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    Plenarprotokoll 18/29 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 29. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: (Fortsetzung) a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2014 (Haushaltsgesetz 2014) Drucksache 18/700 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2319 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017 Drucksache 17/14301 . . . . . . . . . . . . . . . . 2319 B Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2319 B Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2322 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2328 D Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2333 B Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2337 D Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2341 B Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2343 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2345 D Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 2347 C Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2349 D Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . . . 2350 C Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2352 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2353 D Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2354 D Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2356 A Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2357 A Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2358 A Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2360 D Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . 2361 D Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2364 B Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2365 C Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 2366 C Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2367 C Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2368 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2369 C Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 2370 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2371 C Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2372 B Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 2373 D Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2374 D Tagesordnungspunkt 4: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Beteiligung Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydro- lyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der ge- meinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemie- waffen Drucksachen 18/984, 18/1067 . . . . . . . . . 2376 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/1096 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2376 D Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2377 A Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2378 D Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2380 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2381 B Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2382 C Julia Bartz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2383 B Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 2384 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2387 D Annette Groth (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2384 D Tagesordnungspunkt 1: (Fortsetzung) a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2014 (Haushaltsgesetz 2014) Drucksache 18/700 b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2013 bis 2017 Drucksache 17/14301 Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2385 B Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2390 A Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2391 A Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2393 D Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 2395 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . . . 2397 B Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2397 D Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2399 B Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2399 C Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2401 C Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2402 C Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 2404 C Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 2405 B Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2407 A Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2409 C Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2411 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2412 D Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . 2414 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 2415 B Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2416 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2418 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2419 D Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2420 D Peter Stein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 2422 B Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 2423 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2424 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 2425 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffne- ter deutscher Streitkräfte am maritimen Be- gleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Che- miewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mis- sion zur Vernichtung der syrischen Chemie- waffen (Tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . 2425 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 2425 C Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 2426 B Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 2426 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2426 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2427 B Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 2428 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 III Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, Cornelia Möhring, Martina Renner, Kathrin Vogler (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffne- ter deutscher Streitkräfte am maritimen Be- gleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Che- miewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mis- sion zur Vernichtung der syrischen Chemie- waffen (Tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . 2428 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz und Hubertus Zdebel (beide DIE LINKE) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleit- schutz bei der Hydrolyse syrischer Chemie- waffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen (Ta- gesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2428 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Alexander S. Neu, Heike Hänsel, Inge Höger, Annette Groth, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, Karin Binder, Pia Zimmermann, Niema Movassat, Azize Tank, Katrin Werner (alle DIE LINKE) zur nament- lichen Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mis- sion zur Vernichtung der syrischen Chemie- waffen (Tagesordnungspunkt 4) . . . . . . . . . . . 2429 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2319 (A) (C) (D)(B) 29. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2425 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 09.04.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 09.04.2014 Ehrmann, Siegmund SPD 09.04.2014 Ernstberger, Petra SPD 09.04.2014 Dr. Fabritius, Bernd CDU/CSU 09.04.2014 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 09.04.2014 Gleicke, Iris SPD 09.04.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 09.04.2014 Groß, Michael SPD 09.04.2014 Hardt, Jürgen CDU/CSU 09.04.2014 Haßelmann, Britta BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.04.2014 Hellmuth, Jörg CDU/CSU 09.04.2014 Keul, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.04.2014 Lezius, Antje CDU/CSU 09.04.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.04.2014 Dr. Priesmeier, Wilhelm SPD 09.04.2014 Pronold, Florian SPD 09.04.2014 Rawert, Mechthild SPD 09.04.2014 Rüthrich, Susann SPD 09.04.2014 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09.04.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 09.04.2014 Schwabe, Frank SPD 09.04.2014 Dr. Tauber, Peter CDU/CSU 09.04.2014 de Vries, Kees CDU/CSU 09.04.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 09.04.2014 Zech, Tobias CDU/CSU 09.04.2014 Ziegler, Dagmar SPD 09.04.2014 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschus- ses zu dem Antrag der Bundesregierung: Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syri- scher Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mis- sion zur Vernichtung der syrischen Chemiewaf- fen (Tagesordnungspunkt 4) Ulla Jelpke (DIE LINKE): In diesem Parlament wer- den zurzeit im Wochentakt Militäreinsätze beschlossen. Es wird umgesetzt, was die Große Koalition angekün- digt und was Bundespräsident Joachim Gauck bei der Münchner Sicherheitskonferenz gefordert haben: Deutsch- land will militärisch wieder an möglichst vielen Schau- plätzen der Welt mitmischen, Deutschland will zur welt- weiten Militärmacht werden, der bewaffnete Einsatz – früher hat man einfach Krieg gesagt – soll zur norma- len Option deutscher Außenpolitik werden. Ich bin nicht in dieses Parlament gewählt worden, um dieser militaristischen Politik zuzustimmen. Ich habe in den vielen Wahlkämpfen, die ich bislang für die PDS und die Linke geführt habe, immer klargestellt, dass ich gegen jeden deutschen Militäreinsatz bin, so wie es auch heute im Programm der Linkspartei und auch im Wahl- programm verankert ist. Es ist bezeichnend, dass eine kompromisslose Anti- kriegspolitik vom Mainstream der deutschen Medien und von deutlich über 90 Prozent dieses Hauses als „nicht regierungsfähig“ abgetan wird. Ich mache keinen Hehl daraus: Wenn die Bereitschaft zum Krieg, die Be- reitschaft zur Entsendung der Bundeswehr, die Eintritts- karte zum Regieren sein soll, dann bin ich gegen das Mitregieren. Das gilt auch bei der heutigen Abstimmung. Da ist zunächst festzuhalten: Es gibt für die von der Bundesre- gierung geforderte Militärmission nicht einmal ein UN- Mandat. Es gibt keine präzise Gefährdungseinschätzung und keinerlei konkrete Hinweise auf mögliche Angriffe auf das US-amerikanische Schiff, auf dem die Chemie- waffen neutralisiert werden sollen. Die Bundesregierung Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 2426 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 (A) (C) (D)(B) hat in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage vage auf mögliche „organisierte Kriminalität, Piraterie und Terro- rismus“ verwiesen. Damit lässt sich aber kein Bundes- wehrmandat rechtfertigen. Die aufgezählten „mögli- chen“ Bedrohungen sind allesamt nichtmilitärischer Natur. Ihre Abwehr ist eine Polizeiaufgabe. Das betont die Linke schon in der Kritik des „Antipiraterie“-Einsat- zes vor Somalia, und das gilt es auch jetzt zu betonen. Die EU-Mittelmeeranrainer verfügen über entspre- chende polizeiliche Ressourcen, ihre Küstenwachen und andere Grenzbehörden sind für den Einsatz auch auf See ausgestattet. Davon abgesehen ist das Mittelmeer ohne- hin schon hochmilitarisiert und wimmelt nur so von Kriegsschiffen der NATO. Ein zusätzlicher Bundes- wehreinsatz ist daher auch sachlich unnötig und dient einzig dem politischen Zweck, Deutschland wieder an eine Art vorderster Front zu bringen. Hinzu kommt, dass das Mandat, wie gewohnt, extrem „großzügig“ ist und nicht nur das Mittelmeer, sondern auch bei Bedarf den Nordatlantik mit angrenzenden See- gebieten in internationalen Gewässern umfasst. Mit an die 50 Millionen Quadratkilometer deckt das Mandat da- mit einen äußerst großen Teil der Nordhalbkugel der Erde ab. Das ist sachlich völlig unnötig und nur Aus- druck des Großmachtstrebens, das hinter dem Mandat steckt. Eine Zustimmung zu einem solchen Einsatz würde nicht nur die prinzipielle Haltung der Linken gegen Bun- deswehreinsätze im Ausland durch eine nur scheinbar harmlose Einzelfallentscheidung durchlöchern. Sie würde auch den Einsatz der Bundeswehr zum Zwecke der „Ab- wehr“ einer „Gefahr“ gutheißen, die ganz und gar im Va- gen bleibt. Und sie würde die Mandatierung der Bundes- wehr mit Polizeiaufgaben legitimieren. Das sind viele Gründe, dagegenzustimmen. Stefan Liebich (DIE LINKE): Die Debatte um den Schutz der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen wird innerhalb meiner Fraktion kontrovers geführt. Ich respektiere viele Argumente derer, die dem vorliegenden Mandat nicht ihre Zustimmung erteilt haben, bin aber zu einem anderen Schluss gekommen. Ich habe dem Antrag der Bundesregierung zugestimmt und möchte hier meine Begründung darlegen. Ich halte den Schutz der Zerstörung von Massenver- nichtungswaffen für den besten Auftrag, den eine Armee erfüllen kann. Als am 27. September 2013 der einstim- mige Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- nen mit der Zustimmung Russlands und der Volksrepu- blik China für die Ausfuhr und die Vernichtung der Chemiewaffen aus Syrien – Resolution 2118 – gefasst wurde, ist eine weitere Eskalation des Bürgerkriegs ver- hindert worden. Die angekündigte Intervention der Ver- einigten Staaten von Amerika in diesen Krieg konnte so vermieden werden und der erneute Einsatz von Massen- vernichtungswaffen wurde bis zu deren vollständigem Abzug erschwert bzw. danach verhindert. Die Vereinten Nationen haben in der Resolution 2118 des Sicherheitsrates alle Mitgliedstaaten um die Hilfe bei der Beseitigung der Chemiewaffen gebeten. Dänische Schiffe bringen die Chemiewaffen unter dem Schutz rus- sischer und chinesischer Schiffe nach Italien, dort wer- den sie auf die US-amerikanische „Cape Ray“ verladen; es ist unter anderem ein deutsches Schiff, das dann den Prozess der Hydrolyse bewacht. Viele Länder beteiligen sich an diesem wichtigen Prozess. Die Bundesrepublik Deutschland steht durch ihr Han- deln in der Vergangenheit in diesem Konflikt in beson- derer Verantwortung. Die Auslieferung von Dual-Use- Gütern, die zur Herstellung von Chemiewaffen genutzt werden können, an Syrien, ein Land, das zu diesem Zeit- punkt die Chemiewaffenkonvention nicht ratifiziert hatte, war falsch. Auch darum ist es jetzt wichtig, dass die Bundesrepublik Deutschland sich in besonderem Maße bei der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen engagiert. Ich bin für eine konsequente Abrüstung von Massen- vernichtungswaffen weltweit. Ich bin für eine starke UNO. Ich bin für eine konsequente Einhaltung des Völ- kerrechts. Daher habe ich dem Antrag der Bundesregie- rung zugestimmt. Petra Pau (DIE LINKE): Hiermit erkläre ich, dass ich zur vorliegenden Beschlussempfehlung mit Enthal- tung stimme. Erstens. Zur Abstimmung stand die Beschlussempfeh- lung des Auswärtigen Ausschusses – Drucksache 18/1067 – zu einem Antrag der Bundesregierung – Drucksache 18/984 – zur „Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Ver- nichtung der syrischen Chemiewaffen“. Ich habe mit Enthaltung votiert. Zweitens. Es geht um die Vernichtung syrischer Che- miewaffen, also um Abrüstung. Das findet meine Zu- stimmung, zumal die Bundesrepublik Deutschland dafür eine große Verantwortung trägt, da sie maßgeblich an der Hochrüstung Syriens – und weiterer Staaten – betei- ligt war bzw. ist. Das spräche für ein Ja. Drittens. Zugleich ist nicht auszuschließen, dass die USA und weitere NATO-Staaten diese Beteiligung der Deutschen Bundeswehr als Entlastung missdeuten, um die angedrohte militärische Eskalation gegen Russland im aktuellen Krim-Konflikt zu forcieren. Das spräche für ein klares Nein. Viertens. Meine gewissenhafte politische Abwägung zwischen einem Ja zum militärischer Abrüstung und ei- nem Nein zu militärischer Eskalation führt mich im kon- kreten Fall zu einer Enthaltung in oben genannter Ab- stimmung. Richard Pitterle (DIE LINKE): Dem Wunsch der Bundesregierung, dem beantragten Mandat meine Zu- stimmung zu geben, kann ich nicht entsprechen. Grundsätzlich befürworte ich den Einsatz der Bundes- wehr im Ausland nicht. Dies nicht aus einer pazifisti- schen, sondern aus einer antimilitaristischen Grundhal- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2427 (A) (C) (D)(B) tung heraus, weil alle Erfahrungen zeigen, dass sich letztlich Probleme in der Welt nicht militärisch lösen las- sen. Darüber hinaus bin ich der festen Überzeugung, dass sich Deutschland aus historischen Gründen – aufgrund der bei den europäischen Völkern unvergessenen Verbrechen der Deutschen Wehrmacht – militärisch nicht engagieren sollte. Gegenwärtig erleben wir eine Politik der systemati- schen Ausweitung von Bundeswehreinsätzen, die mit der „gewachsenen Verantwortung“ Deutschlands be- gründet wird. Diese lehnt die Linke zu Recht als einzige Fraktion ab. Trotz meiner grundsätzlichen Ablehnung der deut- schen Auslandseinsätze war ich bereit, das vorliegende Mandat auf seine Zustimmungsfähigkeit zu prüfen, weil es sich meines Erachtens um keinen Kriegseinsatz han- delt. Denn eine grundsätzliche Haltung entbindet den Abgeordneten nicht von der Verantwortung, zu prüfen, ob eine Teilnahme der Bundeswehr an Abrüstungsmaß- nahmen sinnvoll wäre. Die Abrüstung und Vernichtung der chemischen Waffen Syriens sind ein positiver Schritt, der von mir und meiner Fraktion als Ganzes be- grüßt wird. Insbesondere die Entsorgung der Waffen in der niedersächsischen Anlage in Munster ist ein wichti- ger Beitrag, den Deutschland leisten kann. Die hingegen von der Bundesregierung beantragte Teilnahme einer Fregatte der Bundeswehr zur Sicherung des Vorgangs der Demontage auf einem Kriegsschiff halte ich für nicht erforderlich und für reine Symbolpoli- tik. Auf Kosten der Steuerzahler soll die Fregatte der Bundeswehr eingesetzt werden, damit Frau von der Leyen ihren Anspruch auf „Mitverantwortung“ unter- streichen kann. Die hierbei von der Bundesregierung ge- nannten Kosten von 7,2 Millionen Euro sind reine Steu- erverschwendung und könnten anderweitig sinnvoller eingesetzt werden. Als Finanzpolitiker muss ich den Einsatz daher bereits aus fiskalischen Gründen ablehnen. Ich habe mich nach gründlicher Abwägung aller Ar- gumente entschieden, mit Nein zu stimmen, aber will festhalten, dass ich ausdrücklich die Entscheidung mei- ner Kolleginnen und Kollegen respektiere, die nach Ab- wägung der Argumente zustimmen oder sich enthalten. Es ist eine Stärke unserer Fraktion, dass wir unsere un- terschiedliche Meinung respektieren und dem anders Entscheidenden nicht andere Motive für seine Entschei- dung unterstellen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Be- gleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der „Cape Ray“ im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Che- miewaffen habe ich nicht zugestimmt. Die nachfolgen- den, im Wesentlichen vom Journalisten René Heilig be- reits im Neuen Deutschland vom 5. April 2014 unter dem Titel „Deutsche Marine als Lückenbüßer“ genann- ten Argumente haben mich zu einem Nein bei der Ab- stimmung bewogen. Erstens. Deutschland beteiligt sich an der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen im eigenen Land, in Muns- ter. Die Abfallprodukte der Zerstörung auf hoher See werden nach Deutschland transportiert und von einer bundeswehreigenen Gesellschaft am Bundeswehrstand- ort Munster endgültig vernichtet. Diese Beteiligung an der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ist aus- drücklich zu begrüßen und zu unterstützen. Das Argu- ment, Deutschland würde sich nicht an der Vernichtung beteiligen, gilt demnach nicht. Deutschland beteiligt sich an der Vernichtung. Zweitens. Die „Cape Ray“ ist nicht schutzlos. Für ih- ren Schutz bedarf es der deutschen Marine nicht. Für den Abtransport der syrischen Kampfstoffe aus dem Hafen von Latakia durch den dänischen Frachter „Ark Futura“ und die norwegische „Taiko“ ist eine Nahsicherung vor- gesehen, die von der russischen und der chinesischen Marine gestellt wird. Derzeit sind rund 60 Prozent der syrischen Kampfstoffe, die in der Masse in Tanks gela- gert sind, auf die Schiffe gebracht. Auf hoher See über- nehmen drei Kriegsschiffe aus Norwegen, Dänemark und Großbritannien den Schutz der beiden Frachter. Die sollen die Kampfstoffe in den italienische Containerha- fen Gioia Tauro nördlich der Straße von Messina brin- gen. Dort werden diese unter Schutz der italienischen Sicherheitskräfte auf die „Cape Ray“ umgeladen. Außer- halb der italienischen Hoheitsgewässer wird das US- Spezialschiff durch die US-Navy gesichert. Das Argu- ment, die Vernichtung der Chemiewaffen müsse geschützt werden, ist richtig. Es ist aber nicht erkennbar, dass zum Schutz der Vernichtung die deutsche Marine erforderlich ist. Drittens. Die US-Mittelmeerflotte hat zwei Fregatten ins Schwarze Meer abgestellt, um vor den Krim-Gewäs- sern Manöver mit Verbündeten abzuhalten. Soweit diese beim weiteren Schutz der „Cape Ray“ fehlen sollten, kann und darf dies nicht durch die deutsche Marine aus- geglichen werden. Diese wäre dann tatsächlich Lücken- büßer und legitimiert damit das militärische Manöver vor der Krim. Militärische Manöver statt Schutz von Ab- rüstungsaktivitäten sind keine gute Begründung, um ei- nen Einsatz der deutschen Marine im Ausland als Lü- ckenbüßer zu rechtfertigen. Viertens. Das Mandat umfasst – Punkt 3 – auch Tran- sitfahrten im Mittelmeer und bei Bedarf auch im Nordat- lantik mit angrenzenden Seegebieten – also der Nord- und Ostsee. Damit sollen jene Schiffe eskortiert werden, die die nach der Hydrolyse der syrischen Kampfstoffe auf der „Cape Ray“ anfallenden chemischen Stoffe zu den endgültigen Vernichtungsstätten in Großbritannien, im deutschen Munster und nach Finnland bringen. Diese Fracht ist dann aber gar nicht mehr als Waffe verwend- bar. Ein militärischer Begleitschutz ist hier also gar nicht nötig. Ganz klar will ich aber auch sagen: Es handelt sich nicht um einen Kriegseinsatz der Bundeswehr. Krieg ist etwas anderes. Wer hier von Kriegseinsatz spricht, ver- harmlost Krieg. 2428 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 (A) (C) (D)(B) Harald Weinberg (DIE LINKE): Ich bin für die Ver- nichtung dieser syrischen und aller anderen Chemiewaf- fen sowie aller weiteren Massenvernichtungswaffen – sie hätten niemals hergestellt werden dürfen –, auch wenn ich den Antrag der Bundesregierung ablehne. Ich begrüße es, dass die endgültige Entsorgung in Deutschland – Munster, GEKA – vorgenommen wird. Mit der Lieferung von Ausgangsstoffen hat Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit einen wesentlichen Anteil an der Existenz dieser Chemiewaffen und leistet durch die Entsorgung einen wichtigen Beitrag zu ihrer Ver- nichtung. Für die Gesamtaktion der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen an Bord der „Cape Ray“ ist eine Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz aus meiner Sicht völlig entbehrlich. Das gilt selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass die von Russland im Rahmen des NATO-Russland-Rats angebo- tene Unterstützung mit Begleitschiffen nun seitens der NATO im Zusammenhang mit der Krim-Krise abgewie- sen wurde. Sogar die Bundesverteidigungsministerin spricht von einem eher symbolischen Beitrag, den die deutsche Fregatte hier leiste. Deshalb werde ich den Antrag der Bundesregierung ablehnen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, Cornelia Möhring, Martina Renner, Kathrin Vogler (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am mariti- men Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen (Tagesordnungspunkt 4) Die Vernichtung syrischer Chemiewaffen ist ein be- deutsamer Beitrag zur Abrüstung und ein notwendiger, jedoch nicht hinreichender Beitrag zum Schutz der syri- schen Zivilbevölkerung in einem anhaltenden, grausa- men Bürgerkrieg, dem bereits Zehntausende zum Opfer gefallen sind. In Übereinstimmung mit unserer Fraktion unterstützen wir die Beteiligung Deutschlands an dieser Aktion durch die Entsorgung der Reststoffe im nieder- sächsischen Munster. Die Entsendung deutscher Solda- tinnen und Soldaten auf der Fregatte „Augsburg“ zum militärischen Begleitschutz im Rahmen der US-geführ- ten Aktion lehnen wir jedoch ab und stimmen deswegen mit Nein. Das von der Bundesregierung vorgelegte Mandat be- gründet unserer Ansicht nach weder die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit dieses erneuten Bundeswehrein- satzes noch schafft es hinreichende Klarheit über Art und Umfang von Einsatzgebiet und Auftrag. Zudem steht dieser Einsatz symbolisch für eine Politik der syste- matischen Ausweitung von Bundeswehreinsätzen, die wir ablehnen. Wir haben uns intensiv mit dieser Frage auseinander- gesetzt und unsere Entscheidung begründet nach Abwä- gung aller Argumente getroffen. Wir erklären ausdrück- lich unseren Respekt vor denjenigen Kolleginnen und Kollegen, die nach ebenso ernsthafter Abwägung der Argumente und Hintergründe für sich zu einer anderen Schlussfolgerung gekommen sind. Wir halten das für ei- nen Gewinn an politischer Kultur. Die Linke ist diejenige Fraktion im Bundestag, die sich am deutlichsten für eine Zivilisierung der deutschen Außenpolitik, für umfassende Abrüstung, Vernichtung von Massenvernichtungswaffen und gegen Rüstungs- exporte einsetzt. Das konsequente Nein zu den Kampf- einsätzen der Bundeswehr und das Aufzeigen von Alter- nativen bleibt Grundlage unserer gemeinsamen Politik. Damit vertritt die Linke auch eine Mehrheit in der Be- völkerung, die diese Einsätze ablehnt und ohne uns keine Stimme im Bundestag hätte. Das wird auch so bleiben. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz und Hubertus Zdebel (beide DIE LINKE) zur na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am mariti- men Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen (Tagesordnungspunkt 4) Wir haben heute gegen den Antrag der Bundesregie- rung zur Entsendung eines bewaffneten Kriegsschiffes der Bundeswehr mit 300 Soldatinnen und Soldaten ins Mittelmeer, den Nordatlantik und angrenzende Seege- biete gestimmt. Wir sind für die Vernichtung des syrischen Giftgases und auch dafür, dass die Reststoffe in der bundeswehrei- genen Firma GEKA in Munster vernichtet werden. Den Begleitschutz durch die Fregatte „Augsburg“ lehnen wir ab. Denn er findet nicht im luftleeren Raum statt. Er ist Teil der Neuausrichtung der Bundeswehr, die in immer mehr internationale Einsätze geschickt werden soll. Die Bundesregierung will die Öffentlichkeit weiter an Auslandseinsätze der Bundeswehr gewöhnen. Vor nicht mal einer Woche wurde ein neuer Bundeswehreinsatz in Somalia beschlossen, morgen stimmen wir über einen weiteren neuen Einsatz in der Zentralafrikanischen Re- publik ab. Wir lehnen diese Neuausrichtung ab. Die Bundesregierung nutzt die Vernichtung der Chemiewaf- fen auch, um das schlechte Bild von Auslandseinsätzen zu korrigieren. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 29. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. April 2014 2429 (A) (C) (D)(B) Die Bundesregierung hat in den Fachausschüssen des Bundestages falsch informiert. Sie hat ein Mandat vor- gelegt, das ein weit über den geplanten Einsatz hinaus- gehendes Einsatzgebiet vorsieht. Dieses Vorgehen zeigt zum wiederholten Mal, dass die Regierung zum Teil keine korrekten Informationen über die Planung von Bundeswehreinsätzen und die Einsätze selbst gibt. Deutsche Unternehmen haben jahrelang Material für Giftgasfabriken und Giftgasbestandteile, sogenannte Dual-Use-Güter, nach Syrien geliefert. Es wäre wichtig, sofort die Lieferung von Dual-Use-Chemikalien an Län- der, die nicht Mitglied der Chemiewaffenkonvention sind, einzustellen. Dies wäre, neben der Beteiligung an der Vernichtung des Chemiewaffenprogramms Syriens in Munster, der wichtigste Beitrag, den zukünftigen Ein- satz von Chemiewaffen zu verhindern, nicht die Entsen- dung der Bundeswehr ins Mittelmeer. Deshalb haben wir heute gegen die Entsendung der Marine gestimmt. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Alexander S. Neu, Heike Hänsel, Inge Höger, Annette Groth, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, Karin Binder, Pia Zimmermann, Niema Movassat, Azize Tank, Katrin Werner (alle DIE LINKE) zur namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Che- miewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Ver- nichtung der syrischen Chemiewaffen (Tages- ordnungspunkt 4) Wir haben heute aus prinzipieller Sicht, aber gerade auch angesichts der konkreten Sachlage gegen den An- trag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der „Cape Ray“ gestimmt. Wir teilen die Einschätzung aus der Friedensbewegung, von Friedensaktivisten und Frie- densforschern, dass „kein plausibler Grund erkennbar (ist), den zwischen Syrien und den Vereinten Nationen bzw. der OPCW ausgehandelten Abzug des gesamten syrischen Chemiewaffenarsenals und dessen Vernich- tung mit einer militärischen Komponente vonseiten der Bundesrepublik Deutschland zu begleiten“ (Stellung- nahme Bundesausschuss Friedensratschlag 08.04.2014). Unsere Antwort muss zivil bleiben. Wir möchten, dass der zivile Beitrag Deutschlands zur Vernichtung der syri- schen Chemiewaffen ausgeweitet wird. Deutschland darf in Zukunft nicht weiter Chemikalien oder Anlagen, die zur Herstellung von Chemiewaffen dienen, in Länder exportieren, die die Chemiewaffenkonvention nicht rati- fiziert haben. Wir haben gegen den Antrag der Bundesregierung ge- stimmt, weil wir überzeugt sind, dass unsere Antwort eben nicht militärisch sein darf. Auslandseinsätze der Bundeswehr lösen kein einziges Problem. Im Gegenteil schaffen sie ständig neue Probleme. Deutschland ist an der Vernichtung der Chemiewaffen aus Syrien beteiligt, ohne dass es an einem Auslandseinsatz teilnehmen muss: Die sichergestellten Chemiewaffen werden unter anderem nach Munster in Niedersachsen gebracht, wo sie vernichtet werden. Deutschland erbringt damit einen maßgeblichen Beitrag zur Vernichtung der Chemiewaf- fen. Das ist konkrete Abrüstungspolitik. Wir haben heute gegen den Einsatz gestimmt, weil sich zudem eine ganze Reihe von neuen Risiken, die mit dem Einsatz eines deutschen Kriegsschiffs verbunden sind, ergeben. Gerade auch vor dem Hintergrund der Be- endigung der militärischen NATO-Russland-Koopera- tion, einer neuen Eskalation der USA, Saudi-Arabiens und der Türkei mit False-Flag-Operations und der mög- lichen Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen Syrien ist äußerste Vorsicht geboten. Auf Nachfragen konnte die Bundesregierung keine schlüssige Erklärung liefern, warum das Mandat nicht nur das Mittelmeer, sondern auch den Nordatlantik und dessen angrenzende Seege- biete umfasst. Unklar ist weiterhin, wie viele Kriegs- schiffe insgesamt überhaupt eingesetzt werden sollen. Auch was die Aufgaben angeht, ist das Mandat einfach unklar. Diese Situation gebietet es, der Bundesregierung nicht eine unwidersprochene Carte blanche für ihren Mi- litäreinsatz zu erteilen. Die Anfrage für die Entsendung des deutschen Kriegsschiffs kommt direkt von den USA. Die Frage, ob neben einer symbolischen Funktion hier eine deutsche Entlastung der Kriegsmarine der USA für andere Aufgaben nach dem Vorbild der Abstellung deut- scher Wachmannschaften zur Bewachung von US-Ka- sernen im Vorfeld des Irak-Krieges übernommen werden soll, bleibt ungeklärt. Sie stellt sich allerdings aktuell verschärft, da ein weiteres US-amerikanisches Kriegs- schiff ins Schwarze Meer entsandt wurde und die Bundeswehr hier somit eine Entlastungsfunktion für die US-Streitkräfte im Mittelmeer übernimmt. Die 12 Mil- lionen Euro für diesen neuen Militäreinsatz wären für die Aufstockung des Etats des World Food Programme für die syrischen Flüchtlinge besser aufgehoben. So stimmen wir auch deshalb gegen den Einsatz, weil er ne- ben einer symbolischen Funktion dazu beiträgt, Kriegs- schiffe für eine Eskalationspolitik der USA gegen Russ- land freizusetzen. Wir sagen aber nicht zuletzt auch heute Nein zum Einsatz deutscher Kriegsschiffe im Mittelmeer, weil es der Kontext einer verstärkt militarisierten deutschen Au- ßenpolitik ist, der eine Ablehnung des Einsatzes nahe- legt. Seit der Münchner Sicherheitskonferenz und den Erklärungen von Außenminister Steinmeier und Vertei- digungsministerin von der Leyen, mehr deutsche Welt- geltung mit einer Ausweitung deutscher Auslandsein- sätze erreichen zu wollen, wird im Bundestag nahezu in jeder Sitzungswoche über einen neuen Auslandseinsatz abgestimmt. Wie die große Mehrheit der Bevölkerung lehnen wir Auslandsabsätze der Bundeswehr ab. Deutsch- land sollte sich nicht militärisch engagieren, sondern zi- vil. Offsetdruc sellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 K kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 öln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 29. Sitzung Inhaltsverzeichnis Epl 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Epl 05 Auswärtiges Amt TOP 4 Bundeswehreinsatz VN/OVCW (Syrische C-Waffen) Epl 14 Verteidigung Epl 23 Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Lammert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Nächste Rednerin ist die Kollegin Katrin Göring-

    Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


    (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
    100 Tage Schonfrist gesteht man jeder neuen Regierung
    zu.


    (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Der Opposition auch!)


    Union und SPD haben viele geschont, vor allem sich
    selbst.

    Heute behaupten Sie, Sie machten keine Schulden.


    (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Machen wir auch nicht!)


    Ich sage Ihnen: Doch, Sie verschulden sich: an den Jun-
    gen, an den Armen und an der Umwelt.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Sie machen Politik für die Babyboomer – das wussten
    wir schon –, seit neuestem auch für die BASF, die sich
    sehr freut. Sie sind so etwas wie eine Amigo-Generation.
    Die Generation der unter 30-Jährigen jedenfalls hat bei
    Ihnen nichts zu lachen.


    (Tino Sorge [CDU/CSU]: Fragen Sie die doch mal!)






    Katrin Göring-Eckardt


    (A) (C)



    (D)(B)

    Die Industrieprivilegien beim EEG und damit die
    Mehrkosten für Verbraucherinnen und Verbraucher, die
    Sie alle gerade verabredet haben, sind auf einem Niveau,
    das früher wenigstens jedem Sozialdemokraten die
    Schamröte ins Gesicht getrieben hätte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Sie verschieben jede schwierige Entscheidung auf die
    nächste Legislaturperiode. Fast könnte man glauben: Je-
    der von Ihnen hofft darauf, an der nächsten Regierung
    nicht beteiligt zu sein, damit Sie diesen Schlamassel
    nicht ausbaden müssen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wie hieß doch damals der Spruch der westdeutschen
    Jugend? Erst wenn die letzte Rentenkasse geplündert,
    die letzte Sozialkasse geleert und alle Schulden ange-
    häuft sind, werden Sie merken, dass man Koalitionsver-
    träge nicht essen kann.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Zur Erinnerung: In der letzten Großen Koalition woll-
    ten Sie noch etwas erreichen, ganz unabhängig davon,
    wie man das im Einzelnen findet. Damals haben Sie mit
    einer kleineren Mehrheit die Föderalismusreform ge-
    stemmt, die Rente mit 67 eingeführt, Subventionen ab-
    gebaut, die teuer, aber populär waren, und auf den letz-
    ten Metern sogar noch die Schuldenbremse eingeführt.
    Damals hatte man wenigstens noch das Gefühl, Sie wol-
    len Verantwortung übernehmen.


    (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie haben die Verantwortung verweigert!)


    Heute sind wir bei „Wünsch dir was“. Der Unter-
    schied zum Märchen mit der guten Fee ist allerdings:
    Hier hat nicht jeder drei Wünsche frei, sondern jedes
    Mal, wenn einem ein neuer Wunsch einfällt, kriegt der
    andere noch einen obendrauf erfüllt. Mit Verantwortung
    hat das nichts zu tun.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Heute wickelt die eine Hälfte von Ihnen die eigene
    Parteigeschichte ab, inklusive Franz Müntefering, wäh-
    rend sich die andere auf den volkswirtschaftlichen Res-
    ten ausruht, die dann noch übrig bleiben. Meine Damen
    und Herren, Sie haben 504 Mandate im Deutschen Bun-
    destag.


    (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das hat der Wähler entschieden!)


    Aber, ehrlich gesagt, in diesen 100 Tagen gab es noch
    keine einzige neue Idee.

    Sie beide vereint nicht etwa die Leidenschaft,
    Deutschland für das 21. Jahrhundert fit zu machen. Sie
    verteilen lieber leidenschaftlich, was Sie nicht bezahlen
    können. Sie bestellen; die Kinder und Enkel bezahlen.
    Sie machen Politik nach der Formel „Rente mit 70 mi-
    nus 63 ist gleich Mütterrente“. Ich finde das absurd. Ich
    finde, das hat mit Zukunft nichts zu tun, und mit Verant-
    wortung für die Zukunft erst recht nicht.

    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Doch!)


    Das Ganze kostet, wie Sie wissen, 160 Milliarden
    Euro. Für die Schulsozialarbeit – ich glaube, keiner wird
    einen Deut daran zweifeln, wie wichtig sie ist – werden
    400 Millionen Euro fehlen. Aber die Schüler dürfen
    nicht wählen, und die Kommunen und Länder nörgeln ja
    eh immer nur herum.


    (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Manche!)


    Ich habe den Eindruck, Sie vergessen völlig, worauf es
    eigentlich ankommt.

    Liebe SPD, es ging ganz fix: Zuerst war es noch ein
    zentrales Thema, dass die Kommunen und Länder unter-
    stützt werden und wir in Bildung und Kinder investieren.
    Jetzt handeln Sie nach dem Motto „2018 reicht auch
    noch“. Das ist eine Mogelpackung, Frau Merkel. Sie un-
    terstützen die Kommunen nicht, sondern Sie verschieben
    es auf die Zukunft, und Sie bauen gerade an den Stellen
    ab, wo es um diejenigen geht, die besonders viel Hilfe
    bräuchten. Deswegen sage ich Ihnen: Auch das hat
    nichts mit Verantwortung zu tun.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christine Lambrecht [SPD]: Diese Rede auch nicht!)


    Die Wahrheit ist: Die Kommunen ächzen nach wie
    vor unter dem Verfall der öffentlichen Infrastruktur. Das
    Land lebt in Teilen von seiner Substanz. Vorhandene
    Straßen und Brücken müssen gelegentlich repariert wer-
    den. Ich weiß, dass Sie es komisch finden, wenn das eine
    Grüne sagt. Aber in diesem Punkt sind wir, ehrlich ge-
    sagt, ganz altmodisch: Erst repariert man etwas, bevor
    etwas Neues angeschafft wird. Das kann ja nicht so
    schwer sein.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dass Sie vom Breitbandausbau reden, aber faktisch
    überhaupt nichts dafür tun, ist absurd. Das zeigt, dass es
    Ihnen auch ökonomisch und gesellschaftlich nicht um
    die Zukunft geht. Herr Dobrindt hat gesagt, er will lieber
    ein schnelleres Netz in den Bayerischen Wald bringen,
    statt zu twittern. Jetzt stellen wir fest: Herr Dobrindt
    twittert nicht, aber das schnelle Netz im Bayerischen
    Wald wird es leider auch nicht geben.


    (Max Straubinger [CDU/CSU]: Da täuschen Sie sich aber gewaltig! Da kennen Sie den Bayerischen Wald nicht!)


    Ich habe das Gefühl, dass Herr Dobrindt sich ganz
    heimlich wahnsinnig doll um die Maut für Pkw küm-
    mert, von der wir ewig lange nichts gehört haben. Ich
    bin sehr gespannt, wann Sie wirklich Internet- und Infra-
    strukturminister werden, Herr Dobrindt.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahrscheinlich nie!)


    Innenpolitisch habe ich den Eindruck, Frau Merkel,
    Sie machen denselben Fehler wie Kohl in den 90ern: Sie





    Katrin Göring-Eckardt


    (A) (C)



    (D)(B)

    regieren faktisch in der Komfortzone. Vielleicht sollte
    man auch das einmal in Erinnerung rufen: Zukunft ist
    nicht die nächste Legislaturperiode. Zukunft ist die Zeit,
    in der unsere Kinder Verantwortung für dieses Land
    übernehmen. Dass es in Ihren Fraktionen wenigstens
    noch ein paar junge Abgeordnete gibt, die Ansätze einer
    Kritik an diesen Verschiebebahnhöfen und dem kurzfris-
    tigen Verscherbeln äußern, ist jedenfalls ein kleiner Be-
    weis dafür, dass es bei Ihnen noch ein bisschen Leben-
    digkeit gibt. In der letzten halben Stunde hatte ich
    allerdings, ehrlich gesagt, nicht das Gefühl, dass es hier
    sehr viel Wachheit und Leidenschaft gab.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Sie werden sagen: Die Leute mögen mich ja dafür. – Das
    mag sein, aber es reicht eben nicht, nur zu tun, was ge-
    rade gefällt. Können unsere Enkel eigentlich noch ent-
    scheiden, wo und wie sie leben wollen? Ist die Luft noch
    sauber genug? Ist der Wald hinter dem Haus eigentlich
    noch da, und kann man noch die berühmte Schlüssel-
    blume sehen, außer bei Wikipedia?


    (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)


    – Sie finden das offenbar lustig. Ich finde es nicht lustig.

    Jeden Tag wird in Deutschland eine Fläche von über
    100 Fußballfeldern mit Häusern und Straßen bebaut. Je-
    den Tag verschwinden zwischen 50 und 100 Arten. Da
    Sie das lustig finden, sage ich Ihnen: Nein, das ist nicht
    albern. Man kann nicht am Sonntag von der Bewahrung
    der Schöpfung reden und gleichzeitig die Massentierhal-
    tung fördern


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Immer dieses Sendungsbewusstsein! Das ist albern!)


    und in Brüssel gegen den eigenen Koalitionsvertrag und
    gegen den Willen einer übergroßen Mehrheit in Deutsch-
    land dafür sorgen, dass Genmais zugelassen wird.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Sie können dann nicht sagen: Es ist uns egal, dass das
    Zeug im Supermarktregal steht und nicht gekennzeich-
    net wird.

    Wenn Frau Hendricks und Herr Gabriel in der Klima-
    politik so weitermachen, dann kann ich Ihnen nur emp-
    fehlen: Schauen Sie sich einmal die Berichte an.
    Schauen Sie sich einmal an, was uns die Wissenschaftler
    gerade wieder in das Stammbuch geschrieben haben.
    Wenn Sie so weitermachen, dann wird Olaf Scholz eines
    Tages, wenn er dann noch regiert, seinen Stadtstaat nur
    noch vom Schiff aus befahren können, weil er die Dei-
    che gar nicht hoch genug bauen lassen konnte.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Die CO2-Emissionen steigen wieder. Wenn Sie so
    weitermachen, dann verfehlt Deutschland das Klimaziel
    von minus 40 Prozent nicht nur knapp, sondern kra-
    chend. Schwarz-rote Klimapolitik scheint vor allen Din-
    gen dafür da zu sein, dass das Klima in der Koalition
    stimmt

    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Auch wichtig! – Thomas Oppermann [SPD]: Besser als in der Opposition!)


    und dass die Industrie es wirklich gut hat. Ein Klima-
    aktionsplan wurde angekündigt. Umsetzung? – Fehl-
    anzeige! Eine Reform des Emissionshandels wurde an-
    gekündigt. Umsetzung? – Null! Die Kürzung der Mittel
    für den internationalen Klimaschutz um mehrere Hun-
    dert Millionen im Bundeshaushalt haben Sie allerdings
    ganz schnell umgesetzt. Ein dreistelliger Millionenbe-
    trag für den internationalen Klima- und Umweltschutz
    ist einfach weg, einfach abgeräumt. Auch hier zeigen Sie
    echte Verantwortungslosigkeit.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn die zentrale Maßnahme der Umweltministerin
    gegen steigende CO2-Emissionen in der Empfehlung an
    die Bürgerinnen und Bürger darin besteht, weniger zu
    heizen, dann merkt man: Frau Hendricks kennt den
    Koalitionsvertrag ganz gut. Sie weiß: Angesichts der
    Vorhaben dieser Regierung in Sachen Klimaschutz muss
    man sich als Bürgerin ziemlich warm anziehen. Dass
    sich angesichts dessen noch irgendjemand in Brüssel für
    schärfere EU-Klimaziele oder für eine echte Reform des
    Emissionshandels einsetzen wird, ist wahrhaft unwahr-
    scheinlich. Diese Koalition ist direkt schlecht für das
    Klima.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Frau Merkel, Sie haben vom Technologievorsprung
    Deutschlands geredet. Da hätten wir ihn. Es ist aber völ-
    liger Quatsch, dass Arbeitsplätze wegfallen würden.
    Nein, sie entstehen erst durch die erneuerbaren Energien.
    Diesen Vorsprung könnten Sie tatsächlich zu einer gro-
    ßen Stärke Deutschlands machen. Aber im Moment räu-
    men Sie ihn ab. Wir erinnern uns noch an die Zeit der
    ersten Großen Koalition. Frau Merkel und Herr Gabriel
    standen in roten Jacken vor Eisbergen. Damit sollte
    deutlich gemacht werden: Die Eisberge schmelzen. –
    Aber die klimapolitischen Ambitionen sind gleich mit
    geschmolzen. Die rote Jacke hat ausgedient. Die Klima-
    kanzlerin von 2007 sitzt warm und trocken, und der Um-
    weltminister von damals schützt heute lieber angeblich
    bedrohte Industriezweige als real bedrohte Arten. Wir
    stellen uns Klimapolitik wirklich anders vor.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Es ist verantwortungslos, den Ausbau der Erneuerba-
    ren zu deckeln, sodass sie gerade noch den Ausstieg aus
    der Atomkraft kompensieren. Wer sich die EEG-Reform
    anschaut, redet nur noch von einem Reförmchen. Das ist
    übrigens nicht meine Formulierung. Diese können Sie
    heute in allen Zeitungen lesen. Das Ganze ist in Wirk-
    lichkeit in erster Linie das, was Sie immer wollten, näm-
    lich eine Bestandsgarantie für die dreckige Kohle. Diese
    sollen wir weiterhin fördern. Nein, eine echte Energie-
    wende, eine echte Energierevolution sieht anders aus.
    Das trauen Sie sich nicht. Auch damit verscherbeln Sie
    die Zukunft.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






    Katrin Göring-Eckardt


    (A) (C)



    (D)(B)

    Herr Gabriel, jetzt ist die Maske gefallen. Sie wollen
    so tun, als seien Sie der große Manager der Energie-
    wende. Jetzt stellt sich heraus: In Wahrheit sind Sie der
    energischste Lobbyist der Manager. Kleine Leute zahlen
    bei Ihnen die Rechnung. Sie haben kaum mehr als
    100 Tage gebraucht, um zum Genossen der Bosse zu
    werden. Sie haben kaum mehr als 100 Tage gebraucht,
    um solche Sätze zu sagen wie den: 40 Euro, das wird ja
    wohl niemandem etwas ausmachen. – Doch ich sage Ih-
    nen: Es macht gerade den kleinen Leuten etwas aus.
    Dass die Industrie heute über die Ausnahmen, die Sie ihr
    garantiert haben, jubelt, zeigt genau, dass Ihre Energie-
    wende nicht nur eine klimapolitische Schieflage hat,
    sondern auch eine soziale Schieflage. Manchmal
    wünscht man sich schon Peer Steinbrück zurück, der ge-
    genüber den Industrieleuten wenigstens einmal klare
    Kante zeigt.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Dazu passt dann auch ganz gut, dass Sie ein Macht-
    wort sprechen, wenn es um die Frauenquote geht. Das
    passt perfekt ins Bild. Frau Schwesig darf jetzt nett über
    Leitlinien reden, weil Ihnen die Jungs von der Industrie
    gesagt haben, dass ihnen die Frauenquote wirklich nicht
    passt. Die Frauen haben lange genug gewartet, es ist
    endlich an der Zeit, dass die Quote kommt. Frau
    Schwesig, nehmen Sie bitte Ihren Mumm zusammen,
    und kämpfen Sie dafür! Reden Sie nicht mehr weiter da-
    rüber! Es ist genug geredet worden. Wir wollen endlich
    Taten sehen, wenigstens an dieser Stelle. Das kostet
    noch nicht einmal etwas.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich habe den Eindruck, dass hier so eine Art Grund-
    konflikt besteht. Nutzen Sie eigentlich Ihre große Mehr-
    heit nur für den Machterhalt, oder gibt es bei Ihnen eine
    Perspektive? Ich meine eine Perspektive nach dem
    Motto: Versöhnung zwischen ökologisch verantworteter
    Begrenzung und unaufgebbarer Freiheit in Wohlstand.
    Freiheit in Wohlstand – darum würde es nämlich eigent-
    lich gehen.

    Ich gebe zu: Mir wären sogar ein paar Verbote ganz
    lieb.


    (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Darin seid ihr gut!)


    Wir sind Exportland Nummer drei, was die Waffenex-
    porte angeht. Panzer nach Saudi-Arabien und Katar. Be-
    schämend ist das, und beschämend ist auch Ihr Feigen-
    blatt von mehr Transparenz. Ich möchte gerne, dass es
    hier eine tatsächliche Wende gibt und dass wir davon ab-
    sehen, Waffen in Länder zu exportieren, die weit weg
    von Demokratie und dem sind, was wir mit Menschen-
    rechten und Menschenwürde verbinden. Hier wäre nun
    wirklich ein Verbot sehr sinnvoll.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Ich sage Ihnen auch: Wenn Sie einerseits über Ener-
    giesicherheit und über Unabhängigkeit reden, aber im
    gleichen Atemzug den Verkauf des größten Gasspeichers
    in Westeuropa ausgerechnet an die Firma Gazprom ge-
    nehmigen, dann ist das unglaubwürdig, dann ist das ab-
    surd. Wenn Sie an solchen Stellen nicht glaubwürdig
    werden, dann ist es auch mit der Außenpolitik, die ich an
    dieser Stelle wirklich überzeugend fand, auf einmal sehr
    schwierig. Dann wird nämlich hinten wieder eingerissen,
    was man vorne eigentlich richtig gemacht hat.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Ich habe das Gefühl, Sie sind inzwischen so zufrieden
    auf der Regierungsbank, dass Ihnen auch Visionen ab-
    handengekommen sind, die Vision eines modernen Staa-
    tes zum Beispiel, der Wohlstand mit Anstand und
    Zukunft mit Schonung verbindet. Angesichts des Kräfte-
    verhältnisses im Deutschen Bundestag haben Sie nicht
    nur die Möglichkeit, sondern Sie haben doch eigentlich
    die Pflicht und die Verantwortung, die Zukunft nicht zu
    verscherbeln. Stattdessen nörgeln Sie lieber ein bisschen
    herum, einmal am Verfassungsgericht, ein anderes Mal
    an Griechenland oder an denen, die wenigstens den
    Mund aufmachen. Ich finde, dieses Land hat etwas ande-
    res verdient.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn wir in diesen Tagen und Stunden in Richtung
    Ukraine blicken, dann stellen wir fest, dass unsere Sor-
    gen nicht kleiner geworden sind. Wahrscheinlich hoffen
    wir hier alle gemeinsam, dass die Ukraine mit dem
    25. Mai und demokratischen Wahlen Stabilität erlangt,
    nicht mehr Spielball geopolitischer Interessen ist und
    ökonomisch auf die Beine kommt.

    Eigentlich ist es tragisch, dass es erst so eine außen-
    politische Krise brauchte, damit allen wieder klar wird,
    was der Wert Europas eigentlich ist, dass Europa für
    viele Menschen gerade am Rande der EU eine Verhei-
    ßung ist und kein Zweckbündnis, das einmal nützt und
    einmal nicht. Dass Sie lieber Abwehrschlachten gegen
    stärkere CO2-Reduzierung, bei den Grenzwerten für die
    Pkw, gegen ambitionierte Klimaschutzziele und, und,
    und geliefert haben, zeigt, dass wir an dem Europa, das
    wir eigentlich wollen und für das wir eigentlich stehen,
    lange genug mit dieser Regierung vorbeigeredet haben.
    Jetzt ist Europa plötzlich als Friedensmacht gefordert.
    Sie merken, eine ausschließlich utilitaristische Haltung
    zu Europa einzunehmen, funktioniert nicht, wenn euro-
    päische Werte gefragt sind.

    Wer ein Europa will, das auch machtpolitisch ernst
    genommen wird, der muss dafür sorgen, dass dieses Eu-
    ropa stark ist, statt am Ende doch noch nach der NATO
    zu rufen. Es ist eben keine kohärente Politik, wenn die
    Verteidigungsministerin die ganze Zeit mit ihrer Mili-
    tärrhetorik das Krisenmanagement unterwandert, das der
    Außenminister diplomatisch auf europäischer Ebene be-
    treibt. Diese Krise, Frau von der Leyen, taugt nicht zur
    regierungsinternen Selbstdarstellung. Bleiben Sie dabei,
    für ein starkes Europa und für eine friedliche Lösung zu
    kämpfen.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Wo wir schon von europäischen Werten sprechen: Je-
    des Jahr fliehen Tausende Menschen nach Europa. Im





    Katrin Göring-Eckardt


    (A) (C)



    (D)(B)

    Mittelmeer ertrinken andere bei dem Versuch, Sicher-
    heit zu finden. In der letzten Nacht wurden mehr als
    1 000 Menschen gerettet – zum Glück.

    In Syrien tobt seit drei Jahren ein fast schon vergesse-
    ner Bürgerkrieg. Ein Drittel der Bevölkerung Syriens ist
    auf der Flucht. Sie sollten darüber reden, was wir tun
    können, um diesen Menschen zu helfen. Wir sind immer
    noch bei gerade einmal 10 000 Kontingentflüchtlingen
    aus Syrien. Im Libanon ist in der vergangenen Woche
    der einmillionste Flüchtling aufgenommen worden. Die
    Türkei ist schon nah an dieser Grenze. Nur einmal zum
    Vergleich – weil Sie immer sagen, wir nähmen ja schon
    so viele auf –: Wenn wir im gleichen Verhältnis wie Li-
    banon und Türkei Flüchtlinge aufnähmen, dann würden
    wir hier über 18 Millionen Flüchtlinge reden. Ich sage
    Ihnen: Gemessen daran sind die Anstrengungen der
    Bundesregierung nicht mehr als ein schlechter Witz.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


    Das ist nicht Ausdruck der internationalen Verantwor-
    tung, von der Sie immer so gern reden. Sehen Sie end-
    lich der humanitären Verpflichtung und der Realität ins
    Auge. Reden Sie mit den Ländern und Kommunen.

    Herr Steinmeier, was nun wirklich gar nicht geht und
    was Sie dringend aufklären müssen, ist, ob es wirklich
    Missbrauch, ob es wirklich Bestechung bei der Termin-
    vergabe in deutschen Vertretungen gab. Falls ja, dann
    muss hier sehr schnell gehandelt werden.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Meine Damen und Herren, mehr tun und weniger
    Politik antäuschen, das würde ich mir auch wünschen,
    wenn es um die großen Skandale geht, die wir unter den
    Kürzeln „NSU“ und „NSA“ kennen. 104 Tage dauert der
    NSU-Prozess jetzt. Frau Merkel, Sie haben in Ihrer Ge-
    denkrede vor den Hinterbliebenen rückhaltlose Aufklä-
    rung zugesagt, und Sie haben versprochen, alles zu tun,
    damit sich so etwas nie wiederholen kann. Ich nehme Ih-
    nen ab, dass Sie diese Worte ehrlich gemeint haben. Nur:
    Es gibt bis heute weder eine neue Sicherheitsarchitektur,
    noch wurden der strukturelle Rassismus und die Blind-
    heit auf dem rechten Auge in den Sicherheitsbehörden
    geheilt. Wir haben hier noch eine echte Hausaufgabe,
    und ich verlange von Ihnen, dass Sie sie angehen und
    dass Sie sie nicht „wegschwurbeln“ nach dem Motto: Es
    wird ja hoffentlich nichts wieder passieren.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Die Sicherheitsbehörden wurschteln weiter vor sich
    hin. Selbst Ihr Koalitionspartner CSU macht immer wie-
    der weiter mit Scharfmacherei. Gestern, am Internatio-
    nalen Roma-Tag, haben wir gehört, in welchem Ausmaß
    Sinti und Roma bei uns in Europa und darüber hinaus
    diskriminiert, beschimpft und verfolgt werden. Ange-
    sichts dessen klingt der Satz „Wer betrügt, der fliegt“
    noch zynischer, noch kälter.


    (Max Straubinger [CDU/CSU]: Der Satz hat doch damit überhaupt nichts zu tun!)

    Dieser Satz hat nichts mit Menschenwürde zu tun. Hören
    Sie damit auf, und fangen Sie an, Rassismus zu bekämp-
    fen, weil es um die Menschenwürde aller geht.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


    Dazu gehört es dann auch, dass man bei der Reform
    des Staatsbürgerschaftsrechts eben nicht wieder nur den
    halben Weg geht. Willkommenskultur, das heißt doch
    „Ihr seid wirklich willkommen“. Wir dürfen nicht wie-
    der Staatsbürgerschaften erster und zweiter Klasse
    schaffen. Deswegen sage ich Ihnen klar und deutlich:
    Lassen Sie den Optionszwang komplett fallen! Erst dann
    haben wir eine Willkommenskultur. Erst dann können
    wir sagen: Ja, wir leben hier zusammen. Wir tun das
    gern, weil wir etwas voneinander haben.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


    Im Innenausschuss mussten wir von Herrn Ziercke er-
    fahren, dass das BKA heute so aufgestellt ist, dass die
    rechte Hand nicht so genau weiß, was die linke tut. Jede
    Woche gibt es etwas Neues, immer mehr Chaos. Frau
    Merkel, was haben Sie eigentlich getan, als bekannt
    wurde, dass Ihr Handy und die Telefonate und E-Mails
    von Millionen von Deutschen abgehört wurden? Sie ha-
    ben heute hier dargestellt, es sei sehr kompliziert, das al-
    les europäisch zu regeln. Was haben Sie getan? Sie ha-
    ben eine platonische Brieffreundschaft mit den USA und
    mit Großbritannien begonnen. Wir wissen: Sie schrei-
    ben, aber niemand antwortet.

    Dieser Skandal muss aufgeklärt werden. Ich bin heil-
    froh, dass wir jetzt den NSA-Untersuchungsausschuss
    haben. Ich sage Ihnen: Es ist ein harter Job, dafür zu sor-
    gen, dass die Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf
    Selbstbestimmung, auf Geheimnis, darauf, dass sie über
    ihre eigenen Daten verfügen können, in diesem Land
    wiederhergestellt werden. Deswegen ist es richtig, dass
    Herr Snowden aussagt. Deswegen ist es richtig, dass wir
    aufklären, mit aller Kraft und mit allen Mitteln, die uns
    zur Verfügung stehen. Wir dürfen uns nicht zurückzie-
    hen und sagen, das sei kompliziert, sondern wir müssen
    unsere Energie dafür einsetzen und sagen: Ja, das wollen
    wir, und zwar bei aller Freundschaft.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Gestern war – das kann man nicht anders sagen – ein
    großer Tag für die Bürgerrechte. Allen Hardlinern, die so
    gerne davon reden, dass man durch die Vorratsdatenspei-
    cherung die Sicherheit erhöhen würde, sage ich: Die
    Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt
    falsch. Wir sind froh, dass der Europäische Gerichtshof
    sehr deutlich gemacht hat, dass die anlasslose Speiche-
    rung von Millionen von Daten nicht geht, dass sie nichts
    mit Bürgerrechten zu tun hat. Ich bin sehr froh, dass der
    Europäische Gerichtshof dieses Zeichen für Bürger-
    rechte und Freiheit kurz vor der Europawahl gesetzt hat.
    Heute stehe ich hier und kann sagen: Auch deswegen,
    wegen der Freiheit, bin ich stolz, eine Europäerin zu
    sein.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






    Katrin Göring-Eckardt


    (A) (C)



    (D)(B)

    Es macht wirklich keinen Sinn, jetzt nationale Allein-
    gänge zu starten.

    Meine Damen und Herren, wenn man sich den Streit
    um das Rentenpaket in Ihrer Koalition vor Augen führt,
    muss man sagen: Bei diesem Paket und auch bei dem
    Streit, den Sie darüber führen, vergessen Sie diejenigen,
    die wirklich Unterstützung brauchen. Sie vergessen die
    kommenden Generationen, lassen die Krankenschwester
    und den Zahntechniker aber brav ihre Beiträge zahlen.
    Sie vergessen diejenigen, die 30 Jahre lang wirklich hart
    gearbeitet haben und nun nicht mehr können. Sie verfah-
    ren nach dem Motto „Nach mir die Sintflut“. Die Folgen
    Ihrer Politik verschieben Sie auf das Jahr 2018; dann
    wird es ja irgendwie weitergehen. Ich sage Ihnen: Das ist
    nichts, Frau Nahles, worauf man stolz sein kann. Da feh-
    len die Fachkräfte. Da fehlt die Unterstützung für dieje-
    nigen, die ganz draußen sind.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Meine Damen und Herren, gestern haben Sie gesagt,
    die Union wolle gegenüber der SPD vertragstreu sein.
    Mir wäre es lieber, Sie wären vertragstreu gegenüber de-
    nen, die es wirklich nötig haben: gegenüber unseren
    Kindern und Enkeln, gegenüber der Umwelt und dem
    Klima, gegenüber all denen, die wirklich etwas riskie-
    ren, hart arbeiten und Verantwortung für sich und andere
    übernehmen. Die alle werden nämlich nicht fragen:
    „Habt ihr euch in der Großen Koalition damals gut ver-
    standen?“, sondern die werden fragen: Habt ihr eigent-
    lich auch an uns und unsere Zukunft gedacht? Deswe-
    gen: Übernehmen Sie Verantwortung, meine Damen und
    Herren!


    (Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Für die SPD-Fraktion erhält nun Thomas Oppermann

das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Thomas Oppermann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

    Herren! Wer Frau Katrin Göring-Eckardt eben aufmerk-
    sam zugehört hat, der konnte den Eindruck gewinnen,
    dass sich unser Land im Augenblick in einem ausgespro-
    chen schlechten Zustand befindet.


    (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht zugehört, Herr Oppermann! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Besser zuhören!)


    Da haben Sie, Frau Göring-Eckardt, an der Wahrneh-
    mung der allermeisten Menschen in diesem Lande kom-
    plett vorbeigeredet.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Sie haben kein Wort zur wirtschaftlichen Situation
    verloren.


    (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Falsch!)


    In der Tat, wir haben die niedrigste Arbeitslosigkeit seit
    der Wende, gleichzeitig den höchsten Stand der Beschäf-
    tigung.


    (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch den höchsten Stand an prekärer Beschäftigung!)


    Wir haben Überschüsse in allen Sozialversicherungen.
    Wir haben die höchsten Steuereinnahmen in der Ge-
    schichte dieses Landes.


    (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die größten Infrastrukturprobleme!)


    Bund, Länder und Unternehmen zusammen geben in
    diesem Jahr 80 Milliarden Euro für Forschung und Ent-
    wicklung aus. Auch wenn ich weiß, dass damit nicht alle
    Probleme in diesem Land schon gelöst sind – die Wahr-
    heit ist doch: Dieses Land steht augenblicklich ausge-
    sprochen gut da, meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann!)


    So etwas zu sagen – ich weiß das aus eigener, noch
    gar nicht so lange zurückliegender Erfahrung –, fällt in
    der Opposition schwer,


    (Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])


    aber Sie hätten allen Grund gehabt, darauf hinzuweisen;
    denn, Frau Göring-Eckardt, Sie waren bei den Grünen
    doch schon einmal Fraktionsvorsitzende, nämlich als
    Rot-Grün vor zehn Jahren die Arbeitsmarktreformen
    ganz entschlossen angepackt hat.


    (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider verscherbeln Sie das alles!)


    Sie haben einen ganz wesentlichen Anteil daran, dass
    dieses Land heute wirtschaftlich so stark ist.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich finde, auch die Grünen können sich einmal über die
    wirtschaftlichen Erfolge in diesem Land freuen.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Jetzt kommt es darauf an, alles dafür zu tun,


    (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selbstbeschwörung!)


    dass diese wirtschaftliche Stärke erhalten bleibt, und da-
    für zu sorgen, dass alle Menschen davon profitieren. Wir
    wollen, dass alle Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-
    land an der ökonomischen Stärke teilhaben können,
    meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)






    Thomas Oppermann


    (A) (C)



    (D)(B)

    Dass es uns im Augenblick so gut geht, ist keines-
    wegs selbstverständlich. Die Krise auf der Krim hat uns
    gezeigt, wie schnell die Stabilität in Europa in Gefahr
    geraten kann. Russland hat auf der Krim eigenmächtig
    Grenzen verschoben. Das war ein klarer Verstoß gegen
    das Völkerrecht. Trotzdem oder gerade deshalb ist es
    gut, dass die internationale Gemeinschaft auf Verhand-
    lungen und Diplomatie setzt, um eine weitere Eskalation
    zu verhindern. Konflikte können militärisch entschieden
    werden; aber sie können nicht mit militärischen Mitteln
    gelöst werden.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Deshalb bin ich froh, dass die Bundeskanzlerin und Bun-
    desaußenminister Steinmeier von Anfang an klarge-
    macht haben: Es gibt keine militärischen Optionen.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Dieser Konflikt muss mit diplomatischen und politi-
    schen Mitteln bearbeitet werden, zum Beispiel mit den
    direkten Verhandlungen, die die Bundeskanzlerin ange-
    sprochen hat.

    Die Menschen in der Ukraine kämpfen gegen Korrup-
    tion und Gewalt. Sie kämpfen für Demokratie und für
    freie Wahlen. Ich wünsche mir, dass sie am 25. Mai in
    der Ukraine diese freien Wahlen ohne Störungen, ohne
    Behinderungen durchführen können und dass die Einheit
    ihres Landes erhalten bleibt.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Angesichts dieser existenziellen Fragen, mit denen
    sich die Ukrainer auseinandersetzen müssen, empfinde
    ich es – ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – schon als ei-
    nen gewissen Luxus, dass wir hier und heute im Bundes-
    tag die Vorlage eines strukturell ausgeglichenen Haus-
    halts beraten dürfen; ich glaube, das sollte man auch
    einmal erwähnen. Dieser Haushalt ist nicht selbstver-
    ständlich. Das ist eine Zäsur. Darauf mussten die Bürge-
    rinnen und Bürger 46 Jahre lang warten. 46 Jahre haben
    wir neue Schulden aufgetürmt. Damit ist jetzt Schluss.
    Das ist eine ganz klare Botschaft an die jungen Men-
    schen in diesem Land: Wir wollen damit aufhören, Poli-
    tik auf dem Rücken der jungen Generation zu machen.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Ich bedanke mich bei Bundesfinanzminister Schäuble,
    dass er uns einen solchen Haushalt vorgelegt hat. Dafür
    müsste er eigentlich eine John-Maynard-Keynes-Me-
    daille bekommen, wenn es so etwas gäbe. Wir schaffen
    angesichts des hohen Schuldenstandes zwar keine echten
    Reserven,


    (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist richtig! Eine sehr gute Aussage!)


    aber wir tun in wirtschaftlich guten Zeiten das Mindeste,
    was wir tun können: Wir legen einen ausgeglichenen
    Haushalt vor, damit wir in schlechten Zeiten auch wieder
    handlungsfähig sein können.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

    Auf diese Weise hat die letzte Große Koalition – da-
    rauf ist schon hingewiesen worden – entscheidend dazu
    beigetragen, dass wir heute wirtschaftlich stark sind. Ich
    möchte ganz besonders Peer Steinbrück und Olaf Scholz
    erwähnen. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass
    Deutschland in der Krise von 2009 seine industrielle Ba-
    sis behalten hat. Ohne Kurzarbeitergeld und Konjunktur-
    programm wäre vieles unwiederbringlich verloren ge-
    gangen. Gut, dass wir das verhindert haben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir sollten aber natürlich auch nicht vergessen, dass
    jetzt ein strukturell ausgeglichener und im nächsten Jahr
    ein vollständig ausgeglichener Haushalt nicht allein das
    Verdienst der Bundesregierung und der Politik sind;
    denn wir profitieren zweifellos auch von der Schwäche
    der anderen.


    (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und von den Sozialkassen!)


    Wir profitieren von historisch niedrigen Zinsen durch
    die Euro-Krise. Statt wie in 2008 40 Milliarden Euro
    zahlt der Bund in 2014 voraussichtlich nur noch 30 Mil-
    liarden Euro Zinsen. Das sind zwar 25 Prozent weniger,
    aber es sind immer noch 10 Prozent der gesamten Steu-
    ereinnahmen des Bundes. Mit anderen Worten: 10 Pro-
    zent der Steuereinnahmen führen wir direkt an Kapital-
    anleger ab, die jahrzehntelang von wachsender
    Staatsverschuldung profitiert haben. Diese Art der Um-
    verteilung können wir in Zukunft beenden.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Egal wie die jeweilige ökonomische Theorie zum
    Schuldenmachen ausfällt: Faktisch verengen Schulden
    und Zinsen den Spielraum für die gesamte Politik. Sie
    begrenzen die Handlungsfähigkeit des Staates. Wir wol-
    len einen handlungsfähigen Staat. Deshalb ist ein ausge-
    glichener Haushalt ein Haushalt für die Zukunft dieses
    Landes.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Wir sagen Ja zur Schuldenbremse. Aber die Schul-
    denbremse darf keine Investitionsbremse werden.


    (Lachen der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE] – Katja Kipping [DIE LINKE]: Ist sie aber!)


    Über die schwarze Null kann sich die schwäbische
    Hausfrau nur dann richtig freuen, wenn ihr Haus auch in
    Schuss ist.

    Ein ausgeglichener Haushalt und öffentliche Investi-
    tionen sind kein Widerspruch. Beides ist gleichzeitig
    möglich, wenn wir Haushaltsüberschüsse erwirtschaften
    und sie in die richtige Richtung lenken. Das tun wir. Wir
    investieren in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro
    mehr in Bildung, 3 Milliarden mehr in Forschung, 5 Mil-
    liarden Euro für die öffentliche Verkehrsinfrastruktur
    und 700 Millionen Euro in den Städtebau. Wir entlasten
    Länder und Kommunen,





    Thomas Oppermann


    (A) (C)



    (D)(B)


    (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach 2018!)


    damit sie selber wieder in die Lage kommen, in Bildung
    und Infrastruktur zu investieren.

    Ich sage ganz klar: Die 6 Milliarden Euro, die wir den
    Ländern für die Entlastung in den Bereichen Kita, Bil-
    dung und Hochschule zugesagt haben, brauchen sie drin-
    gend; denn die Länder haben es natürlich schwerer als
    der Bund, zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kom-
    men. Im Bund haben wir eine Personalkostenquote von
    gut 8 Prozent; in den Ländern haben wir eine Personal-
    kostenquote von gut 38 Prozent. Mit anderen Worten:
    Niemand will, dass die Länder für die Haushaltskonsoli-
    dierung Polizeibeamte, Lehrer oder Professoren nach
    Hause schicken. Sie müssen diesen Personalbestand er-
    halten, teilweise sogar aufbauen. Das sollten wir berück-
    sichtigen und dafür sorgen, dass dieses Geld möglichst
    bald zu den Ländern kommt.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wenn es neue Spielräume im Haushalt geben sollte,
    müssen wir über ihre Verwendung reden. Ich plädiere
    dafür, dass wir dann Prioritäten setzen. Dazu gehören für
    mich Investitionen in eine moderne Infrastruktur und in
    bessere Bildungschancen. Was die Infrastruktur angeht:
    Die 5 Milliarden Euro reichen vermutlich nicht aus für
    eine durchgreifende Verbesserung der Situation. Deshalb
    möchte ich Herrn Dobrindt, der im Augenblick nicht an-
    wesend ist, zurufen: Wenn Sie den schnellstmöglichen
    Weg wählen, die Einbeziehung der Bundesstraßen in die
    Maut zu erreichen, dann haben Sie dabei die volle Unter-
    stützung der SPD-Bundestagsfraktion.


    (Beifall bei der SPD)


    Im Übrigen warten unsere Kommunen auf weitere
    Entlastung durch die Reform der Eingliederungshilfe.

    Schließlich sind wir uns auch darüber einig, dass es in
    dieser Wahlperiode eine BAföG-Erhöhung geben muss.
    Es kann nicht sein, dass wir 10 Milliarden Euro für die
    Rente verwenden, aber am Ende kein Geld für BAföG
    haben. Das muss zur Verfügung stehen, meine Damen
    und Herren.


    (Beifall bei der SPD)


    Viele Menschen wundern sich beim Blick auf ihren
    Gehaltszettel, wie wenig Geld von einer Lohnerhöhung
    übrig bleibt. Der Grund dafür ist die Steuerprogression.
    Sie ist übrigens eine Errungenschaft des modernen Staa-
    tes, weil sie ganz im Sinne der sozialen Marktwirtschaft
    sicherstellt, dass die starken Schultern mehr tragen als
    die schwachen, und weil sie dadurch die Kluft zwischen
    den Gewinnern und Verlierern unserer Gesellschaft ver-
    kleinert. Aber wenn die Progression so gestaltet ist, dass
    Lohnerhöhungen für Facharbeiter nach Abzug der Steu-
    ern gerade zum Erhalt der Kaufkraft reichen, dann ist
    das weder fair noch gerecht. Deshalb bin ich der Mei-
    nung, dass wir über den Abbau der kalten Progression
    reden müssen, aber – das sage ich mit Blick auf die De-
    batte, die wir gestern hatten – ohne solide und vollstän-
    dige Gegenfinanzierung wird das nicht möglich sein.
    Auf keinen Fall wollen wir, dass nach einer Tarifreform
    weniger Geld für Investitionen, Bildung, Infrastruktur
    und kommunale Entlastung zur Verfügung steht.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir brauchen beides: ein gerechtes Steuersystem und In-
    vestitionen für die Zukunft.

    Meine Damen und Herren, in den ersten hundert Ta-
    gen haben die Ministerien gute Arbeit gemacht; in den
    nächsten hundert Tagen wird das Parlament die Haupt-
    rolle spielen. Wir werden ein halbes Dutzend wichtiger
    Gesetze beraten und verabschieden. Gestern hat das Ka-
    binett die EEG-Reform beschlossen. Bei dieser Reform
    geht es um nichts weniger als die Akzeptanz der Ener-
    giewende. Ich sage: Wenn wir mit der Reform weiter zu-
    gewartet hätten, dann wäre absehbar gewesen, dass die-
    ses Jahrhundertprojekt im Volkszorn der Verbraucher
    und in der Wut über die Abwanderung industrieller Ar-
    beitsplätze untergegangen wäre. Ich bin deshalb froh,
    dass Sigmar Gabriel das verhindert hat.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Er hat es geschafft, gegenüber einer Vielzahl von Par-
    tikularinteressen das allgemeine Wohl durchzusetzen. Er
    hat es geschafft, gegen die Europäische Kommission die
    Industrierabatte zu verteidigen. Frau Göring-Eckardt,
    das hat doch nichts mit Lobby für die Industrie zu tun.


    (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Womit denn sonst?)


    Das ist Lobby für hochwertige industrielle Arbeitsplätze
    in Deutschland.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Ich lade Sie gerne zu einer Personalversammlung eines
    Unternehmens ein, das stromintensiv produziert und im
    internationalen Wettbewerb steht.


    (Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ging auch sehr schnell! Ich habe noch in Erinnerung, was Sie uns vor der Wahl vermittelt haben!)


    Dann können Sie diese Thesen ja noch einmal vortragen.

    Wir begrenzen den Anstieg der Strompreise für Ver-
    braucher und erhalten die Fähigkeit der stromintensiven
    Industrie, zu wettbewerbsfähigen Bedingungen in
    Deutschland weiter zu produzieren. Das hinzubekom-
    men, war gewiss ein politischer Kraftakt. Dafür danke
    ich dem Wirtschaftsminister.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Schon in der letzten Woche hat das Kabinett mit dem
    Mindestlohn eines der wichtigsten Projekte aus dem Ko-
    alitionsvertrag auf den Weg gebracht. Der flächende-
    ckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro bedeutet
    für Millionen von Menschen in diesem Land eine ganz
    spürbare direkte Verbesserung ihres Lebens. Die meisten
    der 4 Millionen Menschen, die weniger als 8,50 Euro
    verdienen, bekommen die größte Lohnerhöhung ihres





    Thomas Oppermann


    (A) (C)



    (D)(B)

    Lebens. Aber nicht nur das: Ihrer Arbeit werden Wert
    und Würde zurückgegeben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Dass wir jetzt für alle Arbeitnehmer eine gesetzliche
    Lohnuntergrenze bekommen, ist eine der wichtigsten
    Sozialreformen der letzten Jahrzehnte. Der Mindestlohn
    gehört in eine lange Reihe fortschrittlicher sozialer Ge-
    setze in Deutschland. Das begann 1883 mit der Absiche-
    rung im Krankheitsfall; 1927 gab es die Absicherung bei
    Arbeitslosigkeit. 1957 kam die dynamische Rente. 1995
    kam der Schutz bei Pflegebedürftigkeit, der jetzt von
    Gesundheitsminister Gröhe und der Koalition auf eine
    neue Stufe gehoben wird. Diese Reformen sollten die
    Arbeitnehmer dort schützen, wo sie der freie Markt nicht
    schützt. Jetzt ergänzen wir die soziale Marktwirtschaft
    um einen Schutz, der bisher gefehlt hat: der Schutz vor
    Hungerlöhnen, vor Löhnen, bei denen man den ganzen
    Tag arbeiten muss, von denen man aber nicht leben
    kann. Diese Löhne wird es in Zukunft nicht mehr geben.
    Ich bedanke mich bei Andrea Nahles dafür, dass sie das
    so schnell vorangetrieben hat.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    In der Gesetzesberatung werden wir alles besprechen.
    Aber wir sollten nicht so tun, als könnten wir einfach
    ganze Branchen oder Altersgruppen vom Mindestlohn
    ausnehmen, ohne dass neue grobe Verzerrungen auf dem
    Arbeitsmarkt herbeigeführt würden. Dann entwickeln
    findige Unternehmer daraus sofort wieder ein Geschäfts-
    modell. Solche Anreize wollen wir nicht. Diese Anreize
    wollen übrigens auch die Arbeitgeber nicht: Ein Unter-
    nehmer, der ordentliche Löhne zahlt, will keine Konkur-
    renz durch Unternehmer, die mit Billiglöhnen arbeiten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Gesetzliche Mindestlöhne und Tarifverträge sorgen für
    fairen Wettbewerb und gute Sozialpartnerschaft. Beides
    wollen wir stärken.

    Genauso wie der Mindestlohn ist auch das Rentenpa-
    ket ein Gebot der Gerechtigkeit und des Respekts. Denn
    eine erfolgreiche Wirtschaft hängt nicht nur davon ab,
    dass wir kreative Unternehmer und eine hohe Produkti-
    vität haben, sondern sie hängt auch davon ab, dass die
    Menschen das Gefühl haben, dass es in diesem Lande
    fair und gerecht zugeht. Deshalb schließen wir mit der
    Mütterrente eine Gerechtigkeitslücke. Wir wollen, dass
    die Lebensleistung von Müttern nicht nur in Sonntagsre-
    den gewürdigt, sondern auch finanziell honoriert wird.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Das gilt auch für die Langzeitarbeitnehmer. Von allen
    Menschen, die 2012 in Altersrente gegangen sind, taten
    dies 39 Prozent bis zum Alter von 63. Dabei nehmen sie
    zum Teil erhebliche Abschläge bei ihrer Rente in Kauf.
    Wer im Alter von 63 dann schon 45 Jahre gearbeitet hat,
    der empfindet solche Abschläge als eine ganz grobe Un-
    gerechtigkeit. Viele von denen haben schon mit 15 oder
    16 zu arbeiten begonnen. Diesen Arbeitnehmern wurde
    nichts geschenkt. Die mussten hart arbeiten, und deshalb
    wollen wir, dass sie jetzt nach 45 Beschäftigungsjahren
    schon mit 63 eine abschlagsfreie Rente bekommen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


    Ich finde, wir sollten damit aufhören, Menschen, die
    45 Jahre gearbeitet haben, als „potenzielle Frührentner“
    zu bezeichnen. Viele von denen haben länger gearbeitet
    als die, die regulär in Rente gehen.


    (Beifall bei der SPD)


    Ich sehe nicht die Gefahr einer Entlassungswelle; die
    darf und wird es nicht geben. Erstens haben die Arbeit-
    geber es selber in der Hand. Ich glaube nicht, dass sie er-
    fahrene und qualifizierte Arbeitnehmer vor Rentenein-
    tritt in die Arbeitslosigkeit schicken. Zweitens werden
    wir im parlamentarischen Verfahren dafür sorgen, dass
    es keine Vorteile bringt, wenn Arbeitnehmer zwei Jahre
    vor der Rente freiwillig in die Arbeitslosigkeit gehen.
    Drittens gibt es bei vielen den Wunsch, den Übergang
    von der Arbeit in die Rente zwischen 60 und 67 und
    auch in der Zeit danach flexibler zu gestalten. Wir sind
    bereit, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen
    aus der Union dafür nach Wegen zu suchen; da sind wir
    gesprächsbereit. Es gilt natürlich das Struck’sche Gesetz:
    Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es in ihn hi-
    neingekommen ist. Aber es gibt auch ein zweites Gesetz.
    Dieses Gesetz besagt: Kein Gesetzentwurf aus dem Ka-
    binett darf in der parlamentarischen Beratung schlechter
    werden.


    (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das schließt sich von vornherein aus! Es ist immer besser!)


    Es gilt sozusagen auch ein Verschlechterungsverbot. Da-
    ran werden wir uns orientieren müssen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist das Oppermann’sche Gesetz!)


    Wir beschränken uns aber nicht auf ökonomische
    Stärke und soziale Gerechtigkeit. Wir wollen auch, dass
    Deutschland ein modernes, tolerantes und weltoffenes
    Land bleibt. Mit dem Doppelpass und der Einführung ei-
    ner Frauenquote in Aufsichtsräten schaffen wir Meilen-
    steine im Staatsbürgerschaftsrecht und bei der Gleich-
    stellung von Männern und Frauen. Darauf haben die
    Menschen in diesem Lande lange gewartet.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Ohne die doppelte Staatsbürgerschaft würden in den
    nächsten Jahren 400 000 junge Menschen, die in
    Deutschland geboren und aufgewachsen sind, zu einer
    schwerwiegenden Entscheidung gezwungen. Dabei ha-
    ben viele von ihnen zwei Herzen in einer Brust. Zusam-
    men mit der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz bin
    ich der Meinung, dass die Integration in Deutschland er-
    folgreicher wird und besser gelingt, wenn wir die jungen
    Menschen nicht mehr zu dieser Entscheidung zwingen.


    (Beifall bei der SPD)






    Thomas Oppermann


    (A) (C)



    (D)(B)

    Justizminister Heiko Maas und Innenminister de Maizière
    haben dazu einen sehr guten und unbürokratischen Kom-
    promiss erarbeitet.

    Die beiden Minister sind auch angesprochen, wenn es
    um das Thema Vorratsdatenspeicherung geht. Der Euro-
    päische Gerichtshof hat jetzt entschieden. Wenn sowohl
    das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsge-
    richt, als auch das höchste europäische Gericht die gel-
    tenden Formen der Vorratsdatenspeicherung verwerfen,
    dann sollten wir einen Moment innehalten und überle-
    gen, was das bedeutet. Ich glaube, dass ein schneller na-
    tionaler Alleingang jetzt nicht die richtige Antwort ist.


    (Beifall bei der SPD)


    Wir müssen genau überlegen, wie wir das Verhältnis von
    Freiheit und Sicherheit bestimmen wollen. Wir müssen
    sehr sorgfältig überlegen: Wie viel Freiheit sind wir be-
    reit herzugeben für mehr Sicherheit? Das ist die Grund-
    lage, auf der wir jetzt miteinander sprechen müssen,
    wenn es darum geht, wie mit der Situation umzugehen
    ist. Ich bin sicher, dass wir am Ende eine gute Entschei-
    dung treffen werden.

    Meine Damen und Herren, Manuela Schwesig ist die
    erste Frauenministerin in Deutschland, die mit der Mehr-
    heit dieser Koalition eine gesetzliche Frauenquote für
    börsennotierte Unternehmen auf den Weg bringt.


    (Beifall bei der SPD)


    Kleine und mittlere Unternehmen müssen sich künftig
    selbst verbindliche Vorgaben machen. – Jetzt müssten
    meine Freunde von der CDU/CSU eigentlich klatschen.


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir warten, was noch kommt! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


    – Gut. – Für die einen gilt eine gesetzliche Regelung, für
    die anderen eine Selbstverpflichtung. Das Schöne daran
    ist: Wir können sehen, was besser funktioniert.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


    Die Unternehmen werden jetzt in einen Wettbewerb um
    die qualifiziertesten Frauen eintreten.


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist jetzt schon so!)


    Ich sage Ihnen: Dieser Wettbewerb wird nicht scheitern;
    denn noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen in
    Deutschland wie heute.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Meine Damen und Herren, den Kommunen, die der-
    zeit mit steigenden Mieten und wachsenden sozialen
    Problemen zu kämpfen haben, sagen wir ganz klar: Wir
    lassen sie nicht im Stich! Deshalb haben wir schnelle
    Hilfen für die Städte verabredet, die sich allein nicht hel-
    fen können. Bauministerin Barbara Hendricks wird dazu
    die Mittel für das Programm „Soziale Stadt“ mehr als
    verdreifachen. Damit helfen wir auch den Städten, die
    von einer punktuell konzentrierten Zuwanderung beson-
    ders betroffen sind.

    Und, ja, wir brauchen in den großen Ballungszentren
    die Mietpreisbremse; nicht überall, aber wir brauchen sie
    dort, wo alteingesessene Mieter durch steigende Mieten
    aus ihrem Stadtviertel verdrängt werden. Wir brauchen
    sie dort, wo die soziale Mischung in unseren Städten be-
    droht ist. Und wir brauchen sie nicht zuletzt dort, wo Fa-
    milien keine Wohnung mehr in der Nähe von Kita und
    Schule finden. Deshalb muss es in bestimmten Fällen die
    Möglichkeit geben, den dramatischen Anstieg der Mie-
    ten zu stoppen. Das tun wir.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Genauso müssen wir auf dem Markt der Immobilien-
    makler aufräumen. Dort gibt es eine große Ungerechtig-
    keit: Viele Menschen bezahlen Maklergebühren, obwohl
    sie nie in ihrem Leben einen Makler beauftragt haben.
    Hier führen wir jetzt das Prinzip „Wer die Musik be-
    stellt, der bezahlt sie auch“ ein. Das ist soziale Markt-
    wirtschaft.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    In den nächsten Wochen und Monaten kommt einiges
    auf uns zu. Bis zur Sommerpause werden wir in den
    Ausschüssen und im Plenum intensiv über die Gesetz-
    entwürfe beraten. Ich freue mich auf die Beratungen in
    der Koalition, auf die Beratungen mit Volker Kauder und
    mit Gerda Hasselfeldt. Ich glaube, die Große Koalition
    wird am Ende zeigen, dass wir auch bei schwierigen Ge-
    setzen zu vernünftigen Kompromissen kommen. Das
    wird Deutschland ökonomisch stärker und moderner ma-
    chen, und es wird das Leben der Menschen in diesem
    Lande Stück für Stück verbessern.

    Vielen Dank.


    (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU/CSU)