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ID0210002000

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    6. Blachstein.: 1
  • tocInhaltsverzeichnis
    2. Deutscher Bundestag — 100. Sitzung. Bonn, Sonnabend, den 16. Juli 1955 5579 100. Sitzung Bonn, Sonnabend, den 16. Juli 1955. Beurlaubte Abgeordnete (Anlage) 5616 A Mitteilung über Aufnahme der Abg. Gräfin Finckenstein, Bender, Dr. Eckhardt, Haasler, Kraft, Dr. Dr. Oberländer, Samwer als Hospitanten in die Fraktion der CDU/CSU 5579 C Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses zu dem Personalvertretungsgesetz (Drucksache 1605) . . 5579 C Sabel (CDU/CSU), Berichterstatter . . 5579 C Beschlußfassung . . . 5581 B Erklärung der Bundesregierung gemäß § 47 der Geschäftsordnung (Genfer Konferenz und Wiedervereinigung Deutschlands): Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . . 5581 C Ollenhauer (SPD) 5581 C Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die vorläufige Rechtsstellung der Freiwilligen in den Streitkräften (Freiwilligengesetz) (Drucksachen 1600, 1467) 5582 A Cillien (CDU/CSU) 5582 A Mellies (SPD) 5584 D Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 5588 A Blank, Bundesminister für Verteidigung 5588 D von Manteuffel (Neuß) (FDP) . . . 5590 C Feller (GB/BHE) 5591 D Schneider (Bremerhaven) (DP) . . 5594 A Blachstein (SPD) 5597 D Strauß, Bundesminister für besondere Aufgaben 5603 A, 5612 C Dr. Schröder, Bundesminister des Innern 5610 D Erler (SPD) 5611 B, 5612 C Euler (FDP) 5613 A Frau Dr. Dr. h. c. Lüders (FDP) . . 5614 D Schlußabstimmung 5615 C Rückblick auf die Arbeiten des Bundestags, Wünsche für die Parlamentsferien: Vizepräsident Dr. Schmid 5615 C Nächste Sitzung 5616 C Anlage: Liste der beurlaubten Abgeordneten 5616 A Die Sitzung wird um 9 Uhr durch den Vizepräsidenten Dr. Jaeger eröffnet.
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    Anlage Liste der beurlaubten Abgeordneten a) Beurlaubungen Abgeordnete beurlaubt bis einschließlich Pelster 10. September D. Dr. Gerstenmaier 15. August Dr. Höck 31. Juli Bauer (Würzburg) 30. Juli Dr. Blank (Oberhausen) 30. Juli Dr. Kreyssig 30. Juli Dr. Pohle (Düsseldorf) 30. Juli Schoettle 30. Juli Dr. Vogel 30. Juli Albers 23. Juli Dr. Graf Henckel 23. Juli Dr. Arndt 16. Juli Dr. Bartram 16. Juli Bauereisen 16. Juli Birkelbach 16. Juli Böhm (Düsseldorf) 16. Juli Caspers 16. Juli Dr. Czermak 16. Juli Donhauser 16. Juli Dr. Dresbach 16. Juli Ehren 16. Juli Günther 16. Juli Harnischfeger 16. Juli Koenen (Lippstadt) 16. Juli Frau Dr. Kuchtner 16. Juli Leibfried 16. Juli Lemmer 16. Juli Frau Dr. Maxsein 16. Juli Metzger 16. Juli Morgenthaler 16. Juli Neuburger 16. Juli Onnen 16. Juli Raestrup 16. Juli Dr. Starke 16. Juli Frau Dr. h. c. Weber (Aachen) 16. Juli Wiedeck 16. Juli Wullenhaupt 16. Juli Margulies 16. Juli Dr. Dr. h. c. Pünder 16. Juli Struve 16. Juli Dr. Eckhardt 16. Juli Dr. Schneider (Lollar) 16. Juli Dr. Keller 16. Juli b) Urlaubsanträge Frau Dr. Steinbiß vom 18. Juli bis einschließlich 23. September.
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    Rede von Herbert Schneider


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DP)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

    Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits bei der Vorlage des Freiwilligengesetzes hat meine Fraktion gewisse Bedenken angemeldet. Diese Bedenken sind auch, nachdem der Sicherheitsausschuß in ausgiebigen Beratungen die verschiedensten Verbesserungen angebracht hat, noch nicht vollends ausgeräumt. Andererseits sind meine Freunde von der Deutschen Partei und ich fest davon überzeugt, daß es notwendig ist, dieses Gesetz umgehend unter Dach und Fach zu bringen, und zwar aus außenpolitischen Überlegungen. Denn wenn wir bedenken, daß in diesen Tagen die Führer der Großmächte in Genf zusammentreten, dann gibt es in unserer Situation nur die Alternative, ob wir, ich möchte sagen: als unsichtbarer Verhandlungspartner mit am Verhandlungstisch sitzen oder oh wir als Faustpfand dafür dasein sollen, daß eventuell Konzessionen auf unserem Rücken ausgehandelt werden können. Es ist dabei noch keineswegs entschieden, welche Rolle Deutschland bei diesen Beratungen endgültig spielen wird, ob es aktiver Mitspieler sein kann oder ob es die Rolle eines passiven Objekts zugewiesen bekommen wird.
    Meine Freunde und ich haben aber das Vertrauen in die Westmächte, daß sie ihre gegebenen Zusagen in dem Umfang einhalten, wie das bisher stets der Fall gewesen ist und wie andererseits auch die Bundesrepublik die eingegangenen Verpflichtungen stets getreulich erfüllt hat. Trotzdem dürfen wir uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß angesichts der sicherlich langwierigen Verhandlungen, die bevorstehen, Überraschungen nicht ausgeschlossen erscheinen. Dieses Moment macht es notwendig — das muß hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden, denn es ist meines Erachtens in der Vergangenheit in der Öffentlichkeit und in der Presse noch nicht deutlich genug geworden —, daß wir jetzt zur Verabschiedung dieses Gesetzes schreiten.
    Meine Damen und Herren, wir sind fest überzeugt — wir können es natürlich, wie hier vorhin schon gesagt wurde, nicht beweisen; den Beweis muß sowohl der Führer der Opposition wie der Regierungschef schuldig bleiben; ob der eingeschlagene Weg richtig ist, wird erst die Zukunft beweisen —, wir sind aber überzeugt davon, daß wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzes unter anderem in dem diplomatischen Kräftemessen der Zukunft eine weit aktivere Rolle spielen können, als es bisher der Fall war, und daß insonderheit die konsequente Verfolgung der bisher eingeschlagenen Außenpolitik schlechthin dazu führen wird, daß die deutschen Probleme eher einer uns genehmen Regelung zugeführt werden können, als es unter den derzeitigen Umständen der Fall ist.
    Ich hoffe mir nicht wieder einen Zuruf wie gestern zuzuziehen, wenn ich hier feststelle, daß wir mit der großen Mehrheit der Koalitionsfraktionen in der Außenpolitik der vergangenen Jahre absolut übereingestimmt haben. Der beste Beweis dafür, daß dies eine gute Außenpolitik war, ist, glaube ich, die Tatsache, daß wir heute wieder über unsere volle Handlungsfreiheit und Souveränität verfügen, und schließlich auch die Tatsache, daß die Russen sich veranlaßt sahen, den Bundeskanzler nach Moskau einzuladen.
    Unter diesen Umständen ist es meinen Freunden und mir unverständlich, wie von seiten der Opposition noch in so heftiger Weise Kritik an der Außenpolitik der Regierung geübt werden kann. Ich möchte dem, was hier schon mehrfach von verschiedenen Sprechern anderer Fraktionen gesagt wurde, ebenfalls Ausdruck geben: daß wir uns als Ganzes einschließlich der Opposition in diesem Hause schließlich und endlich doch zu einer gemeinsamen Linie der Außenpolitik finden können.
    Wenn ich sage, daß wir die bisherige Außenpolitik konsequent weiterverfolgen wollen, dann meine ich damit die Grundlinien dieser Außenpolitik, wobei wir in einzelnen Fällen uns selbstverständlich auch entsprechend geschmeidig verhalten müssen.
    Wenn wir das beachten, glauben meine Freunde und ich, daß wir für die eine Seite durchaus interessant sein können, für eine andere Seite vielleicht sogar interessant sein müssen.
    Um es abschließend zu sagen: Wir erachten die Beschlußfassung über das vorliegende Gesetz als eine Honorierung der eingegangenen Verpflichtungen innerhalb der NATO bzw. der Westeuropäischen Union. Wenn von den Kritikern der Wehrgesetze in der Öffentlichkeit immer wieder schlechthin gesagt wird, dieser bescheidene Verteidigungsbeitrag könne niemals verhindern, daß böse Ereignisse eventuell doch einträten und über uns hinweggingen, dann stehe ich nicht an zu erklären, daß auf der einen Seite durch die Erfüllung der eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen wir uns wieder ein Stück moralischen Kredits mehr zuziehen und daß auf der anderen Seite selbstverständlich dies auch nur ein Beginn sein kann. Es wäre jedenfalls das Dümmste und Schlechteste, was die Bundesrepublik tun könnte, wenn sie wie eine Windfahne auf jeden Luftzug reagieren und einmal in diese, einmal in jene Richtung schwenken würde. Gerade die Tatsache, daß wir in der Vergangenheit konsequent eine klare und gerade Linie verfolgt haben, hat uns den Kredit in der Welt wieder eingebracht, den wir heute haben.
    Im übrigen ist die Deutsche Partei der Auffassung, daß ein standhaftes und sich selbst getreues Volk auch nicht das ständige Objekt fremder Interessen auf alle Zeiten sein kann.
    Meine Damen und Herren! Die psychologische Situation, die wir im Zeitpunkt der Verabschie-


    (Schneider [Bremerhaven])

    dung des Freiwilligengesetzes und damit des ersten Wehrgesetzes vorfinden, ist dagegen keineswegs so erfreulich. Darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen.
    Herr Kollege Cillien hat heute morgen hier sehr richtig ein Wort gesprochen, das meine Freunde von der DP schon vor Jahren oftmals ausgesprochen haben, das ihnen aber manchmal recht unfreundliche Bemerkungen eingebracht hat, nämlich daß es notwendig ist, daß wir uns als Deutsche zu den Höhen und zu den Tiefen unserer Geschichte bekennen, da es nicht möglich ist, eine Geschichtsära einfach zu verschweigen oder den Kopf vor ihr in den Sand zu stecken. Wir sind darüber hinaus sogar der Meinung, daß, wenn man sich aufrichtig auch mit einer Ara wie der verflossenen auseinanderzusetzen vermag, dann der Sache des ganzen Volkes nur ein großer Dienst erwiesen ist.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Krieg selbst und die Not und das Elend der Nachkriegszeit, die langjährige Gefangenschaft vieler Hunderttausender von Männern und Frauen, die teilweise heute noch nicht zurückgekehrt sind, das, was nach dem Kriege, nach 1945 als Entnazifizierung durch unser Land ging, die Art und Weise, in der die ehemaligen Soldaten nach 1945 nicht nur von den Alliierten, sondern leider Gottes auch von Deutschen oftmals behandelt wurden, haben nicht dazu beitragen können, daß heute eine wirkliche Wehrbereitschaft im deutschen Volke, sei es bei den Alteren, sei es bei der Jugend, vorhanden ist. Wenn wir uns daranbegeben, eine Wehrgesetzgebung zu machen, sollten wir über allen Formalien nicht vergessen, gerade dieser äußerst schlechten psychologischen Situation entsprechend Rechnung zu tragen und alles zu tun auf sozialen und anderen Sektoren, um eine größere Bereitschaft für diese notwendigen Dinge zu schaffen, als wir sie bisher haben.
    Wir haben auch heute noch die Nachwirkungen unserer totalen Niederlage im Lande, obwohl sie natürlich gegenüber den früheren Jahren erheblich abgeschwächt sind. Herr Kollege Heye hat hier gestern ganz mit Recht darauf hingewiesen, daß die Verärgerung in den Kreisen der Soldaten über die vielfältigen Bestimmungen des 131er-Gesetzes vorhanden ist. Ich darf Sie auch daran erinnern, meine Damen und Herren, daß heute noch ein Teil der Soldaten außerhalb der Gemeinschaft der ehemaligen deutschen Soldaten steht. Das ist ein Teil der Waffen-SS, die wir auch nicht kollektiv verurteilen können. Und ich darf Sie vor allem daran erinnern, daß wir noch mit einer schweren Hypothek belastet sind. Das ist die Tatsache, daß bis zum heutigen Tage immer noch nicht alle jene Männer und Frauen aus alliierten Kerkern und Gefängnissen entlassen sind, daß wir heute, zehn Jahre nach Kriegsende und in einem Augenblick, in dem wir uns anschicken, eine neue Wehrmacht aufzustellen, vermerken müssen — angesichts noch dazu der Tatsache, daß wir uns mit vielen Nationen freundschaftlich verbunden haben —, daß diese selben Nationen unsere ehemaligen Soldaten noch zurückhalten. Das ist eine tiefbetrübliche Tatsache, und ich kann nur hoffen, daß die Informationen richtig sind, die mir in jüngster Zeit geworden sind, daß nämlich im Herbst dieses Jahres mit einer Bereinigung dieses Problems von alliierter Seite gerechnet werden könne, die so weit gehen solle, daß man zwar nicht diejenigen, die wirklich
    Verbrechen begangen hätten und die wahrscheinlich auch vor deutsche Gerichte gestellt werden müßten, entlassen wolle, daß aber alle diejenigen, die den zweifelhaften Methoden der damaligen Gerichte erlegen seien, ihre Freiheit wiedererlangen sollten. Vorsichtshalber möchte ich aber für meine Freunde und, ich glaube, sicherlich auch für viele Angehörige der übrigen Fraktionen von hier aus noch einmal den Appell an die Gewahrsamsmächte richten, endlich dem Recht seinen freien Lauf zu lassen.
    Wir dürfen auch nicht übersehen, meine Damen und Herren, wenn die Wehrmacht, die wir jetzt aufstellen wollen und deren erste Grundlage das Freiwilligengesetz ist, auch eine absolute Verteidigungswehrmacht sein soll, was wir nicht oft genug betonen können, daß wir den Opfern des letzten und des vorletzten Krieges gegenüber noch Verpflichtungen haben, die noch nicht in vollem Umfange eingelöst sind; diese Einlösung wäre auch ein Stück psychologischen Wehrbeitrages. Für meine Freunde von der Deutschen Partei und mich steht es aber fest, daß es keine Freiheit ohne Sicherheit geben kann, und wenn wir das erkennen, meine Damen und Herren, dann müssen wir den Mut haben, der Öffentlichkeit die sicherlich unpopuläre Gesetzgebung klarzumachen und ihr zu erklären, daß das, was wir jetzt unternehmen, einfach sein muß. Denn es ist ein ungeschriebenes Gesetz aller freien Nationen, daß sie eine Wehrmacht haben, diese aber nicht haben, um etwa ihre Nachbarn zu überfallen, sondern um im Falle eines Angriffs gewappnet zu sein. Und wer wollte in Westdeutschland behaupten, daß wir im Falle eines Angriffs erwarten könnten, daß etwa Franzosen, Engländer, Amerikaner und andere Nationen unser Volk, unsere Frauen und Kinder, unser Land verteidigen, während wir selbst mit den Händen in den Hosentaschen dabei ständen!?

    (Beifall rechts und in der Mitte.)

    Es ist eine verwerfliche und sehr durchsichtige Propaganda, die dem deutschen Volk weiszumachen versucht, daß mit der Aufstellung der Streitkräfte der neue Krieg bereits im Kommen sei und selbstverständlich von Deutschland angezettelt würde. Meine Damen und Herren, ein ernsthafter Mensch kann so etwas doch nicht glauben; denn Deutschland verfügt ja, um nur ein Beispiel zu nennen, gar nicht über die entsprechende Rüstungswirtschaft. Man würde uns die Waffen, die man uns jetzt gibt, um uns in den Stand der Verteidigungsbereitschaft zu setzen, sehr schnell wegnehmen und unter Umständen diese Waffen gegen uns selbst gebrauchen müssen. Der deutschen Öffentlichkeit kann daher nicht nachdrücklich genug gesagt werden, daß mit diesem Beitrag, den die einen als viel zu gering bezeichnen, niemals eine Propaganda in dem Sinne getrieben werden darf, daß wir etwa militaristisch und kriegslüstern seien. Aber eins lassen wir uns nicht nehmen: diesen freiheitlichen Raum so zu schützen, wie es in einer Welt voller Unfrieden und voller Hinterhalt notwendig ist.
    Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe vorhin vom psychologischen Wehrbeitrag gesprochen und einige Beispiele dafür genannt. Dazu gehört auch die Ehrenerklärung, die Herr Verteidigungsminister Blank anläßlich der ersten Lesung des Freiwilligengesetzes abgegeben hat, indem er der Wehrmacht bescheinigte, daß sie, abge-


    (Schneider [Bremerhaven])

    sehen selbstverständlich von einigen Elementen, die es überall gibt, ehrenhaft, brav und tapfer gekämpft habe. Diese Erklärung kommt zwar zehn Jahre nach Kriegsende etwas spät von dieser Tribüne, aber meines Erachtens noch nicht zu spät.
    Ich will nicht in Einzelheiten der gestrigen Auseinandersetzung über unsern Standpunkt zum Personalgutachtergesetz einsteigen. Erlauben Sie mir aber bitte noch kurz zu bemerken, daß wir uns bei der Ablehnung des Personalgutachterausschusses in der angenehmen Gesellschaft der Professoren Bergstraeßer und Eschenburg befinden. Wenn Herr Kollege Mende gestern hier verkündete, daß auch 1807 — nach Tilsit — Königliche Kommissionen eingesetzt wurden, die die Aufgabe hatten, eine solche Überprüfung vorzunehmen, und wenn heute vielfach in der Presse gerade dieses Beispiel genannt wird, dann muß ich um der Wahrheit der Geschichte willen richtigstellen, daß es solche Königlichen Kommissionen zwar gab, daß sie aber unmittelbar nach Beendigung der Feindseligkeiten eingerichtet wurden und daß sie sich mit ganz konkreten militärischen Vorgängen zu befassen, aber nicht eine charakterliche oder persönliche Eignungsprüfung vorzunehmen hatten. Das ist der Unterschied.

    (Beifall bei der DP.)

    Verzeihen Sie, wenn ich im Rahmen dieser Debatte, ohne alte Wunden — es war zwar gestern, aber ich betrachte es als alte Wunden — aufreißen zu wollen, noch einmal nachdrücklich darauf hinweise: Wenn meine Fraktion, von wirklich ernster Sorge um die Entwicklung dieser Dinge getragen, den Personalgutachterausschuß abgelehnt hat, dann ist es nicht aus irgendwelchen parteipolitischen Gründen geschehen,

    (Zuruf von der SPD)

    — ich bitte doch, uns den guten Willen so zu unterstellen, wie wir das bei Ihnen auch tun —

    (Abg. Mellies: Das müssen Sie auch in der Begründung der Ablehnung zum Ausdruck bringen!)

    sondern weil wir uns ernsthafte Gedanken über dieses Gesetz und seine Bestimmungen gemacht haben. Ich erkläre auf Grund der Zwischenrufe der Opposition, daß wir selbstverständlich auch den Standpunkt jeder anderen Fraktion dieses Hauses und ihre Argumentation anerkennen, die ja nicht von irgendeinem Führer diktiert worden ist, sondern die von den Fraktionen in ihrer Gesamtheit nach ernsthaftester Gewissensprüfung erarbeitet worden ist. Ich habe gestern allerdings einen Hinweis der Koalitionsfraktionen und auch des Herrn Kollegen Mellies vermißt, daß Einmütigkeit darüber bestände, daß dieser Personalgutachterausschuß unter allen Umständen, wenn es auch nicht formal im Gesetz verankert ist, zu unserem Bedauern eines Tages seine Tätigkeit einstellen muß und daß es nicht dahin kommen darf, daß man ihn bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag als Instrument gebraucht, um diese oder jene Maßnahmen zu begründen bzw. zu erforschen. Wir werden also darauf achten, — —

    (Abg. Mellies: Herr Schneider, was haben Sie denn von den Verhandlungen eigentlich mitbekommen?)

    — Ich habe alles mitbekommen, Herr Mellies. Im Gesetz steht aber kein Termin; deswegen lege ich Wert darauf, daß das hier protokollarisch festgehalten wird.
    Es war der Kollege Heye, der gestern verschiedentlich sehr tiefschürfende und auch mir sehr zu Herzen gehende Ausführungen machte. Er hat doch auch indirekt zum Ausdruck gebracht, daß auf Grund der Vorkommnisse der verflossenen Jahrzehnte eine gewisse Vorsicht und ein gewisses Mißtrauen angebracht seien. Aber, meine Damen und Herren, ich appelliere an Sie alle: Bitte, betrachten Sie den Soldaten, auch den neuen deutschen Soldaten, nicht von vornherein als etwas, was vielleicht nicht so innerhalb der zivilen Gemeinschaft stehen könnte. Ich weiß, daß die Vergangenheit dazu reizt, ihm von vornherein eine besondere Stellung zuzuschieben. Ich bin aber andererseits überzeugt, daß gerade die, man kann schon sagen, ausgezeichnet gelungene Umerziehung der letzten zehn Jahre auch dem deutschen Soldaten innerhalb unserer zivilen Gemeinschaft eine Stellung geben wird die wir alle respektieren können und bei der wir vor allen Dingen erwarten können, daß der Soldat auch das zivile Element, das Parlament und die Regierung, respektiert. Wir können keinen größeren psychologischen Fehler machen, als immer wieder darauf hinzuweisen, daß eine neue Wehrmacht etwa eine potentielle Gefahr für die Demokratie darstelle. Damit bringen wir diese neuen Soldaten und Offiziere von vornherein in eine Abwehrstellung gegenüber unserem jungen Staate. Ich glaube im übrigen, daß die ehemaligen Soldaten aller Dienstgrade, gleichgültig ob Unteroffiziere, Mannschaften oder Offiziere, inzwischen wahrhaftig nicht die schlechtesten Zivilisten geworden sind. Sie haben es, nachdem sie ihren Beruf nach der totalen Kapitulation aufgeben mußten, alle verstanden, durch ihrer Hände und ihres Kopfes Arbeit sich wieder eine entsprechende Stellung zu erwerben.
    Ich nehme auch hier die wenigen aus, die immer aus der Reihe tanzen werden, wie es aber, was ich immer wieder betone, auch in vielen anderen Berufssparten der Fall ist.
    Gewisse weitere Bedenken meldet meine Fraktion zu § 2 c an, der bekanntlich die Spitzengliederung und die Organisation in etwa präjudiziert. Hierüber sind verfassungsrechtliche Streitereien im Gange gewesen. Ganz geklärt sind die Dinge zwischen Parlament und Regierung in diesem Fall noch nicht. Deswegen haben wir uns gestern der Stimme enthalten. Ich 'betone bei der Gelegenheit ausdrücklich, damit auch seitens der Opposition und auch seitens der Presse, die sich heute morgen jedenfalls in Bonn bemüßigt fühlte, die Dinge so darzustellen, als wolle die Deutsche Partei das Parlament in der Wehrgesetzgebungausschalten, Klarheit besteht: das ist eine böswillige Verdrehung, gegen die ich von dieser Stelle aus mit aller Entschiedenheit protestiere. Ich erkläre hier für die Fraktion der Deutschen Partei, daß wir uns in unserem Verlangen und unserem Wunsche, die parlamentarische Kontrolle so stark wie möglich zu machen und im übrigen auch die zivile Kraft in der Wehrmacht so stark wie möglich zu machen, mit allen Fraktionen dieses Hauses treffen, wenn wir auch in Details manchmal verschiedener Auffassung sind. Im vorliegenden Fall des § 2 c kann vielleicht nicht ganz bestritten werden, daß ein gewisses Präjudiz vorliegt, indem hier die Legislative in die Exekutive in einer Form eingreift, die vielleicht für andere Fälle Schule machen könnte. Aber auch hier ist noch ein psychologisches Moment dabei, indem eine solche Formulierung leicht dazu führen kann,


    (Schneider [Bremerhaven])

    als eine Sonderregelung für die Wehrmacht bzw. als ein Vorurteil gegen die Wehrmacht ausgelegt zu werden. Wir sind, da wir natürlich auf rechtsstaatlichem Boden stehen, absolut für klare Begrenzung der Gewalten, für klare Begrenzung der Verantwortlichkeiten und Befugnisse. Insofern ist uns bei dem § 2 c nicht so ganz wohl in unserer Haut. Wenn eingewandt wird, daß gegen den jetzigen Bundesverteidigungsminister keine Bedenken bestünden — und ich glaube, aus den Erörterungen mit Kollegen der Opposition schließen zu können, daß diese Meinung auch dort vielfach vorherrscht —, dann darf ich vielleicht darauf verweisen, daß, wenn Herr Blank nicht Minister wäre, wahrscheinlich ein anderer Minister aus diesem Hause an seiner Stelle säße und daß letzten Endes keine Bundesregierung es wagen könnte, auch keine sozialdemokratisch geführte, sich über ein etwaiges Mißtrauensvotum des Parlaments hinwegzusetzen. Ich darf hierbei auf Art. 67 des Grundgesetzes verweisen.
    Es ist im Rahmen der Wehrgesetzgebung sehr viel vom inneren Gefüge gesprochen worden. Ich denke, wir werden bei der Erörterung des eigentlichen Soldatengesetzes auf diese Dinge noch zu sprechen kommen. Aber es sei mir gestattet, einen Satz zum inneren Gefüge der Dienststelle Blank selber zu sagen, wobei ich betonen möchte, daß ich selbstverständlich keiner Abteilung und keiner Person in diesem Amte zu nahe treten will. Meine Freunde und ich würden es bedauern — unseres Wissens haben sich dafür noch keine Ansätze gezeigt, aber wir wollen rechtzeitig darauf hinweisen —, wenn so wie in der Vergangenheit etwa ein edler Wettlauf oder Wettstreit der einzelnen Wehrmachtteile um die Gunst des Ministers in diesem Amt beginnen würde, der sich in der Vergangenheit nicht zum Guten für die Wehrmacht und für ihre Aufgaben ausgewirkt hat. Darüber hinaus möchten wir den Herrn Verteidigungsminister bitten, darauf zu sehen, daß auch die Personalpolitik keinen Anlaß dazu bietet, daß etwa von außenstehender Seite eine Kritik zutage treten kann, wie sie in den letzten Monaten leider Gottes schon vielfach laut geworden ist. Wie gesagt: über das innere Gefüge der Wehrmacht und über den Status und die Behandlung der Soldaten werden wir zu sprechen haben. Aber auf diese Punkte des inneren Gefüges des Amtes Blank meinte ich heute schon hinweisen zu müssen. Es erübrigt sich also, hier noch einmal besonders zu betonen, daß selbstverständlich die zivile Gewalt auch den Vorrang vor der militärischen haben muß.
    Noch ein kurzes Wort zu den Erörterungen über die atomare Kriegführung. Ich will hier keine lange Debatte entfesseln. Ich möchte nur feststellen — wie es vorhin der Herr Verteidigungsminister getan hat; wir können es nur 100%ig unterstreichen —: es ist dilettantisch, zu glauben, daß es im Falle eines Atomangriffs genügen würde, sich in den Luftschutzbunker zu verkriechen und dann irgendwann einmal wieder hervorzukommen, und daß es sich damit überhaupt erübrige, andere Waffengattungen und Wehrmachtteile noch aufzustellen und zu unterhalten. Wenn dem so wäre, meine ich, wären die anderen Staaten, die ja in dieser Hinsicht weit besser ausgerüstet sind als wir, längst mit gutem Beispiel vorangegangen. Es wird nach meiner Überzeugung trotz aller Fortentwicklung der Technik auch in einem künftigen Kriege nicht möglich sein, ohne den Menschen auszukommen.
    Deswegen ist es unsinnig, zu behaupten, es sei auf der einen Seite gar nicht mehr notwendig, Streitkräfte aufzustellen, und auf der anderen Seite schon deswegen nicht angebracht, weil es jetzt notwendig sei, die gesamten Mittel nur in den Luftschutz hineinzutun.
    Wenn ich das schon sage, dann möchte ich auch nur mit einem Satz betonen, daß das gesamte Parlament — ich nehme an, daß hierüber von der Opposition bis zur Koalition Einmütigkeit herrscht — und auch das Bundesverteidigungsministerium sich darin einig sind, daß diese Dinge besonders aufmerksam beobachtet werden müssen und daß wir in Zukunft bereit sein müssen, auch größere materielle Opfer zu bringen, als dies zur Zeit der Fall ist, um einen ausreichenden Schutz unserer Zivilbevölkerung gegen Angriffe aus der Luft zu gewährleisten.
    Die deutsche Presse möchte ich bei der Erörterung in dieser Stunde, die ja in gewisser Weise eine historische Bedeutung hat, nicht auslassen. Ich möchte die verantwortungsvolle Aufgabe unterstreichen, die sie hat und die darin besteht, jetzt und auch in Zukunft die Öffentlichkeit so zu unterrichten, wie es notwendig ist, damit sie sich von der Meinung der Parteien zu dem, was das ganze Volk, die ganze Nation betrifft, ein richtiges Bild machen kann. Insofern bedaure ich es, wenn beispielsweise in der heutigen Presse parteipolitische Auseinandersetzungen, die ja niemals ausbleiben können, gerade bei schwerwiegenden Fragen nicht, in den Vordergrund gestellt werden und die sachlichen Meinungsverschiedenheiten darüber zu kurz kommen. Dies soll nicht etwa ein allgemeiner Vorwurf an die gesamte Presse sein. Wer sich getroffen fühlt, möge sich diesen Vorwurf bzw. diese Mahnung zuziehen.
    Meine Freunde von der Deutschen Partei werden dem Freiwilligengesetz zustimmen in der Hoffnung, daß wir damit in Verfolgung unserer bisherigen konsequenten Außenpolitik das Richtige getan haben, und mit dem Wunsch, daß der Allmächtige seinen Segen dazu geben möge.

    (Beifall rechts und in der Mitte.)



Rede von Dr. Carlo Schmid
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Das Wort hat der Abgeordnete Blachstein.

  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Peter Blachstein


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich hier mit den Ausführungen des Herrn Verteidigungsministers beschäftigen, die er vorhin im Zusammenhang mit dem Manöver Carte blanche gemacht hat. Herr Minister, wir haben Verständnis dafür, daß Sie nicht am gleichen Tage, an dem die Presse Veröffentlichungen über ein solches Manöver bringt, und bevor die endgültigen Auswertungen einer solchen militärischen Übung vorliegen, hier vor dem Hause dazu Stellung nehmen. Aber es beunruhigt uns, daß Sie während der Debatten über einen deutschen Wehrbeitrag, über die Pariser Verträge und in den letzten Wochen über die ersten Wehrgesetze, die dieses Haus beschäftigt haben, von Ihrer Seite zur Frage des Atomkriegs in all seiner heute vorhandenen umfassenden Veränderung der militärischen und allgemeinen Verhältnisse bisher nicht Stellung genommen haben. Wir haben doch nicht auf das Manöver Carte blanche zu warten brauchen, um einiges über die Veränderungen in der Kriegführung und in den Möglichkeiten der Kriegführung aus anderen Län-


    (Blachstein)

    dern zur Kenntnis zu nehmen. Ich bedaure deshalb Ihre gereizte Abwehr von, wie Sie gesagt haben, „pseudostrategischen" Presseartikeln. Ich glaube, wir können dem Teil der deutschen Presse, der nach einem langen Schweigen endlich begonnen hat, sich mit diesen für unser. Volk und für alle Völker so entscheidenden Fragen zu beschäftigen, nur dankbar sein,

    (Beifall bei der SPD und bei der FDP)

    um so dankbarer, meine Damen und Herren, weil — Sie sagen jetzt, die Dilettanten sprechen — die deutschen Fachleute bisher überhaupt nichts zu diesen Dingen gesagt haben.

    (Beifall bei der SPD.)

    In Ihrer Erklärung war kein Wort darüber, welche Folgerungen sich, soweit bisher bekannt, aus dem Manöver Carte blanche für die Zivilbevölkerung ergeben. Sie können doch nicht sagen: das ist eine Ressortfrage, die geht nur den Innenminister etwas an. — Wenn hier über ein solches Manöver zum erstenmal durch den Verteidigungsminister etwas gesagt wird, so müssen wir von ihm fordern — und die deutsche Öffentlichkeit kann es erwarten —, daß etwas zu den Folgen der 268 Atombomben gesagt wird, die während dieses Manövers auf deutsches Gebiet gefallen sind.

    (Beifall bei der SPD.)

    Ich glaube, daß das keine Ressortfrage ist, sondern daß hier die Bundesregierung diesem Hause und der deutschen Bevölkerung eine klare Antwort schuldig ist.
    Sie haben, Herr Minister, von den Atomexperimenten in der Wüste von Nevada gesprochen. Wir sind ja hier keine Militärakademie,

    (Sehr richtig! rechts)

    in der wir Einzelheiten der Erfahrungen mit den neuen Waffen zu diskutieren hätten. Aber in einem Zwischenruf wurde schon eingewandt, daß wir hier keine Wüste haben und daß, wenn es je wieder zu einem Krieg in Europa kommen wird, er in einem hochentwickelten, dichtbesiedelten Teil der Welt und nicht unter besonderen Manöverbedingungen wie denen in der Wüste von Nevada stattfinden wird. Die militärischen Erfahrungen aus jenen Experimenten in der Wüste von Nevada sind Teilerfahrungen wie auch die Erfahrungen im Manöver Carte blanche und in anderen Manövern, die im Laufe der Jahre von der NATO und den alliierten Streitkräften in verschiedenen Teilen der Welt durchgeführt worden sind und die in der Regel nicht von dem Fall ausgingen, daß die größten Bomben zum Einsatz kommen, sondern von einem bestimmten, abgesteckten, begrenzten Einsatz von Atomwaffen.
    Ich glaube, wenn Sie heute dem Hause erklärt haben, daß der Aufbau der deutschen Streitkräfte nach neuen Planungen vorgehen werde, die auf der Höhe neuester Erfahrungen stehen, so darf dieses Haus den Wunsch und die Forderung anmelden, daß wir erfahren, wie diese neuesten Erfahrungen aussehen und welche Konsequenzen sie für die 12 deutschen Divisionen haben sollen.

    (Abg. Arnholz: Sehr gut!)

    Das, was wir bisher darüber wissen, sind die Planungen, die ein Teil der EVG-Verträge waren und die in die Pariser Verträge in der gleichen Weise übernommen wurden. Wir erwarten, daß wir diese
    neuen Planungen, von denen Sie gesprochen haben, für den Teil, der in unserer Entscheidung liegt, hier in diesem Hause vorgelegt bekommen.

    (Abg. Arnholz: Sehr gut!)

    Herr Minister Blank hat bereits von der Ausgangsposition der Manöver Carte blanche gesprochen, von der neuen Situation, von der man ausging, daß auf beiden Seiten reichlich Atombomben zum Einsatz vorhanden seien. Aber, Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt, daß die Atombomben noch immer so teuer seien, daß nur militärische Ziele damit bombardiert werden könnten. In den Berichten über dieses Manöver heißt es aber, daß bereits am zweiten Tage von dem einen der an dem Manöver Beteiligten empörter Protest gegen die Ausradierung ziviler Wohnzentren eingelegt wurde.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Hier ergibt sich doch, wie fragwürdig es ist, von militärischen Zielen zu sprechen. Die Aufgabenstellung, die Sie für dieses Manöver dargelegt haben, beim Gegner die Luft- und Raketenbasen zu zerstören, einen vernichtenden Schlag gegen die Luftverteidigung zu führen, bedeutet doch, daß enorme Anstrengungen gemacht werden, die Flugplätze und Raketenbasen zu vernichten, womit in einem Gebiet, wie es Deutschland ist, wo diese Basen in der Nähe der großen Städte und Wohnzentren liegen, höchste Gefahr für die Zivilbevölkerung entsteht. In diesem Punkt haben Sie dann geschwiegen.
    Es ist uns nicht bekannt, wie groß die Atombomben waren, von denen bei den Manövern ausgegangen wurde. Es wird angenommen, daß sie kleiner als die sogenannte Normalbombe waren, die erste, die über Hiroshima zum Einsatz gebracht würde. 335 Atomtreffer in wenigen Tagen, 171 im Bereich der Verteidigung und 164 beim Angreifer, daraus geht hervor, daß es nicht möglich ist — und das wird auch heute allgemein angenommen —, den Einflug von feindlichen Flugzeugen in das eigene Gebiet - Flugzeugen, die Atombomben mit sich führen — zu verhindern. Aber was wäre geschehen, wenn bei diesem Manöver auch große Bomben zum Einsatz gekommen wären, nicht nur kleine, taktische Atomwaffen zur Vernichtung der Flugbasen, sondern in Verbindung damit eine Anzahl von modernsten Wasserstoff- oder Kobaltbomben mit ihrem furchtbaren Grad an Vernichtung alles dessen, was lebt? Wir haben einige Jahre geglaubt, einen gewissen Schutz darin sehen zu dürfen, daß der Westen einen Vorsprung habe gegenüber dem Osten sowohl auf wissenschaftlichem wie auf technischem Gebiet — in der Herstellung der Bomben — und auch in den Transportmitteln, den Langdistanzflugzeugen, die notwendig sind, um im Kriegsfall Atombomben einsetzen zu können. Wir wissen heute von berufener amerikanischer Seite, daß dieser Vorsprung immer geringer wird, daß, wenn er heute noch auf einzelnen Gebieten einige Jahre betragen mag, der Abstand kleiner wird, und man weiß heute in Moskau ebenso wie in Washington, daß jeder den anderen vernichten kann.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Wir stehen bei allen Überlegungen zur Verteidigung der Heimat, zur Verteidigung der Freiheit vor dieser Tatsache, daß beide Machtblöcke, die heute die militärisch stärksten sind, in der Lage sind, einer den anderen zu vernichten. Dabei entsteht die Lage, wenn wir den Worten eines alliier-


    (Blachstein)

    ten Luftmarschalls glauben dürfen: wenn die erste Stunde in einem Krieg heute entscheidend für seinen Verlauf ist und nicht mehr, wie es früher als richtig galt, die letzte Schlacht über den Ausgang eines Krieges entscheidet, wenn es richtig ist, daß die erste Stunde entscheidet, dann wird der Verteidiger benachteiligt einem Angreifer gegenüberstehen. Aber dann wird auch ein Verteidigungsbündnis, wie es die NATO sein soll und nach Ihrer Erklärung ist, fragwürdig in der Möglichkeit der Sicherstellung der Verteidigung. Wenn der Feldmarschall Montgomery bereits im November vorigen Jahres erklärt hat, daß die NATO den Punkt der Entwicklung bereits überschritten habe, von dem aus es noch möglich sei, die Organisation auf die Nichtanwendung von Atomwaffen umzustellen, so liegt darin wie auch in den Beschlüssen der Minister im Rahmen der NATO-Organisation, in jedem Kriegsfalle zu Atomwaffen zu greifen, eine außerordentliche Gefährdung, besonders für uns hier in Deutschland.

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Es gibt eine Theorie, daß man Atomwaffen, nicht nur Bomben, auch Raketen, Granaten und andere Waffen, nur zu taktischen Zwecken einsetzen solle, um bestimmte begrenzte Ziele in einem Krieg erreichen zu können und um auf diese Weise der allgemeinen Massenvernichtung durch die großen Bomben zu entgehen. Nun, meine Damen und Herren, es gibt dabei die Gefahr, daß sich aus der Anwendung der sogenannten taktischen Atomwaffen der große Atomvernichtungskrieg mit der Ausrottung des größten Teils der heute lebenden Menschen entwickelt. Deshalb sind wir in Sorge, daß man heute im militärischen Lager teilweise so tut, als seien Atomwaffen sogenannte konventionelle oder klassische Waffen. Wenn die Militärs heute, wie auch bei ihrer 'Übung hier über unseren Köpfen, nur von der Anwendung der sogenannten taktischen Atomwaffen ausgehen, so besteht dabei die Gefahr, daß derjenige, der schwerer getroffen wird, wenn er dazu noch imstande ist, zum totalen strategischen Atomkrieg übergeht.
    Bei den Manövern, die hier abgehalten wurden, wären, wenn es Ernstfall gewesen wäre, nach vorsichtigen Schätzungen etwa 1,7 Millionen Deutsche getötet und 3,5 Millionen Deutsche verwundet worden. Diese Zahlen sollen niedrig geschätzt sein, weil es sich um ein Manöver zur Vernichtung der Flug- und Raketenbasen gehandelt hat.
    Aber wie ist es eigentlich mit der radioaktiven Strahlung von 268 Bomben, die in wenigen Tagen auf deutsches Gebiet fielen?

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Auf wie lange würde unser Boden durch diese Strahlen verseucht werden, wie lange würde es dauern, nicht nur, bis man mit Panzern durch dieses Gebiet fahren kann, sondern bis die Menschen, falls sie Keller hatten und falls sie überlebt hätten, wieder herauskommen könnten?

    (Sehr wahr! bei der SPD.)

    Der Herr Kollege Heye hat gestern hier sehr eindrucksvoll von Erfahrungen aus seiner Offizierslaufbahn gesprochen, wie unter bestimmten Umständen sich die Soldaten und Offiziere ganz anders verhielten, als man es vorher als selbstverständlich angenommen hatte. Wie würden denn Truppen aussehen und wie würden sie reagieren, wenn 335 Atombomben in kurzer Frist fielen? Wie würde z. B. die Zivilbevölkerung reagieren? Wie würde die politische und militärische Führung am Tage danach aussehen?

    (Sehr gut! bei der SPD. — Zurufe von der Mitte.)

    Ich glaube, man kann nicht einfach über diese Dinge hinweggehen. Hier ist heute von den psychologischen Faktoren gesprochen worden. Die psychologischen Faktoren sowohl in der Bevölkerung wie in einer Truppe spielen sicher für die Verteidigung eine entscheidende Rolle. Wie würde das am Tage nach einem solchen Bombenhagel aussehen?
    Man hat uns — auch heute wieder — gesagt: Diese deutschen Divisionen sollen die allgemeine Sicherheit der westlichen Welt erhöhen. Nun, die 500 000 Mann, mit denen wir in den nächsten Jahren zur Verstärkung der westlichen Sicherheit beitragen sollen, entsprechen etwa der Zahl, um die das amerikanische Heer verringert wird. Nach genauen Zahlen des Heeresministers der Vereinigten Staaten Stevens soll in der künftigen Planung das amerikanische Heer 578 000 Mann umfassen, genau 450 000 Mann weniger, als heute im amerikanischen Heer unter Waffen stehen.

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Ich glaube, wir können ganz einfach sagen, daß hier deutsche an Stelle amerikanischer Soldaten treten und durch diese Verlagerung in Wirklichkeit nicht eine zusätzliche Verstärkung der Verteidigungskraft des Westens eintritt.

    (Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Hört! Hört!)

    Aber zurück zu den Carte-Blanche-Manövern! Wir haben die Karte mit den Treffern gesehen, die erfreulicherweise veröffentlicht worden ist, um uns nicht im Zweifel zu lassen, wie ein solcher Krieg aussehen würde. Wir haben die Bombenziele von Hamburg bis München gesehen. Es graut uns vor dieser Karte und ihren Konsequenzen.
    Der Herr Bundeskanzler hat uns hier vor kurzer Zeit erklärt: Wenn wir in die Atlantikpaktorganisation eintreten, wird unser Land nicht Schlachtfeld sein. Nun, was ist denn nach diesen Manövern an dieser Erklärung des Bundeskanzlers? Hat sie denn mehr Wahrheitsgehalt als jene Behauptung vor zwanzig Jahren, daß keine Bombe jemals auf deutschen Boden fallen würde?

    (Beifall bei der SPD.)

    Herr Bundeskanzler, da wir uns nicht wie Lämmer und Schafe zur Schlachtbank eines Atomkrieges führen lassen wollen, gerade darum protestieren wir mit solcher Leidenschaft gegen den Gedanken, in diesem Land und in diesem Teil Europas überhaupt einen Atomkrieg zu führen.

    (Beifall bei der SPD. — Abg. Stücklen: Wollen wir es vielleicht? — Abg. Spies [Emmenhausen]: Was Hitler damals wollte und was wir wollen, das ist doch ein Unterschied! — Abg. Schütz: Bauernfang! — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Die „Meyer" sterben nicht aus! — Erneute Rufe von der Mitte: Bauernfang! — Unerhört! — Anhaltende Unruhe.)

    — Meine Damen und Herren, ein Parlament, das nicht bereit ist, die Wahrheit über die Lage seines Volkes zu hören, begibt sich des Rechtes, über das Geschick seines Volkes zu entscheiden.

    (Beifall bei der SPD. — Lebhafte Zurufe und Unruhe in der Mitte und rechts.)



    (Blachstein)

    Meine Damen und Herren, ein Volk, das nicht bereit wäre, die Wahrheit zu hören,

    (anhaltende Unruhe)

    die Bedingungen kennenzulernen, unter denen es leben muß, hätte sich von vornherein aufgegeben.

    (Beifall bei der SPD. Unruhe in der Mitte.)

    Der totale Krieg, meine Damen und Herren, bedroht nicht nur unser Volk und nicht nur dieses Europa, sondern er würde zu einer Bedrohung der ganzen Welt. Deshalb wehren wir uns auch schon gegen den Gedanken des Krieges mit taktischen Atomwaffen, weil wir fürchten, daß es nicht gelingen wird, eine Grenze zu ziehen, die haltbar ist, daß es nicht gelingen wird, einen Platz zu finden, wie man in militärischen Kreisen manchmal sagt, zwischen Polizei und der Wasserstoffbombe. Wir fürchten, daß sich aus einem solchen Beginn das furchtbare Ende notwendig ergeben muß.
    Wir sprechen deshalb nicht für Tatenlosigkeit oder für Abwarten oder Nichtstun.

    (Zurufe von der CDU/CSU: Was tun Sie denn? — Weitere Zurufe von der Mitte.)

    Wir glauben, daß im Vorhandensein dieser Waffen in beiden Lagern die letzte und einzige Chance liegt, daß sie vielleicht nicht zur Anwendung kommen werden.

    (Zurufe von der Mitte.)

    Wir treten deshalb für die Politik ein, daß die beiden Seiten auf die Verwindung dieser Waffen in der Zukunft verzichten.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU: Ausgezeichnet! — Wir doch auch! — Beifall in der Mitte.)

    Meine Damen und Herren, im Anschluß an diese Manöver sind von dem militärischen Berater der Bundesregierung dazu im Rundfunk Äußerungen gemacht worden, die nicht zur Klärung, sondern bestenfalls zur Beschwichtigung dienen konnten. Es war mehr der Versuch, von etwas anderem zu reden als von dem, was wirklich zur Debatte stand und sich über unserem Lande abgespielt hatte. Ich glaube, es ist notwendig, daß wir über diese Fragen nicht nur allgemein sprechen, sondern daß wir auch in diesem Hause aus der vornehmen Zurückhaltung heraustreten und die Dinge so darstellen, wie sie sind. Von der Normalbombe von Hiroshima mit 200 000 Toten und Verletzten und der Bombe von Nagasaki, der „nur" 66 % der dortigen Bevölkerung zum Opfer fielen, bis neun Jahre nach dem Tag, als diese Bombe über Nagasaki abgeworfen wurde, also bis zum Jahre 1954, gab es unter 30 000 Geburten mehr als 8500, die nicht normal verliefen. 4500 Neugeborene starben sofort, 500 waren Totgeburten und 3600 Mißgeburten oder Schwachsinnige. Auf so lange Zeit wirken die Kräfte, die Strahlen, die Giftstoffe dieser Bomben auf den menschlichen Organismus nach. Wenn damals eine Bombe reichte, um Hiroshima zu zerstören, so ist heute — das wissen wir — eine Wasserstoffbombe genug für Paris, New York, Berlin oder Moskau. Wenn heute eine Wasserstoffbombe ohne Warnung auf eine deutsche Großstadt mit 650 000 Einwohnern fiele, gäbe es mehr als 400 000 Tote und mehr als 200 000 Verletzte. Meine Damen und Herren, diese Zahlen sind von amerikanischen und deutschen amtlichen Stellen berechnet. Der Herr Innenminister wird mir bestätigen, daß sie auf Grund nüchterner und gewissenhafter Berechnungen gefunden worden sind.
    In der Weite des Pazifik ist eine Wasserstoffbombe zur Explosion gebracht worden, die 600mal so stark wie die sogenannte erste Normalbombe war. Sie kennen das Schicksal der japanischen Fischer, die weit davon entfernt ihrem Beruf nachgingen, aber nur wenig wissen wir bisher aus dem Munde von Wissenschaftlern, nicht zuletzt auch des deutschen Professors Hahn, über die Wirkung der Atomteile bei Kobalt-, Wasserstoff- und Atombomben, die in die Atmosphäre gehen, die ihre tödliche Strahlungskraft auf lange Zeit behalten, weit vom Ort der Detonation entfernt nach mehr oder weniger langer Zeit auf die Erde niederfallen können und furchtbare Verheerungen und Verwüstungen anrichten.
    Wenn wir uns die Karte der Ziele beim Manöver Carte blanche ansehen, so müssen wir sagen: Wir haben zwar Atomkanonen in diesem Lande, aber wir haben bis zum heutigen Tage keinen echten Schutz gegen die Folgen eines Atomkrieges.

    (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Dr. Seffrin: Sie haben doch gesagt, es gibt keinen!)

    Wenn man die Stationierung von Atomkanonen in unserem Lande damals begrüßt hat, so wäre es nach unserer Auffassung die Sache der Bundesregierung gewesen, gleichzeitig an den Schutz der Zivilbevölkerung, soweit er überhaupt noch möglich ist — und es gibt Möglichkeiten dafür —, heranzugehen.

    (Sehr gut! bei der SPD.)

    Aber was haben Sie erst vor wenigen Wochen bei der Beratung des Haushalts des Bundes getan, meine Damen und Herren, als wir forderten, daß für den Schutz der Zivilbevölkerung 1,5 Milliarden DM ausgegeben werden? Sie waren nicht dazu bereit. Gerade in diesen Tagen geht eine Notiz durch die Presse, daß die Bundesregierung 70 Millionen DM — 12 Millionen DM mehr als ursprünglich vorgesehen — für den Luftschutz zur Verfügung stellen wolle. Hier stehen 9 Milliarden für Verteidigungszwecke 70 Millionen gegenüber für die Sicherung des Lebens der Bevölkerung unseres Landes. Das ist ein krasses Mißverhältnis, wenn man weiß, wie Kriege, wenn sie ausbrechen, heute wirken müssen.

    (Beifall bei der SPD.)

    Man hat in diesem Lande lange Zeit versucht, über diese Dinge ein Schweigen zu breiten. Erst heute hat der Verteidigungsminister, der in einer Regierungserklärung diese Dinge neulich auch übergangen hat, wenige Worte dazu gesagt. Allzu lange hat auch die Presse sich wenig damit beschäftigt. Der Rundfunk — teils sollte er nicht, teils tat er es nicht — ist erst spät ernsthaft an die Behandlung dieser Frage herangegangen. Deshalb sind wir dankbar dafür, daß die Frage der Verteidigung der Bundesrepublik, von der Sie gerade in diesem Hause so gern reden, zum erstenmal echt als eine Alternative aus deutschem Gesichtspunkt von einem ungehorsamen Oberst gestellt wurde, und wir sind dankbar für einen Publizisten, der begann, sich mit dieser Frage ernsthaft zu befassen, ohne daß wir jede Zeile und auch jede Wendung, die er in dieser Zeit geschrieben bzw. gebraucht hat, nun zu unserer eigenen machen. Aber jeder, der anfängt, sich mit diesen Fragen ernsthaft zu beschäftigen, wird vielleicht im Laufe des Durchdenkens und des Be-


    (Blachstein)

    handelns der Probleme zu anderen Schlüssen kommen als denen, mit denen er am Anfang darangegangen ist.
    Schließlich sind es die Wissenschaftler, die in den letzten Monaten und in den letzten Tagen ihre Stimme erhoben haben, vielleicht gerade darum, weil sie mehr von den Dingen wissen, die sie selbst erdacht, die sie vor uns aufgebaut und die sie den Regierungen und Militärs an die Hand gegeben haben, weil sie mehr Phantasie haben oder weil ihre Technik heute phantasievoller ist als alle Phantasie, die wir sonst aufbringen können. Sie werden gerade von diesen Menschen, die ihre warnende Stimme erheben, sicher nicht behaupten wollen, daß sie alle etwa außenpolitisch auf dem Boden der Sozialdemokratie stünden oder ihre Warnungen aus innerpolitischen Erwägungen aussprächen.
    Es gibt kein Entrinnen für uns, auf Grund unserer geographischen Lage, auf Grund der Bedeutung, die unsere Wirtschaft und unsere Rohstoffe haben, und schließlich auf Grund der fremden Basen in beiden Teilen Deutschlands, die wir nicht einfach durch Worte aus unserem Land herausbringen können, aus deren Existenz sich aber für diese Fragen entscheidende Folgerungen ergeben. Es darf nicht so bleiben, daß das „deutsche Wunder" durch die Behandlung dieser Probleme nicht gestört werden soll, daß die Behaglichkeit in einem Teil unseres Volkes nicht durch diese brutale Wirklichkeit gestört werden will.
    Wir Sozialdemokraten haben in den letzten Jahren in diesem Hause mehrfach auf die Gefahren des Atomkrieges hingewiesen und von der Bundesregierung Maßnahmen gefordert, die vor allem dem Schutz der Bevölkerung unseres Landes dienen sollten. Wenn uns heute gesagt wurde, man brauche auf jeden Fall eine Wehrorganisation, wenn der Verteidigungsminister gesagt hat, man werde sie nach den neuesten Erfahrungen aufbauen, so entsteht etwas der Eindruck, daß man nach der Devise handelt: Fangen wir erst mal an, irgend etwas wird dabei schon herauskommen!

    (Hört! Hört! bei der SPD.)

    Sehr überzeugend ist das bei der dritten Lesung des ersten Wehrgesetzes von der Regierung Gesagte nicht. Wir glauben, daß es notwendig sein wird, umzulernen, und daß es schädlich wäre, weiterzuwurschteln, sowohl auf militärischem Gebiet wie auf dem Gebiet des Luftschutzes und anderen damit in engem Zusammenhang stehenden Gebieten.
    Wir haben Bedenken, wenn wir sehen, wie schnell die Generäle bereit sind, zu lernen, und da Sie empfindlich sind gegenüber Kritik an den deutschen, lassen Sie mich aus einer anderen Armee ein Beispiel geben — es kommt dabei nicht auf die Nationalität an, sondern auf den konservativen und traditionellen Geist, der in jeder Truppe, in jedem Generalstab und bei den meisten Generälen vorhanden ist —: Denken Sie an die katastrophale Fehleinschätzung des französischen Generalstabs vor 1939 über die technische und militärische Entwicklung. Wird Ihnen dabei nicht etwas Sorge aufkommen, ob es so etwas nicht auch heute geben und nicht auch in anderen Ländern geschehen könnte? Die EVG — wird uns heute erklärt — sei völlig überholt, die Manövererfahrungen der Alliierten von 1953 seien völlig überholt. Jeden Tag neue Entscheidungen auf diesem Gebiet, die zum Umdenken auffordern, aber vor allem zu der großen Frage: Ist ein Krieg überhaupt noch zu verantworten? Ist der Sinn eines Krieges — das zu verteidigen, was lohnt, verteidigt zu werden — noch vorhanden, wenn mit diesem Kriege Menschen, Städte und Kulturen versinken werden?
    Albert Einstein hat diese Frage einmal kurz beantwortet, als man ihn fragte, wer nach seiner Meinung den dritten Weltkrieg — als Atomkrieg — gewinnen würde. Er sagte, das wisse er nicht, aber er wisse, daß der Krieg danach wieder mit Steinäxten geführt werden würde. Damit wollte er sagen, daß mit dem Atomkrieg das Ende der Zivilisation kommt, das Ende all dessen, was uns, wie wir es nennen mögen, das Leben lebens- und verteidigenswert macht.
    Wir glauben, daß diese Fragen vor dem ganzen Volk in aller Ruhe, in aller Sachlichkeit, aber ohne Verschleierungen erörtert werden müssen. Dabei ist es nicht Sache der Sprecher der Regierung, zu beschwichtigen oder zu vertuschen, sondern aufzuklären. Denken wir an die Rede, die Eisenhower über diese Dinge vor den Vereinten Nationen gehalten hat, oder denken wir daran, wie Winston Churchill vor dem britischen Unterhaus und damit vor dem ganzen englischen Volk die Wahrheit über die Lage dieses Volkes und die Möglichkeiten zu überleben ausbreitete! Warum folgt der Bundeskanzler nicht diesen Beispielen und tritt auch vor das deutsche Volk und sagt, was vor ihm steht und wie die Aufgabe gemeistert werden kann?

    (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: Das tut er doch! Regierungserklärung! Sie haben nicht aufgepaßt!)

    — Der Bundeskanzler antwortet auf Kritik an seinen militär- und außenpolitischen Konzeptionen in der Regel mit Verdächtigungen und Unterstellungen wie in der ersten Lesung in diesem Hause zu dem Gesetz, das heute hier verabschiedet wird.

    (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie, worauf Sie sich beziehen! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)

    — Werden Sie doch nicht so ungeduldig! Sie können doch auch von hier reden!

    (Abg. Spies [Emmenhausen] : Es ist nicht richtig, immer von sich auf andere zu schließen! — Abg. Schröter [Wilmersdorf]: Sie lesen nicht die Protokolle!)

    Es gibt eine Gruppe von Menschen, die um den Ernst der heutigen Lage weiß. Eine Reihe von Gelehrten hat vor einigen Tagen einen Aufruf an die Regierungen und an die Völker erlassen; unter diesen Gelehrten der jüngst verstorbene Albert Einstein, der kurz vor seinem Tode diesen Aufruf mit unterschrieben hat. Er ist jetzt von Bertrand Russell veröffentlicht worden. Gestatten Sie mir, einige Sätze aus dem Aufruf zu verlesen:
    Wir müssen lernen umzudenken. Wir müssen lernen, uns nicht die Frage vorzulegen, welche Schritte getan werden können, um der Gruppe, die wir bevorzugen, den militärischen Sieg zu verleihen, denn solche Schritte gibt es nicht mehr. Die Frage, die wir uns vorlegen müssen, lautet: Welche Schritte können unternommen werden, um eine militärische Auseinandersetzung zu verhindern, deren Ergebnis für alle Seiten katastrophal sein muß? Die Öffentlich-


    (Blachstein)

    keit und selbst viele Männer in verantwortlicher Position haben nicht erkannt, was ein Krieg mit Atombomben bedeuten würde. Die Öffentlichkeit lebt noch in der Vorstellungswelt der Vernichtung von Städten. Bekanntlich sind die neuen Bomben stärker als die alten. Während eine Atombombe Hiroshima vernichten konnte, könnte eine Wasserstoffbombe die größten Städte wie London, New York und Moskau vernichten. Von Fachseite wird erklärt, daß jetzt eine Bombe hergestellt werden kann, die 2500mal stärker ist als die, die Hiroshima zerstörte. Hier liegt also das Problem, das wir Ihnen vorlegen, nackt, furchtbar und unausweichlich. Sollen wir das Ende der Menschheit herbeiführen, oder verzichtet die Menschheit auf einen Krieg? Man sieht diese Alternative nicht gern, weil es so schwierig ist, den Krieg abzuschaffen.
    Obwohl ein Übereinkommen, im Rahmen einer allgemeinen Abrüstung auf die Anwendung von Atomwaffen zu verzichten, noch keine endgültige Lösung darstellte, würde es einem wichtigen Zweck dienen.
    Erstens. Jedes Übereinkommen zwischen Ost und West ist insofern zum Guten, als es dazu beiträgt, die Spannung zu mindern.
    Zweitens. Wenn jede Seite glaubt, daß die andere die Abschaffung von thermonuklearen Waffen ehrlich vorgenommen hat, so nimmt die Furcht vor einem plötzlichen Angriff im Stile Pearl Harbours ab, die gegenwärtig beide Seiten in einem Zustand nervöser Angst hält.
    Wir sollten deshalb ein solches Abkommen begrüßen, wenn auch nur als einen ersten Schritt.
    Und am Ende heißt es in dieser Erklärung:
    Angesichts der Tatsache, daß in jedem künftigen Weltkrieg ohne Zweifel Atomwaffen zur Anwendung kommen und diese Waffen den weiteren Bestand der Menschheit bedrohen, fordern wir die Regierungen der Welt auf, einzusehen und öffentlich zu versprechen, daß ihren Zielen nicht durch einen Weltkrieg gedient werden kann, und wir fordern sie dementsprechend auf, friedliche Wege zur Beilegung aller unter ihnen bestehenden Streitfragen zu finden.
    Sie wissen, meine Damen und Herren, daß Professor Hahn aus Göttingen sich ähnlich geäußert hat, daß aus demselben Geiste gestern in Lindau am Bodensee auf einer Tagung von Naturwissenschaftlern aus verschiedenen Ländern eine Entschließung gefaßt worden ist, die sich in gleicher Weise an die Völker und Regierungen wendet.
    Meine Damen und Herren! Wir wünschen, daß in dieser Lage alles getan wird, was möglich ist, um unser Volk vor den Folgen eines Atomkrieges zu schützen.
    Das ist sicher in erster Linie auch eine politische Frage, zu der ich in diesem Augenblick hier nicht zu sprechen habe, zu der der Vorsitzende meiner Fraktion heute morgen das gesagt hat, was für uns Sozialdemokraten in diesem Augenblick, am Vorabend der Genfer Konferenz, zu sagen notwendig war.
    Wir glauben an die Kraft der Völker, mit den Tatsachen fertigzuwerden, die die Wissenschaft geschaffen hat und denen die militärischen und zivilen Machthaber heute gegenüberstehen. Wir Sozialdemokraten wollen keine Apathie und keine Resignation gegenüber diesen Dingen, sondern wir wollen ganz nüchtern das tun, was getan werden muß, im Vertrauen auf unser Volk, daß es auch mit diesen Dingen fertig wird und daß es entschlossen ist, seinen Beitrag dafür zu leisten, den Krieg von unserem Lande fernzuhalten

    (Zuruf von der CDU/CSU: Na also!)

    und die Atomkräfte dafür einzusetzen, daß sie der
    Wohlfahrt und dem Wohlstand der Völker dienen.
    Darum ist nach unserer Auffassung die Aufgabe dieser Stunde nicht die Aufrüstung der Bundesrepublik, sondern die Abrüstung hier und in der Welt überhaupt,

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der CDU/CSU)

    das Verbot der Atomwaffen im Rahmen einer allgemeinen Abrüstungsvereinbarung, weil wir den Zusammenhang mit den sogenannten konventionellen Waffen durchaus kennen.
    Wir fordern einen wirksamen Schutz für die Zivilbevölkerung und für die Bevölkerung überhaupt, und wir halten 70 Millionen DM dafür für absolut nicht ausreichend. Zuerst die Menschen sichern, dann die Kanonen!

    (Lachen in der Mitte.)

    Wir glauben, daß die Probleme, die der moderne Atomkrieg vor uns aufrichtet, so weitgehende Veränderungen und Entschlüsse notwendig machen, daß wir es gut fänden, wenn eine wissenschaftliche Kommission, eine auch von der Regierung unabhängige Kommission sich mit allen Fragen der modernen Vernichtungstechnik und den Folgen für unser Land beschäftigte und Regierung wie Parlament bei den Maßnahmen beriete, zu denen wir uns sicher in der Zukunft werden entscheiden müssen. Wir werden bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage über die Manöver Carte blanche, die die Regierung im Herbst geben wird, in konkreter Form auf diesen Vorschlag zurückkommen. Wir glauben auch, daß bei späterer Gelegenheit über die Fragen der Strategie und die Möglichkeiten der Verteidigung der Bundesrepublik in diesem Hause ausführlich wird gesprochen werden müssen. Die Chance der Deutschen liegt in der Entspannung, und wir meinen, die Entspannung Europas wird nur möglich sein, wenn die Wiedervereinigung Deutschlands gelingt.
    Wir fürchten, daß, wenn es zu einem dritten Weltkrieg käme, es in unserem Lande und in Europa wenig Hinterbliebene geben würde.

    (Abg. Euler: Das wissen wir doch!)

    Nur die Toten würden Zeugen sein, daß wir unfähig und unvernünftig und nicht imstande waren, den dritten Weltkrieg zu verhindern. Das aber zu tun, ist Sache dieses Parlaments

    (Abg. Stücklen: Was tun Sie denn, Herr Blachstein?)

    und dieser Regierung, und darauf sollten unsere Anstrengungen gerichtet sein.

    (Beifall bei der SPD. — Zurufe in der Mitte und rechts.)