daß sie die Welt vielleicht von dieser Angst befreien könnten.
In dieser Angst ruft die ganze Welt verzweifelt nach Sicherheit. Und was tut sie? Sie versucht, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben,
und dieser apokalyptische Reiter jagt seit drei Stunden durch diesen Saal in allen nur denkbaren Formen und Vorstellungen. Er reitet heute schon nicht mehr, wie alle Militärexperten wissen, um Minuten, sondern er reitet schon um Sekunden um das Leben von Millionen und aber Millionen Menschen.
Ich will mich darüber nicht verbreiten. Es ist lange genug und schauerlich genug darüber gesprochen worden. Meine Phantasie reicht nicht aus, mir auch nur annähernd eine Vorstellung von dem zu vermitteln, was erfolgen könnte. Hoffen wir, daß es nicht erfolgen wird!
Aber, meine Damen und Herren, ich darf ganz :kurz zu etwas anderem sprechen. Es herrscht allgemein die Auffassung, daß militärische Fragen eine rein männliche Angelegenheit sind. Ich glaube, aus Erfahrung sagen zu können, daß das ein grundlegender Irrtum ist. Wir haben eine tragische Erfahrung auf dem Gebiete gemacht. Wir haben auch heute allen Anlaß zu bedenken, daß es die Männer, Söhne und Brüder von Frauen sind, die den Dienst für uns alle wieder aufnehmen sollen. Der menschliche Einfluß auf die Soldaten war und ist immer von höchster Bedeutung für jeden militärischen Erfolg gewesen. Er ist es auch schon im Frieden, und er ist es ganz besonders jetzt in unserer Lage. Ich bin überzeugt, daß auch die beste militärische Organisation, daß auch die vollkommensten technischen Mittel allein nicht in der Lage sind — oder jedenfalls nur sehr bedingt in der Lage sind —, die Entscheidung herbeizuführen.
Mir scheint, daß schon die Vorberatungen zu der heutigen Vorlage die große Bedeutung der psychologischen Seite des Problems, das vor uns steht, des Problems der Verteidigung und Sicherheit, gezeigt haben. Das Echo in der Öffentlichkeit war weitgehend psychologischer Natur, besonders bei den Frauen und bei der Jugend, und ich glaube, wir haben über dem Waffengerassel und Atomgeprassel diese psychologische Seite weitgehend vergessen. Vergessen wir nicht, meine Herren, daß Frauen von Natur aus Gegner der Zerstörung und Gewalt sind! Vergessen wir nicht, daß es weitgehend auf sie ankommt, wie Soldaten geistigseelisch beeinflußt werden. Die Frage der militärischen Verteidigung ist keine rein männliche Angelegenheit. Sie ist eine allgemein menschliche Angelegenheit. Sie ist nicht nur eine organisatorische oder technische Angelegenheit, sondern sie ist eine tiefgreifende psychologische Angelegenheit. Vergessen wir nicht, daß auf dem Feld der Psychologie die Frauen und Mütter jederzeit den ausschlaggebenden Einfluß ausüben werden. Wir sind es, die in unseren Heimen den jungen Soldaten und den zukünftigen Soldaten in der Hand haben. Diesem Einfluß von uns schon im Hause kann sich keine militärische Organisation durch ihre Einrichtungen erwehren. Ich brauche nicht das Wort Friedrichs des Großen zu zitieren, daß Kriege in der Kinderstube vorbereitet werden. Das ist eine Tatsache, die immer wieder vergessen wird.
Meine Damen und Herren, versuchen wir es doch, die Welt mehr dahin zu beeinflussen, daß Frieden wichtiger ist als Krieg, daß Verstand und Verständnis die wichtige Voraussetzung sind, um zu einer Verständigung zu kommen. Ich glaube, wir haben allen Anlaß, uns klarzumachen, was unserer Lage dienen könnte, ehe es zu spät ist.
Meine Herren, Sie werden lachen, tun Sie es ruhig: aber es wird die Zeit kommen, in der die Welt aus Angst und Vernunft den Weg des Friedens beschreiten wird
und nicht den Weg der Aufrüstung und ähnlicher Dinge. Es wird die Zeit kommen, meine Damen und Herren — und ich hoffe, ich erlebe sie noch mit Ihnen zusammen —,
in der wir alle, in der alle Parteien, einerlei ob rechts, ob links, ob Mitte, in der alle Völker erkennen und danach handeln werden, daß es nur einen einzigen Weg zur Sicherheit und zum Frieden gibt. Das ist: mit den Frauen für den Frieden zu arbeiten!
Meine Damen und Herren! Wir wollen hoffen, daß diese Worte unserer verehrten Alterspräsidentin überall gehört worden sind.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache. In eine Einzelberatung einzutreten besteht keine Möglichkeit, da Anträge nicht gestellt sind.
Wir kommen somit sofort zur Schlußabstimmung. Wer für die Annahme des Gesetzes als Ganzes ist, den bitte ich, sich von seinem Sitz zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Gegen zahlreiche Gegenstimmen ist das Freiwilligengesetz angenommen.
Damit meine Damen und Herren, ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich bitte Sie noch für einige Minuten um Geduld. Wir haben mit dieser Sitzung die erste Halbzeit der zweiten Legislaturperiode abgeschlossen. Vielleicht interessiert es das Haus, in Zahlen zu erfahren, wie fleißig es gewesen ist und was wir alle miteinander gearbeitet haben.
In diesen beiden ersten Jahren der zweiten Legislaturperiode fanden folgende Sitzungen statt: 100 Plenarsitzungen, 9 Vorstandssitzungen, 76 Sitzungen des Ältestenrats, 1563 Ausschußsitzungen, 891 Fraktionssitzungen. Wer den ihm gebührenden Teil an diesen Sitzungen auf sich genommen hat, weiß, was das für den einzelnen bedeutet.
Dem Bundestag wurden in diesen beiden Jahren insgesamt 347 Gesetzentwürfe vorgelegt. Von diesen kamen von der Bundesregierung 174, von den Fraktionen 166
und vom Bundesrat 7. Beschlossen und verkündet sind davon 145 Gesetze. Beschlossen, aber noch nicht verkündet sind 57 Gesetze. In Beratung befinden sich noch 119 Gesetzentwürfe. Noch nicht beraten, aber vorgelegt sind 5, anderweitig erledigt 21 Entwürfe.
Es wurden weiter 55 Große Anfragen gestellt, von denen nur 8 noch nicht erledigt sind. An Kleinen Anfragen sind 188 eingereicht worden; 4 davon sind noch nicht beantwortet.
Weiter wurden im Hause 274 Anträge gestellt, nicht Änderungs-, sondern Hauptanträge.
Das ist das Zahlenbild der Arbeit, die hier geleistet worden ist.
Lassen Sie mich noch einige andere Zahlen nennen. Dieses Haus ist seit September 1949 von 2 252 000 Menschen besucht worden.
In den letzten zwei Jahren haben auf den Tribünen dieses Hauses unseren Verhandlungen beigewohnt 62 500 Personen. Davon waren 80%, nämlich rund 50 500, Jugendliche.
Damit, meine Damen und Herren, schließen wir ab. Ein Teil von uns wird noch weiterarbeiten müssen: die Mitglieder des Sicherheitsausschusses, des Haushaltsausschusses und die für die Verwaltung dieses Hauses Verantwortlichen. Ich glaube,
das Haus ist ihnen einen besonderen Dank schuldig.
Im übrigen wünsche ich uns allen eine gute Erholung und dazuhin noch, daß jedem von uns einige stille Stunden der Besinnung geschenkt werden möchten.
Ich berufe die 101. Sitzung des Deutschen Bundestags ein auf Donnerstag, den 22. September 1955, 9 Uhr, und schließe die 100. Sitzung des Deutschen Bundestags.