Rede von
Erwin
Feller
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(GB/BHE)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (GB/BHE)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Auftrag und die Absicht, Ihnen hier die Stellungnahme meiner Fraktion zu dem vorliegenden Entwurf eines Freiwilligengesetzes vorzutragen und zu begründen, weshalb wir diesem Gesetz zustimmen werden. Ich habe keineswegs den persönlichen Ehrgeiz, bei allen nunmehr sich häufig bietenden Gelegenheiten hier als Wehr- und Waffenredner in Erscheinung zu treten und über alle denkbaren militärfachlichen und strategischen Probleme Ausführungen zu machen. Das bedeutet jedoch nicht, daß ich die Bedeutung dieser Frage verkenne und es für unangebracht halte, daß wir uns darüber Gedanken machen. Aber einmal geht es hier um
die Annahme eines Gesetzes mit einer zunächst streng begrenzten Geltung und Auswirkung. Es erscheint mir angebracht, dies auch der Öffentlichkeit bewußt zu machen oder es in ihrem Bewußtsein zu erhalten. Denn sonst könnte sich ihrer leicht eine gewisse Unruhe und Unsicherheit darüber bemächtigen, was eigentlich an weitreichenden militärischen Entscheidungen schon im Gange ist. Zum anderen könnte — darauf deuten doch einige Anzeichen in der Öffentlichkeit schon hin —das eigentlich Politische überdeckt oder verdrängt werden, das uns hier zunächst beschäftigt und unsere Entscheidung bedingt. Das besteht doch darin — davon haben wir auszugehen —, daß gegebene oder von uns mitgeschaffene Tatbestände vorliegen, die uns ein bestimmtes Handeln abnötigen. Wir haben auf Grund der weltpolitischen Lage und unserer Stellung darin mehrheitliche Beschlüsse gefaßt, die uns Bindungen und Verpflichtungen auferlegt haben: die Verpflichtung zum Aufbau einer Wehrmacht von 12 Divisionen. Man sagt uns, daß unsere Partner von uns erwarten, daß wir in Einhaltung dieser Verpflichtungen nun mit dem Aufbau dieser Divisionen beginnen und schon jetzt vorbereitende Handlungen dazu unternehmen. Wenn ich sage: „Schon jetzt", dann beziehe ich mich auf eine auch heute wieder von der Opposition vertretene Meinung, daß der Zeitpunkt für den Beginn dieser Handlungen im Hinblick auf die bevorstehenden außenpolitischen Konferenzen zu früh gewählt sei. Ich gebe zu, daß es dafür eine Reihe von Argumenten gibt, über die sich diskutieren läßt. Aber niemand kann heute mit Gewißheit sagen, ob sie sich als berechtigt erweisen werden.
Es ist doch nicht so, daß sich beweiskräftig behaupten ließe, der Osten sei dann nicht mehr bereit, mit uns überhaupt noch über die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands zu sprechen, wenn wir das vorliegende Gesetz angenommen hätten, nachdem die Entschlüsse, welche nun dieses Gesetz zur zwingenden Folge haben, ihn nicht daran , gehindert haben, es dennoch zu versuchen. Welche Konzessionen im Zuge beginnender und weiter zu führender Verhandlungen für eine Freigabe der mittel- und ostdeutschen Gebiete endgültig von uns gefordert werden, wissen wir heute noch nicht. Aber wir können doch wohl annehmen, dazu werde nicht etwa die Forderung gehören, daß die 6000 Freiwilligen, die nunmehr auf Grund dieses Gesetzes eingestellt werden, eines Tages in ihre Zivilberufe zurückkehren. Das wird und kann auch schon deshalb nicht der Fall sein — ich bin mir natürlich bewußt, daß das eine gewisse Vereinfachung bedeutet; aber ich sage es einmal bewußt in dieser vereinfachenden, zugespitzten Form —, weil sich ja jenseits der Zonengrenze eine vielfache Zahl von Deutschen seit Jahren unter Waffen und in militärischer Ausbildung befinden; sie werden am Tage X, nämlich am Tage der Wiedervereinigung, ebensowenig aus der Welt, j a nicht einmal aus Deutschland verschwinden. Über das Problem, was dann mit diesen 6000 werden soll, die nunmehr im Rahmen dieses Gesetzes zunächst, wenn Sie wollen, unter Waffen oder jedenfalls in militärische Funktionen berufen werden, würde es, wenn die bevorstehenden Verhandlungen zu einem in der deutschen Frage überraschend günstigen Ergebnis führen sollten, nicht mehr Schwierigkeiten geben als über die vielfach stärkere Zahl der Volkspolizei in der Zone.
Von hier aus lassen sich also, meine Damen und Herren, wohl keine stichhaltigen Bedenken gegen eine Annahme gerade dieses Freiwilligengesetzes vorbringen, selbst dann nicht, wenn man das nach den letzten Erklärungen der Sowjetunion unmöglicher denn je Erscheinende für möglich halten sollte.
Die Frage, die wir uns hier und heute zu stellen haben, ist vielmehr die, ob das, was wir mit diesem Gesetz schaffen, im Ansatz richtig oder falsch ist. Dazu meinen wir, daß der Entwurf bei allen durch die Eile bedingten Mängeln, die ihm noch anhaften, nunmehr doch eine richtige Grundkonzeption insofern erhalten hat, als er zunächst einmal eine streng begrenzte Zahl von freiwilligen Soldaten mit ganz bestimmten Aufgaben an die Arbeit gehen lassen will, damit die Voraussetzungen geschaffen werden können, auf denen alles Weitere aufgebaut werden kann.
Ich habe bei der ersten Lesung des reichlich unglücklichen Gesetzentwurfes gemeint: Wir sollten versuchen, das Beste aus ihm zu machen. Ich glaube, daß uns das, wenn auch nicht in vollkommener Weise, so doch in vielfacher Hinsicht, gelungen ist, gerade durch die neue Fassung des § 1. Wenn man ihn mit § 2 c in Verbindung setzt, erkennt man, daß erreicht worden ist, was zu erreichen war: die Ingangsetzung einer Vorbereitung, über die sich das Parlament kraft seines Kontrollrechts zu gegebener Zeit wird informieren und sein Urteil bilden müssen, aus dem dann die weiteren Entschlüsse erwachsen werden.
Unter diesem Gesichtspunkt kann die mit der Verkündung des Gesetzes beginnende Anlaufperiode nur als ein Vorteil für die weitere Entwicklung betrachtet werden. Wir werden ausreichend Zeit und hoffentlich auch die notwendige Ruhe haben, die weitere Gesetzgebungsarbeit für den Aufbau der neuen Streitkräfte durchzuführen, und in der Zwischenzeit in vielerlei Hinsicht Erfahrungen sammeln können, die wir doch alle wohl noch dringend benötigen; denn es handelt sich bei dem ganzen Vorgang des Neuaufbaues der deutschen Streitkräfte, wie schon von verschiedener Seite gesagt wurde, um eine einmalige Aufgabe, die weder in unserer noch in der Geschichte anderer Staaten ein Beispiel hat. Deshalb wird uns auch jeder weitere Schritt der Wehrgesetzgebung vor neue Entscheidungen stellen, die von der Verantwortung jedes einzelnen und von den Erfahrungen getragen sein müssen, die ihm in der Zwischenzeit zu machen möglich war. Wir konnten sie nicht alle in der Vergangenheit so umfangreich und in so unmittelbarer Weise sammeln, wie es der Kollege Heye konnte. Was er uns gestern darüber sagte, war eindrucksvoll genug, uns alle darüber klarwerden zu lassen, daß es keineswegs schaden kann, wenn uns die kommenden Monate noch Zeit lassen, unsere endgültigen, wohl abgewogenen Entscheidungen in vollem Verantwortungsbewußtsein zu fällen.
Das gilt zunächst für alle die Fragenkomplexe, die das Gesetz nur vorläufig regelt und die ihre endgültige Regelung im Soldatengesetz, in einer Besoldungsordnung für die Soldaten, im Haushaltsplan und in einem Gesetz über die Organisation der Verteidigung und des Verteidigungsministeriums finden müssen. Wir sind — um das hier einzufügen — der Meinung, daß gerade die besoldungsrechtliche Regelung, über die sich die Regie-
rung selbst noch nicht ganz einig und schlüssig zu sein scheint, besonders schnell mit Rücksicht auf die kommenden Soldaten und wohl abgewogen im Hinblick auf das Gesamtgefüge der Besoldung der öffentlich Bediensteten erfolgen muß.
Das gilt aber auch vor allem für die hier schon oft angesprochenen Fragen, die einer verfassungsrechtlichen Regelung bedürfen. Über ihre Notwendigkeit scheint auf allen Seiten dieses Hauses Übereinstimmung zu bestehen, noch nicht aber über ihre inhaltliche Gestaltung. Auch meine Fraktion hat sich darüber, wie ich schon bei der ersten Lesung betont habe, noch keine endgültige Meinung gebildet. Ich halte es aber für sehr gut möglich, daß sich aus den Besprechungen, die in den letzten Tagen darüber stattgefunden haben, eine Lösung insbesondere der Frage des Oberbefehls ergeben wird, die für alle Parteien des Hauses annehmbar sein wird und der auch meine Fraktion ihre Zustimmung wird geben können. Ich sehe sie etwa auf dem Wege einer Teilung von Befehls- und Kommandogewalt, einer Delegation der ersteren ähnlich der Regelung der Weimarer Verfassung und einer verfassungsrechtlich hervorgehobenen Verantwortlichkeit des Verteidigungsministers.
Der dagegen schon geltend gemachte Einwand, daß damit eine Schwächung der Stellung des Verteidigungsministers verbunden sein müsse, scheint mir nicht stichhaltig zu sein; denn die Stellung und die Aufgaben des Verteidigungsministers lassen keinen Vergleich mit denen anderer Minister zu. Sie erfordern eine Persönlichkeit, die sich nach allen Seiten zu behaupten wissen muß und die dann auch, durch das besondere Vertrauen des Parlaments getragen, schon einen erheblichen Teil dessen in sich verwirklicht, was zwar von allen Seiten als das Postulat der parlamentarischen Kontrolle aufgestellt wird, über dessen Inhalt, Art und Abgrenzung aber noch sehr große Meinungsunterschiede bestehen.
Die Debatten erweisen immer wieder, daß hierbei echte Grenzprobleme entstehen, die wie alle Grenzprobleme nicht in Normen gefaßt, sondern von Fall zu Fall entschieden werden müssen. Ich meine, daß hierin nicht eine Gefahr für Staat oder Wehrmacht zu sehen ist, oder, wenn doch, daß diese Gefahr in Kauf zu nehmen oder gering zu schätzen ist gegenüber der Gefahr, die sich für das Ganze ergeben könnte, wenn eine Fehlentwicklung einträte, wie wir sie aus der Weimarer Zeit kennen. Es ist müßig, über deren Ursachen an dieser Stelle ins einzelne gehende Betrachtungen anzustellen; denn eine solche Gefahr liegt in der Natur der Sache, in der Agglomeration der Machtmittel. Sie ist damit stets latent verbunden, und schon manches, was bei der Beratung dieses Gesetz gesagt wurde, weist uns darauf hin: Vestigia terrent!
Aber es ist auch schon gesagt worden, daß alles eine Vertrauensfrage sei, daß man den neuen Streitkräften und ihrer Leitung ein besonderes Vertrauen entgegenbringen müsse, wenn das schwierige Werk ihres Aufbaus gelingen solle. Wir sind dazu bereit. Nur erlauben Sie mir, dies zu betonen: Wer besonderes Vertrauen braucht, darf sich der Frage danach nie entziehen. Wer sich ihr nicht stellt, kann es schon dadurch leicht verlieren!
Wie man diesem Grundsatz gerecht wird und wie man ihn in Übereinstimmung mit unserer Verfassungswirklichkeit bringt, ist hier nicht der Ort zu untersuchen. Das wird Aufgabe der Verfassungsrechtler sein. Wir, die gewöhnlichen Volksvertreter, wenn ich einmal so sagen darf, haben die Dinge vor allem unter wehrpsychologischen Gesichtspunkten zu sehen.
Damit darf ich nochmals an etwas anknüpfen, was gestern der Herr Kollege H e y e hier meinte, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Er sagte, im Soldaten stecke ebensosehr der Untertan wie in uns Deutschen allen, und erklärte daraus mit die merkwürdige Stellung, welche die Reichswehr im und zum Weimarer Staat eingenommen habe. Diese Erklärung des Herrn Kollegen Heye scheint mir für die Reichswehr durchaus zutreffend zu sein. Aber sie hängt zusammen mit deren soziologischer Zusammensetzung. Denn diese wurde nach Angaben, die Seeckt selbst in seinem Buch über die Reichswehr gemacht hat, bewußt homogen gehalten in dem Sinne, daß der Nachwuchs für Offiziere und Mannschaften vornehmlich in den Bevölkerungskreisen gesucht wurde, von denen man ein Verständnis für militärische Tradition und ihre Pflege erwarten durfte. Es gibt statistische Aufstellungen, die in diesem Falle wohl durchaus zuverlässig und sehr interessant sind und die einwandfrei beweisen, daß die soziologische Zusammensetzung der Rechswehr sich ganz wesentlich von der unterscheidet, die die deutsche Wehrmacht etwa im Jahre 1913 gehabt hat. Aus dieser Zusammensetzung ergab sich der unpolitische Untertanengeist, der weite Teile der Reichswehr in Übereinstimmung allerdings mit gewissen Teilen der Bevölkerung beseelte. Das hätte nun mit der Einführung der Wehrpflicht anders werden können. Aber an Stelle des Geistes freier Staatsbürger trat damals leider die Ideologie des Nationalsozialismus mit der Bindung des einzelnen an Begriffe wie Führer, Volkgemeinschaft, Reich usw.
Inzwischen hat sich doch einiges in unserem Volke geändert. Es hat eine Umerziehung zum demokratischen Denken stattgefunden. Ich meine hier weniger das, was uns die Besatzungsmächte mit mehr oder weniger geeigneten Methoden und mit entsprechend unterschiedlichem Erfolg in dieser Hinsicht beigebracht haben, als das, was uns aus unserem Schicksal an Erkenntnissen zugewachsen ist.
Wir sind uns unseres Staatsbürgertums bewußter geworden. Aber wir haben uns gleichzeitig auch von dem entfernt, was früher als unentbehrliche Voraussetzung für einen guten Soldaten angesehen wurde. Das hat sich teilweise sogar bis zu einer mentalen und bewußten Ablehnung alles Militärischen gesteigert, mit der bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht gerechnet werden muß und mit der es sich auseinanderzusetzen gilt.
Deshalb kann das heutige Gesetz auch kein Anfang sein, sondern nur der Vorbereitung auf die eigentlichen Aufgaben dienen, die mit der Einziehung von Wehrpflichtigen und den dafür zu schaffenden Gesetzen beginnen. Freiwillige sind noch keine Wehrpflichtigen, und eine Gruppe von Berufssoldaten ist noch kein Volksheer. Man kann etwas von Politik und von der Mentalität des Wählers verstehen. Etwas anderes aber ist die Psychologie junger Menschen, die Soldat werden sollen oder müssen. Diese beiden Komplexe sollten auch nicht miteinander vermengt werden. Wir sollten eine ganz saubere Trennung vornehmen.
Was wir heute hier vornehmen, ist die Bewältigung einer gesetzestechnischen Aufgabe, welche die Bewältigung militärtechnischer Aufgaben vorbereitender Art ermöglichen soll. Darum ist es gut, daß alle Vorbehalte eingebaut worden sind, die verhindern, daß ein Vorgriff auf das erfolgt, was noch zu bewältigen sein wird, oder Fakten geschaffen werden, die kommende Entscheidungen präjudizieren. Diese kommenden Entscheidungen müssen wir uns im einzelnen vorbehalten, weil sie unter denselben psychologischen Aspekten zu erfolgen haben, wie sie auch bei der Schaffung des Gesetzes über den Personalgutachterausschuß von entscheidender Bedeutung waren.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf wird meine Fraktion aus den aufgezeichneten Gründen ihre ungeteilte Zustimmung geben.