Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
herzlich.
Vor Eintritt in unsere Tagesordnung habe ich einige
wenige Mitteilungen zu machen. Unser Vizepräsident
Dr. Wolfgang Thierse hat am 22. Oktober seinen
65. Geburtstag begangen. Dazu möchte ich ihm im Na-
men des Hauses unsere herzlichen Glückwünsche über-
mitteln;
wir werden das auch noch in angemessener Weise wür-
digen. Der Kollege Joachim Günther beging am glei-
chen Tag seinen 60. Geburtstag, die Kollegin Rita
Pawelski am 29. Oktober. Im Namen des Hauses Ihnen
allen alle guten Wünsche für das nächste Jahr und die
kommenden Lebensjahre!
Die Kollegen Jörg Rohde und Martin Zeil haben am
1. November auf ihre Mitgliedschaften im Deutschen
Bundestag verzichtet. Als Nachfolger begrüße ich herz-
lich die neuen Kollegen Dr. Daniel Volk und Dr. Erwin
Lotter.
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Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!
Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:
Eidesleistung der Bundesministerin für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz
Der Herr Bundespräsident hat mir mit Schreiben vom
27. Oktober 2008 Folgendes mitgeteilt:
Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes für
die Bundesrepublik Deutschland habe ich heute auf
Vorschlag der Frau Bundeskanzlerin de
minister für Ernährung, Landwirtschaf
braucherschutz, Herrn Horst Seehofer, a
Amt als Bundesminister entlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die neue Bundes-ministerin hat den nach dem Grundgesetz vorgeschriebe-et. Ich darf ihr in Ergänzung der gerade eindrucksvollen persönlichen Gratula-ch die geballten guten Wünsche und die ganzen Hohen Hauses übermitteln. Ih-n Bundes-t und Ver-us seinemnen Eid geleiststattgefundenentionskur nun auGratulation des
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Präsident Dr. Norbert Lammertnen, verehrte Frau Aigner, wünschen wir für die Über-nahme des neuen Amtes Freude, Erfolg und Gottes Se-gen.
Ich möchte gleichzeitig dem ausgeschiedenen Bun-desminister Horst Seehofer für seine Tätigkeit als Mit-glied der Bundesregierung herzlich danken und auchihm für die neue Aufgabe alles Gute wünschen. Wir wer-den ihn ja ganz sicher gelegentlich auf der anderen Seite,der Bundesratsbank, in neuer Funktion erleben und dannGelegenheit haben, die einen oder anderen guten Wün-sche oder Hinweise vorzutragen.Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2:Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut-scher Streitkräfte bei der Unterstützung dergemeinsamen Reaktion auf terroristische An-griffe gegen die USA auf Grundlage des Arti-kels 51 der Satzung der Vereinten Nationenund des Artikels 5 des Nordatlantikvertragssowie der Resolutionen 1368 und 1373
des Sicherheitsrats der Vereinten Natio-
nen– Drucksache 16/10720 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ichsehe, dass dazu Einvernehmen besteht. Dann ist das sobeschlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächstdem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-WalterSteinmeier, das Wort.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Nach den Anschlägen vom 11. September 2001haben alle Fraktionen hier im Deutschen Bundestag ge-sagt – wir erinnern uns –: Der Kampf gegen den Terror,der Kampf gegen al-Qaida wird wohl einen langenAtem brauchen. Auch wenn es in Europa und den USAvon heute aus gesehen seit mehreren Jahren keinen An-schlag der al-Qaida mehr gegeben hat und Afghanistanheute nicht mehr die Brutstätte und das Trainingszen-trum für die al-Qaida-Terroristen ist, bleibt es dennochdabei: Die Gefahr ist in der Tat nicht gebannt. Sie hatsich aber verändert.Darum müssen wir diese Mandate, durch die der Rah-men für unser militärisches Engagement in AfghanistangHv„admTitsdSL5dauAIaSlRLnSimuQntkwwhsreKwoGTlh
Es hat sich in Afghanistan in der Tat die Erkenntnisurchgesetzt – das haben wir alle hier in vielen Debatteniteinander ausgesprochen –, dass der Kampf gegen denerror nicht allein mit militärischen Mitteln zu gewinnenst und dass wir mehr für den Wiederaufbau von Insti-utionen und für den Wiederaufbau der zivilen Infra-truktur tun müssen. Darum ist die Zahl der Soldaten fürie ISAF-Mission, die neben der Gewährleistung vonicherheit eben auch den zivil-militärischen Aufbau desandes sicherstellt, in den letzten Jahren von 10 000 auf0 000 angewachsen, während sich in der gleichen Zeitie Zahl der bei OEF eingesetzten Soldaten von 20 000uf etwa 10 000 halbiert hat.Auch im Norden Afghanistans spiegelt der Einsatznserer Bundeswehr durchaus diese Entwicklung wider.uch wir haben in der Tat die Zahl der Soldaten unterSAF erhöht, auch, um den militärischen Wiederaufbaubzusichern, auch, um mit den zusätzlich eingesetztenoldatinnen und Soldaten Polizeiausbildung und vor al-en Dingen Armeeausbildung zu betreiben, damit dieegierung dieses Landes nach und nach mehr in dieage versetzt wird, für Sicherheit und Ordnung im eige-en Land zu arbeiten. Dafür sind unsere Soldatinnen undoldaten in Afghanistan. Das ist – der Überzeugung binch – ein weiterhin sinnvoller und notwendiger Einsatz.
Gleichwohl – auch das gehört dazu – müssen wir unsit der Veränderung der Lage in der Region auch stärkerm Pakistan kümmern. Sie wissen, dass ein Teil der al-aida, die früher in Afghanistan tätig und präsent war,ach Pakistan ausgewichen ist und dort teilweise unkon-rolliert agieren kann. Deshalb muss es uns gelingen, Pa-istan zu stabilisieren. Das kann uns nur gelingen, wennir mit der Regierung in Islamabad und dem neu ge-ählten Präsidenten zusammenarbeiten. Ich füge auchinzu: Keine Hilfe sind die grenzüberschreitenden Luft-chläge. Das trägt nicht zur Stabilisierung dieser Regie-ung bei, wie ich jüngst bei meinem Besuch in Pakistanrfahren konnte.
onkrete Politik hilft da sehr viel mehr. Darum bemühenir uns durch Gespräche mit der Regierung in Pakistander wie zuletzt auf der Reise nach Pakistan und in dieolfstaaten.Worum geht es nämlich? Neben der Bekämpfung vonerrorismus geht es darum, Pakistan insgesamt zu stabi-isieren und dieses Land und seine Regierung fähig zualten, Terrorismus im eigenen Land zu bekämpfen. Da-
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeierrum beteiligen wir uns mit anderen an einer internationa-len Pakistan-Freundesgruppe. Wir treffen uns bereitsam 17. November in Abu Dhabi. Daran mögen Sie er-kennen, warum es sinnvoll ist, das Rettungsseil, das wirPakistan jetzt mit der möglichen Bereitstellung vonIWF-Krediten hingehalten haben, an möglichst vielenStellen auf der Erde zu verankern. Dafür brauchen wirdie Golfstaaten. Ich bin jedenfalls froh, festzustellen,dass in Saudi-Arabien und in den Vereinigten Arabi-schen Emiraten offensichtlich Bereitschaft besteht, Pa-kistan im Konzert mit anderen zu unterstützen.Was bedeuten die Veränderungen, von denen ich spre-che, insgesamt für die deutsche Beteiligung am OEF-Mandat? Wir ziehen jetzt die Konsequenzen daraus,dass es seit mehreren Jahren keine deutschen OEF-Ein-sätze mehr in Afghanistan gegeben hat. Wir haben des-halb die für den Afghanistan-Einsatz vorgesehenen Spe-zialkräfte aus dem OEF-Mandat herausgenommen. InZukunft werden wir uns in Afghanistan militärisch nurnoch im Rahmen von ISAF engagieren.Das ist gleichzeitig der Grund, weshalb wir die Per-sonalobergrenze von 1 400 auf zukünftig 800 Soldatenreduzieren. Wir werden damit weiterhin an der Missionteilnehmen können, die im Mittelmeer bzw. am Hornvon Afrika operiert, und da die Bewegungsfreiheit vonTerroristen und ihren Unterstützern auch weiterhin nach-haltig einschränken können. Das beinhaltet noch nicht– um auch das vorweg zu sagen – den Kampf gegenPiraterie in der Region. Dazu wird die Bundesregierungein gesondertes Mandat vorlegen, das die BeteiligungDeutschlands an einer geplanten EU-Mission regelnwird.Herr Präsident, meine Damen und Herren, das OEF-Mandat ist nur ein Faktor in unserer vielfältigen Arbeitfür Sicherheit und Stabilität in Afghanistan. Ich weiß,dass nach der Rechtsgrundlage gefragt wird. Debattiertworden ist darüber auch in den Fraktionen. Ich will des-halb noch einmal darauf hinweisen: Dieser Einsatz istnach wie vor durch das Recht auf Selbstverteidigungdurch Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen ge-deckt. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat dasmehrfach bekräftigt und diesen Einsatz, wie Sie wissen,auch mehrfach positiv gewürdigt.Alles in allem ist das Grund genug, um Sie als Mit-glieder des Deutschen Bundestages um eine breite Zu-stimmung zu einer Verlängerung des OEF-Mandates zubitten. Das wäre nicht nur ein politisches Signal, dasswir uns aus der Solidarität der internationalen Staatenge-meinschaft nicht verabschieden; es wäre vor allen Din-gen auch ein starkes Zeichen für unsere Soldatinnen undSoldaten, die bei ihrem Einsatz für unsere SicherheitLeib und Leben riskieren. Wir schulden unseren Solda-ten dafür nicht nur Dank; wir schulden ihnen dafür vorallen Dingen unsere volle Unterstützung.
Ich appelliere deshalb an das Hohe Haus: Bitte geben Sieden Soldatinnen und Soldaten die notwendige politischeRückendeckung!FgBiszhdA1ÄvSiddmdKvndVgmlddzbDgtzDAzBvddMwtk
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Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi-gung:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der 11. September 2001 markiert eine sicher-heitspolitische Zäsur. Auf diesen schrecklichen An-schlag hat die internationale Gemeinschaft geschlossenund einmütig reagiert. Ich denke, es ist eine wirkungs-volle Antwort im Kampf gegen den internationalen Ter-rorismus gewesen.Bereits einen Tag nach den Anschlägen erklärte der Si-cherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 1368die Anschläge zur Bedrohung für den internationalenFrieden und die internationale Sicherheit, und der Nord-atlantikrat hat den Bündnisfall ausgerufen. Deshalb wares folgerichtig, dass der Deutsche Bundestag erstmalsam 16. November 2001 dem Einsatz deutscher Streit-kräfte im Rahmen der Operation Enduring Freedom zu-gdLsGinrtesQeaiTtMHuuTtmSkadcwVvUKIMuwkidafkBnIddNdlg
Es ist – ich sage es noch einmal – ein Einsatz zumampf gegen den Terrorismus, nicht gegen die Piraterie.m Hinblick auf jene Bedrohung wird zurzeit die ESVP-ission vorbereitet. Wir werden in dem Zusammenhangnseren Beitrag dazu leisten, dass auch dieser Gefahrirkungsvoll entgegengetreten wird. Neben der Nothilfeann man selbstverständlich auch prüfen, ob in Zukunftm Rahmen des OEF-Mandats eine Unterstellung unteras ESVP-Mandat möglich ist. Aber das bedarf dannuch der Zustimmung des Deutschen Bundestages.Neben unseren Fregatten stellen wir mit unseren See-ernaufklärungsflugzeugen Orion fallweise auch Fähig-eiten zur Aufklärung aus der Luft zur Verfügung. Dieundeswehr hält zudem Kräfte für luftgestützte medizi-ische Notfallversorgung durchgehend in Bereitschaft.m Januar werden wir, wenn der Deutsche Bundestagiesem Mandat zustimmt, zum wiederholten Male fürrei Monate die Führung dieser Taskforce übernehmen.Neben dem Einsatz am Horn von Afrika gehört dieATO-Operation Active Endeavour im Mittelmeer zuiesem Mandat. In wechselnder Stärke und Formationeisten wir hier ebenfalls unseren Beitrag im Kampf ge-en den internationalen Terrorismus.
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Bundesminister Dr. Franz Josef JungMeine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Kol-lege Stinner, ich finde, die Bilanz unseres Einsatzes kannsich sehen lassen. Wir haben mit unseren Kräften über14 500 Abfragen von Schiffen, über 340 Stopps, detail-lierte Befragungen von Schiffsbesatzungen, 70 Durchsu-chungen, also Boardings, und über 70 Geleitaufträge fürbesonders schützenswerte Schiffe durchgeführt sowiezusätzlich diverse Hilfeleistungen für Schiffe in Not er-bracht. Ich bin unseren Soldatinnen und Soldaten sehrdankbar, die einen wirkungsvollen Einsatz leisten – imInteresse der Sicherheit unseres Landes und im Kampfgegen den internationalen Terrorismus.
Wir wollen die Diskussion über dieses Mandat ausder Zeit heraushalten, in der dieser Bundestag noch am-tiert, ein neuer aber schon gewählt ist, und schlagen des-halb vor, das Mandat bis in den Dezember 2009 hineinzu verlängern. Des Weiteren wollen wir die derzeitigeObergrenze von 1 400 auf 800 Soldatinnen und Soldatenzurückführen, weil dies im Hinblick auf unseren Einsatzsachgerecht ist. Außerdem haben wir die 100 Spezial-kräfte bei OEF für das Einsatzgebiet Afghanistan he-rausgenommen. Diese Kräfte waren in den vergangenenJahren eine wichtige Rückversicherung. Jedoch hat sichder Charakter von OEF in Afghanistan mit der schritt-weisen Übernahme der Verantwortung für die Sicherheitin ganz Afghanistan durch ISAF spürbar gewandelt. Na-türlich kann die knappe Ressource der Spezialkräfte wei-terhin im Rahmen von ISAF eingesetzt werden, fallsdies in Afghanistan erforderlich ist.Wir wollen in unseren Anstrengungen im Kampf ge-gen den Terrorismus nicht nachlassen, auch und geradeim Interesse unserer Sicherheit. Wir stellen uns mit unse-ren alliierten Partnern, mit der Weltgemeinschaft nach-drücklich und entschlossen gegen diese Geißel derMenschheit. Das ist ein wichtiger Teil unseres Beitrages,die Welt ein Stück friedlicher und sicherer zu machen.Deutschland wird und darf sich hier seiner Verantwor-tung nicht entziehen.Ich denke, wir können insgesamt stolz und dankbarhinsichtlich des Engagements unserer Soldatinnen undSoldaten sein, die gut ausgebildet und gut ausgerüstetsind und diesen Auftrag gut motiviert erfüllen. Er dientunseren Sicherheitsinteressen, den Sicherheitsinteressenunserer Bürgerinnen und Bürger. Ich bitte Sie deshalbum möglichst breite Zustimmung zur Fortsetzung unse-res Engagements im Rahmen der Mandate zur Bekämp-fung des internationalen Terrorismus, Operation Endu-ring Freedom und Operation Active Endeavour, in demeinen Fall am Horn von Afrika – in diesem Mandat ha-ben wir im Übrigen das Seegebiet klar konkretisiert, indem die Kräfte im Einsatz sind –, in dem anderen Fall imMittelmeer; denn so können wir unseren Beitrag auch inZukunft wirkungsvoll leisten. Ich denke, für diesen Ein-satz im Interesse unserer Sicherheit haben unsere Solda-tinnen und Soldaten eine breite Unterstützung diesesParlamentes verdient.Recht herzlichen Dank.
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Das Wort hat nun Kollege Norman Paech, Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Es geschieht ja nicht sehr oft, dass wir die Regierung lo-ben. Aber in diesem Fall ist es angebracht, da Sie aus derKritik die Konsequenz gezogen haben, den Antiterror-einsatz – zumindest in Afghanistan – einzustellen. Ichwill nicht darüber reden, ob Sie sich vielleicht dadurchdie Zustimmung zu einem Einsatz im Rahmen der ISAFerkaufen wollen, der sich ohnehin nicht mehr von demKampfeinsatz der OEF unterscheidet. Leider sind Sieauf halbem Wege stehen geblieben. Sie hätten die Bun-deswehr vollständig aus diesem vollkommen falschenund auch völkerrechtswidrigen Einsatz zurückziehenmüssen.
Sie wollen uns erneut weismachen, dass alles völker-rechtlich in Ordnung ist, und verweisen dann auf dasSelbstverteidigungsrecht in Art. 51 der UN-Charta.Das mag ja unmittelbar nach den Anschlägen am11. September zugetroffen haben. Aber ein Krieg vonsieben Jahren gegen einen Feind, der kein Staat undkeine Regierung ist, sondern der sich über ein Netzwerkvon über 60 Staaten verteilt, hat mit dem Selbstverteidi-gungsrecht nach der UN-Charta nichts mehr zu tun.
Ich frage Sie: Wie lange wollen Sie noch daran festhal-ten? Glauben Sie, dass Sie das, was Sie in sieben Jahrennicht geschafft haben, nämlich al-Qaida militärisch zubesiegen, im nächsten Jahr schaffen werden? Ich sageIhnen: niemals.thaazfddmmemhbsmgrrIsvnPedsKfbfMnTomuUgtSanRnaMKil
Die Sicherheit am Horn von Afrika und die Bekämp-ung von Piraten und Terroristen sind nur mit einer Sta-ilisierung der staatlichen Ordnung und mit Bekämp-ung der Armut zu erreichen. Das ist nur mit politischenitteln und mit ökonomischer Unterstützung möglich,iemals militärisch. Dabei ist es gleichgültig, ob dieruppen aus der Afrikanischen Union, der EU, der UNOder der NATO kommen. Selbst die Briten – das kannan nachlesen – haben jüngst den militärischen Ansatznd die Militarisierung des Antiterrorkampfes durch dieSA als vollkommen falsches Konzept kritisiert.Sie machen uns immer den Vorwurf, dass wir zwaregen den Einsatz des Militärs seien, aber keine Alterna-iven hätten. Diese liegen aber auf der Hand. Schauenie sich einmal die umfassenden Aktivitäten der UNOn, die sie nach dem 11. September gegen den internatio-alen Terrorismus unternommen hat. Es gibt zahlreicheesolutionen und insgesamt zwölf Antiterrorkonventio-en, in denen die Staaten zu ganz konkreten Maßnahmenufgerufen werden. An keiner Stelle ist vom Einsatz desilitärs die Rede. Gestehen Sie sich endlich ein, dass dieriege im Irak und in Afghanistan für das Erstarken desnternationalen Terrorismus ganz wesentlich verantwort-ich sind.
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Dr. Norman PaechUm die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen, umgesellschaftliche Strukturen zu schaffen, die den Men-schen ein Leben ohne Armut und Gewalt, einen Weg ausKrieg und Perspektivlosigkeit bieten, was der Nährbo-den des Terrorismus ist, braucht es ziviler Instrumenteund nicht des Militärs. Die Bundeswehr ist dafür ganzund gar ungeeignet. Deswegen fordern wir Sie auf: Be-enden Sie die deutsche Beteiligung an OEF! Wir werdendiesem Mandat nicht zustimmen.
Das Wort hat nun Kollege Winfried Nachtwei, Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zum siebten Mal haben wir im Bundestag über die Ver-längerung der deutschen Beteiligung an der OperationEnduring Freedom zu diskutieren und zu entscheiden.Ich erinnere mich noch sehr genau: Im November 2001war diese Entscheidung in den beiden Koalitionsfraktio-nen der SPD und der Grünen äußerst umstritten. Mankann sagen, dass sich in den Jahren danach die Befürch-tungen, die wir damals im November hatten, nicht bestä-tigt haben. Im Gegenteil: Die Dinge sind in Afghanistanzunächst viel besser gelaufen. Bis 2005 – da waren wirwieder in der Opposition – waren wir nach Abwägungverschiedener Aspekte der Meinung, dass EnduringFreedom weiterhin notwendig sei, um die zu diesemZeitpunkt schwache ISAF in Afghanistan stärken zukönnen. Das war damals die Haltung.Damit wir nicht aneinander vorbeireden: Der inter-nationale Terrorismus stellt weiterhin eine Bedrohungder internationalen Sicherheit und des Weltfriedens darund muss weiterhin bekämpft werden.
Überwiegender Konsens ist sicher auch, dass er auf dereinen Seite nicht primär militärisch bekämpft werdenkann, dass dabei auf der anderen Seite aber auch der Ein-satz militärischer Mittel notwendig sein kann.Allerdings reicht es bei Mandatsentscheidungen ganzund gar nicht, nur zu diesen Grundsätzen etwas zu sagen.Entscheidungen über solche Mandate und solche Ein-sätze sind ja schließlich keine Bekenntnisfragen. Viel-mehr muss konkret beantwortet werden, ob dieserEinsatz weiterhin zur Gewalt- und Terroreindämmungsicherheitspolitisch dringlich ist, ob er weiterhin legitimund legal ist und ob er überhaupt geeignet, wirksam undverantwortbar ist.Dass die Bundesregierung nun für Afghanistan dieLandkomponente im Rahmen des Kommandos Spezial-kräfte abgemeldet hat, ist ein richtiger Schritt. Aller-dings muss man nüchternerweise hinzufügen: Dies istseit einigen Jahren überfällig. Im Untersuchungsaus-schuss, der aus dem Verteidigungsausschuss hervorging,haben wir herausfinden müssen, dass das KSK im Rah-mmewdffGMiwdrSdmmmddEnebswhrSvdgnnmMlgKRGrTdsu
Das heißt im Klartext, Herr Minister Jung und Herrinister Steinmeier: Da dieser Teileinsatz jetzt zu Endest, muss auch endlich ein Abschlussbericht vorgelegterden. Das ist bisher nicht geschehen. Bisher hat dazuer Verteidigungsausschuss den bei weitem besten Be-icht vorgelegt.Zur anderen Komponente, zum Horn von Afrika.eit Jahren stellen wir fest, dass der reale Einsatz mitem Auftrag, terroristische Kräfte an ihren Bewegungs-öglichkeiten zu hindern, nichts mehr zu tun hat. Wennan die Admirale fragt, was sie erkunden, dann erhältan die Antwort, dass sie alles mögliche andere erkun-en, aber nicht terroristische Bewegungen. Deshalb istas Mandat in diesem Bereich schlichtweg nicht ehrlich.
s gibt andere Sicherheitsrisiken, die man klar mit ei-em UN-Mandat angehen muss.Die Mandatsentscheidung, die ansteht, ist nicht nurine Entscheidung darüber, was die Bundesrepublik da-ei macht, sondern sie ist schlichtweg auch eine politi-che Stellungnahme zu Enduring Freedom überhaupt. Esurde schon darauf hingewiesen, dass die UN-Sicher-eitsratsresolution vom 12. September 2001 der völker-echtliche Ausgangspunkt ist, in der das Recht aufelbstverteidigung betont wurde. Das wurde damalsom größten Teil des Parlaments mitgetragen. Aller-ings beziehen Sie sich sieben Jahre danach weiterhinanz allgemein auf das Selbstverteidigungsrecht. Dün-er könnte die rechtliche Grundlage nicht sein; sie istach unserer Auffassung eindeutig fragwürdig und nichtehr zu halten.
an muss dabei immer die Konsequenzen bedenken: Esäuft auf eine völlige Entgrenzung des Verteidigungsbe-riffs und de facto auf eine Enthemmung hinaus. Imlartext: Operation Enduring Freedom setzt sich in derealität immer wieder über den völkerrechtlichenrundsatz territorialer Integrität hinweg. Das, was Endu-ing-Freedom-Kräfte in Pakistan inzwischen fast jedenag machen, nämlich Verdächtige abschießen, liegt iner Logik von Enduring Freedom; da soll man gar nichto überrascht sein. Das aber ist eindeutig verwerflichnd völkerrechtswidrig.
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Winfried NachtweiWie sieht heute die Realität von Enduring Freedomaus? Was sind die Wirkungen? Kollege Stinner, ichmöchte einen Punkt schnell beiseiteräumen: Sie habenwieder das Bild vom vorigen Jahr gebracht, das Bild vonder angeblich bösen OEF und der guten ISAF. Heutzu-tage kann man feststellen, dass die Ausbildungskompo-nente bei Enduring Freedom in Afghanistan nicht mehrenthalten ist. Das heißt, in Afghanistan ist EnduringFreedom wieder auf den ursprünglichen Auftrag der mi-litärischen Terrorbekämpfung reduziert worden. SeitJahren frage ich die Bundesregierung, wie wirksamdiese Operation insgesamt ist. Ich erhalte dazu notorischnull Aussagen.Die Bundesregierung ist aber nicht die einzige Aus-kunftsquelle; wir bemühen uns selber um entsprechendeHinweise. Was besagen die hierbei gewonnenen Er-kenntnisse?Erstens. Zur Zielgruppe von Enduring Freedom inAfghanistan gehören nicht nur al-Qaida als Drahtzieherund Unterstützer, sondern ziemlich unterschiedslos alleAufständischen. Der Effekt davon ist eine Solidarisie-rung: Es werden diejenigen zusammengebracht, die manbei einer vernünftigen Antiterrorpolitik eigentlich aus-einanderbringen müsste.Zweitens. Entsprechende Personen werden auf Ver-dacht liquidiert. Noch vor kurzem habe ich im ISAF-Headquarter gehört, dass der Unterschied zwischenISAF und OEF wesentlich ist; OEF tötet auf groben Ver-dacht.Drittens. Bei OEF-Einsätzen sind überproportionaloft Zivilopfer zu beklagen. Zudem kommen OEF-Opera-tionen immer wieder ISAF-Operationen in die Quere;das habe ich kürzlich von Kommandeuren in Uruzgan,Südafghanistan, gehört.Was die Wirksamkeit angeht, fasse ich zusammen:OEF soll zur Eindämmung von Terrorismus beitragen.Alle Hinweise, die wir haben, deuten auf das Gegenteilhin, nämlich darauf, dass islamistische Militanz, Gewaltund Terror dadurch angefacht werden.
OEF steht – das sollte man nicht außer Acht lassen –für den Global War on Terrorism, für den Irrglauben,nicht nur mit Militär, sondern ausdrücklich mit KriegTerrorismus besiegen zu können. Aufschlussreich sindjüngste Veröffentlichungen aus den USA, insbesondereeine RAND-Studie mit dem Titel „How terrorist groupsend – lessons for countering Al Qa’ida“. Das Ergebnisist äußerst interessant. Es wurden zwischen 1968 und2006 über 600 Terrorgruppen untersucht. Die allermeis-ten davon wurden aufgelöst, weil sie in den politischenProzess einbezogen wurden. Das zweitbeste Mittel zurAuflösung waren polizeiliche und geheimdienstlicheMaßnahmen. Am allerwenigsten haben militärischeMaßnahmen gewirkt. Die Schlussfolgerung dieser Stu-die ist – gerichtet an die alte und an die neue Regierung –:Hört auf mit dem War on Terrorism! – Die Alternativenliegen eindeutig auf der Hand.sdinDwiSwvghssDnurRsftHUkgsTwDKmmsndateid
Das Wort hat nun Kollege Niels Annen, SPD-Frak-
ion.
Herr Präsident, vielen Dank. – Meine Damen underren! Winni Nachtwei hat eben gesagt, dass derrsprung des Mandats für den Einsatz deutscher Streit-räfte im Rahmen von OEF – das dürfen wir nicht ver-essen, wenn wir über dieses Mandat beraten – die An-chläge vom 11. September sind. Vielleicht ist es in derat bezeichnend, dass wir heute hier darüber debattieren,ährend in den USA ein neuer Präsident gewählt wird.er amtierende US-Präsident ist mit dem internationalenampf gegen den Terrorismus verbunden und wird da-it verbunden bleiben. Ich glaube, es ist nicht besondersutig, wenn man voraussagt, dass er nicht aufgrund wei-er Entscheidungen im Kampf gegen den Terror in Erin-erung bleiben wird.So deutlich ich sage, dass es richtig gewesen ist, dassieses Haus damals zugestimmt hat, so klar muss manuch sagen, dass sich das Nebeneinander von zwei un-erschiedlichen Missionen nicht ausgezahlt hat. Die Ver-inten Nationen haben, nachdem der eigentliche Auftragn Afghanistan relativ schnell erfüllt war – Zerschlagunger al-Qaida-Camps und Absetzung der Taliban-Regie-
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Niels Annenrung –, eine Grundlage für die Wiederaufbauarbeit ge-schaffen, die wir mit unseren Soldatinnen und Soldaten,den Entwicklungshelfern und den anderen nach Afgha-nistan entsandten Menschen, mit allen, die dort arbeiten,leisten. Wir mussten feststellen – darüber haben wir imDeutschen Bundestag häufig diskutiert –, dass dasNebeneinander von OEF und ISAF letztlich dazu ge-führt hat, dass die Legitimität unserer gemeinsamen in-ternationalen Anstrengungen in den letzten Jahren Stückfür Stück dadurch untergraben worden ist, dass es immerwieder, auch in den letzten Tagen und Wochen, zu unab-gestimmten, unverhältnismäßigen und unkoordiniertenAktivitäten kam, und zwar in der Regel bei Beteiligung– das muss ich leider sagen – der amerikanischen Solda-ten unter dem Mandat von Enduring Freedom.Vor wenigen Wochen wurde uns eine Studie vonHuman Rights Watch vorgelegt, die eindrucksvoll fürdie einzelnen Provinzen darlegt, dass der Strategiewech-sel, den wir in diesem Haus immer wieder eingeforderthaben, der allerdings schwer zu erklären ist, insofern er-folgreich war, als es so gut wie keine Todesopfer bei ge-planten Luftoperationen der ISAF-Truppen gegeben hat.Wir müssen allerdings feststellen, dass es bei Luftunter-stützungsoperationen zunehmend, auch in den letztenTagen, zu zivilen Opfern gekommen ist, wenn amerika-nische Streitkräfte in sogenannte Antiterroroperationenverwickelt waren.An dieser Stelle möchte ich eines deutlich sagen: Wirhaben häufig gehört, dass all das völkerrechtswidrig seiund unsere ganze Diskussion nur für die Galerie statt-finde. Auch der Kollege Paech von der Linksfraktion hatdarauf hingewiesen. Er hat gesagt, die Regierung und dieRegierungsparteien müssten endlich begreifen, dass die-ses Problem nicht mit militärischen Mitteln zu lösen ist.Ich sage Ihnen: Das ist die tägliche Praxis dieser Koali-tion und dieser Regierung.
Ich empfehle Ihnen, Herr Paech, sich einmal den An-trag anzusehen. Ich kann Ihnen gerne daraus vorlesen;ich habe ihn mitgebracht. Die Bundesregierung schreibt:Der Kampf gegen den Terrorismus ist in erster Liniekeine militärische, sondern eine umfassende politischeAufgabe. – Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dass die Diskussion in diesem Hause, aber auch in derZivilgesellschaft und die Arbeit der vielen Nichtregie-rungsorganisationen, die sich vor Ort, aber auch inDeutschland mit der Lage in Afghanistan und mit demStand des Antiterrorkampfes auseinandersetzen, hierernst genommen werden und dass wir Konsequenzenauch aus dem Nebeneinanderher und dem Mangel anstrategischer Abstimmung im Bündnis gezogen haben,zeigt die Vorlage, über die der Deutsche Bundestag indieser Beratung zu entscheiden hat.Ich glaube, dass es der richtige Weg ist, zu sagen: Wirziehen die 100 KSK-Kräfte aus dem OEF-Mandat zu-rück. Das ist, wenn ich das einmal sagen darf, keinevirtuelle Entscheidung. Diese Entscheidung hat einenpsdRhUdsFt–sumnApmwlNPhAutwgSogzGhnFasuhszsdLtK
Die Beteiligung an einer internationalen Koalition istichts, aus dem man eben einmal aussteigt wie bei einerktie, die im Wert abstürzt. Das hat mit Abstimmungs-rozessen und Diskussionsprozessen zu tun. Das kannan nicht von heute auf morgen entscheiden. Deswegenill ich ganz klar sagen: Die völkerrechtliche Grund-age steht nicht infrage. Der Sicherheitsrat der Vereintenationen – auf den berufen Sie sich ja immer, Herraech – hat das am 12. September 2001 festgestellt; erat den Angriff auf die Vereinigten Staaten mit einemngriffskrieg gleichgesetzt. Das ist die Lage, in der wirns befinden.Etwas ganz anderes ist die Frage, ob wir es uns als in-ernationale Staatengemeinschaft dauerhaft erlaubenollen, uns auf dieser Rechtsgrundlage zu bewegen. Esibt Diskussionen – auch in unserer Fraktion und imicherheitsrat der Vereinten Nationen – über die Frage,b wir die Bekämpfung der Piraterie, die hier schon an-esprochen worden ist, möglicherweise als Anlass nut-en sollten, um miteinander eine klarere politischerundlage zu finden. Aber lassen Sie uns hier keineaarspalterischen Diskussionen führen. Auch in der er-euten UN-Resolution wird die Operation Enduringreedom erwähnt. Deswegen sollten wir uns hier nichtuf Nebenkriegsschauplätze konzentrieren, sondern wirollten die politische Diskussion führen. Wir stehen zunserer Verantwortung und erkennen die Bedrohung, dieier genannt worden ist und auch am Horn von Afrikaichtbar wird.Ich plädiere dafür, dem Antrag der Bundesregierunguzustimmen. Ich glaube, dass wir gut beraten sind, die-es Zeichen auch an diejenigen zu senden, die nicht nurarüber diskutieren, sondern auch unter Einsatz ihresebens dafür einzustehen haben. Das sind unsere Solda-innen und Soldaten. Ich bitte um Zustimmung.Herzlichen Dank.
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort demollegen Norman Paech.
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Lieber Kollege Annen, ich kann durchaus lesen. Ich
lese zum Beispiel immer wieder, dass der Kampf gegen
den Terrorismus nicht militärisch zu gewinnen ist. Das
sagen die US-Amerikaner sowieso; das sagen die Gene-
räle immer wieder. Eines aber müssen wir sehen: Wir
führen hier zum wiederholten Mal eine Debatte, in der es
ausschließlich um die Verteilung von Geldern für militä-
rische Maßnahmen geht.
Haben wir jemals eine Diskussion von der gleichen Güte
und Länge geführt, in der es um die Finanzierung ökono-
mischer und ziviler Instrumente zur Bekämpfung des
Terrorismus ging? So eine Diskussion haben wir bisher
nicht geführt. Wenn wir sie führen werden, dann werden
wir auch anders zu dem Thema reden.
Kollege Annen, bitte.
Herr Kollege Paech, es freut mich natürlich sehr, dass
Sie des Lesens mächtig sind. Ich möchte Ihnen deswe-
gen die Lektüre des Protokolls der Plenarsitzung, in der
es um die Ergebnisse der Paris-Konferenz ging, empfeh-
len. Darüber haben wir hier in diesem Hause diskutiert.
Ich würde Sie gerne daran erinnern, dass die Bundesre-
gierung die finanziellen Aufwendungen für den Wieder-
aufbau in Afghanistan verdoppelt hat; da kann ich auch
aus der Rede, die Sie gerade vorgetragen haben, zitieren.
Wir haben Konsequenzen gezogen, auch aus den Dis-
kussionen im Deutschen Bundestag und in der interes-
sierten Öffentlichkeit, in denen man sich mit der Frage
auseinandergesetzt hat: Ist die Beteiligung von über
100 KSK-Kräften am OEF-Mandat eigentlich ein Weg,
der in die richtige Richtung geht? Wenn ich es richtig in
Erinnerung habe, haben Sie selbst, als Sie vor wenigen
Minuten an diesem Pult standen, diese Entscheidung ge-
lobt. – Das sollten Sie sich noch einmal durchlesen.
Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
sind auf einem guten Weg. Wir führen hier keine Debat-
ten für die Galerie.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Kollege Thomas Silberhorn, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wie schon bei der Verlängerung des ISAF-Man-dates wird auch in Bezug auf das OEF-Mandat hin undwhbhIemdWdGzkvaddnmhwdndezglbssEgdiAI1aIdnnnB
ch möchte die Gelegenheit nutzen, dem ausdrücklichntgegenzutreten. Niemand gibt sich der Illusion hin,an könne eine Debatte über Auslandseinsätze der Bun-eswehr aus der Öffentlichkeit heraushalten.
ir wissen, dass im nächsten Jahr in Afghanistan Präsi-entschaftswahlen stattfinden. Bei jedem Anschlag, wasott verhüten möge, ist eine breite öffentliche Debatteu erwarten. Es wäre geradezu naiv, anzunehmen, manönne eine solche Diskussion verhindern. Wir sollten sieielmehr offensiv führen.Wir müssen bei der Verlängerung dieses Mandatsber auch deutlich machen, dass wir aus Respekt vorem nächsten Deutschen Bundestag
en Kolleginnen und Kollegen, die am 27. Septemberächsten Jahres gewählt werden, die Gelegenheit gebenüssen, darüber zu entscheiden, ob das Mandat, das wireute verlängern, im nächsten Jahr nochmals verlängerterden sollte. Es wäre für den nächsten Deutschen Bun-estag eine Zumutung, wenn dieses Haus nach derächsten Bundestagswahl, aber vor der Konstituierunges dann bereits gewählten Bundestages noch einmaline Mandatsverlängerung beschließen würde. Es gehörtur Selbstbescheidung der Mandatsträger, die auf Zeitewählt sind, diese Aufgabe dem nächsten neu zu wäh-enden Bundestag zu überlassen.
Meine Damen und Herren, die Reduzierung im Hin-lick auf den Bundeswehreinsatz im Rahmen von OEF,owohl was den Personalumfang als auch was das Ein-atzgebiet angeht, ist im Ergebnis eine Anpassung an dieinsatzrealität, die nicht mit operativen Einschränkun-en verbunden ist. Wir bringen damit zum Ausdruck,ass das OEF-Mandat teilweise dadurch ersetzt wordenst, dass durch das ISAF-Mandat die Sicherheit in ganzfghanistan gewährleistet werden soll. Wir haben dasSAF-Mandat erweitert und das Kontingent um000 Soldaten aufgestockt.Ich füge aber hinzu: Wir können uns der Gesamtver-ntwortung für Afghanistan, die wir im Rahmen desSAF-Mandats wahrnehmen, nicht dadurch entziehen,ass wir uns aus dem OEF-Mandat in Bezug auf Afgha-istan zurücknehmen; denn die Soldaten, die in Afgha-istan im Einsatz sind, werden als Bestandteil der inter-ationalen Gemeinschaft wahrgenommen. In derevölkerung Afghanistans fragt niemand danach, ob ein
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Thomas SilberhornSoldat unter dem OEF-Mandat oder dem ISAF-Mandathandelt. Deswegen ist es notwendig, dass wir deutlichmachen: Deutschland trägt weiterhin einen Teil der Ge-samtverantwortung der internationalen Gemeinschaft inAfghanistan, auch wenn wir mit den 100 Spezialkräftennicht mehr im Rahmen des OEF-Mandates in Afghanis-tan im Einsatz sein werden. Wie schon angeklungen ist,können sie im Rahmen des ISAF-Mandates auch weiter-hin zum Einsatz kommen.Ich halte es für wichtig, dass wir zum Ausdruck brin-gen: Auch wenn keine deutschen Soldaten mehr im Rah-men des OEF-Mandates in Afghanistan eingesetzt wer-den, müssen wir uns dennoch weiterhin um einegemeinsame Zielsetzung der internationalen Gemein-schaft in Bezug auf Afghanistan, aber auch um eine ab-gestimmte und gemeinsame Durchführung militärischerAktionen bemühen. Das betrifft auch die Herangehens-weise, die hier von manchen meiner Vorredner sehr kri-tisch beleuchtet worden ist.Ich stimme dem ehemaligen US-Botschafter JohnKornblum zu, der heute in der Frankfurter Rundschauerklärt hat – ich zitiere –:Verantwortung übernehmen heißt aber auch: EinZiel zu definieren und es mit unterschiedlichen, ab-gestimmten Mitteln zu verfolgen.Vernetzte Sicherheit aus zivilen und militärischen Mit-teln – das ist genau der Ansatz, den wir in der NATO mitErfolg propagiert haben, den wir aber auch in der Ein-satzrealität einlösen müssen.Ich stelle mir allerdings schon Fragen, wenn ichgleichzeitig lese, was der PräsidentschaftskandidatBarack Obama am vergangenen Sonntag in der Welt amSonntag in einem Interview erklärt hat. Ich zitiere auchhier:Meine generelle Haltung ist, dass wir al-Qaidaauslöschen, Bin Laden festnehmen und töten müs-sen, …Wenige Sätze weiter führt er aus – ich zitiere wieder –:Wir werden ihn töten oder festnehmen,– gemeint ist Bin Laden –ihn anklagen, zum Tode verurteilen.Für den Fall, dass dieser Präsidentschaftskandidat dernächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerikawerden sollte, bitte ich Sie, Herr Bundesaußenminister,uns eine Erläuterung dieser Aussagen des möglicher-weise künftigen Präsidenten zu geben und uns zu erklä-ren,
in welchem Umfang Sie eine deutsche Beteiligung amEinsatz in Afghanistan mit dieser Zielsetzung weiterhinfür möglich und überhaupt für zulässig erachten.Meine Damen und Herren, das Ziel unseres Einsatzesist nicht Rache, sondern die Stabilisierung Afghanistansim Interesse der internationalen Sicherheit vor terroristi-schen Bedrohungen, im Interesse der Sicherheit Afgha-nzwhbbnZugeziracustsdwmsAkLhAlltLdwwdKmtesdkG
Das Wort hat nun Kollege Paul Schäfer, Fraktion Die
inke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn esier darum geht, deutsche Soldatinnen und Soldaten insusland zu schicken, dann brauchen wir eine größtmög-iche Klarheit und Wahrhaftigkeit. Das ist bei dem vor-iegenden OEF-Mandat aber nicht der Fall. Im Gegen-eil: Es handelt sich im Grunde genommen um zweiügen. Die Unwahrheit Nummer eins ist, dass es beiem Einsatz am Horn von Afrika darum gehe – 2002ie auch heute –, Terroristen zu bekämpfen. Die Un-ahrheit Nummer zwei ist, dass die Bundesrepublik mitem Verzicht darauf, die Spezialkräfte der Bundeswehr,SK, unter dem OEF-Mandat einzusetzen, nichts mehrit dem Antiterrorkrieg in Afghanistan zu tun habe.Ich bleibe bei Afghanistan. Es ist klar und folgerich-ig, das KSK nicht mehr im Rahmen des OEF-Mandatsinzusetzen. Unter ISAF wird es aber schon noch einge-etzt. Der entscheidende Punkt ist aber der: Sie weichenem grundsätzlichen Streit über OEF und über die Wir-ung von OEF aus. Damit billigen Sie diesen Einsatz imrundsatz.
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Paul Schäfer
Hier hieß es, es sei doch alles halb so schlimm, OEFbedeute doch im Wesentlichen Ausbildung für die afgha-nische Armee. Das wird jetzt ISAF zugeschlagen. Wasverbleibt bei OEF? Die Frage, wozu OEF in Afghanistanüberhaupt nötig ist, müssen Sie hier beantworten.
Die Auskunft der NATO-Militärs ist eindeutig. Sie sa-gen, dass die bösen Buben – the bad guys – aus demSpiel genommen werden müssen. Dafür brauche maneben besondere Regeln, genauer gesagt, möglichst we-nig Regeln. OEF-Angehörige dürfen auch ohne begrün-deten Verdacht festnehmen. Sie müssen sich nicht unbe-dingt an Landesgrenzen halten, und sie können – auchdas ist hier schon gesagt worden – auf Verdacht töten.Das macht den Unterschied aus.Der springende Punkt ist: Die alte Arbeitsteilungbleibt bestehen. Bei OEF geht es um den schmutzigerenTeil der Kriegsführung, aber dies ebenfalls im Zusam-menwirken mit ISAF. Auch das lesen wir weder imISAF-Mandat noch im OEF-Mandat. Es geht dabei nichtum die allgemeine Abstimmung zwischen ISAF undOEF, und es geht dabei auch nicht um die unmittelbareNothilfe. Es geht durchaus auch um gemeinsame Opera-tionen. Vielleicht fragen Sie die Bundesregierung in dennächsten Tagen einmal danach.All das steht nicht in den Mandaten. Das nenne icheine Täuschung des Parlaments.
Was die Armada, liebe Kolleginnen und Kollegen,vor der somalischen Küste betrifft, so wissen wir aus denUnterrichtungen der Bundesregierung, dass keine Terro-risten gefangen genommen wurden. Stattdessen lesenwir dort, dass der Terrorismus seinen Aktionsraum vonAlgerien über den Maghreb bis in die Sahelzone ausge-weitet hat. Jemen ist weiter Aktions- und Rückzugsraumfür islamistische Terroristen. In Somalia galoppiert dieGewalt weiter.Das ist eine ernüchternde Bilanz. Die Marinesoldaten,die am Horn von Afrika ihren Dienst tun, können amallerwenigsten etwas dafür. Es zeigt sich nur, dass derMilitäreinsatz das völlig falsche Mittel ist, um diese Pro-bleme in den Griff zu bekommen.
Der Aufwand dafür ist beträchtlich. Ich habe es nachge-rechnet: Allein der deutsche Kostenanteil am OEF-Ein-satz am Horn von Afrika beträgt von 2001 bis 2008 circa1 Milliarde Euro. Mit diesem Betrag hätte man eineMenge für die Stabilisierung der Region machen kön-nen. Das ist der entscheidende Punkt.
Wenigstens in einem Punkt sind Sie ehrlicher gewor-den. Sie sagen jetzt, beim OEF-Einsatz am Horn vonAugkAbAttStußtSlMdbigdURdfwiSAwdwüEdssddBWaA
Der Kollege Hans-Peter Bartels hat das Wort für die
PD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vor-iegende Antrag der Bundesregierung stellt eine gewisseandatsbereinigung dar. Das heißt, wir beschließenas, was tatsächlich geplant ist und stattfindet, und wireschließen unseren Beitrag jetzt exakt für die Region,n der dieser Beitrag tatsächlich gebraucht wird. Das istut so. Denn wie beim Bundeshaushalt sollte auch beien Bundeswehreinsätzen gelten: Wahrheit und Klarheit.nser Prinzip der Parlamentsarmee bedeutet, dass deregierung gerade keine Blankoschecks ausgestellt wer-en. Der Bundestag kann nur dann die Verantwortungür den Einsatz militärischer Gewaltmittel übernehmen,enn er weiß, was wann wo von wem zu tun ist.Ich sage ausdrücklich: Das war in der Vergangenheitnsbesondere bei der Mission OEF nicht immer so. Derachverhalt, dass KSK-Spezialkräfte unter OEF infghanistan eingesetzt wurden bzw. nicht eingesetzturden, galt als geheim. Ob also Bundeswehrsoldaten iniesem Mandatsrahmen seit 2001 tatsächlich im Einsatzaren, wurde gegenüber dem Parlament – auch gegen-ber dem Verteidigungsausschuss – geheim gehalten.rst einer wohl unbeabsichtigten Indiskretion des Vertei-igungsministers war zu entnehmen, dass seit 2005 un-ere Beteiligung an OEF in Afghanistan praktisch erlo-chen ist. In der Sache ist das absolut in Ordnung. Aberie Geheimniskrämerei darum herum war nicht beson-ers parlamentsfreundlich.Es darf nicht – dies sage ich ganz klar – zweierleiundeswehren geben: eine normale und eine geheime.ir müssen wissen, wofür wir als Abgeordnete die Ver-ntwortung übernehmen, wenn wir hier in namentlicherbstimmung Entsendebeschlüsse fassen.
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Dr. Hans-Peter Bartels
Uns interessiert nicht das operative Detail oder dietaktische Planung, sondern die Frage, ob überhaupt deut-sche OEF-Soldaten ein Jahr lang im Einsatzgebiet einge-setzt werden. Diese Frage kann und darf vor dem Par-lament und vor der deutschen Öffentlichkeit nichtunbeantwortet bleiben. Wir haben dazu auch in demUntersuchungsausschuss – das wurde bereits angespro-chen –, zu dem sich der Verteidigungsausschuss in derSache Kurnaz erklärt hat, diskutiert und Verabredungengetroffen, die dieses Problem der, ich sage einmal: blin-den Flecken im Parlamentsvorbehalt hoffentlich ein fürallemal ausräumen.Wir sind Außenminister Steinmeier und Verteidi-gungsminister Jung dankbar, dass sie nun die Konse-quenz aus der Schwerpunktverlagerung in Afghanistangezogen haben und zu OEF dort nichts mehr beitragen.ISAF ist inzwischen im ganzen Land präsent. UnserSchwerpunkt liegt auf ISAF, insbesondere auf dem Re-gionalkommando Nord. Die Doppelstruktur von NATOund US-geführter Antiterroroperation OEF ist historischgewachsen. Aber sie ist mehr und mehr ein Hindernis füreine einheitliche Sicherheitsstrategie der internationalenGemeinschaft in Afghanistan. Das wird mittlerweileauch auf amerikanischer Seite gesehen. Egal wie diePräsidentenwahl heute Nacht ausgeht, es wird Anstren-gungen zu mehr Kohärenz geben müssen. Auch der neueCENTCOM-Befehlshaber Petraeus hat sich schon indiese Richtung geäußert.Meine Damen und Herren, die Fortsetzung unsererBeteiligung an der Seeraumüberwachung am Horn vonAfrika sollte unstrittig sein. Die deutsche Marine mit ih-ren Fregatten, Versorgern, Hubschraubern und Aufklä-rungsflugzeugen leistet hier einen kontinuierlichen, gu-ten, hoch anerkannten Beitrag fern der Heimat. Wärendie Verbündeten nicht da, wären die Verbindungswegeder Terroristen schnell wiederhergestellt. Deshalb sindwir da.Daneben wird wohl noch in diesem Jahr eine ESVP-Mission zur Pirateriebekämpfung vor der somalischenKüste starten. Daran sollten wir uns ebenfalls beteiligen.Die Zahl der Piraterieattacken hat in den vergangenenMonaten dramatisch zugenommen. Das Schifffahrtsbüroder Internationalen Handelskammern in Kuala Lumpurteilt mit, dass es seit Anfang dieses Jahres 200 Piraterie-fälle weltweit gegeben hat, davon ein Drittel im Seeraumvor Somalia. Über 500 Seeleute sind dort als Geiseln ge-nommen worden. Auch Schiffe deutscher Reedereiensind immer wieder betroffen. Dagegen müssen wir unszur Wehr setzen. Das sollten wir wirksam unterbindenkönnen. Dies mit einem eigenen Bundestagsbeschluss zutun, entspricht den Grundsätzen von Mandatswahrheitund Mandatsklarheit.
Gut, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken, die esbei den Mehrheitsfraktionen dieses Hauses wohl gab,mtsOZbrnedwmMEJdazdfn1mrsBrfPSRRdblovwhtKa
enn faktisch hat sich nichts geändert, außer dass nunuch offiziell auf den KSK-Einsatz in Afghanistan ver-ichtet wird. Aber sonst? Wie ein Mantra wiederholenie Juristen der Bundesregierung seit sieben Jahren einealsche Behauptung, die Behauptung, dass die Resolutio-en des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 1368 und373 die Bundesregierung und die NATO angeblich er-ächtigten, bei der Bekämpfung des Terrorismus militä-ische Gewalt anzuwenden. Das wird auch durch nocho viele Wiederholungen nicht wahrer. Mit einer solchenegründung würden die Hausjuristen der Bundesregie-ung mit Pauken und Trompeten durch jede Staatsprü-ung fallen.Sie berufen sich immer wieder darauf, dass in denräambeln der beiden Resolutionen das Recht aufelbstverteidigung bekräftigt wird. An dieser Stelle deresolutionen des UNO-Sicherheitsrates hat das dieselbeelevanz für das Handeln der UNO-Mitglieder, als wennort die Formulierung stünde, dass das schöne Wetteregrüßt werden würde. Entscheidend ist einzig und al-ein, was der Sicherheitsrat in den Beschlussteilen an-rdnet, und das ist eindeutig und glasklar. Um ein Zitaton Herrn Fischer aus dem Jahre 1994 abzuwandeln: Ichundere mich nicht zum ersten Mal, wie sich die Mehr-eit hier im Parlament seit Jahren an der Nase des Rech-es auf militärische Selbstverteidigung in den globalenrieg gegen den Terrorismus hineinführen lässt.Nicht ein einziges Wort ist dort zu finden, das sichuch nur im Entferntesten als Militäreinsatz interpretie-
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Gert Winkelmeierren ließe. Dort steht vielmehr die Aufforderung zur Zu-sammenarbeit, um Verantwortliche und Hintermännerder Terroranschläge vom 11. September 2001 vor Ge-richt zu bringen und den Terrorismus mit politischen,polizeilichen, gesetzgeberischen, rechtlichen und wirt-schaftlichen Mitteln auszutrocknen.Auch die Ausrufung des NATO-Bündnisfalles vom4. Oktober 2001 führt die Bundesregierung wieder alsRechtsgrundlage für den OEF-Einsatz an. Das warnichts anderes als eine Selbstermächtigung zum Krieg-führen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Sicherheitsratbereits die zivilen Maßnahmen zur Bekämpfung des Ter-rorismus beschlossen. Damit war das Recht auf militäri-sche Selbstverteidigung nach Art. 51 der Charta derUNO für den vorliegenden Fall ein für alle Mal beendet.Denn es gilt nur – Zitat – „bis der Sicherheitsrat … dieerforderlichen Maßnahmen getroffen hat“. Dies hatte ermit den Resolutionen 1368 und 1373 getan. Ich stelle so-mit fest, dass sich Bundesregierung und Parlaments-mehrheit nicht an Recht, Grundgesetz und Völkerrechthalten wollen.Das war vor der sogenannten Normalisierung und derEnttabuisierung des Militärischen in unserem Land ein-mal anders. Da galt noch – Zitat –:Wir Deutschen haben angesichts unserer Ge-schichte im 20. Jahrhundert gute Gründe, mit eige-ner Beteiligung an militärischen Interventionen zu-rückhaltend zu sein.Das Zitat ist von Helmut Schmidt und in der aktuellenAusgabe der Zeit nachzulesen.Wer mitten im Glashaus sitzt, der sollte übrigens nichtmit Steinen werfen. Mit welcher moralischen Autoritätwill der Finanzminister eigentlich die Schweiz in dieNähe von Schurkenstaaten rücken, indem er das Landauf die schwarze Liste der OECD setzen lassen will?Das ist kein Witz. Diese Äußerung ist gemacht worden.Etwa mit der moralischen Autorität der Bundesregie-rung, die den usbekischen Geheimdienstchef in Deutsch-land nach dem Motto empfängt „aber er ist unserSchweinehund“, Herrn Inojatow, der die IslamischeDschihad-Union erfunden hat, damit der Bundesregie-rung die Begründungen für den Krieg gegen den Terro-rismus nicht abhanden kommen und Herrn Schäublenicht die Gründe zur Verschärfung der Sicherheitsge-setze und der Vermengung von innerer und äußerer Si-cherheit?Ich rate Ihnen: Verstecken Sie Ihre machtpolitischenAmbitionen nicht länger hinter der fadenscheinigen Be-gründung, es gehe bei OEF um Terrorismus; denn dazumüssen Sie ständig das Recht beugen. Das wird Ihneneines Tages bitter aufstoßen – garantiert.Der Einsatz der Marine am Horn von Afrika zeigtdoch exemplarisch auf, dass es um alles andere als umTerrorbekämpfung geht. Seit Jahren ist Ihnen nicht eineinziger Fang gelungen. Das ist auch verständlich beider Jagd nach Phantomen. Geben Sie einfach zu, dass esIhnen um die Sicherung einer der wichtigsten Seestraßender Welt geht und um nichts anderes. Dann könnten wirhier im Bundestag endlich eine Debatte führen, dieskdRctKlBswEstragddrDddtb4gKwgdEAddhksuWwdSd
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19768 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 4. November 2008
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Meine Damen und Herren, gestern ist von Wilhelms-haven aus die Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“ inRichtung Horn von Afrika ausgelaufen, um demnächstals Führungsschiff der OEF die Spitze der US-geführteninternationalen Überwachungsflotte zu stellen. Dies istauch ein sichtbares Zeichen der transatlantischen Koope-ration mit unseren verbündeten amerikanischen Freunden.Am heutigen Wahltag wünsche ich allen US-Bürgerinnenund -Bürgern eine gute Wahl. Wir freuen uns – unabhän-gig vom Ausgang der Wahl – auf eine gute, auf einenoch bessere Zusammenarbeit.Aber es ist auch wichtig, dass wir in Europa unsere ei-genen Strukturen verbessern. Ich begrüße daher sehr dieAnkündigung unseres Bundesministers der Verteidi-gung, eine Beteiligung der deutschen Marine am ESVP-Mandat zur Bekämpfung der Piraterie zu überprüfen.Die derzeitige Lage ist aus meiner Sicht zu verbessern.Im Augenblick eines Überfalls gelten die allgemeinenGrundsätze des Notwehr- und Nothilferechts. Zu diesemZeitpunkt könnten unsere Soldatinnen und Soldatennoch eingreifen. Sobald der Überfall nicht mehr gegen-wärtig ist, wenn zum Beispiel die Piraten mit dem geka-perten Schiff abziehen, ist eine Verfolgung durch deut-sche Marineeinheiten aus rechtlichen Gründen nichtmehr möglich. Ich glaube, wir sind uns weitestgehendeinig, dass hier reagiert werden muss. Wir müssen übereine Anpassung des Grundgesetzes nachdenken, die esunserer Marine ermöglicht, mit eigenen Kräften gegenPiraten vorzugehen.
Unseren Soldatinnen und Soldaten ist genauso wie al-len Bundesbediensteten im Auslandseinsatz ein ange-messener Rechtsschutz zu gewährleisten. Bei meinemletzten Besuch in Afghanistan ist hier konkret Rege-lungsbedarf aufgetreten. Werden Soldaten wegen einerdienstlichen Tätigkeit im Ausland einer Straftat gegendas Leben oder die körperliche Unversehrtheit beschul-digt, trägt der Dienstherr nunmehr alle Kosten derRechtsverteidigung, sofern abschließend kein vorsätzli-ches Vergehen festgestellt wird. Die jetzige Regelungschafft Rechtssicherheit und ist ein wesentlicher Beitragzum Rechtsfrieden unter den Soldaten. Auch hier dankeich unserem Verteidigungsminister dafür, dass er dieseRechtsschutzlücke so schnell geschlossen hat.
Neben der erfolgten Verbesserung des Rechtsschutzeshalte ich es für notwendig, auch bei den seit 1995 unver-änderten Auslandsverwendungszuschlägen eine Ver-besserung zu erzielen. Die Auslandseinsätze unsererSoldaten erfolgen nicht allein wegen eines Auslandsver-wendungszuschlages, sondern aus Überzeugung im Ein-satz für unsere Bundesrepublik. Die finanzielle Aner-kennung dieser auch lebensgefährlichen Einsätze darfaber nicht unterschätzt werden. Sie muss deshalb nichtnGtmVdns1mhwtfmseAuzgmpsdAVAwadFslnssa
Damit schließe ich die Aussprache.Es ist zwischen den Fraktionen verabredet, die Vor-age auf Drucksache 16/10720 an die in der Tagesord-ung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. – Damitind Sie einverstanden. Dann ist die Überweisung so be-chlossen.Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 buf:a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENDen Kampf gegen Antisemitismus verstärken,jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern– Drucksache 16/10775 –
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b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE
Den Kampf gegen Antisemitismus verstärken,
jüdisches Leben in Deutschland weiter fördern
– Drucksache 16/10776 –
Nach einer interfraktionellen Verabredung ist für die
Aussprache hier eine Stunde vorgesehen. – Dazu höre
ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Mit dem Datum des 9. November 1938verbinden wir in besonderer Weise das Gedenken an denbestialischen Versuch der Nazis, jüdisches Leben inDeutschland durch Gewalt und millionenfachen Mord zubeseitigen. Mit diesem einmalig frevelhaften Verbrechenhat sich Deutschland selbst einer seiner wesentlichenkulturellen Wurzeln beraubt; schließlich sind die jüdi-sche Religion und die jüdische Kultur ein fester Bestand-teil der deutschen Geschichte und der deutschen Gesell-schaft.Nach alldem grenzt es an ein Wunder, dass nach Jahr-zehnten jüdisches Leben in Deutschland wieder gedeihtund dass sich Juden in diesem Land wieder beheimatetfühlen. Mitten in unseren Städten haben sie wieder ihrenangestammten Platz erhalten. Gerade in einer Stadt wieMünchen, aus der ich komme, ist es ganz wichtig, dassin Rufweite des Alten Rathaussaales, nämlich am Ja-kobsplatz, die neue jüdische Synagoge errichtet wordenist. Ich freue mich, dass wir gemeinsam mit der Präsi-dentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Frau CharlotteKnobloch, dieses Tages gedenken – am 9. November,am kommenden Sonntag, abends, in München.Doch leider, meine verehrten Kolleginnen und Kolle-gen, ist Antisemitismus kein abgeschlossenes Kapitelder deutschen Geschichte. Selbst in Deutschland hältsich bei vielen Menschen nach wie vor die fatale Bereit-schaft, Verschwörungstheorien und Negativbilder zupflegen. Noch heute werden in bestimmten Kreisen mit– in Anführungsstrichen – „den Juden“ Misstrauen undVorbehalte verbunden. Das Bild der viel zu mächtigenGruppe der Juden, wie man dort sagt, dieser Mythos hältsich zählebig, und zwar leider in allen Teilen der Gesell-schaft.Was mit dummen Vorurteilen und unreflektierten Kli-scheebildern beginnt, endet leider nicht selten in üblenantisemitischen Drohbriefen und Hetzreden. Es ist be-dauerlich, dass auch heute noch in Deutschland sämtli-che jüdische Einrichtungen von der Polizei bewachtwerden müssen. Nach Auskunft der Bundesregierungbeläuft sich die Zahl der antisemitischen Straftaten indiesem Jahr auf circa 800.sPsWittmfAtIAlEtwDmnDtmDdseAbdkar
ir dürfen uns antisemitische Reflexe in unseren Redenn keiner Form zunutze machen. Wir müssen uns eindeu-ig erklären: für die Aufarbeitung latent vorhandener an-isemitischer Stimmung, für die Pflege jüdischer akade-ischer, kultureller und gesellschaftlicher Institutionen,ür eine angemessene Erinnerungskultur und ernsthaftenstrengungen zur Werte- und Wissensvermittlung.Dem dient unser Antrag, den wir seit Monaten frak-ionsübergreifend gemeinsam erarbeitet haben.
n der Tat handelt es sich hier um ein überparteilichesnliegen. Das ist nicht Sache einer Fraktion; dieses An-iegen sollten wir möglichst alle verfolgen.
s geht hier auch nicht um parteipolitische Prinzipienrei-erei. Genau das aber ist uns in den letzten Tagen vorge-orfen worden.
ie Frage ist, warum die CDU/CSU diesen Antrag ge-einsam mit der FDP, den Grünen und der SPD, abericht gemeinsam mit den Linken formuliert.
eshalb möchte ich einiges klarstellen; das ist mir wich-ig an dieser Stelle.Es ist unbestritten, dass ein verkappter Antisemitis-us geradezu zur Staatsräson der DDR gehört hat.
ieses Thema muss 18 Jahre nach dem Zusammenbrucher DDR nicht im Mittelpunkt der heutigen Diskussiontehen;
s muss an anderer Stelle aufgearbeitet werden. Es gibtntisemitismus in allen politischen Lagern, von rechtsis links;
as ist meine Kernaussage. Die Linke – nicht alle Lin-en, Herr Gysi, aber Teile – spielt allerdings bisweilenuf der Schalmei einer überzogenen Israel-Kritik. Da-auf wird einzugehen sein.
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Dr. Hans-Peter UhlEs ist inakzeptabel, wenn Bundestagsabgeordnete derLinken – Jelpke, Dağdelen, Hirsch – im Juli 2006 inBerlin zusammen mit radikalislamischen Hisbollah-An-hängern gegen Israel demonstrieren. Wir wissen, dassHisbollah-Anhänger das Volk der Juden, soweit sie sichin Israel aufhalten, ins Meer treiben wollen. Wer mit die-sen Menschen gemeinsam durch die Straßen zieht, kannkein Partner im Kampf gegen Antisemitismus sein.
In diese Reihe gehört auch die Behauptung, Israel be-treibe einen Vernichtungskrieg. Presseberichten zufolgesagte der Bundestagsabgeordnete Gehrcke im April die-ses Jahres unter Applaus seiner Anhänger, dem Bild deskleinen jüdischen Jungen im Warschauer Getto – wirkennen alle das Bild – entspreche heute das Bild von pa-lästinensischen Jungen vor anderen Gewehrläufen. Wersolche Bilder zusammenstellt und in solcher Weise anti-semitische Kreise in ihren Vorurteilen bedienen will, derspielt mit dem Feuer. Das ist nicht unsere Art des Um-gangs mit dem Thema.
Ich will Israel-Kritik nicht per se verbieten. JederMensch hat das Recht, das tagespolitische Handeln derisraelischen Regierung zu kritisieren. Aber es gibt eineIsrael-Kritik, die etwas anderes bezwecken will. Wirwollen keine Kritik, die in verhängnisvoller Weise an an-tiisraelische Klischees anknüpft.So hat der Abgeordnete Paech von den Linken in ei-nem Reisebericht aus Palästina Investitionshilfen derEuropäischen Union für das Westjordanland in folgenderWeise diffamiert:Sie– also diese Hilfen –dienten vor allem israelischem und internationalemKapital als Investitionsmöglichkeit zur Beschäfti-gung billiger palästinensischer Arbeitskräfte.Das ist nicht die Israel-Kritik, die wir zulassen dürfen.
Ich möchte mich mit der Linken aus folgendemGrund nicht weiter beschäftigen. Herr Gysi, ich habesehr aufmerksam Ihre Grundsatzrede vom April diesesJahres gelesen, die Sie vor der Rosa-Luxemburg-Stif-tung gehalten haben.
Sie haben mit Ihrer Feststellung recht, die Sie anlässlichdes 60. Jahrestages der Gründung Israels und des75. Jahrestages der Machtübernahme durch die Natio-nalsozialisten getroffen haben:Schon diese beiden Daten weisen auf die besonde-ren Beziehungen Deutschlands und somit auch aufdie besondere Haltung der deutschen Linken zumStaat Israel hin.Sie sprachen auch davon, dass die Linke die Haltung zuIsrael überdenken muss, und weiter sagten Sie:SSaanhWdscgmWdWwskdugNwabnzIHf
ie haben recht, diese Haltung ist keineswegs eindeutig.ie müssen das klären.Wenn Sie die Position der Linken zum Staate Israel,lso zu dem Staat, in dem die Juden leben, ehrlich undufrichtig geklärt haben, könnten Sie ein Partner für ei-en solchen Antrag sein. Solange Sie dies nicht getanaben, können Sie nicht unser Partner sein.
Lassen Sie mich zum Schluss kommen.
ir müssen den 9. November, den Schicksalstag der Ju-en in Deutschland, in einer würdigen, ehrlichen und an-tändigen Form begehen, indem wir den Juden verspre-hen: Antisemitismus wird es in diesem Land nicht mehreben. Die politische Klasse, egal welcher Coleur, willit dieser Ideologie nichts zu tun haben.
ir werden auf keinen Fall antisemitische Klischees be-ienen, um auf diese Weise den einen oder anderenähler zu uns herüberzuziehen. Mit solchen Wählernollen wir nichts zu tun haben. Hier halten wir alle zu-ammen. Es darf in Deutschland nie mehr dieses Gedan-engut geben.Danke schön.
Der Kollege Christian Ahrendt hat jetzt das Wort für
ie FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnennd Kollegen! Der 9. November 1938 jährt sich in weni-en Tagen zum 70. Mal. Es war eine der schrecklichstenächte, die Deutschland erlebt hat. Jüdische Geschäfteurden zerstört, Friedhöfe geschändet und Synagogenngezündet. In dieser Nacht verloren 400 jüdische Mit-ürger ihr Leben.Sich im Bewusstsein unserer Geschichte mit einemeuen Antisemitismus in Deutschland auseinanderzuset-en, gehört zu den wichtigsten Aufgaben dieses Hauses.ch glaube, es ist unbestritten, dass alle Mitglieder diesesauses eine Überzeugung eint – das kann ich zumindestür meine Fraktion sagen –: Antisemitismus, egal wel-
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Christian Ahrendtcher Ausprägung, darf in Deutschland keine Chancemehr haben.
Dennoch ist vor dem Hintergrund des Themas, mitdem wir uns hier befassen, die Diskussion über einen ge-meinsamen Antrag, die wir in den letzten Tagen erlebthaben, eher ein kleinliches Parteiengezänk. An dieserStelle darf ich Ihnen, Herr Dr. Uhl, sagen, dass Sie sichdiesem Thema insofern etwas kleinmütig genähert ha-ben, als Sie sich an dieser Stelle nur mit der Linken aus-einandergesetzt haben.
Der interfraktionelle Antrag, den wir heute beraten,hat eine doppelte Natur. Er erinnert an die Ereignisse vor70 Jahren, und hieran anknüpfend wird in dem Antrag be-schrieben, dass Antisemitismus trotz vielfältiger Fort-schritte noch immer ein ernstzunehmendes gesellschaft-liches Problem in Deutschland ist. Wir begegnenAntisemitismus bei Sportveranstaltungen. Jüdische Ein-richtungen in Deutschland müssen besonders gesichertwerden. Oftmals ist Polizeischutz vonnöten. Im Jahr2007 wurden laut Verfassungsschutzbericht 1 541 Straf-taten registriert, die antisemitisch motiviert waren.1 541 Straftaten sind 1 541 Einzelschicksale.Eines möchte ich Ihnen kurz schildern: Eine Klein-stadt in Deutschland, 3 000 Einwohner, Tatort ist einGymnasium. Die Täter sind drei Jugendliche im Altervon 15 und 16 Jahren. Das Opfer ist ebenso alt. Die Tatbesteht darin, dass man dem Mitschüler ein Schild um-hängt. Das, was auf dem Schild geschrieben steht, ist2006 geschrieben worden. Der Satz, der auf dem Schildzu lesen ist, stammt aus der Zeit vor 70 Jahren. Auf demSchild steht – ich zitiere diesen Satz –:Ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass michnur mit Juden ein.Deutschland 2006. Diese Entwicklung ist bedrohlichund muss uns zutiefst ängstigen.
Erschreckend ist aber auch, dass die antisemitischeEinstellung nicht nur bei den Ewiggestrigen vorkommtund nicht nur bei extremistischen Parteien anzutreffenist, sondern dass sie auch einen Resonanzboden in derMitte der Gesellschaft hat. Wir müssen uns in diesemZusammenhang die Frage stellen: Was müssen wir heuteunter Antisemitismus verstehen? Das Spektrum vonAntworten, die hier gegeben werden, ist recht vielfältig.Eine Erklärung gibt Professor Werner Bergmann vomZentrum für Antisemitismusforschung der TechnischenUniversität Berlin – ich zitiere –:Es handelt sich beim Antisemitismus … nicht bloßum Xenophobie oder um ein religiöses und sozialesVorurteil, das es gegenüber Juden auch gibt, son-dern um ein spezifisches Phänomen: eine antimo-derne Weltanschauung, die in der Existenz der Ju-den die Ursache sozialer, politischer, religiöser undwvmsbkmwWdgWseVdmAdKfgtbhsMf
ir dürfen uns auch nicht dem Irrglauben hingeben,ass die Mahnung an unsere jüngere Geschichte bereitsenug ist, um Antisemitismus erfolgreich zu bekämpfen.er so argumentiert und es beim ausschließlich histori-chen Bildungsansatz bewenden lassen möchte, machts sich am Ende zu einfach.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Ich bemühe mich, mich kurzzufassen.
Für ein Urteil gilt, dass es widerlegt werden kann. Für
orurteile gilt das nicht; sie können nicht widerlegt wer-
en. Im Sinne des eben vorgetragenen Zitates ist Antise-
itismus ein Vorurteil. Deswegen ist der Kampf gegen
ntisemitismus keine befristete Aufgabe, sondern eine
auernde Aufgabe. Lassen Sie uns gemeinsam in diesen
ampf gehen!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Kollegin Gabriele Fograscher hat jetzt das Wort
ür die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-en! Ich bedauere – das sage ich für die SPD-Bundes-agsfraktion –, dass es trotz vielfältiger Bemühungen, dieis zum Schluss angehalten haben, nicht gelungen ist,ier einen gemeinsamen Antrag aller fünf Fraktionen zu-tande zu bringen.
it den Äußerungen einiger Unionspolitiker in der öf-entlichen Diskussion, die einzig zum Ziel hatten, die
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Gabriele FograscherLinke mit fragwürdigen, historisch falschen Argumentenauszugrenzen – Herr Uhl, Sie haben das hier wiederholt –,
haben sie selbst ein unwürdiges Zeichen gesetzt. Dasmüssen Sie auch verantworten.
Zu Ihrer Erinnerung: Bei dem Antrag „ExistenzrechtIsraels ist deutsche Verpflichtung“ sind Sie über IhrenSchatten gesprungen und haben die Linksfraktion alsMitantragsteller akzeptiert. Ich zitiere in diesem Zusam-menhang Salomon Korn, den Vizepräsidenten des Zen-tralrats der Juden in Deutschland:Es wäre wichtig gewesen, an diesem besonderenDatum auch den Zeitzeugen gegenüber ein Zeichender Solidarität zu setzen.Es hätte Ihnen gut angestanden, diese Gelegenheitheute hier zu nutzen.
In wenigen Tagen jährt sich eines der schlimmstenKapitel der deutschen Geschichte zum 70. Mal: dieReichspogromnacht vom 9. auf den 10. November1938. In jener Nacht im November brannten jüdischeSynagogen in ganz Deutschland. Angehörige der SAund der SS zertrümmerten die Schaufenster jüdischerGeschäfte, demolierten die Wohnungen jüdischer Bürge-rinnen und Bürger und misshandelten ihre Bewohner.Mehr als 1 300 Menschen starben in jener Nacht. Mehrals 1 400 Synagogen und Gebetshäuser gingen inDeutschland und Österreich in Flammen auf, wurden be-schädigt oder ganz zerstört. Mehr als 30 000 männlicheJuden wurden in Konzentrationslager verschleppt. DieReichskristallnacht war der Höhepunkt eines staatlichenAntisemitismus, der mit der Machtübernahme der Natio-nalsozialisten 1933 begonnen hatte.Große Teile der Bevölkerung zeigten keinen zivilenWiderstand gegen die Verbrechen. Im Gegenteil: AuchNichtangehörige von SA und SS beteiligten sich aktiv anden Zerstörungen und Brandschatzungen oder sie sahenweg. Wenige – zu wenige – leisteten Widerstand, ver-steckten und schützten jüdische Mitbürgerinnen undMitbürger und riskierten damit ihr eigenes Leben.In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Ent-rechtungen, Enteignungen, Zwangsarisierungen. Judenwurden zur Auswanderung gezwungen. Es begann diesystematische Ermordung der Juden in den Konzentra-tionslagern. Diese Geschehnisse im Herbst 1938 warender Auftakt; jegliches Zeugnis jüdischen Lebens inDeutschland sollte vernichtet werden.Doch heute, 70 Jahre nach der Reichspogromnacht,gibt es zum Glück wieder jüdisches Leben in Deutsch-land. Seit 43 Jahren unterhält Deutschland freundschaft-liche und diplomatische Beziehungen mit dem StaatIsrael. Diese Geste Israels, 20 Jahre nach dem HolocaustawdrWhmsdstItmbtdtndFBuuauzrifwRPsdLkgtKvbbgennSgzz
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion und dieeutsche Sozialdemokratie begrüßen die kulturelle Be-eicherung durch das jüdische Leben in Deutschland.ir wollen und müssen Lehren aus der Geschichte zie-en. Antisemitismus ist auch heute noch ein ernstzuneh-endes Problem in Deutschland. Noch heute müssenämtliche jüdische Einrichtungen in Deutschland beson-ers gesichert werden. Im Jahr 2007 wurden 1 541 anti-emitische Straftaten registriert, darunter 59 Gewaltta-en, die sich gegen Jüdinnen und Juden gerichtet haben.Antisemitismus ist Bestandteil der rechtsextremendeologie. Nicht nur die Wahlerfolge rechtsextremer Par-eien und die seit Jahren hohe Zahl rechtsextremistischotivierter Straftaten, sondern auch die durch Studienelegte rechtsextremistische Einstellung in allen Schich-en der Bevölkerung erfordern unser entschiedenes Han-eln. Die große Mehrheit der Deutschen lehnt Antisemi-ismus entschieden ab. Aber es gibt eben auch eineennenswerte konstante Minderheit, die antisemitischenkt. 8,4 Prozent haben – so die in diesem Jahr von derriedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte Studie „Einlick in die Mitte“ – Vorurteile gegen Mitbürgerinnennd Mitbürger jüdischen Glaubens.Politik allein kann das Problem des Antisemitismusnd des Antizionismus nicht lösen. Politik kann und mussber Impulse geben, um die Zivilgesellschaft zu stärkennd alle demokratischen Akteure und Kräfte zu unterstüt-en. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-ung deshalb auf, ein Expertengremium einzusetzen, dasn regelmäßigen Abständen einen Antisemitismusberichtür Deutschland erstellen und Empfehlungen zur Ent-icklung und Weiterentwicklung von Programmen gegenechtsextremismus und Antisemitismus geben soll.Neben der Förderung des weiteren Aufbaus und derflege jüdischer akademischer, kultureller und gesell-chaftlicher Institutionen möchten wir dafür werben,ass jüdisches Leben und die jüdische Geschichte in dieehrpläne an Schulen aufgenommen und unsere demo-ratischen Werte, die Menschenrechte sowie die reli-iöse und kulturelle Vielfalt aktiv im Unterricht vermit-elt werden. Nur so können wir es erreichen, dass unsereinder und Jugendlichen tolerante, selbstbewusste undorurteilsfreie Erwachsene werden, die diese Werte le-en und an die folgenden Generationen weitergeben.Die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismuseinhalten und fördern auch Projekte und Initiativen ge-en Antisemitismus. Viele dieser Projekte arbeiten sehrrfolgreich, können aufgrund des Modellcharakters abericht langfristig fortgesetzt werden und somit nichtachhaltig wirken. Das vorwiegende Anliegen von unsozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist, Lösun-en zu finden, diese erfolgreichen Projekte nicht nureitlich befristet zu fördern, sondern nachhaltig finan-iell abzusichern.
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Gabriele Fograscher
Ich möchte schließen mit einem Zitat aus einer Rede,die Johannes Rau im Jahr 2000 vor der Knesset gehaltenhat:Deutschland will ein offenes, liberales und gast-freundliches Land sein, in dem Menschen unter-schiedlicher Religionen und Kulturen ihren Platzhaben und zusammenleben können. Das setzt dieBereitschaft zur guten Nachbarschaft voraus, diesich im Alltag bewähren muss. Das heißt, nicht dasTrennende, sondern das Verbindende zu suchen.Bei allen kulturellen und religiösen Unterschiedensollten wir die gemeinsamen Werte suchen undpflegen.Dem ist nichts hinzuzufügen.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Petra Pau hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Mein erster Gedanke gilt den Millionen Jüdinnenund Juden, die in der NS-Zeit gedemütigt, vertrieben undermordet wurden. Mein zweiter Gedanke gilt den Jüdin-nen und Juden, die trotz alledem heute wieder mit uns le-ben. Der Schmerz und der Dank gehören zusammen,ebenso die Sorge, dass sich nie wiederholen möge, wasschon einmal geschehen ist.Vor 70 Jahren, am 9. November 1938, ging das NS-Regime zum offenen Angriff auf Jüdinnen und Judenüber. Die sogenannte Pogromnacht war die General-probe für den Holocaust. Allzu viele sahen zu. EineLehre aus dieser furchtbaren Geschichte war: Das NS-Regime kam nicht an die Macht, weil die NSDAP sostark war. Es kam an die Macht, weil die Demokraten inzentralen Fragen zerstritten und deshalb zu schwach wa-ren. Ich wünschte, alle hätten diese Lektion gelernt.
Ich möchte an vier Ereignisse jüngeren Datums er-innern. Vor reichlich einem Jahr wurde in Berlin eine jü-dische Schule mit antisemitischen Parolen beschmiert.Auf das Spielzeug des dazugehörenden jüdischen Kin-dergartens wurden SS-Runen geschmiert.Die Fußballer des jüdischen Vereins TuS Makkabibrachen ein Spiel ab. Sie wurden fortwährend antisemi-tisch beschimpft und mit Sprechchören wie „Hier regiertdie NPD und nicht der DFB“ bedroht.2saFsgdFwmhIMüsgmBCtüdnsndmtkltafswdspdhFz
Wie aber kommt es, dass die Union im Mai ein ge-einsames Vorhaben beklatscht und dasselbe im Sep-ember vehement bekämpft? Ich habe dafür nur eine Er-lärung. Die neue Wahlstrategie der Union für 2009autet kurz gefasst: Die Linke prügeln, um die SPD zureffen. Dass man dafür sogar ein mögliches Miteinanderller Bundestagsfraktionen gegen Antisemitismus undür jüdisches Leben opfert, das wiederum finde ich ge-chichtsvergessen, kurzsichtig und würdelos.
Dasselbe trifft auf die meisten bemühten Unionsvor-ürfe gegen die Linksfraktion zu. Erst wurde suggeriert,ie DDR sei mit den Juden genauso umgegangen wieeinerzeit das NS-Regime. Schließlich wurde die Linkeauschal als antisemitisch diffamiert. Beides ist infam.
Wieder und wieder wurde ich von Journalisten be-rängt, ich möge nun doch endlich mit gleicher Elleeimzahlen. Ich habe das nicht getan und auch meineraktion nicht. Ich wollte das kleinkarierte Parteienge-änk nicht noch selbst vergrößern. Mein Rat ist älter. Ich
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Petra Pauempfehle insbesondere den vermeintlich christlichenParteien Johannes 8: Wer von euch ohne Sünde ist,werfe als Erster einen Stein.Es gibt ohnehin bessere Beispiele. In Delmenhorstfand sich parteiübergreifend ein sehr breites gesell-schaftliches Bündnis, um zu verhindern, dass Neonazisdort ein bundesweites Schulungszentrum errichten. Die-ses Bündnis hatte Erfolg. Im Land Brandenburg ver-hinderte ein ebenso breites Bündnis mit einem „Fest derDemokratie“, dass rechtsextreme Kameraden auf demSoldatenfriedhof Halbe ein Heldengedenken für dieWehrmacht inszenieren konnten. Erst vor wenigen Wo-chen hat die CSU im bayerischen Memmingen gemein-sam mit der Linkspartei und vielen anderen gegen einenAufmarsch der NPD demonstriert; ich war dabei. Alle,die solche Zivilcourage zeigen, haben einen Anspruchdarauf, dass der Bundestag sie in ihrem täglichen Kampfgegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitis-mus unterstützt und keine egoistischen Signale dagegen-setzt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Linke hat denAntrag der anderen Fraktionen übernommen. Wir stellenihn als eigenen Antrag wortgleich zur Abstimmung. Ichappelliere an uns alle: Gehen wir souverän damit um!Die Linke tut dies, wohl wissend, dass der aktuelle An-trag, was seine konkreten Vorhaben angeht, schwächerist als der Entwurf, den der überfraktionelle Arbeitskreisim Konsens unterbreitet hatte, und wohl wissend, dassdie eigenen Vorschläge der Linksfraktion weitgehendersind, als es der Kompromiss des Arbeitskreises war.Aber die aktuelle Alternative heißt: Entweder schwächtder Bundestag die gesellschaftlichen Bündnisse, oderwir kehren gemeinsam zur Vernunft zurück. Ich plädierefür Vernunft. Alles andere wäre fatal.
Renate Künast hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! AlleFraktionen des Deutschen Bundestages verpflichten sichheute gemeinsam, jüdisches Leben in Deutschland zufördern, den Kampf gegen den Antisemitismus zu ver-stärken und für konkrete Projekte Geld in die Hand zunehmen. Ich bin froh darüber, dass wir im Vergleich zudem Antrag, der noch bis vor kurzem vorgelegen hat,zwei Verbesserungen erzielt haben; hier bin ich andererAnsicht als Frau Pau.dddnndajaIPMDIdevjfgLdhmshsibmhnsuLshjmjmd
Ich will an dieser Stelle all denen danken, um die esabei auch geht. Denn wir gedenken nicht nur, sonderns muss hier und heute auch um all diejenigen gehen, dieor Ort in den Projekten arbeiten. Beispiele sind das Pro-ekt Exit, dessen finanzielle Förderung leider ausgelau-en ist, und die weiteren Anlaufstellen für NPD-Ausstei-er. Außerdem werden in vielen Städten quer durch dasand Jugendprojekte durchgeführt. Diejenigen, die sichort engagieren, sind zum Teil selbst Druck und Bedro-ungen ausgesetzt. All diesen Menschen sollten wir ge-einsam danken, egal welcher Fraktion wir angehören.
Ich glaube, wir im Deutschen Bundestag haben buch-täblich in letzter Minute eine sehr große Blamage ver-indert. Früher, als ich Jugendliche und junge Erwach-ene war, hatte ich manchmal einen Kloß im Hals, wennch an die Art dachte, wie wir in der alten Bundesrepu-lik mit der NS-Zeit umgegangen sind; da lag nämlichanches im Argen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Als icheute die Rede von Herrn Uhl hörte, hatte ich wieder ei-en Kloß im Hals, und er ist noch nicht weg.Ich muss jetzt sagen: Trotz alledem, trotz seiner Rede,timmen wir diesem Antrag zu.
Das war unglaublich selbstgerecht, Herr Uhl.Ich glaube, die Jüdinnen und Juden in Deutschlandnd alle Demokratinnen und Demokraten in diesemand dürfen erwarten, dass wir uns in dieser Frage einigind, dass wir tatsächlich nach vorne gehen und dass wireute und hier das Signal senden: Jeder Antisemit undede Antisemitin soll wissen, dass sie außerhalb des de-okratischen Spektrums stehen. Jeder Antisemit undede Antisemitin in diesem Land soll wissen, dass sie da-it außerhalb des Spektrums aller im Deutschen Bun-estag vertretenen Parteien stehen.
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Renate Künast
Das ist das notwendige Signal und Zeichen.Wir alle wissen – das ist hier schon gesagt worden –,dass Antisemitismus nicht auf den politischen Extremis-mus beschränkt ist. Er ist auch kein Unterschichtenpro-blem, sondern er ist quer durch die verschiedenenSchichten dieses Landes vertreten. Es gibt täglich An-griffe auf jüdische Einrichtungen. Gerade am Wochen-ende hat es in Berlin einen Angriff auf einen jüdischenRabbiner und seine Schülerinnen und Schüler gegeben.Die Menschen erleben diese Angst also heute hier. Wiralle zusammen müssen sagen: Wir stehen mit euch zu-sammen und kämpfen für dieses „Nie wieder“.
Wir dürfen das auch nicht kleinreden. Wir wissen,dass es innerhalb des Rechtsextremismus Leute gibt, dieseit vielen Jahren versuchen, in diesem Land, wie sie esnennen, national befreite Zonen zu organisieren, sodasses Bereiche gibt, in denen junge Menschen gar kein Ju-gendzentrum mehr finden, in dem nicht alle anderen an-tisemitisch und rechtsextrem sind. Wie sollen denn diesezehn-, elf- und zwölfjährigen Kinder – gerade die Jun-gen, die aus dem Elternhaus herausgehen und eine Be-zugsgruppe suchen, an der sie teilhaben und sich orien-tieren können – eigentlich als kleine Demokratenaufwachsen können, wenn wir nicht alle gemeinsam andieser Stelle stehen und „Nie wieder“ und „Gegen denAntisemitismus“ sagen?Gerade weil Herr Uhl von seinen elf Minuten Rede-zeit, ich glaube, fast zehn Minuten für die Auseinander-setzung mit der Partei Die Linke verwendet hat, mussich sagen: Lassen Sie uns an dieser Stelle keine Lebens-lügen aufbauen. Deshalb sage ich klar: Es gab eine lü-ckenhafte Aufarbeitung. Das war ja auch das Desasterdieser Länder. Es gab personelle und ideologische Kon-tinuitäten nach dem Ende des Dritten Reichs. Die gab esaber überall. Es gab sie in der DDR, und es gab sie in derfrühen Bundesrepublik. Wer hier spricht und andere kri-tisiert, dabei aber nur das eine benennt, ohne auch dasandere zu benennen, Herr Uhl, ist nicht glaubwürdig.
Die DDR hat Israel nie anerkannt. Sie hat alte NS-Vertreter und Soldaten weiterbeschäftigt und so getan,als sei nichts. Ich bin in der frühen Bundesrepublik großgeworden und weiß, dass es einen Globke gab, dass esherbe Auseinandersetzungen über Filbinger gab, dass eslange dauerte, bis klar war, dass die, die nach der KZ-Zeit im Nationalsozialismus im Westen irgendeiner wil-den K-Gruppe angehörten, keine Opferentschädigungerhielten, und dass kein einziger NS-Jurist letztinstanz-lich rechtskräftig verurteilt wurde. Das alles liegt mir aufder Seele und war mir sowieso wie ein Kloß im Hals.Durch Herrn Uhls Rede ist er noch größer geworden.Lgd–BbsauIwwWumCLSwadtIFdMbnnnGrwEEnIeCmGKhC
Ich muss noch jemanden aus der CSU nennen. Dennamals hat sich die CSU geweigert, daran teilzunehmen.ax Streibl hat es als bloße Schaufensterveranstaltungezeichnet, an der die CSU nicht teilnehme – und dasach Hoyerswerda, Hünxe und Lichtenhagen. Er isticht hingegangen. Enoch zu Guttenberg, der Vater deseuen CSU-Generalsekretärs zu Guttenberg, hat einenroßonkel – er ist also der Urgroßonkel des CSU-Gene-alsekretärs – namens Karl Ludwig zu Guttenberg. Erar Widerstandskämpfer in dem Kreis um Stauffenberg.noch zu Guttenberg war damals über Streibl entsetzt.r hat mit ihm diskutiert, und weil Streibl sich immeroch weigerte, hat er seinen Austritt aus der CSU erklärt.ch finde, er ist ein mutiger Mann, weil er die Sache überine Partei stellte, der er nahestand.Ich finde es gut, dass uns die Geschäftsordnung diehance gibt, das Ganze zu retten, und dass wir heute ge-einsam über die Anträge abstimmen. Es geht um dasedenken an die NS-Opfer und den gemeinsamenampf gegen Antisemitismus. Wir werden das Themaier wieder diskutieren.
Kristina Köhler ist die nächste Rednerin für die CDU/SU-Fraktion.
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! In wenigen Ta-gen jähren sich zum 70. Mal die Novemberpogrome desJahres 1938. In der Nacht vom 9. zum 10. Novemberwurden über 1 000 jüdische Synagogen in ganz Deutsch-land beschädigt oder in Brand gesetzt. Unzählige jüdi-sche Geschäfte und Wohnungen wurden zerstört. Hun-derte Menschen verloren ihr Leben. 30 000 Judenwurden am nächsten Tag, dem 10. November, in Kon-zentrationslager verschleppt.Zuvor waren an menschenfeindlichem Zynismusnicht mehr zu überbietende Fernschreiben, gezeichnetvom damaligen SS-Führer Heydrich, bei Stellen derStaatspolizei eingegangen. In diesen hieß es zum Bei-spiel – ich zitiere –:Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden,die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Ei-
Diese Nacht des organisierten Terrors war nicht derAusgangspunkt des Holocaust. Seine Wurzeln liegenviel früher und tiefer. Diese Nacht lieferte jedoch für alleim In- und Ausland den sichtbaren Beweis, dass die Na-tionalsozialisten mit dem von Goebbels ausgerufenenZiel eines sogenannten judenfreien Reiches ernst ma-chen wollten – zumindest für alle, die das Sichtbare auchsehen wollten.In dieser Nacht wurden die jüdischen Bürger unseresLandes zum Objekt degradiert. Der Historiker HansMommsen schrieb dazu – ich zitiere –:Zweifellos trugen die Ereignisse des Pogroms undseine Folgen entscheidend zu der „Entpersönli-chung“ der jüdischen Mitbürger bei, die eine wich-tige psychologische Voraussetzung des Genozidswar.Der Einzelne mag mit diesen damals organisiertenAusschreitungen noch nicht verbunden haben, was spä-ter in den Todesfabriken von Treblinka oder Auschwitzpassierte, wie es der leider viel zu früh verstorbene ehe-malige Präsident des Zentralrates der Juden, PaulSpiegel, formulierte. Er sagte aber:Doch war nicht alles, was bis Mitte November 1938geschehen war, schon schrecklich und menschen-verachtend genug?Das war es. Dies zu wissen, verpflichtet uns alle, auf An-tisemitismus und Menschenverachtung nicht mit Er-schrecken oder Schweigen zu reagieren, sondern aufzu-stehen und zu sagen: „Nie wieder! Erst recht nicht inDeutschland!“
Die Bekämpfung des Antisemitismus muss für uns allein diesem Haus auch im Jahr 2008 eine besondere Auf-gabe sein.hlnstAcüdv1g5dLrGwiesndnsmFvnHSwüwAirbAhLnPzdawmMB
Zum Thema Linke und zum Thema antisemitischerntizionismus nur ein einziger Satz: Der Kollege Uhlat Ihnen Zitate von hochrangigen Funktionsträgern derinken vorgetragen. Das Schlimme ist nicht in erster Li-ie, dass es solche Äußerungen gibt. Dagegen ist keineartei gefeit. Das Schlimme ist vielmehr, dass kein Ein-iger dieser Abgeordneten oder Funktionsträger füriese Äußerungen seinen Hut nehmen musste. Das sagtlles.
Der Deutsche Bundestag wird heute seiner Verant-ortung gerecht. Wir werden niemals mehr verstum-en, und wir werden niemals mehr schweigen, wennenschenverachtung oder Judenhass versuchen, sichahn zu brechen. Für mich als relativ junge Abgeord-
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Kristina Köhler
nete ist dabei der Auftrag maßgebend, den unser damali-ger Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seinerRede vom 8. Mai 1985 formuliert hat:Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, wasdamals geschah. Aber sie sind dafür verantwortlich,was in der Geschichte daraus wird.
Ich erteile das Wort dem Kollegen Markus Löning,
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Es ist
unsere Verantwortung als Abgeordnete des Deutschen
Bundestages, die Freiheit unserer Gesellschaft und unse-
rer Gesellschaftsordnung zu verteidigen. Es ist unsere
Verantwortung als frei gewählte Abgeordnete des deut-
schen Volkes, uns für die Werte unserer Verfassung ein-
zusetzen und für die Werte unserer Verfassung zu kämp-
fen. Das ist eine Verpflichtung, die uns die Geschichte
lehrt. Die Weimarer Republik ist daran gescheitert, dass
die Mitte der Gesellschaft nicht bereit war, sich für die
Werte und die Freiheit der Gesellschaft einzusetzen.
Daraus müssen wir die Lehre ziehen.
Es ist daher unsere Verantwortung als Abgeordnete,
die Feinde der Freiheit und Angriffe auf die Freiheit ab-
zuwehren. Antisemitismus in all seinen Facetten ist ein
schwerwiegender Angriff auf die Freiheit von Menschen
in unserem Land, auf die Freiheit einer Minderheit und
damit ein Angriff auf die Freiheit unserer Gesellschaft,
ein Angriff auf unser aller Freiheit.
Der Gradmesser für die Freiheit einer Gesellschaft ist
immer die Freiheit von Minderheiten. Wie frei und wie
sicher fühlt man sich in Deutschland, wenn man eine
Kippa oder als Schmuckstück einen kleinen silbernen
Davidstern trägt? Es wurden heute schon verschiedene
Beispiele genannt. Frau Künast, Sie haben die Angriffe,
die gerade in dieser Woche in Berlin stattgefunden ha-
ben, angesprochen. Wie sicher und wie frei fühlt man
sich, wenn man sich erkennbar als Jude in unserer Ge-
sellschaft bewegt? Da müssen wir ansetzen, meine Da-
men und Herren.
Die Versuche, im Kampf gegen Antisemitismus etwas
zu erreichen, wirken oft hilflos. Wir haben über ver-
schiedene Maßnahmen diskutiert, die wir als Abgeord-
nete ergreifen können: die Einrichtung einer Enquete-
Kommission, die Einsetzung eines Beauftragten für den
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enn wir wissen: Der Antisemitismus kommt wie derieb in der Nacht, und wenn er da ist, dann greift er vonnnen an. Wir haben in der Weimarer Republik erlebt,ohin das führt. Es führt zum Mord an der Demokratie,nd es führt dazu, dass Menschen ausgerottet werden.as ist es, was Antisemitismus für uns Deutsche bedeu-et. Deswegen darf es für uns nicht darum gehen, zu ver-armlosen, zu beschönigen, gar davonzulaufen
der mit dem Finger auf andere zu zeigen; denn immerenn man mit einem Finger auf andere zeigt, weisenrei Finger auf einen selbst zurück.
Der 9. November 1938, als die vielen Synagogen – esaren wohl 1 500 an der Zahl – in Flammen aufgegan-
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19778 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 185. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 4. November 2008
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Gert Weisskirchen
gen sind und viele Hunderte von Juden erschlagen, er-mordet worden sind, war der Vorschein dessen, was sichim Holocaust zeigte: die industrielle Ermordung vonMenschen. Ihnen wurde das Recht genommen, Rechtezu haben, wie Hannah Arendt es ausgedrückt hat. Daswar der Vorschein dessen, was damals am 9. Novemberin vielen Städten Deutschlands geschah.Dieser Vorschein hat dazu geführt, dass bis zum Endealler Zeit, dass bis an das Ende aller Tage der Name Ho-locaust in den Namen Deutschlands eingebrannt bleibt,ich wiederhole: eingebrannt bleibt. Weil das so ist, müs-sen wir – ich bin der Frau Bundeskanzlerin dafür dank-bar, dass sie das vor der Knesset so gesagt hat – anerken-nen, dass die unverbrüchliche Zustimmung zumExistenzrecht Israels unsere eigene Staatsräson ist.
Das ist ein Satz, der in die Geschichte gemeißelt ist undder für uns Aufruf bleibt, auch für immer und für alleZeit.Was bedeutet das heute, wenn wir uns anschauen,dass Jüdinnen und Juden zurückkehren nach Deutsch-land, hierher kommen, in ein Land, lieber KollegeKauder, aus dem sie fliehen mussten, aus dem sie ver-trieben wurden von Deutschen, die gemordet haben?Wenn sie heute zurückkommen: Was bedeutet das fürunser eigenes Selbstverständnis? Ich finde, liebe FrauGoodman-Thau – Sie sind aus Israel hierher gekommenund hören dieser Debatte zu –, das ist ein ermutigendesZeichen für uns. Warum sind Jüdinnen und Juden nachDeutschland zurückgekommen? Weil sie hier versuchen,gemeinsam mit Deutschen an einem kollektiven Ge-dächtnis zu arbeiten, nämlich an einem Gedächtnis, dasimmer getrennt bleiben wird – das ist der Schmerz, deruns von Nazideutschland überlassen bleibt – zwischenTätern und Opfern. Nur das Partikulare der Opfer wirduns und allen, die nach uns kommen, als Stachel und alsPfeiler der Erinnerung in unserem eigenen politischenHandeln bleiben.Dieser Pfeiler, dieser Stachel des kollektiven Ge-dächtnisses wird uns aber auch das Fundament einerBrücke in eine andere Zukunft sein, in eine Zukunft, inder Jüdinnen und Juden erneut bei uns leben können undversuchen, den Teil ihres historischen Gedächtnisses, dervon den Tätern immer getrennt bleiben wird, weil sieOpfer waren, zu bewahren. Er wird ihnen aber eineChance geben, eine gemeinsame neue Brücke in die Zu-kunft zu bauen.Ich verweise zum Beispiel auf Hermann Cohen, eindeutscher Jude aus Marburg, demokratischer Sozialist.Er war einer derjenigen, die mitgeholfen haben – wieRudolf Hilferding; man braucht nur das Buch DasFinanzkapital zu lesen –, die Konflikte jener Zeit zu er-kennen, zu bearbeiten und neue Wege zu gehen. Ichmuss sagen: Ich bin stolz darauf, dass jemand wieRudolf Hilferding Mitglied unserer sozialdemokrati-schen Fraktion war. Er hat uns deutlich gemacht, dass esilewfDmdgijidmelnwDvilfüCwdFoisDds„sfG1)
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zur Abstimmung. Es ist vereinbart, dassber die gleichlautenden Anträge der Fraktionen vonDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen so-ie der Fraktion Die Linke gemeinsam abgestimmt wer-en soll.Dazu liegt mir eine Erklärung von elf Mitgliedern derraktion Die Linke nach § 31 Abs. 2 unserer Geschäfts-rdnung vor,
n der sie erklären und erläutern, dass und warum sieich an dieser Abstimmung nicht beteiligen.
ie Erklärung fügen wir, wie immer in solchen Fällen,em Protokoll bei.1)Wir stimmen jetzt ab über die Anträge auf den Druck-achen 16/10775 und 16/10776 mit dem TitelDen Kampf gegen Antisemitismus verstärken, jüdi-ches Leben in Deutschland weiter fördern“. Wer stimmtür diese Anträge? – Stimmt jemand dagegen? – Eineegenstimme. Gibt es Enthaltungen? – Dann ist das mitAnlage 2
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Präsident Dr. Norbert Lammertüberwältigender Mehrheit des Deutschen Bundestagesso beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:Vereinbarte DebatteWachstum stärken – Beschäftigung sichern –Finanzmarktkrise überwindenNach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dieAussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinenWiderspruch. Dann ist das so vereinbart.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächstder Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,Michael Glos.
– Vielleicht warten wir noch einen Augenblick, bis derneue Tagesordnungspunkt die notwendige Aufmerksam-keit findet.Michael Glos, Bundesminister für Wirtschaft undTechnologie:Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Für unsere Wirtschaft müssen wir jetzt auf zwei Feldernentschlossen handeln. Zum Ersten müssen wir wiederVertrauen schaffen – das ist ungeheuer wichtig –, undzum Zweiten müssen wir das Wachstum stärken. An denFinanzmärkten ist in den letzten Wochen, wie wir wis-sen, sehr viel Vertrauen zerstört worden. Vertrauen isteine kostbare Pflanze, die sehr leicht vernichtet werdenkann, aber nur ganz schwer wieder nachwächst. Deswe-gen dürfen wir nicht abwarten, bis sich in der Wirtschaftalles zum Schlechteren wendet, sondern müssen Maß-nahmen ergreifen, die einen Abschwung abwenden.Die Wirtschaft kann weder ohne das nötige Vertrauennoch ohne die nötigen Finanzmittel arbeiten. Insofernbegrüße ich, dass sich jetzt immer mehr Banken bereiterklären, das anzunehmen, was wir als Bund insgesamtanbieten. Wir möchten nämlich, dass die Banken ihr Ei-genkapital so stärken, dass sie der Wirtschaft – darumgeht es uns – wieder Kreditmittel gewähren können.
Nur so können wir verhindern, dass die Finanzkrise zueiner Krise der realen Wirtschaft wird.Ich habe bei mir im Hause zusätzlich ein Sorgentele-fon für den Mittelstand eingerichtet.
– Uns werden sehr viele Sorgen mitgeteilt. Wir hörenden Menschen auch zu – offensichtlich im Gegensatz zuIhnen. Der Mittelstand hat auch noch Vertrauen in un-sere Handlungsfähigkeit. Wir wollten vor allen Dingenwissen, wie es mit der Kreditversorgung aussieht. Dahören wir erste Klagen. Wenn die Banken also nur ihreBilanzen konsolidierten oder möglicherweise sogar ihrKreditvolumen verkleinerten, um zu erreichen, dass dieKWwzcdnwntaBzgBWadWÖzhvdSndgu5gsmmfiBfvtagDt
ir brauchen hier offensichtlich noch mehr Wettbewerb,ls wir ohnedies haben;
enn der Wettbewerb löst die Probleme am allerbesten.enn dieser durch die Koppelung des Gaspreises an denlpreis nicht ohne Weiteres möglich ist, dann könntenumindest die Abschlagszahlungen gesenkt werden. Ichabe den Eindruck, hier steckt ein Kaufkraftvolumenon circa 15 Milliarden Euro,
as ansonsten im wahrsten Sinne des Wortes durch denchornstein geht.
Aber zurück zu dem Paket, das wir morgen im Kabi-ett verabschieden wollen. Uns geht es dabei insbeson-ere darum, das Wachstum zu stärken und die Beschäfti-ung zu sichern. Das Paket fördert in den Jahren 2009nd 2010 Investitionen in Höhe von insgesamt circa0 Milliarden Euro. Zum einen werden langfristige Pro-ramme und Investitionsprojekte verstärkt, zum Bei-piel der Ausbau der Infrastruktur. Das sind Maßnah-en, die nötig sind und jetzt vorgezogen werdenüssen. Zum anderen wird die Energieeinsparung ge-ördert. Wir geben befristet Impulse für diejenigen, dien der Lage sind, jetzt zu investieren. Ich nenne nur eineispiel für einen solchen Impuls: die auf zwei Jahre be-ristete Wiedereinführung der 30-prozentigen degressi-en Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter.Genauso wichtig ist es, dem Handwerk zu mehr Auf-rägen zu verhelfen. Das tun wir, indem wir Schwarz-rbeit bekämpfen und den Handwerkerbonus, der un-efähr 600 Euro beträgt, auf 1 200 Euro erhöhen.
amit werden nötige Renovierungs- und Wartungsarbei-en sowie Energiesparinvestitionen angestoßen.
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Bundesminister Michael GlosVor allen Dingen darf es keine Kreditklemme für denMittelstand geben. Wir müssen den Mittelstand weitermit Kapital versorgen können. Hier kann der Staat nurflankierende Hilfe leisten. Wir werden das tun, indemwir die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu einem Kredit-programm in Höhe von 15 Milliarden Euro veranlas-sen.Die Haushaltsbelastungen für dieses Programm lie-gen also weit unter dem Umfang der angestoßenen In-vestitionen. Es ist wichtig, zu sehen, wie viel mehr wirmit dem, was an Haushaltsmitteln fließt, in Bewegungsetzen können.Trotz der Krise müssen wir, wie ich meine, auch dieAngebotsseite verstärken, um so langfristige Wachstums-aussichten für unsere Volkswirtschaft zu ermöglichen.Das steht nicht im Widerspruch zu konkreten Maßnah-men.Ich will ein Beispiel herausgreifen, das sehr umstrit-ten ist, auch in der eigenen Fraktion. Wir haben jetzt dasProblem, dass die Automobilproduktion stoppt. VieleBänder wurden angehalten, viele Fabriken pausieren.Der Druck wird hauptsächlich auf die Zulieferer abgege-ben, insbesondere auf die kleinen Zulieferer, die mit die-ser Krise schwerer fertig werden. Ich kann nur an dieAutomobilfirmen appellieren, dass sie mit ihren Zuliefe-rern pfleglich umgehen. All diese wird man wieder brau-chen.
Wir wollen deswegen per Kabinettsbeschluss dieKfz-Steuer für Neuwagen – das ist eine Art symboli-scher Akt, der zeigt, wie wichtig für uns die Automobil-industrie ist, von der jeder sechste Arbeitsplatz inDeutschland abhängt – für ein Jahr aussetzen, weil jedesneu gekaufte Auto weniger Schadstoff ausstößt als diealten Stinker, die auf unseren Straßen relativ stark ver-breitet sind. Für diejenigen Autos, die jetzt schon vor-bildlicherweise die Euro-5- und die Euro-6-Norm erfül-len, wollen wir die Kfz-Steuer für zwei Jahre aussetzen.All dies sind Beispiele, die zeigen, dass wir raschhandeln, um das Vertrauen der Märkte zu stärken. OhneVertrauen in die Zukunft lässt sich nämlich keine Sta-bilisierung erreichen. Es kann alles nur funktionieren,wenn auch weiterhin, sowohl von den Verbrauchern alsauch von den Investoren, an die Leistungsfähigkeit unse-rer Wirtschaft geglaubt wird.Wir haben in der Großen Koalition sehr viel erreicht.Die Arbeitslosenzahl im Oktober lag zum ersten Mal seitvielen Jahren wieder unter 3 Millionen. Wir haben beider Sanierung der öffentlichen Haushalte Fortschritte er-zielt. Deswegen ist der Staat handlungsfähig, und wirkonnten gezielt Abgaben und Steuern senken. Auf die-sem Weg müssen wir weitergehen. Die erfolgreicheHaushaltssanierung, die wir in der nächsten Legislatur-periode fortsetzen müssen, eröffnet Spielräume.Wir müssen aber als Welthandelsnation Nummer einsauch aufpassen. Wir wissen, dass wir auf vielen Export-mfWsgMrsmgdSsEirddrTvWftcwauDrsusfhB
Wir möchten aber nicht, dass international eine Artubventionswettlauf entsteht. Deswegen müssen wirchauen, dass die Regeln der WTO eingehalten werden.s geht nicht an, dass einzelne Staaten, wie angekündigt,hre Automobilindustrie überdimensional subventionie-en. Auch hier müssen die Spielregen eingehalten wer-en. Das Allerfalscheste wäre, wenn man in dieser Kriseen freien Welthandel gefährden würde. Es ist deswegenichtig, dass sich die Bundeskanzlerin auf dem G-20-reffen dafür einsetzt – das hat sie heute noch einmalor unserer Fraktion erklärt –, dass die Doha-Runde derTO weitergeht; denn Protektionismus wäre die aller-alscheste Antwort, die wir auf diese Krise geben könn-en.
Meine werten Kolleginnen und Kollegen, wir brau-hen die richtige Mischung aus Marktwirtschaft, Wettbe-erb und natürlich sozialer Absicherung. Wir brauchenber auch weiterhin die private Risikobereitschaft.Ich möchte einen letzten Punkt erwähnen. Der Kampfm Investitionskapital ist jetzt überall ausgebrochen.eswegen meine ich, dass wir die Erbschaftsteuer soegeln müssen, dass die Betriebsübergänge im Mittel-tand und in der gewerblichen Wirtschaft in einer Artnd Weise erfolgen können, dass den Firmen nicht zu-ätzlich Kapital entzogen wird, das dann anderweitigehlt.
Der Staat kann immer nur flankierend tätig sein undelfen. Handeln müssen die Menschen selber.Danke schön.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Rainerrüderle das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DieBundesregierung hat allen Grund, sich Sorgen um dasWirtschaftswachstum in Deutschland zu machen. DieEuropäische Kommission prognostiziert Stagnation. DasLand befindet sich am Rande der Rezession. Im Herbst-gutachten wird eine Spannbreite von plus 0,2 bis minus0,8 Prozent Wachstum angegeben. Die Finanzkrise hatdie Realwirtschaft erreicht. Das Geschäftsklima ist inden letzten fünf Monaten permanent gesunken. Die Sig-nale aus den verschiedenen Wirtschaftsbranchen – ausdem Automobilsektor, aus dem Maschinenbau – sindalarmierend. Auftragseinbrüche und Kurzarbeit sindwieder an der Tagesordnung.In einer solchen Situation ist von einer Regierung ent-schlossenes Handeln gefragt. Doch das, was die Regie-rung auf den Weg zu bringen beabsichtigt, ist eine Anei-nanderreihung von Einzelmaßnahmen. Ein Konzeptist hinter der Auflistung von Gebäudesanierungsmaß-nahmen, Autohilfen, Handwerkersubventionen undLuftfahrtfonds nicht erkennbar. Das alles ist zwar imEinzelnen durchaus liebenswert; aber es ist kein Kon-zept. Das sind Konjunkturprogrämmchen; aber das istkein klares Antirezessionsprogramm.
Selbst in der Unionsfraktion können viele keinen rechtenSinn dahinter erkennen; ich erinnere an die Äußerungenvon Herrn Kampeter und Herrn Dr. Fuchs in den letztenTagen. Offenbar will man im beginnenden Wahljahr dieeigene Klientel bedienen. Schwarz-Rot hat kein wirt-schaftspolitisches Konzept. Dies ist vordergründiger Ak-tionismus mit wenig ökonomischer Substanz.
Wichtig wären Schritte, die die Nettoeinkommender Bürger erhöhen und zu einer steuerlichen Entlas-tung führen. Die Nettoeinkommen sind in den letztenJahren gesunken. Die private Nachfrage macht zweiDrittel des Bruttosozialprodukts aus. Sie zu stärken,wäre der richtige Ansatz, um die Wachstumskräfte zustärken und Deutschland angesichts der Gefahr einer Re-zession wieder ein Stück zu kräftigen. Hier müsste manvorankommen.
Steuersenkungen werden aber abfällig beurteilt. Eswird gesagt, die Leute gäben das Geld dann falsch aus.Der Staat weiß viel besser, wie die Verwendung auszuse-hen hat! – Das ist eine Lenkung in bestimmte Sektoren,in bestimmte Konsumbereiche hinein. Da wird ein biss-chen für die Automobilindustrie gemacht. Es glaubtdoch keiner, dass jemand, weil er ein Jahr lang keineKfz-Steuer zahlen muss, ein neues Auto für 35 000 Eurokauft. Es grenzt an Volksverdummung, ein solches Kon-zept zur Wirtschaftsbelebung vorzutragen.
Ähnlich ist es im Handwerksbereich. Es dient viel-leicht der Bekämpfung von Schwarzarbeit, wenn manHkszu6mdsbAzcssufPkEAfgwfkJWsOwgcds9estkbgDdgBvf6
ber offenbar besteht bei der Regierung die Einschät-ung, mit diesen Progrämmchen könne man das errei-hen.Symptomatisch ist der Umgang mit der Pendlerpau-chale. Erst wurde sie in weiten Teilen abgeschafft. Jetztoll der Kauf von Autos mit subventionierten Kreditennd einer Befreiung von der Kfz-Steuer für ein Jahr ge-ördert werden. Setzen wir doch die alte Regelung derendlerpauschale wieder in Kraft! Das würde sofort wir-en und würde gerade für die Bürger in der Fläche einentlastung darstellen.
Verbesserte Abschreibungsbedingungen sind gut.ber hier gibt es ein Hickhack. Die Wirtschaft brauchtür Wachstum Konstanz. Vor einiger Zeit wurde die de-ressive Abschreibung für zwei Jahre eingeführt. Dannurde sie abgeschafft. Jetzt ermöglichen Sie sie wiederür zwei Jahre. Dann wird sie wieder abgeschafft. Dannommt sie vielleicht wieder einmal für ein oder zweiahre in die Wundertüte. Das ist keine Politik, die derirtschaft eine klare Richtung und Stabilität gibt. Eineolche Wirtschaftspolitik gibt keine klare, verlässlicherientierung.Es gäbe eine Reihe von Maßnahmen, die sofort wirkenürden. Der Wirtschaftsminister hat zu Recht vorgeschla-en, die steuerliche Absetzbarkeit der Krankenversi-herungsbeiträge um ein Jahr vorzuziehen. 2010 mussies sowieso eingeführt werden. Dies könnten wir dochchon für 2009 vorsehen. Das würde die Bürger umMilliarden Euro entlasten. Hier könnte man schnelline Wirkung erzielen. Diese Maßnahme und die voll-tändige Wiedereinführung der Pendlerpauschale bräch-en eine Entlastung von 12 Milliarden Euro; damitönnte man eine Wirkung erzielen.
Man kann diese Beträge auch sehr schnell zu verfüg-arem Einkommen machen – noch vor dem Weihnachts-eschäft –, etwa durch Steuerschecks. Auch das wird ineutschland immer belächelt. Aber immer mehr fordernies – vom liberalen Professor Straubhaar vom Hambur-ischen Welt-Wirtschaftsinstitut bis hin zu Herrnofinger, dem DGB-nahen Wirtschaftsweisen des Sach-erständigenrats. Das ist der Weg, der in Amerika mehr-ach gegangen wurde. Diese Maßnahme ging zu über0 Prozent direkt in den Konsum, in die Nachfrage.
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Rainer BrüderleAber dann kommt der Einwurf, dass die Menschen die-ses Geld sparten. Sparen ist aber nichts Schlechtes.Wenn die Bürger einen Teil des Geldes zu den Bankentragen, haben die Banken Geld und können wieder Kre-dite, zum Beispiel in Form von Mittelstandsdarlehen, ge-ben. So funktioniert eine soziale Marktwirtschaft. DasSparen zu diskreditieren, ist deshalb eine volkswirt-schaftliche Dummheit.
Sie sollten froh sein, wenn die Bürger sparten; Sie soll-ten froh sein, wenn sie Geld auf die Bank brächten, wennsie dabei Vertrauen in Wachstum und Entwicklung unse-rer Wirtschaft hätten.Den Gesundheitsfonds zu stoppen, würde sofort eineEntlastung von 6 Milliarden Euro bringen. Fast alle wis-sen – das muss man zugeben, wenn man ehrlich ist –,dass diese Gesundheitsreform Murks ist.
Egal wie die nächste Bundestagswahl ausgeht: Man wirddies neu regeln müssen. Jetzt erhöhen wir aber die Bei-träge auf 15,5 Prozent, was zu einer Mehrbelastung von6 Milliarden Euro führt. Das soll ein Beitrag sein, um dieWirtschaft zu beleben? Das ist eine Lachnummer! Allewissen, dass es falsch ist. Haben Sie den Mut, etwas Fal-sches zu korrigieren und die Bürger zu entlasten, nichtzu belasten!
Bei der Erbschaftsteuer gibt es ein Hickhack; diegroßen Heroen kämpfen. Es gäbe eine ganz einfache Lö-sung: Destinatar, Begünstigter der Erbschaftsteuer sinddie Länder. Gebt doch den Ländern, die das Geld be-kommen, auch die Kompetenz, zu entscheiden!
Das wäre das Einfachste. Die Länder sind volljährig.Wir haben einen Föderalismus; die Länder haben Selbst-entscheidungsfähigkeiten. Lasst die Bundesländer ent-scheiden! Ich sage voraus, dass die neuen Bundesländerals Erste sagen würden: Die Erbschaftsteuer ist Unsinn;wir schaffen sie ab; dann brauchen die Unternehmennicht mehr nach Österreich, Schweden, Frankreich odersonst wo hinzugehen, sondern können in Deutschlandbleiben.
Lasst es die Länder entscheiden! Das ist Föderalis-mus. Wir wollen eine Föderalismusreform, führen Dis-kussionen, machen dicke Backen, aber entschieden wirdnichts. Am Schluss kommt dann etwas Komisches he-raus, das weiterhin eine Belastung von 4 Milliarden Euromit sich bringen soll.Wir brauchen eine vernünftige Ordnungspolitik. DieFinanzmarktarchitektur ist nicht stimmig. Da ist vielesaus dem Ruder gelaufen. Hier müssen Freiheit und Ver-antwortung, Gewinnchancen und die Pflicht zur Haftungwieder zusammengebracht werden. Hier besteht drin-gender Handlungsbedarf. Ich würde nicht darauf warten,dsddDAkSrmwdSwWqb–ngSesAd5rMaSnewSHvvwdmbir
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Wir dürfen nicht in eine Beliebigkeit verfallen und ir-gendwelche Wunschzettel bedienen, sondern müssensehr gezielt vorgehen, um ein Maximum an Wirkung zuerzielen, insbesondere bezogen auf die Arbeitsplätze.Man muss hinzufügen, dass der deutsche Staat – das giltinsbesondere für den Bundeshaushalt, aber auch für dieHaushalte der anderen Gebietskörperschaften – nicht inder Lage ist, mit nationalstaatlichen Programmen alleingegen einen weltwirtschaftlichen Abschwung anzufinan-zieren. Wir sollten den Menschen ehrlicherweise sagen,dass das nicht möglich sein wird.
Der Staat, die Politik kann aber in und für Deutschlanddurchaus sinnvoll und wirksam handeln. In unseren Au-gen ist es in diesen konjunkturell schwierigen Zeiten daswichtigste Ziel, einen Schutzschirm für Arbeitsplätzezu spannen. Das heißt, wir müssen alles dafür tun, dassdie Arbeitslosigkeit nicht wieder zunimmt, dass die Ar-beitsplätze gesichert werden. Das tut die Bundesregie-rung durch das, was morgen Gegenstand unserer Bera-tungen im Kabinett sein wird. Sie tut dies nicht miteinem klassischen Konjunkturprogramm nach demMotto „Viel hilft viel“. Das wäre Inputorientierung nachdem Motto „Nimm doch einfach 10, 20, 30, 35 Milliar-den Euro in die Hand“. Dann setzte sofort ein politischerÜberbietungswettbewerb ein, ohne dass die Frage beant-wortet wird, was im Sinne der Sicherung von Arbeits-plätzen schnell, ohne irgendwelche Zeitverzögerungen– Herr Brüderle, auf die Zeitverzögerungen komme ichgleich zu sprechen – wirkt. Dabei ist dies die entschei-dende Fragestellung. In meinen Augen standen klassi-sche Konjunkturprogramme daher nicht auf der Tages-ordnung. Mit der Gießkanne übers Land zu gehen, hätteim Ergebnis viel Geld verbrannt, und der SchuldenstandfdsASndnrrvmbJmSddhsasFswfmncegSW1B2mSdBb
ie tun so, als wäre das eine Art goldener Schlüssel, mitem man jetzt etwas tun könnte. In Wirklichkeit wirktas zeitversetzt.Herr Brüderle, auch der Eindruck, dass der Gesund-eitsfonds das große Problem ist, ist falsch. Alle in die-em Saal wissen, dass die Krankenversicherungsbeiträgeuch ohne Gesundheitsfonds hätten erhöht werden müs-en. Insofern ist das, was Sie sagen, sachfremd.
Die Art und Weise, in der Sie die gute und richtigeörderpolitik der KfW in Ihrem Potpourri mitver-chwirbeln, ist nicht sehr hilfreich für die Debatte, dieir im Augenblick zu führen haben.
Es wäre auch kein wirksamer und dauerhafter Schutzür Arbeitsplätze, jetzt die Staatsausgaben wahllos undaßlos hochzufahren. Es macht keinen Sinn, mit natio-alen Ausgabenprogrammen ein Strohfeuer zu entfa-hen, wenn am Ende langwirksame Belastungen durchine neue Schuldenaufnahme entstehen. Wenn Sie sa-en, man könnte das am besten organisieren, indem manteuernachlässe bietet, dann stellen sich die Fragen:elche Größenordnung hätten Sie denn gerne?Prozent des Bruttosozialproduktes? 2 Prozent desruttosozialproduktes oder 3 Prozent? Sind Sie bereit,5, 50 oder 75 Milliarden Euro zusätzlicher Schuldenit dem damit verbundenen Kapitaldienst zu schultern?ie müssen schon konkreter werden und unseren Kin-ern und Enkelkindern erklären, was das auf Dauer anelastungen mit sich bringt, statt in einer solchen De-atte einfach darüber hinwegzusurfen.
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Bundesminister Peer SteinbrückIch will darauf hinaus, dass die Komponenten diesesProgramms in meinen Augen sinnvoll sind. Das sindImpulse für Investitionen: angefangen bei einer zeit-lich befristeten Wiedereinführung der degressiven AfA,über dringlich notwendige Verkehrsinvestitionen undeine Ausweitung der Gemeinschaftsaufgabe, über einCO2-Gebäudesanierungsprogramm, das auch strukturelllangfristig richtige Effekte hinsichtlich des Klima- undUmweltschutzes hat – das wird gut angenommen und istein Erfolgsmodell –,
bis hin zur Sicherung der Finanzierung der kleinen undmittleren Unternehmen, indem wir, ähnlich wie wir esbei den Banken gemacht haben, eine Garantiepositionauch für das Kreditangebot an den Mittelstand in Gangsetzen. Letztlich übernehmen wir die Haftung, damit dasKreditangebot zunimmt. Wir entlasten auch privateHaushalte und tragen dabei zugleich den Interessen derHandwerker Rechnung, die gern in privaten HaushaltenDienstleistungen erbringen möchten.Wir bauen ein weiteres Sicherheitsnetz für die Be-schäftigung, indem wir zum Beispiel die Bezugsdauerdes Kurzarbeitergeldes von zwölf auf 18 Monate verlän-gern und – auch über die Programmangebote der Bun-desagentur – den wichtigen Grundsatz verfolgen: Quali-fizieren statt entlassen.
Mein Appell an die Unternehmen lautet: Halten Sie dieArbeitsplätze! Diese gut qualifizierten oder zu qualifi-zierenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brau-chen Sie aufgrund der weiteren demografischen Ent-wicklung in zwei, drei Jahren dringend. Deshalb setzenSie sie nicht auf die Straße, sondern nehmen Sie dieQualifizierungsangebote, die es gibt, an.Ich möchte dieses Paket, über das immer einige sa-gen, es sei das kleine „k“ oder es sei nicht genug, nocheinmal in einen Gesamtzusammenhang stellen, dersehr schnell verloren geht.Das Kabinett hat am 7. Oktober dieses Jahres Maß-nahmen verabschiedet, die den deutschen Steuerzahlerbzw. Abgabenzahler im nächsten Jahr um 6 MilliardenEuro und ab dem Jahr darauf um 14 Milliarden Euro ent-lasten werden. Das ist knapp vier Wochen her.Ich erinnere daran, dass wir eine Unternehmensteu-erreform in Gang gesetzt haben, die die Unternehmenim nächsten Jahr um ungefähr 7 Milliarden Euro entlas-ten wird.Ich erinnere daran, dass diese Große Koalition inner-halb von drei Jahren die Beiträge zur Arbeitslosenver-sicherung gesetzlich von 6,5 Prozent auf 3,0 Prozentund weitergehend auf 2,8 Prozent gesenkt hat. Das isteine Entlastung um 30 Milliarden Euro,
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In letzter Zeit ist auch das Bild vom Schutzschirm fürdie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer wiederbemüht worden. Nach allem, was die Bundesregierunghier vorgetragen hat, bleibt folgende Bilanz: Der Schutz-schirm für die Banken ist riesig, der Schirm für die Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist kaum zu sehen.Das ist ein falscher Ansatz der Wirtschaftspolitik. Dieswill ich begründen.
Man hätte erwartet, dass Sie irgendeine Konsequenzaus dem ziehen, was täglich draußen passiert. Sie, HerrBundesfinanzminister, bitten die Arbeitgeber, nieman-den zu entlassen, sondern die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer zu qualifizieren. Wer würde das nicht gernunterstreichen? Wer würde nicht gern sagen: Bitte machtdas so? Aber was geschieht denn draußen? ZigtausendeLeiharbeiterinnen und Leiharbeiter werden entlassen.Die erste Konsequenz wäre doch gewesen, diese löch-rige Regelung für die Leiharbeiter abzuschaffen, damitsich solches nicht wiederholt.
Sie reden hier immer nur über Dinge, ziehen aber über-haupt keine Konsequenzen.Nun haben Sie vorhin einen Ansatz vorgetragen, aufden man eingehen kann. Sie haben gefragt: Wollen Sie1 Prozent, 2 Prozent oder 3 Prozent vom Sozialprodukt?Das ist ein Ansatz, über den man diskutieren kann. Sa-gen Sie doch, dass Sie der Überzeugung sind,0,3 Prozent des Sozialprodukts pro Jahr seien ausrei-chend. Das wäre allerdings ein lächerlicher Ansatz, HerrBundesfinanzminister. Wenn Sie in der jetzigen Situa-tion von einer Größenordnung von 0,3 Prozent sprechen,zeigt das, dass Sie die Größe des Problems überhauptnicht erfasst haben.
Als es damals in Schweden eine regionale Krise gab,wurden dort 3 Prozent des Sozialprodukts zur Verfügunggestellt. Sie können zwar sagen, das sei alles falsch undvöllig übertrieben gewesen. Aber die Schweden habenmit immerhin 3 Prozent des Sozialprodukts pro Jahr ver-sucht, gegenzusteuern. Diese Krise war allerdings eineregionale Krise. Jetzt befinden wir uns in einer globalenKrise. Wir werden im nächsten Jahr eine sehr tiefe Re-zession erleben. Um es in aller Klarheit zu sagen: DieSchrittlein, die Sie machen wollen, sind überhaupt nichtgeeignet, diese Rezession zu stoppen.
Man muss nur einmal genau zuhören, was Sie hiervortragen. Der Wirtschaftsminister hat gesagt, wir müss-ten die Angebotsseite stärken. Da traut man den eigenenOhUt7t311SsgeDkgsddbolSnscNsJrneJazdkiiSdtsozmsdwtnc
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Ich glaube auch, dass wir jetzt weiter in die richtigeRichtung unterwegs sind, weil wir mit den Maßnahmen,die der Bundeswirtschaftsminister zusammen mit demBundesfinanzminister ausgearbeitet hat, gerade im Be-reich der Gebäudesanierung, Herr Kuhn, die CO2-Ein-sparung etc. fördern, dem Handwerk helfen und auch indiversen anderen Bereichen hilfreich tätig sind. GezielteInvestitionen müssen jetzt her. Es darf nicht irgendwoherumgekleckert werden; das bringt gar nichts. Nachmeiner Meinung gewährleistet das dieses Programm.Ich weiß genau, dass wir in bestimmten Bereichenviel mehr machen müssten. Aber das zentrale Ziel derGroßen Koalition war immer, so schnell wie möglich ei-nen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Wir habenuns das für 2011 vorgenommen. Wir hätten das auch er-reicht, wenn die Finanzmarktkrise nicht auch unser Landgetroffen hätte. Dem kann sich kein Mensch entziehen.Das konnte keine Bundesregierung ahnen. Man kannnicht argumentieren, dass das unser Fehler ist. Das wares ganz sicherlich nicht. Ich finde, dass der Bundes-finanzminister und der Bundeswirtschaftsminister genauden richtigen Weg aufgezeigt haben, den wir jetzt zu ge-hen haben. Dennoch darf das Ziel, einen ausgeglichenenHaushalt vorzulegen, nicht aus den Augen verloren wer-den. Wir müssen uns fragen, ob es nicht möglich ist, indem einen oder anderen Bereich, vor allen Dingen dort,wo wir konsumtiv Gelder ausgeben, Einsparungen vor-zunehmen, um den Folgen der Finanzmarktkrise einbisschen entgegenzusteuern, damit wir dieses Ziel nichtallzu weit aus den Augen verlieren.Ich halte es für richtig, die KfW-Mittel aufzustocken,wie der Bundeswirtschaftsminister eben erklärt hat. Al-lerdings müssen wir dabei die Banken auffordern, dafürzu sorgen, dass diese KfW-Mittel durchgereicht werden.Ich selber habe als Unternehmer erlebt, dass KfW-Mittelnicht unbedingt sofort angeboten werden, weil die Ban-kejgtmtswdomhergBiFwBwrsGiwwennDhmlszlEVfbsicsnHve8wrddldf
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Dr. Michael FuchsLassen Sie mich noch einen Satz zur Automobil-industrie sagen. Ich glaube wirklich, dass die Auto-mobilindustrie durch den stärker gewordenen Dollarsehr schnell wieder Tritt fassen wird. Ich halte es auchfür richtig, dass wir so schnell wie möglich mit den Bun-desländern eine Einigung finden und dafür sorgen, dassdieses CO2-Minderungspaket eingebaut wird und wireine CO2-abhängige Kfz-Steuer hinbekommen. Dasmuss schnell gehen, weil es meiner Meinung nach sehrgefährlich ist, die Leute in Unsicherheit zu lassen, weilsie nicht wissen, welche Steuern sie nachher zu zahlenhaben. Wir sollten nicht noch zwei Jahre warten. Wennwir 500 Milliarden Euro innerhalb einer Woche bereit-stellen können, dann muss auch so etwas schnell gehenkönnen.Herr Bundesfinanzminister, ich habe eine Bitte anSie. Bitte streichen Sie so schnell wie möglich die imJahressteuergesetz vorgesehene Einschränkung des Vor-steuerabzugs für dienstlich genutzte Kraftfahrzeuge.
Das führt dazu, dass heftigst gespart und darüber nach-gedacht wird, nicht zu investieren. Ich halte es für not-wendig, dass das so schnell wie möglich getan wird.Zum Schluss. Im Herbstgutachten, das vor drei Wo-chen erschienen ist, steht eine Reihe von Punkten. Die-ses Maßnahmenpaket haben wir zum Teil umgesetzt,aber nicht alles. Es ist richtig, dass wir nicht alles umge-setzt haben, weil wir für diese Einsparungen einfachnicht die Steuermittel haben. Dennoch glaube ich, dasseine weitere Direktentlastung der Bürger notwendigwäre. Herr Bundesfinanzminister, in einem Punkt bin ichmit Ihnen nicht einig – sonst bin ich fast immer mit Ih-nen einig –: Wenn Sie beispielsweise die steuerliche Ab-setzbarkeit der Kranken- und Pflegeversicherungsbei-träge vorziehen würden, hätte das sehr wohl Wirkungenin 2009; denn die Menschen sind nicht blöde. Sie tragendas auf der Lohnsteuerkarte ein, oder sie senken ihre Vo-rauszahlungen. Das alles kann man machen, und damitwird das schon 2009 wirksam. Ich halte das für richtig.Wir sollten auch darüber nachdenken, ob nicht wei-tere Spielräume bei den Lohnzusatzkosten erarbeitetwerden können. Hier haben wir mit dem Ausgleichsbei-trag, den die Bundesagentur für Arbeit zu zahlen hat, einverfassungsrechtlich größeres Problem. Dass uns das er-halten bleiben wird, wage ich zu bezweifeln. Wenn wirwissen, dass uns das nicht erhalten bleiben wird, dannwäre es sinnvoll, bereits jetzt nach einer Lösung zu su-chen.Das Programm, das jetzt aufgelegt wird, bedeutet ei-nen Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen abersehr genau die Situation am Arbeitsmarkt und in der ge-samten Wirtschaft beobachten. Es kann durchaus sein,dass wir das eine oder andere noch nachsteuern müssen.Wir sind dazu bereit, wenn es sein muss.
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s ist fast wie in der ersten Großen Koalition: Wenn dierise da ist, sind auch Plisch und Plum da, die dagegennkämpfen müssen. Ich denke, Sie haben mit dem Ge-amtmosaik durchaus ein richtiges Bild gezeichnet. Herrrüderle war mit der Nase zu nahe dran, und Oskarafontaine will eh nur das sehen, was er bekämpfenann. Aber wenn man mit dem nötigen Abstand heran-eht, dann sieht man: Dieses Mosaik von Maßnahmenasst zu der ökonomischen Landschaft. Deshalb solltenie, Herr Brüderle, uns lieber unterstützen, anstatt Ihrelten Steckenpferde hier zu reiten.
as passt nicht für diesen Bereich.Das Wichtigste ist: Wir nehmen zur Kenntnis, dassie Weltwirtschaft in einem schweren Abschwung ist,as vor Wochen noch nicht der Fall war; wir nehmenur Kenntnis, dass die europäische Wirtschaft zu einemtillstand gekommen ist und das Risiko eines Ab-chwungs besteht; und wir nehmen zur Kenntnis, dassie deutsche Wirtschaft in einer Gefährdungslage ist.agegen gehen wir an. Wir sagen nicht wie manche Pro-essoren, das sei Schicksal und man müsse unter demnteren Bogen des Zyklus durchlaufen, sondern wir sa-en, dass wir uns gegen den Wind lehnen und etwas ge-en die falsche Entwicklung tun können.Was wir hier brauchen, Herr Brüderle, sind Investitio-en. Wir haben in Deutschland aber weit mehr Erspar-isse, als es Investitionen von Bund, Ländern undemeinden sowie von privater Wirtschaft gibt. Darumaben manche Banken Ersatzinvestitionen, nämlich iniese toxischen Papiere, getätigt. Wenn wir es jetztchaffen, die Privaten zu veranlassen, zu investieren,nd wenn die öffentliche Hand, und zwar Bund, Ländernd Gemeinden, investiert, Herr Brüderle, dann nutzenir die Ersparnisse in diesem Land für Wachstum undür Beschäftigung. Darauf zielt dieses Programm, dasie Bundesregierung aufgelegt hat.
Wir sollten auch darauf achten, dass wir internationalktiv bleiben. Wir Deutschen allein können uns nichtie Münchhausen selber aus dem Sumpf ziehen; viel-
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Ludwig Stieglermehr brauchen wir bei G 7, bei G 8, bei G 20 oder beiGott weiß welchen Gs eine internationale Abstimmung.
– Ja, Sie denken wieder an den G-Punkt oder irgendet-was Ähnliches; aber das ist nicht in Ordnung. – Wirbrauchen eine internationale Abstimmung. Deshalb istes wichtig, dass alle europäischen Länder – wie damalseine E-Mail verschickt werden, in der gesagt wird: Schi-cken Sie Ihre Leute weg!Wir werden erleben, dass die Kurzarbeit, die fast ver-schwunden war, wiederkehrt. Ich bin froh, dass OlafScholz in diesem Paket verankert hat, dass während derKurzarbeit Qualifikation, Weiterbildung für die Zukunftdurchgeführt werden. Das Entscheidende ist, nicht zuentlassen und anschließend wieder zu suchen, sonderndie Zeit der Produktionspause zu nutzen, um sich aufbeim Venedig-Gipfel von Helmut Schmidt vorgemacht –und die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt inKooperation mit dem Weltwährungsfonds zusammen-arbeiten, damit wir uns weltweit gegen die Entwicklunglehnen, damit wir weltweit durch ein abgestimmtes Ver-halten auch in der Ökonomie vorankommen. Der Welt-währungsfonds forderte das schon seit dem April diesesJahres. Er hat diese Entwicklung eher überschätzt als un-terschätzt.Es geht um die Hebelwirkung. Mit der Gebäudesanie-rung, mit der Investitionsförderung lösen wir durch eineüberschaubare Förderung mit staatlichen Mitteln erheb-liche private Investitionen aus. Diese Hebel müssen wirnutzen. Diese Hebel werden uns auch dabei helfen, dasswir wieder an den Problemen ansetzen. Unsere Wirt-schaft ist bisher auf dem Exportmotor gefahren. DieserMotor stottert. Ihn können wir nur international wiederzum Laufen bringen. Es fehlen im Inland eben auch dieInvestitionen in Bauten, in Ausrüstungen, in Maschinenund in Anlagen. All das können wir durch diese Anstößevoranbringen. Deshalb sollten wir diese Möglichkeitenmiteinander nutzen.Wir müssen, gerade was die Automobilindustrie an-betrifft, weniger auf die fetten Daimlers und BMWsschauen, auf diese großen Gesellschaften, die sehr gutverdient haben, die sehr viel Speck angesetzt haben. Sierepräsentieren nur etwa 25 Prozent der Wertschöpfung.75 Prozent der Wertschöpfung werden von den Zuliefe-rern erbracht, und deren Bilanz schaut nicht so gut aus.Denen müssen wir helfen, damit sie Produktionskürzun-gen überleben können. Wenn wir nicht aufpassen, befin-den sich am Ende der Krise ein Drittel oder mehr der Zu-lieferer nicht mehr auf dem Markt, und dann haben wires mit einem quasi automatischen Outsourcing zu tun.Hier muss die Automobilindustrie selber ihren Zuliefe-rern, denen sie die Aufträge kürzt, auch mit Kreditenbeistehen.
Die KfW und der Bund werden dabei sicher helfen. Wirhaben die ganz wichtige Aufgabe, das Gespräch mitdiesen Herrschaften zu suchen. Es darf nicht einfachdFsndKddKticwrhWsFDdWwode
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
rdnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
estages auf Mittwoch, den 12. November 2008, 13 Uhr,
in.
Die Sitzung ist geschlossen.