Rede von
Wilhelm
Mellies
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei der ersten Lesung dieses Gesetzes hat mein Freund Arndt seine Ausführungen mit den Worten eingeleitet: Nicht jetzt und nicht so! Auch nach den Ausschußberatungen und der zweiten Lesung im Plenum ist diese Formulierung für die Haltung der sozialdemokratischen Fraktion bestimmend.
„Nicht jetzt!": Wahrscheinlich wird in späteren Jahren niemand verstehen, daß das deutsche Volk gerade am Vorabend der Genfer Konferenz diesen Schritt getan hat.
Der Bundeskanzler wünscht diese Verabschiedung aus außenpolitischen Gründen. Er ist der Ansicht, daß man den Westen davon überzeugen müsse, daß Deutschland gewillt sei, die Verträge zu erfüllen.
In der ersten Lesung des Gesetzes hat die sozialdemokratische Fraktion mehrfach darauf hingewiesen, daß auch sie die Tatsache anerkenne, daß durch die Pariser Verträge völkerrechtliche Bindungen für die Bundesrepublik geschaffen seien. Aber, meine Damen und Herren, bedeutet das gleichzeitig, daß man bei der Durchführung der vertraglichen Bestimmungen eine solche hektische Eile an den Tag legen muß? Bedeutet das angesichts der Genfer Konferenz nicht vielmehr für die Welt die Festlegung in einer bestimmten Richtung? Der Bundeskanzler hat in der letzten Woche noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das deutsche Volk hinsichtlich der außenpolitischen Entwicklung Geduld haben müsse. Wir wünschten nur, meine Damen und Herren, man hätte auch in dieser Frage etwas mehr Geduld gehabt.
In einem Punkt allerdings — das darf ich gleich hinzufügen — hätten wir der Politik der Bundesregierung viel mehr Ungeduld gewünscht, nämlich in der Frage der Wiederherstellung der deutschen Einheit.
Wenn es richtig ist, daß politische Entwicklungen auch einmal mit Geduld betrachtet werden müssen, — in dieser wichtigen und für uns entscheidenden Frage muß die Welt davon überzeugt werden, daß das deutsche Volk und seine Regierung von einer solchen Ungeduld erfüllt sind, daß niemand an dieser Ungeduld vorübergehen kann.
Anstatt die Eile bei dieser Gesetzgebung an den Tag zu legen, hätte man sich nach unserer Auffassung lieber bemühen sollen, alle Kräfte zu fördern und zu stärken, die im Augenblick in starkem Maße für die Entspannung und friedliche Entwicklung in der Welt tätig sind.
Wir bedauern es außerordentlich, daß der Bundeskanzler nicht alle Anstrengungen gemacht hat, den indischen Ministerpräsidenten Nehru zu einem Besuch der Bundesrepublik zu bewegen.
Hier liegt eines der großen Versäumnisse der deutschen Außenpolitik in der Nachkriegszeit.
Wir können froh sein, meine Damen und Herren, daß Tausende von Deutschen durch die großartige Begrüßung Nehrus auf dem Düsseldorfer Flughafen dieses Versagen des Bundeskanzlers wieder wettgemacht haben.
In Düsseldorf hat der indische Ministerpräsident durch die jubelnde Begrüßung der Tausende die wirkliche Stimmung des deutschen Volkes kennengelernt. Das deutsche Volk ist dem indischen Ministerpräsidenten außerordentlich dankbar dafür, daß er keine Mühen und Strapazen scheut, um durch Besuche in den wichtigsten Hauptstädten der Welt und durch eingehende Aussprache den hoffentlich erfolgreichen Versuch zu machen, einer Politik der Entspannung und der friedlichen Entwicklung den Weg zu ebnen. Wir sind ihm auch dafür zu tiefem Dank verpflichtet, daß er sich des wichtigsten Anliegens der deutschen Politik, der Wiederherstellung der deutschen Einheit, so angenommen hat.
Der Herr Bundeskanzler ist der Auffassung, daß der jetzige Schritt notwendig sei, um das Vertrauen der Westmächte zu der deutschen Politik zu erhalten. Es wäre schon erstaunlich, meine Damen und Herren, wenn nach all dem, was in den letzten Jahren geschehen ist, ein solcher Schritt noch notwendig sein sollte. Aber — die Frage müssen wir hier aufwerfen — hat denn nicht der Herr Bundeskanzler selbst zu einem gewissen Teil dazu beigetragen, daß ein solches Mißtrauen, wenn es vorhanden sein sollte, noch besteht? Er hat — und Sie von den Regierungsparteien sind ihm darin fast immer gefolgt — in den verflossenen Jahren aus parteipolitischen Erwägungen immer wieder den Versuch gemacht, die deutsche Opposition, die Sozialdemokratische Partei als kommunistenanfällig hinzustellen.
Damit, meine Damen und Herren, ist nicht nur die innerpolitische Situation schwer belastet worden. Herr Kunze, wenn Sie auch noch so den Kopf schütteln, an dieser Tatsache können Sie nicht vorbeigehen. Selbstverständlich müssen solche dauernden Versuche auch ihre außenpolitische Auswirkungen haben. Aber offenbar geht der Bundeskanzler von der einfachen Formulierung aus: Wer nicht hundertprozentig für seine Politik ist, der ist eben anfällig für die kommunistische Politik.
In der ersten Lesung hat mein Freund Ollenhauer davon gesprochen, wie gespenstisch die Debatte angesichts der Feststellungen anmutete, die im Anschluß an die Manöver Carte Blanche getroffen worden sind. Wir sollen ja nachher noch etwas über diese Frage hören, und mein Freund Blachstein wird dann dazu noch einiges sagen. Wir hoffen auch, meine Damen und Herren, daß der Herr Verteidigungsminister, der sich bei der ersten Lesung hier im Plenum über diese Frage ausgeschwiegen hat, dem Hause seine Auffassung über diese Dinge noch einmal darlegen wird.
Aber heute kann man zu dieser Feststellung Ollenhauers doch nur hinzufügen, daß es einfach grotesk ist, wenn am Vorabend der Genfer Konferenz die ersten Schritte zur Aufstellung der deutschen Streitkräfte getan werden. In Genf soll über die Abrüstung und über die deutsche Wiedervereinigung verhandelt werden. Wir verabschieden heute, zwei Tage vor der Konferenz, ein Gesetz, das für die Bundesrepublik die Aufrüstung bringt. Durch diese Aufrüstung wird — darüber besteht doch bei niemandem ein Zweifel, meine Damen und Herren - die Wiederherstellung der deutschen Einheit in außerordentlichem Maße erschwert. Bundesregierung und Koalition werden wahrscheinlich nachher darauf hinweisen — und der Herr Kollege Jaeger hat das gestern in seinen Ausführungen auch schon getan —, daß ihre bisherige Politik die Genfer Konferenz erst ermöglicht habe und daß diese Politik deshalb fortgesetzt werden müsse.
— Meine Damen und Herren, Sie sagen „Sehr richtig". Aber wie liegen denn die Dinge in Wirklichkeit? Die entscheidende Sprache für die Notwendigkeit einer Entspannung in der Welt und für eine friedliche Verständigung der Völker sprechen die Wasserstoffbomben mit dem Kobaltmantel, von
denen jeder weiß, daß sie innerhalb kurzer Zeit alles Leben auf der Erde auslöschen können.
Herr Cillien hat in seinen Ausführungen darauf hingewiesen, wie stark unter Umständen menschliche Gefühle sein können, als er erzählte, wie ein Ehepaar den Hausbau einstellte, um den Nestbau eines Rotschwänzchenpaares nicht zu stören. Herr Cillien, solche Dinge haben wir doch zu allen Zeiten erlebt, und diese Dinge haben nicht verhindert, daß dann anschließend die grauenhaftesten Zerstörungen und Verwüstungen kamen.
— Nein, das haben Sie nicht behauptet. Aber, Herr Cillien, es ist doch notwendig, diese Dinge in ihrer ganzen Bedeutung und Schwere zu sehen. Erinnern wir uns denn nicht mehr an die entsetzliche Bewußtseinsspaltung, die z. B. während des „Dritten Reiches" bei Menschen vorhanden war, daran, daß die SS-Leute, die in den Konzentrationslagern die Menschen quälten und zu Tode brachten, nachher zu Hause die rührendsten Familienväter waren?
Ich habe das nur eingefügt, um darauf hinzuweisen, daß man diese Dinge auch in ihrem ganzen
Gehalt und in ihrer ganzen Bedeutung sehen muß.
Nun, meine Damen und Herren, die Umgestaltung, die das Gesetz in den Ausschüssen erfahren hat, zeigt, wie berechtigt die Worte meines Freundes Arndt waren, als er formulierte: Nicht so! Ich habe in der Erklärung meiner Fraktion zum Personalgutachterausschuß-Gesetz und bei meinen Darlegungen in der zweiten Lesung zu § 2 a dieses Gesetzes bereits darauf aufmerksam gemacht, wie schlecht dieses Gesetz von der Regierung vorbereitet war.
Die Bedeutung dieses Schrittes für die innerpolitische Entwicklung und Gefährdung hat man offenbar gar nicht gesehen. In der Ausschußberatung ist aus den Reihen der Koalition das Wort gefallen: Der Kanzler sieht die Dinge eben nur außenpolitisch. Aber die außenpolitische Auswirkung ist doch nur die eine Seite der Angelegenheit. Angesichts der Tatsache, daß die politischen Dinge in der Weit in außerordentlich starkem Maße in Fluß gekommen sind, ist diese außenpolitische Überlegung vielleicht morgen oder übermorgen schon überholt. Aber die innerpolitischen Auswirkungen, meine Damen und Herren, bestimmen das Geschick des deutschen Volkes und der deutschen Demokratie in den nächsten Jahrzehnten.
Deshalb hätten die Überlegungen über die innerpolitischen Auswirkungen im Vordergrund stehen müssen.
Ich höre dann von Ihnen den Hinweis auf den Primat der Außenpolitik. Nun ja, wir haben — und ich glaube, in diesem Fall muß man sagen: leider — in den verflossenen Jahren doch oft den Zustand erlebt, daß nicht nur von einem Primat der Außenpolitik gesprochen werden konnte, sondern daß die Außenpolitik eigentlich völlig das Feld beherrschte und die innerpolitische Entwicklung zu einer echten parlamentarischen Demokratie dabei Schaden litt.
Aber, meine Damen und Herren, wie kurzsichtig ist doch eine solche Politik! Eine gute Außenpolitik auf lange Sicht kann doch nur dann Erfolg haben, wenn sie von guten, festen innerpolitischen Fundamenten getragen wird. Das bedeutet für die Bundesrepublik, daß eine Außenpolitik nur tragfähig ist und bleibt, wenn sie sich auf das Fundament einer gesunden parlamentarischen Demokratie im Innern stützen kann. Ist diese parlamentarische Demokratie nicht gesichert oder ist sie sehr schwach, so werden die außenpolitischen Bemühungen an dieser Tatsache bald zerbrechen. Denn dann, Herr Bundeskanzler, wird das Mißtrauen uns gegenüber in der Welt nicht aufhören, sondern es wird sich verstärken.
Wie dünn die Decke ist und wie gering das Vertrauen der Bevölkerung zu dieser Demokratie ist, haben wir doch vor einem Jahre alle erlebt. Das hat uns der Schock gezeigt, der bei dem Fall John durch die Bevölkerung ging. Ich glaube, wir sollten uns in diesem Augenblick auch einmal wieder an diese Vorgänge erinnern.
Aber, meine Damen und Herren, wie schwach ist doch diese parlamentarische Demokratie auch noch in Deutschland, wenn man die Stellung der Regierung zum Parlament betrachtet. In der ersten Lesung ist dieser Gesetzentwurf von allen Fraktionen des Hauses so zerfetzt worden wie wohl noch nie eine Vorlage der Regierung.
Wie reagierte die Regierung darauf? Sie schwieg im wesentlichen. Den Zornesausbruch des Bundeskanzlers kann man ja wohl nicht als eine echte Auseinandersetzung mit der kritischen Stellungnahme der sozialdemokratischen Fraktion betrachten. Und die Ausführungen des Verteidigungsministers betrafen nur einen Punkt der Ausführungen meines Freundes Arndt.
Es wird so viel von der Verantwortung der Mininister gegenüber dem Parlament geredet. Ich glaube aber, diese Verantwortung besteht doch nicht nur darin, daß die Minister durch ihre Anwesenheit bei der Beratung der Gesetze dem Parlament ihren Respekt bezeugen. Verantwortung heißt doch wohl auch, daß sich die Minister der Kritik des Parlaments stellen und daß sie die Vorlagen, die vom Kabinett gemacht worden sind, hier im Parlament, hier im Plenum auch verteidigen. Sollte dann die Regierung dabei den Eindruck gewinnen, daß diese Kritik an fast allen Punkten von allen Fraktionen berechtigt sei, bleibt doch nur ein Weg: dann die Vorlage zurückzuziehen und dem Parlament eine bessere zu unterbreiten. Aber das ist in diesem Falle nicht geschehen.
Wir sollten diese Dinge nicht unterschätzen. Denn durch das konstruktive Mißtrauensvotum und durch die Tatsache, daß der Bundeskanzler sich bisher geweigert hat, dem Bundespräsidenten die Abberufung eines Ministers vorzuschlagen, auch wenn das ganze Parlament heftige Kritik an diesem Minister zu üben hatte, ist doch schon der Eindruck entstanden, daß die Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Parlament nur auf dem Papier steht. Das konstruktive Mißtrauensvotum — meine Damen und Herren, darüber sollten sich alle Befürworter dieser Bestimmung des Grundgesetzes klar sein — ist doch nur zu halten, wenn sich die Minister hier im Parlament auch mit der Argumentation und der Kritik der Fraktionen auseinandersetzen.
Als das hier bei der ersten Lesung im Plenum nicht geschehen war, hätte man mindestens annehmen sollen, daß das Kabinett sich nach dieser für die Vorlage vernichtenden Debatte zusammengesetzt hätte, um die notwendigen Folgerungen daraus zu ziehen und dann bei Beginn der Ausschußberatungen wenigstens entsprechende Erklärungen abzugeben. Aber auch das ist nicht geschehen. Auf meine Frage bei Beginn der Beratungen im Sicherheitsausschuß begegnete ich sogar einem großen Erstaunen und dem Hinweis, daß das doch bisher nicht üblich gewesen sei. Nun, meine Damen und Herren, es dürfte in einer guten parlamentarischen Demokratie auch nicht üblich sein, daß die Regierung auf eine solche Kritik einer ihrer Vorlagen im Parlamente nichts zu sagen weiß.
Die völlige Umgestaltung der Vorlage beweist, wie schlecht der Entwurf der Regierung ausgearbeitet war. Es ist nicht zu verkennen, daß durch die Umgestaltung in den Ausschüssen eine Reihe der wichtigsten und entscheidendsten Mängel des Gesetzes beseitigt worden sind. Es ist außerordentlich zu begrüßen, daß Vertreter aller Fraktionen bemüht waren, eine entsprechende Umgestaltung zu erreichen. Allerdings bot die Regierung dabei wenig Hilfe, ja, in den entscheidenden Punkten legte sie sich sogar zunächst quer.
Der 8. Juli dieses Jahres wird immer ein Tag von besonderer Bedeutung für dieses Parlament und für diese Auseinandersetzung bleiben. Es zeigte sich an diesem Tage die Möglichkeit, die ja inzwischen Wirklichkeit geworden ist, daß das Gesetz über den Personalgutachterausschuß von einer sehr großen Mehrheit des Hauses getragen werden würde. Der Herr Verteidigungsminister hatte die innerpolitische Bedeutung dieser Situation erkannt, und er erstattete sofort dem Kabinett Bericht. Was tat der Bundeskanzler, was tat das Kabinett, von denen wir hier immer so schöne Worte über die gemeinsame Arbeit hören? Sie sagten in diesem innerpolitisch entscheidenden Augenblick nein.
Und damit die Situation klar wurde, sagte man noch ein zweites Nein bei der anderen entscheidenden Frage, in der sich der Sicherheitsausschuß einig war, nämlich in der Frage des § 2 c — wir haben gestern darüber gesprochen —, der die Organisationsgesetze für das Ministerium und für die Spitzengliederung der Streitkräfte fordert. Hätten Kanzler und Regierung die Situation richtig erkannt, wäre das dann einsetzende tagelange Feilschen nicht notwendig gewesen. Leider hat die Regierung durch ihre Hartnäckigkeit und starre Haltung einen großen Teil des Gewinns für die Demokratie, der aus diesen Vorgängen entstanden war, wieder vertan.
Die Regierung hat verfassungsmäßige Bedenken geltend gemacht. Das ist sicher ihr gutes Recht. Wir hätten aber nur gewünscht, meine Damen und Herren, das verfassungspolitische Gewissen der Regierung wäre in den verflossenen Jahren genau so empfindlich gewesen wie in den letzten Tagen.
Da es nun aber offenbar wach geworden ist, wollen wir hoffen, daß es immer so bleibt. Aber selbst wenn — ich setze das einmal voraus — die Verfassungsbedenken der Regierung zu Recht bestanden hätten, mußte sie mit dem Parlament Wege suchen, um Schwierigkeiten zu beseitigen. Angesichts der großen Mehrheit im Parlament in den beiden wichtigen und entscheidenden Fragen des Personalgutachterausschusses und der Organisationsgesetze hätte sie ihre Bedenken vortragen müssen, aber doch gleichzeitig erwägen müssen, ob man nicht, und sei es unter Umständen durch eine Verfassungsänderung, diese Dinge in Ordnung bringen könnte.
Eine gesunde, lebensvolle und tatkräftige parlamentarische Demokratie kann sich nur entwickeln und das Vertrauen des Volkes gewinnen, wenn auch für die Regierung der Wille des Parlaments an erster Stelle steht und von Regierung und Parlament gemeinsam Anstrengungen gemacht werden, um diesen Willen zu verwirklichen. Ein großer und entscheidender Augenblick für die Demokratie ist in der vorigen Woche von der Regierung nicht genutzt worden.
Um so erfreulicher war die Festigkeit des Parlaments in diesen Tagen. Es wird vom Gesichtspunkt der parlamentarischen Demokratie die entscheidendste Tatsache seit 1949 bleiben, daß das Parlament gegenüber der Regierung nicht nachgegeben hat. Wenn es für die gesunde Entwicklung unserer Demokratie einen Lichtblick gibt, dann ist es diese Tatsache. Das Parlament hat die entscheidende Stunde, die von der Regierung verpaßt wurde, genutzt. Wir wollen hoffen und wünschen, daß das ein gutes Omen auch für die zukünftige Entwicklung sein wird. Die Vorgänge der letzten Tage haben bei unzähligen Bewohnern der Bundesrepublik neue Hoffnungen auf eine gute Entwicklung der parlamentarischen Demokratie geweckt. Es müßte sich furchtbar auswirken, wenn sie enttäuscht würden.
Meine Damen und Herren, gerade angesichts dieser Vorgänge bedauern wir es um so mehr, daß die Mehrheit des Hauses dem Wunsch der Regierung auf Verabschiedung dieses auch jetzt noch unzulänglichen Gesetzes entsprochen hat. Wenn das Parlament ebenso wie in den beiden genannten Fragen hart geblieben wäre in der Frage der Wehrverfassung, hart geblieben wäre in der Forderung, daß die wichtigsten Gesetze zunächst insgesamt dem Parlament vorliegen müßten, wären noch mehr Sorgen für die innerpolitische Entwicklung von uns genommen.
In der Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion zum Gesetz über den Personalgutachterausschuß haben wir bereits gestern darauf hingewiesen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion die außen- und innerpolitischen Voraussetzungen für den Aufbau von Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland nicht für gegeben hält. Zu dieser Frage brauche ich deshalb weitere Ausführungen nicht zu machen. Diese Auffassung ist der entscheidendste Gesichtspunkt für die Ablehnung dieses Gesetzes durch die sozialdemokratische Fraktion.
Aber auch, meine Damen und Herren, wenn diese entscheidenden Gesichtspunkte nicht gegeben wären, könnten wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen. Die völlige Unzulänglichkeit und Unmöglichkeit der Regierungsvorlage ist zwar durch die Ausschußberatungen in weitgehendem Maße beseitigt. Aber auf dem von der Regierung und der Mehrheit des Hauses eingeschlagenen
Wege kann man mit der Aufstellung von Streitkräften in der Bundesrepublik nicht beginnen, wenn man nicht große Gefahren für die Demokratie heraufbeschwören will. Um eine gute und weniger von Gefahren umwitterte Entwicklung zu erreichen, hätte zunächst die Wehrverfassung geschaffen und ordnungsmäßig in das Grundgesetz eingebaut werden müssen. Trotz aller Warnungen und Mahnungen haben Bundesregierung und Regierungsparteien diesen gefährlichen und unheilvollen Weg des Freiwilligengesetzes gewählt. Die sozialdemokratische Fraktion kann sich an den damit verbundenen Gefahren nicht mitschuldig machen. Zu der Ablehnung des Gesetzes aus den grundsätzlichen Erwägungen kommt die Ablehnung wegen der völligen Unzulänglichkeit der Regelung. Die sozialdemokratische Fraktion wird deshalb das Gesetz in der Schlußabstimmung ablehnen.