Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie herzlich zur Fortsetzung der Haushalts-
debatte.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für
Drucksache 18/700
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017
Drucksache 17/14301
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Für die heutige Aussprache haben wir gestern insge-
samt eine Debattenzeit von achteinhalb Stunden be-
schlossen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundes-
kanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04.
Ich darf hiermit das Wort der Kollegin Kipping für die
Fraktion Die Linke erteilen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wann im-mer es um den Haushalt ging, hat diese Regierung stolzunterstrichen, dass sie ab 2015 einen ausgeglichenenHaushalt, also unter dem Strich eine schwarze Null, an-strebt. Aber schauen wir uns die Faktenlage doch einmalgenau an: Allein der Finanzmarktstabilisierungsfondshat ein Defizit von 25 Milliarden Euro eingefahren; er istnicht in den Haushalt eingebucht. Verschiedene Maß-nahmen werden über die Sozialversicherung finanziert;ich finde, das ist ein Buchungstrick. Infolgedessenschmelzen die Sicherheitspolster der Sozialkassen. Hal-ten wir also fest: Schwarz-Rot bezahlt Wahlgeschenkeaus den Krisenpolstern der Sozialkassen. Durch diesenBuchungstrick watet Deutschland knietief im Dispo. Ichfinde, es ist nicht hinnehmbar, dass am Ende die Rentne-rinnen und Rentner und die Verbraucherinnen und Ver-braucher die Rechnung für diesen Buchungstrick zahlenmüssen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, wie sich dieprozentuale Beteiligung der Unternehmen am Sozial-budget über die Jahre verändert hat. Noch Anfang der90er-Jahre hat die sogenannte Arbeitgeberseite immer-hin ein Drittel des Sozialbudgets weggetragen; inzwi-schen ist es nur noch ein Viertel. Wenn also die Unter-nehmen und Konzerne weniger bezahlen, dann heißt dasim Klartext: Die privaten Haushalte und die öffentlichenKassen müssen mehr wegtragen. Vor diesem Hinter-grund wäre es eine sinnvolle Reaktion gewesen, dieKonzerne stärker per Steuer heranzuziehen. Aber Sie ha-ben gleich zu Beginn der Wahlperiode festgelegt: Wirwollen keine höhere Körperschaftsteuer, wir wollenkeine Millionärsteuer, wir wollen keinen höheren Spit-zensteuersatz.Das heißt im Klartext: Auf der anderen Seite fehltGeld, und zwar vom Bund bis zur Kommune. Dem Bundfehlt Geld, um zum Beispiel die Mitte, die am Steuerauf-kommen bisher überproportional beteiligt ist, zu entlas-ten. In der Kommune fehlt Geld für Kitas und für barrie-refreien Bus- und Bahnverkehr. Ganz offensichtlich fehltauch Geld, um den Hebammen zu helfen. Wir haben hierschon mehrmals darüber gesprochen: Die explodieren-den Haftpflichtprämien treiben viele Hebammen in denRuin. Es gäbe eine Lösung, und zwar einen öffentlichenHaftungsfonds. Wir haben dafür geworben, aber Ihr Ge-sundheitsminister hat dieses Vorhaben abgelehnt.Die Hebammen lassen Sie also im Regen stehen. Alses allerdings darum ging, einen Rüstungsexport nach
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Saudi-Arabien mit einer Hermesbürgschaft in Milliar-denhöhe abzusichern, waren Sie sofort dabei.
Allein diese Gegenüberstellung ist entlarvend für denGeist der schwarz-roten Regierung. Diejenigen, die beider Ankunft im Leben helfen – das sind Hebammen –,lassen Sie im Regen stehen. Denjenigen, die Geschäftemit dem Tod machen – bei Rüstungsexporten geht es umnichts anderes als um Geschäfte mit dem Tod –,
greifen Sie sofort unter die Arme. Das ist entlarvend,und das ist beschämend! Sie stehen hier einfach auf derfalschen Seite!
Nicht nur in dieser Frage ist bezeichnend, auf welcherSeite Sie stehen. Wenn zum Beispiel die Frage im Raumsteht: „Bitten wir Millionäre stärker zur Kasse, um dieMitte zu entlasten?“, stehen Sie auf der Seite der Millio-näre, während wir ganz klar sagen: Unser Platz ist an derSeite der Mitte
und auf der Seite derjenigen, die keine Lobby haben.
Wenn zum Beispiel die Frage im Raum steht: „Ziehenwir die sogenannte Arbeitgeberseite stärker heran, umPrivathaushalte zu entlasten?“, ist Ihr Platz ganz eindeu-tig aufseiten der Konzerne, unserer jedoch bei den priva-ten Haushalten, und da sind wir richtig.
Wenn es zum Schwur kommt, steht diese Regierungbeständig aufseiten der großen Vermögen, der großenProfite, aufseiten der Besitzenden.
Wir hingegen stehen auf der Seite der Mitte.Die schwarze Null, die Sie für 2015 anstreben, wirfteinen langen Schatten und hat einen verdammt hohenPreis. Zu diesem Preis gehört nicht nur, dass Sie die So-zialversicherung ausplündern; zu diesem Preis gehörtauch, dass wichtige Zukunftsinvestitionen ausbleiben.Sie sind so auf diese schwarze Null fixiert, dass Sie diegroßen gesellschaftlichen Aufgaben komplett ignorie-ren.Zu diesen großen gesellschaftlichen Aufgaben gehörterstens ein sozial-ökologischer Umbau im Sinne der Kli-magerechtigkeit, zweitens der Kampf gegen Armut, drit-tens etwas zu tun gegen die um sich greifende Angst, diedisziplinierend wirkt, und der Einsatz für ein sozialesEuropa. Gehen wir die Aufgaben einmal im Einzelnendurch:Der sozial-ökologische Umbau wird – ein bisschenstrahlen Sie das heute immer noch aus – eher als einRandthema, als ein Thema für Ökos behandelt. Aber derWeltklimabericht hat uns die Brisanz deutlich vor Augengeführt. Weltweit sind Millionen Menschen von Dürreoder Überschwemmung bedroht, und ursächlich dafür istdie von der Menschheit verursachte Klimaerwärmung.Der Klimabericht macht eines deutlich: Ein Weiter-so istexistenzielle Brandstiftung. Diesen Bericht ernst neh-men, heißt ganz klar: Wir müssen den sozial-ökologi-schen Umbau voranbringen.Aber was passiert unter Schwarz-Rot? UnterSchwarz-Rot verkommt selbst das Erneuerbare-Ener-gien-Gesetz zu einer reinen Industriesubventionierung.Das ist nicht nur unsere Einschätzung; das ist auch dieEinschätzung des BUND. Um die Profite der Großindus-trie zu schützen, bremsen Sie den Ausbau der erneuerba-ren Energien aus, und Sie lassen ihn am Ende auch nochvon den privaten Verbraucherinnen und Verbrauchernbezahlen. Das ist unsozial und unökologisch zugleich.Das ist ein Kunststück, das man erst einmal hinkriegenmuss.
Wir meinen, es braucht stattdessen eine stärkere För-derung der erneuerbaren Energien. Die erneuerbarenEnergien müssen dezentral organisiert sein. Ich finde,dieses Vermächtnis von Hermann Scheer dürfen Sienicht einfach übergehen. Vor allen Dingen muss dasGanze sozial finanziert werden; denn es darf nicht sein,dass die Ärmeren im Winter auf Wärme verzichten müs-sen.
Zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungengehört auch der Kampf gegen Armut. Sicherlich, mit Ih-rem Rentenpaket haben Sie einige Trippelschritte in dierichtige Richtung gemacht.
– Wenn Sie jetzt so stolz darauf sind: Viele Jahre langsind Sie in die falsche Richtung gelaufen.
Das zentrale zugrunde liegende Problem in der Rentegehen Sie nicht an, nämlich dass die Rente immer weni-ger sicher vor Altersarmut schützt. Das Rentenniveauvon einst 53 Prozent sinkt auf 43,7 Prozent im Jahr2030. Das klingt jetzt erst einmal technisch. Die Folgedavon ist aber, dass auch Menschen mit einem mittleren,durchschnittlichen Einkommen in Zukunft nicht mehrvor Altersarmut geschützt sind, und Sie – Sie alle; wirLinken sind da die Ausnahme –
haben diese Entwicklung mitgetragen. Ich finde, Siesollten das Problem ernst nehmen und endlich dafür sor-gen, dass das Rentenniveau nicht weiter sinkt und dasseine solidarische Mindestrente vor Altersarmut schützt.
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Wenn es um die Armut der Erwerbslosen geht, dannversuchen Sie noch nicht einmal, den Anschein zu erwe-cken, dass Ihnen dieser Punkt wichtig ist. Kurzum: BeimKampf gegen Armut betreiben Sie eines – Arbeitsver-weigerung.Menschen, die auf Hartz-IV-Leistungen angewiesensind, müssen ihre Arbeitsbereitschaft beweisen und ih-ren Mitwirkungspflichten nachkommen. Wenn sie diesnicht tun, drohen Sanktionen: erst um 30 Prozent, dannum 60 Prozent, dann komplett. Die Linke lehnt diese Re-gelung ab. Aber ich finde, man sollte Sie durchaus anden Regelungen messen, die Sie für andere getroffen ha-ben. Beim Kampf gegen Armut verletzt diese Regierungihre Mitwirkungspflichten, betreibt diese Regierung Ar-beitsverweigerung. Ich finde, dies ist ein klassischer Fallfür eine Sanktion: erst von 30 Prozent, dann von 60 Pro-zent und danach vielleicht eine Vollsanktionierung.
Zur dritten großen gesellschaftlichen Herausforde-rung. Wir haben in diesem Land eine Zunahme von dis-ziplinierender Angst; sie hat ganz unterschiedliche Fa-cetten. Da ist zum einen die junge Wissenschaftlerin, dieimmer nur Arbeitsverträge von einem bis zwei Jahre be-kommt und die mit ihrem Partner seit Jahren eine Pen-delbeziehung führt, weil beide niemals in der gleichenStadt zumindest einen kurzfristigen Arbeitsvertrag ha-ben. Wir wissen, das ist kein Einzelfall. Die Zahl dersachgrundlosen Befristungen ist explodiert. Inzwischenhaben wir 1,3 Millionen sachgrundlose Befristungen.Sie könnten hier etwas tun. Sie könnten einfach die sach-grundlose Befristung abschaffen. Wir als Linke habenIhnen diesen Vorschlag vorgelegt. Sie müssten nur dafürstimmen. Dann wäre schon viel geholfen.
Da ist zum anderen die Sorge eines Beschäftigten inder Kernbelegschaft, der sich bisher sicher gefühlt hat.Aber tagtäglich bekommt er jetzt durch die Leiharbeiter,die immer nur für einige Monate eingesetzt werden, vorAugen geführt, dass man die gleiche Arbeit in der glei-chen Zeit für die Hälfte des Geldes machen kann. Daswirkt natürlich disziplinierend und ruft die Angst hervor,ersetzbar zu sein. Hier könnten Sie etwas tun. Sie könn-ten französische Verhältnisse schaffen. Das heißt: vomersten Tag an gleicher Lohn für gleiche Arbeit plus eine10-prozentige Flexibilitätszulage.
Zur zunehmenden Angstkultur gehört natürlich auchdie Angst der Erwerbslosen vor Sanktionen, die wie einDamoklesschwert über ihnen schwebt. Sie macht dieLeute gefügig und führt dazu, dass sie in Anstellungsge-sprächen schlechte Löhne akzeptieren. Die Abschaffungder Hartz-IV-Sanktionen könnte sehr viel bewirken, unddeswegen ist dies für mich eine Herzensangelegenheit.
Auch der zunehmende Druck, ständig am Limit arbei-ten zu müssen, und die Angst, von überbordenden Über-stunden erdrückt zu werden und nicht mithalten zu kön-nen, macht viele Menschen krank. Wenn es uns gelänge,kürzere Arbeitszeiten für alle als Standard zu etablieren,wäre dies ein enormer Fortschritt. Dafür setzen wir unsein.
Zu den großen gesellschaftlichen Aufgaben gehörtauch der Einsatz für ein soziales Europa. Dabei geht esauch darum, die Spaltung Europas zu verhindern. Fürden Europakurs dieser Regierung war der Besuch vonAußenminister Steinmeier in Griechenland zu Beginndieses Jahres bezeichnend. Im Wahlprogramm der SPDwar noch zu lesen, Merkels Europapolitik sei – ich zi-tiere – „kaltherzig“. Sie sprachen in Ihrem Wahlpro-gramm von sozialen Verwerfungen. Doch wie agierteHerr Steinmeier, als er dann Außenminister war? Kriti-sierte er womöglich den Kurs der Troika und wies aufdie sozialen Verwerfungen hin? Nein, er lobte in Athen– ich zitiere – „den ersten Teil des Weges, den Griechen-land gegangen ist“. Er sagte, er sei überzeugt, die Regie-rung verfüge über die Entschlossenheit, den Weg fortzu-setzen.Ich weiß sehr wohl, dass man Sie nicht für alle Ent-wicklungen in Griechenland direkt persönlich in Haf-tung nehmen kann. Aber wenn Sie in Griechenland denWeg loben, dann müssen Sie auch wissen, dass zu demvon Ihnen so gelobten Kürzungskurs gehört, dass dasgriechische Gesundheitssystem wirklich an den Randdes Kollapses getrieben worden ist. LebensnotwendigeHerz-OPs können dort nicht mehr durchgeführt werden,weil Gefäßstützen fehlen. Krebspatienten müssen auf le-bensnotwendige Medikamente verzichten. Ärzte ohneGrenzen ist zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Drittelder griechischen Bevölkerung kaum noch Zugang zurmedizinischen Versorgung hat.Deutschland hat den Spardruck innerhalb von Europastark gemacht. Dieser Spardruck führt zu einem Kür-zungsdruck. Er führt dazu, dass in Griechenland nichteinfach an Luxus gespart wird, sondern dass lebensnot-wendige Maßnahmen unterlassen werden. Deswegensage ich: Das Kürzungsdiktat hat inzwischen ein Aus-maß angenommen, dass man bei lebensbedrohlichenKrankheiten von einer unterlassenen Hilfeleistung spre-chen muss. Deswegen steht für uns fest: Wahre Euro-päerinnen und Europäer verzichten auf das Kürzungs-diktat. Wahre Europäerinnen und Europäer setzenstattdessen auf ein Europa der sozialen Rechte.
Ja, wir setzen auf ein Europa, das an der so schlichtenund doch bemerkenswerten Vision von Theodor Adornoanknüpft:Zart wäre einzig das Gröbste: daß niemand mehrhungern soll.Das heutige Europa ist davon weit entfernt. Dazuträgt auch Ihre Kürzungspolitik bei.
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Frau Merkel, so mancher meint, das zentrale ProblemIhrer Regierung wäre, dass Sie sich streiten.
So mancher meint, Sie wären selbst für einen gutenPaartherapeuten ein verdammt schwieriger Fall. Ichmeine, das große Problem der schwarz-roten Regierungliegt in der Ignoranz gegenüber den großen gesellschaft-lichen Aufgaben. Sie ignorieren die sozialen Verwerfun-gen in diesem Land. Sie ignorieren den wachsendenReichtum in den Händen einiger weniger. Beim Kampfgegen Armut betreiben Sie Arbeitsverweigerung, undbei der Energiewende stehen Sie Seit’ an Seit’ mitSigmar Gabriel auf der Bremse. Ihre Europapolitik spal-tet Europa. Das ist der falsche Kurs.
Ich jedoch meine, diese Gesellschaft braucht wahrlichkein weiteres Artenschutzprogramm für die großen Pro-fite. Diese Gesellschaft braucht vielmehr vollen Einsatzfür einen sozial-ökologischen Umbau im Sinne der Kli-magerechtigkeit. Diese Gesellschaft braucht wahrlichkein weiteres Förderungsprogramm für Millionäre.Diese Gesellschaft braucht vielmehr vollen Einsatz fürUmverteilung, gegen Armut, für ein Europa der sozialenRechte. Wir, die Linke, streiten für eine Gesellschaft, diefrei ist von der Bürde der disziplinierenden Angst, diefrei ist von Armut. Ja, dafür stehen wir.
Das Wort erhält nun die Bundeskanzlerin Frau
Dr. Angela Merkel.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, Ihr Versuch,über die Tatsachen zu sprechen, ist, glaube ich, kräftigdanebengegangen.
Was sind die Tatsachen? Mit dem Regierungsentwurfzum Bundeshaushalt 2014 und der mittelfristigen Fi-nanzplanung liegt der erste Haushalt ohne neue Schul-den seit 1969 in greifbarer Nähe. Das heißt konkret:2014 werden wir einen strukturell ausgeglichenen Haus-halt haben. 2015 haben wir die Möglichkeit, keine neuenSchulden zu machen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nicht ein-fach Zahlen, sondern das ist nicht mehr und nicht weni-ger als die Einlösung eines Versprechens an kommendeGenerationen, einmal ohne zukünftige Schulden auszu-kommen, einmal mit dem auszukommen, was in dieSteuerkassen hineinkommt, einmal nicht auf Kosten derZukunft zu leben. Es ist das bewusste Bekenntnis derGroßen Koalition, sich um die Sorgen, Ansprüche undMöglichkeiten zukünftiger Generationen zu kümmern.Das ist unsere Pflicht – das sage ich ausdrücklich –, undwir tun es, und das zum ersten Mal seit Jahrzehnten.
Zuallererst ist dies der Erfolg und das Verdienst imÜbrigen all derjenigen, die den Wohlstand erarbeiten,der vielen Menschen, die sich für dieses Land einbringenmit ihrem unternehmerischen Sachverstand und mit ihrerRolle als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Denengilt in dieser Stunde unser aller Dank, meine Damen undHerren.
Das ist zum Zweiten auch das Verdienst vieler Bun-desregierungen, auch dieser. Ich möchte die Gelegenheitwahrnehmen, dem Bundesfinanzminister für seine ru-hige, besonnene und nachdrückliche Art, diesen Kursimmer wieder einzufordern, zu danken, genauso wie un-seren Haushaltspolitikern, die darauf in den vielen Sit-zungen der Begehrlichkeiten achten. Danke schön, dasswir auf diesem Kurs gut vorangekommen sind!
Richtig ist doch, dass die Voraussetzungen in denletzten Jahren alles andere als rosig waren. Ich will viel-leicht noch mal daran erinnern: Kurz bevor wir die ersteGroße Koalition 2009 beendeten, war es auch so, dassein ausgeglichener Haushalt in Reichweite lag.
Es ist also keine neue Idee. Wir sind dann allerdings ineine Situation gekommen – ich habe da gestern schonzugehört –, die wir vielleicht nicht vergessen sollten,nämlich in eine internationale Finanz- und Wirtschafts-krise, die in Deutschland einen Einbruch des Brutto-inlandsprodukts von 5 Prozent mit sich gebracht hat. Eswar richtig, diese Finanzkrise national so zu beantwor-ten, dass wir reagiert haben, dass wir Konjunkturpro-gramme aufgelegt haben, dass wir Arbeitsplätze gesi-chert haben. Deshalb hat es länger gedauert, aber wirhaben diesen Kurs konsequent fortgesetzt, meine Damenund Herren.
In der Zeit zwischen 2008 und der Bewältigung dieserinternationalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben wireines gelernt: Wir können nicht alleine Politik machen,sondern unser Handeln hängt aufs Engste mit allem, wasauf der Welt passiert, zusammen. Das ist Globalisierung.Keiner kann mehr heute alleine, für sich regieren, son-dern jeder muss auch die Belange der anderen im Blickhaben. Deshalb kümmern wir uns um internationale Fi-nanzmarktregulierung, gar nicht nur, weil wir das zuHause so brauchten – das könnten wir ja national regeln –,sondern weil es unabänderlich ist, weil jeder Fehler, derinternational passiert, zum Schluss auch uns und dieMenschen in Deutschland trifft. Insofern leben wir heutein einer vernetzten Welt, auf die wir reagieren müssen.Wir haben auch noch andere Unsicherheiten. Das isteinmal die europäische Schuldenkrise, die nach wie vor
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noch nicht überwunden ist. Es ist eine fragile Situationweltweit – wenn wir auch auf manche Entwicklungen inden Schwellenländern schauen. Und es kommen neueUnsicherheiten dazu – das haben wir in den letzten Wo-chen gelernt –, wie uns das Beispiel der Ukraine zeigt.Die illegale, völkerrechtswidrige Annexion der Krim hatuns etwas vor Augen geführt, was wir eigentlich verges-sen glaubten, nämlich dass wir über Freiheit, über inter-nationales Recht, über Frieden und Einhaltung von Völ-kerrecht noch sprechen müssen. Deshalb, meine Damenund Herren, müssen wir alle Anstrengungen darauf rich-ten – das wird die Tätigkeit dieser Großen Koalition inden nächsten Monaten sein –, für ein starkes Deutsch-land, für ein starkes Europa und für starke Partnerschaf-ten in der Welt zu arbeiten. Wir wissen, wir können dieseZiele nur gemeinsam erreichen. Das gilt für Deutsch-land, das gilt für Europa, und das gilt auch für die globa-lisierte Welt.Wie sieht es nun aus, wenn wir auf Deutschlandschauen? Die Wirtschaftsprognosen sind einigermaßenpositiv: 1,8 Prozent Wachstum in diesem Jahr; das istmehr als der Durchschnitt im Euro-Raum. Der privateKonsum ist der Treiber unserer binnenwirtschaftlichenEntwicklung. Der Export springt an, aber die Binnen-konjunktur trägt mehr zum Wachstum bei, als das in ver-gangenen Jahren der Fall war. Wir können heute sagen,dass wir bislang zu den Gewinnern der Globalisierunggehören, weil wir eine wettbewerbsfähige Industrie ha-ben und weil wir einen sehr starken Mittelstand haben.Aber es ist auch wichtig, immer wieder darauf hinzu-weisen: Das alles ist eine Momentaufnahme. Wenn mansich die Dynamik der Welt anschaut, dann weiß man:Die Wettbewerbsfähigkeit muss erhalten werden. Vor al-len Dingen kann sie erhalten werden, indem wir unsereInnovationsfähigkeit erhalten. Deshalb ist es wichtig,dass wir nicht nur heute wettbewerbsfähig sind, sonderndass wir international auch zu den Besten bei der Inno-vationskraft gehören und dass wir an vielen Stellen, ge-rade wegen unserer mittelständischen Unternehmen,Weltmarktführer sind.Die Bundesregierung legt auf diesen Punkt besonde-ren Wert, mit unserer Hightech-Strategie, mit unserer In-novationsstrategie, wo wir den Bogen von der Grundla-genforschung bis zur Anwendung im Mittelstandspannen. Es darf und muss für Deutschland gelten:Keine gute Idee darf auf der Strecke bleiben; alles mussgenutzt werden. Kreativität ist der Treiber unseres Wohl-stands, meine Damen und Herren.
Wenn wir den Haushalt für dieses Jahr beraten, müs-sen wir uns auch fragen: Wo steht Deutschland in 5, in10 oder in 20 Jahren? Wie können wir erreichen, dasswir auch in Zukunft erfolgreich sind? Solide Finanzen,wie mit dem Haushaltsplan für dieses und nächstes Jahrsowie mit der mittelfristigen Finanzplanung vorgelegt,bedeuten nicht nur, dass man keine Schulden macht,sondern sie bedeuten genauso, dass man mit Weitblickund Klugheit in die Zukunft unseres Landes investiert.Ich möchte in diesem Zusammenhang vier Bereichenennen, in denen wir investieren:Erstens. Wir investieren in unser wichtigstes Kapital,und das sind die Menschen. Das sind Investitionen inBildung und Forschung. Wir unterstützen dabei die Län-der und die Kommunen, indem wir ihnen bei der Finan-zierung von Kitas, von Schulen und Hochschulen helfen.Damit auch wirklich genügend Geld für diese Aufgabenvorhanden ist, werden wir in dieser Legislaturperiodeinsgesamt 6 Milliarden Euro mehr für die Unterstützunggenau dieser Bereiche zur Verfügung stellen.Damit wir unser 3-Prozent-Ziel, also 3 Prozent desBruttoinlandsprodukts für den Bereich Forschung undInnovation, auch in den nächsten Jahren halten können– wir haben es jetzt fast erreicht –, müssen wir 3 Milliar-den Euro mehr in Forschung und Entwicklung hineinge-ben. Das tun wir. Damit werden wir zu den Ländern ge-hören, die in Bezug auf Forschung in Europa führendsind. Weltweit gibt es Länder, die mehr investieren – ichhabe es hier oft gesagt: Südkorea, zum Beispiel –, abermit 3 Prozent sind wir recht gut dabei.
Zweitens. Wir investieren in die Zukunft der Ver-kehrsinfrastruktur. Wir werden hierfür 5 Milliarden Euroeinsetzen. Wir werden die Nutzerfinanzierung weiterent-wickeln.
– Ich weiß, dass das sicherlich mehr sein könnte, aber,meinen Damen und Herren, es sind immerhin 5 Milliar-den Euro mehr als in der vergangenen Legislaturperiode.Das ist ein unabdinglicher, wichtiger Schritt in die rich-tige Richtung.
Drittens. Wir investieren in die Zukunft unserer Ener-gieversorgung. Es geht darum, dauerhaft sichere, bezahl-bare und umweltverträgliche Energie zur Verfügung zustellen. Wir haben uns in der Großen Koalition entschie-den, angesichts der Tatsache, dass der Anteil der erneu-erbaren Energien an der Stromversorgung derzeit25 Prozent beträgt, einen neuen Pfad, einen berechenba-ren Pfad für den Ausbau der erneuerbaren Energien ein-zuschlagen.Wenn Sie sich die Situation im internationalen Ver-gleich anschauen, dann stellen Sie fest: Es ist relativ ein-zigartig, was wir tun. Wir sagen: Von heute 25 Prozentwerden wir bis 2025 den Anteil der erneuerbaren Ener-gien auf 40 bis 45 Prozent ausbauen. Wir gehen damiteinen Weg, der uns das Erreichen des Ziels für 2050– 80 Prozent der Erzeugung des Stroms aus erneuerba-ren Energien – auf einem ganz berechenbaren Pfad mög-lich macht.
Mit der EEG-Novelle, die wir gestern im Kabinettverabschiedet haben und die in den nächsten Wochenhier im Hause beraten wird, kommt etwas ganz Wichti-
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ges für den Ausbau der erneuerbaren Energien zum ers-ten Mal zum Zuge, nämlich Berechenbarkeit. Es sindklare Korridore vorgegeben, und natürlich kann ichdiese Korridore nur einhalten, indem ich, wenn mehr zu-gebaut wird, die Vergütungen reduziere, sodass ich einenatmenden Deckel habe und die Korridore auch einhaltenkann.Wir haben uns für einen vernünftigen Mix entschie-den. Wir haben Gespräche mit den Ländern geführt. Ichmöchte dafür danken, dass hier Gemeinsamkeit entstan-den ist. Wir werden natürlich die Beratungen hier imHause in aller Offenheit durchführen.Damit können wir nicht versprechen, dass die EEG-Umlage dauerhaft sinkt. Aber wir können versprechen,dass die Kostendynamik der EEG-Umlage gebrochen istund dass wir auf einen vernünftigen Pfad kommen.Meine Damen und Herren, das ist genau das, was dieBürgerinnen und Bürger von uns erwarten; denn sie tra-gen die Energiewende. Ich will dafür ausdrücklich Dan-keschön sagen; denn das macht nicht die Politik, das ma-chen die Bürgerinnen und Bürger. Es war aber auch einWunsch der Bürgerinnen und Bürger, eine neue Energie-politik in Deutschland durchzusetzen. Das haben wir ge-tan. Jetzt werden wir diesen Weg gemeinsam gehen.
Wenn wir über sichere Energieversorgung und überdie Energiewende, die wir durchführen, sprechen, dannmüssen wir auch sehen: Es war nicht beabsichtigt – daskann nicht gewollt gewesen sein –, dass wir durch dieEnergiewende unsere eigenen Stärken schwächen, näm-lich die mittelständische Wirtschaft und die Industrie. InDeutschland beträgt der Anteil der Industrieproduktionam Bruttoinlandsprodukt über 20 Prozent. Damit sindwir führend in Europa. Die Europäische Kommission hatsich das Ziel gesetzt, weil sie sieht, dass wir in einemglobalen Wettbewerb stehen, dass die Industrie wiedereinen Anteil von 20 Prozent am europäischen Brutto-inlandsprodukt hat. Nun kann es doch nicht sein, dasswir durch eine vernünftige Maßnahme, nämlich dadurch,dass wir unsere Energieversorgung zukunftsfähig aus-bauen, Arbeitsplätze vernichten und unsere Wirtschaft inGefahr bringen. Ich bin mir ganz sicher, dass die Bürge-rinnen und Bürger auf gar keinen Fall wollen, dass si-chere, zukunftsfähige Arbeitsplätze durch die Energie-wende verlorengehen. Deshalb haben wir so entschiedenund für Ausnahmen für unsere im Wettbewerb stehendeIndustrie gekämpft.
Ich will dem Bundeswirtschaftsminister ein ausdrück-liches Dankeschön dafür sagen. Wir haben uns einge-setzt für ein Ziel, das im Kontext europäischer Problemedas allervernünftigste und normalste ist. Wir reden Tagund Nacht mit Recht darüber, wie hoch die Arbeitslosig-keit in Europa ist. Wir reden Tag und Nacht über dieFrage, wie wir für junge Leute neue Arbeitsplätzeschaffen können. Da können wir uns doch nicht sehen-den Auges in Europa wegen einer vermeintlichen Rolleim Klimaschutz damit abfinden, dass wir Arbeitsplätzevernichten.
Nein, wir müssen Klimaschutz und Arbeitsplätze zusam-menbringen. Sonst wird die Energiewende keine Akzep-tanz in Deutschland haben.
Natürlich sind das Erneuerbare-Energien-Gesetz unddas, was die Kommission heute im Zusammenhang mitden Leitlinien für Beihilfen beschließen wird, nur ersteSchritte bei der Gestaltung der Energiewende. Auf derGrundlage dieses Ausbaupfads für erneuerbare Energienmüssen wir jetzt die Netzplanung anpassen und dann denNetzausbau beschleunigen. Dafür sind die entsprechen-den Vorkehrungen getroffen worden. Anschließend müs-sen wir uns natürlich mit den Kapazitätsmärkten be-schäftigen, mit der Frage, wie wir eine vernünftigeKombination hinbekommen können, wie wir die be-grenzte Verfügbarkeit der erneuerbaren Energien – mitAusnahme der Biomasse – mit der Sicherstellung derGrundversorgung in Einklang bringen können. Das wer-den die nächsten Schritte sein.Damit niemand denkt, dann sei die Arbeit vorbei,sage ich: Wir werden uns noch in dieser Legislaturpe-riode mit dem nächsten Schritt im Zusammenhang mitdem Erneuerbare-Energien-Gesetz befassen müssen, näm-lich mit der Ausschreibung der jeweiligen Kapazitäten.Darauf wird die Europäische Kommission drängen, unddas ist auch richtig, um die Kosteneffizienz vernünftigdurchzusetzen. Wir werden also in der ganzen Legisla-turperiode mit der Frage „Wie gestalten wir die Energie-wende?“ beschäftigt sein. Ich bin aber sehr optimistisch,dass uns das gut gelingen wird.Viertens. Wir werden natürlich auch in einen Bereichinvestieren, der unser Leben im 21. Jahrhundert in gro-ßem Maße prägt, nämlich in die Digitalisierung. Kaumein Lebensbereich kommt heute ohne digitale Technikenaus, ob es das Auto ist, das Handy, die Flüge, die Bahn-fahrten oder die industrielle Produktion. Wer sich in die-sen Tagen auf der Hannover Messe die Produkte ansieht,die den Weg zur Industrie 4.0 charakterisieren, der weiß,in welch dramatischer Weise sich unsere gesamte Ar-beitswelt verändern wird. Es ist beeindruckend, zu se-hen, dass in Zukunft jede reale Fabrik noch einmal alsdigitale Fabrik existieren wird, wie Produkte entwickeltwerden, wie Maschinen miteinander interagieren. Alldas wird unser Arbeitsleben sehr stark verändern, ge-nauso wie das im privaten Bereich der Fall ist.Deshalb freue ich mich, dass die drei hauptzuständi-gen Minister bereits auf der CeBIT die Digitale Agenda2014 bis 2017 vorgestellt haben. Diese Digitale Agendahat drei Komponenten: Eine Komponente sind gute Be-dingungen, damit Start-ups, damit Unternehmen inDeutschland in die Digitalisierung investieren können.Das Zweite ist der Sicherheitsaspekt, den wir natürlichbrauchen. Die dritte Komponente ist die Versorgung mitBreitband, damit jeder Zugang zu den digitalen Mög-lichkeiten hat.
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Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
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Das Ausmaß der gesellschaftspolitischen Dimensionder Digitalisierung kann nicht überschätzt werden. Un-ser gesamtes Leben wird sich verändern. Natürlich mussdas gelten, was wir immer für die Wirtschaft gesagt ha-ben: Auch die digitale Wirtschaft muss dem Menschendienen und nicht etwa umgekehrt. Das ist das Wesen dersozialen Marktwirtschaft. Deshalb sind Datenschutz undDatensicherheit ganz legitime Notwendigkeiten. Wirwerden noch viel arbeiten müssen, um das wirklichdurchzusetzen.
Die Bundesregierung hat hier erste Schritte unter-nommen; weitere werden folgen müssen. Wir haben eineTaskforce „IT-Sicherheit in der Wirtschaft“ und dasBundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik fürdie Bürgerinnen und Bürger. Aber nationale Gesetzge-bung allein wird hier nicht ausreichen, sondern wir wer-den natürlich international agieren müssen, zuallerersteinmal in Europa. Hier geht es weiter um die Diskussionzur Datenschutzgrundverordnung. Das ist ein außeror-dentlich kompliziertes Unterfangen. Ich will das hiernoch einmal darstellen: Auf der einen Seite wissen wiralle, dass wir ein gleiches Niveau von Datenschutz inEuropa brauchen; denn ansonsten können sich Internet-unternehmen zum Beispiel immer in einem Land in Eu-ropa niederlassen, in dem es eben nicht dieses Daten-schutzniveau gibt. Auf der anderen Seite brauchen wireine Einigung auf einem Niveau, das unserem Daten-schutzniveau in Deutschland entspricht.Das sehen aber nicht alle anderen Länder so wie wir.Das heißt, wir werden in den nächsten Monaten zuneh-mend in eine Situation kommen, in der wir genau ab-wägen müssen, was besser ist: eine Datenschutzgrund-verordnung in Europa oder aber kein einheitlichesDatenschutzniveau und damit immer wieder die Mög-lichkeit des Unterlaufens. Ich glaube, Deutschland muss,auch wenn wir kritisiert werden, dass es etwas längerdauert, mit aller Kraft auf ein vernünftiges Datenschutz-niveau in Europa drängen. Alles andere kann ich mirnicht vorstellen.
Wir brauchen auch Initiativen für einen verlässliche-ren internationalen Datenschutz. Deutschland hat hiergemeinsam mit Brasilien in den Vereinten Nationen Ak-tivitäten unternommen. Das ist ein dickes Brett, das zubohren ist. Ich glaube, wir müssen erst einmal in Europamit gutem Beispiel vorangehen, um international voran-zukommen.Alle Aufgaben, die ich bisher beschrieben habe, sindAufgaben, die für alle Länder dieser Erde gelten. Jeder,der für seine Bevölkerung Wohlstand sicherstellen will,braucht Wachstum und Innovationsfähigkeit und musssich damit weltweit in einem fairen Wettbewerb bewei-sen.Auf Deutschland kommt eine zusätzliche Aufgabe zu:die Bewältigung der demografischen Entwicklung. Mirist das noch einmal bewusst geworden, als ich in derletzten Woche auf dem EU-Afrika-Gipfel war. Afrika istein Kontinent, auf dem die Hälfte der Bevölkerung unter18 Jahre alt ist. Das ist eine völlig andere Bevölkerungs-struktur als unsere in Europa. In Afrika betrachtet manuns als einen wirklich alternden Kontinent und fragt, wiewir ohne so viele junge Leute, wie sie es kennen, zu-rechtkommen. Wir müssen uns natürlich ganz entschie-den auf die Veränderungen vorbereiten. Die sogenanntenBabyboomer – ich meine jetzt den stärksten Nachkriegs-jahrgang – feiern in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag.Sie werden noch 17 Jahre in der Erwerbstätigkeit sein;danach werden wir abnehmende Zahlen haben. Das wirdsich natürlich massiv auf unsere Arbeitswelt auswirken.Das heißt, wir müssen als Erstes überlegen: Wie kön-nen wir vor allen Dingen eine gute Struktur vor Ort hin-bekommen, die die Belastungen aufgrund der demogra-fischen Entwicklung auffangen und darauf reagierenkann? Deshalb haben wir uns ganz bewusst entschieden,die Kommunen weiter zu entlasten. Wolfgang Schäublehat hier gestern ausführlich dazu Stellung genommen.Die Kommunen sind inzwischen vollständig von denKosten der Grundsicherung entlastet. Das sind in diesemJahr 5,5 Milliarden Euro für die Grundsicherung. DieseLeistung mussten die Kommunen noch vor wenigen Jah-ren selber tragen. Wir wollen nun den nächsten Schrittgehen und in dieser Legislaturperiode jedes Jahr 1 Mil-liarde Euro zusätzlich für die Kommunen zur Verfügungstellen, mit Verabschiedung des Teilhabegesetzes auf-wachsend auf 5 Milliarden Euro, weil wir den Kommu-nen auch bei der Eingliederung von Behinderten helfenwollen.
Das ist eine Leistung, die wir deshalb zur Verfügungstellen, weil wir überzeugt sind, dass die Lebenserfah-rung jedes einzelnen Menschen zuallererst zu Hause, inder Kommune vor Ort gesammelt wird, und weil wirwissen, dass das große, oftmals ehrenamtliche Engage-ment der Kommunalpolitiker nur dann weiter Akzeptanzfinden wird, wenn in den Kommunen auch etwas zu ge-stalten ist, wenn dort etwas zu machen und nicht nurMangel zu verwalten ist.
Das zweite große Thema, das von Bedeutung ist,wenn wir auf den demografischen Wandel reagierenwollen, ist die Sicherung der Fachkräftebasis. Was habenwir da für Möglichkeiten? Auf der einen Seite müssenwir alles daransetzen, dass der Zuwachs an älteren Be-schäftigten, der in den vergangenen Jahren stattgefundenhat, weiter anhält. Wir müssen auf der anderen Seitedazu beitragen, dass Frauen durch die verbesserte Ver-einbarkeit von Beruf und Familie bessere Chancen imBerufsleben bekommen. Wenn ich hier von Frauen spre-che, spreche ich genauso von Eltern, also auch von Vä-tern. Wir haben in dieser Legislaturperiode mit demElterngeldPlus bereits eine Initiative ergriffen, die dieVereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Arbeits-teilung verbessert. Ich denke, was das Zeitmanagement
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von Familien anbelangt, wird in den nächsten Jahrennoch viel zu leisten sein.
Wir müssen allerdings auch das gesellschaftliche Um-feld so gestalten, dass die Bedürfnisse von Familien, ge-rade auch von Frauen, besser widergespiegelt werden.Das bedeutet, dass Frauen in Führungspositionen besservertreten sein müssen.
Das ist in erster Linie – das haben wir jetzt festgestellt –eine Aufgabe für alle Gremien des Bundes. Da habenwir noch eine Menge zu tun – die Frauenministerinnickt –, aber ich weiß auch, dass es nicht so einfach ist,alle Gremien entsprechend zu besetzen. Jedoch, wennwir die Unternehmen verpflichten wollen, wird man sichzu Recht fragen: Wie sieht es denn in der Politik aus?
Es gab seitens der Wirtschaft, also zumindest der bör-sennotierten Unternehmen, bisher keinerlei Initiative,der Politik zu zeigen, dass es die Wirtschaft bessermacht. Deshalb sehen wir uns jetzt doch gezwungen, ge-setzliche Regelungen einzuführen, um die Sache einbisschen voranzubringen. Das ist wichtig.
– Es ist auch mal schön, wenn die SPD begeistert ist.
Ich bin es übrigens auch. Ich verstehe die Zurückhaltungbei uns gar nicht. Wir haben schließlich sehr harte Aus-einandersetzungen gehabt.
Ein dritter Punkt ist, dass wir heute die Fachkräfteba-sis für morgen sichern. Deshalb hat sich der Bund beider Finanzierung zusätzlicher Hochschulplätze enga-giert. Er wird das im Rahmen des Hochschulpaktes auchweiterhin tun, damit wir im nächsten Jahrzehnt ausrei-chend Absolventen haben. Die Investitionen in die Uni-versitäten und Fachhochschulen haben aber auch zu ei-ner Entwicklung geführt, die wir gestern im Kabinettanlässlich der Vorlage des Berufsbildungsberichts disku-tiert haben. Wir haben erkannt, dass wir die duale beruf-liche Ausbildung stärken müssen.
Wir wollen den Ausbildungspakt im Zusammenhangmit einem Weiterbildungspakt neu auflegen. Wir müssenjetzt wieder dafür sorgen, dass uns in den nächsten Jah-ren nicht noch einmal passiert, was letztes Jahr passiertist, nämlich dass 20 000 Absolventen keinen Ausbil-dungsplatz bekommen haben, obwohl es ein Überange-bot an Ausbildungsplätzen gab. Die Zahl von Anbieterneiner dualen Berufsausbildung sinkt. Dies muss geändertwerden.Solide Finanzen, Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze –das alles ist wichtig. Für das gesellschaftliche Klima istaber auch die Frage des sozialen Zusammenhalts von al-lergrößter Bedeutung. Hier kommen wir zu einigen Vor-haben, für die sich die Große Koalition entschieden hatund die durchaus auch kontrovers diskutiert werden. Siesind aber in Anbetracht der Situation, in der wir uns be-finden – nah an einem ausgeglichenen Haushalt, mehrBeschäftigte als jemals zuvor –, für die Menschen insge-samt sehr wichtig.Das gilt zum Beispiel für das Thema Mindestlohn.Wir haben den Gesetzentwurf zum Mindestlohn im Ka-binett verabschiedet. Er geht jetzt in die parlamentari-schen Beratungen. Es sind noch einige Fragen zu klären,und diese werden auch geklärt. Wir haben uns entschie-den, eine Übergangszeit bis zum Ende 2016 zu ermögli-chen, sofern abweichende Tarifverträge vorhanden sind.Ansonsten tritt der Mindestlohn mit dem 1. Januar 2015in Kraft. Wir haben uns entschieden, bei jungen Men-schen unter 18 Jahren und ohne Berufsabschluss auf demWege zur Ausbildung Ausnahmen zuzulassen. Gleichesgilt für Praktika. Für Langzeitarbeitslose soll es eineFrist von sechs Monaten geben, in denen zuerst dieChance genutzt werden kann, überhaupt wieder eine Ar-beit aufzunehmen, um danach in eine Phase des Min-destlohnbezugs zu gelangen.Gerade bei den Langzeitarbeitslosen haben wir nachwie vor ein Problem. Trotz der guten Beschäftigungslageerscheint das Niveau von 3 Millionen Arbeitslosenziemlich zementiert. Deshalb begrüße ich, dass die Bun-desarbeitsministerin jetzt Initiativen entfaltet, um zuschauen, wie wir da rauskommen. Wir müssen vor allenDingen bei den unter 30- bzw. unter 35-jährigen Lang-zeitarbeitslosen schauen, dass wir vorankommen.
Wir haben mit Blick auf den sozialen Zusammenhaltein Rentenpaket mit vier wesentlichen Maßnahmen vor-gelegt: die Berücksichtigung von Erziehungsleistungenvon Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, Er-höhung der Erwerbsminderungsrenten, ein steigendesRehabudget und abschlagsfreie Renten nach 45 Bei-tragsjahren. Letzterer Punkt wird ja noch sehr kontroversdiskutiert. Ich freue mich, dass wir uns alle einig sind– so haben wir das auch im Kabinett beschlossen –, dasswir alle Anreize zur Frühverrentung ausräumen müssen.Es lohnt die Mühe, darüber nachzudenken, wie wir daseffektiv machen können. Frühverrentung kann nicht dasAnsinnen sein. Im Übrigen wächst das Alter, ab dem wirdie abschlagsfreie Rente ermöglichen, über die Jahrewieder auf 65 auf, weil wir davon ausgehen und auchalle Kraft darauf lenken werden, dass die Beschäfti-gungschancen Älterer, auch der über 60-Jährigen, deut-lich besser werden. Das ist eine Notwendigkeit bis zumEnde des nächsten Jahrzehnts, um den demografischenWandel überhaupt zu bewältigen.
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Von allergrößter Bedeutung sind natürlich die Frageneiner sicheren, verlässlichen gesundheitlichen Versor-gung und einer leistungsfähigen Pflegeversicherung. Inbeiden Bereichen ergreifen wir Initiativen. Ich will hierbesonders das würdigen, was im Pflegebereich ge-schieht: Wir werden zum 1. Januar 2015 eine Reformder Pflegeversicherung vorlegen. Die Beiträge werdenum 0,2 Prozentpunkte erhöht. Damit stehen 2,4 Milliar-den Euro mehr für Pflegeleistungen zur Verfügung. Wirwerden mit aller Kraft darauf hinarbeiten, dass nicht dieBürokratie, nicht die technischen Abläufe, sondern das,was die Menschen brauchen, die Pflege des einzelnenMenschen, wieder mehr im Vordergrund steht. Dazuwerden wir einen neuen Pflegebegriff erproben undseine Praxistauglichkeit feststellen. Ich glaube, das istdie richtige Art, dies Schritt für Schritt anzugehen. Vorallen Dingen wollen wir die Pflegeberufe attraktiver ma-chen, aber auch Pflege in der Familie in besondererWeise befördern.
Ein weiterer wichtiger Bereich für den Zusammenhaltder Gesellschaft ist das gesamte Thema der Integrationvon Migrantinnen und Migranten. In diesem Jahr wer-den wir einen Integrationsgipfel zum Thema „Ausbil-dung und Bildung“ abhalten. Gegen Ende des Jahreswerden wir dann hoffentlich auch einen neuen Ausbil-dungs- und Weiterbildungspakt haben; denn unser Zielmuss natürlich sein, dass die Teilhabe der Migrantinnenund Migranten an der Berufsausbildung, am beruflichenLeben, am Arbeitsleben dieselbe ist wie bei denjenigen,die schon lange bzw. immer in Deutschland leben. Dashaben wir, auch wenn es Fortschritte gibt, noch nicht er-reicht. Deshalb wird die Integration auch in dieser Legis-laturperiode ein wesentliches Element unserer Arbeitsein.Wir hoffen, dass wir mit dem gestern verabschiedetenEntwurf zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechtsfür in Deutschland geborene Kinder einen Impuls setzen,um den Migrantinnen und Migranten und ihren Kindernzu sagen: Ihr seid hier willkommen. Ihr seid Teil unsererGesellschaft. Ihr bekommt alle Chancen, die andere auchbekommen. Ihr sollt euch einbringen und werdet ge-nauso gefördert. – Ich hoffe, dass dies seine Wirkungnicht verfehlt, meine Damen und Herren.
In diesem Spektrum arbeiten wir in dem Umfang, denDeutschland aus eigener Kraft leisten kann. Aber wirwissen auch: Deutschland ist auf Dauer nur stark, wennes auch Europa gut geht, wenn auch Europa stark ist.Deswegen setzen wir als Bundesregierung natürlichauch darauf, die europäische Politik intensiv zu gestaltenund uns mit unserer Rolle dort einzubringen.Meine Damen und Herren, aufgrund der Euro-Schul-denkrise haben wir schwere Jahre hinter uns. Wir kön-nen jetzt erste Erfolge sehen, und ich finde, wir dürfendiese Erfolge nicht kleinreden, obwohl wir wissen, dasswir damit den Weg natürlich noch nicht zu Ende gegan-gen sind. Weder sind die Zinssätze – schauen wir einmalauf Deutschland – so, dass man heute sagen kann: „DasGanze ist schon wieder im Lot“, noch ist die Arbeitslo-sigkeit – gerade bei jungen Menschen in anderen euro-päischen Ländern – akzeptabel oder hinnehmbar.Richtig ist und bleibt für mich aber doch, dass es ver-nünftig und notwendig war, einen Fiskalpakt zu entwi-ckeln, mit dem wir dem Maastrichter Stabilitäts- undWachstumspakt wieder mehr Zähne gegeben haben;denn es war doch eine der Erfahrungen, dass uns dasNichteinhalten von Versprechungen und Beschlüssen ineine solche Situation gebracht hat. Es ist richtig undauch wichtig, dass wir sagen: Irland, Portugal, Spanienund Griechenland haben bei allen Bemühungen, dienoch zu folgen haben, Fortschritte gemacht. Deshalbwerden wir das auch weiter so hervorheben.Anfang Juli wird es in Italien einen Gipfel geben, dersich wieder mit dem Thema Jugendarbeitslosigkeit be-schäftigen wird. Dort wird es vor allen Dingen notwen-dig sein, zu schauen: Werden die in Europa bereitgestell-ten Mittel auch wirklich von den Ländern genutzt, diedie größten Probleme haben? Häufig sind nämlich zwarMittel für die Bekämpfung bestimmter Probleme vor-handen – natürlich wird dauernd darüber geredet, dass eseigentlich mehr sein sollte –, aber wenn man dann ein-mal genauer hinguckt, sieht man, dass die Mittel garnicht abgerufen werden. Wir müssen jetzt erst einmalWert darauf legen, dass die in der europäischen Finanz-planung für die Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeitzusätzlich vorgesehenen 6 Milliarden Euro dafür genutztwerden, wofür sie gebraucht werden, nämlich zur Schaf-fung von Arbeitsplätzen für junge Menschen.
Aus der Tatsache, dass wir von der Haushaltslage herheute besser dastehen als vor Jahren, die Arbeitsmarktsi-tuation in vielen Ländern aber noch nicht besser ist, zumTeil sogar schlechter, ergibt sich im Übrigen auch dieAufgabenstellung für das neue Europäische Parlamentund die neue Europäische Kommission: Wir müssengucken, wo wir Bürokratie abbauen und wie wir Unter-nehmen in Europa Chancen geben können – denn lang-fristige, dauerhafte Arbeitsplätze werden nur durch Un-ternehmen und nicht durch Staaten geschaffen –, und wirmüssen schauen, wie wir die Vorzüge eines Binnen-marktes auch im digitalen Bereich, im Energiebereichund im Forschungsbereich wirklich zur Geltung kom-men lassen können.Das werden die Aufgaben sein, auf die sich Europakonzentrieren muss. Nicht jede Aufgabe ist eine Auf-gabe für Europa, aber die großen Aufgaben können in-zwischen mit einer europäischen Dimension besser ge-löst werden, als wir das alleine, als Nationalstaat,könnten.
Wir sind bei der Bankenunion vorangekommen. Ichwill die Details hier jetzt nicht nennen. Das ist ein Rie-senprojekt. Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hät-ten: „Werden wir so weit kommen?“, dann hätte ich sehr
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große Zweifel geäußert. Das bedeutet eine riesige Kraft-anstrengung.Deutschland ist im Übrigen in vielen Fragen vorange-gangen:Wir hatten schon eine Bankenabgabe, als es in Europanoch keine Bankenabgabe gab. Damit haben wir ein Mo-dell geliefert. Wir hatten auch schon einen Bankenab-wicklungsmechanismus, als es in Europa noch keinensolchen gab. Auch damit waren wir Vorreiter. Das heißt,wir haben mit unseren nationalen Regelungen immerwieder auch Hilfestellungen für europäische Regelungengeben können, und ich bin sehr froh, dass wir hier jetztwirklich sehr gut vorangekommen sind.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dasswir, wenn wir uns nur auf unsere eigenen Belange kon-zentrieren, natürlich nicht erfolgreich sein können. Des-halb beschäftigt uns das Thema „Frieden, Freiheit undMenschenwürde in Europa und in der Welt“ natürlichsehr – gerade jetzt, in diesen Tagen.Die Lage in der Ukraine bleibt schwierig. Sie habendas in den letzten Tagen wieder verfolgt, und es ist leideran vielen Stellen nicht erkennbar, wie Russland zur Ent-spannung der Situation beiträgt. Deshalb werden wir aufder einen Seite weiter das tun, was wir immer getan ha-ben, nämlich die Gesprächsfäden nutzen, auf der ande-ren Seite aber auch klar und deutlich sagen: Die Ukrainehat aus unserer Sicht ein Recht auf einen eigenen Ent-wicklungsweg. – Den werden wir einfordern. Die Ukrai-ner müssen über ihr Schicksal selber entscheiden, unddabei werden wir der Ukraine behilflich sein.
Es ist jetzt dringend notwendig, dass die OSZE-Mis-sion, die glücklicherweise angelaufen ist, auf die ver-sprochenen 500 Personen aufgestockt wird.Es ist dringend wichtig, dass es internationale Gesprä-che mit der Europäischen Union, mit den VereinigtenStaaten von Amerika und auch mit Russland gibt –, abereben unter Beteiligung der Ukraine. Es ist wichtig, dassder Verfassungsprozess in der Ukraine vorankommt. Esist wichtig, dass die Wahlen dort vernünftig vorbereitetwerden können. Es ist vor allen Dingen wichtig, dassauch die internationale Finanzunterstützung anläuft. DasIWF-Programm für die Ukraine ist beschlossen. Es istein sehr anspruchsvolles Programm, das den MenschenOpfer abverlangen wird. Aber die europäischen Mittelund auch die IWF-Mittel müssen jetzt schnell fließen.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, wir diskutieren all dies in einem Jahr, in demsich der Beginn des Ersten Weltkriegs 100 Jahre, der desZweiten Weltkriegs 75 Jahre, der Fall der Mauer und dasEnde des Kalten Kriegs 25 Jahre jähren; Ereignisse, de-rer wir gedenken. Wir sind uns heute in Europa, aberauch in der Welt insgesamt viel näher, als das wahr-scheinlich in der Geschichte der Menschheit jemals derFall war.Wir wissen, dass diejenigen, deren Denken nur um ei-gene Interessen kreist, die eine eindimensionale Welt-sicht haben und die ohne Rücksicht auf andere ihreStärke ausspielen, keine Chance haben, Zukunft zu ge-stalten. Natürlich gehört für jeden von uns die nationalePerspektive dazu, aber niemand, der erfolgreich seinmöchte, kann heute nur seine eigenen Belange in denVordergrund stellen. Er verbaut sich damit seine eigeneZukunft.Deshalb ist die einzig wahre Antwort auf die Pro-bleme unserer Zeit ein positives Gestalten der Globali-sierung. Wir brauchen eine neue Art des Miteinanders,des fairen Interessenausgleichs auf der Welt. Wir wollenund brauchen eine neue Art, bei Dissens und Streit ko-operative Lösungen zu finden.
Je besser wir das in Deutschland miteinander praktizie-ren, desto eindrucksvoller ist die europäische Erfolgsge-schichte.Das Modell des Interessenausgleichs ist das Modellder Zukunft. Deutschland leistet seinen Beitrag dazu:durch solide Finanzen und eine Wachstumspolitik, durcheinen starken inneren und äußeren Zusammenhalt unddurch ein starkes europäisches und globales Engage-ment.Ich bitte Sie, auf diesem Weg mitzugehen, und dankefür Ihre Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!100 Tage Schonfrist gesteht man jeder neuen Regierungzu.
Union und SPD haben viele geschont, vor allem sichselbst.Heute behaupten Sie, Sie machten keine Schulden.
Ich sage Ihnen: Doch, Sie verschulden sich: an den Jun-gen, an den Armen und an der Umwelt.
Sie machen Politik für die Babyboomer – das wusstenwir schon –, seit neuestem auch für die BASF, die sichsehr freut. Sie sind so etwas wie eine Amigo-Generation.Die Generation der unter 30-Jährigen jedenfalls hat beiIhnen nichts zu lachen.
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Katrin Göring-Eckardt
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Die Industrieprivilegien beim EEG und damit dieMehrkosten für Verbraucherinnen und Verbraucher, dieSie alle gerade verabredet haben, sind auf einem Niveau,das früher wenigstens jedem Sozialdemokraten dieSchamröte ins Gesicht getrieben hätte.
Sie verschieben jede schwierige Entscheidung auf dienächste Legislaturperiode. Fast könnte man glauben: Je-der von Ihnen hofft darauf, an der nächsten Regierungnicht beteiligt zu sein, damit Sie diesen Schlamasselnicht ausbaden müssen.
Wie hieß doch damals der Spruch der westdeutschenJugend? Erst wenn die letzte Rentenkasse geplündert,die letzte Sozialkasse geleert und alle Schulden ange-häuft sind, werden Sie merken, dass man Koalitionsver-träge nicht essen kann.
Zur Erinnerung: In der letzten Großen Koalition woll-ten Sie noch etwas erreichen, ganz unabhängig davon,wie man das im Einzelnen findet. Damals haben Sie miteiner kleineren Mehrheit die Föderalismusreform ge-stemmt, die Rente mit 67 eingeführt, Subventionen ab-gebaut, die teuer, aber populär waren, und auf den letz-ten Metern sogar noch die Schuldenbremse eingeführt.Damals hatte man wenigstens noch das Gefühl, Sie wol-len Verantwortung übernehmen.
Heute sind wir bei „Wünsch dir was“. Der Unter-schied zum Märchen mit der guten Fee ist allerdings:Hier hat nicht jeder drei Wünsche frei, sondern jedesMal, wenn einem ein neuer Wunsch einfällt, kriegt derandere noch einen obendrauf erfüllt. Mit Verantwortunghat das nichts zu tun.
Heute wickelt die eine Hälfte von Ihnen die eigeneParteigeschichte ab, inklusive Franz Müntefering, wäh-rend sich die andere auf den volkswirtschaftlichen Res-ten ausruht, die dann noch übrig bleiben. Meine Damenund Herren, Sie haben 504 Mandate im Deutschen Bun-destag.
Aber, ehrlich gesagt, in diesen 100 Tagen gab es nochkeine einzige neue Idee.Sie beide vereint nicht etwa die Leidenschaft,Deutschland für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Sieverteilen lieber leidenschaftlich, was Sie nicht bezahlenkönnen. Sie bestellen; die Kinder und Enkel bezahlen.Sie machen Politik nach der Formel „Rente mit 70 mi-nus 63 ist gleich Mütterrente“. Ich finde das absurd. Ichfinde, das hat mit Zukunft nichts zu tun, und mit Verant-wortung für die Zukunft erst recht nicht.
Das Ganze kostet, wie Sie wissen, 160 MilliardenEuro. Für die Schulsozialarbeit – ich glaube, keiner wirdeinen Deut daran zweifeln, wie wichtig sie ist – werden400 Millionen Euro fehlen. Aber die Schüler dürfennicht wählen, und die Kommunen und Länder nörgeln jaeh immer nur herum.
Ich habe den Eindruck, Sie vergessen völlig, worauf eseigentlich ankommt.Liebe SPD, es ging ganz fix: Zuerst war es noch einzentrales Thema, dass die Kommunen und Länder unter-stützt werden und wir in Bildung und Kinder investieren.Jetzt handeln Sie nach dem Motto „2018 reicht auchnoch“. Das ist eine Mogelpackung, Frau Merkel. Sie un-terstützen die Kommunen nicht, sondern Sie verschiebenes auf die Zukunft, und Sie bauen gerade an den Stellenab, wo es um diejenigen geht, die besonders viel Hilfebräuchten. Deswegen sage ich Ihnen: Auch das hatnichts mit Verantwortung zu tun.
Die Wahrheit ist: Die Kommunen ächzen nach wievor unter dem Verfall der öffentlichen Infrastruktur. DasLand lebt in Teilen von seiner Substanz. VorhandeneStraßen und Brücken müssen gelegentlich repariert wer-den. Ich weiß, dass Sie es komisch finden, wenn das eineGrüne sagt. Aber in diesem Punkt sind wir, ehrlich ge-sagt, ganz altmodisch: Erst repariert man etwas, bevoretwas Neues angeschafft wird. Das kann ja nicht soschwer sein.
Dass Sie vom Breitbandausbau reden, aber faktischüberhaupt nichts dafür tun, ist absurd. Das zeigt, dass esIhnen auch ökonomisch und gesellschaftlich nicht umdie Zukunft geht. Herr Dobrindt hat gesagt, er will lieberein schnelleres Netz in den Bayerischen Wald bringen,statt zu twittern. Jetzt stellen wir fest: Herr Dobrindttwittert nicht, aber das schnelle Netz im BayerischenWald wird es leider auch nicht geben.
Ich habe das Gefühl, dass Herr Dobrindt sich ganzheimlich wahnsinnig doll um die Maut für Pkw küm-mert, von der wir ewig lange nichts gehört haben. Ichbin sehr gespannt, wann Sie wirklich Internet- und Infra-strukturminister werden, Herr Dobrindt.
Innenpolitisch habe ich den Eindruck, Frau Merkel,Sie machen denselben Fehler wie Kohl in den 90ern: Sie
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2330 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Katrin Göring-Eckardt
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regieren faktisch in der Komfortzone. Vielleicht sollteman auch das einmal in Erinnerung rufen: Zukunft istnicht die nächste Legislaturperiode. Zukunft ist die Zeit,in der unsere Kinder Verantwortung für dieses Landübernehmen. Dass es in Ihren Fraktionen wenigstensnoch ein paar junge Abgeordnete gibt, die Ansätze einerKritik an diesen Verschiebebahnhöfen und dem kurzfris-tigen Verscherbeln äußern, ist jedenfalls ein kleiner Be-weis dafür, dass es bei Ihnen noch ein bisschen Leben-digkeit gibt. In der letzten halben Stunde hatte ichallerdings, ehrlich gesagt, nicht das Gefühl, dass es hiersehr viel Wachheit und Leidenschaft gab.
Sie werden sagen: Die Leute mögen mich ja dafür. – Dasmag sein, aber es reicht eben nicht, nur zu tun, was ge-rade gefällt. Können unsere Enkel eigentlich noch ent-scheiden, wo und wie sie leben wollen? Ist die Luft nochsauber genug? Ist der Wald hinter dem Haus eigentlichnoch da, und kann man noch die berühmte Schlüssel-blume sehen, außer bei Wikipedia?
– Sie finden das offenbar lustig. Ich finde es nicht lustig.Jeden Tag wird in Deutschland eine Fläche von über100 Fußballfeldern mit Häusern und Straßen bebaut. Je-den Tag verschwinden zwischen 50 und 100 Arten. DaSie das lustig finden, sage ich Ihnen: Nein, das ist nichtalbern. Man kann nicht am Sonntag von der Bewahrungder Schöpfung reden und gleichzeitig die Massentierhal-tung fördern
und in Brüssel gegen den eigenen Koalitionsvertrag undgegen den Willen einer übergroßen Mehrheit in Deutsch-land dafür sorgen, dass Genmais zugelassen wird.
Sie können dann nicht sagen: Es ist uns egal, dass dasZeug im Supermarktregal steht und nicht gekennzeich-net wird.Wenn Frau Hendricks und Herr Gabriel in der Klima-politik so weitermachen, dann kann ich Ihnen nur emp-fehlen: Schauen Sie sich einmal die Berichte an.Schauen Sie sich einmal an, was uns die Wissenschaftlergerade wieder in das Stammbuch geschrieben haben.Wenn Sie so weitermachen, dann wird Olaf Scholz einesTages, wenn er dann noch regiert, seinen Stadtstaat nurnoch vom Schiff aus befahren können, weil er die Dei-che gar nicht hoch genug bauen lassen konnte.
Die CO2-Emissionen steigen wieder. Wenn Sie soweitermachen, dann verfehlt Deutschland das Klimazielvon minus 40 Prozent nicht nur knapp, sondern kra-chend. Schwarz-rote Klimapolitik scheint vor allen Din-gen dafür da zu sein, dass das Klima in der Koalitionstimmt
und dass die Industrie es wirklich gut hat. Ein Klima-aktionsplan wurde angekündigt. Umsetzung? – Fehl-anzeige! Eine Reform des Emissionshandels wurde an-gekündigt. Umsetzung? – Null! Die Kürzung der Mittelfür den internationalen Klimaschutz um mehrere Hun-dert Millionen im Bundeshaushalt haben Sie allerdingsganz schnell umgesetzt. Ein dreistelliger Millionenbe-trag für den internationalen Klima- und Umweltschutzist einfach weg, einfach abgeräumt. Auch hier zeigen Sieechte Verantwortungslosigkeit.
Wenn die zentrale Maßnahme der Umweltministeringegen steigende CO2-Emissionen in der Empfehlung andie Bürgerinnen und Bürger darin besteht, weniger zuheizen, dann merkt man: Frau Hendricks kennt denKoalitionsvertrag ganz gut. Sie weiß: Angesichts derVorhaben dieser Regierung in Sachen Klimaschutz mussman sich als Bürgerin ziemlich warm anziehen. Dasssich angesichts dessen noch irgendjemand in Brüssel fürschärfere EU-Klimaziele oder für eine echte Reform desEmissionshandels einsetzen wird, ist wahrhaft unwahr-scheinlich. Diese Koalition ist direkt schlecht für dasKlima.
Frau Merkel, Sie haben vom TechnologievorsprungDeutschlands geredet. Da hätten wir ihn. Es ist aber völ-liger Quatsch, dass Arbeitsplätze wegfallen würden.Nein, sie entstehen erst durch die erneuerbaren Energien.Diesen Vorsprung könnten Sie tatsächlich zu einer gro-ßen Stärke Deutschlands machen. Aber im Moment räu-men Sie ihn ab. Wir erinnern uns noch an die Zeit derersten Großen Koalition. Frau Merkel und Herr Gabrielstanden in roten Jacken vor Eisbergen. Damit solltedeutlich gemacht werden: Die Eisberge schmelzen. –Aber die klimapolitischen Ambitionen sind gleich mitgeschmolzen. Die rote Jacke hat ausgedient. Die Klima-kanzlerin von 2007 sitzt warm und trocken, und der Um-weltminister von damals schützt heute lieber angeblichbedrohte Industriezweige als real bedrohte Arten. Wirstellen uns Klimapolitik wirklich anders vor.
Es ist verantwortungslos, den Ausbau der Erneuerba-ren zu deckeln, sodass sie gerade noch den Ausstieg ausder Atomkraft kompensieren. Wer sich die EEG-Reformanschaut, redet nur noch von einem Reförmchen. Das istübrigens nicht meine Formulierung. Diese können Sieheute in allen Zeitungen lesen. Das Ganze ist in Wirk-lichkeit in erster Linie das, was Sie immer wollten, näm-lich eine Bestandsgarantie für die dreckige Kohle. Diesesollen wir weiterhin fördern. Nein, eine echte Energie-wende, eine echte Energierevolution sieht anders aus.Das trauen Sie sich nicht. Auch damit verscherbeln Siedie Zukunft.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2331
Katrin Göring-Eckardt
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Herr Gabriel, jetzt ist die Maske gefallen. Sie wollenso tun, als seien Sie der große Manager der Energie-wende. Jetzt stellt sich heraus: In Wahrheit sind Sie derenergischste Lobbyist der Manager. Kleine Leute zahlenbei Ihnen die Rechnung. Sie haben kaum mehr als100 Tage gebraucht, um zum Genossen der Bosse zuwerden. Sie haben kaum mehr als 100 Tage gebraucht,um solche Sätze zu sagen wie den: 40 Euro, das wird jawohl niemandem etwas ausmachen. – Doch ich sage Ih-nen: Es macht gerade den kleinen Leuten etwas aus.Dass die Industrie heute über die Ausnahmen, die Sie ihrgarantiert haben, jubelt, zeigt genau, dass Ihre Energie-wende nicht nur eine klimapolitische Schieflage hat,sondern auch eine soziale Schieflage. Manchmalwünscht man sich schon Peer Steinbrück zurück, der ge-genüber den Industrieleuten wenigstens einmal klareKante zeigt.
Dazu passt dann auch ganz gut, dass Sie ein Macht-wort sprechen, wenn es um die Frauenquote geht. Daspasst perfekt ins Bild. Frau Schwesig darf jetzt nett überLeitlinien reden, weil Ihnen die Jungs von der Industriegesagt haben, dass ihnen die Frauenquote wirklich nichtpasst. Die Frauen haben lange genug gewartet, es istendlich an der Zeit, dass die Quote kommt. FrauSchwesig, nehmen Sie bitte Ihren Mumm zusammen,und kämpfen Sie dafür! Reden Sie nicht mehr weiter da-rüber! Es ist genug geredet worden. Wir wollen endlichTaten sehen, wenigstens an dieser Stelle. Das kostetnoch nicht einmal etwas.
Ich habe den Eindruck, dass hier so eine Art Grund-konflikt besteht. Nutzen Sie eigentlich Ihre große Mehr-heit nur für den Machterhalt, oder gibt es bei Ihnen einePerspektive? Ich meine eine Perspektive nach demMotto: Versöhnung zwischen ökologisch verantworteterBegrenzung und unaufgebbarer Freiheit in Wohlstand.Freiheit in Wohlstand – darum würde es nämlich eigent-lich gehen.Ich gebe zu: Mir wären sogar ein paar Verbote ganzlieb.
Wir sind Exportland Nummer drei, was die Waffenex-porte angeht. Panzer nach Saudi-Arabien und Katar. Be-schämend ist das, und beschämend ist auch Ihr Feigen-blatt von mehr Transparenz. Ich möchte gerne, dass eshier eine tatsächliche Wende gibt und dass wir davon ab-sehen, Waffen in Länder zu exportieren, die weit wegvon Demokratie und dem sind, was wir mit Menschen-rechten und Menschenwürde verbinden. Hier wäre nunwirklich ein Verbot sehr sinnvoll.
Ich sage Ihnen auch: Wenn Sie einerseits über Ener-giesicherheit und über Unabhängigkeit reden, aber imgleichen Atemzug den Verkauf des größten Gasspeichersin Westeuropa ausgerechnet an die Firma Gazprom ge-nehmigen, dann ist das unglaubwürdig, dann ist das ab-surd. Wenn Sie an solchen Stellen nicht glaubwürdigwerden, dann ist es auch mit der Außenpolitik, die ich andieser Stelle wirklich überzeugend fand, auf einmal sehrschwierig. Dann wird nämlich hinten wieder eingerissen,was man vorne eigentlich richtig gemacht hat.
Ich habe das Gefühl, Sie sind inzwischen so zufriedenauf der Regierungsbank, dass Ihnen auch Visionen ab-handengekommen sind, die Vision eines modernen Staa-tes zum Beispiel, der Wohlstand mit Anstand undZukunft mit Schonung verbindet. Angesichts des Kräfte-verhältnisses im Deutschen Bundestag haben Sie nichtnur die Möglichkeit, sondern Sie haben doch eigentlichdie Pflicht und die Verantwortung, die Zukunft nicht zuverscherbeln. Stattdessen nörgeln Sie lieber ein bisschenherum, einmal am Verfassungsgericht, ein anderes Malan Griechenland oder an denen, die wenigstens denMund aufmachen. Ich finde, dieses Land hat etwas ande-res verdient.
Wenn wir in diesen Tagen und Stunden in RichtungUkraine blicken, dann stellen wir fest, dass unsere Sor-gen nicht kleiner geworden sind. Wahrscheinlich hoffenwir hier alle gemeinsam, dass die Ukraine mit dem25. Mai und demokratischen Wahlen Stabilität erlangt,nicht mehr Spielball geopolitischer Interessen ist undökonomisch auf die Beine kommt.Eigentlich ist es tragisch, dass es erst so eine außen-politische Krise brauchte, damit allen wieder klar wird,was der Wert Europas eigentlich ist, dass Europa fürviele Menschen gerade am Rande der EU eine Verhei-ßung ist und kein Zweckbündnis, das einmal nützt undeinmal nicht. Dass Sie lieber Abwehrschlachten gegenstärkere CO2-Reduzierung, bei den Grenzwerten für diePkw, gegen ambitionierte Klimaschutzziele und, und,und geliefert haben, zeigt, dass wir an dem Europa, daswir eigentlich wollen und für das wir eigentlich stehen,lange genug mit dieser Regierung vorbeigeredet haben.Jetzt ist Europa plötzlich als Friedensmacht gefordert.Sie merken, eine ausschließlich utilitaristische Haltungzu Europa einzunehmen, funktioniert nicht, wenn euro-päische Werte gefragt sind.Wer ein Europa will, das auch machtpolitisch ernstgenommen wird, der muss dafür sorgen, dass dieses Eu-ropa stark ist, statt am Ende doch noch nach der NATOzu rufen. Es ist eben keine kohärente Politik, wenn dieVerteidigungsministerin die ganze Zeit mit ihrer Mili-tärrhetorik das Krisenmanagement unterwandert, das derAußenminister diplomatisch auf europäischer Ebene be-treibt. Diese Krise, Frau von der Leyen, taugt nicht zurregierungsinternen Selbstdarstellung. Bleiben Sie dabei,für ein starkes Europa und für eine friedliche Lösung zukämpfen.
Wo wir schon von europäischen Werten sprechen: Je-des Jahr fliehen Tausende Menschen nach Europa. Im
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2332 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Katrin Göring-Eckardt
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Mittelmeer ertrinken andere bei dem Versuch, Sicher-heit zu finden. In der letzten Nacht wurden mehr als1 000 Menschen gerettet – zum Glück.In Syrien tobt seit drei Jahren ein fast schon vergesse-ner Bürgerkrieg. Ein Drittel der Bevölkerung Syriens istauf der Flucht. Sie sollten darüber reden, was wir tunkönnen, um diesen Menschen zu helfen. Wir sind immernoch bei gerade einmal 10 000 Kontingentflüchtlingenaus Syrien. Im Libanon ist in der vergangenen Wocheder einmillionste Flüchtling aufgenommen worden. DieTürkei ist schon nah an dieser Grenze. Nur einmal zumVergleich – weil Sie immer sagen, wir nähmen ja schonso viele auf –: Wenn wir im gleichen Verhältnis wie Li-banon und Türkei Flüchtlinge aufnähmen, dann würdenwir hier über 18 Millionen Flüchtlinge reden. Ich sageIhnen: Gemessen daran sind die Anstrengungen derBundesregierung nicht mehr als ein schlechter Witz.
Das ist nicht Ausdruck der internationalen Verantwor-tung, von der Sie immer so gern reden. Sehen Sie end-lich der humanitären Verpflichtung und der Realität insAuge. Reden Sie mit den Ländern und Kommunen.Herr Steinmeier, was nun wirklich gar nicht geht undwas Sie dringend aufklären müssen, ist, ob es wirklichMissbrauch, ob es wirklich Bestechung bei der Termin-vergabe in deutschen Vertretungen gab. Falls ja, dannmuss hier sehr schnell gehandelt werden.
Meine Damen und Herren, mehr tun und wenigerPolitik antäuschen, das würde ich mir auch wünschen,wenn es um die großen Skandale geht, die wir unter denKürzeln „NSU“ und „NSA“ kennen. 104 Tage dauert derNSU-Prozess jetzt. Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Ge-denkrede vor den Hinterbliebenen rückhaltlose Aufklä-rung zugesagt, und Sie haben versprochen, alles zu tun,damit sich so etwas nie wiederholen kann. Ich nehme Ih-nen ab, dass Sie diese Worte ehrlich gemeint haben. Nur:Es gibt bis heute weder eine neue Sicherheitsarchitektur,noch wurden der strukturelle Rassismus und die Blind-heit auf dem rechten Auge in den Sicherheitsbehördengeheilt. Wir haben hier noch eine echte Hausaufgabe,und ich verlange von Ihnen, dass Sie sie angehen unddass Sie sie nicht „wegschwurbeln“ nach dem Motto: Eswird ja hoffentlich nichts wieder passieren.
Die Sicherheitsbehörden wurschteln weiter vor sichhin. Selbst Ihr Koalitionspartner CSU macht immer wie-der weiter mit Scharfmacherei. Gestern, am Internatio-nalen Roma-Tag, haben wir gehört, in welchem AusmaßSinti und Roma bei uns in Europa und darüber hinausdiskriminiert, beschimpft und verfolgt werden. Ange-sichts dessen klingt der Satz „Wer betrügt, der fliegt“noch zynischer, noch kälter.
Dieser Satz hat nichts mit Menschenwürde zu tun. HörenSie damit auf, und fangen Sie an, Rassismus zu bekämp-fen, weil es um die Menschenwürde aller geht.
Dazu gehört es dann auch, dass man bei der Reformdes Staatsbürgerschaftsrechts eben nicht wieder nur denhalben Weg geht. Willkommenskultur, das heißt doch„Ihr seid wirklich willkommen“. Wir dürfen nicht wie-der Staatsbürgerschaften erster und zweiter Klasseschaffen. Deswegen sage ich Ihnen klar und deutlich:Lassen Sie den Optionszwang komplett fallen! Erst dannhaben wir eine Willkommenskultur. Erst dann könnenwir sagen: Ja, wir leben hier zusammen. Wir tun dasgern, weil wir etwas voneinander haben.
Im Innenausschuss mussten wir von Herrn Ziercke er-fahren, dass das BKA heute so aufgestellt ist, dass dierechte Hand nicht so genau weiß, was die linke tut. JedeWoche gibt es etwas Neues, immer mehr Chaos. FrauMerkel, was haben Sie eigentlich getan, als bekanntwurde, dass Ihr Handy und die Telefonate und E-Mailsvon Millionen von Deutschen abgehört wurden? Sie ha-ben heute hier dargestellt, es sei sehr kompliziert, das al-les europäisch zu regeln. Was haben Sie getan? Sie ha-ben eine platonische Brieffreundschaft mit den USA undmit Großbritannien begonnen. Wir wissen: Sie schrei-ben, aber niemand antwortet.Dieser Skandal muss aufgeklärt werden. Ich bin heil-froh, dass wir jetzt den NSA-Untersuchungsausschusshaben. Ich sage Ihnen: Es ist ein harter Job, dafür zu sor-gen, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger aufSelbstbestimmung, auf Geheimnis, darauf, dass sie überihre eigenen Daten verfügen können, in diesem Landwiederhergestellt werden. Deswegen ist es richtig, dassHerr Snowden aussagt. Deswegen ist es richtig, dass wiraufklären, mit aller Kraft und mit allen Mitteln, die unszur Verfügung stehen. Wir dürfen uns nicht zurückzie-hen und sagen, das sei kompliziert, sondern wir müssenunsere Energie dafür einsetzen und sagen: Ja, das wollenwir, und zwar bei aller Freundschaft.
Gestern war – das kann man nicht anders sagen – eingroßer Tag für die Bürgerrechte. Allen Hardlinern, die sogerne davon reden, dass man durch die Vorratsdatenspei-cherung die Sicherheit erhöhen würde, sage ich: DieVorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibtfalsch. Wir sind froh, dass der Europäische Gerichtshofsehr deutlich gemacht hat, dass die anlasslose Speiche-rung von Millionen von Daten nicht geht, dass sie nichtsmit Bürgerrechten zu tun hat. Ich bin sehr froh, dass derEuropäische Gerichtshof dieses Zeichen für Bürger-rechte und Freiheit kurz vor der Europawahl gesetzt hat.Heute stehe ich hier und kann sagen: Auch deswegen,wegen der Freiheit, bin ich stolz, eine Europäerin zusein.
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Katrin Göring-Eckardt
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Es macht wirklich keinen Sinn, jetzt nationale Allein-gänge zu starten.Meine Damen und Herren, wenn man sich den Streitum das Rentenpaket in Ihrer Koalition vor Augen führt,muss man sagen: Bei diesem Paket und auch bei demStreit, den Sie darüber führen, vergessen Sie diejenigen,die wirklich Unterstützung brauchen. Sie vergessen diekommenden Generationen, lassen die Krankenschwesterund den Zahntechniker aber brav ihre Beiträge zahlen.Sie vergessen diejenigen, die 30 Jahre lang wirklich hartgearbeitet haben und nun nicht mehr können. Sie verfah-ren nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“. Die FolgenIhrer Politik verschieben Sie auf das Jahr 2018; dannwird es ja irgendwie weitergehen. Ich sage Ihnen: Das istnichts, Frau Nahles, worauf man stolz sein kann. Da feh-len die Fachkräfte. Da fehlt die Unterstützung für dieje-nigen, die ganz draußen sind.
Meine Damen und Herren, gestern haben Sie gesagt,die Union wolle gegenüber der SPD vertragstreu sein.Mir wäre es lieber, Sie wären vertragstreu gegenüber de-nen, die es wirklich nötig haben: gegenüber unserenKindern und Enkeln, gegenüber der Umwelt und demKlima, gegenüber all denen, die wirklich etwas riskie-ren, hart arbeiten und Verantwortung für sich und andereübernehmen. Die alle werden nämlich nicht fragen:„Habt ihr euch in der Großen Koalition damals gut ver-standen?“, sondern die werden fragen: Habt ihr eigent-lich auch an uns und unsere Zukunft gedacht? Deswe-gen: Übernehmen Sie Verantwortung, meine Damen undHerren!
Für die SPD-Fraktion erhält nun Thomas Oppermann
das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wer Frau Katrin Göring-Eckardt eben aufmerk-sam zugehört hat, der konnte den Eindruck gewinnen,dass sich unser Land im Augenblick in einem ausgespro-chen schlechten Zustand befindet.
Da haben Sie, Frau Göring-Eckardt, an der Wahrneh-mung der allermeisten Menschen in diesem Lande kom-plett vorbeigeredet.
Sie haben kein Wort zur wirtschaftlichen Situationverloren.
In der Tat, wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seitder Wende, gleichzeitig den höchsten Stand der Beschäf-tigung.
Wir haben Überschüsse in allen Sozialversicherungen.Wir haben die höchsten Steuereinnahmen in der Ge-schichte dieses Landes.
Bund, Länder und Unternehmen zusammen geben indiesem Jahr 80 Milliarden Euro für Forschung und Ent-wicklung aus. Auch wenn ich weiß, dass damit nicht alleProbleme in diesem Land schon gelöst sind – die Wahr-heit ist doch: Dieses Land steht augenblicklich ausge-sprochen gut da, meine Damen und Herren.
So etwas zu sagen – ich weiß das aus eigener, nochgar nicht so lange zurückliegender Erfahrung –, fällt inder Opposition schwer,
aber Sie hätten allen Grund gehabt, darauf hinzuweisen;denn, Frau Göring-Eckardt, Sie waren bei den Grünendoch schon einmal Fraktionsvorsitzende, nämlich alsRot-Grün vor zehn Jahren die Arbeitsmarktreformenganz entschlossen angepackt hat.
Sie haben einen ganz wesentlichen Anteil daran, dassdieses Land heute wirtschaftlich so stark ist.
Ich finde, auch die Grünen können sich einmal über diewirtschaftlichen Erfolge in diesem Land freuen.
Jetzt kommt es darauf an, alles dafür zu tun,
dass diese wirtschaftliche Stärke erhalten bleibt, und da-für zu sorgen, dass alle Menschen davon profitieren. Wirwollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-land an der ökonomischen Stärke teilhaben können,meine Damen und Herren.
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Thomas Oppermann
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Dass es uns im Augenblick so gut geht, ist keines-wegs selbstverständlich. Die Krise auf der Krim hat unsgezeigt, wie schnell die Stabilität in Europa in Gefahrgeraten kann. Russland hat auf der Krim eigenmächtigGrenzen verschoben. Das war ein klarer Verstoß gegendas Völkerrecht. Trotzdem oder gerade deshalb ist esgut, dass die internationale Gemeinschaft auf Verhand-lungen und Diplomatie setzt, um eine weitere Eskalationzu verhindern. Konflikte können militärisch entschiedenwerden; aber sie können nicht mit militärischen Mittelngelöst werden.
Deshalb bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin und Bun-desaußenminister Steinmeier von Anfang an klarge-macht haben: Es gibt keine militärischen Optionen.
Dieser Konflikt muss mit diplomatischen und politi-schen Mitteln bearbeitet werden, zum Beispiel mit dendirekten Verhandlungen, die die Bundeskanzlerin ange-sprochen hat.Die Menschen in der Ukraine kämpfen gegen Korrup-tion und Gewalt. Sie kämpfen für Demokratie und fürfreie Wahlen. Ich wünsche mir, dass sie am 25. Mai inder Ukraine diese freien Wahlen ohne Störungen, ohneBehinderungen durchführen können und dass die Einheitihres Landes erhalten bleibt.
Angesichts dieser existenziellen Fragen, mit denensich die Ukrainer auseinandersetzen müssen, empfindeich es – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – schon als ei-nen gewissen Luxus, dass wir hier und heute im Bundes-tag die Vorlage eines strukturell ausgeglichenen Haus-halts beraten dürfen; ich glaube, das sollte man aucheinmal erwähnen. Dieser Haushalt ist nicht selbstver-ständlich. Das ist eine Zäsur. Darauf mussten die Bürge-rinnen und Bürger 46 Jahre lang warten. 46 Jahre habenwir neue Schulden aufgetürmt. Damit ist jetzt Schluss.Das ist eine ganz klare Botschaft an die jungen Men-schen in diesem Land: Wir wollen damit aufhören, Poli-tik auf dem Rücken der jungen Generation zu machen.
Ich bedanke mich bei Bundesfinanzminister Schäuble,dass er uns einen solchen Haushalt vorgelegt hat. Dafürmüsste er eigentlich eine John-Maynard-Keynes-Me-daille bekommen, wenn es so etwas gäbe. Wir schaffenangesichts des hohen Schuldenstandes zwar keine echtenReserven,
aber wir tun in wirtschaftlich guten Zeiten das Mindeste,was wir tun können: Wir legen einen ausgeglichenenHaushalt vor, damit wir in schlechten Zeiten auch wiederhandlungsfähig sein können.
Auf diese Weise hat die letzte Große Koalition – da-rauf ist schon hingewiesen worden – entscheidend dazubeigetragen, dass wir heute wirtschaftlich stark sind. Ichmöchte ganz besonders Peer Steinbrück und Olaf Scholzerwähnen. Ihnen haben wir es zu verdanken, dassDeutschland in der Krise von 2009 seine industrielle Ba-sis behalten hat. Ohne Kurzarbeitergeld und Konjunktur-programm wäre vieles unwiederbringlich verloren ge-gangen. Gut, dass wir das verhindert haben.
Wir sollten aber natürlich auch nicht vergessen, dassjetzt ein strukturell ausgeglichener und im nächsten Jahrein vollständig ausgeglichener Haushalt nicht allein dasVerdienst der Bundesregierung und der Politik sind;denn wir profitieren zweifellos auch von der Schwächeder anderen.
Wir profitieren von historisch niedrigen Zinsen durchdie Euro-Krise. Statt wie in 2008 40 Milliarden Eurozahlt der Bund in 2014 voraussichtlich nur noch 30 Mil-liarden Euro Zinsen. Das sind zwar 25 Prozent weniger,aber es sind immer noch 10 Prozent der gesamten Steu-ereinnahmen des Bundes. Mit anderen Worten: 10 Pro-zent der Steuereinnahmen führen wir direkt an Kapital-anleger ab, die jahrzehntelang von wachsenderStaatsverschuldung profitiert haben. Diese Art der Um-verteilung können wir in Zukunft beenden.
Egal wie die jeweilige ökonomische Theorie zumSchuldenmachen ausfällt: Faktisch verengen Schuldenund Zinsen den Spielraum für die gesamte Politik. Siebegrenzen die Handlungsfähigkeit des Staates. Wir wol-len einen handlungsfähigen Staat. Deshalb ist ein ausge-glichener Haushalt ein Haushalt für die Zukunft diesesLandes.
Wir sagen Ja zur Schuldenbremse. Aber die Schul-denbremse darf keine Investitionsbremse werden.
Über die schwarze Null kann sich die schwäbischeHausfrau nur dann richtig freuen, wenn ihr Haus auch inSchuss ist.Ein ausgeglichener Haushalt und öffentliche Investi-tionen sind kein Widerspruch. Beides ist gleichzeitigmöglich, wenn wir Haushaltsüberschüsse erwirtschaftenund sie in die richtige Richtung lenken. Das tun wir. Wirinvestieren in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euromehr in Bildung, 3 Milliarden mehr in Forschung, 5 Mil-liarden Euro für die öffentliche Verkehrsinfrastrukturund 700 Millionen Euro in den Städtebau. Wir entlastenLänder und Kommunen,
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Thomas Oppermann
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damit sie selber wieder in die Lage kommen, in Bildungund Infrastruktur zu investieren.Ich sage ganz klar: Die 6 Milliarden Euro, die wir denLändern für die Entlastung in den Bereichen Kita, Bil-dung und Hochschule zugesagt haben, brauchen sie drin-gend; denn die Länder haben es natürlich schwerer alsder Bund, zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kom-men. Im Bund haben wir eine Personalkostenquote vongut 8 Prozent; in den Ländern haben wir eine Personal-kostenquote von gut 38 Prozent. Mit anderen Worten:Niemand will, dass die Länder für die Haushaltskonsoli-dierung Polizeibeamte, Lehrer oder Professoren nachHause schicken. Sie müssen diesen Personalbestand er-halten, teilweise sogar aufbauen. Das sollten wir berück-sichtigen und dafür sorgen, dass dieses Geld möglichstbald zu den Ländern kommt.
Wenn es neue Spielräume im Haushalt geben sollte,müssen wir über ihre Verwendung reden. Ich plädieredafür, dass wir dann Prioritäten setzen. Dazu gehören fürmich Investitionen in eine moderne Infrastruktur und inbessere Bildungschancen. Was die Infrastruktur angeht:Die 5 Milliarden Euro reichen vermutlich nicht aus füreine durchgreifende Verbesserung der Situation. Deshalbmöchte ich Herrn Dobrindt, der im Augenblick nicht an-wesend ist, zurufen: Wenn Sie den schnellstmöglichenWeg wählen, die Einbeziehung der Bundesstraßen in dieMaut zu erreichen, dann haben Sie dabei die volle Unter-stützung der SPD-Bundestagsfraktion.
Im Übrigen warten unsere Kommunen auf weitereEntlastung durch die Reform der Eingliederungshilfe.Schließlich sind wir uns auch darüber einig, dass es indieser Wahlperiode eine BAföG-Erhöhung geben muss.Es kann nicht sein, dass wir 10 Milliarden Euro für dieRente verwenden, aber am Ende kein Geld für BAföGhaben. Das muss zur Verfügung stehen, meine Damenund Herren.
Viele Menschen wundern sich beim Blick auf ihrenGehaltszettel, wie wenig Geld von einer Lohnerhöhungübrig bleibt. Der Grund dafür ist die Steuerprogression.Sie ist übrigens eine Errungenschaft des modernen Staa-tes, weil sie ganz im Sinne der sozialen Marktwirtschaftsicherstellt, dass die starken Schultern mehr tragen alsdie schwachen, und weil sie dadurch die Kluft zwischenden Gewinnern und Verlierern unserer Gesellschaft ver-kleinert. Aber wenn die Progression so gestaltet ist, dassLohnerhöhungen für Facharbeiter nach Abzug der Steu-ern gerade zum Erhalt der Kaufkraft reichen, dann istdas weder fair noch gerecht. Deshalb bin ich der Mei-nung, dass wir über den Abbau der kalten Progressionreden müssen, aber – das sage ich mit Blick auf die De-batte, die wir gestern hatten – ohne solide und vollstän-dige Gegenfinanzierung wird das nicht möglich sein.Auf keinen Fall wollen wir, dass nach einer Tarifreformweniger Geld für Investitionen, Bildung, Infrastrukturund kommunale Entlastung zur Verfügung steht.
Wir brauchen beides: ein gerechtes Steuersystem und In-vestitionen für die Zukunft.Meine Damen und Herren, in den ersten hundert Ta-gen haben die Ministerien gute Arbeit gemacht; in dennächsten hundert Tagen wird das Parlament die Haupt-rolle spielen. Wir werden ein halbes Dutzend wichtigerGesetze beraten und verabschieden. Gestern hat das Ka-binett die EEG-Reform beschlossen. Bei dieser Reformgeht es um nichts weniger als die Akzeptanz der Ener-giewende. Ich sage: Wenn wir mit der Reform weiter zu-gewartet hätten, dann wäre absehbar gewesen, dass die-ses Jahrhundertprojekt im Volkszorn der Verbraucherund in der Wut über die Abwanderung industrieller Ar-beitsplätze untergegangen wäre. Ich bin deshalb froh,dass Sigmar Gabriel das verhindert hat.
Er hat es geschafft, gegenüber einer Vielzahl von Par-tikularinteressen das allgemeine Wohl durchzusetzen. Erhat es geschafft, gegen die Europäische Kommission dieIndustrierabatte zu verteidigen. Frau Göring-Eckardt,das hat doch nichts mit Lobby für die Industrie zu tun.
Das ist Lobby für hochwertige industrielle Arbeitsplätzein Deutschland.
Ich lade Sie gerne zu einer Personalversammlung einesUnternehmens ein, das stromintensiv produziert und iminternationalen Wettbewerb steht.
Dann können Sie diese Thesen ja noch einmal vortragen.Wir begrenzen den Anstieg der Strompreise für Ver-braucher und erhalten die Fähigkeit der stromintensivenIndustrie, zu wettbewerbsfähigen Bedingungen inDeutschland weiter zu produzieren. Das hinzubekom-men, war gewiss ein politischer Kraftakt. Dafür dankeich dem Wirtschaftsminister.
Schon in der letzten Woche hat das Kabinett mit demMindestlohn eines der wichtigsten Projekte aus dem Ko-alitionsvertrag auf den Weg gebracht. Der flächende-ckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro bedeutetfür Millionen von Menschen in diesem Land eine ganzspürbare direkte Verbesserung ihres Lebens. Die meistender 4 Millionen Menschen, die weniger als 8,50 Euroverdienen, bekommen die größte Lohnerhöhung ihres
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Thomas Oppermann
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Lebens. Aber nicht nur das: Ihrer Arbeit werden Wertund Würde zurückgegeben.
Dass wir jetzt für alle Arbeitnehmer eine gesetzlicheLohnuntergrenze bekommen, ist eine der wichtigstenSozialreformen der letzten Jahrzehnte. Der Mindestlohngehört in eine lange Reihe fortschrittlicher sozialer Ge-setze in Deutschland. Das begann 1883 mit der Absiche-rung im Krankheitsfall; 1927 gab es die Absicherung beiArbeitslosigkeit. 1957 kam die dynamische Rente. 1995kam der Schutz bei Pflegebedürftigkeit, der jetzt vonGesundheitsminister Gröhe und der Koalition auf eineneue Stufe gehoben wird. Diese Reformen sollten dieArbeitnehmer dort schützen, wo sie der freie Markt nichtschützt. Jetzt ergänzen wir die soziale Marktwirtschaftum einen Schutz, der bisher gefehlt hat: der Schutz vorHungerlöhnen, vor Löhnen, bei denen man den ganzenTag arbeiten muss, von denen man aber nicht lebenkann. Diese Löhne wird es in Zukunft nicht mehr geben.Ich bedanke mich bei Andrea Nahles dafür, dass sie dasso schnell vorangetrieben hat.
In der Gesetzesberatung werden wir alles besprechen.Aber wir sollten nicht so tun, als könnten wir einfachganze Branchen oder Altersgruppen vom Mindestlohnausnehmen, ohne dass neue grobe Verzerrungen auf demArbeitsmarkt herbeigeführt würden. Dann entwickelnfindige Unternehmer daraus sofort wieder ein Geschäfts-modell. Solche Anreize wollen wir nicht. Diese Anreizewollen übrigens auch die Arbeitgeber nicht: Ein Unter-nehmer, der ordentliche Löhne zahlt, will keine Konkur-renz durch Unternehmer, die mit Billiglöhnen arbeiten.
Gesetzliche Mindestlöhne und Tarifverträge sorgen fürfairen Wettbewerb und gute Sozialpartnerschaft. Beideswollen wir stärken.Genauso wie der Mindestlohn ist auch das Rentenpa-ket ein Gebot der Gerechtigkeit und des Respekts. Denneine erfolgreiche Wirtschaft hängt nicht nur davon ab,dass wir kreative Unternehmer und eine hohe Produkti-vität haben, sondern sie hängt auch davon ab, dass dieMenschen das Gefühl haben, dass es in diesem Landefair und gerecht zugeht. Deshalb schließen wir mit derMütterrente eine Gerechtigkeitslücke. Wir wollen, dassdie Lebensleistung von Müttern nicht nur in Sonntagsre-den gewürdigt, sondern auch finanziell honoriert wird.
Das gilt auch für die Langzeitarbeitnehmer. Von allenMenschen, die 2012 in Altersrente gegangen sind, tatendies 39 Prozent bis zum Alter von 63. Dabei nehmen siezum Teil erhebliche Abschläge bei ihrer Rente in Kauf.Wer im Alter von 63 dann schon 45 Jahre gearbeitet hat,der empfindet solche Abschläge als eine ganz grobe Un-gerechtigkeit. Viele von denen haben schon mit 15 oder16 zu arbeiten begonnen. Diesen Arbeitnehmern wurdenichts geschenkt. Die mussten hart arbeiten, und deshalbwollen wir, dass sie jetzt nach 45 Beschäftigungsjahrenschon mit 63 eine abschlagsfreie Rente bekommen.
Ich finde, wir sollten damit aufhören, Menschen, die45 Jahre gearbeitet haben, als „potenzielle Frührentner“zu bezeichnen. Viele von denen haben länger gearbeitetals die, die regulär in Rente gehen.
Ich sehe nicht die Gefahr einer Entlassungswelle; diedarf und wird es nicht geben. Erstens haben die Arbeit-geber es selber in der Hand. Ich glaube nicht, dass sie er-fahrene und qualifizierte Arbeitnehmer vor Rentenein-tritt in die Arbeitslosigkeit schicken. Zweitens werdenwir im parlamentarischen Verfahren dafür sorgen, dasses keine Vorteile bringt, wenn Arbeitnehmer zwei Jahrevor der Rente freiwillig in die Arbeitslosigkeit gehen.Drittens gibt es bei vielen den Wunsch, den Übergangvon der Arbeit in die Rente zwischen 60 und 67 undauch in der Zeit danach flexibler zu gestalten. Wir sindbereit, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegenaus der Union dafür nach Wegen zu suchen; da sind wirgesprächsbereit. Es gilt natürlich das Struck’sche Gesetz:Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es in ihn hi-neingekommen ist. Aber es gibt auch ein zweites Gesetz.Dieses Gesetz besagt: Kein Gesetzentwurf aus dem Ka-binett darf in der parlamentarischen Beratung schlechterwerden.
Es gilt sozusagen auch ein Verschlechterungsverbot. Da-ran werden wir uns orientieren müssen.
Wir beschränken uns aber nicht auf ökonomischeStärke und soziale Gerechtigkeit. Wir wollen auch, dassDeutschland ein modernes, tolerantes und weltoffenesLand bleibt. Mit dem Doppelpass und der Einführung ei-ner Frauenquote in Aufsichtsräten schaffen wir Meilen-steine im Staatsbürgerschaftsrecht und bei der Gleich-stellung von Männern und Frauen. Darauf haben dieMenschen in diesem Lande lange gewartet.
Ohne die doppelte Staatsbürgerschaft würden in dennächsten Jahren 400 000 junge Menschen, die inDeutschland geboren und aufgewachsen sind, zu einerschwerwiegenden Entscheidung gezwungen. Dabei ha-ben viele von ihnen zwei Herzen in einer Brust. Zusam-men mit der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz binich der Meinung, dass die Integration in Deutschland er-folgreicher wird und besser gelingt, wenn wir die jungenMenschen nicht mehr zu dieser Entscheidung zwingen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2337
Thomas Oppermann
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Justizminister Heiko Maas und Innenminister de Maizièrehaben dazu einen sehr guten und unbürokratischen Kom-promiss erarbeitet.Die beiden Minister sind auch angesprochen, wenn esum das Thema Vorratsdatenspeicherung geht. Der Euro-päische Gerichtshof hat jetzt entschieden. Wenn sowohldas höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsge-richt, als auch das höchste europäische Gericht die gel-tenden Formen der Vorratsdatenspeicherung verwerfen,dann sollten wir einen Moment innehalten und überle-gen, was das bedeutet. Ich glaube, dass ein schneller na-tionaler Alleingang jetzt nicht die richtige Antwort ist.
Wir müssen genau überlegen, wie wir das Verhältnis vonFreiheit und Sicherheit bestimmen wollen. Wir müssensehr sorgfältig überlegen: Wie viel Freiheit sind wir be-reit herzugeben für mehr Sicherheit? Das ist die Grund-lage, auf der wir jetzt miteinander sprechen müssen,wenn es darum geht, wie mit der Situation umzugehenist. Ich bin sicher, dass wir am Ende eine gute Entschei-dung treffen werden.Meine Damen und Herren, Manuela Schwesig ist dieerste Frauenministerin in Deutschland, die mit der Mehr-heit dieser Koalition eine gesetzliche Frauenquote fürbörsennotierte Unternehmen auf den Weg bringt.
Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich künftigselbst verbindliche Vorgaben machen. – Jetzt müsstenmeine Freunde von der CDU/CSU eigentlich klatschen.
– Gut. – Für die einen gilt eine gesetzliche Regelung, fürdie anderen eine Selbstverpflichtung. Das Schöne daranist: Wir können sehen, was besser funktioniert.
Die Unternehmen werden jetzt in einen Wettbewerb umdie qualifiziertesten Frauen eintreten.
Ich sage Ihnen: Dieser Wettbewerb wird nicht scheitern;denn noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen inDeutschland wie heute.
Meine Damen und Herren, den Kommunen, die der-zeit mit steigenden Mieten und wachsenden sozialenProblemen zu kämpfen haben, sagen wir ganz klar: Wirlassen sie nicht im Stich! Deshalb haben wir schnelleHilfen für die Städte verabredet, die sich allein nicht hel-fen können. Bauministerin Barbara Hendricks wird dazudie Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ mehr alsverdreifachen. Damit helfen wir auch den Städten, dievon einer punktuell konzentrierten Zuwanderung beson-ders betroffen sind.Und, ja, wir brauchen in den großen Ballungszentrendie Mietpreisbremse; nicht überall, aber wir brauchen siedort, wo alteingesessene Mieter durch steigende Mietenaus ihrem Stadtviertel verdrängt werden. Wir brauchensie dort, wo die soziale Mischung in unseren Städten be-droht ist. Und wir brauchen sie nicht zuletzt dort, wo Fa-milien keine Wohnung mehr in der Nähe von Kita undSchule finden. Deshalb muss es in bestimmten Fällen dieMöglichkeit geben, den dramatischen Anstieg der Mie-ten zu stoppen. Das tun wir.
Genauso müssen wir auf dem Markt der Immobilien-makler aufräumen. Dort gibt es eine große Ungerechtig-keit: Viele Menschen bezahlen Maklergebühren, obwohlsie nie in ihrem Leben einen Makler beauftragt haben.Hier führen wir jetzt das Prinzip „Wer die Musik be-stellt, der bezahlt sie auch“ ein. Das ist soziale Markt-wirtschaft.
In den nächsten Wochen und Monaten kommt einigesauf uns zu. Bis zur Sommerpause werden wir in denAusschüssen und im Plenum intensiv über die Gesetz-entwürfe beraten. Ich freue mich auf die Beratungen inder Koalition, auf die Beratungen mit Volker Kauder undmit Gerda Hasselfeldt. Ich glaube, die Große Koalitionwird am Ende zeigen, dass wir auch bei schwierigen Ge-setzen zu vernünftigen Kompromissen kommen. Daswird Deutschland ökonomisch stärker und moderner ma-chen, und es wird das Leben der Menschen in diesemLande Stück für Stück verbessern.Vielen Dank.
Volker Kauder ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!In der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zumStart dieser Großen Koalition und gestern in der Rededes Bundesfinanzministers zur Einbringung des Haus-halts 2014 ist eine zentrale Botschaft dieser Großen Ko-alition immer wieder formuliert worden: Wir wollendurch unsere gemeinsame Arbeit in dieser Koalition er-reichen, dass es den Menschen nach diesen vier Jahrenbesser geht als jetzt. Das ist ein ambitioniertes Ziel, weil– darauf hat Thomas Oppermann zu Recht hingewie-sen – unser Land schon jetzt gut dasteht und weil es denMenschen schon jetzt objektiv und im Vergleich zu den
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2338 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Volker Kauder
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Menschen in anderen Ländern in Europa und in der Weltgut geht.Was ist der Maßstab dafür, dass wir sagen können:„Es geht den Menschen besser“? Da kann man unter-schiedliche Punkte formulieren. Ich glaube, der entschei-dende Punkt ist, dass die Menschen Arbeit haben und diejunge Generation Chancen hat und damit Jung und Alt,auch die mittlere Generation, jeder in unserem Land,durch eigene Arbeit ihr Leben gestalten können. Das istes, was soziale Marktwirtschaft verlangt. Das hat etwasmit Würde zu tun. Dass jeder aus eigener Kraft sein Le-ben gestalten kann, das ist unser Ziel in dieser GroßenKoalition.
Um das zu erreichen, brauchen wir unsere industrielleBasis. Die Bundeskanzlerin hat vorhin darauf hingewie-sen, dass bei uns der industrielle Sektor noch gut 20 Pro-zent bei der Wertschöpfung ausmacht. Wenn man dieDienstleistungen, die zu diesem Bereich gehören, hinzu-rechnet, ist der Anteil sogar noch höher. Ich bin außeror-dentlich froh, dass Prognosen – daran sieht man übri-gens, wie das mit Prognosen so ist –, die einmalaufgestellt worden sind, dass wir auf dem direkten undschnellen Marsch von der Industriegesellschaft in dieDienstleistungs- und Informationsgesellschaft seien,Gott sei Dank nicht eingetreten sind. Überall in Europakönnen wir es beobachten: Dort, wo es mit dem indus-triellen Sektor nicht stimmt, geht es den Menschen nichtso gut wie bei uns in der Bundesrepublik Deutschland.
Deshalb ist es notwendig und wichtig, die wirtschaft-liche Position, die wirtschaftliche Stärke unseres Landeszu erhalten. Die wirtschaftliche Stärke hängt natürlichvon einigen Faktoren ab. Gerade in einem Industrielandist die Energieversorgung zentral. Man schaut in derganzen Welt auf uns, ob ein industrialisiertes Land wieDeutschland die Energiewende so hinbekommt, dass dieWirtschaft weiterhin gut laufen kann. Das ist wahr-scheinlich eines der größten Vorhaben, das diese GroßeKoalition bewältigen muss.Erste Schritte wurden mit der Reform des EEG ge-macht. Natürlich kann man sich wünschen, dieses oderjenes etwas schneller zu erreichen. Aber wir wissen inunserem Land doch nicht nur aus der Diskussion überdas EEG, dass wir in diesem föderalen Staat nur danngute Lösungen finden, wenn Bund und Länder zusam-men zu einem Ergebnis kommen. In der letzten Wochegab es hier durchaus einen Durchbruch. Wenn wir dannin zwei Jahren zum Ausschreibungsmodell kommen,sieht die Situation beim EEG ohnehin noch einmal an-ders aus.Ich wünsche mir jetzt, dass im Gesetzgebungsverfah-ren auf jeden Fall – da stimme ich Thomas Oppermannzu – keine Verschlechterungen eintreten, sondern viel-leicht noch Verbesserungen und dass jeder seinen Bei-trag dazu leistet, dafür auch im Bundesrat die erforderli-chen Mehrheiten zu bekommen. Wir haben in der letztenLegislaturperiode zweimal Anläufe genommen und hierim Bundestag Beschlüsse gefasst, um das EEG zu verän-dern und zu einer kostengünstigeren Situation zu kom-men, und sind zweimal im Bundesrat gescheitert. Des-wegen kann man es gar nicht hoch genug einschätzen,wenn es jetzt gelingt, die Länder mit ins Boot zu neh-men.
Eine der großen Sorgen nicht nur unserer Wirtschafts-politiker in beiden Fraktionen, sondern von uns allenwar, dass unsere wirtschaftliche Stärke durch Entschei-dungen der EU-Kommission gefährdet werden könnte.Man hat es eigentlich gar nicht glauben können, dasssich eine EU-Kommission auf den Weg macht und dieje-nigen in Europa, die stark sind und damit ganz Europamitnehmen können, womöglich schwächen will. Ichweiß, welch schwierige Verhandlungen das waren. HerrWirtschaftsminister Gabriel, wir sind als CDU/CSU-Bundestagsfraktion sehr vorsichtig mit Lob vor allem ansozialdemokratische Wirtschaftsminister. Wir sind dasehr zurückhaltend.
Aber wir sind auch fair und anständig im Umgang mitei-nander. Deswegen sage ich Ihnen: Kompliment für das,was Sie in Brüssel für unsere Wirtschaft und für unserLand erreicht haben.
Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass es wirt-schaftlich weitergeht, heißt aber auch: Investitionen indie Zukunft. Wie die Zukunft unserer Wirtschaft aus-sieht, kann man sich in diesen Tagen auf der Messe inHannover sehr genau anschauen. Bei aller Faszinationüber das, was man dort erleben kann, zum Beispiel wieRoboter miteinander umgehen, stellen sich aber auchgroße Fragen. Man fragt sich: Gelingt es uns in Deutsch-land, auch in Zukunftsbereichen und nicht nur in derklassischen Produktion Fuß zu fassen? Alles, was dieseRoboter miteinander machen, was ihnen antrainiertwurde, wird von irgendwoher, von großen Rechenzen-tren aus gesteuert. Diese werden heute als Cloud be-zeichnet, „Wolke“. Die Unternehmer sagen uns, dass esin Europa keine einzige Institution gibt, die Clouds inder notwendigen Größe zur Verfügung stellt. Dann istman überrascht – vielleicht auch der eine oder anderevon Ihnen –, wenn man hört, dass jemand, von dem mangeglaubt hat, er sei ein digitaler Buchhändler oder Wa-renversender, der größte Cloud-Besitzer ist. Ich sprechedabei von Amazon. Amazon ist kein europäisches undschon gar kein deutsches Unternehmen. Die Wirtschaftbraucht diese Unternehmen aber, damit die Abläufefunktionieren.Jetzt wird auf uns und vor allem auf den Bundes-innenminister die Frage zukommen: Wie kann man un-
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serer Wirtschaft helfen, damit das, was sich in der Cloudabspielt, auch sicher ist? Ich möchte darum bitten, dasswir uns alle folgende Frage stellen: Was können wir ma-chen, damit es nicht nur ein oder zwei Monopolistengibt, die diesen Markt beherrschen, sondern wir selberzum Zug kommen? Wer einen so starken industriellenSektor hat, muss nach meiner Auffassung die digitalenVoraussetzungen schaffen, und zwar möglichst im eige-nen Land, und darf nicht von anderen abhängig sein. Da-für müssen wir unsere ganze Kraft einsetzen.
Wir müssen für Sicherheit sorgen und Kraftanstrengun-gen unternehmen, um hier voranzukommen.Mit diesem Bundeshaushalt leisten wir einen Beitragdazu, dass es den Menschen besser geht. WolfgangSchäuble hat darauf hingewiesen, dass wir in dieser Le-gislaturperiode ein ambitioniertes Projekt haben, näm-lich einen Haushalt ohne neue Schulden vorzulegen.Dieses Projekt beginnt in diesem Jahr. 2015, 2016 und2017 stehen wir dann vor der großen Herausforderung,keine neuen Schulden zu machen. Lieber WolfgangSchäuble, herzlichen Dank, dass dieser Weg gegangenwurde. Eines muss aber klar sein – das sage ich an diegesamte Koalition gerichtet –: Wolfgang Schäuble istdarauf angewiesen, dass wir alle mitmachen. Das kannnicht nach dem Motto geschehen: Da müht sich einer, ei-nen Haushalt ohne Schulden zu machen, und andereüberlegen, wie man neue Projekte in den Haushalt ein-bringen kann. – Deswegen sage ich zu, dass wir in die-sen Haushaltsplanberatungen die Vorgaben nicht über-schreiten werden. Wir werden eher versuchen, nochetwas weniger Ausgaben zu produzieren. Es ist die Auf-gabe einer Regierungskoalition, einen solch erfolgrei-chen Weg zu unterstützen. Das werden wir auch tun.
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung– Wolfgang Schäuble hat völlig zu Recht darauf hinge-wiesen – spielt auch Zuverlässigkeit eine Rolle. LieberKollege Oppermann, man kann hier ruhig einmal sagen,dass die Zusammenarbeit mit Ihnen gut ist und wir un-sere Projekte gut voranbringen. Allen Formulierungen indem einen oder anderen Organ oder Magazin zum Trotzbin ich sicher: Wir werden diese Große Koalition zu ei-nem genauso großen Erfolg führen wie die letzte.
– Frau Göring-Eckardt, es tut mir ja außerordentlichleid. Ich hätte mich genauso gefreut, wenn ich hätte sa-gen können, dass wir gut zusammenarbeiten. Aber Siewollten nicht. Daher ist jetzt Schluss mit dem Thema.
Die Grünen mögen sich beruhigen. Wir können dasnachher noch bilateral besprechen.Die Wirtschaft muss sich darauf verlassen können,dass sie die großen Investitionen, von denen ich vorhingesprochen habe, auch finanziert bekommt. Nicht ausJux und Tollerei, sondern um die Wirtschaft in dieseLage zu versetzen, haben wir gesagt: Das Geld muss inunseren mittelständischen Betrieben und in der Wirt-schaft bleiben. Deshalb gibt es in dieser Legislatur-periode keine Steuererhöhungen. Denn alle Steuer-erhöhungen, auch eine Erhöhung des sogenanntenSpitzensteuersatzes, schlagen bei den familiengeführtenUnternehmen sofort durch. Deswegen sage ich es an die-ser Stelle noch einmal: Es gibt in dieser Legislatur-periode keine Steuererhöhungen, weder bei der Einkom-mensteuer noch bei der Vermögensteuer oder derErbschaftsteuer.
Das muss ich so klar betonen, um auf einen Punkt ein-gehen zu können: Ich teile die Auffassung, dass wir denMenschen bei der kalten Progression durchaus etwas zu-rückgeben könnten.
Das ist übrigens eine Auffassung, die Sie, lieber ThomasOppermann, in der letzten Legislaturperiode bedauerli-cherweise nicht geteilt haben.
– Augenblick, keine Aufregung! Wenn Sie diese Auffas-sung geteilt hätten, wären wir im Bundesrat letztes Jahrschon weiter gekommen.
Jetzt wird die Diskussion neu geführt. Ich sage in allerBestimmtheit: Es wird, ganz egal, welches Projekt ange-dacht wird, auf keinen Fall eine Gegenfinanzierungdurch Steuererhöhungen geben. Wer das will – ich habedas ein bisschen herausgehört –, muss seine Pläne gleichbegraben.
Es nützt relativ wenig – darüber sollten wir uns viel-leicht demnächst einmal unterhalten –, ständig zu sagen:„Wir könnten uns dies oder jenes vorstellen“, und dabeiden heimlichen Dissens zu haben, dass die einen Steuer-erhöhungen wollen und die anderen nicht. Dann lassenwir das mit der kalten Progression lieber. Steuererhöhun-gen sind kein Ziel und keine Maßnahme.Wenn wir die kalte Progression abmildern und dieKommunen damit weniger Steuereinnahmen haben, darfman aber nicht jammern: „Die Kommunen brauchenGeld“, und erwarten, dass der Bund dies alles kompen-siert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind bereit,den Kommunen zu helfen, und wir sind auch bereit, denLändern zu helfen; wir haben dafür im Haushalt Mittelvorgesehen. Aber eines geht beim besten Willen nicht:dass man das austarierte System der Finanzierung durch
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Steuern im Föderalismus dieses Landes völlig auf denKopf stellen will. Steuermehreinnahmen werden geteiltnach dem Schlüssel: 48 oder 49 Prozent bekommt derBund, 52 oder 51 Prozent die Länder. Der Bund hat denkleineren Anteil, die Länder den größeren Anteil. Aberwenn es um Steuerentlastungen, um Steuersenkungengeht, heißt es gern: Da beteiligen wir uns nicht. – Mankann nicht bei Mehreinnahmen vom Verteilungsschlüs-sel profitieren, aber wenn es, wie bei der Abmilderungder kalten Progression, um Steuersenkungen geht, er-warten, dass der Bund alles kompensiert. Ich kann nursagen: Eine solche Verschiebung dürfen wir nicht mit-machen; sonst kommt das gesamte System ins Wanken.
Da sind wir uns einig, lieber Thomas Oppermann; dannkann man das aber auch durch Beifall entsprechend zei-gen. – Damit wäre dieser Punkt auch geklärt. Man mussbestimmte Dinge klarmachen, damit es da keine Pro-bleme gibt.Der letzte Punkt, auf den ich noch zu sprechen kom-men möchte: Damit es den Menschen besser geht nachdiesen vier Jahren, muss es auch gerecht zugehen. In die-sem Zusammenhang wird über das Thema Generatio-nengerechtigkeit gesprochen. Auch beim Thema Gene-rationengerechtigkeit kann man mehrere Faktorenansprechen. Der erste Punkt für Generationengerechtig-keit ist, dass wir den jungen Menschen – es sitzen heutesehr viele junge Menschen auf der Tribüne – eine an-ständige Ausbildung ermöglichen; denn das ist die ein-zige Chance, dass sie nachher ein gutes Leben führenkönnen.
Dafür sind – das haben wir im Rahmen der Föderalis-musreform beschlossen – zunächst einmal die Länderzuständig. Der Bund ist bereit, einen Beitrag dazu zuleisten. Der ist aber nur denkbar, wenn wir uns auch in-haltlich beteiligen können. Die Länder können vomBund nicht erwarten, dass er Geld gibt, sich aber ansons-ten raushält. Das ist nicht der Weg, den wir hier im Deut-schen Bundestag beschreiten können.
Die Ausbildung, auch über Universitäten, ist der erstePunkt.Der zweite Punkt ist, dass wir der jungen Generationdie Möglichkeit geben müssen, ihre Vorstellungen vonPolitik und davon, wie sie leben wollen, auch umzuset-zen. Das wird ohne Finanzmittel nicht gehen. Jetzt sageich einmal Folgendes: Die Diskussion, die jetzt darübergeführt wird, in welchem Umfang die Rentenpakete dieChancen der jungen Generation beeinträchtigen, ist dieeine Seite. Viel entscheidender als diese Rentenpakete,die natürlich auch finanziert werden müssen, ist aber,dass wir der jungen Generation nicht Jahr für Jahr neueSchulden aufladen; denn diese Schulden haben etwasUnangenehmes: Sie verlangen Zinsen und Rückzahlung;daran kann man nichts ändern. Deswegen sage ich: Beialler Aufgeregtheit und auch bei manchem richtigenHinweis in der Rentendebatte sollten wir klar und deut-lich machen: Das, was Wolfgang Schäuble mit dem aus-geglichenen Haushalt vorlegt, hat mehr Bedeutung fürdie Generationengerechtigkeit als vieles andere. Dasmuss klar und deutlich so gesagt werden; da sollten wiruns überhaupt nicht irritieren lassen.
Ein Exportland mit einem großen industriellen Sektorwie Deutschland braucht natürlich Märkte. In diesemZusammenhang wird oft über die Stärkung der Binnen-kaufkraft gesprochen. Das ist auch okay. Du, Thomas,und ich, wir wissen aber, dass in unseren Heimatländernso viele Autos gebaut werden, dass man sie durch nochso viel Binnenkaufkraft gar nicht auf unseren Heimat-markt bringen kann. Deswegen brauchen wir Märkte.Der europäische Markt spielt hier nach wie vor eine zen-trale Rolle als Rückgrat unserer Exportnation. Es gibtnatürlich den amerikanischen Markt, den chinesischenMarkt und andere; aber wir brauchen ein festes Stand-bein, um nicht von diesen Märkten abhängig zu sein.Das ist mit ein Grund dafür, dass wir uns darum bemü-hen – im Übrigen durchaus erfolgreich –, Europa wiederflottzumachen. Das ist das zentrale Thema: Europa musswieder wettbewerbsfähig werden.Man kann ja sagen: In der Vergangenheit sind Fehlerpassiert. Das gibt es. Wenn man Fehler aber mehrfachhintereinander macht, dann ist das kein Fehler mehr,sondern Dummheit. Ein entscheidender Fehler war, dasswir uns immer wieder nicht an die Regeln gehalten ha-ben, die wir uns selber gegeben haben. Jetzt wird es end-lich einmal Zeit, damit es auch jeder kapiert, dass dieRegeln und Gesetze, die wir uns gegeben haben, aucheingehalten werden. Deshalb habe ich – Wahlkampf hinoder her – wenig Verständnis dafür, dass gerade der Prä-sident des Europäischen Parlaments mit solchen Regelnund Gesetzen etwas lax umgeht. Das sind falsche Si-gnale an Frankreich.
Jedes Signal an Frankreich, dass man die Regeln nichteinhalten muss, wird doch in Griechenland und an-derswo aufmerksam verfolgt. Deswegen kann ich nur sa-gen: Regeln, die man sich gegeben hat, müssen eingehal-ten werden. Nur so erreichen wir Zuverlässigkeit ineinem notwendigen Prozess.
Ein letzter Punkt zum Thema Märkte: Auch das mitden Amerikanern weiter zu verhandelnde und noch ab-zuschließende Freihandelsabkommen ist bedeutend.Man kann jetzt darüber philosophieren, wie viele Ar-beitsplätze das schaffen wird oder nicht. Wenn Freihan-delsabkommen keinen Sinn hätten, dann hätte man siemit anderen nicht geschlossen. Sie haben einen Sinn.Wir sind dabei, ein solches Abkommen mit anderen Län-dern wie schon mit Japan abzuschließen; mit Amerikahalte ich das auch für notwendig.Es ist aber auch klar, dass wir die Sorgen und Ängste,die in diesem Zusammenhang aufkommen, diskutierenund ernst nehmen müssen, dass wir mit den Menschen
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darüber reden müssen. Wir müssen auch klarmachen,was mit einem solchen Abkommen beabsichtigt ist. Wirdürfen die Argumentationshoheit nicht denen überlas-sen, die aus ideologischen Gründen gegen ein Freihan-delsabkommen sind. Das darf auf keinen Fall geschehen.
Wir müssen die Sorgen ernst nehmen. Es ist richtig, dasvor Ort zu erklären. Das können nicht allein Kommis-sion oder Regierung machen. Vielmehr werden wir inunseren Wahlkreisen darauf angesprochen. Deswegenhaben wir in der Koalition beschlossen, uns an der Dis-kussion offensiv zu beteiligen. Wir haben in der Koali-tion, zwischen SPD- und CDU/CSU-Bundestagsfrak-tion, eine Arbeitsgruppe vereinbart, in der Kolleginnenund Kollegen aus allen Bereichen sind, die mit diesemThema zu tun haben, um uns in diesen Prozess einzu-klinken und mit zu argumentieren. Wir werden diesesThema nicht einer europäischen Verhandlungskommis-sion überlassen. Es ist für unser Land viel zu wichtig, alsdass wir es im Bundestag, in den Koalitionsfraktionenignorieren könnten. Ich bin dankbar dafür, dass es gelun-gen ist, hier gemeinsam einen Weg zu finden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden diesenHaushalt in unseren Fraktionen, in der Koalition undauch in diesem Parlament intensiv diskutieren und zumAbschluss bringen. Dann freuen wir uns schon auf dennächsten Haushalt, der bald kommen wird, den Haushalt2015. Ich sage den Haushältern beider Fraktionen einenherzlichen Dank für ihre Arbeit und ihre Mühen.
– Ich sage auch denjenigen in der Opposition, die unsauf diesem Weg begleiten, einen herzlichen Dank. WennSie uns Steine in den Weg legen, Frau Roth, können Sienicht erwarten, dass ich mich dafür bedanke. Wenn Siekonstruktiv sind, bedanke ich mich schon jetzt bei Ihnenfür Ihre Arbeit.Diese Haushalte werden in den nächsten Jahren im-mer wieder Maßstab und Beurteilungsfaktor für unssein; denn daran können wir sehen, dass es den Men-schen nach vier Jahren Großer Koalition in diesem Landbesser geht.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch für die
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Jetzt wollen wir einmal ehrlichübers Geld reden.
„Die Zocker sind zurück“, heißt es im Handelsblatt ineinem Artikel vom Vortag. Das stimmt leider. Es werdenwieder hochriskante Geschäfte mit gefährlichen Schrott-anleihen gemacht. Firmen, die nur eine eingeschränkteKreditwürdigkeit besitzen, bekommen von den Geldhäu-sern wieder Geld. Das Geschäft mit hochriskanten Kre-diten hatte im Jahr 2008, dem Krisenjahr in Europa, einVolumen von fast 80 Milliarden Dollar, vier Jahre spätervon 90 Milliarden Dollar. Auch die verschachtelten Kre-ditverbriefungen, die 2008 ein Auslöser der Finanzkrisewaren, verkaufen sich wieder prächtig. Die Vorläufer ei-ner neuen Finanzkrise sind für jeden, der es sehen will,sichtbar. Sie, meine Damen und Herren von der Regie-rungsbank, dürfen davor nicht die Augen verschließenund hier heile Welt spielen.
Frau Merkel, Sie haben sich hier als Vorreiterin derRegulierung dargestellt. Das stimmt nicht; das lässt sichin der Realität nicht nachweisen. Ganz im Gegenteil:Alle guten Vorsätze, die Finanzmärkte zu regulieren,scheinen vergessen. Ich darf Sie an Ihre eigenen Worteerinnern. Sie sagten am 5. Oktober 2008 – Zitat –:Wir sagen außerdem, dass diejenigen, die unverant-wortliche Geschäfte gemacht haben, zur Verantwor-tung gezogen werden.Dafür wird die Bundesregierung sorgen. Das sindwir auch den Steuerzahlern in Deutschland schul-dig. Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dassihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bun-desregierung ein.Frau Merkel, ich frage Sie: Wer wurde denn nun wirk-lich zur Rechenschaft gezogen? Warum dürfen Zockerjetzt schon wieder unverantwortliche Geschäfte ma-chen? Warum haben Sie die Finanzmärkte nicht wirksamreguliert?
Ich kann Ihnen die Antwort geben: Sie haben vor diesenFinanzmärkten bedingungslos kapituliert. Das werdenwir nicht akzeptieren.
Sie haben den Banken sogar noch goldene Rettungs-schirme aufgespannt. Auch hierzu gibt es ein Zitat, jetztvon Herrn Schäuble. Am 24. Juli 2010 erklärten Sie:Solange Angela Merkel Bundeskanzlerin ist undich Finanzminister bin, würden Sie diese Wette ver-lieren. Die Rettungsschirme laufen aus. Das habenwir klar vereinbart.Die Wahrheit sieht ganz anders aus. Der RettungsschirmESM existiert und arbeitet streng abgeschirmt von derÖffentlichkeit im Interesse der Banken. Wir wollen end-lich wissen, was mit unserem Geld geschieht, meine Da-men und Herren.
In der Süddeutschen Zeitung stand Anfang der Wocheein Artikel mit der Überschrift „Der Geruch absterben-der Demokratie“. Ich zitiere daraus:
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Diese Gegenwart bringe eine Art „Überbürger“ her-vor, der den Restbürgern keine Rechenschaft mehrschuldig sei. Verfassungen und soziale Überein-künfte haben Grenzen, die Finanzwelt nicht.Meine Damen und Herren von der Regierung, Ihre be-dingungslose Kapitulation vor den Finanzeliten, den„Überbürgern“, bedroht die Existenzen von Millionenvon Menschen in unserem Land, in Europa und in derganzen Welt. Das können wir nicht länger hinnehmen.
Ihre bedingungslose Kapitulation vor den Finanzelitenbringt reihenweise Demokratien in Europa ins Wanken.Sie müssen sich doch fragen: Warum erstarken faschisti-sche, rassistische und antisemitische Parteien in vielenStaaten Europas? Die letzten Wahlen haben es gezeigt.Sie erstarken, weil die herrschende Politik in Brüsselund in Berlin versagt hat, weil die Politik ihre Verspre-chen immer wieder gebrochen hat.Immer mehr Menschen gewinnen den Eindruck, dassdie Politik ihnen keine Sicherheit vor den Finanzmärktenbieten kann. Sie fühlen sich von den „Überbürgern“ aufdem Finanzmarkt, auf dem Arbeitsmarkt und auf demWohnungsmarkt schutzlos ausgeliefert. Wenn vieleMenschen die Hoffnung verlieren, dann müssen wir unsdoch fragen: Was folgt daraus? Hoffnungslosigkeit för-dert entweder Aggression oder grenzenlose Gleichgül-tigkeit gegenüber der Demokratie. Das müssen wir ge-meinsam verhindern.
Herr Schäuble erklärt als Finanzminister immer gern,dass die anderen Staaten die Finanzmarktregulierungnicht wollten und auch eine Finanztransaktionsteuer inEuropa kaum umsetzbar sei. Aber, Herr Schäuble, sindSie in Europa wirklich so wenig durchsetzungsfähig? Ichglaube das nicht. Ich traue Ihnen mehr zu, wenn Sie nurwollen.
Warum gelang es dieser Bundesregierung, brutale Kür-zungspakete in Griechenland, Portugal, Spanien und Ita-lien durchzusetzen, von denen sich diese Länder noch inzehn Jahren nicht erholt haben werden? Warum gelingtes der Bundesregierung, ganze Staaten neoliberal umzu-krempeln, aber warum soll es ihr nicht gelingen, die Fi-nanzmärkte zu regulieren? Das ist nicht zu verstehen.
Aber machen wir es etwas kleiner. Wenn die Bundes-regierung sich angeblich in Europa nicht durchsetzenkann, wenn es um die gerechte Besteuerung von Speku-lanten geht, warum fangen Sie nicht einfach in Deutsch-land damit an? Frau Merkel, Sie haben gesagt, Deutsch-land sei Vorreiter der Regulierung. Darum frage ich Sie:Warum gibt es nicht wenigstens in Deutschland eine Fi-nanztransaktionsteuer? Das wäre doch der logische An-fang.
In Deutschland kann niemand diese Bundesregierungdaran hindern, ein gerechtes Steuersystem einzuführenund die Finanzeliten in ihrem desaströsen Handeln ein-zuschränken, außer dieser Regierung selbst. Aber – HerrKauder hat es gerade noch einmal unterstrichen – mitdem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD selbstschwere Ketten angelegt. Es ist, finde ich, ein beispiello-ser Akt der Selbstfesselung; denn dieser Koalitionsver-trag schließt Steuergerechtigkeit definitiv aus. Das istder falsche Weg.
Deutschland ist nach Analysen des InternationalenWährungsfonds eines der wenigen Länder in Europa,das sein Potenzial, seine Spielräume bei den Staatsein-nahmen nicht nutzt. Dieser Spielraum macht nach Aus-sagen des Internationalen Währungsfonds, also nicht derLinken, immerhin rund 80 Milliarden Euro zusätzlicheEinnahmen aus. 80 Milliarden! Stellen Sie sich das ein-mal vor: Mit 80 Milliarden Euro könnte man eine wirk-lich gerechte Rentenreform beschließen, ohne die Kas-sen zu plündern. Man könnte endlich das Kindergelderhöhen. Es ist doch eine lächerliche Aktion, dass mandie versprochene Erhöhung des Kindergelds ins Irgend-wann, ins Nirwana verschiebt, nur um von der schwar-zen Null weiter träumen zu können. Von der schwarzenNull haben die Kinder und ihre Familien wirklich nichts,Herr Schäuble.
Aber nein, die Regierung will diese großen Spielräumenicht nutzen. Sie hat sich selbst Ketten angelegt, wenn esum die gerechte Besteuerung von Vermögenden geht.Sie hat sich auch Ketten angelegt, wenn es um die steu-erliche Entlastung der Mittelschicht geht, die unter derkalten Progression leidet. Wir finden als Linke: Das istverantwortungslos und sozial ungerecht.
In den letzten Monaten wurde viel über den Fußball-manager Hoeneß in den Medien berichtet. Sie erinnernsich: Er hatte an den Steuerbehörden vorbei unbemerkt28,5 Millionen Euro an Steuern hinterzogen. Aber wa-rum fragt eigentlich niemand, wieso so viele Steuerbe-trüger in unserem Land unentdeckt bleiben können? Ichkann Ihnen die Frage relativ leicht beantworten. Alleinin den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Steuerberaterum 30 Prozent und die der Steueranwälte sogar um60 Prozent gestiegen. Aber im gleichen Zeitraum wur-den in den Finanzämtern, die die Kontrolle ausüben,5 Prozent der Stellen abgebaut. Das passt doch wirklichnicht zusammen.
Auch das scheint in Vergessenheit geraten zu sein: DerBundesfinanzminister hatte sich verpflichtet, 500 Prüferbeim Bundeszentralamt für Steuern einzustellen. DiesePrüfer des Bundesamtes sollten die Kollegen aus denLändern bei der Kontrolle von Unternehmen unterstüt-zen. Doch weder der Bundesfinanzminister noch dieLandesfinanzminister haben offensichtlich ein Interesse
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daran, Unternehmen bei der Steuergestaltung auf dieSchliche zu kommen.Mein Fazit: Diese Bundesregierung hat auch inDeutschland kein Interesse, alle Bürgerinnen und Bürgergleich zu behandeln. Diese unhaltbaren Zustände wollenund müssen wir ändern, wenn die Menschen nicht denGlauben an Demokratie und Gerechtigkeit verlieren sol-len.
Ob diese Bundesregierung zukunftsfähig ist, wird sichdaran zeigen, ob sie es schafft, den Finanzmarkt zu regu-lieren. Auch ein ausgeglichener Haushalt wäre nichtswert, wenn er von der nächsten Finanzkrise aufgefressenwürde. Diese Erfahrung musste übrigens – wollen wirnoch einmal an ihn erinnern – der damalige Finanz-minister Peer Steinbrück machen, der 2008, kurz vordem Ausbruch der Finanzkrise, hier im Deutschen Bun-destag stolz die schwarze Null an die Wand malte. Ersagte damals noch – wir erinnern uns auch daran –, dieFinanzkrise habe nur etwas mit Amerika zu tun. Ame-rika war dann schnell sehr nah. Auch daran sollten wiruns erinnern.
Von der schwarzen Null von Peer Steinbrück blieb einschwarzes Loch übrig, in dem die Bundesregierung Mil-liarden für die Rettung von Banken versenkte. Dieschwarze Null wurde damals den Banken geopfert. Dasdarf sich nicht wiederholen.Vielen Dank.
Die Kollegin Bettina Hagedorn hat nun für die SPD-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Kollegin Lötzsch, ich kann Ihre Aussage nichtunwidersprochen stehen lassen, dass 2008/2009 dieschwarze Null den Banken geopfert wurde. Nein, wir ha-ben damals in der Großen Koalition angesichts der Kriseund in der Hoffnung, dass ein Haushalt ohne Schulden ingreifbarer Nähe war – einen solchen Haushalt hatten wirmit ganzer Kraft angestrebt –, das gemacht, was klugund verantwortlich gegenüber den Menschen in Deutsch-land war. Wir haben nämlich zwei Konjunkturpakete imUmfang von über 80 Milliarden Euro aufgelegt. Wir ha-ben diese Pakete weit gefächert und den Kommunen10 Milliarden Euro gegeben, um zu investieren. Wir ha-ben übrigens auch das Kurzarbeitergeld eingeführt, wasviel Geld gekostet hat.Warum haben wir das gemacht? Wir haben das ge-macht, um die Menschen in Deutschland in dieser Krisein Lohn und Brot zu halten. Wir haben das gemacht, umdie Unternehmen zu stärken, damit sie ihre guten Mitar-beiter nicht entlassen müssen. Wissen Sie was? Das wareine großartige Entscheidung; denn das ist das Geheim-rezept dafür, dass wir so gut durch die Krise gekommensind.
Insofern fällt es mir natürlich ausgesprochen schwer,ausgerechnet Ihnen, Frau Lötzsch, die Erinnerung anPeer Steinbrück zu überlassen. Darum möchte ich meineRede gerne mit einem Zitat beginnen:Wir haben jetzt die historische Chance …, inDeutschland nach 40 Jahren die Neuverschuldungauf null zu senken und dann … für ganz Deutsch-land einen Mechanismus festzulegen, der eine Wie-derholung des früheren Tempos in die Verschul-dung verhindert. Das ist meiner Ansicht nach eineverantwortliche Finanzpolitik im Sinne von Nach-haltigkeit und Generationengerechtigkeit.Ich bin sicher, Herr Schäuble, dass Sie sagen würden,dieses Zitat könnte von Ihnen sein. Es ist aber nicht vonIhnen. Es ist im September 2007 hier im Deutschen Bun-destag bei der Haushaltsdebatte von Peer Steinbrück,dem Finanzminister der Großen Koalition, gesprochenworden.
Ich stelle dieses Zitat deshalb an den Anfang, weil esso schön deutlich macht, dass wir mit der Großen Koali-tion von 2005 bis 2009 und mit der Großen Koalitionjetzt ab 2013 sehr wohl einen langen roten Faden haben.Der Faden ist so lang und so rot, dass ich sogar die Kol-leginnen und Kollegen der Grünen noch mit einbeziehenwill. Wir Haushälter konnten damals im Tiefschlaf voruns hersagen, dass unser größtes Ziel konsolidieren, sa-nieren und investieren ist, dass dieser Dreiklang einegute und verantwortbare Haushaltspolitik darstellt.
– Der Beifall könnte eigentlich vom ganzen Haus kom-men. – Denn dieser Dreiklang hat eine Tradition vonmindestens zehn Jahren in diesem Haus. Dass wir dasauch über Fraktionsgrenzen hinweg über viele Jahre soernst genommen haben, ist der Grund dafür, warum esuns in Deutschland insgesamt im Verhältnis zu anderenso gut geht.
Wir waren auch immer von dem Bewusstsein getra-gen, dass wir nicht um des Sparens willen sparen, son-dern dass wir das einerseits in Verantwortung vor derneuen Generation tun – Generationengerechtigkeit istein heute Morgen zu Recht häufig genannter Begriff –,aber auch um Spielräume zu erwirtschaften, um in wich-tigen Bereichen die Zukunftsfähigkeit unseres Landes si-cherzustellen. Die gute Botschaft ist: Auch da haben wirüber Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit.Den Löwenanteil der Investitionen, die wir schon seitvielen Jahren tätigen und auch in dieser Großen Koali-tion wieder tätigen werden, bekommt der wichtige
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Bereich der Bildung. Investitionen in die Köpfe der jun-gen Generation sind in einem Land, das einen demogra-fischen Faktor wie das unsere hat, wichtig, um unsereZukunftsfähigkeit zu garantieren. Diese Bildungsinvesti-tionen im Umfang von 3 Milliarden Euro geben wir indem Bereich aus, für den wir ursächlich zuständig sind,Hochschulbildung und Forschung. Aber auch die 6 Mil-liarden Euro, die wir über die Länder den Kommunenzur Verfügung stellen, geben wir nicht einfach so, quasials Almosen wegen der Unterfinanzierung. Nein, wir ge-ben ihnen das Geld in dem Bewusstsein, dass Bildungschon in der Krippe und in der Kita anfängt.Es geht auch um eine noch bessere Qualität in denSchulen, um eine höhere Lehrerdichte, um Ganztags-schulen, es geht um eine qualitativ gute Bildungsbetreu-ung in ganz Deutschland. In weiten Teilen sind ebenLänder und Kommunen dafür zuständig. Wenn es denenschlecht geht, dann können sie an dieser Stelle nicht dasleisten, was sie im gesamtstaatlichen Interesse in der Bil-dung dringend leisten müssen. Darum tun wir das.
In dieser und auch in der gestrigen Debatte sind dieKommunen schon gewürdigt worden. Ich glaube, hiereinen etwas falschen Zungenschlag vernommen zu ha-ben. Manche Äußerung ist verständlich; schließlich fin-den im Mai in Deutschland zehn Kommunalwahlen statt.Daher steht hier manchmal der Wahlkampf mehr als dieFaktenlage im Mittelpunkt. Ich selbst habe 20 Jahre eh-renamtlich Kommunalpolitik gemacht. Ich war ehren-amtliche Bürgermeisterin und Amtsvorsteherin. Seit2005 bin ich stellvertretende Sprecherin der AG Kom-munalpolitik unserer Fraktion. Insofern bin ich, glaubeich, frei von dem Vorwurf, dass ich bei den Sorgen undNöten der Kommunen nicht genügend hinschauenwürde. Ich finde schon, dass wir als Bundestag auch ins-gesamt stolz auf das sein dürfen, was wir für die Kom-munen schon getan haben und was auch in Zukunft zutun wir uns im Koalitionsvertrag richtigerweise ver-pflichtet haben.
Auch da, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen, will ich Sie daran erinnern, dass wir es waren,die dafür gesorgt haben, dass 4 Milliarden Euro für denAusbau der Ganztagsschulen in Deutschland zur Verfü-gung gestellt wurden, und dass wir es waren, die 2004angestoßen haben, dass der Bund mehr Verantwortungfür die Schaffung von mehr Krippenplätzen in Deutsch-land übernimmt. In der Großen Koalition haben wir un-ser Eintreten dafür fortgesetzt, indem wir dafür gesorgthaben, dass finanzielle Mittel im Umfang von fast 5 Mil-liarden Euro bis 2013 zur Verfügung gestellt werden.Dies geschah, um den Kommunen in Deutschland dieMöglichkeit zu geben, eine verlässliche Krippeninfra-struktur aufzubauen. Darüber hinaus haben wir mit denKommunen verabredet – dieses Geld fließt seitdem Jahrfür Jahr über steuertechnische Umverteilungen –, dasswir sie mit den Betriebskosten der Krippen nicht allein-lassen. Round about sind, wenn ich es richtig im Hinter-kopf habe, knapp 1 Milliarde Euro pro Jahr vom Bundan die Länder dafür geflossen und fließen weiter, in derHoffnung, dass sie sie an die Kommunen weiterleiten,damit sie mehr Geld zur Verbesserung der Krippenbe-treuung haben.
Gestern sagte ein Kollege – das war ein bisschen wieGeschichtsklitterung –, dass Rot-Grün die Grundsiche-rung eingeführt und damit die Kommunen belastet habe.Das ist nicht wahr. Als wir 2003 die Grundsicherung ein-geführt haben – übrigens mit Zustimmung des Bundesra-tes –, haben wir uns auf eine Kostenteilung verständigt.Wir jedenfalls haben das Recht auf Grundsicherungüberwiegend mit Blick auf diejenigen Frauen geschaf-fen, die sich, weil sie den Rückgriff auf ihre Verwandtenbefürchteten, nicht getraut haben, zum Sozialamt zu ge-hen und Sozialhilfe zu beziehen; man sprach auch vonverschämter Altersarmut. In Wahrheit haben wir mit derGrundsicherung eine Entlastung der Kommunen be-wirkt. Für uns stand die Würde der Menschen im Mittel-punkt. Die Schaffung des Rechtsanspruchs auf Grund-sicherung in Deutschland – nicht nur im Alter, sondernauch bei Erwerbsunfähigkeit – ist eine große Leistungdieses Hauses gewesen.
– Ja, ich finde, da können wir alle klatschen. Wir warenalle daran beteiligt.Der Punkt ist der, dass die Ausgaben für die Grund-sicherung wegen der demografischen Entwicklung im-mer weiter gestiegen sind und dass diese Ausgaben da-mit die kommunalen Haushalte gesprengt haben. Wirhaben also in den letzten Jahren – auch das haben Bun-destag und Bundesrat sehr wohl gemeinsam gemacht –eine schrittweise Entlastung der Kommunen herbeige-führt. Obwohl die Kosten für die Grundsicherung stän-dig steigen und auch in Zukunft steigen werden, sollteder Bund sie in immer höherem Maße tragen. In diesemJahr übernimmt er sie zu 100 Prozent. Die Kostenüber-nahme ist in vier Schritten vonstattengegangen. Vor vierJahren – damals war ich innerhalb meiner Fraktion fürden Haushalt Arbeit und Soziales zuständig – hat derBund noch 500 Millionen Euro pro Jahr für seinen An-teil an der Grundsicherung ausgegeben, und jetzt werdenes 5,5 Milliarden Euro sein. Das ist eine Entlastung derKommunen von 5 Milliarden Euro pro Jahr.
Diese Entlastung wird steigen, weil die Kosten für dieGrundsicherung steigen werden, und wir schultern dieseKostensteigerung allein.All das ist richtig. Es ist angesichts dessen richtig,dass wir den Menschen diesen Rechtsanspruch gewäh-ren wollen. Richtig ist auch, dass wir als Bund die Kos-ten dafür schultern. Aber ich finde, es darf in der aktuel-len Debatte nicht vergessen werden.
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Bettina Hagedorn
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Ich will auch daran erinnern: Als Bundestag und Bun-desrat die Entlastung der Kommunen verabredet haben,haben wir das im Zusammenhang mit anderen Themen,die wir miteinander beraten haben, getan. Dabei ging esum ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts und um dieFrage, ob Kinder aus bildungsfernen Schichten eigent-lich genug Zugang zu Bildung haben. Wir haben damalszwar nicht festgelegt, warum und wofür wir die Kom-munen entlasten. Wir haben aber sehr wohl unserer Er-wartung Ausdruck gegeben, dass diese Entlastung nichtnach dem Motto „Linke Tasche, rechte Tasche“ – wirverschulden uns, andere entschulden sich – erfolgt, son-dern wir haben das Geld in der Erwartung gegeben, dasses dort landet, wo es hingehört, nämlich in den Krippen,in den Kitas, in den Schulen und bei den Familien, dienicht so gut situiert sind, dass sie ihren Kindern gute Bil-dung ermöglichen können. Wir brauchen in Deutschlandjedes Kind, und zwar deshalb, weil wir zu wenigeKöpfe, zu wenige junge Menschen haben. Es muss Geldinvestiert werden, damit in Zukunft nicht mehr so vielejunge Menschen ohne Schulabschluss die Schule verlas-sen. Die Verantwortung dafür tragen die Länder und zumTeil auch die Kommunen.
Ich möchte zum Schluss zu einem weiteren Punktkommen, bei dem schon lange Zeit große Einigkeit be-steht, dass mehr investiert werden muss: zu den Investi-tionen in die Infrastruktur. Herr Dobrindt, es ist festzu-halten, dass die Lkw-Maut schon lange in großemUmfang zu den Investitionen im Verkehrsbereich bei-trägt. Auch sie haben wir übrigens vor langer Zeit ge-meinsam eingeführt, verbunden mit den Geburtswehen,an die wir uns alle noch gut erinnern können, Stichwort„Toll Collect“.
Nachdem die Einnahmen durch die Lkw-Maut von2005 bis 2008 zwischen 2,9 und 3,5 Milliarden Euro proJahr geschwankt sind, liegen sie seit 2009 verlässlich bei4,3 bis 4,5 Milliarden Euro jährlich. Wir haben im Ko-alitionsvertrag festgelegt, dass die Mehreinnahmen ausder Maut eins zu eins die Investitionen im Verkehrsetatstärken sollen. Dabei haben wir alle gedacht: Super,wenn wir mehr Geld einnehmen, können wir mehr Geldausgeben. – Brauchen werden wir es in diesem Bereich;da sind wir uns einig.Leider wird es, Herr Dobrindt, laut Wegekostengut-achten in den nächsten Jahren zu einem Minus von2 Milliarden Euro kommen. Da wird es schon darauf an-kommen, dass wir gemeinsam handeln. Wir könnendiese Lücke nicht einfach so hinnehmen und sie ausSteuermitteln stopfen. Dass wir sie stopfen wollen, istganz klar. Wir haben auch dazu in unserem Koalitions-vertrag eine Verabredung getroffen, nämlich die, dasswir die Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen ausweitenwollen. Das dauert; das wissen wir. Die Einnahmen von2 Milliarden Euro pro Jahr wird man vielleicht erst amEnde dieser Legislatur generieren können,
vielleicht auch erst Anfang der nächsten Legislatur. Essollte nachhaltig denkenden Abgeordneten aber nichtegal sein, ob diese Mehreinnahmen kommen. Denn fürdie Zukunft garantieren sie, und zwar nachhaltig, dasswir mehr Geld für die Infrastruktur, für unsere marodenStraßen, Brücken, Wasserwege, Schienen usw., zur Ver-fügung haben. Wir brauchen dieses Geld.
Darum bitte ich Sie, Herr Dobrindt, sich hierfür mit gan-zem Engagement einzusetzen. Thomas Oppermann hatvorhin schon gesagt: Bei allem, was Sie in diesem Be-reich machen, haben Sie unsere Unterstützung.Gerade erst haben Sie angekündigt, 1 000 weitere Ki-lometer vierspuriger Bundesfernstraßen einbeziehen zuwollen; das ist ausdrücklich richtig. Auch die Einbezie-hung von Lkw ab 7,5 Tonnen ist richtig; wir unterstützendas. Das wird in Anbetracht des bestehenden Konzessi-onsvertrages auch möglich sein. Zur Wahrheit gehörtaber auch, dass aktuell nur ungefähr 14 000 Kilometerdurch die Maut erfasst werden. Eigentlich streben wirknapp 40 000 Kilometer an. Insofern ist die Einbezie-hung 1 000 weiterer Kilometer von Bundesfernstraßennatürlich ein kleiner Schritt, gleichwohl in die richtigeRichtung. Ich glaube, wir müssen uns gemeinsam mitganzem Engagement der Aufgabe widmen, die vorhan-dene Lücke zu schließen, damit wir in Zukunft in der Tatmehr Geld für die Verkehrsinfrastruktur in Deutschlandzur Verfügung haben.
Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit mit Ihnen.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Tabea Rößner hat für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Esgeht heute auch um den Haushalt der Beauftragten fürKultur und Medien. Ich darf hier für die Kultur- und Me-dienpolitiker den Aufschlag machen.Ich möchte Ihnen, Frau Staatsministerin, FrauGrütters, noch einmal alles Gute für Ihr jetzt nicht mehrganz so neues Amt wünschen. Die erste Belastungsprobe
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Tabea Rößner
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liegt bereits hinter Ihnen. Ihren Etat haben Sie zumindestweitgehend verteidigen können.Sie erwarten jetzt sicher ein Aber. Genau! Das kommtauch: Aber ich befürchte, dass Sie Ihre Jobbeschreibungnur zur Hälfte gelesen haben. Die besagt, dass SieStaatsministerin für Kultur – jetzt kommt es – und Me-dien sind. Davon ist bisher nur wenig zu sehen.
Nun ist die Medienpolitik ein sehr spannendes, aberauch ein sehr schwieriges Feld. Die Einfluss- und Profi-lierungsmöglichkeiten gerade auf Bundesebene sindnicht besonders groß, aber es gibt sie. Wenn ich mir dieBaustellen in der Medienpolitik anschaue, sehe ich ei-nige Stellschrauben, die gedreht werden müssten. Das istvor allen Dingen eine Frage des Wollens. Mich be-schleicht immer mehr das Gefühl, dass Sie nicht wollen.Nehmen wir das Beispiel „Staatsferne bei den öffent-lich-rechtlichen Rundfunkanstalten“. Dazu gab es vorzwei Wochen ein bedeutsames Urteil vor dem Bundes-verfassungsgericht. Das Gericht bestätigte, was wir an-geprangert hatten: Es gibt zu viel Staatseinfluss in denAufsichtsgremien des ZDF. Es wurde natürlich viel überdas Urteil geredet. Selbst Kollege Volker Kauder ent-deckte plötzlich seine Liebe zur Staatsferne
und forderte gar, dass die Politik ganz aus dem ZDF rausmüsse.
– Kleine Gedankenstütze, Herr Kauder: Vor vier Jahrenpfiffen Sie noch die Unionsabgeordneten zurück, dieüberlegten, unsere Klage zu unterstützen.
Woher der Sinneswandel plötzlich kommt, weiß nie-mand so genau.Jedenfalls gibt es nun diesen Impuls eines nicht ganzunbedeutenden Unionspolitikers. Da frage ich Sie, FrauStaatsministerin: Hätten nicht Sie diesen Impuls gebenmüssen? Bitte schieben Sie die Verantwortung jetzt nichtauf die Länder ab. Auch die Bundesregierung hat hierAktien. Im ZDF-Verwaltungsrat sitzt nämlich ein Vertre-ter des Bundes: Ihr Vorgänger Bernd Neumann. Es wäredoch ein gutes und wichtiges Signal, wenn Sie zukünftigauf diesen Posten verzichten würden.
Oder nehmen wir das Beispiel der Pressekrise. Wirhatten eine exzellente Pressevielfalt in Deutschland mitvielen lebendigen Lokal- und Regionalredaktionen.Wenn ich meinen Kindern heute davon erzähle, kommeich mir vor wie die Großmutter, die früher alles besserfand.
Aber die nackten Zahlen belegen: Die Oma hat recht.Der Schwund ist dramatisch. Immer mehr Zeitungenschließen oder legen Redaktionen zusammen. DurchPressefusionen schwindet die Meinungsvielfalt. Undwas macht die Bundesregierung? Nichts! Gar nichts!
Diese Regierung ist in der Kulturpolitik schon als Koali-tion der Hoch- und Repräsentationskultur bekannt. Sieist auch eine Große Koalition für die großen Medienhäu-ser. Die Kleinen müssen sehen, wo sie bleiben, und dieGroßen können die Kleinen noch leichter schlucken.Mit Ihrem Vorhaben werden Sie die Medienkonzen-tration noch beschleunigen, statt zu stoppen oder Vielfaltzu sichern. Als zusätzliche Belohnung für Springer undKonsorten wird das sinnlose Leistungsschutzrecht ersteinmal beibehalten. Da waren die geschätzten Kollegender SPD-Fraktion wohl so heiß auf die Regierungsver-antwortung, dass sie alle ihre Reden dazu völlig verges-sen haben.
Kleine Info: Sie, liebe Kollegen der SPD, waren ver-nünftigerweise gegen das Leistungsschutzrecht. Dannkam Olaf Scholz und wollte lieber Standortpolitik alsDemokratieförderung machen, und dann winkte hier einKoalitionsvertrag. Dass Sie ein eigenes Projekt, nämlichdas Presseauskunftsgesetz, protestlos einfach wieder be-graben haben, passt da übrigens ganz gut ins Bild. IhreMedienpolitik wird sicher nicht in die Heldensagen ein-gehen.
Die Leidtragenden dieser verfehlten schwarz-rotenMedienpolitik sind vor allem die Journalisten selbst.Vom Leistungsschutzrecht profitieren sie gar nicht. DiePressefusionen führen dazu, dass Redaktionen geschlos-sen werden und Journalisten ihren Job verlieren. Es gäbeaber Instrumente zur Hilfe, zum Beispiel ein durchset-zungsstarkes Urhebervertragsrecht, mit dem wir denJournalisten etwas an die Hand geben können, das ihnenwirklich hilft.
Es gibt sogar einen Vorschlag, fraktionsübergreifend ausder Enquete-Kommission. Herr Dörmann, das wissenSie. Auch wir Grüne haben ebenfalls einen Vorschlaggemacht. Aber dazu gibt es von der GroKo bisher nichts.Ich fordere hier im Sinne der Journalisten deutlich mehrMut von Ihnen.
Apropos im Stich lassen: Nicht nur Journalisten be-kommen oft nur Hungerlöhne. Der Großteil der Kultur-
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Tabea Rößner
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schaffenden arbeitet und lebt in prekären Verhältnissen.Die Kreativen haben aber mehr verdient, als nur die Lü-cken in ihrer sozialen Absicherung festzustellen. DieKreativwirtschaft boomt, und da brauchen die Kreativenein klares Bekenntnis für eine bessere soziale und wirt-schaftliche Absicherung.
Schauen wir noch kurz auf die Filmpolitik. FrauGrütters, ich bin mir nicht sicher, ob Ihr Vorgängerglücklich darüber ist, wie Sie mit seinem Erbe, demDeutschen Filmförderfonds, umgehen. Das war ja seinSteckenpferd und – kleiner Tipp – bietet hervorragendeAnschlussverwendungen. An dieser Stelle herzlichenGlückwunsch an Herrn Neumann zu seiner Wahl zumPräsidenten der Filmförderanstalt.Sie, Frau Grütters, haben im Februar auf dem Deut-schen Produzententag versprochen, dass es für die Film-förderung bei den 70 Millionen Euro wie im Vorjahrbleiben wird. Aber im Haushaltsentwurf stehen plötzlichnur noch 60 Millionen Euro drin. Das verstehe ich nicht.Die Mittel aus dem Filmförderfonds sind doch bekann-termaßen hervorragend investiert; denn jeder investierteEuro bringt weitere 6 Euro für die deutsche Filmwirt-schaft. Warum Sie hier wortbrüchig werden, 10 Millio-nen Euro streichen und so dem deutschen Film 70 Mil-lionen Euro entziehen, das müssen Sie bitte einmalerklären.
Aber zurück zur Beauftragten für Kultur und – immernoch – Medien. Meine Sorge, dass die Medienpolitiknicht Ihr Herzensthema ist, spiegelt sich auch im Haus-haltsentwurf wider. Es sind viele Gaben für die Kulturenthalten, manche sinnvolle und manche weniger sinn-volle. Und zu Medien? Eines der wenigen schönen me-dienpolitischen Projekte, den Computerspielpreis, ließenSie gleich ganz zu Ihrem Kollegen Herrn Dobrindt wan-dern. Warum, ist mir wirklich schleierhaft. Ich dachteimmer, es handele sich hier um ein Kulturgut.
Wenn jetzt beim Autorennspiel „Need for Speed“ einePkw-Maut eingeführt wird, dann wissen wir jedenfalls,wer es war.Man sieht, es gäbe in der Medienpolitik eine riesigeSpielwiese, auf der Sie sich als Staatsministerin für Kul-tur und eben Medien austoben könnten. Ich möchte Sieausdrücklich dazu ermutigen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Gerda Hasselfeldt für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich muss jetzt leider zur allgemeinen Haushaltsdebattezurückkommen.
Da können wir heute einen wirklich historischen Wende-punkt in der Haushaltspolitik unseres Landes erleben.Der Bundesfinanzminister kann für das Jahr 2014 einenstrukturell ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Für dasnächste Jahr wird ein ausgeglichener Haushalt ohneNeuverschuldung erwartet. Das ist eine großartige Leis-tung, die vor Jahren nicht vorhersehbar war. Es ist dieLeistung dieser Bundesregierung, wofür ich herzlichdanke.
Das ist umso bemerkenswerter, als wir zu Beginn derRegierungszeit von Angela Merkel eine ganze Reihe vonProblemen und Herausforderungen zu bewältigen hat-ten. Wir hatten 2005 eine hohe Arbeitslosigkeit und einehohe Verschuldung übernommen. Dann kam, bald nach-dem sich die ersten positiven Effekte zeigten, die inter-nationale Wirtschafts- und Finanzkrise hinzu, eine Krise,wie sie die Nachkriegszeit noch nicht erlebt hatte. Balddarauf gab es in Europa die Staatsschuldenkrise, dieebenfalls zu bewältigen war. Meine Damen und Herren,auch diese Krisenzeiten wurden gut bewältigt. Sie wur-den richtig bewältigt mit den richtigen politischen Ent-scheidungen, mit den richtigen soliden strukturellenHaushaltsentscheidungen. Das war die Richtlinie dieserPolitik. Strukturreformen und solide Haushaltspolitikbestimmten die Politik, die dazu führte, dass wir besseraus der Krise herausgekommen sind, als wir hineinge-gangen sind.
Wir haben eine Stabilitätskultur entwickelt, die nichtnur die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Schulden-bremse erfüllte, sondern auch Spielräume eröffnete – daswurde heute schon mehrfach angesprochen – für diejunge Generation, für diejenigen, die nach uns kommen.Diese generationengerechte Haushalts- und Finanzpoli-tik hat mittlerweile Vorbildfunktion in Europa und in derganzen Welt.
Wir alle haben erlebt, zu welchen fatalen Auswirkun-gen eine zu hohe Verschuldung in manchen europäi-schen Ländern geführt hat: auf die wirtschaftliche Situa-tion, auf die Beschäftigung, auf die soziale Situation derMenschen. Heute können wir sagen: Auch dieser Kurswar richtig, nämlich in Europa darauf zu setzen, dass je-des europäische Land seine Hausaufgaben machenmuss. Es war auch richtig, nicht auf die Vergemeinschaf-tung von Schulden, auf Euro-Bonds, zu setzen, sondernauf eine solide Haushaltsführung, auf die Einhaltung derAuflagen, die gemacht werden, und auf die Durchfüh-
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rung von Strukturreformen. Auch damit haben wir unsdurchgesetzt, und es war erfolgreich.
Jetzt kann man sich natürlich fragen: Warum eigent-lich solide Haushaltspolitik? Steht das auf dem Papier,kann man sich darüber freuen und es wieder zur Seite le-gen? Nein, meine Damen und Herren, es ist die Grund-lage für unsere politische Verantwortung insgesamt. Daskann ich aus eigener Erfahrung sagen. Ich bin mit18 Jahren in die CSU eingetreten. Es war damals, 1968,für ein Mädchen aus dem Bayerischen Wald nicht unbe-dingt selbstverständlich, in eine damals eher männlichgeprägte Partei einzutreten.
Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das, wasmich damals motiviert hat und was auch heute noch einwichtiger Teil meiner politischen Arbeit ist, ist die Tatsa-che, dass ich damals als junges Mädchen ernst genom-men wurde und dass ich mich ernst genommen fühlteund mitgestalten konnte. Ich spürte, dass dort Männeram Werk sind – damals waren überwiegend Männer inder Partei –, die auch ein Interesse daran haben, dass diejunge Generation in diesem Land Chancen hat, dass sieauch in ländlichen Regionen Chancen hat. Ich habe daspersönlich erlebt. Deshalb ist es mir so wichtig, immerwieder zu sagen, dass die Union die Partei ist, die für dienachwachsende Generation sorgt; wir sorgen dafür, dassdie jungen Leute künftig auch Chancen haben, dass wirihnen keine Schulden überlassen. Sie haben ein Anrechtauf eine Zukunft ohne Altlasten.
Manchmal denke ich, gerade die Grünen tun immerso, als wollten sie für Nachhaltigkeit sorgen und würdeihnen nachhaltige Politik in besonderer Weise am Her-zen liegen. Im Land Baden-Württemberg – man brauchtnicht sehr weit zurückzuschauen; denn dort sind sie inder Verantwortung – haben sie gezeigt, wie weit es mitder Nachhaltigkeit bestellt ist.
Sie haben ein Land übernommen, das seit einigen Jahrenkeine neuen Schulden mehr machte. Kaum waren Sie inder Verantwortung, wurden neue Schulden gemacht. Andiesem Beispiel zeigt sich: Mit Nachhaltigkeit haben dieGrünen nichts, aber auch gar nichts am Hut.
Nun ist solide Haushaltspolitik aber auch die wich-tigste Grundlage dafür, dass es den Menschen gut geht,dass wir eine gute wirtschaftliche Entwicklung, Beschäf-tigung und sichere Arbeitsplätze haben. Das sind keineGegensätze; das sehen wir an all den Ländern, in denendas praktiziert wird. Solide Haushaltspolitik ist die eineSeite und eine gute wirtschaftliche Entwicklung die an-dere Seite ein und derselben Medaille. Das gehört zu-sammen; das eine ist die Voraussetzung für das andere.Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass wir die gutewirtschaftliche Entwicklung, die wir in den letzten Jah-ren hatten, nicht aufs Spiel setzen, sondern weiterführenund dabei niemanden, auch nicht die Schwächeren, aufder Strecke lassen.
Dazu gehört als Erstes, dass wir die wichtigste Res-source, die wir in unserem Land haben, nämlich dieMenschen, in ihrer unterschiedlichen Art und mit ihrenganz unterschiedlichen Talenten ernst nehmen und ent-sprechend fördern, und zwar diejenigen, die eher theore-tisch begabt sind, an den Universitäten und Hochschu-len. Wir müssen also so viel, wie wir können, in dieForschung stecken. Die Bundeskanzlerin hat heute unterNennung von Zahlen darauf hingewiesen. Wir habenschon in der letzten Legislaturperiode unsere Anstren-gungen in diesem Bereich verstärkt und werden in dieserLegislaturperiode noch darüber hinaus etwas tun; wirwerden die Hochschulen zusätzlich fördern. Aber, meineDamen und Herren, das alleine ist es nicht. Das Lebenbeginnt nicht erst mit dem Abitur und schon gar nichterst mit dem Studium.
Praktisch orientierte Ausbildungsplätze sind mindestensgenauso wichtig wie theoretisch orientierte Studien-plätze.
Deshalb begrüße ich es sehr, dass die Bundesbildungs-und -forschungsministerin immer wieder darauf hin-weist. Gerade der gestern vom Kabinett beschlosseneBerufsbildungsbericht gibt uns Anlass dazu, immer wie-der neu darüber nachzudenken. Wir müssen uns bewusstmachen, dass wir im Bereich der beruflichen Bildungnicht einfach zur Seite schauen dürfen, sondern jedes Ta-lent ernst nehmen und fördern müssen.Ich möchte aber auch darauf hinweisen: Wenn wirüber Bildung reden, dann reden wir nicht nur über eineBundesangelegenheit; primär ist das eine Aufgabe derLänder. Wenn zum Beispiel die Schulsozialarbeit sohochgepriesen wird, dann frage ich mich: Warum tundenn die Länder, obwohl sie so gepriesen wird, nichtmehr dafür? Es ist originäre Aufgabe der Länder, in denSchulen die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Der zweite Ansatzpunkt, wenn es um sichere Arbeits-plätze geht, ist die Infrastruktur: die Infrastruktur imVerkehrsbereich, die digitale Infrastruktur. Dazu istheute schon viel gesagt worden. Angesichts der Aufhol-arbeit aufgrund der Versäumnisse, die wir in den vergan-genen Jahrzehnten angehäuft haben, begrüße ich es sehr,dass wir diesem Bereich in dieser Legislaturperiodeneuen Schwung verleihen, etwa indem wir zusätzlicheMittel von etwa 5 Milliarden Euro in die Verkehrsinfra-struktur investieren und den Breitbandinfrastrukturaus-bau forcieren. Die Betriebe, die Menschen in den ländli-
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Gerda Hasselfeldt
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chen Räumen sind genauso wichtig wie die in denBallungsgebieten, und sie brauchen das schnelle Internetgenauso wie die in den Ballungsgebieten.
Ein vierter Bereich, der auch zur Infrastruktur gehört,ist der energiepolitische Bereich. Auch dazu ist heuteschon viel gesagt worden. Auch ich möchte ganz herz-lich der Bundeskanzlerin und dem Bundeswirtschafts-minister dafür danken, dass sie in den Verhandlungenmit der EU-Kommission auf europäischer Ebene eineRegelung hinbekommen haben, durch die die indus-trielle Basis unseres Landes und damit Hunderttausendevon Arbeitsplätzen gesichert werden, meine Damen undHerren. Das ist ein ganz großer Fortschritt, gerade vordem Hintergrund, was wir dazu noch vor einigen Wo-chen von der EU-Kommission zu hören bekamen. Herz-lichen Dank dafür!
Meine Damen und Herren, wir leben nicht nur vonAngebot und Nachfrage. Wir leben nicht nur von Geld.Nicht nur Finanzen und Wirtschaft sind wichtig, sondernauch die Antworten auf die Frage: Wie gehen wir mitei-nander um? Wie halten wir über die Generationen hin-weg zusammen? Welche Werte verbinden uns? In die-sem Zusammenhang stellt sich zum Beispiel auch dieFrage: Was ist uns Erziehung wert? Ich sage Ihnen fürmeine Partei ganz deutlich: Erziehung ist nicht nur dieoriginäre Aufgabe der Eltern, sondern sie ist einer derwichtigsten Aspekte in unserem Zusammenleben über-haupt. Erziehungsleistung ist Lebensleistung, die vonden Eltern für ihre Kinder erbracht wird. Sie ist nicht nurfür ihre Kinder wichtig, sondern für die ganze Gesell-schaft, für uns alle miteinander.
Es ist deshalb richtig, dass wir nicht nur über die Müt-terrente diskutieren, wie vor der Wahl, sondern dass wirdiese auch realisieren. Wir sorgen für eine bessere Aner-kennung der Erziehungszeiten in der Rentenversiche-rung für jene Mütter, die ihre Kinder unter schwierigerenBedingungen als heute erzogen haben, die zu weiten Tei-len auf Erwerbstätigkeit verzichtet haben. Nun erkennenwir diese Leistung der Mütter auch für vor 1992 gebo-rene Kinder an. Diese Verbesserung setzen wir mit derVerabschiedung des Rentenpakets um.
Wir wissen, dass wir vor großen demografischen He-rausforderungen stehen. Deshalb haben wir uns in denKoalitionsverhandlungen eindeutig darauf verständigt:Am Grundsatz der Rente mit 67 wird nicht gerüttelt. Wirhaben uns auch darauf verständigt, eine Übergangsrege-lung zu schaffen, die vorsieht, dass man ab 63 Jahrennach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in Rente gehenkann. Dazu stehe ich. Das haben wir vereinbart.Es gibt darüber hinaus noch eine Reihe von Proble-men, die wir zu bewältigen haben, insbesondere die mitder Rente ab 63 verbundene Gefahr der Frühverrentung.Diese Probleme müssen wir in aller Kollegialität, in Of-fenheit und in konstruktiven Diskussionen bewältigen.Ich bin zuversichtlich, dass wir das hinbekommen. DieGespräche in den vergangenen Tagen haben ja durchausAnlass zu dieser Zuversicht gegeben.Wir sind nicht gewählt, um uns in der Koalition nurzu streiten. Vielmehr sollten wir in Auseinandersetzun-gen den besten Weg für die Menschen in unserem Land,für ihre Arbeitsplätze und ihre soziale Sicherung erarbei-ten. Das eint uns. Deshalb bin ich zuversichtlich, dasswir eine gute Lösung hinbekommen.
Meine Damen und Herren, Volker Kauder hat vorhingesagt: Das Ziel dieser Koalition ist, dass es den Men-schen am Ende dieser Legislaturperiode noch bessergeht als vorher. Genau das ist das Ziel. Meine Damenund Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Zielwerden wir erreichen, wenn wir uns an dem Dreiklangorientieren, der auch diesen Haushalt prägt, nämlich ers-tens stabile Finanzen, zweitens sichere Arbeitsplätze unddrittens gesellschaftlicher Zusammenhalt. Das ist derDreiklang, der im vorliegenden Haushaltsentwurf zumAusdruck kommt. Dieser Haushaltsentwurf ist die besteGrundlage, um die Ziele dieser Koalition zu erreichen.
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Sigrid Hupach das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Wir kommen jetzt wieder zur Kultur. Wirsehen uns gern als Kulturnation. Aber wie unterstreichtdas dieser Haushaltsentwurf?Die Linke begrüßt, dass nicht gekürzt wird. Wir fin-den jedoch, dass 1,6 Prozent des Gesamtetats der öffent-lichen Haushalte für die Kultur zu wenig sind.
Die soziale Lage der Kulturschaffenden in unseremLand hat sich nicht verbessert. Nach wie vor liegen ihreEinkünfte, ob sie im Theater arbeiten, Kostüme entwer-fen, Tänzer oder Musiker sind, nur knapp über demExistenzminimum. Der Koalitionsvertrag versprachHoffnung mit einem großen Abschnitt zur Kultur. Daswar erfreulich. Gut hundert Tage nach Verabschiedungist aber nicht zu erkennen, wie diese Versprechungen mitdem vorliegenden Haushalt eingelöst werden sollen.Verdoppelt wurden die Mittel für die Provenienzfor-schung, die sich mit der Herkunftsgeschichte von Kunst-und Kulturgütern befasst. Frau Grütters plant ein „Deut-sches Zentrum Kulturgutverluste“. Es war höchste Zeithierfür – 15 Jahre nach der Washingtoner Erklärung undfast 70 Jahre nach Kriegsende. Wir begrüßen diese Ent-wicklung sehr.
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Sigrid Hupach
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Aber gemäß seiner bisherigen Konzeption löst ein sol-ches Zentrum die Probleme der Länder auf dem Gebietder Provenienzforschung nicht. Was die Länder und ihreMuseen brauchen, sind entsprechendes Personal undGeld. Das Geld dafür fehlt aber. 4 Millionen Euro vomBund für die Provenienzforschung sind so gesehen vielund wenig zugleich.Im letzten Haushalt gab es für ein Denkmalschutzson-derprogramm noch Mittel. Im neuen Entwurf sucht mandies leider vergebens, trotz Ankündigung im Koalitions-vertrag. Es war aber gerade dieses Programm, das zumErhalt der Infrastruktur in den Ländern beigetragen hat.Hier muss dringend nachgebessert werden.
Den kooperativen Kulturföderalismus auszubauenwar eine weitere Aussage im Koalitionsvertrag. Für unsein Hoffnungsschimmer, fordern wir doch seit Jahren einKooperationsgebot im Bereich Kultur und eine Gemein-schaftsaufgabe Kultur. Ohne dies bleibt dem Bund nurdie Kulturstiftung des Bundes. Die Kriterien der Bun-deskulturförderung müssten überdacht und die Kultur-stiftung des Bundes genau wie ihre Fonds gestärkt wer-den. Das war in der letzten Legislatur noch die Aussageder SPD. Von einem neuen Musikfonds war die Rede:ansatzweise im Koalitionsvertrag noch vorhanden, aberim Haushalt findet man dazu nichts mehr. Die Kulturstif-tung des Bundes verliert sogar ihren einmaligen Auf-wuchs in Höhe von 5 Millionen Euro. Dies werden wirnicht hinnehmen. Wir werden erneut eine Aufstockungum 10 Millionen Euro fordern.
Erbepflege geht einmal mehr vor Neukonzeption. Da-bei müsste doch allen Beteiligten klar sein, dass einemWandel der kulturellen Produktionsbedingungen, einemUmbruch der Wahrnehmung und Nutzung von Kultur,wie wir ihn aktuell erleben, auch ein Wandel der Förder-strukturen folgen muss.Nach Berlin fließen circa 40 Prozent der gesamtenMittel für die Bundeskulturförderung. Das ist nicht ein-fach mit dem Gedanken des kooperativen Kulturfödera-lismus in Einklang zu bringen. Trotzdem wird überMuseumsneubauten mit Kosten in dreistelliger Millio-nenhöhe öffentlich nachgedacht. Umsetzen müsste diesdie Stiftung Preußischer Kulturbesitz, eine Stiftung, diechronisch unterfinanziert ist, die seit Jahren mit einerVielzahl von Bau- und Sanierungsprojekten überlastet,wenn nicht überfordert ist, und deren Bauetat in diesemHaushalt um keinen einzigen Euro aufgestockt wird.Wie soll diese Stiftung ein neues Museum der Modernefinanzieren? Was wir jetzt brauchen, ist eine grundsätzli-che Debatte über die Finanzierung der Stiftung und einedeutliche Aufstockung ihrer Mittel.Neben Visionen von Museumsneubauten brauchenwir auch, Frau Grütters, Visionen für die Kulturförde-rung der Zukunft. Zeitgemäße Kulturpolitik muss Ant-worten haben auf die aktuellen Herausforderungen wiezum Beispiel den demografischen Wandel oder die Digi-talisierung. Künstlerinnen und Kreative müssen ausrei-chend sozial abgesichert sein.
Für viele dieser Punkte hat die Linke bereits Vorschlägevorgelegt.
Frau Grütters, Sie haben kürzlich im Spiegel gefordert– Zitat –: „Gebt mir die Millionen.“ Dazu sage ich:Kämpfen Sie um die Millionen – für die Kultur!Danke.
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Hans-
Ulrich Krüger das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Große Koalition macht eine gute Arbeit.
Dies beweist der jetzt vorliegende Gesetzentwurf zumHaushalt. Wir brauchen auch in diesem Jahr, wie es un-ser geehrter, leider viel zu früh verstorbener KollegePeter Struck anlässlich eines derartigen Einbringungs-vorgangs einmal gesagt hat, „unser Licht nicht unter denScheffel zu stellen“. Einen auf der einen Seite strukturellausgeglichenen Haushalt und auf der anderen ein in denKoalitionsverhandlungen gutes und sozial gerechtes,aber vor allen Dingen finanzierbares Investitionspro-gramm zu gestalten, das, liebe Kolleginnen und Kolle-gen, ist eine Kunst. Und wir alle wissen: Kunst kommtvon Können.Die Koalition hat sich viel vorgenommen, und siewird auch viel erreichen. Für eine Haushaltskonsolidie-rung braucht man zum einen Disziplin und zum andereneine gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung. BeideFaktoren liegen vor, ja, sie geben uns den Spielraum, diein den Koalitionsverhandlungen prioritär vereinbartenZiele umzusetzen: die Rente mit 63, die Mütterrente, In-vestitionen in Bildung und Forschung, Unterstützung derKommunen.Gestaltungsspielräume zu nutzen und gleichzeitig zu-künftige Generationen zu entlasten, sind von jeher so-zialdemokratische Anliegen.
Mit der in der letzten Großen Koalition im Grundgesetzverankerten Schuldenbremse haben wir eine Grundlagehierfür bereits geschaffen. Mit den mutigen Reformennoch unter Gerhard Schröder sowie dem entschlossenenund heute auch schon mehrfach angesprochenen Han-deln des Finanzministers Peer Steinbrück und des Ar-beitsministers Olaf Scholz während der Finanzkrisedurch ein umfassendes Konjunkturpaket haben wir eineweitere Basis dafür geschaffen, dass wir heute über ei-nen strukturell ausgeglichenen Haushalt für das Jahr2014 beraten können und für 2015 einen Haushalt ganzohne neue Schulden vorzeigen wollen und werden.
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Dr. Hans-Ulrich Krüger
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Das nenne ich „Investieren in die Zukunft“.Wie ich schon eingangs feststellte: Zum einen einenstrukturell ausgeglichenen Haushalt aufzustellen undzum anderen Geld für wichtige Investitionen in die Handzu nehmen, ist eine Kunst. Beides ist voneinander ab-hängig. Ich kann behaupten, dass die SPD die in der Re-gierung vorhandenen Spielräume für die richtigen Priori-täten nutzt. Lassen Sie mich das kurz vorstellen.Die Lebensleistung von Menschen muss anerkanntwerden. Wer 45 Jahre gearbeitet hat, darf und soll dieFrüchte seiner Arbeit auch ernten können; die KolleginHasselfeldt hat soeben zutreffend darauf hingewiesen.Das heißt, wer mit 18 oder sogar früher angefangen hat,hart zu arbeiten, kann mit 63 in den Ruhestand gehen.Nicht jeder von uns leistet einen solchen Solidaritätsbei-trag, indem er derart lange Beiträge in unser Sozialversi-cherungssystem einzahlt. Insofern ist die Anerkennungder Lebensleistung dieser Menschen nicht nur sozial ge-recht, sondern auch sachgerechte Fürsorge des Staates.Deswegen liegt die Zustimmung für die Rente mit 63 fürlangjährig Versicherte in der Bevölkerung bei 87 Prozentund bei den 18- bis 34-Jährigen sogar bei 89 Prozent.Gerade der Großteil der jungen Generation steht voll-ständig hinter dem Plan, Menschen, die jahrzehntelanghart gearbeitet haben, einen früheren Rentenzugangohne Abschläge zu ermöglichen. Der Rentenbeitragssatzin der Deutschen Rentenversicherung bleibt 2014 alsobei 18,9 Prozent. Es bleibt damit beim Status quo.Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht genug:Wir verbessern auch die Anerkennung von Kindererzie-hungszeiten in der Rente für Väter und Mütter, derenKinder vor 1992 geboren wurden. Auch das ist ein Ge-bot der Fairness. Eltern, die ihre Kinder erziehen, wis-sen, was das heißt. Kindererziehung und Kinderbetreu-ung sind ein Fulltime-Job. Von daher ist es nur fair undsozial gerecht, dass die Kindererziehungszeit mit einemweiteren Entgeltpunkt berechnet wird. Zukünftig, alsoab dem 1. Juli 2014, erhalten demgemäß Väter und Müt-ter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, pro Kindzwei Jahre Erziehungszeit angerechnet und damit eineerhöhte Rente.Diese „Mütterrente“ wird zunächst aus den Beiträgender Rentenversicherung und den Rücklagen finanziert.Als SPD – das bekenne ich ganz freimütig – hätten wiruns vorstellen können, hierfür Steuermittel heranzuzie-hen. Dies jedoch war aus den bekannten Gründen in denVerhandlungen nicht umsetzbar. Somit wird es 2019 ei-nen zusätzlichen Bundeszuschuss aus Steuermitteln andie gesetzliche Rentenversicherung geben. Diese Mittelwerden dann bis 2022 auf 2 Milliarden Euro jährlich er-höht. Sie sehen, meine Damen und Herren, auch dieMütterrente ist ein Gebot staatlicher Fairness.Einen dritten Punkt möchte ich ebenfalls noch erwäh-nen, nämlich die Erwerbsminderungsrente. Auch diese er-höhen wir. Die Erwerbsminderungsrente erhalten bekann-termaßen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen,zum Beispiel wegen eines Unfalls, nicht mehr berufstätigsein können. Auch hier ist staatliche Fairness angebracht.Wir werden daher die Erwerbsminderungsrente ebenfallsab dem 1. Juli 2014 um 5 Prozent erhöhen. Nur ein hand-lungsfähiger Staat ist in der Lage, sich stark zu machenfür sozialen Ausgleich und gesellschaftliche Teilhabe.Das tun wir. Das wollen wir.Ein weiterer wichtiger Förderungsschwerpunkt sind In-vestitionen in Bildung und Forschung. Bildung und For-schung ist und wird ein Schwerpunkt unserer gemeinsa-men Politik bleiben. 14 Milliarden Euro werden hierfürim Haushalt zur Verfügung gestellt. Wir reagieren damitauch auf die stark gestiegene Zahl von Studienanfängernund -anfängerinnen. Es ist gut und wichtig, dass immermehr junge Menschen aus allen gesellschaftlichen Schich-ten einen guten Schulabschluss schaffen und Zugang zuden Universitäten und so zu optimaler Chancengleichheitim Leben erhalten. Das kostet Geld. Von daher ist esnicht nur richtig, sondern notwendig, dass der Bund2014 circa 1,8 Milliarden Euro zur Verfügung stellt, wo-mit die Länder bei der Schaffung zusätzlicher Studien-plätze unterstützt werden. In diesem Zusammenhangmüssen natürlich auch die Studienbedingungen und dieQualität der Lehre verbessert werden. Wir müssen es da-rüber hinaus auch als Baustelle und Hausaufgabe für dieaktuelle Legislatur ansehen, eine grundlegende Reformdes BAföG zu erarbeiten und auch zu beschließen.
Ein besonderes Anliegen sozialdemokratischer Poli-tik ist die Stärkung der Leistungsfähigkeit unseres Bil-dungssystems. Um es mit den Worten der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft aus-zudrücken: „Wir wollen kein Kind zurücklassen.“ DasGleiche gilt für Schüler, Jugendliche und Studenten. An-ders gesagt: Die Chancen junger Menschen dürfen nichtvom Geldbeutel der Eltern abhängen.
Auch die Forschung wird weiter gestärkt, liebe Kolle-ginnen und Kollegen. Die entsprechenden Einrichtungenerhalten 5 Prozent höhere Zuwendungen.Eine weitere prioritäre Maßnahme – das wurde heuteschon angesprochen – ist die Erhöhung der Mittel für dieStädtebauförderung. Ich erinnere nur daran, dass dasProjekt „Soziale Stadt“ zuletzt noch mit 28,5 MillionenEuro, also knapp 30 Millionen Euro, dotiert war. Wir ha-ben mittlerweile eine Dotation von 150 Millionen Eurofestgelegt. Ich erinnere daran, dass wir die Mittel für dieStädtebauförderung auf 700 Millionen Euro angehobenhaben.
Das ist etwas, was angesichts der Lage der Kommunenbitter nötig ist.Im Zusammenhang mit den Kommunen komme ichnun zu einem zentralen und wichtigen Thema diesesBundeshaushalts. Ja, wir haben im Koalitionsvertragvereinbart, dass der Bund die Kommunen finanziell ent-lastet. Das ist angesichts der Belastung finanzschwacherStädte und Gemeinden bitter nötig. Viele Städte undKommunen, die erhebliche Leistungen zu erbringen ha-ben, können ihre Haushalte kaum noch stemmen. Siestehen häufig unter dem Druck von Haushaltssiche-
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2352 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Dr. Hans-Ulrich Krüger
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rungskonzepten und verlieren damit das ureigenste kom-munale Instrument der Selbstverwaltungshoheit. An die-ser Stelle sind wir gefordert.Ab 2014 – auch das ist angesprochen worden – über-nimmt der Bund vollständig die Kosten der Grundsiche-rung in Höhe von aktuell 5,5 Milliarden Euro. Das ist eingroßer, für die Gemeinden direkt positiv spürbarer Er-folg sozialdemokratischer Politik, der – ich erinnere da-ran – nicht zuletzt aufgrund der rot-grünen Hartnäckig-keit im Vermittlungsausschuss zustande gekommen ist.Ferner haben wir vereinbart, dass die Kommunen imRahmen der Verabschiedung des Bundesteilhabegeset-zes in einem Umfang von 5 Milliarden Euro jährlich vonden Kosten der Eingliederungshilfe für behinderte Men-schen entlastet werden. Wir stehen fest zur Verabschie-dung des Bundesteilhabegesetzes in dieser Legislatur;daran wird nicht gerüttelt. Und eines, liebe Kolleginnenund Kollegen, ist auch klar: Bis dieses Gesetz erarbeitetist, werden die Kommunen, beginnend ab Januar 2015,um 1 Milliarde Euro jährlich entlastet. Ziel ist es, dassdas Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch indiesem Jahr mit den Arbeiten an diesem Gesetzgebungs-vorhaben beginnt. Im Zuge des Bundesteilhabegesetzessoll die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilha-berecht weiterentwickelt werden, das Leben von Men-schen mit Behinderung eindeutig und konkret verbessertwerden. Wir werden daher alles dafür tun, dass diesesGesetz in 2016 verabschiedet wird. Wir definieren auchganz klar das angestrebte Ziel, bereits 2017 zu einer hö-heren Entlastung der Kommunen zu kommen.Sie sehen, meine Damen und Herren, auf der einenSeite einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu prä-sentieren und auf der anderen Seite Zukunftsinvestitio-nen für die Menschen in unserem Land vorzusehen,schließt sich nicht aus, nein, das ist unabdingbar mitei-nander verbunden. Wir betreiben insofern eine Politikder ökonomischen Vernunft.Lassen Sie mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, an-gesichts der Debatte um die Einnahmen und Ausgabender öffentlichen Hand zum Schluss noch ein paar Sätzezur Steuerehrlichkeit in unserer Gesellschaft sagen, einemThema, welches uns, die Medien und die Menschen imLand in den letzten Wochen sehr bewegt hat. Ich möchtedaher in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass esder nordrhein-westfälische Finanzminister NorbertWalter-Borjans war, der mit dem beharrlichen, damalsvon vielen beschimpften, heute aber von fast allen bejah-ten Ankauf von Steuer-CDs nicht nur eine Diskussionüber Steuerehrlichkeit und Steuermoral in Gang gesetzthat, sondern auch dafür gesorgt hat, dass so mancher hin-terzogene Steuereuro doch noch in die Staatskasse ge-flossen ist.
Nordrhein-Westfalen hat für den Kauf von Steuer-CDsbislang einen einstelligen Millionenbetrag ausgegebenund dadurch im Gegenzug mehr als 300 Millionen Euroan entzogenen Steuern für die Bürger eingenommen –wie ich finde, eine gute Rendite.Sie sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch andie Opposition gerichtet –: Die Große Koalition packt anallen Fronten, auf allen Ebenen die Probleme an. Wirsind auf einem sehr guten Weg. Diesen werden wir wei-tergehen. Ich lade Sie daher ein, unsere Arbeit bei denHaushaltsberatungen zu unterstützen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat die Staatsministerin und Beauftragte der
Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika
Grütters.
M
Liebe Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!Gleich zwei Ereignisse haben uns Kulturfreunde – übrigensweltweit – in den letzten Tagen sehr bewegt: Das eine warder Durchbruch bei der Bearbeitung des sogenanntenSchwabinger Kunstfundes und das andere die große Aus-stellung von Ai Weiwei im Martin-Gropius-Bau. Ich finde,beide Ereignisse – deshalb erwähne ich sie hier eingangs –sagen sehr viel aus über unser Verständnis als Kulturnation.Gestern konnten wir immerhin erleichtert feststellen,dass Herr Gurlitt sich bereit erklärt hat, die Raubkunstfreiwillig – das ist erstmals in der Geschichte der Repu-blik so – an die Erben der damaligen, meist jüdischenBesitzer zurückzugeben. Das ist nicht nur ein großer Er-folg in diesem spektakulären Fall, sondern das zeigt vorallem, dass Deutschland auch 70 Jahre nach Ende desZweiten Weltkrieges nicht aufhört, seine Vergangenheitaufzuarbeiten, selbst wenn es wehtut.
– Ich finde, dass das, worum es hier geht, einen Applauswert ist, insbesondere weil sich ein Privater, der dasnicht hätte tun müssen, freiwillig dazu bereit erklärt hat.Vor allen Dingen wird eines dabei sichtbar: Es geht imEinzelfall nicht immer nur um den materiellen Aus-gleich, sondern auch um die Anerkennung der Opferbio-grafien,
also auch um so etwas wie die moralische Durchdrin-gung unser aller Geschichte.Vor genau einer Woche haben wir im Martin-Gropius-Bau die weltweit größte Ausstellung des Künstlers AiWeiwei eröffnet, die deshalb weltweit so viel Aussehenerregt, weil er in China unter Hausarrest steht und weilseine Kunst, die subversiv ist und manchmal fast verfüh-rerisch ästhetisch, obwohl er in allen seinen Arbeiten im-mer wieder auch die Unterdrückung, die er erfahren hat,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2353
Staatsministerin Monika Grütters
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aufarbeitet, so etwas ist wie ein Manifest gegen Unge-rechtigkeit und gegen Willkür.Daran wird deutlich, dass Kunst und Kultur – das giltnicht nur für Deutschland, sondern überall – kein dekora-tiver Luxus sind, sondern eine Haltung, ein Modus desZusammenlebens. Die Künstler denken über die Bedin-gungen unserer Existenz und über die Verfasstheit einerGesellschaft nach, und man kann eine Gesellschaft sehrgenau daran erkennen, wie sie mit ebendiesen Künstlernumgeht. Das ist eine Art Lackmustest für die Demokratieund für die Achtung der Menschenrechte. FriedrichSchiller hat das, wie ich finde, einmal sehr poetisch indie Worte gefasst: „Die Kunst ist eine Tochter der Frei-heit.“Der Schutz dieser Freiheiten, unter denen Geist undKultur gedeihen, muss deshalb auch oberster Grundsatzjeder verantwortlichen Kulturpolitik sein; denn es kannja nur der Staat sein, der diese Kunst und diese Freiheitschützt. Das heißt, wenn wir heute über den Kulturetatder Bundesregierung sprechen, dann sprechen wir übernichts Geringeres als über die Grundlage unseres Zu-sammenlebens.Ganz konkret: Ein Staat wie Deutschland, der reich ankulturellen Traditionen ist, dessen Brüche aber auch sehrradikal sind, muss eben auch im Umgang mit seinenKulturgütern Klarheit schaffen und nach fairen und ge-rechten Lösungen suchen. Deshalb bin ich sehr dankbar– und das ist nicht banal –, dass wir die Mittel für Prove-nienzrecherche und für die Rückgabe tatsächlich noch indiesem Haushalt für 2014 verdoppeln konnten.Es kann sein, dass das Deutsche Zentrum Kulturgut-verluste spät kommt, aber es kommt noch zur rechtenZeit. Das macht einmal mehr deutlich, wie wichtig unsdie Aufgabe ist. Deshalb bin ich wirklich dankbar undimmer noch beeindruckt, dass ausgerechnet meine israe-lische Kollegin Limor Livnat bei unserem Besuch unver-mittelt – das war nicht geplant – einmal mehr gesagt hat,sie bewundere, was wir in der kurzen Zeit gemacht ha-ben. Sie fragte sogar, ob wir deutsche Provenienzfor-scher in israelische Museen schicken können. Wenn daskein Vertrauensbeweis ist!
Jetzt, verehrte liebe Kollegin Rößner, komme ich zurMedienpolitik, und zwar zu dem Teil, den der Bund zuverantworten hat. Ich weiß, Sie haben sich ins ZDF ver-bissen, aber das ist und bleibt Ländersache. – Übrigens,zu persönlichen Raufereien: Ich neige wirklich nichtdazu, gleich meinen Amtsvorgänger aus dem Amt zu ja-gen.Kommen wir also zur Medienpolitik des Bundes.Die Krisen in der Ukraine und der Arabische Frühling– oder das, was davon übrig geblieben ist – zeigen unseinmal mehr, wie wichtig unabhängiger, freier Journa-lismus ist. Die Deutsche Welle als Auslandssendersteht eben für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Men-schenrechte, Demokratie und soziale Marktwirtschaft.
– Da können Sie gerne lachen. Ich finde, es ist nicht zumLachen, sondern wichtiger denn je.
Der Wettbewerb um die Weltöffentlichkeit, um Werteund Ideen hat sich drastisch verschärft. Die DeutscheWelle konkurriert inzwischen mit mindestens 26 interna-tionalen Sendern, und viele von denen stehen eben nichtfür freie Meinungsäußerung, sondern für eine aggressiveund tendenziöse Berichterstattung und nicht selten fürZensur und Propaganda. Trotzdem ist es der DeutschenWelle in den letzten Jahren gelungen, die Nutzung ihresAngebots um 17 Prozent auf immerhin 101 MillionenZuschauer pro Woche zu steigern. Ich glaube, das ist einZeichen für hohe Glaubwürdigkeit. Sie setzt daneben na-türlich auch mit mutigen Entscheidungen ein Zeichen,wie der, die Satiresendung des Ägypters Bassem Youssefin ihr Programm zu übernehmen; da hat es starke Kon-kurrenz, nicht zuletzt von der BBC, gegeben.Deshalb ist es wichtig, dass wir die Deutsche Welle stär-ken. Dies haben wir in diesem Haushalt kurzfristig mit min-destens 2 Millionen Euro mehr – auch über ODA-Mittel –getan, und das soll nicht das letzte Wort gewesen sein.
Helfen Sie also mit, die Deutsche Welle zu stärken undzu stabilisieren.Noch ein paar Worte zum Thema Filmförderfonds. Erist hier angesprochen worden. Dafür standen jahrelang60 Millionen Euro zur Verfügung. Das verteidige ichauch. Als die Mittel einmalig auf 70 Millionen Euro auf-gestockt wurden, sind – das müssten Sie wissen – nur62 Millionen Euro abgeflossen, nicht mehr.Ich finde es traurig, dass wir alle die Filmförderungimmer nur auf diesen einen Fonds reduzieren und nichtsüber die Drehbuchpreise, über die Förderung des Kin-derfilms in Deutschland, über das Oberhausener Film-festival und beispielsweise über die Berlinale sagen. Ichfände es besser, wenn wir die Filmförderung ernst näh-men. Sie steht ganz oben auf unserer Agenda und nimmtmehr Raum ein als fast alle anderen Themen.
Frau Kollegin Grütters, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung der Kollegin Rößner?
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Ja.
Vielen Dank, Frau Grütters. – Ich will im Zusammen-hang mit dem Deutschen Filmförderfonds nachfragen.Sie haben am 6. Februar dieses Jahres – das ist geradeeinmal zwei Monate her – gesagt – ich zitiere –:
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2354 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Tabea Rößner
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Filme brauchen Förderer – einer der wichtigstenGrundpfeiler der Filmförderung in Deutschland istder Deutsche Filmförderfonds . Im letztenJahr wurden im Rahmen des DFFF 70 MillionenEuro für die Produktion von Kinofilmen zur Verfü-gung gestellt. Auch der im Juni letzten Jahres be-schlossene Entwurf des Bundeshaushaltes 2014sieht für dieses Jahr eine Förderung in Höhe von70 Millionen Euro vor. Und dabei wollen wir auchgerne bleiben!Das war Ihre Ankündigung. Deshalb wundere ichmich jetzt, dass – –M
Frau Kollegin, wir reden im Moment über den Regie-
rungsentwurf.
In dem waren immer 60 Millionen Euro vorgesehen.
Die 10 Millionen Euro, die hinzukommen, hoffe ich,
ehrlich gesagt, im parlamentarischen Verfahren verteidi-
gen zu können. Sie sollten aber zumindest zur Kenntnis
nehmen, dass in einem Jahr nur 62,4 Millionen Euro ab-
geflossen sind.
Wir alle gemeinsam können dafür werben, dass es im
parlamentarischen Verfahren – das war zumindest in den
vergangenen zwei Jahren so – wieder zu einer Aufsto-
ckung kommt. Aber wir reden jetzt über den Regie-
rungsentwurf.
Jetzt möchte ich weitermachen. Die Wahrung unseres
kulturellen Erbes ist das eine Thema. Ich komme zu ei-
nem anderen Thema, das Sie angesprochen haben, näm-
lich der Fürsorge für die Künstler, die für uns wichtig
sind. Deswegen hat für die Kollegin Nahles – jetzt ist sie
nicht mehr da – und für mich die Künstlersozialkasse,
die vor 31 Jahren gegründet wurde, wieder einmal Prio-
rität in unserer Politik, und wir haben bereits innerhalb
der ersten 100 Tage dafür gekämpft, dass dieser kultur-
politische Meilenstein
– jetzt gibt es eine Diskussion um den Filmförderfonds;
das finde ich schade, weil die Künstlersozialkasse min-
destens genauso wichtig ist – nicht beschädigt wird.
Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Künstler ange-
messen bezahlt und sozial abgesichert werden. Ich bin
der Kollegin dankbar, dass sie schon jetzt einen Entwurf
vorgelegt hat, auf den wir uns verständigt haben und der
am 30. April im Kabinett beraten werden soll, damit die
Künstler tatsächlich besser abgesichert werden.
Frau Hupach, ich komme zum Thema kooperativer
Kulturföderalismus. Ich finde, wir Kulturleute können
noch einigermaßen froh darüber sein, dass die Zusam-
menarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen in
der Kultur relativ gut funktioniert. Ich erinnere an den
Bildungsbereich, in dem man sich selbst auf die Aufhe-
bung des Kooperationsverbotes zur Finanzierung der
Hochschulen nicht einigen kann.
Ich habe immerhin bereits zwei Monate nach Amts-
antritt nicht nur die Kulturminister, sondern auch Vertre-
ter der Kommunen zum Gespräch eingeladen. Wir haben
uns für die gemeinsame Arbeit drei wichtige Themen
vorgenommen. Das ist mehr, als es je gegeben hat, und
natürlich werde ich weiter daran arbeiten.
Freiheit von Kunst und Kultur heißt natürlich auch
Freiheit von Geldsorgen. Geld ist nicht alles. Aber ohne
Geld geht fast nichts. 1,6 Prozent der Mittel in den öf-
fentlichen Haushalten für Kultur sind übrigens nicht
viel, aber wir sind damit immer noch das Land mit der
weltweit höchsten Kulturdichte.
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass es mit der
großen Unterstützung durch das Parlament, durch die
Haushälter und auch durch den Finanzminister – das ist
in Zeiten von Schuldenbremse, ausgeglichenen Haushal-
ten oder dem ehrgeizigen Ziel der Schuldentilgung nicht
wenig – gelungen ist, den Etatansatz zu verteidigen. Ich
hoffe natürlich ein bisschen auf die Parlamentarierinnen
und Parlamentarier. Ich nenne hier das Stichwort Denk-
malschutzprogramm.
Ihre Unterstützung und Ihrer aller Solidarität haben
dazu geführt, dass die Kultur in unserem Land einen so
hohen Stellenwert hat. Ich möchte mich auch ausdrück-
lich bei der Opposition bedanken; denn das große Ein-
vernehmen ist fraktionsübergreifend und beschränkt sich
nicht auf die Koalitionsfraktionen.
Wie sagte Schiller: „Die Kunst ist eine Tochter der
Freiheit.“ Ich finde, sie ist auch das geistige Band, das
uns zusammenhält. Hoffen wir gemeinsam, dass es stark
bleibt und hält.
Ich bedanke mich.
Die Kollegin Dr. Eva Högl hat nun für die SPD-Frak-
tion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undliebe Kollegen! Diese Koalition hat vereinbart, den Kul-turhaushalt des Bundes auf hohem Niveau weiterzuent-wickeln. Weiter heißt es – ich darf zitieren –: „Kultur istkeine Subvention, sondern eine Investition in unsere Zu-
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Dr. Eva Högl
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kunft.“ So haben wir das in unserem Koalitionsvertragniedergelegt.
Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, und trotzdemwissen gerade die Kulturpolitikerinnen und Kulturpoliti-ker, dass wir diese vermeintliche Selbstverständlichkeitmit Leben füllen müssen und dass wir Kulturpolitikerin-nen und Kulturpolitiker einen ganz langen Atem brau-chen und unsere Anliegen häufig gegen massive Wider-stände durchsetzen müssen.Gestatten Sie mir, Frau Bundeskanzlerin, dass ich aneinen Ihrer Vorgänger erinnere. 1998 – es war also einerot-grüne Bundesregierung – hat es Gerhard Schröderdurchgesetzt, dass wir einen Beauftragten für Kultur undMedien bekommen. Das war damals Michael Naumann.Ich darf auch sagen, dass ich froh bin, dass wir mit Ih-nen, liebe Frau Grütters, so eine engagierte und durch-setzungsstarke Person an dieser Stelle haben und sicher-lich noch viel bewegen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie werden verste-hen, dass ich es als Berlinerin begrüße, dass wir in unse-rer Kulturpolitik einen Akzent auf die Hauptstadtkulturlegen und dass viele der bereitgestellten Mittel des Bun-des nach Berlin und dort direkt in kulturelle Einrichtun-gen und Projekte fließen. Zahlreiche dieser Einrichtun-gen und Projekte haben ihren Standort sogar in meinemWahlkreis, nämlich in Berlin-Mitte. Deswegen freue ichmich darüber ganz besonders.Wichtig ist aber vor allem, dass wir uns der Bedeu-tung Berlins als Kulturhauptstadt bewusst sind und dasswir Berlin nicht nur unterstützen, sondern auch mit Ber-lin gemeinsam vor Ort eine gute Kulturpolitik gestalten,von der auch wir sehr stark profitieren.
Lassen Sie mich drei aktuelle Themen kurz anreißen.Das Stichwort Stiftung Preußischer Kulturbesitz istschon gefallen. Diese Stiftung gehört zu den größten undbedeutendsten Kultureinrichtungen, die wir in Deutsch-land haben, und leistet ganz hervorragende Arbeit.Ich möchte einen Punkt ansprechen, liebe FrauGrütters, den Sie in den letzten Wochen in die Diskus-sion geworfen haben, nämlich den Standort der altenMeister bzw. den Umzug der alten Meister vom Kultur-forum auf die Museumsinsel. Ich finde es als Kulturpoli-tikerin richtig und wichtig, Visionen zu haben und Per-spektiven zu entwickeln. Das ist notwendig. Dasbrauchen wir insbesondere in der Kulturpolitik. Es isteine charmante Idee, auf der Museumsinsel alle Kunst-werke zu versammeln, die dort hingehören.Aber wir Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitikerwissen auch – das sage ich mit Blick auf die Haushälte-rinnen und Haushälter –, dass wir die besten Pragmatikersein müssen. Deswegen müssen wir uns darüber im Kla-ren sein, dass nicht alles, was künstlerisch ideal und eineschöne Vision wäre, tatsächlich durchsetzbar ist.Es gehört auch zur Haushaltsdebatte, zu sagen: Viel-leicht reicht ein bisschen weniger, wenn es dafür durch-setzbar ist. Wenn wir aber den Umzug und schöne Ge-bäude für das Kulturforum wollen, was ich mir alsBerlinerin wünschen würde, dann müssen wir alle ge-meinsam – so ehrlich sollten wir miteinander sein; FrauGrütters hat eben schon gesagt, dass sie auf die Parla-mentarier setzt – eine ganze Menge mehr Geld in dieHand nehmen.Stichwort Humboldtforum – das ist ein wichtigesThema für uns alle im Deutschen Bundestag –: Wir wol-len das Humboldtforum zu einem Zentrum machen, dasein beliebter Ort im Herzen von Berlin ist, wo etwasstattfindet und wo alle gerne hingehen. Deswegen disku-tieren wir jetzt nicht länger über das Schloss, ob wir esgut finden oder ob wir uns ein anderes Gebäude hättenvorstellen können; vielmehr ist es jetzt unsere Aufgabe,darüber zu debattieren, was dort stattfinden soll.Wir laden die Kulturen der Welt ins Herz von Berlinein. Das ist eine ganz hervorragende Entscheidung. Des-wegen müssen wir gemeinsam in den nächsten Wochen,Monaten und Jahren darüber debattieren, was genau dortstattfinden soll und wie wir das Humboldtforum als le-bendigen Ort der Kultur gestalten.
Jetzt habe ich viel über Hochkultur gesprochen. Ichmöchte nicht schließen, ohne deutlich zu machen, dassKunst und Kultur aus vielen kleinen Projekten und Ini-tiativen bestehen, für die sich Einzelne zusammentunund eine Existenz gründen. Das gilt im Übrigen nichtnur für Kunst und Kultur, sondern auch für Medien. Des-wegen ist es unglaublich wichtig, dass wir all diejenigenKulturschaffenden – ganz kleine, feine Initiativen – un-terstützen, nicht nur im Bereich der sozialen Sicherheitdurch die Künstlersozialkasse, sondern auch durch Pro-gramme und Projekte, beispielsweise Atelierprogramme,dass wir ihnen einen guten Start verschaffen und es vorallen Dingen – darauf kommt es in der Kulturpolitik an –vielen Menschen ermöglichen, diese Kultur nicht nur zugenießen und sich an ihr zu beteiligen, sondern sie aktivzu gestalten und sich damit auseinanderzusetzen.Kulturpolitik ist beste Gesellschaftspolitik. Das setztvoraus, dass möglichst viele an ihr partizipieren. Auchdas ist unsere Aufgabe, wenn wir über den Kulturhaus-halt diskutieren.Vielen Dank.
Der Kollege Rüdiger Kruse hat nun für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Kollegin Rößner von den Grünen – sie ist nichtmehr anwesend – hat sich vehement für die Filmförde-rung eingesetzt, was natürlich eine gute Sache ist. Dahermag es geschenkt sein, dass sie nicht Gleiches mit Glei-chem verglichen hat. Die Regierungsentwürfe sind mit60 Millionen Euro gleich geblieben. Wir haben dann alsParlament noch 70 Millionen Euro draufgelegt.
– 10 Millionen Euro, Entschuldigung; ich will da keineErwartungen wecken. – Wenn man einmalig etwasdrauflegt, wird das oft im Nachgang quasi noch bestraft,weil das dann für immer gefordert wird. Wenn aber von70 Millionen Euro nur circa 63 Millionen Euro abflie-ßen, war die Erwartung, dass es sich um einen begieri-gen Schwamm handelt, der viel mehr aufsaugen könnte,wohl doch nicht richtig. Das heißt, so schlecht liegen wirmit den 60 Millionen Euro nicht.Wenn man denn vergleichen will, dann müssten dieGrünen in diesem Punkt vergleichen, was sie zu ihrerRegierungszeit mit dem Deutschen Filmförderfonds ge-macht haben. Wie hoch waren die Zahlen damals? Wa-ren das 60 Millionen, 50 Millionen, 30 Millionen,20 Millionen oder 10 Millionen Euro? – Es waren0 Euro! Das ist der Ausgangspunkt gewesen.
Angesichts dessen ist es kein schlechtes Ergebnis, dass2014 wieder 60 Millionen Euro für den deutschen Filmzur Verfügung gestellt werden.
Das ist ein guter Einstieg für eine Momentaufnahmein diesem Land. In diesem Augenblick leben wir in ei-nem Wohlfühlland; Sie kennen das vielleicht. Dannkommt meistens herbe Kritik. Obwohl ich keine rheini-sche Frohnatur bin, fühle ich mich gerne wohl. Ich findees gut, dass die meisten Menschen sagen: Es lebt sichgut in Deutschland; wir sind gerne hier. – Sie haben dasauch verdient; denn sie haben das alles über Jahrzehntemit viel Leistung aufgebaut. Von außen betrachtet – ichbetone: von außen –, aus Sicht der Mehrzahl der anderenLänder, ist Deutschland wahrscheinlich so etwas wie einParadies. Nun gibt es zwischen dem Wohlfühlaugen-blick, den wir gerade erleben, und dem Paradies ent-scheidende Unterschiede. Das Paradies ist für die Ewig-keit, aber erst in der Ewigkeit. Der Augenblick – dasbesagt schon das Wort – ist ein Moment, der wieder ver-geht. Wenn man den Wunsch hat, dass der Augenblickverweilen soll, dann muss man etwas dafür tun. Damitverhält es sich in etwa so, als ob Sie in einem strömungs-schnellen Fluss rudern. Wenn Sie nicht nur auf der Stellebleiben, nicht nur Fahrt übers Wasser, sondern überGrund machen, dann sind Sie richtig gut. Wenn Sie dannaber vor lauter Freude die Ruder hochklappen und sa-gen: „Was haben wir vollbracht!“, dann sind Sie ganzschnell wieder hinter dem Ausgangspunkt und treiben ir-gendwann hinaus auf das offene Meer. Viel Glück! Dasbedeutet, dass der Mensch, solange er lebt, eben strebenmuss. Wir müssen also etwas tun, um den Wohlfühl-augenblick zu verlängern. Wenn wir dann noch den Ehr-geiz haben, das zum Ende der Legislaturperiode zu ver-bessern, bedeutet das, dass noch viel zu tun ist.Ein wesentliches Kriterium des Haushalts 2014 ist,dass er zum ersten Mal seit langer Zeit die Zukunftsfä-higkeit in sich trägt. Wenn wir das so machen, dann kön-nen wir das auch so weitermachen. Wenn wir eineschwarze Null schreiben, dann ist das ein sehr guter An-satz. Genau das schulden wir zukünftigen Generationen.Aber wie machen wir das in Zukunft? Wo gibt es nochBereiche, in denen wir in den nächsten vier Jahren mehrtun müssen? Vergleichen wir das Ganze einmal mit demKörperbau. Damit Gehirn, Lunge und alles andere funk-tionieren, gibt es im Körper eine Infrastruktur, bestehendunter anderem aus Arterien, Venen und Nerven. Was tunwir für die Infrastruktur, um das Ganze zu unterhalten?Uns stehen rund 300 Milliarden Euro zur Verfügung.Diese Summe wird von Arbeitnehmern und Arbeitge-bern erwirtschaftet und uns über Steuern übereignet, da-mit wir dieses Geld für das Land wieder vernünftig aus-geben. Um dauerhaft Steuereinnahmen in Höhe vonrund 300 Milliarden Euro zu verdienen, investieren wirin die Infrastruktur round about 12 bis 13 MilliardenEuro. Das ist nicht sehr viel. Wenn man eine Rendite zuerwarten hat, wenn man ohne Steuererhöhungen in Zu-kunft mehr machen möchte, dann muss man bei gleichenSteuersätzen versuchen, aus den Steuereinnahmen mehrzu machen. Selbst wenn man das Niveau nur halten will,wird man investieren müssen. Das heißt, perspektivischsind wir gut beraten, wenn wir dieses Segment noch wei-ter ausbauen. Die 5 Milliarden Euro mehr in dieser Le-gislaturperiode sind ein richtiges Zeichen; das ist ein ers-ter Schritt. Aber bekanntlich bestehen längere Wegenicht nur aus einem Schritt. Das heißt, wir müssen nochweiter gehen.Wenn man sich etwas wünschen dürfte, dann wäre es,dass man sich darauf einigt, in den nächsten 20 Jahreneine Politik zu betreiben, mit der der Nachholbedarf inder Infrastruktur in Höhe von 60 bis 80 Milliarden Euroin diesem Zeitraum gedeckt wird. Dahin sollte man dasGanze steuern. Das wäre schon einmal ein guter Beitrag.Wasserstraßen, Schienen und Autobahnen sind sehrwichtig, aber sie sind nicht identitätsstiftend.Damit sind wir bei dem Thema, das eben stark an-klang, nämlich der Kultur. Diese ist sehr identitätsstif-tend und sagt viel über ein Land aus. Sie trägt viel dazubei, dass man sich dort wohlfühlt. Wir haben vorhin überdie Infrastruktur gesprochen, wo viel gebaut wird. Beieinem Staatsbau gibt es immer die Abteilung Kunst amBau. Es wäre jetzt vielleicht abfällig, wenn ich sagenwürde, Monika Grütters sei die Staatsministerin fürKunst am Bau. Das klingt so ähnlich wie „Frauen undGedöns“. Aber wenn ihr Etat so groß wäre wie der fürKunst am Bau, dann beliefe er sich auf immerhin 2 bis3 Prozent des Gesamtetats. Nun ist Wolfgang Schäublenicht mehr da, sonst wäre er jetzt erschrocken. Denn daswäre selbst bei 2 Prozent des Gesamtetats eine Verfünf-fachung der Mittel. Es ist wichtig, langfristig einen Auf-wuchs bei den Mitteln für Kulturpolitik anzustreben,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2357
Rüdiger Kruse
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aber wir könnten niemals durch Bundesmittel das kom-pensieren, was die Länder kürzen könnten. Die Ländermüssen also weiterhin zu ihren Verpflichtungen stehen,und der Bund muss seine Aufgaben erledigen.Wir müssen noch etwas sehen: Die Aufgabe des Bun-des strahlt sehr stark nach Europa aus. Wenn wir unsereKulturpolitik noch stärker europaaffin ausrichten, dasheißt mit unseren Partnern die kulturelle Identität Euro-pas stärken, dann leisten wir einen sehr guten Beitrag zurIdentitätsstiftung, und wir leisten auch einen Beitragdazu – Wolfgang Schäuble hat es gestern in seiner Redegesagt –, dass ein Europa, das an Bevölkerung, andersals der Rest der Welt, nicht zunehmen wird und dessenAnteil an der Weltwirtschaft nicht zunehmen wird, nochals attraktiver Partner gesehen wird, dass Deutschlandein Land ist, in das man reisen möchte, wo man lebenmöchte und wo man arbeiten möchte, weil man sich hierwohlfühlen kann.Vielen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Hiltrud Lotze
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Einzelplan der Beauftragten der Bundes-regierung für Kultur und Medien, über den wir hier ge-rade sprechen, beläuft sich auf knapp 1,4 MilliardenEuro. Das ist verglichen mit der Gesamtsumme des Bun-deshaushaltes eine kleine Zahl, aber doch eine erkleckli-che Summe Geld. Geld hilft, das wissen wir alle, auch inder Kultur. Gleichzeitig ist es aber so, dass die Bedeu-tung und die Aufgabe der Kultur weit über die ökonomi-sche Erfassung hinausgehen.Kultur muss geschichtsbewusst sein. In kaum einemanderen Bereich besteht eine so enge Verknüpfung zwi-schen Vergangenheit, Gegenwart und auch Zukunft wieim Kulturbereich; denn die Art und Weise, wie wir heutein unserer Gesellschaft zusammenleben, ist geprägtdurch unsere Erfahrungen in der Vergangenheit. Wirmüssen also bedeutende Ereignisse unserer Geschichteimmer wieder mitdenken, wir müssen uns an sie erin-nern, und wir müssen ihrer gedenken. Deswegen ist zumBeispiel die Erinnerungskultur, die Aufarbeitung und dieAuseinandersetzung mit unserer Geschichte, mit derSystemgeschichte, ganz besonders wichtig. Das ist be-sonders für junge Menschen wichtig, die selber einenTeil der Geschichte nicht erlebt haben, und das stabili-siert auch die Demokratie.
Für Projekte, Veranstaltungen und Konferenzen an-lässlich der Gedenktage, über die hier schon gesprochenwurde – wir gedenken in diesem Jahr des Ausbruchs desErsten Weltkrieges vor 100 Jahren, des Ausbruchs desZweiten Weltkrieges vor 75 Jahren und des Falls derMauer vor 25 Jahren – und die sich mit der Geschichtekünstlerisch und wissenschaftlich auseinandersetzen,sind im Haushalt 500 000 Euro vorgesehen. Für diefriedliche Revolution vor 25 Jahren – sie ist eines dereinschneidendsten Ereignisse der europäischen unddeutschen Freiheits- und Demokratiebewegung – gibt esebenfalls Geld: Seit Anfang des Jahres fördert das BKMVeranstaltungen und Ausstellungen zu diesem Anlass.Besonders erwähnen möchte ich die Open-Air-Ausstel-lung „Friedliche Revolution 1989/1990“ der Robert-Havemann-Gesellschaft, deren Finanzierung jetzt durchden Haushalt BKM dauerhaft gesichert ist. Das hattenwir auch im Koalitionsvertrag so vereinbart.
Wie die Vergangenheit unsere Gegenwart beeinflusst,sehen wir am aktuellen Fall Gurlitt; auch darüber ist hierschon gesprochen worden. Durch die Enteignung undden Abkauf von Kunst zu Ramschpreisen während derNS-Zeit ist jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgernein großes Unrecht geschehen. Das ist uns heute einemoralische Verpflichtung, den Gesichtspunkt der Prove-nienz stärker zu berücksichtigen und rechtliche Regelun-gen zu Verjährung und Entschädigung zu überdenken.Dieser Verantwortung stellen wir uns. Deswegen werdendie entsprechenden Mittel im Bundeshaushalt um 2 Mil-lionen Euro aufgestockt.Gleichzeitig arbeitet unser Bundesjustizminister anrechtlichen Lösungen, um der moralischen Verpflich-tung besser gerecht zu werden. Denn der Fall Gurlittzeigt – auch wenn gerade in diesen Tagen eine Vereinba-rung zustande gekommen ist –, dass es nicht nur die öf-fentlichen Museen sind, die betroffen sind; vielmehrsind es eben auch private Sammlungen, bei denen wirgenauer hinschauen müssen. Ich denke, da sind wir unseinig, liebe Kolleginnen und Kollegen: Unrecht der Ver-gangenheit darf eben auch in der Gegenwart keinen Be-stand haben.Dass sich der Bundesjustizminister intensiv mit dieserFrage befasst, zeigt, dass Kultur in der Bundesregierungnicht nur bei der Kulturstaatsministerin, sondern auch inden anderen Ressorts eine wichtige Rolle spielt. Es istschon darauf hingewiesen worden, dass Andrea Nahles,unsere Bundesarbeitsministerin, in diesen Tagen einenGesetzentwurf vorstellt, mit dem die Künstlersozialver-sicherung stabilisiert und mit dem vor allen Dingen einAnstieg des Abgabesatzes verhindert werden soll. Die-sen Gesetzentwurf wollen wir noch vor der Sommer-pause hier im Plenum beschließen.Kultur lässt sich natürlich nicht auf gleiche Weisefinanzieren wie zum Beispiel ein Stück neue Autobahn,von der man weiß, wie lang und wie breit sie werdensoll; Kultur ist eben nicht statisch. Es braucht deswegenSpielraum im Haushalt BKM, um die Förderkulisse le-bendig zu halten und um flexibel zu sein im Hinblick aufDinge, die sich neu entwickeln. Ich schließe mich da EvaHögls Auffassung an, dass wir das bei den zukünftigenHaushaltsverfahren im Blick behalten müssen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegennicht vor.Wir kommen jetzt zu dem Geschäftsbereich des Aus-wärtigen Amts, Einzelplan 05.Das Wort hat der Bundesminister Dr. Frank-WalterSteinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Außenpolitik ist erkennbar zurück auf der politi-schen Tagesordnung, und das in einer Dringlichkeit, diesich kaum jemand von uns gewünscht hätte, nicht einmaldie Außenpolitiker in den unterschiedlichen Fraktionendieses Parlaments.
– Oder anders, ganz richtig. Vielen Dank.Es ist kein Jahr her, da konnte man den Eindruck ge-winnen, unter den politischen Disziplinen sei die Außen-politik vielleicht diejenige, die schon auf die Rote Listeder aussterbenden Arten gehört. Fall der Mauer, Endeder Blockkonfrontation, deutsche Wiedervereinigung –manche haben gedacht: Wenn es nicht das Ende der Ge-schichte ist, dann ist es aber zumindest der Anfang vomewigen Frieden. Viele von uns haben gedacht: Jetzt be-ginnt die Zeit, in der die jährliche Auszahlung der Frie-densdividende kommt. Der Bedarf an klassischer Au-ßenpolitik des 20. Jahrhunderts schien sozusagen schongedeckt. Große Teile des politischen Feuilletons – undnicht nur die – haben sich darin überboten, den Bedeu-tungsschwund von Außenpolitik mit immer neuen Argu-menten zu belegen. Wer dem widersprochen hat, derwurde – ich kann mich erinnern – gleich als politischerNostalgiker behandelt. Sie wissen: Ich war da immer an-derer Meinung.Mit dem Fall der Mauer war der Kalte Krieg zu Ende.Den mutigen Bürgerinnen und Bürgern in Polen und derfrüheren DDR und denen, die in Tschechien, Ungarn undanderswo geholfen haben, gebührt unser Dank. Aberwas war passiert? Die alte Ordnung mit ihren zynischenGewissheiten, die die Welt in zwei Lager geteilt hat, inOst und West, war hinweggefegt. Aber eine neue Ord-nung war eben nicht entstanden. Im Gegenteil: 25 Jahrenach dem Mauerfall ist die Welt immer noch auf der Su-che nach einer neuen Ordnung, und sie wird es bleiben.Es gibt ganz neue Spieler auf der Weltbühne, in Asienund Südamerika, die nicht nur nach wirtschaftlichemEinfluss suchen, sondern auch um politische Macht rin-gen. Es entstehen neue Interessen und natürlich auch neueKonflikte um Interessen. Die Welt wird multipolar – ja;aber das macht sie ganz offenbar nicht einfacher.Was viele nicht geglaubt hätten, zeigt sich jetzt imKonflikt um die Ukraine: Der Kalte Krieg wirft seinelangen Schatten immer noch auf diese neue, veränderteWelt. Der Konflikt um die Ukraine holt uns auf den har-ten Boden der Realität zurück. Deshalb, meine Damenund Herren, ist jetzt nicht die Zeit für Rückschau undRechtfertigung, sondern jetzt ist es an der Zeit, zu han-deln. Wenn wir eine neue Spaltung Europas verhindernwollen, dann kommt es jetzt auf eine kraftvolle undkluge deutsche Außenpolitik im Bündnis mit unserenNachbarn und der Europäischen Union an. Das ist das,was wir tun.
Inmitten dieser Welt, die seit 25 Jahren auf der Suchenach einer neuen Rangordnung ist und neue Interessen-konflikte austrägt, ist auf diesem Kontinent dennoch et-was gewachsen, was aus den Jahrhunderten von Kriegenund Konfrontationen in Europa herausragt: eine europäi-sche Sicherheitsarchitektur, die uns vor dem Rückfall inGewalt geschützt hat. Ich könnte es auch anders sagen:Nach endlosem Leid, Abermillionen von Opfern undToten ist sie in jahrzehntelanger Arbeit von vielen Gene-rationen von Politikerinnen und Politikern mühevoll er-richtet worden: eine Sicherheitsarchitektur mit Verzichtauf nationale Eiferei, mit Versöhnung, mit guter Nach-barschaft, mit transatlantischen Beziehungen, mit Ost-politik, mit der KSZE, mit europäischer Integration, mitdem Abriss des Eisernen Vorhangs, mit der Annäherungvon Ost und West.Weil das alles so ist, sage ich auch: Jetzt, da an derGrenze Europas gezündelt wird, müssen sich die StaatenEuropas geschlossen vor dieses Friedenswerk stellen.Wir dürfen nicht erlauben, dass dieses in Jahrzehnten ge-wachsene Friedenswerk in wenigen Wochen zerstörtwird. Wir dürfen das nicht zulassen! Dagegen werdenwir uns mit aller Macht stemmen, meine Damen undHerren.
Ich glaube, dass dies einer der vielen Gründe ist, wes-halb wir seit Beginn des Jahres etwas intensiver als sonstüber die Verantwortung unseres Landes in der Welt re-den. Ich habe hier in einer meiner ersten Reden in mei-ner zweiten Amtsperiode davor gewarnt, die Wahrneh-mung von Außenpolitik zu sehr aus der Öffentlichkeitund der Politik zu verdrängen, und habe gesagt: Wir sindein wenig zu groß und ein wenig zu wichtig, um interna-tionale Politik immer nur von der Seitenauslinie zu kom-mentieren. – Andere erwarten da mehr von uns, mehr alsSchulnoten, die wir von hier aus vergeben, mehr als öf-fentliches Reden und kraftvolle Statements. Wenn esnottut und wenn es nicht kontraproduktiv ist, eben auchEinmischung, mindestens aber Engagement. Ich erinnereuns alle daran: Nicht nur durch Tun, sondern auch durchUnterlassen können wir uns schuldig machen, wenn dieMöglichkeit des Handelns besteht.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, genau das ist gemeint. Mit „Verantwortung inder Außenpolitik“ ist nicht eine Militarisierung der Au-ßenpolitik gemeint. „Verantwortung“ ist kein mehr oderweniger verschlüsseltes Codewort für Militäreinsätze.Außenpolitik kann Militäreinsätze als Ultima Ratio nicht
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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ausschließen, aber sie ist das Gegenteil von militärischerEiferei. Sie ist ihrem Wesen nach ausgerichtet auf Ver-hinderung von gewaltsamen Konflikten, auf Vermeidungvon Sackgassen und Automatismen sowie auf Vermei-dung von Eskalationen ohne Exit. Das ist der Weg, fürden die deutsche Außenpolitik weiter stehen will. Fürdiesen Weg bin ich mir der Unterstützung dieses Hausesganz gewiss. Herzlichen Dank dafür!
Nun mag der Weg, den ich damit beschreibe, gele-gentlich etwas anstrengend und – das kann ich Ihnenversichern – häufig sogar frustrierend sein. Er verlangtauch Mut. Es ist sogar riskant, diesen Weg zu gehen,weil das Risiko des Scheiterns leichter sichtbar wird alsbei lang dauernden militärischen Konflikten. Dennoch:Aus meiner Sicht bleibt es der einzige Weg, auf dem wirunserer Verantwortung gerecht werden können.Schwierig ist der Weg auch deshalb, weil politischeLösungen, über die ich rede, langsamer reifen als die öf-fentlichen Erwartungen. Die öffentlichen Erwartungen– das verstehe ich auch – sind getrieben von Sorgen – zuRecht. Öffentliche Erwartungen sind getrieben von Bil-dern. Jede dieser Sorgen, jede Ungeduld im Angesichtsolcher Krisen – ob in der Ukraine, in Syrien oder inAfrika – kann ich verstehen, und dennoch warne ich vorder Erwartung einfacher oder sogar ganz schneller Lö-sungen. Ich sage im Gegenteil – das ist mein Credo,meine Damen und Herren –: Wo andere kopflos handeln,da dürfen nicht auch wir noch kopflos sein, sondernmüssen für Vernunft in der Außenpolitik stehen.
Das ist jedenfalls die Haltung, mit der ich mit meinenbeiden Kollegen aus Polen und Frankreich am 20. Fe-bruar nach Kiew gereist bin, im Wissen um die Risiken– das Ganze kann schiefgehen – und im Wissen um dieVerantwortung, die man dann übernimmt, wenn manhinfährt.Ich kann Ihnen versichern: Auch am Ende des Tages,nach 30 Stunden Verhandlungen, als das Blutvergießenbeendet war, hat sich niemand von uns dreien irgend-welche Illusionen gemacht. Noch vor der Abfahrt ausKiew, noch bevor wir überhaupt wussten, dass HerrJanukowitsch an diesem Tag sein eigenes Land und dieMenschen in der Ukraine im Stich lassen wird, habenwir gesagt: Das, was erreicht ist, ist allenfalls ein Zwi-schenschritt, aber nicht die politische Lösung.Leider erleben wir jeden Tag, wie berechtigt diese Be-fürchtung war. Wenige Tage später eskalierte die Kriseerneut, auch durch die politisch inakzeptable, verfas-sungswidrige und völkerrechtswidrige Annexion derKrim. Ich sage es auch hier noch einmal – ich habe es öf-fentlich viele Male gesagt –: Wer sieben Jahrzehnte nachKriegsende beginnt, bestehende Grenzen in Europa mut-willig zu korrigieren, der verletzt nicht nur Völkerrecht,sondern öffnet auch die Büchse der Pandora, aus der,wenn das zum Modell wird, Unfrieden immer wiederneu entstehen wird.
Selbst wenn auch wir in Europa nicht jeden Tag allesrichtig machen, meine Damen und Herren: Dafür trägtRussland die Verantwortung.
Aber was bedeutet das? Auch wenn wir sagen: „Russ-land trägt die Verantwortung für die Lage, wie sie jetztentstanden ist“, kann uns die weitere Entwicklung in die-sem Raum, in der Ukraine und in der Nachbarschaft derUkraine, nicht gleichgültig sein. Es ist ein Konflikt inunserer allernächsten Nachbarschaft. Meine Hoffnungist immer noch, dass Russland es am Ende so sieht, dassweder es selbst noch die Europäische Union ein Inte-resse daran haben kann – keiner kann ein Interesse daranhaben –, dass in dem Raum zwischen uns die Ukrainepolitisch und wirtschaftlich kollabiert.Das ist der Grund dafür, dass wir gesagt haben: Daskann uns nicht gleichgültig sein. Wir werden versuchen,Hilfe zu organisieren: über den IWF, über die Europäi-sche Union. Aber das wird auch bilateral stattfindenmüssen. Es geht dabei doch weiß Gott nicht nur umGeld.Was steht in der Ukraine an? Ein Kampf gegen dieKorruption, der für viele von uns Voraussetzung dafürist, dass wir überhaupt Geldleistungen tätigen; eine Re-form der Verwaltung, die von Grund auf stattfindenmuss; eine Reform des Justizwesens, damit wieder Ver-trauen in eine ordentlich arbeitende Justiz geschaffenwerden kann; eine Dezentralisierung, von der man in derUkraine nur ganz vage Vorstellungen hat, weil sie dortnie betrieben worden ist. Überall ist eben nicht nur guterRat, sondern tatkräftige Unterstützung gefragt.Deshalb sind nicht nur einzelne Fachminister in Kiewund in der Ukraine gewesen. In der vergangenen Wochewaren auch Staatssekretäre aus fünf Bundesministeriendort, die einen Tag lang abgeglichen haben, wo es Be-darf für jetzt zu leistende Unterstützung und Beratunggibt. Daraus werden wir ein Programm stricken.Ich darf mich auch für die Bereitschaft dieses HohenHauses, eine Parlamentarierdelegation in diesen Tagenin die Ostukraine zu schicken, ganz herzlich bedanken.Damit machen wir deutlich: Ihr seid nicht vergessen. –Das ist ganz besonders wichtig. Deshalb sage ich in Ver-antwortung für die deutsche Außenpolitik: HerzlichenDank für die Initiative und herzlichen Dank an diejeni-gen, die dorthin reisen!
Das alles ist notwendig zur Stabilisierung. Aber esbringt uns den politischen Lösungen nicht näher. Des-halb muss unser Ehrgeiz darüber hinaus greifen. Sie ha-ben gesehen, wie mühevoll es war, die internationale
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Staatengemeinschaft davon zu überzeugen, eine Be-obachtermission auf den Weg zu bringen. Das ist Gottsei Dank gelungen. Aber auch das hat uns nur einekleine Atempause verschafft; denn die Lage in der Ost-ukraine – in Donezk, in Luhansk und anderen Städten –eskaliert täglich aufs Neue.Man kann nur froh und dankbar sein, dass bisher kei-ner die Nerven verloren hat und dass keine Opfer zu ver-zeichnen sind. Es zeigt uns aber täglich, wie riskant dieLage ist. Mein Credo ist daher: Es muss uns im nächstenSchritt gelingen, das zu realisieren, worüber wir seit vie-len Wochen öffentlich sprechen, nämlich Russland unddie Ukraine zu einem direkten Gespräch über das, was inden nächsten Tagen und Wochen zu tun ist, zusammen-zuführen, begleitet von der Europäischen Union und denVereinigten Staaten. In vielen Tickermeldungen wird be-reits berichtet, dass die internationale Kontaktgruppe,auf die wir Tag für Tag hinarbeiten, vielleicht schon inder kommenden Woche ihr erstes Vorbereitungstreffenhaben wird und dann ihre Arbeit aufnehmen wird. Dasist notwendig, und ich hoffe, wir kommen dahin.
Wir konzentrieren uns auf die Ukraine. Irgendjemandhat in der Debatte heute Morgen bereits kritisiert, dassuns dabei aus dem Blick gerät, dass in Syrien weiter ge-storben wird. Deshalb muss es uns gelingen, uns in dennächsten Wochen wieder intensiver um die Bürger-kriegssituation in Syrien und um den Nahost-Friedens-prozess zu kümmern. Ich werde noch heute mit demamerikanischen Außenminister telefonieren und mit ihmüber den Stand der Gespräche und auch über die Krisedes nahöstlichen Friedensprozesses sprechen. Ich werdeam Wochenende in Hiroshima sein und dort der Ereig-nisse des Zweiten Weltkrieges und der vielen Opfer undToten gedenken. Auf dem Rückweg werde ich in Chinaüber Chinas Verantwortung im Sicherheitsrat diskutie-ren, insbesondere was angesichts der jetzt anstehendenFragen die Haltung Chinas zur Lage in der Ukraine be-trifft.Meine Damen und Herren, all das ist wichtig. Abergenauso wichtig und in der Gesamtheit unverzichtbar,obwohl weniger beachtet in der Öffentlichkeit, die Sank-tionsdebatten viel aufregender findet, sind eine deutscheSchule in Athen oder Mexiko, ein Wasserkraftwerk inAngola, die Polizistenausbildung in Afghanistan, dieChemiewaffenvernichtung in Syrien, ein deutsch-afrika-nisches Rechtsinstitut in Daressalam oder ein deutsch-russisches Jahr der Literatur.Ein abschließendes Wort. Auch die klassische Außen-politik muss erkennen, dass sich die Konflikte auf derWelt verändern, dass konfessionelle, religiöse und ethni-sche Dimensionen in internationalen Konflikten inzwi-schen eine große Dominanz gefunden haben und dasswir unseren Blick auf die Welt verändern müssen. Mitden geostrategischen Ansätzen des 19. und 20. Jahrhun-derts werden wir uns Lösungen nicht mehr nähern kön-nen.Henry Kissinger hat gesagt: Außenpolitik ist Perzep-tion. – Wir müssen versuchen, mit den Köpfen andererzu denken. Dazu ist auswärtige Kultur- und Bildungs-politik erforderlich. Dazu gehören beispielsweise derAustausch, den das Goethe-Institut organisiert, die vie-len Studenten, die der DAAD zueinanderbringt, undviele andere Initiativen.
Meine Damen und Herren, wir werden das auch benö-tigen; denn demografisch gesehen sind wir in der Situa-tion, dass unsere Gesellschaft älter wird. Daher brauchenwir viele junge Leute bei uns. Ich bin ganz gewiss: Eswird nicht reichen, dass wir an den Botschaften Bro-schüren der deutschen Hochschulen auslegen. Wir wer-den in diese Länder hineingehen müssen und werdenüber die Vermittlung der deutschen Sprache einen Kon-takt zu unserem Land herstellen müssen, um den Ehrgeizund das Interesse zu einem frühen Zeitpunkt zu wecken,nämlich zu Schulbeginn und nicht erst am Ende der Bil-dungslaufbahn.Deshalb sage ich Ihnen: Außenpolitik ist in diesemBereich der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitiknicht nur jeden Euro wert. Mit Blick auf die nächstenJahre sollten wir gemeinsam schauen, wie viel Abstandwir zu Frankreich, Großbritannien und vielen anderenStaaten noch aufzuholen haben.Herzlichen Dank Ihnen allen.
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Das Wort
hat Michael Leutert für die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Außenminister, seit Ihrem Amtsan-tritt und heute wieder sprechen Sie davon, dass die RolleDeutschlands in der Welt größer geworden ist und dasswir uns mehr engagieren müssen. Sie selbst haben IhreRede auf der Münchner Sicherheitskonferenz angespro-chen. Der Satz „Deutschland ist zu groß, um Weltpolitiknur von der Außenlinie zu kommentieren“ ist der ammeisten zitierte Satz. Ich glaube allerdings, dass dernächste Satz, den Sie dort sagten, wesentlich wichtigerist, zumindest für die heutige Beratung:Entscheidend ist aber vor allem anderen, dass wirgemeinsam mit anderen intensiver und kreativer da-rüber nachdenken, wie wir den Instrumentenkastender Diplomatie ausstatten und für kluge Initiativennutzbar machen.Nun ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Wir ha-ben die Stunde der Haushaltsberatungen. Ich frage Sie:Wie viel Geld sind Sie denn bereit zu geben für die krea-tiveren Ideen, die klugen Initiativen oder die Ausstattungdes diplomatischen Instrumentenkastens?
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Michael Leutert
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Sie haben einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der eineAntwort darauf gibt, die Sie kennen, Herr Außenminis-ter: Sie geben nichts dafür. Sie geben nicht mehr, son-dern Sie nehmen. Noch immer bewegt sich der Anteildes Haushalts des Auswärtigen Amts am Gesamthaus-halt bei ungefähr 1 Prozent. Das war schon vor zehn Jah-ren so, daran hat sich nichts geändert.
– Vorher waren es 0,9 Prozent. Wir sind bei ungefähr1 Prozent.Dass es aber auch anders geht, kann man sehen, wennman sich zum Beispiel den Bereich Bildung und For-schung anschaut. Alle Fraktionen waren sich vor Jahreneinig, dass in diesem Bereich mehr getan werden muss.Aus diesem Grund ist der Etat im Bereich Bildung undForschung von 8 auf mittlerweile fast 14 MilliardenEuro, das sind 6 Milliarden Euro mehr, angewachsen.Das heißt, wenn der politische Wille da ist, kann man et-was tun.Im Bereich der zivilen Außenpolitik allerdings, wodie Aufgaben nicht kleiner sind – Sie haben es angespro-chen: Syrien, Ukraine, die arabischen Länder oder dievielen Brennpunkte in Afrika, derzeit Mali und die Zen-tralafrikanische Republik –, wo die Aufgaben also uner-messlich groß sind, sind wir gerade einmal bereit,3,5 Milliarden Euro auszugeben. In den wichtigsten Be-reichen, die in den 3,5 Milliarden Euro versteckt sind,kürzen Sie auch noch: zum Beispiel im Bereich Abrüs-tung und Rüstungskontrolle 2 Millionen Euro weniger,im Bereich Krisenprävention, Friedenserhaltung undKonfliktbewältigung ebenfalls 2 Millionen Euro weni-ger und für die Afrika-Initiative – Afrika wird bei uns inder Politik zurzeit ganz großgeschrieben – 1 MillionEuro weniger.Das, liebe Genossen – –
– Das war ein Freud’scher Versprecher. Ich freue mich,dass sich so viele angesprochen fühlen. – Das, liebe Kol-leginnen und Kollegen
– Sie sind gerne eingeladen –, ist exakt der falsche Weg.Wir brauchen mehr Geld in der zivilen Außenpolitik.Herr Steinmeier, haben Sie Mut! Die Linke unterstütztSie dabei.
Ich habe soeben die Afrika-Initiative angesprochen.Es wurde groß ein neues, umfassendes Afrika-Konzeptangekündigt, zusammen mit dem Entwicklungshilfemi-nisterium und dem Verteidigungsministerium. In der öf-fentlichen Wahrnehmung hat derzeit allerdings Frau vonder Leyen die Federführung. Von aktuell 15 Auslands-mandaten werden 8 in Afrika wahrgenommen. Damit,liebe Kolleginnen und Kollegen, geht die Glaubwürdig-keit der Außenpolitik verloren. Ich kann es niemandemübel nehmen, wenn er denkt, es gehe Deutschland nurum mehr militärische Präsenz im Ausland. Wir befindenuns bei der Gewichtung von militärischem und zivilemEngagement im Ausland gerade in einer Schieflage, diewir als Linke so nicht hinnehmen werden.
Sie macht es auch für Sie schwierig, liebe Kollegen vonder Koalition, der Öffentlichkeit einen Einsatz zu erklä-ren, der einmal etwas sinnvoller ist.Schauen Sie bitte nach Mali: Dort haben wir in denletzten Jahren 225 Millionen Euro in die Entwicklungs-hilfe investiert. Für den Bundeswehreinsatz werden jetzt100 Millionen Euro ausgegeben. Wir müssen uns dochfragen, was dort schiefgelaufen ist: Wurde zu wenigGeld eingesetzt? Wurde das Geld in Mali falsch einge-setzt? Was sind die Gründe dafür, dass islamistischeFundamentalisten dort die Oberhand gewinnen konnten?Ich bin fest davon überzeugt, dass Extremisten – egalob es islamisch-fundamentalistische Extremisten wie inMali oder faschistische Gruppen wie in der Ukraine sind –überall dort, wo soziale Schieflagen existieren, wo Ar-mut um sich greift, ein leichtes Spiel haben. Aus diesemGrund, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es dringendnotwendig, in der Außenpolitik präventiv aktiv zu wer-den. Es ist notwendig, im internationalen Bereich zivileMaßnahmen, Maßnahmen, die Armut beseitigen undDemokratie und Sicherheit stärken, nachhaltig zu ergrei-fen. Das sind im Übrigen die besten Garanten dafür, dassdie Bundeswehr nicht eingesetzt werden muss.
Das ist langfristige Friedenspolitik. Insofern ist es zwin-gend erforderlich, dass die Mittel für Abrüstung, Rüs-tungskontrolle und Friedenserhaltung erhöht werden. Siehätten für diese Maßnahmen die volle Unterstützung derLinken.Danke.
Danke, Herr Kollege. – Nächster Redner ist
Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Lage in der Ukraine und die Beziehungen zu Russ-land sind heute ein wesentlicher Schwerpunkt dieser De-batte, und das ist auch richtig. Denn durch die völker-rechtswidrige russische Annexion der Krim ist die Lagein Europa grundlegend verändert worden. Europa ist un-sicherer geworden. Unsere Nachbarn im Osten, insbe-sondere die baltischen Staaten, aber auch die Polen, füh-len sich existenziell bedroht. Nicht zuletzt befinden wiruns mit Russland in einem geostrategischen und syste-mischen Wettbewerb um die Ukraine. Das hat erheblicheAuswirkungen auf unsere Außen-, Sicherheits- und Eu-ropapolitik.Mit der Unterschrift unter dem Assoziierungsabkom-men hat die Europäische Union diesen Wettbewerb an-
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Dr. Andreas Schockenhoff
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genommen – nicht mit militärischen Drohungen, Erpres-sung oder Landraub, sondern mit den Mitteln der SoftPower und des Völkerrechts. Das sind die Mittel des21. Jahrhunderts, auch wenn sich der Weg damit schwie-riger gestaltet. Dieser Wettbewerb wird auch erheblichefinanzielle Auswirkungen haben; das müssen wir klarsagen. Wir müssen die Zusammenarbeit zwischen derEU und der Ukraine zu einer Erfolgsgeschichte machen.Denn es geht nicht nur um die Ukraine; es geht um Frie-den, Sicherheit und die Stärke des Rechts in ganz Eu-ropa.Zum Zweiten erfordert das eine Überprüfung der bis-herigen EU-Russland-Politik. Landraub und Völker-rechtsbruch sind keine Kavaliersdelikte. Russland hatVertrauen zerstört.
Natürlich muss weiterhin mit Russland gesprochen undverhandelt werden, mit dem Ziel, diese schwierige Lagezu entspannen. Aber eine strategische Partnerschaft, eineModernisierungspartnerschaft und eine G 8 sind nichtmöglich, solange nicht von Russland mit konkretenMaßnahmen eine neue Grundlage dafür geschaffen wird.Zum Dritten erfordern Russlands Politik des Rechtsdes Stärkeren und sein militärisches Drohen auch für un-sere NATO-Politik Konsequenzen. Abschreckung undDétente – das glaubten wir in Europa bereits überwundenzu haben. Leider ist dies jetzt wieder aktuell geworden.Doch ich bin überzeugt, dass wir diese Herausforderun-gen erfolgreich bewältigen werden: durch Geschlossen-heit der EU und im Bündnis, durch Festigkeit in unserenWerten und Prinzipien und durch den politischen Willen,unsere Zusammenarbeit mit der Ukraine zu einer Er-folgsgeschichte zu machen.Die EU hat die politische Kraft und die wirtschaftli-che Stärke, diese Herausforderungen erfolgreich zu be-wältigen. Sie hat mit ihren westlichen Partnern dafür dieerforderlichen Finanzmittel und das politische und wirt-schaftliche Know-how. Deshalb war die schnelle Fi-nanzhilfe von EU und IWF an die Ukraine als ersterSchritt so wichtig.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir erfolg-reich sein wollen, dann müssen wir die Lage nüchternund vor allem realistisch analysieren. Wir müssen unsvor Fehleinschätzungen hüten.Ich möchte drei Beispiele nennen, wo ich Gefahrensehe:Erstes Beispiel. Es wird gesagt, wir sollten unsere öst-lichen Nachbarn nicht in eine Entweder-oder-Situationdrängen.
– Nein. – Das ist eine sehr problematische Aussage. Dashaben wir, das hat die EU nie getan, und dann sollten wirdas auch nicht so formulieren. Es war doch ausschließ-lich Russland, das die Ukraine vor eine solche Entschei-dung stellte und immer noch stellt, beispielsweise imHerbst letzten Jahres, als Russland durch Einfuhrverboteund mit der Androhung von Gaspreisanhebungen eineUnterschrift unter das Assoziierungsabkommen verhin-derte. Es ist ausschließlich Russland, das heute mit militä-rischen Drohungen an der Grenze, mit Gaspreisanhebun-gen um 80 Prozent und mit Destabilisierungsversucheninsbesondere im Osten des Landes die Ukraine von einerengeren Anbindung an die EU abzuhalten versucht.Mein zweites Beispiel. Es wird gesagt: Weder dieÖstliche Partnerschaft der EU noch die Abkommen, diedie EU mit ihren Partnern schließt, sind gegen Russlandgerichtet. Ja, das ist richtig – aus westlicher Sicht, ausunserer Sicht. Deswegen war es ein Fehler, dass die EUnicht Moskaus berechtigte wirtschaftliche Interessen imOsten der Ukraine im Vorfeld der Unterzeichnung desAssoziierungsabkommens berücksichtigt hat.
Das muss nachgebessert werden.Genauso richtig ist aber auch, dass Moskau nicht ver-stehen will, dass die Politik der Östlichen Partnerschaftnicht gegen Russland gerichtet ist. Wer den Russen ge-nau zugehört hat, konnte seit Jahren wissen, dass Mos-kau ein Problem damit haben würde, wenn die Ukraineeines Tages mit dem Assoziierungsabkommen eine engeAnbindung an die EU eingehen würde.Die Zollunion und die Eurasische Union waren In-strumente, um das zu verhindern. Diese Instrumente ha-ben sich als untauglich erwiesen, weil sie gleichermaßengeprägt sind von politischer Hegemonie und mangelnderwirtschaftlicher Attraktivität. Das wollen die Ukraineund andere östliche Partner nicht.Es wäre gut, wenn wir uns ganz klar darauf einstell-ten, dass Russland alles tun wird, um eine engere Anbin-dung der Ukraine und beispielsweise auch Moldaus andie EU zu verhindern; denn in seinem Nullsummenden-ken betrachtet Moskau dies als Machtverlust und nichtals Chance, mit stabilen, demokratischen, rechtsstaatli-chen und wirtschaftlich modernen Nachbarn zusammen-zuarbeiten und davon zu profitieren. Nein, im Gegenteil:Solche stabilen und demokratischen Nachbarn werden inMoskau als Bedrohung gesehen, weil sie das eigene au-tokratische System und die Eliten-Kleptokratie infragestellen.
Denn nichts wird die Politik in Moskau mehr unter Re-formdruck setzen als ein Erfolg der Modernisierungs-politik in der Nachbarschaft, und das will Moskau nicht.Das ist der Grund, warum wir endlich verstehen müs-sen, dass es sich hierbei nicht nur um einen geostrategi-schen Wettbewerb handelt, sondern auch um einen syste-mischen Konflikt. Wir sind für die Menschen, übrigensnicht nur in der Ukraine, schlichtweg attraktiver.Genau in diesem Kontext steht mein drittes Beispiel.Es wird gesagt, in einer Kontaktgruppe solle auch da-rüber gesprochen werden, wer welchen Beitrag zur Sta-bilisierung der Ukraine leisten kann; denn schließlichhabe Russland kein Interesse an einem kollabierendenStaatswesen in seiner Nachbarschaft. Zumindest im Au-genblick ist das westliches Wunschdenken. Das ent-spricht überhaupt nicht dem Nullsummendenken Mos-
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Dr. Andreas Schockenhoff
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kaus. Ein Interesse an der Zusammenarbeit mit derUkraine kann man Moskau zwar durchaus unterstellen– es hat das Interesse, dass die Zusammenarbeit mit denWirtschaftspartnern in der Ostukraine funktioniert; dasist ja auch legitim –, aber warum sollte Russland sich an-sonsten an einer Stabilisierung der Ukraine beteiligen,wenn es ihre engere Anbindung an die EU verhindernwill und russische Vorherrschaft anstrebt? Die Gaspreis-erhöhungen und das Drängen auf eine Föderalisierungder Ukraine – in Wahrheit geht es hierbei um die staatli-che Zerschlagung der Ukraine –, sind das nicht Maßnah-men, um in seiner Nachbarschaft genau das Kollabierendes Staatswesens herbeizuführen, an dem es angeblichkein Interesse hat?Deshalb müssen wir uns darauf einstellen, dass Mos-kau vorerst keinen Beitrag zur Stabilisierung leisten,sondern weiterhin alles tun wird, um die Wiederauf-baubemühungen von EU und IWF zu stören. Es wirdversuchen, die mit dem langen und belastenden Trans-formationsprozess einhergehende Unzufriedenheit derBevölkerung auszunutzen, um gegen die Regierung inKiew Widerstand zu schüren und den EU-Partner zu de-stabilisieren. Wir sehen das jeden Abend im Fernsehen.Russland wird versuchen, das Land zu spalten. Donezkund Charkiw sind wiederholt Beispiele dafür. Auf dieseRealität müssen wir uns erst einmal einstellen. Wennsich Moskau irgendwann doch anders verhalten sollte,wäre das umso besser. Wir sind froh, wenn das sobaldwie möglich geschieht.Was bedeutet das jetzt für unsere Beziehungen zuRussland insgesamt? Ich sage ganz deutlich: Die Euro-päische Union und die NATO haben nach wie vor einstrategisches Interesse an einer engen Zusammenarbeitmit einem starken, politisch und wirtschaftlich moder-nen, rechtsstaatlich-demokratisch verfassten und auch sohandelnden Russland. Eine stabile und prosperierendeEntwicklung Europas wird am besten mit Russland zuerreichen sein. Dieser Grundsatz ist nach wie vor richtig,und er muss der langfristige Leitgedanke unserer Russ-land-Politik bleiben. Wir stehen zur kooperativen Si-cherheit mit Russland; aber das setzt die Einhaltung vonSpielregeln und Verträgen voraus. Mit der Annexion derKrim ist jetzt eine völlig andere Lage geschaffen wor-den. Dem müssen wir durch eine Überprüfung unsererRussland-Politik Rechnung tragen. Das Wichtigste istGeschlossenheit; denn insbesondere die EU muss davonausgehen, dass Russland, wie schon in der Vergangen-heit, versuchen wird, sie zu spalten.Die künftige Zusammenarbeit mit Russland solltedeshalb von drei Kernfragen geprägt sein:Erstens. Wie machen wir uns unabhängiger von Russ-land? Das wird insbesondere für eine neue Betrachtungder gesamten EU-Energiepolitik gelten, um die zum Teilsehr hohe Abhängigkeit einiger Staaten von russischemÖl und Gas zu verringern.Zweitens. Was wollen wir von Russland? Russlandmuss alles tun, um verlorenes Vertrauen zurückzugewin-nen. Es muss als Erstes sein militärisches Drohpotenzialzurückziehen. Die russische Regierung muss dann über-zeugend darlegen, dass sie ein echtes Interesse an erneu-erten, breit angelegten und nicht wie in der letzten Zeitselektiven EU-Russland-Beziehungen hat. Dazu gehört,dass auch Russland die berechtigten Interessen der ge-meinsamen Nachbarn berücksichtigt, auf hegemonialeKonzepte verzichtet und mit diesen Nachbarn auf derGrundlage der Gleichberechtigung zusammenarbeitet.Drittens. Was wollen wir mit Russland? Klar ist:Russland braucht die Europäische Union mehr als umge-kehrt. Deshalb sollten wir uns nicht ständig fragen, waswir Russland anbieten können, damit es zur Zusammen-arbeit zurückkehrt. Es ist Russland, das jetzt am Zug ist.So hat es Außenminister Steinmeier kürzlich formuliert.Beispiel Modernisierungspartnerschaft: Es kann künf-tig nur um eine echte Modernisierungspartnerschaft ge-hen. Das heißt, solange die russische Regierung darunterauch weiterhin nur die Lieferung von westlichem Know-how und Investitionen versteht, nicht aber auch dieModernisierung der Gesellschaft, Rechtsstaatlichkeit,weniger Korruption und mehr Partizipation, gibt es füreine Erneuerung der Modernisierungspartnerschaft keineGrundlage.Beispiel Wiederaufnahme der Visagespräche: Ja, wirwollen, dass die sogenannten normalen Russen, die jun-gen Menschen, die Mittelständler oder die Vertreter derZivilgesellschaft in den Genuss von Visaerleichterungenkommen, aber wir wollen keine Bevorzugung vonDienstpassinhabern.
Es ist nicht akzeptabel, dass die sowieso schon Privile-gierten des Systems auch noch Visaprivilegien bekom-men.Jetzt wird von manchem in der EU der russische Vor-schlag einer gemeinsamen Freihandelszone von Wladi-wostok bis Lissabon ins Spiel gebracht. Ja, das ist einsinnvolles Zukunftsprojekt, aber auch hier gilt, was icheben sagte: Russland muss die Souveränität seiner Nach-barn respektieren. Das ist derzeit weder bei der Ukrainenoch bei der Republik Moldau noch bei Georgien derFall.Noch ein Wort zur NATO-Russland-Zusammenarbeit.Russland hat die NATO-Russland-Grundakte in vielenPunkten verletzt. Aber das ist kein Grund, dass auch dieNATO dieses Abkommen verletzt. Deshalb war es rich-tig, die konkrete militärische Zusammenarbeit einzustel-len, aber den NATO-Russland-Rat als Gesprächsforumzu erhalten, um zu einer kooperativen Zusammenarbeitzurückkehren zu können. Es ist auch richtig, dass sichDeutschland am Air Policing für die baltischen Staatenaktiv beteiligt. Ich halte es zudem für erforderlich, dassdie NATO dem Bedrohungsgefühl unserer polnischenNachbarn durch temporäre Stationierungen Rechnungträgt, beispielsweise durch das Vorziehen bereits geplan-ter Manöver, aber nicht durch permanente militärischeStationierungen.Was schließlich die Diskussion über die Frage einerNATO-Mitgliedschaft der Ukraine betrifft, so muss ichsagen, dass sich diese Frage aus den bekannten Gründen
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Dr. Andreas Schockenhoff
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in absehbarer Zeit nicht stellt. Doch wir sollten nichtMoskau zu Recht die Missachtung der Souveränität derUkraine vorwerfen und selbst gleichzeitig ihre Souverä-nität in der freien Wahl des Bündnisses infrage stellen,indem wir sagen, die Ukraine könne kein NATO-Mit-glied werden. Das widerspricht übrigens klar der Be-schlusslage der NATO. Aber wie gesagt: Diese Fragestellt sich in absehbarer Zeit nicht.Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat Ende März in einergroßen deutschen Tageszeitung dazu aufgerufen, für dieSolidarität mit der Ukraine auch wirtschaftliche Nach-teile in Kauf zu nehmen. Besonders die Europäer müss-ten beweisen, so Gabriel, dass es ihnen um mehr geheals eine rein ökonomische Zweckgemeinschaft. Dazugehöre – ich zitiere –:Den Demokraten in der Ukraine wirtschaftlich undpolitisch zu helfen, in den Aufbau dieses Landesnachhaltig und langfristig zu investieren und imZweifel auch bereit zu sein, auf wirtschaftliche Vor-teile in den Außenbeziehungen zu Russland solange zu verzichten, bis Konflikte auf dem Konti-nent wieder am Verhandlungstisch gelöst werdenund die Sicherheit aller europäischer Nachbarstaa-ten gewährleistet ist …Ende des Zitats.
Und, Herr Kollege, Ende Ihrer Redezeit schon seit ge-
raumer Zeit.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich denke, wir soll-
ten uns von dieser realistischen und zugleich werteorien-
tierten Außenpolitik leiten lassen. Dann werden wir Er-
folg haben.
Danke.
Danke, Herr Kollege. – Das Wort hat der Abgeord-nete Dr. Frithjof Schmidt für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Außenminister, durch die dramatischen Entwick-lungen in der Ukraine und das völkerrechtswidrige Vor-gehen Russlands sind Sie ins Zentrum des europäischenKrisenmanagements gerückt. Ich will ganz klar sagen:Wir Grüne finden, dass Sie das gut gemacht haben. MeinRespekt für Ihren persönlichen Einsatz!
Es war gut, das Weimarer Dreieck aus Frankreich,Polen und Deutschland als Handlungsebene zu nehmen.Es gibt einen Punkt, an dem wir uns ein entschlossenereseuropäisches Vorgehen wünschen. Das ist der Stopp allerWaffenexporte nach Russland. Das darf nicht weiterge-hen.
Ansonsten begrüßen wir, dass der Dreistufenplan derEuropäischen Union bisher mit dem nötigen Augenmaßumgesetzt wurde. Wir unterstützen Sie insbesonderedann, wenn Sie sich in der NATO für die dringend nötigeZurückhaltung in dieser Situation einsetzen. Das kannman leider nicht von allen Mitgliedern der Bundesregie-rung behaupten. Die Ansagen der Europäischen Unionsind klar und notwendig. Aber Säbelrasseln durch Spe-kulationen über Truppenverlegungen und maßlose histo-rische Vergleiche – ich denke dabei an Frau von derLeyen und an Herrn Schäuble – sind in dieser gefährli-chen Lage völlig verfehlt.
Jetzt ist wohl allen klar, dass wir eine Grundsatzde-batte über die Beziehung zu Russland brauchen. Diebisherige Strategie einer strategischen Modernisie-rungspartnerschaft ist gänzlich gescheitert. Putin betreibtschon lange eine repressive und modernisierungsfeindli-che Innenpolitik. Nun kommt noch die hegemonialeAggression gegen die Ukraine hinzu. Europa brauchtfriedliche Partnerschaften mit Russland; das ist keineFrage. Daran müssen wir arbeiten. Es braucht aber keineKumpanei mit einem autoritären Regime; das muss auchklar sein.
Ich möchte ein Wort an die Linken richten. GregorGysi hat uns wegen unserer Kritik an Putin vorgeworfen,wir seien russenfeindlich.
Ich sage Ihnen dazu: Wir unterstützen und bewunderndas demokratische Russland von Pussy Riot. Sie dage-gen beschönigen die nationalistische, autoritäre Herr-schaft von Putin. Das ist der Unterschied zwischen uns.
Wir sorgen uns um die Bürgerrechtler von MEMORIALund nicht um die Staatskapitalisten von Gazprom.
Das ist die Aufgabe einer demokratischen Linken inEuropa. Aber das verstehen Sie einfach nicht.Zurück zur Regierung. Herr Außenminister, in ande-ren wichtigen Bereichen der Außenpolitik haben wirdeutlich Kritik zu üben. Ich beginne mit dem EU-Afrika-Gipfel der letzten Woche. Hier haben Sie leider eine fal-sche Politik fortgeführt. Seit 2007 belastet der Konfliktum die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen die Bezie-hungen zu den afrikanischen Staaten sehr. Es ist völligunverständlich, dass von den afrikanischen Ländern wei-
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Dr. Frithjof Schmidt
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terhin eine Marktöffnung von 75 oder 80 Prozent gefor-dert wird, die dort ganze Wirtschaftszweige gefährdenwürde. Das schadet den Zielen unserer eigenen Entwick-lungspolitik und unserer eigenen Außenpolitik. Das darfdie Bundesregierung nicht weiter mitmachen.
Die Drohung von Anfang Oktober, den europäischenMarkt für die Produkte aller afrikanischen Länder, diesolche Abkommen bis dahin nicht unterzeichnen, dicht-zumachen, ist eine unwürdige Erpressung. Das mussvom Tisch. Das ist doch keine partnerschaftliche Außen-politik auf Augenhöhe mit Afrika. Das ist auch eine An-gelegenheit des Außenministers.
Wir beraten heute den Haushalt. Deutschland hat Fi-nanzierungszusagen für das Erreichen der Millenniums-ziele und der internationalen Klimaschutzziele gegeben.Das ist eine zentrale außenpolitische Frage in Bezug aufDeutschlands Rolle in den Vereinten Nationen. Haltenwir diese Zusagen ein oder nicht? Haben wir wenigstenseinen Plan zum Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels bei denMitteln für Entwicklungshilfe? Die Kanzlerin hat dasimmer wieder versprochen. In den Haushaltsplänen istdavon nichts, aber auch gar nichts zu erkennen. Das istaußenpolitisches Versagen, weil es hier um unsere glo-bale Verantwortung geht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, auch inBezug auf das transatlantische Verhältnis kritisieren wirIhre Politik. Bei den Verhandlungen um ein Freihandels-abkommen eiern Sie, was die zentralen Konflikte angeht,immer noch herum. Im Abkommen sollen sogenannte au-ßergerichtliche Schiedsgerichtsverfahren zwischen In-vestoren und Staaten verankert werden. AmerikanischeUnternehmen könnten dann die Europäische Union oderihre Mitgliedstaaten in Milliardenhöhe verklagen, wennsie ihre Gewinnchancen durch neue ordnungspolitischeVorschriften gefährdet sähen. Das wäre der GAU für un-sere europäischen Umwelt- und Sozialstandards. SPD-Minister äußern sich kritisch. In der Union ist man dafürund in Bayern dagegen. Was will die Bundesregierungdenn nun? Es muss doch eine klare Ansage geben. Hiermüssen Sie handeln.Das ist nur die Spitze des handelspolitischen Eis-bergs. Unter der Überschrift der regulatorischenKooperation wird offensichtlich über eine Art Handels-verträglichkeitsprüfung für alle europäischen Gesetz-gebungsprozesse verhandelt. Höhere, neue Standardswären dann in Europa automatisch nur noch im Einver-nehmen mit den USA erreichbar. Das wäre die Unterord-nung unserer Demokratie unter Wirtschaftsinteressen.So dürfen die transatlantischen Beziehungen nicht ge-staltet werden. Das ist eine Schlüsselfrage unserer Au-ßenpolitik. Das kann man nicht ans Wirtschaftsministe-rium delegieren.
Setzen Sie sich für einen Stopp der TTIP-Verhandlungenein und für einen Neustart mit einer reduzierten Agendanach der Wahl der neuen EU-Kommission! Das wäreeine wichtige europapolitische Initiative, die Sie ergrei-fen sollten.Danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, lieber Kollege Schmidt. – Der nächste
Redner ist für die SPD Niels Annen.
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damenund Herren! Eines steht wohl außer Frage: Die Bürgerin-nen und Bürger in diesem Land diskutieren über Außen-politik wie schon lange nicht mehr. Sie machen sich Sor-gen, dass die stabile politische Nachkriegsordnung durchdie jüngsten Ereignisse infrage gestellt wird. Sie regis-trieren auch, dass es nicht immer einfach ist, Antwortenzu geben; dass wir um die richtigen Antworten hart rin-gen müssen, bevor wir zu Entscheidungen kommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Außenminis-ter, aber auch die Bundeskanzlerin haben in den vergan-genen Wochen, seit dem Ausbruch der Krise in derUkraine, in enger Abstimmung alles erdenklich Mögli-che für eine diplomatische Lösung des Konflikts um dieUkraine getan. Frank-Walter Steinmeier hat recht, wenner sagt: Man darf Staaten, auch die Ukraine, nicht voreine Entweder-oder-Entscheidung stellen. – Selbstver-ständlich ist die Ukraine, sind Georgien und die Repu-blik Moldau eingeladen, in enger Kooperation mit derEU zu arbeiten – wir wollen das auch –; aber das darfdoch nicht bedeuten, dass sich mit der Entscheidung füreine Assoziierung mit der EU eine Entscheidung gegendie Zusammenarbeit mit Russland verbindet. Eine Ja-oder-Nein-Entscheidung ist doch auch deswegen unrea-listisch, weil diese Länder Nachbarn Russlands bleibenwerden, und in der Nachbarschaft ist man gut beraten,miteinander auszukommen.
Dieser Hinweis geht natürlich – auch im Anblick derjüngsten Entwicklungen – vor allem in Richtung Mos-kau; denn ich habe schon meine Zweifel, ob das in Russ-land richtig verstanden worden ist. Gleichzeitig giltauch: Nicht jeder Debattenbeitrag der letzten Tage undWochen aus der EU oder der NATO war hilfreich. Kraft-meierei und Planspiele zur schnellen Ausdehnung undAufrüstung der NATO, wie wir sie regelmäßig vomNoch-Generalsekretär Rasmussen zur Kenntnis nehmenmussten,
all das ersetzt nicht den mühsamen Weg: das Ringen umeine vernünftige, nachhaltige politische Lösung, im Ge-genteil. Herr Kollege Schockenhoff, Sie haben von ei-nem geostrategischen Wettbewerb gesprochen. Wenn
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Niels Annen
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wir die Antwort in der gleichen Kategorie geben, in derHerr Putin denkt, dann haben wir doch schon verloren,
weil wir den Charakter des europäischen Projektes unddie Grundlage für unseren kooperativen Ansatz damitselber zur Disposition stellen. Das, liebe Kolleginnenund Kollegen, kann nicht der richtige Weg sein.
Richtig ist: Russland scheint zurzeit vor Kraft kaumlaufen zu können – dabei schrumpft die Wirtschaft, Ka-pital wird abgezogen, die Modernisierung Russlandsstockt. Gerade deswegen setzen wir weiter auf Koopera-tion und Gespräche, unter anderem über eine Kontakt-gruppe, die der Außenminister vorgeschlagen hat. An-kündigungen allein – dies haben wir in den letzten Tagenhäufig gehört – werden nicht ausreichen. Dass diese An-kündigungen nicht umgesetzt worden sind, hat dazu bei-getragen, dass Vertrauen verlorengegangen ist. Es istgut, dass die Minister miteinander reden; aber wir müs-sen jetzt Taten sehen, und die Haltung Moskaus – auchgegenüber den jüngsten Entwicklungen im Osten derUkraine – lässt doch daran zweifeln.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist auchhier im Hause häufig nach dem Charakter der Neuaus-richtung der deutschen Außenpolitik gefragt worden,und wir haben hier auch die eine oder andere polemischeDebatte dazu geführt. Ein Blick auf die letzten Wochenzeigt: Es ist eine Politik, die auf Dialog und auf dieÜberzeugungskraft der eigenen Argumente setzt und diegesamte Bandbreite der außenpolitischen Instrumentenutzt, eine Politik, die sich nicht der Verantwortung ent-zieht und die sich auch nicht hinter Floskeln versteckt.Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Vor-wurf einer Militarisierung der Außenpolitik erweist sichals das, was er stets war: eine Karikatur.Ich möchte das anhand von zwei Beispielen noch ein-mal ins Gedächtnis rufen:Erstens. Die neue Bundesregierung hat ihre Politik inder Frage der Vernichtung syrischer Chemiewaffen ge-ändert. Wir werden in diesem Haus ja darüber entschei-den. Das ist ein konkreter Beitrag zur Stärkung der inter-nationalen Strukturen und zur Abrüstung und ein Teilder neuen deutschen Außenpolitik.Zweitens. Dasselbe gilt auch für die Debatte, die wirhier über Afrika geführt haben. Ich finde, das war einesehr angemessene Debatte zur Lage in Ruanda. Wir stel-len uns der Verantwortung.Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ichhatte in der Debatte um Zentralafrika angesichts der dra-matischen Situation, offen gesagt, eher die Frage erwar-tet: Tut die Bundesregierung eigentlich genug? Sie ha-ben von „Beihilfe zum Krieg“ gesprochen. Ich glaube,das zeigt, in welche Richtung diese Debatte geht. Das istnicht angemessen.
Ich finde, der Haushalt entwickelt sich positiv. Insbe-sondere im Bereich der Krisenprävention kann es abersicherlich auch noch besser werden, und wir werden dasin die Beratungen hier auch mit einbringen. Ich finde esaber wichtig, dass die zentralen Bereiche der deutschenAußenpolitik durch den hier vorliegenden Etatansatz,aber vor allem durch das Regierungshandeln gestärktworden sind.Einer der Vorgänger von Frank-Walter Steinmeier imAmt des Außenministers hat in großer Klarheit ausge-sprochen, was in unserer Geschichte leider nicht immerselbstverständlich war:Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden imInnern und nach außen.Diese von Willy Brandt ausgegebene Richtschnur prägtweiterhin unsere Außenpolitik.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Annen. – Das Wort hat
Stefan Liebich für die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Lieber Herr Annen, Sie haben gestern offenbar nicht zu-gehört. Die Frage, die Sie hier vermisst haben, hat derKollege Movassat gestellt. Er hat gefragt: Warum tut dieBundesregierung nicht mehr in Zentralafrika? Der Un-terschied ist, dass er nicht nach mehr Soldaten gefragthat, sondern nach mehr humanitärer Hilfe. Die Frage isthier aber ganz klar gestellt worden, und die werden wirauch weiter stellen.
Es ist vom Außenminister angesprochen worden, dasswir uns auch in dieser Debatte und insbesondere in dennächsten Wochen und Monaten auch mit Syrien befassensollen. Ich will das hier in meinem kurzen Beitrag tun.In dem schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien, der vonallen Seiten mit unglaublicher Brutalität geführt wird,sind inzwischen 140 000 Menschen ums Leben gekom-men. Nachdem in diesem Krieg auch noch Massen-vernichtungswaffen eingesetzt wurden, hat der UN-Sicherheitsrat klugerweise entschieden, dass diese Mas-senvernichtungswaffen außer Landes gebracht und ver-nichtet werden sollen. Dass sich die Bundesregierungdaran beteiligt, dass sie diesen Einsatz schützt und dassdiese Reststoffe hier in Munster vernichtet werden, findeich eine richtige Entscheidung.
Ich finde es gut, dass sich unser Land an der Zerstörungvon Waffen beteiligt. Das ist das Zweitbeste, wasDeutschland tun kann. Das Beste wäre es, Waffen garnicht erst zu exportieren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2367
Stefan Liebich
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Es ist kein Geheimnis, dass es dazu bei uns in derFraktion eine Kontroverse gibt, und manch einer wun-dert sich darüber. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich bingerne in einer Fraktion, die sich schwer damit tut, Solda-ten ins Ausland zu schicken, und deshalb führe ich dieDebatte auch sehr gerne.
Ich möchte darüber hinaus das Thema Flüchtlinge an-sprechen – Frau Göring-Eckardt hat das heute in ihrerRede auch schon getan –: Obwohl die Chemiewaffen au-ßer Landes gebracht und vernichtet werden sollen, gehtder Krieg in unverminderter Härte weiter. Mittlerweilesind 2,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Landgeflohen, und über 5 Millionen Syrerinnen und Syrersind in Syrien auf der Flucht.
Jordanien, ein Land mit 6 Millionen Einwohnerinnenund Einwohnern, hat jetzt den einmillionsten Flüchtlingaufgenommen. Deshalb müssen wir schon die Fragestellen: Was machen wir eigentlich? Unser Land mit ei-ner so großen Wirtschaftskraft und 80 Millionen Ein-wohnerinnen und Einwohnern kann mehr tun und mussauch mehr tun.
Es wird hier – das finde ich sehr gut – über Fraktions-grenzen hinweg daran gearbeitet, dass der Bundestagendlich auch ein Zeichen in diese Richtung setzt. Wirmöchten daran gerne mitwirken. Offene Grenzen fürMenschen in Not – das ist unser Ziel.
Weiter zum Thema Flüchtlinge: Die Welt am Sonntaghat am letzten Wochenende berichtet, dass syrischeFlüchtlinge einen Termin in der Beiruter Botschaft mitbis zu 2 000 Dollar erkaufen müssen. Schuld daran seiein Computerprogramm in der Botschaft, das übrigens– das habe ich heute vom Auswärtigen Amt erfahren –weltweit in über 100 Botschaften der BundesrepublikDeutschland eingesetzt wird. Es ist angreifbar, und Kri-minelle machen sich diese Angreifbarkeit zunutze. Da-mit wird dann Geld verdient. Kriminelle verdienen da-mit Geld, dass sie Menschen – das Auswärtige Amt hatdas bestätigt –, die um ihr Leben fliehen, zusätzlich aus-beuten. Außerdem wird die Zahl derer, die fliehen kön-nen und wollen, auf diejenigen begrenzt, die dieses Geldzur Verfügung haben. Diese Praxis, Herr Außenminister,muss beendet werden.
Ja, die Bundesregierung tut einiges. Vieles davon istunterstützenswert. Vieles kritisieren wir und werden esauch weiter kritisieren. Aber zum Thema Syrien sinddrei Dinge wichtig: Wir müssen den UN-Sondergesand-ten Brahimi unterstützen. Wir müssen die Waffenexportenach Syrien stoppen, und die Chemiewaffen müssen ver-nichtet werden. Den Flüchtlingen vor Ort und überall aufder Welt muss geholfen werden. Ich weiß, es gibt viele,die sagen: Das ist nicht genug, man muss mehr tun. –Aber der Krieg in Syrien ist nicht durch Militärinterven-tionen von außen zu stoppen. Die Dinge, die ich ebengenannt habe, können wir tun und sollten wir auch tun.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Liebich. – Das Wort hat
Michael Brand für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Niemand kann heute internationale Politik erörtern, ohnedie Frage der Menschenrechte anzusprechen. Wir allesagen das bei vielen Gelegenheiten; denn dies ist unsereÜberzeugung. Wir alle möchten eine ideale Welt, in derniemand in seinen unveräußerlichen Menschenrechtenbeschränkt wird. Wir gedenken an zentralen Tagen derMenschenrechte. Sie sind integraler Bestandteil unsererAußenpolitik und unseres staatlichen Handelns im Inne-ren.Menschenrechte sind unbestritten das höchste Gut,das nationale und internationale Politik zu schützen hat.Die Rechte der Menschen spielen in allen akuten Krisenweltweit eine ganz zentrale Rolle. Deutsche und euro-päische Außenpolitik müssen folglich neben akuten Kri-sen immer die schlimmen Kriege und eben auch die stil-len Katastrophen im Blick halten.Ob wir über den brutalen Horror im syrischen Kriegsprechen und die Millionen Flüchtlinge innerhalb desLandes und bei den Nachbarn: Deutschland nimmt in be-sonderer Weise an humanitärer Hilfe und an den Versu-chen zur Konfliktlösung teil. Ob wir über die Gewalt inZentralafrika, in Mali und anderswo mit all den Flücht-lingsströmen in die benachbarten Länder sprechen undauch über die Maßnahme, in Zentralafrika im Auftragder Vereinten Nationen einen drohenden Genozid zu ver-hindern: Deutschland nimmt seine politische, humani-täre und auch militärische Verantwortung wahr, um ein-zelnen bedrohten Menschen und Gruppen zu Hilfe zukommen.Es ist wichtig, dass wir im 21. Jahrhundert nicht nurDeutschland, sondern mit uns auch die EU, die NATOund die UN als verantwortlichen Gestalter und verlässli-chen Partner der Welt stärken. In einer globalisierten undimmer mehr vernetzten Welt können Krisen oftmals nurin einer verbundenen Strategie entschärft oder gelöstwerden. Es gehört im Übrigen auch dazu, lieber HerrKollege Liebich, zu erwähnen, dass Deutschland die Na-tion ist, die zu Recht die meisten Flüchtlinge aufgenom-men hat, und wir uns an der humanitären Hilfe sehr starkbeteiligen.
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2368 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Michael Brand
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Zum Schutz der Menschen und ihrer Rechte müssendiplomatische, zivilgesellschaftliche, humanitäre undnotfalls auch militärische Maßnahmen im Verbund ein-gesetzt werden. Die modernen Menschenrechte sind einebedrohte Art. Sie wurden hart errungen, und sie müssenimmer wieder verteidigt werden. Unsere globalisierteWelt ist auch eine brutale Welt. Der Tod und das Elendkommen viel häufiger eben nicht per Breaking News.Was der Mensch dem Menschen antun kann, habenwir vor fast genau 20 Jahren mitten in Afrika und mittenin Europa erlebt. Vor Tagen haben wir mit Bedauern undmit Beschämung auf unsere mangelhafte Bereitschaftzur Hilfe in Ruanda zurückgeschaut. In diesem Jahr2014 schauen alle zurück auf das, was vor 100 Jahren inSarajevo passierte. Dabei sind wir zum Teil sehr fixiertauf das Attentat, das zum Ausbruch des Ersten Welt-kriegs führte. Aber kaum jemand denkt über die be-schämende Rolle nach, die wir gespielt haben, als überHunderttausend Tote, Millionen Vertriebene und Zehn-tausende vergewaltigte Frauen im Krieg gegen Bosnien-Herzegowina zu beklagen waren.Die heutigen Herausforderungen? Nicht einmal20 Jahre ist der Krieg zu Ende, und wir schauen immernoch nicht hin und lassen Land und Leute mit den Er-gebnissen allein. Sie, Herr Außenminister, haben geradegesagt: Es geht eben nicht allein um Rückschau undRechtfertigung. – Sie haben recht. Es geht nicht alleinum Gedenken, sondern um die Konsequenzen heute.Deswegen ist es auch notwendig, dass die Bundesregie-rung eine Initiative für den westlichen Balkan ergreiftund nicht nur die Gedenktage im Blick hat.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer im Flüchtlings-lager Dadaab in Kenia das kaum erträgliche Leid der Fa-milien mit ihren Kindern sehen musste, der weiß, dassunsere humanitäre Hilfe hier im echten Sinne des Wortesüberlebenswichtig ist.Wer aber zudem weiß, dass die Flüchtlingsströmeauch durch die staatliche Verwüstung Somalias durch dieextremistischen Al-Schabab-Milizen verursacht wordensind, der stellt schnell fest, dass die Überlebenshilfe fürdie Flüchtlinge nur ein Element der Gesamtstrategie seinkann. Wenn sich ganze Dörfer vor dem Terror schützenwollen und Menschen vom Kleinkind bis zum Greis indie Wüsten und bis nach Kenia vertrieben werden, dannist das ein stiller Prozess, der uns auch als Politiker ei-gentlich laut aufschreien lassen müsste.Um es mit einem Beispiel aus Dadaab zu sagen:Wenn die Schwachen aus den Familien diese modernenTodesmärsche nicht überleben und die schwachen Altenden Jungen sagen, dass sie weitergehen und sie, dieSchwachen, zurücklassen sollen, damit die Jungen eineÜberlebenschance behalten, dann ist das eine Gestemenschlicher Größe, die uns schaudern lassen muss. Da-vor können wir uns als Menschen nur verneigen.Allerdings müssen uns dieses Beispiel und andere vorallem politisch aufrütteln und zum Handeln veranlassen.Wir müssen den Opfern helfen, aber wir müssen auchaktiv gegen die Ursachen solcher unmenschlichen Ent-wicklungen vorgehen.Wir können stolz darauf sein, dass unser Land dieLektion Menschenrechte gut gelernt hat. Die Menschen-rechte zählen zur Staatsräson der BundesrepublikDeutschland. Wir erleben allerdings, dass die Menschen-rechte weltweit unter Druck stehen, teils auch zumRückzug gedrängt werden. Wir stellen das fest, wennwir über die Verfolgung religiöser Minderheiten, vor al-lem christlicher Minderheiten, oder über die gewaltsameUnterdrückung von Kinder- und Frauenrechten,
gar Menschenhandel und Zwangsprostitution sprechen,übrigens auch in Europa. Deutschland ist zum BordellEuropas geworden. Auch hier ist der Gesetzgeber, derDeutsche Bundestag, gefordert.
– Ich kann Ihre Zwischenrufe nicht verstehen, HerrDehm. Bringen Sie sich in die Debatten ein, damit Men-schenhandel und Zwangsprostitution in Europa keineChance haben!
Wir stellen das auch fest, wenn wir über die Unterdrü-ckung von Grundrechten durch starke Partner Europas,zum Beispiel China, sprechen.
Wir alle müssen zur Kenntnis nehmen, dass das moderneVerständnis von der Würde des Menschen und selbst dieUN-Charta der Menschenrechte zum Spielball und zurVerfügungsmasse gemacht werden. Das gilt selbst inEuropa.Die akute Krise um die Annexion der Krim ist bereitsangesprochen worden. Sie ist auch deshalb ein Fanal,weil die international garantierten Rechte der Menschen,in diesem Fall von Minderheiten, erkennbar dafür miss-braucht wurden, um blanke Großmachtpolitik zu betrei-ben.
Herr Brand, gestatten Sie eine Zwischenfrage nicht
von der Linken, sondern von den Grünen?
Gerne.
Sie haben gerade von Prostitution und dem BordellDeutschland gesprochen. Wie stehen Sie dazu, dass dieletzte Bundesregierung zum Beispiel die europäischenRichtlinien in diesem Bereich immer noch nicht umge-setzt hat? Vielleicht wäre das ein erster Ansatz.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2369
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Ich glaube, der Vorschlag, den Sie vorgelegt haben,
wäre zu kurz gegriffen. Deswegen hat meine Fraktion
gestern ihre Vorschläge vorgelegt und der Öffentlichkeit
ein Eckpunktepapier vorgestellt. Ich glaube, man muss
grundsätzlich überlegen, ob das, was mit dem rot-grünen
Gesetz gut gemeint, aber nicht gut war – –
– Ich glaube trotzdem, dass wir dem Thema Zwangspro-
stitution bzw. Prostitution in Deutschland nicht mit den
einzelnen Maßnahmen, die Sie gerade angesprochen ha-
ben und deren Umsetzung Sie einfordern, gerecht wer-
den. Wir müssen vielmehr noch einmal grundsätzlich
über das Thema sprechen.
– Natürlich. Die Umsetzung der EU-Richtlinie ist das
eine. Aber wir wollen auch auf nationaler Ebene neue
Vorschläge machen. Ich schicke sie Ihnen gerne zu. Sie
sind gestern der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Vorgänge im
Zusammenhang mit der Krim-Krise sind auch deshalb so
gespenstisch, weil sie uns zeigen, dass sich die Gespens-
ter der Vergangenheit – damit spreche ich mit Blick auf
die linke Seite des Hauses Russland an – im Internetzeit-
alter nicht einfach auflösen. Twitter, YouTube und Face-
book sind mächtig. Gegen die Bereitschaft zur brutalen
Gewalt sind sie dennoch im Nachteil, wie wir an den
Versuchen der diktatorischen Zensur von China über Sy-
rien bis hin zu Russland sehen.
Um es klarzumachen: Nicht Russland, sondern eine
Machtclique um Putin herum hat mit dieser Annexion
den Weg in die Welt des steinernen Zeitalters beschrit-
ten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist die Zivilge-
sellschaft in Russland, in der Ukraine und in anderen
Ländern der Erde, die unsere Solidarität verdient. Mu-
tige Menschen verteidigen die Menschen- und Bürger-
rechte, die als Ergebnis blutiger Kriege von den Verein-
ten Nationen fest verankert wurden.
Es ist gut zu wissen, dass hier im Hause ein breiter
Konsens darüber besteht, dass wir die Menschenrechte
nicht auf dem Markt zu meistbietenden Konditionen ver-
kaufen. Es gibt dafür keine Rabatte. Die Menschenrechte
haben keinen Preis. Sie sind nicht in Geld oder Gold auf-
zuwiegen.
Ich danke zum Schluss dem Bundesaußenminister
und auch der Bundeskanzlerin dafür, dass sie gerade in
den letzten Monaten ein klares Profil gezeigt haben. Ich
will in diesen Dank auch unseren Bundespräsidenten
einschließen. Er hat in der vergangenen Woche den Aus-
schuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu
einem bemerkenswerten Dialog eingeladen. Er setzt in
seiner Präsidentschaft den Schwerpunkt beim Thema
Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Seine Rede auf
der Münchner Sicherheitskonferenz war nicht auf das
Militär fixiert, wie manche öffentliche Debatte glauben
machen wollte. Ich empfehle Ihnen eine Publikation von
Joachim Gauck. Sie ist lesenswert und ist mit folgendem
Satz aus einer seiner Reden überschrieben: „Jede Politik
ist auch Menschenrechtspolitik!“. Der Bundespräsident
hat recht. Ich danke allen, die den Einzelplan 05 unter-
stützen, um Schwerpunkte im Bereich der Menschen-
rechte und der humanitären Hilfe zu setzen.
Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege. Danke auch für die Leseemp-fehlung.Nächster Redner ist Dr. Tobias Lindner für Bünd-nis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Herr Steinmeier, Sie haben heute eine durchausbemerkenswert engagierte Rede gehalten. Sie haben ei-niges gesagt, bei dem Sie unsere Unterstützung haben.Sie haben aber auch einiges gesagt, bei dem Sie – dasliegt in der Natur von Opposition und Regierung – mitSicherheit nicht unsere Unterstützung haben. Sie habenaußerdem einiges gesagt, was mich ein bisschen ver-wirrt.
Sie haben über Auslandsschulen, auswärtige Kultur-und Bildungspolitik sowie Krisenprävention gespro-chen. Das ist durchaus zu begrüßen. Schaut man dannaber in den Etat des Auswärtigen Amts, stößt man aufWidersprüche. Es wird sich zeigen, ob sich diese in denHaushaltsberatungen auflösen lassen. Heute wurdeschon vielfach über die Münchner Sicherheitskonferenzund über Ihre Äußerung gesprochen, dass Deutschlandmehr Verantwortung übernehmen soll und dass die au-ßen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit derVereinten Nationen und der Europäischen Union ge-stärkt werden soll. Wenn Sie mehr Verantwortung nichtmit mehr militärischem Engagement gleichsetzen, dannhaben Sie hierfür durchaus unsere Unterstützung. MehrVerantwortung bedeutet, dass Sie auch mehr Geld in Ih-rem Etat zur Verfügung haben. Zum ersten Mal seit Jah-ren wächst der Etat des Auswärtigen Amts signifikantan. Aber mehr Geld alleine hilft noch nicht, wenn esnicht an den richtigen Stellen eingesetzt wird.An dieser Stelle möchte ich auf die humanitäre Hilfeeingehen, die heute schon vielfach – auch vom KollegenLiebich – angesprochen wurde. Den Ansatz für die hu-manitäre Hilfe erhöhen Sie um 117 Millionen Euro aufinsgesamt 303 Millionen Euro. In diesen Tagen beratenwir über einen interfraktionellen Antrag betreffend Sy-rien. Dieser enthält noch keine Summe für humanitäreHilfe. Im letzten Jahr gab es nachträglich 243 MillionenEuro für die humanitäre Hilfe dazu. Berechnungen derVereinten Nationen gehen von einem steigenden Mittel-
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Dr. Tobias Lindner
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bedarf aus. Die Krise in Syrien hat nicht plötzlich aufge-hört. Es gibt weiterhin Flüchtlinge. Die katastrophalenZustände halten an. Wenn wir einen gleichbleibendenFinanzierungsanteil Deutschlands unterstellen, dannbrauchen wir in diesem Jahr mindestens 353 MillionenEuro, also 50 Millionen Euro mehr als im Etatansatz ent-halten sind, um Syrien auf angemessene Art und Weisehelfen zu können. Hier, lieber Herr Steinmeier, wird inden Haushaltsberatungen noch nachzusteuern sein. Esreicht eben nicht, ständig nur eine Schüppe draufzule-gen. Wir brauchen von Anfang an einen richtigen Mit-telansatz.
Da ich über verlässliche Finanzierung rede, will ichauf den Punkt der Krisenprävention eingehen, den Sieebenfalls erwähnt haben. Leider wird im Titel für Kri-senprävention, der sowieso mehr gebrauchen könnte,leicht gekürzt. Auch an dieser Stelle wird meine Frak-tion in den Haushaltsberatungen Vorschläge machen, ausdenen hervorgeht, wie sich Strukturen und Mittelansätzeverstetigen lassen; denn auch Hilfsorganisationen kön-nen nur tätig sein, wenn sie eine verlässliche Planungs-grundlage haben. Zu einer verlässlichen Planungsgrund-lage gehören auch verstetigte Mittel im Haushaltsplan.
Wie bereits erwähnt, werden auch die Mittel im Be-reich Abrüstung und Rüstungskontrolle gekürzt. Das istein falsches Signal. Man sollte nicht vergessen, dass wiranschließend über den Einsatz der „Cape Ray“ und da-rüber beraten werden, was Deutschland tun kann, dass esauf diesem Planeten weniger Chemiewaffen gibt. Ichfordere Sie auf, meine Damen und Herren von der Koali-tion: Arbeiten Sie mit uns gemeinsam daran, dass dieseMittel mehr und nicht weniger werden!
Ich will in der kurzen Zeit, die mir für diese Redenoch bleibt, über die oft gelobte dritte Säule der Außen-politik sprechen, über die auswärtige Kultur- und Bil-dungspolitik. Einigkeit haben wir darüber, dass auswär-tige Kultur- und Bildungspolitik eine wichtige Säuleunserer Außenpolitik ist, aber leider bildet sich das imEtatentwurf nicht ab. Die Mittel für Auslandsschulensinken um 19 Millionen Euro, die Mittelkürzung für dasGoethe-Institut – Mittel in Höhe von 10 Millionen Eurowurden unter Schwarz-Gelb gekürzt – schreiben Sie fort.Nein, Herr Steinmeier, das hat nichts mit einer engagier-ten Kultur- und Bildungspolitik im Außenministeriumzu tun.Lieber Herr Außenminister, Sie wollen der deutschenAußenpolitik mehr Gewicht verleihen. Genauso wiemehr Gewicht sind auch mehr Mittel an sich kein Selbst-zweck; es kommt darauf an, wo man dieses Gewicht ein-bringt und wo man diese Mittel einsetzt. Sie müssen ander richtigen Stelle und an den richtigen Strukturen ein-gesetzt werden. Meine Fraktion wird in den jetzt anste-henden Haushaltsberatungen an den Stellen, die ichheute kritisiert habe, Vorschläge machen, wie man mitmehr Mitteln tatsächlich zu verantwortungsvollerer undverantwortungsbewussterer Außenpolitik in Deutsch-land kommt.Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächste Rednerin ist
Gabriela Heinrich für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!Meine Damen und Herren! Der Kollege Brand hat heutebereits das Wort des Bundespräsidenten erwähnt: JedePolitik ist auch Menschenrechtspolitik. – Der Satz bringtes auf den Punkt: Die Menschenrechte müssen die Leit-linie jeder deutschen Politik sein. Jenseits aller übrigenBestrebungen nach kohärenter Politik muss alles, wasPolitik ausmacht, auf dem Fundament der AllgemeinenErklärung der Menschenrechte und ihrer Folgeabkom-men stehen.Eine weitere Linie deutscher Politik muss sein: Men-schenrechtspolitik und humanitäre Hilfe dürfen nieman-den vergessen. Es darf nicht sein, dass die OrganisationÄrzte ohne Grenzen eine Liste vergessener Krisen veröf-fentlichen muss, zuletzt im Dezember 2013 eine Listemit den Staaten Tschad, Zentralafrika, Swasiland,Südsudan und Simbabwe.Zentralafrika zum Beispiel ist keine vergessene Krisemehr. Die internationale Staatengemeinschaft handelt,und auch Deutschland kann seinen Teil leisten. LetzteWoche haben wir hier zu Ruanda gesprochen. Viel wardie Rede von RtoP, von der Responsibility to Protect.Gestern hat das Kabinett einen Antrag beschlossen: Esgeht um die Entsendung bewaffneter deutscher Streit-kräfte zur Beteiligung an der Europäischen Überbrü-ckungsmission in der Zentralafrikanischen Republik.Wir werden morgen darüber beraten. Militarisierung?Angesichts der aktuellen Situation muss die Frage dochlauten: Schauen wir hin, oder schauen wir weg? Wennsich die Bundeswehr an dieser Mission beteiligt, wennsie zum Beispiel Verwundete transportiert, dann ist dasin meinen Augen eine aktive Menschenrechtspolitik, diedie Lehren aus dem Genozid von Ruanda und aus denGräueln von Srebrenica gezogen hat.Eine der größten humanitären Krisen unserer Zeit– Sie haben es angesprochen – ist die in Syrien. Syrienzeigt, dass wir uns auch im Menschenrechtsausschussnoch mehr mit humanitärer Hilfe beschäftigen müssen.Wir haben im Deutschen Bundestag mehrfach über dasLeiden und die Not der syrischen Flüchtlinge gespro-chen. Syrien ist ein Fall für die Responsibility to Protect,aber eben nicht nur Syrien. Die Nachrichten sind vollmit Berichten über Katastrophen in allen möglichenLändern. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst,zu helfen, auch wenn sich oft zunächst ein Gefühl derHilflosigkeit einstellen mag. Wir sind uns unserer Ver-antwortung bewusst, Hilfe auch durch aufgestockteHaushaltsmittel bereitzustellen.
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Gabriela Heinrich
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Humanitäre Katastrophen kündigen sich an. Die Ka-tastrophe im Südsudan kündigt sich an. Toby Lanzer, derhumanitäre Koordinator für den Südsudan bei der UNO,hat letzte Woche eindringlich vor einer neuen Hungers-not gewarnt, einer drohenden Hungersnot, die vergleich-bar mit der in Äthiopien in den 80er-Jahren ist. Sie drohtjetzt, wenn die Saat nicht rechtzeitig in den Boden ge-bracht wird. Sie droht in einem Land, das eigentlichfruchtbar sein könnte und über ausreichend Ressourcenverfügt, um sich selbst zu ernähren.Ich halte fest: Wir dürfen diese Länder nicht verges-sen. Aber wir dürfen auch nicht die Menschen vergessen,die sich in vielen Ländern dieser Welt für die Menschen-rechte einsetzen. Seit zehn Jahren gibt es die Leitliniender Europäischen Union zum Schutz von Menschen-rechtsverteidigern. Zu diesem Schutz gehört es, ihnendie Sicherheit zu geben, dass sie in ihrem Kampf für dieMenschenrechte nicht allein sind. Die internationale An-erkennung und die internationale Beachtung können fürMenschenrechtsverteidiger eine Lebensversicherung sein.Denn leider ist es so: Wer sich friedlich für die Men-schenrechte einsetzt, wird in manchen Teilen der Weltgenau dafür verfolgt, verhaftet, gefoltert und ermordet.Es gibt weltweit unzählige Beispiele für mutige Men-schen, die sich in ihrer Heimat friedlich für die Menschen-rechte einsetzen. Ich nenne hier stellvertretend AliceNkom aus Kamerun und Kasha Jacqueline Nabageseraaus Uganda, die sich für die Rechte von Homosexuelleneinsetzen. Außerdem nenne ich Abdolfattah Soltani. Erwurde im Iran unter anderem für die Errichtung des Zen-trums für Menschenrechtsverteidiger angeklagt. Er istnoch immer in Haft. Unsere Aufgabe ist es, diese Men-schenrechtsverteidiger mit allen unseren Möglichkeitenzu unterstützen, sie nicht alleinzulassen und die Vertreterihrer Länder immer wieder auf sie hinzuweisen.Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.Die angesprochenen Krisen sind schrecklich und bringenunermessliches Leid. Wir müssen uns unserer Verant-wortung innerhalb der internationalen Gemeinschaftstellen, und dazu gehört die ausreichende Finanzierung.Ich danke daher besonders unserem AußenministerFrank-Walter Steinmeier dafür, dass die Mittel für huma-nitäre Hilfsmaßnahmen und nicht zuletzt die Transfor-mationspartnerschaften Nordafrika/Naher Osten deutlichgestärkt werden sollen. Vielleicht müssen wir auch nocheine Schüppe drauflegen. Wir können die Hoffnungnicht aufgeben, dass das hilft, zumindest die Folgen derschlimmsten Katastrophen zu lindern.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Das Wort hat
Alexander Ulrich für die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lassen Sie uns über Europa reden. Stellen wir uns ein-mal für einen Moment vor, dass die Europäische Uniongestärkt aus ihrer letzten Krise hervorgegangen ist:Die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit demZweiten Weltkrieg hat dazu geführt, dass die Verursa-cher der Krise mit höheren Steuern und Vermögensabga-ben an den Krisenkosten beteiligt wurden. Die Finanz-märkte wurden streng reguliert. Die Großbanken wurdenunter demokratische Kontrolle gestellt. Die Finanztrans-aktionsteuer wurde eingeführt und brachte Milliarden-einnahmen. Die EU nutzte die Krise, um ihre Institutio-nen zu demokratisieren, und über alle wesentlichenFragen der EU gab es seitdem Volksabstimmungen. Dieriesige Attacke gegen Soziales, Arbeitnehmerrechte,Umwelt und Demokratie durch die Wirtschaftsabkom-men mit den USA und Kanada, TTIP und CETA, wurderechtzeitig erkannt und die Verhandlungen wurden da-raufhin abgebrochen. Der von den Gewerkschaften vor-geschlagene Marshallplan für Europa führte zu Investi-tionen in zukunftsfähige und nachhaltige Arbeitsplätzemit europaweit rund 10 Millionen neuen und guten Ar-beitsplätzen. Die Arbeitslosigkeit in Europa geht seit-dem deutlich zurück. Waffenexporte wurden verboten,und der Krieg und der militärische Einsatz als Mittel derPolitik werden europaweit geächtet.Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist dieWirklichkeit eine ganz andere. Die EU steckt in derschwersten Krise ihrer Geschichte. Seit Jahren geht esnur noch bergab.
EU-weit gibt es heute 27 Millionen Arbeitslose, 11 Mil-lionen mehr als noch im Jahr 2008. Jeder vierte EU-Bür-ger ist heute von Armut betroffen. Hunger, Obdachlosig-keit und Krankheiten wie HIV und Malaria sind wiederTeil des europäischen Alltags geworden. Die Zahl derSelbstmorde steigt rasant. Statt die Menschen vor diesersozialen Katastrophe zu schützen, haben die EU und ihreMitgliedstaaten in den letzten Jahren durch direkte Fi-nanzspritzen und Bürgschaften 4,8 Billionen Euro Steu-ergelder in den Finanzsektor gepumpt. Dann wurde diesogenannte Troika auf Europareise geschickt, um dasGeld von Arbeitnehmern, Arbeitslosen, Rentnern undKranken zu holen: durch Privatisierungen, Massenent-lassungen, Sozialabbau und Lohn- und Rentenkürzun-gen. Was passierte hinsichtlich einer Beteiligung der Fi-nanzwirtschaft? Nahezu nichts. Die letzte schwarz-gelbeBundesregierung hat mit großer Unterstützung der SPDund auch der Grünen in der EU eine Krisenpolitik im In-teresse der Großbanken und Konzerne und gegen die In-teressen der Menschen durchgesetzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union, Grünenund SPD, fragen Sie sich eigentlich hin und wieder ein-mal, warum sich angesichts einer solchen Politik immer
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Alexander Ulrich
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mehr Menschen von diesem Europa verabschieden?Wundern Sie sich wirklich, warum angesichts einersolch desaströsen Krisenpolitik leider auch viele Men-schen den rechten Rattenfängern in Europa auf den Leimgehen?
Sie sind mit Ihrer Politik dafür mitverantwortlich.
Die Kanzlerin wünscht sich eine marktkonforme De-mokratie. Wir sagen: Nein, die Märkte müssen den Men-schen dienen und sich der Demokratie unterordnen. Dasist das Gebot der Stunde.
Herr Außenminister Steinmeier – vielleicht hören Siemir zu –, warum hat die SPD in der letzten Wahlperiodeund im Wahlkampf die Krisenpolitik der Kanzlerin ei-gentlich kritisiert? Die Wahrheit ist doch, dass die SPDdieser unsozialen Politik hier im Bundestag immer dieHand gereicht hat. Sie haben hier im Bundestag immerzugestimmt. Es gibt im Hinblick auf diese desaströseEU-Krisenpolitik keinerlei nennenswerte Unterschiedezwischen SPD und Union.
Für das Europa, von dem ich am Anfang sprach, kannman die Menschen begeistern. – Frau Präsidentin, ichkomme zum Schluss. –
Für solch eine Europäische Union reichen wir Linke dieHand. Für solch ein Europa kämpft die Linke auch am25. Mai: für ein Europa der Menschen. Liebe Kollegin-nen und Kollegen, Europa geht anders: sozial, friedlichund demokratisch.Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Das Wort hat Thomas
Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gehörtevon Beginn dieser Debatte an, als der Bundesaußen-minister vortrug, zu den Kolleginnen und Kollegen, diehoffnungsvoll waren und erwartet haben, dass die De-batte über den Einzelplan des Auswärtigen Amtes deraktuell durchaus ernsten Situation in Europa gerechtwerden würde. Ich habe mit Freude vernommen, dassFrithjof Schmidt den Bundesaußenminister sogar gelobthat und der Kollege Liebich einen für seine Verhältnissemoderaten Beitrag in dieser Debatte geleistet hat. DieseHoffnung bestand bis eben, bis Alexander Ulrich ge-sprochen hat. Jetzt sind wir, was die Tonlage unserer De-batte angeht, wieder dort, wo wir auch sonst immer wa-ren. Ich halte das nicht für angemessen.
– Das ist nicht überraschend, Herr Kollege Wellmann;das ist richtig. Trotzdem ist es etwas betrüblich, weil diegegenwärtige Situation in Europa den Ernst dieser De-batte erfordert. Der Bundesaußenminister hat in seinemBeitrag die richtige Tonlage vorgegeben.Wenn man von einer steigenden Verantwortung derdeutschen Außenpolitik redet, ist es, glaube ich, viel zukurz gesprungen, wenn man darunter anschließend nurdie quasi weltweit zu erwartende Omnipräsenz der Bun-deswehr versteht. Das haben auch bei der Sicherheits-konferenz in München weder der Bundesaußenministernoch der Bundespräsident noch andere Redner, die dortvorgetragen haben, so gemeint oder gesagt.Es ist richtig – auch wenn wir den Einzelplan desBundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenar-beit und Entwicklung erst zu einem späteren Zeitpunktberaten –, in diesem Kontext auch auf die Vorschlägevon Gerd Müller einzugehen. Sie stehen in einem gutenVerhältnis, in einer guten Korrespondenz zu dem, wasder Bundesaußenminister mit Blick auf die Außenpolitikder Bundesregierung vorgetragen hat: dass Außenpolitiknicht in erster Linie eine militärische Dimension hat,sondern erstens eine politische und zweitens selbstver-ständlich auch eine soziale. In diese Richtung gehenauch die Vorschläge, die aus dem Bundesministerium fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ge-kommen sind. Dafür bin ich seitens der CDU/CSU-Frak-tion ausgesprochen dankbar.
Außenpolitik hat etwas mit Verantwortung, aberselbstverständlich auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun.Verlässlichkeit erwarten nicht nur diejenigen, die bereitsOpfer einer Intervention aus der Nachbarschaft gewor-den sind, beispielsweise die Kolleginnen und Kollegenin der Ukraine, sondern Verlässlichkeit erwarten zuRecht auch diejenigen, die sich gegenwärtig mit derFrage befassen müssen – und das durchaus ernsthaft undberechtigt –, ob sie in naher Zukunft möglicherweiseselbst Opfer einer solchen Intervention werden. Die Mit-glieder des Europaausschusses des Deutschen Bundesta-ges haben am heutigen Nachmittag noch Gelegenheit,mit dem Ministerpräsidenten der Republik Moldau da-rüber zu diskutieren. Ich bin gespannt auf dieses Ge-spräch.Wer beispielsweise in das hineinhört, was eine Prakti-kantin in meinem Büro, die aus Georgien stammt, zudiesem Thema sagt, wer Wortmeldungen etwa aus denbaltischen Staaten, aber auch aus Polen hört – der Bun-desaußenminister hat darauf hingewiesen –, der spürt,dass die Befürchtungen dort zu Recht bestehen, dass sichdamit auch gewisse Erwartungen an die Rolle der Bun-desrepublik Deutschland verbinden. Da darf man sichnicht auf eine Nabelschau konzentrieren.
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Thomas Dörflinger
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Ich bin sehr dafür, dass wir in der Konzeption unsererzukünftigen Überlegungen auch darauf abstellen – AndreasSchockenhoff hat darauf hingewiesen –, das eigene Tunaus der Vergangenheit einer kritischen Reflexion zu un-terziehen, ob das die Rolle der Bundesrepublik, der Eu-ropäischen Union oder der NATO angeht – Fakt ist: esist richtig, wir haben in der Vergangenheit nicht allesrichtig gemacht –, aber wenn wir daraus sozusagen einenpermanenten Prozess der außenpolitischen Gewissenser-forschung machen würden, dann legten wir die Außen-politik der Bundesrepublik Deutschland und damit letzt-lich auch der Europäischen Union ein ganzes Stück weitlahm. Das kann weder in unserem Interesse sein noch imInteresse derer, die auf unsere Verlässlichkeit und aufunsere Verantwortung zählen, meine sehr verehrten Da-men und Herren.
Jetzt stehen wir wenige Wochen vor einer Entschei-dung. Am 25. Mai findet die Wahl zum EuropäischenParlament statt. Da ist es natürlich wohlfeil, auf die eineoder andere Fehlentwicklung in Europa hinzuweisen undmöglicherweise mit einem groben Keil auf einen grobenKlotz zu hauen. Das ist in dieser Debatte Gott sei Danknicht passiert. Es ist aber zu vermuten, dass das imWahlkampf wieder so sein wird. Ich rate uns dazu, inden Wochen bis zum 25. Mai einen Blick auf das zu wer-fen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist; die Eu-ropäische Union hat in ihrer Selbstorganisation nicht al-les richtig gemacht. Ich glaube, dass es aber auch nottut,an der einen oder anderen Stelle den Blick auf das zurichten, was wir als Europapolitiker an Verbesserungs-vorschlägen in die Debatte einbringen können.Ich nenne exemplarisch eine Diskussion im dänischenParlament, die im Januar dieses Jahres zu einer Reihevon Vorschlägen – 23 an der Zahl – geführt hat, wie mandie Rolle der nationalen Parlamente bei der Entschei-dungsfindung auf der europäischen Ebene verbessern,intensivieren könnte – zusammen mit den Entschei-dungsträgern auf der europäischen Ebene, namentlichder Kommission, dem Rat, aber auch dem Parlament.Wenn man die 23 Vorschläge durchsieht, meine Da-men und Herren, dann stellt man fest: Es sind ein paarVorschläge dabei, die im Grunde genommen das Mitwir-kungsrecht des Deutschen Bundestages, also die deut-sche Rechtslage, abbilden. Aber zur Wahrheit gehört na-türlich auch, dass die Mitwirkungsrechte nationalerParlamente in anderen Mitgliedstaaten der EuropäischenUnion keineswegs so ausgeprägt und ausgestaltet sindwie in Deutschland. Deswegen, glaube ich, gehen dieVorschläge, die aus Dänemark kommen, auch wenn siean der einen oder anderen Stelle nur die geltende Rechts-lage in Deutschland abbilden, bezogen auf die Kollegin-nen und Kollegen in den anderen nationalen Parlamen-ten durchaus in die richtige Richtung. Ich freue michdarauf, wenn wir im Europaausschuss des DeutschenBundestages in den nächsten Wochen diese Vorschlägeeiner genaueren Beratung unterziehen und in Kontaktmit den Kolleginnen und Kollegen anderer Parlamentedarüber nachdenken, ob wir den einen oder anderen Vor-schlag aus Dänemark weiterentwickeln und möglicher-weise in die Tat umsetzen können, um Entscheidungs-prozesse nicht nur auf der europäischen Ebene, sondernauch auf der nationalen Ebene transparenter zu machen.Das ist einer von den konkreten Vorschlägen, die mitBlick auf den 25. Mai Sinn machen.Ich will mit einem Dankeschön und einem Lobschließen, einem Dankeschön und einem Lob deshalb,weil ein nicht unmaßgebliches Mitglied dieses Hausesein Ceterum-censeo aufgegriffen hat, das uns fraktions-übergreifend eint. Das betrifft ein Thema, an dem wirbereits in der 17. Legislaturperiode gearbeitet haben undan dem die etwas Älteren auch schon in der 16. Wahlpe-riode und davor gearbeitet haben. Es geht um dasSprachregime und das Übersetzungsregime der Europäi-schen Union. Im Europaausschuss ist das, wie gesagt, soetwas wie das Ceterum-censeo aller Kolleginnen undKollegen.Ich will mich beim Vizepräsidenten des DeutschenBundestages, bei Johannes Singhammer, bedanken, dasser bei seinem jüngsten Aufenthalt in Brüssel das Themawieder auf die Agenda gesetzt hat – darin einer Traditionfolgend, die der Präsident des Deutschen Bundestagesbei seinen Unterredungen auf der europäischen Ebenebereits seit vielen Jahren vertreten hat.Dass das ein Thema ist, liegt nicht daran, dass wirkeine Fremdsprachen könnten. Jeder von uns ist auf-grund dessen, was er in der Schule oder Universität ge-lernt hat, der einen oder anderen Fremdsprache mächtig.Aber wenn wir über komplizierte Sachverhalte beraten– Herr Staatssekretär Kampeter beispielsweise, wenn esum die finanziellen Herausforderungen in der Europäi-schen Union geht –, dann ist es gut, dass wir dies in un-serer Muttersprache tun können und nicht auf Überset-zungen angewiesen sind.
Deswegen freue ich mich, wenn wir in der Zukunft aufder Grundlage dessen, was Johannes Singhammer anBeitrag geleistet hat, arbeiten können.Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Das Wort hat Karl-Georg
Wellmann für die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Wir haben heute mehrfach über die Ukraine undüber unsere damit verbundenen Sorgen gesprochen. Esgeht hier aber nur vordergründig um die Ukraine. InWahrheit geht es um die Position Russlands in Europa.Wir haben Konzepte, die zeigen, welche PositionRussland in Europa haben sollte, und haben immer ge-
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Karl-Georg Wellmann
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sagt, dass wir uns Russland als strategischen Partner derEU wünschen, und zwar möglichst in einem gemeinsa-men Wirtschafts- und Sicherheitsrahmen. Dazu gehörtauch ein reger Austausch von Menschen, Kapital undKnow-how. Es ist jetzt an Russland, politische Konzeptevorzulegen, die zeigen, wie sich Russland die Gestaltungdes europäischen Raumes vorstellt. Russland ist schlicht-weg zu groß, um darauf zu verzichten, dass Russland seineKonzepte für die Gestaltung dieses Raumes gemeinsam mituns vorlegt.Es ist ganz klar: Die Ukraine entscheidet über ihreOrientierung ganz alleine. Wenn sie sich für den Westenentscheidet, ist das für uns maßgebend. Die EU wird diesmit allen vorhandenen Möglichkeiten unterstützen. Ver-suche der Destabilisierung von außen werden scheitern.Die Kosten einer Intervention wären für Russland sehrhoch, finanziell und politisch. Wir wissen das. WennRussland eine Intervention versuchen sollte, dannkönnte sich dieses Land sehr schnell überanstrengen,ebenfalls politisch und finanziell.Ich hoffe, dass sich niemand vertut: Die EuropäischeUnion hat für die Stabilisierung des Euro – ich glaube –800 Milliarden Euro mobilisiert. Ich bin ziemlich sicher,dass die EU eher als Russland den Atem hätte, derUkraine auf die Beine zu helfen. Das notwendige Poten-zial hätte die Ukraine allemal.Was wollen wir? Ich glaube, dass es richtig wäre, dieUkraine gemeinsam mit Russland zu entwickeln. Dieshätte Vorteile für alle. Natürlich müssen dabei auch dieFragen einer Freihandelszone mit Russland, des Visare-gimes und gemeinsamer trilateraler Industrieprojekte imRaum stehen. Wir tun in diesem Zusammenhang gut da-ran – Andreas Schockenhoff hat darauf hingewiesen –,die plausiblen strategischen Interessen Russlands zu be-rücksichtigen. Ich denke an bestimmte technologischeProjekte. So werden beispielsweise die Turbinen fürsämtliche Hubschrauber, die in Russland eingesetzt wer-den, im Rahmen eines ukrainisch-russischen Industrie-projekts in der Ukraine gebaut. Da haben die Russenplausible strategische Interessen, die wir nicht vergessendürfen.Uns muss die Frage beschäftigen, welche AufgabeDeutschland in der europäischen Politik zukommt. Jedervon uns hat mit Gesprächspartnern aus Polen oder demBaltikum gesprochen, die mit hochgezogenen Augen-brauen fragen, was denn die deutsche Position ist undwelche Rolle wir gegenüber Russland spielen. Wir solltenganz klar sagen: Für uns ist die Einigkeit der Europäer daswichtigste Ziel. Es ist selbstverständlich – das sage ichnoch einmal ausdrücklich –, dass wir natürlich keine Son-dergespräche – zwischen Deutschland und Russland –führen werden.Alle fordern von uns Deutschen mehr Verantwortung.Was bedeutet das? Es bedeutet zunächst einmal, festzu-stellen, dass das Weimarer Dreieck das Morden auf demMaidan beendet hat. Es bedeutet weiterhin, dass wir unsmit unseren polnischen und französischen Freunden inFragen der europäischen Ostpolitik abstimmen müssen.Aber Vorsicht! Plötzlich wird Führung von Deutschlandgefordert. Herr Rehn, Kommissar für Wirtschaft undWährung, äußerte sich am Montag in der FAZ dahin ge-hend, dass viele in der Außenpolitik „mehr Führungdurch Deutschland“ wollen. Wissen wir eigentlich, wasdas bedeutet? Als Erster hatte das Sikorski vor zwei Jah-ren angesprochen. Er bezog das aber auf die Euro-Krise,als er sagte, er habe weniger Angst vor deutschen Pan-zern als davor, dass Deutschland in Europa zu wenigführt.Jetzt geht es nicht nur um eine wirtschafts- und wäh-rungspolitische Führung, sondern jetzt ist auch außen-politische Führung gefordert. Donald Tusk forderteletzte Woche in der Zeit eine „wahre politische Füh-rung“. Auf Nachfrage sagte er: Vielleicht sollte man bes-ser von Leitung statt von Führung sprechen. – Das machtes uns nicht wirklich leichter; denn wenn wir leiten sol-len, dann liegt auch die Verantwortung bei uns, das Wohlund das Interesse der Europäischen Gemeinschaft zu de-finieren. Das sind jedenfalls die neuen Verantwortlich-keiten, über die wir uns klar werden müssen, so wie diesder Außenminister und der Bundespräsident auf der Si-cherheitskonferenz in München gesagt haben. Dazumüssen wir erst einmal im Parlament eine Diskussionführen und versuchen, einen Konsens herzustellen.Diese Arbeit muss übrigens auch in der deutschen Öf-fentlichkeit bzw. der deutschen Gesellschaft geleistetwerden.Meine Damen und Herren, die EU-Außenpolitik derletzten Jahre war in Bezug auf den Osten Europas nichtsehr eindrucksvoll; deshalb ist es besonders wichtig,dass wir Deutschen die Initiative ergreifen und die Dis-kussion, von der ich sprach, untereinander führen.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Wellmann. – Der letzte
Wortbeitrag in dieser Debatte kommt von Alois Karl für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Es entspricht einer guten Übung,dass zum Schluss der Debattenbeiträge zu den jeweili-gen Einzelplänen auch die Haushaltspolitiker sprechen.
Ich freue mich, dass ich das für die Koalition überneh-men darf. Ich mache das auch gerne in Ihrem Sinn, liebeFrau Kollegin Barnett. Wir haben in den Haushaltsbera-tungen die Koalition vertreten, als es um die auswärtigePolitik ging.Ich freue mich, sehr geehrter Herr Bundesaußen-minister, dass ich den Haushalt des Auswärtigen Amts
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Alois Karl
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vertreten darf; ist er doch der wichtigste von allen Haus-halten.
– Zumindest einer der wichtigsten.Wenn ich mich an die politische Jugendzeit, die wir inder Jungen Union und sonst wo verbracht haben, erin-nere,
so ist uns in Seminaren und andernorts manchmal gesagtworden – es wäre gut gewesen, wenn Sie dabei gewesenwären; Sie hätten manche Irrungen und Wirrungen nichtbegangen –,
dass Fehler in der Innenpolitik immer wieder korrigiertwerden können, dass Fehler in der Außenpolitik auflange Zeit nachwirken. In diesem Jahr, 2014, bieten unseinige Gedenktage die Gelegenheit, uns zurückzuerin-nern. Zum Beispiel erinnern wir in wenigen Wochen da-ran, dass der Erste Weltkrieg vor 100 Jahren ausgebro-chen ist. Auch damals war es eine Fehlleistung derDiplomaten, die ihrer Aufgabe nicht gerecht gewordensind. Das war ein lang fortwirkendes Dilemma und eineKatastrophe für Europa. Das Gleiche gilt für den Vertragvon Versailles von 1919, der – auch das gehört in dieAußenpolitik – schlechte Friedensbedingungen gebrachthat. Damit wurden die Grundlagen gelegt für die natio-nalsozialistischen Tendenzen in Deutschland mit ihrenantisemitischen Exzessen und den weiteren Folgen.Denken wir in diesem Zusammenhang auch daran, dassvor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist.Meine Damen und Herren, diese Reihe ließe sich fort-setzen. 1949 ist in Deutschland das Grundgesetz in Kraftgetreten. Im Gesetz über den Auswärtigen Dienst sindSätze niedergelegt, die noch heute wahr sind. Da heißtes:Der Auswärtige Dienst … dient einer dauerhaften,friedlichen und gerechten Ordnung in Europa undzwischen den Völkern der Welt, der Wahrung derunverletzlichen und unveräußerlichen Menschen-rechte als Grundlage jeder menschlichen Gemein-schaft …Schließlich hat er das Ansehen der BundesrepublikDeutschland zu stärken.Dieser Politik sind wir seit 65 Jahren in der Tat ver-pflichtet. Wer einmal die Memoiren von KonradAdenauer liest – er war nicht nur der erste Bundeskanz-ler, sondern auch der erste deutsche Außenminister nachdem Krieg –, der merkt auf geradezu jeder Seite seinpolitisches Glaubensbekenntnis, dass die tiefe und festeEinbindung Deutschlands in die westliche Wertegemein-schaft immer unser Ankerpunkt sein muss, und der kenntAdenauers Credo, dass die deutsche Außenpolitik davongetragen sein muss, dass wir verlässlicher Partner in derwestlichen Gemeinschaft sind. In dieser Weise betreibenwir auch heute unsere Außenpolitik: Sie ist fest veran-kert.Meine Damen und Herren, es mutet unangenehm an,dass eine Meinungsumfrage in der letzten Woche zumThema Ukraine ergeben hat, dass zwar 45 Prozent derDeutschen sagen, man solle sich fest an das westlicheBündnis halten, aber 49 Prozent angeben, dass man sichin der Ukraine tunlichst heraushalten solle. Das ist ge-rade das Gegenteil der Grundsätze deutscher Außenpoli-tik seit 65 Jahren. Ich danke Ihnen, Herr AußenministerSteinmeier, dass Sie zusammen mit anderen in der Frageder Ukraine Führung übernommen haben und Sie sichnicht heraushalten. Auch auf diese Art und Weise sinddie Berechenbarkeit und die Verlässlichkeit der deut-schen Außenpolitik sichtbar geworden.Herr Minister, Sie stehen in der Tat in einer langenReihe von vornehmen Außenpolitikern. Ich habe KonradAdenauer erwähnt. Man müsste auch Willy Brandt nen-nen, Helmut Kohl sowieso, aber auch Hans-DietrichGenscher usw. Die Schwerpunkte ändern sich auch inder Außenpolitik, aber es ist sehr wohl richtig, dass sichdie Grundsätze nicht verändern, dass die Wurzeln unddie Fundamente in der Tat die gleichen bleiben. Auf die-sen Grundlagen betreiben wir unsere Außenpolitik. Sieist gut angelegt, wenn wir auch dafür Geld ausgeben, umdafür zu sorgen, dass das Bild der Deutschen undDeutschlands in der Welt ein gutes ist, indem wir dieauswärtige Kulturpolitik gut ausstatten, also viel Geldfür das Goethe-Institut, den Deutschen AkademischenAustauschdienst, die Wilhelm-von-Humboldt-Stiftungund vieles andere mehr ausgeben; dieses Geld ist gut an-gelegt.Sehr geehrter Herr Außenminister, ich gebe Ihnenrecht, wenn Sie sagen, dass die Zeiten, in denenDeutschland sich aus den Konflikten heraushaltenkonnte, vorbei sind. Cash anstelle von alternativen au-ßenpolitischen Ansätzen der deutschen Politik – das istkeine Alternative mehr. Wir haben – wir sind zu groß, zubedeutsam und auch zu wichtig in der Welt – unsereRolle zu spielen. Es ist schon gesagt worden, dass derHerr Bundespräsident dies bei der Münchner Sicher-heitskonferenz in ähnlicher Weise gesagt hat, als er for-mulierte, dass Deutschland „sich als guter Partner früher,entschiedener und substanzieller einbringen“ sollte, auchdort, wo Krisen in der Welt herrschen. Sie, Herr Minis-ter, haben das in ähnlicher Weise gesagt, Frau von derLeyen und die Bundeskanzlerin ebenso.Meine sehr geehrten Damen und Herren, viele ma-chen sich Idealvorstellungen: Überall mögen Frieden,Freiheit und Wohlstand herrschen und die Menschen-rechte gelten. Die Realität sieht vielerorts allerdings an-ders aus; das ist in der Tat wahr. Nehmen wir den Mittel-meerraum, unsere unmittelbare Nachbarschaft: Wirwaren bass erstaunt, dass in Tunesien, in Libyen, inÄgypten Revolutionen über die Bühne gegangen sind.Vorschnell haben viele vom Arabischen Frühling ge-sprochen, und das hat sich als sprachliche Verirrung he-rausgestellt. Die Realität sieht anders aus, gerade wennman Libyen oder Ägypten betrachtet. Trotzdem stellen
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Alois Karl
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wir viel Geld für die sogenannten Transformationspart-nerschaften ein und hoffen, dass wir damit dazu beitra-gen können, gerade in Ägypten und Libyen, aber auch inanderen Ländern demokratische und rechtsstaatlicheVerhältnisse herbeizuführen.Syrien ist erwähnt worden – welch ein Drama! Meinesehr geehrten Damen und Herren, wenn man weiß, dassim Libanon mehr als 1 Million Flüchtlinge und in Jorda-nien und der Türkei jeweils rund 600 000 Flüchtlingeangekommen sind, dann erkennt man, was das für einunglaubliches menschliches Drama ist. Wir können unsda nicht aus der Verantwortung stehlen. Gegenüber demJahr 2012 haben wir unseren Beitrag mehr als verdop-pelt, um hier menschliches Leid zu lindern.
Ich danke den Kollegen des Haushaltsausschusses, dasses da zwischen uns allen gar keine Diskrepanz gibt undwir auf einer Linie sind.Die Afrika-Politik, begründet auch vom damaligenBundespräsidenten Horst Köhler mit seiner Partner-schaft für Afrika, ist angesprochen worden, die Ukraineauch.Meine sehr geehrten Damen und Herren, noch einigeSätze zum Baltikum. Im nächsten Jahr feiert Litauen das25-jährige Bestehen seiner Selbstständigkeit, Estlandund Lettland tun das im Jahr 2016. Trotzdem herrschtdort ein tiefes Misstrauen, eine Urangst gegenüber derPolitik der früheren Sowjetunion und des heutigen Russ-lands, eine Urangst, dass jene Bestrebungen, die wir vonder Krim und aus der Ukraine kennen, auf das Baltikumübergreifen könnten.
Denken Sie an die Redezeit?
Ich denke daran.
Wunderbar.
Ich komme nach einem Schachtelsatz zum Ende, Frau
Vorsitzende.
Auf Hochdeutsch, bitte.
Wie ich weiß, sind Sie gebürtig aus Schwaben und le-
ben in Augsburg. Vorhin habe ich die Rede des Kollegen
Dörflinger aus Baden-Württemberg gehört.
Wir müssen trotzdem zum Ende kommen.
Er hat gemeint: Man müsste Übersetzungen ins Deut-
sche haben. – Deutsch ist auch die erste Fremdsprache
für die Württemberger und die Schwaben.
Liebe Frau Präsidentin, mit diesem Misstrauen und
der Urangst der Balten beschäftigt sich auch unsere Poli-
tik. Es ist wichtig, diese auszuräumen. Herr Außen-
minister, Sie waren da und haben Farbe bekannt. Dafür
danke ich Ihnen herzlich.
Ich freue mich auf die Debatten im Haushaltsaus-
schuss. Wir werden Ihren Haushalt – er ist einer der we-
nigen, der ansteigt, gegenüber dem Vorjahr um mehr als
4 Prozent – tatkräftig unterstützen. Wir freuen uns auf
die Gespräche.
Herzlichen Dank für die ersten Gespräche, die wir ge-
führt haben. Sie waren getragen von gegenseitigem Res-
pekt und Vertrauen. Ich bin mir sicher: Die deutsche Au-
ßenpolitik ist in Ihren Händen kompetent und gut
aufgehoben.
Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Alois Karl. – Weitere Wortmel-dungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Dannschließe ich die Aussprache.Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-kräfte am maritimen Begleitschutz bei derHydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bordder CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamenVN/OVCW-Mission zur Vernichtung der sy-rischen ChemiewaffenDrucksachen 18/984, 18/1067– Bericht des Haushaltsausschusses
gemäß § 96 der GeschäftsordnungDrucksache 18/1096Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der FraktionDie Linke vor. Über die Beschlussempfehlung zu demAntrag der Bundesregierung werden wir später nament-lich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre undsehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Rolf Mützenich für die SPD.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2377
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für eine Region, die seit langem keinen Frieden mehrkennt, ist die Vernichtung der syrischen Chemiewaffeneiner der wenigen Lichtblicke. Wir sollten uns das ange-sichts der Dramatik, die in dieser Region derzeit vor-herrscht, vergegenwärtigen. Insbesondere in Syrien – da-rauf haben alle Rednerinnen und Redner bei derDiskussion über den Einzelplan des Auswärtigen Amteshier im Deutschen Bundestag hingewiesen – kennen dieBarbarei und die Verzweiflung der Menschen, die tag-täglich mit Gewalt und Vertreibung konfrontiert sind,kein Ende.Ich bin sicher, ich spreche für das gesamte Haus,wenn ich sage, dass viele der Kolleginnen und Kollegenauch in den eigenen Wahlkreisen von den SchicksalenEinzelner wissen und versuchen, ganz persönlich zu hel-fen. Das ist einer der Beiträge, die Deutschland leistenkann, insbesondere wenn es um humanitäre Hilfe geht.Es gibt weitere Punkte in der Region, die Anlass zuPessimismus geben: die Rückkehr autoritärer Regime,Aufrüstung und Mangel an Vertrauensbildung. Leiderherrscht an vielen Stellen noch Misstrauen. So wissenwir immer noch nicht, ob wir Mitte dieses Jahres eine er-folgreiche Lösung der iranischen Atomkrise erlebenwerden.In diesen Tagen – der Bundesaußenminister hat es an-gesprochen – müssten wir uns die größten Sorgen auchdarum machen, dass die Friedensbemühungen im NahenOsten, die insbesondere vom amerikanischen Außen-minister immer wieder sehr stark vorangetrieben wordensind, am seidenen Faden hängen. Möglicherweise sindsie bereits gescheitert.Deswegen war es gut – das sage ich auch an die Mit-glieder der Bundesregierung gerichtet –, dass die neueBundesregierung sofort entschieden hat, sich an der Ver-nichtung der Chemiewaffen zu beteiligen. Ich dankedem Bundesaußenminister und der Verteidigungsminis-terin für ihre gemeinsame Initiative. Wir brauchen dafürheute ein starkes Signal der Unterstützung aus demDeutschen Bundestag.Das, worüber wir heute diskutieren, ist alles andereals ein symbolisches Mandat. Deswegen will ich auf ein-zelne Punkte eingehen, die in den letzten Tagen immerwieder verzweifelt gesucht wurden – so muss ich das sa-gen –, um eine Ablehnung zu rechtfertigen. Ich fand dieArgumente, die in der ersten Lesung vorgetragen wordensind, schon sehr zweifelhaft. Das, was ich in den letztenTagen gehört und gelesen habe, hat diesen Eindruck ver-stärkt. Ich will einige Punkte benennen:Einige sagen, es liege keine ausdrückliche Einladungan die Bundesregierung, an Deutschland vor, sich an die-ser Mission zu beteiligen. Ich bitte diejenigen, die das sosehen, in die Resolution 2118 des Sicherheitsra-tes der Vereinten Nationen zu schauen. Unter Ziffer 10heißt es, dass der Sicherheitsrat die Mitgliedsländer bit-tet – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –,Unterstützung bereitzustellen, darunter Personal,technischen Sachverstand, Informationen, Ausrüs-tung, Finanzmittel und sonstige Ressourcen undHilfe, um die OVCW– Organisation für das Verbot chemischer Waffen –und die Vereinten Nationen in die Lage zu verset-zen, die Beseitigung des Chemiewaffenprogrammsder Arabischen Republik Syrien durchzuführen,und beschließt, die Mitgliedstaaten zu ermächtigen,die vom Generaldirektor der OVCW ermitteltenchemischen Waffen zu erwerben, zu kontrollieren,zu transportieren, weiterzugeben und zu vernich-ten …Ich weiß nicht, ob es eine bessere Einladung gebenkann als die vom höchsten Souverän in der internationa-len Politik. Ich finde, das sollten wir zur Kenntnis neh-men. Möglicherweise ist die Einladung etwas kompli-ziert ausgedrückt. Aber ich finde schon, dass wir dieEinladung annehmen sollten. Deutschland ist ein guterPartner in den Vereinten Nationen. Deswegen sollten wirdiese Debatte nicht mehr führen.Ein anderes Argument war, der Schutz sei unnötig.Nun haben wir oft eine Debatte darüber geführt, ob diesyrische Regierung oder möglicherweise die Aufständi-schen für den Einsatz der Chemiewaffen, für den Angriffmit chemischen Waffen verantwortlich sind. Ich glaubeimmer noch, dass eine Menge Indizien dafür sprechen,dass es das Regime Assad gewesen ist. Sie wissen auch,dass diejenigen, die das im Namen der Vereinten Natio-nen überprüft haben, nicht ermächtigt waren, genau fest-zustellen, wer es war. Wenn Sie darauf hinweisen, dasses auch die Aufständischen gewesen sein könnten, dannist es doch umso notwendiger, dass wir einen Schutz or-ganisieren, insbesondere weil wir vor mehreren JahrenAngriffe auf Kriegsschiffe erlebt haben, zum Beispielauf die USS „Cole“. Deswegen glaube ich, dass Schutzletztlich notwendig ist, und es liegt auf der Hand, dasssich Deutschland daran beteiligt.Dann gab es das Argument: Das können die USA al-leine. – In der Tat: Die USA können das alleine. Sie ver-fügen über das notwendige militärische Gerät. Wir wol-len aber ausdrücklich nicht, dass die USA dies alleinetun, und zwar aus einem ganz wichtigen Grund, einemGrund, den wir nach dem Ende des Zweiten Weltkriegesin der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt haben.Wir wollen das gemeinsam machen, nicht nur, um mit-bestimmen zu können, sondern auch, um die Einbindungvon Partnern in ein solches Mandat zu erreichen. Ichhabe mich über dieses Argument gewundert; denn dieje-nigen, die gesagt haben: „Die USA können das alleine“,reden sonst immer von der amerikanischen Hegemonie.Ich glaube, wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass wirdie USA bei diesem Mandat unterstützen.
Es gab ein viertes Argument. Es wurde gesagt, dasswir andere herausdrängen. Das stimmt überhaupt nicht.Immer noch sind seitens der Vereinten Nationen vieleStaaten eingeladen. Russland und China haben es nichtabgelehnt, beispielsweise den Transport weiterhin mit zu
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Dr. Rolf Mützenich
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übernehmen. Sie können sich beteiligen. Sie haben ebennicht ausdrücklich feststellen wollen, dass sie nicht mehrmit dabei sind. Es ist letztlich in ihrem Interesse, an derVernichtung der chemischen Waffen Syriens beteiligt zusein. Weiterhin steht diese Tür sehr weit offen. Ichglaube, dass Russland sich in den nächsten Wochen ausEigeninteresse wieder massiv daran beteiligen wird, ins-besondere weil – das hat der Außenminister festgestellt –bisher nur 54 Prozent der chemischen Waffen gesichertsind.Als letzter Aspekt wurde in die Debatte die Frage ein-gebracht: Warum der Nordatlantik? Ich frage mich: Wa-rum diskutieren wir hier ständig über Auslandseinsätze,über Klarheit und Wahrheit eines Mandats? Wenn in dennächsten Wochen möglicherweise aus Sicherheitsgrün-den, aus Witterungsgründen oder anderen Gründen dieVernichtung im Mittelmeer nicht stattfinden kann, dannmachen wir das eben im Nordatlantik. Was spricht denngegen konkrete Abrüstung an dieser Stelle?Ich möchte sehr deutlich sagen: Ich glaube, geradedieses neue Mandat schafft eine neue Qualität im Be-reich der internationalen Politik, aber auch bei der Be-handlung von Bürgerkriegen. Wir haben es damals beimVertrag von Dayton bezüglich des jugoslawischen Bür-gerkriegs gesehen. Auch da ist Rüstungskontrolle einge-bracht worden, leider zu spät, aber immerhin wurde sieeingebracht. Jetzt sollen Abrüstung und Rüstungskon-trolle helfen, die schlimme Situation in Syrien zu verbes-sern. Was spricht denn dagegen, für dieses Mandat zustimmen?
Ich glaube, es geht mit diesem Mandat mehr und ver-stärkt darum, den diplomatischen Weg zu gehen. DieBundesregierung versucht seit Wochen – der Bundes-außenminister hat es gerade in seiner Rede gesagt –, hierwieder voranzukommen. Dass es keine Waffenlieferun-gen von Saudi-Arabien, von Katar, aber auch von Russ-land und vielen anderen Ländern aus geben darf, gehörtauf die Tagesordnung. Es geht auch um humanitäre Kor-ridore im Rahmen einer Waffenruhe. Und in der Tat, dieTürkei muss in den nächsten Wochen in den Gremiendarüber Auskunft geben, wie sie heute auf diesen Kon-flikt in Syrien blickt. Auch das gehört zu einer ehrlichenDiskussion.Bundeswehrmandate – das sage ich an alle Fraktionen –sind immer eine Einzelfallentscheidung. Ich habe hohenRespekt vor jedem Einzelnen, der für sich in der Vergan-genheit begründet hat, dass er einem bestimmten Mandatnicht zustimmen kann. Das hat das Bundesverfassungs-gericht so niedergelegt, und das hat insbesondere auchdieses Hohe Haus immer wieder gewürdigt. Auch in un-serer Fraktion gab es immer wieder unterschiedlicheStimmen zu Bundeswehrmandaten.Aber, ich finde, Sie sollten sich darüber klar werden,dass es heute nicht darum geht, zu intervenieren odervielleicht Soldaten zur Friedenssicherung in Blauhelm-missionen oder anderweitig mit einem robusten Mandatauszustatten. Das heute zur Abstimmung stehende Man-dat ist vielmehr ein konkreter Beitrag zur Abrüstung. Essoll helfen, das umzusetzen, was in dieser Region ver-sucht wird, und gerade auch in Syrien ist es dringendnotwendig, die Fragen von Abrüstung und Diplomatie inden Vordergrund zu stellen. Wenn man heute für diesesMandat stimmt, unterstützt man Abrüstung und Rüs-tungskontrolle.Ich komme zu einem anderen Aspekt. Ich glaube, dieBeratungen über dieses Mandat hätten auch einen Bei-trag zu einer in diesem Haus notwendigen Diskussionzwischen allen Fraktionen leisten können, wann und obmilitärische Beteiligungen im Rahmen von Beschlüssender Vereinten Nationen sinnvoll sind und zur Friedenssi-cherung beitragen. Das habe ich vermisst. Ich finde, Siehaben die Möglichkeit, zu dieser Debatte sachlich beizu-tragen, nicht genutzt.Die internationale Politik steht in diesen Wochen vorungeahnten Herausforderungen. Noch immer hören undsehen wir an zu vielen Orten verantwortungslose Unru-hestifter. Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffenunterstreicht deshalb mehr denn je auch die Bedeutungder Diplomatie und der Abrüstung für die Wiederherstel-lung des Friedens. In diesen Tagen brauchen Diplomatieund Abrüstung eine starke Stimme. Ich bitte um Ihre Un-terstützung.Vielen Dank.
Vielen Dank, Rolf Mützenich. – Für die Linke Jan
van Aken.
Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-ren! Ich finde, es ist wirklich keine einfache Frage. Esgibt sehr viele sehr gute Argumente für diesen Einsatz,und es gibt sehr viele sehr gute Argumente gegen diesenEinsatz. Wir haben in der Fraktion darüber diskutiert. Erwurde von verschiedenen Personen unterschiedlich be-wertet. Einige werden dafür stimmen, einige dagegen,andere werden sich enthalten.Ich will ganz vorne anfangen. Es geht um die Ver-nichtung syrischer Chemiewaffen im Mittelmeer undden militärischen Schutz durch eine deutsche Fregatte.Ich glaube, in einem Punkt sind wir uns alle einig: Es istvöllig richtig und wichtig, dass die syrischen Chemie-waffen jetzt komplett vernichtet werden.
Ich muss sagen, dass es für mich ganz persönlich aucheine Herzensangelegenheit ist. Ich habe die letzten15 Jahre vor allem damit zugebracht, für die Vernichtungaller biologischen und chemischen Waffen auf der Weltzu kämpfen, zwei Jahre lang auch als UN-Biowaffen-inspektor. Deswegen bin ich jetzt sehr erleichtert und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2379
Jan van Aken
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froh darüber, dass auch das syrische Chemiewaffenpro-gramm endgültig vernichtet wird. Ich möchte an dieserStelle den UN-Inspektoren in Syrien danken, die teil-weise unter Einsatz ihres Lebens dieses Programm mitaufgeklärt und untersucht haben. Das verdient unser al-ler Respekt.
Es ist richtig, wie die Vernichtung der Waffen ge-schieht, nämlich auf einem Schiff im Mittelmeer. Das istunter Sicherheitsaspekten und aus ökologischer Sicht diebeste Methode. Da wird nichts ins Meer gekippt. Das istein geschlossenes und solides System. Das finde ich alsalter Umweltaktivist völlig in Ordnung. Herr Mützenich,natürlich muss dieser Prozess und muss auch das Schiffbewacht werden. Dazu gibt es keine zwei Meinungen;denn niemand kann ernsthaft riskieren, 20 Tonnen Senf-gas mehrere Monate lang ungeschützt über das Mittel-meer schippern zu lassen. So gering die Gefahr auch seinmag: Sie ist nicht gleich null.Das alles sind sehr gute Argumente für diesen Ein-satz. Aber wir können den Einsatz doch nicht isoliert be-trachten. Er findet nicht in einem luftleeren Raum statt.Praktisch zeitgleich, innerhalb einer Woche werden hierim Bundestag zwei ganz neue Bundeswehrmandate ver-abschiedet: eines für Somalia und eines für die Zentral-afrikanische Republik. Da wird doch in allerkürzesterZeit genau das zur Realität, was Herr Gauck, Frau vonder Leyen und Herr Steinmeier erst vor kurzem verkün-det haben, nämlich eine systematische Ausweitung vonAuslandseinsätzen der Bundeswehr. Diese Militarisie-rung der deutschen Außenpolitik wird die Linke niemalsmittragen.
Sie reden hier immer von Verantwortung. Aber wis-sen Sie eigentlich, was in diesem Fall echte Verantwor-tung hieße? Fangen wir doch einmal an:Erstens. Stoppen Sie endlich alle heiklen Chemiewaf-fenlieferungen,
vor allen Dingen an die Länder, die die Chemiewaffen-konvention noch nicht ratifiziert haben! Das haben wirbeantragt. Dem können Sie gleich zustimmen. Das wäreeinmal ein Beispiel dafür, wie man Verantwortung über-nimmt.Zweitens. Binden Sie Russland wieder ein! Es war einfataler Fehler, Russland rauszukegeln.
Wir wissen doch alle, dass Assad sein Chemiewaffen-programm ohne den Druck aus Moskau nie aufgegebenhätte. Sie aber kegeln Russland jetzt raus.
Drittens. Ziehen Sie sofort die Bundeswehr samt ihrerPatriot-Raketen aus der Türkei zurück!
Denn damit unterstützen Sie eine ganz gefährliche Poli-tik der Türkei auf Kosten der Menschen in Syrien. Daswäre für mich Verantwortung. Diese verweigern Sieaber. Das einzige, was Sie in einer solchen Situation tun,ist das, was Sie so oft tun: mal wieder ein deutschesKriegsschiff schicken. Das ist zu wenig.Hinzu kommt, dass das konkrete Mandat, zu dem Siehier einen Bericht vorgelegt haben, wirklich zum Him-mel stinkt. Das gibt mir allen Grund zu Misstrauen. Sielegen den gesamten Einsatz als NATO-Mandat an. Wa-rum machen Sie daraus keine UN-geführte Operation?Das machen Sie nicht; Sie legen das als NATO-Mandatan. Dann weiten Sie den Einsatz auf den Nordatlantikund alle angrenzenden Seegebiete aus. Wir haben nach-gefragt: Warum? Herr Mützenich, auch von Ihnen habeich heute keine Antwort bekommen. Ich bekomme auchaus den Ministerien keine Antwort. Der Einsatz wirdohne jeden Grund auf die halbe Welt ausgeweitet. Wassoll das?Jetzt kommt etwas, von dem ich befürchte, dass esdraußen in der Welt kein Mensch versteht: Sie wusstenvorgestern noch nicht einmal, wie viele Kriegsschiffe ei-gentlich vor Ort sind. Mir wurde vom Verteidigungsmi-nisterium im Auswärtigen Ausschuss gesagt, dort seienzwei Kriegsschiffe, und zwar eines von den USA und ei-nes von Deutschland – mehr nicht. Zur gleichen Zeithieß es im Verteidigungsausschuss, es seien drei Kriegs-schiffe, ein U-Boot und vielleicht noch ein bisschenmehr.
Wir haben nachgefragt. 24 Stunden lang haben wir keineAntwort bekommen. Sowohl im Verteidigungsministe-rium als auch im Auswärtigen Amt wusste niemand, wieviele Schiffe beteiligt sind.
Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, ein Mandat für einenBundeswehreinsatz auf einer so dubiosen Basis vorzu-schlagen.
Das alles sind aus meiner Sicht sehr gute Argumentegegen diesen Einsatz.
Wir haben diese Fragen, wie gesagt, innerhalb der Frak-tion diskutiert. Jeder und jede von uns hat unterschiedli-
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2380 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Jan van Aken
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che Gewichtungen vorgenommen. Deswegen werdenwir unterschiedlich abstimmen. Das ist auch gut so.Ich selbst habe hier zwei Herzen in meiner Brust.Schon aufgrund meiner persönlichen Geschichte in Sa-chen Abrüstung werde ich auf gar keinen Fall gegen die-sen Einsatz stimmen. Aber ich kann ihm auch auf garkeinen Fall zustimmen. Ich persönlich werde mich des-halb enthalten.
Ich bin im Übrigen der Meinung, dass Deutschlandkeine Waffen exportieren und auch keine Chemiewaf-fenfabriken unterstützen sollte; das will ich ganz zumSchluss noch sagen. Es waren – das wissen Sie – vor al-lem deutsche Firmen, die in den 80er- und 90er-Jahrendas syrische Chemiewaffenprogramm mit aufgebaut ha-ben.
Ich befürchte sogar, dass der tödliche Einsatz von Gift-gas am 21. August 2013 ohne deutsche Hilfe nicht mög-lich gewesen wäre. Ich finde, wir müssen alle endlichKonsequenzen daraus ziehen und dafür sorgen, dass niewieder irgendwo auf der Welt ein Chemiewaffenpro-gramm aus Deutschland unterstützt wird.
Ich danke Ihnen.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Dr. Johann Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.
Ich muss das Rednerpult erst noch einstellen; ich bin
nicht ganz so lang wie der Kollege, Herr Präsident.
Das geht von selbst. Warten Sie es entspannt ab! Jeder
findet hier bei uns seinen Level.
Einzelheiten dazu morgen in der Rechtsstellungskom-mission des Ältestenrates, der ich angehöre.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In der außenpolitischen Debatte lag der Schwer-punkt zu Recht bei der Situation in der Ukraine und demvölkerrechtswidrigen Verhalten Russlands durch die fak-tische Annexion der Krim. Dabei ist der gesamte Nah-ostkonflikt, über den man viel sagen könnte, und insbe-sondere die kriegerische Situation in Syrien in denHintergrund getreten. Das ist angesichts der TausendenToten nicht gerechtfertigt. Es ist gut, dass uns der Bun-deswehreinsatz, über den wir heute beraten, Gelegenheitgibt, ins Bewusstsein zu rufen, welche menschliche, hu-manitäre, zivilisatorische Katastrophe sich in dieser Re-gion abspielt.Das Zweistromland und die benachbarten Regionensind eine, wenn nicht die Wiege unserer westlichen, zu-nächst griechisch-römisch, dann christlich-jüdisch ge-prägten Welt. Dass hier Kulturstätten von einmaligerBedeutung versinken und Tausende von Menschen hin-gemordet werden, ist schrecklich. Wir müssen alles inunserer Macht Stehende tun, um dem Einhalt zu gebie-ten. Da ist Enthaltung, Herr van Aken, keine Haltung.Man muss vielmehr handeln,
auch vor dem Hintergrund, dass wir in diesem Jahr destraurigen, 100 Jahre zurückliegenden Ausbruchs derkriegerischen Handlungen gedenken, die allgemein alsErster Weltkrieg bekannt geworden sind. Wenn man sichüberlegt: „Was ist das Markante an dieser Auseinander-setzung gewesen?“, dann sind da insbesondere die gräu-elhaften Giftgaseinsätze zu nennen. Das hat zur Folgegehabt, dass in der Zeit danach praktisch kein Giftgasmehr eingesetzt worden ist, während des gesamten Kal-ten Krieges ebenfalls nicht. Das ist erst in Syrien wiederder Fall gewesen.
Die Frage, wer nun dafür Verantwortung trägt, wer dasgemacht hat – Herr van Aken, Sie haben diese Frage inder ersten Lesung nach vorne gekehrt –, lasse ich einmalbeiseite.Wir können als Weltgemeinschaft und als diejenigen,die immer wieder betonen, dass das Bestehen auf derSchutzverantwortung ein wichtiges Prinzip der Verein-ten Nationen geworden ist, nicht tatenlos zusehen, wennGiftgas wieder eingesetzt wird. Wir müssen es alle äch-ten, und wir müssen alle einschreiten, meine sehr verehr-ten Damen und Herren, und das sollten wir geschlossentun.
Wenn man die Krise in Syrien sieht, muss man fest-stellen: Es gibt sehr viel Dunkles, sehr viel Schatten,sehr viel Trauriges, sehr viel, was einem wenig Hoff-nung gibt: dass sich viele eingemischt haben, dass dortzahlreiche Interessen kollidieren. Das ist alles bekannt,und das werden wir nicht abschalten können. Aber wirhaben eine kleine, wichtige Sache gemeinsam erreicht,und das ist ein Konsens bei den Vereinten Nationen – erist die Grundlage unseres Einsatzes und auch Ihres An-trags, Herr van Aken –, ein Konsens unter Einbindung
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2381
Dr. Johann Wadephul
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von China und unter Einbindung von Russland, woraufSie sehr viel Wert gelegt haben, dass diese Chemiewaf-fen jetzt vernichtet werden. Wie viele Jahre haben wir indiesem Hause und an verschiedensten Stellen gemein-sam über die Ächtung von Atomwaffen, über die Äch-tung von Chemiewaffen geredet! Jetzt wird das endlicheinmal gemacht. Das ist doch ein riesiger Erfolg der Ver-einten Nationen. Das gibt doch Hoffnung, dass die Völ-ker dieser Erde hier zusammenwirken und nicht immerweitermachen in der Rüstungsspirale, sondern selbermerken, dass das menschlicher Wahnsinn ist, mit demman aufhören muss, dass man diese Waffen zerstörenmuss. Das können wir alle nur begrüßen.
Die Koalitionsfähigkeit der Linksfraktion ist für michkein Thema, mit dem ich mich länger befassen will. Dasist letzten Endes nicht die Ebene, auf der wir das hiermiteinander diskutieren sollten, auch wenn einige dastun und wenn das für viele bei Ihnen offensichtlich derMaßstab dafür ist, sich zu enthalten, um gewisse Zeichenzu setzen. Das mögen Sie mit sich ausmachen. Ichglaube aber, dass das nicht der Maßstab für unsere Dis-kussionen hier ist.Die Frage ist doch, ob man in dieser Situation wirk-lich eine andere Entscheidung treffen kann. Diese Fragestellt sich unabhängig vom Einsatzgebiet und der Frage,ob Russland angesichts der „Angelegenheit Ukraine“,um es einmal harmlos zu formulieren, aktuell beteiligtsein sollte; denn das ist sekundär. Im Kern geht es dochdarum, ob dieser Einsatz möglich ist. Stellen Sie sich nureinmal in Ihren kühnsten Träumen vor, es hinge von Ih-rer Stimme ab, ob dieser Einsatz zustande kommt odernicht. Ihre Stimme wäre sozusagen die Conditio dafür,dass dieser Einsatz durchgeführt wird. Sie würden ihndann also – auch mit einer Enthaltung – unmöglich ma-chen?
Vor dieser politisch-moralischen Frage stehen Sie in die-sem Hause, und hier versagen Sie aus meiner Sicht.Was kann pazifistischer sein als die Vernichtung vonWaffen? Wann, wenn nicht jetzt, sollte man einem derar-tigen Einsatz zustimmen? Zu dieser Zustimmung rufeich Sie alle auf.Herzlichen Dank.
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Omid
Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am16. März 1988 gab es einen Einsatz von Chemiewaffenin Halabdscha. Einer meiner engsten Verwandten war andiesem Tag dort. Er war Soldat und hatte deshalb dievolle Schutzmontur an. Ich habe ihn danach im Kran-kenhaus besucht, in dem er trotz der Schutzmontur sechsMonate lang behandelt wurde. Die Bilder, die er aus sei-nem Kopf nicht mehr loswurde, waren Bilder des Grau-ens, die sich jeglicher Beschreibung entziehen. Das, wasman mitnimmt, wenn man solche Bilder gesehen oderauch nur davon gehört hat, ist, dass man alles daranset-zen muss, dass sich das nicht wiederholt.Am 21. August letzten Jahres gab es eine Wiederho-lung in Ghuta mit Tausenden von Toten, darunter vieleKinder. Sie sind gestorben, weil ihre Atemwege so ver-krampft waren, dass sie nicht mehr atmen konnten.Wahrscheinlich war der Einsatz von Chemiewaffen inGhuta nicht der erste Einsatz dieser Waffen in Syrien.Das Gebot, das damals richtig war, gilt heute unverän-dert: Wir müssen alles dafür tun, dass sich solche Gräu-eltaten nicht wiederholen.
Wenn wir durch die Entsendung der Fregatte einenBeitrag dazu leisten können – das ist kein großer Bei-trag –, dass sich eine solche Gräueltat nicht wiederholt,dann sollten wir das auch tun; denn wir wissen, dass ge-rade einmal die Hälfte der Chemiewaffen in Latakia istbzw. zumindest nicht mehr dort, wo sie eingesetzt wer-den können. Wir wissen auch, dass die Fristen für dieZerstörung der Chemiewaffenanlagen bei einigen Anla-gen längst verstrichen sind. Meiner Meinung nach ist indieser Debatte nicht die zentrale Frage, wer in Ghuta dieChemiewaffen eingesetzt hat. Ich halte die Indizienlagefür klar und glaube, dass es das Assad-Regime war. Aberauch wenn es das Assad-Regime nicht war, ist es not-wendig, dass wir unseren Beitrag dazu leisten, dass dieseChemiewaffen zerstört werden. Die Zerstörung ist einwichtiger Beitrag dazu und eine Bedingung dafür, dassSyrien der Konvention gegen Chemiewaffen beitretenkann.Wir wissen, dass deutsche Unternehmen von 1983 bis1993 stark dazu beigetragen haben, dass dieses riesigeArsenal von Chemiewaffen in den Händen Assads ist.Im Übrigen wiederholt sich hier die Geschichte: Das istnicht anders als in Halabdscha, wo das nicht zu Endeaufgearbeitet worden ist. – Wir wissen, dass bis 2011auch Dual-Use-Güter nach Syrien geliefert wurden. Ichfinde, allein deswegen erwächst Verantwortung auch fürden Deutschen Bundestag, alles dafür zu tun, dass sichsolche Gräueltaten nicht wiederholen.
Herr Kollege van Aken, ich kann Ihnen ganz sichernicht absprechen, dass Sie es sich schwer machen. Dasgilt ebenso für alle in diesem Hohen Hause bei Auslands-einsätzen, hoffe ich zumindest. Frieden ist aber immerkonkret; das wissen Sie besser als ich. Deshalb weiß ich,ehrlich gesagt, nicht, was die Situation in Somalia – ich
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2382 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Omid Nouripour
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habe dagegen gestimmt, als dieses Mandat beschlossenwurde – mit der Vernichtung der Massenvernichtungs-waffen in Syrien zu tun hat.
Wir haben Schwarz-Gelb kritisiert, weil diese Koali-tion nicht bereit war, sich an der Zerstörung der Massen-vernichtungswaffen zu beteiligen. Wir haben es begrüßt,dass sich Frank-Walter Steinmeier für die Große Koali-tion dieses Themas annimmt. Deshalb wird meine Frak-tion diesem Mandat zustimmen.Es gibt in diesem Zusammenhang zwei weitereGründe, die man nennen muss. Der eine Grund ist: Es istein UN-mandatierter Einsatz. Ich weiß nicht, wie Sie da-rauf kommen, dass es ein NATO-Einsatz sein könnte.
Das ist nicht richtig. – Der zweite Grund ist: Es ist ebennicht so, dass Russland nicht dabei wäre. Russische Sol-daten sind meines Wissens und nach dem, was uns be-richtet wurde, in Latakia und wirken daran mit, dass dieChemiewaffen gesichert sind, bevor sie auf die Schiffeverladen werden. Es ist ein Wert an sich, dass es in die-sen Zeiten eine militärische Kooperation mit Russlandgibt und wir diese unterstützen.
Ein letzter Punkt. Bei allen Gräueltaten im Zusam-menhang mit Chemiewaffen und anderen Massenver-nichtungswaffen dürfen wir eine Sache nicht vergessen:Es ist wichtig, dass wir uns an der Abrüstung beteiligen.Aber wir dürfen nicht vergessen, dass in Syrien mittler-weile über 150 000 Menschen getötet worden sind; diemeisten waren Zivilisten, Kinder und Frauen. Dies darfauch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisteneben nicht in Ghuta gestorben sind, ohne das zu quantifi-zieren. Ja, wir reden heute über Massenvernichtungswaf-fen. Aber Abrüstung ist deutlich mehr als die Vernich-tung von Massenvernichtungswaffen. Die meisten Opferin Syrien wurden durch Mörser, Scharfschützen undFassbomben getötet, die bekanntermaßen nur die Luft-waffe Assads geworfen haben kann. Wenn wir über Ab-rüstung reden, reicht es nicht, bei der Zerstörung vonChemiewaffen stehen zu bleiben. Das geht weit darüberhinaus.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Als Nächstem erteile ich das Wort dem Kollegen
Thorsten Frei, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be-reits in der vergangenen Woche und auch heute in derDebatte ist viel Richtiges zur Beteiligung Deutschlandsan der Vernichtung syrischer Chemiewaffen gesagt wor-den. Ich glaube, wir alle haben die Bilder aus dem ver-gangenen Sommer vor Augen, als in Syrien 1 500 Men-schen durch Giftgas aus syrischen Armeebeständenbestialisch ermordet wurden. Deshalb war es die richtigeReaktion der internationalen Staatengemeinschaft, sichmit der UN-Resolution 2118 unter Einschluss von Chinaund Russland klar und deutlich zu positionieren.Die Überschrift dieser Debatte ist eigentlich nichtrichtig. Einige Redner haben es bereits angesprochen:Wir sprechen nicht über einen Militäreinsatz im her-kömmlichen Sinne. Wir sprechen über ein Abrüstungs-projekt. Nach dem Verbot von Streumunition, nach derKontrolle der Kleinwaffen, nach der Eindämmung desiranischen Atomprogramms ist das ein ganz wichtigesProjekt, um für weniger Waffen in der Welt zu sorgen.Dieses Projekt ist richtig, und deshalb ist es auch klar,dass wir darüber hier im Haus eine große Übereinstim-mung haben.Mir ist, ehrlich gesagt, nicht klar, warum wir ein sol-ches Projekt, eine solche Mission nicht einstimmig ver-abschieden. Ich habe in der Debatte kein Argument ge-hört, das für eine Enthaltung oder für eine Ablehnungdieser Mission sprechen würde. Dieses Abrüstungspro-jekt bietet Chancen. Es kann nicht sein, dass man einer-seits Chemiewaffen ächtet und sich andererseits dann,wenn man die Chance hat, an ihrer Vernichtung mitzu-wirken, in die Büsche schlägt.
Dieses Verhalten zeigt vor allen Dingen eines: Wenn ir-gendjemand gedacht hat, in dieser Debatte könne manunter Beweis stellen, dass die Fraktion Die Linke in derLage ist, außenpolitisch verantwortungsvoll für unserLand zu handeln, dann ist jetzt der Gegenbeweis er-bracht. Das zeigt nicht nur, dass Sie nicht regierungsfä-hig sind. Das zeugt auch von Politikunfähigkeit.
Da hilft es nicht, eine Stellvertreterdebatte über die Be-teiligung Russlands zu führen. Da hilft es auch nicht,von einer an den Haaren herbeigezogenen Symbolpolitikfür eine Neuakzentuierung deutscher Außenpolitik zusprechen.Politik ist in der Tat konkret. Es geht darum, was wirheute tun können. Unser Einsatz ist vernetzt. Es gehtauch um diplomatische Lösungen. Es geht auch darum,dass wir zivile Hilfe leisten und dass wir unsere Kompe-tenz einsetzen, nicht nur mit der Fregatte „Augsburg“,nicht nur mit 300 Soldatinnen und Soldaten, sondernauch unsere Kompetenz, die Abfallprodukte nach derZerstörung der Waffen in Deutschland umweltgerecht zuentsorgen.Wir tun noch vieles darüber hinaus. Wir haben500 Millionen Euro bereitgestellt, um die Flüchtlings-ströme in den Anrainerstaaten von Syrien besser in den
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2383
Thorsten Frei
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Griff zu bekommen. Es gibt immerhin 4 MillionenFlüchtlinge in der Region. Wir setzen uns dafür ein, dassneben Schweden und Deutschland auch andere europäi-sche Staaten mehr Flüchtlinge aufnehmen. All das sindBeiträge, um dieser schwierigen Frage insgesamt ge-recht zu werden. Wir übernehmen Verantwortung.Noch etwas ist mir wichtig: Es geht auch um Verant-wortung in der historischen Dimension. Der KollegeDr. Wadephul ist darauf eingegangen. Vor 99 Jahren, imApril 1915, waren es wir Deutschen, die als erste inFlandern Giftgas eingesetzt haben. Damals sind5 000 Soldaten ums Leben gekommen. 10 000 wurdenverletzt. Insgesamt sind im Ersten Weltkrieg 90 000 Sol-daten durch Giftgas gestorben. Auch daraus erwächstVerantwortung. Ich meine, dass wir dieser Verantwor-tung zügig gerecht werden müssen, weil wir nicht wis-sen und auch kaum beurteilen können, wie sich die Si-tuation in Syrien weiter entwickeln wird. Wir wissennur, dass Assad nicht verlässlich ist, Versprechen brichtund Fristen verstreichen lässt. Wir müssen alles dafürtun, dass diese Chemiewaffen schnellstmöglich vernich-tet werden, auch um zu verhindern, dass sie in die Händevon Extremisten und Terroristen fallen. Wir haben inLibyen gesehen, wie die Waffenbestände von Gaddafiletztlich dazu geführt haben, dass al-Schabab in Somaliaund im Jemen aufrüsten konnte. All das müssen wir ver-hindern. Dies sind wir letztlich all denen schuldig, die indem dreijährigen Bürgerkrieg gestorben sind, den150 000 Opfern und den 4 Millionen Flüchtlingen in derRegion. Das ist unsere Verantwortung. Deshalb werbeich für Zustimmung zu diesem Antrag der Bundesregie-rung.Herzlichen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kolle-
gin Julia Bartz, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkriegund damit der Einsatz von Chemiewaffen. Wir alle hat-ten gehofft, dass es im 21. Jahrhundert keine neuen Bil-der von Sarin- und Senfgasopfern geben würde. Aber am21. August 2013 hat uns die Geschichte zum wiederhol-ten Male eines anderen belehrt.Heute geht es um die Vernichtung syrischer Chemie-waffen. Ich finde es mehr als bedauerlich, dass sich ei-nige Kolleginnen und Kollegen weigern, dieses Abrüs-tungsprojekt zu unterstützen.
Das Verbrechen an der syrischen Bevölkerung hat ge-zeigt: Der Kampf gegen Massenvernichtungswaffen istnoch lange nicht ausgefochten. Wir müssen verstärkt aufinternationale Konventionen setzen, um solche Verbre-chen gegen die Menschlichkeit zukünftig zu verhindern.
Das Chemiewaffenübereinkommen von 1997 und dieGründung der Organisation für das Verbot chemischerWaffen sind wichtige Meilensteine im Kampf gegenChemiewaffen. Auch Syrien hat mittlerweile das inter-nationale Chemiewaffenübereinkommen ratifiziert undseine Chemiewaffenbestände offengelegt. Inzwischenhaben sich 190 Staaten für die Ächtung und Vernichtungvon Chemiewaffen ausgesprochen. Nur noch sechs Staa-ten fehlen zur weltweiten Einigung.Deutschland bzw. der Deutsche Bundestag sollteheute mit einer Stimme sprechen und im Kampf gegenChemiewaffen ein Zeichen der Einigkeit setzen.
Gerade für die Fraktion der Linken wäre die heutigeAbstimmung eine Chance, ihre ideologische Blockade-haltung zu überwinden und die Vernichtung von Che-miewaffen zu unterstützen. Seit 1997 sind die Chemie-waffenbestände rückläufig. Über 54 000 TonnenChemikalien und Waffen wurden bereits vernichtet. Wirkommen einer chemiewaffenfreien Welt langsam, abersicher näher. Aber Sie weigern sich weiterhin, daran mit-zuwirken. Sie reden zwar viel von Abrüstung. Aberwenn es ernst wird, verfallen Sie wieder in Ihre ideologi-sche Ablehnungshaltung.Wir hingegen übernehmen Verantwortung. Deutsch-land hat bereits finanziell und logistisch die Arbeit derOVCW in Syrien unterstützt. Wir haben uns auch an derAnalyse der Chemiewaffenproben in Syrien im Rahmendes Sellström-Berichts beteiligt. Darüber hinaus hat dieBundesregierung angeboten, Reststoffe der Hydrolyse,370 Tonnen Senfgashydrolysat, in Deutschland fachge-recht zu vernichten. Deutschland leistet einen wichtigenBeitrag zur Vernichtung von Chemiewaffen.Wir wollen heute den Einsatz der Bundeswehr ammaritimen Begleitschutz der „Cape Ray“ beschließen.An Bord der „Cape Ray“, eines Spezialschiffs der US-Marine, sollen die syrischen Chemiewaffen auf hoherSee in einem geschlossenen Hydrolysevorgang unschäd-lich gemacht werden. Die Gefährdungslage im Mittel-meer ist zwar als niedrig einzustufen. Aber die „CapeRay“ könnte durch ihre besondere Rolle und Symbol-funktion ein mögliches Ziel für Anschläge sein. Es istnicht auszumalen, was geschehen könnte, wenn dieseChemiewaffen in falsche Hände geraten würden. Des-halb sollen sich bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten mitder Fregatte „Augsburg“ an der Absicherung der „CapeRay“ im Mittelmeer und gegebenenfalls im Nordatlantikbeteiligen. Das Mandat sieht ein solch großes Einsatzge-biet vor, weil der Hydrolysevorgang bei Sturm und rauerSee nicht durchgeführt werden kann. Je nach Wind undWetter soll die Möglichkeit bestehen, auf den Nordatlan-tik auszuweichen.
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2384 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Julia Bartz
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Lassen Sie uns heute gemeinsam ein starkes Signalfür die weltweite Abrüstung senden.
Vor allem an die Kolleginnen und Kollegen der Linkengerichtet, sage ich: Es gibt keinen einzigen sachlichenGrund, der gegen die Beteiligung der Bundeswehr andieser internationalen Abrüstungsmission sprechenwürde.
Alles, was Sie heute vorgetragen haben, sind reine Ab-lenkungsmanöver.
Packen Sie Ihre Nebelkerzen ein, und stehen Sie zu Ih-rem Wort! Sie reden zwar immer gerne von Abrüstung.Aber wenn es darauf ankommt, legen Sie wieder Ihreideologischen Scheuklappen an. Zeigen Sie doch denZuschauern auf der Besuchertribüne und zu Hause anden Fernsehgeräten und zeigen Sie den Kolleginnen undKollegen der anderen Fraktionen, wie ernst Sie es mitder Abrüstung wirklich meinen! Ihr Verhalten ist dochverantwortungslos. Zu einer verlässlichen Abrüstungs-politik sind Sie offensichtlich nicht in der Lage. Sie sindauch nicht fähig, Verantwortung für Deutschland zuübernehmen.Meine Fraktion empfiehlt die Zustimmung zum An-trag der Bundesregierung. Wir wollen heute ein klaresZeichen für die weltweite Abrüstung geben. Ich bitte Siealle um Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksa-
che 18/1067 zum Antrag der Bundesregierung auf Betei-
ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen
Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaf-
fen an Bord der „Cape Ray“ im Rahmen der gemeinsa-
men VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen
Chemiewaffen. Zu dieser Abstimmung liegen uns meh-
rere schriftliche Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor.1) Eine mündliche Erklärung ist an-
gemeldet, zu der ich nach der Abstimmung das Wort
erteilen werden.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag der Bundesregierung auf Drucksache
18/984 anzunehmen. Wir stimmen nun über die Be-
schlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen.
1) Anlagen 2 bis 5
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der
Fall.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung über die
Beschlussempfehlung. Ich weise darauf hin, dass nach
der namentlichen Abstimmung noch eine Abstimmung
über einen Entschließungsantrag der Linken hier stattfin-
det.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der nament-
lichen Abstimmung werde ich Ihnen später bekannt ge-
ben.2)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/1078. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD
abgelehnt, bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und
Enthaltung der Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Nun kommen wir zu einer mündlichen Erklärung zur
Abstimmung nach § 31 Abs. 1 der Geschäftsordnung.
Ich gebe Frau Annette Groth, Fraktion Die Linke, das
Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habeheute gegen die Entsendung von 300 Soldatinnen undSoldaten zum maritimen Begleitschutz des US-Schiffes„Cape Ray“ gestimmt, weil diese Entsendung die for-melle Legitimierung eines weiteren Bundeswehreinsat-zes durch den Bundestag darstellt.Die offizielle Begründung für die Militärmission,dass die „Cape Ray“ gegen mögliche Bedrohungen ausder Luft, über und unter Wasser unter Einschluss asym-metrischer Bedrohungen geschützt werden solle, da dasSpezialschiff mit den hochgefährlichen C-Stoffen anBord hohen Symbolcharakter habe und daher grundsätz-lich ein potenzielles Angriffsziel darstelle, ist für michnicht überzeugend.
Es wird hier eine allgemeine Bedrohungslage konst-ruiert, die mit der realen Sicherheitslage im Mittelmeernichts zu tun hat. Gleichzeitig betont der Antrag derBundesregierung selbst, dass die Bedrohungslage imMittelmeer und im Nordatlantik grundsätzlich als nied-rig zu bewerten ist. Für mich ist die Sinnhaftigkeit einesBundeswehreinsatzes nicht erkennbar. Dass im Antragder Bundesregierung das mögliche Operationsgebietsehr breit ist und Mittelmeer, Nordatlantik und die an-grenzenden Seegebiete umfasst, ist für mich nicht akzep-tabel. Ich möchte ausdrücklich, dass die deutsche Au-2) Ergebnis Seite 2387 D
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Annette Groth
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ßenpolitik einen zivilen Beitrag zur Ächtung undVernichtung aller Massenvernichtungswaffen auf derWelt leistet.
Die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist hierzuein wichtiger Beitrag, gerade im Hinblick auf eine mög-liche Befriedung der Region. Einen weiteren Auslands-einsatz der Bundeswehr, der die Militarisierung der Au-ßenpolitik vorantreibt, halte ich ausdrücklich für nichtnotwendig.
Ich lehne alle Militäreinsätze und Rüstungsexportegrundsätzlich ab. Gerade weil ich für die Durchsetzungder Menschenrechte in der Außenpolitik eintrete, lehneich alle Beschlüsse, die darauf abzielen, außenpolitischeFragen militärisch zu lösen, konsequent ab.Danke schön.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.Ich erteile das Wort Bundesministerin Dr. Ursula vonder Leyen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin derVerteidigung:Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Ich möchte jetzt den Haushalt 2014 desVerteidigungsministeriums einbringen.Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Finanzaus-stattung der Bundeswehr bildet die Neuausrichtung. Wirbefinden uns jetzt im dritten Jahr der Neuausrichtung.Mir ist wichtig, in Erinnerung zu rufen, was die dreiGrundziele der Neuausrichtung waren, nämlich eineBundeswehr, die sicherheitspolitischen Herausforderun-gen gewachsen ist, eine Bundeswehr, die demografiefestist, und eine Bundeswehr, die nachhaltig finanziert ist.Dafür steht auch dieser Haushalt. Er fordert uns.Ich möchte zunächst einmal auf das Thema der si-cherheitspolitischen Herausforderungen eingehen, denendie Bundeswehr und die Ausstattung der Bundeswehrgewachsen sein müssen.Wir hatten Anfang dieses Jahres eine intensive De-batte darüber, wie Deutschland seine Verantwortung inden Bündnissen wahrnimmt. Ich bin und bleibe über-zeugt davon, dass Indifferenz keine Option für uns ist.Das bedeutet aber nicht automatisch, wie manch einerinsinuiert, dass es um mehr Auslandseinsätze geht. Daskann es bedeuten; das muss es aber nicht bedeuten. Esbedeutet vor allem eine klare Positionierung innerhalbunserer Bündnisse, und zwar dadurch, dass wir klarstel-len, ob wir bei einem Einsatz dabei sind und wie wir unsihn vorstellen. Das sind wir nicht nur unseren eigenenInteressen schuldig, das sind wir nicht nur unseren Ver-bündeten schuldig, sondern das sind wir auch, wie ichfinde, der Bevölkerung schuldig. Denn es ist wichtig,über die Art und Weise, wie die Bundeswehr eingesetztwird und wie sie arbeitet, offen zu sprechen.
Ich finde es auch wichtig, über die Breite des Auf-trags, des Tätigkeitsprofils und der Leistungstiefe derBundeswehr zu reden. Wir sind zurzeit in rund 15 Aus-landseinsätzen rund um den Globus mit der Bundeswehrvertreten. Aber nur drei davon sind Kampfeinsätze: derEinsatz in Afghanistan, die Piratenbekämpfung am Hornvon Afrika und der Einsatz im Kosovo. Bei allen ande-ren Einsätzen geht es um Ausbildung, Beratung, Unter-stützung oder den Schutz der Bevölkerung.Wir sollten auch darüber sprechen, was die Bundes-wehr in der Breite tut: Soldatinnen und Soldaten bauenFeldkrankenhäuser auf. In Afghanistan, im Kosovo undin Mali versorgt unsere Sanität die anderen Partnernatio-nen medizinisch mit. In Afghanistan bildet die Bundes-wehr auch Fluglotsen und die Feuerwehr aus. Wir stellenPersonal an der Pionierschule in Masar-i-Scharif und ander Logistikschule in Kabul. In Mali sind deutsche Sol-datinnen und Soldaten in der Fährausbildung am Nigerim Einsatz, im türkischen Trabzon im Bereich der Logis-tik. All das leisten unsere Soldatinnen und Soldaten. Da-rüber sollten wir mehr sprechen, weil wir das wertschät-zen.
Der Entwurf des Verteidigungshaushalts für 2014 ent-spricht diesen Anforderungen. Der Haushalt umfasstrund 32,8 Milliarden Euro. Die Verteidigungsausgabensinken damit gegenüber dem Haushaltssoll von 2013 no-minal um rund 422 Millionen Euro. Diese Senkung ent-steht zum einen durch unseren solidarischen Anteil ander Gegenfinanzierung des Betreuungsgeldes in Höhevon 147,3 Millionen Euro. Zum anderen konnten wirden Haushaltsansatz reduzieren, weil der Personalum-fang der Bundeswehr, wie es mit der Neuausrichtung be-schlossen worden ist, weiter abgenommen hat. Wir ha-ben auch innerhalb des Plafonds einige Akzente andersgesetzt, zum Beispiel im Bereich Betrieb, in dem diePosition Materialerhalt aufwächst. Das gilt sowohl fürdas wartungsintensive Gerät als auch für die neuen, tech-nologisch hochkomplexen Systeme.Dieses Thema leitet den Blick auf den zweiten großenKomplex, mit dem wir uns im Bündnis beschäftigen,nämlich auf die aktuelle Diskussion in der NATO. Auchwenn die Lösung des Konflikts um die Ukraine und dieAnnexion der Krim einzig und allein auf diplomati-schem Wege gefunden werden kann, ist es wichtig, dassdie NATO-Mitglieder im Osten Sicherheit haben.
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2386 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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Deshalb sind die Sorgen der baltischen NATO-Mitglie-der und des NATO-Mitglieds Polen, die aus historischerErfahrung erwachsen, auch unsere Sorgen. Gerade wirDeutschen haben über Jahrzehnte die Erfahrung ge-macht, was für ein hoher Wert es ist, wenn man ein ver-lässliches Bündnis um sich herum weiß und darin festverankert ist. Wir wissen, dass diese Sicherheit und die-ser Rückhalt erst den Gesprächsraum öffnen, den manbraucht, um aus einer Position der Sicherheit heraus wie-der Dialogbereitschaft zu zeigen.Deshalb haben die NATO-Außenminister mit ihrenBeschlüssen in der vergangenen Woche kluge Zeichender Solidarität mit unseren östlichen Partnern gesetzt.Sie haben die Zeichen gesetzt, dass die NATO ihre Rou-tineaktivitäten auf dem Gebiet der östlichen Mitglied-staaten verdichtet – auch Deutschland ist gefragt, seinenBeitrag zu leisten – und parallel dazu den Gesprächs-raum mit Russland offenhalten wird. Diese Dualität,meine Damen und Herren, ist der richtige Weg, um mitdieser Krise umzugehen.
Auf einem weiteren Blatt steht die Frage, wie sich dieNATO auf mittlere Sicht organisiert. Die NATO wird imLichte der Krim-Krise, im Lichte der Krise um dieUkraine natürlich intensiv darüber diskutieren, ob und inwelchem Maße sie sich auf das veränderte VerhaltenRusslands einstellen wird. Das wird sicherlich auch dieDiskussion im Bündnis mit Blick auf den NATO-Gipfelim Sommer bestimmen.Für uns ist klar, dass wir in Deutschland mit der Bun-deswehr, gerade mit der Neuausrichtung, gut aufgestelltsind. Der höchste Anteil dessen, was wir in der Bundes-wehr vorhalten, ist für die Landes- und Bündnisverteidi-gung. Wir gehören innerhalb der Europäischen Unionund der NATO zu den größten Truppenstellern. Dasheißt, wir haben vorgesorgt.Das alles ist nachhaltig finanziert. Das zeigt dieserHaushalt. Das zeigt auch der durch den FinanzministerWolfgang Schäuble gestern eingebrachte Gesamthaus-halt ohne strukturelle Neuverschuldung. Das bedeutet,das zweite Ziel der Neuausrichtung, die nachhaltigeFinanzierung, ist durch diesen Haushalt auch gesichert.
Meine Damen und Herren, die verteidigungsinvesti-ven Ausgaben werden gegenüber dem Vorjahr um rund7 Prozent abgesenkt. Sie wissen, dass es 2013 Minder-ausgaben gab: wegen Verzögerungen, Minderleistungen,Stückzahlreduzierungen. Diesen verteidigungsinvestivenAusgaben oder – so muss ich besser sagen – Ansätzenauf dem Papier stehen reale Projekte gegenüber, die ausganz unterschiedlichen Gründen erst verspätet vollzogenwerden; einige habe ich eben genannt.Da absehbar ab dem Haushalt 2016, wenn die Pro-jekte realisiert werden, Nachholeffekte wirksam werden,haben wir gemeinsam mit dem Bundesministerium derFinanzen durch Absenkung der Verstärkungsmöglich-keiten für das zivile Überhangpersonal – das ist im Ein-zelplan 60 enthalten – um 500 Millionen Euro in 2014und um 300 Millionen Euro in 2015 erreicht, dass dieseNachholeffekte finanzplanerisch aufgefangen werden.Das bedeutet, im Entwurf des 48. Finanzplans ist ein ent-sprechender Aufwuchs des Einzelplans 14 um die ebengenannten 800 Millionen Euro ab 2016 vorgesehen. So-mit wird eine Plafondverschiebung auf der Zeitachse re-alisiert.Das bedeutet – um das Komplexe, was ich eben ge-sagt habe, etwas einfacher auszudrücken –: Wir sparensozusagen heute für morgen aufgrund der einmaligenVerzögerungen, die gestern stattgefunden haben.
Meine Damen und Herren, das dritte Ziel der Neuaus-richtung ist Demografiefestigkeit. Ein Drittel des Vertei-digungshaushalts, nämlich 10,6 Milliarden Euro, sindfür Personalausgaben veranschlagt. Dieser Block hängtvon ganz vielen Faktoren ab. Ich möchte auf eine beson-dere Entwicklung eingehen.Es gibt seit 2003 beim zivilen Personal innerhalb derBundeswehr einen Einstellungsstopp mit dem Ergebnis,dass beim zivilen Personal sehr viele ältere Beschäftigteimmer weniger jungen Beschäftigten gegenüberstehen.Das ist klar: Wenn wir seit zehn Jahren nicht mehr einge-stellt haben, dann tut sich mit dem Ausscheiden der Äl-teren unweigerlich ein ernst zu nehmender Engpass auf.Wenn die Älteren ausscheiden und in den Ruhestand ge-hen, bedeutet das, dass Fachwissen verloren geht, dassKompetenzen verloren gehen, ohne dass Jüngere mitmodernisiertem Wissen und Fachwissen nachgewachsensind.Wir halten das für eine bedenkliche Entwicklung. Wirhaben deshalb den Einstellungsstopp aufgehoben. Wirbrauchen junge Leute in der Verwaltung.
Wir werden in diesem Jahr mehr Beamtinnen und Be-amte einstellen bzw. einsetzen – bis zu einer Obergrenzevon 1 600. Wir werden auch mehr Auszubildende behal-ten – ich finde, das ist elementar für die Rekrutierungvon Nachwuchs – und mit großem Nachdruck daran ar-beiten, dass die Übernahmequote deutlich erhöht wird.Da bilden wir ja die Fachkräfte für die Zukunft im eige-nen Hause aus.
Wir werden uns selbstverständlich auch weiter bemü-hen müssen, die Nachwuchswerbung für Soldatinnenund Soldaten, also im militärischen Teil, zu verbessern.Da sehen die Zahlen in diesem Jahr, das noch jung ist,bisher sehr gut aus. Aber mittel- und langfristig müssenwir immer wieder darum werben – das wissen wir –, Ta-lente für die Bundeswehr zu gewinnen, und deshalbmüssen wir als Arbeitgeber viel attraktiver werden.Wir verlangen von den jungen Menschen, die zu unskommen, auch viel. Die Bundeswehr erfüllt ihren Auf-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2387
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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trag mit hochmoderner, sehr komplexer Technologie. Siekooperiert eng mit Dutzenden von internationalen Part-nern. Also ist selbstverständlich Internationalität ge-nauso wie Technikverständnis gefragt. Sie denkt zuneh-mend in den Kategorien der vernetzten Sicherheit, dasheißt verzahnt mit Diplomatie, mit wirtschaftlicher Zu-sammenarbeit. Auch diese Felder sind gefragt. Für dieseAufgaben brauchen und wollen wir die besten jungenFrauen und Männer unseres Landes begeistern.
Aber genau diese Zielgruppe, also die besten jungenMänner und Frauen dieses Landes, kann künftig mehrauswählen denn je. Sie will eine anspruchsvolle undspannende Aufgabe. Das kann die Bundeswehr zweifels-ohne bieten. Aber sie schaut auch auf die Arbeitsbedin-gungen und vergleicht diese mit anderen Angeboten.Hier muss die Bundeswehr auf etlichen Feldern aufho-len. Das gilt insbesondere für die Karriereperspektivenfür Frauen wie für Männer in unseren Streitkräften.Wir wollen ein Konzept für die Steigerung der Attrak-tivität der Bundeswehr als Arbeitgeber auf den Wegbringen. Dies wird in diesem Sommer geschehen und imHerbst durch ein Gesetzgebungsverfahren flankiert wer-den. Deshalb sind die Kosten für die Umsetzung der ers-ten Maßnahmen im Haushalt noch nicht detailliert wie-derzufinden. Überhaupt wird das Gesamtpaket zurSteigerung der Attraktivität ohnehin nicht am Volumeneines einzelnen Postens zu messen sein. Die Veränderun-gen müssen sich quer durch den ganzen Haushalt undüber eine Vielzahl von Maßnahmen ziehen.Der mit Abstand wichtigste Teil der Attraktivitäts-offensive wird sich allerdings niemals im Haushalt ab-bilden lassen. Dieser Teil betrifft die Veränderung in denKöpfen. Es geht um die Veränderung der Haltung, derEinstellung des Arbeitgebers. Mit Arbeitgeber meine ichalle Vorgesetzten in der Bundeswehr. Wenn diese Initia-tive Erfolg haben soll, dann müssen jeder und jede in derBundeswehr die Einstellung verändern, und zwar vomSpieß bis zum General. Die Frage, wie die Rolle als Füh-rungskraft ausgestaltet wird, wird maßgeblich darüberentscheiden, ob diese Attraktivitätsoffensive erfolgreichsein wird oder ob sie scheitern wird.Wenn ich von Haltung und Einstellung sowie vonVeränderung in den Köpfen spreche, dann muss manauch berücksichtigen, dass sich die Sicht der Gesell-schaft auf die Bundeswehr ändert. Ich habe am Anfangüber die vielfältigen Einsätze der Bundeswehr gespro-chen. Die Bundeswehr ist bereit, sich zu öffnen undTransparenz darüber zu schaffen, was sie leistet und wiesie ihre Aufgaben erfüllt. Das ist eine ganz große Viel-falt. Vieles, was an etlichen Orten der Welt, aber auch inunserem Land geleistet wird, ist der Öffentlichkeit eherwenig bekannt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Parla-mentsarmee. Wir wollen mit diesem Haushalt dazu bei-tragen, dass die Leistungen, aber auch die Attraktivitätunserer Bundeswehr sichtbar werden. Auch dafür stehtdieser Haushalt.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Ich gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-wärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung„Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am mari-timen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemie-waffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemein-samen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischenChemiewaffen“, Drucksachen 18/984, 18/1067, bekannt:abgegebene Stimmen 589, mit Ja haben gestimmt 535,mit Nein haben gestimmt 35, Enthaltungen 19. Die Be-schlussempfehlung ist angenommen.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 589;davonja: 535nein: 35enthalten: 19JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid Grotelüschen
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2388 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Vizepräsident Peter Hintze
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Markus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungDr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h.c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzSven VolmeringChristel Voßbeck-KayserDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMarco BülowMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißMichaela Engelmeier-HeiteDr. h.c. Gernot ErlerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke Ferner
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2389
Vizepräsident Peter Hintze
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Christian FlisekGabriele FograscherUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerHelga Kühn-MengelChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelMichael Roth
Bernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne Schieder
Udo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesDIE LINKEDr. Dietmar BartschRoland ClausKatrin KunertMichael LeutertStefan LiebichBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockVolker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinDIE LINKEHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstAnnette GrothHeike HänselInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeKerstin KassnerKatja KippingJutta KrellmannSabine LeidigDr. Gesine LötzschCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuRichard PitterleMartina RennerAzize TankAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
EnthaltenSPDPetra Hinz
DIE LINKEJan van AkenDiana GolzeDr. Gregor GysiDr. André HahnSusanna KarawanskijJan KorteCaren LayRalph LenkertThomas LutzeThomas NordPetra PauHarald Petzold
Dr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannFrank TempelDr. Axel TroostBirgit Wöllert
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2390 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Vizepräsident Peter Hintze
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Als nächstem Redner erteile ich dem KollegenMichael Leutert, Fraktion Die Linke, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie verfügen als Verteidi-gungsministerin über fast 33 Milliarden Euro. Das sindexakt 11 Prozent des Bundeshaushaltes. Das ist vielGeld. Egal wie man politisch zu den Militärausgabensteht, kann man einen sorgsamen Umgang mit den Steu-ergeldern erwarten. Das ist leider nicht der Fall. In IhremHaus herrschen inakzeptable Zustände. Das darf ich,nachdem Sie 112 Tage im Amt sind, so sagen. IhreSchonfrist ist also vorbei. Ich möchte das gern an zweiBeispielen verdeutlichen.Erstes Beispiel: Großwaffensysteme. Damit sind Sys-teme gemeint wie zum Beispiel der KampfhubschrauberTiger, der Transporthubschrauber NH90, das Kampf-flugzeug Eurofighter, das Transportflugzeug A400M,der Schützenpanzer Puma oder die Fregatte F 125. Dasalles sind in der Öffentlichkeit bekannte Projekte.Wir wissen mittlerweile alle, dass jede Anschaffungden finanziellen Rahmen gesprengt hat. Wir wissenauch, dass jede Anschaffung nicht zu dem Zeitpunkt ge-liefert wurde, wie eigentlich vertraglich fixiert war. ZumBeispiel: Der Kampfhubschrauber Tiger wurde mit einerVerzögerung von sechseinhalb Jahren geliefert, Kosten3 Milliarden Euro. Der Transporthubschrauber NH90wurde mit einer Verzögerung von zwölf Jahren geliefert;Kosten 3,7 Milliarden Euro. Der Eurofighter hatte einJahr Verzögerung; Kosten 15 Milliarden Euro. DerA400M hat derzeit vier Jahre Verzögerung; Kosten über9 Milliarden Euro. Wegen der Reduzierung der Stück-zahl kostet ein Flugzeug nicht mehr 125 Millionen, son-dern 175 Millionen Euro. Ich könnte das weiter fortset-zen, aber meine Redezeit ist leider begrenzt. Richtig,Frau Ministerin, ist – das begrüßen wir –, dass Sie alleStatusberichte zu diesen Rüstungsprojekten nicht gebil-ligt haben.
Sie haben personelle Konsequenzen gezogen mit derEntlassung des verantwortlichen Staatssekretärs und deszuständigen Abteilungsleiters. Auch das begrüßen wir.Aber trotzdem geht es im Haushalt ohne Konsequenzenweiter. Bei allen Waffensystemen gibt es mehr Geld. Fürden Eurofighter gibt es in diesem Jahr 85 Millionen Euromehr, für den A400M gibt es 175 Millionen Euro mehrusw. Aber ich frage Sie: Wo ist das Geld eingeplant,wenn es zur weiteren Reduzierung der Stückzahlkommt? Wo ist das Geld eingeplant, welches EADS ver-langt, weil weniger Eurofighter gekauft werden sollen?Ich weiß nicht, ob allen klar ist, worum es geht: Wennzum Beispiel 100 Flugzeuge bestellt werden und derBundestag später der Meinung ist, dass man nur noch 50benötigt, dann nimmt die Industrie das nicht so hin undsagt „okay“, sondern dann sind Ausgleichszahlungenfällig. Das muss im Haushalt dementsprechend einge-plant werden. Das ist es aber nicht.Mein zweites Beispiel, Frau Ministerin – Sie haben esvorhin angesprochen –, bezieht sich auf die Familien-freundlichkeit. Sie haben sich die Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf auch bei der Bundeswehr auf die Fahnegeschrieben. Ich erkenne derzeit nicht, wo im Bundes-haushalt mehr Mittel eingeplant sind.Ich möchte Ihnen aber ein Beispiel nennen, wo ohnezusätzliches Geld – es freut Haushälter immer, wenn et-was ohne zusätzliches Geld umgesetzt wird – eine Mög-lichkeit geschaffen würde, mehr Familienfreundlichkeiteinzuführen. Es geht mir um die Auslandseinsätze vonSoldatinnen mit Kindern unter drei Jahren oder auch al-leinerziehenden Vätern von Kindern unter drei Jahren.Ich möchte kurz erklären, worum es geht: Wenn einejunge Soldatin oder ein junger Soldat ein Kind hat – sa-gen wir 18 oder 20 Monate alt – und ihr oder ihm befoh-len wird, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen, dannist das Kind kein Hinderungsgrund. Er oder sie musssich mit dem Befehlshaber einigen, ob er oder sie gehtoder nicht. Für die alleinerziehenden Männer ist es ei-gentlich noch schlimmer als für die Frau; denn die Sol-datin als Mutter hat vielleicht noch einen Mann, der sichals Vater um das Kind kümmern kann. Der alleinerzie-hende Vater hat per Definition niemanden, sonst würdeer nicht alleinerziehender Vater heißen.
Frau Ministerin, das steht im Bericht des Wehrbeauftrag-ten. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Bericht ange-führt, dass er diese Zustände im Ministerium mehrmalsvorgetragen und um Änderung gebeten hat. Das Ministe-rium möchte allerdings an dieser Praxis festhalten. Dieshalte ich für dubios. Wir müssen quer durch alle Haus-halte das Betreuungsgeld, das sich die CSU gewünschthat, ersparen, und zwar mit dem Argument, die Elternsollen sich zu Hause um ihre Kinder kümmern. Wennein Auslandseinsatz befohlen wird, dann ist ein Kleinst-kind für eine Soldatin oder einen Soldaten kein Hinde-rungsgrund. Das halte ich für absurd. Ich hoffe, dass Siedas schon geregelt, nämlich abgeschafft haben.
Frau Ministerin, das waren zwei Beispiele. Ich bitteSie, nicht zu versuchen, diese Einwände der Oppositionunter den Teppich zu kehren, indem Sie immer wiederneue öffentlichkeitswirksame Verlautbarungen anstellen.Man hat viel von Ihnen gehört. Zuletzt waren es die Di-cken, die in die Bundeswehr kommen sollen. So bekom-men Sie keine Ordnung in Ihr Haus. Schaffen Sie Trans-parenz in Ihrem Haus! Die Öffentlichkeit hat ein Rechtdarauf, zu erfahren, was von Ihrer Seite geplant ist undwo die Probleme liegen. Immerhin erwarten Sie von denSoldatinnen und Soldaten, dass sie im Ausland einenAuftrag ausführen, der ihnen ihre Gesundheit und imschlimmsten Fall ihr Leben kosten kann. Frau Ministe-rin, Sie haben sieben Kinder. Wir werden uns bestimmtverstehen. Ich habe auch zwei Söhne. Ich bin der festenÜberzeugung: Die Familien haben das Recht, zu erfah-ren, worauf sich ihre Kinder, Väter, Mütter oder Ge-schwister einlassen, wenn sie sich bei der Bundeswehrverpflichten. Den besten Job machen Sie, wenn Sie dafürsorgen, dass kein Soldat, keine Soldatin in den Aus-
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Michael Leutert
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landseinsatz gehen muss. Dafür hätten Sie unsere volleUnterstützung – definitiv.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Rainer Arnold, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja,die Verteidigungsministerin hat viele Themen aufs Gleisgesetzt. Das ist ambitioniert. Ich denke, es ist richtig undnotwendig, all diese Themen anzugehen. Bei manchenist das sogar überfällig. Ein Beispiel hat die Ministerinheute genannt: die Korrekturen im Bereich der Zivilbe-schäftigten. Das begrüßen wir sehr; wir haben lange da-rüber diskutiert und sie gefordert.Wir wissen allerdings auch, Frau Ministerin: DieWegstrecke, um die Ziele zu erreichen, wird manchmalsteil sein, da wird es manchmal auch rumpeln.
Wir sagen Ihnen zu, dass wir Sie unterstützen werden,dass wir die Rumpelsteine aus dem Weg räumen wollen,damit wir das Ziel einer leistungsfähigen und attraktivenBundeswehr, das wir gemeinsam verfolgen, auch errei-chen. Manchmal werden wir allerdings in der Koalitionauch darüber diskutieren müssen, wie die Weichen zustellen sind, um dieses Ziel auf dem besten Weg zu errei-chen.Sie haben auch heute die Debatte über die Frage er-wähnt: Welche Verantwortung, welche Rolle hatDeutschland in der Welt? Wir sind froh, dass diese De-batte angestoßen wurde; wir müssen sie führen. Es darfjetzt aber nicht bei diesem Impuls, bei diesem Aufschlagauf der Münchner Sicherheitskonferenz bleiben. Ichglaube, wir als Parlament und auch Sie als Regierungmüssen miteinander darüber nachdenken, wie wir dieseDebatte in diesem Hohen Hause in den nächsten Jahrenfortführen wollen. Wir dürfen nicht nur immer überHaushalt und Mandate reden, sondern wir müssen auchöfter über Grundzüge der deutschen Außen- und Sicher-heitspolitik und über wohlverstandene deutsche Interes-sen reden.Natürlich spüren wir alle, dass die Schere in dieserDiskussion ziemlich weit auseinanderklafft: einerseitsDeutschlands Zurückhaltung, wenn es um militärischeEinsätze geht – daran ändert sich im Kern nichts; nie-mand sehnt sich danach, Soldaten in ferne Länder zuschicken –, andererseits der Anspruch, den wir erfüllenwollen, nämlich ein verlässlicher Partner in den interna-tionalen Bündnissen zu sein. Hier bedarf es auch in derdeutschen Gesellschaft eines Diskurses und einer Klä-rung.Ich verstehe manchmal die Linke nicht. Ich weiß an-gesichts der Art, wie Sie die Debatten führen, angesichtsdessen, dass Sie immer über eine Militarisierung der Au-ßenpolitik reden, gar nicht, ob Sie sich selbst noch ernstnehmen.
Nehmen Sie doch einfach einmal wahr: Wir haben viel,viel weniger Soldaten im Auslandseinsatz als noch vorJahren; es ist etwa die Hälfte.
In all den Mandaten, die wir in den letzten Wochen undauch heute neu beschlossen haben, geht es nicht darum,Kriege zu führen, sondern um Ausbildung, um Vernich-tung von Chemiewaffen, um Unterstützung, um Beob-achtermissionen in Afrika und vieles andere mehr.
Aber klar ist: Wir müssen schon aufpassen, dass esnicht dazu kommt, dass Deutschland zwar im Geleitzugder internationalen Gemeinschaft sitzt, aber dort kein ei-genes Bordpersonal hat. Wenn die Bundesrepublik inter-national mehr mitgestalten will – das ist der formulierteaußenpolitische Anspruch dieser Regierung –, dannmüssen wir Verantwortung übernehmen; das ist ganzklar. Dieser Wille, mitzugestalten, ist keine Anmaßungvon uns Deutschen, sondern stellt die Erfüllung der Er-wartungen aller unserer Partner in den Bündnissen dar.
Natürlich wissen auch die deutschen Bürgerinnen undBürger: Unser Wohlstand hängt vom freien Handel ab– das hat etwas mit sicheren Verkehrswegen auch aufhoher See zu tun –, unser Wohlstand hängt auch von Sta-bilität in Krisenregionen ab, die über Rohstoffe verfü-gen. Denn wir wollen fair handeln können, damit dieMenschen dort und bei uns etwas davon haben.Wenn man über den Anspruch diskutiert, in der inter-nationalen Politik mehr zu tun, dann ist unter anderem– das ist aber wirklich nur ein Modul davon – die Fragezu klären: Welche Bundeswehr brauchen wir dazu? Daschauen wir am heutigen Tag natürlich auch auf die Fi-nanzen der Bundeswehr. Die Bundeswehr leistet in derTat einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung derStaatsfinanzen – mit einem sinkenden Etat und einer sin-kenden Zahl von Soldaten in den letzten Jahren. Trotz-dem muss viel geleistet werden.Der Wunsch der Bürgerinnen und Bürger, dass esnach Ende des Kalten Krieges so etwas wie eine Frie-densdividende gibt, ist also längst erfüllt worden. ZurZeit des Kalten Krieges betrug der Anteil der Verteidi-gungsausgaben am Bundesetat noch 20 Prozent; diesesJahr liegt der Anteil, bereinigt um die Versorgungsleis-tungen, bei 9,45 Prozent. Während des Kalten Kriegeswar es manchmal in gewisser Weise einfach, weil manwusste, worauf man sich vorzubereiten hatte. Manwusste auch, dass man sich möglichst so vorbereitet,dass es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum Einsatz
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Rainer Arnold
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kommt. Mit Ende des Kalten Krieges sehen wir nun, wiekomplex die Welt ist und wie differenziert unsere militä-rischen Antworten sein müssen.In den letzten Wochen haben wir außerdem gemerkt,dass Russland ein schwieriger Partner ist. Mancher vonuns hatte ja die Hoffnung, dass sich nicht nur eine Inte-ressenspartnerschaft mit Russland entwickelt, sondern– das ist ja in Wirklichkeit der Wunsch der Menschen inRussland und auch bei uns – dass auch freundschaftlicheBeziehungen zwischen unseren beiden Staaten aufge-baut werden können. Diese Hoffnung hat zweifellos ei-nen Dämpfer bekommen.Aber wir müssen aufpassen: Die Antwort auf die Pro-bleme in der Ukraine und um die Ukraine kann nichtsein, dass die NATO zum entscheidenden Akteur wird.Es gibt keine militärischen, sondern nur diplomatischeAntworten. Es ist mühsam, aber wir müssen immer wie-der dicke Bretter bohren. Wir sind in diesem Zusammen-hang froh, dass der Außenminister auch auf der interna-tionalen Bühne ein sehr engagierter Akteur ist.
Klar ist auch: Die Situation in den letzten Wochen hatuns ein Stück weit die Kernaufgabe der NATO in Erin-nerung gerufen; diese hat sich ja gar nicht verändert. DieBotschaft lautet immer noch, dass ein Angriff auf einenNATO-Partner als Angriff auf das ganze Bündnis ver-standen wird und dass wir alle in einem solchen Fall ver-pflichtet sind, Beistand zu leisten. – Dies war immer so,aber das wurde manchmal ein bisschen verdrängt.Was nicht sein kann, ist, dass mancher in der NATOund auch einige Politiker angesichts der Krise in derUkraine glauben, die vermeintliche Gunst der Stundenutzen zu können, um die NATO anders zu positionie-ren, als es ihrer Historie und unseren Erwartungen ent-spricht.Klar ist: Die NATO ist ein verlässliches kollektivesVerteidigungsbündnis. Wir müssen auch in Zukunft inder NATO immer wieder neu darüber nachdenken: Wiebleiben wir als NATO so stark, dass wir unsere militäri-schen Fähigkeiten möglichst nie einsetzen müssen? Je-der weiß doch, was es bedeuten würde, wenn die NATOdiese tatsächlich zum Einsatz brächte.In den letzten Jahren hatte ich viele Gelegenheiten,mit Menschen im Baltikum zu sprechen. Deren Sorgenund Befürchtungen angesichts der aktuellen Entwicklun-gen müssen wir ernst nehmen; das ist klar. Bei einergenaueren Betrachtung werden wir aber merken: DieBefürchtungen im Baltikum und bei manchen osteuro-päischen Partnern sind nicht wirklich neu.Die Botschaft ist: Wir Deutsche sind ein verlässlicherPartner. Art. 5 des NATO-Vertrages gilt. Deshalb ist esauch so wichtig, dass man nicht achtlos über die Auf-nahme neuer NATO-Partner diskutiert und dabei gleich-zeitig im Hinterkopf hat, dass dann Art. 5 des NATO-Vertrages möglicherweise gar nicht zum Tragen kom-men kann. Solche Gedankenspiele stärken die NATOnicht, sondern sie schwächen sie, weil auch in Zukunftdie zentrale Funktion der NATO sein muss, dass mansich auf die Beistandsgarantie nach Art. 5 verlassenkann.
Reden wir in diesem Kontext über die Funktion derBundeswehr. In allen Ländern muss bei Verteidigungs-ausgaben gespart werden, auch bei der deutschen Bun-deswehr. Es wird nicht mehr Geld geben, zumindestnicht in den nächsten Jahren. Aus den vielen Diskussio-nen geht eindeutig hervor: In den nächsten Jahren mussmit Pooling, Sharing und Anlehnungspartnerschaft usw.ernst gemacht werden. Nur über arbeitsteiliges Vorgehenwird es uns gelingen, die knappen Mittel so effizient ein-zusetzen, dass die Fähigkeiten erhalten und, wo notwen-dig, auch modernisiert werden. Ich wünsche mir sehr– das steht so im Koalitionsvertrag; die Ministerin setzthier ebenso wie der Außenminister Impulse –, dassDeutschland Motor dieser vertieften Integration in derNATO und auch im Bündnis der Europäischen Unionwird.Um nicht missverstanden zu werden: Der parlamenta-rische Vorbehalt ist auf diesem Weg kein Hindernis. Erist eine Stärke Deutschlands. An die Grünen und dieLinken gerichtet sage ich: Sie können in der nun einge-setzten Kommission jederzeit mitarbeiten. Die Tür dazusteht offen.
Statt mit Verdächtigungen, die jeder Grundlage entbeh-ren, die Kommissionsarbeit schon im Vorfeld zu kritisie-ren, wäre es klüger, sich mit uns zusammenzusetzen undzu überlegen, wo es Klärungsbedarf gibt und wo nach-justiert werden muss. Dabei kann es allerdings nicht umein Aushebeln der grundsätzlichen Politik gehen. Siesind eingeladen, gemeinsam mit uns darüber zu diskutie-ren.Zum Thema Nachsteuern. Wir Sozialdemokraten le-gen auf folgende Tatsache Wert: Wenn wir in eine Koali-tion eintreten, dann wird nicht alles so bleiben, wie es inder Vergangenheit war. Das gilt auch für die Bundes-wehrreform, für die Struktur der Bundeswehr. Wir wer-den in den nächsten Tagen mit dem Koalitionspartnerund der Ministerin über unsere Vorstellungen von Nach-steuern diskutieren. Ein wichtiger Grundsatz wird sein:nicht nur Breite vor Tiefe, nicht nur Absenken. Wir wis-sen nämlich: Wenn das alle NATO-Partner machen, sindam Ende alle Mittelmaß. Das ist nicht das, was einestarke NATO ausmacht. Wir werden vielmehr Schwer-punkte setzen müssen. Ich möchte das an zwei Beispie-len kurz verdeutlichen.Deutschland ist jetzt schon gut im Bereich der boden-gebundenen Luftverteidigung; das ist ein richtiges Argu-ment. Wir haben schon viel Geld ausgegeben, auch fürdie Weiterentwicklung – Stichwort MEADS. Die deut-sche Wirtschaft hat im Bereich Sensorik und bei anderenTechnologien auf dem Weltmarkt die Marktführerschaftinne bzw. besitzt hohe Fähigkeiten. Deshalb wäre es
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klug, die bodengebundene Luftverteidigung zu einemSchwerpunkt der deutschen Verteidigungspolitik zu ma-chen und den Bündnispartnern anzubieten.Ich weiß, dass es einfach ist, Forderungen zu erheben,die Geld kosten. Irgendwann muss man auch die Fragebeantworten, wie man das finanzieren will. Wenn wir diebodengebundene Luftverteidigung stärken wollen – daswird nicht billig sein –, dann ist es legitim, darüber nach-zudenken, ob wir zugleich eine so hohe Stückzahl anKampffliegern brauchen oder es nicht klüger wäre, dassLänder wie Großbritannien und Frankreich, die in die-sem Bereich sehr stark sind, mehr machen als wir. DieEurofighter sind ja im Betrieb sehr teuer. Mit dem Geld,das wir einsparen, wenn wir die Stückzahlen verringern,kann man neue Ideen finanzieren.Bei den Hubschraubern gilt übrigens Ähnliches. Wirbrauchen nicht weniger Hubschrauber, sondern dasBündnis braucht mehr. Deutschland sollte keinenschlechten Deal machen – er wird jetzt Global Deal ge-nannt –
und am Ende für weniger Hubschrauber mehr Geld be-zahlen.
Wir sollten vielmehr die Fähigkeiten nutzen. Wir habenZeit, um Partner zu finden. Ich denke gerade an osteuro-päische Partner – Stichwort Anlehnungspartnerschaft –,die alleine kaum Hubschrauber finanzieren können. Wirhaben vier Jahre Zeit, Anlehnungspartner zu finden, mitdenen wir gemeinsam Hubschrauber betreiben können.Damit würden wir das Bündnis stärken. Das ist eine Fä-higkeit, bei der Deutschland jetzt schon gut ist.Zu den Fähigkeiten, die gestärkt werden müssen, ge-hört auch der Sanitätsdienst. Wir dürfen nicht übersehen,dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr schon heute einetragende Säule bei Einsätzen der internationalen Ge-meinschaft ist, weil wir da wirklich gut sind. Wir müssenaber einkalkulieren, dass der hohe Frauenanteil in die-sem Bereich – glücklicherweise! – zu vielen Kindernund vielen Familienphasen führt. Auch dies müssen wirmiteinander besprechen.
Eines bleibt wichtig: Im Kern geht es nicht um Aus-rüstung oder militärische Fähigkeiten, sondern es gehtum die Menschen bei der Bundeswehr. Denen haben wirin den letzten Jahren in der Tat viel zugemutet: immerwieder neue Reformen, immer wieder Einschnitte, im-mer wieder neue Einsatzgebiete. Viele mussten auch län-ger im Einsatz bleiben. Bei Mangelfähigkeiten musstendie Soldaten zum Teil sogar unzumutbar lang im Einsatzbleiben. Vor diesem Hintergrund ist das Thema Attrakti-vität in der Tat ein zentrales Thema; da sind wir ganz beiIhnen, Frau Ministerin.Attraktivität ist aber mehr als soziale Rahmenbedin-gungen und Familienfreundlichkeit. Zur Attraktivität ge-hören auch die Arbeitsbedingungen an den Standorten.Deshalb müssen wir, Frau Ministerin, wenn notwendig,auch bei den Standorten nachbessern. Wir dürfen nichtimmer mehr verdichten, weil das effizient ist, weil wirglauben, so Geld sparen zu können. Es macht keinenSinn, Geld für Attraktivitätsmaßnahmen auszugeben,wenn gleichzeitig die Büros klein und die Arbeitsbedin-gungen schlecht sind. Das funktioniert so nicht.Neben der Frage der Standorte gehören zur Attraktivi-tät auch gutes Gerät und eine gute Ausstattung. Junge,gut ausgebildete Menschen werden dann zur Bundes-wehr kommen, wenn sie wissen, dass sie dort mit moder-ner Technik umgehen.Am Schluss will ich noch Folgendes sagen: DieseKoalition ist angetreten, um die Lebenssituation derMenschen in Deutschland zu verbessern. Das gilt vomsozialpolitischen Bereich bis zur Bundeswehr. Ich binziemlich zuversichtlich: Wenn wir, Frau Ministerin undliebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, das, wasjetzt andiskutiert und angeschoben wurde, in den nächs-ten Jahren konzentriert auf dem Gleis halten und dieWeichen gemeinsam richtig stellen, werden wir die Be-dingungen für die Menschen bei der Bundeswehr, fürSoldaten und Zivilbeschäftigte, zum Guten wenden.Dann ist die Bundeswehr ein attraktiver und interessan-ter Arbeitgeber. Diese Koalition hat eine Chance, das zuerreichen.
Herr Kollege!
Ich bin fertig. – Ich möchte noch einmal an den
Grundkonsens zwischen CDU und SPD erinnern,
der sowohl in Regierungs- als auch in Oppositionszeiten
da war und der uns auch als Parlamentarier stark macht.
Mein Wunsch ist: Wir sollten ihn nutzen, um die Regie-
rung dort, wo es richtig ist, zu stützen. Wir sollten ihn
aber auch nutzen, um die Regierung gelegentlich, wenn
das notwendig ist, anzuschieben und zu drängen. Dann
werden wir gemeinsam etwas erreichen.
Recht herzlichen Dank.
Als Nächstem erteile ich das Wort KollegenDr. Tobias Lindner, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Zu Beginn Ihrer Amtszeit, liebe Frau von derLeyen, hatte ich den Eindruck, dass Sie erst ein bisschengezögert haben, ob Sie dieses Amt, diesen neuen Verant-
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wortungsbereich übernehmen sollen. Aber kurz danachhaben Sie viele Dinge angekündigt. Sie haben selbst dieAnsprüche definiert, an denen Sie sich messen lassenwollen. Das betrifft die Vereinbarkeit von Familie undDienst sowie eine Reform des Beschaffungsprozesses.Diese Ansprüche haben Sie selbst definiert, und an die-sen werden Sie sich messen lassen müssen.Sie haben nicht nur Veränderungen angekündigt, son-dern vielfach auch über Transparenz gesprochen, da-rüber, dass zu Beginn einer politischen Debatte eine ehr-liche und vollständige Bestandsanalyse stehen muss. Siehaben heute hier Ausführungen zu den drei Zielen derBundeswehrreform gemacht, unter anderem zum ThemaFinanzen.Ich habe mir eben von meinem Büro geben lassen,was Ihr Vorvorgänger, Karl-Theodor zu Guttenberg, am26. Mai 2010 vor der Führungsakademie gesagt hat. Ersprach darüber, dass der mittelfristig höchste strategi-sche Parameter, quasi als Conditio sine qua non, für dieZukunft der Bundeswehr die im Grundgesetz verankerteSchuldenbremse sei. Zur Ehrlichkeit gehört nun einmal,liebe Frau Ministerin, wenn Sie heute hier stehen undüber einen Etat von 32 Milliarden Euro reden, auch, zusagen, dass dieser Etat mittlerweile 5 Milliarden Euroüber dem liegt, was Karl-Theodor zu Gutenberg damalsin seiner mittelfristigen Finanzplanung für das Jahr 2010veranschlagt hat. Das Ergebnis dieser Analyse kann so-mit nur lauten, dass die Bundeswehrreform zumindest anihren finanziellen Vorgaben, an dem Ziel, Einsparungenzu leisten, bitter gescheitert ist.
– Darauf komme ich noch zu sprechen.Ein zweiter Punkt, den Sie hier nur am Rande ge-streift haben, ist der Aufwuchs von 800 Millionen Euroin der mittelfristigen Finanzplanung, der darauf zurück-geht, dass Rüstungsprojekte zu spät zulaufen. Wir habenes also nicht mit einem Absinken des Etats in diesemJahr zu tun, sondern in Wirklichkeit schieben Sie eineWelle von fehlgeschlagenen Rüstungsprojekten vor sichher.Wenn Kollege Arnold hier Ideen präsentiert, wie manMEADS weiter verwenden könnte, wie man ein takti-sches Luftverteidigungssystem machen könnte, wennwir also in Zukunft für Rüstungsprojekte von heute zah-len sollen, die teurer werden und später kommen, kannich dazu nur sagen: Wir können Geld nur einmal ausge-ben. Dieses Geld fehlt dann nicht nur innerhalb der Bun-deswehr für notwendige Beschaffungen, zum BeispielSchutzwesten, oder für die Verbesserung der Vereinbar-keit von Familie und Dienst, sondern dieses Geld fehltdann auch in dem vorgelegten, strukturell ausgegliche-nen Etatentwurf für andere wichtige Zukunftsausgabenwie Bildung, Forschung und Teilhabe. Das ist alles an-dere als eine zukunftsgerichtete Finanzplanung, liebeFrau von der Leyen.
An einem Thema haben Sie sich heute ein bisschenvorbeigemogelt, nämlich um die Beschaffungspolitik.Neben der Vereinbarkeit von Familie und Dienst ist diesdas zweite große Thema Ihrer bisherigen Amtszeit. Siehaben sich bei einer Rüstungsklausur über die größten15 Beschaffungsvorhaben informieren lassen. Sie habenausdrücklich keinen der Ihnen vorgelegten Projektstatus-berichte gebilligt. Sie haben den verantwortlichenStaatssekretär in den einstweiligen Ruhestand versetztund den verantwortlichen Abteilungsleiter von seinenAufgaben entbunden. Wohl wahr, ich habe den Ein-druck, Sie haben erkannt, dass im Beschaffungsbereichder größte Risikoposten im Bundeswehrhaushalt liegt.
Sie holen nun externe Berater in Ihr Haus. Sie kaufensich Zeit. Bisher ist aber noch nicht zu erkennen, welcheLehren Sie aus diesen Erkenntnissen ziehen, liebe FrauMinisterin. Sie verschieben mehr als 1 Milliarde Euroaus 2013 in die Zukunft. In 2013 sind beispielsweise vonüber 1 Milliarde Euro, die für den Eurofighter eingestelltwaren, gerade einmal 47 Millionen Euro abgeflossen.Sie legen heute im Wissen darum, dass bei den Rüs-tungsprojekten der größte Problemberg in Ihrem Hausliegt, einen Haushalt vor, der alles andere als Haushalts-klarheit und Haushaltswahrheit für das Jahr 2014 auf-weisen wird. So geht das nicht.
Es geht auch nicht, dass Sie zwar Projektstatusbe-richte nicht billigen, Staatssekretäre in den Ruhestandversetzen und Abteilungsleiter von ihren Aufgaben ent-binden, aber gleichzeitig die Projekte weiterlaufen las-sen, als wäre nichts geschehen. Sie billigen den Status-bericht nicht, leiten aber keine Schlussfolgerungen zukonkreten Auswirkungen auf das Projekt ab! Frau vonder Leyen, ich will Ihnen an dieser Stelle ganz ehrlichsagen: Wenn Sie es ernst damit meinen, dass Sie neueVerhältnisse schaffen wollen, dass das Material, das dieSoldatinnen und Soldaten der Bundeswehr benötigen,das beste sein soll, dass Mittel effizient verwendet wer-den sollen und dass das Beschaffungswesen neu struktu-riert werden muss, dann müssen Sie diese 15 Rüstungs-projekte jetzt unterbrechen, und zwar mindestens solange, bis Ihrem Hause die Ergebnisse der Untersuchun-gen zu den neuen Strukturen vorliegen.
– Ich danke der Koalition für diesen Zwischenruf, dasssie sich noch länger verzögern würden. Die Ministerinhat ja selbst angekündigt, dass im Herbst die Ergebnisseder Untersuchungen eines Beratungsunternehmens vor-liegen und dass dann Entscheidungen folgen werden. Ichbin gespannt, ob dieser Zeitplan eingehalten werdenkann.
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Dr. Tobias Lindner
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Meine Fraktion, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, wird in den anstehenden Haushaltsberatungen fürdiese 15 größten Rüstungsprojekte ein Moratorium be-antragen.
Wir wollen, dass die Mittel im Haushalt so lange ge-sperrt bleiben, bis die Ergebnisse der Untersuchung, dieSie selbst in Auftrag gegeben haben, vorliegen. Wir wol-len nicht, dass weiterhin auch nur ein Cent an Steuergel-dern in Projekte fließt, die risikobehaftet sind, währendman im Ministerium ganz klar erkannt hat, dass man et-was ändern muss. Deshalb werden wir uns für diesesMoratorium starkmachen.
– Lieber Kollege Arnold, wenn ich über den Haushaltdes Verteidigungsministeriums rede, dann sorge ichmich dabei um die Soldatinnen und Soldaten unsererBundeswehr und weniger um die Beschäftigten und dieAktionäre von deutschen Rüstungsunternehmen. Wennwir Projekte mit einer Mehrheit im Parlament beschlie-ßen – ganz gleich, wie diese aussieht –, dann liegt es imInteresse aller, dass die Gelder in der Höhe und dafürausgegeben werden, wofür sie veranschlagt sind, unddass die Produkte pünktlich, mängelfrei und in der be-stellten Eigenschaft zulaufen.
Ich möchte noch auf einen allerletzten Punkt einge-hen, von dem ich mir in den kommenden Monaten etwaserhoffe. Sie haben selbst gesagt, dass Sie die Transpa-renz des Rüstungsbereichs im Parlament verbessern wol-len; im Koalitionsvertrag finden sich dazu entsprechendeFormulierungen. Es ist klar, dass, wenn es um Rüstungs-projekte geht, die Hauptbaustelle der Verteidigungshaus-halt ist. Meine Fraktion erwartet von Ihnen darüber hi-naus regelmäßige proaktive Unterrichtungen durch dasMinisterium und nicht nur Berge von Akten und das Be-antworten von Anfragen, die zu stellen unser gutes par-lamentarisches Recht sind. Wir erwarten also, dass Sieuns regelmäßig Ihre Einschätzungen über Risiken im fi-nanziellen, technischen und rechtlichen Bereich mittei-len, damit das Parlament im Zweifel auch gegensteuernkann. Ich denke, das Euro-Hawk-Desaster aus dem letz-ten Sommer ist uns da Lehre genug.Wir werden uns gemeinsam mit allen im Haus, diedas wollen, in Form von vielen Anträgen engagiert indiese Debatte einbringen. Wir schauen gespannt auf dieBeratungen zum Verteidigungshaushalt 2014.Ich danke Ihnen.
Als Nächstem erteile ich dem Kollegen Henning Otte,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrerOrganisation müssen sich aus dem Haushaltsplanergeben.So steht es in Art. 87 a Abs. 1 unseres Grundgesetzes.Daraus ergibt sich für uns Politiker, dass wir den finan-ziellen Handlungsrahmen so zu setzen haben, dass dieSicherheit unseres Landes zu jeder Zeit gewährleistetwerden kann.„Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“Das sagte einmal Joachim Ringelnatz. Für uns Verteidi-gungspolitiker bedeutet dies wiederum, dass wir auchunvorhersehbare Risiken in den Blick nehmen müssen,dass wir alle vorhersehbaren Risiken abdecken müssenund dass wir dabei Chancen für einen möglichst dauer-haften Frieden in Freiheit gemeinsam mit unseren Freun-den für eine größtmögliche sichere Welt zu nutzen ha-ben. Dafür müssen wir uns einbringen.100 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges,75 Jahre nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, aberauch 25 Jahre nach dem Fall der Mauer steht fest:Deutschland ist in einem vereinten Europa fest inte-griert, aber von uns wird auch viel erwartet. Daher ha-ben wir, CDU/CSU zusammen mit der SPD, im Koali-tionsvertrag der Großen Koalition die Grundzügeunserer Verteidigungspolitik festgelegt. Wir sagendazu:Deutschland stellt sich seiner internationalen Ver-antwortung. Wir wollen die globale Ordnung aktivmitgestalten. Dabei lassen wir uns von den Interes-sen und Werten unseres Landes leiten. Deutschlandsetzt sich weltweit für Frieden, Freiheit und Sicher-heit, für eine gerechte Weltordnung, die Durchset-zung der Menschenrechte und die Geltung des Völ-kerrechts sowie für nachhaltige Entwicklung undArmutsbekämpfung ein.
Wir stehen bereit, wenn von unserem Land Beiträgezur Lösung von Krisen und Konflikten erwartetwerden. Dabei stehen für uns die Mittel der Diplo-matie, der friedlichen Konfliktregulierung und derEntwicklungszusammenarbeit im Vordergrund.Diese Linie wurde durch den Bundespräsidenten, unse-ren Außenminister und vor allem auch durch unsere Ver-teidigungsministerin, Dr. Ursula von der Leyen, auf derMünchner Sicherheitskonferenz noch einmal unterstri-chen. Dafür sind wir ihnen sehr dankbar.
Die Aussagen im Koalitionsvertrag sollen auch Ver-lässlichkeit und Verbindlichkeit gegenüber unseren Sol-datinnen und Soldaten symbolisieren. Ich glaube, einesbrauchen unsere Soldaten: Sie brauchen diese Verläss-lichkeit; denn sie müssen jetzt diese Neuausrichtung so,wie wir sie vereinbart haben, auch umsetzen.
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2396 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Henning Otte
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Deutschland übernimmt Verantwortung, auch für hu-manitäre Einsätze. Deswegen ist es unverantwortlich,dass der Kollege Movassat gestern hier davon gespro-chen hat, dass das Beihilfe zum Krieg sei. Das ist keineverantwortungsvolle Politik und gehört nicht in diesesHaus, meine Damen und Herren.
Auf dem Kontinent Afrika nehmen wir Anteil an ei-ner übergreifenden Mission mit einem ausgewogenenAnsatz von diplomatischen, entwicklungspolitischenund militärischen Mitteln – im Sinne der vernetzten Si-cherheit. Das haben wir mit dem beschlossenen Ausbil-dungsmandat EUTM Somalia und EUFOR Zentralafrikaerneut gezeigt.Doch die sicherheitspolitischen Herausforderungennehmen nicht ab: Die überraschende völkerrechtswid-rige Annexion der Krim durch Russland stellt ein erhöh-tes Konfliktpotenzial dar. Es ist angeraten, dieses Ereig-nis mit aller Vernunft und aller Abgeklärtheit zubewerten und entsprechende Rückschlüsse zu ziehen, je-der in seinem Ressort, niemand mit Scheuklappen.Es ist aber auch wieder sehr offensichtlich geworden,dass – neben den Einsätzen, die wir in Afghanistan undim Kosovo über lange Jahre haben – die Bündnis- undLandesverteidigung innerhalb der NATO zu Recht anvorderster Stelle der verteidigungspolitischen Aufgabensteht. Oft wird über die historische VerantwortungDeutschlands gesprochen. Es gehört zu unserer histori-schen Verantwortung, dass wir die Sicherheitsbedenkenunserer Freunde, zum Beispiel der baltischen Staatenoder Polens, nicht einfach wegwischen können. Die Bei-standsverpflichtung der NATO ist kein bloßes Lippenbe-kenntnis; Kollege Arnold hat das auch, mit seinen Wor-ten, gesagt.Nachdem die Alliierten 40 Jahre zu ihrer Verpflich-tung und Verantwortung gegenüber Deutschland stan-den, darf es uns nicht überraschen, wenn wir zu unsererBeistandsverpflichtung gegenüber unseren osteuropäi-schen Verbündeten und Freunden befragt werden. Des-halb sind die Anmerkungen unserer Bundesverteidigungs-ministerin – auch heute in ihrer Rede – zur Verstärkungdes Bündnisses richtig, verantwortungsvoll und als klareInformation für unsere Bürgerinnen und Bürger zu wer-ten. Unsere Bürger erwarten, dass man ihnen offen sagt,wo die Aufgaben unseres Landes liegen, wo die Verant-wortung unseres Landes liegt. Auch dafür herzlichenDank!
Den Alliierten einerseits größere Anstrengungen inAussicht zu stellen und den Bürgern in Deutschland an-dererseits ein trügerisches Gefühl der heilen Welt zu ge-ben: Das geht nicht auf und wird nicht geschätzt. Wir inDeutschland verstehen sehr wohl, für welche Anstren-gungen wir unseren Beitrag innerhalb der NATO leistenmüssen.Wenn wir uns die sicherheitspolitischen Entwicklun-gen ansehen, dann können wir in aller Ruhe feststellen,dass die Neuausrichtung der Bundeswehr auch vor demHintergrund dieser neuen Lage richtig war. Das Ord-nungsmerkmal „Breite vor Tiefe“ hat sich bewährt. Nurhierdurch lässt sich eine Einsatzbreite von Kampfeinsät-zen wie in Afghanistan über Ausbildungs- und Unter-stützungsmissionen, wie gegenwärtig in Ländern Afri-kas, bis hin zur Bündnis- und Landesverteidigungglaubhaft realisieren. Allerdings sollten wir in einem dy-namischen Prozess stets überprüfen, ob das operativeDispositiv an Kräften für die Bündnis- und Landesver-teidigung den Anforderungen entspricht und in vollemUmfang präsent ist.Von der reinen Präsenzarmee in Zeiten des KaltenKrieges über eine Armee der Einheit bis hin zu einer Ar-mee im Einsatz hat die Bundeswehr eine enorme Ent-wicklung und Veränderung hinter sich. Oder, um es soauszudrücken: Wir haben die Streitkräfte unseres Landesan den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungenausgerichtet.Die Truppen, die wir für den Auftrag „Bündnis- undLandesverteidigung“ vorhalten, müssen modern ausge-stattet sein. Auch hier dürfen wir nicht eingeengt nur denAuslandseinsatz sehen. Es geht auch um die Instandhal-tung und um die Ausbildung am Gerät. Darum bin ichdurchaus auch für eine stetige Überprüfung der Qualitätund Quantität der Ausrüstung. Eine verringerte Masse anTruppe und Ausrüstung muss durch noch mehr Klasse– auch der Ausrüstung – kompensiert werden.Lieber Herr Kollege Lindner, hier kann ich nur sagen:Ein Moratorium zu fordern, durch das unseren Soldatin-nen und Soldaten die Lieferung der notwendigen Aus-rüstung vorenthalten werden soll,
kann ich nicht akzeptieren, und das können wir auchnicht so hinnehmen.
Meine Damen und Herren, wir müssen rational analy-sieren: Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu bekommen.Wir brauchen gut ausgerüstete, hochmotivierte Streit-kräfte für den Schutz Deutschlands. Dies umzusetzen, istAusdruck unseres sicherheitspolitischen Anspruchs undunserer Verantwortung für die Bürger unseres Landes,Europas und unseres Bündnisses.Verantwortung ist dynamisch. Unser NATO-PartnerUSA konzentriert sich vermehrt auf den pazifischenRaum. Für Europa und damit auch für Deutschland be-deutet dies, dass wir bereit sein müssen, Verantwortungfür Frieden, Freiheit und Sicherheit zu tragen. Der Ga-rant des Friedens war in der Vergangenheit die klare Ab-schreckungsstrategie der NATO. Diese Strategie war er-folgreich und hat uns den Frieden gesichert.Die Strategie der Abschreckung sollte auch in Zu-kunft elementarer Bestandteil des NATO-Bündnisses
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Henning Otte
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sein. Davon hat Deutschland profitiert. Deutschlandmuss auch bereit sein, einen Beitrag dazu zu leisten.Vermehrte Einsätze innerhalb der NATO, der EU undder UN in Kooperation mit vielen Nationen haben einenPreis, aber auch einen Wert. Dafür müssen wir die not-wendigen finanziellen Voraussetzungen erfüllen. UnsereSoldaten erbringen diese Aufgaben im Namen unseresLandes und haben es verdient, dass ihnen die notwendi-gen Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden.Meine Damen und Herren, die Attraktivität ist füreine Freiwilligenarmee von besonderer Bedeutung; un-sere Ministerin hat dies dargestellt. Wir müssen als Frei-willigenarmee den Wettbewerb um die besten Kräfteauch bestehen können. Dazu ist eine Vielzahl von Maß-nahmen notwendig, die wir mit einer Attraktivitätsoffen-sive weiterführen wollen.Wir haben in der Außen- und Sicherheitspolitik neueHerausforderungen. Der Verteidigungshaushalt ist keinSelbstzweck. Er ist Grundlage für die SicherheitDeutschlands und unserer internationalen Verantwor-tung.Ebenso wie eine wirtschaftliche Krise unsere Wirt-schaft und unsere Gesellschaft gefährden kann und wirAnstrengungen auf uns nehmen müssen, diese zu bewäl-tigen, kann die Bedrohung der Freiheit und des Selbstbe-stimmungsrechts der Staaten in Europa zu nachhaltigerInstabilität und Verunsicherung führen. Schließlich warder Verteidigungshaushalt in seiner Höhe in den vergan-genen Jahren vor dem Hintergrund einer zunehmendensicherheitspolitischen Entspannung in Europa nicht un-antastbar. Das Gleiche gilt aber auch für die andereRichtung. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, undohne Freiheit gibt es keine Sicherheit. Das gilt fürDeutschland. Das gilt für Europa, für die NATO undauch für die Vereinten Nationen.Deutschland ist ein Teil dieser friedlichen Weltge-meinschaft. Deutschland übernimmt Verantwortungdurch seine Streitkräfte, eine Parlamentsarmee. Die hier-für notwendigen materiellen und finanziellen Mittel wer-den zur Verfügung gestellt. Dafür sind wir unserem Bun-desfinanzminister, Dr. Wolfgang Schäuble, dankbar.Für die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestaghat Sicherheit nicht nur einen Preis, sondern auch einenWert; ich habe es erwähnt. Uns für diesen Wert einzuset-zen, ist uns als Union sehr wichtig: für Frieden, für Si-cherheit und für Freiheit.Herzlichen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort Kollegen
Dr. Alexander S. Neu, Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrte Steuerzahlerinnen und Steuer-
zahler! Zunächst einmal eine kleine Anmerkung: Was
und wer in dieses Haus gehört, entscheidet zum Glück
nicht Herr Otte, sondern die Wählerinnen und Wähler
draußen auf der Straße.
Die haben offensichtlich gut entschieden.
Das war die Vorbemerkung.
Der Einzelplan 14, der Militärhaushalt, umfasst
32,8 Milliarden Euro. Das ist der zweitgrößte Einzelplan
im Bundeshaushalt. In Verbindung mit weiteren ver-
steckten Ausgaben in anderen Einzelplänen kommen wir
auf 35,6 Milliarden Euro – nur fürs Militärische.
Umgerechnet bedeutet das, dass jeder Einwohner in
diesem Land, gleich ob Rentner, Rentnerin, Arbeitneh-
mer, Arbeitnehmerin, Kind, Migrant, Migrantin, 440 Euro
im Jahr für die Bundeswehr zahlt. Das kann man an ei-
nem einfachen Beispiel illustrieren: Eine Familie, beste-
hend aus Eltern und zwei Kindern, zahlt nur für die Bun-
deswehr 1 760 Euro in einem Jahr.
Herr Kollege, es gibt den Herzenswunsch nach einer
Zwischenfrage des Kollegen Otte. Möchten Sie diese zu-
lassen oder nicht?
Wenn er diesen Herzenswunsch hat, soll er ihn äu-
ßern.
Sie haben mich offensichtlich bewusst falsch verste-
hen wollen. Ich habe nicht gesagt, dass die Entscheidung
der Wählerinnen und Wähler zu kritisieren ist, sondern
dass eine solche Aussage, wie Sie hier von Ihrem Kolle-
gen getätigt worden ist, nicht in dieses Haus gehört.
Und ich habe darauf geantwortet, dass diese Aussa-gen von Ihnen in keiner Weise zensiert werden dürfen,sondern dass es Sache der Wählerinnen und Wähler ist,uns und damit unsere Positionen in dieses Haus zu wäh-len.
– Das habe ich nicht infrage gestellt.
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2398 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Dr. Alexander S. Neu
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Ich fahre fort. 1 760 Euro zahlt jede Familie mit zweiKindern allein für die Bundeswehr in einem Jahr. Das istein Jahresurlaub, ein Auslandsurlaub, den eine Familiezahlt.Wir alle wissen, dass die Bundesregierung, auch diejetzige Bundesregierung, Menschen gerne ins Auslandschickt, aber nicht unbedingt in den Urlaub, Frau Minis-terin, sondern in Auslandseinsätze. Weit über 100 000Menschen waren bislang via Bundeswehr in Auslands-einsätzen. Und nicht immer waren die Gastgeber überdie Anwesenheit der Bundeswehr sonderlich erfreut.Sie haben gerade zu Recht darauf hingewiesen: Der-zeit gibt es etwa 15 Auslandseinsätze der Bundeswehr.Seit 1990 sind es ungefähr 46 Auslandseinsätze. Kosten-punkt: mindestens 19 Milliarden Euro, konservativ ge-rechnet. Man nennt das einsatzbedingte Zusatzkosten.Das sind also all die Dinge, die die Bundeswehr nichtbräuchte, würde sie dort bleiben, wo sie hingehört, näm-lich in Deutschland zur reinen Landesverteidigung. Den-noch hört man aus der Großen Koalition, dies sei unzu-reichend. Man schwadroniert vom Erfordernis des Endesder Kultur der Zurückhaltung. Ich finde, angesichts von46 Auslandseinsätzen seit 1990 ist es eine Frechheit, soetwas zu fordern.Aber nicht nur die Auslandseinsätze sind ein Kosten-problem, sondern auch die Beschaffung von Waffensys-temen. Diese sind teuer. Sie werden immer teurer, je län-ger das Beschaffungsverfahren dauert. Ministerin vonder Leyen versucht jetzt, eine Übersicht über diese Pro-jekte zu gewinnen. Das ist löblich. Sie haben 15 Status-berichte über laufende Projekte angefordert und keineneinzigen gebilligt. Auch das ist löblich.Aber die Nichtbilligung der Statusberichte zeigt unszwei Dinge:Erstens. Sie wollen den Eindruck erwecken, dass Sieim BMVg aufräumen wollen.Zweitens. Die Beschaffungspolitik der letzten Deka-den ist ein Desaster. Die Steuergelder werden mit vollenHänden aus dem Fenster geworfen. Entweder wurdenkeine Vertragsstrafen vereinbart, wie zum Beispiel dieAntwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrageder Linken aus dem Jahr 2010 klarmacht – ich zitiere –:Bei rund der Hälfte der Verträge konnte eine Ver-tragsstrafe auf dem Verhandlungswege– bei den Rüstungsunternehmen –nicht durchgesetzt werden.So gehen Sie also mit Steuergeldern um.Oder es werden, wie beim NATO-HubschrauberNH90, zwar Vertragsstrafen vereinbart, aber bislangnicht gezogen. Oder sie werden gezogen, aber es wirdeine unzureichende Summe eingefordert, wie beimEurofighter.
Er kostete bislang 23,3 Milliarden Euro. Die Vertrags-strafe, die bislang gezogen wurde, beträgt 7,3 MillionenEuro. Das sind 0,03 Prozent. Ich wiederhole: 23 Milliar-den Euro auf der einen Seite und 7,3 Millionen EuroVertragsstrafe auf der anderen Seite. Die Rüstungsindus-trie ist doch mächtig beeindruckt von der Ernsthaftigkeitder Bundesregierung, das zu zivilisieren. Die Rüstungs-industrie tanzt Ihnen auf der Nase herum, Frau von derLeyen.Wie geht die Bundesregierung mit den Steuergeldernum? Ich sage nochmals: 440 Euro pro Jahr und Einwoh-ner in diesem Land. Wir müssen uns vergegenwärtigen,Frau von der Leyen, dass die Steuergelder uns nicht ge-hören. Sie gehören auch nicht der Bundesregierung, son-dern dem Volk. Wir und Sie als Bundesregierung habenes für die Menschen treuhänderisch zu verwalten und zuinvestieren.Als Bundesministerin für Arbeit und Soziales habenSie im Jahr 2010 einmal richtig Härte gezeigt. Leideraber an der falschen Stelle,
nämlich auf dem Rücken von Schwachen. Sie haben ein-malig 20 zu viel gezahlte Euro bei Hartz-IV-Bedürftigenmit Kindern von der Bundesagentur wieder eintreibenlassen. 2,2 Millionen Bescheide über 20 Euro musste dieBundesagentur verschicken, sodass 44 Millionen Eurowieder hereinkamen. Ich glaube, dass die Kosten für dieRückholung in etwa identisch sind mit dem Geld, das zuviel ausgegeben worden ist.In den Medien wurden Sie seinerzeit mit der Aussagezitiert:Das ist einfach Geld, das zu viel ausgezahlt wordenist und das jetzt von den Behörden – auch als Gelddes Steuerzahlers –– da lebt er wieder, der Steuerzahler –wieder zurückgeholt werden muss.Zitat Ende.44 Millionen Euro oder noch höhere Mehrausgabenzu verschwenden, schafft die Rüstungsindustrie bei ein-zelnen Rüstungsprojekten allein in der Mittagspause.Wann zeigen Sie einmal Härte gegen die Rüstungsindus-trie? Wann holen Sie unsere Steuergelder zurück, Frauvon der Leyen? Oder wollen Sie der weibliche RobinHood der Rüstungsindustrie sein: von Hartz-IV-Bedürf-tigen nehmen, um es der Rüstungsindustrie zu überlas-sen?
Sehr geehrte Damen und Herren, Steuergelder kannman auch sinnvoller ausgeben, nämlich von Menschenfür Menschen. Die Kosten für die 53 TransportflugzeugeA400M belaufen sich auf etwa 9,5 Milliarden Euro. Da-für könnte man 6 300 Kitas bauen. Wert: 1,5 MillionenEuro pro Kita.
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Dr. Alexander S. Neu
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Die vier Fregatten F 125 kosten 3,1 Milliarden Euro.Dafür könnte man 620 Sporthallen in Kommunen bauen.Wert: jeweils 5 Millionen Euro.
Der Eurofighter wurde schon genannt. Für die23,3 Milliarden Euro könnte man 210 000 Sozialwoh-nungen bauen; Wert: jeweils 110 000 Euro. Das wärenMaßnahmen, die auch in der Bevölkerung ankämen.
Auf internationaler Ebene könnten Sie ebenfalls derReputation Deutschlands etwas Gutes tun, zum Beispiel500 Millionen Euro Aufbauhilfe für Port-au-Prince, dieHauptstadt Haitis, nach dem Erdbeben. DeutschlandsAnsehen in der Welt wüchse gewaltig, weit mehr alsdurch Auslandseinsätze.
Fazit ist: Der Einzelplan 14 ist nach wie vor keinRuhmesblatt und kein Ausweis eines zivilisierten Ver-haltens, sondern der Ausweis des Nicht-lernen-Wollens.Gerade habe ich gehört, die pazifistischste Maßnahmesei, Waffen zu zerstören.
Ich sage: Das ist die zweitbeste. Die beste Lösung ist,überhaupt keine Waffen zu schaffen und zu exportieren.Ich danke Ihnen.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Wolfgang Hellmich, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eines bewun-
dere ich an Ihnen, Herr Dr. Neu, und das sind Ihre ma-
thematischen Fähigkeiten. Das war es dann aber auch
schon.
Denn wenn ich Ihre Rede in den Kontext dessen stelle,
was Sie entschieden haben, wäre es vielleicht besser ge-
wesen, die eine oder andere Rede gar nicht zu halten.
Das wäre für uns alle besser gewesen.
Deshalb brauche ich mich damit auch nicht weiter
auseinanderzusetzen. Ich möchte mich eingangs nur
noch mit dem Beitrag von Herrn Dr. Lindner auseinan-
dersetzen.
Mich interessiert schon, was die Kolleginnen und
Kollegen der IG Metall in den einzelnen rüstungs- und
wehrtechnischen Betrieben zu der Entwicklung ihrer
Unternehmen sagen.
Mich interessiert schon, ob die Unternehmen sagen:
Wenn ihr das so macht – wie Sie es gerade vorgeschla-
gen haben –, dann werden wir in unserer realen Situation
die Produktionsstätten zumachen und irgendwo anders
hingehen, weil wir nicht in der Lage sind, Strukturen, die
auch in der Arbeit vorgehalten werden müssen, ohne
Aussicht auf Aufträge aufrechtzuerhalten. Man muss
also ökonomisch anders damit umgehen und diese Un-
ternehmen anders behandeln.
Auf dem Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt leis-
tet der Verteidigungshaushalt einen stattlichen Beitrag.
Apropos Beitrag, der Kollege Lindner würde gerne
eine Frage stellen. Mögen Sie die zulassen?
Aber selbstverständlich.
Bitte, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich muss die Union ent-täuschen. Es geht nicht um ein Herzensanliegen, sondernum eine Frage, die ich Ihnen stellen möchte, Herr Kol-lege, da Sie die Kolleginnen und Kollegen bei der IGMetall angesprochen haben. Stimmen Sie mir zu, dass esbeim Einzelplan 14 vorrangig um das Interesse an derAusrüstung der Soldatinnen und Soldaten der Bundes-wehr geht und darum, dieses Interesse bei Beschaffungs-entscheidungen wahrzunehmen? Halten Sie es ange-sichts der Tatsache, dass die Ministerin Projekte und denBeschaffungsprozess an sich überprüfen möchte, und an-gesichts dessen, dass auch im letzten Jahr keine Gelderabgeflossen sind – was zeigt, dass die Projekte nur we-nige Fortschritte machen, wie man auch an den Istzahlendes Ministeriums ablesen kann und für 2014 annehmenbzw. befürchten muss –, nicht für angezeigt, zumindestbis zum Herbst, wenn Ergebnisse vorliegen, innezuhal-ten?
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2400 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
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Herr Dr. Lindner, wenn Sie das Rüstungsboard richtiggelesen und die getroffenen Entscheidungen richtig ver-standen haben, dann wissen Sie, dass nicht jedes ein-zelne Projekt im Kern schlecht oder unausgereift ist.Vielmehr ging es darum, dass bestimmte Fragen zu denProjekten nicht beantwortet werden konnten. Die Beant-wortung dieser Fragen steht nun auf der Tagesordnung.Es gibt an dieser Stelle keinen Grund, laufende Prozesse,Produktionen oder Entwicklungen einzustellen. Es gehtvielmehr um die Beantwortung der Frage, an welchenStellen welche Informationen vorliegen und wie man vo-rankommen kann. Das sind zwei sehr unterschiedlicheAnsätze und Herangehensweisen. Ich glaube, wir sinduns darin einig, dass es, wenn es um die Ausrüstung desInfanteristen der Zukunft geht, in der Tat keinen Grundgibt, irgendein Projekt einzustellen. Es geht vielmehr da-rum, beim Beschaffungswesen voranzugehen, weil wirmehr Systeme brauchen; das ist der Zusammenhang. MitIhrem Moratorium betreffend die Entwicklung von Rüs-tungsprojekten werden Sie keine einzige Verbesserungerreichen, sondern nur Probleme in den Produktions-strukturen schaffen.
Im laufenden Haushalt werden circa 1,3 MilliardenEuro aus dem Verteidigungshaushalt an den Finanz-minister zurückgezahlt.
Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn man diese1,3 Milliarden Euro in die Verbesserung der Attrakti-vität der Bundeswehr gesteckt hätte; denn da gibt es– so glaube ich – einen großen Nachholbedarf. Dasses im Rüstungsbereich aufgrund von Unwuchten imMinisterium und von Lieferfristen der wehrtechni-schen Industrie zu Verzögerungen kommt, kann nichtdarüber hinwegtäuschen, dass zusätzliche Anforde-rungen auf uns und damit auch auf den Haushalt zu-kommen werden, die wir zwar im Moment nicht real be-ziffern können, von denen wir aber wissen, dass sie aufuns zukommen werden. Anforderungen, die im interna-tionalen Kontext – sei es im Rahmen der neuen Strategieder NATO oder der GSVP – formuliert werden, müssenim Haushalt perspektivisch abgebildet werden.Exemplarisch sei hier die momentane Entwicklungeiner maritimen Sicherheitsstrategie der EU genannt.Diese europäische maritime Sicherheitsstrategie defi-niert, wie wir zukünftig unsere Küsten schützen, und for-muliert auch neue Anforderungen an die deutsche Ma-rine. Ob wir diesen Anforderungen alleine gerechtwerden können, bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, dassdas eigentlich nur im europäischen Kontext möglich ist;denn wenn es um die Entwicklung von Mehrzweck-kampfschiffen geht – das ist in Betracht zu ziehen –,werden wir solche Projekte nur auf europäischer Ebenedurchführen können. Neben modularen maritimen Fä-higkeiten betreffen die internationalen Anforderungen ingleichem Maße mehrrollenfähige Flugzeuge sowie dieBeschaffung von Hubschraubern und Lufttransportkapa-zitäten. All dies steht im internationalen Kontext, undwir müssen es auf europäischer Ebene angehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auf dieMarine zurückkommen. Es ist nun einmal ein Unter-schied, ob Schiffe in die Nord- oder Ostsee auslaufenoder ob sie über einen längeren Zeitraum am Horn vonAfrika zur Bekämpfung der Piraterie eingesetzt werden.Das ist eine grundsätzlich andere Anforderung an dieMarine, die sich in Mehrkosten niederschlagen wird,wenn die Entlastung der Mannschaften, so wie sie ange-legt ist, in die Realität umgesetzt wird.Mit deutlichem Rekrutierungserfolg hat sich die Ma-rine durch ihr Konzept „Marine live!“ eines kleinen Teilsihrer Nachwuchssorgen entledigen können. Die jungenInteressentinnen und Interessenten können sich vor Ortmehrere Tage über die Verwendung und Karrieremög-lichkeiten auf Schiffen realistisch informieren.Jetzt zweifelt der Bundesrechnungshof an, ob das al-les wirtschaftlich ist. Wir werden deutlich machen müs-sen, dass bei solchen Maßnahmen, die auch Geld kosten,eine reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung nicht genügt.Wenn es nur darum geht, wie viel Treibstoff ein Schiffverbraucht, werden wir an vielen Stellen nicht weiter-kommen. Dasselbe gilt für das Mehrbesatzungsmodell.Das gerade angesprochene Schiff am Horn von Afrika,das Gott sei Dank nicht immer hin- und herfahren muss,was nur zusätzliches Geld kosten würde, wird mit einemMehrbesatzungsmodell versorgt. Auch in diesem Fallbezweifelt der Bundesrechnungshof, dass das wirtschaft-lich sinnvoll ist. Aber für die Besatzung bedeuten dieAbwesenheitszeiten eine klare Erleichterung und Ver-besserung, und zudem wird das Material geschont. Ichdenke, es macht gerade vor dem Hintergrund der Attrak-tivität der Bundeswehr Sinn, wenn man den Soldatinnenund Soldaten verlässliche Heimkehrtage garantierenkann und ihnen nicht ständig sagen muss: Wir wissennicht, wann ihr nach Hause kommt.
Attraktivitätssteigerung heißt natürlich auch – einigePunkte sind genannt worden – Vereinbarkeit von Berufund Familie, Vermeidung von unnötigen Versetzungenund Umzügen, Verbesserung der Wohnqualität der Be-rufspendlerinnen und Berufspendler, Schaffung moder-ner Besoldungsstrukturen, Einführung eines fairen Über-stundenausgleichs sowie ein völlig veraltetes undunterfinanziertes Zulagensystem auf den Prüfstand zustellen. Auch das würde mit dazu beitragen, dass die Sol-datinnen und Soldaten ihren Dienst in der Bundeswehrpositiver beschreiben, als sie es an der einen oder ande-ren Stelle auch in der Öffentlichkeit tun.Ein rein linearer Abbau von Dienstposten und Stellenbei der Bundeswehr passt nicht zu einem notwendiger-weise atmenden Personalsystem. Deshalb halte ich es fürrichtig und gut, dass der Einstellungsstopp aufgehobenworden ist; denn die Bundeswehr selber kann mit demPersonalkörper qualifizierter umgehen. Aber auch daswird am Ende Geld kosten. Auch dieses wird im Haus-halt abzubilden sein. Aber ich glaube, es gibt keine Al-
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ternative, weil sich die Bundeswehr eine Unzufrieden-heit der Mannschaften nicht leisten kann – von derFürsorgeverpflichtung, um das hier zum wiederholtenMale anzuführen, für die vor 1992 im Kosovo-Einsatzgeschädigten Soldaten, die immer noch nicht geregeltist, ganz zu schweigen. Es gehört auch zur Attraktivitäteines modernen Dienstherren Bundeswehr, der Fürsor-gepflicht nachzukommen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, anzumerkenist auch, dass der Zustand der Liegenschaften der Bun-deswehr deutlich verbessert werden könnte, wenn dievertraglich vereinbarten 15 Prozent der an die BImA ge-zahlten Mieten und Pachten tatsächlich auch immer anden jeweiligen Standorten ankommen würden. Mit die-sem Geld könnten dringend notwendige Baumaßnahmendurchgeführt werden. Generell ist zu überprüfen, ob dieQuote von 15 Prozent ausreichend ist, um den tatsächli-chen Sanierungsbedarf der Liegenschaften zu decken,oder ob die Quote angehoben werden muss. Es kannnicht sein, dass die Mannschaften mit Gemeinschaftsdu-schen vorliebnehmen müssen, die mehr als 30 Jahre altsind. Die Beschreibung der Zustände ist wirklich nichtschön.
Aber: Grau ist alle Theorie, entscheidend ist auf demPlatz. Es kommt darauf an, diese einzelnen konkretenMaßnahmen in die Realität umzusetzen.Es gibt auch eine Reihe von Entscheidungen, an de-nen sichtbar wird, dass sich Anregungen aus dem Vertei-digungsausschuss im Entwurf des Haushaltsplans nie-dergeschlagen haben. Dies gilt beispielsweise für dieÜberwachung der Liegenschaften. Die Erhöhung des Fi-nanzvolumens für die Bewachung militärischer Anlagenum 10 Prozent geht auf Mängel in diesem Bereich zu-rück, die durch den parlamentarischen Raum auf die Ta-gesordnung gesetzt wurden. Seedorf und der ungeklärteVerbleib von mehreren Tausend Schuss Munition seihier nur als ein Fall genannt. Für die Beseitigung derMängel ist ein entsprechender Mitteleinsatz im Bundes-haushalt zwingend erforderlich. Das ist vorgesehen, unddas ist gut so.Der Einsatz in Afghanistan wird aus heutiger Sichtder letzte landgebundene Einsatz dieser Dimension sein.Fragile Staaten, asymmetrische Konflikte, Ressourcen-konflikte, aber auch der Schutz von Transportwegen vorPiraterie sind die neuen Herausforderungen. Jeder dieserKonflikte bzw. dessen Vermeidung macht den höchst-möglichen Schutz für unsere Soldatinnen und Soldatenerforderlich. Deshalb müssen aktive Schutzsysteme fürFahrzeuge entwickelt werden – dies ist zum Teil schongeschehen –, aber auch beschafft werden.An diesem Beispiel wird deutlich, dass es durchausweitere – auch umfangreiche – Anforderungen an dieEntwicklungsarbeit der heimischen Industrie gibt. DieProdukte der deutschen Wehrtechnikindustrie gewähr-leisten nach wie vor ein Höchstmaß an Sicherheit undQualität. Diesen Standard und diese Qualität wollen wir– so steht es auch in unserem Koalitionsvertrag – erhal-ten. Das müssen wir mit eigenem Tun unterlegen. ZumBeispiel geht es in der Tat darum, ein LuftabwehrsystemMEADS nicht nur zu entwickeln, sondern auch bis zurAnwendungsreife zu bringen und anschließend zu be-schaffen. Auch dies ist eine Fähigkeit, die wir im inter-nationalen Kontext für die NATO und für die GSVP an-bieten können.
Der Europäische Rat im Dezember 2013 hat verein-bart, einheitliche Standards und Modelle bei zukünftigengemeinsamen Entwicklungen konsequent zur Anwen-dung kommen zu lassen. Diese Vereinbarung lässt hof-fen, dass durch den Druck finanzieller Engpässe entspre-chende Einsichten formuliert werden, die zu sinkendenKosten führen. Das geht nur im gemeinsamen europäi-schen Kontext. Wir können zum Beispiel das eigene Ge-fechtsübungszentrum auf einen modernen Stand bringen,um das Thema Übung, das ein ganz wichtiges Elementder zukünftigen NATO-Strategie sein wird, in den Vor-dergrund zu rücken.Die Überprüfung der Rüstungsprojekte darf, wie ein-gangs schon erwähnt, nicht dazu führen, dass die Ent-wicklung zum Schutz unserer Soldatinnen und Soldatenausgesetzt wird. Denn darum geht es: dass das Beste fürunsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz und zuHause produziert wird, angeschafft wird und dass sichdies im Haushalt deutlich niederschlägt.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort Kollegin
Doris Wagner, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Frau Ministerin, ich habe Ihren Entwurffür den Haushalt 2014 wirklich mit einiger Spannung er-wartet – zu Unrecht, wie ich jetzt feststellen musste;denn Ihr Entwurf ist im Wesentlichen doch ein Weiter-so.Anfang des Jahres haben Sie noch allerorts verkün-det:Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der at-traktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen.Das wichtigste Thema ist dabei die Vereinbarkeitvon Dienst und Familie.Doch wer sich heute den Einzelplan 14 anschaut undnach Vereinbarkeit sucht, findet – nichts! Hier und da einverlorener Einzelposten oder ein kryptischer Satz imHaushaltsvermerk. Ja, Herr Kollege Arnold, auch ichfinde, wir sollten darüber reden; denn so sieht keinHaushalt aus, der die Vereinbarkeit von Dienst und Fa-milie voranbringen will.
Das erweckt doch den Verdacht, als wollten Sie ver-schleiern, dass für die bessere Vereinbarkeit nun leider,
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Doris Wagner
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leider so gut wie keine finanziellen Mittel zur Verfügungstehen. Ihr Haushaltsentwurf zementiert den Status quo.Schauen wir doch einmal, was Sie den Soldatinnenund Soldaten mit ihren Familien konkret zu bieten ha-ben: 22,6 Millionen Euro wollen Sie für Maßnahmen imBereich der Vereinbarkeit ausgeben. Das sind geradeeinmal 6,9 Prozent des Verteidigungshaushalts. Für ei-nen politischen Schwerpunkt ist das wirklich mehr alsdürftig.Das gilt besonders, wenn man sich ansieht, welche Fi-nanzmittel dem Verteidigungshaushalt 2014 plötzlichnicht mehr zur Verfügung stehen. Da sind 300 MillionenEuro einfach so verschwunden, die laut Finanzplan als„Vermischte Personalausgaben“ dazu dienen sollten, dieFolgen der Bundeswehrreform für die Soldatinnen undSoldaten und ihre Familien abzumildern. Gleichzeitigmuss das Verteidigungsministerium – Sie haben es selbstangesprochen – 147 Millionen Euro abtreten, um damitdas familienpolitisch völlig unsinnige Betreuungsgeldgegenzufinanzieren. Wie viel sinnvoller wäre diesesGeld für eine familienfreundlichere Bundeswehr einge-setzt!
Mein Appell an Sie, Frau Ministerin: Stellen Sie bitte inden nächsten Haushalt auch die Mittel für die Umset-zung Ihrer angekündigten Konzepte ein!Mehr Geld müsste die Bundesregierung endlich auchinvestieren, um besser mit der wachsenden sozialenVielfalt innerhalb der Truppe umzugehen. Sie erinnernsich sicherlich alle noch gut an die Studie „Truppenbildohne Dame?“. Diese Studie zeigt: Die Bundeswehr hatdie Öffnung für Frauen keineswegs reibungslos verkraf-tet. Mehr als die Hälfte der männlichen Soldaten glaubtmittlerweile, dass sich die Bundeswehr durch die Inte-gration von Frauen in die falsche Richtung entwickelt.Jeder Dritte ist überzeugt, dass die Kameradinnen einenVerlust militärischer Kampfkraft bedeuten. Vor allemaber sind erschreckend viele Soldaten der Ansicht, dassFrauen bei der Bundeswehr rascher Karriere machten,obwohl sie doch weniger leistungsfähig seien.Aus soziologischen Studien wissen wir, dass derartigeSpannungen keineswegs erstaunlich sind. Erstaunlich je-doch ist, dass das Verteidigungsministerium bisher nichterkennbar auf die erwähnte Studie reagiert hat. Hiermüsste auch der Haushaltsentwurf mehr Handlungswil-len zeigen.
Ja, es stimmt: Die Bundeswehr bemüht sich bereitsseit Jahren, der wachsenden sozialen Vielfalt in derTruppe durch Diversity Management zu begegnen. DieBundeswehr verfügt über Gleichstellungsbeauftragte, andie sich nicht nur Frauen mit Beschwerden wenden kön-nen. Aber ganz offensichtlich reichen diese Maßnahmennoch nicht. Die meisten Frauen erleben in der Bundes-wehr gerade nicht eine Wertschätzung ihrer Andersartig-keit, sondern einen extremen Druck zur Anpassung andie männlichen Verhaltensweisen.Unter einem ähnlichen Anpassungsdruck stehen auchandere Personengruppen in der Truppe. „Wer in der Bun-deswehr Karriere machen will, der soll sich bloß nicht alshomosexuell outen“, empfiehlt gerade ein schwuler Mari-neoffizier im Magazin der Bundeswehr „Y“.Ich frage Sie, Frau Ministerin: Wo sind die Haushalts-mittel, die die Bundeswehr zu einem attraktiven Arbeit-geber für alle Gruppen der Bevölkerung machen? Wo istdas Geld, das es Frauen, Homosexuellen, Migrantinnenund Migranten, Behinderten und älteren Mitbürgerinnenund Mitbürgern ermöglicht, in der Bundeswehr zu arbei-ten, ohne dabei einen wesentlichen Teil ihrer Identitätam Kasernentor abgeben zu müssen?Mein Fazit lautet: Ein attraktiver Arbeitgeber ist dieBundeswehr nach wie vor nur für heterosexuelle Männerohne Familie, und daran wird sich mit diesem Haushalts-entwurf auch 2014 nichts ändern.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege Ingo
Gädechens, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mit großem Interesse verfolgen wir in dieser Woche allegemeinsam die laufenden Beratungen zu den Einzelplä-nen und haben Verständnis für die Wertigkeit und dieGewichtung der einzelnen Budgets. Wenn wir allerdingsden Einzelplan 14 für den Bereich Verteidigung beraten,geht es um mehr als um Renten, Hochschulen, Infra-struktur oder Sozialleistungen;
in dieser Debatte geht es um das fundamentale Interesseder Bundesrepublik Deutschland. Es geht um unsereSouveränität, und es geht in ganz besonderer Weise umdie Wahrung der äußeren Sicherheit unseres Landes.
Wie heißt es so schön? Sicherheit ist nicht alles, aberohne Sicherheit ist alles nichts.
Unter diesem wichtigen Leitsatz sollten wir den Vertei-digungshaushalt in der ersten Lesung, aber auch in denweiteren Lesungen beraten.Meine Damen und Herren, mit dem Einzelplan 14 set-zen wir auf Kontinuität und knüpfen nahtlos an die Ziel-setzungen der vergangenen Finanzpläne an. Der Gesamt-plafond für den Bereich Verteidigung – wir hörten esschon – beläuft sich auf 32,8 Milliarden Euro.Darin ist berücksichtigt – die Kollegin Wagner führtees eben aus –, dass der Verteidigungshaushalt zur Finan-zierung des Betreuungsgeldes mit 147,3 Millionen Euro
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solidarisch den größten Anteil erbringt. Ich will nicht da-rüber philosophieren, was man mit dem Geld sonst hättemachen können;
aber auch da ist es sehr gut angelegt.
Sehr viele Redner haben in dieser haushaltspoliti-schen Debatte darauf hingewiesen, dass Einnahmen undAusgaben des Bundes so festgelegt wurden, dass wir abdiesem Jahr einen strukturell ausgeglichenen Haushaltund beginnend mit dem nächsten Jahr einen Haushaltohne Neuverschuldung vorweisen können.
So steht es im Koalitionsvertrag, liebe Koalitionäre!
Ich freue mich darüber, dass auch unser Koalitions-partner die Weisheit der sparsamen schwäbischen Haus-frau, die auch im Norden bekannt ist, mehr und mehr an-erkennt
– ja, aber im Norden ist diese schwäbische Weisheitauch angekommen –,
dass wir mit Blick auf kommende Generationen nur soviel Geld ausgeben können, wie wir auch einnehmen.Unter Berücksichtigung der sicherheitspolitischenAspekte, aber auch unter dem zuletzt genannten Aspekthaben wir uns aufgemacht, die Bundeswehr zu reformie-ren, und sind nicht nur dabei, freiwerdende Ressourceneinzusparen; wir werden vielmehr Mittel verwenden, umden Dienst für die Soldatinnen und Soldaten attraktiverzu gestalten.
Dabei unterstütze ich die berechtigte Forderung unsererVerteidigungsministerin Frau von der Leyen, und ichwerde mithelfen, dass die Bundeswehr tatsächlich der at-traktivste Arbeitgeber in unserem Lande wird.
Eines muss aber auch klar sein: Der Weg zu mehr At-traktivität geht nicht nur über anspruchsvolle Ausstat-tung, gute Ausrüstung und modernstes Gerät; vielmehrwerden wir in den kommenden Jahren zur Steigerungder Attraktivität auch Geld bei den Planstellen und derBesoldung in die Hand nehmen müssen,
um auf der Suche nach den besten Kräften erfolgreich zusein.Als ich noch aktiver Berufssoldat war, habe ich stetsan der Seite des BundeswehrVerbandes – und natürlichvöllig uneigennützig – Forderungen nach besserer Be-soldung und nach mehr finanziellen Mitteln für unsereSoldatinnen und Soldaten unterstützt und für deren Er-füllung gekämpft.
Als Abgeordneter ist es nun von Jahr zu Jahr meine Auf-gabe, den Kameradinnen und Kameraden, aber auch denzivilen Mitarbeitern zu verdeutlichen, dass leider auchdie Bundeswehr ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidie-rung leisten muss.
Die Mittel im Einzelplan sind knapp bemessen, aber siesind, liebe Kolleginnen und Kollegen, ausreichend.Darüber hinaus wird Deutschland – und damit unsereBundeswehr – unter den Bündnispartnern mehr undmehr als Anlehnungsnation gefordert. Dieser Aufgabeund dieser Herausforderung können – ich sage: dürfen –wir uns nicht entziehen. Gerade für unsere Partner undNATO-Verbündeten, insbesondere in Osteuropa, ist Ver-trauen in der jetzigen Lage wichtig. Wie so oft im Lebenist es gut, wenn man sich aufeinander verlassen kann,Ressourcen und Fähigkeiten zur Verfügung stellt und da-mit Sicherheit gewährleistet. Deshalb ist es auch richtig,dass es bei dem Reformansatz „Breite vor Tiefe“ bleibt.
– Deswegen habe ich in Richtung des Kollegen ge-schaut.
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch kurz aufzeigen,wo die eigentlichen Herausforderungen für die Bundes-wehr liegen.Erstens. Gerade die aktuellen weltpolitischen Ereig-nisse auf der Krim, in der Ukraine oder in Zentralafrikazeigen, dass sich die sicherheitspolitische Großwetter-lage bisweilen schneller ändert, als es sich manche vonuns vorstellen können. Auf diese neuen Konfliktlinienmuss die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutsch-land nicht nur ausgerichtet werden, sondern mehr noch:Unsere Bundeswehr muss vorbereitet sein. Wir solltendeshalb neue Debatten über die Neuausrichtung derBundeswehr vermeiden. Eine Reform der Reform darfund wird es zumindest zum jetzigen Zeitpunkt nicht ge-ben.
Zweitens. Die Attraktivität des Dienstes steht für unsim Mittelpunkt des Handelns. Schon heute ist die Bundes-wehr in sehr vielen Bereichen ein wirklich interessanterund sehr attraktiver Arbeitgeber. Das belegen die positi-ven Zahlen bei den Offiziersbewerberinnen und -bewer-
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bern, aber auch bei den Unteroffizieren. Bei der Lauf-bahn der Mannschaftsdienstgrade müssen wir allerdingsnoch etwas nachbessern. Auf die besondere Problematikin der Teilstreitkraft Marine ist der Kollege Hellmichschon eingegangen.Für all diejenigen, die sich dann für den Dienst in derBundeswehr entschieden haben, müssen wir passendeAntworten geben, was die Vereinbarkeit von Familieund Beruf, die Wahlmöglichkeit zwischen Umzugskos-ten und Trennungsgeld, Altersversorgung, Qualifizie-rung und Berufsförderung und viele andere Punkte, dieden Dienstbetrieb erleichtern würden, betrifft.Drittens. Ein großer Handlungsbedarf besteht nachwie vor bei der Beschaffung von geeignetem Material;auch hierzu haben meine Vorredner schon einige wich-tige Ausführungen gemacht. Ich möchte nicht verhehlen,dass der Mittelabfluss im letzten Haushaltsjahr mehr alsunglücklich verlaufen ist. Der Bundesfinanzministerkonnte sich über nicht verausgabte 1,3 Milliarden Eurofreuen, aber wir als Verteidigungspolitiker haben uns ge-ärgert. Wir haben einfach zu viele Projekte, die schnellerrealisiert werden müssten. Weil ich eben neben dem Kol-legen Rehberg saß, möchte ich dieses kleine Beispiel an-führen: Wir benötigen dringend Ersatz für die beidenEinhüllen-Betriebsstofftransporter „Rhön“ und „Spes-sart“ der deutschen Marine.
Ich will es einmal bei diesem einen Beispiel belassen.Wir müssen die Bundeswehr noch besser, aber vor al-lem schneller ausrüsten. Darüber hinaus gilt es, Kern-kompetenzen in der wehrtechnischen Industrie zu erhal-ten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregie-rung musste im Verteidigungsbereich Fehler korrigieren,Fehler, die teils vor vielen Jahren gemacht wurden, unsaber bis in die heutige Zeit verfolgen. Es wurden in derVergangenheit in zu großer Stückzahl Großgeräte be-stellt, die wir entweder so nicht mehr benötigen oder diedie Teilstreitkräfte in der heutigen Stärke nicht mehr be-treiben können. Die Reduzierung bei der Beschaffungdes Eurofighters, aber auch der sogenannte Global Dealbei der Reduzierung der Hubschrauber Tiger und NH90werden uns leider noch eine Weile beschäftigen.Um den berechtigten Wunsch der Parlamentarier nachmehr Transparenz zu erfüllen, haben bereits Thomas deMaizière und genauso entschlossen die Verteidigungs-ministerin Frau von der Leyen das sogenannte Rüstungs-board eingeführt. Damit wird uns Parlamentariern dienotwendige Transparenz geliefert.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die im Re-gierungsentwurf des Bundeshaushalts 2014 und im47. Finanzplan bis 2017 enthaltenen Ansätze stellen einetragfähige Grundlage dar, um die Neuausrichtung derBundeswehr fortzusetzen und eine angemessene undverantwortungsvolle Sicherheitspolitik für unser Landsicherzustellen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Karin Evers-Meyer, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Verteidigungsministerin! Wenn wir heute über denWehretat sprechen, dann sprechen wir nicht nur über fast33 Milliarden Euro Haushaltsgelder. Wir sprechen vorallem über mehr als 180 000 Soldatinnen und Soldatenund über mehr als 60 000 zivile Beschäftigte. Wir spre-chen auch über rund 4 800 Soldatinnen und Soldaten imEinsatz.Ein Großteil davon ist immer noch in Afghanistanstationiert. Als langjährige Verteidigungspolitikerinkann ich sagen: Ich bin erfreut über ein absehbares Endeder gefährlichen Afghanistan-Mission.Ich möchte vorweg einen herzlichen Dank an all dieBundeswehrangehörigen senden, die für unser Land ein-stehen, egal wo auf unserer Erde und egal in welcherFunktion. Sie sind alle ein unverzichtbarer Bestandteilunserer Gesellschaft und auch unserer heutigen Politik.
Dafür müssen und sollen die Soldatinnen und Solda-ten auch bestmöglich ausgebildet, ausgerüstet, unterge-bracht und versorgt werden. Das versteht sich eigentlichvon selbst. Unter diesem Gesichtspunkt diskutieren wirheute den Einzelplan 14, liebe Kolleginnen und Kolle-gen.Ich möchte in aller Kürze auf die aus meiner Sichtvier entscheidenden Bereiche eingehen.Der erste Bereich ist die Attraktivität des Berufes. DieBundeswehr ist – das wurde heute schon oft gesagt – ei-ner der größten Arbeitgeber unseres Landes. Ministerinvon der Leyen hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieBundeswehr zu einem der modernsten und attraktivstenArbeitgeber zu machen. Das können wir rundherum nurbegrüßen. Für mich gehören vor allem die Vereinbarkeitvon Beruf und Familie und endlich auch eine moderneDienstzeitregelung dazu. Ich bin sehr gespannt auf diepraktische Umsetzung und die finanzielle Ausgestal-tung; denn das alles muss haushalterisch geordnet wer-den.Der zweite Bereich ist das Beschaffungswesen. DieVergangenheit hat gezeigt, dass die Entscheidungswegewesentlich schneller und transparenter werden müssen.Frau Ministerin, Sie haben entschieden, dazu eine ex-terne Beratungsagentur hinzuzuziehen. Ich verstehe die-sen Ansatz. Aber die Zeit drängt auch. Wir benötigenbald belastbare Ergebnisse und endlich auch eine effi-ziente Entwicklung und Beschaffung der Ausrüstung fürunsere Bundeswehr. Die vergangenen Monate haben lei-der gezeigt, wie akut das ist. Der Haushaltsausschusswird da natürlich ganz besonders hinsehen.
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Karin Evers-Meyer
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Der dritte Bereich ist die Neuordnung des Bundesver-teidigungsministeriums. Nicht zuletzt aufgrund der feh-lenden Effizienz wurden die ersten personellen Anpassun-gen im Verteidigungsministerium bereits vorgenommen.Doch diese sollten ausdrücklich nur vorübergehend sein.
Bei der Auswahl des Spitzenpersonals sowie beim Lei-tungscontrolling stehen wichtige Entscheidungen an, diedie Modernität der Bundeswehr in den nächsten Jahrenentscheidend beeinflussen werden.Zum Schluss: die Internationalität. So schwierig dielangfristige Planung beim Militär auch ist, so sehr kannman dabei aber auch auf Synergieeffekte setzen. Wir allewissen: Deutsche Verteidigungspolitik kann niemals nurnational betrachtet werden. Seit vielen Jahrzehnten sindwir in stabilen und bewährten Systemen verankert.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das soll nichtnur so bleiben; wir sollten uns bei der Schließung der so-genannten Fähigkeitslücken, sei es im Bereich der Be-schaffung, der Ausrüstung oder der Ausbildung, ver-mehrt auf die internationale Kooperation stützen.Insgesamt halten wir das Festhalten an der Neuaus-richtung aus all diesen Gründen im Grundsatz für abso-lut richtig. Aber wir müssen natürlich aufpassen, dasswir die Betroffenen dabei nicht überbeanspruchen. AmMarinestützpunkt Wilhelmshaven in meinem Wahl-kreis, dem größten Bundeswehrstandort, habe ich michselbst davon überzeugt, wie angespannt die Lage zumTeil ist. Die Neuausrichtung muss deshalb schnellstmög-lich zu einem spürbaren Erfolg geführt werden. Die Sol-daten und die Zivilangestellten sowie ihre Angehörigenund auch ich selbst, wir sind sehr gespannt, wie Sie, FrauMinisterin, diese Herausforderungen angehen werdenund wie Sie sie vor allen Dingen auch haushalterischverantwortungsvoll umsetzen.Im Haushaltsausschuss werden wir all dies aufmerk-sam und kritisch verfolgen. Ich bedanke mich in diesemZusammenhang ganz ausdrücklich bei meinem KollegenBarthl Kalb für die gute Zusammenarbeit.
Wir alle sind gern bereit, im Sinne einer modernen Bun-deswehr und im Sinne unserer Soldatinnen und Soldatenund der zivilen Angestellten unseren Beitrag zu leisten.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Bartholomäus Kalb, CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben es vorhin wieder praktiziert: DieBundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Als Parlamentmüssen wir zu allem stehen, was die Bundeswehr macht.Wir müssen entscheiden, wir müssen abwägen, Argu-mente austauschen. Aber dann haben die Kräfte, die wirin den Einsatz schicken, ein Recht darauf, klar zu wis-sen, dass das Parlament hinter unseren Streitkräften, hin-ter unseren Soldatinnen und Soldaten steht.
Das bedeutet auf der anderen Seite, dass wir uns dieEntscheidungen, die wir zu treffen haben, insbesonderedann, wenn es um Kampfeinsätze geht, nicht leicht ma-chen; ich glaube, das gilt für alle hier im Hause. Ich habein den vergangenen Jahren erlebt, dass viele Kolleginnenund Kollegen oft tagelang darum gerungen haben, wiesie sich verhalten. Ich denke, hier kommt unser Verant-wortungsbewusstsein zum Ausdruck.Wenn wir auf der einen Seite diese Einsätze erwartenund beschließen, dann müssen wir natürlich auf deranderen Seite für eine dauerhafte Einsatzfähigkeit derBundeswehr sorgen und diese über eine entsprechendeAusstattung mit angemessenen Haushaltsmitteln sicher-stellen. Die Bundeswehr schützt Deutschland und seineBürgerinnen und Bürger, sichert die außenpolitischeHandlungsfähigkeit Deutschlands, trägt zur Verteidi-gung der Verbündeten bei, leistet einen Beitrag zu Stabi-lität und Partnerschaft im internationalen Rahmen undfördert die multinationale Zusammenarbeit und die euro-päische Integration. Die Bundeswehr trägt aber auch zurinternationalen Konflikt- und Krisenbewältigung undzum Kampf gegen den Terrorismus bei, wie wir anhandvieler Beispiele darstellen könnten. Sie leistet zudem ei-nen wichtigen Beitrag zum Heimatschutz bei Unglücks-fällen und Naturkatastrophen und natürlich auch huma-nitäre Hilfe im Ausland.Der Dienst bei der Bundeswehr ist nicht leicht; häufigist er mit großen Gefahren verbunden. Deswegen genie-ßen alle Angehörigen der Bundeswehr, auch die zivilenMitarbeiter, unsere hohe Wertschätzung. Ich darf michdem Dank, den meine Kollegin Karin Evers-Meyer vor-hin ausgesprochen hat, ausdrücklich anschließen.Die Erhöhung der Einsatzfähigkeit und die sich wan-delnden Rahmenbedingungen erfordern eine Neuaus-richtung der Bundeswehr, damit sie einsatzorientiert undzukunftsfähig operieren kann. Deutschland benötigt ein-satzbereite und einsatzfähige Streitkräfte, die den inter-nationalen Anforderungen und ihrem Stellenwert ge-recht werden können. Stichworte sind: gute Ausbildung,gute Führung, breite Fähigkeiten, gute funktionale Aus-rüstung; das sind die wesentlichen Elemente, die man indiesem Zusammenhang aufzählen muss.Reformprozesse sind aufwendig und komplex, und je-der weiß, dass Reformen zunächst einmal Geld kosten– ich unterdrücke jetzt Bemerkungen zu früheren Vertei-digungsministern –, bevor sie Früchte tragen. Dennochstehen den wachsenden und anspruchsvolleren Aufga-ben und Anforderungen immer begrenzte Haushaltsmit-tel, auch für Personal, gegenüber.Der Einzelplan 14 – Verteidigung – ist mit in etwa32,8 Milliarden Euro der zweitgrößte Etat im Bundes-
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Bartholomäus Kalb
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haushalt. Die Veränderungen gegenüber dem Vorjahr lie-gen bei minus 0,4 Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2017sinkt der Verteidigungshaushalt plangemäß noch weiterab. Maßgeblich hierfür ist unter anderem – das wurdebereits angesprochen – die Reduzierung des Personal-umfangs im Rahmen der Neuausrichtung der Bundes-wehr. Wir haben eine Zielgröße von 170 000 Berufs- undZeitsoldaten, 12 500 Freiwilligendienstleistenden und2 500 Reservisten, die herangezogen werden sollen.Auch das Zivilpersonal soll auf 55 000 Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter reduziert werden.Die für das Haushaltsjahr 2014 veranschlagten Aus-gaben zur Unterstützung des Abbaus von zivilem Perso-nal – sie sind im Einzelplan 60 ausgewiesen – werdenvereinbarungsgemäß reduziert. Sie stehen 2016, 2017und 2018 aber wieder zur Verfügung, damit der Zulaufbei Waffensystemen, der sich verzögert hat, durch dieBereitstellung adäquater Mittel hoffentlich wieder erfol-gen kann.Das Verteidigungsministerium trägt für die weiterenEinsparungen das Erwirtschaftungsrisiko im Haushalts-vollzug. Durch die beabsichtigte Verlagerung des Ab-senkungsbetrages, wie ich es gerade dargestellt habe,kommt es zu keinem Substanzverlust. Wir können zumTeil deswegen reduzieren, weil der Afghanistan-Einsatzdem Ende zugeht – mit Ausnahme der verbleibendenMissionen, die dort noch zu erfüllen sind –, sodass fürdiese Maßnahme weniger Mittel angesetzt werden müs-sen. Wir haben auch Vorsorge dafür getroffen, dass dieAusgaben für ziviles Überhangpersonal finanziell ent-sprechend abgesichert sind.Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr geht auchein Personalabbau einher, der sozialverträglich umzuset-zen ist. Aber zu diesem Personalabbau muss es gleich-zeitig auch einen Personalaufbau geben – Frau Ministe-rin und Herr Arnold haben das sehr eindrucksvolldargelegt –, damit wir keine Lücken bei der Abfolge derGenerationen bzw. der Alterskohorten bekommen.Gleichzeitig muss man bei der Neuausrichtung derBundeswehr – das ist auch vielfach gesagt worden – dieAusgestaltung der zukünftigen Dienste und der Dienst-zeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowieeinsatzgerechte Ausrüstung und Ausstattung im Blickbehalten. Ich sage ganz vorsichtig: Ich glaube, dass vieleAngehörige der Bundeswehr und auch sonstige Betrof-fene erwarten, dass wir keine „Reformitis“ betreiben,sondern dass wir die beschlossenen Vorhaben zu Endebringen. Darauf müssen sich die Menschen verlassenkönnen.
In Bezug auf die Ausrüstung ist bekannt, dass die Be-schaffungsprozesse der Bundeswehr nicht so ohne Wei-teres umzusetzen sind. Ich habe bereits angesprochen,dass es oft zu Verzögerungen bei den großen Systemenkommt: NH90, Tiger, Eurofighter, Puma und A400M.Man sieht, hier gibt es viel zu tun.Die Stückzahlreduzierung wurde angesprochen, diemit dem Begriff „Global Deal“ bezeichnet wird. Auchhier werden ernsthafte und intensive Verhandlungen zuführen sein. Wir als Haushälter müssen immer zusehen,dass wir dem Ziel der Haushaltskonsolidierung gerechtwerden. Ich meine, der Verteidigungsetat leistet dazuseinen Beitrag.Da mich der Kollege Lindner gerade so freundlich an-schaut, will ich sagen – anknüpfend an das, was der Kol-lege Hellmich vorhin gesagt hat –: Wir werden nicht vondem Interesse der Aktionäre von Rüstungsunternehmengeleitet. Aber das Anliegen der Beschäftigten in diesenBetrieben darf durchaus an uns herangetragen werden.
Hintergrund ist nicht, dass wir nur die Menschen be-schäftigen wollen. Vielmehr wissen wir aufgrund jüngs-ter Vorgänge, dass wir in vielen Bereichen – im Übrigennicht nur im Bereich der Bundeswehr – schon heute Fä-higkeitslücken haben, die es zu schließen gilt. Wir tungut daran, nicht in allen Bereichen – damit meine ichauch ganz andere, nicht unser Ressort betreffende Berei-che – ausschließlich vom Ausland und den großen Play-ern dieser Welt abhängig zu sein. Deswegen nehmen wirauch diese Aufgabe besonders ernst.
Erlauben Sie mir bitte noch zwei kurze Anmerkun-gen. Auch die Sicherung unseres Wohlstandes hängt da-mit zusammen, was unsere Bundeswehr im In- und Aus-land zu leisten vermag. Ein Beispiel: Für die Herstellungeines Autos werden 70 verschiedene Rohstoffe benötigt,die meistens auf dem Seeweg nach Deutschland kom-men. Auch die Sicherung dieser langen Transportwegeist eine legitime Aufgabe der Bundeswehr.Da ich aus einem Wahlkreis komme, der im letztenJahr sehr vom Hochwasser heimgesucht worden ist, unddies meine erste Rede zum Verteidigungsbereich ist,möchte ich zum Schluss die Gelegenheit nutzen, denAngehörigen der Bundeswehr zu danken. Einige von ih-nen standen damals ganz kurz vor einem Afghanistan-Einsatz. Meine Heimatregion, Deggendorf/Fischerdorf,ist den meisten durch diese Katastrophe bekannt gewor-den. Betroffen waren aber auch Passau, Natternberg,Niederalteich und andere Hochwassergebiete. Ichmöchte einfach diese Gelegenheit nutzen, mich ganzherzlich für den Einsatz zu bedanken. Es war großartig,was die Angehörigen der Bundeswehr im Verbund mitdem THW, den Feuerwehren und den übrigen Rettungs-und Katastrophendiensten geleistet haben. HerzlichenDank!
Frau Kollegin Karin Evers-Meyer, lieber KollegeLindner und lieber Kollege Leutert, wir werden gemein-sam, auch wenn wir in unseren Reden heute unterschied-liche Tonalitäten an den Tag legen mussten, mit großerSorgfalt den Einzelplan 14 beraten und ihn dann hier zurEndabstimmung stellen.Herzlichen Dank.
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Vielen Dank. – Weitere Wortmeldungen zu diesemEinzelplan liegen nicht vor.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung, Einzelplan 23.Das Wort hat jetzt für die Bundesregierung der Bun-desminister Dr. Müller.
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung:Frau Präsidentin, es ist mir eine besondere Freude!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Entwicklungs-politik hat unter dieser Regierung, unter der RegierungMerkel, einen besonders hohen Stellenwert. Wir legenmit der beschlossenen Steigerung heute den höchstenEtat in der Geschichte des BMZ vor.Mein Vorgänger hat mir eine ODA-Quote von0,37 Prozent hinterlassen, mit abfallenden Finanzie-rungsansätzen für 2015 bis 2017. Die Haushaltspolitikerwissen dies genau. Diese Delle – manche nennen sie dieNiebel-Delle – gleichen wir aus und setzen erheblicheMittel obendrauf.Außerdem steigen die Verpflichtungsermächtigungenum 2,7 Milliarden Euro auf 7,55 Milliarden Euro.Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen, die inden Koalitionsverhandlungen dazu beigetragen haben,aber insbesondere bei den Haushältern herzlich dafür be-danken, dass wir dieses Ergebnis erzielen konnten. Ichhoffe, dass wir das in den Haushaltsberatungen bis zurzweiten Lesung umsetzen können. Danke schön!
Die Entwicklungszusammenarbeit ist erfolgreich,wirksam und effizient. Wir arbeiten heute in der Welt mit70 Ländern zusammen. Ich möchte mich an dieser Stelleauch ganz herzlich bei all unseren Expertinnen und Ex-perten weltweit bedanken, denen ich zum Teil begegnetbin: von der GIZ, von UNICEF, von der Welthunger-hilfe, den Kirchen, dem Roten Kreuz und den privatenOrganisationen, von den Hunderten, ja Tausenden Orga-nisationen der Zivilgesellschaft, die ein breites Spektrumabdecken. Vielen herzlichen Dank allen, die in der Weltgroßartige Arbeit leisten.
Ich sage Ihnen: Diese Menschen freuen sich, dass wir fürunsere Arbeit im Wesentlichen die Unterstützung allerParteien im Bundestag haben.Die Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen,und Entwicklungspolitik heute ist eine Investition in dieZukunft, den Frieden, Herr Verteidigungsstaatssekretär,und das Leben. Allein 25 000 Kinderherzen haben heuteaufgehört zu schlagen, weil diese Kinder nichts zu Essenhatten, keine Medikamente bekommen haben, nicht ge-impft wurden oder kein sauberes Trinkwasser hatten. Füruns ist dies alles unvorstellbar. Ich will Ihnen, liebe Zu-schauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne, die Sie ge-rade Ihre Frühjahrsdiät in der Fastenzeit machen, um IhrÜbergewicht zu verlieren, jetzt kein schlechtes Gewisseneinreden, aber es stellt sich schon die Frage, warum wir,die 20 Prozent der Menschheit auf der Sonnenseite desLebens, unter anderem hier in Europa und in Deutsch-land, uns herausnehmen, 80 Prozent des Wohlstandes,des Besitzes und der Ressourcen für uns zu beanspru-chen. Dies müssen wir hinterfragen.
25 000 Kinderherzen haben heute aufgehört, zu schla-gen, aber 250 000 Menschen sind heute neu auf derWelt. Es gibt pro Jahr 80 Millionen Menschen mehr.Man kann diese Zahlen kaum fassen. Die BevölkerungAfrikas wird sich in den nächsten 50 Jahren verdoppeln.Die Bevölkerungszahlen in Europa stagnieren. Manchesagen, wir vergreisen. Die Bevölkerung in Asien wächstauf 4 bis 5 Milliarden auf. Dies bringt gewaltige Heraus-forderungen mit sich: 30 Prozent mehr Wasser, 40 Pro-zent mehr Energie und 50 Prozent mehr Nahrung bis2030. Aber ich sage Ihnen: Diese Herausforderungensind mit der Entwicklungspolitik, mit der Entwicklungs-zusammenarbeit zu lösen. Wir machen uns an die Arbeit.Dabei muss Nachhaltigkeit unser Prinzip aller Ent-wicklungen sein. Ökonomisch muss das Ziel die Ent-kopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenver-brauch sein. Ich habe heute ein aktuelles Bild aus Pekingvon meinem Sohn bekommen, der gerade dort ist. DieSicht dort beträgt unter 10 Meter. Ich könnte meinenStaatssekretär Fuchtel, der in den Reihen der CDU/CSUsitzt, trotz aller Mächtigkeit und aller Breite nicht sehen,ohne Scheinwerfer einzuschalten.
Das ist heute die Smogsituation in Peking, und das hatnatürlich gewaltige Auswirkungen auf unser Klima welt-weit. Deshalb sage ich: Wir benötigen weltweit verbind-liche ökologische und soziale Standards.Ich habe vergangene Woche das Thema Textilwirt-schaft angesprochen. Wir setzen hier ein wichtigesSignal. Ich lade die deutsche Textilwirtschaft ein – ichhoffe, dies wird gelingen –, mit Blick auf den Jahrestagdes Fabrikeinsturzes in Bangladesch mit uns ein Textil-siegel umzusetzen, das ökologische und soziale Stan-dards auch für die Näherinnen in Vietnam und in Bang-ladesch setzt.
Ich möchte auch auf Folgendes hinweisen: Dazu ge-hört auch die weltweite Durchsetzung des Verursacher-prinzips und der Wahrheit über die tatsächlichen ökolo-gischen Kosten des Transports. Wir können darüberdiskutieren, wie wir das in der Zukunftscharta konkretumsetzen. Der unbegrenzte Freihandel, der für viele die
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Bundesminister Dr. Gerd Müller
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Vision ist, ist nicht unsere Vision. Der Markt brauchtGrenzen und Regeln.
Ich knüpfe an das an, was die Enquete-Kommission desDeutschen Bundestages vor Jahren erarbeitet hat: Wirbrauchen die Standards einer ökologisch-sozialenMarktwirtschaft, und diese gilt es weltweit, bei derWTO, dem IWF, bei der Weltbank, bei der ILO, aberauch im Freihandelsabkommen mit den USA, zu veran-kern.
Unsere Entwicklungspolitik ist wertegebunden. Dasheißt, jeder Mensch hat das unteilbare Recht auf Leben,auf Würde, auf Nahrung, auf Wasser und auf die Einhal-tung grundlegender Grundrechte. Wir können und wer-den helfen, bestehende Probleme zu lösen. Die Entwick-lungszusammenarbeit und -politik ist erfolgreich. DieMenschen fragen uns aber: Liebe Haushälter, haben eureAusgaben einen Sinn? Ich bin nun 120 Tage im Amt,und überall werde ich gefragt: Du bringst Millionen nachMali oder in den Südsudan, zum Beispiel in ein Flücht-lingscamp. Hat das denn einen Sinn? Wie wirkt sich dasaus? – Wir müssen den Menschen vermitteln, dass esSinn macht und wir erfolgreich sind.Ich möchte ein paar Zahlen zum Thema Hunger nen-nen. Trotz der täglich wachsenden Bevölkerung hat sichdas Vorkommen von Armut und Hunger statistisch gese-hen seit 1990 halbiert. Das ist schon ein großartiger Er-folg der Entwicklungszusammenarbeit weltweit.
Ich komme zum Thema Gesundheit, Seuchen undKrankheiten. Seit 1990 hat sich die Mutter-Kind-Sterb-lichkeit weltweit um 50 Prozent reduziert. Die HIV-Quote hat sich um 22 Prozent verringert. Die Polio-Quote liegt praktisch bei null. Die Anzahl der Malaria-Erkrankungen, insbesondere in Afrika, hat sich um25 Prozent verringert. Das ist alles eine Folge großerAnstrengungen. An dieser Stelle möchte ich natürlichdie großen Impfaktionen und -kampagnen nennen. Des-halb, verehrte Haushälter, bitten wir um Unterstützung:Wir wollen und werden den Globalen Fonds, denGFATM, verstärken.
Sie haben vorgeschlagen, dass zusätzliche Mittel inHöhe von 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wer-den. Wir haben für die nächsten drei Jahre eine entspre-chende Zusage gegeben. Frau Kofler, Sie haben dasstark unterstützt. Ich glaube, das Geld kommt genau daan, wo es notwendig ist – bei den Menschen und insbe-sondere den Kindern.
Wir werden den GAVI-Fonds für Spezialisten weiterausbauen, wenn die Haushälter das akzeptieren. Wirwerden aber auch die bilaterale Bereitstellung von Mit-teln für Impfaktionen weiter erhöhen.Kommen wir zum Thema Kriege, Bürgerkriege undKonflikte. Wir haben soeben den Verteidigungshaushaltdiskutiert. Wenn man nach Afrika schaut, sieht es so aus,als wenn nur gekämpft würde und es nur Kriege, Kon-flikte und Katastrophen gäbe. Dies ist aber nicht der Fall.Seit 1990 hat sich die Anzahl der Toten durch Kriegeund Bürgerkriege von 200 000 auf 50 000 im Jahr redu-ziert. Diese Zahlen sind natürlich nach wie vor schreck-lich. Sie sehen aber, dass sich in der Welt und insbeson-dere in Afrika einiges bessert.Die Koalition hat sofort gehandelt. Wir haben auchsofort Schwerpunkte gesetzt. Wir investieren 160 Mil-lionen Euro in die drei Sonderinitiativen „Eine Weltohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlingereintegrieren“ und „Stabilisierung in Nordafrika unddem Nahen Osten“ sowie in den Klimaschutz.Entwicklungszusammenarbeit leistet Friedens- undVersöhnungsarbeit. Wir stärken die Konfliktprävention.Deshalb unterstützen wir auch die Arbeit der Afrikani-schen Union in genau diesem Bereich. Wir fördern denReligionsdialog. Wir entwickeln in unseren Partnerlän-dern Rechtskultur und unterstützen den Aufbau vonRechtsstaatlichkeit. Wir schützen Kinder, Frauen undMenschenrechte. Erstmals setzen wir mit einer Sonder-initiative zur Beseitigung des Flüchtlingselends einen ei-genen Schwerpunkt.Frau Roth, Sie haben einige Camps besucht.
Wir müssen uns der Frage der Reintegration dieser Men-schen stellen. Wer soll und wird diese Arbeit leisten?Unsere Finanztitel sind dazu nicht ausreichend. Wirmüssen hierzu eine Zukunftsstrategie entwickeln.
Ich war mit einigen von Ihnen zu Besuch in denCamps im Südsudan, an der syrischen Grenze und in derZentralafrikanischen Republik. Man schaut in den Him-mel, wenn man leuchtende Kinderaugen sieht, aber manschaut in die Hölle, wenn man das Elend sieht, in denendiese Kinder leben müssen. Sie haben dennoch Hoff-nung auf ein besseres Leben und auf eine bessere Zu-kunft. Dabei bauen diese Menschen insbesondere aufuns. Wir werden sie nicht vergessen. Mein Respekt undDank gilt allen, die zwischen den Fronten kämpfen undhelfen.Ich möchte noch einmal Syrien ansprechen. Die Men-schen dort befinden sich in einer besonders dramatischenLage. Das humanitäre Völkerrecht muss gelten. Wirbrauchen einen weltweiten Aufschrei. Eine Rettungsak-tion für das syrische Volk muss eingeleitet werden. Hierspielt sich vor unseren Augen die größte humanitäre Ka-tastrophe seit Jahrzehnten ab.
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Bundesminister Dr. Gerd Müller
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Das darf und kann nicht sein. Wir sprechen hier nichtwie beim Südsudan oder bei der ZentralafrikanischenRepublik von 1 000 oder 2 000 Toten, wir sprechen hiervon 120 000 oder 140 000 Toten. Assad muss seineGrenzen für humanitäre Hilfe öffnen. Die Welt darf sichnicht mit dem heute diskutierten Abzug von Chemiewaf-fen zufriedengeben. Wir haben dazu einen begleitendenMilitäreinsatz beschlossen – das unterstützen wir –; aberwo bleibt ein Beschluss der Weltgemeinschaft und auchEuropas zu humanitärer Hilfe für 10 Millionen flüch-tende, sterbende, hungernde Syrer?
An dieser Stelle wird sehr deutlich: Weder im Südsu-dan noch in der Zentralafrikanischen Republik ist einmilitärisches Mandat ausreichend. Ein militärischesMandat muss eingebettet sein in einen ganzheitlichenProzess. Wir brauchen einen ganzheitlichen, vernetztenAnsatz. Vernetzte Entwicklungspolitik heißt für mich:humanitäre Hilfe, Stabilität, technischer Wiederaufbau,staatliche Strukturen. Ich sage an dieser Stelle: Militärallein schafft noch keine Lebensperspektive. Deshalbmuss für alle zukünftigen Mandate die Gleichwertigkeitzwischen den zivilen – der Entwicklungszusammenar-beit – und den militärischen Komponenten gelten.
Die Entwicklungszusammenarbeit ist immer umfas-send gefordert; das zeigt das Beispiel Afghanistan. Ichbin mit Blick auf Afghanistan optimistisch; aber ich sagehier auch in der Haushaltsdebatte: Im Haushalt 2015müssen wir die Mittel für Afghanistan verstärken. Mit230 Millionen Euro für die EZ sind die Aufgaben, dieauf uns zukommen, nicht zu lösen.
Meine Botschaft an dieser Stelle ist nicht Resignation,sondern Aufbruch, neues Denken und Mut, Investitionenin Zukunft, Frieden und das Leben. Meine Überzeugungist: Heute, im 21. Jahrhundert, könnten und können wirdie Probleme lösen, wenn wir mutig anpacken. Der Pla-net schenkt uns die Lebensgrundlagen wie Wasser, Bo-den, Sauerstoff, Ressourcen für 10 Milliarden Men-schen; das sagen alle Wissenschaftler. Warum müssendann täglich 25 000 Kinder verhungern? Warum liefernwir nicht unser Wissen, Technik, Innovation? Die Wis-senschaft stellt uns das Wissen bereit. Zusammen mit an-gewandter Technik können wir heute Lösungen verwirk-lichen.Ich möchte am Schluss darauf hinweisen: Ich habeam 1. April zusammen mit vielen von Ihnen den Prozesszur Entwicklung einer gemeinsamen Zukunftscharta„EINEWELT – Unsere Verantwortung“ gestartet. Wir la-den die Zivilgesellschaft – alle Schüler, Schülerinnen,Jugendgruppen, jeden, der mitmachen will – zu einemOnlinedialog ein. Entwicklungszusammenarbeit istspannend und geht alle an. Wir laden Sie ein, mitzuma-chen, 2014 mit uns die Weichen zu stellen für 2015 unddie Zukunft. Meine lieben Schülerinnen und Schüler aufder Tribüne, vielleicht schicken Sie uns morgen direkteine Mail, bringen Ihre Ideen ein. 2015 werden wir einneues Klimaabkommen verabschieden, die G-7- oderG-8-Präsidentschaft in Deutschland haben, die Fort-schreibung der Millenniumsziele hier diskutieren undverabschieden. Dazu brauchen wir Ihre Unterstützung,einen breiten gesellschaftlichen Dialog, zu dem wir Sieeinladen. Gemeinsam sind wir stark. Gemeinsam werdenwir erfolgreich sein. Das Parlament hat das letzte Wortbeim Haushalt. Herzlichen Dank an alle Haushälter undKolleginnen und Kollegen für die freundschaftliche undpartnerschaftliche Zusammenarbeit!Danke schön.
Vielen Dank, Herr Minister. – Für die Fraktion Die
Linke erhält jetzt das Wort Michael Leutert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Minister! Das Bundesministerium fürwirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung willdieses Jahr knapp 6,5 Milliarden Euro für Entwicklungs-hilfe ausgeben. Sie haben es selber angesprochen: Dasist ganz klar zu wenig. Deutschland hat sich internatio-nal verpflichtet – dazu standen alle Bundesregierungen,egal ob Rot-Grün oder Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb –,bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts für die Entwicklungspolitik zur Verfügung zu stel-len. Das wären aktuell 19 Milliarden Euro. Hier gibt esalso eine Lücke, die geschlossen werden muss, und zwarbis zum nächsten Jahr, also im Haushalt 2015. Michwürde interessieren, wie Sie das bis zum nächsten Jahrbewerkstelligen wollen.Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, ichglaube, die Glaubwürdigkeit Deutschlands wird nichtam militärischen Engagement Deutschlands oder an derÜbernahme von mehr Verantwortung auf internationalerEbene gemessen, sondern entscheidend für unsereGlaubwürdigkeit wird sein, ob wir Zusagen – insbeson-dere diese Zusage – einhalten werden.
Herr Minister, in Bezug auf die inhaltliche Ausrich-tung der Entwicklungshilfe sind wir uns, glaube ich, alleeinig. Sie haben gerade von der Zukunftscharta „EINE-WELT – Unsere Verantwortung“ gesprochen, und in Ih-rer Auftaktrede zur Eröffnung der Diskussion darübersagten Sie – Sie haben das gerade auch selbst erwähnt;ich möchte es aber gerne noch einmal zitieren –:
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2410 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Michael Leutert
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Wir müssen die Globalisierung so gestalten, dasssie den Menschen dient. Markt braucht Regeln undMacht braucht Grenzen. Nachhaltigkeit muss dasPrinzip aller Entwicklung, ja, allen Tuns sein.Das könnte in unserem Parteiprogramm stehen undkann ich unterschreiben. Ich glaube, hier werden wir unseinig.
– Ja, das bleibt richtig.Auch an den Zielen gibt es nichts zu kritisieren: ers-tens weltweite Armut bekämpfen, zweitens Frieden si-chern und Demokratie verwirklichen, drittens Globali-sierung gerecht gestalten und viertens Umwelt schützen.All diese Ziele teilt die Linke, und wir unterstützen dasBMZ dabei, mit dem nicht ausreichenden Geld die Pro-jekte zu finanzieren, mit denen diese Ziele verwirklichtwerden können.Allerdings wissen auch Sie – zumindest konnte ichdas einem Interview auf Zeit Online vom 23. Januar2014 entnehmen –: „Mehr Geld allein bringt aber auchnichts“. Das Geld muss natürlich auch wirksam einge-setzt werden. Ich möchte noch einen Schritt weitergehenund sagen: Es darf auch von anderer Stelle kein Geldeingesetzt werden, mit welchem die gesetzten Ziele wie-derum untergraben werden.Ich möchte hier – das habe ich heute schon einmal ge-macht; die Haushälter freuen sich über so etwas immer –wiederum einen Vorschlag einbringen, der in der Ent-wicklungshilfe viel bewirken könnte und gar kein Geldkosten würde. Ich spreche von der Unterbindung vonWaffenexporten, und zwar von ganz bestimmten Waffen.Es ist bekannt, dass Deutschland Waffen in alle mög-lichen Länder exportiert. Dabei spielt es derzeit leiderkeine Rolle, ob es demokratische Länder oder Ländermit menschenverachtenden Regimen sind. Wir lieferngenauso selbstverständlich nach Spanien wie nach Katar,Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.Leider werden deutsche Waffen auch in Konfliktregio-nen geliefert: Indien und Pakistan stehen genauso selbst-verständlich auf der Exportliste wie die Zentralafrikani-sche Republik und Nigeria.Sie, Herr Minister – das ist jetzt die Klammer zu Ih-rem Ministerium –, sind Mitglied des Bundessicherheits-rates, der über Waffenexporte entscheiden kann, und derverantwortliche Wirtschaftsminister ist der SPD-Vorsit-zende Gabriel. Ich glaube, Sie können sich sehr schnelleinig werden, diese Situation dort zu verändern. Daswürden wir zumindest sehr begrüßen. Wie gesagt: Daswürde kein Geld kosten.
Das Problem ist ja, dass diese Handfeuerwaffen ausdeutscher Produktion – es geht hier hauptsächlich umKleinwaffen – immer wieder in Krisengebieten auftau-chen. Das ist im Übrigen nicht nur ein Kritikpunkt derLinken, sondern das wurde auch von den Kirchen inDeutschland immer wieder ganz deutlich kritisiert.Allein 2012 hat die Bundesregierung die Ausfuhr von67 000 kleinen und leichten Waffen genehmigt. Das Sturm-gewehr G36 – die Standardwaffe der Bundeswehr – tauchtin Konfliktgebieten auf, zum Beispiel in Libyen, Georgienund zuletzt auch in Mexiko, wo es auch eine quasi militäri-sche Auseinandersetzung gibt, nämlich einen Drogen-krieg mit über 70 000 Toten.
– Ja, jetzt komme ich zum Einzelplan 23, sehr verehrteKollegin.
Mexiko ist nämlich Zielland deutscher Entwicklungs-hilfe.Ich meine: Das passt nicht zusammen. Auf der einenSeite leisten wir Entwicklungshilfe für diese Länder, undauf der anderen Seite gibt es Unternehmen bei uns imLand – zum Beispiel Heckler & Koch –, die mit ihrenWaffenlieferungen die Gerüste, die wir durch unsereEntwicklungshilfe aufbauen, wieder einreißen. Das istnicht der richtige Weg; das muss und kann geändert wer-den.
Das Problem an diesen Gewehren ist, dass sie relativpreiswert sind – ein neues Modell kostet 1 700 Euro –,und sie sind leicht zu bedienen und sehr leicht zu heben;das G36 wiegt nämlich nur 3,5 Kilogramm. Das könnenKinder hochheben, und genau das passiert auch in denKonfliktgebieten.Es sterben nicht nur 25 000 Kinder jeden Tag wegenHungers, sondern weltweit sind auch 250 000 Kinder alsKindersoldaten im Einsatz, leider eben auch in Ländern– es gibt zum Beispiel auf den Philippinen und in IndienKindersoldaten –, die sowohl Zielländer für unsere Ent-wicklungshilfe als auch Zielländer für Waffenexporte – eswerden unter anderem Kleinwaffen dorthin geliefert – sind.Es gibt im Haushalt des Einzelplans 23 den Titel – dasist eine Sonderinitiative – „Fluchtursachen bekämpfen“.Dafür werden 170 Millionen Euro eingestellt, 100 Mil-lionen Euro davon sind Verpflichtungsermächtigungen.Eine Fluchtursache – das ist ganz klar – sind bewaffneteKonflikte. Das Geld allein wird nicht ausreichen, umdiese Fluchtursachen zu minimieren.Also fordere ich Sie hier noch einmal auf: Helfen Siemit, Herr Minister, die Exporte von Handfeuerwaffen inKonfliktregionen zu unterbinden. Damit kommen wirdem selbst gesteckten Ziel der Entwicklungspolitik,nämlich der Friedenssicherung, ein großes Stück näher,und zwar ganz ohne zusätzliche Mittel. Vor allem würdeman damit Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückge-winnen. Die Unterstützung der Linken haben Sie aufdiesem Weg auf alle Fälle.
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Vielen Dank. – Frau Dr. Bärbel Kofler für die SPD ist
jetzt die nächste Rednerin.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Wer heute den ganzen Tag die Debatten zu interna-tionaler Politik verfolgt hat, kann viele Themenfelder,die der Minister angesprochen hat, nachvollziehen undsehen, vor welchen Herausforderungen wir stehen.Das Thema Friedenssicherung, Flüchtlinge und derUmgang mit ihnen ist angesprochen worden. KlassischeEntwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfungmüssen mittelbar in den Fokus gerückt werden. Wir ha-ben uns aber auch mit Fragen von zivilem Staatsaufbauzu beschäftigen. Wir haben uns mit dem Aufbau von so-zialer Sicherung und Steuersystemen zu beschäftigen.Wir stehen vor der Herkulesaufgabe, das Thema Finan-zierung des internationalen Klimaschutzes auf eine ver-nünftige Grundlage zu stellen. Wer all das sieht, mussehrlich sagen – das möchte ich an dieser Stelle betonenund unterstreichen –: Die Mittel dafür reichen nicht.
Sie reichen nicht im Etat für auswärtige Politik. Sie rei-chen nicht im Umweltetat. Sie reichen auch nicht in un-serem Etat für Entwicklungszusammenarbeit.Wenn wir ganz ehrlich sind, dann müssen wir sagen,dass wir uns in den Koalitionsverhandlungen die Sachemit der Mittelzusage von 2 Milliarden Euro ein bisschenanders gedacht haben. Wir haben diese Summe bewussteingestellt, weil wir wissen, dass es sich hierbei umwichtige Aufgaben handelt. Diese 2 Milliarden Euro ha-ben wir bewusst nicht unter Finanzierungsvorbehalt ge-stellt. Aber ich mahne an – ich bitte als Entwicklungspo-litikerin darum, dazu einen Konsens im gesamten Hauszu erreichen, über alle Fraktionen und auch über alleRessortgrenzen hinweg –, dass diese Mittel wirklich indie Hand genommen werden können und das Ganzenicht aufgrund der Niebel-Delle auf ein Nullsummen-spiel hinausläuft.
Ich finde, dafür lohnt es sich, nicht nur in den nächs-ten Monaten, sondern auch in den nächsten Jahren zukämpfen. Ich möchte an einigen Beispielen deutlich ma-chen, worum es geht. Das Thema Friedensarbeit ist an-gesprochen worden. Unser Haushalt enthält dafür sicher-lich nicht den größten finanziellen Posten, aber es findetsich eine Unterstützung für eine ganz spannende Institu-tion, den Zivilen Friedensdienst. Dieser Dienst machtgenau das, was wir heute in verschiedenen Debatten be-tont haben: Er führt Menschen zusammen, er macht Ver-söhnungsarbeit – das ist ein ganz schwieriger Prozess –,um Konflikte aufzuarbeiten und dazu beizutragen, dassKonflikte in Zukunft nicht mehr ausbrechen. Dafür ha-ben wir im Haushalt knapp 30 Millionen Euro einge-stellt. Diese 30 Millionen Euro stehen seit Jahren – ichweiß gar nicht, ob das schon im ersten Jahr dieses Etatsso war, aber schon sehr lange – so in diesem Haushalt.Am Anfang haben wir gesagt: Wir müssen schauen,ob dieses Instrument wirkt. – Jetzt haben wir es überprü-fen lassen. Dieses Instrument und seine Wirkung sindsehr gut beurteilt worden. Nur leider hat sich der Mit-telansatz in keiner Weise verändert. Wir müssen dafürkämpfen, dass genau solche Institutionen wie die des Zi-vilen Friedensdienstes und die damit verbundenen zivi-len Prozesse durch Mittel aus unserem Haushalt unter-stützt werden können.
Sehr oft redet man im Rahmen von Außenpolitik undinternationalen Zusammenhängen über die Frage einesMilitäreinsatzes; zuvor wurde der Verteidigungsetat be-raten. Aber ich glaube, den Menschen, die diese zivilenFriedensprozesse begleiten, müssen wir sowohl in unse-rem Etat als auch in dem des Auswärtigen Amtes – auchda gibt es einen spannenden Titel, ZIF, mit dem derStaatsaufbau im zivilen Bereich finanziert wird – eineganz andere Aufmerksamkeit zukommen lassen; dennEntwicklungshilfe existiert auch noch dann, wenn keineKameras auf das Elend dieser Erde gerichtet sind. Sieexistiert vor Konflikten, bei Konflikten und danach. Ge-nau deshalb müssen diese Friedensprozesse gestütztwerden.
Ein anderer Punkt, der mich beschäftigt, ist schonkurz angesprochen worden, nämlich die Klimapolitikund die Finanzierung in diesem Bereich. Wir habenletzte Woche den Weltklimabericht debattiert. Wir habendie Prognosen gesehen und wissen alle miteinander, dasswir als Industrieländer auch finanziell in Vorleistung ge-hen müssen.
Denn wir sind die Verursacher.Ich finde, als Entwicklungspolitiker muss man zudem Prinzip einer gemeinsamen, aber geteilten Verant-wortung stehen. Will heißen: Wir haben den CO2-Aus-stoß begonnen. Die Entwicklungsländer leiden unter denFolgen der Klimaveränderung. Hier müssen wir auch fi-nanziell in Vorleistung gehen und entsprechende Bei-träge leisten.
– Ich finde, da darf man klatschen, auch die Grünen.Wir können bereits dieses Jahr und auch in den nächs-ten Jahren im Haushalt einiges tun. Ich glaube, deshalbist auch die mittelfristige Finanzplanung so wichtig. Wir
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Dr. Bärbel Kofler
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müssen beim Green Climate Fund einen Pfad aufzeigen,wie wir die notwendigen Finanzierungsströme erreichenkönnen.Wir wissen, wie viel wir aufbauen müssen. Wir ken-nen die Summe, die weltweit aus öffentlichen und priva-ten Mitteln notwendig ist: 100 Milliarden US-Dollar ab2020. Wir wissen, dass wir ab nächstem Jahr einen Pfadschaffen müssen, und wir wissen auch, wofür: nämlichdafür, dass Entwicklungsländer endlich Energiepolitikhin zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft machen kön-nen und dass vor allem auch Anpassungsmaßnahmen fi-nanziert werden können, damit die Folgen des Klima-wandels und das Leiden der Menschen darunterangegangen werden können.Wenn wir das nicht tun, dann wissen wir spätestensseit Nicholas Stern, dass es für uns auch ökonomischteurer werden wird als alles andere, was wir hier an Mit-teln einsetzen können. Auch dafür brauchen wir ein ge-meinsames Handeln und ein gemeinsames Werben in al-len Ressorts um Verständnis für die Bedeutung dieserFinanzierungsaufgaben.
Es geht um die Haushaltsmittel, aber auch um Regeln.Herr Minister, Sie haben es schon angesprochen. DenSatz „Markt braucht Regeln“ finde auch ich sehr schön.Ich finde, eine Haushaltsdebatte ist eine gute Gelegen-heit, über Regeln und Standardsetzungen zu sprechen.Auch in diesem Bereich müssen wir zu einem veränder-ten Denken und zu einem anderen Handeln kommen.Die Frage, wie wir zu verbindlichen Sozial- und Um-weltstandards gelangen – ich möchte das Wort „verbind-lich“ dreimal unterstreichen –, muss uns umtreiben, undzwar nicht nur uns als Entwicklungspolitiker; denn dasbetrifft auch die Wirtschaft, die Justiz und die Arbeits-marktpolitik. Hier müssen wir gemeinsam handeln. Ichwünsche mir und hoffe, dass die Entwicklungspolitik einMotor dafür sein kann, auch in anderen Ressorts zu ei-nem Umdenken zu kommen.
Denn Freiwilligkeit allein – das möchte ich an derStelle auch noch einmal klarstellen – bringt uns, glaubeich, nicht weiter. Wir hatten und haben bisher viele frei-willige Verpflichtungen, die gut gemeint und in manchenTeilen auch gut gemacht sind. Aber wer glaubt, mit frei-willigen Verpflichtungen Unternehmen, die das nichtwollen – das sind beileibe nicht alle –, dazu bringen zukönnen, weltweit ordentliche Produktionsbedingungenzu schaffen und dies den Konsumenten transparent nach-zuweisen, der irrt meines Erachtens.
Dazu gibt es eine Entschließung des EU-Parlamentsvom Februar dieses Jahres, die ich sehr spannend findeund die zwar bezogen auf Konfliktmineralien, aber aufden gesamten Themenbereich anwendbar feststellt– ich zitiere –, „dass die Vielzahl von Verhaltenskodi-zes, Standards und Zertifizierungssystemen mit unter-schiedlicher thematischer Ausrichtung im Bereich dersozialen Verantwortung von Unternehmen … Bewer-tungen, Vergleiche und Überprüfung schwierig, wennnicht unmöglich macht“.Wenn wir das wissen, dann müssen wir zu klaren Zer-tifizierungen, klaren Regeln und verpflichtenden Trans-parenzregeln für Unternehmen kommen.
Ich würde mir wünschen, dass Entwicklungspolitikdafür ein Motor sein kann. Es reicht aber nicht, ein Mo-tor zu sein. Denn um zum Beispiel solche Regeln umzu-setzen, braucht es auch in den Partnerländern starke Ver-waltungen, Know-how-Transfer und zivile Kräfte, dieaufgebaut und ausgebildet werden, um zum Wohle ihrerLänder kontrollierend, aber auch regelnd eingreifen zukönnen, damit auch der Ressourcenreichtum der Länderden Ländern selbst zugute kommt. Wir brauchen – dashaben wir gestern als Arbeitsgruppe im Gespräch mit derPräsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, BärbelDieckmann, wieder erfahren – den Aufbau sozialer Si-cherungssysteme weltweit. Bärbel Dieckmann sagt ganzdeutlich: Ohne Zugang zu sozialer Sicherung ist Armuts-bekämpfung eigentlich nicht möglich.
Weil wir wissen, dass wir das alles brauchen und dassdas schwierige, große Aufgaben sind, die die Entwick-lungspolitik nicht alleine stemmen kann, sondern nureine gesamte Gesellschaft, und zwar in Abstimmung mitPartnern, mit anderen engagierten Nationen und Men-schen nicht nur in Europa, sondern weltweit, müssen wirdafür kämpfen, dass wir für den deutschen Teil, den wirleisten sollen, die notwendige Mittelausstattung haben.Ich hoffe, dass wir gemeinsam für eine wesentlich bes-sere Mittelausstattung, für die Entwicklungszusammen-arbeit und die von mir genannten Themenfelder arbeitenwerden. Dafür müssen wir kämpfen, und zwar nicht nurin den nächsten vier Jahren, sondern, wie ich befürchte,leider auch noch in den nächsten Jahrzehnten.Danke.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Anja Hajduk, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Sehr geehrter Herr Minister Müller, ich willganz klar sagen: Sie hatten aus unserer Sicht einen wirk-lich positiven Start.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2413
Anja Hajduk
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Sie haben viele grüne Ideen präsentiert. Sie haben am29. Januar in Ihrer ersten Rede sehr grundsätzliche An-merkungen gemacht und auch heute die Wachstumsaus-richtung grundsätzlich hinterfragt. Sie haben gesagt:Wenn alle so leben würden wie wir, dann brauchten wirdrei Erden. – Sie beschreiben Entwicklungspolitik alseine Zukunftspolitik, um wesentliche Herausforderun-gen anzunehmen. Wenn ich aus Ihrer Rede vom 29. Ja-nuar zitieren darf:Nachhaltigkeit muss das Prinzip allen Tuns und al-ler Entwicklung sein. Deshalb müssen wir die Glo-balisierung so gestalten, dass sie dem Menschendient und nicht ausschließlich den Märkten und derWirtschaft. … Nicht der freie Markt ohne jeglicheKontrolle ist unser Leitbild, sondern eine ökolo-gisch-soziale Marktwirtschaft. Der Markt brauchtGrenzen.
Das ist ziemlich gut. Aber daran muss sich die ganze Re-gierung messen lassen und nicht nur Herr MinisterMüller; darauf komme ich noch zurück.
Die Haushaltswirklichkeit sieht wesentlich kritischeraus. Ihr Etat wird ein bisschen schöngeredet. Zu diesemSchluss komme ich, wenn ich ihn mit dem vom Jahr2013 vergleiche. Er weist zwar einen Aufwuchs von147 Millionen Euro auf. Aber der größte Batzen von129 Millionen Euro ist der Verschiebung der Mittel fürden internationalen Klimaschutz aus dem EKF in diesenEtat geschuldet. Damit beträgt der Aufwuchs nur noch0,1 Prozent. Das ist doch sehr bescheiden.
Das sage ich als Haushälterin vor dem Hintergrund guterkonjunktureller Zeiten, in denen man eine solch großeinternationale Verpflichtung wie das 0,7-Prozent-Zielambitioniert angehen könnte. Wir verzeichnen 9 Milliar-den Euro mehr Steuereinnahmen. Angesichts dessensind die eingestellten 70 Millionen Euro für das neueProgramm „Eine Welt ohne Hunger“ und die 0,1-Pro-zent-Erhöhung in Ihrem Etat leider nur ein kleiner Trop-fen auf den heißen Stein.Frau Kofler, Sie haben sehr selbstkritisch darauf hin-gewiesen, dass wir mit 2 Milliarden Euro mehr bis 2017lediglich unsere ODA-Quote von 0,37 Prozent stabil hal-ten. Das heißt, wir kommen gar nicht voran. Dafür kön-nen wir uns nicht gegenseitig beglückwünschen. Wirmüssen ab sofort besser werden. Ich muss Ihnen sagen:Der gesamte Haushalt von Herrn Minister Schäuble unddieser Regierung wächst in der Finanzplanperiode bis2018 um 9,6 Prozent auf, also knapp 10 Prozent Haus-haltsausweitung. Der Anteil des BMZ beträgt nur3,7 Prozent. Das ist weit unterdurchschnittlich. Dasreicht definitiv nicht.
Weiterhin möchte ich den Klimawandel ansprechen.Der Weltklimarat hat deutlich gemacht, dass die Ärms-ten der Armen am meisten vom Klimawandel betroffensind. Er hat insbesondere auf die Prognosen bezüglichder Auswirkungen auf die Ernährungssituation der Men-schen verwiesen. Auch vor diesem Hintergrund hatDeutschland eine besondere Verantwortung. Im Lichteder Sustainable Development Goals und der Debatteüber die Zusammenführung von Klimaschutz und Ent-wicklungszielen ist eine ambitionierte Klima- und Ent-wicklungspolitik notwendig.An dieser Stelle möchte ich Sie an Ihre Eingangs-bemerkung zur grundsätzlichen Ausrichtung der Regie-rungspolitik erinnern. Wir brauchen nicht nur dasEngagement Deutschlands für Klimaschutz auf interna-tionalen Konferenzen, sondern wir brauchen eine kohä-rente Energiewende in Deutschland, damit dieses Enga-gement glaubwürdig ist.
Deswegen sind Runde Tische mit der Textilindustriedann glaubwürdig, wenn nicht nur Herr Müller, sondernauch Herr Gabriel dahintersteht, wenn bei der Auswei-tung der Mittel sich Herr Schäuble und von mir aus auchHerr Dobrindt stärker in die Pflicht nehmen lassen. Bitte,machen Sie eine kohärente Regierungspolitik. Bei derEnergiewende können wir Grünen das bisher leider nichterkennen.
Ein letzter Punkt. Die Mittel für den internationalenKlimaschutz werden leider in Ihrem Haushalt zusam-mengestrichen. Das ist die bittere Wahrheit. Die Gelderfür multilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutzund zur Erhaltung der Biodiversität werden um fast60 Millionen Euro gekürzt. Auch der neue Titel aus demEKF „Internationaler Klima- und Umweltschutz“ wirddeutlich von 230 Millionen Euro auf 140 Millionen Eurozusammengestrichen. Das ist ein dicker Batzen.Frau Kofler, es ist die traurige Wahrheit, dass sich diejetzige Bundesregierung nicht auf das Thema GreenClimate Fund vorbereitet hat. Die Verpflichtungser-mächtigungen sind bislang auf null gestellt. Wir brau-chen aber zum September 2014 eine Strategie, dass wirmit ungefähr 750 Millionen Euro Verpflichtungsermäch-tigungen in diesem Haushalt auftreten können, um un-sere Verantwortung hinsichtlich der multilateralen Kli-mafinanzierung wahrnehmen zu können.Es liegt also sehr viel Arbeit vor uns. Auch unsereVersprechen, die wir in Kopenhagen gemacht haben,verpflichten Deutschland zu einem richtig starken Auf-wuchs im Umwelt- und BMZ-Bereich zugunsten einerguten Klimapolitik. Wir unterstützen Sie gerne, aber esmuss noch mehr folgen als nur Ihre guten Worte vonheute.Herzlichen Dank.
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2414 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
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Herzlichen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion er-
hält jetzt Sabine Weiss das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freuemich, heute über diesen rundum guten Haushaltsentwurfzu sprechen, der mit den Sonderinitiativen „Eine Weltohne Hunger“, „Fluchtursachen bekämpfen – Flücht-linge reintegrieren“ und „Stabilisierung und Entwick-lung in Nordafrika und Nahost“ ganz entscheidendePflöcke einschlägt, Pflöcke, die sich aus dem Koalitions-vertrag ableiten, in dem wir diesen Fragestellungen be-reits Priorität eingeräumt haben, Pflöcke, mit denen wirauf aktuelle, ungelöste globale Aufgaben stärker und mitmehr Nachdruck eingehen, als das bisher in der Ent-wicklungszusammenarbeit geschehen ist.
Der Haushaltsentwurf erfüllt auch die Schwerpunktemit Leben, die Bundesminister Müller vom ersten Tagan im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam-menarbeit und Entwicklung gesetzt hat. HerzlichenGlückwunsch, Herr Minister, zu einem hervorragendenStart in Ihre Amtszeit.
Viele neue Herausforderungen zu Entwicklungslän-dern dominieren die Nachrichten schon wieder im erstenQuartal dieses Jahres, zum Beispiel der Kampf um diekünftige Ausrichtung der Ukraine, gewalttätige Aus-einandersetzungen in der Zentralafrikanischen Republikund im Südsudan, der Ebola-Virus in Guinea mit derAusbreitung in andere Länder – die WHO hat heute eineEpidemiewarnung ausgegeben –, Flüchtlinge in Nord-afrika, die nach Europa drängen.Das sind alles Themen, in denen Instrumente der Ent-wicklungspolitik einen Beitrag zur Lösung der Problemeleisten können. Es handelt sich um Instrumente zur Un-terstützung von Demokratisierung, um Instrumente derzivilen Krisenprävention, damit es erst gar nicht zu Ge-waltausbrüchen kommt. Dazu gehören ganz zentral auchdie Ernährungssicherung und die ländliche Entwicklungin Ländern mit extrem knappen Ressourcen, in denender Kampf um Wasser und fruchtbares Land zur Quellevon Gewalt wird – Gewalt, die dann wiederum Flücht-lingswellen auslöst.Alle diese Aufgaben sind nicht kostenlos zu bewälti-gen. Deswegen sind wir heute alle hier und diskutieren.Umso richtiger war es, im Koalitionsvertrag zusätzlichund ohne Finanzierungsvorbehalt – ich betone: ohne Fi-nanzierungsvorbehalt – Mittel für die Entwicklungspoli-tik bereitzustellen, um damit klarzustellen, Frau Kofler,dass der Koalitionsvertrag diese Summen mitnichten alsEnde der Fahnenstange definiert hat. Wenn sich alsoneue Haushaltsspielräume ergeben, vielleicht durch dieEinführung einer Finanztransaktionsteuer, werden wir– dazu rufe ich alle auf – in den folgenden Jahren daraufdrängen, weitere Verbesserungen zu prüfen.
– Danke.Ich bin froh, dass Herr Bundesminister Müller schnellden Gesprächsfaden mit der deutschen Zivilgesellschaftaufgenommen hat und die Gemeinsamkeiten in den Vor-dergrund rückt. Eine Chance für die traditionelle Part-nerschaft von Regierung und Zivilgesellschaft bieteteben auch die von Ihnen bereits erwähnte vorgeschla-gene Zukunftscharta „Eine Welt – unsere Verantwor-tung“. Wenn Deutschland mit diesem gemeinsam zuschreibenden Papier in die internationale Diskussion desJahres 2015 um die Entwicklungs- und Nachhaltigkeits-ziele gehen will, sollte es dies allerdings mit prägnantenBotschaften tun, und es sollten Prioritäten gesetzt wer-den. All das darf dann in dem ehrlichen und guten Be-mühen um Konsens nicht verloren gehen.Stichwort „Afrika“: Auf dem EU-Afrika-Gipfel in derletzten Woche ist etwas ganz Bemerkenswertes gelun-gen. Trotz aller aktuellen Krisen und Kriege in Afrika istdie Botschaft des Gipfels, dass wir Afrika immer mehrals Kontinent der Chancen sehen:
Chancen für mehr Kooperation mit Europa, Chancenauch für die Wirtschaft Europas, Chancen auch für dieRohstoffversorgung Europas. Die aktuellen Entwicklun-gen gerade um die Ukraine zeigen uns, wie wichtig esist, die notwendigen Rohstoffe aus vielen verschiedenenRegionen zu beziehen. Eine stärkere Kooperation mitAfrika kann hier zu beiderseitigem Nutzen sein.
Aber als Entwicklungspolitikerin betone ich, dass ins-besondere die Menschen in Afrika einen Nutzen darausziehen müssen.
Das heißt für mich, die Erlöse aus Rohstoffverkäufenmüssen für die wirtschaftliche und menschliche Ent-wicklung im Land eingesetzt werden und dürfen ebennicht in schwarze Kassen der Eliten fließen.
Es bleiben aber auch in Afrika wie auf der ganzenWelt viele Millenniumsziele nicht erreicht. Die bis 2050hinzukommenden 1 Milliarde Menschen in Afrika sindeine große Herausforderung für die Infrastruktur, für dieInstitutionen und den Schutz natürlicher Lebensgrundla-gen. Sie sind aber auch – das müssen wir uns immer wie-der verdeutlichen – eine Quelle der Hoffnung und eingroßes Entwicklungspotenzial. Es ist daher richtig, in
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2415
Sabine Weiss
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Afrika einen Schwerpunkt der künftigen Entwicklungs-zusammenarbeit zu sehen und dabei auf ländliche Ent-wicklungen, Ernährungssicherung, breitenwirksamesWirtschaftswachstum und auf Bildung und Gesundheitgerade für die jungen Menschen zu setzen.Für das nun anstehende parlamentarische Verfahrenmöchte ich abschließend aus meiner Sicht noch einigeBaustellen nennen, denen wir uns widmen sollten – liebeSibylle Pfeiffer, das fällt bei dir sicher auf fruchtbarenBoden –:Wir sollten prüfen, ob wir nicht bei den auf die Kin-der- und Müttergesundheit spezialisierten Organisatio-nen noch etwas drauflegen können. Dafür haben wir unsin der letzten Legislaturperiode immer wieder gemein-sam eingesetzt.Zu den Forschungsansätzen des BMZ einige Anmer-kungen. Infolge des Auslaufens des SonderprogrammsBildung und Forschung droht ein Absturz des For-schungstitels von 13,59 Millionen Euro in diesem Jahrauf 4,5 Millionen Euro in 2015. Für das Deutsche Insti-tut für Entwicklungspolitik, DIE, hätte dies den Verlustvon circa zwei Drittel seiner Stellen für Wissenschaftlerzur Folge – mit entsprechend negativen Auswirkungenauf seinen Ruf als international angesehenes For-schungsinstitut der Entwicklungspolitik. Zudem würdedie Entwicklungsforschung dann auf das vorherige,quantitativ unzureichende Niveau zurückgeworfen. Ichdenke, dies sollten wir verhindern.Noch ein Wort zum Klima. Deutschland ist eines derSpitzenländer bei der Klimafinanzierung. Dennoch müs-sen wir einplanen, unseren Beitrag in den kommendenJahren noch einmal deutlich anwachsen zu lassen, wennwir einen angemessenen Anteil an den 100 MilliardenUS-Dollar leisten wollen, die die internationale Gemein-schaft den Entwicklungsländern in Kopenhagen verspro-chen hat.
Dabei dürfen wir nicht übersehen, dass unsere Finanz-leistungen – auch wenn wir da in Vorleistung gehenmüssen – das Gegenstück zu den Verpflichtungen derEntwicklungsländer sind, ihren CO2-Ausstoß zu min-dern oder wenigstens nicht zu erhöhen.Meine Kolleginnen und Kollegen, meine Damen undHerren, wie schon eingangs gesagt: Dies ist ein sehr gu-ter und solider Haushaltsentwurf. Lassen Sie uns jetztzusammenarbeiten, um ihm den letzten Schliff zu geben!Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erteile ich
jetzt das Wort Heike Hänsel.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! „Solide“ scheint das neue Wort für „nicht ausrei-chend“ zu sein. Wir haben ganz neue Sprachschöpfun-gen. Hier wurden viele Krokodilstränen über dendiesjährigen Entwicklungshaushalt vergossen, auch vonIhnen, Frau Kofler. Aber da muss ich Ihnen allen sagen:Das sind die Folgen der Politik, der Sie alle zugestimmthaben, nämlich unter anderem der Einführung der Schul-denbremse
bei gleichzeitiger Nichterhöhung von Steuern. Das sinddie Folgen. Davor haben wir immer gewarnt. Wir habenjetzt nicht genügend Geld für dringende globale Heraus-forderungen und internationale Verpflichtungen – wegenall der Maßnahmen, denen Sie hier zugestimmt haben.Das zeigt sich leider auch im Entwicklungshaushalt. Dasist eine Folge.
Dadurch sind natürlich auch viele der guten Ankündi-gungen von Ihnen, Herr Müller, nicht sehr glaubwürdig.
Wenn man sich anschaut, wie sich der Haushalt ge-genüber dem Vorjahr entwickelt, stellt man fest: Es gibteinen Aufwuchs um 147 Millionen Euro. Das ist schoneinmal nicht so viel, wie im Koalitionsvertrag festgelegtworden ist. Dadurch erschließt sich sicher auch, warumder Kollege Sascha Raabe sich rechtzeitig abgesetzt hat.Ihm schwante wohl schon, was hinten dabei heraus-kommt.Wenn man dann auch noch die Klimagelder, die jetztplötzlich im Entwicklungshaushalt verbucht werden undzum großen Teil eigentlich schon durch Verpflichtungs-ermächtigungen gebunden sind, abzieht, dann landen wirbei 8 Millionen Euro realem Aufwuchs, und das ist na-türlich, gelinde gesagt, eine Schande, eine Schande imHinblick auf den Entwicklungsanspruch.
In Deutschland – das wurde auch schon erwähnt – sta-gniert dadurch die ODA-Quote, der Anteil der Entwick-lungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, bei 0,37 Pro-zent.Die Große Koalition kann daran eigentlich sehen,dass sie mit ihrer Verweigerungspolitik gegenüber Steu-ererhöhungen – damit schonen Sie nur die Vermögendenin diesem Land – keinen Haushalt aufstellen kann, derden Anforderungen von sozialer Gerechtigkeit, Armuts-bekämpfung, Entwicklung, Klimaschutz und Friedens-politik gerecht werden kann. Ohne weltweite Umvertei-lung und auch ohne eine Umverteilung in diesem Landkönnen Sie keine gerechte Politik machen.
Wir haben viele Vorschläge gemacht. Die Finanz-transaktionsteuer wurde bereits genannt. Viele kämpfenseit Jahren dafür, dass die Erlöse daraus für die Bekämp-
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2416 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Heike Hänsel
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fung von Armut eingesetzt werden. Aber da sieht esganz dunkel aus. Es gibt immer nur Ankündigungen,aber keine Umsetzungen. Unsere weiteren Vorschlägesind: Millionärsteuer, Vermögensteuer, aber auch diekonsequente Streichung von Rüstungs- und Militäraus-gaben. All das wären Möglichkeiten, um deutlich zu ma-chen: Wir wollen Entwicklung finanzieren, und wir kön-nen es auch.
Schauen wir uns einmal die Prioritäten in der Politikan. Man kann sich zum Beispiel ausrechnen, dass diesesJahr allein für die drei neuen Militäreinsätze, die wir inletzter Zeit beschlossen haben, 31 Millionen Euro ausge-geben werden. Das ist fast viermal so viel wie der Auf-wuchs von 8 Millionen Euro im Entwicklungsetat.Im Fall der Ukraine haben Sie ebenfalls schnelle An-kündigungen gemacht, Herr Müller. Hier verdoppeln Sieden Betrag ganz locker von 20 Millionen auf 40 Millio-nen Euro. Da frage ich mich schon, woher das Geldkommen soll. Hinzu kommt aber noch, dass die Ukrainederzeit von einer nicht demokratisch legitimierten Re-gierung vertreten wird, an der faschistische Parteien be-teiligt sind. Der Agrarminister gehört beispielsweise derSwoboda-Partei an. Da frage ich mich, wie man bei derZusammensetzung der derzeitigen Regierung in derUkraine ein derart falsches Signal setzen und damitrechte Parteien hoffähig machen kann. Wir lehnen diesePolitik ab.
Über Syrien und die Vernichtung der C-Waffen habenwir heute debattiert. Ich halte das Entsenden der Fregatteins Mittelmeer für überflüssig.
12 Millionen Euro sollen dafür ausgegeben werden.
Gleichzeitig fehlt beispielsweise viel Geld für das WorldFood Programme. Sie brauchen für die syrischen Flücht-linge in diesem Jahr 2 Milliarden Dollar. Sie haben unsim Ausschuss aber mitgeteilt, dass bisher erst 10 Prozentfinanziert sind. Ich habe im EZ-Haushalt keine Aufsto-ckung der Mittel für das World Food Programme gese-hen. Wir fordern daher eine deutliche Erhöhung der Mit-tel für die syrischen Flüchtlinge, und wir fordern zudemeinen Sondertitel im EZ-Haushalt, um im Rahmen derÜbergangshilfe mehr für syrische Flüchtlinge machen zukönnen.
Ich komme zum Beitrag für den Europäischen Ent-wicklungsfonds. Hier kritisieren wir seit Jahren, dassnach wie vor Steuergelder für Militärmissionen der Eu-ropäischen Union im Rahmen der sogenannten Afrika-Friedensfazilität verwendet werden. Diese Finanzierungist übrigens rechtlich eigentlich nicht zu vertreten; denndas Europaparlament kann darüber gar nicht entschei-den. Deshalb unsere konkrete Forderung an Sie, HerrMüller: Setzen Sie sich dafür ein, dass der EuropäischeEntwicklungsfonds für rein zivile Zwecke verwendetwird! Wir wollen eine Zivilklausel für die Ausgaben aufeuropäischer Ebene.
Wir fordern außerdem seit längerem die Einführungsowohl eines afrikanischen zivilen Friedensdienstes wieauch eines europäischen zivilen Friedensdienstes. Daswären gute Antworten auf die Herausforderungen, vordenen wir stehen. Sie selbst, Herr Müller, sagen, dasswir die Probleme in diesen Ländern militärisch nicht lö-sen können. Wir brauchen hingegen mehr Instrumente.Die Arbeit des zivilen Friedensdienstes stagniert leiderim Moment. Für ihn wird weniger Geld zur Verfügunggestellt als für die neuen Militäreinsätze, die beschlossenwurden.Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass Sieneue Regeln für den Markt erwähnt haben, Herr Müller.Aber auch da appelliere ich an Sie: Schauen Sie sich ein-mal die EU-Handelspolitik an! Wir sehen nicht nur beimEU-USA-Abkommen, sondern auch bei den Wirtschafts-partnerschaftsabkommen mit Afrika Probleme. Mit dieserHandelspolitik wird dereguliert, aber es werden keineneuen Regeln für den Markt eingeführt. Das ist für vieleLänder des Südens ein Riesenproblem.Deadline ist der 1. Oktober. Ab diesem Zeitpunktmüssen etliche afrikanische Länder viel mehr Zölle aufihre Ausfuhren in die EU zahlen. Wir halten das für sit-tenwidrig, weil dadurch in diesen Ländern viel zerstörtwird. Herr Müller, deshalb fordern wir Sie auf: SetzenSie sich für einen Stopp dieser Wirtschaftspartner-schaftsabkommen ein! Dann können Sie die Politik, dieSie hier ankündigen, auch umsetzen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Sonja Steffen, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrMinister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrteDamen und Herren! Ich freue mich, dass ich in dieserLegislaturperiode Mitglied im Haushaltsausschuss bin.Ich freue mich noch mehr, dass ich meinen Wunsch-Ein-zelplan erhalten habe, nämlich den Einzelplan für Ent-wicklungszusammenarbeit. Ich merke allerdings bei derEinarbeitung in das Thema, dass ich Schwierigkeitenhabe, weil ich bei manchen Fragen zwischen zwei Wel-ten stehe. Auf der einen Seite schlägt in mir natürlich dasHerz einer Unterstützerin der weltweiten Armutsbe-kämpfung, auf der anderen Seite weiß ich aber auch,dass ich als Haushälterin auf den vereinbarten Konsoli-dierungskurs der Großen Koalition pochen muss.
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Sonja Steffen
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Es gilt also, einen Weg zu finden zwischen vernünftigerHaushaltspolitik auf der einen Seite und den finanziellenVerpflichtungen und Verantwortungen, die wir im Be-reich der Entwicklungszusammenarbeit haben, auf deranderen Seite.
Die uns zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel– da gebe ich meinen Vorrednern recht – führen, geradevor dem Hintergrund des ehrgeizigen Ziels der Schul-denreduzierung, zu einem sehr begrenzten Spielraum.Mit einem Etat von 6,44 Milliarden Euro haben wir imVergleich zum gesamten Bundeshaushalt einen rechtdeutlichen Aufwuchs zu verzeichnen. Frau Hajduk, ichhabe übrigens ausgerechnet, dass es 2,3 Prozent sind. Da-bei habe ich die Zahlen des Jahres 2013 zugrunde gelegt.Sie haben vorhin 3,7 Prozent genannt. Dabei ist natürlichklar, dass sich viele an dieser Stelle mehr gewünscht hät-ten; selbstverständlich auch wir Sozialdemokraten.Insgesamt stellen wir in dieser Legislaturperiode2 Milliarden Euro an ODA-Mitteln mehr zur Verfügung,als die mittelfristige Finanzplanung der schwarz-gelbenKoalition ursprünglich vorsah. Es gibt in dieser Wocheaktuelle Zahlen. 2013 beträgt die ODA-Quote 0,38 Pro-zent. Wie es im Moment aussieht, werden wir die ODA-Quote in dieser Legislaturperiode zumindest halten.
Unser ursprüngliches ODA-Ziel von 0,7 Prozent desBruttonationaleinkommens in 2015 werden wir aller Vo-raussicht nach nicht erreichen. Ich verweise an dieserStelle darauf, dass in Großbritannien die ODA-Quotesehr gut erreicht ist. Dort beträgt sie 2013 0,72 Prozent.Das liegt unter anderem daran, dass Großbritannien die-sen Etat vor die Klammer zieht. Unabhängig von der je-weiligen Regierungskonstellation diskutiert man dortnicht über den Aufwuchs in diesem Etat, sodass man dieODA-Quote jetzt gut erreicht hat.
Wir sollten uns allmählich ernsthafte Gedanken da-rüber machen, wie es mit diesen Zielen auch bei unsweitergehen soll. Außerdem dürfen wir die bereitgestell-ten 2 Milliarden Euro nicht als Deckel betrachten, erstrecht nicht als geschlossenen Deckel, sondern sie kön-nen nur ein Minimum an zur Verfügung gestellten Mit-teln im Bereich der internationalen Zusammenarbeitsein. Das haben Sie, Herr Minister Müller, gerade schongesagt.Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh,dass wir zumindest erreicht haben, dass der Abwärts-trend, der während der schwarz-gelben Koalition leiderentstanden ist, die sogenannte Niebel-Delle – darüber istheute schon geredet worden –, endlich beendet werdenkonnte und dass es mit der Entwicklungspolitik endlichwieder aufwärts geht.2014 wird in diesem Einzelplan nicht gekürzt, auchnicht, zumindest wenn es nach mir geht, in der Bereini-gungssitzung. Der Etat des Entwicklungsministeriumswird im Vergleich zum Haushalt 2013 um 147 MillionenEuro aufwachsen und im Vergleich zum ersten Regie-rungsentwurf von CDU/CSU und FDP sogar um160 Millionen Euro steigen. Es liegt an uns, diesenSpielraum an Aufwuchs, den wir haben, qualitativ undinhaltlich möglichst sinnvoll umzusetzen.Sehr geehrte Damen und Herren, Anfang des Jahreswar ich in Vietnam und habe mir die Arbeit derFriedrich-Ebert-Stiftung angeschaut. Wir haben Parla-mentarier besucht, wir haben mit ihnen über das Sozial-versicherungswesen diskutiert. Ich konnte mir nicht nurein Bild von den dortigen Verhältnissen machen, son-dern auch von der wirklich großartigen Arbeit, die vonden Stiftungen vor Ort geleistet wird. Dabei ist mir dieBedeutung des politischen Dialogs und der Beratung mitund in den Partnerländern sehr eindrucksvoll bewusstgeworden. Diese Arbeit ist vielleicht auf den erstenBlick viel weniger greifbar, als wenn Schulen oder Brun-nen gebaut werden, aber langfristig kann sie sehrnachhaltig sein. Wir wollen uns deshalb im parlamenta-rischen Verfahren die entsprechenden Zahlen im Einzel-plan noch einmal ganz genau anschauen.
Ich denke, dass wir die Stiftungen und auch andere zivil-gesellschaftliche Einrichtungen – Frau Kofler hat vorhinschon den Zivilen Friedensdienst genannt – noch stärkerunterstützen müssen, als dies im gegenwärtigen Haus-haltsentwurf vorgesehen ist.
Insbesondere die Arbeit dieser Einrichtungen wird inden nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen,wenn es um die Begleitung demokratischer Prozesse inden Transformationsstaaten geht, also in den Staaten, diesich gerade im politischen Umbruch befinden. Durchsinnvolle Unterstützung vor Ort können wir unseren Teildazu beitragen, dass diese Staaten demokratische undrechtsstaatliche Strukturen erhalten, dass Konflikte ein-gedämmt werden und dass Menschenrechte verwirklichtwerden können.Hier schließt sich auch die Flüchtlingsproblematik an,die Sie, Herr Minister, in einer Ihrer drei Sonderinitiati-ven aufgreifen möchten. Die Bilder der syrischen Bevöl-kerung und insbesondere der syrischen Flüchtlinge sinduns allen präsent. Nicht nur Sie, Herr Minister, blickenvoller Sorge auf die Flüchtlingscamps im Libanon und inJordanien. Ich freue mich deshalb über den neuenSchwerpunkt „Fluchtursachen bekämpfen, Flüchtlingereintegrieren“, für den im Haushalt 70 Millionen Euroveranschlagt worden sind. Insgesamt ist die Flüchtlings-problematik tatsächlich sehr vielschichtig. Den bestenBeitrag können wir leisten, indem wir helfen, dass dieMenschen nicht mehr gezwungen sind, ihre Gebiete, ihreHeimat zu verlassen. Denn eines steht fest: Niemandflüchtet ohne Not aus seiner Heimat.
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Sonja Steffen
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Aber es geht dabei auch um die aktuelle Situation in denFlüchtlingscamps und um die Zukunft im Aufnahme-land, übrigens auch in Deutschland.Eine weitere Sonderinitiative soll der weltweiten Be-kämpfung von Hunger und Unterernährung dienen.Auch bei dieser Aufgabe, Herr Minister, sind wir Sozial-demokraten ganz an Ihrer Seite. Bei einer Reise in einEntwicklungs- oder Schwellenland wird man sich ein-mal mehr bewusst, welch hohen Lebensstandard wir inDeutschland haben und auf welch hohem wirtschaftli-chen Niveau wir hier leben. Es versteht sich daher vonselbst, dass es unsere gesamtgesellschaftliche Verant-wortung ist, dort Unterstützung und Hilfe zu leisten.Dieses Prinzip gilt für uns Sozialdemokraten innerhalbDeutschlands genauso wie weltweit.
Wir können und wollen es nicht hinnehmen, dass nachwie vor mehr als 800 Millionen Menschen weltweit anHunger leiden.Zum Schluss eine kameralistische Anmerkung. Esgibt eine Besonderheit im Haushaltsplan: Die Sonderini-tiativen sind nicht in einzelnen Titeln ausgewiesen, son-dern es werden global Gelder veranschlagt, ohne dieseauf einzelne Titel zu verteilen oder sie bestimmten Insti-tutionen und Instrumenten zuzuordnen. Es ist daher imMoment noch nicht klar, durch wen, wie und wo genaudiese Gelder verwendet werden, zumal die Mittel dieserdrei Initiativen auch noch untereinander deckungsfähigsein sollen. Dies ermöglicht auf der einen Seite Flexibili-tät – die wünscht man sich –; auf der anderen Seite be-steht aber auch die Gefahr, dass die Mittelverwendungundurchsichtig wird. Ich denke, das kann nicht im Inte-resse unseres Parlaments liegen. Ich kann Ihnen deshalbversichern, lieber Herr Minister, dass die SPD-Bundes-tagsfraktion Sie bei der Umsetzung der Sonderinitiativentatkräftig unterstützen wird. Allerdings werden wir auchgenau darauf achten, dass die Mittel sinnvoll und brei-tenwirksam eingesetzt werden. Denn es gilt, was Sieschon oft betont haben: Jeder Euro soll tatsächlich in derEntwicklungshilfe ankommen.Vor diesem Hintergrund freue ich mich auf spannendeund konstruktive Haushaltsberatungen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen erhält
jetzt Uwe Kekeritz das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Herr Minister Müller, sicherlich erinnern Sie sich nochan die Reaktionen auf Ihre erste Rede hier im Parlament.Sie waren sehr positiv, und sie waren zu Recht positiv.Wir sind uns aber schon damals einig darüber gewesen,dass nicht Worte zählen, sondern Taten.Ihre Worte sind oftmals verblüffend klar, so auch IhreAussage zur Fußballweltmeisterschaft in Katar. Respekt!
Sie sagten: Die Entscheidung für Katar war falsch, unddie FIFA solle sie zurücknehmen. – Das findet unsereUnterstützung. Das waren richtige und gute Worte. Esfragt sich nur: War das nur für die Presse, oder folgt danoch etwas? Wir sind davon überzeugt, dass der Prozesspolitisch begleitet werden sollte, und wir unterstützenSie dabei.
Hervorragend klingt auch Ihre entschlossen wirkendeAussage zu einem Nachhaltigkeitssiegel im Textilbe-reich, mit dem die soziale Strukturen in vielen Ländernverbessert werden könnten. Ich habe zu diesem Themaeine Kleine Anfrage gestellt, auf die ich eine Antwortaus Ihrem Haus bekommen habe. Sie haben weder inBezug auf die Ausgestaltung noch in Bezug auf die Um-setzung des Siegels eine Vorstellung. Das Ministeriumweiß auch nicht, ob es eine Weiterentwicklung eines be-stehenden Siegels oder ob es ein neues Siegel werdensoll. Soll es ein Dachsiegel, ein staatliches oder ein pri-vates Siegel werden? Sie wissen ebenfalls nicht, wie dieZivilgesellschaft eingebunden wird. All diese Fragenkann das Ministerium nicht beantworten. Das ist schade,wenn man eine solche PR-Kampagne macht.Ich will Sie nicht entmutigen. Bitte machen Sie wei-ter! Sie haben unsere Unterstützung. Aber ich muss lei-der feststellen – das ist vorhin nicht ganz objektiv formu-liert worden –: Sie haben die Tendenz, dieZivilgesellschaft zu vergessen. Das sollten Sie gerade indiesem Fall auf keinen Fall tun; denn sie ist von zentra-ler Bedeutung für die Einführung eines vernünftigen Sie-gels.
Leider wird auch beim Haushalt deutlich, dass IhreAnkündigungen – sagen wir mal – eine kurze Halbwerts-zeit besitzen. Sie haben zwar mit dem Kappen Ihres Vor-gängers aufgeräumt, aber die Rechentricks, die er ver-wendet hat, verwenden Sie auch.Sie sprechen zum Beispiel davon, dass der Etat um160 Millionen Euro steigt. Darüber haben wir genug ge-sprochen, das muss ich nicht weiter ausführen. Sie täu-schen damit uns und die Öffentlichkeit. Dass so etwasnicht funktioniert, Herr Minister, müssten Sie wissen,vor allen Dingen müsste das Ihr Staatssekretär Herr Kit-schelt wissen, der vier Jahre lang Erfahrung in diesemBereich gesammelt hat. Ich sage Ihnen: Weder die Oppo-sition noch die Zivilgesellschaft lassen sich hinters Lichtführen.
Um ehrlich zu sein: Effektiv kommen 8 MillionenEuro mehr heraus. Meine werten Kolleginnen und Kol-legen von der SPD, kommen Ihnen da nicht die Tränen?Sie haben im Wahlkampf das 125-Fache davon gefor-
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Uwe Kekeritz
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dert. Der angekündigte großartige Paradigmenwechselkann so nicht funktionieren.
Zum Thema Landwirtschaft. Herr Minister, wir be-grüßen natürlich außerordentlich, dass Sie das Themaländliche Entwicklung endlich oben auf die Agenda ge-setzt haben. Aber bitte erklären Sie uns doch einmal, wieSie die Mittel für den Kampf gegen den Hunger ohneEtataufwuchs auf 1 Milliarde Euro erhöhen wollen? Wokommen die 300 Millionen her? Wenn Sie die irgendwoaus Ihrem Etat herausnehmen, dann heißt das, Sie kürzenbei der Gesundheit, der Bildung oder beim Klimaschutz,und all das ist nicht akzeptabel.Ihr Schulterschluss mit der Agrarlobby – auch da-rüber haben wir schon gesprochen – ist für mich auch eingroßes Problem. Sie postulieren, dass Sie die Wertschöp-fungsketten in den afrikanischen Entwicklungsländernaufbauen wollen, gleichzeitig arbeiten Sie mit der Ger-man Food Partnership zusammen. Sie setzen also dochlieber auf Syngenta, Bayer oder BASF statt auf die Men-schen vor Ort
– doch, Frau Pfeiffer –, die mit unserer westlichen Tech-nologie oftmals große Schwierigkeiten haben. Wir brau-chen keine neuen Exportförderungsinitiativen und auchkeine Subventionierung dieser Firmen, sondern wirbrauchen Ernährungssouveränität vor Ort.
In Kapitel 6 des Afrika-Konzeptes des BMZ, das dieÜberschrift hat „Afrika kann sich selbst ernähren“, pro-pagieren Sie afrikanische Lösungen für afrikanische Pro-bleme. In dieser Aussage stecken zwei entscheidendeFehler: Zum einen sind die afrikanischen Lösungenkeine afrikanischen Lösungen, sondern rein westlicheLösungen für Afrika. Diese Lösungen sind rein wachs-tumsorientiert. Sie basieren auf massiver Expansion derBewässerungstechnologie mit einseitigem Fokus aufGroßprojekten einschließlich gentechnisch verändertemSaatgut. Das heißt also auch, dass Dünger und Pestizidegekauft werden müssen – von Monsanto oder Syngenta.Damit befördert das BMZ ökonomische Abhängigkeitenund schadet den kleinbäuerlichen Strukturen. Das stehtin einem krassen Widerspruch zu Ihren vorgegebenenZielen.
Die Aussage „afrikanische Lösungen für afrikanischeProbleme“ lenkt – das ist der zweite Fehler – davon ab,dass afrikanische Probleme nicht nur afrikanische Ursa-chen haben. Die Subventionierung der westlichen Land-wirtschaft mit täglich über 1 Milliarde Dollar, die er-zwungene Marktöffnung, unsere verfehlte Klimapolitik,der Waffen-, insbesondere der Kleinwaffenhandel, daschaotische globale Finanzsystem usw. usf. sind auch Ba-sis für den Hunger in Afrika. Diese Fakten werden imAfrika-Konzept schlicht ignoriert. Wir müssen endlichdamit anfangen, die Verhältnisse auch hier zu ändern,damit sich die Verhältnisse dort verbessern.
Zum 0,7-Prozent-Ziel ist schon etwas gesagt worden.Ich glaube, Sie verabschieden sich hochoffiziell davon.Sie sollten das endlich zugeben.Da ich erst 35 Sekunden überzogen habe, noch eineganz simple Frage zum Schluss
– Herr Minister, vielleicht können Sie die ja beantworten –:Wieso werden 850 000 Euro aus dem Entwicklungsetatfür die griechischen Initiativen Ihres StaatssekretärsFuchtel bereitgestellt? Ich habe ja nichts dagegen, dasser das Geld bekommt. Aber aus Ihrem Etat?
– Das kommt zusätzlich. Aha.
Ich bedanke mich für Ihre Geduld und Aufmerksam-keit.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jürgen Klimke,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen in den Haushalts-
beratungen die richtigen Schwerpunkte, und zwar nicht
nur für Griechenland, wie wir gerade gehört haben. Viel-
Mit dem zusätzlichen ODA-Paket von über 2 MilliardenEuro bis 2017 gehen wir große Herausforderungen an.Zu nennen sind: der Einsatz für eine Welt ohne Hunger,die verstärkte Bekämpfung von Fluchtursachen und dieStabilisierung von Nordafrika und Nahost. Das sind dieThemen von drei Sonderinitiativen, mit denen derMinister neue Akzente setzt.Wenn wir auf den Einzelplan 23 schauen, dann fragenwir natürlich auch – diese Frage ist hier mehrfach ge-stellt worden –: Werden unsere Erwartungen erfüllt? Derkleine Prinz sagt in dem Buch von Antoine de Saint-Exupéry:Um klar zu sehen, reicht oft ein Wechsel der Blick-richtung.Also: Gucken wir vielleicht einmal nicht auf die Zahlen,sondern woanders hin.
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2420 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Jürgen Klimke
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Dieser Haushaltsentwurf macht deutlich, dass wirendgültig mit dem Begriff „Entwicklungshilfe“ abschlie-ßen, Kollege Leutert.
Ziel unserer Maßnahmen ist es, Ursachen für Hunger,für Flucht und Vertreibung an der Wurzel zu packen undein Fundament für eine nachhaltige und langfristigewirtschaftliche Zusammenarbeit in unseren Partnerlän-dern zu legen. Es geht nicht so sehr um einseitige Hilfe.
Wir setzen auf Kooperation auf Augenhöhe, und wir set-zen auf Kooperation zum Beispiel mit der Wirtschaft.Das tun Sie nicht.Deutschland kann mit einer modernen Entwicklungs-zusammenarbeit, die den Partnern Know-how und eineWirtschaftsstruktur anbietet, dazu beitragen, dass immerweniger Länder auf dieser Welt am Tropf bilateraler undmultilateraler Geber hängen. Damit sage ich nicht, allessei in bester Ordnung, aber ich will damit doch deutlichmachen, dass wir auf einem richtigen Weg sind.Dies verdanken wir auch den Reformen und den ge-meinsamen Anstrengungen der letzten Jahre. Ich be-schreibe die Werkzeuge unserer Entwicklungszusam-menarbeit gerne mit den Stichworten Konditionierung,Evaluierung und Effektivierung.Konditionierung heißt: Verbesserungen, aber auchVerschlechterungen in unseren Partnerländern habenKonsequenzen für die Zusammenarbeit. Als Grundlagedient dabei das Menschenrechtskonzept des BMZ. Dabeigehen wir international mit einem guten Beispiel voran.Evaluierung bedeutet, dass man die Wirkung des ent-wicklungspolitischen Einsatzes überprüft. Das erforderteine ganz andere Herangehensweise als bisher. Zukünf-tig evaluieren wir eben nicht nur die Umsetzung derMaßnahmen, sondern wir prüfen intensiv, ob der er-hoffte entwicklungspolitische Nutzen eben auch eintritt.Effektivierung ist das dritte Stichwort. Mit einem be-grenzten Mitteleinsatz muss das Geld effizient eingesetztwerden, um größtmögliche Wirkungen hervorzubringen.Dabei konzentrieren wir uns in dieser Legislaturperiodethematisch und regional, und wir stimmen uns intensiver– auch das ist unser Vorhaben – mit den anderen Gebernab. Dies hat einen ganz wichtigen Stellenwert in diesemZusammenhang.Nachhaltige Entwicklungspolitik muss nicht immerGeld kosten. Es geht auch darum, richtige neue Schwer-punkte zu setzen. Hier, lieber Herr Minister, haben Sieeinen ganz wichtigen Schritt getan. Ihre Initiierung einesTextilsiegels, das noch in diesem Jahr eingeführt werdensoll und das soziale und ökologische Mindeststandardsbeinhalten soll, begrüßen wir außerordentlich. Sie habenvöllig recht, dass die Textilbranche sowie die großenHändler in Deutschland ihrer Verantwortung bisher nichtgenügend nachgekommen sind. Hier brauchen wir denDruck der Steuerzahler und der Verbraucher; gerade indiesem Bereich sind die Verbraucher sehr sensibel. Daswird an den anderen Siegeln, die es gibt, deutlich. DasFairtrade-Siegel und die Biosiegel im Lebensmittelbe-reich sind zum Beispiel gute Vorbilder. Im Textilbereichfehlt bisher solch ein Leuchtturm.Ein Textilsiegel wird zu einer Rückkopplung bei denUnternehmen führen und wird zum Beispiel auch errei-chen, dass sich die Corporate-Social-Responsibility-Strategie von Händlern ändert. Wichtig ist, dass dieBranche es zumindest in weiten Teilen mitträgt und dasswir es gemeinsam mit der Wirtschaft, mit den Unterneh-men erarbeiten. Zudem denke ich, dass am Ende einessolchen Prozesses auch ein europäisches Textilsiegel ste-hen sollte.Unternehmen, die in den Produktionsländern diesehöheren Standards erfüllen, können dann eben mit demSocial-made-Siegel werben und den Verbraucher infor-mieren, dass er sozial verantwortungsvoll und ökolo-gisch nachhaltig handelt, wenn er ein T-Shirt mit diesemSiegel kauft. Umgekehrt werden Unternehmen, die dasSiegel nicht besitzen, in Erklärungsnot kommen. DerVerbraucher legt dann eben dieses T-Shirt beiseite undkauft es nicht. Insbesondere wenn Markenkleidung, diehier in Deutschland teuer verkauft wird, nicht dieses Sie-gel hat und wenn bei deren Produktion nicht einmal dieMindeststandards in Bangladesch erfüllt werden, wirdder Verbraucher sagen, dass er diese teuren Kleidungs-stücke nicht kauft. Wir schließen also mit diesem Siegeleine wichtige Lücke. Deshalb unterstützen wir diese Ini-tiative des Ministers.Mit diesem Beispiel möchte ich auch verdeutlichen,dass Entwicklungspolitik mehr ist als die reinen Zahlenin diesem Haushaltsentwurf. Auch wenn der finanzielleSpielraum für Initiativen eng gesteckt ist, wie wir gese-hen haben, haben wir doch wegweisende neue Projekte,die nicht in den Hintergrund treten dürfen und die wirauch in diesem Zusammenhang künftig sehr stark unter-stützen werden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist der
Kollege Stefan Rebmann, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Aus einigen der bisherigen Redebeiträge zumHaushaltsentwurf war ja durchaus auch Kritik am Ent-wicklungsetat und Unmut über die Höhe des Entwick-lungsetats herauszuhören. Ich muss gestehen: Auch ichbin nicht gerade glücklich über den Entwurf und dieHöhe der Mittel, die uns zur Verfügung stehen. Dennkaum ein Etat ist so sensibel wie der Entwicklungshaus-halt. Hinter all den Geldbeträgen stehen nicht nur Ent-wicklungsprojekte und wichtige Vorhaben, nein, dahin-
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Stefan Rebmann
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ter stehen, so eng verknüpft und so unmittelbar betroffenwie bei kaum einem anderen Etat, Menschen, die oft-mals unter Umständen leben müssen, die für uns hiernicht vorstellbar sind. Für diese Menschen machen wirauch Entwicklungspolitik.Dafür, dass wir in der Entwicklungspolitik schon vielerreicht haben und unser Engagement Früchte getragenhat, gibt es zahlreiche Belege. Durch das Engagementder Weltgemeinschaft haben wir Polio nahezu ausgerot-tet. Seit 2000 wurden 8,5 Millionen Poliofälle durchImpfungen verhindert, und die Erkrankungen sind seit-her um weit über 95 Prozent gesunken; einzelne gehensogar von 99 Prozent aus.Die WHO schätzt, dass in den nächsten 20 Jahren al-lein in den Entwicklungsländern 40 bis 50 MilliardenUS-Dollar an Behandlungs- und Folgekosten gespartwerden können, wenn wir denn weiterhin impfen. Des-halb will ich auch die erfolgreiche Arbeit der GAVI-Alli-anz, die Impfmaßnahmen in armen Ländern unterstützt,hier hervorheben. In den letzten 12 bis 13 Jahren sindlaut GAVI in Entwicklungsländern über 300 MillionenKinder zusätzlich geimpft worden. Das sind zweifelloserfreuliche Zahlen.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass nach wie vor200 Millionen Menschen an Krankheiten wie Malaria,Gelbfieber, Denguefieber und anderen Krankheiten, diebei uns überhaupt nicht bekannt sind, erkranken. Alleinan Malaria sterben jährlich 600 000 Menschen, daruntersehr viele Kinder. Das ist in jedem Einzelfall eine Tragö-die, die sehr oft leicht zu verhindern gewesen wäre, undzwar durch Impfungen, den Zugang zu Medikamenten,zu sauberem Wasser und zu Nahrung sowie oft einfachauch durch Bildung und Aufklärung.Es ist auch gesamtgesellschaftlich und ökonomischbetrachtet eine Katastrophe. Krank zu sein oder garschwer zu erkranken, fällt in Entwicklungsländern un-gleich schwerer ins Gewicht als in Industrieländern wiedem unseren mit einem funktionierenden sozialen Ge-sundheitssystem. In den ärmsten Ländern der Welt gilt:Wer krankheitsbedingt ausfällt, kann nicht arbeiten. Wernicht arbeiten kann, kann sich und seine Familie nichternähren, kann seinen Kindern keine Schulbildung er-möglichen und vieles mehr. Dadurch werden Entwick-lung, Lebenschancen und Perspektiven behindert odergar verunmöglicht – eine Kette, die wir endlich unterbre-chen müssen.
Auch deshalb ist unser Engagement im gesamten Ge-sundheitsbereich gerade im Hinblick auf Impfungen undAufklärungskampagnen so elementar wichtig. Gesund-heit ist Grundvoraussetzung für eine funktionierendeVolkswirtschaft und für menschliche Entwicklung. OhneGesundheit laufen auch die besten Projekte in der Ent-wicklungszusammenarbeit ins Leere. Ein angemessenesEngagement in der Entwicklungszusammenarbeit ist na-türlich nur dann möglich, wenn die Voraussetzungen da-für auch adäquat und ausreichend sind. Was das angeht,habe ich so meine Zweifel.Im aktuell vorliegenden Haushaltsplan ist gegenüberdem Vorjahr ein Aufwuchs von 5 Millionen Euro für dieImpforganisation GAVI vorgesehen. Ja, das ist ein Zu-wachs, aber ein kleiner und ein zu kleiner, wie ichmeine. Impfungen sind teuer, aber effektiv. Ein bisschenImpfen bringt halt nichts. Deshalb glaube ich, dass wirmehr Mittel brauchen, als bisher eingeplant sind. Dieslässt sich durch Umschichtungen im Gesamthaushalt re-alisieren.Im Übrigen halte ich es auch für notwendig, dass sichDeutschland aktiv um die GAVI-Wiederauffüllungskon-ferenz 2015 bemüht. Für den „Globalen Fonds zur Be-kämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria“ siehtder Entwurf ein Aufstocken von 40 Millionen Euro fürdas Haushaltsjahr 2014 vor. Das ist gut. Aber auch dasage ich: Das ist nicht ausreichend. Vor allem aber istnicht klar ersichtlich, wie sich die Finanzierung in denJahren 2015 bis 2017 aufwachsend weiterentwickelnsoll. Um wirklich wirksam und effektiv gegen vernach-lässigte Krankheiten und Seuchen wie Polio und Ebolasowie gegen die großen Killer Aids, Malaria und Tuber-kulose vorgehen zu können, brauchen wir ein deutlichesMehr.
Der deutsche Beitrag zum Globalen Fonds muss meinerAnsicht nach innerhalb dieser Legislaturperiode auf400 Millionen Euro aufgestockt werden. Ich finde, dazusind Mittel im Gesamthaushalt durchaus vorhanden unddafür lohnt es sich auch zu kämpfen, Kolleginnen undKollegen.
Nebenbei bemerkt: In unserer globalisierten, mobilenWelt ist es auch keinesfalls so, dass hochansteckendeKrankheiten vor den Grenzen Europas haltmachen. Dieaktuellen Poliofälle unter den syrischen Flüchtlingenund Ebola in Afrika, wo einer von zehn Erkrankten über-lebt, sind nur wenige Flugstunden von uns entfernt. Da-bei wird deutlich: „Fast ausgerottete“ Krankheiten sindeben nur fast ausgerottet, sie können jederzeit wiederausbrechen und sich sehr schnell verbreiten.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesundheitsbe-reich steht nur exemplarisch für die generelle Ausstat-tung des Gesamtetats Entwicklung. Auch im Bereich„Ziviler Friedensdienst“ gibt es seit Jahren keinen Auf-wuchs mehr – die Kollegin Bärbel Kofler hat darauf hin-gewiesen –, und das, obwohl die Evaluierung positivausgefallen ist und belegt hat, wie wichtig und nützlichdieses Instrument ist. Der Ruf nach zivilen Helfern, nachFriedensfachkräften, nach ziviler Entwicklungszusam-menarbeit ist wesentlich deutlicher und lauter zu ver-nehmen als alles andere. Der verteidigungs- und außen-politische Bereich ist dann im Fokus, wenn die
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Stefan Rebmann
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Eskalationsstufe bereits auf Rot steht. Entwicklungspoli-tik muss wesentlich früher ansetzen und tut es auch, da-mit es erst gar nicht zur Eskalationsstufe Rot kommt.
Entwicklungspolitik ist nachhaltig und immer noch vorOrt – nahezu geräuschlos –, wenn die Scheinwerfer dermedialen Öffentlichkeit schon längst abgebaut sind.Kolleginnen und Kollegen, nachhaltige Entwicklungfordert langfristiges und finanziell abgesichertes Enga-gement.Ich komme zum Schluss. Ich finde, die Aufstockungum 2 Milliarden Euro für die kommenden vier Jahrespiegelt nur zum Teil die wichtige Rolle wider, dieDeutschland beigemessen wird und die wir auch selbervor den Vereinten Nationen und im Rahmen der Ver-handlungen über die ODA-Quote zugesagt haben. Wiralle wissen aber um das Struck’sche Gesetz; insofernsehe ich den kommenden Beratungen zuversichtlich ent-gegen.Liebe Kollegin Weiss, ich kämpfe gerne mit dir da-rum, dass freiwerdende finanzielle Mittel, wie es im Ko-alitionsvertrag steht, nicht nur zu einem Drittel zur Ent-lastung der Kommunen bereitgestellt werden – vielleichterreichen wir es auch gemeinsam, dass ein weiteres Drit-tel zur Bekämpfung der Armut in der Welt zur Verfü-gung gestellt wird. Wir als Sozialdemokratinnen und So-zialdemokraten werden unseren Beitrag dazu leisten.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion erhält
jetzt das Wort der Kollege Peter Stein.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es ist eine vergleichbardankbare Aufgabe, hier zu diesem Teil des Haushalts zureden. Im Haushaltsplan für das BMZ gibt es nämlichmit dem Aufwuchs der Mittel überwiegend gute Nach-richten. Herr Minister, so einen Haushalt, in dieserHöhe, hätten Ihre Vorgänger gerne gehabt.Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass manmit viel Geld den Problemen und Sorgen der halbenWelt etwas entgegensetzen kann. Die Herausforderun-gen sind aber, müssen wir leider immer wieder feststel-len, so groß – und es ist auch nicht immer nur eine Fragedes Geldes –, dass auch dieser Haushalt sicherlich nichtreichen wird. Die Millenniumsziele, insbesondere zumWelthunger und zur Gesundheit, wurden bislang ver-fehlt. Wir werden in diesen Bereichen daher auch zu-künftig noch mehr leisten müssen. In vielen Regionender Welt toben Kriege und andere gewaltsame Auseinan-dersetzungen. Wir haben es mit autoritären Systemen zutun, die ihre Bürger unterdrücken; wir haben es mit Eli-ten zu tun, die raffgierig Geld außer Landes schaffen.Außerdem müssen wir Hilfen geben, um präventiv Na-turkatastrophen zu begegnen; denn die treffen meist dieÄrmsten dieser Welt zuallererst und am stärksten. Man-gelhafte Wasserversorgung ist vielerorts ein Problem,genauso wie ein unterentwickeltes Gesundheitswesen.Meine Damen und Herren, wir wissen – das habenhier alle vorgetragen –, dass wir mit dem, was unserHaushalt hergibt, nicht alle Probleme der Welt lösenkönnen, schon gar nicht im Alleingang. Deswegen istneben einer angemessenen Bereitstellung der Mittel eineeffektive Verwendung der Gelder in Kooperation mit an-deren Ländern und auch mit Partnern aus der Wirtschaftentscheidend. Es braucht ein schlüssiges Programm, ei-nen roten Faden, der die einzelnen Ausgaben sinnvollzusammenführt und dabei auch die verschiedenen Res-sorts der Bundesregierung im Blick hat, die an der The-matik mitarbeiten. Ein solches Konzept hat uns MinisterGerd Müller bereits vorgestellt; auch Minister Steinmeierhat heute mit Hinweis auf die Staatssekretärsrunde etwasdazu gesagt.Die Schaffung der drei Sonderinitiativen für die Be-kämpfung des globalen Hungers, die Linderung derFlüchtlingsproblematik und die Unterstützung des Na-hen Ostens und Nordafrikas versetzt uns in die Lage,schnell und flexibel auf drängende Herausforderungenreagieren zu können.
Ich will dazu einige Aspekte herausstellen:Es ist richtig, dass das Entwicklungsministerium ei-nen Schwerpunkt auf die ländliche Entwicklung legenmöchte. Ein entscheidender Punkt dabei ist auch die Inf-rastruktur; denn es leben immer mehr Menschen in gro-ßen Ballungsräumen und Städten; in Libyen und Ägyptensind es bis zu 80 Prozent. Die Versorgung der Menschenmit Bildung und einem ausreichenden Gesundheitswesenist in diesen Zentren sicherlich leichter und effektivermöglich als auf dem Land. Der ländliche Raum lässt sichnur über eine gute Infrastruktur mit einer Stadt oder einemZentrum verbinden, um so beispielsweise den Bauern denWeg zu den Absatzmärkten in der Stadt zu erleichtern.Gleiches gilt für den Zugang der Menschen in ländlichenRegionen zu höherer Bildung, zu Arbeitsplätzen undzum Gesundheitswesen. Das Entscheidende dabei ist,dass dies möglich wird, ohne dass die Menschen ihreHeimatregion in Richtung der Stadt grundsätzlich aufge-ben müssen.Als Berichterstatter für die Maghreb-Staaten begrüßeich ganz besonders alle Maßnahmen, die getroffen wer-den, um den Ursachen der Flüchtlingsströme zu begeg-nen, denen sich diese Länder im Vorhof der Europäi-schen Union alltäglich ausgesetzt sehen. Betrachten wirzum Beispiel Tunesien: Das Land befindet sich auf ei-nem guten Weg, tatsächlich einen Erfolg nach dem Ara-bischen Frühling zu erleben. In dieser Übergangsphase
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2423
Peter Stein
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ist das Land verwundbar. Schon kleinere Verwerfungenbergen die Gefahr, dieses Land erneut zu destabilisieren.Wir alle wissen, dass die Ursachen, warum Menschenihr Land verlassen, sehr komplex sind. Daher begrüßeich besonders die Sonderinitiative „Fluchtursachen be-kämpfen, Flüchtlinge reintegrieren“, die sich dieser He-rausforderungen vielschichtig annehmen kann.
In diesem Kontext möchte ich die Förderung jungerMenschen in diesen Ländern besonders herausstreichen.Nur wenn sich ihnen eine berufliche Perspektive bietet,kann eine nachhaltige Stabilisierung der Region gelin-gen. Gerade junge Menschen brauchen Perspektiven.Der zum Teil gute Bildungsgrad derer, die ihre Hei-mat heute verlassen wollen, zeigt eines deutlich auf:Diese Menschen, meist junge Männer, sind fest ent-schlossen, aus diesem einen Leben, das sie haben, einLeben in Wohlstand und Freiheit zu machen, und dasauch, um ihre Familien unterstützen zu können. DieseMöglichkeit muss ihnen in der Heimat gegeben werden.Hierauf muss Deutschland in der wirtschaftlichen Zu-sammenarbeit und Entwicklung einen großen Fokus le-gen.
Eine Schlüsselrolle nehmen dabei meiner Meinungnach auch die Frauen ein. Zum einen kann eine stabileGesellschaft nur dann entstehen, wenn die Frauen diegleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und diegleichen Rechte haben;
denn Stabilität ist eine Voraussetzung für eine erfolgrei-che Gesellschaft. Zum anderen sind die Frauen vielleichtauch der emotionalste Grund für junge Männer, ihre Hei-mat gar nicht erst zu verlassen.
Meine Damen und Herren, mit dem vorgelegtenHaushaltsplan werden die zur Verfügung stehenden Gel-der sinnvoll, nachhaltig und entlang eines politischenKonzepts eingesetzt, dessen Zielstellungen man größten-teils sicherlich als neu bezeichnen kann. Wir werden da-mit hoffentlich viel erreichen.Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und über dieteilweise erfolgten Zusagen der Opposition, daran mit-zuarbeiten, und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist
Volkmar Klein, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Am Ende dieses Tages mit vielen außenpoliti-schen Themen und am Ende der Debatte zum Haushalts-plan des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenar-beit und Entwicklung sind schon so viele Details genannt,ist der Kurs der Bundesregierung schon so oft bestätigtworden und ist an so vielen Stellen darauf hingewiesenworden, dass der neue Minister Gerd Müller über ein her-vorragendes Ansehen auch jenseits des Parlamentes ver-fügt, dass ich nur noch drei aus meiner Sicht wesentlicheBotschaften herausstellen möchte.Die erste Botschaft lautet: Deutschland steht weiter-hin zu seiner Verantwortung in dieser Welt.
Genau das wird mit diesem Einzelplan 23 deutlich. Na-türlich gilt im Privaten und im Politischen wie überallauf der Welt: Hätte man noch mehr Geld, könnte mannoch viele gute Projekte finanzieren. Aber ein Wunsch-konzert gibt es nicht; wir müssen uns im vorgegebenenRahmen bewegen.
Ich will noch etwas zu den Rechenkünsten des Kolle-gen Kekeritz sagen. Er hat gesagt, man könne eventuelleinen Betrag aus dem EKF, dem Energie- und Klima-fonds, herausrechnen. Damit könnte er sogar recht ha-ben. Aber wenn er das macht, dann möchte ich Folgen-des in Erinnerung rufen – das weiß er eigentlich selber –:Im Haushaltsplan 2013 war in diesem Etat ein etwagleich hoher Betrag als Ausgabeposition enthalten, näm-lich ein Transfer an den IWF aus Goldverkäufen. Daswar eine einmalige Position, die deshalb dieses Malnicht im Etat enthalten ist. Also bitte! Entweder wir be-rücksichtigen beide Positionen oder keine von beiden.Jedenfalls kommt am Ende heraus: Der Etat des Einzel-plans 23 steigt um 2,3 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro.
Das ist aber noch nicht die eigentliche Botschaft. Die ei-gentliche Botschaft lautet, dass das Volumen des Ge-samthaushaltsplans um 3,7 Prozent auf deutlich unter300 Milliarden Euro sinkt. Das heißt, der komparativeAnteil des Einzelplans 23, der uns wichtig ist, am Ge-samthaushalt steigt beträchtlich. Das ist eine bemerkens-werte Botschaft.
Auch in Deutschland gibt es viele Aufgaben und He-rausforderungen. Jeder weiß doch, dass er in seinemWahlkreis gefragt wird: Wie kannst du die Aufgaben inDeutschland und die Aufgaben der Entwicklungspolitikmiteinander in Einklang bringen? Ich finde, das könnenwir sehr gut. Die Verantwortung für unsere Nächsten en-det nicht an unserer Grenze. Sie ist eine ethische Ver-pflichtung, die aber auch praktische Relevanz hat: Wirkönnen nicht auf Dauer in Frieden und Wohlstand leben,wenn jenseits unserer Grenzen im Osten und im Südenbittere Armut herrscht. Deswegen ist es für uns nicht nureine ethische Verpflichtung, sondern auch eine prakti-
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2424 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014
Volkmar Klein
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sche Aufgabe, hier sehr viel mehr zu tun, und das ma-chen wir.
Das knüpft im Übrigen an die Entwicklung seit 2009an. Ich bin seit 2009 im Bundestag. Seitdem ist das Volu-men des Gesamthaushalts um 1,6 Prozent auf den ebenvon mir genannten Betrag gesunken. Der Etat des Ein-zelplans 23 lag damals, als ich neu in den Bundestagkam, bei 5,8 Milliarden Euro und ist seitdem um10,6 Prozent gestiegen, obwohl einige Positionen he-rausgenommen wurden, wie etwa die Nothilfe, die heuteim Etat des Außenministeriums zu finden ist.Ich komme zur zweiten Botschaft – das ist langfristiggerade für diesen Bereich ganz wichtig –: Wir setzen al-les daran, weiterhin Kraft für die internationale Solidari-tät zu haben. Auch das Ziel der Haushaltskonsolidierungkann man unter dem Gesichtspunkt sehen, sich zukünf-tig Spielräume zu erhalten. Wenn wir, die Bundesrepu-blik Deutschland, heute weniger ausgeben als 2009, abertrotzdem zum Beispiel im Einzelplan 23 erheblicheMehrausgaben haben, dann haben wir das durch Um-schichtung erreicht. Die gesamte Einnahmesteigerung istin den Defizitabbau geflossen. In diesem Jahr – ichdenke, das kann man an dieser Stelle noch einmal her-ausstellen – werden wir erstmals seit 40 Jahren einenstrukturellen Überschuss erzielen. Das sichert uns künf-tige Spielräume auch für unsere internationale Verant-wortung.Als dritte Botschaft ist mir nicht nur als Haushälterwichtig, zu unterstreichen, dass wir mehr bieten alsGeld. Wir bringen Expertise und echte Partnerschaft mitein. Wenn man, wie eben die Kollegin Steffen gesagthat, in anderen Ländern unterwegs ist, schlägt einemschon Wertschätzung für unsere Arbeit in diesem Be-reich entgegen. Deutschland und auch unsere staatlicheKooperation werden in höchstem Maße geschätzt. Daswird nicht nur mit Worten untermauert, sondern auchdurch Zahlungen dokumentiert, beispielsweise wennsich andere Staaten an der Arbeit der GIZ beteiligen,Stichwort „trilaterale Einbindung der KfW“.Das ist alles sehr gut. Wichtig ist dabei, dass in finan-zieller Hinsicht alles langfristig und verlässlich unterlegtist. Auch das zeichnet uns aus, beispielsweise im Gegen-satz zu den Amerikanern, die erst die MCC, die Millen-nium Challenge Corporation, gründen mussten, umlängerfristige Zusagen zu machen. Wir haben das Instru-ment der Verpflichtungsermächtigungen. Damit arbei-ten wir bis an die Grenze der Vertretbarkeit und sagennicht nur 20 Milliarden Dollar zu. 30 Milliarden Dollarbeträgt die Summe der mit diesem Haushalt insgesamtausstehenden Verpflichtungsermächtigungen unseresLandes. Das relativiert manch eine Kritik. Jedenfalls er-scheint die Kritik damit auf relativ hohem Niveau.Wir müssen die Struktur des Haushalts noch im Ein-zelnen betrachten, die, glaube ich, durch die andere Ka-pitelstruktur übersichtlicher geworden ist. Wir müssenuns sicherlich, wie schon verschiedentlich betont wor-den ist, noch einmal mit den einzelnen Positionen befas-sen. Richtig ist, politische Schwerpunkte zu formulieren,statt nur über Kanäle zu reden. Es sorgt für das eine oderandere Grummeln auch im Bereich der nichtstaatlichenZusammenarbeit, wenn zum Beispiel seitens der Kir-chen oder Stiftungen oder Kooperationen mit der Wirt-schaft darauf hingewiesen wird, dass sie mehr Mittel er-wartet haben; aber das ist nur auf den ersten Blickrichtig. Beim näheren Hinsehen wird deutlich: Das Geld,das im Haushaltsplan für die politischen Schwerpunktevorgesehen ist, muss über einen der bewährten Kanäleabfließen. Das ist auch gut so.Wir werden sicherlich noch über viele Details spre-chen und den Haushaltsplan an vielen Stellen noch miteinem abschließenden Schliff versehen. Ich freue michauf die Beratungen im Haushaltsausschuss mit den Kol-legen aus dem Fachausschuss und dem Ministerium. Ichbin ganz sicher, dass wir am Ende die Botschaft„Deutschland steht zu seiner internationalen Verantwor-tung“ noch besser deutlich machen können.Ganz herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Wir
sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Abend und
berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages
ein auf morgen, Donnerstag, den 10. April 2014,
9.00 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.