Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zuunserer vereinbarten Plenarsitzung und rufe gleich denTagesordnungspunkt 1 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des 2. Untersuchungsausschusses nachArtikel 44 des Grundgesetzes– Drucksache 17/14600 –Berichterstattung:Abgeordnete Clemens BinningerDr. Eva HöglHartfrid Wolff Petra PauWolfgang WielandZu diesem Tagesordnungspunkt begrüße ich auf derTribüne den Herrn Bundespräsidenten, den Botschafterder Türkei und den Geschäftsträger Griechenlands, Ver-treter der Türkischen Gemeinde in Deutschland und an-derer gesellschaftlicher Organisationen und insbeson-dere zahlreiche Gäste aus den Familien, die einenAngehörigen verloren haben oder selbst Opfer eines An-schlags wurden.AihpbadsuaüdbhdasdVLkrus
Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine erschreckendeSerie von Morden und Anschlägen einer nationalsozia-listischen Terrorgruppe hat zahlreiche Opfer – Traumati-sierte, Schwerverletzte – und zehn Tote hinterlassen.Schmerz, Trauer, auch Wut begleiten die Angehörigenseit vielen Jahren. Wir fühlen uns ihnen verbunden. Ichdanke den heute anwesenden Angehörigen und Opfernvon Anschlägen im Namen des ganzen Hauses, dass sieunserer Einladung gefolgt sind, der Debatte zum Ab-schlussbericht des Untersuchungsausschusses persönlichbeizuwohnen.
Ich wünsche mir, dass die ernsthafte sachliche Auf-klärungsarbeit dieses Ausschusses den Opfern und den
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chen Ereignisse. Der Ausschuss hat darüber hinaus ge-meinsame Empfehlungen für die künftige Struktur, dieZusammenarbeit, die Befugnisse und die Qualifizierungder Sicherheits- und Ermittlungsbehörden sowie für eineeffektive Bekämpfung des Rechtsextremismus formu-liert. Die gewonnenen Erkenntnisse und die daraus ent-wickelten Reform- und Verbesserungsvorschläge sindnun Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzungmit dem Ziel, jede Form von Extremismus oder Auslän-derfeindlichkeit in unserem Lande entschlossen zu be-kämpfen. Wir sind uns bewusst, dass die Arbeit damitkeineswegs erledigt ist, sondern auf einer neuen gemein-samen Grundlage fortgesetzt und verstärkt werden muss.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, die gründliche, sachorientierte und überpartei-liche Arbeit des Untersuchungsausschusses ist in denMedien zu Recht als ein Beispiel hoher politischer Kul-tur und parlamentarischer Kompetenz gewürdigt wor-den. Ich hätte mich deshalb gefreut, wenn dieses Thema,dem der Deutsche Bundestag eine eigene Plenarsitzungwidmet und das Staatsoberhaupt seine Anwesenheit,auch den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten
eine Übertragung wert gewesen wäre – im Hauptpro-gramm, versteht sich, weil es sich nicht um eine Neben-sache handelt.
Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen für die ge-leistete Arbeit, für ihr großes persönliches Engagement.Dass dieser Untersuchungsausschuss, der sich als ge-meinsames Aufklärungsinstrument begriff, um verlorengegangenes Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzu-stellen, in so ungewöhnlichem und beispielhaftem Maßekonsensorientiert gearbeitet hat, ist das Verdienst allerseiner Mitglieder,
insbesondere seines Vorsitzenden, dem ich hiermit stell-vertretend für alle anderen für seine Arbeit ausdrücklichdanken möchte.
Lieber Kollege Edathy, Sie haben das Wort.
Herr Bundestagspräsident! Sehr verehrter Herr Bun-despräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehrgeehrte Damen und Herren! Das ist ein sehr außerge-wöhnlicher Untersuchungsausschuss gewesen, der heuteseinen Abschlussbericht zur Diskussion stellt. Es warder 49. in der Geschichte des westdeutschen Parlamenta-rismus der Nachkriegszeit. Es war zugleich der erste, dervon allen Fraktionen gewollt worden ist, der erste, dereinstimmig eingesetzt worden ist – ein Prinzip übrigens,an dem wir bis zum Abschluss unserer Beratungen fest-gehalten haben: Es gab keine einzige Abstimmung indiesem Ausschuss, die nicht einstimmig erfolgt wäre.Wir waren uns als Mitglieder dieses Ausschusses vonBeginn an darin einig, dass das Thema, mit dem wir eszPDdFgEdVewSleztuliKreszoVbSSawDteaAtufoswBwnreihdPndEgdu
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dass man ihrer Mitglieder durch Arbeit der Ermittlungs-behörden habhaft geworden wäre? Ich glaube, es gibtdafür im Wesentlichen drei Ursachen.Das eine ist: Wir müssen unsere Sicherheitsarchitek-tur so weiterentwickeln, dass zwischen den verschiede-nen Behörden nicht Konkurrenzdenken, sondern Koope-rationsbereitschaft vorhanden ist. Daran hat es an vielenStellen gemangelt.Das Zweite ist: Ein zunehmend gewaltbereiter gewor-dener Rechtsextremismus darf nie wieder so massiv un-terschätzt, teilweise sogar bagatellisiert werden, wie dasin der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Wer Menschen aus rassistischen Motiven heraus an-greift, der greift uns alle an, weil er sich an den Funda-menten unserer Gesellschaftsordnung versündigt.
Der dritte Faktor – mit das traurigste Kapitel – ist,dass wir bei neun von zehn Mordfällen, bei den neunMorden an Bürgern mit einer ausländischen Familien-biografie, feststellen mussten, dass das von mir vorhinals zweites Kernversprechen des Rechtsstaates postu-lierte Versprechen nicht eingehalten worden ist. Es istbei neun von zehn Morden nicht ergebnisoffen und vor-urteilsfrei, sondern ressentimentgeleitet ermittelt wor-den. Dafür müssen wir politische Verantwortung tragen.Wir müssen durch bessere Personalauswahl, Aus- undWeiterbildung dafür Sorge tragen, dass das Denken inTeilen unserer Sicherheitsbehörden sich verändert. Ichglaube auch, dass unsere Sicherheitsbehörden künftigstärker die Vielfalt dieser Gesellschaft insgesamt auch inihren Strukturen widerspiegeln werden.
Ich möchte mich herzlich bedanken für eine unglaub-lich gute Zusammenarbeit bei den Kolleginnen und Kol-legen im Ausschuss, bei den Obmännern, bei den Ob-frauen. Ich möchte mich herzlich bedanken beimSekretariat, bei den Fraktionsreferentinnen und -referen-ten, bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern inden Abgeordnetenbüros. Ich denke, wir können am Endevielleicht sagen: Wir haben nicht jede Frage auflösenkönnen. Aber ich glaube, wir können über unsere Arbeitsagen: Das, was wir tun konnten, haben wir aufrichtiggetan.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Edathy. – Bevor ich dem
Kollegen Binninger als nächstem Redner das Wort er-
teile, möchte ich der guten Ordnung halber Ihre Zustim-
mung zu der interfraktionellen Vereinbarung herbeifüh-
ren, dass die Aussprache zu diesem Bericht insgesamt
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Dank sagen für die Zusammenarbeit bei einem schwieri-gen Thema. Sie haben uns unsere Arbeit machen lassenund uns auch unterstützt, so wie wir das wollten.
Das mag dem einen oder anderen immer noch zu wenigoder zu viel oder was auch immer sein, aber im Kern istfestzuhalten: Wir haben im Sinne unseres Aufklärungs-auftrages etwas erreicht.Nun zu den Ursachen. Wie konnte es geschehen? Esgibt nicht die eine Ursache für diese schreckliche Mord-serie und ihr Nichtentdecken. Das Geschehen hat in ei-nem Zeitraum von 13 Jahren stattgefunden, die Hälfteder Bundesländer sind betroffen. Die eine Ursache gibtes nicht, aber eines wurde deutlich: Diese Verbrechens-serie, die sich über Ländergrenzen hinweg ereignet hat,hat unsere föderale Sicherheitsarchitektur sehr schnellund sehr deutlich an ihre Grenzen gebracht. Daraus müs-sen wir die Lehren ziehen, die wir in unseren Empfeh-lungen gezogen haben. Darauf werde ich später nocheingehen.Wenn wir über Ursachen reden, ist klar: Die Haupt-kritik geht an die Behörden, deren Aufgabe es ist, dieMenschen in unserem Land, egal welcher Herkunft, vorVerbrechen zu schützen. Das ist die Polizei, das sind dieNachrichtendienste, und das ist die Justiz. Das sind dieHauptadressaten unserer Kritik. Aber seien wir ehrlich:Wir müssen uns auch selber einen Spiegel vorhalten. Ichmache in diesem Haus seit 2002 Innenpolitik. Wer vonuns Innenpolitikern oder wer von den Mitgliedern in denInnenausschüssen hat jemals bei dieser damals noch sogenannten Ceska-Mordserie daran gedacht, es könntenRechtsterroristen sein? Wer hat in den Medien jemalsdiesen Vorwurf oder Verdacht geäußert? Niemand. Wiehäufig sind wir an diesen Fahndungsplakaten vorbeige-laufen, zum Beispiel am Flughafen? Wir haben sie gese-hen, haben sie nach zwei Minuten vergessen und nichtweiter darüber nachgedacht. Ja, sogar noch schlimmer:Nicht einmal nach dem 4. November 2011 – das Triowar wieder präsent; Mundlos, Böhnhardt und Zschäpestanden im Verdacht, den Polizistenmord begangen zuhaben – kam man auf die Idee, zu fragen: Sind das auchdie Mörder unserer ausländischen Mitbürger? Selbst dakam niemand auf die Idee, nicht am 5. November, nichtam 6., nicht am 7. und auch nicht am 8. November. Erstals im Schutt des abgebrannten Hauses in Zwickau dieCeska, die Tatwaffe, und die Bekenner-DVD gefundenwurden, erst da war klar: Wir haben es hier mit den Tä-tern einer schrecklichen Mordserie zu tun. Dass wirnicht darauf gekommen sind, dass niemand diesen Ge-danken hatte, muss uns alle selbstkritisch stimmen undfür uns Anlass sein, darüber nachzudenken, woran daslag. Da sind auch wir nicht frei von Kritik, wir alle zu-sammen, die wir hier Verantwortung tragen.
Wenn man die Ursachen zusammen betrachtet, stelltman fest, dass vielleicht vier oder fünf Ursachen maß-gwdudReueFmFadmhsnreaimbünRePistetemhufüsdzsdohwnsbSEhlecBwb
Die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutznd Polizei ist nicht einfach. Wir alle wissen, dass es da-r hohe rechtliche Hürden gibt. Aber bei einer Mord-erie ist Zusammenarbeit möglich. So wie sie sich hierargestellt hat, ist sie mit dem Wort „schlecht“ noch un-ureichend beschrieben. Sie hat nicht funktioniert. Wis-en über das Trio, das beim Verfassungsschutz vorhan-en war, ist nur in Bruchstücken bei der Polizei gelandetder gar nicht, weil man das Wissen gleich für sich be-alten hat. Auch hier muss sich einiges ändern.Dann das Thema V-Leute. Bei diesem Punkt habenir in letzter Konsequenz, über die Empfehlungen hi-ausgehend, keinen Konsens, in den Empfehlungen aberchon. V-Leute sind keine Mitarbeiter von Sicherheits-ehörden. Sie sind Angehörige einer extremistischenzene und bleiben das auch. Im konkreten Fall heißt das:s sind Neonazis, die bereit sind, gegen Geld mit Sicher-eitsbehörden zusammenzuarbeiten. Das ist ein schma-r Grat für den Rechtsstaat, und er wurde hier an man-hen Stellen verlassen. Dass eine Sicherheitsbehörde inrandenburg mit einem V-Mann zusammenarbeitet, deregen versuchten Mordes an einem ausländischen Mit-ürger verurteilt wurde, ist undenkbar. Das darf sich
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Clemens Binninger
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nicht wiederholen. Hier überschreitet der Rechtsstaateine rote Linie.
Ich will aber auch deutlich sagen: Wir können auf dasInstrument der V-Leute nicht ganz verzichten. Es gibt indiesen Phänomenbereichen abgeschottete Zirkel, an diedie Sicherheitsbehörden überhaupt nicht herankommen,wenn sie dieses Instrument nicht haben. Aber es bedarfeiner grundsätzlichen Reform, es bedarf einheitlicherStandards in allen Sicherheitsbehörden, wenn es um dasThema V-Leute geht, weil in den letzten 15 Jahren Auf-wand und Risiko des Einsatzes von V-Leuten im BereichRechtsextremismus in keinem Verhältnis zum Erkennt-nisgewinn standen. Das muss Anlass sein für dringendeund notwendige Reformen in diesem Bereich.
Der letzte Punkt, der bedrückendste, ist das früheFestlegen auf eine Ermittlungsrichtung: „Es muss orga-nisierte Kriminalität sein“ oder, wie beim Sprengstoff-anschlag in Köln 2004: „Es muss um die Türsteherszenegehen“. Ganz wenig nur wurde in Richtung Rechtsextre-mismus ermittelt. Die Bayern haben 2006 diesen Ver-such unternommen, wurden aber von den anderenBehörden heftig kritisiert. In Köln wurde einmal kurz inRichtung Rechtsextremismus ermittelt; dann wurdediese Spur wieder verworfen. Immer wieder ging es inRichtung organisierte Kriminalität – als ob es möglichwäre, die Täter im Umfeld der Opfer zu finden.Dass man im Umfeld der Opfer ermittelt hat, wie manes bei schweren Verbrechen immer macht, ist nicht zukritisieren. Aber man hat immer weiter ermittelt, auchwenn es keine Anhaltspunkte mehr gab; man hat nichtmehr aufgehört. Man hat mit hohem Aufwand in diesemBereich ermittelt, hat die Opfer damit nochmals zu Op-fern gemacht. Auch das ist etwas, was sich nicht wieder-holen darf. Opfer dürfen durch Ermittlungen nicht einzweites Mal zu Opfern werden.
Für diesen Bereich haben wir einen ganzen Katalogvon Empfehlungen formuliert. Die Empfehlungen rei-chen im Prinzip von einer anderen Erfassung rechts-extremistischer Gewaltkriminalität – damit wir nichtüber statistische Aussagen streiten müssen, was das Phä-nomen angeht – über ein besseres Lagebild und mehr in-terkulturelle Kompetenz in allen Sicherheitsbehörden bishin zu einer Empfehlung, die ich wirklich für sehr wich-tig halte: Nachdem wir viele Zeugen aus Sicherheitsbe-hörden vernommen haben, viele Mitarbeiter, Polizistenund Ermittler, von denen viele – die meisten, würde ichsagen – sehr betroffen, sehr einsichtig waren und denenes selber zu schaffen macht, dass sie ihrem gesetzlichenAuftrag nicht nachkommen konnten, und diese sicherihre Lehren aus diesen Fällen gezogen haben, ist es jetztnotwendig, dass die Lehren aus dem NSU-Desaster Teildes Wissens der Organisationen werden, damit auch zu-künftige Generationen von Ermittlern wissen, was da-mals schieflief, und so sichergestellt werden kann, dassd4szsntidwdsenliAteFV4bdDvLsLneskDaLtefäneAKenvmsB
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2011, also sieben Jahre nach dem Anschlag, von derPolizei bedrängt wurde, er solle endlich aussagen, was ermit alledem zu tun habe. Schließlich brach es aus ihmheraus: Ich weiß, Frau Pau, auch die Polizei kann irren.Aber sie haben vergessen, dass wir Menschen sind. Unddas kann ich nicht verwinden. – Mein Begleiter lud michdanach zu einem Glas Tee ein. Zum Abschied fragte ermich dann fast verzweifelt: Ich lebe jetzt seit 40 Jahrenin Deutschland. Ich bin Deutscher, meine Kinder sindDeutsche, meine Enkel auch. Wo sollen wir denn hin? –Ich gestehe, ich konnte ihm nur die Hand drücken.Diese Geschichte ging mir immer dann durch denKopf, wenn Zeugen im Ausschuss beteuerten, man habealles richtig gemacht und sei vollständig ohne Schuld.Dann habe ich mich jeweils für sie geschämt.Der Abschlussbericht des Untersuchungsausschussesist öffentlich. Er ist ein gemeinsames Dokument allerFraktionen – von der CDU/CSU-Fraktion bis zur Frak-tion Die Linke. Viele Kommentatoren haben den An-spruch und die Kultur im Ausschuss gewürdigt. Einermeinte dagegen, das sei kein Grund zum Lob, sondernzeige doch nur, wie es ansonsten im Bundestag zugehe.Ich finde, auch darüber sollten wir einmal nachdenken.
Gleichwohl danke ich allen Mitgliedern des Aus-schusses und ebenso allen Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern. Die Zusammenarbeit war auch für mich eineMut machende Erfahrung. Und: Sie war bitter nötig. Wirsahen uns in der Schuld der Opfer und ihrer Angehöri-gen, und wir konnten nichts wiedergutmachen. Umsomehr aber galt unsere Botschaft Art. 1 des Grundgeset-zes: Die Würde des Menschen ist unantastbar – allerMenschen.Der Abschlussbericht des Ausschusses enthält knappvier Dutzend Vorschläge, was als Konsequenz aus demNSU-Desaster dringend zu ändern sei. Der KollegeBinninger hat sie hier umfassend vorgestellt; ich mussdas nicht wiederholen. Hinzu kommen Zusatzvoten derFraktionen. Sie markieren Differenzen, durchaus gravie-rende. Ich möchte drei für die Linke skizzieren:Erstens. Das Staatsversagen im NSU-Komplex hattezwei wesentliche Ursachen – Zitat aus unserem Vo-tum –: die Verharmlosung und Vertuschung der Gefah-ren des Rechtsextremismus durch staatliche Stellen ei-nerseits und den institutionellen Rassismus andererseits.Die rechtsextreme Gefahr wurde bis 2011 verlässlichunterschätzt und auch verharmlost. Eine rechtsterroristi-sche Gefahr gäbe es nicht, hieß es in nahezu allen La-geeinschätzungen der Sicherheitsbehörden. „Wir hättenes besser wissen müssen …“, kommentierte der dama-lige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, HeinzFromm, danach. Zu spät!Das Wort „Rassismus“ wiederum wird offiziell wei-terhin gemieden, noch mehr die Einschätzung, es gebeso etwas wie institutionellen Rassismus. Ich bleibe da-bei: Die NSU-Mordserie war rassistisch motiviert, unddie Ermittlungen trugen rassistische Züge. Damit sageicindAUvdTReaedsmzfabaDaSbmsgssKguteDkEssAtrunMass
Zweitens. Wir waren uns im Untersuchungsausschussinig, dass die Ämter für Verfassungsschutz im Zentrumes Versagens agierten. Gleichwohl ziehen wir unter-chiedliche Schlüsse. Im Votum der Linken heißt es:Der nachrichtendienstlich arbeitende Verfassungs-schutz war Herz und Motor des sicherheitspoliti-schen Debakels …Verknappt gesagt: Der Verfassungsschutz hat die Er-ittlungen gegen das NSU-Trio behindert, und er hatugleich durch seine V-Leute-Kumpanei mit Nazis Ver-ssungsfeinde gestärkt – beides systematisch. Deshalbleibt die Linke dabei: Die unsägliche V-Leute-Praxisller Sicherheitsbehörden ist sofort einzustellen. Und:ie Ämter für Verfassungsschutz sind als Geheimdiensteufzulösen.
ie sind als solche weder kontrollierbar noch reformier-ar.Drittens. Auch die Prävention gegen Rechtsextremis-us und Rassismus war Thema im Ausschuss – insbe-ondere bei Expertenanhörungen. Die Urteile über daseltende System waren teilweise vernichtend. Gesell-chaftliche Initiativen werden ungenügend gefördert,tattdessen häufig kriminalisiert. Die Linke teilt dieseritik. Wir schlagen über die gemeinsamen Empfehlun-en hinaus ein neues Modell vor. Es korrespondiert mitnserer zivilgesellschaftlichen Alternative zu den Äm-rn für Verfassungsschutz als Geheimdienste.Wir plädieren a) für eine „Koordinierungsstelle zurokumentation gruppenbezogener Menschenfeindlich-eit“ und b) für eine „Bundesstiftung zur Beobachtung,rforschung und Aufklärung gruppenbezogener Men-chenfeindlichkeit“. Beide sollen parteifern und wissen-chaftsnah sein. Die Koordinierungsstelle soll für dienalyse zuständig sein. Der Stiftung soll auch die Be-euung gesellschaftlicher Initiativen obliegen.Wir sind der festen Überzeugung – ich denke, das eintns –: Dem Rechtsextremismus ist mit kurzem Atemicht beizukommen. Rassismus und gruppenbezogeneenschenfeindlichkeit wiederum beschränken sich nichtuf den rechten Rand. Die aktuelle Förderung für gesell-chaftliche Initiativen dagegen ist kurzatmig und be-chränkt. Wir brauchen hier also einen neuen Ansatz.
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Petra Pau
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir,noch zwei Abschlussgedanken vorzutragen: Bundes-kanzlerin Angela Merkel hat auf der Trauerfeier im Fe-bruar 2012 den Angehörigen und den überlebenden Op-fern der NSU-Mord- und -Anschlagsserie vollständigeAufklärung versprochen. Davon kann bis heute keineRede sein. Die Arbeit des Untersuchungsausschusseswurde auch noch von Regierungen und Behörden aufBundes- und Landesebene behindert; übrigens – ich ge-stehe, auch das schmerzt mich persönlich – ganz egalwelche Parteiflaggen die jeweiligen Regierungen hissen.Sie alle lassen mit diesen Behinderungen nicht nur dieBundeskanzlerin mit ihrem Versprechen im Regen ste-hen, sondern – schlimmer noch – auch die Opfer undHinterbliebenen. So als sei nichts gewesen!Damit zu meinem zweiten Schlussgedanken. Der Aus-schuss hat wider alle Blockaden viel ermittelt. Wir habenin staatliche Abgründe geschaut, politisches Versagen auf-gedeckt, und wir haben – der Kollege Binninger hat esschon für das gesamte Parlament gesagt – auch uns sehrviele selbstkritische Fragen zu stellen. All das ist um-fangreich dokumentiert, mit dringenden Empfehlungen.Deshalb möchte ich mit einem Lessing-Zitat schließen:Wer wird nicht einen Klopstock loben? Doch wird ihn jeder lesen? – Nein. Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein.Ich danke Ihnen.
Das Wort erhält nun der Kollege Hartfrid Wolff.
Hartfrid Wolff (FDP):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DieMorde der Zwickauer Zelle sind die bislang schwerwie-gendste Kette von rechtsextremistisch motivierten Ge-waltverbrechen, die die Bundesrepublik Deutschland jeerlebt hat.Die im Laufe der Zeit zutage getretenen Fehler derBehörden sind erschütternd. Wir reden hier von einemgravierenden Vertrauensverlust in die Fähigkeiten derSicherheitsbehörden. Wie konnte es möglich sein, dassdie rechtsextremen Terroristen 13 Jahre im Untergrundunbehelligt leben und morden konnten? – Und: Wir re-den von einem Vertrauensverlust in die rechtsstaatlichenAbläufe in Behörden. Weshalb wurden warum welcheAkten gelöscht? Warum waren Beamte und V-Leutebeim Ku-Klux-Klan aktiv?Wir haben von Anfang an auf eine lückenlose parla-mentarische Aufklärung gedrängt. Ich bin froh, dass wirim Januar 2012 einvernehmlich über alle Parteigrenzenhinweg im Deutschen Bundestag diesen Untersuchungs-ausschuss einsetzen konnten. Die in dieser Form einma-lige parteiübergreifende Zusammenarbeit eines Untersu-cmabdAAbdaJUhdvfoLfesdmuVclimtemriNSedWeumRnstrcdnc
Die Bundesländer sind in der Pflicht. Es ist unglaub-ch, wie teilnahmslos einige agiert haben. Die Länderüssen jetzt konkretere Vorschläge vorlegen. Kein wei-res Lavieren! Kein weiteres Taktieren! Ich wünscheir mehr Mut zum Wohle und zur Sicherheit der Bürge-nnen und Bürger. Die parlamentarische Kontrolle derachrichtendienste muss dringend verbessert werden.owohl im Bund als auch in den Ländern bestehen hierrhebliche Defizite. Unsere Vorschläge dazu liegen aufem Tisch.Für die parlamentarische Kontrolle im Bundestag gilt:ir brauchen jederzeitigen Zugang zu allen Vorgängen,ine vorige Kontrolle der internen Dienstanweisungennd einen ständigen Sonderermittler des Kontrollgre-iums quasi als verlängerten Arm der Parlamentarier.echtliche Kontrollhindernisse – und davon gibt es ei-ige – wie das Verbot für die Mitarbeiter der Dienste,ich ohne Einbindung des Behördenleiters an das Kon-ollgremium wenden zu können, müssen weg.Meine Damen und Herren, auch wenn der Untersu-hungsausschuss gemeinsam viel geleistet hat und ver-ienstvoll in die Aufklärung eingestiegen ist: Es sindoch viele Fragen offen geblieben. Nur einige Beispiele:Die Finanzquellen des Mördertrios sind nicht ausrei-hend geklärt. Über die bekannten Banküberfälle alleine
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Hartfrid Wolff
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konnte sich der NSU dieses Leben über 13 Jahre nicht fi-nanziert haben. Die drei hatten nicht einmal 360 Euro imMonat, weniger als Hartz IV. Wie aber haben sie sichsonst finanziert?Die erheblichen internationalen Implikationen, zumBeispiel in die Schweiz, sind vom Ausschuss so gut wiegar nicht behandelt worden – und das, obwohl wir sehen,wie stark das internationale Netzwerk Blood & Honourgerade im Umfeld des NSU aktiv war.Wichtige Bundesländer wie zum Beispiel Berlin undBaden-Württemberg haben noch nicht ausreichend Ak-ten geliefert. Baden-Württemberg hat zudem erst imMärz dieses Jahres eine eigene Ermittlungsgruppe „Um-feld“ eingerichtet, deren Endergebnisse wir nicht kennenund damit nicht bewerten können. Die baden-württem-bergische Landesregierung hat den Untersuchungsaus-schuss deutlich verzögert. Der baden-württembergischeMinisterpräsident Kretschmann und Innenminister Gallmüssen ihr Versprechen einlösen und endlich aktiv zurAufklärung beitragen.
Schließlich ist damit zu rechnen, dass, wie es bereitsin den letzten Monaten der Fall war, bei dem Prozess amOberlandesgericht München, der noch bis 2014 läuft,weitere Details bekannt werden. Der Generalbundes-anwalt führt zwei weitere Ermittlungsverfahren. Hierdarf der Bundestag die Aufklärung nicht einfach einstel-len.Ich begrüße ausdrücklich, dass der Untersuchungs-ausschuss dem Antrag der FDP gefolgt ist, dass die Auf-bewahrung der Akten im Deutschen Bundestag deutlichverlängert wird.
Meine Damen und Herren, es wird wahrscheinlichnicht mehr alles seit 1992 bis in letzte Details aufgeklärtwerden können. Doch schon an diesen wenigen noch of-fenen Themen sieht man: Man kann trotz aller Aufklä-rungsleistung nicht mit gutem Gewissen sagen, dass dasim Einsetzungsbeschluss, wie von allen Parteien festge-halten, angestrebte Gesamtbild vorliegt; diese Forderungist noch nicht ausreichend erfüllt. Überall geht die Auf-klärung weiter; auch wir dürfen nicht anhalten. Deshalbhalte ich es für richtig, dass wir nach der Wahl weiterma-chen und den Untersuchungsausschuss in der kommen-den Legislaturperiode, getragen von allen Fraktionen,fortsetzen. Wir brauchen mehr Zeit, um besser aufklärenzu können: zur Bekämpfung des Rechtsextremismus inDeutschland und international, für eine rechtsstaatlicheGrundierung und Stärkung unserer Sicherheitsbehördensowie dazu, um den Opferschutz und eine vertrauensge-tragene Integration wieder und neu voranbringen zu kön-nen.Wir alle haben die Verantwortung, die bestmöglichenLehren aus dieser grausamen Mordserie zu ziehen. Eini-ges haben wir im Untersuchungsausschuss gemeinsamerreicht und dargelegt. In den Ländern und im BundmFhtiteBDhdwgdlessgzraGunnmBFHindtepsaSed
Wolfgang Wieland ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Lei-nde Kriminaldirektor Wolfgang Geier, der Chef derAO „Bosporus“, sagte bei uns als Zeuge Folgendes:Deshalb müssen Sie auch überlegen, was es ausge-löst hätte, wenn wir mit einer Theorie, mit einerHypothese an die Öffentlichkeit gehen und … sa-gen würden: Da gibt es Rechtsradikale, die fahrendurch Deutschland und knallen Ausländer ab.iese Hypothese wäre die Wahrheit gewesen, wie wireute wissen. Sie hätte zunächst einmal ausgelöst, dassas Leid der Opferfamilien verkürzt wird, die immerieder hören mussten, dass ihre ermordeten Angehöri-en Teil einer Drogenmafia seien. Diese Familien wärenann endlich – auch öffentlich – als Opfer rechtsradika-r Taten gesehen worden. Es ist ein entsetzliches Ver-äumnis, im Rahmen einer bewusst verfolgten Medien-trategie hiermit hinter dem Berg gehalten zu haben.
Man hätte auch die Chance gehabt, nun endlich ener-isch und bundesweit nach möglichen Rechtsterroristenu fahnden und Mörder in Bayern nicht nur im Groß-um Nürnberg und Bombenleger in Köln nicht nur imroßraum Köln zu suchen, als lebten wir alle auf Inselnnd nicht in einem Gesamtstaat, als hätten wir den Blickicht wenigstens über den Tellerrand hinaus richten kön-en. Dass Mörder das Risiko, entdeckt zu werden, mini-ieren, indem sie ihre Taten schlicht im benachbartenundesland ausführen, kann schlechterdings nicht mitöderalismus erklärt werden. Hier gab es Blockaden.
ier wurde die Zusammenarbeit geradezu verweigert,sbesondere vom Bundesamt für Verfassungsschutz,as auf einen Hilferuf aus Bayern nichts anderes mitzu-ilen hatte als erstens: „Bei uns gibt es keine Ansprech-artner“, zweitens: „Wenn Sie etwas wollen, bittechriftlich und formentsprechend“, und drittens: „Es gibtuch Landesämter“. Arbeitsverweigerung an höchstertelle! Deswegen gehen wir Grüne auch weiter, als wirs gemeinsam formuliert haben. Wir meinen, es ist nötig,ass dieses Bundesamt wegen unscharfer Analysen und
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Wolfgang Wieland
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mangelhafter Informationen aufgelöst und dann perso-nell und strukturell neu aufgestellt werden muss.
Noch etwas kommt hinzu. Die Einstellung, dass nichtsein kann, was nicht sein darf, hat die gesamten Ermitt-lungen durchzogen. Es ist offenbar eine Art bundesrepu-blikanische Staatsdoktrin gewesen, dass rechtsextremeTäter immer Einzeltäter sind, und zwar nicht nur beimOktoberfestattentat in München. Das ging bis hin zurBegriffsbildung. Bei der Polizei galt immer die Organi-sationstheorie, in deren Mittelpunkt die kriminelle Orga-nisation stand. Wenn es sich aber um rechtsradikale Tä-ter handelte, galt die Einzeltätertheorie. Das, was wirvorgefunden haben, nämlich eine rechtsterroristische Or-ganisation, war begrifflich überhaupt nicht vorgesehen.Hier muss analysiert werden. Hier muss sich etwas ver-ändern.Natürlich gab es auch gruppenbezogene Vorurteilenoch und nöcher. Wir haben an einzelnen Stellen auchRassisten erlebt, beispielsweise Ku-Klux-Klan-Mitglie-der. Aber ich finde die Formulierung viel besser, die wirin unserer gemeinsamen Bewertung gefunden haben, dieda lautet: „Auf dem rechten Auge betriebsblind“. So wares. Das haben wir gesehen. Das ist schlimm genug, unddas muss sich verändern.
Wir haben des Weiteren festgestellt – das muss manauch sagen –: In der Demokratie gibt es politisch Verant-wortliche. Da kann man nicht beim Ersten Hauptkom-missar der Kriminalpolizei stehen bleiben. Ich sage alsKompliment an die Adresse der Kolleginnen und Kolle-gen von Union und SPD – wir hatten niemanden, denwir schützen konnten –: Sie haben keine Rücksicht ge-nommen. Die Innenminister waren leider Teil des Pro-blems und nicht Teil der Lösung, und zwar ohne jedeAusnahme. Sie waren teils inaktiv wie WolfgangSchäuble oder Fritz Behrens aus Nordrhein-Westfalen,teils sogar blockierend wie Volker Bouffier oder sehr ak-tiv und Empathie zeigend wie Günther Beckstein, deraber im Ergebnis zu sehr auf sein Bundesland und seineZuständigkeit konzentriert war.Last, but not least ist Otto Schily zu erwähnen, dermit einer falschen Ansage einen Tag nach dem Bomben-anschlag in der Kölner Keupstraße die falsche Ermitt-lungstendenz in Richtung organisierte Kriminalität be-stätigt hat, und zwar mit der nicht durch Faktengedeckten Aussage, es gebe Hinweise auf den Bereichder organisierten Kriminalität. Wenn wir politische Ver-antwortung ernst nehmen, dann müssen wir auch hieransetzen und sagen: Erkannte und ausgesprochene Män-gel – der Vizepräsident des BKA sprach von kriminal-fachlich stümperhaft organisierten Ermittlungen – wur-den nicht abgestellt.kEmVdgissshnwkKdwfldAKgRmsPDasDeHhinbEhdsT
Letzte Bemerkung dazu von mir: Die Justizminister-onferenz, deren Staatsanwaltschaften die Herrinnen derrmittlungsverfahren sind, hat sich gleich gar nicht da-it beschäftigt. Wir müssen sagen, dass sich auch daserhältnis von Staat und Zivilgesellschaft bessern muss,ass der Kampf gegen Rechtsextremismus kein Spezial-ebiet nur von Justiz, Polizei und Nachrichtendienstent, sondern dass er vor allen Dingen Teil der Zivilgesell-chaft ist. Hier wollen wir Dialog, hier wollen wir Zu-ammenarbeit, aber kein Kujonieren haben. Das, wasier vorgelegt wurde, ist ein Arbeitsprogramm für dieächste Bundesregierung, wie auch immer sie aussehenird. Es wurde einheitlich, gemeinsam vorgelegt; daranommt man nicht so schnell vorbei. Das sehe ich wie derollege Binninger. Es ist auch ein Arbeitsprogramm füren nächsten Bundestag, dem ich nicht mehr angehörenerde.Deswegen darf ich hier zum Schluss sagen: So kon-iktfrei und unpolemisch, wie die Zusammenarbeit iniesem Untersuchungsausschuss war, kann die politischerbeit nicht immer sein. Ich danke den Kolleginnen undollegen dafür. Außerdem danke ich den vielen Kolle-innen und Kollegen in allen Fraktionen – das ist keinitual, und das ist keine Floskel; es gab sie wirklich –,it denen ich sehr gut, sehr intensiv, teilweise auch sehrtreitig über die Jahre zusammengearbeitet habe. Einarlament braucht sich für Streit nicht zu entschuldigen.ieser ist konstituierend;
llerdings sollte er mit Niveau, mit persönlichem An-tand und mit Glaubwürdigkeit geführt werden.Vielen Dank.
Lieber Kollege Wieland, da Sie für den nächsten
eutschen Bundestag nicht wieder kandidieren, ist dies
ine gute Gelegenheit, Ihnen für die Arbeit in diesem
ause in den vergangenen beiden Legislaturperioden
erzlich zu danken, auch für die politische Arbeit zuvor
anderen politischen Ämtern und Funktionen. Ich ver-
inde diesen Dank mit der Hoffnung und der sicheren
rwartung, dass Sie gerade diesem Anliegen auch außer-
alb des Parlaments verbunden bleiben.
Vielen Dank.
Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Högl.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun-espräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meineehr geehrten Damen und Herren! Der rechtsextremeerror des NSU war ein Anschlag auf unsere Demokra-
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Dr. Eva Högl
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tie. Wir alle waren gemeint, unsere Demokratie und un-ser Rechtsstaat. Deswegen war es richtig und sehr wich-tig, dass der Deutsche Bundestag sich dieser Frageangenommen und einen Untersuchungsausschuss einge-setzt hat.Dieser Untersuchungsausschuss – das ist schon ge-sagt worden – war ein ganz besonderer. Ich kann alldiejenigen verstehen, die damals skeptisch waren undgesagt haben: Untersuchungsausschüsse sind Kampfin-strumente der Opposition; dieses Instrument eignet sichnicht bei rechtsextremem Terror. – Für mich war dieserUntersuchungsausschuss – anders als für den KollegenWieland, der, glaube ich, vielen, wenn nicht allen Unter-suchungsausschüssen, angehört hat – der erste Untersu-chungsausschuss, und er hat für mich Maßstäbe gesetzt.Wir haben diesen Untersuchungsausschuss zu einemKampfinstrument der Aufklärung gemacht.
Dass uns das gelungen ist, dafür möchte auch ich allenKolleginnen und Kollegen, allen unseren Mitarbeiterin-nen und Mitarbeitern ganz herzlich danken. Es war wirk-lich ein kollegiales Miteinander, das diese Aufklärungmöglich gemacht hat. Ich möchte einem Kollegen ganzbesonders danken: Lieber Clemens Binninger, ohne dich– ich sage es ganz deutlich – wären manche Einigkeit,mancher Konsens, mancher Kompromiss nicht möglichgewesen. Ich danke dir für die gute Zusammenarbeit,auch weil ich weiß, dass du, anders als wir anderen, ganzbesonders viel Gegenwind an der einen oder anderenStelle aushalten musstest. Auch das muss einmal gesagtwerden. Herzlichen Dank dafür!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir hatten durchausHindernisse in diesem Untersuchungsausschuss, zumBeispiel die Aktenvernichtung im Bundesamt für Ver-fassungsschutz am 11.11.2011 – ausgerechnet am11.11.2011 – in Köln. Das hat nicht nur unsere Arbeitbehindert, sondern auch viel Vertrauen zerstört. So hat-ten wir viele Hindernisse. Aber über eines habe ich michganz besonders geärgert: die fehlende Bereitschaft derzahlreichen Zeugen, Fehler einzugestehen und Verant-wortung zu übernehmen.Wenn eine rechtsextreme Mörderbande 14 Jahre languntertaucht, zehn Morde begeht, zwei Sprengstoffan-schläge und zahlreiche Banküberfälle verübt, dann müs-sen Fehler begangen worden sein. Dass niemand in derLage war, dafür die Verantwortung zu übernehmen, dashat mich sehr enttäuscht.
Wir haben flächendeckendes Versagen gefunden: derPolizei, des Verfassungsschutzes, der Justiz und auch derpolitisch Verantwortlichen. Wir haben das aufgedeckt.Es war nicht eine Aneinanderreihung von sogenanntenhandwerklichen Fehlern oder, wie manchmal verniedli-czgWvMukeshwwDddrefostensdnssEuwcMteBaSdBBdwPsdPngmd
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32589
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Meine Damen und Herren, wir haben mit dem Berichtdes Untersuchungsausschusses ein breites Maßnahmen-bündel vorgelegt; 47 Empfehlungen, die alle Fraktionentragen. Deswegen sage ich es ganz deutlich, liebe Kolle-ginnen und Kollegen: Ich erwarte von allen Mitgliederndes nächsten Deutschen Bundestages, von allen, die hierwieder sitzen werden, von allen Kolleginnen und Kolle-gen in den Bundesländern, von allen Regierungen, vonallen Behörden, dass diese Empfehlungen nicht in derSchublade verschwinden, sondern wirksam umgesetztwerden.
Ich selbst will gern dazu beitragen; ich denke, es ist un-sere gemeinsame Verpflichtung, genau das in der nächs-ten Legislaturperiode zu tun.Gleichzeitig bitte ich die Öffentlichkeit, alle zivilge-sellschaftlichen Gruppen, alle Bürgerinnen und Bürgerund vor allen Dingen die Medien, die unsere Arbeit mitviel Engagement begleitet haben, Sie alle, meine sehrgeehrten Damen und Herren, ausdrücklich darum, dassSie nicht lockerlassen, bis wir diese 47 Empfehlungenund darüber hinaus alles, was wir noch für notwendig er-achten, um die Missstände zu beseitigen, umgesetzt ha-ben und wir tatsächlich wirksam reformiert haben. Las-sen Sie uns alle gemeinsam alles dafür tun, dass wirRassismus und Rechtsextremismus wirklich wirksambekämpfen! Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.Herzlichen Dank.
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32590 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013
Stephan Stracke
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trauen in die Arbeit unserer Sicherheitsbehörden wiederaufzubauen.Das Bild von der Arbeit unserer Behörden in Bundund Ländern ist facettenreich. Schwarz-Weiß-Malerei istsicherlich nicht angebracht. Wir sind allerdings auf eineFülle von zum Teil schweren behördlichen Versäumnis-sen, Fehlern und Verstößen gestoßen. Den einen kausa-len Fehler, bei dessen Vermeidung das Trio hätte ding-fest gemacht werden können, haben wir nicht gefunden.Patentlösungen, wie die von uns festgestellten Fehlerund Versäumnisse in Zukunft abgestellt werden können,haben wir nicht. Wir befinden uns auf der ersten Etappeeiner noch langen Wegstrecke. Diese Wegstrecke wer-den wir entschlossen gehen und meistern. Das sind wirden Opfern, den Angehörigen der Opfer und uns selbstschuldig.
Wir wollen, dass unsere Sicherheitsarchitektur besserdasteht als zuvor. Daran arbeiten wir.Einiges hat sich während der Untersuchungszeit bereitsverändert. Die ersten richtigen Schlüsse wurden gezogen,notwendige Reformen begonnen und zum Teil schon um-gesetzt. Es ist ermutigend, dass mit der Einrichtung desGemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremis-mus die 36 Sicherheitsbehörden von Bund und Ländernnun an einem Tisch sitzen und sich fallbezogen austau-schen. Es ist ermutigend, dass mit der Errichtung derRechtsextremismusdatei Polizei und Verfassungsschutzjetzt besser in der Lage sind, ihre Erkenntnisse miteinan-der zu teilen und Zusammenhänge aus dem Dunkeln zuholen. Und es ist ermutigend, dass sich das Bundesamtfür Verfassungsschutz an Haupt und Gliedern erneuert.Manche Verkrustungen sind aufgebrochen, auch und ge-rade im Verfassungsschutzverbund. Das muss weiter vo-rangetrieben werden.Hieran, an diesen richtigen und wichtigen Schrittenvon Bundestag und Bundesregierung, knüpfen wir mitunseren Empfehlungen an. Wir machen 47 Vorschlägezu weiteren Verbesserungen in den Bereichen Polizei,Justiz und Verfassungsschutz. Sie werden von allenFraktionen mitgetragen und unterstützt. Diese Vor-schläge sind konkret, gut und wertig. Deswegen habenwir als Bundestagsfraktion der CDU/CSU auch ganz be-wusst auf parteipolitische Ergänzungen verzichtet. Dergemeinsame Schlussfolgerungsteil steht für sich.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Regelnder Zusammenarbeit im Föderalismus, zwischen Bundund Ländern, und die Möglichkeiten zum Informations-austausch müssen klarer und einfacher werden. Die Be-hörden müssen rechtssicher und rechtsklar das tun kön-nen, was wir von ihnen erwarten. Das ist und bleibtzentral, wenn es um eine effektive Verbesserung der tag-täglichen Arbeit unserer Sicherheitsbehörden geht.Meine Erwartungshaltung ist, dass dieser Ansatz, wenner zur konkreten Umsetzung ansteht, nicht dogmatischenÜberlegungen geopfert wird.szsgatawKBhSGVdnAdMbvimraindtegOddInrarahPdmDsadnteeim
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!erehrte Angehörige der Ermordeten und selbst Geschä-igte! Naziterror gab es im vereinigten Deutschlandicht erst ab dem Jahr 2000. Naziterror gab es bereitsnfang der 90er-Jahre. Ich habe in dem Prozess gegenie Mörder von Menschen türkischer Herkunft, die inölln in ihrem Haus grausam verbrannt sind, die Ne-enklage vertreten. Von daher habe ich eine Ahnung da-on, was Sie durchgemacht haben und wahrscheinlichmer noch durchmachen. Deshalb fühle ich mich ge-de Ihnen und allen, die sich gefährdet sehen, heute und den letzten über anderthalb Jahren, seit die Mordseriees Nazitrios bekannt geworden ist, besonders verpflich-t.
Seinerzeit wurden die Mordtaten relativ schnell auf-eklärt, vor Gericht verhandelt, und es kam vor demberlandesgericht in Schleswig zu einer Verurteilung. Iniesem Falle war die Situation völlig anders. Wir stan-en immer wieder vor einem Abgrund von Unfähigkeit,kompetenz, Konkurrenzdenken, bürokratischer Igno-nz, Uneinsichtigkeit, aber auch rassistischer Vorurteile,ssistischen Denkens.Ich will Ihnen dazu ein Beispiel nennen, das mich biseute umtreibt: Im April 2006 gab es eine Analyse derolizei in Bayern, in der zum ersten Mal wohlbegründetargelegt wurde, dass es sich um Einzeltäter handelnüsse, und zwar aus der rechtsextremistischen Szene.as gefiel vielen anderen Polizeien nicht. Hamburg hatich dagegen gewehrt, das BKA wollte das nicht hören,ber auch Polizeien der anderen Länder – gerade aucher Länder, in denen Morde passiert waren – wollten dasicht hören. Deshalb wurde die Polizei in Baden-Würt-mberg beauftragt, eine zweite sogenannte OFA, alsoine Operative Fallanalyse, zu erstellen. Diese lag dann Januar 2007 vor.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32591
Hans-Christian Ströbele
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Jetzt komme ich auf diese Analyse zu sprechen. DieTheorie der bayerischen Kollegen, dass es sich um Ein-zeltäter aus der rechtsextremen Szene handele, wurdedarin kategorisch abgelehnt. Es wurde eine „Gruppie-rung … mit kriminellen Aktivitäten“ und einem „rigidenEhrenkodex“ bzw. einem „rigiden inneren Gesetz“ er-funden, zu der alle neun Opfer Kontakt gehabt habensollen. Diese Gruppierung habe wegen Verletzung einesEhrenkodex jeweils Todesurteile verhängt und dannvollstreckt, so die Analyse.Aber diese Gruppierung gab es überhaupt nicht. DerErmittlungsstand damals war, dass es eben keine Grup-pierung gab, zu der alle neun Kontakte gehabt haben.Weiter heißt es in der Analyse – es wird noch schlim-mer –:Dabei– bei dieser Gruppierung –ging es vermutlich … um die Sicherung … einer inder Gruppe ideell verankerten Wirklichkeit, z. B.Status, Prestige, Ehre … .Die Gemeinsamkeit, die Verbindung wurde in der türki-schen Sprache gesehen. Dann heißt es abschließend:Auch spricht der die Gruppe prägende rigide Ehren-kodex eher für eine Gruppierung im ost- bzw. süd-
Ist das kein Rassismus?Danach schließe ich mich der Forderung an, dieheute, als wir uns vorhin getroffen haben, auch in IhremKreise geäußert worden ist, und sage: Konsequenz mussnicht nur sein, die 47 Punkte umzusetzen, die der Unter-suchungsausschuss beschlossen und in seinen Berichtaufgenommen hat und die ich mittrage, sondern Konse-quenz muss auch sein – neben diesen vielen anderenKonsequenzen –, dass die Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter, die so versagt haben – beim Verfassungsschutz,bei den Polizeien –, ausgetauscht werden, damit sie nichtda weiterarbeiten können, wo sie dieses Versagen ge-zeigt haben. Es ist doch absurd, etwa den Kriminalhaupt-kommissar, der maßgeblich an dieser Analyse mitge-wirkt hat, oder die Leute, die ihm geholfen haben, anderselben Stelle weiterzubeschäftigen.
Herr Kollege.
Es kann nicht sein, dass diese Versager einfach wei-
termachen. So können wir den Menschen in Deutsch-
land, auch Ihnen, nicht mehr Sicherheit vor rechtsextre-
mistischem Terror versprechen.
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Patrick Kurth ist der nächste Redner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bun-espräsident! Sehr geehrte Angehörige der Opfer! Liebeolleginnen und Kollegen! Der Abschlussbericht des. Untersuchungsausschusses liegt vor. Ich schließeich dem, was hier von allen Fraktionen gesagt wordent, umfänglich an. Dieser Untersuchungsausschuss warin besonderer. Alle Beweisanträge wurden einstimmigeschlossen. Wir haben 47 Beschlusspunkte vorgelegt.s ging nicht um Wahlkampf, sondern um Aufklärung.Ich möchte aber auf ein paar Punkte hinweisen, dieach dem 4. November 2011 bei der Arbeit des Untersu-hungsausschusses und in dessen Umfeld eine Rolleespielt haben. Nach dem 4. November ging in ganzeutschland zu Recht das Entsetzen um: Man war er-chrocken, entsetzt, man empfand Scham, und zwar das will ich hier deutlich sagen – auch in Mittel-eutschland, auch in Ostdeutschland. Wir hatten danachine kurze Zeit, in der bezüglich einiger Regionen ineutschland eine – vielleicht nachvollziehbare – Skepsiserrschte, die – vielleicht im Affekt – Forderungen be-üglich der Frage nach sich zog, wie man mit diesen Re-ionen umgehen sollte. Städte wie Jena, Chemnitz oderwickau haben aus eigener Kraft gezeigt: Sie sind nichter Herd des Rechtsextremismus; Rechtsextremismus istin gesamtdeutsches Problem. Er ist in diesen Städtenicht besonders stark ausgeprägt; das will ich deutlichagen. Nach der Brandrede des ehemaligen Oberbürger-eisters von Jena, unseres Kollegen Dr. Peter Röhlinger,t auch vielen hier im Saal deutlich geworden, vor wel-her Herausforderung diese Länder, diese Regionentehen. Ich bedanke mich auch dafür, dass die entspre-henden Vorurteile hier im Haus sehr schnell wieder ab-ebaut worden sind.
Ich möchte mich sehr herzlich auch beim Innenminis-rium des Landes Thüringen bedanken. Sie erinnernich an diese Posse: Wie geht man damit um, dass Aktenus Thüringen nach Berlin geliefert werden sollen? Dasing so weit, dass man sich Tatort-Szenen ausgemalt hat:iese Fahrzeuge könnten auf der Autobahn angehaltenerden, weil es um nationale Sicherheitsinteressenehe. – Also herzlichen Dank nach Thüringen.Aber natürlich bleibt weiterhin die Frage bestehen:arum wurden die Akten, die hierher transportiert wor-en sind, eigentlich neu sortiert? Wer hat denn veran-sst, dass diese Akten neu sortiert worden sind, sodassir im Untersuchungsausschuss des Bundestages nichtber die gleiche Sortierung der Aktenlage verfügten wie
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Patrick Kurth
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beispielsweise unsere Kollegen in Thüringen? Ich bleibedabei: Diese Neusortierung war nicht gerechtfertigt. Siehat Arbeit gemacht und Zeit gekostet. Wir konnten nichtgenau wissen, ob wir die gleichen Akten wie unsereThüringer Kollegen in den Händen hielten.Stichpunkt: Zeugeneinvernahmen. Ich fand es hervor-ragend, dass der Ausschuss auch bereit war, mancheHinhaltetaktik einfach nicht hinzunehmen. Die Verneh-mungen waren professionell; sie waren angemessen. Wirbleiben auch hier bei unserer Kritik an einem Lavierenmancher Geheimdienste. Das ging bis zum Gedächtnis-schwund, was manchmal schon sehr eindrucksvoll war,sodass man sich bei manchen Verfassungsschützern oderauch Geheimdienstlern fragte, ob denn überhaupt dieDienstfähigkeit gegeben ist. Das unterschied sich – dasmöchte ich deutlich sagen – von manchen Kriminalisten,die plötzlich im Ausschuss darüber redeten, was sehr er-folgreich war. Diese Zeugen aus dem Kriminalbereichmachten Aussagen, die aus unserer Sicht sehr weitge-hend waren.Am Ende möchte ich sagen: Es gibt viele übrig ge-bliebene Themen. Es gibt viele offene Probleme. Der4. November wurde im Ausschuss gar nicht behandelt.Der Weg der Waffe wurde nur unzureichend behandelt.Die V-Mann-Problematik in Oberfranken ist gar nichtbehandelt worden. Wir stehen dafür ein, dass wir in dernächsten Legislaturperiode an der Stelle weitermachen,an der wir jetzt aufgehört haben. Es ist ein umfangrei-ches Kompendium – darauf kann dieses Haus stolz sein –,das wir mit dem Abschlussbericht vorgelegt haben. Wirsagen aber, es kann ein Zwischenbericht sein. Der Ab-schlussbericht folgt dann, wenn die Fragen geklärt sind,die jetzt noch offen sind. Davon gibt es einige.Herzlichen Dank.
Sönke Rix ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos, Beate Zschäpe –diese Namen kannten wir erst, als das NSU-Trio aufge-flogen und als Mordbande enttarnt worden ist. Aber esgab natürlich auch eine Zeit davor, also bevor sie in denUntergrund gingen. Auch da waren sie schon als Nazisaktiv. Ich glaube, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, es lohnt sich, noch einmal genauer hinzugucken,wie es bei ihnen angefangen hat.Erstens. Sie waren als Nazis aktiv. Schon zu der Zeit,als sie mit Sprengstoff gehandelt haben oder mit Spreng-stoff umgegangen sind, sind die Behörden auf sie auf-merksam geworden und waren hinter ihnen her. Was ha-ben die Behörden getan? Sie haben sie leichtfertig als„Jenaer Bombenbastler“ bezeichnet. Aber der Zusam-menhang zwischen der Tatsache, dass sie Nazis mit einermnglivdbsswsdoinngDMmnßkgWdsvUUdgkgM–udwAdLh
Zweitens. Sie waren Besucher von Jugendklubs; siearen als Jugendliche auf der Straße unterwegs. Wennie gerade nicht bei einer Nazidemo auf der Straße stan-en, vielleicht das Hakenkreuz an ihrem Revers trugender die Naziflagge hochgehalten haben, dann waren sie Jugendklubs und sind dort auf sogenannte anerken-ende oder akzeptierende Jugendarbeit gestoßen. Ichlaube, auch da lohnt es sich, genauer hinzugucken.enn was ist dort passiert? Man hat sie gewähren lassen.an hat sie nicht abgeholt. Man hat sie nicht angenom-en. Man ist nicht mit ihnen umgegangen, weil man sieicht verschrecken wollte.Wären sie vorher auf demokratische Initiativen gesto-en, die sich für eine Stärkung von Toleranz und Demo-ratie einsetzen, wären sie vielleicht von ihrem Weg ab-ekommen. Vielleicht hätte man sie auffangen können.as bedeutet das aber für die Zukunft? Das bedeutet,ass genau diese Initiativen zur Stärkung von Zivilge-ellschaft, zur Stärkung von Demokratie und Toleranzon uns unterstützt werden müssen. Sie brauchen unserenterstützung, und das dauerhaft.
Deshalb freue ich mich sehr, dass alle Fraktionen imntersuchungsausschuss gemeinsam beschlossen haben,em Parlament zu empfehlen, die Finanzierung der zivil-esellschaftlichen Organisationen, die sich für eine Stär-ung von Demokratie und Toleranz einsetzen, auf eineesetzliche Grundlage zu stellen und wegzukommen vonodellförderung und Projektförderung.
Da dürfen Sie ruhig mitklatschen, liebe Kolleginnennd Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP; dennas haben Sie mitbeschlossen.Das haben wir übrigens schon einmal beschlossen, alsir über das Thema Antisemitismus beraten haben.
uch für diesen Bereich haben wir beschlossen, eineauerhafte Finanzierung der Initiativen vorzunehmen.eider haben wir uns bis heute damit Zeit gelassen. Ichoffe, wir lassen uns beim jetzt vorliegenden Beschluss
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32593
Sönke Rix
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nicht so viel Zeit wie beim Beschluss zur Bekämpfungdes Antisemitismus.
Abschließend will ich noch auf die Debatte über Ras-sismus eingehen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir überRassismus sprechen; denn Rassismus findet tatsächlichnicht nur am rechten Rand unserer Gesellschaft statt.Rassismus ist nicht ein Problem, dass es irgendwo in ir-gendwelchen Ecken gibt, sondern Rassismus gibt es inder Mitte unserer Gesellschaft. Deshalb bedarf es sehrdringend einer Debatte über Rassismus und einer Aus-einandersetzung mit rassistischen Vorurteilen. Wir kön-nen die Sicherheitsbehörden und auch die Justiz nichtdavon ausnehmen; denn auch dort gibt es rassistischesGedankengut und entsprechende Strukturen. Deshalbrufe ich die Sicherheitsbehörden auf, sich mit diesemProblem intensiv auseinanderzusetzen. Es bedarf dieserAuseinandersetzung.
Zum Schluss möchte ich sagen: Wir haben gemein-sam viele Punkte beschlossen, und es ist in einer Demo-kratie gut, dass es Unterschiede bei der Frage gibt, wieunser gemeinsames Ziel, nämlich Demokratie und Tole-ranz zu stärken, erreicht werden kann. Gerade auf die-sem Feld darf man über die richtigen Wege streiten.Wir haben gemeinsam 47 Punkte beschlossen. Es darfnicht länger als ein Jahr dauern, bis wir diese angehen.Wir dürfen es nicht zulassen, dass wir diese Debatte amEnde der nächsten Wahlperiode erneut führen. Deshalbrufe ich uns alle auf, diesen Auftrag wirklich ernst zunehmen und dieses Thema gleich in der nächsten Wahl-periode ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Tankred Schipanski.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Der am 26. Januar 2012 ein-gesetzte Untersuchungsausschuss zeichnet sich dadurchaus, dass wir bis zur heutigen Debatte gemeinsam, ohneBlick auf Parteizugehörigkeit oder landsmannschaftlicheVerbundenheit, aufgeklärt und nun sogar konsensualSchlussempfehlungen erarbeitet haben.Lassen Sie mich auf Grundlage des vorliegenden Be-richtes Folgendes ausdrücklich festhalten: Der Berichtführt uns vor Augen, dass es verheerende Defizite beiddgbavgdcPBnnhdkDBbsGgetämknInDmQdrurigSdGhefagdd
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der Bundesländer sehr unterschiedlich ausgeprägt wa-ren. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Thü-ringen für seine weitreichende Transparenz, welche dieArbeit des Ausschusses beförderte.
Wir haben aber auch erleben müssen, dass die Fähig-keit, einen Fehler einzugestehen und Konsequenzen da-raus zu ziehen, leider nicht bei jedem vorhanden ist. Eintrauriges Beispiel dafür war der ehemalige Präsident desLandesamtes für Verfassungsschutz Thüringen, Roewer.Ein trauriges Beispiel war aber auch – ClemensBinninger hat vorhin darauf hingewiesen – der Einsatzdes V-Mannes „Piato“ durch das Landesamt für Verfas-sungsschutz in Brandenburg. Ein wegen versuchtenMordes Inhaftierter wurde dort als V-Mann auserkoren.Es ist erschreckend und beschämend, dass das Landes-amt den Einsatz eines solchen V-Mannes bis heute recht-fertigt.Der Bericht gibt nicht auf jede Frage eine Antwort.Deswegen muss man aber nicht erneut einen Untersu-chungsausschuss einberufen. Der Bericht geht auchnicht jeder Verschwörungstheorie nach. Antworten er-warten wir aber insbesondere mit Blick auf den 4. No-vember 2011, also auf die Ereignisse in Eisenach. Das isteine Aufgabe, der sich jetzt der Untersuchungsausschussin Thüringen annimmt. Auch nicht beantworten konntenwir die Frage, ob es sich bei der Polizistin MichèleKiesewetter – der Mord in Heilbronn – um ein Zufalls-opfer handelte. Hier ermittelt eine Arbeitsgruppe desLandes Baden-Württemberg.Meine Damen und Herren, verstehen Sie unseren Be-richt nicht nur als Kritik. Sehen Sie diesen Bericht auchals Ermutigung. Gerade durch unsere Schlussfolgerun-gen wollen wir die Leistungen der deutschen Sicher-heitsbehörden verbessern. Die gemeinsam, fraktions-übergreifend formulierten Schlussfolgerungen sindRatschläge, nicht nur an den Deutschen Bundestag unddie Bundesregierung, sondern insbesondere auch an dieInnen- und Justizministerkonferenz. Leider wissen wir,dass die föderalen Gremien die Ratschläge dieses HohenHauses ungern beachten, auch wenn sie sehr gut passen.In diesem Sinne soll uns dieser Abschlussbericht nichtnur beschweren, sondern uns vor allen Dingen auch Im-pulse geben. Aus dem Erlebten wollen wir letztlich Leh-ren für die Zukunft ziehen.Das vertrauliche Gespräch, das wir vor dieser Debattemit den Angehörigen der Opfer geführt haben, hat unsnochmals die Notwendigkeit vor Augen geführt, das ver-loren gegangene Vertrauen in die Sicherheitsbehördenwiederherzustellen. Stephan Stracke hat auf verschie-dene Maßnahmen, die die Bundesregierung bereits er-griffen hat, hingewiesen. Ich darf an die Stärkung der ge-sellschaftlichen Prävention erinnern. Wir haben dieMittel für die politische Bildung aufgestockt, das Pro-gramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ ausgeweitetund das Aussteigerprogramm „Exit“ fortgesetzt.Aber nicht nur die Bundesregierung und der Bundes-tag haben gehandelt. Auch die Bundesländer unterneh-men erste Schritte. In Thüringen wurde im Jahr 2012 dasLmszwzmcdfoaHwsRSvkdbicsfüsvaluhsnmdwndad
Vielen Dank, Herr Kollege Schipanski. – Nächster
edner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
erkan Tören. Bitte schön, Kollege Serkan Tören.
Herr Präsident! Herr Bundespräsident! Meine sehrerehrten Damen und Herren! Vorab zwei kurze Bemer-ungen:Erstens. Ich bin zwar erst seit vier Jahren Mitgliedieses Hauses. Aber das, was ich heute bei dieser De-atte über dieses wichtige Thema erleben durfte, würdeh – vielleicht greife ich damit zu hoch – als eine Stern-tunde des Parlaments bezeichnen. Ich möchte mich da-r bei allen Fraktionen bedanken. Vielen Dank!
Zweitens. Heute sind Angehörige der Opfer anwe-end; sie verfolgen diese Debatte. Es ist nicht selbst-erständlich, dass diese Angehörigen unsere Einladungngenommen haben. Sie sind seinerzeit bei den Ermitt-ngen von Opfern zu Tätern gemacht worden. Dass sieierherkommen, zeigt: Das Vertrauen mag erschüttertein, aber es ist noch vorhanden. Unsere Aufgabe bestehtun darin, das Vertrauen vollständig wiederherzustellen,eine Damen und Herren.
Die Worte, die Sie, Frau Bundeskanzlerin, in der Ge-enkstunde gefunden haben, waren sehr hilfreich. Siearen ein Signal, ein Zeichen, dass die Angehörigenicht alleine dastehen und wir alles Mögliche tun wer-en, um den Sachverhalt aufzuklären. So verstehe ichuch die Aufgabe dieses Untersuchungsausschusses undieses Berichts.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32595
Serkan Tören
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Vieles haben wir, die Mitglieder des Untersuchungs-ausschusses, in den vergangenen 16 Monaten zutage ge-fördert. Da war zunächst einmal die katastrophale Zu-sammenarbeit der Sicherheitsbehörden in der gesamtenBundesrepublik, die mehr von Egoismus und persönli-chen Eitelkeiten der handelnden Personen geprägt warals von guter und zielgerichteter Zusammenarbeit.Neben diesem behördeninternen Desaster muss aberauch der Umgang mit den Opferfamilien angesprochenwerden. Die Ermittlungsarbeit im Zusammenhang mitden Morden im gesamten Bundesgebiet und den zweiAnschlägen in Köln war in weiten Teilen von erschre-ckender Einseitigkeit geprägt. Sicherlich: Statistisch ge-sehen gibt es bei den meisten Kapitalverbrechen in derBundesrepublik einen Bezug zum privaten Umfeld. Dieskann und darf aber nicht dazu führen, dass andere Mo-tive bei den Ermittlungsarbeiten völlig vernachlässigtwerden.Die einseitige Ermittlungsarbeit ist vor allem bei denErmittlungen im Zusammenhang mit dem Anschlag inder Kölner Keupstraße zutage getreten. So gab es Videosvon den vermeintlichen Tätern, die eindeutig zeigten,dass die Täter keinen Migrationshintergrund hatten.Aber diese Erkenntnis hatte für die Ermittlungsarbeitkeinerlei Konsequenzen. Es wurde weiter im Bereich derMigranten ermittelt. Man konnte fast den Eindruck ge-winnen, dass für die Behörden alles schön einfachzusammenpasste. Türsteherszene, Mafia, Ausländerkri-minalität – das passte zusammen. Das waren die Stereo-type, die es in den Behörden gab.Drei Handlungsempfehlungen, die ich für besonderswichtig halte, möchte ich hervorheben. Was gilt es nunzu tun? Deutschland ist ein Einwanderungsland; dasdürfte mittlerweile jeder akzeptiert haben. Dies mussaber auch Auswirkungen auf die Sicherheitsbehördenhaben. Wir brauchen also erstens mehr Migranten in denSicherheitsbehörden. Das gilt nicht nur für die untereEbene, sondern auch für die Entscheiderebene. Daranmangelt es sehr.
Zweitens – das ist schon genannt worden – soll in Zu-kunft in jedem Fall von Gewaltkriminalität gegenüberMigranten verpflichtend überprüft werden, ob es einenextremistischen bzw. rechtsextremistischen Hintergrundgibt. Auch das ist richtig. Drittens müssen wir die inter-kulturelle Kompetenz stärken, auch im Rahmen der Aus-bildung bei der Polizei.Noch eine kurze Bemerkung zum institutionellenRassismus – dieses Thema ist hier oft angesprochenworden –: Institutionellen Rassismus haben wir – das istauch unserem Bericht zu entnehmen – wirklich nichtfeststellen können. Wer behauptet, dass es ihn gibt, dersorgt für Verunsicherung, auch bei den Opferfamilien.Ich denke, damit tut man der Sache keinen guten Dienst.
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Abschließend noch zwei kurze Sätze – sie sind mirichtig, auch angesichts der Tatsache, dass Angehörigeer Opfer hier sind –: Değerli mağdurları aileleri veatandaslar, siz bu toplumun bir parcassiniz. Bizim icinnemlisiniz.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Serkan Tören. – Nächster und
tzter Redner in unserer Aussprache ist unser Kollege
rmin Schuster für die Fraktion von CDU und CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damennd Herren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!ir haben bei den Opfern des NSU-Trios und ihren An-ehörigen einiges gutzumachen. Wie sehr uns das amerzen liegt, haben, glaube ich, die letzten 90 Minutenindrucksvoll gezeigt. Lassen Sie mich zusammenfas-end ein Schlaglicht auf diese Debatte werfen.Der NSU-Untersuchungsausschuss wurde medial Herr Bundestagspräsident, vielleicht bis auf heute – inen letzten 18 Monaten sehr gut begleitet. Die Öffent-chkeit hat großen Anteil daran genommen. Und dochabe ich ein wenig die Sorge, dass unsere Ergebnisse zuehr nur auf die Sicherheitsbehörden projiziert werden.Desaströses, historisches Versagen der Sicherheitsbe-örden“, das waren die Überschriften der vergangenenwei Wochen. Die Bürger verstehen darunter logischer-eise vorwiegend Polizei und Verfassungsschutz. Dast natürlich nicht falsch; aber die Schuld so eng zu be-renzen oder zu verorten, das wäre mir politisch zu kurzesprungen. Es entspricht nicht den Erkenntnissen desusschusses, und es würde den berechtigten Erwartun-en der Familien der Opfer auch nur eingeschränktechnung tragen.Sie werden jetzt sagen: Klar, da redet ein Polizist. –eit gefehlt, meine Damen und Herren, ich will das Bilder Polizei oder des Verfassungsschutzes nicht weich-eichnen. Angesichts der Fehler waren die letzten6 Monate gerade für mich als ehemaligen Polizeibeam-n schmerzvoll; das gebe ich gerne zu. Aber die Sicher-eitsbehörden sind in Deutschland nicht frei schwebend,ondern Bestandteil des demokratischen Systems – zu-ammen in einem Netzwerk mit Staatsanwaltschaften,erichten, Regierungen, Parlamenten, den Medien under Gesellschaft.
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32596 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013
Armin Schuster
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Ein Beispiel: Wir bezeichnen die Staatsanwaltschaftgegenüber der Polizei als sogenannte Herrin des Ermitt-lungsverfahrens. Bis 2004 hießen die PolizeibeamtenHilfsbeamte der Staatsanwaltschaft; heute heißen sie Er-mittlungspersonen der Staatsanwaltschaft. Bei allen gra-vierenden Fehlern der Polizei muss ich sagen: Von diesersachleitenden Funktion der Staatsanwaltschaften habeich wenig bis gar nichts erlebt. Dass in diesen Jahren diedeutschen Gerichte die bemerkenswerte Praxis gepflegthaben, in nennenswertem Umfang Verfahren wegenrechtsgerichteter Straftaten einzustellen, kommt nochdazu.Das Versagen, von dem wir sprechen, bezieht sichalso mindestens auf die in einem Verbund arbeitendenVerfassungsschutz- und Polizeibehörden, Staatsanwalt-schaften und Gerichte. Nur, meine Damen und Herren,dann müssen wir von einem gravierenden Systemausfallsprechen.
Wenn es um einen Systemausfall geht, muss man auchbetrachten, was Regierungen, Regierungsbehörden undParlamente in dieser Zeit gemacht haben.Vor dem 4. November 2011 wurde der Fall – außervom damaligen bayerischen MinisterpräsidentenBeckstein – nie zur Chefsache gemacht. Er erreichte niedie Innenministerkonferenz; aber genau das wäre nötiggewesen. Wir waren durch die Art, wie diese Tatserie be-gangen wurde, im Grenzbereich dessen, was unsere fö-derale Sicherheitsstruktur leisten kann, und dafür ist dieIMK zuständig.Was der Bundesinnenminister nach dem 4. Novemberumgesetzt hat, war sehr gutes und schnelles Krisen-management. Das Gemeinsame Abwehrzentrum zumBeispiel ist ein folgerichtiger erster Schritt. In Zukunftwird aber mehr notwendig sein.
Ich hoffe sehr – ich versuche es einmal vorsichtigauszudrücken, sozusagen parteiübergreifend –, dass diesperrige Haltung einiger Länder sich im Lichte unseresAbschlussberichts noch ändern wird. Das Führungs-dilemma in der BAO „Bosporus“ ist Grund genug, dieLeistungsfähigkeit unserer föderalen Sicherheitsarchi-tektur nicht nur in der Praxis, sondern regelmäßig auchin Laborsituationen zu testen. Deshalb fand ich die Idee,eine Kommission zur deutschen Sicherheitsarchitektureinzurichten, schon immer gut. Eine solche Kommissiongab es in dieser Periode schon einmal, und ich würdemich sehr freuen, wenn sie wiederkäme. Vielleicht ver-locken uns ja die Erkenntnisse unseres Berichts, erneuteine solche Kommission einzusetzen.PlapfazmdsgDtiDPgfühsATSggliu4deebsHisvLvassmvedtelyPeTjebtecum
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32597
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(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDPund dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowiebei Abgeordneten der LINKEN)In diesem Sinne brauchen wir einen gestärkten, weillernenden Verfassungsschutz und einen wesentlich ef-fektiveren V-Leute-Einsatz. Diesen abzuschaffen, würdebedeuten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wirbrauchen eine entkrampftere Zusammenarbeit zwischender Polizei und den Diensten und zeitgerechte Formenüberregionaler polizeilicher Einsatzführung in Deutsch-land.Die Bundesregierung hat mit den notwendigen Refor-men längst begonnen. Der Deutsche Bundestag sendetheute mit diesem Bericht und seinem Zustandekommenein sehr starkes Signal aus. Den Parlamenten kommtjetzt die Aufgabe zu, die notwendigen Systemverände-rungen bei den Sicherheitsbehörden, der Justiz und denRegierungen im Bund und in den Ländern kritisch zu be-gleiten und keine notwendige Reform auszulassen. DasVersprechen gilt!Zehn Menschen haben auf tragische Weise ihr Lebenverloren. Die Erinnerung daran muss bei uns allen solange wie möglich wachgehalten werden.Ich danke Ihnen.
Kollege Armin Schuster, Ihnen und allen Rednerin-
nen und Rednern des heutigen Nachmittags ein herzli-
ches Dankeschön. Unseren Gästen mit dem Herrn Bun-
despräsidenten an der Spitze danke ich für das
Beiwohnen dieser Debatte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des 2. Untersu-
chungsausschusses auf Drucksache 17/14600. Der Aus-
schuss empfiehlt, den Bericht zur Kenntnis zu nehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das sind
alle Fraktionen dieses Hauses. Vorsichtshalber mache ich
die Gegenprobe. – Niemand. Enthaltungen? – Niemand.
Die Beschlussempfehlung ist vom Plenum des Deutschen
Bundestages einstimmig angenommen worden.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Verteidigungsausschusses als 2. Unter-
suchungsausschuss gemäß Artikel 45 a Ab-
satz 2 des Grundgesetzes
– Drucksache 17/14650 –
Berichterstattung:
Abgeordnete Markus Grübel
Rainer Arnold
Joachim Spatz
Jan van Aken
Omid Nouripour
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Augenblick, Herr Kollege. Ich darf alle herzlich bitten,
uch diesem Tagesordnungspunkt die notwendige Auf-
erksamkeit zu schenken. – Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirprechen heute über die Ergebnisse von zwei Untersu-hungsausschüssen, die unterschiedlicher nicht seinönnten: zum einen über Tote und unsägliches Leid, dasie NSU-Terroristen über viele Familien gebracht haben;um anderen über ein Entwicklungsvorhaben einer Auf-lärungsdrohne, das nicht das gewünschte Ergebnis ge-racht hat.Beim NSU-Untersuchungsausschuss waren alle Frak-onen bemüht, das unfassbare Versagen deutscher Si-herheitsbehörden aufzuklären und Vertrauen in deneutschen Staat zurückzugewinnen. Beim Euro-Hawk-ntersuchungsausschuss haben SPD, Linke und Grünerampfhaft versucht, etwas zu skandalisieren und denntersuchungsausschuss zur Wahlkampfbühne zu ma-hen.
Wir haben den Untersuchungsausschuss mitgetragen.ir haben uns nicht im Klein-Klein von Verfahrensfra-en aufgehalten, zum Beispiel bei der Frage der Zulas-ung weitgehender Öffentlichkeit. Wir, die Koalitionnd unsere Minister, hatten nichts zu verbergen.
Die Opposition wollte anfangs nur die letzten zweiahre dieses Projekts untersuchen. Wir haben Wert da-uf gelegt, dass das Entwicklungsvorhaben Euro Hawkon Anfang an untersucht wird. Die Opposition wollte inrster Linie dem Minister am Zeug flicken. Wir wolltenrkenntnisse gewinnen, was wir in Zukunft bei Rüs-ngsvorhaben besser machen müssen.Die Opposition hätte spätestens nach dem Bericht desundesrechnungshofes erkennen können, dass sich dashema Euro Hawk für den Bundestagswahlkampf über-aupt nicht eignet. Der Bundesrechnungshof hat nämlichwei wesentliche Feststellungen getroffen – in den Wor-n unserer Zeugin –: Erstens. Blauäugig waren die vor-ertraglichen Verhandlungen, also die Zeit bis 2006,eil die Zulassungsrisiken nicht erkannt bzw. nicht rich-g bewertet wurden. Zweitens. Die Leitung des Ministe-ums hat gehandelt – Minister und Staatssekretäre –,achdem ihr die Probleme geschildert wurden.Insbesondere der Opposition möchte ich sagen: Mitem ständigen Versuch, auf Kosten der Bundeswehrahlkampf zu machen, trägt die Opposition nicht zu deruhe bei, die unsere Truppe braucht.
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32598 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013
Markus Grübel
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In Ihrem Sondervotum fordern Sie ausdrücklich: DieBundeswehr braucht jetzt Ruhe. – Aber jede Woche wirdeine andere Sau durchs Dorf gejagt. Letzte Woche war esder Marinehubschrauber, eine sehr alte Sau;
denn dieses Thema haben wir bereits im Juni im Aus-schuss behandelt.
Zur Sache selbst. An was ist der Euro Hawk geschei-tert? Der Euro Hawk ist an den Zulassungsproblemengescheitert. Das deutsche Aufklärungssystem funktio-niert und kann in ein anderes Trägersystem eingebautwerden. Mit der Zulassung von Flugzeugen ist es so ähn-lich wie mit der Zulassung von Medikamenten: OhneZulassung kann man sie nicht in den Verkehr bringenund einsetzen, weil die Sicherheit nicht bewiesen ist.Diese Zulassungsprobleme bestanden von Anfang an,vom Jahr 1999 an, als die ersten Entscheidungen für denEuro Hawk getroffen wurden. Das ist das, was wir alsGeburtsfehler bezeichnet haben.Ich komme nun zur politischen Bewertung. Bundes-minister de Maizière hat von Anfang an die Wahrheit ge-sagt. Es gibt keinen einzigen Beweis, der das Gegenteilbelegt.
Wer hier etwas anderes sagt, der ist entweder ahnungslosoder bösartig – im Zweifel beides.
Durch die Entscheidung des Ministers, die Serie von vierEuro Hawks nicht zu kaufen, ist nicht nur kein Schadenentstanden, sondern gerade auch Schaden verhindertworden.
Als Parlamentarier muss ich sagen: Endlich hat einMinister gehandelt
und ein Beschaffungsvorhaben nicht durchgeführt, des-sen Kosten explodiert sind. Seit Jahrzehnten kennen wirdie Situation, dass bei solchen Projekten immer und im-mer wieder Geld nachgeschossen wird. Hier ist die Ent-scheidung getroffen worden: Wir kaufen den Euro Hawknicht.Der Kaufpreis – 600 Millionen Euro für die Serie –steht jetzt für eine Alternative zur Verfügung, und dieZulassungskosten in Höhe von nochmals 600 MillionenEsredfühEnDfüszvwZ2liIhds„gVkSarudzMDV–dlebLZeruw
arum war die Entscheidung in der Sache richtig.Dieses Geld, das nicht ausgegeben wurde, steht jetztr Alternativen zur Verfügung. Wie die Alternative aus-ieht, müssen wir sehen. Ob es ein bemanntes Systemum Beispiel in Form des A319 wird, eine Heron oderielleicht doch ein Global Hawk der neueren Version,ie er im NATO-AGS eingesetzt wird, wenn Italien dieulassung erteilt, werden wir sehen, wenn wir Anfang014 das Thema wieder debattieren.Die wahren Gründe für die Probleme beim Euro Hawkegen weit vor der Amtszeit von Minister de Maizière.
m das heute in die Schuhe zu schieben, ist schlechter-ings falsch.
Oft wurde ich von Journalisten gefragt: Wer istchuld? Ich selber bin der Meinung, der BegriffSchuld“ ist hier vielleicht sogar fehl am Platze. Richti-er ist die Frage: Wer trägt Verantwortung, und wer trägterantwortung für was? Die Antwort auf diese Frage istomplex; denn die Verantwortung verteilt sich auf vielechultern. Die Verantwortung für die Entscheidung, dasmerikanische Trägersystem mit dem deutschen Aufklä-ngssystem zu verbinden und im Zusammenhang mitem amerikanischen Trägersystem Zulassungsproblemeu bekommen, liegt in der rot-grünen Regierungszeit beiinister Scharping.
ie Zulassungsprobleme wurden von den rot-grünenerantwortungsträgern sträflich unterschätzt.
Herr Arnold, wenn Sie die Akten lesen –
as war auch für mich interessant –, können Sie feststel-n, welche Euphorie bei SPD und Grünen Anfang 2000estand, in diese neue Technologie der unbemanntenuftfahrt einzutreten, Drohnen zu kaufen und bei dieserukunftstechnologie mit am Anfang zu stehen. Es gabine wahre Drohneneuphorie bei SPD und Grünen. Da-m hat man auch gesagt: Die Probleme der Zulassungerden wir irgendwie lösen; wir setzen uns an die Spitze
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32599
Markus Grübel
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der Bewegung. – Das heute zu leugnen, ist schlechter-dings falsch. Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Un-terlagen.
Verantwortung liegt auch in der Amtszeit von Minis-ter Struck. In seiner Amtszeit wurden die Anforderungendefiniert und die Verträge ausgehandelt.Verantwortung fällt in die Amtszeit von Minister Jung,als die Verträge unterschrieben wurden. Verantwortungfällt in die Amtszeit von Minister zu Guttenberg, als dieZulassungsprobleme beim Demonstrator aufgetretensind.Beim Amtsantritt von Minister de Maizière aber wardie Masse des Geldes ausgegeben. In diesem Stadiumdie Entwicklung ohne Ergebnis abzubrechen, wäre Un-sinn gewesen. Kein Zeuge und schon gar nicht der Bun-desrechnungshof haben das gefordert, obwohl sie imRückblick schlauer waren als zu der Zeit, als die Ent-scheidung zu treffen gewesen wäre. Es ist Unsinn, eineEntwicklung kurz vor Abschluss abzubrechen, wenn dasGeld im Wesentlichen ausgegeben ist.Manchmal muss man wie bei einer Bergtour über denGipfel absteigen, wenn sozusagen der Punkt der Umkehrüberschritten ist. In diesem Fall war es auch so: Man hatdie Entwicklung vollendet, obwohl man gesagt hat: DieBeschaffung machen wir nicht.Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grü-nen, viele problembehaftete Rüstungsvorhaben sind ausIhrer Amtszeit: das Transportflugzeug A400M, der Hub-schrauber Tiger,
die Korvette K 130, der Transportpanzer Boxer, die Pri-vatisierung, die GEBB und vieles andere mehr. Wollt ihrauch für das alles noch einen Untersuchungsausschusseinsetzen?Ich muss deutlich sagen: Die Aussage des ZeugenScharping war aus meiner Sicht eine Frechheit. DiesemMinister haben wir viele der Probleme zu verdanken,und er ist aufgetreten, als ob er uns einen Ratschlag ge-ben kann.
Sehr geehrte Damen und Herren, wir brauchen drin-gend die Fähigkeit zur weiträumigen Aufklärung. Wirbrauchen eigene Erkenntnisse, wenn wir Entscheidun-gen treffen, zum Beispiel bei der zivilen Krisenpräven-tion und Krisenreaktion sowie zum Schutz unserer Sol-datinnen und Soldaten im Einsatz. Darum wird uns dasThema weiter beschäftigen, wenn wir eine alternativeTrägerplattform suchen.Eine wichtige Fragestellung ist allerdings im Untersu-chungsausschuss aus unserer Sicht zu kurz gekommen:WvtiwgdvzRamBsssAwzgsMnaSteVDsWRsdsnkundSebdK
ie Entscheidung des Ministers, die Entwicklung abzu-chließen, die Serie aber nicht zu beschaffen, ist richtig.ichtige Weichen, die dazu dienen, die Risiken vonüstungsprojekten zu verringern, sind benannt und auchchon gestellt.Der Untersuchungsausschuss hat zügig gearbeitet. Ichanke allen Ausschussmitgliedern, dem Ausschuss-ekretariat und dessen Leitung sowie allen Mitarbeiterin-en und Mitarbeitern, die trotz Sommerpause und Wahl-ampf hart gearbeitet haben.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Markus Grübel. – Bevor ichnserem Kollegen Rainer Arnold das Wort gebe, darf ichoch darauf hinweisen – das möchte ich nachholen –,ass nach einer interfraktionellen Vereinbarung einetunde für diese Debatte vorgesehen ist. Sind Sie damitinverstanden? – Das scheint der Fall zu sein. Dann ha-en wir dies so beschlossen.Jetzt hat das Wort unser Kollege Rainer Arnold fürie Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Herrollege Arnold.
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32600 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lassen Sie mich mit dem Positiven beginnen, HerrGrübel: Ja, es ist wahr: Wir haben im Konsens die Ver-fahrensschritte zügig vollzogen, und alle haben auf dieüblichen Rituale verzichtet. Es ist ein gutes Zeichen,dass der Bundestag auch in Wahlkampfzeiten in derLage ist, einen Untersuchungsauftrag mit großer Kom-plexität innerhalb von neun Wochen abzuarbeiten. Dafürdanke ich allen, die daran beteiligt waren.Ob es angemessen ist, dass wir nach der ernsten De-batte, die wir zuvor geführt haben, heute dieses Themaquasi als Anhängsel behandeln, ist eine ganz andereFrage. Mir ist klar, warum das so ist, liebe Kolleginnenund Kollegen von der Koalition: Sie sehen es natürlichgern, wenn dieses für Sie sehr unangenehme Thema derVersäumnisse Ihres Ministers nicht mehr zu einer Zeitim Bundestag diskutiert wird, in der die Öffentlichkeitden Fokus auf das Parlament richtet.Herr Grübel, nach Ihrer heutigen Rede verstehe ichnatürlich noch besser, warum Sie diese Diskussion sospät angesetzt haben. Denn diese Rede ist an Peinlich-keit und Wirklichkeitsverweigerung durch nichts mehrzu überbieten.
Es mag sein, dass Sie heute das Thema medial wegdrü-cken können. Aber dass Sie die Wahrheit so verbiegen,wie Sie es gerade gemacht haben, werden wir Ihnen nichtdurchgehen lassen. Es ist Ihnen in der Vergangenheit beider Zeugenbefragung und in der medialen Berichterstat-tung letztendlich auch in keiner Weise gelungen. Sie kön-nen den Minister nicht einfach mit Wirklichkeitsverwei-gerung reinwaschen; das geht nicht.
Wir sind wirklich nicht die Einzigen, die feststellen,dass der Minister die Unwahrheit gesagt hat. Sie habenuns der Ahnungslosigkeit und noch üblerer Dinge bezich-tigt, Herr Grübel. Haben Sie die Akten wirklich gelesen?Wenn der Minister – sinngemäß – wiederholt zu Protokollgibt, es habe keine Vorlagen gegeben und er habe nur ein-mal auf der Rüstungsklausur und dann kurz danach aufder G-10-Konferenz etwas von Problemen gehört, wirdann aber beim Studium der Akten feststellen, dass esmindestens sechs Dokumente gibt, die belegen, dass sichder Minister mit diesem Thema hätte befassen müssen:Was ist das dann anderes als die Unwahrheit? Wie könnenSie dann versuchen, ihn so reinzuwaschen? Dieser Minis-ter wollte die Öffentlichkeit hinter die Fichte führen. Dasist das Ergebnis des Untersuchungsausschusses.
Weil er das dann gemerkt hat, hat er die Kurve ge-kratzt. Nach fünf Tagen hat er zum ersten Mal gesagt, erhabe schon etwas gehört, aber er habe keine Vorlagengehabt, also nichts, was in einen Aktendeckel passt.gwlöWuDCssazsFsUnhSteFssgJdhlujePje2hewfambweza
Damit nicht genug. Plötzlich waren die sechs Vorla-en auch auf dem Tisch. Dann hat er gesagt, es habeohl Vorlagen gegeben, aber ihm seien die Probleme alssbar dargestellt worden. Da frage ich mich schon:ann kümmert sich ein verantwortungsvoller Ministerm seine Probleme?
ann, wenn sie als lösbar dargestellt werden und er diehance hat, zu gestalten, indem er Vorgaben gibt, wieein Haus mit diesen Problemen umgeht, oder kümmertich ein Minister erst dann um Probleme, wenn sie ihmls unlösbar dargestellt werden? Was soll dieser Unfug,wischen lösbaren und unlösbaren Problemen zu unter-cheiden?
ür unlösbare Probleme braucht man ihn nicht mehr.
Dann gab es einen weiteren Versuch. Ich finde eschlimm, dass Sie auf diese Unwahrheiten heute weiterenwahrheiten setzen. Was Sie schildern, stimmt einfachicht. Die Öffentlichkeit kann die Akten teilweise einse-en. Wer die Akten liest, stellt fest: Alle Ihre Zeugen, dieie einbestellt haben, weil Sie geglaubt haben, Sie könn-n in der Geschichte des Projekts die Verursacher derehlentwicklung finden, haben exakt das Gegenteil ge-agt.
Ihr eigener Minister Jung hat deutlich gemacht: Die-er Vertrag war in Ordnung. – Er selbst hat noch dafüresorgt, dass er verbessert wurde. Der Vertrag, den Herrung abgeschlossen hat, ist ohne Fehl und Tadel, weil erie Probleme erkannt und benannt hat und weil er gesagtat: Es ist ein Entwicklungsvertrag. – Einen Entwick-ngsvertrag, den man jederzeit kündigen kann, mussder Minister in der Folge eng begleiten, er muss dasarlament entsprechend informieren, und notfalls mussder Minister rechtzeitig – möglicherweise im Jahr009 oder spätestens im Jahr 2011, wie der Rechnungs-of gefordert hat – dieses Projekt neu überprüfen undvaluieren. All dies wurde versäumt, und das Parlamenturde nicht informiert. Das können Sie doch nicht ein-ch wegdiskutieren angesichts von 2 000 Akten, die wiriteinander studiert haben, die das dokumentieren undelegen.
Man hätte noch einen Funken Hoffnung, wenn manenigstens aus dieser Vorgehensweise für die Zukunftin bisschen lernen und die richtigen Konsequenzeniehen würde. Aber das ist nicht der Fall. Auch diektuellen Probleme werden von Ihnen und Minister
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32601
Rainer Arnold
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de Maizière schöngeredet. Es wird behauptet, das Senso-riksystem, das sogenannte ISIS, könne man einfach an an-derer Stelle verwenden. Lesen Sie einmal das Schreibendes Vorstandsvorsitzenden der Lieferfirma und das, was erzu den Tests sagt. Die operationalen Tests sind nämlichnicht erfolgt, und damit ist das Projekt im Grunde genom-men wertlos. Das heißt, wir haben 600 Millionen Euroausgegeben und am Ende nichts dafür bekommen. Eswäre richtig gewesen, entweder früh zu stoppen oder dasProjekt möglichst zum Erfolg zu bringen.
Dazu braucht man aber einen Minister, der das Projektbegleitet und der zum Erfolg beiträgt.
Dann sagen Sie und der Minister: Jetzt untersuchenwir Alternativen. Es sieht so aus, als ob wir es schaffen,für das gleiche Geld eine Alternative zu bekommen. –Das ist nicht korrekt, Herr Kollege. Das ist Märchen-stunde. Das wird nicht stattfinden. Das alles wird Sie,falls Sie an der Regierung bleiben, was ich nicht glaube,einholen; denn Sie sind nicht bereit, dazuzulernen. Es istso, dass bei diesem Minister in der Vergangenheit sehrviel zusammengekommen ist; das ist das eigentlicheProblem. Der Euro Hawk hat das Fass zum Überlaufengebracht.Sie werfen uns vor, wir hätten diese Rhetorik, weilWahlkampf sei. Nein.
Sie müssen dankbar sein und Ihr Minister muss dankbarsein, dass Wahlkampf ist;
denn zu normalen Zeiten hätte die Kanzlerin so einenMinister nie und nimmer halten können. Das ist derPunkt.
Natürlich muss man Lehren ziehen. Dazu gehört, dasswir als Parlament in der nächsten Legislatur eine Wie-dervorlage brauchen und für wirkliche Automatismensorgen, damit die Regierung gezwungen ist, bei Fehlent-wicklungen das Parlament zu informieren. Aber dasHaus besser organisieren – Rüstungsprojekte müssenbesser kommuniziert werden; dieses große Bundesamt inKoblenz darf keine Filter- und Richterfunktion haben –können wir nicht. Das ist Aufgabe des Ministers, und erhat es versäumt, dieser Aufgabe nachzukommen. Er hatdas Haus größer und mächtiger gemacht,
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nd für Fehlentwicklungen, die er selbst zu verantwortenat – er hat in diesem Fall die Wahrheit nicht gesagt; erat sich um dieses Projekt nie gekümmert; ihn hat Euroawk nicht interessiert, bis er von Staatssekretäreemelmans schließlich eine Vorlage erhalten hat –, zubernehmen. Dies ist der eigentliche Punkt, den manolitisch bewerten muss.Viele Verteidigungsminister sind zurückgetreten, weilie gesagt haben, sie übernähmen die Verantwortung.toltenberg hat gesagt: Verantwortung ist nicht teilbar. –s wäre richtig, wenn Minister de Maizière, der ja relativollmundig personelle Konsequenzen angekündigt hat,
iese Konsequenzen zieht und bei sich selbst anfängt.err Minister, Sie haben allerdings den richtigen Zeit-unkt leider versäumt, um noch in Würde und Anstanderantwortung zu übernehmen
nd zu sagen: Ja, ich stehe zu meiner Verantwortung.Jetzt drohen Sie den Soldaten an, Verteidigungsminis-r bleiben zu wollen. Die Ergebnisse der Umfragen un-r den Zivilbeschäftigten und den Soldaten der Bundes-ehr dazu, wie sie die Arbeit des Verteidigungsministersmpfinden, sind kein Vertrauensbeweis für Sie; denn siempfinden Ihr Vorhaben als Drohung. Wir brauchenieder einen Verteidigungsminister, der für die Soldatena ist, der ihr Vertrauen hat und der ihr Vertrauen ver-ient. Ohne dieses Vertrauen kann keiner Inhaber derefehls- und Kommandogewalt sein.Recht herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Rainer Arnold. – Nächster Red-er für die Fraktion der FDP unser Kollege Joachimpatz. Bitte schön, Kollege Joachim Spatz.
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32602 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Arnold, wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ichjetzt glauben können, Sie seien Historiker. Wissen Sie,was ein Historiker ist? Das ist einer, der hinterher weiß,dass es genau so hat kommen müssen. Ihre Ex-post-Weisheiten haben Sie uns schon während der Ausschuss-beratungen präsentiert. Ich habe Ihnen schon einmal ge-sagt, Sie sollten aufpassen. Wenn Sie im Nachhinein das,was man hätte machen sollen, zum Maßstab, zur allge-meinen Grundlage für die Führung eines Ministeriumserklären, dann kann ich nur sagen: Gott sei vor, dass ei-ner, der solche Maßstäbe anlegt, jemals dieses Hausführt.
Ein paar Fakten. Bei Amtsantritt des jetzigen Minis-ters waren 85 Prozent der Kosten bereits ausgegebenoder festgelegt.
Seit dem Bekanntwerden der Schwierigkeiten auf Lei-tungsebene waren bereits 93 Prozent der Kosten ausge-geben oder festgelegt. Das heißt, die Manövriermasse,die dieser Minister überhaupt hatte, war marginal.
Im Übrigen sagen alle Beteiligten: Die Überwa-chungskomponente funktioniert. Um zu retten, was zuretten war, war es notwendig, dieses Projekt nicht zufrüh zu stoppen, sondern es aufrechtzuerhalten, sodasswenigstens die Testphase des ÜberwachungssystemsISIS erfolgreich zu Ende geführt werden kann, wodurchdie Gesamtkosten eben nicht in den Sand gesetzt wordensind.Meine Damen und Herren, was die Rolle des Minis-ters dazu angeht, ob er die Wahrheit gesagt hat: WennSie das ernst nehmen, was vom Minister von Anfang angesagt worden ist – dass ihm die Probleme zwar darge-legt worden sind, sie von der zuarbeitenden Ebene aberimmer als lösbar bezeichnet worden sind –, dann werdenSie in den vorliegenden Dokumenten – auch in den sechsDokumenten, aus denen Sie zitiert haben – eine Bestäti-gung und eben keine Widerlegung genau dessen finden.Wenn Sie trotzdem wahrheitswidrig sagen, der Ministerhabe gelogen, dann müsste man Sie zum Rücktritt auf-fordern; nur leider geht das bei der Opposition nicht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie ist dasProjekt wirklich verlaufen? Es ist so verlaufen, dass manmit großer Anfangseuphorie in das Projekt gestartet istund dass man die Bedenken, die auch damals schon, imJahr 2000 und bis zum Jahr 2002, formuliert wordensind, schlicht nicht wahrhaben wollte. Ich zitiere ein paardavon.gNTKdWuz–WletegBmndFgAgdinTmdfaddvli
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32603
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Wenn Sie mit dem Finger auf Herrn de Maizière zeigen,zeigen mindestens drei Finger auf Sie selber zurück, unddaran kommt man nicht vorbei.Im Übrigen: Wenn Sie, was die Bewertung angeht,uns schon nicht glauben, dann glauben Sie doch einerunabhängigen Wochenzeitung, die in ihrem Onlineportalaufgrund geleakter Informationen – bedauerlich genug! –ihre Bewertung vorgenommen hat, und prüfen Sie ein-mal, ob diese Bewertung näher an der der Koalition odernäher an der von Rot-Grün ist. Sie ist wesentlich näheran der Bewertung, die die Koalition hier abgegeben hat,wenn nicht sogar deckungsgleich damit. – Das für denFall, dass Sie uns nicht trauen!Last, but not least müssen natürlich noch ein paarWorte auf das Thema „Lessons learned“ verwandt wer-den. Dieselbe Wochenzeitung hat in ihrer Onlineausgabegetitelt „Ministerium fliegt auf Autopilot“. Ich denke,auch hier gibt es Indizien dafür, dass wir die Reformen,die Herr de Maizière eingeleitet hat, dringend weiterfüh-ren müssen. So muss dem Eindruck, der entstanden seinkönnte – übrigens nicht nur in diesem Untersuchungs-ausschuss, sondern auch im Kunduz-Untersuchungs-ausschuss –, dass nämlich gewisse Strukturen diesesMinisterium führen, egal wer Bundesminister ist, entge-gengewirkt werden. Wir hoffen, dass genau dieserMinister in genau dieser Koalition dieses Reformwerk,was jetzt begonnen worden ist, in der nächsten Legis-laturperiode zu Ende führen kann:
optimierte Prozesse in der Beschaffung, bessere Kom-munikation der beteiligten Einheiten, verbesserte Pro-jektaufsicht mit Frühwarnfunktionen und eine andereKultur, die zulässt, dass nicht nur positive Meldungen,sondern auch Meldungen über Probleme, wenn sie hin-reichend früh erkannt werden, nach oben weitergegebenwerden.
Diese Kultur muss erreicht werden. Hier gibt es nochgroßen Nachholbedarf, wie wir nicht nur an diesem Bei-spiel gesehen haben.Last but not least: Dazu gehört auch die Kommunika-tion in Richtung Deutscher Bundestag. Wir müssen min-destens dahin kommen, wo wir vor Rot-Grün 1998 ge-wesen sind, nämlich dass anlasslos, ohne dass bereitsProbleme aufgetaucht sind, also schon im Vorfeld regel-mäßig an den Haushaltsausschuss und den Verteidi-gungsausschuss berichtet wird, damit auch die Parla-mentarier ihrer Frühwarnfunktion nachkommen undentsprechende Entscheidungen treffen können. Ich freuemich auf die nächste Legislaturperiode, um dies in derjetzigen Konstellation entsprechend gestalten zu können.Ich bedanke mich.
RvesSshvbRLddpsdaEdwruIcHdPMsnwDndisw
Ich möchte gerne drei Punkte ansprechen: erstens, dieolle von Herrn de Maizière, zweitens, warum wir alsinke den Euro Hawk von Anfang an falsch fanden undrittens: Wie kann man künftig solche Debakel verhin-ern?Zu Herrn de Maizière. Hier sind die Fakten ganz sim-el. Herr de Maizière hat vor drei Monaten gesagt, ihmei nie ein Papier in Zusammenhang mit dem Problemes Euro Hawk vorgelegt worden. Es gibt dieses Papierber.
s ist ihm schon ein halbes Jahr vorher vorgelegt wor-en. In diesem sind die Probleme drastisch geschildertorden. Er ist der Lüge überführt. Ich frage mich, wa-m er eigentlich immer noch Minister ist.
Herr Grübel, Sie werfen mir Bösartigkeit vor.
h möchte deswegen die Fakten, die diese Lüge vonerrn de Maizière belegen, noch einmal ganz langsamer Reihe nach durchgehen, um zu sehen, an welchemunkt Sie mir widersprechen.Erstens. Am 5. Juni dieses Jahres hat Herr deaizière vor dem Verteidigungsausschuss wörtlich ge-agt, vor dem 13. Mai sei ihm „keine Vorlage … mit ei-er Beschreibung der Zulassungsprobleme“ vorgelegtorden.
as ist aber falsch. In den Akten finden wir plötzlich ei-en ganz dicken Bericht – fast 50 Seiten – für Herrne Maizière für seinen Besuch bei Cassidian. Cassidiant eine Firma aus Bayern, die am Euro Hawk beteiligtar. Das ist ihm vorgelegt worden. Dann fragen wir
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32604 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013
Jan van Aken
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Herrn de Maizière, als er als Zeuge dort sitzt: KennenSie diese Vorlage? Er weiß natürlich ganz genau, dass indiesen Akten auf vier langen Seiten alle Probleme desEuro Hawk geschildert werden. Dort steht: Es gibt hohefinanzielle Risiken. Es wird von Zulassungsproblemengeredet. Dort steht, dass die Serienbeschaffung des EuroHawk infrage gestellt ist. Und dort steht – das ist diegrößte anzunehmende Klatsche für ein Projekt –: Wir su-chen bereits nach Alternativen. Das steht dort alles, unddas weiß Herr de Maizière.Und – Herr Grübel, Sie waren dabei und haben es ge-sehen – was versucht dieser Minister dann? Plötzlichversucht er, zu definieren: Na ja, diese Informations-mappe war keine Vorlage. Nur das Deckblatt war eineVorlage. Der Rest war eine Informationsmappe. Deswe-gen hat er nicht gelogen. Diesen himmelschreiendenVersuch, sich mit Worten herauszuwinden, hat er selberaufgegeben. Er hat später zugegeben: Die ganze Mappemit allen Problembeschreibungen war eine Vorlage.
Also hat er gelogen. Das ist zweifelsfrei belegt, HerrGrübel. Das können Sie auch nicht leugnen.
Zweite Frage: Warum überhaupt diesen Euro Hawk?Ich stehe jetzt hier und höre mir Ihre Reden an. HerrGrübel von der CDU, Sie werfen Herrn Scharping undRot-Grün vor, dass sie das Projekt versemmelt haben.
Herr Arnold von der SPD, Sie werfen Herrn de Maizièrevon der CDU vor, dass er es versemmelt hat. DasSchlimme ist: Sie haben beide recht.
Sie alle gemeinsam – von Rot-Grün über die GroßeKoalition bis zu Schwarz-Gelb – haben das Projekt inden Sand gesetzt. Wir haben dieses Problem nicht. Wirhaben nämlich von Anfang an immer Nein zum EuroHawk gesagt, aus einem ganz einfachen Grund:
Die Bundeswehr brauchte diesen Euro Hawk aus ihrerSicht für ihre Auslandseinsätze. Sie brauchte die Spiona-gedrohne, um Kriegseinsätze in Afghanistan zu unter-stützen. Wir finden die Kriegseinsätze falsch. Deswegenfanden wir die Drohne falsch. Das finden wir heute im-mer noch.
Was aber dann im Laufe des Untersuchungsausschus-ses noch herausgekommen ist, das war uns vorher nichtklar, und das finde ich genauso bedenklich: Bei diesemEuro Hawk handelt es sich technisch um einen riesigenDatenstaubsauger. Wir haben das von Fachleuten analy-stedDfissnsariEJDwdcsEgDmflrigddgsSefeMümdtrjagDtesbhDdktrdndd
Was wir brauchen, ist endlich eine unabhängige Kon-olle des Verteidigungsministeriums. Der Euro Hawk ist nicht das einzige Projekt, das völlig gegen die Wandefahren wurde. Es gibt viele andere. Ich muss sagen:as, was die Zeugin vom Bundesrechnungshof im Un-rsuchungsausschuss gesagt hat, war für mich wirklichehr ernüchternd. Sie hat gesagt: Das Ministerium warlauäugig. Sie hat gesagt: Das Controlling hat versagt. Sieat gesagt: Es hat keine fachliche Kontrolle gegeben. –as muss man sich einmal vorstellen: Bei einem Hun-erte Millionen Euro schweren Projekt kein Controlling,eine Kontrolle, ein blauäugiges Ministerium.Wir brauchen offensichtlich eine unabhängige Kon-olle von außen. Deshalb schlagen wir eine Stärkunges Bundesrechnungshofes vor, weil dort die Expertin-en und Experten vorhanden sind. Es hat sich im Laufees Untersuchungsausschusses gezeigt, dass die etwasavon verstehen. Sie müssen nur direkt in das Ministe-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32605
Jan van Aken
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rium durchgreifen können. Das würde diesen Filz mitder gegenseitigen Selbstbedienung vielleicht beenden.Zusammenfassend muss man sagen: Das Euro-Hawk-Projekt war von Anfang an falsch. Es ist ganz schlechtumgesetzt und am Ende gegen die Wand gefahren wor-den. Schuld waren immer die anderen. Das Wort„Selbstkritik“ kommt bei Herrn de Maizière überhauptnicht vor. Schuld haben immer die anderen. Verantwor-tung übernimmt er nur für die Rüstungsindustrie und fürniemand sonst. Das finde ich eines Ministers unwürdig.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschlandkeine Waffen mehr exportieren sollte, auch keine Droh-nen. Vielleicht wissen Sie es, vielleicht wissen Sie esnicht: Deutschland verkauft gerade nicht nur Panzernach Saudi-Arabien, sondern auch Drohnen. Aber das istein Thema für die nächste Saison.Ich bedanke mich bei Ihnen. Tschüss.
Vielen Dank, Kollege Jan van Aken. – Nächster Red-
ner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unser
Kollege Omid Nouripour. Bitte schön, Kollege Omid
Nouripour.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenden kürzesten Untersuchungsausschuss in der Ge-schichte des Bundestages hinbekommen, weil es in derVerwaltung und auch in den Fraktionen unglaublichviele Leute gegeben hat, die Tag und Nacht gearbeitethaben. Herzlichen Dank dafür.
Dieser Untersuchungsausschuss war ein großer Er-folg. Sie wissen, dass wir Grüne vor drei Monaten dieEinzigen waren, die ihn wollten; am Ende haben wir ihnGott sei Dank gemeinsam beschlossen. Dieser Untersu-chungsausschuss war ein Riesenerfolg, weil erstens end-lich auch in der breiten Öffentlichkeit darüber diskutiertwird, dass das Beschaffungswesen bei der Bundeswehrschlicht nicht funktioniert. Dass es zu solchen Desasternwie beim Hubschrauberdeal kommt, ist schon länger be-kannt. Dass dieses Thema jetzt endlich große Teile derÖffentlichkeit erreicht und hoffentlich eines Tages Be-wegung in das Beschaffungswesen kommt, wäre aberohne diesen Untersuchungsausschuss nicht möglich ge-wesen. Der zweite Erfolg ist, dass für alle relativ deut-lich sichtbar ist, dass dieses Haus alles andere als gut ge-führt wird.Wenn ich mir jetzt ein paar Reden von der Mehrheitanhöre, dann frage ich mich, warum Sie eigentlich sonervös sind; ich verstehe das nicht so ganz.
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enn Sie von „Geburtsfehlern“ sprechen und dann sa-en, dass es downgegradet worden sei und keine Zulas-ung für den allgemeinen Luftverkehr angestrebt werdenollte, dann ist das einfach schon denklogisch falsch. Sieüssen sich vorstellen: Je niedriger die Anforderungenn eine Teilnahme gestellt werden, umso leichter lässtich die Musterzulassung auch erreichen. Aber auch dieichter zu erreichende Version ist doch gar nicht erreichtorden, und deshalb ist das schlicht nicht redlich.
s hat nur noch gefehlt, Herr Kollege Spatz, dass Sieich am Ende hier hinstellen und einen Rücktritt beimechnungshof fordern, weil der Rechnungshof nun ein-al etwas gesagt hat, das Ihnen nicht passt: Spätestens011 hätte man dieses Projekt stoppen müssen. –
as haben Sie schlicht nicht getan.
Meine Damen und Herren, er war einmal ein Reserve-anzler, er war einmal ein Mister Gründlich. Er war inen Umfragen teilweise der beliebteste Politiker. Er ko-ettierte damit, dass er Mister Büroklammer ist, weil ero unglaublich gründlich ist und das alles gut macht underwaltungserfahren ist. Heute wissen wir: Er kann miteld nicht umgehen.
enn es zum Beispiel um die Regressfrage geht, wenns darum geht, wie man Gelder für die Steuerzahlerinnennd Steuerzahler zurückbekommt, dann sagt er: Meineechtsabteilung kann es nicht; ich beauftrage eine ex-rne Rechtsanwaltskanzlei, und die prüfen irgendwie. –ielleicht Mitte August, vielleicht nach der Wahl gibt esann Ergebnisse. Durch die Rechtsanwaltsshow wird esm Ende nur noch teurer.Die Neuordnung des Beschaffungswesens sollte dasltimative Kernstück der Bundeswehrreform sein. Derinister wollte alle Beschaffungsvorhaben tatsächlichberprüfen. Das Ergebnis ist: Er hat von nichts gewusst.nd da kann ich nur sagen: Das, was er bei seiner Bun-eswehrreform nicht angepackt hat, fällt ihm nun auf dieüße; was er gesät hat, erntet er nun. Das ist zwar ge-cht, aber wahnsinnig teuer für die Steuerzahlerinnennd Steuerzahler.
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Omid Nouripour
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Wir alle gemeinsam haben ja die Vorlagen gesehen.Ich weiß nicht, was Sie zwischen den Sitzungen und vorden Sitzungen gemacht haben, aber fest steht: DerMinister hatte all diese Vorlagen. Wie gesagt: Er wolltedoch einmal Mister Gründlich sein.Ich lese Ihnen mal ein paar Zitate von Herrn deMaizière aus seiner Befragung im Untersuchungsaus-schuss vor:
Ich kann ja nicht mehr sagen, wie gründlich icheine Vorlage im Dezember 2012 gelesen habe.Auf Nachfrage sagte er zur Gründlichkeit:Das ist, ehrlich gesagt, abhängig vom Zeitvor-gang …Oder:Manchmal kommt die Unterlage Tage vorher. Dannnutze ich die Gelegenheit, wenn ich sowieso Aktenmache, das durchzugucken, und je nachdem, wieviel Zeit dann dafür ist, gründlich oder wenigergründlich.Oder:Natürlich kann ich im Nachhinein nicht mehr sa-gen, ob und in welcher Gründlichkeit ich jede die-ser 60 Seiten gelesen habe.Wenn Sie nicht gelogen haben, sondern dies das Pro-blem ist, dann macht mir das bei einem Verteidigungs-minister einfach nur Angst, und deshalb sind Sie an die-ser Stelle schlicht der Falsche.
Die Frage der Verantwortung ist eine, die Sie von An-fang Ihrer Amtszeit an immer sehr groß im Munde ge-führt haben – und ja, das ist eine wichtige Frage, geradefür einen Verteidigungsminister, der vor die Soldatinnenund Soldaten tritt, der ihnen Befehle gibt, der sie in Ein-sätze schickt, die unglaublich risikoreich sind. Aber derEiertanz der letzten Monate um Verantwortung und da-rum, wer sie trägt, Ihre erste Reaktion, bei der es eigent-lich nur um andere ging, Ihre Aussage im Untersu-chungsausschuss – sinngemäß: ich kann ja nicht alleslesen; ich sage immer meinen Leuten: gebt mir wenigerPapier! –, all das hat mit Verantwortung überhaupt nichtsmehr zu tun.Kollege Arnold zitiert immer wieder ehemalige Ver-teidigungsminister, die völlig zu Recht gesagt haben:Verantwortung ist nicht teilbar. – Sie verstehen diesenGrundsatz immer nur, wenn es um andere geht. Wenn esum Sie selbst geht, geht es nur noch um Selbstverteidi-gung, und das werden wir nicht mehr hinnehmen. Aberdie gute Nachricht ist: In drei Wochen ist es sowieso da-mit vorbei,
und dann wird es hoffentlich eine andere Situation ge-ben, dann werden wir einen anderen Verteidigungsmi-ngduadndRTSaDAsdsbSbcEswsridJnutekmNb
ie dieses Land voranbringt und sich ein bisschen mehrm die Truppe kümmert,
nstatt alle vier Wochen die Soldaten zu mobben, nachem Motto: „Ihr habt Bore-out“, oder: „Ihr seid gierigach Anerkennung.“ Es ist wirklich höchste Zeit, dassas endet. Es wird in drei Wochen enden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Omid Nouripour. – Nächster
edner für die Fraktion von CDU/CSU ist unser Kollege
homas Silberhorn. Bitte schön, Kollege Thomas
ilberhorn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dasus meiner Sicht Wichtigste zuerst: Deutschland brauchtrohnen. Die Bundeswehr braucht die Fähigkeit zurufklärung und Überwachung: signalerfassend, luftge-tützt und weiträumig. Unsere Soldatinnen und Soldaten,ie in unserem Auftrag im Auslandseinsatz unterwegsind und dabei Leib und Leben riskieren, brauchen denestmöglichen Schutz. Wir werden sie dabei nicht imtich lassen.
Die Breguet Atlantic ist außer Dienst gestellt. Damitesteht die Fähigkeitslücke im Bereich der Überwa-hung und Aufklärung fort. Nach dem Ende des Projektsuro Hawk wird es noch dringlicher, diese Lücke zuchließen. Im Moment ist es doch so, dass die Bundes-ehr ohne die Unterstützung unserer Verbündeten buch-täblich im Dunkeln tappen würde. Strategische Nach-chtengewinnung durch elektronische Aufklärung ist fürie Bundeswehr im Einsatz schlichtweg unabdingbar.edem Sicherheitspolitiker muss doch klar sein, welchesun der Handlungsauftrag ist. Streitkräfte, Verwaltungnd Politik müssen konstruktiv darauf hinwirken, im In-resse unserer Soldatinnen und Soldaten diese Fähig-eitslücke zu schließen, und das so schnell wie möglich,eine Damen und Herren.
Was macht die Opposition? Ich will Ihnen sagen:ach der Entscheidung, die Euro-Hawk-Serie nicht zueschaffen, wäre es Ihre Aufgabe gewesen, eine kon-
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Thomas Silberhorn
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struktive Lösung mit zu suchen, nachdem Rot-Grün jadieses Projekt in Auftrag gegeben hat. Stattdessen habenSie die vermeintliche Chance gesucht, den Verteidi-gungsminister zu belasten, ausgerechnet den Minister,der Rüstungsprojekte nicht einfach hat weiterlaufen las-sen, der Kostensteigerungen nicht einfach unbesehen inKauf genommen hat, sondern der hat prüfen lassen undder bei ausufernden Kosten die Reißleine gezogen hat.
Meine Damen und Herren, wir hatten deshalb auchgar nichts gegen die Einrichtung dieses Untersuchungs-ausschusses. Im Gegenteil. Er hat doch gezeigt, dass dieVorwürfe der Opposition völlig haltlos gewesen sind,und das kann vor den Augen der Öffentlichkeit hier auchdeutlich gemacht werden.Die Entscheidung des Ministers, die Euro-Hawk-Serie nicht zu beschaffen, war richtig. Das ist überhauptnicht zu bestreiten. Das bestreitet – mit Ausnahme derLinken – auch tatsächlich niemand. Der Opposition ginges im Wesentlichen um die Formalie, was der Ministerwann gewusst hat. Das ist längst geklärt. Das eigentlicheProblem ist aber bei Ihnen doch völlig aus dem Blick ge-raten, nämlich diese Fähigkeitslücke bei der Signal-aufklärung zu schließen und die grundsätzlichenSchwierigkeiten im Beschaffungswesen und im Zulas-sungswesen abzustellen.
Das verlangt nach Konsequenzen, meine Damen undHerren. Aber da haben Sie nichts zu bieten und auchnichts dazu gesagt. Der Bundesminister der Verteidigunghat zu Recht die nötigen Schritte eingeleitet. Deswegenwäre eine sachliche, konstruktive Arbeit dem Thema an-gemessener gewesen als das Wahlkampfgetöse, das Siehier veranstalten.
Meine Damen und Herren, die Erwartungen derOpposition an den Ausschuss haben sich nicht erfüllt.Wir haben über 1 500 Akten mit weit über 100 000 Sei-ten vorgelegt bekommen. Sie haben keine einzige neueInformation daraus hervorgebracht, keine einzige. Kei-nen Ihrer Vorwürfe konnten Sie belegen.
Im Gegenteil: Bundesminister de Maizière ist klarentlastet. Die Ausschussarbeit hat erwiesen, dass er dieWahrheit gesagt hat und dass er richtig gehandelt hat.Der Minister hat umfassend ausgesagt. Er hat vollstän-dig widerspruchsfrei ausgesagt. Das hat auch die Anhö-rung der anderen Zeugen bestätigt. Deswegen ist derVorwurf der Irreführung der Öffentlichkeit und des Par-laments schlicht ausgeräumt.
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Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Bei Amts-ntritt von Minister de Maizière waren 85 Prozent derur Verfügung stehenden Haushaltsmittel bereits ausge-eben oder vertraglich gebunden.
ls die Leitung des Ministeriums über die Probleme un-rrichtet worden ist, waren bereits 93 Prozent der Mittelebunden.
Im Ergebnis hat der Minister die richtige Entschei-ung zum richtigen Zeitpunkt getroffen. Die Entschei-ung, die Euro-Hawk-Serie nicht zu beschaffen, warchtig.
s bestand offenkundig keine Chance mehr, die Muster-ulassung für die Serie zu vertretbaren finanziellen Be-ingungen zu erreichen. Es wäre doch nicht zu verant-orten gewesen, Mehrkosten von bis zu 600 Millionenuro in Kauf zu nehmen, ohne eine Gewähr dafür zu ha-en, dass die Musterzulassung gelingt.Wir hatten für den Erwerb der vier Seriendrohnen15 Millionen Euro geplant. Die Mehrkosten für dieusterzulassung hätten sich auf bis zu 600 Millionenuro belaufen, wären also höher gewesen als die für dieeschaffung der Fluggeräte selbst.
aher ist die Konsequenz klar: Eine Beschaffung um je-en Preis darf es heute nicht mehr geben. Deswegen istchaden vom Steuerzahler abgewendet worden, indemie Serie nicht beschafft worden ist.
as ist doch klar. Jetzt stehen 675 Millionen Euro zurerfügung, die für die vorgesehenen Zwecke nicht mehrerausgabt werden.Ebenso richtig war es, die Entwicklung des Prototy-en zu Ende zu führen. Ihr zentraler Vorwurf – den Siezwischen gar nicht mehr erheben – war doch: Manätte früher aussteigen müssen. – Die Anhörungen ha-
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Thomas Silberhorn
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ben ergeben, dass das Gegenteil der Fall ist: Es wäre einschwerer Fehler gewesen; denn dann wären alle Ent-wicklungskosten völlig vergebens gewesen. Deswegenwar es richtig, das Aufklärungssystem zu Ende zu erpro-ben. Es kann jetzt auf einer alternativen Plattform einge-setzt werden.Unsere zentrale Aufgabe muss sein, die Fähigkeitslü-cke bei der Signalaufklärung zu schließen. Die Auswahleiner alternativen Trägerplattform hat jetzt absolutePriorität. Dafür werden wir Sorge tragen zum Schutz un-serer Soldatinnen und Soldaten, die wir von diesemHause aus in den Auslandseinsatz schicken.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Thomas Silberhorn. – Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser
Kollege Dr. Hans-Peter Bartels. Bitte schön, Kollege
Dr. Bartels.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich war,ehrlich gesagt, skeptisch, ob wir so spät in der Wahlpe-riode, nach Ende aller regulären Sitzungen, noch einenUntersuchungsausschuss anfangen sollten, aber es hatfunktioniert. Dafür danke ich den Kolleginnen und Kol-legen, auch der Koalitionsfraktionen, die ja selbst kriti-sche Fragen hatten, jedenfalls wenn es nicht um den ge-genwärtigen Minister ging.
Drei Ergebnisse will ich hier festhalten, weil sie fürParlament und Öffentlichkeit zentral sind:Erstens. Was das Projekt Euro Hawk angeht, stelle ichfest: Ein totes Pferd wurde viel zu lange geritten. Sie sa-gen: Scharping ist schuld!
Aber es ist doch so: Als das Pferd gesattelt wurde, warenCDU, CSU und FDP so was von dabei. Sie haben demEntwicklungsvertrag doch zugestimmt. Was kritisierenSie denn da?
Das tote Pferd hat Zeit gekostet; Zeit, in der man Alter-nativen hätte entwickeln können und müssen, und dashat Geld gekostet; Geld, mit dem man die Entwicklungvon Alternativen hätte vorantreiben müssen.tihhsshusnrudwskzDcesNtingeisdreIhdSüismrem
Drei Jahre nach dem letzten Flug einer Breguet Atlan-c SIGINT besteht die Fähigkeitslücke, die die SIGINTinterlassen hat, fort und wird nun noch Jahre fortbeste-en. Das ist bitter für die Bundeswehr und bitter für un-ere Rolle im Bündnis. Durch diese Aufklärungslückeind zum Beispiel unsere ECR-Tornados jetzt schon na-ezu blind. Sie könnten ihre Hauptaufgabe nicht mehrneingeschränkt erfüllen.Zweitens. Der Ausschuss hat gezeigt, dass es im Be-chaffungswesen der Bundeswehr gravierendes Missma-agement und auf der politischen Leitungsebene Füh-ngsversagen gab. Es ist nicht gut, wenn der Inhaberer Befehls- und Kommandogewalt den Eindruck er-eckt, nicht er steuere den Apparat, sondern der Apparatteuere ihn.
Sie, Herr Minister de Maizière, haben in Ihrer bemer-enswerten Reformrede am 16. Mai 2011 gesagt – ichitiere –:Die Bundeswehr ist gegenwärtig nicht zu führen,auch nicht von mir.
as mag damals richtig gewesen sein. Aber erschre-kend ist, dass es heute immer noch stimmt.
Die Bundeswehr wird von Ihnen nicht geführt, undin noch viel größeres Problemfeld als Ihr Drohnende-aster ist dabei die Umsetzung der Bundeswehrreform.
ie war die Stimmung unter Soldaten und Zivilbeschäf-gten so schlecht wie heute. Sie haben kein Reformma-agement. Sie lassen Frust und Verunsicherung und Or-anisationschaos zu und merken nicht einmal, dass datwas gewaltig schiefläuft. Ihr Spruch „Der Sack ist zu“t von oben herab geredet und die falsche Antwort aufie Sorgen Ihrer Untergebenen.Drittens hat der Ausschuss ergeben, dass Sie nach Ih-r selbst auferlegten dreiwöchigen Schweigephase mitren Aussagen vom 5. Juni 2013 missverstanden wor-en sind; so sagen Sie selbst. Inzwischen ist belegt, dassie, früher als Sie behauptet haben, mehrfach schriftlichber die Euro-Hawk-Probleme unterrichtet wurden. Est wahr: Sie können nicht alles lesen. Aber Sie könntenit Ihren Mitarbeitern sprechen, fragen, sich interessie-n. Sie haben allein in diesem Jahr im Bundestag drei-al zum Thema Drohnen, Kampfdrohnen, gesprochen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32609
Dr. Hans-Peter Bartels
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Warum machen Sie sich vorher nicht schlau? Mit demWissen Ihres Apparats hätte klar sein müssen: DasThema steht überhaupt nicht an, keine Realisierungs-chance.Was ist nun zu tun? Klar ist: Wir brauchen eine flie-gende Lösung als Ersatz für die SIGINT-Version, undzwar möglichst schnell.
Es kann gern wieder ein bemanntes Aufklärungsflug-zeug sein. Dabei müssen wir allerdings aufpassen, HerrMinister, dass wir uns nicht von den Vertretern ganz be-stimmter Industrieinteressen über den Tisch ziehen las-sen.
Wer in Zukunft die Bundeswehr führt, ist drei Wo-chen vor der Wahl keine Frage der Kabinettsumbildungmehr, sondern eine Frage der nächsten Bundesregierung.
Weiter: Das Beschaffungswesen der Bundeswehrbraucht ganz andere Weichenstellungen als die, die in Ih-rer Reform vorgesehen sind. Die größte Einzelbehördeder Bundesrepublik Deutschland noch größer zu ma-chen, kann nicht die Lösung sein. Nicht eine Superbe-hörde noch zentralistischer aufstellen, sondern den Sach-verstand und die Verantwortung in den technischenDienststellen stärken, das ist das Gebot der Stunde. Undman sollte noch einmal nachschauen, was die Weise-Kommission vorgeschlagen hat.Übrigens: Nicht alles an der laufenden Reform istschlecht. Die neue Planungsabteilung war wahrschein-lich eine gute Idee. Planung ist das Zauberwort; dennwas wir so schnell nicht wieder erleben wollen, ist nochein völlig aus dem Plan laufendes Rüstungsprojekt. Da-für war dieser Ausschuss allemal alle Mühe wert.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Dr. Hans-Peter Bartels. –
Nächster Redner für die Fraktion von CDU und CSU,
unser Kollege Henning Otte. Bitte schön, Kollege
Henning Otte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Über 1 300 Ordner sind durchgearbeitet. 18 Zeugensind angehört worden. Der Untersuchungsausschuss warvergleichsweise kurz, aber er hat äußerst sorgfältig gear-beitet und mit großer Gründlichkeit die Vorwürfe derOpposition ausgeräumt.faWsuZgsurefeerisöVvtenAsazpOg
Fünf Punkte sind wichtig:Erstens. Die Ursächlichkeit der Probleme liegt im An-ngsstadium. Herr Nouripour, Sie wissen ganz genau:enn das Hemd unten falsch geknöpft ist, wird es obenchwierig.
Zweitens. Minister und Ministerien haben nach Rechtnd Gesetz gehandelt.
Drittens. Der Herr Minister de Maizière hat zu jedereit die Wahrheit gesagt.
Viertens. Der Minister hat zum richtigen Zeitpunktehandelt. Der Bundesrechnungshof hat dies bestätigt.
Fünftens. Es ist mehr als deutlich geworden: Die Ent-cheidung von Minister de Maizière, die Neuausrichtungnd die Reform des Beschaffungsprozesses durchzufüh-n, war richtig. Das hat der Untersuchungsausschussstgestellt, und das war gut.
Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses istin wesentliches und vornehmes Recht im Parlamenta-smus. Im Grunde genommen stand das Ergebnis aberchon vorher fest. Im Verteidigungsausschuss, der nicht-ffentlich tagt, gab es keine wesentlichen Fragen mehr.
or der Kamera allerdings wurde Ungeheuerliches her-orgeholt und vorgeworfen. Es war richtig, dass der Un-rsuchungsausschuss öffentlich getagt hat. So wurdeämlich deutlich, dass ein Herr van Aken, ein Herrrnold und ein Herr Nouripour ausschließlich skandali-ieren wollten. Sie wollten Spektakel. Im Verteidigungs-usschuss waren sie lammfromm, vor der Kameraeigten sie sich aber im Wolfspelz. Das war Wahlkampf-opulismus, und das ist deutlich geworden.
Sie sprechen mit gespaltener Zunge, Kollege Arnold.der soll ich sagen: „Die Doppelstrategie ist aufgeflo-en“? Rote, Grüne und Linke haben diesen Untersu-
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Henning Otte
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chungsausschuss – ich glaube, das ist historisch einmalig –ausschließlich als Wahlkampfinstrument missbraucht.Sie unterstellen den Beteiligten im Nachhinein, sie hät-ten nicht wahrhaftig agiert und seien nicht gewissenhaftgewesen.
Dass Sie, meine Damen und Herren, den Menschen nichttrauen, erfährt man in Ihrem Wahlprogramm.
– Dass Sie über Ihr eigenes Wahlprogramm lachen, zeigtdas. – Es ist deutlich geworden: Sie misstrauen denMenschen im Allgemeinen und – das ist schlimm – denSoldaten im Besonderen. Das werfe ich Ihnen vor.
Die Bundeswehr ist bei ihren Auslandseinsätzen starkgefordert. Den Soldatinnen und Soldaten und den zivilenMitarbeitern wird viel abverlangt. Trotzdem: Die Neu-ausrichtung der Bundeswehr ist richtig, und sie bleibtweiterhin notwendig.
Sie aber belasten in dieser Zeit durch viele Anfragen undAnträge auf Akteneinsicht den gesamten Apparat.
Ich kann Ihnen nur sagen: Ihr Misstrauen gegenüber denMenschen – das ist hier wieder einmal deutlich gewor-den; Herr Arnold, ich höre Ihre Worte – ist nicht nur un-freundlich und unkollegial, sondern – ich sage es einmalso – in Teilen auch schon unverschämt.
Meine Damen und Herren, die Opposition muss undsoll die Regierung kontrollieren. Aber das muss sie ver-antwortungsvoll tun. Ich habe den Eindruck – davon binich sogar fest überzeugt –, dass Sie dieser Aufgabe nichtnachgekommen sind.Jetzt, Herr Nouripour, zu gestern Abend.
Seit gestern Abend bin ich stark irritiert.IcvwSteDimEsLIcstaSzANsgDnDsaSkz
h hörte nämlich, was der Spitzenkandidat der unheil-ollen Dreierverbindung, die Sie offensichtlich eingehenollen, sagte.
ie waren diejenigen, die unsere Soldatinnen und Solda-n im Jahr 2001 in den Einsatz entsandt haben.
en Menschen, die sich damals verdient gemacht haben, Nachhinein die Pension kürzen zu wollen, ist meinesrachtens unverschämt, meine Damen und Herren.
Ein weiterer Punkt. Es gab in diesem Land leider An-chläge auf Einrichtungen der Bundeswehr, die voninksextremisten verübt worden sind.
h hätte mir gewünscht, dass Sie sich von diesen An-chlägen aus dem linksextremistischen Bereich klar dis-nziert hätten. Noch mehr hätte ich mir gewünscht, dassie eine Koalition mit Personen, die so etwas unterstüt-en, ganz klar ausschließen. Das haben wir auch gesternbend eindeutig vermisst.
Was bleibt von diesem Untersuchungsausschuss? Dieeuausrichtung der Bundeswehr ist richtig. Der Be-chaffungsprozess – das ist von Herrn de Maizière fest-estellt und entschieden worden – ist zu reformieren.ie integrierten Projektteams haben ihre Arbeit aufge-ommen.
ie Fähigkeitslücke, lieber Herr Arnold, muss geschlos-en werden. Dieses Thema muss auch der Verteidigungs-usschuss sofort aufgreifen. Unsere Soldatinnen undoldaten brauchen diese Aufklärungsmittel, um einelare Informationslage und eine klare Lagebeurteilungu bekommen. Das ist Teil einer Lebensversicherung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 252. Sitzung. Berlin, Montag, den 2. September 2013 32611
Henning Otte
(C)
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Ich mache Ihnen den Vorwurf: Diese wollen Sie unserenSoldaten vorenthalten. Das ist schäbig.
Meine Damen und Herren, die Sicherheit unseresLandes ist gewährleistet, weil wir verdiente Soldatinnenund Soldaten und verdiente zivile Mitarbeiter haben, diefür unser Land einstehen. Auch wir, die Union, stehenfür die Sicherheit unseres Landes ein. Wir haben dasWohl der Menschen im Blick, und wir vertrauen denMenschen. Ja, wir trauen ihnen auch etwas zu. Sie aller-dings haben offensichtlich ein gespaltenes Verhältnis zurSicherheit.
Wer Jugendoffiziere nicht mehr in die Schulen lassenwill, der will die Sicherheit in unserem Land reduzieren.
Deswegen ist es gut, dass CDU, CSU und FDP regie-ren. Wir stehen für die Bundeswehr ein, wir lassen sienicht zum Spielball von Wahlkämpfen werden. Für unschungsausschuss deutlich geworden. Vor allem werdenwir, was notwendig ist, die erfolgreiche Arbeit weiter-führen – und das mit unserem Minister Dr. Thomasde Maizière; darauf freuen wir uns.Herzlichen Dank.
Kollege Henning Otte war der letzte Redner in unse-
rer Debatte, die ich damit auch schließe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung des Verteidi-
gungsausschusses als 2. Untersuchungsausschuss auf
Drucksache 17/14650. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung, den Bericht des Verteidigungs-
ausschusses als 2. Untersuchungsausschuss zur Kenntnis
zu nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Das sind alle Fraktionen dieses Hauses. Vorsichtshalber
die Gegenprobe! – Keine. Enthaltungen? – Keine. Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Dienstag, den 3. September 2013,
9 Uhr, ein.
steht die Bundeswehr, stehen die Streitkräfte im Mittel-
punkt des Geschehens. Wir, meine Damen und Herren,
sind die Partei der Bundeswehr; auch das ist im Untersu-
(D
Die Sitzung ist geschlossen.