Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor wenigen Minuten sprach zu uns Herr Bundesminister Strauß. Es sprach nicht der Herr Abgeordnete Strauß. Ich bin daher einigermaßen begierig auf den Gesetzentwurf, den uns die Bundesregierung vorlegen wird für die Organisation des Verteidigungsministeriums
und die Position, die der Herr Bundesminister Strauß dann dort offenbar nach dem Inhalt seines Referates zu bekleiden haben wird; denn nach dem Grundgesetz ist es immerhin der Verteidigungsminister, der die Verantwortung für all die Fragen trägt, die der Herr Bundesminister Strauß behandelt hat. Wir werden also künftig wohl mit zwei Ministern zu rechnen haben, was ja der Stärkung der zivilen Kontrolle nur nützlich sein kann.
Falls etwa nicht an zwei Minister gedacht wird, sondern falls es allgemein im Kabinett üblich wird, daß jeder Minister zu allen Fragen spricht, sehe ich schon mit Interesse den demnächstigen Ausführungen des Herrn Bundesministers für Familienfragen auf dem Gebiet der Außenpolitik entgegen.
Doch nun, meine Damen und Herren, zu dem Inhalt der Ausführungen des Herrn Ministers nur einige — ich weiß, daß wir alle allmählich das Ende dieser Sitzung herbeisehnen — kritische Anmerkungen.
Zunächst hat sich der Herr Minister darüber beklagt, daß — im wesentlichen wohl von der Opposition — bei der heutigen Debatte und überhaupt bei den Beratungen über das Freiwilligengesetz die innenpolitischen Gesichtspunkte zu sehr in den Vordergrund gebracht worden seien. Ja, aber, meine Damen und Herren, wenn man mit ,dem Aufbau einer bewaffneten Macht beginnt, dann ist das nun einmal ein innenpolitisches Problem allerersten Ranges, und wir haben uns bis zur Stunde nicht davon überzeugen lassen, daß man die gesunde Entwicklung der Demokratie in unserem Lande einfach dem außenpolitischen Fahrplan aufzuopfern gezwungen sein sollte.
Das ist der Grund gewesen, der uns veranlaßt hat, mit Ihnen zusammen eine ganze Reihe von Fragen doch gerade um das Freiwilligengesetz herum unter innenpolitischen Gesichtspunkten zu behandeln.
Zum zweiten: Soeben hat der Herr Bundesinnenminister an uns appelliert, auf dem Gebiete des Schutzes der Zivilbevölkerung keinen parteipolitischen Hader zu beginnen, sondern dort mitzuarbeiten, damit man möglichst das Beste und Notwendige tue. Meine Damen und Herren, das hat zur Voraussetzung, zur einfachen Voraussetzung, daß der Herr Innenminister uns allen dabei hilft, daß diese Fragen auch den gebührenden Rang sowohl in der Zeitfolge als auch in der Ausstattung mit finanziellen Mitteln gewinnen.
Wer nun einmal, aus welchen Gründen auch immer, sich im Augenblick, wie Sie, zu der Entscheidung durchringt, daß mit der Bewaffnung der Bundesrepublik Ernst gemacht werden soll, der geht doch immerhin von der Möglichkeit aus — die tatsächlich vorhanden ist —, daß leider noch nicht alle Gefahren in der Richtung eines militärischen Konflikts aus der Welt geschafft sind. Wenn man also diese Möglichkeit überhaupt ins Auge faßt, dann muß man bei der exponierten Lage, in der sich dieses unser Land hier befindet, bei der Rangordnung der Probleme davon ausgehen, daß jeder Konflikt das Leben unseres Volkes auf das äußerste gefährdet und daß wir dann, wenn wir schon an den Aufbau von bewaffneten Streitkräften herangehen, mindestens den gleichen Eifer und den gleichen finanziellen Aufwand für das nackte Überleben der Bevölkerung zur Verfügung stellen.
Das ist zu diesem Problem unser Begehren, das Sie seit langem kennen und das bisher leider nicht die erforderliche Resonanz auf den Bänken der Bundesregierung gefunden hat.
Damit bin ich bei dem militärpolitischen Kapitel der Ausführungen des Herrn Ministers Strauß. Es ist auch bei ihm sichtbar geworden, daß er, wenn er auch eine Begründung dafür gegeben hat, immerhin den nackten Tatbestand zugibt, daß die 12 Divisionen, die die Bundesrepublik im Rahmen der Pariser Verträge aufstellen soll, im wesentlichen eine Ablösung zum Ausgleich der Verminderung des amerikanischen Heeres bedeuten. Wieweit dadurch tatsächlich eine Verbesserung der effektiven, der militärischen Sicherheit einzutreten vermag, bleibt doch unter allen Umständen zwei-
felhaft. Aber ganz zweifelhaft bleibt es auch, wieweit nun durch das Hinzufügen dieser 12 bundesrepublikanischen Divisionen die Abschreckungskraft der Atlantikorganisation bis zur letzten Vollkommenheit gesteigert wird. Meine Damen und Herren, halten wir uns doch einmal an das Wort des amerikanischen Präsidenten Eisenhower: Der Westblock und der Ostblock sind zwei Skorpione, die sich in einer Flasche befinden und, wenn sie sich gegenseitig etwas tun wollen, nur gemeinsam miteinander Selbstmord begehen können.
Das ist die tatsächliche Lage — es ist auch der wirkliche Hintergrund —, die zu einer gewissen Auflockerung in den Beziehungen dieser beiden Blöcke zueinander geführt hat und sie an den Verhandlungstisch treibt. Keiner von beiden hätte eine Aussicht, einen solchen Konflikt siegreich zu überstehen, ja ich möchte sogar sagen: keiner von ihnen hätte eine Aussicht, einen solchen Konflikt auch nur zu überleben, keiner von beiden, und wir schon ganz und gar nicht, die wir von beiden Seiten her der gnadenlosen Vernichtung ausgesetzt wären.
In dem Zusammenhang hat es mich sehr betrübt, daß Herr Minister Strauß all' seine Befürwortung der Mitwirkung der Bundesrepublik im Rahmen des Atlantikpakts so dargestellt hat, als gäbe es den anderen Teil Deutschlands gar nicht.
Er sprach unentwegt davon, daß die strategische Situation es eben erfordere, daß die Atlantikpaktorganisation so bleibe, wie sie sei, und daß die Deutschen darin ihren Beitrag leisteten. Aber dieser Teil Deutschlands ist eben leider nicht ganz Deutschland. Das ist die wirkliche Problematik dieser Stunde und gar nichts anderes! Die wirkliche Bewährungsprobe hat auch die Außenpolitik des Herrn Bundeskanzlers erst noch zu bestehen;
denn sonst stehen wir vor der bitteren Konsequenz — die man ziehen muß, wenn man sich die Ausführungen des Herrn Bundesministers ganz nüchtern überlegt —, daß aus strategischen Erwägungen die Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr möglich ist.
Das ist die Konsequenz, die man zu ziehen gezwungen ist, wenn man die deutsche Mitgliedschaft im Atlantikpakt so verabsolutiert, wie das hier geschehen ist. Die wirkliche Bewährungsprobe der deutschen Politik kommt auf uns zu, wenn die Frage gestellt wird, die unvermeidbar seit langem auf der Tagesordnung ist und um deren Beantwortung keiner von uns herumkommen wird, wenn die Deutschen zu wählen haben entweder die Wiedervereinigung oder die Zugehörigkeit des vereinten Deutschlands zum Atlantikpakt. Da sollten wir uns bemühen, beizeiten dieser Frage — so nackt, wie sie auf uns zukommt — ins Auge zu sehen, damit wir die Möglichkeit finden, sie im Sinne der Wiedervereinigung zu beantworten und trotzdem Sicherheit, jawohl: Sicherheit für uns und unsere Nachbarn zu schaffen;
sonst befänden wir uns in einer Situation, aus der es für unser Volk keinen Ausweg gibt.
Der Minister sprach von dem Raum zwischen der Werra und dem Atlantik, den man brauche, wenn man überhaupt im gegenwärtigen Moment an eine Verteidigung Westeuropas denken wolle. Das ist sicher richtig.