Protokoll:
16098

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 16

  • date_rangeSitzungsnummer: 98

  • date_rangeDatum: 11. Mai 2007

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  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 16:56 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 16/98 Katherina Reiche (Potsdam), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die technologische Leistungsfähigkeit mit dem 6-Mil- liarden-Euro-Programm und der High-Tech-Strategie stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinz Riesenhuber, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten René Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Forschungsprämie zur besseren Kooperation von Wissen- schaft und Klein- und Mittelunter- politik auf nachhaltige Innovationen ausrichten – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Bericht zur technologi- schen Leistungsfähigkeit Deutsch- lands 2006 und Stellungnahme der Bundesregierung – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Bericht der Bundes- regierung zum 6-Milliarden-Euro- Programm für Forschung und Ent- wicklung – Neue Impulse für Inno- vation und Wachstum – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Die Hightech-Strategie für Deutschland Deutscher B Stenografisc 98. Sit Berlin, Freitag, d I n h a Tagesordnungspunkt 22: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht Forschung 2006 (Drucksache 16/3910) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neue Wege in der Technologieför- derung ergreifen – Deutschland als Technologiestandort stärken (Drucksache 16/4863) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Ilse Aigner, Michael Kretschmer, 9983 A 9983 B nehmen (KMU) zügig umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Uwe undestag her Bericht zung en 11. Mai 2007 l t : Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innovationen brauchen Freiheit – Für mehr Ar- beit und Wohlstand – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Innovationen durch Investitionen – Sonderpro- gramm für die Wissenschaft zur Verbesserung der Kooperation mit der Wirtschaft (Forschungsprämie) – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Technologie- (Drucksachen 16/1546, 16/2628, 16/153 16/2083, 16/2621, 16/1245, 16/1400, 1 2577, 16/3546) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2, 6/ . 9983 B II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007 Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ilse Aigner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Burchardt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ute Berg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: a) Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dağdelen, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Entwicklung der extremen Rechten und die Maßnahmen der Bun- desregierung (Drucksachen 16/1009, 16/4675) . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der LINKEN: V-Leute in der NPD abschalten (Drucksache 16/4631) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Klaus Ernst, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der LINKEN: Be- ratungsprojekte gegen Rechtsextremis- mus dauerhaft verankern und Ergebnisse der wissenschaftlichen Be- gleitforschung berücksichtigen (Drucksache 16/4807) . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9984 B 9985 C 9986 D 9988 C 9990 A 9991 B 9993 A 9994 A 9995 A 9995 C 9997 B 9998 B 9999 D 10000 D 10003 A 10003 A 10003 A 10003 B 10004 C 10005 C 10006 C 10007 D 10008 B 10008 D 10009 D Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Frank Spieth (DIE LINKE . . . . . . . . . . . . . . . Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henry Nitzsche (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . Gert Winkelmeier (fraktionslos) . . . . . . . . . . Sebastian Edathy (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen zum Emissionshandel im Hinblick auf die Zuteilungsperiode 2008 bis 2012 (Drucksache 16/5240) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union – zu dem Antrag der Abgeordneten Markus Löning, Hans-Michael Goldmann, Michael Link (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und der Frak- 10010 A 10011 D 10012 B 10012 D 10014 C 10015 A 10015 B 10016 A 10017 C 10018 C 10019 B 10020 C 10021 D 10022 D 10024 C 10024 D 10026 B 10027 D 10029 D 10031 A 10033 A 10033 B 10033 D 10035 C 10037 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007 III tion der FDP: Europäische Transpa- renzinitiative aktiv unterstützen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Rainder Steenblock, Matthias Berninger, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN: Forderung der EU nach Transparenz bei Sub- ventionen im Agrarbereich vollstän- dig umsetzen und die Neuausrich- tung der Förderung vorbereiten (Drucksachen 16/2203, 16/2518, 16/5287) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias Berninger, Ulrike Höfken, Rainder Steenblock, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Forderung der EU nach Transparenz bei Subven- tionen für die Wirtschaft vollständig umsetzen und die Neuausrichtung der Förderung vorbereiten (Drucksachen 16/2517, 16/5288) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Agrarbeihilfe- empfänger offenlegen (Drucksachen 16/1962, 16/3039) . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . . Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE) . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Martin Zeil, Paul K. Friedhoff, Frank Schäffler, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Eigenkapitalbildung fördern – Deutschlands Mittelstand fit machen (Drucksache 16/3841) . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Zeil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10038 A 10038 B 10038 B 10038 C 10039 C 10040 C 10042 A 10042 D 10043 C 10045 A 10045 B 10046 C 10047 D 10048 D Tagesordnungspunkt 28: a) Antrag der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Den Bologna-Prozess voranbringen – Quali- tät verbessern, Mobilität erleichtern und soziale Hürden abbauen (Drucksache 16/5256) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Volker Schneider (Saarbrü- cken), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN: Für einen sozia- len Europäischen Hochschulraum (Drucksache 16/5246) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zweiter Bericht zur Realisierung der Ziele des Bologna-Prozesses (Drucksache 16/5252) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Cornelia Hirsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 9: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktio- nen der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur Finanzierung des geplanten Ausbaus von Kinderkrippen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Scheel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10049 D 10049 D 10050 A 10050 A 10051 A 10052 A 10053 B 10055 B 10056 B 10057 B 10057 C 10058 C 10060 A 10061 B 10062 B 10063 B 10064 D 10065 D 10066 C 10067 C IV Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007 Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Eva Möllring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Clemens Bollen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede des Antrags: Eigenkapitalbildung fördern – Deutschlands Mittelstand fit machen (Tagesordnungs- punkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Lange (Backnang) (SPD) . . . . . . . . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10069 B 10070 B 10071 B 10072 B 10073 C 10075 A 10075 D 10075 D 10077 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007 9983 (A) (C) (B) (D) 98. Sit Berlin, Freitag, d Beginn: 9
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    Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007 10075 (A) (C) (B) (D) orientierte Produktentwicklung Kapital. Das wissen wir. des haben wir die Mittel für die mittelstandsorientierte technologieoffene Förderung deutlich erhöht, und es gibtMerten, Ulrike SPD 11.05.2007 Deswegen ist gerade die Mittelstandsfinanzierung ein Kernstück der deutschen Mittelstandspolitik. Zur Stärkung der Innovationsfähigkeit des Mittelstan- Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2007 Leibrecht, Harald FDP 11.05.2007 Anlage 1 Liste der entschuldi Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Ackermann, Jens FDP 11.05.2007 Bahr (Münster), Daniel FDP 11.05.2007 Barth, Uwe FDP 11.05.2007 Dr. Bauer, Wolf CDU/CSU 11.05.2007 Beckmeyer, Uwe SPD 11.05.2007 Bierwirth, Petra SPD 11.05.2007 Bismarck, Carl-Eduard von CDU/CSU 11.05.2007 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 11.05.2007 Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2007 Dyckmans, Mechthild FDP 11.05.2007 Gabriel, Sigmar SPD 11.05.2007 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 11.05.2007 Griefahn, Monika SPD 11.05.2007 Gröhe, Hermann CDU/CSU 11.05.2007 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 11.05.2007 Höger, Inge DIE LINKE 11.05.2007 Kasparick, Ulrich SPD 11.05.2007 Knoche, Monika DIE LINKE 11.05.2007 Koczy, Ute BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2007 Kolbow, Walter SPD 11.05.2007 Künast, Renate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2007 Anlagen zum Stenografischen Bericht gten Abgeordneten Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Antrags: Eigenkapitalbildung fördern – Deutschlands Mittelstand fit machen (Tagesordnungspunkt 27) Christian Lange (Backnang) (SPD): Richtig ist: Kleinere und mittlere Unternehmen haben eine geringere Eigenkapitalquote als Großunternehmen, dadurch auch einen schwereren Stand, wenn es darum geht, an Fremd- kapital bzw. Wagniskapital heranzukommen. Insbeson- dere junge technologieorientierte Existenzgründer, aber nicht nur die, benötigen für innovative und wachstums- Merz, Friedrich CDU/CSU 11.05.2007 Dr. Miersch, Matthias SPD 11.05.2007 Naumann, Kersten DIE LINKE 11.05.2007 Otto (Frankfurt), Hans- Joachim FDP 11.05.2007 Raidel, Hans CDU/CSU 11.05.2007 Reichel, Maik SPD 11.05.2007 Rupprecht (Tuchenbach), Marlene SPD 11.05.2007 Dr. Schäuble, Wolfgang CDU/CSU 11.05.2007 Schummer, Uwe CDU/CSU 11.05.2007 Steenblock, Rainder BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.05.2007 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 11.05.2007 Ulrich, Alexander DIE LINKE 11.05.2007 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 11.05.2007 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 10076 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007 (A) (C) (B) (D) eine Fülle an unterstützenden Fördermaßnahmen, die der mittelständischen Wirtschaft helfen, Forschung und Ent- wicklung voranzubringen. Im Übrigen: Gerade durch die Neuordnung des ERP- Vermögens ermöglichen wir weiterhin eine Mittelstands- förderung auf hohem Niveau. Beispielsweise sind für den Wirtschaftsplan 2007 für Existenzgründungen und Wachstumsfinanzierungen 1,1 Milliarden Euro vorgese- hen, für Innovationsförderungen 850 Millionen Euro, für Vorhaben in regionalen Fördergebieten 650 Millionen Euro und für mittelständische Bürgschaftsbanken sowie für die Refinanzierung privater Kapitalbeteiligungs- gesellschaften und Beteiligungsfonds 350 Millionen Euro. Wir haben einen Zuwachs der Mittelzusagen von 70 Prozent im Jahr 2006 gegenüber 2005 zu verzeich- nen. Das zeigt, dass diese Förderung gut ankommt und einen wertvollen Beitrag zur Sicherung der mittelständi- schen Wachstumsprojekte leistet. Der Mittelstand und insbesondere Existenzgründer profitieren ganz besonders durch das ERP-Vermögen. So stehen im Produktangebot der KfW-Mittelstandsbank Gründern beispielsweise die Programme „Unternehmer- kredit“, „Unternehmerkapital“ und für entsprechende Beteiligungen im Innovationsbereich beispielsweise der Hightech-Gründerfonds, der ERP-Startfonds, EXIST – Existenzgründungen aus Hochschulen und Forschungs- einrichtungen oder die EIF/ERP-Dachfonds zur Verfü- gung. Damit fördern wir technologieorientierte Gründer und innovative kleine Technologieunternehmen und si- chern den Finanzierungsbedarf für die Entwicklung und Markteinführung neuer oder wesentlich verbesserter Produkte, Verfahren und Dienstleistungen. Hinzu kom- men maßgeschneiderte Förderfenster der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Kleingründungen. Dennoch können wir uns damit nicht zufriedengeben: Wir haben in der Tat in Deutschland keinen ausreichen- den Risikokapitalmarkt. Nach dem Zusammenbruch der Dotcom-Blase ab 2000 wurde es noch schwieriger, für innovative und kapitalintensive Projekte an privates Be- teiligungskapital bzw. „private equity“-Finanzierung he- ranzukommen. Dies muss sich ändern. Deswegen haben wir bereits im Koalitionsvertrag die Überarbeitung der Regelungen für den Bereich Private Equity vereinbart. Die Vorschläge der FDP in allen Ehren – im Ziel sind wir uns sicher einig, die Eigenkapitalsituation von klei- nen und mittleren Unternehmen mit hohem Wachstums- und Arbeitsmarktpotenzial weiter zu verbessern –, aber wir werden ein eigenes Konzept vorlegen. Wir sind der- zeit im Gespräch darüber, wie wir privates Beteiligungs- kapital besser fördern können und wie sinnvolle Regeln zur Begrenzung der Risiken aufzustellen sind. Es soll dabei vor allem kleinen und mittleren Unter- nehmen der Zugang zu Beteiligungskapital erleichtert werden. Das hierzu von der Bundesregierung geplante Unternehmensbeteiligungsgesetz (UBGG) soll wie die Unternehmenssteuerreform am 1. Januar 2008 in Kraft treten. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat diesen Plan zu Jahresbeginn bekräftigt und angekündigt, in diesem Jahr parallel zu einer Unternehmensteuerreform ein Un- ternehmensbeteiligungsgesetz auszuarbeiten, um die Möglichkeiten für Private Equity zu verbessern. Eine vom Bundesfinanzministerium beauftragte Ex- pertengruppe der TU München hat in ihrem Gutachten die Bundesregierung aufgefordert, steuertransparente Strukturen für die Kapitalbeteiligungsindustrie zu schaf- fen und deshalb auf Fondsebene keine Besteuerung vor- zunehmen. Frühphasenfinanzierer sollen steuerlich be- günstigt werden. Zentrale Forderung ist die Aufnahme einer Regelung in das Unternehmensbeteiligungsgesetz, „wonach ein Fonds, der als Personen- oder Kapitalge- sellschaft errichtet werden kann und den weiteren ge- setzlichen Vorgaben entspricht sowie von einer noch zu schaffenden Aufsichtsbehörde zertifiziert wurde, auf der Ebene des Fonds … von der Gewerbe- und Körper- schaft- bzw. Einkommensteuer befreit wird“. Diese Ziel- setzungen können wir nach Ansicht der Experten durch einige wenige gesetzgeberische Maßnahmen umsetzen. Kernpunkt wäre dabei eine Weiterentwicklung des UBGG hin zu einem Beteiligungsfinanzierungsgesetz mit der Zielsetzung, einen international attraktiven Sta- tus für in Deutschland ansässige bzw. tätige Private- Equity-Fonds zu schaffen. Um die Fonds in Deutschland zu halten, sollen zudem nach der Empfehlung der Gutachter Veräußerungsge- winne von Frühphasenfinanzierern für kleine, innovative Unternehmen steuerfrei sein, nachdem die Beteiligung drei Jahre gehalten wurde. Die Experten raten zu einer Ausnahme von der ab 2009 geplanten Abgeltungsteuer von pauschal 25 Prozent auf Kapitalerträge. Weiterhin sollen die Hindernisse bei der Anlage insti- tutioneller Gelder in deutsche Private-Equity-Fonds ab- gebaut und eine Zulassungspflicht für Private-Equity- Fonds eingeführt werden. Privates Beteiligungskapital darf in aufsichtsrechtlicher Hinsicht nicht gegenüber börsennotiertem Beteiligungskapital diskriminiert wer- den. Daraus folgt aber auch, dass Private-Equity-Fonds einer aufsichtsrechtlichen Überwachung zu unterwerfen sind. Die Wissenschaftler schlagen außerdem eine Be- grenzung des für Private-Equity-Fonds infrage kommen- den Anlegerkreises vor, der sich außer für Dachfonds auf „qualifizierte Anleger“ beschränken soll. Das Bundesfinanzministerium prüft das Gutachten derzeit noch. Wir sind in Detailfragen noch nicht am Ende der Diskussion angelangt. Ich bin dafür, die Förde- rung auf junge innovative Technologiefirmen zu fokus- sieren. Denn gerade die haben es schwer, Finanzierungs- möglichkeiten zu finden. Dazu rät übrigens auch der Sachverständigenrat. In seinem Gutachten von 2005 for- dert er, von einer umfassenden Förderung der mittelstän- dischen Unternehmen abzusehen. Denn anders als bei jungen innovativen Wachstumsunternehmen, bei denen es aufgrund der hohen Unsicherheit hinsichtlich des Er- folgs von Forschungsprojekten und vergleichsweise kleiner Investitionsvolumina auch dauerhaft zu einem Marktversagen kommen kann, ist dies in dem für tradi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007 10077 (A) (C) (B) (D) tionelle mittelständische Unternehmen relevanten Teil- segment des Beteiligungsmarkts nicht zu erwarten. Die Damen und Herren von der FDP müssen sich noch ein wenig in Geduld üben. Wir wollen kein Hoppla-Hopp, sondern ein seriöses und finanzierbares Konzept zur Förderung des privaten Beteiligungsmarkte vorlegen. Dann würden wir uns aber über Ihre Zustim- mung zu unserem Gesetzentwurf freuen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Die Abgeordneten Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Dr. Dagmar Enkelmann, Klaus Ernst, Wolfgang Gehrcke, Diana Golze, Dr. Gregor Gysi, Heike Hänsel, Lutz Heilmann, Inge Höger, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, Kersten Naumann, Dr. Norman Paech, Bodo Ramelow, Dr. Herbert Schui, Dr. Ilja Seifert, Dr. Petra Sitte, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Alexander Ulrich, Jörn Wunderlich und Sabine Zimmermann haben mitgeteilt, dass sie ihre Unterschriften auf dem Antrag Effektiven Rechtsausschuss Drucksache 16/3573 Nr. 2.20 Drucksache 16/4635 Nr. 2.18 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 16/4501 Nr. 2.26 Drucksache 16/4819 Nr. 1.7 Drucksache 16/4819 Nr. 1.20 Drucksache 16/4819 Nr. 1.21 Drucksache 16/4939 Nr. 1.2 Drucksache 16/4939 Nr. 2.4 Drucksache 16/4939 Nr. 2.5 Drucksache 16/4939 Nr. 2.8 Drucksache 16/4939 Nr. 2.10 Drucksache 16/4939 Nr. 2.14 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 16/2555 Nr. 1.37 Drucksache 16/3573 Nr. 1.3 Drucksache 16/4258 Nr. 2.26 Drucksache 16/4501 Nr. 2.17 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Schutz vor Passivrauchen zügig gesetzlich verankern auf Drucksache 16/2730 zurückziehen. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Innenausschuss Drucksache 16/4105 Nr. 2.51 Drucksache 16/4501 Nr. 1.1 Drucksache 16/150 Nr. 2.156 Drucksache 16/2555 Nr. 2.109 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 16/1207 Nr. 1.18 Drucksache 16/1942 Nr. 1.1 Drucksache 16/1942 Nr. 1.2 Drucksache 16/1942 Nr. 2.16 Drucksache 16/3196 Nr. 1.36 Drucksache 16/3713 Nr. 1.19 Drucksache 16/4105 Nr. 1.21 Drucksache 16/4501 Nr. 1.2 Drucksache 16/4819 Nr. 1.18 98. Sitzung Berlin, Freitag, den 11. Mai 2007 Inhalt: Redetext Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609800000

Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich und wünsche uns einen guten Morgen und einen
erfolgreichen Tag.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 c auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bundesbericht Forschung 2006

– Drucksache 16/3910 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike
Flach, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Rede
Neue Wege in der Technologieförderung er-
greifen – Deutschland als Technologiestandort
stärken

– Drucksache 16/4863 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten
Michael Kretschmer, Katherina R
dam), weiterer Abgeordneter und
der CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
zung

en 11. Mai 2007

.00 Uhr

Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Die technologische Leistungsfähigkeit mit
dem 6-Milliarden-Euro-Programm und der
High-Tech-Strategie stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Heinz
Riesenhuber, Ilse Aigner, Michael Kretschmer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten René
Röspel, Jörg Tauss, Nicolette Kressl, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Forschungsprämie zur besseren Koopera-
tion von Wissenschaft und Klein- und Mit-
telunternehmen (KMU) zügig umsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

Innovationen brauchen Freiheit – Für mehr
Arbeit und Wohlstand

– zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia
Pieper, Ulrike Flach, Uwe Barth, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der FDP

text
Innovationen durch Investitionen – Sonder-
programm für die Wissenschaft zur Verbes-
serung der Kooperation mit der Wirtschaft

(Forschungsprämie)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz

(Herborn), Krista Sager, Hans-Josef Fell, wei-

terer Abgeordneter und der Fraktion des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Technologiepolitik auf nachhaltige Innova-
tionen ausrichten

– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie-

cht zur technologischen Leistungsfähig-
Deutschlands 2006 und Stellungnahme
Ilse Aigner,

(Potsder Fraktion rung Beri keit der Bundesregierung Präsident Dr. Norbert Lammert – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zum 6-Milliarden-Euro-Programm für Forschung und Entwicklung – Neue Impulse für Innovation und Wachstum – zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Die Hightech-Strategie für Deutschland – Drucksachen 16/1546, 16/2628, 16/1532, 16/2083, 16/2621, 16/1245, 16/1400, 16/2577, 16/3546 – Berichterstattung: Abgeordnete Ilse Aigner René Röspel Cornelia Pieper Dr. Petra Sitte Priska Hinz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Dr. Annette Schavan. Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Guten Morgen, sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Deutschland ist Teil des europäischen Forschungsraumes. Erfolgsstrategien müssen hier wie dort Hand in Hand gehen, damit das Ziel der Lissabonstrategie erreicht wird. Hierbei zeichnet sich klar ab: Wissenschaft und Wirtschaft sind natürliche Partner in einer erfolgreichen Forschungsund Technologiepolitik. Genau daran richten wir unsere Forschungspolitik aus. Das heißt konkret: Mehr Kooperationen und strategische Allianzen zwischen Unternehmen, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind Voraussetzung, um Forschung und Entwicklung zu Innovationen zu führen. Innovationen wiederum sind der Schlüssel zu mehr Wachstum und Beschäftigung. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Cornelia Pieper [FDP])





(A) (C)


(B) (D)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Was haben wir erreicht? Wohin wollen wir? Ich bin
davon überzeugt: Die Hightechstrategie, an der zahlrei-
che Häuser der Bundesregierung beteiligt sind, ist der
Instrumentenkasten für die natürliche Partnerschaft zwi-
schen Wissenschaft und Wirtschaft. Die Hightechstrate-
gie ist verbunden mit deutlich höheren Investitionen in
Forschung und Entwicklung sowie mit neuen Anreiz-
systemen und Instrumenten; ich erinnere an dieser Stelle
an die Forschungsprämie, die wir in den nächsten Jahren
zunächst auf kleine und mittelständische Unternehmen
fokussieren. Wir haben damit einen Einstieg gemacht.
Die Erfahrungen mit diesem Anreizsystem werden uns
dann zur Diskussion über die Fragen führen: Wie entwi-
ckeln wir weiter? Welche anderen Anreizsysteme gibt
es? In diesem Zusammenhang werden wir uns auch mit
den Instrumenten zu beschäftigen haben, die in anderen
Ländern der Europäischen Union erfolgreich praktiziert
werden.

Lassen Sie mich etwas zum Wettbewerb „Austausch-
prozesse zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“ des
Stifterverbandes und meines Hauses sagen: Gestern
Abend hat die Verleihung des Preises stattgefunden.
Fünf Standorte, interessanterweise übrigens auch zwei
Fachhochschulen, wurden für ihre besonders gelungenen
Prozesse des Austausches zwischen Hochschule und Un-
ternehmen ausgezeichnet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Schließlich bereiten wir derzeit gemeinsam mit dem
Stifterverband einen Wettbewerb zur Förderung von
Spitzenclustern vor. Das heißt – das halte ich für eine
gute Entwicklung –: In Deutschland wird nicht allein die
Exzellenzinitiative das Instrument sein, mit dem die Ex-
zellenz in der Forschung und in den Formen der strategi-
schen Allianzen gefördert wird, sondern wir schaffen
weitere Instrumente. Wir entwickeln einen ausdifferen-
zierten Instrumentenkasten. Das wird Früchte tragen.

Zum Berichtswesen: Der Bundesbericht Forschung
2006 ist auch Teil dieser Debatte. Er war der letzte seiner
Art. Ich sage Ihnen zu: Das Volumen des nächsten Be-
richtes kann deutlich weniger umfangreich sein als die
Volumina der letzten Berichte, der Bericht sollte dafür
aber stärker auf das Thema Innovation fokussiert sein.
Es geht nicht um die Sammlung irgendwelcher Fakten,
sondern um die Sammlung der Fakten, die wir brauchen,
um hier darüber zu diskutieren, was die richtigen Wege
zu mehr Innovation sind.

Die entscheidende Botschaft ist: Wir haben seitens des
Bundes 2006 11,8 Millionen Euro für Wissenschaft, For-
schung und Entwicklung ausgegeben. Das ist eine deutli-
che Steigerung.


(Jörg Tauss [SPD]: Nicht nur Millionen! Milliarden!)


– Milliarden! Vielen Dank, Herr Kollege Tauss. Es wa-
ren 11,8 Milliarden Euro.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der FDP: Jetzt wissen wir auch, warum Sie in der Regierung sind! – Heiterkeit)


Das ist die Basis. Jedem ist auch klar: Bei den Haus-
haltsverhandlungen 2008 wird die positive Nachricht
von Dynamik in der Wirtschaft auch zu einer positiven
Nachricht für Investitionen in FuE führen müssen;
denn 3 Prozent von 100 ist weniger als 3 Prozent von
200.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das heißt, wir müssen weiter zulegen. Ich erwarte ent-
sprechendes Verhalten auch von den Ländern und von
den Unternehmen in Deutschland.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir wollen nicht zunehmen – das wird uns jetzt verboten –,
sondern wir wollen zulegen. Ich rede jetzt auch nicht über
Ernährungsforschung – das habe ich Herrn Westerwelle
eben versprochen –, weil dazu schon alles gesagt ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Mit der Hightechstrategie haben wir die Weichen ge-
meinsam richtig gestellt. Ich nenne als Beispiel für stra-
tegische Allianz die Initiative zur Forschung an organi-
schen Leuchtdioden, bei der wir 100 Millionen Euro, die
Wirtschaft 500 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
Weitere solche Vereinbarungen sind in Vorbereitung.

Wir bereiten derzeit gemeinsam mit Wirtschaftsmi-
nisterium, Umweltministerium, Verbraucherschutzmi-
nisterium und dem Ministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung eine Strategie zum Thema Energieef-
fizienz vor. Wir werden die Entwicklung moderner
Energietechnologien mit rund 2 Milliarden Euro bis zum
Jahre 2009 fördern.

Auf dem Klimaforschungsgipfel in Hamburg haben
wir Vorbereitungen getroffen, um im Herbst die High-
techstrategie für den Klimaschutz vorzulegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir werden übrigens allein mit dem Klimaschutzpro-
gramm, das vorgelegt worden ist und über das Kollege
Gabriel gesprochen hat, 255 Millionen Euro zur Verfü-
gung stellen.

Es müssen also immer zusammenspielen: Erhöhung
der Finanzinvestitionen, Erneuerung unserer Konzepte,
Förderung all der Instrumente, die strategische Allian-
zen, die die Partnerschaft zwischen Wissenschaft und
Wirtschaft befördern. Dann gilt – davon bin ich über-
zeugt – ab 2010 der Satz: Steuerpolitik ist Innovations-
politik. Unternehmen, die mehr in Forschung investie-
ren, müssen das bei ihrer Steuerlast spüren. Ich bin
davon überzeugt: Das wird die Fortsetzungsgeschichte
nach der Einführung der Forschungsprämie sein müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zwei weitere Punkte möchte ich nennen; dann ist
meine Redezeit abgelaufen; Herr Präsident, ich weiß es.

Forschungsinfrastruktur: Wir sind dabei, mit inter-
nationalen Partnern XFEL vorzubereiten. Im Juni soll es
den Startschuss in Hamburg geben. Auch das ist wichtig.

Schließlich: Wer Forschung und Entwicklung beför-
dern will, muss dafür sorgen, dass Qualifizierung ge-
lingt. Deshalb bereitet die Bundesregierung – mit ge-
meinsamen Anstrengungen des Bundes, der Länder, der
Stiftungen und anderer Experten – bis Herbst eine Quali-
fizierungsinitiative vor, um auch im Bereich der Qualifi-
zierung die Voraussetzungen zu schaffen, die notwendig
sind, damit wir auch den wichtigen, von mir zuletzt ge-
nannten Punkt erreichen: dass jeder Innovationswettbe-
werb nicht nur mit Finanzen und Konzepten, sondern
auch mit dem Erfolg im weltweiten Talentwettbewerb
verbunden ist.
Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609800100

Das Wort hat nun die Kollegin Cornelia Pieper, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1609800200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Frau Ministerin, eine auf Zukunft ausge-
richtete Forschungspolitik schafft die Grundlage für In-
novationen und damit für neue Arbeitsplätze und nach-
haltiges Wachstum.


(Jörg Tauss [SPD]: Da haben Sie recht!)


Deswegen ist für uns die Forschungs- und Bildungspoli-
tik das Kernthema deutscher und europäischer Politik,
und deswegen legen wir, Frau Ministerin, großen Wert
darauf, dass diese Bundesregierung auf die Forschungs-
förderung ein weitaus größeres Augenmerk richtet, als
es bisher der Fall ist.


(Beifall bei der FDP)


Ihre Hightechstrategie, Frau Ministerin, ist eine An-
sammlung von Forschungsprogrammen bis zum Jahr
2009, aber sie lässt eben keine strategische Ausrichtung
erkennen, wie Deutschland als europäischer und interna-
tionaler Forschungsstandort etabliert werden könnte.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


Bei einer solchen Strategie müssen wir – dass das bei Ih-
rer Strategie fehlt, bemängeln wir – auf Spitzenfor-
schung und auf Wachstumsbranchen in der Wirtschaft
setzen. Dafür stehen für uns Liberale im Kern die fol-
genden drei Bereiche: Biotechnologie, Gesundheitsfor-
schung und Energie- und Klimaforschung.


(Beifall bei der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Fahrzeugbau! Maschinenbau!)


Ich will Ihnen ein ganz konkretes Beispiel nennen: Die
pharmazeutische Industrie, Herr Tauss, ist ein Wachs-
tumsmotor. Mit einem Forschungsanteil von 78 Prozent
trägt sie überdurchschnittlich zum 3-Prozent-Ziel der
Wirtschaft bei. Die Wirtschaft hat ihre Hausaufgaben ge-
macht. Sie ist die tragende Säule der Forschungsfinan-
zierung in unserem Land. Ihre Ausgaben hierfür stiegen
in den letzten zehn Jahren von 27 Milliarden auf heute
rund 40 Milliarden Euro. Das kommt natürlich auch bei
den hohen Exportraten für Technologiegüter zum Aus-
druck. Deutschland ist dabei Exportweltmeister.

Die Ausgaben für Forschung von Bund und Ländern
dagegen stagnieren. Waren es 1997 noch 15,6 Milliarden
Euro, so sind es heute 16,8 Milliarden Euro. Man merkt
keinen großen Unterschied. Die Lissabonstrategie, die
Sie, Frau Ministerin, immer betonen, verlangt von uns,
für Forschung 3 Prozent vom BIP auszugeben. Mit den
Weichenstellungen, die bis jetzt im Haushalt vorgenom-
men worden sind, werden wir dieses Ziel aber nicht er-
reichen. Der Anteil der Forschungsausgaben liegt jetzt






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper
bei 2,46 Prozent, bei rückläufiger Tendenz. Deswegen
meinen wir, wir müssen klotzen und nicht kleckern. Die
Bundesregierung muss mehr in Bildung und Forschung
investieren. Das vermissen wir. Insbesondere gilt das für
die Länder, die das Ziel, einen Anteil von 3 Prozent des
BIP bei den Forschungsausgaben zu erreichen, in ihren
Haushalten zum Teil gar nicht berücksichtigen.


(Beifall bei der FDP)


Ich glaube, es reicht nicht aus, halbherzige Positionen
bezüglich der Forschung zu beziehen. Ich nenne das
Stichwort Forschungsprämie – Sie sind darauf einge-
gangen, Frau Ministerin –: Wir haben begrüßt, dass die
Bundesregierung dieses Konzept, das die FDP seit der
letzten Legislaturperiode verfolgt, realisiert hat. Leider
fördert die Prämie so, wie sie jetzt umgesetzt wurde,
nicht die eigentlichen Forschungsarbeiten zur Gewin-
nung neuen Wissens, sondern setzt den Schwerpunkt auf
den Technologietransfer bereits vorhandener FuE-Er-
gebnisse, zum Beispiel auf Workshops mit der Wirt-
schaft zur Feststellung des Forschungsbedarfs. Auch
Messungen zur Validierung von Forschungsergebnissen
finden, einmal abgesehen vom sehr bürokratischen An-
tragsverfahren, nicht statt.


(Jörg Tauss [SPD]: Haben wir doch gerade wieder verbessert!)


Die Einschränkung bei der Verwendung der Mittel hat
in der Praxis die Folge – Herr Tauss, hören Sie gut zu,
dann können Sie etwas lernen –, dass die Prämie nicht
zur Finanzierung von Forschungstätigkeiten wie dem
Kauf von Geräten oder der Einstellung von Forschungs-
personal verwendet werden darf. Das heißt, unterm
Strich werden dadurch eben nicht die Defizite in der Zu-
sammenarbeit mit der Wirtschaft abgebaut und keine
neuen Kooperationen gefördert.


(Jörg Tauss [SPD]: Die haben keinen Nachholbedarf! – Gegenruf der Abg. Birgit Homburger [FDP]: Jetzt ist einmal gut!)


Deswegen fordere ich Sie auf: Lassen Sie die bürokrati-
schen Hürden fallen! Hören Sie auf die Unternehmen!
Hören Sie auf die Wirtschaft! Wir brauchen neue Inno-
vationsimpulse, damit das 3-Prozent-Ziel erreicht wird.
Frau Ministerin, handeln Sie hier!


(Jörg Tauss [SPD]: Die Wirtschaft muss handeln!)


Seit Jahren zeigt sich, dass die industrielle Umset-
zung von Forschungsergebnissen aufgrund einer struk-
turellen Lücke im Innovationsprozess nicht mit der ge-
botenen Effizienz erfolgt. Was heißt das? Diese Lücke
resultiert aus der nicht ausreichenden Reife der For-
schungsergebnisse und führt zu einer mangelhaften At-
traktivität für Investoren – Industrie wie auch kleine und
mittelständische Unternehmen – für die das betriebswirt-
schaftliche Risiko bei einer Produktentwicklung bei feh-
lender Validierung zu groß ist.

Führen Sie einen Innovationsfonds der deutschen
Forschung ein, wie ihn die Max-Planck-Gesellschaft for-
dert! Das wäre der richtige Weg. Vor allen Dingen: Zol-
len wir den Wissenschaftlern in unserem Land endlich
mehr Anerkennung! Lassen wir endlich zu, dass ein
Wissenschaftstarifvertrag geschlossen wird! Denn der
TVöD ist der größte Hemmschuh für Spitzenforschung
in diesem Land, dafür, dass internationale Wissenschaft-
ler hierher kommen bzw. Nachwuchs im Land bleibt.

Wir brauchen mehr Anerkennung für die Wissen-
schaft. Wir brauchen ein weitaus forschungsfreundliche-
res Klima in diesem Land. Deswegen rege ich an, Frau
Ministerin, dass jedes Ministerium des Bundes jedes
Jahr einen Forscherpreis auslobt und nicht nur Ihr Haus
auf diesem Gebiet aktiv wird. Es ist gesellschaftspoli-
tisch einfach nicht mehr einzusehen, dass ein Fußballstar
in Deutschland Gagen in Millionenhöhe bekommt, junge
Spitzenforscher aber keinerlei Anerkennung erfahren.
Darauf, dass sich das ändert, legen wir als Liberale gro-
ßen Wert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Stellen Sie einmal einen Antrag dazu!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609800300

Nächster Redner ist der Kollege René Röspel, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1609800400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Keine Angst; ich werde den Bundesbericht nicht
vorlesen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609800500

Ich wollte Sie schon darauf aufmerksam machen, dass

die Redezeit dafür vermutlich nicht reichen würde.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1609800600

Deutschland ist zum vierten Mal hintereinander

Exportweltmeister.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


9,2 Prozent aller in der Welt exportierten Waren haben
den Stempel „Made in Germany“. Das hat viele Gründe.
Es liegt sicherlich daran, dass wir viele fleißige und gute
Arbeitnehmer haben, die übrigens lange genug Lohnver-
zicht geübt haben. Es liegt auch daran, dass wir viele
gute, kreative und verantwortungsbewusste Unterneh-
mer haben.

Aber darauf werden wir uns nicht ausruhen können.
China hat im letzten Jahr die USA von Platz zwei auf
Platz drei verdrängt. Ich gehe davon aus, dass wir nächs-
tes oder spätestens übernächstes Jahr den Weltmeister-
titel an China abgeben werden. China hat Riesenvor-
kommen an Rohstoffen, wir nicht. Unser Potenzial sind
die gut ausgebildeten Menschen, die hier leben. Die Ba-
sis unseres Erfolgs lässt sich mit zwei Worten ausdrü-
cken: Bildung und Forschung.






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eigentlich müsste ich deswegen nicht nur den Bundesbe-
richt Forschung hier liegen haben, sondern auch den na-
tionalen Bildungsbericht, den wir demnächst sicherlich
auch diskutieren werden. Beides gehört zusammen, ist
unabdingbar verknüpft in einer Gesellschaft, die nicht
nur sozial, sondern auch wirtschaftlich und im For-
schungsbereich nach vorne kommen will.


(Beifall bei der SPD)


Zuständig für Bildung und Forschung ist nicht nur der
Bund. Auf der einen Seite sind es die öffentlichen
Hände, Bund und Land, auf der anderen Seite – es ist
schon erwähnt worden – die Wirtschaft. Auch aus dem
Bundesbericht geht hervor, dass es in den Ländern – ich
weiß, es ist nicht einfach –


(Jörg Tauss [SPD]: Auf der Bundesratsbank sitzt gar keiner!)


deutliche Defizite gibt, was die finanzielle Förderung
angeht. Ich würde mir – das ist dringend nötig – eine Re-
form des Bildungswesens in Deutschland wünschen.
Dafür sind originär die Länder zuständig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Nordrhein-Westfalen, meinem Heimatland, hat die
SPD bereits eine Diskussion über ein modernes und ge-
rechtes Schulsystem begonnen. In Baden-Württemberg
gibt es eine interessante Initiative von 100 Hauptschu-
len, die sich an das Kultusministerium gewandt und die
Landesregierung aufgefordert haben, endlich das unge-
rechte dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE] und der Abg. Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Als Forschungspolitiker spricht man ja gerne auch ein-
mal über die Bildung.

Die zweite wichtige Säule ist die Wirtschaft. Sie
trägt große Teile der Investitionen in Forschung und Ent-
wicklung. Das ist gesagt worden; aber trotzdem ist es
richtig. Die Wirtschaft profitiert eben auch von dem, was
die öffentliche Hand, was Bund und Land für Bildung
und Forschung zur Verfügung stellen. Deswegen habe
ich kein Verständnis, wenn die Wirtschaft – die Zahlen
des Stiftungsverbandes der deutschen Wirtschaft, Frau
Pieper, sprechen da eine deutliche Sprache – ihrer Ver-
pflichtung zur Steigerung von Forschung und Entwick-
lung in gehörigem Maße nicht nachkommt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])


Deswegen habe ich auch kein Verständnis, wenn Unter-
nehmen Rekordumsätze machen, aber gleichzeitig
Arbeitsplätze abbauen, wenn sie Rekordgewinne aus-
schütten, aber immer weniger in die Köpfe ihrer Be-
schäftigten und in Forschung und Entwicklung investie-
ren.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])


Wenn man den Finger nach außen richtet, zeigen ja
nach Gustav Heinemann drei Finger zurück: Die dritte
Säule ist der Bund. Auch wir haben hier eine Aufgabe
und spielen selbstverständlich eine wichtige Rolle. Ich
darf in Erinnerung rufen – das gehört zur Geschichte –:
Zwischen 1998 und 2005 hat die SPD zusammen mit
dem damaligen Koalitionspartner, den Grünen, Bildung
und Forschung erst wieder nach vorne gebracht. Wir ha-
ben die Ausgaben für Bildung und Forschung von 1998
bis 2005 um 37 Prozent erhöht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Pieper, in Ihrer Regierungszeit war Bildung und
Forschung ein Auslaufmodell, die Etats gingen nach un-
ten. Wir haben sie erst wieder gesteigert. Wir sind froh,
dass wir mit dem neuen Koalitionspartner diesen erfolg-
reichen Kurs noch einmal verstärkt fortsetzen können.


(Beifall bei der SPD)


Ein Beispiel dafür ist die Exzellenzinitiative. Das ist
ein Wettbewerb zur Förderung von Spitzenleistungen an
Universitäten, der in diesem Bereich bereits für große
Dynamik und Bewegung gesorgt hat. 1,9 Milliarden Euro
werden wir bis 2011 zur Verfügung stellen; drei Viertel
davon trägt der Bund, ein Viertel tragen die Länder.

Mit dem Pakt für Forschung und Innovation si-
chern wir den großen deutschen Forschungsorganisatio-
nen zu, jedes Jahr bis zum Jahr 2010 verlässlich
3 Prozent mehr Mittel zur Verfügung gestellt zu bekom-
men. Dass sich das lohnt, sieht man, wenn man in den
Bericht hineinschaut. Ich möchte einige Beispiele – bei
fast 800 Seiten kann ich nicht alle nennen – anführen.
54 der weltweit am meisten zitierten Wissenschaftler im
Bereich der Grundlagenforschung kommen aus der deut-
schen Max-Planck-Gesellschaft.


(Beifall bei der SPD)


Schaut man sich an, welche Institute mit ihrer Publika-
tionszitierung in wissenschaftlichen Zeitschriften welt-
weit vorne liegen, dann stellt man fest: In den Bereichen
Chemie, Physik, Materialwissenschaften und Weltraum-
wissenschaften ist die Max-Planck-Gesellschaft auf
Platz eins – Entschuldigung, dass ich sie zweimal nenne.
Wir sind hier erfolgreich.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ilse Aigner [CDU/CSU])


Auch für Erfolge im Bereich der angewandten For-
schung gibt es gute Beispiele. Jedes Kind kennt mittler-
weile den MP3-Player, eine Entwicklung der Fraunho-
fer-Gesellschaft aus Deutschland. Das zeigt aber auch
die immer noch vorhandenen Probleme des Technolo-
gietransfers, ohne Frage.


(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Die Fraunhofer-Gesellschaft macht zu 90 Prozent Ver-
tragsforschung für Industrie, Handel und Dienstleistungen
öffentlicher Hand, die sehr erfolgreich ist. Die Leibniz-






(A) (C)



(B) (D)


René Röspel
Gemeinschaft, die ich in der letzten Ausschusssitzung
als Gemischtwarenladen bezeichnet habe, wird auf
Seite 84 des Berichtes treffend charakterisiert:

Vielfalt bei gleichzeitig hoher Qualität, Effektivität
und Effizienz der wissenschaftlichen Arbeit.

Ein berechtigtes Lob.


(Beifall bei der SPD)


Wir können uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen.
Die Chinesen schlafen nicht, schon gar nicht um
9.20 Uhr deutscher Zeit. Der dickste Brocken beim
Export – Sie sprachen es an; das muss man analysieren –
sind Autos. Der Großteil der privaten Forschungsgelder
und Investitionen geht in wenige Bereiche: Kfz-Bau,
Elektrotechnik, Chemieindustrie.


(Jörg Tauss [SPD]: Maschinenbau!)


– Und Maschinenbau, danke; im letzten Jahr aber übri-
gens mit rückläufigen FuE-Investitionen.


(Jörg Tauss [SPD]: So ist es!)


Das ist sehr bedenklich. Wir sind zusammen mit den
Schweizern ziemlich weit oben im internationalen Ma-
schinenbau, aber Forschung und Entwicklung gehen zu-
rück.

Das bedeutet für die öffentliche Forschungsförderung
– das ist unsere Aufgabe –, dass wir zusätzliche For-
schungsfelder identifizieren und unterstützen müssen,
die uns parallel zu diesen großen Bereichen Zukunfts-
chancen eröffnen. Das sind zum Beispiel diejenigen, die
wir – Frau Ministerin Schavan erwähnte es schon – in
der Hightechstrategie beleuchten, mit der wir 6 Milliar-
den Euro bis 2009 zusätzlich zur Verfügung stellen:
Nanotechnologie, Informations- und Kommunikations-
technologie, Verkehrstechnologie und Gesundheitsfor-
schung. Insbesondere diese ist nicht nur technologisch
interessant, sondern für die Menschen unmittelbar; ich
nenne hier das Stichwort Krankheitsbekämpfung. Bei
der Umwelttechnologie sind wir bereits Exportweltmeis-
ter; hier steht noch ein gigantischer Markt zur Ver-
fügung. Nicht zuletzt nenne ich auch die Energietech-
nologie. Wenn es uns gelingt, neue Energieträger zu
mobilisieren, die umweltfreundlich sind und die hier vor
Ort angewandt werden können, und wenn wir die Effi-
zienz dieser Technologie steigern können, dann schafft
das nicht nur mehr Exportmöglichkeiten, es schafft vor
allen Dingen im Inland mehr Arbeitsplätze, wir können
damit das Klima und die Umwelt schützen und den Frie-
den nach innen und außen sichern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609800700

Ich erteile das Wort der Kollegin Dr. Petra Sitte, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609800800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die

Bewertung der Hightechstrategie hat sich mir ein Bild
aus dem Umweltbereich aufgedrängt. Die Hightechstra-
tegie der Bundesregierung erscheint mir ein bisschen
wie eine Flussbegradigung, also quasi wie die Begradi-
gung eines Erkenntnisstromes aus Wissenschaft und
Forschung. Die Seitenarme intellektuellen Artenreich-
tums dieses Flusses werden nämlich weitestgehend
durch die Hightechstrategie ausgetrocknet.

Ich will Ihnen sagen, warum ich diese Feststellung
treffe: weil jegliche zu fördernden Aktivitäten ihre Exis-
tenzberechtigung im Wesentlichen aus einem gemeinsa-
men Nenner ableiten. Europa – ich zitiere Sie – soll zu
einem „wissensbasierten, wettbewerbsfähigen For-
schungsraum“ und der angeschlossene „europäische
Forschungsraum zu einem wirklichen Forschungsbin-
nenmarkt“ werden. Also all das, was nicht direkt in diese
Richtung fließt, wird demzufolge kaum etwas vom Mil-
liardenregen der Hightechwolke der Bundesregierung
auffangen können.


(Jörg Tauss [SPD]: Wolke?)


Ihre Zuwendungsvoraussetzungen für Förderpro-
gramme besagen ganz klar – ich zitiere wieder; das
kann man nachlesen –:

Die Projekte müssen unter industrieller Federfüh-
rung stehen. In Ausnahmefällen können auch Ein-
zelvorhaben von Unternehmen gefördert werden.

Wohlgemerkt, wir reden hier über öffentliche Mittel
in Höhe von 14,5 Milliarden Euro, die sich aus Steuer-
geldern speisen. Ein gehöriger Teil dieser Mittel stammt
aus der Besteuerung von Löhnen und Gehältern.

Ich will an dieser Stelle deshalb darauf verweisen,
weil diese Hightechstrategie natürlich positiv die Frage
beantworten muss, wem sie am Ende wirklich nutzen
soll.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wie wirkt sie sich denn am Ende tatsächlich auf die Ver-
besserung der Lebensqualität der Menschen in diesem
Land aus?

Eine Gewinnergruppe können wir schon heute be-
nennen: Das sind die großen Unternehmen der soge-
nannten Hightechbranche, also jene, die es bereits im
Vorfeld dieser Hightechstrategie durch ihre Interessen-
verbände geschafft haben, die Schwerpunktsetzung in
diesen Programmen auf sich selbst zu lenken. Erkennt-
nis- und Wissensanwendung wird vor allem dann öffent-
lich gefördert, wenn sich dafür bereits jetzt ein Markt
abzeichnet oder wenn man wie im Bereich der Sicher-
heitstechnologien einen Markt erst künstlich schaffen
will. Innovative kleine und mittelständische Unterneh-
men dagegen, die häufig vor dem Hintergrund struktur-
schwacher Regionen wie im Osten die Keimzellen sind,
werden es deutlich schwerer haben, sich um Projektför-
derung zu bewerben und sich dann auch zu behaupten.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
Dazu muss ich sagen: Ich bin einigermaßen froh, dass
es nach endlosem Drängen auch meiner Fraktion nun ge-
lingen soll – dies ist schon von Frau Pieper angespro-
chen worden –, bis zum Sommer eine Art Forschungs-
prämie für innovative kleine und mittelständische
Unternehmen aufzulegen, wie es sie bereits für andere
öffentliche Wissenschaftseinrichtungen gibt.

Frau Ministerin, damit wir uns nicht falsch verstehen:
Sie haben als Hauptidee dieser Strategie die Auflage ei-
ner modernen Form staatlicher Innovations- und Wirt-
schaftsförderung angekündigt. Mit deren Hilfe sollen
neue Arbeitsplätze insbesondere in strukturschwachen
Regionen entstehen. Dagegen legen wir natürlich über-
haupt keinen Widerspruch ein. Widerspruch melden wir
an, weil sich schon jetzt abzeichnet, dass diese Hightech-
strategie in Teilen nicht eingehalten werden kann. Es
werden eben nicht nur wichtige strategische Partner wie
die zitierten innovativen kleinen und mittelständischen
Unternehmen vernachlässigt. Was dem Programm der-
zeit auch völlig fehlt, ist ein Konzept, wie man diesem
riesigen Fachkräftebedarf begegnen will. Weiterbil-
dung und Fortbildung spielen in diesem Konzept kaum
eine Rolle.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Umsetzung der neuen Hightechstrategie wer-
den aber auch neue Konflikte und neue Konfliktlinien
entstehen. Man kann schon jetzt in einzelnen Förderbe-
reichen Problematisches erkennen. Im Programm selbst
finden sich kaum Mittel für Projekte zur Risikoabschät-
zung und für die Voraussetzungs- und Begleitforschung.
Es zeichnet sich bereits jetzt ein mangelnder Daten- und
Verbraucherschutz ebenso ab wie fehlende Transparenz
in der Mittelbewilligung. Es fehlen bei der Umsetzung
dieses Programms Ansätze für einen öffentlichen Dialog
zwischen Interessierten, Betroffenen, Experten sowie
Vertretern und Vertreterinnen aus Wirtschaft und Politik.
Ihr Innovationskreis ist zwar für Sie eine interessante
Beratungseinrichtung; aber er findet nicht öffentlich
statt. Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften finden
in dem Programm nur dann Erwähnung – das ist be-
zeichnend –, wenn sie der Erklärung und damit am Ende
auch einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz gegen-
über sensiblen und besonders umstrittenen Technologien
dienen.

Schließlich werden wir – da bin ich mir sehr sicher –
mit dem Programm vor dem Problem stehen, dass bei
anwendungs- und industriebezogener Forschung die Un-
ternehmen – das ist natürlich – ein Geheimhaltungsinte-
resse haben. Das widerspricht den Zielen öffentlicher
Forschungsförderung. Ich will Ihnen diese Kritik gern an
einem Beispiel erläutern. Das Programm „IKT 2020“
dient der Subventionierung von Informations- und Kom-
munikationstechnologien.


(Jörg Tauss [SPD]: Nein! Forschung!)


Viele Projekte gelten offenbar nützlichen und Erfolg ver-
sprechenden Innovationen. Das wiederum kann ich nur
vermuten und hoffen. Aber viele Projekte, die sich dort
finden, sind inhaltlich noch nicht genau beschrieben.
So soll beispielsweise die Funkchiptechnologie
künftig weit mehr leisten als reine Identifikation in vie-
len Transport- und Vertriebssystemen, in Fertigungsanla-
gen zur Prozesssteuerung oder in Teilen des Einzelhan-
dels. Eingebaute Funksensoren in Produkten machen
auch umfassende Datenerfassung und Datenauswertung
über Einzelpersonen möglich. Produkte bekommen ge-
wissermaßen ein Gedächtnis. Das Nutzer- und Verbrau-
cherverhalten kann so lückenlos dokumentiert werden,
und zwar ohne dass es die Betroffenen merken. Zu die-
ser Problematik gibt es aktuell keine verbindliche Selbst-
verpflichtung der Wirtschaft zum Datenschutz. Die be-
stehenden gesetzlichen Regelungen reichen in diesem
Bereich überhaupt nicht aus.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun kann ja mancher hier, sowohl auf der Tribüne als
auch Sie im Saal, meinen: Das betrifft mich ja alles
nicht. – Weit gefehlt, kann ich Ihnen da nur sagen. Denn
es bezieht sich auf Ihr Kauf- und Fahrverhalten genauso
wie auf Ihren Fernseher und PC an jedem denkbaren Ort,
ob in Ihrer Wohnung, im Garten oder sonst wo. Entwick-
lungen dieser Art halten wir für höchst problematisch.
Deshalb wollen wir sie nicht auch noch mit öffentlichen
Fördergeldern ausstatten und vorantreiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Weitere Beispiele ließen sich aufzählen für den Be-
reich der Sicherheitstechnologien, für Teile der Gesund-
heits- und Medizintechnik, für nukleare Energietechno-
logien, für die Grüne Gentechnik, für Fahrzeug- und
Verkehrstechnologien, aber auch für Querschnittstech-
nologien wie die Nanotechnologie.


(René Röspel [SPD]: Welche bleiben denn dann eigentlich noch übrig?)


Für die Hightechpolitik der Bundesregierung ist übri-
gens auch symptomatisch, dass für die aus den For-
schungsvorhaben gewonnenen Patente und Nutzungs-
rechte keinerlei Auflagen gemacht werden. Offenbar gilt
Folgendes: Die Kosten für Forschung und Entwicklung
sind gesellschaftlich aufzubringen, später anfallende
Verwertungsgewinne dagegen werden privatisiert.

Je tiefer ich mich bei der Vorbereitung und im Zuge
unserer Beratungen im Ausschuss in die Hightechstrate-
gie eingearbeitet habe, desto mehr bestätigt sich für mich
folgende Erkenntnis: Öffentliche Forschungsförderung
und die grundgesetzlich garantierte Freiheit von For-
schung und Lehre stehen immer weniger im Dienste der
Gesellschaft.


(Beifall bei der LINKEN)


Unlängst – Sie erinnern sich ganz gewiss an die Tumulte –
wurde am Bundestag die Inschrift „Dem deutschen
Volke“ durch ein Transparent verhängt, auf dem „Der
deutschen Wirtschaft“ stand.


(René Röspel [SPD]: Schade, dass die Toleranz des Hauses so ausgenutzt wurde!)


Nachdem ich die Hightechstrategie studiert habe, kann
ich nur sagen: Die Protestierenden haben den Nagel auf
den Kopf getroffen.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Petra Sitte
Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609800900

Ilse Aigner ist die nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ilse Aigner (CSU):
Rede ID: ID1609801000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Wir diskutieren heute neben einer
ganzen Reihe von Anträgen über den letztjährigen Be-
richt zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands. Ich möchte hier zwei Feststellungen aus diesem
Bericht aufgreifen: Innovationen richten sich zuneh-
mend an den Möglichkeiten des Weltmarktes aus, und
die Ausgaben für Forschung wurden von der Wirtschaft
nicht kräftig genug erhöht. Letzteres ist bzw. war für
eine Technologie- und Exportnation ein alarmierender
Befund. Dies liegt nicht im Interesse unseres Landes,
aber auch nicht im Interesse der entsprechenden Firmen
und der Wirtschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Von unserer Seite haben wir den ersten Schritt getan
und ein Programm mit zusätzlich 6 Milliarden Euro auf
den Weg gebracht. Man kann es nicht oft genug sagen:
Die Wirtschaft muss jetzt nachziehen.

Natürlich braucht die Wirtschaft gute Rahmenbedin-
gungen. Deshalb würde ich mich darüber freuen – es
gibt entsprechende Anzeichen –, wenn sich bei der jetzt
anstehenden Unternehmensteuerreform gewisse Verän-
derungen zugunsten von Forschung und Entwicklung
auftun würden. Das kann nur in unserem Interesse sein.


(Ulrike Flach [FDP]: Das ist aber auch bitter nötig!)


Zurück zum Ausgangspunkt. Die Bundesregierung,
insbesondere das federführende Forschungsministerium
unter der Leitung unserer Ministerin Annette Schavan,
hat umgehend weitere Konsequenzen gezogen. Mit einer
schlüssigen Hightechstrategie, die alle Ressorts der Bun-
desregierung einschließt, hat sie alle auf einen gemeinsa-
men Kurs eingeschworen. Die Richtung ist klar: Mehr
Innovation für mehr Arbeitsplätze.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Herzstück ist die Stärkung von Forschung und
Innovation in der Wirtschaft. Diese erreichen wir vor
allem, indem wir strategische Kooperationen zwischen
Wissenschaft und Wirtschaft fördern. Die Ministerin hat
die OLED-Initiative angesprochen. Wir wollen darüber
hinaus gerade den kleinen und mittleren Unternehmen
helfen, sich international zu positionieren.

Eines der neuen Instrumente wurde schon angespro-
chen: die Forschungsprämie. Sie soll für Hochschulen
und Forschungseinrichtungen ein Anreiz sein, sich ver-
stärkt in Kooperationen mit der Wirtschaft zu begeben.
Ziel: mehr Forschung und Entwicklung in den Betrie-
ben.
Ein weiteres wichtiges Instrument zur Bündelung der
Kräfte von Wissenschaft und Wirtschaft wird der Clus-
terwettbewerb der Bundesregierung sein. Cluster von
Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschu-
len sind anerkanntermaßen eine immer wichtiger wer-
dende Innovationsquelle. Das wissen wir auch durch er-
folgreiche Beispiele früherer Fördermaßnahmen. In
diesem Zusammenhang muss ich mal wieder – es sei mir
nicht verübelt – eine bayerische Erfolgsstory anspre-
chen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ja, aber nicht übertreiben!)


Letztes Mal war Sachsen dran. Zum Ausgleich nenne ich
dieses Mal Bayern: die Biotechregion rund um Mün-
chen, wo 180 neue Unternehmen entstanden sind, deren
magnetische Wirkung bis ins Ausland reicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: Bis in die Oberpfalz so langsam!)


Wichtig wird sein, dass wir den geplanten Clusterwett-
bewerb so ausgestalten, dass sich diese Erfolgsstory
mehrfach wiederholt.

Eine Sache liegt mir noch am Herzen – das wäre das
i-Tüpfelchen –: Vielleicht fällt uns irgendwann einmal
eine bessere Bezeichnung als „Cluster“ ein. Ich habe
einmal nachgeschaut, was es in der wörtlichen Überset-
zung heißt: Traube, Bündel, Schwarm, Haufen. So steht
es in „Wikipedia“. All das ist nicht sonderlich treffend.
Dann gibt es – das habe ich bisher nicht gewusst – das
alte deutsche Wort „Kluster“; das schreibt man mit K.
Das Wort ist allerdings nicht mehr gebräuchlich. In ei-
nem alten Wörterbuch, dem Grimm’schen Wörterbuch,
steht: „Was dicht und dick zusammensitzet.“ – „Dicht“
ist ja noch in Ordnung. „Dick“ klingt aber, insbesondere
nach der gestrigen Debatte, zusammen mit „sitzen“ nicht
sonderlich dynamisch. Bis jetzt haben wir also keinen
passenden deutschen Begriff.


(Jörg Tauss [SPD]: Oettinger sagt immer: „Clusterle“!)


– Clusterle.

Nun zurück zur Hightechstrategie. Man könnte auch
Hochtechnologiestrategie sagen. Sie spricht ein in der
deutschen Forschungslandschaft neues Förderinstrument
an – wieder so ein Wort –: Public Private Partnership, öf-
fentlich-private Partnerschaften beim Aufbau von For-
schungsinfrastrukturen. Ich halte dieses Instrument für
vielversprechend, um eine erkennbare Lücke zu schlie-
ßen. Wir werden das unterstützen.

Eine wichtige Säule der Hightechstrategie ist die
Internationalisierung der deutschen Wissenschaft und
Wirtschaft. Damit komme ich zurück auf den anfangs
genannten Punkt aus dem Bericht zur technologischen
Leistungsfähigkeit: „Innovationen richten sich zuneh-
mend an den Weltmarktmöglichkeiten aus.“ Besonders
stark auf internationale Märkte ausgerichtet sind auch
unsere umwelttechnologischen Unternehmen. Hier bele-
gen wir international einen Spitzenplatz, den wir vertei-
digen müssen.






(A) (C)



(B) (D)


Ilse Aigner

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie mich beispielhaft ein Projekt des For-
schungsministeriums aus diesem Bereich nennen, in
dem die Ziele unserer Strategie – strategische Koopera-
tionen von Wissenschaft und Wirtschaft und Orientie-
rung auf internationale Märkte – exemplarisch umge-
setzt wurden: „Spree 2011“. Die Spree fließt unmittelbar
vor unserer Haustür. Anders als viele vergleichbare
Flüsse in Deutschland hat die Spree eine relativ
schlechte Wasserqualität. Der Grund: Bei Starkregen
läuft das Abwasser aus dem Kanalsystem in die Spree
über. Jetzt hat sich ein Verbund aus mehreren mittelstän-
dischen Unternehmen und der Technischen Universität
Berlin zusammengeschlossen und die Idee entwickelt,
mit sogenannten Pontons, künstlichen Inseln, dieses
Wasser zu sammeln, Membrankläranlagen in diese In-
seln einzubauen und dadurch neue Inseln in der Spree zu
gewinnen.


(René Röspel [SPD]: Wie in Dubai!)


Diese können künftig, wenn wieder Badewasserqualität
besteht, zum Beispiel durch Strandcafés für die dann
zahlreichen Badegäste genutzt werden.

Dieses Problem der Wasserqualität gibt es aber nicht
nur in Deutschland: Die Qualität der Flüsse ist leider
weltweit nicht überall in Ordnung.


(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: An der Isar schon!)


Deshalb ist dies auch ein Beispiel, wie man gute Ideen
aus Deutschland in die weite Welt exportieren kann.

Leider kann ich, weil die Uhr schon blinkt, keine wei-
teren Beispiele bringen – die es verdient hätten. Ent-
scheidend ist: Wir sollten nicht versuchen, auf gleichem
Gebiet und mit gleichen Produkten mit anderen Ländern
zu konkurrieren. Unser Vorteil war immer: Wir waren
besser, innovativer und erfinderischer. Dass dies so
bleibt, muss unser gemeinsames Interesse sein. Dass wir
da noch besser werden, muss unser gemeinsames Ziel
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609801100

Nächste Rednerin ist die Kollege Priska Hinz,

Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
einmal möchte ich festhalten, dass der Bundesbericht
Forschung in seiner Präambel keine neuen politischen
Aussagen enthält, die Bundesministerin in ihrer Rede
seltsam nebulös blieb und wieder nur Ankündigungen
vorgetragen hat, nichts über die Umsetzung gesagt hat.


(René Röspel [SPD]: Dazu gibt es ja einen eigenen Teil! Das muss nicht in der Präambel stehen!)

Die Hightechstrategie ist zwar gut gedacht, weil da-
mit gebündelt werden soll und Schwerpunkte gesetzt
werden sollen; doch sie ist damit noch lange nicht gut
gemacht. Denn die dringenden Fragen und Probleme der
Gesellschaft erfordern konkrete Antworten. So wäre die
Ausrichtung der Forschungspolitik auf den Klimawan-
del, auf die demografischen Veränderungen, auf die zu-
nehmende Heterogenität der Gesellschaft und auf die
Ressourcenschonung dringend notwendig. Doch das
lässt die Hightechstrategie vermissen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Nachhaltigkeit im Umgang mit Finanz-
mitteln und der Qualifizierung von Menschen. Die Ent-
wicklung von Rahmenbedingungen, die Forschung und
Entwicklung begünstigen, gehört dazu. Die For-
schungsprämie für die Kooperation von Hochschulen
und Wirtschaft ist ein solcher Baustein. Ich will die De-
tailkritik, die wir daran üben, jetzt nicht zum dritten Mal
vortragen – wir werden sehen, was die Forschungsprä-
mie bringt. Aber klar ist: Deutschland braucht mehr Un-
ternehmen, die hierzulande forschen und in die Entwick-
lung und Vermarktung ihrer Produkte investieren.
Forschung ist hierzulande durchaus attraktiv: Nach den
USA und Japan belegen die Deutschen einen Spitzen-
platz bei der Anmeldung von Patenten. Aber die Bedin-
gungen dafür, die Forschungsergebnisse zu marktfähi-
gen Produkten und Verfahren weiterzuentwickeln,
reichen in Deutschland bei weitem nicht aus, um innova-
tive Unternehmen in Deutschland zu halten oder sie
überhaupt entstehen zu lassen. Dafür fehlt nämlich ein
ausreichendes Angebot an Wagniskapital.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir haben hier einen Antrag eingebracht. Sie hätten
schon lange selber einen Gesetzentwurf dafür auf den
Weg bringen können. Bislang erfolgt sind nichts als An-
kündigungen, auf jeder Veranstaltung, von fast jedem
Minister dieser Bundesregierung.


(Jörg Tauss [SPD]: Na, na!)


Taten lassen Sie auf diesem Gebiet vermissen. Dabei
könnte hier ein neues Kapitel für die Entwicklung und
Umsetzung von Innovationen aufgeschlagen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Mit dem, was Sie nun mit der Unternehmensteuerre-
form vorlegen, widersprechen Sie Ihren Sonntagsreden
ebenfalls. Muss es denn ausgerechnet die Forschung
sein, die mit dem Gesetz steuerlich erschwert wird?
Müssen es ausgerechnet die jungen und innovativen Un-
ternehmen sein, die in Entwicklung investieren wollen?
Für sie werden die steuerlichen Bedingungen, Kapital zu
erhalten, verschlechtert. Ich bin überzeugt, dass es bes-
sere Wege gibt. Vielleicht – ich habe die Signale von
Frau Aigner gehört – bewegen Sie sich; dann müssen Sie
das schnell machen, wenn in der nächsten Zeit Investi-
tionen in Deutschland getätigt werden sollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Priska Hinz (Herborn)

Die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter gehört zur Leistungsfähigkeit unbedingt dazu. Wir
haben bereits jetzt einen Fachkräftemangel. Was macht
aber die Regierung? Mittlerweile wird offensichtlich,
dass durch den Hochschulpakt nicht genügend Mittel zur
Verfügung gestellt werden – er ist unterfinanziert –, um
die notwendige Zahl an zusätzlichen Studienplätzen zu
finanzieren.

Die Quote der Studienanfänger ist in den letzten drei
Jahren von 39 Prozent auf 35,5 Prozent gesunken. Flä-
chendeckend wird der NC eingeführt; die Abiturienten
verdrängen die Realschüler von den Ausbildungsplät-
zen; die Hauptschüler gucken in die Röhre – da kann
man doch nicht von einem Land für Bildung, Forschung
und Entwicklung sprechen. Hier ist die Bundesregierung
gefragt, tatsächlich mehr zu tun; denn, Frau Schavan, Sie
sind nicht nur Forschungsministerin, sondern auch Bil-
dungsministerin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Meine Damen und Herren, auch bei der Nachwuchs-
förderung tun Sie viel zu wenig. Jetzt wollen Sie zwar
ein Programm zur Förderung von Professuren für
Frauen auflegen – nachdem Sie vorher alle Mittel für
die Programme aus dem Haushalt gestrichen haben,
durch die wirklich nachhaltig Strukturen verändert wer-
den sollten –, aber Sie springen hier wieder zu kurz.
Feste Zielzahlen und strukturelle Veränderungen sind
notwendig, damit sich tatsächlich nachhaltige Verände-
rungen im Wissenschaftsbetrieb zugunsten von Frauen
ergeben. Es reicht nicht, einfach noch etwas dazuzupa-
cken, während sich der Wissenschaftsbetrieb ansonsten
nicht weiter um die Frauen und die Frauenförderung im
Bereich des Nachwuchses bemühen muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das BAföG ist ein wichtiges Instrument zur Förde-
rung von Nachwuchs und ein weiterer Zankapfel in der
Koalition.


(Jörg Tauss [SPD]: Was?)


Ich bin einmal gespannt, wie das ausgeht. Man hört nur
unterschiedliche Signale. Auch hier ist die Quote der
Geförderten stark zurückgegangen. Es wäre für die Wis-
senschaft in Deutschland dringend notwendig, dass Sie
hier einen großen Schritt gehen.

Frau Schavan, Sie sagen in einem Interview, das in
dieser Woche erschienen ist, dass man jetzt erst einmal
die Studiengebühren richtig einführen muss. Ich richte
an Sie die Aufforderung, sich nicht nur darum zu küm-
mern, ob die Länder jetzt Studiengebühren einführen,
sondern auch darum, dass es endlich gescheite Stipen-
diensysteme gibt, damit es den Studierenden ermöglicht
wird, tatsächlich ein Studium zu absolvieren. So könnten
wir den Fachkräftemangel beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Jörg Tauss [SPD]: Studiengebühren abschaffen – das wäre viel besser!)

Meine Damen und Herren, einen zweiten großen Feh-
ler neben der Unternehmensteuerreform scheinen Sie bei
der Umsetzung der Forscherrichtlinie der EU vorzube-
reiten. Sie ist von der EU als Initiative für den gemein-
samen Forschungsraum Europa gedacht, von dem Sie
heute Morgen gesprochen haben, Frau Schavan.

Was macht aber die Bundesregierung daraus? For-
scherinnen und Forscher dürfen dann in die Bundesrepu-
blik, wenn sich die Forschungseinrichtung, an der sie ar-
beiten sollen, vor der Einreise verpflichtet, eventuelle
Abschiebungskosten für diese Forscherinnen und For-
scher zu übernehmen. Das kann ja wohl nicht wahr sein.
Dadurch können wir von dem Wissenschaftsaustausch
durch Köpfe wirklich nicht profitieren. Das ist doch
keine Internationalisierungsstrategie, das ist eine Ab-
schottungsstrategie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Cornelia Pieper [FDP] – Jörg Tauss [SPD]: Bayern? Oder wer war das?)


Ich hoffe sehr, dass Sie sich besinnen. Wir werden unse-
ren Beitrag in den weiteren Debatten in den Ausschüssen
über die Umsetzung der Forscherrichtlinie leisten.

Unsere Kritik an der Schwerpunktsetzung im Rahmen
der Hightechstrategie gilt nach wie vor. Die technische
Ausrichtung der Programme ist falsch. Am Beispiel der
Forschung für die zivile Sicherheit kann man das besonders
gut sehen. Es sollen vor allen Dingen neue Technologien
gefördert werden. Um den ökologischen Gesamtzusam-
menhang, zum Beispiel zwischen den Klimaveränderun-
gen, den Naturkatastrophen, den Bedrohungen aufgrund
von Ressourcenknappheit und den Sicherheitsnotwen-
digkeiten, die daraus entstehen, kümmern Sie sich mit
Ihrer Strategie aber viel zu wenig. Die Ursachenfor-
schung und die Weiterentwicklung friedlicher Konflikt-
lösungsstrategien fehlen völlig, und die Geistes- und So-
zialwissenschaften werden immer nur als Anhängsel
betrachtet, nach dem Motto: Wir gucken erst einmal,
was sich technologisch entwickeln soll, und dann gu-
cken wir, ob die Gesellschaft das auch ertragen kann.

Sie müssen eine integrierte Sicherheitsforschung an-
streben, wobei die Beteiligung der Geistes- und Sozial-
wissenschaften von Anfang an eine Selbstverständlich-
keit sein sollte. Damit haben Sie noch einen langen Weg
vor sich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Als letzten Punkt möchte ich den Klimaforschungs-
gipfel ansprechen, den Sie heute Morgen bereits lobend
erwähnt haben. Eigentlich müssten Sie schon in diesem
Jahr die Energieforschung auf die erneuerbaren Ener-
gien und deren Vernetzung, Transport und Speicherung
ausrichten. Sie müssten mehr Forschungsmittel für den
Bereich der klimafreundlichen Mobilität einsetzen.
Diese Bereiche müssten auch gesellschaftlich erforscht
werden.

Sie haben aber im Wesentlichen nur angekündigt,
wieder in die Atomforschung investieren zu wollen. Im
Übrigen gibt es bereits ein neues großes Programm zur
Fusionsforschung. Das zeigt wieder einmal, auf welcher






(A) (C)



(B) (D)


Priska Hinz (Herborn)

Seite Sie stehen. Diese Schwerpunktsetzung stellt si-
cherlich keine nachhaltige Strategie für die gesellschaft-
lichen Umbrüche und Herausforderungen dar, vor denen
wir stehen.

Ich bin der Meinung, dass eine Regierung aus den
Fehlern lernen sollte. Für die Forschungspolitik gilt das
allemal. Ich hoffe sehr, dass Sie noch umsteuern und sich
eines Besseren besinnen, damit die Hightechstrategie in
Deutschland zu einem echten Erfolgsmodell werden
kann.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609801200

Ich erteile das Wort der Kollegin Ulla Burchardt,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Burchardt (SPD):
Rede ID: ID1609801300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal ist festzustellen: Mit dem
6-Milliarden-Euro-Programm hält die Koalition Wort.
Der Bund steht zum 3-Prozent-Ziel für Forschung und
Entwicklung und geht in Vorleistung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Kollege Röspel hat völlig recht. Das sage ich mit
Blick auf die FDP: Wenn Sie jetzt feststellen, das sei al-
les nicht genug, und immer mehr fordern, dann muss
man daran erinnern, dass Sie der schwarz-gelben Koali-
tion angehört haben, die bis 1998 die Forschungsausga-
ben heruntergefahren hat.


(René Röspel [SPD]: Das Jahrzehnt der Schlafmützen!)


Wir mussten uns dann bemühen, aus diesem Tief wieder
herauszukommen.

Insofern bringen wir als Sozialdemokraten jetzt
Nachhaltigkeit in die von der rot-grünen Koalition er-
folgreich begonnenen Maßnahmen wie die Exzellenzini-
tiative, den Pakt für Forschung, die Clusterbildung, die
Netzwerke und vieles andere.

Mit der ressortübergreifenden Hightechstrategie
wird – ich greife gerne ein Bild auf, das die Kollegin
Aigner immer verwendet – die nächste Stufe der Rakete
gezündet. Wo sie recht hat, sie recht.


(Beifall bei der SPD – Ilse Aigner [CDU/ CSU]: Ja! So ist es!)


Aus dem 6-Milliarden-Euro-Programm fließen
4,5 Milliarden in die Wirtschaft. Das ist ja nicht per se zu
kritisieren. Wenn aber die Unternehmen die eigenen
FuE-Tätigkeiten am Standort Deutschland real zurück-
fahren – das belegen die Zahlen des Stifterverbandes –,
dann ist das innovationsschädlich und ordnungspolitisch
prekär. Wir Sozialdemokraten stehen dazu: Forschungs-
förderung darf kein Synonym für Subventionen und
Wirtschaftsförderung werden. Die Steuerzahler haben
ein Anrecht darauf, dass das, was wir zur Forschungsför-
derung in Unternehmen ausgeben, von den Unterneh-
men gemehrt wird und sich in einer Rendite für die ge-
samte Gesellschaft niederschlägt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


In dieser Koalition wollen wir deutsche Marktführer-
schaften in der Welt weiter ausbauen und knüpfen an un-
sere strategischen Weichenstellungen zur Förderung von
Spitzentechnologien an. Ein besonders gutes Beispiel
– das kann ich als Berichterstatterin feststellen – ist die
Förderung der Nanotechnologie.

Seit 2004 gibt es die nationale Nanostrategie. Auch
deshalb liegt Deutschland mit den USA und Japan an der
Weltspitze, was die Publikationen und Patentanmeldun-
gen angeht. In Europa ist Deutschland – das kann man
mit Stolz feststellen – mit großem Abstand der Cham-
pion im Bereich der Nanotechnologie. 50 000 Arbeits-
plätze wurden bis jetzt geschaffen. Vielfältige Produkte
wurden als Ergebnis von Innovationen entwickelt. An
diese erfolgreiche Strategie knüpfen wir in dieser Koali-
tion an.

Ob Ideen in Produkte, Verfahren und Dienstleistun-
gen umgesetzt werden – das ist die klassische Frage: wie
kommt man von der Idee zum Produkt? –, hängt nicht
zuletzt von einer klugen ressortübergreifenden Politik-
strategie ab, in die die Forschungsförderung als wichti-
ger Teil eines Instrumentenmix eingebunden ist.

Ich verweise auf ein weiteres erfolgreiches Beispiel,
nämlich die Klima- und Energiepolitik der letzten
Jahre. Weg vom Öl und von der Atomenergie hin zum
Solarzeitalter – das war und ist unser Leitbild –,


(Beifall bei der SPD)


mit klaren Zielen für den Ausbau erneuerbarer Energien!
Mit dem EEG wurde ein weltweit beachtetes innovatives
Förderinstrument geschaffen, das zur Entstehung von
über 170 000 neuen Arbeitsplätzen geführt hat.

Bei aller Übereinstimmung in der Koalition, was die
Hightechstrategie angeht: Frau Schavan, es gibt von uns
die Gelbe Karte, wenn Sie die Atomtechnik als Brü-
ckentechnologie zum Ausstieg aus dem Atomausstieg
benutzen wollen. Das entspricht nicht dem Koalitions-
vertrag.


(Beifall bei der SPD)


Das deutsche Innovationssystem ist besser als sein
Ruf. Die Kollegen haben darauf schon vielfach hinge-
wiesen. Die größte Schwachstelle ist die mangelnde
Leistungsfähigkeit des Bildungssystems. Frau Schavan
hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass bei-
spielsweise nahezu 100 000 junge Forscherinnen und
Forscher fehlen, um das 6-Milliarden-Euro-Programm
tatsächlich realisieren zu können. Daran sieht man, wo
die großen Defizite im Innovationssystem bestehen.
Deswegen muss die Föderalismusreform II als große
Chance einer neuen Innovationspolitik genutzt werden.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])







(A) (C)



(B) (D)


Ulla Burchardt
Wir brauchen endlich einen Investitionsbegriff im
Grundgesetz, der Bildung, Wissenschaft und Forschung
nicht länger diskriminiert. Beton wichtiger einzuschät-
zen als Wissen oder – wie es unser KMK-Präsident Pro-
fessor Zöllner treffend formuliert hat – die Investition in
eine Friedhofsmauer zu erlauben, nicht aber in einen
Forschungsbereich, ist vorsintflutlich und entspricht
nicht mehr der Wissensgesellschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nicht nur Forschung, sondern auch Bildung und Wissen-
schaft brauchen eine ausreichende Finanzierung. Auch
Bildung braucht ein klares quantitatives Ziel. Lassen Sie
uns im Rahmen der Föderalismusreform II gemeinsam
die Chance für einen Paradigmenwechsel in der Innova-
tionspolitik nutzen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609801400

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1609801500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

reden heute nicht nur über Forschung und Grundlagen-
forschung, sondern auch über Technologie und Techno-
logieförderung, also über das, was – so hat es Helmut
Kohl einmal formuliert – hinten herauskommen muss,
und darüber, wie viel wir in diesem Lande leisten. Frau
Schavan, es war klar, dass Sie uns sagen würden, dass
die Bundesregierung sehr viel getan habe. Aber, Frau
Schavan, „viel hilft viel“ ist an dieser Stelle nicht das
richtige Motto.


(Beifall bei der FDP)


Wenn wir zeitnah marktfähige Produkte erhalten wollen,
helfen weder Ihre schönen, von uns immer anerkannten
Glanzbroschüren zur Hightechstrategie noch die Sub-
ventionsgießkannen des Bundeswirtschaftsministers.
Das Geld muss effizient eingesetzt werden. Mitnahme-
effekte müssen vermieden und die Projekte konsequent
auf ihren Erfolg überprüft werden. Genau hier, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition,
haben Sie Ihr großes Defizit.


(Jörg Tauss [SPD]: Warum?)

Lieber Herr Tauss, lassen Sie mich das am Beispiel der
Luft- und Raumfahrt verdeutlichen; das ist ja Techno-
logie.

Beispiel Airbus. Hier hören wir seit Monaten Krisen-
nachrichten über einen deutsch-französischen Klein-
krieg. Das Problem des Flugzeugbauers EADS ist nicht
– wie die Propheten des Staatsinterventionismus immer
sagen – zu wenig staatlicher Einfluss, sondern zu viel.
Die Konkurrenz schläft nicht. Boeing hat nicht wie Air-
bus unter einer unflexiblen Firmenstruktur zu leiden.
Wie lautet nun die Antwort der Bundesregierung? Mein
geschätzter Kollege Hintze, der selten unter Sprachhem-
mungen leidet, hat uns geantwortet: Wir werden „alles
tun, um die Luft- und Raumfahrtindustrie zu unterstüt-
zen.“ Lieber Herr Hintze, das ist nicht nur äußerst
schwammig, sondern wahrscheinlich auch mehr eine
Drohung als eine Verheißung, muss ich als Technologie-
politikerin sagen.


(Beifall bei der FDP)


Der Einfluss des Staates auf strategische Unternehmens-
entscheidungen von Airbus hat eben nicht zu einem bes-
seren Ergebnis bei der Technologieentwicklung und
nicht zu Arbeitsplätzen in Deutschland geführt, ein Ziel,
das wir alle haben.

Lassen Sie mich noch kurz das nationale Raumfahrt-
programm streifen. Da haben wir ein Schauspiel erlebt,
das jeden strategischen Gedanken seitens der Bundesre-
gierung vermissen lässt. Da wird plötzlich aus heiterem
Himmel erklärt: Wir alle wollen zum Mond. – Auf un-
sere Frage, warum wir alle zum Mond wollen,


(René Röspel [SPD]: Ein paar Passagiere würden mir schon einfallen!)


lautete die Antwort: weil die anderen auch dorthin fah-
ren. Das ist alles andere als eine Hightechstrategie. Das
ist einfach nur ein ideenloses Hin und Her.


(Beifall bei der FDP)


Lassen Sie mich zum Abschluss ein Beispiel anfüh-
ren, das uns alle zurzeit besonders bewegt, ein Glanz-
stück der deutschen Technologiepolitik: Galileo. Hier
hat schon die rot-grüne Bundesregierung den Fehler be-
gangen, nicht entschieden gegen ein Zusammengehen
der beiden Bieterkonsortien anzugehen. Sie von Rot-
Grün haben in Ihrer Regierungszeit auf dem Rücken der
Steuerzahler ein Monopol entstehen lassen.


(Jörg Tauss [SPD]: Die Luftfahrt hält ihre Zusagen nicht ein!)


Was dieses Monopol angeht, schläft die Große Koalition
seit 2005 – und jetzt wundert sie sich, dass ihr alles um
die Ohren fliegt.


(Beifall bei der FDP)


Galileo strotzt vor Ungereimtheiten. Es gibt eine un-
sinnige Diskussion mit Spanien über ein drittes Boden-
segment, das keiner braucht. Deutschland und Frank-
reich haben bis heute offensichtlich unterschiedliche
Vorstellungen, was Galileo können soll und inwieweit
auch eine militärische Nutzung möglich sein soll.

Lassen Sie mich an dieser Stelle Herrn Enders zitie-
ren. Er sagte:

Ich habe noch kein Projekt erlebt, das so stark poli-
tisch geprägt war wie dieses.

An dieser Stelle scheint die Politik offensichtlich nicht
segensreich zu wirken; genau das Gegenteil ist der Fall.


(Jörg Tauss [SPD]: Dann kann man dem Herrn auch mal ein paar Fragen stellen!)


Herr Hintze, Sie haben noch sehr viel Arbeit vor sich!






(A) (C)



(B) (D)


Ulrike Flach
Die Beispiele zeigen, dass Sie zwar nach wie vor
schöne Hochglanzbroschüren drucken lassen, es Ihnen
aber nur schwer gelingt, im Technologiebereich etwas zu
bewegen. Trotz aller Reden zum Thema Hightech sind
Sie in den letzten Jahren kaum vorangekommen; das zei-
gen uns die vorliegenden Berichte deutlich.

Frau Schavan, Innovationsförderung muss sich am
Erfolg messen, und zwar – da stimme ich Frau Burchardt
absolut zu – am Erfolg für die Menschen. Sie haben uns
ein Plus von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen versprochen.
Nach anderthalb Jahren müssen wir Ihnen sagen: Wir er-
kennen keine Bewegung. Damit befinden wir uns in gu-
ter Gesellschaft mit Herrn Professor Rürup, der das vor
wenigen Tagen gegenüber der Öffentlichkeit gesagt hat.
Ihre Versprechen sind bisher Makulatur. Ich hoffe, in den
nächsten beiden Jahren wird das deutlich besser.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609801600

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Heinz

Riesenhuber, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1609801700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kollegen! Liebe Frau Flach, Sie haben
mit Begeisterung von Airbus, vom Mond und von Gali-
leo gesprochen. Das sind faszinierende Themen. Wenn
Sie mit Ihrer Kritik die Hightechstrategie der Bundesre-
gierung angreifen wollen, geht das ein bisschen am Zen-
trum vorbei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Hightechstrategie ist eine Strategie – Frau
Schavan hat darauf hingewiesen –, die im europäischen
Kontext betrachtet werden muss. Wir haben den Ehr-
geiz – darüber sind wir uns einig –, Teil des dynamischs-
ten wissensbasierten Wirtschaftsraums der Welt zu wer-
den. – Dazu hat Frau Flach eine Frage. Es scheint ein
Verständnisproblem zu sein. Intellektuelle Probleme räu-
men wir sofort aus; über politische Probleme müssen wir
diskutieren.


(Heiterkeit)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609801800

Ich mache aber gleich zu Beginn darauf aufmerksam,

dass ich serienweise bestellte Zwischenrufe weder aus
den Reihen der Koalition noch aus den Reihen der Op-
position zuzulassen gedenke. Das ist insofern jetzt die
einsame Ausnahme. Bitte schön, Frau Flach.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Heinz Riesenhuber [CDU/CSU]: So eng ist die Kooperation mit der Opposition nicht!)


Ulrike Flach (FDP):
Rede ID: ID1609801900

Herzlichen Dank, Herr Präsident. Sie haben den Fin-

ger in die Wunde gelegt. Ich höre Herrn Riesenhuber
einfach so gern.

Herr Professor Riesenhuber, es ist Ihnen doch sicher-
lich bekannt, dass die Luft- und Raumfahrt ein Leucht-
turmprojekt der Hightechstrategie ist. In diesem Zusam-
menhang müssen wir leider darüber reden, dass in den
letzten Monaten vieles gegen die Wand gefahren worden
ist. Darüber sind wir uns normalerweise einig, lieber
Herr Professor Riesenhuber.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1609802000

Liebe Frau Flach, wir beide haben mit sorgsam ver-

teilten Rollen bei den zuständigen Stellen mehrfach mit
Herzlichkeit angemeldet, dass Galileo nicht mit glückli-
cher Hand gemanagt worden ist. Wir haben hier vorzüg-
liche europäische Institutionen, bei denen Manager an-
treten, über die wir alle nicht uneingeschränkt glücklich
sind; und leider ist es in den vergangenen Jahren nicht
gelungen, Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wenn wir
keine Geschäftsmodelle haben, steigt die Industrie nicht
ein, weil sie nicht weiß, ob das Geld zurückkommt. Über
all diese Punkte haben wir mit Fleiß, Sachkenntnis und
Entschlossenheit diskutiert.

Hier aber geht es um die Frage der Gesamtanlage der
Hightechstrategie. Dazu muss ich sagen: Für den Weg
in diese komplexe, wissensbasierte Welt, über die wir
sprechen, hat die Bundesregierung ressortübergreifend
eine einzigartige, integrierte Strategie angemeldet, und
das war mit einer solchen Entschlossenheit und Einmü-
tigkeit bis jetzt noch nicht der Fall gewesen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist von verschiedenen Rednern darauf hingewiesen
worden, welche Elemente umgesetzt worden sind, die
konstitutiv für die nächste Runde sein werden: die zu-
sätzlichen 6 Milliarden Euro, die Planungssicherheit ge-
ben, die zugesagten Steigerungsraten im Bereich der
Grundlagenforschung, das Konzept des Wirtschafts-
ministers, ein technologieoffenes Förderprogramm für
den Mittelstand mit schnellen Bearbeitungszeiten einzu-
stellen. Dies alles sind vernünftige und integrierte Ele-
mente, eingebunden in ein Gesamtkonzept. Dass es da-
rüber hinaus noch eine Menge offener Baustellen gibt,
wissen wir. Wenn wir nichts mehr zu tun hätten, könnten
wir nach Hause gehen. Wir sind dabei, die Sache mit ei-
nem sorgsam angelegten Konzept aufzubauen.

Die Frau Ministerin sprach von der Schwierigkeit und
auch der Chance, in vier Ressorts Energieforschung zu
betreiben. Es ist eine Kunst, diese Forschung zu einer
Strategie zusammenzuführen, in der sich die Kompeten-
zen der einzelnen Ressorts wirklich auswirken können
und die Forschung auch umgesetzt wird.

Die Hightechstrategie spricht von Querschnittsbe-
reichen, die zu organisieren schwierig, aber lebensnot-
wendig ist. Ich nenne die Stichworte innovative öffentli-
che Nachfrage, Normen und Standards; die Frage der
Abstimmung reicht bis hin zu den Finanzstandards. Frau
Hinz hat das Wagniskapital zu Recht angesprochen. Zu






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber
dieser Stunde tagt das Gremium, das die Eckpunkte des
Unternehmensbeteiligungsgesetzes berät. In der letzten
Debatte, die wir leider aufgrund Ihres schönen Antrags
nicht Auge in Auge führen konnten – nachts um vier dis-
kutiert man nicht mehr so lebendig –,


(Heiterkeit)


sind wir uns in vielen Positionen einig gewesen. Wir
sind der festen Überzeugung, dass, weil wir die jungen
Unternehmen brauchen und weil wir mehr Wagniskapi-
tal brauchen, die Bundesregierung im Rahmen ihrer
Hightechstrategie die Voraussetzungen dafür schafft,
dass sich in Deutschland Schwung und Dynamik weiter-
entwickeln können.


(Ulrike Flach [FDP]: Das wird aber auch Zeit, Herr Riesenhuber!)


Zu dieser Stunde, während wir hier diskutieren, sind wir
dabei, dies zu tun. Nicht alle tun alles zugleich, aber mit
verteilten Rollen bringen wir Deutschland sehr gut
voran.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es stellt sich die Frage, wie wir die Forschung zu-
rück in die Universitäten verlagern. Wenn die Fusion des
Forschungszentrums Karlsruhe mit der Universität zum
Karlsruhe Institute of Technology, KIT, gelingt, dann ha-
ben wir plötzlich wieder eine neue Qualitätseinrichtung
voll strahlkräftiger Forschung und Lehre an einer Stelle.

Es stellen sich hier Fragen in ganz unterschiedlichen
Bereichen. Dabei beziehe ich Galileo durchaus mit ein.
Wir sind hier weitergekommen und haben die richtigen
Ansätze. Wir sind das Land der Ideen.


(Ulrike Flach [FDP]: Wo denn?)


– Wenn Sie dem Präsidenten mitteilen, dass Sie mir zu-
sätzliche zehn Minuten Redezeit Ihrer Fraktion überlas-
sen, dann halte ich hier eine flammende Rede über die
Erfolge.


(Heiterkeit)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609802100

Daran hat niemand Zweifel, Herr Kollege

Riesenhuber. Deswegen wird die Opposition auch keine
weiteren zehn Minuten zur Verfügung stellen.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1609802200

Das ist sehr schmerzlich.


(Heiterkeit)


Was haben wir jetzt noch zu tun? Ich muss sagen:
Frau Schavan spricht sanft, behutsam und mit liebens-
werter Keuschheit die Fragen an.


(Heiterkeit – Nicolette Kressl [SPD]: Das würde man bei einem Mann so nicht formulieren!)

Sie sagt hier – das finde ich gut –, Steuerpolitik sei auch
Innovationspolitik. Ich lese in einem Dokument der
Bundesregierung, dass wir steuerliche Instrumente der
Forschungsförderung erwägen wollen.


(Ulrike Flach [FDP]: Haben Sie mit Herrn Meister darüber gesprochen?)


Ich höre von Frau Schavan, dass sie die Auswirkungen
der Forschungsprämie beobachtet und überlegen will,
welche weiteren Instrumente man hier ansetzen kann.
Mir scheint das eine faszinierende Debatte zu sein.

Wir haben die Frage der Tax-Credits gelegentlich in
diesem Haus diskutiert. Wir haben das schon vor mehre-
ren Jahren vorgeschlagen. Aber mir scheint dieser Zeit-
punkt jetzt – das finde ich faszinierend – besonders güns-
tig zu sein. Da greife ich einer komplexen Diskussion
nicht vor. Wir haben eine ausdifferenzierte Forschungs-
landschaft. Dieses flexible Instrument – unbürokratisch,
verlässlich für den Unternehmer, technologieoffen, per-
spektivisch angelegt – kann dazu beitragen, für Dynamik
und Entfesselung in denjenigen Bereichen zu sorgen, in
denen wir noch nicht so stark sind, wie wir es sein könn-
ten. Die mittelständischen Unternehmen haben ihre For-
schung in den vergangenen Jahren nicht mit der Dyna-
mik ausgebaut, die wir brauchen. Wir haben gelernt,
dass wir das Land der Ideen sind. Aber die Umsetzung in
Produkte und der Eintritt in die Märkte sind nicht immer
ganz glücklich gelaufen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609802300

Herr Kollege!


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1609802400

Es scheint mir eine faszinierende Sache zu sein, die

Fülle der Möglichkeiten zu bedenken und sie mit Ent-
schlossenheit und ohne Hurrapatriotismus zu nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Staat soll die Zukunft nicht erfinden, der Staat ist
nicht kreativ.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn er versucht, kreativ zu sein, irritiert er die Men-
schen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609802500

Herr Kollege Riesenhuber, ich bin über Ihre Zuwen-

dung deswegen ganz besonders begeistert, weil ich weiß,
dass Sie sich den Hinweis auf solche Kleinigkeiten wie
Redezeiten bei diesem großen Blick auf die Welt und
ihre aktuelle Verfassung nur schwerlich gefallen lassen.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1609802600

Ja.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609802700

Gleichwohl ist es so, wie es ist.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1609802800

Herr Präsident, Sie sehen die richtige Relation zwi-

schen der Redezeit und der Welt in ihrer aktuellen Ver-
fassung.


(Heiterkeit)

Das ist eine Disproportionalität, die wir überbrücken
müssen.

Wir können nicht kreativ sein. Wir sollten verlässlich
sein, einen sauberen Rahmen setzen und gute Bedingun-
gen schaffen. Wir sollten es den Männern und Frauen,
die Ideen haben, überlassen, den Raum zu nutzen und
mit fröhlichem Unternehmungsgeist die Welt für uns neu
zu erfinden, sodass wir gemeinsam in eine frohgemute
Zukunft schreiten können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609802900

Herr Kollege Riesenhuber, ich möchte mich aus-

drücklich dafür bedanken, dass Sie Ihren Vortrag dies-
mal ganz überwiegend in unmittelbarer Nähe des Red-
nerpultes gehalten haben.


(Heiterkeit)

Ich hatte nämlich schon Vorkehrungen treffen lassen: Ei-
nige der Plenarassistenten haben sich an den Türen auf-
gestellt, um sicherzustellen, dass wir der Bestimmung
der Geschäftsordnung gerecht werden, dass die Verhand-
lung im Deutschen Bundestag stattfindet.


(Heiterkeit und Beifall)

Nun erhält das Wort der Kollege Klaus Hagemann für

die SPD-Fraktion:

(Beifall bei der SPD)



Klaus Hagemann (SPD):
Rede ID: ID1609803000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Beim Thema Forschung geht es nicht um lie-
benswerte Lyrik, um den Zustand der Welt


(Jörg Tauss [SPD]: Keuschheit!)

– oder um Keuschheit –, sondern um harte Fakten: Wir
haben uns verpflichtet, 3 Prozent des Bruttoinlandpro-
duktes für Forschung und Entwicklung aufzubringen.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])

Wir, Deutschland, liegen bei etwa 2,5 Prozent. Es geht
darum, diesen Wert um einen halben Prozentpunkt zu er-
höhen, damit wir unseren Verpflichtungen innerhalb der
Europäischen Union nachkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aufzubringen sind immerhin zusätzlich circa 50 Milliar-
den Euro. Die Hälfte davon, also etwa 25 Milliarden
Euro, hat die Wirtschaft aufzubringen. Etwa 6 Milliar-
den Euro muss der Bund und ebenfalls 6 Milliar-
den Euro müssen die Länder bereitstellen. Heute wurde
schon mehrfach gefragt: Werden diese Ziele erreicht?
Ich habe die große Sorge, dass dieses Ziel nicht erreicht
wird.

(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Wird die Wirtschaft ihre 2 Prozent schaffen, Frau Flach?
Die Wirtschaft soll den größten Beitrag leisten – das ist
der Hauptpunkt –:


(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP])


24 bis 25 Milliarden Euro.

Eine Studie des ZEW, des Zentrums für Europäische
Wirtschaftsforschung, besagt: Die Initiativen des Bundes
haben sich in der Wirtschaft noch nicht durchgreifend
niedergeschlagen. – Ich bitte die FDP als wirtschafts-
nahe Partei, einen entsprechenden Appell an die Wirt-
schaft zu richten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


75 Prozent der Mittel, die der Bund zur Verfügung stellt,
fließen in die Wirtschaft. Damit sollen Anstöße für For-
schung und Entwicklung gegeben werden.

Hier ist schon wieder über steuerliche Entlastungen
im Rahmen der Unternehmensteuerreform geredet
worden. Ich muss darauf hinweisen, dass es in den zu-
rückliegenden Jahren bereits eine Reihe von Steuerent-
lastungen gegeben hat.


(Ulrike Flach [FDP]: Hört! Hört!)


Zu einer erneuten Steuerentlastung wird es so bald nicht
kommen. Im Rahmen der Unternehmensteuerreform
werden wir wiederum für weitere Entlastungen der Wirt-
schaft sorgen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es wurde schon herausgestellt, dass Deutschland auf
dem Gebiet der Grundlagenforschung gut dasteht. Das
ist richtig so, und dazu tragen wir, der Bund, erheblich
bei. Aber erhebliche Probleme gibt es doch bei der Um-
setzung der Ergebnisse in Produkte und in Verfahren.
Auf den MP3-Player wurde schon hingewiesen: Seine
Entwicklung wurde von der Fraunhofer-Gesellschaft
und damit auch durch Steuermittel gefördert. Allerdings
ist in Deutschland niemand auf die Idee gekommen,
MP3-Player zu produzieren.

Zwischenzeitlich steht auch Wagniskapital zur Verfü-
gung. Die KfW, die bundeseigene Kreditanstalt für Wie-
deraufbau, stellt Mittel zur Verfügung, um Risiken abzu-
decken, Frau Flach. Davon wird nur kein Gebrauch
gemacht, bzw. die Hausbanken sperren sich dagegen. Ich
könnte Ihnen schlimme Beispiele aus meinem Wahlkreis
nennen.

Was EADS angeht, Frau Kollegin, haben bisher die
Aktionäre profitiert; denn sie haben 500 Millionen Euro
an Dividenden bekommen. Auch das sollte man noch
einmal herausstellen.


(Ulrike Flach [FDP]: Na gut! Aber die Unternehmensteuerreform macht es nicht besser!)


Galileo, verehrte Frau Kollegin, ist natürlich in erster
Linie an der Privatwirtschaft gescheitert.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ulrike Flach [FDP]: Aber nicht nur!)







(A) (C)



(B) (D)


Klaus Hagemann
Ich bin dankbar, dass Minister Tiefensee in dieser Frage
jetzt die Notbremse gezogen hat und der Kommission et-
was Druck gemacht wird, damit Entscheidungen gefällt
werden. Ich bitte Sie, Frau Ministerin Schavan, dass
auch Sie – oder die Frau Bundeskanzlerin – in Ihren
Wirtschaftszirkeln, zum Beispiel in der Forschungs-
union, entsprechend Druck machen, damit die feierli-
chen Verpflichtungen in den schönen Hochglanzbro-
schüren seitens der Wirtschaft umgesetzt werden. Das
Gleiche gilt übrigens für die Länder; das möchte ich mit
Nachdruck hervorheben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Kein Einziger ist da! Das ist unglaublich!)


– Kein Einziger ist auf der Bundesratsbank. Das ist fast
schon skandalös bei diesem Thema.

Wir haben versucht, in diesem Zusammenhang die
neuesten Zahlen über die Forschungsmittel der Länder
zu bekommen. Mein Büro hat sich zwei Tage lang be-
müht, ist aber nicht an die Zahlen herangekommen. Die
vorhandenen Zahlen über den Anteil der Länder sind
zwei Jahre alt; sie stammen aus dem Jahr 2005.

Auch wir als Bund sind betroffen. Wir stellen gern
das Geld zur Verfügung. Im Haushaltsausschuss haben
wir darüber sehr heftig diskutiert; die Strategie wurde
begrüßt. Aber die Gelder müssen natürlich abgerufen
und verausgabt werden. Ich bitte Sie, die entsprechenden
Konzepte voranzubringen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wir werden in der nächsten Sitzungswoche den ersten
Bericht in Bezug auf die Hightechstrategie diskutieren.
Da hoffe ich, noch mehr Antworten auf die Fragen zu
bekommen, die im Mittelpunkt stehen. Die Forschungs-
prämie und die Exzellenzinitiative sind beispielsweise
zu erwähnen. Wir wollen wissen, wie diese Programme
laufen, was – zusätzlich – bewirkt wurde und welche
konkreten Konzepte das BMWi und das BMBF vorzu-
weisen haben.

Das 3-Prozent-Ziel ist kein Selbstzweck. Wir wollen
damit vielmehr einen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit un-
seres Landes, aber auch Europas leisten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609803100

Das Wort erhält der Kollege Axel Fischer, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist gut, dass
heute hier im Hause bei dem Thema Hochtechnologie-
strategie – oder neudeutsch: Hightechstrategie – die po-
sitiven Beiträge weit überwogen haben.

(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrike Flach [FDP]: Sie haben ja auch die Mehrheit!)


Es ist ein großer Fortschritt, dass wir wieder verstärkt
über Chancen reden, fest ins Auge fassen, was uns mor-
gen Vorteile bringt, und nicht länger Unheil heraufbe-
schwören, was uns am Ende vielleicht gar nicht droht.
Die Blütezeit fruchtloser Angstdebatten über potenzielle
Risiken der technologischen Entwicklung scheint jeden-
falls endlich vorbei zu sein. Das Klima für Forschung
und Innovationen hat sich gewandelt und wandelt sich
weiter positiv.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch politisch können wir, können die Menschen im
Land die Vorteile dieses Wandels hautnah spüren und die
Früchte quasi mit Händen greifen. Die Zukunft gewinnt
nicht, wer die Vergangenheit konserviert. Wer rastet, der
rostet. Wer nicht strampelt, der fällt zurück. Deshalb
müssen Chancen und Risiken der Forschung gewissen-
haft abgewogen werden.

Dem Wunsch der Fraktion der Grünen nach Technik-
folgenabschätzung kann daher entsprochen werden.
Wir praktizieren dies ohnehin bereits seit Jahren erfolg-
reich, nicht wahr, Frau Burchardt?

Aber wenn Technikfolgenabschätzung draufsteht,
muss auch Technikfolgenabschätzung darin sein, worauf
Kollege Krummacher immer großen Wert legt.


(Ulla Burchardt [SPD]: Das habe ich nicht verstanden, Herr Kollege!)


Positive Neuerungen dürfen nicht durch Risikodiskus-
sionen unnötig behindert werden. Im Gegenteil: Vorhan-
dene und absehbare Chancen müssen angemessen einbe-
zogen und entsprechend nach außen transportiert werden.

Meine Damen und Herren, wir müssen verantwor-
tungsvoll mit unserem Können und mit unseren wissen-
schaftlichen und wirtschaftlichen Möglichkeiten umge-
hen. Dies gilt insbesondere für die Energieerzeugung.
Es kann nicht unser Ziel sein, die Erfolge Deutschlands
beim Klimaschutz zu erschweren; denn wir haben eine
Verantwortung für die Schöpfung.

Die Kernkraft zum Beispiel ermöglicht eine kosten-
günstige und klimafreundliche Energieerzeugung.


(Jörg Tauss [SPD]: Nicht schon wieder! – Weitere Zurufe von der SPD)


Sie steht in Deutschland derzeit für mehr als 75 Prozent
der CO2-freien Stromerzeugung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Ulla Burchardt [SPD]: So viel zum Thema Ideologie!)


Zudem wirkt sie einer Verknappung der Öl-, Gas- und
Kohlevorkommen entgegen.

Frau Hinz, Sie haben vorhin behauptet, der Kern-
fusion werde in der Energieforschung eine zu große Be-
deutung beigemessen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl! So ist das auch!)







(A) (C)



(B) (D)


Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)

Diese Behauptung ist angesichts des Entwicklungspo-
tenzials dieser Energieumwandlungsform unverständ-
lich.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hilft uns in den nächsten 50 Jahren aber leider überhaupt nicht weiter!)


Was glauben Sie eigentlich, warum sich die Europäische
Union, die Schweiz, Japan, Russland, die Volksrepublik
China, Südkorea, Indien und die USA gemeinsam im
Rahmen des ITER-Projekts engagieren? Warum inves-
tieren all diese Länder Geld und wollen in internationa-
len Kooperationen Wege zur wirtschaftlichen Nutzung
der kontrollierten Kernfusion aufzeigen? Was gewinnen
wir denn, wenn wir uns hier zurückziehen und uns auf
wissenschaftlichem Gebiet isolieren?


(René Röspel [SPD]: Was? Wir zahlen dafür immerhin 120 Millionen Euro!)


Was konkret gewinnen wir, wenn wir uns aus der For-
schung im Hinblick auf Kernkraftwerke der vierten Ge-
neration ausklinken? Nichts! Genau deshalb müssen wir
unsere Wissenschaftler und unsere Unternehmen an
diese neu entstehenden Technologien heranführen. Nicht
durch Abkopplung unserer Wissenschaft vom internatio-
nalen Standard oder durch deutsche Sonderwege werden
wir am weltweiten technologischen Fortschritt teilhaben,
sondern nur durch Mitmachen.


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind mit unserer Technologie schließlich so gut, gerade weil wir einen Sonderweg gegangen sind! Nur deshalb ist das so!)


Unsere Unternehmen und unsere Wissenschaft müssen
an vorderster Stelle mit dabei sein.

Da Sie immer von der Vorreiterrolle sprechen,


(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das war doch unser Sonderweg, und der war hervorragend!)


sage ich Ihnen: Wir dürfen uns bei internationalen Pro-
jekten nicht in die Schmollecke stellen oder uns gar
klammheimlich vom Acker machen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Denn wir sind es unseren Kindern schuldig,


(René Röspel [SPD]: Richtig!)


dass wir ihnen die gleichen Entwicklungschancen hinter-
lassen, die auch wir vorgefunden haben. Mit der techno-
logischen Leistungsfähigkeit eines Entwicklungslandes
jedenfalls werden wir mit Sicherheit keine gute Zukunft
haben. Vor diesem Hintergrund ist es in höchstem Maße
unredlich, Investitionen in die Kernforschung schlecht-
zureden. Im Gegenteil, wir müssen die Chancen und die
ökologischen, ökonomischen und sozialen Vorteile der
technologischen Weiterentwicklung dieser Schlüssel-
technologie betonen.
Es ist ebenfalls unredlich, die hervorragenden Ergeb-
nisse des Klimaforschungsgipfels, der in der letzten
Woche stattgefunden hat, kleinzureden. So zu tun, als
habe die damalige Bundesregierung unter dem Auto-
kanzler vorbildhaft gearbeitet und als stehe die jetzige
Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel auf der
Bremse, ist einfach nur lächerlich. Sie hatten sieben
Jahre lang Zeit, eine Forschungsstrategie im Hinblick
auf das Klima zu entwerfen. Nichts ist geschehen.


(Jörg Tauss [SPD]: Was? – Ulla Burchardt [SPD]: Sie haben das nur nicht mitgekriegt! – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? Wir sind doch Vorreiter!)


Bis zum Herbst dieses Jahres, also nach weniger als zwei
Jahren Regierungstätigkeit, will Bundesforschungsmi-
nisterin Schavan konkrete Ergebnisse vorlegen. So sieht
die Realität aus. Das ist erfolgreiche Realpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissen-
schaft wird immer bedeutender. Deshalb ist die Ver-
schmelzung des Forschungszentrums Karlsruhe und der
Universität Karlsruhe zum KIT, zu einer Art MIT, ein
hervorragender Schritt, um einen Beitrag dazu zu leisten,
dass sich Wissenschaft, Wirtschaft und Staat endlich ge-
meinsam an der Erforschung, Entwicklung und Ferti-
gung von Produkten beteiligen. In dieser Richtung muss
die Arbeit der Bundesregierung fortgesetzt werden. Wir
unterstützen Frau Schavan auf diesem Kurs und freuen
uns, dieses Thema in der Großen Koalition gemeinsam
voranzubringen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulla Burchardt [SPD]: Nein, Herr Fischer! Da können wir leider nicht klatschen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609803200

Nun spricht die Kollegin Ute Berg, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ute Berg (SPD):
Rede ID: ID1609803300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

gehe jetzt nicht auf die Rede von Herrn Fischer ein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Aber wir sind doch Freunde!)


Denn dann müsste ich so viel sagen, dass ich für meinen
eigenen Text zu wenig Zeit hätte. Ich glaube allerdings,
meine Rede ist erfreulicher.


(Beifall des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Wer samstags durch die Straßen zieht, sieht häufig
leidenschaftlich putzende Männer


(Ute Kumpf [SPD]: Was?)


– wohlgemerkt, sie putzen ihre Autos. Insbesondere die
Felgen gelten als hartnäckige Schmutzmagneten, die
schon manchen stolzen Autobesitzer in Rage gebracht
haben. Doch – eine erfreuliche Nachricht – das ist bald






(A) (C)



(B) (D)


Ute Berg
passé. Eine Firma aus Herford hat dieses Problem er-
kannt und bei der Suche nach einer Lösung die Universi-
tät Paderborn um Hilfe gebeten. Dort hat man sich im
Fachbereich Chemie mit dem Problem beschäftigt und
einen Lack erfunden, der Autofelgen quasi immun gegen
Schmutz macht. Der Clou dabei: Der Lack wehrt insbe-
sondere Eisenstaub ab, der von den Bremsscheiben
stammt und als hartnäckig gilt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der neue Lack ist den sich derzeit im Handel befindli-
chen Produkten ganz klar überlegen und wird von der
Herforder Firma mittlerweile auch vermarktet.

Solche Beispiele zeigen: Unternehmen, die mit Wis-
senschaftlern kooperieren, die Forschung und Entwick-
lung betreiben, haben im Wettbewerb die Nase vorn. Das
ist auch der Grund, warum wir anwendungsnahe For-
schung und Kooperationen zwischen Wirtschaft und
Wissenschaft fördern. Dafür investieren wir eine Menge
Geld. Insgesamt 15 Milliarden Euro fließen in den
nächsten Jahren in die Hightechstrategie. Ein großer Teil
davon kommt direkt der Wirtschaft zugute, insbesondere
dem Mittelstand.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das tun wir nicht aus Wohltätigkeit, sondern weil wir
damit einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen verfolgen.
Unsere Förderung unterstützt Wirtschaftswachstum, zu-
kunftssichere Arbeitsplätze und schafft damit auch ein
solides Fundament für unseren Sozialstaat. Da das Be-
schäftigungswachstum in innovativen Firmen fast vier-
mal so hoch ist wie in anderen, konzentrieren wir unsere
Unterstützung natürlich genau auf diesen Bereich.

Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP,
fordern in Ihrem Antrag für die Wirtschaft – ich zitiere –
„eine indirekte FuE-Förderung“, die „zielgenau auf den
Ausgleich bestehender Schwächen … ausgerichtet“ ist
und „effizient, flexibel, bedarfsgerecht und unbürokra-
tisch“ ist. Ich kann Ihnen heute eine freudige Nachricht
übermitteln: Genau das gibt es bereits


(Ulrike Flach [FDP]: Nein! Leider nicht!)


mit der indirekten Förderung für den Mittelstand durch
das Wirtschaftsministerium, im Übrigen einem wesentli-
chen Bestandteil der Hightechstrategie. Knapp 600 Mil-
lionen Euro fließen allein dieses Jahr in diesen Bereich.

Mit unseren Investitionen erreichen wir zudem, dass
die Wirtschaft in diesem Bereich zusätzlich investiert,
zum Beispiel bei ProInno: 1 Euro Innovationsförderung
vom Staat macht 2 Euro an Investitionen aus der Wirt-
schaft locker.


(Ulrike Flach [FDP]: Woher wissen Sie das denn?)


Solche Programme haben eine enorme Hebelwirkung.
Die Evaluation bescheinigt ihnen eine hohe Effizienz.


(Ulrike Flach [FDP]: Von wegen!)


Zurzeit wird im Wirtschaftsministerium daran gearbei-
tet, das breite Förderangebot für Unternehmen noch
übersichtlicher und serviceorientierter zu gestalten.
Ein Problem beschäftigt uns aber sicherlich alle mo-
mentan. Das wurde schon von einigen geäußert; nur
Frau Pieper hat da die Augen ein bisschen zugemacht.
Wir, der Bund, haben die Notwendigkeit erkannt, auf
technologische Erneuerungen zu setzen, und 6 Milliar-
den Euro auf unsere FuE-Ausgaben draufgepackt.


(Cornelia Pieper [FDP]: Das reicht für das 3-Prozent-Ziel nicht aus!)


Aber die Unternehmen ziehen noch nicht genug mit; das
wurde eben schon mehrfach erwähnt.


(Beifall bei der SPD)


Dabei sind die Chancen, die sich auch für die Wirtschaft
durch Forschung und Entwicklung und neue Technolo-
gien ergeben, doch so eindeutig. Sie liegen auf der Hand.
Nehmen wir zum Beispiel die Energietechnologien. Da
verfügen wir bei den erneuerbaren Energien über eine
dominante Patentposition weltweit. Das macht sich wirt-
schaftlich bezahlt. Deutsche Hersteller von Kraftwerks-
technik, Windkraftanlagen und Solartechnik sind in der
Welt führend. Das ist beispielgebend für andere Berei-
che.


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erkenntnis, dass
die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands
über die Zukunft unserer Industrie- und Wissensgesell-
schaft entscheidet und damit über Wohlstand und Teilha-
bechancen der einzelnen Bürgerinnen und Bürger, hat
sich inzwischen fast überall durchgesetzt. Dafür zu sor-
gen, dass wir in eine gute Zukunft gehen, ist Aufgabe
von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Lassen Sie uns
gemeinsam weiter beherzt daran arbeiten!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609803400

Der Kollege Thomas Oppermann von der SPD-Frak-

tion ist der letzte Redner in dieser Debatte.


(Beifall bei der SPD)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1609803500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als letzter

Redner kann ich nur feststellen: Es ist vieles gesagt wor-
den, aber noch niemand hat die Debatte zusammenge-
fasst.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man kann das, ohne alle Belege, die dafür erbracht wor-
den sind, noch einmal anzuführen, sicherlich in einem
Satz machen: Die deutsche Forschung ist schon heute
besser, und ihre internationale Wertschätzung ist schon
heute größer, als es die eine oder andere politisch inspi-
rierte Diskussion der vergangenen Jahre uns nahezule-
gen versucht hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Thomas Oppermann
Das ist natürlich auch ein hervorragender Ausgangs-
punkt, um noch besser zu werden.

Als jemand, der in den letzten zehn Jahren die For-
schungsdebatte verfolgt hat und die Forschungspolitik
teilweise auch mitgestalten durfte, bin ich erstaunt, wie
viel in Deutschland im Augenblick gleichzeitig umge-
setzt wird: Wir machen die Hightechstrategie und den
Pakt für Forschung und Innovation; wir führen die For-
schungsprämie und Vollkostenfinanzierung ein; die
Exzellenzinitiative mit Graduate-Schools, Exzellenz-
clustern und Eliteuniversitäten ist auf dem Weg; Junior-
professuren wurden eingeführt; wir machen ein Euro-
pean Research Council mit Pionierforschung – so etwas
hätte ich mir vor zehn Jahren im Rahmen der EU nie
vorstellen können –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


und wir befinden uns inmitten der Umsetzung der Lissa-
bonstrategie. Das alles passiert jetzt. Es wäre – das muss
man bei aller Fairness sagen – ohne die Reformdebatte
der letzten zehn Jahre und ohne die Arbeit der Vorgän-
gerregierung von Rot-Grün nicht möglich gewesen, so
viel in so kurzer Zeit in Deutschland auf einmal zu ma-
chen. Viele Konzepte sind da schon entwickelt worden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es belegt aber auch die enorme politische Durchset-
zungskraft der Großen Koalition, die ja nicht an jeder
Stelle so leicht wie hier ins Auge fällt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werden allerdings auch mit der Hightechstrategie
Deutschland nicht wieder dahin bringen können, wo es
einmal stand. Vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in
die 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts, als der Glaube
an den Zusammenhang von wissenschaftlichem Fort-
schritt und Wohlstandsbildung noch ungebrochen war
und in Deutschland grundlegende Erkenntnisse wie die
Relativitätstheorie oder die Quantenmechanik entwickelt
wurden, waren wir im Grunde genommen in den Natur-
und Technikwissenschaften international unangefochten
die Nummer eins. Dahin kommen wir nicht so ohne
Weiteres wieder hin, weil die anderen – das muss man
zur Kenntnis nehmen – inzwischen viel besser geworden
sind. Das schaffen wir nur mit vereinten Kräften im Rah-
men der Europäischen Union.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Europäische Union kann zur Nummer eins in
Forschung, Entwicklung und Innovation werden, aber
nur, wenn wir die Lissabonstrategie umsetzen. Das ist
schwierig, wie wir wissen. Der Bund schafft es, die Län-
der schaffen es kaum; auch die Wirtschaft schafft es bis
2010 nicht, die 2 Prozentpunkte beizubringen. Am
1. Mai haben wir gesagt: Der Aufschwung muss ein
Aufschwung für alle werden, auch für die Arbeitnehmer.
Heute können wir hinzufügen: Der Aufschwung, den wir
im Augenblick haben, muss auch zu einem Aufschwung
von Forschung und Entwicklung in den Unternehmen
führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Angesichts der Tatsache, dass die Länder es nicht schaf-
fen, ihren Anteil von 0,5 Prozentpunkten aufzubringen,
dürfen wir uns nicht zufrieden zurücklehnen und mit
dem Finger auf sie zeigen.


(Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])


Auch auf europäischer Ebene wird es nicht möglich
sein, das 3-Prozent-Ziel zu erreichen, wenn wir auf
Länder wie Rumänien, Bulgarien, Malta oder Zypern
warten, bei denen der Anteil für diese Ausgaben ir-
gendwo bei 0,5 Prozent liegt. Da muss, wie ich denke,
der Exportweltmeister eine Führungsrolle übernehmen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ulrike Flach [FDP])


Wenn wir das 3-Prozent-Ziel bis 2010 erreichen, dann
sollten wir uns für den Zeitraum bis 2020 vornehmen, ei-
nen Anteil von 3,5 Prozent zu erreichen.

Ich möchte noch drei Anmerkungen machen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609803600

Die müssen aber knapp sein, Herr Kollege.


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1609803700

Seien Sie großzügig, Herr Präsident.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich war durch wochenlange Gefangenschaft im Untersu-
chungsausschuss gehindert, hier im Plenum zu reden.


(Heiterkeit – Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Also durch wichtige Dinge!)


Die erste der drei Bemerkungen zur Exzellenzinitia-
tive: Frau Pieper, Sie sagten, dass Sie Strategien ver-
missten. Mit der Exzellenzinitiative überwindet die deut-
sche Forschung eine bis dahin eklatante strategische
Schwäche. Die Versäulung der deutschen Forschung in
Max-Planck-Institute, Fraunhofer-Institute usw. bedeu-
tete ja nichts anderes als der Auszug der Spitzenfor-
schung aus den Hochschulen. Jetzt kehrt sie zurück.
Schauen Sie sich einmal die ganzen Anträge zur Exzel-
lenzinitiative an, die Cluster und die Zukunftskonzepte.
Die außeruniversitäre Forschung kommt zurück und ver-
bündet sich mit der Hochschulforschung. Wir haben
wieder exzellente internationale Forschungszentren in
den Universitäten. Das heißt, wir überwinden eine strate-
gische Schwäche, ohne eine vorhandene Stärke, nämlich
die Eigenständigkeit zum Beispiel der Max-Planck-Insti-
tute und der Fraunhofer-Institute, aufzugeben.


(Beifall bei der SPD)


Zwei weitere kurze Bemerkungen. Wir müssen zwei
Probleme lösen, zwei Lücken schließen. Die erste ist die
Spitzentechnologie- und Innovationslücke. Die FDP
hat nicht ganz unrecht, wenn sie sagt, dass wir genau in






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Oppermann
den Bereichen der Spitzentechnologie, wo die Wert-
schöpfungspotenziale am größten sind, noch Schwächen
in Bezug darauf haben, die wissenschaftlichen Erkennt-
nisse wirtschaftlich verwertbar zu machen. Wir brauchen
den Innovationsfonds. Wir müssen im Rahmen der
Hightechstrategie eine Lösung finden.

Die zweite Lücke, die geschlossen werden muss, ist
die Mittelstandslücke. 88 Prozent der Mittel für For-
schung und Entwicklung werden von Unternehmen mit
mehr als 500 Beschäftigten aufgewendet. Die For-
schungsinvestitionen der KMU machen 12 Prozent der
Gesamtinvestitionen der Wirtschaft aus. Das ist zu we-
nig. Angeblich gehen auch noch 40 Prozent der Aufträge
ins Ausland. Die Forschungsprämie ist eine erste Ant-
wort darauf. Wir müssen prüfen, ob wir noch weitere
Maßnahmen ergreifen müssen, um dem Mittelstand For-
schung und Entwicklung zu ermöglichen.

Jetzt komme ich zu meiner Schlussbemerkung, Herr
Präsident. Es genügt nicht, die noch vorhandenen Lü-
cken zu schließen. Es reicht nicht aus, den Instrumenten-
kasten zu vervollständigen, die Instrumente zu schärfen
und Milliarden Euro zu mobilisieren. Wir müssen in die-
sem Land auch das Denken und die Einstellungen der
Menschen verändern. Wir müssen vor allem die immer
noch verbreitete Angst vor Technik überwinden.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609803800

Sie wollten eine Schlussbemerkung machen, Herr

Oppermann.


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1609803900

Wir brauchen in den Schulen und Hochschulen, in

den Unternehmen und Forschungseinrichtungen mehr
Innovationskultur, mehr Risikobereitschaft und mehr
Unternehmergeist. Die SPD wird sich in ihrem neuen
Grundsatzprogramm dazu bekennen. Wir wollen neue
Wertschöpfungen durch technischen Fortschritt und auf
diese Weise die Voraussetzungen für ökonomischen
Wohlstand und soziale Gerechtigkeit in Deutschland er-
halten und verbessern.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Er ist ganz blass vom Untersuchungsausschuss!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609804000

Lieber Kollege Oppermann, um allzu weitreichenden

Schlussfolgerungen vor allen Dingen anderer Kollegin-
nen und Kollegen vorzubeugen, weise ich darauf hin,
dass die Mitgliedschaft im Untersuchungsausschuss kei-
nen Anspruch auf zusätzliche Redezeiten im Plenum be-
gründet. Nehmen Sie den Zuschlag als ganz persönliche
Sympathiebekundung.


(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht jetzt Redezeit nach persönlicher Sympathie? Das ist auch nicht richtig!)

– Ebendrum. – Deswegen trage ich den eingeräumten
Zuschlag gar nicht vor. Sie können sich im Präsidium er-
kundigen, wie wir das gehandhabt haben.

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zu den Abstimmungen zu den Vorlagen,
zunächst zu den Tagesordnungspunkten 22 a und 22 b.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/3910 und 16/4863 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Ich
nehme an, dass Sie damit einverstanden sind. – Dann ist
das so beschlossen.

Zum Tagesordnungspunkt 22 c. Hier geht es um die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung auf der
Drucksache 16/3546 zu den Unterrichtungen durch die
Bundesregierung über den Bericht zur technologi-
schen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006, Druck-
sache 16/1245, über den Bericht zum 6-Milliarden-
Euro-Programm für Forschung und Entwicklung,
Drucksache 16/1400, sowie über die Hightechstrategie
für Deutschland, Drucksache 16/2577, und zu weiteren
Vorlagen.

Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss, in Kenntnis der genannten Unterrichtun-
gen den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der
SPD auf Drucksache 16/1546 mit dem Titel „Die tech-
nologische Leistungsfähigkeit mit dem 6-Milliarden-
Euro-Programm und der High-Tech-Strategie stärken“ in
der Ausschussfassung anzunehmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich der Stimme? – Dann ist diese Be-
schlussempfehlung mit Mehrheit angenommen.

Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis der
genannten Unterrichtungen den Antrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/2628 mit
dem Titel „Forschungsprämie zur besseren Kooperation
von Wissenschaft und Klein- und Mittelunternehmen

(KMU) zügig umsetzen“ anzunehmen. Wer stimmt für

diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich der Stimme? – Auch diese Beschluss-
empfehlung ist mit der Mehrheit der Koalition angenom-
men.

Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis der
genannten Unterrichtungen den Antrag der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/1532 mit dem Titel „Innovatio-
nen brauchen Freiheit – Für mehr Arbeit und Wohl-
stand“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
Stimme? – Auch hier ist die Beschlussempfehlung ange-
nommen.

Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss, in Kenntnis die-
ser Unterrichtungen den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/2083 mit dem Titel „Innovationen
durch Investitionen – Sonderprogramm für die Wissen-
schaft zur Verbesserung der Kooperation mit der Wirt-
schaft (Forschungsprämie)“ abzulehnen. Wer stimmt
dieser Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich der Stimme? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen.






(A) (C)



(B) (D)


Präsident Dr. Norbert Lammert
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5, in
Kenntnis der schon mehrfach erwähnten Unterrichtun-
gen den Antrag der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 16/2621 mit dem Titel „Technolo-
giepolitik auf nachhaltige Innovationen ausrichten“
abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung
zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der
Stimme? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a bis 23 c auf:

a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dağdelen, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Entwicklung der extremen Rechten und die
Maßnahmen der Bundesregierung

– Drucksachen 16/1009, 16/4675 –

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau, Jan Korte, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der LINKEN

V-Leute in der NPD abschalten

– Drucksache 16/4631 –

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau, Klaus Ernst, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der LINKEN

Beratungsprojekte gegen Rechtsextremismus
dauerhaft verankern und Ergebnisse der wis-
senschaftlichen Begleitforschung berücksichti-
gen

– Drucksache 16/4807 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. –
Ich höre keinen Widerspruch. Dann haben wir das so
vereinbart.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609804100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Gäste aus antifaschistischen Organisationen und Verbän-
den, die wir heute eingeladen haben! Neofaschistische
Propaganda und Gewalttaten haben einen neuen Höchst-
stand erreicht. In den Parlamenten von Sachsen und
Mecklenburg-Vorpommern verbreitet die NPD men-
schenverachtende Hetze. Auf den Straßen richten ihre
Fußtruppen Terror gegen alle, die nicht in ihr Weltbild
passen.


(Unruhe)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609804200

Einen Augenblick, bitte! Ich bitte diejenigen, die an

dieser Debatte nicht teilnehmen können oder wollen,
ihre anderweitigen Verpflichtungen außerhalb des Ple-
narsaals wahrzunehmen und – soweit sie der Debatte im
Plenarsaal doch folgen wollen – die dafür hinreichend
verfügbaren Sitzplätze zu benutzen. – Wir warten, bis
wir das realisiert haben. – Bitte schön, Frau Jelpke.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609804300

Herzlichen Dank, Herr Präsident.

Sinn unserer Großen Anfrage war es, diese Entwick-
lung so gründlich wie möglich zu erforschen. Die Linke
will, dass Neofaschismus in diesem Land bekämpft
werden kann.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Antworten der Bundesregierung sind jedoch extrem
knapp. Oftmals hat sie trotz des Einsatzes von V-Leuten
in dieser Partei überhaupt keine Erkenntnisse.

Wir wollen Aufklärung und wir wollen Konzepte ge-
gen rechts. Stattdessen präsentiert uns die Regierung
eine Mischung aus Oberflächlichkeit, Ignoranz und Ver-
harmlosung. Diese Antwort, auf die wir ein Jahr lang
warten mussten, hinkt weit hinter den Notwendigkeiten
her.

Ein Beispiel. In manchen Regionen werden Linke
oder Menschen ausländischer Herkunft Tag für Tag von
Rechtsextremisten bedroht. Neofaschisten sprechen von
sogenannten national befreiten Zonen. Selbst die
Bundeszentrale für politische Bildung warnt auf ihrer
Homepage vor einer Faschisierung der ostdeutschen
Provinz. Aber die Bundesregierung wiegelt ab und be-
hauptet, es könne lediglich der Eindruck entstehen, dass
Rechtsextremisten punktuell das öffentliche Erschei-
nungsbild bestimmen. Das ist unserer Meinung nach
eine zynische Missachtung der Opfer neofaschistischer
Gewalt.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zweites Beispiel. Über Nazikonzerte erteilt die Re-
gierung die nichtssagende Auskunft – ich zitiere –:

Rechtsextremistische Bands bevorzugen Rock-
musik in den verschiedensten Stilrichtungen oder
Liedgut in Balladenform.

Tatsächlich dringen Neofaschisten immer stärker in an-
dere Musikstile ein. Ich nenne hier nur Ska, Punk, Rap
und Hip-Hop. Diese Musik wird mit Texten unterlegt,
die Hetze und Mordaufrufe enthalten. Darauf geht die
Bundesregierung in ihrer Antwort mit keinem Wort ein.

Eine falsche Behauptung löst die andere ab; eine Wis-
senslücke folgt auf die nächste. Bekannt ist, dass Läden
der rechten Szene für den Zusammenhalt der Nazikame-
radschaften zentral sind. Warum die Regierung keinerlei
Erkenntnisse hat, wie sich diese Läden entwickeln und
wie verbreitet sie sind, können wir nicht nachvollziehen.






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
Dies betrifft ebenso die Widersprüche innerhalb der
NPD.

Rechtsextreme Einstellung ist ein Problem in der
Mitte der Gesellschaft, keines des Randes oder be-
stimmter Altersgruppen.


(Beifall bei der LINKEN)


So heißt es in einer Studie der sozialdemokratischen
Friedrich-Ebert-Stiftung.

Doch die Bundesregierung will den Neofaschismus
nur als Problem sehen, das den extrem rechten Rand be-
trifft. Tatsächlich suchen und finden Neofaschisten An-
knüpfungspunkte weit in der sogenannten Mitte dieser
Gesellschaft. Vor wenigen Tagen hat der CDU-Landrat
von Muldental mit sogenannten volkstreuen Jugendli-
chen und Anhängern der NPD freundlich geplaudert.
Der sächsische Landtagspräsident Erich Iltgen, Mitglied
der CDU, hielt es in dieser Woche nicht einmal für nötig,
den NPD-Abgeordneten Holger Apfel zu rügen, als er
Migranten als „Wohlstandsneger“ bezeichnete und diese
diffamierte, indem er sagte, sie seien sowieso nicht in
Deutschland integrierbar. Für die Linke ist so etwas
nicht mehr mit Naivität zu entschuldigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber damit nicht genug. Das Studienzentrum Wei-
kersheim unter der Schirmherrschaft von Unionspoliti-
kern fördert seit Jahren Wehrmachtsverherrlichung und
Antisemitismus. Bei Vertriebenenverbänden, Burschen-
schaften und etlichen pensionierten Bundeswehroffizie-
ren lässt sich Ähnliches beobachten. Umfragen zeigen
hohe Zustimmungswerte für rassistische Positionen. Es
hat sich ein Graubereich etabliert, in dem sich Rechts-
extremisten und Konservative vermischen. Doch die Re-
gierung drückt beide Augen zu und will hiervon nichts
wissen. Es gibt keinerlei Erkenntnisse.

Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage
zeigt erneut: Eine ernsthafte Bekämpfung des Rechts-
extremismus bedarf einer umfassenden Konzeption.
Der Einsatz von V-Leuten in der NPD gehört unserer
Meinung nach nicht dazu.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])


Wenn wir verhindern wollen, dass Naziparteien weitere
Wahlerfolge feiern und der rechte Terror auf den Straßen
zunimmt, brauchen wir vielfältige Programme und Ak-
tionen gegen diese braunen Banden. Wir brauchen Kon-
zepte gegen den weitverbreiteten Antisemitismus und
Rassismus in dieser Gesellschaft.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609804400

Für die Bundesregierung erhält nun das Wort der Par-

lamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.
D
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1609804500


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große
Anfrage der Fraktion Die Linke „Entwicklung der extre-
men Rechten und die Maßnahmen der Bundesregierung“
mit 286 und – wenn wir die Unterfragen hinzurechnen –
insgesamt 390 Fragen wurde von der Bundesregierung
in der geforderten Ausführlichkeit beantwortet. Die Kri-
tik an der Sorgfalt der Bundesregierung bei der Beant-
wortung dieser Fragen, Frau Jelpke, möchte ich zurück-
weisen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vielmehr scheinen zwischen den Fragestellern und der
Position der Bundesregierung Diskrepanzen aufzutreten,
auf die ich in meiner Kommentierung der Großen An-
frage eingehen möchte.

Da ist zunächst einmal eine Vorbemerkung erforder-
lich. Wir reden heute über Rechtsextremismus. Das ist
angesichts der leider anhaltenden Aktualität dieses The-
mas sicher wichtig. Der Rechtsextremismus, der heute
unser Thema ist, stellt aber nur einen Teil der extremis-
tischen Bedrohungen unserer Grundordnung dar – ei-
nen gewichtigen, den wir sehr ernst nehmen müssen und
auch sehr ernst nehmen. Es muss aber auch klar bleiben
– ich glaube, das ist für die meisten Mitglieder dieses
Hauses selbstverständlich –, dass sich der freiheitliche
Staat gegen jede Form extremistischer Bedrohung ver-
teidigen muss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Logik folgen unsere Verfassungsschutzberichte,
wenn sie rechtsextremistische, linksextremistische und
islamistisch-terroristische Bestrebungen und Gefährdun-
gen darstellen.

Wir reden also heute aus klarem Anlass über einen
Teil des Gesamtproblems. Das Gesamtproblem verdient
auch deshalb eine Erwähnung, weil nur so das Schutzgut
„freiheitlich-demokratische Grundordnung“ hinrei-
chend deutlich wird. Die Diskussion über den Rechts-
extremismus, den wir gemeinsam bekämpfen wollen,
darf nicht zur Legitimierung linksextremistischer Ge-
genbewegung führen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Grundlage unserer Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus und seiner Bekämpfung ist ein
mehrdimensionaler Handlungsansatz mit präventiven
und repressiven Elementen. Dabei ist das wohl wich-
tigste Instrument der Extremismusprävention, den
Menschen – auch und gerade den heranwachsenden
Menschen – den Wert von Freiheit, Recht und Demokra-
tie deutlich zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade wir in Deutschland wissen leider aus überreicher
Erfahrung, was es bedeutet, dieser Grundwerte zu ent-
behren. Ein positives Verhältnis zu unserem Staat, zu un-
serer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist die
sicherste Gewähr gegen extremistische Versuchungen.






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner

(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe mich unter diesem Gesichtspunkt mit den
Vorbemerkungen der Großen Anfrage der Linken aus-
einandergesetzt. Leider finde ich in diesen Vorbemer-
kungen wenig überzeugende Hinweise für solch ein
positives Verhältnis zu unserem Gemeinwesen. Stattdes-
sen werden rechtsstaatliche Institutionen und demokrati-
sche Parteien zu indirekten Handlangern des Rechts-
extremismus erklärt. So weisen Sie, meine Damen und
Herren von der Linken, auf angeblich gut begründete
Ängste in der Bevölkerung hin und behaupten, dass anti-
semitische und rassistische Lösungsangebote auch des-
halb auf Zustimmung stoßen, „weil die Bürgerinnen und
Bürger nach Alternativen zur Koalition der marktradika-
len Kräfte von Grünen bis zur CDU suchen.“

Ich könnte hier noch weitere Beispiele aus den Vorbe-
merkungen nennen. Wenn man diese Vorbemerkungen
liest, fragt man sich, ob wir wirklich im selben Staat le-
ben. Ich bitte deshalb das Hohe Haus um Verständnis,
dass die Bundesregierung im Rahmen ihrer Antwort da-
rauf verzichtet hat, auf diese Vorbemerkungen der Frage-
steller einzugehen.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Dafür haben Sie jetzt die halbe Redezeit darauf verwendet!)


Einen Punkt aber möchte ich in Reaktion auf die Vor-
bemerkungen der Großen Anfrage festhalten: Wer unsere
freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Ex-
tremismus, gerade auch gegen Rechtsextremismus, ver-
teidigen will, der ist nur glaubwürdig, wenn er diese
Grundordnung selbst bejaht und davon überzeugt ist,
dass sie es wert ist, verteidigt zu werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD])


Nach meiner persönlichen Beobachtung – wenn ich
dies anführen darf – besteht das gegenwärtige Risiko in
der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes
bei weitem nicht nur in der Verführungskraft und Attrak-
tivität dieser menschenverachtenden Thesen, es besteht
nicht nur in der gefährlichen Struktur rechtsextremisti-
scher Organisationen, sondern das Risiko besteht auch in
der Leere und Orientierungslosigkeit in den Köpfen Ein-
zelner, insbesondere Jugendlicher.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage das deshalb, weil politische Bildung, die
zum Verständnis und zur Bindung an die Werte unseres
Rechtsstaates und unserer Rechtsordnung beiträgt, in
diesem Zusammenhang unbedingt Beachtung verdient.
Der politische Bildungswert dieser Großen Anfrage ist
jedoch durchaus in Zweifel zu ziehen. Schwerpunkt für
die Autoren war, Erkenntnisse über rechtsextremistische
Erscheinungen und Tendenzen in unterschiedlichen
Gliederungen unserer Gesellschaft zu erhalten. Die Bun-
desregierung hat sich, wie gesagt, um angemessene Aus-
kunft bemüht, was oft dadurch erschwert wurde, dass
sich die Fragesteller in ihrem Auskunftsbegehren weit
von den gültigen Kriterien des Verfassungsschutzes,
etwa den §§ 3 und 4 des Bundesverfassungsschutzgeset-
zes, entfernt und die Fragestellung nicht selten zum An-
lass zweifelhafter politischer Wertungen und Unterstel-
lungen genommen haben. Hier, Frau Jelpke, ist
möglicherweise die Ursache für die in Ihren Augen un-
befriedigende Antwort auf Ihre Fragen zu suchen. Wenn
Sie Fragen stellen, die mit Wertungen verbunden sind,
die die Bundesregierung nicht teilt, können Sie nicht die
Antworten erwarten, die Sie sich vorgestellt haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1609804600

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Lötzsch?

D
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1609804700


Ja, bitte.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609804800

Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,

über die Hälfte Ihrer Redezeit sind Sie auf die Vorbe-
merkungen unserer Großen Anfrage eingegangen, was
Sie ja eigentlich nicht tun wollten. Ich nehme das zum
Anlass, um darauf hinzuweisen, dass Sie viele unserer
Fragen unzureichend beantwortet haben. Mir geht es
konkret um die Frage 180. Darin geht es um die rechts-
extremen Denkfabriken. Die Bundesregierung lässt hier
sehr viel offen. Ich möchte die unzureichend beantwor-
tete Frage 180 zu einer Zwischenfrage nutzen. Vielleicht
können Sie das Ganze etwas präziser ausführen.

Sie wissen, dass das Studienzentrum Weikersheim
in die Schlagzeilen gekommen ist, weil dort immer wie-
der rechtsextreme Vorträge gehalten wurden. Minister-
präsident Oettinger sah sich gezwungen, seine Mitglied-
schaft in diesem Studienzentrum zumindest ruhen zu
lassen. In Anbetracht dieser Tatsache möchte ich gerne
von Ihnen wissen, warum die Bundesregierung dieses
Studienzentrum weiterhin unterstützt und ob Sie bereit
und in der Lage sind – Sie sind natürlich in der Lage
dazu; ich möchte aber wissen, ob Sie dazu auch bereit
sind –, die finanzielle Unterstützung für das Studienzen-
trum Weikersheim sofort einzustellen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


D
Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1609804900


Frau Kollegin Lötzsch, ich bin auf die Vorbemer-
kungen eingegangen, weil die Bundesregierung in der
Beantwortung der Großen Anfrage aus den von mir ge-
schilderten Gründen zu diesen Vorbemerkungen nicht
Stellung genommen hat und weil die Vorbemerkungen
bedauerlicherweise keine Hinweise auf das eigentliche
Schutzgut, um das es uns bei der Extremismusbekämp-
fung – hier der Rechtsextremismusbekämpfung – geht,
enthält.

Wir sind zurzeit dabei, eine schriftliche Anfrage, die
Sie zum Thema Weikersheim gestellt haben, zu beant-






(A) (C)



(B) (D)


Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
worten. Ich will dieser Antwort nicht vorgreifen, ich will
mir aber einen Hinweis erlauben: Ich habe das Zitat ge-
bracht, in dem Sie von einer marktradikalen Koalition
sprechen, die von den Grünen bis zur CDU reicht; die
SPD gehört vermutlich auch dazu.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Was?)


– Wenn ich das Zitat richtig deute. Vielleicht sind Sie
auch außen vor geblieben. Ich weiß das nicht. – Ich habe
diese Aussage in Ihren Vorbemerkungen aus gutem
Grund zitiert: Sie leisten mit einer solch sektiererischen
Wertung gegenüber anderen demokratischen Parteien
keinen Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus.
Das ist meine feste Überzeugung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was ist nun mit dem Studienzentrum Weikersheim?)


Gerade vor dem Hintergrund solcher oft problemati-
scher Fragestellungen sei es mir erlaubt, im Sinne einer
Klarstellung zusammenfassend zu betonen: Für die Bun-
desregierung bleibt die Bekämpfung des Rechtsextre-
mismus eine Daueraufgabe, nicht nur, aber natürlich
auch im Bereich der inneren Sicherheit. Die Bundesre-
gierung nimmt zusammen mit allen demokratischen
Kräften die Bekämpfung des Rechtsextremismus sehr
ernst und tritt den rechtsextremistischen Erscheinungs-
formen mit einem Bündel an repressiven und präventi-
ven Maßnahmen deutlich entgegen. Gerade die Entwick-
lung von zielgerichteten Präventionsstrategien ist
hierbei von besonderer Bedeutung. Vielfalt, Toleranz
und Demokratie sind Werte, die in der präventiven Ar-
beit kontinuierlich und überzeugend vermittelt werden
müssen.

Aber auch die bereits rechtsextremistisch gefährdeten
Jugendlichen dürfen nicht aufgegeben werden. Das Par-
lament hat für diese Arbeit 19 Millionen Euro im Jahr
zur Verfügung gestellt. Das Programm „Jugend für Viel-
falt, Toleranz und Demokratie“ ist am 1. Januar 2007 er-
folgreich gestartet. In Ergänzung zu dem Präventivpro-
gramm ist im Auftrag des Parlaments ein weiteres
Programm geplant, das einen Schwerpunkt auf die an-
lassbezogene Intervention gegen Rechtsextremismus
setzt. Für dieses Programm sollen 5 Millionen Euro im
Jahr zur Verfügung gestellt werden. Dabei geht es um
Angebote zur Beratung, darum, den betroffenen Kom-
munen, aber auch den betroffenen Menschen vor Ort in
einer akut bedrohlichen Situation mit rechtsextremem,
fremdenfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund
schnelle und professionelle Hilfe anzubieten. Die Bun-
desregierung nimmt ihre Verantwortung wahr. Wir wol-
len dabei Hand in Hand mit allen demokratischen Kräf-
ten in Bund, Ländern und Kommunen handeln. Um neue
Wege bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus aus-
zuloten und vorhandene Strategien zu optimieren, hat
das Bundesministerium des Innern mit dem Familienmi-
nisterium und den jeweiligen Partnerressorts der neuen
Länder einschließlich Berlins sowie den kommunalen
Spitzenverbänden eine Koordinierungsgruppe einge-
setzt. Es geht vor allem darum, Synergieeffekte zu er-
zeugen und Lücken in der Handlungskette aufzuzeigen.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner)


Ich bin zuversichtlich, dass wir hier wichtige Impulse
geben können. Nur wenn jede Ebene ihre Verantwortung
übernimmt und im Verbund mit den anderen Verantwor-
tungsträgern entschlossen und konsequent handelt, kön-
nen und werden wir diesen schwierigen Kampf beste-
hen.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609805000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Miriam Gruß,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1609805100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Jeder vierte Deutsche ist tendenziell auslän-
derfeindlich eingestellt. Rechtsextreme Einstellungen
sind kein Randphänomen, sondern in der Mitte der Ge-
sellschaft verwurzelt; dies ergab unlängst die schon
angesprochene bundesweite Studie der Friedrich-Ebert-
Stiftung. Ausländerfeindlichkeit ist demnach die am
weitesten verbreitete rechtsextreme Einstellung. 26,7 Pro-
zent der Befragten aus allen Bevölkerungsschichten,
Bundesländern und Wählergruppen stimmten entspre-
chenden Thesen zu. Das ist jeder vierte Bundesbürger.
Wir reden hier also nicht von einer Gruppe Verrückter.
Es ist deshalb notwendig, immer wieder zu thematisie-
ren, wie gefährlich die unterschiedlichen Spielarten des
politischen Extremismus sein können.


(Beifall bei der FDP)


Dieses Problem darf nicht marginalisiert werden.

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet sind in
Teilen Deutschlands rechtslastige Strukturen entstan-
den, die unsere freiheitlich-demokratische Grundord-
nung infrage stellen. Der Rechtsextremismus beginnt,
dort langsam die Alltagskultur zu durchdringen. Es ist
ein schwelender Brand, der die Zivilgesellschaft be-
droht. Dieser Brand breitet sich klammheimlich immer
weiter aus und ist bald nicht mehr einzudämmen. Dabei
geht es nicht nur um Skinheads mit Springerstiefeln und
Springmessern, sondern auch um scheinbar ganz nor-
male Menschen, die in der Mitte unserer Gesellschaft
leben. Die rechte Szene wird immer selbstbewusster,
warnte unlängst das Bundeskriminalamt. Das zeigt sich
auch an ihren zunehmend öffentlich gewählten Tatorten
und an provokativen Auftritten und Demonstrationen.
Vor allen Dingen junge Menschen werden mehr und
mehr, ideell verbrämt, mit demokratiefeindlichem Ge-
dankengut erzogen. Viele von ihnen werden so für ihr
Leben geprägt und gebrandmarkt.






(A) (C)



(B) (D)


Miriam Gruß
Es ginge auch anders. Doch präventive politische
Bildungsarbeit scheint nicht immer erwünscht. Sie, sehr
geehrte Damen und Herren von der Großen Koalition,
hätten die Beratungs- und Hilfeprogramme gegen
Rechtsextremismus doch am liebsten einstampfen las-
sen – gegen den Rat aller Experten und der vor Ort enga-
gierten Spezialisten.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Das stimmt ja nun nicht! – Kerstin Griese [SPD]: Wir haben dafür gesorgt, dass das nicht passiert!)


Nur mit massivem Druck konnten wir Sie alle dazu brin-
gen, diese Programme weiter existieren zu lassen, wenn
auch in mangelhafter Ausstattung.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)


Sie alle haben die Programme auf ein Minimum redu-
ziert, auf Projekte, die nur noch eine Reaktion zulassen,
nicht aber die so dringend notwendige präventive Ak-
tion.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Dabei ist und bleibt Prävention das wichtigste Mittel im
Kampf gegen extremes Gedankengut.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die neuen Programme, die Sie aufgelegt haben, grei-
fen nur in Krisensituationen.


(Gabriele Fograscher [SPD]: Das stimmt überhaupt nicht! – Weiterer Zuruf von der SPD: Unzutreffend!)


Doch wer beurteilt, wann ein Vorfall problematisch ist?
Wie schnell kann ein mobiles Beratungsteam im Notfall
vor Ort sein, und wie lange hat dieses Team Zeit zu ar-
beiten? Muss es gleich zum nächsten Brandherd weiter?
Der Rechtsextremismusexperte Wilhelm Heitmeyer be-
tonte bereits mehrfach, dass Projekte nur dort erfolgreich
arbeiten können, wo sie gut vernetzt sind. Berater von
außerhalb werden von den Menschen vor Ort nicht ak-
zeptiert.

Angesichts der vom Rechtsextremismus ausgehenden
Bedrohungen und der Gefahr einer sich zunehmend he-
rausbildenden rechtsextremen Jugendszene bleiben
staatlich unterstützte Projekte zur Bekämpfung solcher
Tendenzen eine Daueraufgabe und kein einmaliges Er-
eignis.


(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])


Die Motive rassistischer Einstellungen sind mittler-
weile sehr vielschichtig. Ihre Bekämpfung muss es des-
halb auch sein. Neben den hier thematisierten punktuel-
len Beratungs- und Hilfeangeboten müssen wir
weiterhin die Ursachen dieser fatalen Entwicklung fin-
den und beheben. Diese sind in erster Linie Bildungs-
mangel, Armut und Arbeitslosigkeit.

Deshalb brauchen wir, wie von unserer Fraktion be-
reits im vergangenen Spätsommer gefordert, ein tragfä-
higes und langfristiges Konzept zur Bekämpfung von
Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitis-
mus


(Beifall bei der FDP)


und keine Oberflächenkosmetik. Die zuständigen Stellen
brauchen Planungssicherheit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir brauchen einen integrativen Ansatz, durch den
der Extremismus im Ansatz bekämpft wird. Eine reine
Krisenintervention wird nicht ausreichen. Wie ein sol-
cher integrativer Ansatz aussehen könnte, haben wir in
unserem Antrag bereits deutlich gemacht.


(Sebastian Edathy [SPD]: Man sollte sich mit dem Thema beschäftigen, bevor man hier redet!)


Die Bundesregierung zeigt in diesem Punkt allerdings
Beratungsresistenz.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609805200

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.


Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1609805300

Meine Damen und Herren, nur wenn wir dieses Pro-

gramm langfristig gemeinsam angehen, können wir un-
sere Gesellschaft vor einer katastrophalen Entwicklung
und viele junge Menschen vor einem Irrweg, der ihr Le-
ben ruiniert, bewahren.

Danke.


(Beifall bei der FDP und der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609805400

Ich gebe das Wort der Kollegin Gabriele Fograscher,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1609805500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Zunächst eine Klarstellung: Das Studienzentrum
Weikersheim erhält weder aus dem Bundeshaushalt
noch aus dem Landeshaushalt Baden-Württemberg Mit-
tel. Traurig ist allerdings natürlich, dass es anscheinend
durch Privatpersonen finanziert wird und dadurch finan-
ziell gut ausgestattet ist.

Frau Gruß, wir wollten die Bundesprogramme
Civitas und Entimon keineswegs einstampfen. Es war
aber von Anfang an klar, dass die Programme weiterent-
wickelt werden müssen. Das haben wir getan. Ich gebe
ja zu, dass der Diskussionsprozess nicht immer einfach
war, aber ich glaube, wir haben hier jetzt einen guten
Ansatz gefunden, der nachhaltig wirken wird.


(Beifall bei der SPD)


Die Anfrage der Linken zum Rechtsextremismus ent-
hält 286 Fragen, deren Beantwortung nicht ausschließ-
lich in der Zuständigkeit des Bundes liegt; das wissen






(A) (C)



(B) (D)


Gabriele Fograscher
Sie. Viele Fragen wurden deshalb nur knapp beantwor-
tet. Ich finde aber schon, dass trotzdem ein guter Über-
blick über die Entwicklung und die Erscheinungsformen
des Rechtsextremismus in Deutschland gegeben wird.
Trotz der vielfältigen Aktivitäten der Bundesregierung
bleibt die Bekämpfung des Rechtsextremismus natürlich
auch in Zukunft eine wichtige Aufgabe.

Das wird leider auch durch die aktuellen Zahlen ge-
zeigt. Dr. Schäuble stellte am 30. März 2007 fest – ich
zitiere –:

Der höchste Zuwachs ist dabei im Bereich der poli-
tisch motivierten Kriminalität – rechts festzustellen,
der mit 18.142 Straftaten … ohnehin den Haupt-
anteil stellt …

Die politisch motivierte Kriminalität rechts ist im Ver-
gleich zu 2005 in 2006 um rund 14 Prozent gestiegen.
Die Gewalttaten von rechts stiegen um rund 7,8 Prozent
auf 1 115 registrierte Fälle.

Diese Zahlen sind erschreckend. Deshalb brauchen
wir beides: Wir brauchen repressive Maßnahmen, wie
Vereins- und Versammlungsverbote, und konsequente
Strafverfolgung. Das ist die eine Seite wehrhafter Demo-
kratie.

Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung
– dort sind die Vereinsverbote der letzten Jahre seit 2000
aufgeführt –:

Verbote sind grundsätzlich Ultima Ratio der Ausei-
nandersetzung mit dem politischen Extremismus …
Die Bundesregierung bewertet diese Verbote als
erfolgreich, da hierdurch die Strukturen des gewalt-
bereiten subkulturell geprägten Rechtsextremis-
mus … deutlich geschwächt wurden.

Auch mit den Änderungen des Versammlungsrechts
und des Strafgesetzbuches seit April 2005 wurden die
Möglichkeiten verbessert, rechtsextremistische Ver-
sammlungen zu verbieten.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609805600

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Jelpke?


Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1609805700

Ja.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609805800

Frau Kollegin Fograscher, Sie haben gerade über Ver-

bote von Organisationen gesprochen. In der Tat hat die
Bundesregierung einige Verbote erlassen. Wie Sie wis-
sen, ist aber das NPD-Verbotsverfahren gescheitert,
und zwar vor allem deshalb, weil die V-Leute des Ver-
fassungsschutzes nicht abgezogen wurden.

Vertreter Ihrer Partei – an führender Stelle Herr
Struck, aber auch der Vorsitzende des Innenausschusses,
Herr Edathy – sprechen sich immer wieder für ein neues
Verbotsverfahren aus. Sind Sie bereit, nähere Auskunft
darüber zu geben, wie das Thema in der Fraktion der
SPD weiterbehandelt wird? Wird sich die SPD unserem
Antrag anschließen, die V-Leute abzuschalten, damit die
Bundesverfassungsrichter die Situation erneut überprü-
fen können?


Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1609805900

Frau Jelpke, ich wollte eigentlich später auf Ihren An-

trag zum Abzug der V-Leute aus der NPD eingehen, aber
ich kann das auch gerne an dieser Stelle tun. Ich halte
diesen Antrag für naiv. Denn ich glaube, dass viele Ein-
schätzungen in den Antworten der Bundesregierung auf
Erkenntnissen beruhen, die ohne den Einsatz von V-Leu-
ten nicht gewonnen werden könnten.

Ich halte Ihren Antrag auch für gefährlich, weil sich
ein weiteres Verbotsverfahren über lange Zeit hinziehen
könnte und wir dann keine Informationen mehr über
Entwicklungen in der extremen rechten Szene hätten.
Deshalb werden wir Ihrem Antrag, die V-Leute abzuzie-
hen, nicht zustimmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Schwerpunkt der Maßnahmen in der Auseinanderset-
zung mit politischem Extremismus bleiben die präventi-
ven Maßnahmen. Wir haben die ehemaligen Bundes-
programme Civitas und Entimon weiterentwickelt bzw.
ein neues Bundesprogramm mit dem Titel „Jugend
für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen
Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Anti-
semitismus“ aufgelegt, das mit jährlich 19 Mil-
lionen Euro ausgestattet ist.

Wir setzen mit diesem Programm bei den Jugendli-
chen an. Wir nehmen die Erkenntnisse aus der wissen-
schaftlichen Begleitforschung der vergangenen Jahre zu
Civitas ernst und setzen sie um. Von zentraler Bedeutung
ist die Eingebundenheit von Projekten in Vernetzungs-
strukturen. Wenn zum Beispiel ein außerschulisches Pro-
gramm auch in der Schule seinen Widerhall findet, er-
höht dies die Erfolgsaussichten deutlich. Deshalb ist es
richtig, dass das neue Programm lokale Aktionspläne
fördert. Eingebundenheit und Akzeptanz eines Projektes
in der jeweiligen Kommune sind wichtige Voraussetzun-
gen für den Erfolg. Denn demokratische Kultur muss zu-
allererst auf lokaler Ebene gestaltet und gelebt werden.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609806000

Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-

frage des Kollegen Spieth?


Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1609806100

Ja.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609806200

Frau Kollegin Fograscher, ich habe eine Nachfrage zu

Ihren Ausführungen über die Programme Civitas und
Entimon. Sie sprachen davon, dass diese Programme
mit dem neuen Programm fortgesetzt werden, und haben
auf die einzelnen Positionen hingewiesen. Sind Sie wirk-
lich der Überzeugung, dass das neu aufgelegte Bundes-
programm eine Weiterentwicklung des Civitas-Pro-
gramms darstellt? Wie Sie wissen, stand im Civitas-
Programm der präventive Charakter – insbesondere die






(A) (C)



(B) (D)


Frank Spieth
Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Ansätze – im Vor-
dergrund. Bei dem neuen Programm hingegen wird im
Wesentlichen der präventive Ansatz vermieden; stattdes-
sen wird mit der Krisenintervention nur noch der reak-
tive Ansatz verfolgt. Das heißt, es wird erst dann mit Be-
ratungsangeboten agiert, wenn das Kind schon im
Brunnen liegt.

Halten Sie das wirklich für eine Fortentwicklung,
oder sehen Sie es als das, was es ist, nämlich ein Rück-
schritt gegenüber den ursprünglichen Programmansät-
zen?


(Beifall bei der LINKEN)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1609806300

Ich habe über das Folgeprogramm von Civitas und

Entimon gesprochen, das mit jährlich 19 Millionen Euro
ausgestattet ist und in der Tat eine Weiterentwicklung
dieser Programme bedeutet. Ich komme gleich zu dem
Programm, das wir zusätzlich auflegen. Ich danke unse-
ren Haushältern in der SPD-Bundestagsfraktion und be-
sonders Frau Griese, dass es uns gelungen ist, dieses
Programm mit 5 Millionen Euro auszustatten. Dieses
Programm beinhaltet die sogenannte Krisenintervention.
Das kommt hinzu. Ich halte das für sinnvoll.

Dieses mit 5 Millionen Euro ausgestattete Programm
„Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobile Kri-
seninterventionsteams gegen Rechtsextremismus“ ist
ein zusätzliches Programm. Es wird in Zukunft in jedem
Bundesland eine Koordinierungsstelle geben, die neben
der Bildung eines landesweiten Beratungsnetzwerkes
auch über die Zusammensetzung und Koordinierung der
mobilen Interventionsteams entscheiden wird. Diese
Landeskoordinierungsstellen dienen als Kontaktstellen
für die Betroffenen in Krisensituationen. Es werden ein
regelmäßiger Informationsaustausch und Öffentlich-
keitsarbeit über das Beratungsnetzwerk und die mobilen
Interventionsteams gewährleistet. Mit dieser Konzeption
werden wir – davon bin ich überzeugt – mehr erreichen,
als Sie, Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrak-
tion, in Ihrem entsprechenden Antrag fordern.

Wir haben gerade über den Abzug der V-Leute disku-
tiert. Sie fordern die Bundesregierung auf, „dem Bun-
destag ein inhaltliches und finanzielles Konzept für eine
zu schaffende unabhängige Beobachtungsstelle Rechts-
extremismus, Rassismus und Antisemitismus vorzule-
gen“. Glauben Sie ernsthaft, dass eine solche Beobach-
tungsstelle mehr Informationen über das Innenleben der
NPD oder anderer rechter Organisationen bekommt als
der Bundesverfassungsschutz und die Verfassungs-
schutzämter der Länder?


(Zuruf von der LINKEN: Ja!)


Ich halte diese Ansicht nicht nur für naiv, sondern
auch für gefährlich.


(Zuruf von der LINKEN: Da müssen Sie einmal vor Ort gucken!)


Rechte und rechtsextreme Parteien engagieren sich
inzwischen auch im vorpolitischen Raum. Sie gehen in
Vereine, richten Straßen- und Familienfeste aus, enga-
gieren sich in Elternbeiräten der Schulen, stellen sich als
Trainer und Betreuer in Sportvereinen zur Verfügung.
Besonders besorgniserregend ist die zunehmende Verall-
täglichung rechtsextremer Jugendkultur. Mit rechts-
extremer Musik und Dresscodes, Symbolen und Konzer-
ten werden Jugendliche angelockt. Hier besteht in der
Tat weiterer Aufklärungs- und Informationsbedarf.

Wertvolle Arbeit leistet dabei das Bündnis für
Demokratie und Toleranz, auch aus Bundesmitteln ge-
fördert, die in diesem Haushalt auf 1 Million Euro pro
Jahr aufgestockt wurden.


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)


Ich selbst durfte in der letzten Woche in Würzburg Preis-
träger auszeichnen, die am Wettbewerb „Aktiv für De-
mokratie und Toleranz“ teilgenommen haben. Ich habe
dabei engagierte und motivierte Menschen kennenge-
lernt, die sich ehrenamtlich in vielfältigen Projekten und
Initiativen gegen rechts und rechtes Gedankengut stellen
und für Respekt, Vielfalt, Demokratie und Toleranz im
Alltag werben. Diese Menschen brauchen unsere Unter-
stützung und Anerkennung.

Ich darf Sie zum Schluss zu einer Veranstaltung am
23. Mai, am Tag des Grundgesetzes, einladen. Das ist in
der nächsten Sitzungswoche. Hier wird das Bündnis für
Demokratie und Toleranz wie in jedem Jahr aktiv. Im
Haus der Berliner Festspiele werden unter anderem die
Botschafter der Toleranz ausgezeichnet. Sie können sich,
wenn Sie diese Veranstaltung besuchen – ich glaube, Sie
alle haben eine Einladung erhalten –, von vorbildlichen
Projekten einen eigenen Eindruck verschaffen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609806400

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kol-

legin Lötzsch.


Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609806500

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Kurzinter-

vention bezieht sich sowohl auf den Herrn Staatssekretär
als auch auf die Kollegin Fograscher. Herr Staatssekre-
tär, Sie waren der Auffassung, dass Sie meine Anfrage
noch nicht beantwortet hätten. Ich darf Ihnen mitteilen,
dass Herr Staatssekretär Diller vom Finanzministerium
mir am 9. Mai die Antwort zugeleitet hat. Frau Kollegin
Fograscher, aus dieser Antwort geht eindeutig hervor,
dass das Studienzentrum Weikersheim – mir liegt eine
vierseitige Tabelle vor – aus Mitteln des Bundes finan-
zielle Unterstützung erhalten hat,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Bundeszentrale für politische Bildung! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ein Skandal!)


zum Beispiel für das 5. Jung-Weikersheim-Seminar zum
Thema Konservatismus, eine sicherheitspolitische Ta-
gung und die 13. Internationalen Studientage „Der So-
zialstaat im Wandel – Eigentum oder Bevormundung des






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gesine Lötzsch
Bürgers?“. All das fand im Studienzentrum Weikersheim
statt; all das wurde über den Bundeshaushalt finanziert.


(Zuruf von der LINKEN: Ein Skandal!)


Ich will das hier richtigstellen.

Ich habe mich auf eine offizielle Angabe der Bundes-
regierung bezogen. Frau Kollegin Fograscher, Sie kön-
nen sich diesen Bericht gern von den Berichterstattern
des Einzelplanes 06 Ihrer Fraktion überreichen lassen.
Dann müssen Sie mich hier nicht mehr zeihen, die Un-
wahrheit zu sagen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Das werden wir ändern! Danke für den Hinweis!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609806600

Es besteht kein Bedürfnis, zu antworten. Deswegen

gebe ich das Wort zum nächsten Redebeitrag der Kolle-
gin Monika Lazar, Bündnis 90/Die Grünen.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609806700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Teile der extremen Rechten haben es geschafft, durch
langfristige Strategien ernst zu nehmende Erfolge zu er-
zielen; das zeigen die Antworten auf die Große Anfrage
deutlich. Der NPD ist es gelungen – ich zitiere aus der
Antwort –,

... im Rahmen der „Volksfront von rechts“... unter-
schiedliche Kräfte sowohl aus dem Neonazilager
als auch aus dem rechtsextremistischen Parteien-
spektrum zu bündeln.

Sie hat

... die Bedeutung langjähriger kontinuierlicher Ba-
sisarbeit und lokaler Verankerung … erkannt und
versucht deshalb, entsprechende Schwerpunkte …
zu setzen …

Da ist also von „kontinuierlicher Basisarbeit“ und von
„lokaler Verankerung“ die Rede. Was heißt das konkret?
Ich möchte Ihnen ein aktuelles Beispiel erzählen. Es
illustriert, wie Rechtsextreme vor Ort Fuß fassen und
einbezogen werden. In meiner Heimat Sachsen liegt der
Muldentalkreis mit der Kreisstadt Grimma. Es ist eine
ganz normale Kleinstadt mit normalen Leuten. Die NPD
sitzt allerdings im Kreistag; es gibt dort junge Leute, die
sich selbst als „volkstreu“ bezeichnen und aktiv Kontakt
zu den örtlichen Behörden aufbauen. Wie wir vor eini-
gen Tagen zur Kenntnis nehmen mussten, tun sie das mit
Erfolg: Der Landrat Dr. Gey, ein CDU-Mitglied, emp-
fing direkt in seinem Amtssitz eine rechtsextreme Dele-
gation und debattierte mit deren Angehörigen, als wären
sie politisch Interessierte wie andere auch. Danach
schwärmte die NPD in einer Pressemitteilung davon und
erklärte, es sei ein „von gegenseitigem Respekt und von
Fairneß“ getragener Dialog gewesen.

Ich will Ihnen sagen, was mich hieran am meisten er-
schüttert: Es ist nicht die Tatsache, dass Herr Gey bereit
ist, mit allen Menschen aus seiner Stadt zu sprechen,
sondern die Tatsache, dass es in einem derart offiziellen
Rahmen getan wurde, ohne sich in angemessener Weise
von diesen Neonazis zu distanzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nach dem Medientrubel war der Vorfall dem Landrat
peinlich; er erklärte, er habe einen Fehler gemacht. Zu
dieser Einsicht hätte er aber schon vorher kommen kön-
nen; denn es gab schon vorher Warnungen. Sie wurden
aber leider nicht ernst genommen.

Dieses aktuelle Ereignis zeigt die Hilflosigkeit, mit
der die Behörden vielfach den Rechtsextremen gegenü-
berstehen. Mittlerweile hat sich Dr. Gey beraten lassen;
er geht mit einem Anwalt gegen bestimmte Aussagen
der NPD vor. Am Tag zuvor rechtfertigte er sein Treffen
noch, indem er erklärte, dass für ihn Toleranz keine Ein-
bahnstraße sei.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich bin auch für Toleranz; aber Demokraten sollten ihre
Toleranz nicht auf Verfassungsfeinde ausweiten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben unseren demokratischen Rechtsstaat his-
torisch schwer errungen. Er ist auch heute keine Selbst-
verständlichkeit. Wenn wir die Nazis von heute nicht bei
jeder Gelegenheit in ihre Schranken weisen, werden sie
alles daran setzen, das Fundament wieder zu zerstören.
Wer Neonazis in seinem Amtssitz empfängt, macht ihre
menschenverachtenden Ansichten gesellschaftsfähig.
Das darf nicht geschehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich wünsche mir deshalb, dass die politisch Verant-
wortlichen insbesondere auf kommunaler Ebene stärker
den Kontakt zu den erfahrenen Initiativen gegen rechts su-
chen und sich beraten lassen. Die Verzweiflung von Initia-
tiven im Muldentalkreis ist nun groß; das Verhalten des
Landrats zeigt, dass staatliche Stellen bei der Entwicklung
von Weitblick und Sensibilität im Zusammenhang mit
dieser Problematik teilweise noch in den Kinderschuhen
stecken. Das schafft immer wieder Schlupflöcher für gut
geschulte Rechtsextremisten; sie arbeiten kontinuierlich
und basisorientiert.

Gerade solche langfristigen Strategien müssen auch
wir Demokraten im Kampf gegen Rechtsextremismus
noch stärker ausbauen. Ein wichtiger Teil sind dabei die
Bundesprogramme. Die ehemaligen Programme Civitas
und Entimon waren breit angelegt. Sie bauten auf lang-
fristig ausgerichteten Konzepten auf. Sie haben demo-
kratisches Engagement vor Ort gestärkt, waren auf
lokale Projekte zugeschnitten und hatten die Zivilgesell-
schaft als wichtigsten Akteur im Blick. Die neuen Bun-
desprogramme sind im jetzigen Zustand nicht in der
Lage, das zu leisten, weil sie eine Abhängigkeit der Ini-
tiativen von örtlichen Behörden schaffen. Leider fehlen






(A) (C)



(B) (D)


Monika Lazar
da, wie wir an dem Beispiel gesehen haben, immer noch
die notwendigen Kompetenzen.

Der vorhin genannte Muldentalkreis erhält Bundes-
mittel, ist aber ein Beispiel dafür, wie es schlecht laufen
kann. Bewährte Initiativen stehen dort ohne Bundes-
förderung da und sind auf die Gnade dieses Landrates
angewiesen. Stattdessen besteht die Gefahr, dass rechts-
extreme Gruppierungen davon profitieren können. Initia-
tiven und Beratungsnetzwerke werden so zu Rufern in
der Wüste degradiert. Das ist ein unhaltbarer Zustand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Außerdem zeigen die neuen Programme teilweise einen
Mangel an konzeptioneller Nachhaltigkeit. Wenn etwa
die Bundesregierung nur zahlt, nachdem es vor Ort be-
reits gebrannt hat, ist das zu kurz gedacht. Die Evalua-
tion der früheren Bundesprogramme zeigt eindeutig,
dass es auf eine präventive und kontinuierliche Beratung
ankommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Eine Intervention ist nur möglich, wenn Strukturen
vorhanden sind, auf die man im Ernstfall zurückgreifen
kann. Da die Förderung aber auf drei Monate begrenzt
ist, können kontinuierliche Beratungssysteme gar
nicht entstehen. Ein solcher Ansatz, der nur auf Reaktion
setzt, steht in der Gefahr, zu scheitern.

Ein weiterer Fehler dieses Programms ist die Lan-
deskoordinierungsstelle, die die Kontaktstelle für Be-
troffene sein soll. So wird das nicht funktionieren. Der
Vorteil der bisherigen Programme war doch, dass man
sich unkompliziert an eine nichtstaatliche Einrichtung
wenden konnte. Welche Migrantin und welcher Punker
ruft im Ministerium an? Das frage ich mich wirklich.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Dieses Denken zeigt sehr wenig praktisches Einfüh-
lungsvermögen in die Szene.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Ich verlange nicht, dass die Koalition unsere Konzepte
übernimmt, aber ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von der Großen Koalition, dass Sie auf Vernunft und
Erfahrung bauen. Dazu müssen die zivilgesellschaftli-
chen Initiativen wirklich weiter gestärkt werden.

Wir dürfen uns allerdings nicht in Scheingefechten
zwischen Regierung und Opposition verstricken. Mein
Ziel ist es, einen demokratischen Konsens im gesamten
Spektrum dieses Hauses herzustellen. In anderen Fragen
können wir uns gern politisch streiten, hier aber halte ich
es für wichtig, unsere Kräfte zu bündeln.


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Sehr gut!)


Im Kampf gegen Rechtsextremismus muss die Bundes-
regierung offensiv für eine Kultur der Demokratie und
Anerkennung werben. In zahlreichen Regionen haben
sich schon Netzwerke gebildet, die den Rechtsextremen
den kulturellen Kampf ansagen. Solche Aktivitäten bil-
den die Basis für unsere Demokratie. Sie brauchen un-
sere volle Unterstützung. Ich nenne Ihnen einige ausge-
zeichnete Beispiele von Initiativen, die ich selbst
besucht habe und die zeigen, dass es funktionieren kann,
wenn Initiativen mit Bürgermeistern zusammenarbeiten.
In Pirna, Sachsen, gibt es die Aktion Zivilcourage, in
Verden, Niedersachsen, das Bündnis für Demokratie und
Toleranz, in Lübtheen, Mecklenburg-Vorpommern, das
Bürgerbündnis gegen Rechts und in Wunsiedel, Bayern,
das Bündnis gegen Rechtsextremismus und die Jugend-
initiative. Unsere Demokratie darf es sich nicht leisten,
dass diese kleinen Initiativen pleitegehen. Hier sind be-
sonders Länder, Landkreise und Kommunen in der
Pflicht.

Zum Schluss möchte ich noch kurz auf den Antrag
der Linksfraktion eingehen, in dem es um die Abschal-
tung der V-Leute in der NPD als Voraussetzung für ein
neues Verbotsverfahren geht. Das Verbotsverfahren
wird in allen Fraktionen heiß diskutiert, natürlich auch
bei uns. Ich persönlich sehe einen erneuten Verbotsan-
trag eher kritisch. Die harte Hand der Repression wird
rechtsextremes Denken in den Köpfen nicht zerschlagen
können. Wir müssen uns stattdessen fragen, warum sich
in unserem Land so viele Menschen mit rechtsextremem
und antisemitischem Gedankengut identifizieren. Was
geschieht in diesem Land, in dem nach einer Studie der
Friedrich-Ebert-Stiftung 8,6 Prozent der Befragten ein
geschlossenes rechtsextremes Weltbild vertreten? Würde
ein NPD-Verbot die Haltung der 15,2 Prozent verändern,
die meinen, es sollte einen starken Führer geben, der
Deutschland mit starker Hand regiert? Ganz sicher nicht.
Mit einem Verbot kann man gewisse Strukturen beschä-
digen, aber nicht die Ideologie in den Köpfen ändern.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609806800

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Landgraf?


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609806900

Ja.


Katharina Landgraf (CDU):
Rede ID: ID1609807000

Ist Ihnen bekannt, dass Landrat Gey aus dem Mul-

dentalkreis, also aus meinem Wahlkreis, heute eine
einstweilige Verfügung gegen diese falsche Darstellung
der NPD gerichtet hat? Für uns ist klar, dass er – das
müssten Sie gehört haben – einem Gespräch mit Jugend-
lichen zugestimmt hatte, an dem die NPD-Funktionäre
dann ungebeten teilgenommen haben. Die NPD hat es
falsch dargestellt. Halten Sie den Landrat Gey tatsäch-
lich für einen Wegbereiter der NPD-Strategien? Ich je-
denfalls halte ihn für einen aufrechten Demokraten.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609807100

Ich habe in meinem Redebeitrag schon darauf hinge-

wiesen, dass Herr Gey gegen gewisse Äußerungen der
NPD vorgeht. Es ist vollkommen okay, dass er das
macht. Auch habe ich Herrn Gey nicht abgesprochen,
ein Demokrat zu sein. Er ist für mich in dieser Hinsicht
ein naiver Demokrat gewesen.






(A) (C)



(B) (D)


Monika Lazar

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es mag sein, dass diese Jugendlichen sich irgendwie
benachteiligt gefühlt haben und meinten, mit dem Herrn
Landrat in Kontakt kommen zu müssen. Allerdings hät-
ten bei mir schon dann die Glocken geläutet, wenn sich
eine Gruppierung, die sich „volkstreu“ nennt, anmeldet.
Das mag bei anderen politischen Richtungen anders
sein. Allerdings müsste Herr Gey seine Pappenheimer
eigentlich kennen; denn es waren bekannte NPD-Funk-
tionäre dabei. Diese Funktionäre sitzen auch im Kreis-
tag; selbst der NPD-Kreisvorsitzende war anwesend.

Wie Sie wissen, hat Herr Gey selber gesagt, es sei
eher schwierig gewesen und er hätte es so nicht machen
sollen; zwar hätte er sich mit den Jugendlichen unterhal-
ten sollen, die Funktionäre aber hätte er hinauswerfen
müssen. Das hat er also selber eingesehen. Er hat einen
Fehler gemacht. So etwas muss man einfach benennen,
und man muss darüber diskutieren, damit solche Fehler
nicht noch einmal gemacht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Abschließend möchte ich drei Beispiele dafür geben,
was wir alle tun können, damit Rechtsextreme nicht in
die schon vorhin angesprochenen Lücken stoßen:

Erstens. Wir selbst müssen die Lücken schließen, die
die Rechtsextremen heute suchen, um Menschen in ihre
Gruppen zu ziehen.

Zweitens. Wir müssen uns selber vor Ort begeben und
uns mit den Anliegen der Menschen dort ernsthaft be-
schäftigen.

Drittens. Wir müssen gerade für junge Leute Ange-
bote schaffen, nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern
auch kulturell. Wir müssen ihnen zeigen, dass unsere
Gesellschaft ihre Ideen, ihr Engagement braucht. So ent-
steht auch ein Gemeinschaftsgefühl mit einer demokrati-
schen Grundlage.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609807200

Das Wort hat der Kollege Alois Karl, CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1609807300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die Fraktion der Linken beschert dem Bundes-
tag zum wiederholten Mal eine Debatte über Rechts-
extremismus.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dies soll offensichtlich in periodischen Abständen ge-
schehen, wohl um der Welt zu zeigen, wie weit wir in
Deutschland auf dem schlechten Weg nach rechts außen
schon gekommen sind.

In ihrer Großen Anfrage malen die Linken dieses
Bild, besser gesagt: dieses Zerrbild, mit 286 Fragestel-
lungen und mit 390 Einzelfragen. Sie nehmen kein Blatt
vor den Mund, sondern ziehen das Fazit gleich vorne
weg: Deutschland ist auf dem Weg nach rechts außen,
und dafür sind alle im Bundestag vertretenen Parteien
gleichermaßen verantwortlich; wir alle hier – von den
Grünen bis hin zur CDU/CSU – gehören zu den markt-
radikalen Kräften – der Staatssekretär hat das angespro-
chen –; die Sozialdemokraten und die Freidemokraten
werden automatisch in Sippenhaft genommen.

Die Linken stellen damit eine abstruse, eine wirre Si-
tuation dar. Unser Land soll in der öffentlichen Wahr-
nehmung in ein schlechtes, in ein schiefes Licht gerückt
werden. Das ist der eigentliche Sinn Ihrer Anfrage. Aber
damit werden Sie nicht durchkommen. Wir leben näm-
lich in einem anderen Land, in einem offenen Land, in
einer anderen Gesellschaft, in einer toleranten Gesell-
schaft.

Der Widerspruch gegen Rechtsextremismus ist für
mich, für uns, für unsere Fraktionen selbstverständlich.
Wir alle wissen, dass dieser Extremismus menschen-
feindlich ist, dass der Rechtsextremismus der Feind des
demokratischen Rechtsstaates ist. Wir wissen, dass er
diese Staatsordnung aufheben möchte.

Die von Ihnen abgekanzelten Fraktionen haben zu-
dem ein anderes gemeinsames Ziel: Wir wollen unsere
Staatsordnung gegen jeden Extremismus verteidigen,
gegen den rechten genauso wie gegen den linken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann für unsere Fraktion nur sagen: Wir sind da
hellwach, und zwar auf beiden Augen. Im Gegensatz zu
Ihnen kann unsere Werteordnung von rechts oder von
links bedroht werden. Ich verweise nur auf die Äußerun-
gen des Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft, Konrad
Freiberg, von gestern.

Sie ignorieren beharrlich, dass die Bedrohung von
links genauso gegeben ist. Aus diesem Grunde meine
ich, meine Damen und Herren von der Linken, Sie stel-
len nicht eine Lösung des Problems dar, sondern Sie sind
oft ein Teil des Problems.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609807400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Jelpke?


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1609807500

Bitte schön, Frau Kollegin.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609807600

Herr Kollege, ich bin der Meinung, dass es immer

eine schlechte Antwort ist, wenn man kein Konzept ge-






(A) (C)



(B) (D)


Ulla Jelpke
gen Rechtsextremismus hat, auf Linke einzuschlagen.
Ich frage Sie aber ganz einfach: Können Sie mir Bei-
spiele dafür nennen, dass bei Linken Waffenlager gefun-
den worden sind, wie es bei Neofaschisten in der Ver-
gangenheit der Fall war? 133 Menschen sind durch
Rechtsextremisten erschlagen worden. Haben Sie ähnli-
che Beispiele für Linke?


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1609807700

Liebe Frau Jelpke, Sie bräuchten nur den Bericht der

Bundesregierung zur Kriminalitätsstatistik des Jahres
2006 anschauen. Dort ist sehr akribisch dargestellt, wie
sich die Entwicklung der rechts- und linksmotivierten
Straftaten vollzogen hat. Die Zahl der linksmotivierten
Gewaltdelikte ist immer noch deutlich höher als die der
rechtsmotivierten.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist niemand umgekommen! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Waffen und Morde!)


– Doch, leider Gottes ist das so. Darunter fällt auch all
das, Frau Jelpke, was Sie angesprochen haben.


(Zuruf von der CDU/CSU: RAF!)


Sie haben vorhin in Ihrer Rede auch kurz die soge-
nannten befreiten Zonen angesprochen. Fragen Sie zum
Beispiel einmal beim Polizeipräsidium in München
nach. Dort werden Straßenseiten zum Beispiel von
Migranten für sich reklamiert und als deutschenfreie
Zone bezeichnet.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hat aber ein Niveau! – Sebastian Edathy [SPD]: Herr Kollege, das sind komische Vergleiche! Sehr bedenkliche Vergleiche!)


All das, Frau Jelpke, müssen Sie in Ihre Diskussion ein-
beziehen. Das, was Sie ansprechen, ist auf der rechten
Seite in der Tat gegeben, wird aber auf der linken Seite
von Ihnen verschwiegen. Das ist Ihr Fehler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Auf dem rechten Auge blind! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Peinlich!)


Politisch motivierte Straftaten sind für uns – ob von
rechts oder von links motiviert – in der gleichen Weise
erheblich. Wir können das Auge auf der linken Seite auf
keinen Fall zudrücken.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber auf der rechten! Rechts drücken Sie zu!)


Ich komme auf die Anfrage selber zurück. Sie desav-
ouieren sich selber, weil Sie die historischen Tatsachen
in Ihrer Anfrage verdrehen. Sie führen eine unangemes-
sene Radikalität in Ihrer Sprache. Sie nehmen keine
Rücksicht auf die Opfer und sind teilweise historische
Brandstifter.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Unerhört! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Lieber Freund!)

Die Radikalität Ihrer Sprache und die Verdrehung histo-
rischer Tatsachen kommt zum Beispiel zum Vorschein,
wenn Sie sich in Ihrer Anfrage mit den Heimatvertrie-
benen befassen. Sie nehmen die Unwahrheit bewusst in
Kauf, wenn Sie die Vertriebenen – immerhin sind das
15 Millionen; davon sind 2 Millionen auf der Flucht ge-
storben –


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie können nicht mal zuhören!)


als „sogenannte“ Heimatvertriebene bezeichnen und die
Vertreibung der Deutschen als bloße Umsiedlung aus
Osteuropa bezeichnen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Verharmlosung!)


Diese Sprache, Frau Jelpke, ist verletzend. Das hätte ich
auch Ihnen nicht zugetraut.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sie können auch nicht zitieren!)


Meine Fraktion und die große Mehrheit im Haus wis-
sen um das große Leid der Heimatvertriebenen und um
die 2 Millionen, die auf der Flucht umgekommen sind.
Wir wissen aber auch, dass sie sich in großen Teilen
beim Wideraufbau in Deutschland verdient gemacht ha-
ben.


(Beifall bei CDU/CSU)


Niemand will Unrecht gegen Unrecht aufrechnen. Wir
alle wissen, welch unendliches Leid die Deutschen über
die Welt gebracht haben. Aber es ist nicht korrekt, dass
Sie die Organisationen der Heimatvertriebenen zwischen
dem rechten Rand des demokratischen Meinungs-
spektrums und neonazistischen Personen einordnen. Ge-
nau das machen Sie. Das weisen wir auf das Schärfste
zurück.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Im Gegensatz zu Ihnen wissen wir um die Verdienste der
Heimatvertriebenen in diesem Land.

Auch studentische Verbindungen stellen Sie auf
sehr abstruse Weise dar.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Hierzu sage ich ein offenes Wort: Wer dort aufgenom-
men werden will, Herr Ströbele, der muss die Frage be-
antworten, ob er rechten oder linken Organisationen an-
gehört. Wenn er diese Frage mit Ja beantwortet, wird er
nicht aufgenommen. Wenn er sie falsch beantwortet,
wird er später hinausgeschmissen.

Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. In Ihrer
Großen Anfrage richten Sie Ihren Fokus auch auf die,
wie Sie schreiben, rechtsextremistisch durchsetzten Tra-
ditionsverbände, Reservistenvereinigungen und Kame-
radschaftskreise. Auf diese Frage hat Ihnen die Bundes-
regierung bereits geantwortet. Aber die Antwort genügt
Ihnen nicht. Sie finden es schick, nur die Frage zu stel-
len. Auf die Antwort kommt es Ihnen offensichtlich
nicht an. Ihnen genügt es, einen bestimmten Eindruck zu






(A) (C)



(B)


Alois Karl
suggerieren. Die Bundesregierung hat Ihnen geantwor-
tet, dass keine rechtsextremistisch durchsetzten Tradi-
tionsverbände bekannt seien. Dennoch bin ich mir si-
cher, dass Sie die nächste Gelegenheit nutzen werden,
um diese Frage in gleicher Weise erneut zu stellen.

Ich darf Ihnen sagen, dass ich aus meiner früheren Tä-
tigkeit in der Kommunalpolitik viele dieser Vereine
kenne.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Dass Sie die kennen, glaube ich gerne!)


Sie alle haben eine grundlegende Gemeinsamkeit, liebe
Frau Jelpke: All diejenigen, die den Krieg miterlebt ha-
ben, sagen, nie wieder dürfe es Krieg und nie wieder
eine Zeit des Unrechts und der Intoleranz geben wie sei-
nerzeit. Diese Einstellung verbindet sie. Ich sage Ihnen:
Das sind keine „kalten Krieger“. Im Gegenteil, sie sind
Teil einer Bürgerinitiative für Frieden und Verständi-
gung in unserem Land geworden.

Durch die Antwort der Bundesregierung zieht sich ein
roter Faden:


(Lachen der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


In unserem Lande bewegen wir uns nicht an den rechten
Rand des politischen Spektrums. Es existieren in
Deutschland rechts-, aber auch linksextremistische
Gruppen. Hier stellen sich uns große Aufgaben. Aber im
bloßen Verbot von Parteien sehe ich nicht die Lösung.
Wenn wir die NPD verbieten würden – darauf läuft Ihr
Antrag hinaus, da Sie fordern, die V-Leute in der NPD
abzuschalten –, würden wir uns damit den großen Vorteil
nehmen, über die V-Leute Informationen abschöpfen zu
können, um zu wissen, welche Aktionen und De-
monstrationen rechte Gruppen und die NPD planen. Das
allein ist schon ein Gewinn.

Sie verlangen, die NPD zu verbieten. Das verlangen
allerdings auch die Republikaner. Daran sehen Sie, dass
man sich seine Freunde nicht unbedingt aussuchen kann.


(Widerspruch bei der LINKEN – Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Was Sie da sagen, ist ja eine Zumutung!)


– Auch die Republikaner verlangen das Verbot der NPD.


(Sebastian Edathy [SPD]: Herr Kollege, waren Sie nicht im Parlament, als wir das beschlossen haben vor ein paar Jahren?)


Ich meine, dass es unter sicherheitspolitischen Gesichts-
punkten richtig wäre, die NPD weiterhin durch V-Leute
verfolgen und beobachten zu lassen.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609807800

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und zwar ganz schnell!)


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1609807900

Ich komme zum Schluss. – Dadurch gewinnen wir

mehr, als wenn wir in einem unsicheren Verfahren erneut
die Forderung nach einem Verbot der NPD aufgreifen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Deswegen haben Sie so oft keine Erkenntnisse!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609808000

Herr Kollege, Sie haben Ihre Redezeit überzogen, und

Sie haben gerade einen guten Schlusssatz gesagt.


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1609808100

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün-

sche Ihnen ein schönes Wochenende, Frau Präsidentin.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609808200

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem

Kollegen Spieth.


Frank Spieth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609808300

Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Karl, nach

meiner Auffassung haben Ihre Ausführungen vor Un-
kenntnis gestrotzt. In Ihrer Darstellung haben Sie eine
ungeheure Schlichtheit und Verharmlosung herüberge-
bracht, die so selbstredend ist, dass man dazu eigentlich
nichts mehr sagen müsste. Aber dennoch muss man,
glaube ich, auch der Öffentlichkeit sagen, dass das, was
Sie hier äußern, im krassen Widerspruch steht zu dem,
was Ihr eigenes Jugendministerium, das wohl CDU-ge-
führt ist, zu diesem Thema sagt. Ich darf, Frau Präsiden-
tin, aus dem Bundesprogramm zitieren: Die Verfestigung
rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher und antisemi-
tischer Strukturen im Gemeinwesen und deren gezielte
Einflussnahme auf die Einstellung der Bürgerinnen und
Bürger bedrohen die demokratische Grundordnung unse-
rer Gesellschaft. – Das heißt: Im Bundesjugend- und -fa-
milienministerium wird sehr wohl begriffen, dass wir
hier eine massive Bedrohungssituation in den Kommu-
nen, bei den Menschen in allen Regionen Deutschlands
haben.

Wir haben verschiedenste Untersuchungen. Ich will
hier nur den von der Thüringer Landesregierung – CDU-
geführt – vorgelegten „Thüringen-Monitor“ nennen.
Dort wird seit Jahren auf das besondere Problem rechts-
extremistischer Einstellungen, fremdenfeindlicher Ein-
stellungen, antisemitischer Einstellungen hingewiesen.
Es wird aufgezeigt, dass über 20 Prozent der Thüringe-
rinnen und Thüringer – das wird durch andere Studien
für andere Regionen in Ost und West genauso belegt –
demokratiefeindliche, rechtsextreme Einstellungen ha-
ben. Wenn man dann sagt: „Wir können vor dem Hinter-
grund dieser Debatte links und rechts gleichstellen“,
dann halte ich das für unverantwortlich und meine, das
wird der historischen Herausforderung in keiner Weise
mehr gerecht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(D)







(A) (C)



(B) (D)


Frank Spieth
Ich will Ihnen klar sagen: Wir werden genauso wie
Sie jede Gewalt ablehnen, und zwar egal, ob sie von
rechts oder von links kommt. Aber derart – auch histo-
risch – verharmlosend rechts und links gleichzustellen,
das ist nach meiner Auffassung in der Tat so etwas wie
– Sie haben es vorhin gesagt – Brandstiftung.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609808400

Herr Kollege Karl, Sie haben das Wort.


Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1609808500

Ich darf darauf mit wenigen Sätzen antworten. – Wis-

sen Sie, ich habe in meiner Rede nicht bestritten, dass in
der rechten Szene Gefahren bestehen. Das wird auch in
allen Dokumentationen, in allen Statistiken aufgelistet;
das ist gar keine Frage. Wogegen ich mich gewandt
habe, ist die Unehrlichkeit und auch die Unkorrektheit in
Ihren Anträgen und in Ihren Anfragen, die in eklatanter
Weise mindestens 50 Prozent des anderen Spektrums
ausblenden und so tun, als wäre hier eine Bedrohung von
rechts gegeben, eine Bedrohung auf der linken Seite aber
in gar keiner Weise vorhanden. Darin besteht die Unehr-
lichkeit und damit auch die Unkorrektheit Ihrer Anträge.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir reden über Rechtsextremismus!)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609808600

Ich gebe der Kollegin Petra Pau, Fraktion Die Linke,

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609808700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Karl, eine Zahl vorweg: Im statistischen Schnitt
werden bundesweit nicht durch die Linke, sondern durch
die Bundesregierung Tag für Tag drei Gewalttaten regis-
triert, die rechtsextremistisch, rassistisch oder antisemi-
tisch motiviert sind. Das sind die offiziellen Zahlen – die
tatsächlichen liegen weit höher und damit auch die Zahl
der Opfer.

Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus
sind also längst wieder eine Gefahr für Leib und
Leben. Wenn jemand brandstiftet, dann sind das diese
Menschenfeinde, die auf andere Menschen, weil sie an-
ders aussehen, anders leben oder anders lieben, Über-
griffe vollziehen. Von den Toten hat meine Kollegin
Jelpke schon gesprochen.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine zweite Zahl dazu: Allein von 2004 bis 2006, also
binnen zwei Jahren, hat die Zahl der registrierten Straf-
und Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund
um 50 Prozent zugenommen. Diese Entwicklung ist
alarmierend. Deshalb müssen auch wir, der Bundestag
und alle Fraktionen, uns fragen, ob wir bislang adäquat
auf diese Entwicklung reagiert haben. Ich finde: Nein.
Wir sollten es aber endlich tun, und zwar parteiübergrei-
fend.

Aber nicht nur die Zahlen sprechen eine klare Spra-
che. Wir haben es auch mit einer neuen Qualität von
Rechtsextremismus zu tun. Rechtsextremismus ist
heute längst nicht mehr auf schlagende Stiefelknechte zu
reduzieren wie vielleicht noch vor zehn Jahren. Von der
Strategie über die Programmatik bis hin zum Personal
suchen Rechtsextremisten Widerhall in der Gesellschaft,
und das mit Erfolg. Auch hiermit haben wir uns gemein-
sam im Bundestag bisher nicht adäquat beschäftigt.

Meine erste These: Nur wenn die Analyse stimmt,
gibt es auch Aussicht auf Erfolg. Stimmen unsere Analy-
sen? Ich sage: Nein. Das beginnt schon bei den Zahlen
und Fakten. Deshalb sage ich erneut für die Fraktion Die
Linke: Wir brauchen endlich eine unabhängige Be-
obachtungsstelle für Rechtsextremismus, Rassismus
und Antisemitismus.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihre Einrichtung war eigentlich in diesem Hause schon
einmal beschlossen, aber es gibt sie noch immer nicht.

Meine zweite These: Solange Rechtsextremismus
vorwiegend als Rand-, Jugend- oder Ostphänomen be-
handelt wird, werden wir ihn nicht zurückdrängen kön-
nen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dasselbe gilt übrigens, solange der Rechtsextremismus
vorwiegend als innen- oder rechtspolitisches Problem
bearbeitet wird. Die Besetzung der Regierungsbank bei
dieser Debatte spricht Bände.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Deshalb brauchen wir endlich eine ressortübergrei-
fende Strategie, die sich auf Kompetenz stützt und die
Zivilgesellschaft stärkt.

Aber genau da haben wir das nächste Problem. Wir
erleben gerade – das spielte hier schon eine Rolle – eine
Umstrukturierung der Initiativen, die sich für Demokra-
tie und Toleranz engagieren. Die Gefahr ist eben immer
noch nicht gebannt, dass dabei Bewährtes gegen Ver-
fehltes ausgetauscht wird. Zu dem sächsischen Beispiel
wurde hier schon gesprochen. Das wäre natürlich ein
Ding aus dem Tollhaus, wenn sich Rechte hier Mittel er-
schleichen könnten.

Meine dritte These: Wer die NPD verbieten will, der
ist zum Erfolg verpflichtet. Deshalb halte ich es aus-
nahmsweise einmal mit meinem Kollegen Bosbach aus
der CDU. Er hatte an die Adresse der SPD gemeint: Ei-
nes gehe überhaupt nicht, nämlich monatelang öffentlich
über ein NPD-Verbot zu reden, aber nichts dafür zu tun;


(Beifall bei der LINKEN)


denn das werte die NPD nur zusätzlich auf. Ich füge
hinzu: Das sollten wir tunlichst alle gemeinsam unterlas-
sen.






(A) (C)



(B) (D)


Petra Pau
Bezüglich der Frage, ob ein NPD-Verbot sinnvoll ist
oder nicht, gibt es übrigens auch in der Linken unter-
schiedliche Auffassungen. Aber in einem sind wir uns
einig: Wer die verfassungsfeindliche NPD ernsthaft und
rechtsstaatlich verbieten will, muss zuerst das Verbots-
hindernis beseitigen, das heißt, die V-Leute abschalten.
Sie nützen nichts, sie schaden aber sehr viel.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609808800

Das Wort hat der Kollege Martin Gerster, SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1609808900

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Die Bundesregierung und diese Große
Koalition bekämpfen jeglichen politischen Extremismus
entschlossen und nachhaltig. Deswegen diskutieren wir
fast in jeder Sitzung des Innenausschusses darüber. Ich
sage dazu: Das ist gut so.

Ich verwehre mich aber an dieser Stelle für mich und
die SPD-Fraktion ganz klar gegen den permanenten Ver-
such, Rechts- und Linksextremismus gleichzustellen und
gegenseitig aufzurechnen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, aus historischer Verantwortung heraus
sind wir verpflichtet, Rechtsextremismus von Grund auf
als zentrale Herausforderung für unsere freiheitliche De-
mokratie, für unsere Bundesrepublik Deutschland, für
unser friedliches Zusammenleben zu sehen. Deswegen
glaube ich, dass wir uns klarmachen müssen, dass im
Rechtsextremismus ein Bedrohungspotenzial liegt, das
niemals relativiert werden darf.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Miriam Gruß [FDP]: Links doch genauso! – Zuruf von der CDU/CSU: Links doch auch!)


Wir dürfen uns an dieser Stelle nichts vormachen. In
betroffenen Gebieten, Städten und Gemeinden, aber
auch in Schulen und Vereinen ist oft die Angst da,
Rechtsextremismus zu thematisieren: die Angst vor Stig-
matisierung, die Angst vor Nachteilen. Deswegen wird
das Thema leider viel zu oft totgeschwiegen. Wir haben
es im Rahmen eines Ausflugs mit dem Kollegen Klaus
Uwe Benneter vor einem halben Jahr bei einem Vor-Ort-
Besuch in Brandenburg erlebt. Da haben uns Bürger-
meister und Schulleiter berichtet, dass man sich in der
Schule weigert, zu thematisieren, dass Rechtsextremis-
mus in den Klassen ein Thema ist, weil man Angst um
das gute Image der Schule hat. Deshalb ist es wichtig,
dass wir an dieser Stelle etwas tun.


(Beifall bei der SPD)

Rechtsextremismus ist ein Thema, das wir nicht so
wie viele Medien behandeln sollten, nämlich dass wir es
erst dann auf die Tagesordnung hier im Bundestag set-
zen, wenn etwas passiert ist und es Schlagzeilen gibt. Es
ist ein Thema, das keine Konjunktur duldet. Im Gegen-
teil: Dauerhaftes Engagement ist hier gefragt. Genau das
machen die Bundesregierung und die Große Koalition,
indem die wichtigen Programme fortgeschrieben wer-
den.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In der Tat ist eine schlimme Entwicklung bei den Ge-
walt- und Straftaten zu verzeichnen. Kollegin Gabi
Fograscher hat es erwähnt, und es ist auch in den ent-
sprechenden Berichten nachzulesen. Im Bund waren es
15 914 Straftaten im vorletzten Jahr und über 18 000 im
letzten Jahr. Auch in Baden-Württemberg gibt es eine
immense Steigerung von 1 166 auf 1 351 Fälle. Das ist
also nicht nur in den neuen Bundesländern ein Thema.
Dort tritt es sicher verstärkt auf, aber es ist ein gesamt-
deutsches Problem.

Als Abgeordneter aus Baden-Württemberg möchte
ich einmal darauf hinweisen, was wir dort erleben. Da ist
ein Wanderzirkus unterwegs; es gibt Kundgebungen,
Aufmärsche, Einschüchterungen, in Friedrichshafen, in
Laupheim, in Aulendorf. Es erschüttert einen, was dort
stattfindet. Man kann sich nur wundern, wenn oft so ge-
tan wird, als ob dies nur in Sachsen oder Mecklenburg-
Vorpommern ein Thema wäre.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der LINKEN)


Die Zahlen zum rechtsextremistischen Personen-
potenzial sind deutlich: Über 38 000 Personen werden
diesen Kreisen zugerechnet, von denen 10 400 dazu
noch als sehr gewaltbereit eingestuft werden. Das ist
schlimm und besorgniserregend. Es ist sehr wichtig, dass
wir entschieden und nachhaltig dagegen vorgehen.

Rechtsextremismus ist aus meiner Sicht aber nicht
nur an Wahlerfolgen beispielsweise der NPD in zwei
Landtagen oder an Kundgebungen und Aufmärschen
festzumachen, sondern ist auch in sehr vielen gesell-
schaftlichen Bereichen vorhanden. Auch darauf sollten
wir bei einer solchen Debatte unser Augenmerk richten.

Die Strategie beruht ja vielfach auf vier Säulen:
Kampf um die Straße – Kundgebungen, Aufmärsche; ich
habe es erwähnt –, Einschüchterungen, Kampf um den
Einzug in die Parlamente, leider die beiden Erfolge der
NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Mecklen-
burg-Vorpommern. Aber auch der Kampf um die Köpfe
und letztendlich eine organisierte Willensbildung sind
an dieser Stelle von Bedeutung. Leider sehen sehr viele
in der sogenannten neuen Rechten eine Scharnierfunk-
tion zwischen rechtskonservativem Denken und rechts-
extremistischem Handeln. Ich glaube, das ist eine sehr
gefährliche Grauzone, die sich leider sehr stark ent-
wickelt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Martin Gerster
Ich will hier nur ein Beispiel anführen. „Gesellschaft
für freie Publizistik“ zum Beispiel hört sich wunderbar
an; mit 500 Mitgliedern ist diese aber inzwischen die
größte rechtsextremistische „Kulturvereinigung“. Hier
sind Referenten wie David Irving, der Holocaustleugner,
oder auch Albrecht Jebens, früher im Weikersheimer
Studienzentrum, jetzt bei der Hans-Filbinger-Stiftung tä-
tig, zu finden. Ich bin heilfroh, dass die Bundeskanzlerin
in der Woche nach Ostern den Ministerpräsidenten auf
Abwegen ganz klar gestoppt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bezüglich der Zwischenfrage von Frau Lötzsch vor-
hin, in der sie auf Bundesmittel für das Studienzentrum
Weikersheim hingewiesen hat, will ich ganz klar sagen,
dass es offenbar so ist, dass über die Bundeszentrale für
politische Bildung geringe Mittel für einzelne Veranstal-
tungen zur Verfügung gestellt worden sind. Heute Mor-
gen hatten wir eine Kuratoriumssitzung, wo insbeson-
dere über diese Themen gesprochen worden ist. Schade,
dass von Ihrer Fraktion niemand da war; dort wäre diese
Nachfrage eigentlich gut platziert gewesen. Aber ich
versichere Ihnen, dass wir als Kuratoriumsmitglieder bei
der nächsten Sitzung darüber reden werden, wer von die-
sen Mitteln profitiert.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist doch gut!)


Ich denke, das gehört dort auf die Tagesordnung.


(Beifall bei der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Dann tun Sie das!)


Ich weise an dieser Stelle aber auch darauf hin, dass
sich in der Grauzone zwischen rechtskonservativem
Denken und rechtsextremistischem Handeln im Bereich
der Publizistik einige Zeitschriftenverlage und Magazine
bewegen, bei denen wir sehr genau hinschauen sollten.

Wir haben erlebt, wie leider auch die stellvertretende
Fraktionsvorsitzende der FDP – das soll jetzt kein Vor-
wurf von mir sein – hereingefallen ist und der „Deut-
schen Militärzeitschrift“ ein Interview gegeben hat.
Kurz darauf hat sie sich dafür entschuldigt. Das ist in
Ordnung. Ich appelliere an uns alle, zukünftig darauf zu
achten, wer nach einem Interview fragt.


(Zuruf des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP])


– Herr Kollege, das war von mir nicht böse gemeint; ich
wollte nur einmal dieses Beispiel anführen. Wir haben
auch in unseren eigenen Reihen Kollegen, die in eine
Falle tappen könnten. Wir sollten also alle sehr vorsich-
tig sein, damit wir als Abgeordnete diesen Leuten nicht
auf den Leim gehen.


(Miriam Gruß [FDP]: Aber es waren nicht nur welche von der FDP!)


– Ich habe deutlich darauf hingewiesen, dass es nicht nur
Kollegen von der FDP waren.

Die Frage ist, was wir tun können. Ich will an dieser
Stelle betonen, dass wir die Initiativen vor Ort stärken
müssen. Wir müssen diese Leute ermutigen, im Kampf
gegen rechts weiterzumachen. Es ist vielfach nicht ein-
fach, unsere Werte zu verteidigen; denn man gerät unter
Druck und wird eingeschüchtert. Deswegen glaube ich,
dass die Fortschreibung der entsprechenden Programme
an dieser Stelle ein ganz wichtiges Instrument ist.


(Beifall der Abg. Miriam Gruß [FDP])


Das Bundesprogramm wird mit 19 Millionen Euro
fortgeschrieben. Außerdem werden 5 Millionen Euro
draufgesattelt. Ich sage herzlichen Dank an alle Kolle-
gen, die an dieser Stelle mitgewirkt haben. Ich bedanke
mich auch bei den betreffenden Ministerien, dass sie
schnell bereit waren, hier mitzuarbeiten. Ich glaube, das
ist ein wichtiges Signal.

Ich will mit dem Hinweis schließen: Geld ist nicht al-
les. Aber ohne Geld ist auch beim Kampf gegen den
Rechtsextremismus leider kaum Land zu gewinnen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609809000

Nächster Redner ist der Kollege Christian Ahrendt,

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1609809100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich glaube, wir können hier übereinstimmend
feststellen, dass der Rechtsextremismus in Deutschland
zugenommen hat. Wir können auch feststellen, dass sich
die rechtsextremistischen Parteien organisieren. DVU
und NPD sprechen sich bei Landtagswahlen ab. Wir ha-
ben im letzten Jahr erlebt, dass aufgrund dieser Abspra-
che die NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpom-
mern eingezogen ist. 2004 konnte die DVU wieder in
den Landtag Brandenburg einziehen. Ebenfalls 2004 ist
die NPD in den Sächsischen Landtag eingezogen.

Auch die rechtsextremistische Gewalt nimmt zu. Die
Frage, die daraus resultiert, lautet, wie die Zivilgesell-
schaft und die Parteien dieser Herausforderung begegnen
sollen. Man kann nun den Antrag stellen, die V-Männer
in der NPD sozusagen abzuschalten, um so ein neues
Verbotsverfahren gegen die NPD vorzubereiten. Das
halte ich aber für falsch. Ich bin nämlich der festen
Überzeugung, dass es richtig ist, Aufklärung in der
rechtsextremistischen Szene zu betreiben und Erkennt-
nisse über das Gefährdungspotenzial in der rechten
Szene zu gewinnen. Daher halte ich es, wie gesagt, für
falsch, die V-Männer abzuschalten.


(Beifall bei der FDP)


Man muss ferner sagen, dass die Erfolgsaussichten ei-
nes NPD-Verbotsverfahrens nicht unbedingt als positiv
einzuschätzen sind. Aus einem Verbotsverfahren würden
sich in jedem Fall folgende Konsequenzen ergeben:

Erstens. Die NPD dürfte sich während des gesamten
Verfahrens einer nicht unerheblichen medialen Auf-
merksamkeit sicher sein.






(A) (C)



(B) (D)


Christian Ahrendt
Zweitens. Wenn das Verfahren vor dem Bundesver-
fassungsgericht verloren geht, dann erhält die NPD das
Gütesiegel „nicht verfassungswidrig“, was sie sich dann
auf die Fahne schreiben könnte.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Auch vor diesem Hintergrund muss man sich sehr wohl
überlegen, ob man ein solches Verfahren tatsächlich an-
strengen möchte.

Drittens. Ein solches Verfahren löst tatsächlich nicht
die Probleme. Wir haben in der Bundesrepublik durch-
aus Erfahrungen mit Parteiverboten. Bisher haben wir
feststellen müssen, dass man zwar die Partei verbieten
kann, aber nicht die Überzeugung. Die Überzeugung be-
steht weiter.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen kommt es darauf an – das hat mein Vorredner
richtig gesagt –, dass wir die Kräfte in der Zivilgesell-
schaft unterstützen.

Die NPD setzt im ländlichen Raum und in den
Kleinstädten an. Dort bereitet sie zurzeit große Schwie-
rigkeiten. Während des Landtagswahlkampfs in Meck-
lenburg-Vorpommern und der Kommunalwahl in Sach-
sen-Anhalt konnten wir der Presseberichterstattung
entnehmen, dass dort ganz gezielt Politiker anderer Par-
teien in martialischer Weise in ihrer Meinungsäußerung
eingeschüchtert wurden. Auf der anderen Seite versteckt
sich die NPD hinter einer Fassade bürgerlicher Freund-
lichkeit, indem sie Kinderfeste veranstaltet, Bürgerinitia-
tiven gründet und in Elternversammlungen vertreten ist.

Die Auseinandersetzung der Menschen vor Ort – ge-
rade derjenigen in einem Ehrenamt – mit diesem Pro-
blem über eine lange Zeit verlangt viel Kraft. Dazu muss
aus diesem Hohen Hause wesentlich mehr Unterstützung
geleistet werden, als nur – das sage ich an dieser Stelle
ganz deutlich – Programme aufzulegen und dann zur Ta-
gesordnung zurückzukehren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will das Stichwort Brandstiftung, das ein Kollege
in dieser Debatte genannt hat, aufgreifen. Es ist viel ge-
klagt worden, wer wann welcher Zeitung – möglicher-
weise auch aus dem rechten Bereich – welches Interview
gegeben hat. Ich habe mir ein Plakat herausgesucht, das
mich persönlich, weil ich aus Mecklenburg-Vorpom-
mern komme, immer sehr geärgert hat. Ich glaube, es ge-
hört zur politischen Kultur, dass man sich auch einmal
überlegt, wie man im politischen Wettbewerb wirbt.
Dies ist ein Plakat von Ihnen von der Linken mit dem Ti-
tel „Es reicht“.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609809200

Herr Kollege, Plakate lässt nur die Präsidentin zu.


Christian Ahrendt (FDP):
Rede ID: ID1609809300

Ich zeige es nur kurz und packe es jetzt wieder ein.
Wer solche Plakate aufhängt und sich parallel dazu
die Plakate der NPD anschaut, wird feststellen: Es sind
die gleichen Plakate; es ist die gleiche Sprache. Man
muss sich, da nach unserer Verfassung Extremismus
nicht teilbar ist, sehr wohl überlegen, wie man im politi-
schen Wettbewerb agiert und ob man sich dieser Metho-
den bedienen will.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609809400

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Bareiß,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1609809500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführun-
gen betonen, dass die CDU/CSU-Fraktion jegliche Form
von Extremismus ablehnt, insbesondere den politischen
Extremismus, egal ob von rechts oder links motiviert.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich teile die Auffassung meiner Vorredner und warne da-
vor, Extremismus zu kategorisieren, wie es oftmals vom
Antragsteller getan wird.

Wir alle haben vorgestern die gewalttätigen Aus-
schreitungen der linken Szene in Hamburg verfolgt.
Nach eigenen Aussagen wollten die linksextremen Ran-
dalierer mit Brandanschlägen und anderen Aktionen den
Weltwirtschaftsgipfel verhindern.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Es ist doch totaler Quatsch, was Sie da erzählen!)


Polizisten wurden mit Flaschen, Brandsätzen und Stei-
nen beworfen. Heute schreibt der „Tagesspiegel“, dass
die Gefahr von links wachse. Das ist die Realität, und
darauf müssen wir Antworten finden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man Ihre Anträge zum Thema Rechtsextremis-
mus liest und die jüngsten Äußerungen zu den Krawal-
len hört, dann muss man auf der einen Seite den Ein-
druck gewinnen, dass Sie zwischen tolerierbarem und
nicht tolerierbarem Extremismus unterscheiden.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Das lehnen wir von vornherein ab. Ich sage für die CDU/
CSU-Fraktion: Wir sind weder auf dem linken noch auf
dem rechten Auge blind. Das sollte auch bei anderen
Fraktionen in diesem Hause so sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auf der anderen Seite warne ich davor, Extremismus zu
verharmlosen, wie es einige immer wieder tun.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Da fassen Sie sich mal an Ihre Nase!)







(A) (C)



(B) (D)


Thomas Bareiß
Jede Form von Extremismus muss entschieden bekämpft
werden.

Es ist besorgniserregend, dass die rechtsextremisti-
sche Ideologie gerade bei jungen Menschen ankommt.
Im Verfassungsschutzbericht wird festgestellt: Die Zahl
sowohl der rechts- als auch der linksmotivierten Strafta-
ten hat zugenommen; dies haben wir schon von ver-
schiedensten Seiten gehört. Wir nehmen die Aussagen
des Verfassungsschutzberichts sehr ernst. Ich sage aber
in aller Deutlichkeit, dass ich eine künstlich hochgezo-
gene Debatte für genauso falsch halte;


(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Eine künstlich hochgezogene Debatte? Wovon reden wir eigentlich hier? Setzen Sie sich mal mit dem Thema auseinander!)


denn das zeigt ein falsches Bild von Deutschland in der
Welt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Extremismus verfolgt immer die gleichen Ziele: Intole-
ranz und Ignoranz. Das sind Eigenschaften, die wir in
Deutschland nicht haben wollen.

Ich möchte auf die vorliegenden Anträge und die
Maßnahmen, die die Bundesregierung ganz konkret zum
Thema Rechtsextremismus ergreift, eingehen. Wir be-
grüßen es, dass sich die Bundesregierung des Themas
Extremismus annimmt. Allein für die Bekämpfung der
extremen Rechten gibt sie 24 Millionen Euro im Jahr
aus. Ich halte das Programm der Bundesregierung
„Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobile Inter-
vention gegen Rechtsextremismus“ für richtig; denn die-
ses Programm setzt im Gegensatz zu bisherigen Pro-
grammen dort an, wo es gebraucht wird, nämlich vor
Ort, in den Kommunen, in den Gemeinden und in den
Ländern.


(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das war vorher auch so!)


Ich halte es auch für richtig, dass die Länder und
Kommunen mit ins Boot genommen werden; denn nur in
enger Kooperation mit den Ländern können in allen
Bundesländern nachhaltige Strukturen für eine präven-
tive und engagierte Arbeit gegen Rechtsextremismus,
Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit aufgebaut
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609809600

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Lazar?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1609809700

Gerne.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609809800

Herr Kollege, ich habe gerade gelesen, dass Sie aus

dem Wahlkreis Zollernalb kommen. Ich war vor einigen
Wochen in dieser Region und habe an einer Veranstal-
tung in Burladingen teilgenommen. Auch Sie haben
wahrscheinlich mitbekommen, dass in Burladingen das
Problem besteht, dass rechtsextreme Jugendliche für Un-
sicherheit im Ort, zum Beispiel auf dem Weihnachts-
markt, sorgen. Die Initiativen dort haben mir ganz ein-
deutig gesagt, dass ihnen die politische Unterstützung,
angefangen beim Bürgermeister, fehlt. Ich würde gern
von Ihnen wissen, ob Sie sich vor Ort dafür einsetzen,
dass das Problem von den Politikern auf kommunaler
Ebene erkannt wird. Sie haben ja gerade das Bundespro-
gramm befürwortet. Ich würde mich sehr freuen, wenn
Sie den Bürgermeister darauf ansprechen würden.


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1609809900

Ich bin für diesen Einwurf dankbar. Ich kenne die Re-

gion sehr gut. Ich bin dort auch Kreisrat. Aus diesem
Grund setze ich mich dafür ein, dass die kommunalen
Kräfte verstärkt werden und im Kampf gegen Rechtsex-
tremismus Unterstützung vom Land und vom Bund be-
kommen.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie auch machen!)


Ich werde mich nicht nur als Bundestagsabgeordneter,
sondern auch als Kreisrat vor Ort dafür einsetzen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würde mich freuen!)


Für das neue Programm sind im Haushalt des Bun-
desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend 5 Millionen Euro vorgesehen. Oftmals wird ver-
kannt, dass sich die Länder darüber hinaus mit eigenen
Mitteln – Minimum 20 Prozent – an der Finanzierung
des Programms beteiligen müssen. Damit wird die Ei-
genverantwortung gestärkt, und die Mittel werden er-
höht. Dadurch wird die Kraft vor Ort verstärkt.

Ich glaube, mit dem Programm zeigt die Bundesregie-
rung eines: ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den
Rechtsextremismus zielorientierter als bisher anzuge-
hen. Umso erstaunlicher finde ich es, dass die Kollegen
von der Linkspartei das Konzept in ihrem Antrag als
„ungeeignet“ ablehnen. Stattdessen fordern sie ein neues
Konzept, ohne sich mit dem auseinanderzusetzen, was
bereits umfassend geschieht und was die Bundesregie-
rung weiterentwickelt und verbessert hat.

Ich möchte hier ganz offen sagen, dass es in der Ver-
gangenheit Kritik an laufenden Projekten gegeben hat.
Bei näherer Betrachtung muss man feststellen, dass viele
Finanzmittel leider nicht am richtigen Ort angekommen
sind. Gerade deshalb bin ich – das habe ich vorhin schon
erwähnt – für eine kommunale Trägerschaft und nicht
für eine Projektträgerschaft. Das haben wir jetzt festge-
schrieben.

Mein Kollege von der SPD hat es vorhin gesagt – si-
cherlich sind wir uns darin einig –: Geld ist nicht alles.
Wir brauchen auch anderes, um Extremismus zu be-
kämpfen. Wir müssen die Frage stellen, warum gerade
junge Menschen dem Extremismus oftmals verfallen.
Ein Grund ist sicherlich, dass vielen eine individuelle
Perspektive und Zukunftszuversicht fehlen. Gerade im






(A) (C)



(B) (D)


Thomas Bareiß
Osten führt dies meines Erachtens immer wieder zu Pro-
blemen. Deshalb finde ich es unglaublich ermutigend,
dass der Arbeitsmarkt eine hervorragende Entwicklung
vorweist. Bundesweit sind im April 2007 130 000 Ju-
gendliche weniger arbeitslos gemeldet gewesen als im
Vorjahresmonat. Das ist eine erfolgreiche Bilanz, die die
Bundesregierung zu Recht immer wieder stolz in den
Mittelpunkt stellt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein weiterer Lichtblick ist der Ausbildungspakt, der
kürzlich um drei Jahre verlängert worden ist. Circa
25 000 Verträge – das sind 13 Prozent mehr als im ver-
gangenen Jahr – wurden abgeschlossen. Das „Ausbil-
dungsprogramm Ost“ mit 13 000 Plätzen in 2006 zeigt,
dass jedem Einzelnen eine Perspektive geschaffen wird.
Jeder Ausbildungsplatz oder Arbeitsplatz mehr entzieht
dem Extremismus Nährboden und trägt dazu bei, jungen
Menschen eine Zukunft zu geben. Wer eine Zukunft hat,
wird sicherlich keine fremdenfeindlichen oder andere
Parolen von sich geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein weiterer Schlüsselfaktor ist die Bildung. Ich bin
fest davon überzeugt, dass Bildung das beste Mittel ge-
gen Intoleranz ist. Außerdem bietet Bildung die Chance,
die unterschiedlichen Lebensformen als Bereicherung
und nicht als Bedrohung zu erfahren. Das fördert Tole-
ranz und verhindert Fremdenfeindlichkeit.

Gerade in der Familie werden Werte und vor allen
Dingen Respekt und Toleranz anderen gegenüber gelehrt
und vermittelt. Deshalb ist jeder Euro, der in die Familie
investiert wird, auch ein Mittel gegen Rechtesextremis-
mus. Die Familie bildet deshalb den Kern unserer Ge-
sellschaft.

Daneben bilden – das wurde bereits angesprochen –
Vereine eine ganz wichtige Basis; das sage ich, weil ich
aus Baden-Württemberg komme. Jeder, der in einem
Verein, zum Beispiel einem Sportverein oder Musikver-
ein, vor Ort engagiert ist, wird nicht zu einer rechtsextre-
men Vereinigung gehen, sondern einen wichtigen und
engagierten Beitrag in der Gesellschaft leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Weil wir die Ratspräsidentschaft innehaben, möchte
ich noch eines sagen: Ich glaube, Europa ist ein ganz
wichtiger Schlüssel. Viele Menschen haben heutzutage
die Möglichkeit, Europa und die Welt – andere Men-
schen, andere Kulturen und andere Religionen – per
Jugendaustausch kennenzulernen. Das ist ein ganz
wichtiges Mittel, um Fremdenfeindlichkeit vorzubeu-
gen. Die Bundesregierung hat gemeinsam mit der Euro-
päischen Union über 7 Milliarden Euro für Jugendaus-
tauschprogramme innerhalb der nächsten fünf Jahre zur
Verfügung gestellt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, um
Extremismus zu bekämpfen.

Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen: Die
Bundesregierung misst der Auseinandersetzung mit dem
Extremismus und seiner Bekämpfung einen sehr hohen
Stellenwert bei. Die CDU/CSU-Fraktion wird die Bun-
desregierung bei diesem Vorhaben weiterhin mit voller
Kraft unterstützen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609810000

Bevor ich dem Kollegen Nitzsche das Wort gebe, gra-

tuliere ich dem Kollegen Michael Hartmann sehr herz-
lich zu seinem heutigen Geburtstag.


(Beifall)


Das Wort hat der Kollege Henry Nitzsche.


Henry Nitzsche (Plos):
Rede ID: ID1609810100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Auseinandersetzung mit Kräften, die unseren Rechts-
staat bedrohen, ist richtig und wichtig.

Bei diesem sensiblen Thema muss aber die Frage ge-
stellt werden, ob die Große Anfrage, die Anträge und die
gesamte parlamentarische Arbeit der Linken wirklich ge-
eignet sind, unseren Rechtsstaat zu schützen. Nach dem
Lesen der Großen Anfrage bezweifele ich mittlerweile
grundsätzlich, dass sie überhaupt darauf abzielt, Gefah-
ren vom Rechtsstaat, somit von der Meinungsfreiheit ab-
zuwenden; denn in der Großen Anfrage werden – der
Kollege Karl hat es schon erwähnt – Heimatvertriebe-
nenverbände, Trachtenverbände, Burschenschaften und
sogar Teile der Bundeswehr pauschal unter Generalver-
dacht gestellt. Selbst die Union sitzt nach Darstellung der
Linken irgendwo da drin. Ich wundere mich, dass Sie den
ADAC nicht bemühen; denn schließlich setzt er sich für
das Rechtsfahrgebot in Deutschland ein.


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Was wir hier bekommen, ist die Verzerrung der politi-
schen Zustände. Das erinnert mich – einige aus den Rei-
hen der Linken kennen das noch – an die DDR. Das Ver-
ständnis von Freiheit und Demokratie wird in eine
ausschließlich linke Meinungsführerschaft umgedeu-
tet. Der Fokus wird umgeschwenkt, sodass die Mitte zwi-
schen SPD und PDS angekommen zu sein scheint. Ich er-
innere mich dabei an die Parole von Walter Ulbricht aus
DDR-Zeiten: „Jeder Mann an jedem Ort – mehrmals in
der Woche Sport“ – angesichts der letzten Beschlüsse der
Koalition geradezu Labsal.

Wenn man allerdings die historische Mission der Ar-
beiterklasse und ihrer leninistischen Arbeiterpartei mit
Führungsanspruch anführt, um die entwickelte sozialisti-
sche Gesellschaft mit dem linken Meinungsführeran-
spruch zu zementieren, wird mir Angst. Ich frage mich:
Sind wir trotz Wendezeit, trotz Montagsdemonstrationen
wieder da angekommen, wo die Freiheit des Wortes mit
Füßen getreten wird? Findet sich das bürgerliche Lager
wie einst die Blockparteien mit der Meinungsführer-
schaft der politischen Linken ab? Wenn ja, macht sie
sich auch Schuld an der Pervertierung der Meinungsfrei-
heit.


(Lachen bei der LINKEN – Michael Leutert [DIE LINKE]: Und du bist tolerant, ja?)







(A) (C)



(B) (D)


Henry Nitzsche
Zu den Zahlen: Von 2001 bis 2006 wurden für etwa
4 500 Projekte circa 192 Millionen Euro ausgegeben.
Gleichzeitig stieg aber die Zahl rechtsextremer Strafta-
ten und rechtsextremer Wahlerfolge. Und was will Ge-
nossin Jelpke jetzt? Mehr Geld. Und was passiert dann?
Arbeitsbeschäftigung für Politologen und Soziologen.
Frau Jelpke, ich habe gelesen, dass Sie Soziologin sind.
Das ist ja die Kaste von Menschen, die für eine gute Lö-
sung das passende Problem sucht.


(Lachen bei der LINKEN)


Das Problem DDR haben wir damals abgewickelt. Ich
bin 1989 auf die Straße gegangen,


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur Sie!)


da haben Sie sich noch bei den Grünen in Hamburg den
Hintern gewärmt, für gutes Westgeld. Sie hätten die
DDR erleben können.

Für mich ist Demokratie Wettbewerb, Parteienwettbe-
werb um die besten politischen Konzepte.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Leute, die wie Sie denken, treten in die NPD ein!)


Wenn Sie jetzt die NPD verbieten wollen, müssen Sie
zur Kenntnis nehmen – –


(Zurufe von der LINKEN)


– Frau Präsidentin, kann man einmal um Ruhe bitten?

2004 haben in Sachsen 190 909 Menschen die NPD
gewählt. Bei der letzten Bundestagswahl waren es
748 568. Wollen Sie sagen, das sind alles Rechtsextre-
misten? Wollen Sie das behaupten? Gehen Sie doch ein-
mal auf die Sorgen und Nöte dieser Menschen ein! Fra-
gen Sie sie, warum sie NPD gewählt haben: aus Frust,
aus Protest, als Denkzettel.


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und aus Überzeugung!)


Sind das etwa die Wechselwähler, die Sie an die NPD
verloren haben, immerhin 11 000 in Sachsen?


(Michael Leutert [DIE LINKE]: Ist das jetzt NPD-Werbung oder was?)


Ich lese – vielleicht beruhigt Sie das – jetzt gern und
oft die „junge Welt“. Da gibt es hochinteressante Bei-
träge. So konnten wir am 14. März dieses Jahres in der
„jungen Welt“ lesen, dass Genossin Jelpke vom Verfas-
sungsschutz überwacht wird.


(Hans-Christian Ströbele DIE GRÜNEN)


Was steht in diesem Bericht? Ich nenne exemplarisch
wenige Punkte: kontinuierliche Zusammenarbeit mit der
Deutschen Kommunistischen Partei; Ihre politische Hei-
mat war die orthodoxe Politsekte Kommunistischer
Bund – da gibt es hier weitere Verstrickungen –;


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

zahlreiche Veröffentlichungen in linksextremistischen
Publikationen; ein ungeklärtes Verhältnis zu politisch
motivierter Gewalt.


(Sebastian Edathy [SPD]: Wie kann jemand wie Sie von der Union aufgestellt worden sein?!)


Selbst die Verfassungsschutzbehörden stecken in der
Welt Jelpkes – Zitat – „seit vielen Jahren selber tief im
braunen Dreck“. Für Sie ist also alles rechtsradikal.

Ich sage Ihnen: Personen und Organisationen, die sel-
ber in linksextremistische Zusammenhänge verstrickt
sind, können bei der Auseinandersetzung mit dem
Rechtsextremismus keine Bündnispartner sein. Deshalb
sind Ihre Anträge abzulehnen. Für Ihr Poesiealbum – ich
weiß nicht, ob Sie eines haben –


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609810200

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ihre Zeit ist abgelaufen!)



Henry Nitzsche (Plos):
Rede ID: ID1609810300

– ich komme zu meinem Schlusswort – möchte ich zi-

tieren, was Rosa Luxemburg gesagt hat: „Freiheit ist im-
mer die Freiheit des Andersdenkenden.“


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609810400

Ich gebe das Wort dem Kollegen Gert Winkelmeier.


Gert Winkelmeier (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609810500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Nitzsche, Ihr Redebeitrag zum Rechtsextremismus
liest sich wie eine Bewerbung für die NPD; dort gehören
Sie geistig auch hin.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie sollten hier nicht über Rechtsextremismus reden. Ich
wundere mich, dass jemand wie Sie in die CDU aufge-
nommen werden konnte; aber das ist ein anderes Thema.

In dem kleinen Westerwaldort Oberlahr fand letzten
Sonntag eine Demonstration von über 1 000 Menschen
gegen die NPD statt. Dabei war zu beobachten, dass die-
ser Protest aus der Mitte der Gesellschaft gekommen ist.
Der CDA-Landesvorsitzende von Rheinland-Pfalz for-
derte während der Versammlung ein Verbot der NPD.
Auch die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –
Bund der Antifaschisten“ wirbt mit einer Unterschriften-
sammlung für einen erneuten Anlauf für ein NPD-Ver-
bot. Und das ist gut so.

Um beurteilen zu können, warum das erste Verbots-
verfahren scheiterte, lohnt sich ein genauer Blick ins
Jahr 2000: In der „FAZ“ vom 5. April 2000 wird Herr
Schily zitiert, dass von der NPD keine Gefahr für die
Demokratie ausgehe. In der „Berliner Zeitung“ vom
26. April 2000 warnte er vor unbedachten Schnellschüs-
sen und wies Forderungen nach einem Verbot rechts-
extremer Parteien zurück.






(A) (C)



(B) (D)


Gert Winkelmeier
Erst nach einer Reihe rechtsextremistischer An-
schläge – ich erinnere an den Düsseldorfer Sprengstoff-
anschlag – wurde die Debatte über ein NPD-Verbot leb-
hafter. Auf einmal forderte der bayerische Innenminister
ein NPD-Verbot. Es gab auch Widerspruch: Branden-
burgs Innenminister Schönbohm fand die Gründe für ein
NPD-Verbot nicht ausreichend, Frau Künast bezeichnete
das Verbotsverfahren laut „FAZ“ vom 11. Oktober 2000
als absoluten Quatsch, und die FDP war immer gegen
ein Verbot der NPD. Dass es überhaupt zu einem Ver-
botsantrag kam, haben wir dem damaligen Kanzler
Schröder zu verdanken, der seine Kampagne „Aufstand
der Anständigen“ initiierte und davon sprach, dass das
Verbot ein Stück politischer Hygiene bedeute. Danach
setzte ein kampagnenartiger, hektischer Aktionismus
ein. Genau das war das Problem.

Ich behaupte hier und heute, dass die damalige Bun-
desregierung nie ernsthaft daran interessiert war, die
NPD zu verbieten. Sie wollte lediglich Aktivitäten vor-
täuschen. Herr Schily war von der großen Sorge erfasst,
dass sein Kontrahent, Herr Beckstein, bei diesem Thema
die Meinungsführerschaft erhält. Deshalb wurden in der
Hektik elementare Fehler bei der Erstellung des Verbots-
antrags gemacht.

Die Öffentlichkeit hatte den Eindruck, dass man nicht
mehr wusste, ob die NPD von V-Männern oder von ihren
eigenen Leuten geführt wird. Jeder siebte NPD-Funktio-
när stellte sich als bezahlter staatlicher Verfassungs-
schutzmann heraus.


(Sebastian Edathy [SPD]: Ist doch gar nicht wahr!)


– Doch, das ist wohl wahr.

Die schlampige Arbeit des Bundesinnenministeriums
ist umso bedauerlicher, als es im Bundestag von Ende
2000 bis 2001 eine breite politische Übereinstimmung
gab. Im Kern waren sich alle Parteien einig, dass es der
Staat nicht hinnehmen dürfe, dass „unter dem Schutz des
Parteienprivilegs neonazistisches Gedankengut geför-
dert“ werde. In einem Antrag aller Parteien sprach man
sich im März 2001 gegen Rechtsextremismus, Fremden-
feindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt aus. In einer
Drucksache vom 1. März 2002 sprach sich auch die
Fraktion der CDU/CSU für ein Verbot der NPD aus.
Heute macht die Bundesregierung einen großen Bogen
um das Thema NPD-Verbot.

Die NPD provoziert im Landtag von Sachsen einen
Skandal nach dem anderen. Ein NPD-Abgeordneter ging
in Mecklenburg-Vorpommern mit einem „Totschläger“
in den Landtag. Ich fordere Frau Bundeskanzlerin
Merkel auf, das NPD-Verbot zur Chefinsache zu ma-
chen. – Leider ist sie nicht hier. Das ist schade. Man
sieht allerdings, dass die Regierungsbank sowieso relativ
schwach besetzt ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat einen klaren Weg
aufgezeigt, wie es zu einem Verbot kommen kann. V-Leute
in der NPD müssen abgezogen werden; denn sie sind für
nichts notwendig. Entscheidende Erkenntnisse werden
über sie nicht erlangt. Das wird durch die Antworten der
Bundesregierung auf die Große Anfrage der Linksfrak-
tion bewiesen. Es ist ein Armutszeugnis, dass auf viele
Fragen an die Regierung mit einem lapidaren „Dazu lie-
gen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.“ geant-
wortet wird.

Man kann grundsätzlich nicht mit Agentenmethoden
gegen Parteien vorgehen. Parteien sind öffentlich. Des-
halb muss eine nichtstaatliche Organisation Rechtsextre-
mismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit beobach-
ten. Durch eine Analyse der NPD-Beweise wird
deutlich, dass ausreichend Anlass besteht, ihre Verfas-
sungstreue zutiefst zu bezweifeln.

Wir sind uns sicherlich einig, dass durch ein Verbot al-
lein rechtsextremes und fremdenfeindliches Gedanken-
gut nicht aus den Köpfen der Menschen getrieben wird.
Das muss politisch gelöst werden. Wir müssen uns auf
den Leitsatz „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein
Verbrechen“ einigen. Mit dem NPD-Verbot bekämen wir
ein Instrument in die Hand, um die menschenfeindlichen
Theorien und Zielsetzungen des Faschismus aus den
Köpfen zu bekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Für die NPD und ihre Anhänger darf nicht das demo-
kratische Gebot der Meinungsfreiheit gelten. Die NPD
ist nicht gestärkt aus dem gescheiterten Verbotsverfahren
hervorgegangen; sie nutzt einfach ihre Möglichkeiten
und kann mit öffentlichen Geldern weiter ihr Unwesen
treiben.


Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609810600

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.


Gert Winkelmeier (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609810700

Ich komme zum Ende.

Mein Appell an die Bundesregierung lautet: Wenn Sie
es mit dem Verbot im Jahre 2000 wirklich ernst meinten,
dann handeln Sie jetzt rechtsstaatlich. Schaffen Sie die
Voraussetzungen für ein zweites NPD-Verbotsverfahren!

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609810800

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege

Sebastian Edathy, SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Sebastian Edathy (SPD):
Rede ID: ID1609810900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man als letzter Debattenredner das Wort ergreifen
darf, dann hat man zwei Vorteile: Erstens kann einem
anschließend nicht widersprochen werden – wozu es,
wie ich annehme, wahrscheinlich auch keinen Grund ge-
ben wird. Zweitens hatte man Gelegenheit, die ganze
Debatte zu verfolgen. Somit muss ich mich nicht mit ei-
nem fertigen Manuskript hier hinstellen, sondern kann
vielleicht das eine oder andere, was heute ausgeführt
worden ist, aufgreifen.






(A) (C)



(B) (D)


Sebastian Edathy
Ich glaube, dass wir alle miteinander eindeutig fest-
stellen müssen: Rechtsextremismus ist organisierte Men-
schenfeindlichkeit. Deshalb ist Rechtsextremismus im-
mer eine latente Herausforderung und Gefahr für die
Demokratie, der wir unsere volle Aufmerksamkeit wid-
men müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das heißt nicht zuletzt: Wenn wir uns mit der Frage
beschäftigen, welche Strategien es gegen Rechtsextre-
mismus – seine Erscheinungsformen, aber auch sein
Entstehen – gibt, dann kommt es auf drei Komponenten
an. Eine Komponente besteht unzweifelhaft darin, dass
wir den Konsens zwischen den Demokratinnen und De-
mokraten brauchen, dass rechtsextremistisches Verhal-
ten und das Wählen rechtsextremistischer Parteien völlig
inakzeptabel sind.

Ich habe manche Äußerungen mit einem etwas un-
guten Gefühl vernommen, die darauf hindeuteten, dass
Linksextremismus gegen Rechtsextremismus aufgewo-
gen werden soll; die Fraktionen machen sich gegenseitig
Vorwürfe. Ich glaube, das ist der falsche Ansatz. Wir
müssen vielmehr den demokratischen Grundkonsens,
der seit Ende des Zweiten Weltkrieges besteht, auch im
21. Jahrhundert bewahren. Dazu gehört auch, das Thema
nicht parteipolitisch zu instrumentalisieren. Das sollten
wir auch in diesem Haus berücksichtigen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mir macht beim Thema Rechtsextremismus ein Phä-
nomen am meisten Sorge, das auch in der Antwort der
Bundesregierung auf die Große Anfrage erheblichen
Raum einnimmt. Rechtsextremismus in Deutschland ist
seit zehn bis 15 Jahren davon geprägt, dass zunehmend
junge Menschen damit in Erscheinung treten. In der Mit-
gliederstruktur der NPD als radikalste rechtsextremisti-
sche Partei in Deutschland liegt das Durchschnittsalter
bei Anfang 30. Wir müssen also davon ausgehen, dass
uns das Thema weiter beschäftigen wird.

Vor allen Dingen müssen wir berücksichtigen, dass es
Rechtsextremisten in der Vergangenheit zunehmend ge-
lungen ist, ihren Nachwuchs aus den heranwachsenden
Generationen zu rekrutieren. Wenn wir keine gemeinsa-
men Ansätze formulieren können, um dem Rechtsextre-
mismus zum Beispiel dort mit Alternativangeboten ent-
gegenzuwirken, wo es an Jugendarbeit fehlt oder sie
nicht funktioniert oder wo möglicherweise in der Ver-
gangenheit Entscheidungen von einer falschen Prioritä-
tensetzung in den Kommunen geprägt waren, dann per-
petuieren wir das Problem, und dann wird es noch
stärker an Bedeutung gewinnen.

Was heißt das im Hinblick auf Gegenstrategien? Es
war viel von Verboten die Rede, worauf ich auch noch
eingehen werde; aber das ist für mich nicht der entschei-
dende Punkt. Vielmehr ist neben der Intervention die
Frage der Vorbeugung von entscheidender Bedeutung.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns in diesem
Land gemeinsam an eines erinnern müssen – das haben
wir aus der deutschen Geschichte gelernt –: Demokratie
lässt sich nicht vererben, und sie ist auch keine Errun-
genschaft, die für ewige Zeiten als garantiert betrachtet
werden kann. Vielmehr muss Demokratie nicht nur be-
wahrt, sondern auch weitergegeben werden. Sie muss
von jeder Generation aufs Neue gelernt werden.

Wenn wir es schaffen, Kindern und Jugendlichen auf
dem Weg zum Staatsbürger so viel stabilisierende Hilfe
zu gewähren, dass sie irgendwann die Werte verinnerli-
chen und es nicht nötig haben, die Würde anderer in den
Dreck zu ziehen, um sich des eigenen Selbstbewusst-
seins zu vergewissern, dann haben wir den entscheiden-
den Schritt gegen jede Art von Extremismus, insbeson-
dere aber gegen den Rechtsextremismus, geleistet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In der Hinsicht sind wir auf Bundesebene in der Tat
ein Akteur, aber nicht der einzige. Wir brauchen die an-
deren staatlichen Ebenen – die Länder und die Kommu-
nen –, aber auch die Zivilgesellschaft: die Gewerkschaf-
ten, die Arbeitgeberverbände, die Kirchen, die
Sozialverbände und die vielen Initiativen und Projekte,
die sich in diesem Bereich vorbildlich engagieren und
die man mit ihrer Arbeit nicht alleinlassen darf. Wir
brauchen ein Bündnis gegen Rechtsextremismus, das so-
wohl die staatlichen als auch die privaten Akteure in un-
serem Lande umfasst.

Ich bin stolz darauf, dass wir es in der Großen Koali-
tion geschafft haben, die Mittel des Bundesprogramms
signifikant – von 19 Millionen Euro auf mittlerweile
24 Millionen Euro pro Jahr – zu erhöhen. Ich gebe zu,
dass das nicht leicht war, aber eine Große Koalition hat
auch gelegentlich den einen oder anderen pädagogischen
Effekt. Ich freue mich sehr darüber, dass auch die Uni-
onsfraktion letzten Endes die Vorschläge der Sozialde-
mokraten als vernünftig anerkannt und ihnen zuge-
stimmt hat.

Wir müssen sehen, wie sich dieses Programm be-
währt. Es ist kritisiert worden, dass die Mittel nur dann
verausgabt werden können, wenn die Kommunen zuge-
stimmt haben. Es wurde die Frage aufgeworfen, wie man
mit Kommunen verfahren soll, in denen das Problembe-
wusstsein nicht hinreichend ausgeprägt ist. Wir müssen
bei der Umsetzung des Programms darauf achten, ob im
Einzelfall nachgesteuert werden muss. Grundsätzlich
halte ich es aber für ausgesprochen sinnvoll, darauf zu
achten, dass die Initiativen und Projekte, die vom Bund
unterstützt werden, auf Dauer auch kommunal verankert
sind, akzeptiert und mitgetragen werden. Dort, wo es
Kommunikationsschwierigkeiten gibt, sollten wir behilf-
lich sein, und zwar nicht zuletzt über das Familienminis-
terium.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich will noch etwas – weil das in der Debatte eine ge-
wisse Rolle gespielt hat – zum Thema Intervention sa-
gen, also dazu, was wir dort tun, wo Rechtsextremismus






(A) (C)



(B) (D)


Sebastian Edathy
bereits entstanden ist. Priorität hat für mich, das Entste-
hen einer Gesinnung zu verhindern. Das ist neben der
Ächtung einer Gesinnung das Beste, was wir machen
können, wenn es um die rechtsextremistische Ideologie
geht. Ich bin der Auffassung, dass wir in der Vergangen-
heit einen guten Weg gegangen sind, eine vernünftige
Balance gefunden haben. In Zukunft wird es vermehrt
darauf ankommen, sicherzustellen, dass Straftaten zügig
aufgeklärt werden, dass Prozesse zügig stattfinden, dass
es keine Toleranz gegenüber Rechtsextremisten gibt.
Wir müssen darauf achten, dass die Behörden, wenn eine
Demonstration nicht verboten werden kann, den Veran-
staltern Auflagen machen, um ihnen das Agieren zu er-
schweren und den Aktionsradius, den sie in Anspruch
nehmen wollen, einzuengen.

Wir sollten zu gegebener Zeit überlegen, ob wir Kon-
sequenzen aus dem ziehen, was dankenswerterweise die
Justizministerin im April auf europäischer Ebene ausge-
handelt hat. Es gibt einen Rahmenbeschluss der Justiz-
minister der Europäischen Union, wonach der Richter
den Strafrahmen bei einer fremdenfeindlichen bzw. ras-
sistisch motivierten Straftat höher ansetzen kann als ur-
sprünglich im Gesetz vorgesehen. Ich gebe zu bedenken,
dass wir sehr sorgfältig prüfen sollten, ob der Staat in
solchen Straftatbereichen, in denen ein besonderer Un-
rechtsgehalt zu erkennen ist, im Hinblick auf die Präven-
tivwirkung ein höheres Strafmaß als bisher einräumt.

Zum Thema NPD-Verbot. Ich will ganz freimütig sa-
gen: Wenn ein NPD-Verbot erreicht werden könnte, gäbe
es, glaube ich, nur wenige Menschen in diesem Land,
die sich nicht darüber freuten. Die NPD hat in den letz-
ten Jahren zunehmend die Kooperation mit der rechts-
extremistischen Szene systematisch ausgebaut. Sie ist
sozusagen Schirmherrin für viele Demonstrationen und
Veranstaltungen. Ich bin sehr dafür, dass wir uns damit
intensiv beschäftigen. Aber wir sollten den Weg eines
NPD-Verbots nur gehen, wenn er absehbar von Erfolg
gekrönt ist. Wir sollten nicht mit dem Kopf gegen die
Wand rennen. Das Prüfungsverfahren ist noch nicht ab-
geschlossen. Aber so gut es wäre, die Infrastruktur der
Rechtsextremisten durch ein NPD-Verbot ein Stück weit
zu zerschlagen: Wir können eine Partei verbieten, nicht
aber eine Gesinnung. Wir können eine Gesinnung ächten
und ihre Entstehung vielleicht präventiv verhindern; das
müssen wir Demokraten gemeinsam machen. Das muss
unser vorderster Ansatz bei der Bekämpfung des Rechts-
extremismus sein.

Vielen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609811000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4631 mit dem
Titel „V-Leute in der NPD abschalten“. Wer stimmt für
diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Antrag ist mit den Stimmen von SPD, Bünd-
nis 90/Die Grünen, CDU/CSU und FDP und des frak-
tionslosen Abgeordneten gegen die Stimmen der Linken
und gegen die Stimme von Herrn Winkelmeier abge-
lehnt.

Tagesordnungspunkt 23 c: Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 16/4807 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung der Rechtsgrundlagen
zum Emissionshandel im Hinblick auf die Zu-
teilungsperiode 2008 bis 2012

– Drucksache 16/5240 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Ulrich Kelber, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1609811100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wir sprechen nun über den von den Fraktionen
der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines
Zuteilungsgesetzes für die Periode 2008 bis 2012 als Teil
des Emissionshandels, der ein Instrument des Klima-
schutzes in Deutschland ist. Die gute Nachricht vorweg:
Wenn wir an den Grundzügen des Zuteilungsgesetzes
festhalten, dann erreichen wir, dass Deutschland sein
Klimaschutzziel 2012 übertreffen wird. Wir werden
also mehr als 21 Prozent der Treibhausgasemissionen im
Vergleich zu 1990 reduzieren können. Das ist gut so. Wir
haben uns vorgenommen, den CO2-Ausstoß bis 2020 um
40 Prozent zu reduzieren. Das ist ein anspruchsvolles
Ziel. Es ist gut, wenn wir bereits jetzt Schwung holen,
um das höhere Ziel – Reduzierung um 40 Prozent – zu
erreichen, das von den Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern vorgeschlagen worden ist, damit der Kli-
mawandel einen akzeptablen Umfang einnimmt.


(Beifall bei der SPD)


Die Reaktion darauf ist, dass wir an den Grundzügen
festhalten werden: Mit der SPD wird es keine Aufwei-
chung der Grundzüge des Zuteilungsgesetzes für die Pe-
riode von 2008 bis 2012 geben.

Es gibt eine Reihe von Fragen, die zu regeln sind. So
ist das immer, wenn man Gesetzentwürfe ins Parlament
einbringt: Nie kommt ein Gesetzentwurf so aus dem Par-






(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
lament heraus, wie eine Regierung ihn eingebracht hat.
Das ist auch gut so. Die Hauptfrage, die wir stellen müs-
sen, lautet: Werden wir die CO2-Emissionsrechte weiter-
hin kostenlos an die Unternehmen vergeben, oder wer-
den wir die europäische Rahmenrichtlinie, nach der
wir bis zu 10 Prozent der Zertifikate verkaufen oder ver-
steigern können, nutzen?

Die SPD will diesen Spielraum nutzen: Wir wollen
Zertifikate verkaufen oder versteigern. Dafür gibt es ei-
nen Grund: Wir haben feststellen müssen, dass eine
Reihe von Unternehmen insbesondere aus der Energie-
branche zwar kostenlos die Zertifikate erhalten haben,
aber den Verkaufspreis gegenüber den Kundinnen und
Kunden so gestaltet haben, als hätten sie sie bezahlt. Sie
sagen nämlich: Wir hätten die Zertifikate auch zum
Marktpreis verkaufen können. Dann ist es aber nur ge-
rechtfertigt, dass wir den Unternehmen einerseits weni-
ger Zertifikate zuteilen – auch dafür sorgen wir mit dem
Zuteilungsgesetz – und dass die Unternehmen anderer-
seits für möglichst viele der restlichen Zertifikate, die sie
erhalten, den Preis bezahlen, den sie den Kundinnen und
Kunden in Rechnung stellen.

Mit diesem Geld können wir etwas sehr Sinnvolles
machen: Wir können den Menschen helfen, ihren Ener-
gieverbrauch zu reduzieren und damit ihre Energierech-
nung nachhaltig zu senken. Davon profitieren die Privat-
haushalte und die kleinen und mittleren Unternehmen,
die im Augenblick hohe Kosten haben.

So erreicht man mit dem Emissionshandel mehrere
Ziele: Erstens. Er hilft uns, unsere Klimaschutzziele zu
erreichen. Zweitens. Wir finanzieren damit weitere Kli-
maschutzinstrumente. Drittens. Er schafft Arbeitsplätze.
Es ist sinnvoller, in Jobs zu investieren als in Brenn-
stoffe. Viertens. Er hilft, die Volkswirtschaft zu entlas-
ten; denn mit einer solchen Reduzierung des Energiever-
brauchs senken wir dauerhaft die Rechnungen.

Deswegen sollten wir das Zuteilungsgesetz 2012
stringent durchsetzen. Wenn es möglich ist, sollten wir
es im Zuge der Parlamentsberatungen noch verbessern
und bereits jetzt sagen, was wir ab 2013 tun wollen. Wir
möchten, dass dann EU-weit alle Zertifikate versteigert
und verkauft werden. Wir wollen ein nachhaltiges Finan-
zierungsinstrument für Klimaschutzmaßnahmen und für
die Steigerung der Energieeffizienz bei der Einführung
neuer Technologien bei uns und in den Ländern, die
schon heute am meisten unter dem Klimawandel leiden,
nämlich in den Ländern des Südens. Sie hatten nur einen
geringen Anteil an der Emission der Treibhausgase;
heute haben sie aber bereits die größten Probleme. Wir
sollten schon heute ein Signal setzen und sagen: Inves-
tiert so, dass ihr euch mit eurer Technologie auch nach
2012 mit weniger Treibhausgasemissionsrechten gut am
Markt behaupten könnt. Dieses Signal sollte heute von
dieser Debatte an die Unternehmen gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Emissionshandel ist ein wichtiges Instrument im
Klimaschutz; aber er ist nicht das einzige Instrument.
Wir werden über die Novelle des Erneuerbare-Energien-
Gesetzes – eine der Erfolgsstorys deutscher Gesetzge-
bung – sprechen. Wir müssen über ein Erneuerbare-Ener-
gien-Wärmegesetz und über die Förderung der Kraft-
Wärme-Kopplung sprechen. Wichtig ist natürlich der ge-
samte Bereich der Energieeffizienz.

In den letzten Wochen gab es einen Wettlauf um die
hehrsten Ziele im Klimaschutz. Ich fand spannend, was
zum Beispiel im Strombereich gefordert wurde: Der Mi-
nister sagte, er wolle bis 2020 einen Anteil der erneuer-
baren Energien von 27 Prozent erreichen. Dann haben
die Grünen gesagt, dass ein Anteil von mindestens
30 Prozent möglich sei. Ein Entwurf der Grundsatzpro-
grammkommission der CDU enthielt die Forderung
nach einem Anteil von 35 Prozent. Wahrscheinlich hat
die FDP gesagt: Wenn wir unsere Art der Förderung um-
setzen würden, könnte auch ein Anteil von 40 Prozent
erreicht werden, weil der Markt viel stärker agieren
würde. Ich finde all das gut; ich habe mich als Umwelt-
politiker über diesen Wettlauf gefreut. Ich möchte jetzt
bitten, dass wir einen zweiten Wettlauf beginnen: einen
Wettlauf um die Umsetzung der entsprechenden Klima-
schutzinstrumente. Der hehre Wettlauf um Prozente liegt
nun nämlich hinter uns.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da muss man etwas öffentlich sagen, was die SPD ab
jetzt immer wieder öffentlich sagen wird – es bleibt nicht
mehr hinter verschlossenen Türen –: Der Wettlauf um
die Instrumente hat nicht begonnen; wir warten seit
18 Monaten darauf, dass unser Koalitionspartner mit uns
über ein Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz verhandelt.


(Beifall des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch! – Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)


Wir haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, obwohl
wir nicht diejenigen sind, die das tun sollten. Nicht ein-
mal über diesen Gesetzentwurf wird verhandelt. Wir
warten seit sechs Monaten auf die Reaktion auf unsere
Vorschläge zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz.
Ich höre die Reden, dass man das auch wolle. Warum
können wir nicht darüber verhandeln?

Wir werden das ab jetzt bei jeder Gelegenheit erwäh-
nen, bis Sie von der Union die Verhandlungen mit uns
beginnen.


(Beifall bei der SPD und der FDP)


Wir werden bis zur Sommerpause weitere Gesetzent-
würfe zu Klimaschutzinstrumenten vorlegen. Wir ver-
langen eine Verhandlung in der Großen Koalition da-
rüber.

Es kann nicht sein, dass die Kanzlerin auf den EU-Gip-
feln mit Überzeugung unsere Klimaschutzziele vertritt,
während die Fraktion der Kanzlerin die Verhandlungen
über entsprechende Instrumente verweigert. Diesen
Missstand werden wir – auch wenn wir gemeinsam eine
Koalition bilden – ab jetzt immer öffentlich erwähnen.


(Beifall bei der SPD und der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Ulrich Kelber
Das tun wir vor allem deswegen, weil die Instrumente
so klar auf dem Tisch liegen.

Für den Energiegipfel im Juli sind drei Szenarien
durchgerechnet worden. Bei allen Szenarien steht die
Energieeffizienz im Mittelpunkt. Dann lassen Sie uns
an der Energieeffizienz arbeiten! In allen Szenarien ist
der Ausbau der erneuerbaren Energien der nächste große
Schritt. Also lassen Sie uns über ein Erneuerbares-Ener-
gien-Wärmegesetz sprechen! In allen Szenarien hat die
Erneuerung des Kraftwerksparks einen hohen Stellen-
wert. Deswegen muss man im Emissionshandel Druck
machen, damit die alten Kraftwerke durch neue ersetzt
werden. Mit diesen Szenarien ist auch regierungsamt-
lich, dass die Atomkraft für den Klimaschutz keine
Rolle spielt. Es wurde immer gesagt, man möge erklä-
ren, wie der Klimaschutz ohne Atomkraft zu schaffen
sei. Jetzt zeigen zwei Szenarien, dass eine CO2-Reduzie-
rung um 40 Prozent ohne Atomenergie möglich ist. Es
ist jetzt regierungsamtlich, dass es geht, mit der Unter-
schrift des Kanzleramtes und mit der Unterschrift des
Wirtschaftsministers. Das ist gut. Es gibt keinen Kosten-
vorteil, und es gibt keinen Klimaschutzvorteil. Es gibt
nur ein größeres Risiko für die Menschen in diesem
Land. Ich bin nicht bereit, Schrottreaktoren wie Biblis A
bis 2020 laufen zu lassen,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


die man nicht gegen Terrorangriffe schützen kann. Wir
wissen jetzt, dass es anders geht. Keiner kann mehr be-
haupten, er wisse nicht, wie man es machen kann. Alle
Fakten liegen auf dem Tisch. Jetzt brauchen wir den
Wettlauf in der Koalition und im Parlament, um die bes-
ten Klimaschutzinstrumente einzuführen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich Maurer [DIE LINKE])



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609811200

Ich gebe das Wort dem Kollegen Michael Kauch,

FDP-Fraktion.


Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1609811300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin

Herrn Kelber ausgesprochen dankbar dafür, dass er deut-
lich gemacht hat, welch ein Chaos in dieser Koalition
herrscht, wenn es darum geht, nicht nur Überschriften zu
produzieren, sondern zu handeln und Klimaschutz tat-
sächlich im Parlament umzusetzen.


(Beifall bei der FDP)


Ich finde es auch ausgesprochen interessant, dass Sie,
Herr Kollege, Biblis A als Schrottreaktor bezeichnen.
Ich frage mich, warum Ihr Umweltminister, der für die
Sicherheit der Reaktoren zuständig ist, einen Schrottre-
aktor nicht abschaltet. Oder ist das, was Sie angespro-
chen haben, vielleicht nur Rhetorik?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Ich möchte jetzt über das Zuteilungsgesetz reden,
über das wir heute debattieren sollen. Ich frage mich,
wie ernst die Bundesregierung eigentlich ihre eigenen
Klimaschutzziele nimmt; denn wir haben einen Wider-
spruch zwischen dem, was medial verkündet wird, und
dem, was wir tatsächlich hier auf dem Tisch liegen ha-
ben. Wie will diese Koalition eigentlich eine Minderung
des CO2-Ausstoßes von 40 Prozent oder auf lange Sicht
gar 80 Prozent erreichen, wenn sie den Brennstoff Kohle
weiter so bevorzugt, wie sie das mit diesem Gesetzent-
wurf tut?


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Auch bei der Gesamtmenge stellen sich einige Fragen.
Der Minister hat mehrfach festgestellt, dass in der ver-
gangenen Zuteilungsperiode 2005 bis 2007 zu viele Zer-
tifikate ausgegeben wurden. Er hat gesagt, was passiert
ist, nämlich dass der Börsenpreis so tief in den Keller ge-
gangen ist, dass keine Investitionsanreize mehr vorhan-
den sind. Das ist eine richtige Analyse, aber ich frage
mich, wer denn in diesem Land regiert hat, als der Ent-
wurf für dieses Gesetz vorgelegt wurde. Das war die
SPD, und deshalb ist es jetzt scheinheilig, wenn Sie sich
auf den Standpunkt zurückziehen, dass das wohl ein
Fehler gewesen ist, wenn nicht gleichzeitig entspre-
chende Konsequenzen gezogen werden. Diese Konse-
quenzen hat der Minister nicht selbst ziehen wollen.

Das Emissionsbudget, das die Bundesregierung zu-
nächst bei der EU-Kommission angemeldet hat, war zu
hoch. Die Kommission hat der Koalition die Rote Karte
gezeigt. Dass wir jetzt ein Emissionsbudget haben, das
den Klimaschutzzielen der Europäischen Union ent-
spricht, ist einzig und allein das Verdienst der Europäi-
schen Kommission und nicht dieser Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP)


Kommen wir zum Stichwort Kohleprivilegierung.
Auch hier musste die EU-Kommission eingreifen, damit
die Bundesregierung nicht ein Klimaschutzverhinde-
rungsprogramm beschließt. Die Koalition aus CDU/
CSU und SPD hatte zunächst einmal vorgesehen, dass
neue Kohlekraftwerke 14 Jahre lang von weiteren Min-
derungsverpflichtungen ausgenommen werden sollten.
Allein dem Einspruch der EU-Kommission gegen diesen
Nationalen Allokationsplan ist es zu verdanken, dass
diese unglaubliche Privilegierung der Kohle beendet
wurde.

Wenn wir uns anschauen, was die Bundesregierung
uns hier vorlegt, dann sehen wir, dass das, was der Mi-
nister als großen Erfolg verkauft – dass es kein Sonder-
Benchmark für die Braunkohle gibt –, zwar tatsächlich
im Gesetz verankert wird, dass es aber gleichzeitig eine
Regelung gibt, nach der die Stundenzahl für die Braun-
kohlekraftwerke höher angesetzt ist als die für die Stein-
kohlekraftwerke. Das Ganze ist eine Mogelpackung. Die
Braunkohleprivilegierung soll durch die Hintertür wie-
der eingeführt werden. Sie verstecken das allerdings ge-
schickt, damit der Minister sein Gesicht wahren kann.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Michael Kauch
Wie ernst nimmt es eigentlich eine Bundesregierung
mit dem Klimaschutz, wenn ein Kohlekraftwerk mehr
als doppelt so viele Zertifikate wie ein Gaskraftwerk ge-
schenkt bekommt? Die Bevorzugung der Kohle gegen-
über dem Gas hat nichts mit Klimaschutz zu tun,
sondern ausschließlich mit der Bedienung von Lobby-
interessen, in diesem Fall mit der Bedienung der Interes-
sen bestimmter Stromkonzerne.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Maria Flachsbarth [CDU/ CSU]: Das hat was mit Versorgungssicherheit zu tun!)


Der Lobbyismus, der den Emissionshandel in Miss-
kredit bringt, muss beendet werden. Wir müssen so
schnell wie möglich zur Versteigerung der Emissionszer-
tifikate kommen, damit nicht der Staat, sondern der
Markt entscheidet, wer wie viele Zertifikate bekommt.
Um Erfahrungen zu sammeln, müssen wir ab 2008 damit
beginnen, das zu tun, was EU-rechtlich zulässig ist,
nämlich 10 Prozent zu versteigern.

Hier gibt es eine paradoxe Lage. Jetzt plötzlich
spricht sich auch der Umweltminister für eine Versteige-
rung aus. Monatelang hat er uns hier im Parlament das
Märchen erzählt, dass die Strompreise bei einer Verstei-
gerung steigen. Alle Volkswirte sagen ganz klar: Die
Zertifikate, ob geschenkt oder versteigert, sind und wer-
den in die Strompreise eingepreist. Wenn sich der Um-
weltminister endlich nicht mehr gegen den geballten
Sachverstand sperrt, dann könnte man sagen: Die Ein-
sicht kam – besser spät als nie!


(Hans-Kurt Hill [DIE LINKE]: Sie brauchen nur auf die Linke zu hören, dann geht das!)


Aber welche Konsequenz zieht das Kabinett? Herr
Gabriel hat im Kabinett Hand in Hand mit dem Wirt-
schaftsminister Glos einen Plan verabschiedet, der kos-
tenlose Zertifikate, also Geschenke für die Industrie,
vorsieht. Statt in der Regierung für die Position, dass
man versteigern muss, zu kämpfen, geht der Minister lie-
ber in den Zoo, streichelt für das Klima einen kleinen
Eisbären und überlässt die Arbeit den Abgeordneten die-
ses Deutschen Bundestages. Das ist ein Armutszeugnis
für einen Umweltminister.


(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das sagt ein Vertreter der Spaßpartei! Sie wären mit dem Wohnmobil dahin gefahren!)


Da der Minister offensichtlich nicht in der Lage ist,
etwas zu bewegen, freue ich mich, dass Herr Kelber hier
ankündigt, dass die Kolleginnen und Kollegen der
Koalition die Angelegenheit in die Hand nehmen. Ich
hoffe, dass es nicht bei Ankündigungen bleibt. Die Bun-
desregierung hat einen Plan vorgelegt, der keine Verstei-
gerungen vorsieht. Jetzt oder nie haben Sie die Chance,
Ihren Worten Taten folgen zu lassen. Der Deutsche Bun-
destag und nicht die Bundesregierung ist der Gesetzge-
ber in diesem Land. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie
mit uns dafür, dass es zur Versteigerung kommt, und be-
enden Sie die milliardenschweren Geschenke für die
Energieversorger in diesem Land!

(Beifall bei der FDP)


Bemerkenswert finde ich es aber, dass Herr Kelber
gesagt hat, das sei ein neues Instrument zur Finanzie-
rung vieler schöner Projekte, die die SPD sich so vor-
stellt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Ach, Herr Kauch! Das ist zu billig!)


– Das haben Sie hier gerade vorgeschlagen. – Ich kann
Ihnen nur sagen: Die FDP möchte mit dem Geld, das wir
durch die Versteigerung einnehmen, die Strompreise
senken. Das ist dadurch möglich, dass wir die Strom-
steuer ebenfalls senken. Mit anderen Worten: Wenn die
Stromsteuer gesenkt wird, dann werden die Strompreise
nicht steigen, wie uns Herr Gabriel monatelang erzählt
hat, sondern sinken. Das Geld gehört den Bürgerinnen
und Bürgern in diesem Land und nicht dem Finanz-
minister Peer Steinbrück.

Anstatt den Emissionshandel kostengünstig und ge-
recht zu gestalten, ist dieses Instrument mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf der Bundesregierung geprägt von
Sonderregelungen und Verteilungskämpfen. Der von der
Bundesregierung vorgelegte Nationale Allokationsplan
ist ein Paradebeispiel für eine Politik der verpassten
Chancen: zu wenig Markt, zu viel Lobbyismus.

Zu wenig Markt, zu viel Lobbyismus, das ist der Weg,
den Sie mit dem Emissionshandel in Deutschland weiter
einschlagen. Wir werden diesen Entwurf ablehnen, so-
lange er keine Versteigerung vorsieht und solange Sie
die Braunkohle in Deutschland gegen jede ökologische
Vernunft durch die Vergabe der Zertifikate quersubven-
tionieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Susanne Kastner (SPD):
Rede ID: ID1609811400

Nächster Redner ist der Kollege Andreas Jung für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1609811500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte eingangs auf die Debatte zurückkommen, die
wir vor zwei Wochen zu der Regierungserklärung von
Herrn Minister Gabriel zum Klimaschutz geführt haben.
Ich persönlich – ich weiß, dass diese Einschätzung von
vielen in diesem Haus geteilt wurde – empfand diese De-
batte als sehr wohltuend.

Insbesondere habe ich es als positiv empfunden, dass
sich ein sehr großer Konsens darüber abgezeichnet hat,
dass der Klimaschutz die globale Herausforderung in un-
serem Jahrhundert ist, dass wir als Europäische Union
und als Bundesrepublik eine Vorreiterrolle dabei spielen
wollen und die Bundeskanzlerin in diesem Bemühen un-
terstützen und dass wir diese Vorreiterrolle auch im na-
tionalen Rahmen nicht nur in Worten, Ankündigungen
und der Übernahme von Verpflichtungen zum Ausdruck
bringen, sondern auch durch ganz konkretes Handeln.






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Jung (Konstanz)

Ich bin der Überzeugung, dass die Große Koalition sich
mit dem, was sie geleistet und schon auf den Weg ge-
bracht hat, überhaupt nicht zu verstecken braucht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben das Gebäudesanierungsprogramm der
rot-grünen Regierung nicht nur übernommen, nicht nur
verdoppelt oder verdreifacht, sondern mehr als vervier-
facht und leisten damit einen unglaublichen Beitrag zur
Reduktion von CO2 und damit zum Klimaschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht in-
frage gestellt. Wir machen bei den regenerativen Ener-
gien nicht nur genauso viel wie die vorherige Regierung,
wir haben schon jetzt die Förderung für regenerative
Wärme aufgestockt. Wir befinden uns jetzt – darauf hat
Herr Kelber hingewiesen – in der Diskussion, wie wir
dabei noch weiter vorankommen können. Beide Koali-
tionspartner und alle Beteiligten haben den erklärten
Wunsch, voranzukommen und noch mehr zu tun als in
der Vergangenheit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Deshalb, lieber Herr Kelber, rate ich zur Gelassenheit in
dieser Diskussion. Wir müssen uns nicht verstecken.

Wir verfolgen – damit bin ich bei unserem Thema –
auch beim Emissionshandel ambitionierte Ziele. Es ist
wahr, worauf Herr Kauch hingewiesen hat. Das Zwi-
schenergebnis, über das wir heute diskutieren, ist das
Resultat von Diskussionen und Verhandlungen, auch mit
der Europäischen Union. Minister Gabriel hat gesagt,
alle Beteiligten – ich glaube, da kann sich keine Fraktion
ausnehmen – hätten einen Lernprozess durchgemacht.
Wenn wir uns das Ergebnis ansehen, können wir aber sa-
gen: Wir nehmen die Herausforderung an! Ich will das
an drei konkreten Punkten belegen.

Erstens. Entscheidend ist die Menge an CO2, die in
Deutschland ausgestoßen werden darf, und die Zahl der
Zertifikate, die verteilt werden. Da gibt es eine ganz er-
hebliche Reduktion gegenüber der letzten Emissionshan-
delsperiode. Wir haben ein Ergebnis, bei dem niemand
bestreitet, dass wir damit unsere Kiotoverpflichtungen
erfüllen werden. Herr Kelber sagt sogar, wir gingen da-
mit über unsere Kiotoverpflichtungen hinaus und leisten
mehr als die 21 Prozent Reduktion, die wir leisten müs-
sen. Gerade das belegt doch, dass wir unserer Vorreiter-
rolle gerecht werden und am Ende dieser Emissionshan-
delsperiode im Jahre 2012 Vollzug melden können in
Bezug auf unsere Verpflichtungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens. In der letzten Periode gab es in dem von
Minister Trittin verantworteten Entwurf – um das auch
dazuzusagen – die Regelung, dass Neuanlagen über
14 Jahre und länger von jeglichen Reduktionspflichten
ausgenommen würden. Da kann man die Frage stellen,
ob es richtig ist, damit einen Status quo zu zementieren
bis ins Jahr 2020, für das wir uns als Koalition ambitio-
nierte Ziele gesetzt haben. Wir haben nämlich gesagt,
dass wir bereit sind, unsere Emissionen bis dahin um bis
zu 40 Prozent zu reduzieren. Es stellt sich die Frage, ob
das gelingen kann.

In dem Entwurf findet sich jetzt eine andere Rege-
lung. Man hat – auch nach den Diskussionen mit der Eu-
ropäischen Union – daran nicht festgehalten. Wir haben
jetzt ein Benchmark-System. Das Benchmark-System
ist ein intelligentes System, weil es nicht einen Status
quo zementiert, sondern jeden Betreiber und jede Anlage
dazu zwingt, immer auf dem aktuellen Stand der besten
Technik zu sein.

Dadurch entsteht der Zwang, alte Kraftwerke durch
neue zu ersetzen. Dadurch entsteht der Zwang, mit der
Technik zu gehen. Dadurch wiederum können wir das
herbeiführen, was wir in Deutschland brauchen, um un-
sere Klimaschutzziele zu erreichen: eine Innovationsof-
fensive.

Eine WWF-Studie kam zu dem Ergebnis, dass sechs
der zehn schmutzigsten Kohlekraftwerke, die es in
Europa gibt, in Deutschland stehen. Ich bin überzeugt,
der Nationale Allokationsplan wird dazu beitragen, dass
sich diese Situation ändert.


(Vorsitz: Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse)


Insbesondere das Benchmarksystem hat zur Folge, dass
man darüber nachdenkt: Wie kann man besser werden?
Wie kann man mehr als bisher mit dem technischen
Fortschritt gehen? Ist es nicht richtig, alte Anlagen durch
neue zu ersetzen? Diese Entwicklung wird durch die
Einführung eines Effizienzfaktors zusätzlich verstärkt,
da dieser dazu führt, dass alte Anlagen bei der Zuteilung
schlechter als neue Anlagen ausgestattet werden. Da-
durch werden Anreize für Innovationen und neue Tech-
nologien geschaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als dritten Punkt möchte ich die Möglichkeit anspre-
chen, die Projekte CDM und JI im Rahmen des Emis-
sionshandels viel stärker zum Einsatz zu bringen, als es
bislang der Fall war. Wir haben in unserem Gesetzent-
wurf die Möglichkeit vorgesehen, dass bis zu 20 Prozent
der Reduktionsverpflichtungen eines Unternehmens
durch Maßnahmen in Entwicklungsländern erbracht
werden können. Ich finde, dieser Schritt ist richtig. Denn
dadurch leisten wir einen großen Beitrag zu effizientem
Klimaschutz. Es geht um die Frage, durch welche Maß-
nahmen man mit möglichst geringem Einsatz möglichst
viel für die Umwelt und das Klima tun kann. Das ist
auch ein Beitrag zur Entwicklungshilfe und zum Export
erneuerbarer Technologien sowie erneuerbarer Energien.
Damit kommen wir unserem gemeinsamen Ziel, ein
weltweites Klimaschutzsystem zu errichten, einen
Schritt näher.

Ich habe drei Gründe angesprochen, weshalb ich
schon jetzt der Überzeugung bin, dass dieser Gesetzent-
wurf eine gute Grundlage ist. Nun möchte ich noch ei-
nen weiteren Punkt ansprechen, der mir wichtig ist. Ich
bin der Meinung, dass wir als Parlament so selbstbe-






(A) (C)



(B) (D)


Andreas Jung (Konstanz)

wusst und mutig sein sollten, noch einen Schritt weiter
zu gehen und uns der Frage der Auktionierung nicht zu
verschließen. Es kann nicht richtig sein, dass die großen
Energieversorger einerseits die Profiteure des Emissions-
handels sind, weil sie Zertifikate geschenkt bekommen,
und dass sie andererseits die potenziellen Kosten den
Verbraucherinnen und Verbrauchern und der Industrie in
Rechnung stellen. Genau das ist in der letzten Emissions-
handelsperiode allerdings geschehen. Dem müssen wir
so weit wie möglich entgegenwirken. Minister Glos tut
dies mit seinen Vorschlägen zur Schaffung von mehr
Wettbewerb auf dem Energiesektor. Denn nur aufgrund
des fehlenden Wettbewerbs konnte es in Deutschland zur
Einpreisung durch die vier großen Energiekonzerne
kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Rahmen unserer Möglichkeiten sollten wir auch
im Emissionshandel eine Auktionierung in Betracht zie-
hen. Von der Europäischen Union wurde die Möglich-
keit geschaffen, bis zu 10 Prozent der Zertifikate zu ver-
steigern. Diese Chance sollten wir nutzen und in eine
Auktionierung einsteigen. Dies sollte dann in der nächs-
ten Emissionshandelsperiode dazu führen – hier stimme
ich Herrn Kelber zu –, dass wir die Zertifikate zu
100 Prozent versteigern, was wir heute noch nicht dür-
fen.

Wir könnten also auch durch das Emissionshandels-
system einen Beitrag zu mehr Klimaschutz leisten, weil
die Zertifikate dadurch einen realen Wert bekommen
würden. Das könnte uns, was die Verwendung der Mittel
betrifft, die Möglichkeit eröffnen, weitere Maßnahmen
im Bereich des Klimaschutzes zu finanzieren. Diese Idee
sollten wir im Gesetzgebungsverfahren weiter verfolgen.
Das ist auch die Meinung meiner Kollegen. Ich schließe
mich Herrn Kelber an, der vorhin gesagt hat: Kein Ge-
setzentwurf verlässt den Bundestag so, wie er einge-
bracht worden ist. Meine Meinung jedenfalls ist, dass
wir diese Veränderung vornehmen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, indem ich
meinen Wunsch zum Ausdruck gebracht habe, dass die
Zertifikate in der nächsten Handelsperiode zu 100 Pro-
zent versteigert werden, habe ich schon einen ersten
Ausblick über die gegenwärtige Handelsperiode hinaus
gegeben. Diesen Ausblick möchte ich noch etwas aus-
weiten. Es gibt immer noch große Bereiche, in denen
kein Emissionshandel stattfindet. Einer dieser Bereiche
muss in der nächsten Emissionshandelsperiode unbe-
dingt integriert werden: der Flugverkehr. Auf diesem
Sektor ist ein rasanter Anstieg der CO2-Emissionen zu
verzeichnen. Wir wissen, dass CO2-Emissionen in dieser
Höhe sehr klimaschädlich sind. Außerdem ist eine Un-
gleichbehandlung der ökologisch sinnvollen Verkehrs-
mittel wie der Bahn und der ökologisch weniger sinnvol-
len Verkehrsmittel wie dem Flugzeug festzustellen.
Deshalb muss der Flugverkehr ab der nächsten Handels-
periode mit einbezogen werden. Das ist der erklärte
Wille unserer Fraktion und auch der Union in anderen
Parlamenten. Dieses Ziel verfolgt die Europäische
Union jetzt mit ganz konkreten Vorschlägen und Maß-
nahmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will ein Weiteres und Letztes ansprechen. Wir tra-
gen für alles, was wir hier tun, die Verantwortung. Wir
haben aber auch eine Verantwortung, die weit darüber
hinausgeht, eine globale Verantwortung. Staatssekretär
Müller hat in der Ausschusssitzung in dieser Woche von
der Sitzung des UN-Weltklimarats berichtet. Er hat ge-
sagt, das Bemühen, andere Länder, auch Schwellenlän-
der, in den Klimaschutzprozess einzubeziehen, würde
unter anderem an der Skepsis dieser Staaten scheitern.
Sie fragen sich: Ist das möglicherweise ein Mittel, unsere
Entwicklung zu behindern, ist es möglicherweise ein In-
strument, das den Status quo zementieren wird – nämlich
dass es anderen wirtschaftlich besser geht als uns –, ist
es ein Mittel, das unser wirtschaftliches Fortkommen,
unseren wirtschaftlichen Aufschwung verhindert?

Unser Ziel hier muss sein, zu beweisen, dass wir es
schaffen, ökologisch ambitionierte Ziele umzusetzen,
dabei aber wirtschaftlichen Aufschwung nicht zu gefähr-
den, sondern durch neue Technologien gerade auch Ar-
beitsplätze zu schaffen und zu sichern. Deshalb bin ich
der Auffassung, dass wir das Emissionshandelssystem
hier mit guten Regelungen vorleben und dafür werben
sollten.

In einem nächsten Schritt sollten wir dann dieses euro-
päische System für alle, die mitmachen wollen, öffnen –
und zwar so bald wie möglich. Es gibt ja Bestrebungen
in den US-Bundesstaaten und Überlegungen in anderen
Staaten, auch in Schwellenländern, solche Emissions-
handelssysteme zu etablieren. Ein Schuh wird erst dann
daraus, wirklich Sinn macht es erst dann, wenn wir die
nationalen Systeme zu einem weltumspannenden Emis-
sionshandelssystem als dem wichtigsten Instrument des
Kiotoprotokolls zusammenführen. Ich denke, dafür soll-
ten wir uns einsetzen und darauf sollten wir uns im Rin-
gen um die Sache konzentrieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609811600

Das Wort hat nun Kollegin Eva Bulling-Schröter,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609811700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Emissionshandel wurde von Ihnen hier im Hause stets
als marktgerechtes Instrument gepriesen, die Klima-
schutzziele preiswert und zielgenau zu erreichen. Ich
denke, wir wurden eines Besseren belehrt. Er ist als um-
weltpolitisches Instrument bislang gescheitert.

Die Lage wird immer absurder, je genauer die Daten-
lage. Einschließlich dessen, was sich der Staat über den
KfW-Mechanismus an zusätzlichen Zuteilungen aus der
Zukunft borgt, gibt die Bundesregierung in jedem Jahr
dieser Handelsperiode Zertifikate über 507 Millionen






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
Tonnen an die Anlagenbetreiber aus. Ursprünglich
wurde angenommen, die Emissionen der Basisperiode
2000 bis 2002 hätten im Schnitt rund 501 Millionen
Tonnen pro Jahr betragen. Schon unter Rot-Grün wurden
also von vornherein Zertifikate über 5 Millionen Tonnen
mehr zugeteilt, als damals überhaupt CO2 ausgestoßen
wurde. Heute wissen wir, dass die tatsächlichen Emissio-
nen der Basisperiode lediglich bei 474 Millionen Tonnen
pro Jahr lagen. Daraus ergibt sich eine Überausstattung
in der ersten Handelsperiode von ganzen 7 Prozent. Das
ist das Gegenteil von ambitionierter Klimapolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Unter dem Strich ist es kein Wunder, dass die Emis-
sionen des Emissionshandelsbereichs der Bundesrepu-
blik in 2006 im Vergleich zur Basisperiode um 3 Mil-
lionen Tonnen angestiegen sind. So lief das eben
europaweit: Die EU-Kommission berichtet von einer
Überausstattung von 118 Millionen Tonnen. Logisch,
dass der Preis für das Recht, eine Tonne CO2 auszusto-
ßen, nach den Datenveröffentlichungen auf unter einen
Euro sank.

Ähnlich verhängnisvoll wie das zu niedrige Cap wa-
ren die vielen Sonderregelungen im Zuteilungsgesetz.
Ich erinnere nur an die Regelung, bereits gebaute Kohle-
kraftwerke für 14 Jahre mit der vollen Zuteilung auszu-
statten. Dass Rot-Grün nicht ein einziges Zertifikat zur
Versteigerung vorgesehen hatte, ist dann nur noch der
Gipfel des Versagens.


(Beifall bei der LINKEN)


Die leistungslos erzielten Extraprofite in Milliarden-
höhe, die sich die Konzerne dadurch in die Tasche ste-
cken konnten, haben das Instrument vollständig, aber
wirklich vollständig, diskreditiert. Glauben Sie nicht,
dass sich daran wesentlich etwas ändert, wenn das Parla-
ment nun wenigstens die Versteigerung von 10 Prozent
der Zertifikate beschließt, die nach EU-Recht möglich
wären! Immerhin 90 Prozent werden ja mindestens bis
2012 wiederum verschenkt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nein, stimmt nicht! Lesen!)


In diesem Zusammenhang wundert es mich schon
sehr, dass die Abgeordneten der Linken offensichtlich
die einzigen sind, die so etwas wie eine Windfall-
Profit-Tax fordern.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung – das wissen wir aus Recherchen –
hat noch nicht einmal geprüft, wie diese Extragewinne
abzuschöpfen wären. Schade!


(Ulrich Kelber [SPD]: Nein!)


– Sie können ja nachher dazu etwas sagen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Beide Aussagen waren falsch! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Schade, dass Sie nicht lesen können!)


Um Hartz-IV-Empfänger zu schröpfen, entwickeln Sie
mehr Fantasie. Da sind Sie wesentlich schneller. Herr
Gabriel meint, die Extragewinne würden irgendwie
schon dadurch beschnitten, dass die Emissionsgrenze
diesmal niedriger liegt als der tatsächliche Ausstoß.


(Ulrich Kelber [SPD]: So ist es ja auch!)


Dazu sind zwei Dinge zu sagen: Erstens. Die
1,5 Prozent weniger CO2 jährlich, die Sie dem emissions-
handelspflichtigen Sektor abverlangen, stellen sicherlich
keine Revolution dar; zweitens ist es auch nicht logisch,
dass die Energieversorger die künftigen Zertifikatspreise
von vielleicht 20 Euro nun nicht mehr als Opportunitäts-
kosten auf den Strompreis umlegen werden. Das wider-
spricht allen Theorien, die es dazu gerade auch aus kon-
servativen Denkstuben gibt. Dieser Mechanismus hat
noch nicht einmal etwas mit der Oligopolstellung von
RWE, Eon und Vattenfall zu tun. Der Selbstbedienungs-
laden auf Kosten der Stromkunden kann nur durch eine
100-prozentige Versteigerung geschlossen werden. Das
wissen Sie auch alle in diesem Haus.


(Beifall bei der LINKEN)


Blicken wir jetzt nach vorn: Wie wir wissen, musste
die Bundesregierung auf Druck der EU-Kommission
ihre Pläne für die nächste Handelsperiode zurückziehen.
Der neue Plan hat ein deutlich niedrigeres Cap. Das ha-
ben wir gefordert; wir begrüßen das. Statt des lächerli-
chen halben Prozents werden 2008 bis 2012 insgesamt
rund 6,5 Prozent CO2 im Vergleich zur Basisperiode ein-
zusparen sein.

Auch dass die verhängnisvolle Neuanlagen- und
Übertragungsregel weggefallen ist, begrüßen wir.
Schließlich können wir die Signale, die von den Ur-
sprungsplänen der Bundesregierung an die Wirtschaft
ausgesandt wurden, in den Investitionsplänen der Kraft-
werksbetreiber betrachten. Über 40 geplante neue Koh-
lekraftwerke sind dort zu finden. Das wollen wir ändern.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


– Die Pläne liegen vor, Herr Kelber.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Kapazität reicht noch nicht einmal für zehn!)


– Gut, ich habe es registriert. Ich habe nur wenig Rede-
zeit. Sie können später dazu Stellung nehmen. – Wir
wollen zum Beispiel, dass Vattenfall von seinem irrsin-
nigen Plan ablässt, mitten in Berlin ein 800-Megawatt-
Steinkohlekraftwerk zu errichten. Wir wollen einen an-
deren Energiemix.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier gibt es intelligentere Wege. Schweden und Großbri-
tannien haben zum Beispiel einen einheitlichen Bench-
mark; auch das wissen Sie. Wir wollen, dass das auch
bei uns geändert wird. Auf den 10-Prozent-Zuschlag, der
den Betreibern von Braunkohlekraftwerken gewährt
werden soll, wurde schon eingegangen. Auch hier wol-
len wir eine Änderung.

Zum Schluss noch zwei Anmerkungen zum Regie-
rungsentwurf:

Erstens können sich nun die Anlagenbetreiber ein
ganzes Jahresbudget zusätzlicher Emissionen aus dem






(A) (C)



(B) (D)


Eva Bulling-Schröter
Ausland kaufen. Das Limit haben Sie deutlich erhöht.
Sie wissen um die Problematik CDM bzw. JI. Wir müs-
sen darüber noch einmal diskutieren. Das kann auch eine
gefährliche Sache werden; denn hier kann einiges aus
dem Ruder laufen.

Zweitens ist im neuen Zuteilungsgesetz kein Mecha-
nismus mehr vorgesehen, der Stilllegungsprämien und
Scheinbetrieb verhindert. Wer nächstes Jahr eine Anlage
stilllegt, der erhält noch für fünf Jahre Emissionsrechte,
kassiert also gutes Geld.

Das heißt, der Entwurf muss überarbeitet werden. Wir
wollen so gut wie möglich sein. Insbesondere über die
Dreckschleudern in Form von Braunkohlekraftwerken
– darauf wurde schon verwiesen – muss diskutiert wer-
den. Es gibt auch von Greenpeace eine Studie über die
30 größten Dreckschleudern. Bei denen sind auch deut-
sche Braunkohlekraftwerke vertreten. Wir sollten sehen,
dass diese in den nächsten Publikationen nicht mehr ge-
nannt werden. Deutschland sollte hier eine Vorreiterrolle
einnehmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609811800

Ich erteile das Wort Kollegen Reinhard Loske, Frak-

tion des Bündnisses 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
die Bundesregierung damals den Entwurf des Nationalen
Allokationsplans beschlossen und nach Brüssel ge-
schickt hat, hatten wir vor allen Dringen drei Kritik-
punkte. Erster Punkt: Die Ziele sind zu lasch. Zweiter
Punkt: Die Regelungen sind zu kohlefreundlich. Dritter
Punkt: Von der Möglichkeit, 10 Prozent der Zertifikate
zu versteigern, wird kein Gebrauch gemacht werden.
Das waren, neben vielen kleinen Punkten, unsere Haupt-
kritikpunkte. An dieser Kritik möchte ich nun den heute
eingebrachten Gesetzentwurf messen.

Als Erstes kann man sagen: Die Ziele sind verschärft
worden. Allerdings muss man auch festhalten: Die Re-
gierung musste von Brüssel zum Jagen getragen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Halb, halb!)


Das ist nicht aus eigener Kraft geschehen. Im Gegenteil:
Ihr Minister Glos hat der Regierung sogar empfohlen,
sie solle dagegen klagen. Von Ihrer Seite hat man das er-
wartet. Aber auch der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat
sich öffentlich zu der Äußerung verstiegen, man müsse
ernsthaft erwägen, gegen die Vorschläge der Europäi-
schen Kommission vor den Europäischen Gerichtshof zu
ziehen. Da kann ich nur sagen: peinlich, peinlich, pein-
lich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Hat er so nicht gesagt!)


– Doch, das hat er gesagt. Lesen Sie die Korrespondenz
zwischen den Umweltverbänden und dem Ministerpräsi-
denten des Landes Rheinland-Pfalz nach. Dann werden
Sie feststellen, dass er das gesagt hat.

Schließen wir den ersten Punkt aber ab und stellen
wir fest: Die Ziele sind angepasst. Das ist gut so.

Zweitens zu der Kritik, die Regelungen seien zu koh-
lefreundlich. Gut ist, dass die vorgesehene Regelung, die
Kohlekraftwerke für 14 Jahre von jeglicher Minde-
rungsverpflichtung zu befreien, wenn sie einmal gebaut
sind, von Brüssel kassiert worden ist. Auch das haben
Sie nicht aus eigener Kraft beschlossen, sondern das hat
die Kommission Ihnen vorgeschrieben. Ich will mich
deswegen bei der Europäischen Kommission ausdrück-
lich für ihre Beharrlichkeit in dieser Sache bedanken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Die Idee mit den 14 Jahren war aber von Jürgen Trittin!)


Jetzt kommen wir zu dem, was Sie stattdessen vor-
schlagen, dem Benchmarksystem. Die Kohleprivile-
gien bleiben, und zwar auf mehrerlei Weise. Zum einen
soll es zwei Benchmarks geben, einen für Gas und einen
für Kohle. Das heißt, durch das Benchmarksystem geben
Sie keinerlei Anreiz zum Brennstoffwechsel, weg von
kohlenstoffreichen hin zu kohlenstoffarmen oder koh-
lenstofffreien Energieträgern. Das ist vollkommen
falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Gegenteil: Es ist sogar so, dass Sie der Kohle, also
derjenigen fossilen Energieform, die besonders klima-
schädlich ist, zweimal so viel Emissionsrechte einräu-
men wie dem Erdgas. Was das mit Klimaschutz zu tun
haben soll, ist mir absolut schleierhaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir fordern deshalb den gleichen Benchmark für alle.
Strom ist Strom; deswegen muss der Benchmark gleich
sein. Durch das, was Sie jetzt machen, schalten Sie das
Preissignal praktisch aus. Das muss man ganz klar sa-
gen.

Das ist für sich genommen schon schlimm genug. Ihr
Minister hat gesagt, er habe es geschafft, sozusagen ge-
gen das Begehren des Wirtschaftsministers die geforder-
ten Braunkohleprivilegien zu verhindern. Wenn man
sich aber den Gesetzestext einmal genau anschaut und
das Kleingedruckte liest, dann wird man feststellen, dass
Sie Braunkohleprivilegien durch die Hintertür einführen,
also faktisch noch einen dritten Benchmark, und zwar in
Form der Betriebsstunden, Sonderbehandlungen im Rah-
men der sogenannten anteiligen Kürzung usw.; ich will
dem Publikum eine Beschreibung der Details ersparen.
Das ist noch schlimmer, da Sie auf diese Weise der kli-
maschädlichsten Form, nämlich der Braunkohle, sogar
einen Zuschlag geben. Wie das mit Klimaschutz zusam-
menpassen soll, verstehen wir nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Jetzt hören wir sogar von einigen SPD-Abgeordneten
– diese sind relativ zurückhaltend –, aber vor allen Din-






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Reinhard Loske
gen von Unionsabgeordneten wie zum Beispiel dem
Kollegen Vaatz, der hier in der ersten Reihe sitzt, oder
von der Kollegin Reiche aus Brandenburg, das wolle
man so nicht akzeptieren, man wolle für die Braunkohle
noch ein bisschen mehr herausholen. Das ist mir wirk-
lich vollkommen schleierhaft. Wir machen hier einen
Klimaschutzplan und nicht einen Förderplan zum Neu-
bau von Braunkohlekraftwerken. Das müssen Sie end-
lich begreifen; das halte ich für sehr wichtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Laut Liste der Bundesnetzagentur sind über 40 neue
Kraftwerke geplant, für Braunkohle, Steinkohle und
Erdgas. Ein kleines Gedankenexperiment: Wenn diese
Kraftwerke alle gebaut würden, dann hätten wir allein
durch diesen Kraftwerkspark im Jahr 2050 einen CO2-
Ausstoß von 170 Millionen Tonnen. Wir haben uns aber
vorgenommen – im Wesentlichen alle gemeinsam –, den
CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 von der 1 Milliarde
Tonnen, die wir 1990 hatten, auf 200 Millionen Tonnen
zu senken. Das heißt: Fast 90 Prozent des gesamten
Emissionsvolumens, das im Jahre 2050 noch verfügbar
wäre, würde durch Kraftwerke absorbiert. Auf den Be-
reich Verkehr, Haushalte und Dienstleistungen würde
der kleine Rest entfallen. Das ist doch absolut unver-
ständlich. Das müssen Sie selber einsehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist rechnerisch völlig falsch!)


Herr Kelber, bei Ihnen finde ich eines ein bisschen
problematisch: Mit einem Augenzwinkern geben Sie zu,
dass es diese Kraftwerksplanung bei der Bundesnetz-
agentur gibt. Aber Sie fügen hinzu, dass diese Kraft-
werke sowieso nicht gebaut werden.


(Ulrich Kelber [SPD]: Nein! Darum geht es nicht!)


Ich halte mich an das, was vorliegt. Ich weiß, was auf
der RWE-Aktionärsversammlung besprochen worden
ist. Diese Investmentpläne liegen tatsächlich vor; es han-
delt sich nicht um Fiktion.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die kriegen die Zertifikate doch gar nicht ausgeliefert!)


Sie müssen sich schon entscheiden, Herr Kelber. Auf
der einen Seite treten Sie für den Klimaschutz ein, und
auf der anderen Seite machen Sie bei der Kohle die Tü-
ren ganz weit auf. Das passt nicht zusammen.


(Beifall der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich möchte noch auf folgende Ungereimtheit einge-
hen; leider haben wir heute nicht die Zeit, darüber aus-
führlich zu diskutieren. Es geht um CO2-freie Kohle-
kraftwerke und die CCS-Technologie. Viele glauben,
diese Technologie sei vielversprechend. Ich gebe zu,
dass ich da skeptisch bin; denn ich glaube, dass wir bes-
sere Technologien haben. Wenn aber diese Technologie
angeblich so vielversprechend ist, dann sollten keine
neuen Kohlekraftwerke ohne diese Technologie gebaut
werden. Das halten wir für einen vernünftigen Vor-
schlag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann aber nicht so vorgehen, dass man erst ein-
mal die neuen Kohlekraftwerke baut und sie dann später
nachrüstet, einmal ganz abgesehen davon, dass das sehr
teuer und volkswirtschaftlich die schlechteste Lösung
wäre. Ich möchte den sehen, der dann sagt: Wir schalten
diese Kraftwerke ab. Die Konzerne müssen wissen, dass
wir mit dem Klimaschutz ernst machen und dass sie
richtig viel Geld in den Sand setzen, wenn sie in Kohle-
kraftwerke massiv investieren. Das kann nicht in deren
Interesse liegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Ich komme zum letzten Punkt. Alle sind einvernehm-
lich dafür, 10 Prozent der Zertifikate zu versteigern. Das
ist sehr gut; wir sind hundertprozentig dafür. Sie, lieber
Kollege Kauch, haben in Richtung SPD gesagt, sie wolle
das Geld für die Finanzierung vielerlei Dinge ausgeben.
Aber Ihr Vorschlag, die Einnahmen aus der Versteige-
rung von 10 Prozent der Zertifikate für die Senkung der
Stromsteuer für die Industrie aufzuwenden, bringt über-
haupt nichts. Es wäre zum einen eine sehr geringe Sen-
kung, und zum anderen ist die Industrie bei der Öko-
steuer schon massiv entlastet worden. Sie braucht nicht
noch zusätzliches Geld aus dieser Versteigerung. Das ist
einfach nicht notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Josef Göppel [CDU/CSU])


Wofür wir aber sehr viel Geld brauchen, ist die Inves-
tition in Energieeinsparung und Stromeinsparung. Ich
erinnere mich noch sehr gut, wie Minister Gabriel mich
in der Vergangenheit durch den Kakao gezogen hat. Er
sagte, die Grünen wollten nur zusätzliches Geld eintrei-
ben. Ich sehe mit einer gewissen Freude, dass er das jetzt
selber vorschlägt. Dazu kann ich nur sagen: Gut so!

Ich komme zum Schluss und fasse zusammen. Ers-
tens. Wir müssen klare Ziele haben: bis zum Jahr 2020
minus 40 Prozent. Zweitens. Wir wollen, dass die Koh-
leprivilegien verschwinden und werden entsprechende
Vorschläge machen. Drittens. Lassen Sie uns gemeinsam
die Versteigerung von 10 Prozent der Zertifikate durch-
führen, damit wir 2013 Richtung 100 Prozent gehen
können.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andreas Jung [Konstanz] [CDU/CSU])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609811900

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem

Kollegen Arnold Vaatz.






(A) (C)



(B) (D)


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1609812000

Herr Kollege Loske, ich möchte mich kurz zu Ihrer

Bemerkung äußern, wonach ich bestrebt sei, für die
Braunkohle noch etwas mehr herauszuholen.

Die CO2-Einsparungen, die es zwischen 1990 und
heute gab, entfielen zu etwa 80 bis 90 Prozent auf Ost-
deutschland.


(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Die Zahl der ehemals 135 000 Beschäftigten im Bereich
der Braunkohle und der Energieversorgung wurde inner-
halb von fünf Jahren um rund 90 Prozent reduziert. Das
ist die Realität. Es gibt in diesem Bereich jetzt noch
15 000 Beschäftigte.

Gegenüber diesem Personalabbau hält, was die Ge-
schwindigkeit angeht, der Personalabbau in den Stein-
kohleregionen Westdeutschlands keinem Vergleich
stand. Ich weigere mich daher, zuzustimmen, dass die
letzten Braunkohleregionen in Ostdeutschland – der
Großraum Leipzig und die Oberlausitz –, die teilweise
mit nagelneuen Kraftwerken ausgerüstet sind bzw. mit
Kraftwerken, die Mitte der 90er-Jahre mit enormen Mit-
teln durch Rauchgasentschwefelungsanlagen nachgerüs-
tet worden sind, mittelfristig keine Perspektive mehr ha-
ben sollen.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die haben eine Perspektive!)


Allein darum geht es mir.

Weiterhin halte ich Ihre Vorstellung, man könne aus
der CO2-erzeugenden Energieherstellung ganz und gar
aussteigen, für Demagogie. Ich halte diese Auffassung
für nicht ehrlich, weil Sie die Hauptschrittmacher beim
Ausstieg aus der Kernenergie waren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609812100

Bitte, Kollege Loske.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke, Herr Präsident. – Meine Erwiderung bezieht
sich auf zwei Punkte. Es ist richtig, dass der Erfolg bei
der deutschen CO2-Minderungspolitik im Wesentlichen
auf CO2-Einsparungen in den neuen Bundesländern
zurückzuführen ist, und zwar vor allem aufgrund der
Modernisierung der Gebäude und des Zusammenbruchs
der Industrie.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Und die Nachrüstungen!)


– Moment, jetzt bin ich an der Reihe.

Im Jahre 1990 wurden – das weiß ich zufällig, weil
ich diese Zahlen schon einmal herausgesucht habe – in
den neuen Bundesländern ungefähr 300 Millionen Ton-
nen Rohbraunkohle gefördert. Sie wurden zu einem
Drittel in den Kraftwerken und zu zwei Dritteln für den
Hausbrand eingesetzt. Der Löwenanteil der Reduktion
der CO2-Emissionen ist durch die Substitution des Haus-
brandes in Form von Braunkohle durch andere Energie-
träger, nämlich Öl und Gas, erreicht worden. Das heißt,
da ist am meisten eingespart worden. Die zweitgrößte
Menge ist durch den Kollaps der Industrie zusammenge-
kommen und die drittgrößte Menge durch die Erneue-
rung des Kraftwerkparks. – Das sind die Zahlen. Da soll-
ten Sie schon sauber bleiben.

Ich erkenne ausdrücklich an, dass im Osten eine
Menge gemacht worden ist. Wir alle in diesem Haus wa-
ren daran beteiligt; denn wir haben die Mittel bewilligt.
Aber diese Einsparungen sind nicht auf die Sonderleis-
tungen der Elektrizitätswirtschaft zurückzuführen. Das
muss man als Erstes festhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mein zweiter Punkt betrifft die Braunkohle. Wir
müssen den Realitäten ins Auge schauen. Wenn wir den
Klimaschutz ernst nehmen, dann müssen wir festhalten,
dass die Braunkohle der CO2-intensivste Energieträger
ist; das wissen auch Sie. Pro erzeugte Kilowattstunde
stößt Gas 365, Steinkohle 750 und Braunkohle ungefähr
950 Gramm CO2 aus.


(Ulrich Kelber [SPD]: Bei neuen Kraftwerken!)


Letzteres ist praktisch zweieinhalbmal so viel wie beim
Erdgas. Sollen wir da die Braunkohle privilegieren? Es
geht hier darum, ob sie privilegiert werden soll oder
nicht. Wir sagen, es soll eine Gleichbehandlung geben.

Lieber Herr Vaatz, wenn ich für eines nicht bekannt
bin, dann dafür, dass ich Demagogie betreiben würde.
Ich argumentiere Ihnen gegenüber gern und akzeptiere
Ihre Argumente. Aber wenn ich mir vorstelle, dass wir
bis Mitte des Jahrhunderts eine CO2-freie Energiewirt-
schaft hinbekommen können, dann hat das nichts mit
Demagogie zu tun, sondern mit der Überzeugung, dass
das möglich ist. Ich lege allergrößten Wert darauf, dass
das mit Demagogie wirklich nichts zu tun hat.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609812200

Ich erteile das Wort Kollegen Marco Bülow, SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marco Bülow (SPD):
Rede ID: ID1609812300

Herr Präsident! Liebe Damen und Herren! In der letz-

ten Woche gab es eine sehr gute Nachricht vom Welt-
klimarat, der uns bestätigt hat: Wir können den Klima-
wandel begrenzen. Die zweite gute Nachricht ist: Wir
können dies mit den heutigen Technologien und zu ak-
zeptablen Kosten tun, aber natürlich nur dann – auch
dieses Aber steht in dem entsprechenden Bericht; dies
muss man auf jeden Fall hinzufügen –, wenn wir uns än-






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
dern, wenn wir ambitionierter vorgehen und unsere In-
strumente geschärft werden und wirksamer sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Emissionshandel, so wie er bisher funktioniert,
trägt nicht dazu bei – so ehrlich und selbstkritisch muss
man sein –, dass wir unsere Klimaschutzziele erreichen.
Er wird auch nicht dazu beitragen, den Klimawandel zu
begrenzen. Deswegen ist das, was wir jetzt vorgelegt ha-
ben, deutlich ambitionierter. Ich glaube, wir sind auf
dem richtigen Weg, wenn wir unsere Ziele ernst nehmen.

Herr Kauch, Sie haben es als scheinheilig bezeichnet,
dass die SPD Fehler in Bezug auf den Emissionshandel
in der vergangen Zuteilungsperiode zugegeben hat. Ich
nenne das einen Lernprozess; Sie bezeichnen es als
Scheinheiligkeit. Es wäre eher fair, zu sagen, dass wir
dazulernen und uns verbessern.

Aber nun zur FDP. Ich kann mich nicht daran erin-
nern, dass die FDP in Nordrhein-Westfalen – aus die-
sem schönen Land stammen ja auch Sie – große Pläne
hat, den Kohleeinsatz zu begrenzen bzw. zu beenden.
Dazu kenne ich keinen Antrag der FDP, nur dazu, was
die heimische Steinkohle angeht. Ich freue mich schon
darauf – Sie sind ja Chef der Dortmunder FDP –, dass
die Dortmunder FDP demnächst im Landtag Nordrhein-
Westfalen einen Antrag einbringt, in dem sie fordert, den
Kohleeinsatz zu begrenzen, um dem Klimawandel zu
begegnen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ulrich Kelber [SPD]: Von der Landesregierung vor allem!)


Das noch einmal zur Scheinheiligkeit.

Wir müssen zusehen, dass wir die ambitionierten
Pläne, die wir vorgelegt haben, auch wirklich durchzie-
hen und nichts mehr verwässert wird und auch nichts
hinzukommt. Es gibt Sonderregelungen – viele sind an-
gesprochen worden –, bei denen auch ich der Meinung
bin, dass sie nicht unbedingt notwendig sind. Ich glaube
jedoch, dass sich das Gesamtwerk sehen lassen kann.
Aber das ist das Ende der Fahnenstange; das muss man
sagen. Ansonsten werden wir die Ziele, die wir uns ge-
steckt haben, nicht erreichen.

Zur Versteigerung ist schon vieles gesagt worden.
Ich will nur noch eines ergänzen: Ich glaube, dass es
richtig ist, jetzt eine Versteigerung auf kleinem Niveau,
also 10 Prozent, einzuführen, um Erkenntnisse für die
nächste Handelsperiode – für diese zeichnet sich schon
eine Einigkeit ab, 100 Prozent zu versteigern – zu sam-
meln, um zu üben und um Kinderkrankheiten auszuräu-
men. Dann können wir bei der nächsten Versteigerung
zielgenau sein. Auch deswegen ist es wichtig, jetzt damit
zu beginnen und ein Signal an die Europäer zu geben,
dass dies möglichst überall passiert.

Bei allem Ehrgeiz und allen Ambitionen, die wir ha-
ben, muss man, weil es leider immer wieder konterka-
riert wird, immer wieder betonen, dass das Klima alleine
durch den Emissionshandel nicht gerettet werden kann.
Wir brauchen eine weitere Förderung der erneuerbaren
Energien.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir brauchen eine deutliche Steigerung der Energieeffi-
zienz. Wir müssen darauf achten, dass die vorhandenen
Wälder nicht weiter abgeholzt werden, sondern dass es
einen verträglichen, nachhaltigen Umgang mit diesen
Wäldern gibt. Ansonsten werden wir unsere Ziele nicht
erreichen. Man sollte diese Instrumente nicht gegenei-
nander aufrechnen. Wir brauchen alle Instrumente, um
die Klimaschutzziele zu erreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sowohl die Politik und die Verbraucher als auch die
Wirtschaft müssen mithelfen, dies zu erreichen.

Ich glaube, dass schon eine Menge geschafft wurde.
Herr Kelber hat recht, wenn er sagt, dass wir jetzt einen
Wettbewerb der Instrumente gestalten müssen. Ich
möchte auf nur einen Punkt eingehen. Ich bin froh, dass
es in der Union immer mehr Kolleginnen und Kollegen
gibt, die den Klimaschutz ernst nehmen und voranbrin-
gen wollen. Ich bitte diese Kolleginnen und Kollegen in
der Union noch einmal eindringlich, auf das Wirtschafts-
ministerium zuzugehen. Denn zu den Vorschlägen, wie
das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz geändert werden soll
– die habe ich gestern gehört –, kann ich nur sagen: Das
ist eine Lachnummer. Dann ändert sich leider nichts.
Kraft-Wärme-Kopplung ist die beste und wichtigste
Effizienztechnologie, die wir haben. Wir werden sie
brauchen, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen.
Deswegen appelliere ich noch einmal: Sprechen Sie mit
Ihrem Ministerium, damit sich dort etwas tut.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der Abg. Eva BullingSchröter [DIE LINKE])


Ich glaube, dann kommen wir einen großen Schritt wei-
ter. Dann wird auch die Opposition anerkennen, dass wir
unsere Ziele ernst meinen und die Instrumente besitzen,
um sie zu erreichen.

Ich möchte noch einmal auf unsere Verantwortung
eingehen. Denn ab und zu wird gefragt, ob wir überhaupt
eine Verantwortung haben, wie wir sie wahrnehmen
können und warum wir überhaupt noch etwas tun sollen,
wenn die Schwellenländer aufholen. Ich möchte noch
einmal deutlich machen: In Deutschland haben wir un-
gefähr einen Pro-Kopf-Ausstoß in Höhe von über
10 Tonnen CO2; manche gehen sogar schon von
12 Tonnen pro Kopf aus. In Afrika liegt der CO2-Aus-
stoß bei ungefähr 0,5 Tonnen pro Kopf pro Jahr.
Deutschland – Herr Kelber hat die Zahl schon einmal ge-
nannt – stößt mehr CO2 aus als alle Afrikaner zusam-
men. Da soll mir noch einer sagen, wir hätten keine be-
sondere Verantwortung.

Die Afrikaner sagen natürlich zu recht: Wir wollen
euren Standard. Keiner von uns kann guten Gewissens






(A) (C)



(B) (D)


Marco Bülow
sagen, dass sie ihn nicht haben dürfen. Das Einzige, was
wir machen können, ist, mit gutem Beispiel voranzuge-
hen, damit wir ihnen sagen können, dass es bei ihnen gar
nicht so weit kommen darf. Ich meine jetzt natürlich
nicht nur Afrika, sondern auch China und alle anderen
Länder, gerade diejenigen mit hohen Wachstumsraten.
Aber um dies zu verhindern, müssen wir Vorbild sein
und ihnen neue Technologien anbieten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Ich möchte noch einmal erläutern, wie dramatisch die
Situation gerade in Afrika ist. Gerade die Afrikaner
werden nämlich die Leidtragenden sein. Hinsichtlich un-
seres 2-Grad-Zieles hat man manchmal das Gefühl, dass
eine Erwärmung um 2 Grad nicht viel ausmacht. Das
stimmt aber nicht. Schon das wird dramatische Verände-
rungen mit sich bringen. Das betrifft nicht nur den Kili-
mandscharo, auf dem dann kein Eis mehr sein wird. Das
wäre vom Aussehen des Berges her vielleicht noch zu
ertragen, aber das Eis und das Schmelzwasser werden
den Menschen in der Gegend, die davon leben, fehlen.

Aber es geht noch weiter: Die Menschen in Afrika
werden große Ernährungsprobleme bekommen. Im letz-
ten Klimabericht wird noch einmal deutlich gemacht,
dass eine Erwärmung um 2 Grad dazu führen kann, dass
die landwirtschaftliche Produktion um 50 Prozent zu-
rückgehen und die Ernährungsproblematik in Afrika zu-
nehmen wird. Das ist eine große Herausforderung. Des-
halb haben wir als Europäer und auch als Deutsche die
Verantwortung voranzugehen. Deswegen ist der Emis-
sionshandel dringend notwendig und als wichtiges und
scharfes Instrument unabdingbar für den Klimaschutz.

Als Letztes lassen Sie mich auf etwas eingehen, über
das ich mich in dieser Woche sehr geärgert habe. Ich
meine den unsäglichen „Spiegel“-Bericht, in dem ver-
sucht wird, die letzten Menschen, die den Klimawandel
noch anzweifeln, hervorzuholen. Da erdreistet sich ein
Biologe, zu sagen: „Je wärmer ein Lebensraum ist, desto
artenreicher ist er“, und der Spiegel greift das auch noch
auf. Komisch ist nur, dass dieser Biologe es versäumt
hat, zu erwähnen, dass die Sahara um ein Vielfaches hei-
ßer als die Regenwälder ist. Komisch, dass es dort viel
weniger Arten gibt. Nein, der Artenreichtum hat zwar
auch mit der Temperatur zu tun, er hat aber vor allen
Dingen mit Niederschlag zu tun. Und der Niederschlag
wird im Zuge des Klimawandels zurückgehen, gerade in
Regionen wie dem Regenwald. Deswegen möchte ich
diese Verballhornung in den Medien nicht mehr hören
und lesen. Die Medien haben ebenso wie wir Politiker
eine Verantwortung dafür, die Wahrheit zu sagen und
nicht alles kleinzureden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Nie mehr „Spiegel“!)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609812400

Ich erteile das Wort Kollegen Georg Nüßlein, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1609812500

Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Es

ist in der Tat so, dass wir uns in den vergangenen Wo-
chen und Monaten auf die Ziele geeinigt haben, und
zwar nicht nur auf nationaler, sondern auch – das halte
ich für besonders wichtig – auf europäischer Ebene.

Herr Kelber, wir begeben uns gerne in einen Wett-
streit um die besten Instrumente, weil wir wissen, dass
den Worten nun auch Taten folgen müssen. In vielen Be-
reichen befinden wir uns, wie ich meine, auf einem sehr
guten Weg. Der Kollege Jung hat es bereits skizziert.
Das gilt im Übrigen auch für das lange umstrittene
Thema Wärmegesetz. Ich persönlich freue mich sehr
darüber.


(Ulrich Kelber [SPD]: Treffen wir uns nächste Woche?)


– Das ist nicht der Platz, um Termine auszumachen, Herr
Kollege.


(Ulrich Kelber [SPD]: Dann nach der Debatte!)


Herr Kelber, da Sie die Diskussion so offensiv eröff-
net haben, kann ich mir eine Bemerkung leider nicht ver-
kneifen: Wenn Sie so ideologiefrei mit uns über das
Thema Kernenergie reden würden, wie man bei uns in
der Mehrheit mittlerweile über das Thema erneuerbare
Energien diskutiert,


(Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja auch ein Unterschied! Ein gewaltiger!)


dann würden wir in Sachen Klimaschutz einen ganz ent-
scheidenden Schritt vorankommen und könnten im Er-
gebnis sehr viel mehr bewegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist für Sie kein Unterschied? – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann ist denn Fotovoltaik eine Risikotechnologie?)


Ich möchte an dieser Stelle keine Kernenergiedebatte
führen, sondern mit Ihnen über den europäischen Emis-
sionshandel reden. Ich meine, dass das ein sehr wichti-
ges Instrument ist, weil es im Unterschied zu dem, was
heute schon mehrfach angesprochen worden ist, das ein-
zige internationale Instrument ist. Wir brauchen ein sol-
ches internationales Instrument aus folgendem Grund:
Deutschland hat im Jahr 2004 848,6 Millionen Tonnen
CO2 emittiert. Von 2003 bis 2004 sind die Emissionen in
China um 1 Milliarde Tonnen gewachsen. Der Anstieg
war also höher als die gesamten Emissionen in Deutsch-
land.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das sind auch 1,3 Milliarden Menschen!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Georg Nüßlein
– Ja. – Deshalb ist dieses Problem nicht auf nationaler
Ebene zu lösen, im Übrigen auch nicht auf europäischer
Ebene. Der Anteil Europas an den Gesamtemissionen
aus fossilen Brennstoffen beträgt nämlich nur
15,2 Prozent.

Die Frage wird sein, wie wir die Schwellenländer mit
ins Boot bekommen. Das geht meiner festen Überzeu-
gung nach nur, wenn wir zeigen können, dass Wohlstand
und Wachstum vorangebracht werden können und
gleichzeitig Klimaschutz möglich ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Zeigen Sie das mal!)


Deshalb sind die Erwägungen und Abwägungen der
Union in diesem Zusammenhang richtig. Wir müssen
zeigen, dass Ökonomie und Ökologie in Zukunft keine
Gegensätze mehr sein werden, dass wir die Dinge zuei-
nander bringen. Auf diese Art und Weise können wir an-
dere Länder auf unsere Seite ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir werden damit aber nur Erfolg haben, wenn
Wachstum möglich ist und der Emissionshandel sinnvoll
gestaltet wird. Weil der Emissionshandel ein komplexes
Instrument ist, ist das gar nicht so einfach. Eine zentrale
Voraussetzung dafür ist, dass wir das Energieoligopol in
diesem Land aufbrechen, an dieser Stelle Wettbewerb
schaffen. Sonst wird weiter eingepreist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sind die Bemühungen von Michel Glos so ent-
scheidend.

Lassen Sie mich etwas zu einem Thema sagen, das
wir in diesem Gesetz noch nicht wiederfinden: zu den
Auktionen. Ich meine, die kostenlose Zuteilung der
Emissionsrechte war ein Sündenfall: Wir implementie-
ren ein marktorientiertes System, sind aber nicht willens,
uns in Richtung Auktion zu bewegen. Das ist system-
widrig.


(Beifall des Abg. Michael Kauch [FDP])


Wir müssen dem Beispiel anderer Länder folgen – wir
stehen da nicht an der Spitze der Bewegung –: In Ungarn
und Irland gibt es bereits Auktionen, in Litauen und Dä-
nemark hat man sich immerhin bereit erklärt, solche
durchzuführen. Ich sage, gerichtet an die Kolleginnen
und Kollegen, die an dieser Stelle noch skeptisch sind,
die fürchten, dass bei uns die Preise steigen: Die Interna-
lisierung externer Kosten bewirkt natürlich einen Preis-
druck; aber unsere großen Vier haben bereits eingepreist.
Deshalb finde ich es provokant, wenn die jetzt drohen,
diese Opportunitätskosten ein zweites Mal einzupreisen.
Wenn dem so wäre, dann wäre es vollkommen wurscht,
ob wir auktionieren oder nicht:


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Genau!)


Die werden die Preise erhöhen, solange das geht. Auf
diese Herrschaften sollte man deshalb nicht hören.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Da hat er recht!)

Einige sagen, eine Auktionierung könnte wieder die
Falschen treffen. Doch erstens berücksichtigen wir die
Klein-Emittenten bei der Zuteilung schon jetzt: Ihnen
wird ohne Minderung zugeteilt. Das heißt, man kann sie
ohne Probleme außen vor halten. Zweitens können wir
darüber diskutieren, wie man die KWK bei der Auktio-
nierung berücksichtigt, Herr Bülow. Deshalb macht es
durchaus Sinn, wie wir das tun wollen, die ganzen Maß-
nahmen integriert zu sehen. Drittens möchten wir alles
tun, um Dezentralität und erneuerbare Energien zu för-
dern. Deshalb sollte man insbesondere den Mittelstand
und die Stadtwerke in diese Richtung bewegen.

Nun gibt es eine Diskussion über die Verwendung der
Erlöse. – Es ist bei uns üblich, dass das Fell des Bären
verteilt wird, bevor er erlegt ist. – Dazu möchte ich nur
sagen: Wenn man optimistisch ist und bei einer Verstei-
gerung von 10 Prozent der Emissionsrechte von einem
Erlös von 600 Millionen Euro ausgeht, dann kommt man
– wir haben einen Verbrauch von 547 Milliarden Kilo-
wattstunden im Jahr – auf einen tausendstel Euro pro Ki-
lowattstunde, den manche von uns an die Verbraucherin-
nen und Verbraucher zurückgeben wollen. Für den
Dreipersonenmusterhaushalt, der 3 500 Kilowattstunden
im Jahr verbraucht, sind das 3,50 Euro pro Jahr. Ich sage
das in dieser Deutlichkeit, um zu zeigen, wie scheinhei-
lig diese Forderungen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Stromsteuer und die Mehrwertsteuer machen dage-
gen 15,45 Euro aus; wenn man die Konzessionsabgabe
hinzunimmt, kommt man auf 20,70 Euro. Wer für den
Standort Deutschland etwas tun will, muss an dieser
Stelle ansetzen und nicht immer bei den erneuerbaren
Energien, bei KWK oder beim Emissionshandel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie uns gemeinsam darüber nachdenken, wie
man dieses Geld so verwendet, dass man damit unser ge-
meinsames Ziel, den Klimaschutz, fördert und dem Ver-
braucher vielleicht durch Energieeffizienz etwas zurück-
gibt. Wir haben in den nächsten Wochen noch Zeit, diese
Diskussion miteinander zu führen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das müssen wir auch, abschließend!)


Wir sollten nicht so tun, als ob die eine Seite wolle und
die andere Seite nicht – sonst kommt die Replik beim
Thema Kernkraftwerke.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Ulrich Kelber [SPD]: Das haben wir ja ausgeschlossen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609812600

Das Wort hat nun Kollege Rolf Hempelmann, SPD-

Fraktion.






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1609812700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das waren

doch ermutigende Worte am Schluss. Insofern war es
vielleicht nicht ganz verkehrt, dass einige Kollegen der
SPD-Fraktion neben vielen Zeichen der Gemeinsamkeit
einmal deutlich gemacht haben, dass wir, was das Errei-
chen der Ziele durch entsprechende Instrumente angeht,
ein bisschen ungeduldiger als manche beim Koalitions-
partner sind.

Ich habe zumindest in dieser Debatte über das Zutei-
lungsgesetz im Emissionshandel sozusagen das letzte
Wort – endlich einmal.

Wir haben in den letzten Jahren viele Instrumente ge-
schaffen – schon unter Rot-Grün, aber auch in der Gro-
ßen Koalition –, um Klimaeffekte zu erzielen und insbe-
sondere CO2 einzusparen. Einige haben großen Erfolg,
wie das EEG. Mit dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz
hatten wir immerhin Teilerfolge. Daneben sind auch ver-
schiedene Marktanreizprogramme – zuletzt das Gebäu-
desanierungsprogramm – und die Entscheidungen zu
den Biokraftstoffen zu nennen.

Das Instrument, das bisher nicht so erfolgreich war
– auch das ist deutlich geworden –, ist der Emissions-
handel. Nun lassen wir die Kirche aber im Dorf: Das
darf eigentlich auch niemanden wirklich wundern. Wir
haben damit etwas völlig Neues angepackt.

In der ersten Handelsperiode haben wir, bezogen auf
Gesamteuropa, sehr bewusst gesagt, dass wir kostenlos
zuteilen müssen, weil man ansonsten ein solch neues In-
strument überhaupt nicht durchsetzen kann. Es war auch
klar, dass dies sozusagen eine Übungs- und Lernphase
sein würde.

Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir mit der zweiten
Handelsperiode sehr viel erfolgreicher sein werden. Da-
bei ist mir ehrlich gesagt ziemlich gleichgültig, wer
mehr dazu beigetragen hat, dass wir jetzt einen sehr am-
bitionierten Cap von 453 Millionen Tonnen haben. Es
gibt erhebliche Vereinfachungen und weniger Ausnah-
meregelungen in diesem neuen System. Daneben wurde
in der Tat eine Umstellung von Übertragungsregelungen
auf ein Benchmarksystem vorgenommen; das ist ange-
sprochen worden.

Man muss sagen, dass sich die Kritik der Europäi-
schen Union nicht darauf bezog, dass durch diese Über-
tragungsregelungen etwa ein Energieträger bevorzugt
wird. Das war überhaupt nicht der Kritikpunkt. Die Kri-
tik lautete, dass hier Regelungen getroffen wurden, de-
ren Bindungswirkung viele Jahre über eine Handels-
periode des Emissionshandels hinausreicht. Deswegen
mussten hier Veränderungen vorgenommen werden.

Ich stehe ausdrücklich dazu und habe auch Sympa-
thien für das, was der Herr Kollege Vaatz hier vorgetra-
gen hat,


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das glaube ich!)


dass wir nämlich immer mehreren Zielen verpflichtet
sind. Ein wichtiges Ziel ist der Klimaschutz bzw. die Re-
duzierung von CO2-Emissionen. Wir müssen aber auch
andere Ziele im Auge behalten. Wir wollen mit dem
Emissionshandel kein Deindustrialisierungsprogramm in
Deutschland,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und Beifall bei der CDU/CSU)


und wir wollen in Deutschland auch keinen Vollausstieg
aus der Nutzung von fossilen Energieträgern.

Das hat einen ganz simplen Grund, der nicht allein
Deutschland betrifft; vielmehr ist er global. Wir in
Deutschland müssen zum globalen Klimaschutz einen
anderen Beitrag leisten als zum Beispiel Frankreich.
Deswegen müssen wir beweisen, dass man auch in In-
dustrieländern Klimaschutz so betreiben kann, dass das
Ganze ökonomisch interessant ist. Ich glaube, mit dem,
was wir auf den Tisch gelegt haben, gelingt uns das.

Wir werden nachweisen, dass wir in den nächsten
Jahren ganz alte „Mühlen“ vom Netz nehmen können.
Wir werden ja keine neuen bauen, um die alten am Netz
zu lassen, sondern mit dem von uns vorgelegten System
wird es uns gelingen, neue Braunkohle-, Steinkohle- und
Gaskraftwerke zu installieren und gleichzeitig alte vom
Netz zu nehmen, wodurch unsere Klimabilanz verbes-
sert wird. Deswegen ist das, was hier auf den Tisch ge-
legt worden ist, ein guter Weg.

Damit werden wir auch die Chinesen und Inder moti-
vieren, bei diesem System des Emissionshandels mitzu-
machen – das ist doch unser eigentliches Ziel –, und
auch dafür sorgen, dass sie, wenn sie fossile Energieträ-
ger verstromen, dies mit der neuesten und effizientesten
Technik tun.


(Beifall bei der SPD)


Unser Ziel ist natürlich, dass diese Technik so bald
wie möglich CO2-frei sein wird. Wir wissen nicht hun-
dertprozentig, wie schnell wir das erreichen werden.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das glaube ich auch!)


Es gibt da noch einige technische und rechtliche Restrik-
tionen. Daneben müssen wir sicherlich auch das Pro-
blem der Lagerung gemeinsam lösen. Eines ist klar: Wir
müssen diese Option ernsthaft verfolgen, gleichzeitig
dürfen wir aber andere Pfade nicht aus den Augen verlie-
ren.

KWK ist hier genannt worden. Gerade deswegen ist
es so wichtig, dass wir sehr bald zusammenkommen und
noch einmal prüfen, ob wir innerhalb des Emissionshan-
dels alles ausreizen. Außerhalb des Emissionshandels
müssen wir mit einem vernünftigen Kraft-Wärme-Kopp-
lungsgesetz versuchen, das für die Kraft-Wärme-Kopp-
lung zu tun, was möglich ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir diesen Weg gehen, dann ist viel gewonnen.
Dann schaffen wir in ökonomischer und ökologischer
Hinsicht ein Modell, das auch exportfähig ist. Nichts an-
deres wird von Deutschland erwartet.

Vielen Dank.






(A) (C)



(B) (D)


Rolf Hempelmann

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609812800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/5240 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis c auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Löning, Hans-Michael Goldmann, Michael
Link (Heilbronn), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP

Europäische Transparenzinitiative aktiv un-
terstützen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike
Höfken, Rainder Steenblock, Matthias
Berninger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Forderung der EU nach Transparenz bei
Subventionen im Agrarbereich vollständig
umsetzen und die Neuausrichtung der För-
derung vorbereiten

– Drucksachen 16/2203, 16/2518, 16/5287 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Stübgen
Michael Roth (Heringen)

Markus Löning
Dr. Diether Dehm
Ulrike Höfken

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Matthias Berninger,
Ulrike Höfken, Rainder Steenblock, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN

Forderung der EU nach Transparenz bei Sub-
ventionen für die Wirtschaft vollständig um-
setzen und die Neuausrichtung der Förderung
vorbereiten

– Drucksachen 16/2517, 16/5288 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Stübgen
Michael Roth (Heringen)

Markus Löning
Dr. Diether Dehm
Ulrike Höfken

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Hüseyin-Kenan
Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN

Agrarbeihilfeempfänger offenlegen

– Drucksachen 16/1962, 16/3039 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Georg Nüßlein
Dr. Sascha Raabe
Hellmut Königshaus
Hüseyin-Kenan Aydin
Ute Koczy

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Michael Roth, SPD-Fraktion, das Wort.


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1609812900

Guten Tag, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Denjenigen, die jetzt den Raum verlassen,
wünsche ich ein wunderbares Wochenende. Bei denjeni-
gen, die hierbleiben, bedanke ich mich ganz besonders.
Es gibt sicherlich viel anderes zu tun, aber die Transpa-
renzinitiative der Europäischen Union hat es durchaus
verdient, dass wir uns noch 30 Minuten im Plenarsaal
aufhalten; denn wir haben eine ganze Menge erreicht.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie nicht, dass es mit Ihrem Tagesordnungspunkt getan ist! Schicken Sie nicht alle in einer halben Stunde nach Hause! So geht es nicht!)


– Einige Kolleginnen und Kollegen müssen aus gutem,
nachvollziehbarem Grunde nachsitzen. Aber sehen Sie
es den Europapolitikerinnen und -politikern und den
Landwirtschaftspolitikern unter uns nach, wenn wir uns
nach diesem Tagesordnungspunkt von dannen machen,
weil es im Wahlkreis noch einiges zu erledigen gibt.

Wir haben als Parlament in den vergangenen Wochen
und Monaten für die Bürgerinnen und Bürger und die
Europäische Union eine ganze Menge erreicht; denn
Transparenz schafft Vertrauen. Auf Vertrauen sind wir
alle angewiesen, vor allem die Europäische Union. Nie-
mand muss sich schämen, wenn er für sinnvolle Projekte
Fördermittel der Europäischen Union erhält.


(Beifall bei der SPD)


In der vergangenen Woche hatte ich die Gelegenheit,
mit unserem Staatsminister für Europa meinen Wahl-
kreis zu besuchen. Wir haben sogenannte Mikroprojekte
besichtigt. Dabei handelt es sich um kleine Projekte im
Umweltsektor, im Tourismusbereich oder in der Land-
wirtschaft, die nicht unbedingt viel Geld kosten, aber mit
denen mit LEADER- und LEADER-plus-Mitteln der
Europäischen Union sehr viel für einen eher struktur-
schwachen Raum erreicht wurde. Das kann man den
Bürgerinnen und Bürgern gegenüber auch durchaus of-
fensiv und selbstbewusst vertreten.






(A) (C)



(B) (D)


Michael Roth (Heringen)

Transparenz schafft auch den notwendigen Raum für
Reformen. Denn wir alle wissen, dass es gerade im
Agrarbereich noch viel zu tun gibt. Es kann nicht in un-
serem Sinn sein, dass viele Subventionen zu den großen,
multinational agierenden Agrokonzernen fließen. Wir
sollten darauf achten, dass vor allem die mittelständisch
geprägte, familienorientierte Landwirtschaft in Deutsch-
land und in den Mitgliedstaaten von der EU-Förderung
profitiert.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie mal zum Thema!)


Vor diesem Hintergrund war die Debatte um die Trans-
parenz sicherlich hilfreich.

Es gab Bedenken, vor allem vonseiten der Bundesre-
gierung. Es gab im Landwirtschaftsministerium Beden-
ken,


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nein! Wir unterstützen das!)


aber auch im Wirtschaftsministerium. Ich freue mich,
dass unsere Überzeugungsarbeit Früchte trägt. Zwi-
schenzeitlich sind wir alle auf einem guten Weg. Ein be-
sonderes Dankeschön spreche ich dem Auswärtigen Amt
aus, das sich an die Spitze der Bewegung gestellt hat.


(Heiterkeit des Abg. Kurt Bodewig [SPD])


Denn auf europäischer Ebene haben wir im Sinne des
Deutschen Bundestages die Haushaltsverordnung und
Strukturfondsverordnung geändert. Meines Wissens
wird auch die Agrarfinanzordnung in unserem Sinne ge-
regelt,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn das Landwirtschaftsministerium?)


sodass es keinen Anlass mehr gibt, Kritik zu üben. Inso-
fern verstehe ich nicht, dass die Kolleginnen und Kolle-
gen der Opposition an ihren Anträgen festhalten. Denn
wir haben das erreicht, was wir von Beginn an wollten.

Lassen Sie mich noch einige Erwartungen formulie-
ren. Erstens. Wir müssen darauf achten, dass sich die
Länder kooperativ verhalten. Denn ein Großteil vor al-
lem der Strukturfondsmittel wird nicht vom Bund, son-
dern von den Ländern verwaltet. Wir erwarten, dass die
Länder umgehend und den Vereinbarungen auf EU-
Ebene gemäß die entsprechenden Informationen der Öf-
fentlichkeit zugänglich machen.

Ich bedaure, dass die Agrarfördermittel offensichtlich
erst im Jahr 2009 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht
werden können. Ich erwarte für meine Fraktion auch ein-
heitliche und nutzerfreundliche Standards für die Veröf-
fentlichung. Daher unterstütze ich ausdrücklich die Bun-
desregierung, die fordert, dass die Informationen bei der
EU-Kommission gesammelt werden; denn aus meiner
Sicht liegt es im Interesse der Bürgerinnen und Bürger,
dass es ein Angebot im Internet gibt, bei dem man ent-
sprechende Informationen gebündelt erhalten kann.

Ich bedaure – das sage ich in aller Offenheit –, dass es
neben den vielen Anträgen der Opposition keinen Koali-
tionsantrag gibt. Wir haben uns seitens der SPD-Fraktion
sehr darum bemüht. Aber die Debatten haben uns gehol-
fen, alle unsere Ziele zu erreichen. Deswegen haben wir
kein Problem damit, die Anträge der Opposition abzu-
lehnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und ein schö-
nes Wochenende.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609813000

Ich erteile das Wort Kollegen Markus Löning, FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Markus Löning (FDP):
Rede ID: ID1609813100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es

nicht so kurz vor dem Wochenende wäre! Das ist an Zy-
nismus kaum zu überbieten, lieber Kollege Roth, was
Sie gerade gesagt haben: Alles ist richtig, was die Oppo-
sition fordert. Deswegen müssen wir es ablehnen.


(Kurt Bodewig [SPD]: Der Unterschied ist: Wir haben es gemacht!)


Eines will ich klarstellen: Hier wird die Autorenschaft
des Parlamentes reklamiert und gesagt, wir, das Parla-
ment, hätten sehr viel erreicht. Nein, es ist der liberale
Vizepräsident Siim Kallas, der etwas erreicht hat, weil er
diese Transparenzinitiative auf den Weg gebracht hat. Es
ist die FDP gewesen, die dieses Thema auf die Tagesord-
nung dieses Hauses gesetzt hat.


(Beifall bei der FDP – Martin Zeil [FDP]: Das ist die Spitze der Bewegung!)


Lieber Michael Roth, ihr hättet euch weiter hinter eurem
Koalitionspartner versteckt. Du hast es nicht ausgespro-
chen, aber es war die CSU, die das blockiert hat und
weiterhin versucht, es zu blockieren.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das stimmt ja hinten und vorne nicht!)


Es wurde gesagt, es könne erst 2009 veröffentlicht
werden. Das ist doch eine Lachnummer. Wenn die Ver-
waltungen in der Lage sind, Geld auszuzahlen, dann wis-
sen sie, wer das Geld bekommt und wie viel der Betref-
fende bekommt. Dann zu sagen: „Aus technischen
Gründen ist es nicht möglich, vor 2009 diese Zahlen und
diese Listen zu veröffentlichen“, ist, mit Verlaub, eine
Verarschung der deutschen Öffentlichkeit und des Parla-
mentes.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD – Kurt Bodewig [SPD]: Was für eine Wortwahl! – Michael Roth [Heringen] [SPD]: Nun mal ein bisschen runterkommen! – Dr. Uwe Küster [SPD]: Na, na, na!)


Diese Rede wird mitgeschrieben, abgeschrieben und
Korrektur gelesen. Sie steht morgen früh im Netz, ge-
nauso wie die anderen Reden, inklusive Video. Da soll
mir einer erzählen, es sei nicht möglich, existierende






(A) (C)



(B) (D)


Markus Löning
Listen vor 2009 zu veröffentlichen! Das ist schlichtweg
eine Lachnummer. Der Bundesregierung geht es offen-
sichtlich darum, eine vernünftige und fundierte Debatte
über das Thema Revision der Finanzen der EU zu ver-
hindern, die wir im nächsten Jahr zu führen haben. Das
ist der wahre Grund, warum versucht wird, die Veröf-
fentlichung zu verschieben.


(Beifall bei der FDP)


Ich will sagen, worum es bei dieser Transparenzinitia-
tive geht. Gerade wir Liberale setzen uns immer sehr da-
für ein, dass Betriebsgeheimnisse und die Privatsphäre
geschützt werden. Aber man muss eines sehr klar sehen:
In den letzten Jahren hat sich der Anspruch der Bürger
an die Transparenz staatlichen Handelns deutlich verän-
dert, genauso wie die Einstellung der Bürger zum Staat
und speziell zur EU. Dem müssen wir nachkommen, in-
dem wir unser Handeln transparenter gestalten. Zu oft
beklagen wir, dass die Öffentlichkeit zu viel Misstrauen
gegenüber dem Handeln der EU hat. Diese Initiative will
dem Misstrauen dadurch entgegenwirken, dass sie EU-
Handeln öffentlich und nachvollziehbar macht. Es geht
nicht nur um die Zahlung von Subventionen, sondern
auch darum, nachvollziehbar zu machen, welche Organi-
sationen und welche Lobbyorganisationen in Verbin-
dung zur Kommission stehen und welchen Einfluss aus-
üben. Wir sind der Meinung, dass es außerordentlich
unterstützenswert ist, was die Kommission vorgeschla-
gen hat. Ich halte es für nicht richtig und für Feigheit der
Regierungsfraktionen, dass sie die Anträge der Opposi-
tion ablehnen. Das ist Heuchelei. Anders kann man das
nicht nennen.


(Beifall bei der FDP)


Gerade angesichts der Agrarzahlungen, die – das wird
oft beklagt – einen Großteil der Zahlungen des EU-
Haushaltes ausmachen, ist es für uns als politische Ent-
scheider, aber auch für die Öffentlichkeit außerordent-
lich wichtig, nachzuvollziehen, wer wie viel Geld be-
kommt und in welche Strukturen es fließt. Hier wurde
geäußert, die Mittel flössen nur in großindustrielle
Strukturen. Darauf kommt es nicht an. Vielmehr kommt
es darauf an, dass wir nachvollziehen können: Wer be-
kommt das Geld? Wie hoch sind die Summen? Erhalten
die kleinen landwirtschaftlichen Betriebe die Mittel oder
die mittleren und großen Betriebe? Wie können wir die
Mittelvergabe reformieren?

Wir können den Bereich der Agrarunterstützung nur
dann sinnvoll reformieren, wenn wir wissen, wie die
Ausgaben genau strukturiert sind. Deswegen ist es so
wichtig, dass die Zahlen veröffentlicht werden, und zwar
pronto. Es darf nicht weiter versucht werden, der deut-
schen Öffentlichkeit und dem Parlament vorzugaukeln,
es gäbe da technische Probleme. Im Übrigen haben die
Landwirtschaftsminister der Länder einen Bericht ange-
fordert. Sie sagen, es sei technisch kein Problem, ihn zu
erstellen. Woran es fehlt, ist nicht Technik, sondern poli-
tischer Wille. Wir erwarten von der Bundesregierung
den politischen Willen. Die Zahlen müssen auf den
Tisch des Hauses.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609813200

Kollege Löning, Sie haben darauf hingewiesen, dass

die Reden, die hier gehalten werden, sehr schnell publi-
ziert werden, also auch Ihr unparlamentarischer Aus-
druck, für den ich Sie ausdrücklich kritisiere.

Ich erteile das Wort Kollegin Veronika Bellmann,
CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Veronika Bellmann (CDU):
Rede ID: ID1609813300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Herr Löning, ich bin schon etwas
über die unnötige Schärfe verwundert, die Sie in die De-
batte gebracht haben, vor allem vor dem Hintergrund,
dass es bei diesem Thema im Grunde genommen eine in-
haltliche Übereinkunft gibt. Wir sind der Meinung:
Wenn die inhaltlichen Forderungen der Opposition
schon in die Stellungnahme der Bundesregierung einge-
flossen sind, kann man die entsprechenden Anträge aus
dem Vorjahr, die hier vorliegen, getrost ablehnen.

Der Deutsche Bundestag befasst sich heute mit dem
Thema Transparenzinitiative. Vor fast einem Jahr hat die
Europäische Kommission ein Grünbuch veröffentlicht,
um die europäische Transparenzinitiative vom Novem-
ber 2005 voranzubringen. Es wird eine umfassende In-
formation über die Verwaltung und Verwendung von
EU-Geldern angestrebt. Dabei geht es um berufsethische
Regeln bzw. um die Festlegung eines Rahmens für die
Tätigkeit von Interessenvertretern und den viel gerühm-
ten europäischen Lobbyisten, aber auch um das Thema
Agrarbeihilfen und das Thema der Offenlegung der Ver-
gabe von Strukturmitteln. Transparenz ist wichtig, ge-
rade im Hinblick darauf, dass die Bürger unseres Landes
wenig bis gar kein Vertrauen in die Europäische Union
haben und dass es beim Verständnis in Sachen EU
durchaus noch Nachholbedarf gibt.

Wenn ich in meinem Wahlkreis unterwegs bin, sehe
ich viele Bauvorhaben, vor denen große Schilder mit der
europäischen Flagge mit den zwölf Sternen stehen. Aber
wer weiß schon, was dahintersteckt? Insofern ist Trans-
parenz auch ein Mittel zur Stärkung der Akzeptanz der
EU. Sie ist auch eine Garantie für den verantwortlichen
Umgang mit dem Geld der Steuerzahler aus den Mit-
gliedstaaten. Transparenz ist ein wirksames Mittel der
Kontrolle sowohl der Fördermittelgeber als auch der
Fördermittelverwalter und -empfänger. Natürlich ist sie
auch eine effektive Barriere gegen Missbrauch.

Von den gesamten Mitteln der Europäischen Union
werden 20 Prozent von der Europäischen Kommission
direkt verwaltet; diese 20 Prozent unterstehen bisher
schon einer Publizitätspflicht. Doch für jene 80 Prozent,
die von Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten ausge-
zahlt werden, besteht bisher noch keine Publizitäts-
pflicht. Nach den Darstellungen der Kommission legen
bereits jetzt elf Mitgliedstaaten die notwendigen Infor-
mationen offen. Nicht immer wird aber ein vollständiger
Zugang gewährt; teilweise geschieht dies nur auf An-






(A) (C)



(B) (D)


Veronika Bellmann
frage. Hier gibt es viele Variationen. Dieser Varianten-
reichtum führt zu unserer berechtigten Forderung – Herr
Roth hat es vorhin schon anklingen lassen –, hierfür ei-
nen für alle Mitgliedstaaten anwendbaren einheitlichen
Rechtsrahmen zu schaffen. Dadurch wäre auch ein ein-
heitlicher Umgang mit allen Empfängern garantiert und
die Vergleichbarkeit hergestellt. Das ist ebenfalls ein we-
sentliches Element der Transparenz.

Der Sinn und Zweck des Grünbuchs der EU ist auch,
Meinungen aus den Mitgliedstaaten über die Verpflich-
tung zur Offenlegung und die Modalitäten einer Infor-
mationsweitergabe an die Öffentlichkeit einzuholen. Die
Bundesregierung hat ihre Meinung mit ihrer Stellung-
nahme kundgetan. Darin steht die Forderung, allen Mit-
gliedstaaten einen einheitlich anwendbaren Rechtsrah-
men durch die EU-Kommission zu übertragen.

Zurück zum Thema Transparenz. Transparenz heißt
für mich, dass nicht nur die Angaben offengelegt wer-
den, sondern dass auch klar ist, wer für die Offenlegung
der Angaben verantwortlich ist. Einzelne Mitgliedstaa-
ten haben verschiedene Definitionen zur Ausgestaltung
einer Übersicht, verschiedene Definitionen des Zeit-
punktes usw. Meines Erachtens muss die Europäische
Kommission als oberste Behörde für die Offenlegung
verantwortlich sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das heißt, es muss eine Stelle geben, bei der alle Mittel-
empfänger der Mitgliedstaaten ihre Meldung machen,
und es muss eine Seite im Internetbereich der Europäi-
schen Kommission geben, auf der die Daten anschlie-
ßend zu finden sind, und zwar nach einem einheitlichen
Muster. Selbstverständlich muss es eine Frist geben, in-
nerhalb welcher die Daten der bereits genehmigten Pro-
jekte vorgelegt werden müssen. Es darf also kein zwi-
schenstaatliches Hickhack geben, sondern es muss ein
Ansprechpartner vorhanden sein. Nur dann kann eine
wirkliche Transparenz gewährleistet sein. Die Übersich-
ten sollten auch keine sprachlichen Barrieren aufweisen.
Auch diese sind hin und wieder ein Hinderungsgrund für
echte Transparenz.

Eine Frage, die mich in diesem Zusammenhang be-
schäftigt, ist das Problem der Folgen und der Haftung.
Ich spreche hier nicht von Datenschutzbedenken. Das ist
im Übrigen auch in Ihrem Antrag angeklungen, Herr
Löning, wo Sie von verantwortlicher Abwägung des öf-
fentlichen Interesses gegenüber dem Schutz von perso-
nenbezogenen Daten und Geschäftsgeheimnissen spre-
chen. Das können wir eins zu eins mittragen.


(Markus Löning [FDP]: Ein hervorragender Antrag! Dann machen Sie das doch!)


– Das ist in der Stellungnahme der Bundesregierung
schon enthalten. Deswegen brauchen wir über die An-
träge nicht abzustimmen. Das ist doch vollkommen klar.


(Markus Löning [FDP]: Warum lehnen Sie den Antrag dann ab?)


Ich spreche nicht von Datenschutzbedenken, sondern
schlichtweg davon, dass es im Zusammenhang mit der
Offenlegung dieser Informationen durchaus zu einer ge-
wissen Neiddiskussion und zu Konkurrenzdenken kom-
men kann. Man muss bedenken, dass bei der Auswer-
tung der veröffentlichten Daten nicht nur der Erfolg und
die Effektivität der Gemeinsamen Agrarpolitik – auf die
stelle ich hier hauptsächlich ab – geprüft werden, son-
dern dass die Kritiker der Gemeinsamen Agrarpolitik,
die bemängeln, dass 40 Prozent des EU-Haushalts in die
Agrarsubventionen gehen,


(Markus Löning [FDP]: Das stimmt aber auch!)


diese Informationen gegen Agrarsubventionen instru-
mentalisieren könnten. Da müssen wir sehr vorsichtig
sein. Auch das ist eine Begründung für die Forderung ei-
nes einheitlichen Rechtsrahmens.


(Markus Löning [FDP]: Hört! Hört! Jetzt hören wir die wahren Motive für die Verschleierung!)


Die Fördermittelempfänger können auch fragen, wen
man dafür haftbar machen kann, wenn der Nachbar für
ein ähnliches Projekt unter gleichen Voraussetzungen
mehr Fördermittel bekommen hat. Wer ist der Ansprech-
partner bei diesen Beschwerden und der Adressat
solcher Anfragen? Welche Auswirkungen hat eine voll-
kommene Transparenz auf Ermessensspielräume der
Verwaltung? Das sind alles Fragen, die noch geklärt
werden müssen.

Die Verfahren müssen allerdings so ausgeprägt sein,
dass sie nicht mehr Bürokratie bedeuten.


(Martin Zeil [FDP]: Das wäre schön!)


Es ist ja zu befürchten, dass immer dann, wenn die EU
eine neue Aufgabe übernimmt, eine zusätzliche Agentur
eingerichtet wird.


(Martin Zeil [FDP]: Leider wahr!)


Ich möchte nicht, dass anschließend eine „Transparenz-
agentur“ ins Leben gerufen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Löning [FDP]: Die Listen gibt es! Sie müssen nur ins Netz gestellt werden!)


Ich möchte noch die Bagatellgrenze erwähnen, zu
der es Meinungsverschiedenheiten in der Bundesregie-
rung gegeben hat. Deshalb ist es auch zu den Verzöge-
rungen gekommen, die wir hier beklagen. Ich glaube,
wir sind uns einig: Wenn wir veröffentlichen, veröffent-
lichen wir alles. Dann brauchen wir auch keine Bagatell-
grenze. Wenn wir Transparenz wollen,


(Markus Löning [FDP]: Wollen Sie denn überhaupt Transparenz?)


dann muss sie vom ersten Euro bis zum millionsten Euro
gelten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich fasse zusammen: Wir plädieren für eine Offenle-
gung aller Fonds, auch im Bereich der Agrarsubventio-
nen. Wir sind gegen die Einführung von Bagatellgren-
zen. Wir plädieren dafür, dass die Veröffentlichung nicht
nach individuellen Festlegungen der Mitgliedstaaten im






(A) (C)



(B) (D)


Veronika Bellmann
Einzelnen, sondern nach einheitlichen, allgemeingülti-
gen Kriterien und Maßstäben der EU-Kommission zu er-
folgen hat.


(Markus Löning [FDP]: Und Sie stimmen unserem Antrag zu!)


– Wir brauchen Ihrem Antrag nicht zuzustimmen, ob-
wohl wir ihn inhaltlich durchaus mittragen, weil seine
Inhalte in der Stellungnahme der Bundesregierung schon
enthalten sind.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609813400

Ich erteile das Wort Kollegen Hüseyin Aydin, Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609813500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die

Besitzer von Aldi und Lidl gehören zu den reichsten
Menschen in Deutschland. Sie haben ihr Vermögen auf
dem Rücken der Beschäftigten gemacht. Sie sind auch
deshalb so reich, weil sie die bäuerlichen Betriebe im-
mer mehr an die Wand drücken. Die Einzelhandelsketten
zahlen für 1 Liter Milch nicht mehr als vor 20 Jahren.
Ein Milchbauer mit 50 Kühen verdient heute deshalb so
wenig, dass er seine Familie davon nicht mehr ernähren
kann. Ich betone: Es ist absolut berechtigt, dass die
Milchbauern vom Staat unterstützt werden. Nur: Wir
von der Linken wollen Transparenz; denn bei den gro-
ßen Beihilfeempfängern handelt es sich nicht allein um
die kleinen Bauern. Es geht um Konzerne, es geht um
Minister, und es geht sogar um Königshäuser.

Ich nenne Ihnen Beispiele: 2005 kam heraus, dass in
Holland die Nahrungsmittelkonzerne Nestlé und Campina
in fünf Jahren 900 Millionen Euro an EU-Ausfuhrbeihil-
fen geschenkt bekamen. Landwirtschaftsminister Veerman
selbst strich 150 000 Euro an Beihilfen ein. Königin
Elisabeth und Prinz Charles von England erhalten pro
Jahr 1,5 Millionen Euro aus Brüssel. Wir wissen das,
weil in 13 europäischen Ländern Namen und Zahlen of-
fengelegt wurden.

Doch was ist mit Deutschland? Allein zur Unterstüt-
zung des Agrarexports werden bei uns jährlich über
500 Millionen Euro ausgezahlt. Wer erhält dieses Geld?
Sind es Bauern? Sind es Minister? Sind es Konzerne?
Sind es Abgeordnete? Das habe ich im Februar 2006 von
der Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage wissen
wollen. Doch in der Antwort wurde jede konkrete Aus-
kunft verweigert. Wenn eine Regierung in der Dritten
Welt vertuscht, wohin EU-Entwicklungshilfegelder flie-
ßen, dann nennt die Bundesregierung das „schlechte Re-
gierungsführung“. Aber wenn sie selbst die Namen der
EU-Subventionsmillionäre offenlegen soll, dann beruft
sie sich auf den Datenschutz. Ich sage Ihnen: Das ist
eine Heuchelei.


(Beifall bei der LINKEN)

Die Wahrheit muss der Bundesregierung regelrecht
abgerungen werden. Das ganze letzte Jahr hindurch ha-
ben Nichtregierungsorganisationen und Opposition für
mehr Transparenz bei den Agrarsubventionen gekämpft.
Im November einigten sich die EU-Kommission und das
EU-Parlament endlich darauf, alle Länder auf die Veröf-
fentlichung der Daten zu verpflichten. Das ist ein großer
Erfolg. Doch seitdem versucht Wirtschaftsminister Glos
mit immer neuen Tricks, die Transparenzpflicht hinten-
herum zu verwässern. Wir von der Linken sagen: Hören
Sie endlich auf mit dieser Trickserei!

Subvention ist nicht gleich Subvention. Stützungszah-
lungen für bäuerliche Familien sind eine soziale Maß-
nahme. Ausfuhrbeihilfen an Nahrungsmittelkonzerne
aber zerstören die Grundlage der Landwirtschaft in den
Entwicklungsländern. Wir von der Linken sind dagegen,
dass EU-Milchpulver zu Dumpingpreisen die Viehzüch-
ter in Schwarzafrika ruiniert. Die Offenlegung der
Agrarsubventionen ist deshalb überfällig. Sie muss
schnellstmöglich auf europäischer Ebene geregelt wer-
den.

Die Veröffentlichung muss sich an den realen gesell-
schaftlichen und ökologischen Leistungen der landwirt-
schaftlichen Betriebe orientieren. Es muss klar sein, ob
die Gelder in die Massentierhaltung, in den Öko-Land-
bau oder in den Vorruhestand fließen. Es muss klar sein,
ob der Konzern Südzucker Geld für den Export erhält
oder für den Anbau von Pflanzen, aus denen man Ener-
gie erzeugen kann. Die Menschen im Lande haben ein
Recht darauf, zu wissen, wohin ihre Steuergelder flie-
ßen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609813600

Ich erteile das Wort Kollegin Bärbel Höhn, Fraktion

des Bündnisses 90/Die Grünen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609813700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

freue mich, dass diese Debatte durch die Redebeiträge
sowohl der FDP als auch der Linken konkretisiert wor-
den ist. Denn wir reden nicht nur abstrakt über eine
Transparenzrichtlinie, sondern wir reden ganz konkret
darüber, was das für die Menschen bedeutet.

Es geht darum, dass wir wissen wollen, wohin
45 Prozent des EU-Haushalts fließen. Sind die Gelder
gut angelegt, sind sie effizient angelegt? Bekommen sie
wirklich die Kleinbauern, die dafür jeden Tag harte Ar-
beit leisten, oder bekommen sie solche, bei denen wir
uns fragen, ob das wirklich angebracht ist? Ich würde
zum Beispiel gern wissen wollen, wie viel Geld RWE in
Deutschland für die Rheinbraun-Abbaugebiete, also die
Gebiete, in denen die Braunkohle abgebaut wird, aus
dem Agrarhaushalt bekommt. Das würde mich interes-
sieren. Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, RWE dafür Geld
zu geben, oder ob dieses Geld nicht besser an die Bauern
fließen sollte, die mit harter Arbeit die landwirtschaftli-
chen Produkte erzeugen. Genau um diese Fragen geht es.






(A) (C)



(B) (D)


Bärbel Höhn
Die Bürgerinnen und Bürger von Großbritannien
können im Internet nachsehen, was das Königshaus an
Subventionen bekommt. Da, liebe Kollegen von der
CDU und der CSU, gibt es keine Neiddebatte. Warum
nicht? – Weil das transparent ist. Eine Neiddebatte gibt
es nur dort, wo die Daten nicht veröffentlicht werden
und die Leute deshalb anfangen zu spekulieren, wer was
bekommen könnte. Das ist doch der Ausgangspunkt für
eine Neiddebatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen, dass 20 Prozent der Betriebe 80 Prozent
der Subventionen bekommen. Darüber wollen wir mehr
erfahren: Woran liegt das? Ist das immer gerechtfer-
tigt? – Jedes Programm der Bundesregierung und jedes
Programm der Landesregierungen wird evaluiert, indem
geprüft wird, ob das Geld wirklich sinnvoll eingesetzt
ist. Wir haben doch nicht so viel Geld, dass wir es, egal
was damit passiert, einfach so ausgeben können. Wir
müssen das doch überprüfen; das sagen auch die Bürge-
rinnen und Bürger. Es sind doch Steuergelder, die da ver-
wendet werden, und zwar nicht zu knapp.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Markus Löning [FDP])


Gerade deshalb ist es wichtig, zu sagen, an wen die Sub-
ventionen gehen und für was sie gezahlt werden. Gerade
dann, wenn man die Öffentlichkeit scheut, werden
Agrarsubventionen infrage gestellt. So erreichen Sie das
Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollen. Deshalb
ist es wichtig, auf Transparenz zu bestehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Wir wollen doch Transparenz! Haben Sie die Stellungnahme der Bundesregierung nicht gelesen?)


Wie sehr die Bundesregierung in diesem Punkt mau-
ert, habe ich in einer Fragestunde vor gut einem Jahr,
nämlich am 5. April 2006, gemerkt. Da habe ich Staats-
sekretär Paziorek nämlich danach gefragt. Er hat sich da-
mals zu der Auffassung verstiegen, die Bundesregierung
sei der Meinung, diese Subventionen seien Betriebsge-
heimnisse und dürften deshalb nach deutschem Recht
nicht veröffentlicht werden.


(Markus Löning [FDP]: Das hat er streng abgelehnt!)


Ich habe ihn gefragt, wie das politisch zu bewerten sei.
Darauf hat er gesagt, die Veröffentlichung sei nicht sinn-
voll. – Das ist das eigentliche Motiv, das dahintersteckt.

Nun müssen Sie dem Druck der Öffentlichkeit nach-
geben und peu à peu veröffentlichen. Aber was tun Sie?
Sie versuchen nicht, die Veröffentlichung aktiv zu beför-
dern, wie dies in Großbritannien und 13 anderen Län-
dern schon vor längerer Zeit geschehen ist. Nein, Sie
wollen das erst im Jahr 2009 machen. Das ist wieder ein
großer Fehler; denn wir brauchen die Daten doch schon
im Jahr 2008, weil wir dann darüber diskutieren, was wir
in der nächsten Förderperiode der Landwirtschaft ma-
chen.

(Beifall des Abg. Markus Löning [FDP])


Die Verschleppung der Veröffentlichung führt dazu,
dass wir in Deutschland keine Vorschläge machen kön-
nen, wie wir die Agrarsubventionen in der nächsten Pe-
riode effizient einsetzen. Das ist nicht in Ordnung. Das
müssen wir Ihnen als Vorwurf entgegenhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Setzen Sie sich an die Spitze der Bewegung in der
Bundesregierung. Es wäre sinnvoll, das zu tun. Lassen
Sie die Verzögerungstaktik. Legen Sie die Zahlen auf
den Tisch. Ich bin sicher, dass ein hart arbeitender Bauer
sehr gut erklären kann, warum er welche Subventionen
bekommt.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609813800

Ich erteile das Wort Kollegin Waltraud Wolff, SPD-

Fraktion.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1609813900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! An dieser Debatte wird deutlich, dass sich alles um
eine zentrale Frage dreht: Wollen wir wirklich, dass die
Menschen in Europa nachvollziehen können, welche
Wirkungen die gemeinsame Politik entfaltet? Diese
Frage ist in dieser Debatte entscheidend.

Sicherlich ist richtig, dass Transparenz ihre Grenzen
hat. Persönlichkeitsrechte und Geschäftsgeheimnisse
müssen geschützt werden. Klar ist aber, dass wir diese
Rechte nicht missbrauchen und berechtigte Bedürfnisse
nach Information nicht verweigern dürfen. Das schadet
letztlich allen: denjenigen, die ein Recht auf den Schutz
haben, vor allem aber den Bürgerinnen und Bürgern, von
denen wir wollen, dass sie der Politik vertrauen, was sie
hoffentlich auch tun.

Die Diskussion über Transparenz ist für uns Politiker
nicht einfach; das wird auch an der heutigen Debatte
deutlich. In den Medien wird es zu großen Schlagzeilen
kommen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
Wir müssen erklären, warum bestimmte Unternehmen
Subventionen erhalten. Da die EU-Agrarkommissarin
Fischer Boel die Transparenzinitiative explizit mit der
Ausrichtung der Gemeinsamen Agrarpolitik verbunden
hat, spreche ich als Landwirtschaftspolitikerin zu diesem
Thema.

Warum hat die EU-Kommissarin das getan? Insbe-
sondere in der Agrarpolitik lässt sich beobachten, wel-
che Folgen mangelnde Offenheit hat. Für die meisten
Menschen bedeutet die EU-Agrarpolitik noch immer die
superteure Förderung von Überproduktion. Wir Fachpo-
litiker wissen, dass das schon lange nicht mehr der Fall
ist.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie es dann nicht transparent? Sind Sie nicht in der Koalition?)







(A) (C)



(B) (D)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)

Aber die Logik der Menschen ist: Wer nicht bereit ist, et-
was offenzulegen, hat etwas zu verbergen.


(Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so ist es! Die Koalition hat etwas zu verbergen!)


Genau dieser Auffassung müssen wir offensiv entgegen-
treten.

Natürlich wird die Diskussion aufkommen, welche Wir-
kungen unsere Agrarexportsubventionen haben. Wir
werden uns die Frage stellen lassen müssen, warum die
Industrieländer 349 Milliarden Dollar für Produktions-
und Exportsubventionen ausgeben. Wir werden uns auch
fragen lassen müssen, warum wir damit niedrige Export-
preise fördern und so die lokale Produktion in den Ent-
wicklungsländern verhindern.

Mit den Vorschlägen, die wir im Rahmen der Doha-
runde gemacht haben, haben wir diese Fragen bereits
aufgegriffen. Nun müssen wir deutlich machen, dass wir
diese Politik ernsthaft fortführen werden. Die Transpa-
renzrichtlinie bietet uns die große Chance, zu erklären,
warum landwirtschaftliche Betriebe finanzielle Unter-
stützung brauchen. Das Ziel der Agrarpolitik ist, Leistun-
gen in der Landwirtschaft für besonders hohe Qualität,
für die Umwelt und für die Gesellschaft zu honorieren.
Fest steht: Diese Leistungen werden am Markt nicht be-
zahlt, jedenfalls nicht mit der deutschen Geiz-ist-geil-
Mentalität.

Für mich als Abgeordnete aus den neuen Bundeslän-
dern ist es besonders wichtig, aufzuzeigen, warum große
Betriebe Ausgleichszahlungen bekommen und warum
sie notwendig sind. Wenn wir zum Beispiel die durch die
Extensivierung entstehenden höheren Kosten ausglei-
chen, dann fallen diese Kosten für alle an: für die kleinen
Betriebe genauso wie für die großen Betriebe. Wenn
man sich dann noch vor Augen führt, wie viele Arbeit-
nehmer in den großen Betrieben in Ostdeutschland be-
schäftigt sind, und zwar sozialversicherungspflichtig,


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! Das ist sehr wichtig! Das darf man nicht vergessen!)


und dass das Dorfleben sehr oft von einer einzigen
Agrargenossenschaft am Ort abhängig ist, dann ist es
folgerichtig, dass Obergrenzen für Direktzahlungen aus
deutscher Sicht abzulehnen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Über eine lineare Degression kann man reden. Aber
Obergrenzen sind abzulehnen. An dieser Stelle danke ich
der Bundesregierung, die dazu eindeutig Stellung ge-
nommen hat.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Offenlegung der Fördersummen muss aber – auch
das sage ich in Richtung Bundesregierung – mit Be-
triebsdaten wie der Anzahl der sozialversicherungs-
pflichtig beschäftigten Arbeitnehmer unterlegt werden.
Die Zahlen allein dokumentieren überhaupt nichts. Was
für die Agrarförderung gilt, gilt natürlich auch für die
Strukturfonds.
Ich sage Ihnen eines: Lassen Sie uns alle gemeinsam
endlich etwas mutiger werden. Das hilft den Menschen,
Politik zu verstehen, und es hilft auch, Schwachstellen,
die vielleicht gerade nicht in der Landwirtschaft liegen,
aufzuzeigen.

Zwei Bitten habe ich zum Schluss. Erstens. Es ist hier
schon angesprochen worden: Die Bundesregierung sollte
im Interesse der Betriebe und auch einer sachlichen Dis-
kussion ihren Zeitplan überdenken und in 2008 alle Da-
ten veröffentlichen – und sie sollte sie selbst veröffentli-
chen und dies nicht an die Kommission abgeben. Wir
selbst haben es in der Hand. Wir können einen gemein-
samen Rahmen beschließen, aber die Mitgliedstaaten
sollten selber veröffentlichen.


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Darüber können wir reden!)


Die zweite Bitte – das ist hier heute überhaupt noch
nicht angesprochen worden – richte ich an die Landes-
parlamente. Ich fordere die Landesparlamente von hier
aus auf, sich zu positionieren und konstruktiv an der Da-
tenerfassung mitzuarbeiten. Das ist gar nicht so schwie-
rig, aber die Kolleginnen und Kollegen in den Landtagen
müssen sich damit auseinandersetzen.

Ich bitte Sie, lassen Sie uns gemeinsam die knappe
Zeit und auch die inhaltlichen Chancen, die in diesem
Thema stecken, nutzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609814000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit dem Ti-
tel „Europäische Transparenzinitiative aktiv unterstüt-
zen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/5287, den Antrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/2203 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
bei Enthaltung von Linken und Grünen und Ablehnung
der FDP angenommen.

Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/5287 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen
auf Drucksache 16/2518 mit dem Titel „Forderung der
EU nach Transparenz bei Subventionen im Agrarbereich
vollständig umsetzen und die Neuausrichtung der Förde-
rung vorbereiten“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Linken und Ab-
lehnung von FDP und Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.






(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Beschlussempfehlung des Ausschusses für die Ange-
legenheiten der Europäischen Union zu dem Antrag der
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen mit dem Titel
„Forderung der EU nach Transparenz bei Subventionen
für die Wirtschaft vollständig umsetzen und die Neuaus-
richtung der Förderung vorbereiten“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/5288, den Antrag der Fraktion des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 16/2517 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen
wie zuvor angenommen.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Agrarbeihilfeemp-
fänger offenlegen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/3039, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/1962 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU,
SPD und FDP bei Enthaltung der Grünen und Ablehnung
der Linken angenommen.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Zeil, Paul K. Friedhoff, Frank Schäffler, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP

Eigenkapitalbildung fördern – Deutschlands
Mittelstand fit machen

– Drucksache 16/3841 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)

Finanzausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion der FDP sechs Minuten erhalten soll. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Martin Zeil, FDP, das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Martin Zeil (FDP):
Rede ID: ID1609814100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

italienische Politiker Pella hat einmal den schönen Satz
geprägt:

Das Kapital hat das Herz eines Hasen, die Beine ei-
nes Rennpferdes und das Gedächtnis eines Elefan-
ten.

Man könnte in Versuchung kommen, dieses Bild auf die
Regierungkoalition zu übertragen: Der Mut bei Refor-
men entspricht dem eines Hasen, und das Weglaufen vor
den Problemen des Landes geschieht mit der Geschwin-
digkeit eines Rennpferdes.


(Beifall bei der FDP)

Nur das Gedächtnis eines Elefanten kann man bei der
Regierung nun überhaupt nicht erkennen; denn da wer-
den Reformversprechen vergessen: An die versprochene
Steuervereinfachung und auch an die Vorschläge von
Professor Kirchhof will sich niemand mehr so recht erin-
nern.


(Beifall bei der FDP)


Ganz im Gegenteil: Man feiert fette Steuererhöhungen,
greift bei der Unternehmensteuerreform erneut auf die
Substanzbesteuerung zurück und entzieht so gerade dem
Mittelstand das dringend benötigte Kapital.

Hohe Bürokratiedichte, ungünstige steuerliche Rah-
menbedingungen, schleppende Genehmigungs- und Zu-
lassungsverfahren, ein überregulierter Arbeitsmarkt und
auch der Fachkräftemangel behindern die Umsetzung
von neuen Ideen und ihre wirtschaftliche Verwertung in
Deutschland. Viele kreative Menschen – das muss uns
besorgt machen – verlassen unser Land.

Eines der Haupthemmnisse für Innovationen und Ex-
pansionen – deshalb haben wir Ihnen diesen Antrag vor-
gelegt – ist die Knappheit von Kapital, insbesondere von
Eigenkapital beim Mittelstand. Gute Ideen brauchen Zeit
und Geld zur Reife. Auf der einen Seite ist die Finanzie-
rung junger, risikoanfälliger Technologieunternehmen
wegen der langen und kostenintensiven Forschungs- und
Entwicklungszeiten besonders in der Anfangszeit schwie-
rig. Wegen fehlender Sicherheiten und angesichts der
dünnen Eigenkapitaldecke scheidet eine Fremdfinanzie-
rung durch Bankkredite oft aus. Auf der anderen Seite ha-
ben auch etablierte kleine und mittelständische Betriebe
im internationalen Vergleich eine zu geringe Eigenkapi-
talausstattung.

Nur mit einer gesunden Eigenkapitalquote können
sich die kleinen und mittelständischen Unternehmen in
Deutschland im globalen Wettbewerb behaupten und
auch zukünftig einen wesentlichen Motor für Wachstum
und Beschäftigung darstellen.


(Beifall bei der FDP)


Der Vergleich der Eigenkapitalausstattung des indus-
triellen Mittelstandes in Deutschland mit der von ver-
gleichbaren Unternehmen in anderen Ländern zeigt die
Schwächen deutlich. So wiesen deutsche Unternehmen
2005 einen durchschnittlichen EK-Anteil von circa
17 Prozent der Bilanzsumme auf, während Unternehmen
in fast allen anderen Industrieländern deutlich höhere
Werte aufweisen, vielfach sogar Werte von 30 bis
40 Prozent.

Nicht unproblematisch für den Mittelstand sind in die-
sem Zusammenhang auch die neuen Basel-II-Regelun-
gen, die die Banken zur Neubewertung ihrer Kreditrisiken
zwingen. Dadurch wird die traditionelle Kreditfinanzie-
rung stärker limitiert als bisher. Der Sachverständigenrat
stellt fest, dass sich das wandelnde Finanzierungsumfeld
vor allem von mittelständischen Unternehmen als Be-
drohung empfunden wird, da die geänderte Geschäfts-
politik der Banken den traditionellen Zugang zu Finan-
zierungsmitteln in Form von Bankkrediten tendenziell
verschlechtert hat.






(A) (C)



(B) (D)


Martin Zeil
Neben der Verbesserung der allgemeinen Rahmenbe-
dingungen zur Erhöhung des Wachstums und damit der
Gewinnthesaurierungsmöglichkeiten sollte sich eine ge-
zielte und marktkonforme Förderung vor allem auf eine
Verbesserung der Möglichkeiten für kleine und mittel-
ständische Unternehmen konzentrieren, an Beteili-
gungskapital zu kommen. Umfragen unter Unterneh-
men haben zudem ergeben, dass es nicht unbedingt an
Informationen über alternative Finanzierungsinstru-
mente mangelt. Viele Unternehmer fürchten vielmehr
den Einfluss von fremdem Eigenkapital auf die eigene
Entscheidungsfreiheit. Deswegen reichen die staatli-
chen Maßnahmen zur Gründer- und Frühphasenförde-
rung und andere erfolgreiche Fördermaßnahmen nicht
aus. Ich erwähne hier ausdrücklich die ERP-Förderung,
die Sie leider mit Ihrem Neuordnungsgesetz kannabili-
sieren wollen.


(Jörg Tauss [SPD]: Ein hässliches Wort! – Ludwig Stiegler [SPD]: Das stimmt nicht! Falsches Wort! „Kannibalisieren“ heißt es!)


– Kannibalisieren, habe ich doch gesagt.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Kommt von „Kannibale“!)


Ich habe vielleicht, Herr Kollege, für einen Oberpfälzer
ein bisschen zu schnell gesprochen.


(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie betreiben hiermit auch Raubbau an den Geldern
des Mittelstandes. Die Politik muss ihr Augenmerk vor
allen Dingen auf die Mobilisierung privaten Kapitals für
die Stärkung des Eigenkapitals richten. Die Bedingun-
gen für Beteiligungskapitalgeber, aber auch für die Mit-
arbeiterbeteiligung müssen endlich auf einen internatio-
nalen Standard gebracht werden.


(Beifall bei der FDP)


Die Kommunikation zwischen Kreditinstituten und
kleinen Unternehmen zum Thema Rating muss durch
geeignete Maßnahmen aktiv belebt werden. Wir haben
in unserem Antrag weitere Vorschläge zu diesem Thema
gemacht.

Entscheidend ist – da möchte ich die Große Koalition
an ihre Koalitionsvereinbarung erinnern, in der Sie sehr
schöne Ankündigungen zu dem Thema gemacht haben –,
dass die Ankündigungen jetzt mit Inhalt gefüllt werden
und ihnen auch wirklich Taten folgen, Herr Kollege
Stiegler.


(Beifall bei der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: Das wird auch verwirklicht! Keine Sorge, das kommt! Das liegt unter dem Gabentisch! – Markus Löning [FDP]: Das wäre ja mal was Neues bei der Regierung!)


– Sie regieren ja nun schon eine Weile, möglicherweise
länger, als Sie von jetzt ab noch regieren werden.


(Markus Löning [FDP]: Ganz sicher! – Ludwig Stiegler [SPD]: Die Hoffnung stirbt zuletzt!)

Jetzt ist Zeit zum Handeln.

Ich möchte mit einem Zitat von Henry Ford schlie-
ßen:

Der oberste Zweck des Kapitals ist nicht, mehr
Geld zu schaffen, sondern zu bewirken, dass das
Geld sich in den Dienst der Verbesserung des Le-
bens stellt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP – Ludwig Stiegler [SPD]: So ist es! Das ist alte Sozialliberalität, die ich begrüße! – Gegenruf des Abg. Markus Löning [FDP]: Dann können Sie auch mal klatschen, Herr Stiegler! – Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609814200

Ich erteile das Wort Kollegen Kai Wegner, CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1609814300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Zeil, die Bilder, die Sie zu Beginn Ihrer Rede gezeichnet
haben, fand ich interessant. Ich habe mich nur gefragt,
welche Bundesregierung Sie da meinen.


(Martin Zeil [FDP]: Schon die jetzige!)


Denn spätestens mit der gestrigen Debatte in der Aktuel-
len Stunde muss selbst Ihnen bewusst geworden sein,
dass die Bilanz dieser Großen Koalition sehr positiv ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Dass wir gestern im Rahmen der Aktuellen Stunde
die gute wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land
mit den daraus resultierenden positiven Folgen am Ar-
beitsmarkt debattieren konnten, lieber Herr Zeil, liegt
vor allem an den kleinen und mittleren Unternehmen
in Deutschland. Mit 99,7 Prozent aller Unternehmen und
70,5 Prozent aller Arbeitsplätze bildet der Mittelstand
weiterhin das Rückgrat unserer Wirtschaft.

Nicht nur die sogenannten Global Player haben es
verstanden, erfolgreich die dynamische Entwicklung des
europäischen Binnenmarkts und die Chancen der Globa-
lisierung für sich zu nutzen. Zahlreiche Unternehmen
aus den Reihen des Mittelstands, die sich teilweise sogar
als Europa- oder Weltmarktführer behaupten, beweisen
die herausragende Bedeutung kleiner und mittlerer Un-
ternehmen für unser Land.

Diese beeindruckende Bilanz ist allerdings nicht na-
turgegeben. Dass sie fortgeführt werden kann, setzt vo-
raus, dass den mittelständischen Unternehmen auch in
Zukunft das notwendige Kapital für die Umsetzung ih-
rer Ziele zur Verfügung gestellt wird. Bis heute finan-
ziert die überwiegende Zahl der kleinen und mittleren
Unternehmen ihren Kapitalbedarf mit traditionellen






(A) (C)



(B) (D)


Kai Wegner
Bankkrediten. Den Ausschlag zugunsten von Fremd-
finanzierung gegenüber Eigenkapitalbildung geben vor
allem die Spezifika des deutschen Steuersystems und die
hiesigen günstigen Kreditbedingungen. Es ist deshalb
nicht verwunderlich, dass die Eigenkapitalquote deut-
scher Unternehmen im internationalen Vergleich gerin-
ger ist.

Im Zuge der Umsetzung des Basel-II-Abkommens
wird es den Banken wieder ermöglicht, Kredite von we-
niger als 1 Million Euro mit weitaus geringeren Eigen-
kapitalanforderungen als bisher zu vergeben. Das betrifft
etwa 90 Prozent aller vergebenen Kredite zurzeit, und
auch das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP,
ist ein Verdienst und ein großer Erfolg von unserem
Wirtschaftsminister Michael Glos und der Großen Ko-
alition.


(Beifall bei der CDU/CSU – Martin Zeil [FDP]: Er ist leider nicht da! – Ludwig Stiegler [SPD]: Das war Gerhard Schröder! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Aber Glos war auch nicht unbeteiligt!)


Es wäre aber falsch, von einer generellen Eigenkapi-
tallücke des deutschen Mittelstandes zu sprechen. Trotz-
dem bin auch ich der Meinung, dass der deutsche Mittel-
stand langfristig mehr Eigenkapital benötigt, um zum
Beispiel die Chancen, die sich im Zuge der Globalisie-
rung bieten, so erfolgreich wie bisher zu nutzen.

Bereits seit vielen Jahren sind Private-Equity-Inves-
toren in Deutschland sehr aktiv. Mittlerweile werden
über 800 000 Arbeitsplätze in Deutschland mit ihrer
Hilfe gesichert. Diese Unternehmen tragen rund 7 Pro-
zent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Durch dieses Enga-
gement wird den Unternehmen ermöglicht, ihre Ziele
– sei es die Entwicklung eines neuen Produktes oder gar
der Börsengang – auch mit geringerer Eigenkapitalquote
zu verwirklichen.

Insbesondere junge und technologieorientierte Unter-
nehmen profitieren von dieser Finanzierungsform. Mit
ihnen steht und fällt die technologische Leistungsfähig-
keit unseres Landes. Deshalb freut es mich ganz beson-
ders, lieber Herr Zeil, dass sich auch die FDP dieses
Themas annimmt


(Markus Löning [FDP]: Oh!)


und die Bundesregierung in ihrem Bestreben unterstüt-
zen will, damit Deutschland wettbewerbsfähige Rah-
menbedingungen für Beteiligungskapital erhält.


(Beifall bei der CDU/CSU – Martin Zeil [FDP]: Sie sind doch an der Regierung!)


– Ich sagte doch, dass ich mich über Ihre Unterstützung
dabei freue.

Die Fortentwicklung der bestehenden Rechtslage in
ein Private-Equity-Gesetz wird ein wichtiger Baustein
sein, dieses Ziel zu erreichen. Meine Fraktion, die
Union, hat hierzu bereits einen detaillierten Katalog zur
steuerlichen Förderung vorgelegt. Vor allem über eine
transparentere und erleichterte Besteuerung der Anleger
sowie Eigenkapitalnehmer wird hierbei zu reden sein.

(Martin Zeil [FDP]: Nicht nur reden, sondern handeln!)


Neben den Hightechgründern und jungen Technolo-
gieunternehmen dürfen wir aber nicht den klassischen
Mittelständler der sogenannten Old Economy aus den
Augen verlieren.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es! Das ist wichtig!)


Die Aufnahme von Beteiligungskapital bleibt für viele
von ihnen nur schwer realisierbar. Das liegt primär aber
nicht am geringen Bekanntheitsgrad dieser Finanzie-
rungsform, sondern am Markt für Beteiligungskapital.
Bisher konzentrierten sich Private-Equity-Gesellschaf-
ten eher auf ausgewählte Unternehmen sowie auf das
angesprochene Segment der innovativen Jungunterneh-
men. Aber am breiten Mittelstand geht das Beteiligungs-
kapital immer noch vorbei. Die Bundesregierung tut
deshalb gut daran, Herr Zeil, gemeinsam mit der Kredit-
anstalt für Wiederaufbau unter anderem durch das Deut-
sche Eigenkapitalforum und durch ERP-Beteiligungs-
programme diese Startschwierigkeiten für interessierte
Mittelständler zu überwinden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Mittelstand ist und bleibt das Rückgrat unserer
Wirtschaft und globaler Akteur.


(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Genauso ist es!)


Um sein Potenzial auch in Zukunft voll auszuschöpfen,
bedarf es neuer Finanzierungsinstrumente. Die Große
Koalition hat bereits in ihrem Koalitionsvertrag die Wei-
chen für bessere Rahmenbedingungen für Beteiligungs-
kapital gestellt. Im Sinne der deutschen Wettbewerbsfä-
higkeit gilt es, mit dem geplanten Private-Equity-Gesetz
gezielt Anreize zu setzen, damit zukünftig die Unterneh-
merinnen und Unternehmer aufgrund ihrer Bedürfnisse
und nicht aufgrund der Empfehlung ihrer Steuerberater
zwischen Fremdfinanzierung und Beteiligungskapital
entscheiden können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg Tauss [SPD])


In diesem Sinne freue ich mich auf eine lebhafte Dis-
kussion. Ich freue mich auch, dass die FDP-Fraktion die
Bemühungen der Großen Koalition, die wir auch in die-
sem Punkt zum Erfolg führen werden, unterstützt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609814400

Das Wort hat nun Kollegin Sabine Zimmermann,

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609814500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, der
Kollege Zeil und der Kollege Wegner haben sich nicht






(A) (C)



(B) (D)


Sabine Zimmermann
richtig verstanden. Falls Bedarf besteht, würde ich ganz
gern vermitteln und dafür sorgen, dass sie sich verste-
hen.


(Kai Wegner [CDU/CSU]: Das haben wir wirklich nicht nötig! Wir verstehen uns gut! – Gegenruf des Abg. Jörg Tauss [SPD]: Nehmen Sie das Angebot mal an!)


– Herr Tauss, rufen Sie nicht immer dazwischen. Hören
Sie doch einfach mal zu!


(Beifall bei der LINKEN und der FDP – Jörg Tauss [SPD]: Ich habe doch nur eine Vermittlung gestartet!)


Geld regiert die Welt. Das wusste schon Herzog
Friedrich von Sachsen im 17. Jahrhundert. Bis heute ist
dieser Spruch für zahlreiche kleine und mittlere Unter-
nehmen bittere Realität. Viele leiden an einer zu gerin-
gen Eigenkapitalbasis und sind deswegen auf einen ein-
fachen Zugang zu langfristigen Krediten angewiesen.

Hier aber beginnt das Problem. Die FDP macht heute
zu Recht auf diese Frage aufmerksam; allerdings haben
wir – so muss ich sagen, Herr Zeil – einen etwas anderen
Ansatz.


(Martin Zeil [FDP]: Es hätte mich auch überrascht, wenn es nicht so gewesen wäre!)


Kleinstunternehmen werden von den Banken Kredite
verweigert. Größere, gewinnträchtige Mittelständler ge-
raten nicht selten in die Fänge windiger Finanzinvesto-
ren.

Sicher, die Eigenkapitalquote des Mittelstandes hat
sich etwas verbessert. Der Druck internationaler Finanz-
abkommen wie Basel II hat dazu gezwungen. Haben
Firmen nicht genügend Eigenkapital, erhalten sie Kre-
dite allenfalls zu horrenden Zinsen. Für zahlreiche
Kleinstunternehmen stellt sich dieses Problem oft gar
nicht. Ihnen verweigern Banken oftmals notwendige
Kredite; Herr Zeil, Sie haben dies betont. Jedes dritte
Unternehmen mit weniger als fünf Beschäftigten erhält
von seiner Bank einen Ablehnungsbescheid.

Es geht hier nicht nur um mögliche verschenkte Ar-
beitsplätze. Die Bundesregierung hat auf eine Anfrage
der Linken eingeräumt – ich zitiere –:

Als Folge unterbliebener Investitionen könnte die
Schaffung von bis zu 44 000 Arbeitsplätzen verhin-
dert worden sein.

Nein, es geht hier auch um eine systematische Benach-
teiligung kleiner und mittlerer Unternehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Risiko eines kleinen Unternehmens mit einem
Jahresumsatz von weniger als 1 Million Euro, von sei-
nem Kreditberater ein Nein zu hören, ist fünfmal größer
als bei einem Unternehmen mit einem Umsatz von mehr
als 50 Millionen Euro. Manager großer Konzerne setzen
Millionenbeträge in den Sand. Aber dem kleinen Hand-
werker oder Dienstleister vor Ort wird der Kredit einfach
verweigert.
Stichwort „Zahlungsmoral“. Viele mittelständische
Unternehmen leiden darunter, dass sie ihre Aufträge zu
spät oder teilweise gar nicht bezahlt bekommen. In mei-
nem Wahlkreis gibt es eine große Klinik, die im Wert
von 56 000 Euro bauen lässt und dem kleinen Handwer-
ker nur 31 000 Euro zahlt. Ich frage Sie: Ist das gerecht?
Sie nutzt die Räume, und im Endeffekt hat der kleine
Handwerker gar nicht die Möglichkeit zu klagen.

Stichwort „ERP-Programm“. Hier ist die Bundesre-
gierung dabei, ein originär mittelstandspolitisches För-
dermittel für die Haushaltslöcher des Finanzministers zu
verscherbeln.


(Ludwig Stiegler [SPD]: Ist doch nicht wahr!)


Da sind wir mit der FDP einer Meinung. Diese Regie-
rung verfolgt eine fatale Wirtschaftspolitik gegen den
kleinen Mittelstand. Aber so ist es eben mit dieser Gro-
ßen Koalition; wir sind da schon einiges gewöhnt. Ihre
Politik für mehr Markt und weniger Staat ist Gift und
führt zum Sterben von kleinen und mittleren Unterneh-
men.

Ich komme zum Schluss. Mittelständische Unterneh-
men empfinden das sich wandelnde Finanzierungs-
umfeld als Bedrohung und fürchten den Einfluss frem-
den Eigenkapitals auf die eigene Entscheidungsfreiheit;
Herr Zeil, Sie sagten es bereits. Dies empfinden sie zu
Recht, wie die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt ha-
ben. Die Regierung muss auf solche Finanzierungsins-
trumente, mit denen man nur darauf aus ist, hohe Rendi-
ten zu erzielen und die Unternehmen mit horrenden
Zinsen zu belasten, verzichten, statt sie zu fördern.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wo-
chenende. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609814600

Der Kollege Christian Lange (Backnang) hat seine

Rede zu Protokoll gegeben.1)


(Martin Zeil [FDP]: Da sieht man einmal, welchen Stellenwert der Mittelstand bei der SPD hat!)


Damit kann ich dem Kollegen Gerhard Schick, Frak-
tion des Bündnisses 90/Die Grünen, das Wort erteilen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! In einer Phase guter Konjunktur besteht nicht nur
für den öffentlichen Bereich die Gefahr, dass man ver-
gisst, welche Schwierigkeiten es im nächsten Ab-
schwung wieder geben wird. Dies gilt genauso für die
Unternehmensfinanzierung.

Ich finde es deswegen richtig, dass wir uns jetzt, in ei-
nem Moment, in dem die meisten Unternehmen im Hin-
blick auf den Kapitalzugang eigentlich nicht massiv kla-
gen, trotzdem mit diesem Thema beschäftigen. Denn

1) Anlage 2






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerhard Schick
zum einen gibt es ganz spezifische Bereiche – Herr Zeil,
Sie haben ein paar angesprochen –, in denen es immer
noch Zugangsschwierigkeiten gibt. Das gilt insbeson-
dere für den Bereich sehr innovativer und forschungs-
intensiver Unternehmen. Zum anderen geht es um eine
Art Vorsorge, also darum, was mit kleinen und mittleren
Unternehmen passiert, wenn die Innenfinanzierung nicht
so gut abläuft wie jetzt in einem konjunkturellen Auf-
schwung.

Wir können vielem, was Sie in der Analyse feststel-
len, auf jeden Fall zustimmen. Gerade für uns Grüne ist
die Finanzierung von Innovationen vor dem Hintergrund
der großen Herausforderungen, vor denen wir angesichts
des ökologischen Umbaus unserer Wirtschaft stehen, ein
extrem wichtiges Thema.

Ich fand vor allem den Punkt Rating interessant. Es ist
gut, sich genauer anzuschauen, was aus Basel II folgte.
Da besteht, glaube ich, großer Beratungsbedarf bei den
Unternehmen; die Kommunikation müsste anders lau-
fen. Da stimme ich Ihnen auf jeden Fall zu. Ihre Forde-
rungen beziehen sich in einer Reihe von Punkten im We-
sentlichen auf steuerliche Förderungsmöglichkeiten.
Man hat ein wenig den Eindruck, dass Sie es wie folgt
sehen: Da ist ein Problem, also müssen wir die Steuern
senken. – Ich glaube, so allgemein können wir das nicht
sehen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gerade bei der Abgeltungsteuer, die Sie ansprechen,
merken wir im Moment, dass es, wenn man eine Steuer-
senkung im Bereich Kapital nicht richtig justiert, nach
hinten losgehen kann.

Ich möchte diese Debatte nutzen, um noch einmal zu
schauen, was im Moment passiert. Herr Wegner, Sie sa-
gen, die Weichen seien im Koalitionsvertrag gestellt.
Dazu muss ich sagen: Ein Unternehmer hat von dem,
was im Koalitionsvertrag steht, erst einmal gar nichts.


(Martin Zeil [FDP]: So ist es! Genau!)


Er hat etwas davon, wenn Geld fließt und wenn Gesetze
verändert werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie sollten sich nicht auf ein paar Phrasen im Koalitions-
vertrag ausruhen.


(Jörg Tauss [SPD]: Das mit den „Phrasen“ nehmen Sie aber zurück!)


Es kommt darauf an – ich hoffe, dass die Wirtschafts-
politiker in der Unionsfraktion und in der SPD-Fraktion
unser Ansinnen unterstützen –, zwei wichtige Korrektu-
ren bei der Unternehmensteuerreform vorzunehmen.
Die eine Korrektur betrifft die Frage: Was passiert denn
durch die Kombination aus Unternehmensteuerreform
und Abgeltungsteuer hinsichtlich der Fremdkapital- und
Eigenkapitalfinanzierung? Finanzierungsneutralität wird
nicht erreicht. Vielmehr begünstigen wir die Fremd-
finanzierung. Das heißt, dass das Ganze nicht genau
aufeinander abgestimmt ist. Wir haben Sie deswegen in
unserem Antrag zum Wagniskapital aufgefordert, Justie-
rungen vorzunehmen. Sie wissen, dass es da auch um die
Beibehaltung des Halbeinkünfteverfahrens geht. Aus
wirtschaftspolitischer Perspektive muss man, wenn man
Ihre Analyse ernst nimmt, da noch etwas tun.


(Jörg Tauss [SPD]: Das wird gerade erledigt!)


Der zweite Punkt – auch das haben wir in unserem
Antrag zum Wagniskapital geschrieben – betrifft fol-
gende Frage: Wie schaffen wir es, dass innovative Inves-
titionen gefördert werden? Mit den jetzigen Regelungen
beim Mantelkauf sind wir nicht zufrieden. Ich weiß, dass
bei Ihnen allgemein darüber diskutiert wird. Sorgen Sie
jetzt dafür, dass es nicht bei Reden und Weichenstellun-
gen des Koalitionsvertrages bleibt, sondern dass Sie bei
dieser Unternehmensteuerreform etwas Konkretes für
eine bessere Finanzierung der Innovationen in Deutsch-
land tun.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg Tauss [SPD]: Aber rechtlich haltbar muss es auch noch sein!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1609814700

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/3841 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 28 a und
28 b sowie Zusatzpunkt 8 auf:

28 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND-
NISSES 90/DIE GRÜNEN

Den Bologna-Prozess voranbringen – Qualität
verbessern, Mobilität erleichtern und soziale
Hürden abbauen
– Drucksache 16/5256 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia

(Saarbrücken)

tion der LINKEN

Für einen sozialen Europäischen Hochschul-
raum
– Drucksache 16/5246 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)







(A) (C)



(B) (D)


Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Zweiter Bericht zur Realisierung der Ziele des
Bologna-Prozesses

– Drucksache 16/5252 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen fünf Minuten
erhalten soll. – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.

Damit eröffne ich die Aussprache und erteile Kollegin
Krista Sager, Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen,
das Wort.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609814800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Wis-

senschaftspolitiker sind sich sicher einig, dass wir die
Ziele des Bolognaprozesses unterstützen. Förderung der
Mobilität, internationale Vergleichbarkeit und Anerken-
nung von Abschlüssen – das sind gute Ziele. Diese un-
terstützen wir alle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Die Ministerkonferenz, die nächste Woche in London
stattfindet, ist aus unserer Sicht ein guter Ansatz, um
auch die Probleme ins Visier zu nehmen und zu schauen,
wo es stockt und nicht gut funktioniert. Denn die
Umstellung der Studienstruktur ist ein riesiges Re-
formprojekt. Wir müssen aufpassen, dass wir die Akzep-
tanz für dieses große Reformprojekt nicht verlieren. Bei
den Zeitzielen und den quantitativen Zielen ist Deutsch-
land sicher gut dabei; das kann man nicht anders sagen.
Wir müssen jetzt aber aufpassen, dass die Qualität des
Studiums und die Lernprozesse im Studium diesen ehr-
geizigen Zeitzielen nicht zum Opfer fallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


In den Ländern besteht durchaus Anlass zur Sorge.
Wir können feststellen, dass die Qualität des Studiums
bei der Reform nicht überall gewahrt worden ist und
dass es nicht überall gelungen ist, Qualitätssicherung
und Akkreditierung zusammenzuführen. Bei der Akkre-
ditierung gibt es einen Stau, und Sammelakkreditierun-
gen sind keine Qualitätslösung. Oft sind Zwischenprü-
fungen einfach in Bachelorabschlüsse umgewandelt
worden. Oft hat eine Verschulung stattgefunden, und die
Spezialisierung erfolgte zu früh. Das darf so nicht wei-
tergehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sehe mit großer Sorge, dass der erhöhte Betreu-
ungsaufwand im Bachelorstudium oft dazu führt, dass
Studienanfängerplätze abgebaut werden. Auch damit ge-
fährden wir die Akzeptanz dieser großen Reform. Wenn
die Betreuung in den Studiengängen, die noch nicht um-
gestellt sind, verschlechtert wird, dann gefährdet auch
das die Akzeptanz dieser Reform.

Wenn Landesregierungen im Windschatten dieser Re-
form eine Sparpolitik betreiben, die dazu beiträgt, dass
die Möglichkeit zum Übergang vom Bachelor zum
Master zum Teil nur noch bei 30 Prozent liegt,


(Jörg Tauss [SPD]: Oder ein Jahr dauert!)


dann ist das sicher nicht im Sinne des Erfinders und der
Erfinderin. Da können wir nicht ruhig zuschauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Sparpolitik untergräbt die Reform. Deswegen
muss gegengesteuert werden.

Genauso problematisch ist es, dass viele Studierende
immer noch keine Klarheit darüber haben, wie es mit der
Akzeptanz der neuen Abschlüsse in der Wirtschaft
aussieht. Es gab durchaus entsprechende Kampagnen:
„Bachelor welcome“, „More Bachelors welcome“. Aber
das reicht nicht. Wir müssen auch von den Sozialpart-
nern fordern, dass sie Klarheit darüber schaffen, was die
Studierenden mit diesen Abschlüssen von der Wirtschaft
erwarten können. Wir brauchen mehr Daten und mehr
Informationen. Die Londoner Konferenz muss einen
Beitrag dazu leisten.

Besonders schwierig wird es aber, wenn das eigentli-
che Hauptziel, Mobilität, geradezu konterkariert wird.
Wenn zum Beispiel die Leistungspunktsysteme, die
neu eingeführt worden sind, am Ende gar nicht ECTS-
kompatibel sind oder deutsche Hochschulen dazu über-
gehen, bilaterale Verträge zur Anerkennung deutscher
Abschlüsse abzuschließen, dann sind das Indikatoren für
Umstellungsdefizite. Diese Umstellungsdefizite müssen
angegangen werden. Wir dürfen nicht länger abwarten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Mobilität wird auch eingeschränkt, wenn Pro-
bleme in der sozialen Dimension hinzukommen, wenn
man sich aufgrund der Verengung und Verschulung des
Bachelorstudiums nicht für Mobilität entscheidet, son-
dern dafür, zu Hause zu bleiben. Auch das entspricht
nicht der Intention dieser Reform.


(Vorsitz: Vizepräsidentin Petra Pau)


Ein wichtiges Thema in London wird die Promotion
sein. Wir begrüßen grundsätzlich, dass die Promotion in
den Bolognaprozess einbezogen wird. Wir erwarten aber
auch, dass Sie, Frau Ministerin, sich dafür einsetzen,
dass der Zugang zur Promotion vielfältig bleibt, dass es






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager
ein freier Weg bleibt und der Weg nicht verschult wird.
Ich glaube, auch darin sind wir uns einig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Cornelia Pieper [FDP])


Ich appelliere weiter an Sie: Sorgen Sie dafür, dass
das Bolognakompetenzzentrum bei der Hochschulrekto-
renkonferenz erhalten bleibt. Ich appelliere ausdrücklich
an alle nationalen Bolognaakteure, an die Teilnehmer
der nationalen AG: Gehen Sie die Defizite gemeinsam,
koordinierter und sehr viel entschiedener an. Die Akzep-
tanz dieses großen Reformvorhabens darf an den Hoch-
schulen nicht verloren gehen. Das wäre ein großer Scha-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609814900

Für die Bundesregierung hat die Bundesministerin

Dr. Annette Schavan das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
dung und Forschung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! In der Tat ist die Konferenz,
die in der nächsten Woche in London stattfindet, eine
gute Gelegenheit für eine Zwischenbilanz. Denn der
Zeithorizont, der vor einigen Jahren beschlossen worden
ist, ist ungewöhnlich ehrgeizig. Deshalb stimme ich al-
len zu, die sagen, in London kann es nicht darum gehen,
den Bolognaprozess zu feiern, sondern wir müssen
selbstkritisch fragen, wo man angesichts der Erfahrun-
gen der mittlerweile 45 beteiligten Länder von Problem-
punkten sprechen muss.

Dabei muss klar sein: Der Bolognaprozess bedeutet
nicht die Harmonisierung von Studiengängen. Er bedeu-
tet vielmehr Transparenz und damit verbunden Über-
setzung, um in den 45 Ländern zu einer wechselseitigen
Anerkennung der erbrachten Studienleistungen zu kom-
men. Dieses wiederum ist die Voraussetzung für Mobili-
tät.

Das Kabinett hat Anfang Mai den Zweiten Bericht
zur Realisierung der Ziele des Bolognaprozesses vorge-
legt bekommen und hat ihm zugestimmt. Es gibt die po-
sitive Nachricht, dass 48 Prozent der Studiengänge in
Deutschland umgestellt sind. Allerdings sind davon erst
12 000 Studierende betroffen. Das hat damit zu tun, dass
wir in den großen Fachbereichen – Jura und den Heilbe-
rufen – noch nicht so weit sind. Bei den Juristen gibt es
klare Schulen und klare Fronten.


(Jörg Tauss [SPD]: Wir haben einen Koalitionsvertrag!)


Die Frau Kollegin Justizministerin ist ganz anderer Mei-
nung als diejenigen, die diesen Prozess vorantreiben
wollen. Aber kommt Zeit, kommt Rat. Die Schweiz bei-
spielsweise hat umgestellt.

(Jörg Tauss [SPD]: Ich bin von unseren Rechtspolitikern gerade wieder beschimpft worden!)


Sie haben die Mobilität angesprochen. Da muss man
ganz realistisch fragen: Welches werden künftig die
klassischen Zeitpunkte für Mobilität sein? Das wird sich
immer mehr in die Zeit zwischen Bachelor und Master
verlagern. Um hier mehr Internationalisierung zu er-
möglichen, muss in Gesprächen unter den Mitgliedslän-
dern im Hinblick auf die Struktur Klarheit geschaffen
werden. Meine Prognose ist: Die Mobilität wird allein
mit den bisherigen Schritten nicht erreicht werden. Das
wird nur gehen, wenn mehr Hochschulen an diesem Pro-
zess beteiligt sind und wenn es konkrete Vereinbarungen
gibt – europäische Angebote oder sogar internationale
Angebote für Studierende –, damit man zwischen den
drei Jahren dieses Bachelorstudiums unterscheiden kann.

Zu Ihrer konkreten Frage nach dem Servicezentrum
für diesen Prozess: Es steht fest, dass es ab 1. Juli dieses
Jahres ein Nachfolgeprojekt für dieses Servicezentrum
geben wird, das wie bislang der Hochschulrektorenkon-
ferenz angegliedert und bis 2010 weiter vom Bund ge-
fördert wird.


(Zuruf von der SPD: Donnerwetter!)

Das halte ich für notwendig; denn wir sind mitten im
Prozess.

Natürlich werden Fragen nach der Weiterentwicklung
des Akkreditierungssystems gestellt. Es gibt große
Universitäten, die sagen: Das könnten wir eigentlich
selbst machen. Ferner gibt es die Frage der Systemak-
kreditierung. Um all dies wird es in London gehen.

Schließlich werden wir auch in Deutschland Fragen
klären müssen. Wir müssen zum Beispiel wegkommen
von der rigiden Festlegung, dass ein Bachelorstudium
drei Jahre umfasst. Hier braucht es Spielraum; darüber
werde ich mit den Ländern sprechen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur „Drei Jahre plus zwei Jahre“ ist falsch.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)

Auch das muss unter den 16 Ländern rasch geklärt wer-
den, damit man nicht Probleme bei der Anerkennung be-
kommt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ganz wichtig!)

Zum Thema Betreuung kann ich nur sagen: Wir brau-

chen nicht weniger Studienplätze in Deutschland, wir
brauchen mehr Studienplätze in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dafür tut der Bund mit Ihrer aller Unterstützung viel.
Man muss aber auch sagen: Der Wettbewerb der

Universitäten wird auch ein Wettbewerb um Qualität
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Annette Schavan
Wer die schlechtere Qualität hat, fällt irgendwann hinten
herunter.

So gehe ich auf die Konferenz nach London. Ich bin
gerne bereit, das Parlament im Anschluss an die Konfe-
renz über die Ergebnisse zu unterrichten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609815000

Für die FDP-Fraktion hat die Kollegin Cornelia

Pieper das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Daniela Raab [CDU/CSU] – Jörg Tauss [SPD]: Machen Sie heute einen guten Abschluss!)



Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1609815100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen –

ganz besonders an Herrn Tauss gerichtet!


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Oh!)


Frau Ministerin, ich gebe Ihnen recht: Die Kriterien für
den Bolognaprozess sind Qualität, Wettbewerb und Mo-
bilität.

Wenn ich den Antrag der Linken „Für einen sozialen
Europäischen Hochschulraum“ lese, dann bekomme ich
Bedenken, ob sie unsere Meinung hinsichtlich dieser
Kriterien für den Bolognaprozess mit uns teilen; denn sie
wollen verhindern, dass die Universitäten, die Hoch-
schulen zukünftig aus eigenem Willen – wenn sie denn
autonom gestellt sind – Studiengebühren bzw. Studien-
entgelte erheben können.


(Markus Löning [FDP]: Wie unsozial von der Linken!)


Ich sage ganz klar: Das wollen wir Liberale nicht. Für
uns ist das ein Kriterium des Wettbewerbs. Um das klar-
zustellen: Die Universitäten, die Hochschulen können
die Studienentgelte selbst einfordern, müssen das aber
nicht. Wenn sie das tun, dann geschieht das natürlich,
um die Qualität der Lehre und insbesondere auch die
Studienbedingungen für die Studierenden zu verbessern.
Deswegen lehnen wir den Antrag der Linken ab, mit
dem sie eben nicht auf Wettbewerb zwischen autono-
men Hochschulen in Europa setzen.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, in der vergangenen Woche
hat sich das Bundeskabinett mit den Ergebnissen des Bo-
lognaprozesses auf der Grundlage des Nationalen
Berichts 2005 bis 2007 für Deutschland befasst. Es zeigt
sich beim genauen Hinsehen, dass wir die eigenen Inte-
ressen gegenüber einer scheinbar unausweichlichen Glo-
balisierung der Hochschullandschaft über Jahre hinweg
hintangestellt haben.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Das Ziel, ei-
nen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu
schaffen, teile ich. Ein erster Schritt war die im
Mai 1998 in Paris unterzeichnete sogenannte Sorbonne-
Erklärung zur Schaffung eines gemeinsamen Rahmens
für die europäischen Bildungssysteme. Es war der ge-
meinsame Wille, bestehende Schranken abzubauen und
allgemeine Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Ab-
sicht, ein gemeinsames System der gegenseitigen Aner-
kennung von akademischen Abschlüssen und Leistun-
gen zu schaffen, war und ist richtig.

Konkret wurde es, als die europäischen Bildungsmi-
nister im Juni 1999 die Bolognaerklärung zur Schaffung
eines Europäischen Hochschulraums bis zum Jahr 2010
und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas als
Bildungsstandort unterzeichneten. Jetzt, im Jahre 2007,
müssen wir darüber nachdenken, wie weit wir von der
Ziellinie entfernt sind und ob wir das Kernanliegen von
Bologna wirklich umgesetzt haben.

Rufen wir uns die zentralen Punkte noch einmal ins
Bewusstsein. Es ging um die Schaffung eines Systems
leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse. Das
sollte uns leiten. Darin eingebunden war die Absicht, ein
zweistufiges System von Studienabschlüssen zu entwi-
ckeln, ein Leistungspunktesystem einzuführen, die Mo-
bilität durch die Beseitigung von Mobilitätshemmnissen
zu fördern und Qualitätssicherungssysteme zu schaffen.

Im sogenannten Prager Kommuniqué wurde 1999 die
Prioritätenliste für die kommenden Jahre festgelegt. Nun
fanden auch Überlegungen zum lebenslangen Lernen
und zur Steigerung der Attraktivität und Wettbewerbsfä-
higkeit des europäischen Hochschulraums Aufnahme.

Deutschland muss jetzt im Rahmen seiner europäi-
schen Ratspräsidentschaft Zeichen setzen. Das wird
nicht leicht sein. Gemeinsam mit Großbritannien werden
wir in der nächsten Woche den Vorsitz der Ministerkon-
ferenz in London, einer entscheidenden Bolognanachfol-
gekonferenz, innehaben.

Meine Vorrednerinnen haben schon gesagt, dass aus
London Ungemach droht. Der Bildungsausschuss des
britischen Unterhauses hat grundlegende Veränderungen
der Bolognavereinbarungen gefordert. Kernpunkte der
Kritik waren eben jene Prozesse, die zu einer nicht ge-
wollten Uniformierung des europäischen Hochschul-
raums und zu einer bürokratischen Überregulierung füh-
ren werden.

Wir müssen die Kritik aus London durchaus ernst neh-
men; denn auch wir verfolgen das Ziel, die Selbstständig-
keit oder auch Autonomie der einzelnen Hochschule zu
stärken, so, wie wir das im Hochschulfreiheitsgesetz in
Nordrhein-Westfalen zum Ausdruck bringen.


(Jörg Tauss [SPD]: Na ja, diese Freiheit in NRW ist gemogelt! – Gegenruf des Abg. Markus Löning [FDP]: Jetzt waren Sie so lange ruhig!)


– Herr Tauss, die Botschaft, die auch wir teilen, lautet:
kein Bologna von oben. – Ich möchte noch einmal beto-
nen: Niemals war die Rede von Vereinheitlichung des
Systems, sondern immer von Vergleichbarkeit und
Vereinbarkeit.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Pieper
Was spricht eigentlich gegen traditionelle und regional
geprägte Ausbildungswege, wenn die Vereinbarkeit der
Abschlüsse gesichert ist?


(Jörg Tauss [SPD]: Ja!)


Ist das europäische Kreditpunktesystem wirklich der
Schlüssel zur Vergleichbarkeit von Studienleistungen,
oder wird dadurch nicht eher nur die Anwesenheit in
Vorlesungen und Seminaren ausgedrückt? Die Europäi-
sche Kommission hat offensichtlich auch Zweifel; denn
sie hat zugestimmt, das Kreditpunktesystem zu bear-
beiten. Ob und inwieweit das System des nationalen
Qualifikationsrahmens, der sich an den Lernergebnis-
sen vergleichbarer Hochschulabschlüsse orientiert, das
Wohlwollen der anderen Europäer findet, wird sich zei-
gen.

Eine Position der Briten sollten wir in London aber
unbedingt unterstützen: Die Promotionsphase darf kei-
nesfalls – darin gebe ich Ihnen recht, Frau Sager – durch
die Anwendung des Kreditpunktesystems verschult wer-
den. Das würde dem Sinn der Promotionsphase als eines
wichtigen Schritts in eine Wissenschaftslaufbahn zuwi-
derlaufen.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


An einem Doktorandenstudium kann wirklich niemand
in Europa interessiert sein. Wir sollten die mahnenden
Worte aus den Technik- und Ingenieurwissenschaften
ernst nehmen.

Überzeugungsarbeit muss aus meiner Sicht in London
auch geleistet werden, wenn es darum geht, die Forde-
rung der deutschen Hochschulrektorenkonferenz zu un-
terstützen, ein europäisches Register für Akkreditie-
rungsagenturen einzuführen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609815200

Kollegin Pieper, wir schließen die Debatte heute nicht

ab. Ich bitte Sie deshalb, zum Schluss zu kommen.


Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1609815300

Gut, Frau Präsidentin. – Das unterstützen wir, und wir

wünschen der Ministerin bei den Verhandlungen in Lon-
don viel Glück.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609815400

Das Wort hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1609815500

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau

Präsidentin, Sie haben eben darauf hingewiesen, dass
wir die Debatte heute nicht abschließen. Wir haben sie
heute aber auch nicht begonnen. Der Bolognaprozess
läuft seit 1999. Wir haben schon 2003 und 2005 Debat-
ten geführt. 2007 debattieren wir jetzt erneut, und zwar
endlich wieder vor der Konferenz statt hinterher. Das
lässt darauf hoffen, dass wir noch Einfluss nehmen kön-
nen, wenn Frau Schavan und Frau Erdsiek-Rave
Deutschland auf der Konferenz vertreten.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Wunderbar!)


Im Übrigen ist festzustellen, dass diese Debatten im-
mer stärker konsensorientiert verlaufen. Ich will nicht
kleinlich sein; man soll schließlich mit einem Lob
schließen. Wenn man bedenkt, dass es bei der ersten Dis-
kussion zum Hochschulrahmengesetz eine große Kraft
gab, die nicht einmal die Verpflichtung zur Bachelor-
Master-Struktur im Hochschulrahmengesetz verankern
wollte, sind wir inzwischen sehr weit gekommen. Denn
jetzt geht es schon manchen nicht mehr schnell genug.
Die Oberkritiker von damals – Baden-Württemberg und
Bayern – wollen jetzt die Weiterentwicklung als beson-
ders dringlich schnell und zwingend vorantreiben.

Ich erinnere mich auch an Debatten, in denen ein Mi-
nisterpräsident aus Hessen gegen das, was wir alle heute
begrüßen – nämlich dass der Bund ein solches Service-
kompetenzzentrum fördert –, beim Bundesverfassungs-
gericht geklagt hat.


(Jörg Tauss [SPD]: Oh, dieser Koch!)


Wir haben hier eine Debatte geführt, in der Herr Rachel,
der jetzt als Staatssekretär neben unserer Ministerin sitzt,
vehement in die Tonlage des hessischen Ministerpräsi-
denten mit eingestimmt hat. Inzwischen ist wieder alles
gut, weil jetzt auf der Regierungsbank das Sein das Be-
wusstsein bestimmt und neue Einsicht gedeiht.


(Jörg Tauss [SPD]: Alles wird gut!)


Ich erinnere mich auch daran, dass es seinerzeit bei-
nahe infrage gestellt worden wäre, dass eine Bundesmi-
nisterin Deutschland auf der Konferenz in Bergen mit
vertreten könnte. Daran haben wir nie gezweifelt. Des-
wegen freuen wir uns auch, Frau Schavan, dass Sie jetzt
zusammen mit Frau Erdsiek-Rave Deutschland vertre-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei der CDU/CSU)


Insoweit sind wir auf einem guten Weg zum Konsens.
Wir sind gleichzeitig auf dem Weg zur Normalität. Ich
erinnere an die Feststellung von Frau Selg in einer frühe-
ren Debatte, je mehr Länder beteiligt seien, desto
schwieriger werde es, den Prozess konsequent fortzuset-
zen. Sie dachte vor allem daran, dass Länder wie Arme-
nien und Aserbeidschan diesen Prozess stören könnten,
was die Gemeinsamkeit angeht.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wird über
das berichtet, was im englischen Bildungsausschuss ak-
tuell dazu beschlossen wurde. Die Gegensätze zwischen
England und Armenien – das eine ist ein Kernland; das
andere wird eher abschätzig betrachtet – zeigen, dass der
Bolognaprozess an Flexibilität gewinnen kann. Wir un-
terstützen deshalb ausdrücklich Ihre Absicht, Frau Mi-
nisterin, die strenge Regelung, den Bachelor nach drei
Jahren und den Master nach einem weiteren Jahr oder
spätestens nach zwei weiteren Jahren vorzusehen, auch






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Dieter Rossmann
im Interesse der Unterschiede zwischen den Ländern zu
lockern. Wir meinen, das ist eine gute Weiterentwick-
lung,


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


weil sie auch berücksichtigt, dass mit dem Bolognaab-
kommen von Anfang an ein Prozess verabredet worden
war, der zu einer Verbesserung der Strukturen, der
Lehre, zu mehr Berufsorientierung, Kooperation und In-
ternationalität führen sollte.

Sie haben in dem vorgelegten Bericht vier Schwer-
punkte für Ihre Einwirkung in diesen Prozess, der in
London fortgesetzt wird, genannt: die Struktur, die
Qualität, die Doktorandenausbildung und die soziale Di-
mension. Aus sozialdemokratischer Sicht will ich gerne
anmerken, dass die Fraktion der Grünen dankenswerter-
weise einen sehr profunden Antrag eingebracht hat. Von
der Analyse bis zur Vielfalt der Ideen schließen wir uns
dem im Grundsatz gerne an. Das sage ich ausdrücklich
an die Adresse dieser Fraktion, die in diesem Fall eigent-
lich gar nicht Opposition ist.

Frau Ministerin, Sie möchten gerne an einer Vertie-
fung der Strukturdebatte mitwirken und haben selber
die Frage aufgeworfen, wie es in Deutschland um die
Studiengänge bestellt ist, die mit dem Staatsexamen ab-
geschlossen werden. Wir stimmen Ihrer mutigen Ankün-
digung zu, dass man auch an die Juristenausbildung
– diese ist im Koalitionsvertrag noch ausdrücklich aus-
geschlossen – denken müsse. Wir freuen uns, dass wir
hier mit Ihnen über den Koalitionsvertrag – er ist ja nicht
sakrosankt – hinausgehen können. Aber ist das eigentli-
che Problem nicht die Lehrerausbildung in Deutsch-
land? In Deutschland gibt es 90 000 Jurastudenten, aber
200 000 Lehramtsstudenten. Eine konzertierte, abge-
stimmte Gestaltung des Lehramtes hätte eine gewaltige
Signalwirkung, gerade was die Attraktivität dieses Beru-
fes angeht. Wenn Sie zusammen mit uns in der Kultus-
ministerkonferenz das hinbekämen, dann wäre das eine
Großtat für über 200 000 junge Menschen, die auf ein
solch schönes Ausbildungsziel hinstudieren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie haben des Weiteren mehr Akzeptanz in der Wirt-
schaft gefordert. Die Akzeptanz in der Wirtschaft
wächst, wenn wir dokumentieren können, dass die
Akzeptanz im öffentlichen Dienst zunimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Bitte ist: Lassen Sie Bund und Länder dokumen-
tieren, welches positive Einstellungsverhalten die öffent-
liche Hand in Bezug auf Bachelor- und Masterab-
schlüsse hat. Mit einer solchen positiven Dokumentation
können wir der Wirtschaft zeigen, was wir von einem
guten Bachelor- und Masterabschluss halten.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben zudem die Qualitätssicherung angespro-
chen. Es kursieren mehrere Begriffe wie Programmak-
kreditierung, institutionelle Akkreditierung und – neuer-
dings – Prozessakkreditierung. Wir sollten eines
festhalten: Entscheidend muss bleiben, dass es sich um
eine neue Qualität und nicht nur um einen Wechsel der
Leitbegriffe handelt. Der Grundsatz „Qualität geht vor
Schnelligkeit“ bedeutet in einer Politik, in der sich kon-
servative und fortschrittliche Elemente auf ein gemein-
sames Ziel einigen, einen gemeinsamen Rückhalt. Diese
Orientierung mag sich – genauso wie es die Hochschul-
rektorenkonferenz angeregt hat – auf die Qualität einer
Hochschule in den verschiedenen Evaluationen und Ver-
gleichbarkeiten beziehen. Aber Ihr Vorschlag, meine Da-
men und Herren von der Fraktion der Grünen, dass das
vor allem fachbereichsbezogen ernst genommen werden
müsse, ist bedenkenswert. Eine Hochschule ist gewaltig
groß. Daher wäre etwas gewonnen, wenn sich der Pro-
zess auf Fachbereiche bezöge.

Sie haben des Weiteren die Intensivierung der inter-
nationalen Vernetzung angesprochen. Wir von der SPD
möchten hier auf einen Vorschlag zurückkommen, den
wir 2005 zusammen mit den Grünen in die Debatte ein-
gebracht hatten. Kann eine Verbesserung der Akkreditie-
rung nicht auch durch einen Austausch internationaler
Akkreditierungsexperten erreicht werden, um über den
personellen Austausch Homogenität bzw. Annäherung
im Verständnis zu erzielen? Frau Ministerin, diese Idee
möchten wir Ihnen gerne auf den Weg mitgeben. Der
Pool, den der Zusammenschluss der Studierenden ge-
schaffen hat, die sich am Akkreditierungsprozess beteili-
gen, mag dafür ein kleines deutsches Vorbild sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine weitere Zielrichtung, die die Bundesregierung
für London vorgibt, ist die Strukturierung der Doktoran-
denausbildung. Wir teilen das voll und ganz, und zwar
auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Lissabonprozess
mit dem großen Ziel, den wissensbasierten Wirtschafts-
raum in Europa zum Blühen zu bringen, daran scheitern
könnte, dass uns 500 000 Wissenschaftler – das steckt
eigentlich hinter dem Ziel, 3 Prozent des Bruttoinlands-
produkts für Forschung und Entwicklung auszugeben –
fehlen. So viele Wissenschaftler kann man allerdings nur
gewinnen, wenn man nicht nur Bachelor- und Masterstu-
diengänge einrichtet, sondern auch die Exzellenz und die
Doktorandenausbildung weiterentwickelt. Es ist extrem
wichtig, dass das miteinander verbunden wird.

Sie kennen es schon: Die soziale Dimension kommt
bei uns Sozialdemokraten immer zum Schluss, weil sie
von zentraler Bedeutung ist. Sie kommt freudvoll, wenn
es um die Perspektiven geht, die wir in Sachen BAföG
schaffen konnten. Sie grenzt uns an einer Stelle aller-
dings von der Fraktion Die Linke ab. Wir sind genau wie
Sie gegen Studiengebühren; aber wir würden Studien-
gebühren nicht zum Ausschlusskriterium machen, wenn
es um die Teilhabe am Bolognaprozess geht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Deshalb ist Ihr Antrag an der Stelle zu kurz gedacht,
oberflächlich und in der Sache nicht zu akzeptieren.






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ernst Dieter Rossmann
Ich komme abschließend zu zwei Punkten aus dem
Konzept der Grünen, die wir gerne aufnehmen.

Erstens. Wir finden es gut, dass Sie die Frauenförde-
rung – vom Bachelor bis zum Doktoranden- und Habili-
tationsstadium – noch einmal thematisiert haben. Kön-
nen wir nicht das Versprechen, einen großen Schritt in
Sachen Krippen – Vereinbarkeit von Beruf und Familie –
zu machen, als Erstes ganz konkret im Hinblick auf die
Vereinbarkeit von Studium und Familie einlösen?
Kann auch das Teil eines Bund-Länder-Programmes
sein? Wir wollen nicht allein ein Frauenförderprogramm
in Bezug auf Professorinnen auflegen – wir haben zur
Kenntnis genommen, dass Sie an einem solchen Pro-
gramm arbeiten –, sondern wir wollen auch ein gezieltes
Ausbauprogramm mit dem Ziel der Vereinbarkeit von
Studium und Kindern entwickeln. Unseres Erachtens ist
die Umsetzung Ihrer Idee wünschenswert.

Zweitens. Unter Ziffer 18 sprechen Sie die „europäi-
sche Dimension“ an. Vielleicht knüpfen Sie damit an die
Frage an, über die etwa an der Reformuniversität Lüne-
burg oder anderswo nachgedacht wird: Könnte es so et-
was wie eine Einstiegsphase, eine Kollegphase geben?
Darüber muss man nachdenken. Wir finden es aber auch
wichtig, die europäische Dimension inhaltlich zu be-
schreiben, weil Bologna nicht zu einem Synonym für ein
System verkommen darf; Bologna muss als Synonym
für eine positive Haltung zu einem europäischen und in-
ternationalen Hochschullebensweg stehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Sinne danke ich für die Aufmerksamkeit.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Konferenz in Lon-
don, bei der Sie Ihre Anliegen voranbringen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609815600

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Hirsch das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Cornelia Hirsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609815700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben es gehört: Das zentrale Ziel im Bolognapro-
zess war und ist europaweite Vergleichbarkeit im Stu-
dium. Das Ganze ist natürlich nicht als Selbstzweck ver-
folgt worden, sondern war mit dem Versprechen an
Studierende, an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler verbunden, europaweite Mobilität zu ermöglichen.

Wir können uns jetzt anschauen, was einige Jahre
nachdem der erste Anstoß gegeben wurde, daraus ge-
worden ist. Frau Sager hat richtigerweise darauf hinge-
wiesen, dass das mit der Mobilität noch nicht ganz so
funktioniert, wie man sich das vorgestellt hat. Ganz im
Gegenteil!
Man hat den Studierenden versprochen: Wenn du bei-
spielsweise in Berlin angefangen hast, zu studieren, kann
es klappen, dass du ein Auslandssemester in Warschau
machst und danach vielleicht dein Studium in London,
Mailand oder anderswo beendest. Mittlerweile ist es so
weit gekommen, dass die Studierenden feststellen: Ich
kann nicht einmal mehr zwischen Berlin und Konstanz
oder zwischen Berlin und Rostock oder zwischen Ham-
burg und Tübingen wechseln, weil die Studiengänge in
keiner Form mehr zusammenpassen.

Das Studium ist nicht nur unübersichtlicher geworden
– es gibt einfach in jedem Bundesland und fast an jeder
Hochschule unterschiedliche Konzepte –, sondern die
Studienverläufe sind auch extrem unflexibel geworden.
Wenn Studierende beispielsweise in Jena anfangen, Poli-
tikwissenschaft zu studieren, und dann versuchen, auf
eine andere Hochschule zu wechseln und dort wieder
reinzukommen, dann passiert es unglaublich oft, dass ih-
nen gesagt wird: Im zweiten Semester fehlt dir aber ir-
gendein Modul XY. Obwohl du im sechsten Semester
bist, kannst du dann im Prinzip wieder ganz von vorne
anfangen.

Das halten wir für komplett verkehrt. Frau Ministerin
Schavan, wir sehen aber nicht, dass Sie an dieser Logik
in irgendeiner Form etwas ändern wollen. Ganz im Ge-
genteil: Wir haben am Mittwoch von Ihnen gehört, dass
das Bundeskabinett beschlossen hat, den Entwurf eines
Gesetzes zur Abschaffung des Hochschulrahmenge-
setzes vorzulegen. Wir haben auch festgestellt, dass es
dann einzelnen Bundesländern möglich ist, aus dem jetzt
existierenden System der Qualitätssicherung auszustei-
gen, wenn sie das wollen. Es hat mit Mobilität, die man
europaweit erreichen will, wirklich überhaupt nichts
mehr zu tun, wenn man dieses Ziel schon im eigenen
Land über den Haufen wirft.

Wir können also feststellen: Das zentrale Versprechen
in Verbindung mit dem Bolognaprozess ist gebrochen;
das Gegenteil des Versprechens ist eingetreten. Das hal-
ten wir für falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Der zentrale Grund dafür, dass wir, Die Linke, heute
den Antrag vorgelegt haben, den Bolognaprozess auf
eine neue Grundlage zu stellen und einen neuen Auf-
schlag zu machen, ist aber nicht, dass die europaweite
Mobilität offensichtlich nicht funktioniert. Aus unserer
Sicht fehlt bei dieser ganzen Thematik bisher die soziale
Frage. Frau Sager und Herr Rossmann haben zwar da-
rauf hingewiesen, dass dieser Prozess durchaus eine so-
ziale Dimension beinhalte, aber was steht dort dahinter?

Frau Sager, ich kann an Ihrem Antrag konkret deut-
lich machen, was uns fehlt. Sie führen in einem von
19 Punkten aus, dass Sie ein bisschen mehr Wohnheime,
ein bisschen mehr Beratung wollen. Sie freuen sich über
die Verbesserung bei der Mitnahme von Auslands-
BAföG. Ganz davon abgesehen, dass sich das Auslands-
BAföG nach dem, was die Bundesregierung gerade vor-
gelegt hat, verschlechtert, ist der zentrale Fehler, dass
Sie in Ihrem Antrag gleichzeitig den Bolognaprozess als
einen wesentlichen Bestandteil der Lissabonstrategie se-






(A) (C)



(B) (D)


Cornelia Hirsch
hen. Zur Lissabonstrategie gehören aber auch die Emp-
fehlungen der EU-Kommission zur Einführung von Stu-
diengebühren


(Markus Löning [FDP]: Das ist doch vernünftig!)


und zu mehr Public Private Partnership im Hochschul-
bereich. Das hat mit einer sozialen Grundlage für einen
solchen Prozess überhaupt nichts mehr zu tun. Das ist
nur soziales Beiwerk, das hinzugefügt wurde.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich frage Sie nun: Was bringt es den Studierenden
oder den an einem Studium Interessierten, wenn so et-
was gemacht wird? Man sagt ihnen: Ihr dürft jetzt Stu-
diengebühren bezahlen, und wir versuchen es irgendwie
hinzukriegen, dass das Geld tatsächlich in die Hochschu-
len fließt, was wahrscheinlich nicht eintreten wird. Dafür
habt ihr eine tolle Studienberatung.

Soziale Ungleichheit werden Sie auf diese Weise
nicht abbauen können.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sagen wir als Linke: Dieser Prozess braucht
eine neue Grundlage. Das könnte der UN-Sozialpakt
sein, in dem unter anderem Gebührenfreiheit festgelegt
wird. Das ist dann kein Ausschlusskriterium, sondern ein
Versuch, gerade im Hochschulbereich einen sozialen
Raum zu schaffen. Das könnte der Anstoß sein, um ins-
gesamt für ein soziales Europa zu streiten. Darum
müsste es uns allen gemeinsam gehen. Die Frau Ministe-
rin hätte die Möglichkeit, das in London einzubringen
und darauf hinzuwirken. Wir wünschen uns stark, dass
Sie das tun. Dazu hätten Sie unsere volle Unterstützung.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609815800

Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Anette

Hübinger das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Anette Hübinger (CDU):
Rede ID: ID1609815900

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Sehr geehrte Da-

men und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt aus-
drücklich den voranschreitenden Bolognaprozess, der
sich, wie im vorgelegten Bericht nachzulesen ist, auf ei-
nem guten Weg befindet. Der Bericht zeigt, dass wir uns
im europäischen Vergleich nicht zu verstecken brauchen.
Der Bolognaprozess bedeutet tiefgreifende Veränderun-
gen und große Herausforderungen für das deutsche
Hochschulsystem. Darauf wurde heute schon mehrfach
hingewiesen. Er bedeutet aber auch – das ist das Wich-
tige für mich – große Chancen. An diesen Chancen soll-
ten wir uns orientieren.

Die Probleme, die sich bei der Umsetzung eines ge-
meinsamen europäischen Hochschulraumes ergeben,
sind erkannt und werden im vorgelegten Bericht be-
nannt. Die an diesem Prozess beteiligten Akteure wer-
den ihn auch in der Zukunft kritisch begleiten; denn wir
wissen, wie wichtig für die Entwicklung und Wettbe-
werbsfähigkeit unseres Landes eine vielseitige, qualita-
tiv hochwertige und auch berufsorientierte Ausbildung
unserer jungen Menschen ist. Die globalisierte Welt for-
dert eine verstärkte Mobilität und die Bereitschaft dazu.
Hier eröffnen die Bachelor- und Masterstudiengänge
im europäischen Hochschulraum Chancen, die noch
mehr gefördert werden müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der vorgelegte Bericht zeigt Wege hierfür auf, wie die
Einbindung von Auslandsaufenthalten in die Curricula.
Weitere Wege hat Frau Ministerin heute angesprochen.

Verehrte Kollegen der Fraktion des Bündnisses 90/
Die Grünen, Sie benennen in Ihrem Antrag bestehende
Probleme bei der Umsetzung des Bolognaprozesses und
wiederholen damit lediglich die bereits im vorgelegten
Bericht dargestellten Herausforderungen. Ferner spre-
chen Sie von einer verschlechterten Ausgangsbedingung
durch die Föderalismusreform I. Sie verkennen meines
Erachtens damit die Chancen, die sich aus der Kompe-
tenzverlagerung auf die einzelnen Bundesländer erge-
ben.


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)


Durch den Bolognaprozess soll das Hochschulstudium
internationalisiert werden. Die Internationalisierung soll
gerade nicht mit einer Uniformität der neuen Studien-
gänge einhergehen. Vielfalt an neuen und unterschiedli-
chen Studiengängen ist gewollt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!)


Wettbewerb der Hochschulen, national wie auch inter-
national, bringt uns nach vorne.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bundesregierung nimmt mit dem Hochschulpakt
zwischen Bund und Ländern und der anstehenden No-
velle des BAföGs Verantwortung im Rahmen ihrer
Kompetenzen wahr und leistet einen wichtigen Beitrag
zur erfolgreichen Umsetzung dieses Prozesses. Die Ak-
zeptanz der Bachelor- und Masterabschlüsse in der
Gesellschaft und in der Wirtschaft muss jedoch weiter
zunehmen; auch das wurde heute schon festgestellt. Die-
ses Ziel wird in dem vorgelegten Bericht klar zum Aus-
druck gebracht. Die Erklärungen führender deutscher
Unternehmen unter dem Motto „Bachelor welcome!“
und „More Bachelors and Masters welcome!“ sind
– Frau Sager hat darauf hingewiesen – daher zwar erste,
aber keine ausreichenden Schritte.

Meine Damen und Herren von der Fraktion Die
Linke, Sie verkennen in Ihrem Antrag, dass der gleich-
berechtigte Zugang zu den Hochschulen in unserem
Land gesetzlich garantiert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ferner wird den sozialen Bedürfnissen der Studierenden
durch unterschiedliche finanzielle Unterstützungen
heute weitgehend Rechnung getragen: sei es das BAföG,
das durch die anstehende Novelle den neuen Herausfor-






(A) (C)



(B) (D)


Anette Hübinger
derungen angepasst wird, sei es die indirekte Studienfi-
nanzierung durch die Studentenwerke oder seien es die
unterschiedlichen Stipendien, die an die Studierenden
vergeben werden.

Die Mobilität, die ein zentrales Ziel des Bolognapro-
zesses ist, wird zum Beispiel durch Stipendien des Deut-
schen Akademischen Austausch-Dienstes und das Eras-
mus-Programm gefördert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Weiterhin verkennen Sie, Kollegen der Fraktion
Die Linke, dass weite Bereiche der Hochschulpolitik – so
auch die Studienfinanzbeiträge von Studierenden – heute
in die Kompetenz der Länder fallen.

Abschließend ist zu sagen: Die Verwirklichung der
Ziele des Bolognaprozesses ist nicht durch staatliche Re-
gulierung, sondern nur durch eine Erweiterung der Auto-
nomie der einzelnen Hochschulen zu erreichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Diesen Weg wird die CDU/CSU-Fraktion gemeinsam
mit unserer Ministerin auch in der Zukunft verfolgen.
Wir wünschen der Ministerin in London viel Erfolg.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609816000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf
den Drucksachen 16/5256, 16/5246 und 16/5252 zu
überweisen: zur federführenden Beratung an den Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung und zur Mitberatung an den Rechtsausschuss,
an den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, an
den Ausschuss für Arbeit und Soziales, an den Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, an den
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
sowie an den Ausschuss für die Angelegenheiten der Eu-
ropäischen Union. Gibt es dazu anderweitige Vor-
schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktionen der FDP und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zur Finanzie-
rung des geplanten Ausbaus von Kinderkrip-
pen

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Ina Lenke für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Johannes Singhammer [CDU/CSU])


Ina Lenke (FDP):
Rede ID: ID1609816100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am

19. März las ich in der „FAZ“ die Überschrift: „Von der
Leyen kündigt eigene Finanzierungsvorschläge für Krip-
pen an“. Zwei Monate später liegt immer noch kein
Krippenkonzept vor. Als die Opposition dieses Thema in
der letzten Sitzungswoche auf die Tagesordnung des
Bundestages setzte, fehlte die Ministerin und schwieg
der Staatssekretär. Jeden Tag ein neues Interview, und je-
des Mal macht die Ministerin einen neuen Finanzie-
rungsvorschlag für die Betreuung von Kindern unter drei
Jahren.

Von der Leyen versprach zuerst Zuschüsse des Bun-
des in Höhe von 3 Milliarden Euro. Dann sollten es
600 Millionen Euro nur für Investitionen sein. Nebenbei
gefragt: Was ist eigentlich mit den Tagesmüttern und Ta-
geseltern? Danach war die Rede von 4 Milliarden Euro
aus dem Bundeshaushalt. Gestern kündigte die Ministe-
rin beim Deutschen Landkreistag an, der Bund werde
sich nicht nur an den Investitionen beteiligen, sondern
auch an den Betriebskosten für Krippen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist auch gut so!)


– Frau Kressl, ich finde es sehr schön, dass Sie mit dem,
was die Ministerin macht, einverstanden sind.

Von Tagesmüttern, die in die Planung bereits zu ei-
nem Drittel eingebunden sind, ist nicht die Rede. Investi-
tionen in Krippenplätze helfen Tagesmüttern und -vätern
überhaupt nicht.


(Beifall bei der FDP)


So ein Chaos wie in dieser Großen Koalition habe ich
in meiner Zeit im Deutschen Bundestag seit 1998 bisher
noch nie erlebt.


(Heiterkeit bei der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Dauerzustand! – Jörg Tauss [SPD]: Da habe ich Dinge erlebt, die glauben Sie gar nicht!)


– Herr Tauss, wir beide kennen uns ja. Hören Sie lieber
zu, dann können Sie noch etwas lernen.


(Beifall bei der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Frau Lehrerin Lenke! – Zuruf des Abg. Jörg Tauss [SPD])


– Das war nicht ernst gemeint.

Der Gipfel ist der Vorschlag, eine Krippenstiftung zu
gründen. Sollen es künftig Stiftungsbeiräte oder andere
Gremien in dieser Stiftung sein, die entscheiden, wie das
Geld ausgegeben wird? Die Kommunen sollen auch
Geld in diese Stiftung geben. Damit entmündigt man die
verantwortlichen Kommunalpolitiker, die vor Ort indivi-
duelle Lösungen finden sollen.


(Beifall bei der FDP)


Unserer Meinung ist auch der Deutsche Landkreistag.
Dieser hat sich – genau wie die FDP – für eine Finanzie-
rung der Krippenplätze über die Mehrwertsteuer ausge-
sprochen, denn das ist verfassungsrechtlich einwandfrei
und kollidiert nicht mit der Föderalismusreform. Heute
erwarten wir – insbesondere die Opposition – eine Aus-






(A) (C)



(B) (D)


Ina Lenke
sage der Bundesregierung dazu, wie sie die Finanzierung
der Krippenplätze, der Tagesmütter usw. handhaben
wird.

Die Menschen sind es leid – ich habe das wirklich
selbst gehört –, dass sich die Große Koalition Tag für
Tag unproduktiv streitet und auf dem Rücken von Eltern
und Alleinerziehenden parteipolitische Süppchen ge-
kocht werden.


(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das machen wir nie!)


– Das ist so; seit Wochen geht das so.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Ina, denk an deinen Blutdruck!)


Das FDP-Konzept für eine bessere Betreuung für
Kinder unter drei Jahren will mehr Wahlfreiheit und Fle-
xibilität für Eltern. Dringend benötigen wir mehr ge-
werbliche Anbieter, Elterninitiativen und Betriebskitas.
Meinen Kollegen aus den neuen Bundesländern, in de-
nen ich auch oft bin, möchte ich sagen: Es gibt dort im-
mer weniger kommunale Kitas, denn diese werden im-
mer öfter auch von anderen Anbietern übernommen.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wo ist der Fehler? Es gibt doch weiterhin die Plätze!)


Ein Blick in das Sozialgesetzbuch VIII zeigt, dass der
Gesetzgeber gar keine Wahl mehr hat, Frau Marks. Der
Gesetzgeber hat die Pluralität der Einrichtungen gefor-
dert und sichergestellt.


(Beifall bei der FDP – Caren Marks [SPD]: Das ist doch in Ordnung!)


Die SPD zeigt gerade im Ausschuss – aus den Aus-
schusssitzungen darf ich ja nicht zitieren –, dass sie diese
gesetzliche Bestimmung ignoriert und allem misstraut,
was der Staat nicht selbst organisiert. Unser Finanzie-
rungskonzept ist einfach und klar. Mit unserem Sofort-
programm wollen wir den Kommunen vorab aus dem
Mehrwertsteuertopf 1 Prozent mehr geben; das sind
jährlich 1,5 Milliarden Euro.

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert
Walter, warnt Sie vor Fehlinvestitionen. Auf Effizienz
müsse geachtet werden. Ich zitiere Herrn Walter:

Hier sollte der Staat auf Privatisierung setzen.

Das ist ein Teil unseres Lösungsvorschlags. Das be-
stehende Organisationssystem der Kinderbetreuung vor
Ort hat derzeit ein Übermaß an staatlicher Versorgungs-
mentalität und grenzt kommerzielle Anbieter aus. Es
fehlt an echtem Wettbewerb.

Zum Finanzierungskonzept der FDP gehören auch
Bildungsgutscheine: Jedes Kind nimmt sozusagen im
Rucksack die staatliche Subvention für eine Tagesmut-
ter, eine kommunale Einrichtung usw. mit. Die Betriebs-
erlaubnis, durch die geprüft wird, ob das Personal ausge-
bildet ist und ausreichend Räumlichkeiten vorhanden
sind, wird erst erteilt, wenn alles stimmt.
Kinder und junge Familien erfordern Investitionen,
und zwar in unser aller Zukunft. Konsolidierung des
Bundeshaushalts, notwendige Investitionen für Bildung
und Betreuung und Steuerentlastung der Bürger, das ist
ein notwendiger Dreiklang. Das hat diese Regierung zu
leisten, und zwar jetzt bald.


(Beifall bei der FDP – Dr. Uwe Küster [SPD]: Jetzt aber rasch zur Parlamentsärztin! Den Blutdruck kontrollieren!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609816200

Für die Bundesregierung hat nun die Bundesministe-

rin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr.
Ursula von der Leyen, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
wollen den Ausbau der Kinderbetreuung. Egal welches
Umfrageergebnis der letzten Monate man sich ansieht:
Der Ausbau der Betreuung von Kindern unter drei Jah-
ren findet in der Bevölkerung breite Zustimmung. Sie
liegt immer bei mehr als 70 Prozent.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Also machen Sie es endlich! Jetzt müssen Sie es auch finanzieren! Los!)


Das gibt uns Rückenwind. Aus diesem Grunde wird die
Bundesregierung den Weg, den sie seit Jahresanfang be-
schritten hat, beharrlich und zielorientiert weitergehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ina Lenke [FDP]: Wir brauchen aber eine Entscheidung, und zwar jetzt! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollen nicht in der politischen Landschaft spazierengehen! Sie sollen uns einen Gesetzentwurf vorlegen! Wo ist denn nun Ihr Konzept?)


Am 2. April dieses Jahres ist es zum allerersten Mal
gelungen – das hat es vorher noch nie gegeben –, dass
sich Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände
darauf verständigt haben, die Betreuungsangebote bis
2013 auf 750 000 Plätze zu erhöhen.


(Ina Lenke [FDP]: Was für ein Ergebnis! Ich bin begeistert! – Miriam Gruß [FDP]: Wann hören wir von Ihnen endlich einmal etwas Neues?)


Das entspricht einem Betreuungsangebot für jedes dritte
Kind. Dies umfasst Tagesmütternetze, altersgemischte
Gruppen und reine Krippenplätze.


(Miriam Gruß [FDP]: Das ist gut! Aber wir brauchen es jetzt!)


Die Betriebs- und Investitionskosten betragen bis zum
Jahr 2013 zusammen 12 Milliarden Euro. Das ist eine
gewaltige Summe, die wir in den nächsten sechs Jahren
stemmen müssen. Aber wir wollen sie stemmen.






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch nur um die Investitionskosten!)


Wenn sich drei Partner auf ein gemeinsames Ziel ver-
ständigt haben, dann muss es fair zugehen: Jeder muss
ein Drittel der Last tragen, nicht weniger, aber auch nicht
mehr.

Ich möchte außerdem, dass das Geld vor Ort an-
kommt und dass es für die Kinderbetreuung eingesetzt
wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Idee!)


Wir wollen nicht noch einmal eine so verschlungene Fi-
nanzierung, dass das Geld beim Bund abgebucht wird,
dass aber vor Ort nichts ankommt und niemand mehr
überprüfen kann, in welchem Haushaltstitel es aufgegan-
gen ist.

Der sauberste, direkteste und verfassungskonformste
Weg ist die Investitionskostenhilfe des Bundes. Wenn
aber Länder und Kommunen sagen, dass sie weniger
durch die Investitionskosten als vielmehr durch die Be-
triebskosten belastet werden, dann suchen wir auch hier-
für einen Weg.


(Ina Lenke [FDP]: Ja, ja! Aber wann?)


Mir ist die Drittelfinanzierung wichtig.

Wir denken über eine Stiftungslösung nach; das war
zu lesen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: Gesundheitsreform, die Zweite!)


Bedingung ist: Eine solche Lösung muss praktikabel und
zielgerichtet sein.

Woher soll das Geld kommen? Erstens kommt es aus
der demografischen Ersparnis. Für Kinder, die in den
vergangenen 25 Jahren nicht geboren wurden, wird der
Finanzminister in den kommenden 25 Jahren bzw. Kin-
dergeldjahrgängen kein Geld ausgeben müssen. Dass es
weniger Kinder gibt, ist zu beklagen. Aber das ist eine
Tatsache, die sich ganz solide vorausberechnen lässt.
Das entspricht bis zum Jahre 2013 3,2 Milliarden Euro.
Das wird übrigens auch vom Bundesfinanzministerium,
vom Fraunhofer-Institut und vom Bundesamt für Statis-
tik so gesehen.

Selbst wenn jetzt wieder mehr Kinder geboren wer-
den sollten, was wir uns erhoffen und begrüßen würden,
dann betrifft das in den nächsten sechs Jahren bis 2013
gerade einmal sechs Jahrgänge. Es bleiben also nach
Adam Riese 19 Jahrgänge darüber, von denen wir wis-
sen, wie klein sie sind.

Diese 3,2 Milliarden Euro sollen nicht in die allge-
meinen Haushalte fließen, sondern zielgerichtet in die
Kinderbetreuung investiert werden, damit sie den Fami-
lien und den Kindern zugute kommen können. Ich bin
der festen Überzeugung: Der Bund soll nicht an den Kin-
dern sparen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zur zweiten Finanzierungssäule. Derzeit gibt es
75 000 Alleinerziehende, die Kinder unter drei Jahren
haben und Hartz IV beziehen. Diejenigen von ihnen, die
arbeiten wollen und eine Arbeitsstelle angeboten bekom-
men, sodass sie aus dem Bezug von Hartz IV herauskä-
men, haben aber keine Chance auf Arbeit, wenn sie
keine Betreuung für ihre Kinder haben. Auch das soll
sich ändern. Wenn wir vorsichtig rechnen und davon
ausgehen, dass lediglich ein Drittel der Alleinerziehen-
den wieder in Arbeit kommt, weil die Kinder betreut
werden, dann könnten dadurch bis zum Jahre 2013
900 Millionen Euro gespart werden.

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit – immerhin
der größte Experte, wenn es um dieses Thema geht – hat
am Wochenende bestätigt, dass viele Alleinerziehende
vor allem deshalb arbeitslos sind, weil die Kinderbetreu-
ung vor Ort nicht gesichert ist.


(Ina Lenke [FDP]: Wenn das so einfach ist, können Sie das doch auch sofort beschließen!)


Herr Weise geht übrigens nicht, wie wir es tun, davon
aus, dass ein Drittel der Alleinerziehenden arbeiten
möchte und eine Arbeitsstelle finden könnte, wenn sie
ein Betreuungsangebot für ihr Kind hätten. Er spricht so-
gar von 50 000 bis 60 000 Alleinerziehenden. Deshalb
sage ich auch ganz deutlich: Das Geld für diese Familien
ist besser investiert in Kinderbetreuung und selbststän-
dige Arbeit als in Hartz IV.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Ina Lenke [FDP]: Das ist aber kein Konzept!)


– Dies sind ganz klare Finanzierungsvorschläge für ex-
akt die Summe, liebe Frau Lenke, die wir brauchen: für
4 Milliarden Euro bis 2013.


(Ina Lenke [FDP]: Das ist noch nicht beschlossen!)


– Falls Sie den Plan des Bundestages nicht kennen: Wir
stellen zurzeit den Haushalt auf.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Miriam Gruß [FDP]: Was sagt Herr Steinbrück dazu? – Dr. Uwe Küster [SPD]: Frau Lenke übt noch!)


– Mit Herrn Steinbrück haben wir genau darüber gespro-
chen.

Zu guter Letzt. Wenn wir dieses Fundament bis 2013
geschaffen haben, dann ist ein Rechtsanspruch danach
denkbar, weil unschädlich. Unser Ziel ist es doch, dass
ein Rechtsanspruch gar nicht greifen muss, weil Kinder-
betreuung dem Bedarf entsprechend da ist. Unser Ziel ist
es doch, dass die Eltern nicht vor Gericht ziehen müssen,
weil sie gute, kindgerechte Angebote finden, wenn sie
sie brauchen. Unser Ziel ist nicht zu sagen, was nicht
geht, sondern unser Ziel ist – daran arbeiten wir mit
Hochdruck und in einer Geschwindigkeit, die Sie wahr-
scheinlich verwirrt, aber die bei diesem Thema notwen-
dig ist –






(A) (C)



(B) (D)


Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Ina Lenke [FDP]: Wir merken das gar nicht!)


zu sagen, wie wir die Eltern mit ihren berechtigten Hoff-
nungen und Erwartungen in ihrem Alltag mit Kindern
unterstützen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609816300

Das Wort hat die Kollegin Krista Sager für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609816400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrte Frau Ministerin, die Art und Weise, wie Sie in Sa-
chen Kinderbetreuung den Ewiggestrigen – nicht nur in
den eigenen Reihen, sondern auch anderswo – Paroli ge-
boten haben, hat sehr vielen Menschen sehr gut gefallen.
Ich glaube, dass vor allen Dingen sehr viele Frauen da-
ran ihren Spaß hatten.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Spaß hatten?)


Aber die Art und Weise, wie bei diesem Thema jetzt wo-
chenlang ergebnislos rumgewurstelt wird, ist nicht mehr
besonders spaßig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)


Da muss ich Ihnen leider sagen: Gut gemeint ist auf die
Dauer kein Ersatz für gut gemacht – das ist einfach so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Kinder sind ziemlich real. Sie brauchen ganz reale
Plätze. Da ist es mit gutem Willen nicht getan, da geht es
um die Wirklichkeit.

Die Fragen, ob es einen Rechtsanspruch gibt, ob es
eine solide, dauerhafte, zuverlässige Finanzierung gibt
und ob der Bund auch Betriebskosten mitfinanziert, sind
nicht die Randthemen bei diesem Problem, sind nicht die
Fransen am Teppich, sondern daran entscheidet sich
letztlich, ob der Ausbau tatsächlich kommt oder ob er
tatsächlich nicht kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen den Rechtsanspruch. Warum? – Weil in
Zukunft die Eltern in diesem Land darüber entscheiden,
wie viele Plätze es letztlich gibt. Es darf nicht so weiter-
gehen, dass je nach Bundesland und je nach Kommune
Politiker die Mangelverwaltung bei der Kinderbetreuung
sozusagen als ideologisches Volkserziehungsmittel ein-
setzen. Damit muss Schluss sein. Das geht nur mit dem
Rechtsanspruch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD])

Wir brauchen eine solide, dauerhafte, konjunkturun-
abhängige Finanzierung, und wir brauchen keine Luft-
nummern. Wir haben vorgeschlagen, 5 Milliarden Euro
aus dem Ehegattensplitting zu verwenden.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das könnte euch so passen!)


Das ist gerechtfertigt. Das ist auch solide.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Ministerin, es ist doch einfach peinlich, wenn
Sie uns ständig erklären, welche Erwartungen Sie haben,
was man beim Kindergeld einsparen kann, Ihre eigene
Bundesregierung dann aber auf unsere Fragen antwortet,
dass sie Ihre Erwartungen schlichtweg nicht bestätigen
kann, weil sie glaubt, dass bei den über 18-Jährigen
mehr Kindergeld gezahlt wird. Das ist doch nicht solide.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen eine verfassungskonforme, zuverlässige
Beteiligung des Bundes auch bei den Betriebskosten,
nicht nur bei den Investitionen; denn es geht nicht um
die Unterbringung von Kindern in Gebäuden. Es geht
um gute Startchancen, es geht um gute Förderung. Das
geht nur mit gutem, ausreichendem Personal.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)


Das können die Kommunen nicht alleine stemmen. Da
muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie als Familienminis-
terin die erste gewesen sind, die das Thema „ausschließ-
lich Investitionen“ in die Debatte gebracht hat. Das war
nicht gerade ein Heldinnenstück, auch wenn Sie jetzt da-
von Abstand nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Es wäre auch nicht richtig, wenn ausgerechnet die
Länder hauptsächlich davon profitieren würden, die ihr
Krippenplatzangebot bisher am wenigsten ausgebaut ha-
ben. Das liegt ja nicht daran, dass sie die ärmsten Länder
waren, sondern daran, dass sie sich besonders lange der
Realität verweigert haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Wir brauchen eine verfassungskonforme Lösung. Wir
haben einen Vorschlag gemacht, wie man die Umset-
zung des Rechtsanspruchs auf einen Platz und die Förde-
rung der Kinderbetreuung so miteinander kombiniert,
dass das Geld auch tatsächlich bei den Kinderbetreu-
ungseinrichtungen in den Kommunen ankommt. Ich be-
haupte gar nicht, dass das verfassungskonform nur so
geht, aber es geht verfassungskonform, wenn man will.
Deswegen sollte man aufhören, das Gegenteil zu be-
haupten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt fragen sich doch die Menschen in diesem Lande:
Wenn man sich über den Ausbau der Kinderbetreuungs-
möglichkeiten einig ist, warum wird da so lange herum-






(A) (C)



(B) (D)


Krista Sager
gewurschtelt, und warum macht man nicht endlich Nä-
gel mit Köpfen?


(Miriam Gruß [FDP]: Ganz genau!)


Langsam fragen sich die Menschen in diesem Lande
doch auch: Wo bleibt eigentlich die Bundeskanzlerin?
Wenn die Koalitionsfraktionen nicht zusammenfinden,
wenn jeden Tag ein neuer Vorschlag auf den Tisch
kommt,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wir machen alles!)


und jeder eine andere Idee in die Welt setzt, warum gibt
es dann keine Führung, die aus der Einsicht, dass man
das den Leuten in diesem Lande langsam nicht mehr zu-
muten kann, auf den Tisch haut?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)


Wir müssen endlich einmal den Knoten durchschlagen
und Nägel mit Köpfen machen.

Ich lese immer in der Zeitung, Sie, Frau Ministerin,
hätten ein besonders gutes Verhältnis zur Bundeskanzle-
rin. Ich schlage vor: Setzen Sie sich mit Frau Merkel in
Verbindung, und zwar schnell, verwirklichen Sie den
Rechtsanspruch, sorgen Sie für eine solide Gegenfinan-
zierung, und stellen Sie eine dauerhafte zuverlässige Be-
teiligung des Bundes an den Betriebskosten sicher. Aber
vor allen Dingen: Machen Sie es jetzt ganz schnell,


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Jawohl, machen Sie Schluss!)


damit dieses Theater endlich einen guten Abschluss fin-
det. Wenn das hier nicht bald zu einem guten Ende ge-
bracht wird, wird es heißen: Sie sind tapfer gestartet, als
Tigerin aufgesprungen und am Ende als Bettvorlegerin
gelandet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609816500

Das Wort hat die Kollegin Nicolette Kressl für die

SPD-Fraktion.


Nicolette Kressl (SPD):
Rede ID: ID1609816600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich denke, vor allen Finanzierungsfragen
sollte man zunächst einmal festhalten: Die Koalitions-
fraktionen haben, und zwar just in dieser Woche, ein ge-
meinsames Ziel formuliert.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber schön! Immerhin haben wir schon ein Ziel!)


Das ist deshalb nicht unwichtig, weil der Umgang mit
diesem Thema in unseren Reihen ja nicht unumstritten
war. Das sollten wir hier nicht vergessen.

Dass wir ein gemeinsames Ziel formuliert haben, ist,
wie ich glaube, erstens ein ganz wichtiges Signal für die
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Ein zweiter wich-
tiger Punkt, der nicht unterschlagen werden darf: Das ist
auch ganz wichtig für die Förderung von Kleinkindern.

Im Zusammenhang mit diesem zweiseitigen Papier
möchte ich noch eine Bemerkung zu der manchmal auf-
kommenden Forderung nach Betreuungsgeld machen.
Diese Forderungen stehen ja unter dem Motto: Wir be-
zahlen die Frauen dafür, wenn sie ihre Kinder nicht in
die Förderung geben, sondern zu Hause behalten. Das ist
kontraproduktiv für die beiden genannten Ziele, nämlich
für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und für die
Förderung von Kindern. Das wird ja manchmal von den-
selben gefordert, die sich fünf Minuten später über man-
gelnde Sprachkenntnisse von Kindern beim Eintritt in
die Grundschule beklagen. Beides geht nun wirklich
nicht zusammen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Bei der Umsetzung dieser gesamtgesellschaftlichen
Aufgabe sind Gesetzgebungskompetenzen auf allen drei
föderalen Ebenen zu berücksichtigen. Deshalb müssen
auch alle drei föderalen Ebenen beteiligt werden. Da
sind wir ja auch schon ein Stück weitergekommen; das
bitte ich nicht zu vergessen. Es ist nämlich inzwischen
klar – das haben wir gemeinsam so formuliert –, dass
sich der Bund an dieser Aufgabe beteiligen wird. Als
SPD-Fraktion sagen wir aber ganz eindeutig: Diese Be-
teiligung darf sich nicht allein auf die Investitionskosten
erstrecken. Das wäre keine flexible Regelung. Davon
würden viele Kommunen, die bei dieser Aufgabe schon
weit vorangekommen sind, nichts haben. Diese brauchen
eine Unterstützung bei den Betriebskosten; dass diese
gewährt werden muss, daran halten wir fest. Das ist für
uns eine der entscheidenden Bedingungen bei der Frage
der Finanzierung.


(Beifall bei der SPD)


Weil wir für eine Beteiligung an den Betriebskosten
sind, ist für uns – das haben wir lange und gut durch-
dacht – ein Rechtsanspruch die logische Schlussfolge-
rung. Der Rechtsanspruch ist keine Frage von höher,
weiter, schneller, sondern eine gute Möglichkeit, eine
Betriebskostenbeteiligung des Bundes ohne verfassungs-
rechtliche Schwierigkeiten sicherzustellen.

Das will ich heute mit einem Appell verbinden. Ich
appelliere, dass beim Thema Rechtsanspruch nicht
reflexartig Ablehnung signalisiert wird. Die Länder
– das haben wir in den letzten Tagen gelesen – wollen
alle eine Betriebskostenbeteiligung des Bundes. Dann
müssen sie aber auch über einen Rechtsanspruch nach-
denken, statt diesen reflexartig abzulehnen. Die Kom-
munen – das habe ich ebenfalls gelesen – wollen Flexibi-
lität; sie wollen so viel anbieten, wie vor Ort gebraucht
wird. Dann dürfen aber auch sie nicht reflexartig den
Rechtsanspruch ablehnen. Außerdem wollen die Kom-
munen weitergeleitetes Geld – von den Ländern. Auch
dann dürfen sie den Rechtsanspruch nicht reflexartig ab-
lehnen; denn inzwischen ist in den Länderverfassungen
geregelt, dass das Geld, wenn es eine rechtliche Ver-
pflichtung gibt, aufgrund des Konnexitätsprinzips wei-
tergeleitet werden muss. Insofern tun sich die Kommu-






(A) (C)



(B) (D)


Nicolette Kressl
nen mittel- und langfristig einen Gefallen, wenn sie den
Rechtsanspruch mit uns gemeinsam mittragen.


(Beifall bei der SPD)


Zwischen den Koalitionsfraktionen gab es in dieser
Woche – damit verrate ich ja kein Geheimnis – ein paar
unterschiedliche Vorstellungen


(Markus Löning [FDP]: Das ist ja was ganz Neues!)


in Bezug darauf, wo wir hinwollen, wie schnell wir da-
hin wollen und wie wir dahin kommen. Aber wir haben
uns ein Hausaufgabenpaket vorgenommen. Wir haben
– ich habe es vorhin beschrieben – fest vereinbart, wo
wir hinwollen. Es ist so, wie es bei solchen Aufgaben
immer ist: Wenn sie gut strukturiert sind, wenn klar ist,
was zu tun ist, dann ist es einfacher, die Aufgaben zu er-
ledigen.


(Markus Löning [FDP]: Da sehen wir schwarz!)


Da haben wir diese Woche einiges erreicht. Deshalb bin
ich sicher, dass wir das hinbekommen. Ich weiß, es muss
schnell gehen. Aber ich glaube, wir haben gute Voraus-
setzungen dafür geschaffen, unsere Vorhaben beschleu-
nigt auf den Weg bringen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Miriam Gruß [FDP]: Wir sind schon gespannt, wer die Fleißbildchen bekommt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609816700

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Diana Golze das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609816800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! „Kinder sind Zukunft“, so hieß die
Themenwoche der ARD, die vor kurzem im Hauptstadt-
studio mit einer Talkrunde zu Kinderbetreuung in der
Bundesrepublik beendet wurde. In den letzten Wochen
schien es, als wäre die Debatte um Kindertagesbetreu-
ung im Jahr 2007 etwas effektiver als in der Vergangen-
heit. Es ist inzwischen allgemein anerkannte Tatsache,
dass wir es der fehlenden Weitsicht der Politik in den
vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu verdanken ha-
ben, dass die Bundesrepublik im Vergleich zu ihren
westeuropäischen Nachbarn ein Kinderbetreuungsent-
wicklungsland ist.

Es wird deutlich, dass es eine Erwartungshaltung ge-
genüber der Politik gibt. Die Mehrheit der Eltern
wünscht sich eine Kinderbetreuung, die quantitativ aus-
reichend, weil flächendeckend ausgebaut, und vor allem
qualitativ hochwertig ist.

Unsere Ankündigungsministerin – Entschuldigung:
Familienministerin –


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Da haben Sie sich aber viel Gedanken gemacht und lange geübt! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)


– ich verstehe die Aufregung gar nicht – trägt den erklär-
ten Willen dazu auch erfolgreich durch jede sich bie-
tende Talkshow unserer Fernsehprogramme. Doch allein
von einer Gesprächsrunde in der ARD, im ZDF oder in
einem der privaten Programme wird wohl kein Kitanetz
entstehen.

Nun wird in beiden Koalitionsfraktionen über einen
Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung diskutiert.
Doch die kurz aufkeimende Freude darüber vergeht ganz
schnell wieder, wenn die CDU von einem unschädlichen
Rechtsanspruch spricht und die SPD sich nur so weit
über eine Ausgestaltung auslässt, als es für die Verein-
barkeit von Familie und Beruf wichtig ist. Ich frage Sie:
Wird das wieder nur ein Rechtsanspruch für Kinder er-
werbstätiger Eltern? Dann würde er am eigentlichen und
erklärten politischen Ziel vorbeigehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Betreuung, Bildung und Erziehung sind wichtig für
die psychosoziale, emotionale Entwicklung und die kog-
nitive Förderung von Kindern. Dieses Ziel sollte im Mit-
telpunkt stehen. Wenn das das Ziel ist, muss der Rechts-
anspruch ein Anspruch des Kindes sein. Er muss klar
definiert sein und in Abstimmung mit den Ländern ver-
bindlich ausgearbeitet werden, inklusive eines gemein-
samen Finanzkonzeptes aller beteiligten politischen Ebe-
nen.

Frau Ministerin, schaffen Sie eine Betreuungsland-
schaft, die auch für die Kinder da ist, die auf der – wie
Sie es immer sagen – Schattenseite des Lebens stehen!
Mit einem Rechtsanspruch des Kindes wäre dies mög-
lich.

Herr Steinbrück – ich hoffe, er hört uns zu –, bleiben
Sie bei Ihrem Angebot, sich dauerhaft an der Finanzie-
rung der Kitas zu beteiligen! Lassen Sie Länder und
Kommunen dabei nicht im Stich!

Wir reden über die Zukunft von Kindern und darüber,
wie wir als Politikerinnen und Politiker es schaffen, je-
dem Kind die gleichen Startchancen zu geben. Die
PISA- und OECD-Studien, die Studien des Deutschen
Jugendinstituts, der Bericht des UN-Beauftragten
Muñoz haben einen gemeinsamen Nenner: In keinem
anderen westeuropäischen Land entscheidet die soziale
Herkunft von Kindern so sehr über den weiteren Lebens-
weg wie in der Bundesrepublik Deutschland. Dieser
Weg könnte mit einer für alle Kinder zugänglichen
– hoffentlich bald beitragsfreien – Kinderbetreuung be-
ginnen und einigen den schweren Start leichter machen:
durch gute frühkindliche Bildung, Betreuung und Erzie-
hung. Deshalb sollte endlich ein Schlusspunkt in der De-
batte um die Finanzierung der Kindertagesbetreuung
oder, besser gesagt, um die Verschiebung von einer fa-
milienpolitischen Leistung zu einer anderen familien-
politischen Leistung gesetzt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin sehr gespannt, ob Herr Steinbrück und Frau
von der Leyen bei ihrer bunten Zusammenstellung blei-






(A) (C)



(B) (D)


Diana Golze
ben, die sie herangezogen haben, um den Bürgerinnen
und Bürgern vorzugaukeln, dass man für Familien ohne-
hin schon zu viel Geld ausgebe. Von den immer wieder
genannten 184 Milliarden Euro für Familienleistungen
bleiben nämlich nach einer Expertise des Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes gerade einmal 38,6 Milliarden
Euro übrig, die wirklich in familienfördernde Maßnah-
men fließen.


(Miriam Gruß [FDP]: Da hat sie recht!)


Ich bin auch gespannt, wie die Kinderbetreuung aus-
sieht, mit der die Familienministerin die Bundesrepublik
endlich an europäische Standards angleichen will. Es
bleibt zu hoffen, dass hier bestimmte qualitative Ansprü-
che geltend gemacht werden. Das hieße nämlich, man
macht Kitas allen Kindern zugänglich und nicht nur de-
nen, deren Eltern eine Erwerbstätigkeit vorweisen kön-
nen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das hieße weiterhin, dass man dafür sorgt, dass der
Erzieherinnen- und Erzieherberuf endlich auf die Basis
eines Hochschulabschlusses gestellt wird und dass man
gewährleistet, dass Erzieherinnen und Erzieher von dem
Gehalt, das sie für ihre Arbeit bekommen, auch leben
können. Das hieße schließlich, man sorgt dafür, dass die
Arbeit von Tagesmüttern und Tagesvätern auf einer qua-
litativ hochwertigen Aus- und Weiterbildungsgrundlage
steht und nicht zum Billiglohnkinderbetreuungssektor
mutiert.

Frau von der Leyen und Herr Steinbrück, ich hoffe,
dass bei Ihren laufenden Verhandlungen trotz der an-
scheinend schwierigen Geburt schnell eine Kindertages-
betreuung herauskommt, die diese Ansprüche erfüllt. Ich
hoffe auch, dass Sie Ihrem gemeinsamen Spross dann
nicht nur die Erstausstattung finanzieren, sondern sich
im Interesse aller Kinder langfristig an den Unterhalts-
verpflichtungen beteiligen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609816900

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Johannes

Singhammer das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1609817000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Im Schnellzugtempo werden 750 000 Plätze für
unsere Kleinsten in Deutschland geschaffen.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In was für einem Tempo?)


Vor fast exakt drei Monaten, am 9. Februar, haben
Sie, Frau Ministerin, erstmals den Ausbauplan vorge-
stellt. Bereits am 2. April haben Sie sich mit den Län-
dern, mit den Städten und Gemeinden über den Bedarf
an Kinderbetreuung, über den Zeitplan und über den
Finanzrahmen geeinigt.
Heute liegen die neuesten Ergebnisse der Steuerschät-
zung vor. Hier und heute haben Sie einen Überblick über
die Finanzierung gegeben. Am kommenden Montag
wird der Koalitionsausschuss über die Richtung und die
Einzelheiten entscheiden.


(Miriam Gruß [FDP]: Wie die Deutsche Bahn: Es kommt alles zu spät!)


Es gab in den letzten Jahren kein vergleichbar großes
Vorhaben, das so rasch auf den Weg gebracht worden ist.


(Lachen bei der LINKEN)


Dafür möchte ich Ihnen, Frau Ministerin, danken.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie leiden doch unter Realitätsverlust!)


Frau Scheel, ich kann verstehen, dass der grünen
Schneckenpost angesichts des Jettempos der Ministerin
etwas schwindlig wird.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN: Oh!)


Aber das ist noch lange kein Grund, eine Aktuelle
Stunde mit dem Hintergedanken zu beantragen, Unsi-
cherheit dahin gehend zu schüren,


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie doch!)


dass das, was in Aussicht gestellt worden ist, nicht ein-
gelöst wird. Dazu sage ich Ihnen ganz klar: Die Eltern
können sich darauf verlassen,


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kommen doch mit immer anderen Vorschlägen!)


dass das Konzept, das vorgelegt worden ist, umgesetzt
und dessen Finanzierung auch geregelt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie dann immer andere Vorschläge?)


Ich sage Ihnen eines: Sorgfältige Finanzberatungen
helfen den Eltern mehr als panikartige Überholmanöver,
wie Sie sie jetzt starten. Die Grünen haben im Zusam-
menhang mit der Finanzierung des Ausbaus der Kinder-
krippen vorgeschlagen – das muss hier noch einmal ge-
sagt werden, Frau Sager –, an das Ehegattensplitting mit
der Abrissbirne heranzugehen. Damit schädigen Sie
90 Prozent der Ehen mit Kindern. Ich sage Ihnen ganz
klar: Wir werden es nicht zulassen, dass die grünen Ab-
rissbagger das Fundament des Ehegattensplittings be-
schädigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es macht keinen Sinn, Ehe und Familie finanziell auszu-
trocknen, um Kinder angeblich besser zu fördern. In der
Konsequenz ist die Umschichtung, die Sie vornehmen
wollen, ein Kinderschädigungs- und kein Förderpro-
gramm.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den Alleinerziehenden?)







(A) (C)



(B) (D)


Johannes Singhammer
Wir sind entschieden gegen jede Art der Selbstfinan-
zierung des Ausbaus der Kinderkrippen durch die Fami-
lien, egal mit welcher Konzeption.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ministerin finanziert es doch über die Kinder, die nicht geboren werden! Hat sie doch selbst erklärt!)


Wir sind auch dagegen, dass die älteren Geschwister
durch Verzicht auf Kindergeld die Kinderkrippenplätze
ihrer jüngeren Geschwister finanzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Richtig ist, dass ein Kinderkrippenausbau zum Null-
tarif nicht möglich ist; eine Summe von 12 Milliarden
Euro ist genannt worden. Die Ministerin hat eben ein
Konzept vorgestellt. Es gibt eine Möglichkeit der Ge-
genfinanzierung dadurch, dass bei uns leider immer we-
niger Babys geboren werden. Das Deutsche Jugendinsti-
tut hat Zahlen genannt: In allen öffentlichen Haushalten
werden bis zum Jahr 2010 allein im Bereich der Null-
bis Sechsjährigen 3,6 Milliarden Euro eingespart – und
dies deshalb, weil es immer weniger Kinder gibt und
deshalb leider auch weniger Aufwand nötig ist.


(Zuruf von der LINKEN: Aber es sollen doch mehr werden!)


An dieser Stelle sage ich Ihnen aber auch: Wir sind
zwar für mehr Kinderkrippen, wollen aber auch den
Grundsatz der Wahlfreiheit immer realisiert haben.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es doch gar nicht!)


Wenn ich die Linken höre


(Zuruf von der LINKEN: Nein, die Grünen!)


– in diesem Fall die Linken –, dann fällt mir auf, dass in
diesem Zusammenhang bei Ihnen logischerweise ein
Wort nie auftaucht: Das ist der Begriff der Wahlfreiheit.
Sie sind immer noch Vertreter dessen, was ich einmal als
Lufthoheit über die Kinderbetten bezeichnen würde.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein Zitat Ihres Koalitionspartners! Das war der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion! Ihr Koalitionspartner!)


Diese streben Sie in Form einer Rundumversorgung an,
wobei ich zu der Überlegung, ob eher Oskar Lafontaine
oder seine Frau Christa Müller für die Koordinierung der
Lufthoheit zuständig sein sollte, sagen muss: Aufgrund
ihrer letzten Äußerungen neige ich dazu, dass die Ehe-
frau Christa Müller besser dazu geeignet ist.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um Gottes willen!)


Für uns stehen Elternrecht und Kindeswohl als un-
trennbare Einheit an erster Stelle. Wir wollen keinen
Staat in Allzuständigkeit, der die Eltern ersetzt. Wir wol-
len auch nicht, dass mit finanziellen Leistungen ein Gän-
gelband, eine Schubserei und ein Drängen in eine be-
stimmte Richtung verbunden werden.

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch bisher die Frauen gegängelt!)


Wir wollen nicht, dass diejenigen Mütter und Väter,
die sich entscheiden, zu Hause zu bleiben, um ihre Kin-
der zu betreuen und zu erziehen, an den Rand der Gesell-
schaft gedrängt und als die letzten Trottel dargestellt
werden. Ich sage aber auch: Anerkennung und Respekt
genügen nicht; Schulterklopfen allein reicht nicht. Auch
da bedarf es finanzieller Gerechtigkeit. Wir müssen sehr
genau darauf achten, dass für diejenigen, die auf ein
Erwerbseinkommen verzichten, weil nur ein Partner er-
werbstätig ist und der andere Partner für die Kinderbe-
treuung zu Hause bleibt, nicht eine neue finanzielle Un-
gerechtigkeit entsteht.


(Miriam Gruß [FDP]: Zu welchem Preis denn?)


Deshalb brauchen wir Symmetrie und Balance auch
bei der finanziellen Ausgestaltung.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie Vorschläge, woher das Geld kommen soll!)


Sie können sicher sein: Wir werden das erreichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609817100

Bevor wir in der Rednerliste fortfahren, der Hinweis

an den Kollegen Küster: Es gibt vom Architekten vorge-
sehene Einrichtungen, die es mir nicht ermöglichen, zu
sehen, dass Sie im Plenarsaal mit dem Handy telefonie-
ren. Ansonsten haben Sie, soweit ich das überblicke, alle
Möglichkeiten, mit den Telefonen, die der parlamentari-
schen Geschäftsführung Ihrer Fraktion zur Verfügung
stehen, die notwendigen Dinge zu regeln.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Problem ist, Herr Küster kann es nicht bedienen!)


Vielleicht kann die Kollegin Kressl oder jemand an-
ders ihm das ausrichten. Er kann mich offensichtlich
nicht hören.


(Nicolette Kressl [SPD]: Ich rufe ihn jetzt an!)


Das Wort hat jetzt die Kollegin Miriam Gruß für die
FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1609817200

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Ein bisschen komme ich mir heute schon
vor wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmel-
tier“. Es ist wieder einmal Freitag,


(Zuruf von der SPD: Wieder gibt es eine Aktuelle Stunde von der FDP-Fraktion)


und wieder einmal haben wir uns vorgenommen, über
das Thema Kinderbetreuung zu sprechen.






(A) (C)



(B) (D)


Miriam Gruß

(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und diesmal ist die Ministerin hier!)


Wieder einmal wurde dieses Thema an den Rand des
Zeitplans gedrängt, und das, obwohl neben der Wahl in
Frankreich kaum ein Thema diese Woche so sehr be-
stimmte und die Politikteile der Zeitungen so gefüllt hat
wie die Finanzierung der Kinderbetreuung.

Apropos Frankreich: Sie alle haben in den vergange-
nen Wochen von der Allensbachstudie gehört. Es ist ein
deutsch-französischer Vergleich über die Einflussfakto-
ren auf die Geburtenrate angestellt worden. Deutschland
schneidet dabei zum Beispiel in puncto Kinderfreund-
lichkeit schlecht ab. Nur 25 Prozent der Deutschen glau-
ben, in einem kinderfreundlichen Land zu leben. In
Frankreich glauben dies 80 Prozent der Bevölkerung.

Ähnlich stark ist die Diskrepanz bei der Einschätzung
der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Nur 22 Prozent
der deutschen Frauen und Männer glauben, dass sich Fa-
milie und Beruf gut kombinieren lassen. In Frankreich
meinen dies fast 62 Prozent. Damit sind wir genau bei
dem Thema, dessentwegen wir hier heute sitzen: der
Kinderbetreuung. In Frankreich ist beinahe die Hälfte
der Eltern davon überzeugt, dass sowohl Mutter als auch
Vater arbeiten und sich die Hausarbeit teilen sollten. In
Deutschland glauben dies nur 15 Prozent.

Wie sich eine Familie intern organisiert, wollen wir
Liberale den Familien selbst überlassen. Wir erkennen
jedes Modell an und wollen Eltern und Kinder dort un-
terstützen, wo sie Hilfe benötigen. Das haben wir von
den Franzosen gelernt.

Über eines besteht unter uns Fachpolitikern Konsens:
dass wir mehr Kinderbetreuungsplätze brauchen, um
Deutschland familienfreundlicher zu machen. Die Frage
scheint lediglich zu sein, wie dieser Ausbau finanziert
werden soll. Dazu hat die FDP-Fraktion als erste Frak-
tion im Deutschen Bundestag ein fundiertes Konzept
vorgelegt, welches Ihnen meine Kollegin Ina Lenke be-
reits vorgestellt hat.


(Beifall bei der FDP)


Mir ist darüber hinaus noch ein Punkt besonders
wichtig. Wir müssen nicht nur in den Ausbau investie-
ren, sondern auch in die Qualität der Kinderbetreuung
und damit in die Ausbildung der Erzieherinnen und Er-
zieher. Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass es eine
entsprechende Personalstärke in den Kindertagesstätten
gibt. Dazu noch eine letzte Zahl aus der Allensbachstu-
die: 62 Prozent der französischen Frauen, aber nur
7 Prozent der deutschen Frauen halten es ohne Probleme
für möglich, Kinder unter einem Jahr – auch nur stun-
denweise – extern betreuen zu lassen. Sie sehen, welche
Skepsis hierzulande gegenüber Krippen oder Tagesmüt-
tern besteht. Dies können wir nur ändern, indem wir
massiv in die Qualität der Einrichtungen und der Betreu-
ung investieren. Nur so können Eltern beruhigt sein, dass
ihre Kinder gut aufgehoben sind.

Gleichzeitig müssen wir auf die Bindungs- und Bil-
dungsforschung hören und sie besser vorantreiben, da-
mit wir in Deutschland mehr darüber erfahren, wie Kin-
der sich entwickeln und was sie dafür benötigen.
Kinderkrippen und Kindertagesstätten müssen Orte der
Bildung und des Wohlfühlens für unsere Kinder sein.
Wir brauchen verbindliche Bildungsprogramme für Kin-
dergärten. Wir brauchen auch einheitliche Qualitätsstan-
dards oder Gütesiegel. Wir müssen das Niveau der Er-
zieherinnen- und Erzieherausbildung anheben. Wir
benötigen pädagogische Konzepte, die die Kinder bereits
in den ersten Lebensjahren – natürlich altersgemäß – för-
dern und fordern. Wir brauchen auch – das ist ganz
wichtig; das hat hier im Plenum noch niemand gesagt –
mehr männliche Erzieherinnen


(Heiterkeit im ganzen Hause)


– mehr männliche Erzieher – in den Betreuungseinrich-
tungen. Denn Kinder brauchen beides: weibliche und
männliche Erzieher.

Ich meine, dass uns das Wohl unserer Kinder – das ist
das Leitbild – mehr wert sein sollte als eine Aktuelle
Stunde am Ende einer Sitzungswoche. Dass dies bereits
zum zweiten Mal der Fall ist und die Debatte beim ers-
ten Mal noch nicht einmal zu Ende geführt wurde, ist
meiner Ansicht nach ein Armutszeugnis für die Fami-
lienpolitik in Deutschland. Uns Liberalen sind Familien
wichtiger als ein freier Freitagnachmittag. Wir wollen
den Familien in unserem Land etwas anderes signalisie-
ren, nämlich Verlässlichkeit, Qualität und Zukunftspers-
pektiven.


(Beifall bei der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609817300

Das Wort hat die Kollegin Caren Marks für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1609817400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst einmal möchte
ich sagen, dass ich mich darüber freue, dass die Ministe-
rin bei der heutigen Debatte anwesend ist.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr seht, wir sind ein gutes Stück des Weges vorangekommen!)


Die Debatte über den Ausbau und die Finanzierung
der frühkindlichen Betreuung unterstreicht den akuten
Handlungsbedarf. Auch die aktuelle Bertelsmann-Studie
bestätigt die Notwendigkeit des Betreuungsausbaus und
konstatiert die Rückständigkeit Deutschlands in puncto
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


(Beifall bei der SPD)


Die Studie untermauert im Übrigen das Familienkon-
zept der SPD. So fordern die Autoren den Ausbau der
Betreuungsangebote, mehr Erwerbsanreize für Mütter
sowie, Herr Singhammer, eine Abschmelzung des Ehe-
gattensplittings. Eine Absage erteilt die Studie den di-
versen Vorschlägen der Union. Die Autoren sprechen
sich gegen das sozial ungerechte Familiensplitting aus.






(A) (C)



(B) (D)


Caren Marks
Sie fordern Zurückhaltung beim Ausbau von direkten
Geldleistungen für Familien. Damit wird der von der
CSU geforderten Herdprämie – das war gestern nachzu-
lesen –, einem Betreuungsgeld für die häusliche Erzie-
hung, eine ganz klare Absage erteilt.


(Beifall bei der SPD)


Die SPD steht für eine moderne Familienpolitik. Das
2004 von Rot-Grün verabschiedete Tagesbetreuungsaus-
baugesetz war die entscheidende Weichenstellung für
eine bessere Betreuung und frühkindliche Bildung.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Gesetz hat den Familien Mut gemacht, ihren Betreu-
ungsbedarf zu artikulieren. Die regional unterschiedlich
starke Zunahme der Zahl der Krippenplätze erfolgt je-
doch viel zu zögerlich. Der Ausbau hinkt dem wachsen-
den Bedarf deutlich hinterher. Nur mit einem gesetzlich
verankerten Rechtsanspruch vom ersten Geburtstag an
können wir den notwendigen Durchbruch beim Ausbau
der Kinderbetreuung erzielen. Nur der Rechtsanspruch
sichert, dass der Bund die laufenden Betriebskosten, den
Löwenanteil beim Betreuungsausbau, mitfinanzieren
kann.

Mit den bisherigen Ankündigungen der Familienmi-
nisterin, sich lediglich an den Bau- und Umbaukosten zu
beteiligen, wäre der zu Recht geforderte Betreuungsaus-
bau nicht mehr als eine PR-Kampagne. Bei einer aus-
schließlichen Beteiligung an den Investitionskosten blie-
ben die Länder und Kommunen auf dem größten Anteil
der Kosten sitzen. Der finanzielle Engpass besteht bei
den Betriebs-, vor allem den Personalkosten. Das haben
auch die Länder und Kommunen deutlich gemacht.

Ich begrüße das erste Einlenken der Ministerin bezüg-
lich der Beteiligung an den Betriebskosten sowie der
Ausweitung des Rechtsanspruchs. Entgegen vieler Be-
hauptungen gibt es diesbezüglich keinerlei verfassungs-
rechtliche Probleme.

Für uns wird es keinen anderen Weg als den Rechts-
anspruch geben. Der Rechtsanspruch gibt den Kommu-
nen erst die Möglichkeit, auf den unterschiedlichen Be-
treuungsbedarf flexibel zu reagieren. Vor allem aber
bietet er den Eltern die notwendige Sicherheit, einen Be-
treuungsplatz für ihr Kind zu erhalten. Der Rechtsan-
spruch ist für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und
Beruf unabdingbar. Er trägt den Lebenswünschen der El-
tern Rechnung. Betreuungsplätze ermöglichen Erwerbs-
tätigkeit. Das senkt das Armutsrisiko von Familien.

Ein Rechtsanspruch auf frühkindliche Betreuung
heißt aber auch, dass Kinder in dieser wichtigen Ent-
wicklungsphase ein hochwertiges Bildungsangebot er-
halten müssen. Kinder sind gern mit Kindern zusammen.
Andere Kinder sind Vorbilder und gleichzeitig Freunde.
Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, lernen
Deutsch in der Krippe im wahrsten Sinne des Wortes
spielend.

Wem es mit dem zügigen Ausbau der Kinderbetreu-
ung ernst ist, muss Worten Taten folgen lassen. Wir, die
SPD, haben vor gut zwei Monaten ein solides Finanzie-
rungskonzept vorgelegt, mit dem wir den Rechtsan-
spruch auf einen ganztägigen, hochwertigen Platz vom
ersten Geburtstag des Kindes an realisieren wollen. Die
bisher kursierenden Vorschläge der Ministerin enthalten
kein ausreichendes Finanzierungskonzept.

Die Familien – das ist heute mehrfach gesagt worden –
erwarten zu Recht einen beschleunigten und sichtbaren
Ausbau der Betreuungsplätze. Für die SPD steht die
Kinderbetreuung familienpolitisch an erster Stelle. Las-
sen Sie uns diese Aufgabe gemeinsam bewältigen!
Grundlage dafür ist ein gesetzlich verankerter Rechtsan-
spruch und eine solide, verlässliche finanzielle Beteili-
gung des Bundes. An der SPD wird es jedenfalls nicht
scheitern.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609817500

Für die Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen hat

nun die Kollege Christine Scheel das Wort.


Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1609817600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der hessische Ministerpräsident hat kürzlich darauf hin-
gewiesen, dass Ursula von der Leyen für die CDU ein
riesiges Glück sei.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde das auch, weil Sie, Frau Ministerin, die Debatte
angestoßen haben. Er hat aber weiter ausgeführt: „Was
sie will, steht seit langem im CDU-Programm; aber mit
ihr an der Spitze wird es gelebt und wahrgenommen.“

Viele Mütter und Väter können das nicht so sehen,
weil sie den Krippenplatz für ihr Kind, den sie dringend
brauchen, nicht bekommen. Sie haben das Gezerre, das
innerhalb der Union, aber auch zwischen den Koalitions-
partnern sowie in den Ländern stattfindet, satt. Es hilft
ihnen nämlich keinen Schritt weiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wird darauf hingewiesen, dass es in der Familien-
politik der CDU/CSU „tektonische Verschiebungen“
gebe. Als ich Herrn Singhammer gehört habe, musste ich
feststellen, dass es in Teilen der Union noch nicht ange-
kommen ist, dass es notwendig ist, jetzt schnell die
Finanzierung sicherzustellen. Wenn Sie sich hier als
Chefideologe hinstellen, Herr Singhammer, und die
These vertreten, die Mütter sollten zu Hause bleiben,
kann man nur den Kopf schütteln.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Da haben Sie nicht zugehört, Frau Scheel!)


Die CSU ist anscheinend noch nicht angekommen, wo
Frau von der Leyen schon eine ganze Weile ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Der bewusste Wille zum Missverständnis!)







(A) (C)



(B) (D)


Christine Scheel
Wir wissen, dass die Auseinandersetzung darüber, ob
wir einen Rechtsanspruch brauchen, richtig ist. Selbst-
verständlich hat sie etwas mit der Verfassung zu tun. Der
Verweis darauf, wir bräuchten keinen Rechtsanspruch,
weil wir den Leuten nicht den Weg zum Gericht bereiten
sollten, geht von einem falschen Verständnis aus. Der
Rechtsanspruch ist notwendig, damit Dampf in die De-
batte kommt, damit gehandelt werden kann, damit wir
eine gemeinsame Finanzierung auf den Weg bringen
können. Es geht nicht um gerichtliche Auseinanderset-
zungen, Frau von der Leyen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die nachhaltige Finanzierung muss sichergestellt
werden; da müssen wir die Bedenken der Kommunen
ernst nehmen. Die Grünen haben hierfür mit dem Modell
der Kinderkarte ein Finanzierungskonzept vorgestellt,
das auf soliden Füßen steht. Dieses Konzept ist durchfi-
nanziert, dieses Konzept ist verfassungskonform, und
dieses Konzept hilft von Anfang an – nicht erst in eini-
gen Jahren, wie es bei Ihren Vorschlägen der Fall wäre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Um es deutlich zu sagen, Herr Singhammer: Wir ha-
ben nicht vor, das Ehegattensplitting abzuschaffen. Wir
wissen, dass das aus verfassungsrechtlichen Gründen
nicht geht.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Immerhin!)


Wir wissen, dass auch die gegenseitigen Unterhaltsan-
sprüche der in Ehe lebenden Partner und Partnerinnen
berücksichtigt werden müssen. Deswegen haben wir ein
Modell vorgeschlagen, bei dem der steuerliche Vorteil
von heute, der in der Größenordnung von 20 Mil-
liarden Euro liegt, um 5 Milliarden Euro reduziert wird.
Das heißt, das Ehegattensplitting, der Vorteil, der damit
– übrigens auch kinderlosen Ehen – gewährt wird, bleibt
im Umfang von 15 Milliarden Euro erhalten. Deswegen
ist Ihr Vorwurf, die Grünen hätten für die Finanzierung
des Ausbaus der Krippenplätze einen Vorschlag vorge-
legt, mit dem den Familien letztendlich das Geld aus der
Tasche gezogen würde, falsch. Wir begrenzen einen
Steuervorteil für die Bezieher oberer Einkommen. Ich
denke, das ist auch legitim so.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies hätte auch den Charme, dass alle, die hohe Ein-
kommen erzielen, zur Finanzierung der Kinderbetreuung
beitrügen und dass, wie gesagt, sowohl der Bund als
auch die Länder und die Kommunen aufgrund des Ver-
teilungsschlüssels etwas von der Abschmelzung dieses
Steuervorteils – der Begrenzung eines, wie man wirklich
sagen muss, ziemlich überholten Steuervorteils, der im-
mer noch im Gesetz steht – hätten. Deswegen würde bei
der Finanzverteilung ein positiver Effekt erzielt, der hö-
her als bei der Umsatzsteuer wäre, über die jetzt nachge-
dacht wird.

Ich denke, es wäre gut, wenn Sie sich noch einmal
Gedanken darüber machen würden, ob man die Finan-
zierung nicht an die Einkommensteuer koppelt, weil sie
eben nicht so konjunkturabhängig ist, wie das bei der
Umsatzsteuer der Fall ist. Wir können die nachhaltige
Finanzierung der Kosten für Personal und Infrastruktur
nicht an konjunkturelle Entwicklungen koppeln nach
dem Motto: Ist die Konjunktur gut, dann gibt es viele
Leute, die in diesem Bereich arbeiten und die Betreu-
ungsmöglichkeiten wahrnehmen können; ist die Kon-
junktur schlecht, dann muss am Personal gespart wer-
den.

Das darf es nicht geben. Vielmehr brauchen wir eine
solide Finanzierung. Der Vorschlag der Grünen enthält
eine solche.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609817700

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Fischbach für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ingrid Fischbach (CDU):
Rede ID: ID1609817800

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Ich sitze hier, höre zu und habe das große Vergnü-
gen, das nicht erst seit einem Jahr, sondern seit 1998 zu
tun.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden schon lange darüber!)


Ich muss feststellen, dass 1998 andere die Regierungs-
verantwortung hatten. Heute haben sie Gott sei Dank
wieder andere.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Wir sind immer dabei!)


Deshalb habe ich mit besonderer Freude zugehört,
was die beiden Kolleginnen der Grünen zum Besten ge-
geben haben. Als Erstes ist hängen geblieben: Frau Mi-
nisterin, machen Sie mal, machen Sie jetzt! Ich sage Ih-
nen einmal, was wir jetzt getan haben – die Frau
Ministerin hat es deutlich gemacht –: In eineinhalb Jah-
ren Regierungszeit haben wir die steuerliche Absetzbar-
keit von Kinderbetreuungskosten durchgesetzt. Sie hat-
ten sieben Jahre lang Zeit, und es ist nichts passiert.

Das TAG ist weiterentwickelt worden. Das haben Sie
ganz zum Schluss noch eingeräumt.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stammt von uns! Wer hat denn das TAG verhindern wollen? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat denn das erfunden?)


– Wer das erfunden hat? Sie. Passen Sie auf, warum wir
das verhindern wollten – das ist genau der Punkt; Sie ge-
ben mir die Stichworte besser, als ich sie mir selbst ge-
ben kann –: Wir haben damals gesagt, dass es bei dem
TAG, dem Tagesbetreuungsausbaugesetz, und bei der
Ganztagsschule und der Ganztagsbetreuung nur um
reine Investitionskosten geht. Sie haben hier lamentiert,






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
die Länder würden die Mittel nicht abrufen. Dies taten
sie nicht, weil die Mittel für die Betriebskosten fehlten.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


Das war immer unser Argument.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verwechseln das mit dem Ganztagsprogramm! – Nicolette Kressl [SPD]: Falscher Film!)


– Nein, gucken wir einmal zusammen: Das eine geht
in das andere über. Sie hatten die Verantwortung und ha-
ben nur auf Investitionen gesetzt, weil das für die Regie-
rung preiswerter war.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Korrigieren Sie das im Protokoll, wenn Sie jetzt etwas Falsches sagen!)


Was passiert? Wir tätigen jetzt Investitionen, an denen
drei Ebenen beteiligt sind. Zum ersten Mal, seit es diese
Möglichkeit gibt, sitzen diese drei Beteiligten an einem
Tisch und reden. Sie können sich vorstellen, dass es un-
terschiedliche Sichtweisen gibt und jeder etwas einspa-
ren möchte, wenn es um Milliardenbeträge geht. Deswe-
gen wird der eine dies sagen und der andere jenes. Das
ist wie in der Familie.

Ich halte es für richtig und klug von der Ministerin, zu
sagen, dass wir uns intern zusammensetzen. Wenn wir
dann Möglichkeiten sehen, wie alle drei ihren Beitrag
leisten können – das ist nämlich keine reine Bundes-,
sondern auch eine Landes- und kommunale Aufgabe –,
dann kommen wir wieder ins Plenum und berichten.
Dies ist richtig und vernünftig und kein Schnellschuss.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte jetzt einmal etwas zu Schnellschüssen sa-
gen. Sie sagen: Machen Sie jetzt, machen Sie einmal!
Sie waren in Nordrhein-Westfalen ja zehn Jahre lang in
der Regierungsverantwortung – fast parallel zur Bundes-
verantwortung. Ich habe einmal gedacht: Wenn die Kin-
derbetreuungsangebote so wichtig sind, dann werden die
Grünen diese Angebote im Eilverfahren ausgebaut ha-
ben, zumal eine Parallelität hinsichtlich der Verantwor-
tung für die Landes- und die Bundespolitik gegeben war;
das war eine Linie.

Jetzt gucken wir einmal, was Sie erreicht haben. 1995
hatten Sie knapp 8 000 Betreuungsplätze für unter Drei-
jährige.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Aha! Interessant!)


2002, also sieben Jahre später – jetzt überlegen Sie ein-
mal, was die Ministerin in eineinhalb Jahren getan hat –,
kamen Sie auf ein Plus von 2 500 Plätzen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Beachtlich! Das ist das grüne Schneckentempo!)


Wenn das Ihr Eiltempo ist, dann ist es gut, dass wir in-
zwischen Ihre Regierung abgelöst haben, damit es etwas
schneller vorangeht und wir Änderungen vornehmen
können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben allein in Nordrhein-Westfalen das institu-
tionelle Angebot für unter Dreijährige von 11 000 Plät-
zen im Mai 2005 bis zum Februar 2007 auf 16 000 er-
weitert. Das zeigt, dass wir dort, wo wir in der Regie-
rung sind, handeln.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich mal die Zahlen in BadenWürttemberg und Bayern an!)


Wir verändern etwas, und zwar im Gegensatz zu Ihnen
im Eiltempo.


(Beifall bei der CDU/CSU – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange haben Sie denn in Baden-Württemberg gebraucht?)


– Sie müssen uns nicht immer sagen, wo wir was ge-
macht haben. Es kommt auf die Zahlen an, Frau Sager.
Warum erwähnen Sie nicht Bayern? Sie kommen
schließlich aus Bayern.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, ich komme aus Hamburg! Hört man das nicht? – Caren Marks [SPD]: Das darf man nicht auf sich sitzen lassen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Singhammer mit der Deutschlandfahne auf der Krawatte kommt aus Bayern!)


– Entschuldigung, Frau Scheel kommt aus Bayern. Sie
kommen aus Hamburg. Sie könnten aber auch ausfüh-
ren, welche positive Entwicklung in Hamburg zu ver-
zeichnen ist, seitdem die CDU dort regiert.

Es gibt sehr gute Entwicklungen beim Bund. Darüber
lasse ich nicht mit mir diskutieren, weil unsere Zahlen
eindeutig sind. Sie können das nicht vom Tisch wischen.

Ich möchte noch auf die Linken eingehen, die auch
immer wieder vehement Verbesserungen fordern. Sie ha-
ben sich in den Ländern, in denen Sie Regierungsverant-
wortung tragen, auch nicht mit den Forderungen hervor-
getan, die Sie jetzt erheben, beispielsweise zur
Kostenfreiheit eines Kindergartenplatzes.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Doch!)


– Was ist denn mit Brandenburg?


(Diana Golze [DIE LINKE]: Da sind wir nicht an der Regierung!)


– In Berlin sind Sie aber an der Regierung beteiligt.


(Diana Golze [DIE LINKE]: Da haben wir ein kostenfreies Vorschuljahr!)


Weder die Linken noch die Grünen haben sich mit
Ruhm bekleckert, wenn es darum geht, ihre Forderun-
gen, die sie hier erheben, umzusetzen. Sie fordern viel
und schaffen wenig.






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Fischbach
Die Bundesregierung ist mit unserer Ministerin auf
dem richtigen Weg. Die Familienministerin der vergan-
genen Legislaturperiode hat den Anfang gemacht.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich mir nicht so sicher!)


Frau von der Leyen macht jetzt weiter, und zwar mit
dem richtigen Tempo. Ich bin froh, dass wir sie haben.
Ich bin sicher, dass das Ganze nicht an der SPD scheitern
wird; schließlich ist die CDU/CSU-Fraktion beteiligt,
die nicht nur redet, sondern handelt.


(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben verdammt viele Bremsklötze!)


Uns ist es lieber, Zahlen vorzuweisen, als uns auf
laute Forderungen zu beschränken. Insofern bin ich froh
und dankbar; denn wir sind auf dem richtigen Weg. Wir
lassen uns von Ihnen nicht beirren. Denn wir wissen,
dass nicht nur die Familien wichtig sind; im Vordergrund
steht das Wohl der Kinder. Deshalb ist die Wahlfreiheit
das oberste Gebot.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann brauchen wir einen Rechtsanspruch!)


– Aber nur, wenn er finanzierbar und sinnvoll ist. Daran
werden wir arbeiten. Darauf können Sie Gift nehmen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609817900

Das Wort hat die Kollegin Ingrid Arndt-Brauer von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Ingrid Arndt-Brauer (SPD):
Rede ID: ID1609818000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Als Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen reizt
es mich, auf die letzten Bemerkungen unserer Kollegin
einzugehen. Es gab zwar in NRW bisher in der Tat we-
nig Krippenplätze – das ist richtig –, aber ich denke, die
Darstellung, SPD und Grüne hätten es verschlafen, jetzt
starte die CDU durch, ist nicht ganz zutreffend. Denn
auch Sie brauchten sehr viel gesellschaftlichen Druck,
um sich so weit zu bewegen, wie Sie es bisher getan ha-
ben. Sie brauchten eine mutige Ministerin, die auch gele-
gentlich vorgeprescht ist. Das alles ist richtig.

Ich denke, in NRW sieht es deshalb noch ziemlich
traurig aus, weil wir dort zu wenig Druck und keinen so
mutigen Minister haben. Insofern bin ich nicht sehr opti-
mistisch.


(Beifall bei der SPD)


Ansonsten freue ich mich als Finanzpolitikerin beson-
ders darüber, dass noch keiner gefordert hat, einen Teil
der sprudelnden Steuereinnahmen zur Finanzierung von
Kinderkrippen zu verwenden. Denn es ist sicherlich uns
allen klar, dass die Finanzierung nicht durch Verschul-
dung erfolgen kann. Die sprudelnden Steuereinnahmen
bedeuten nämlich im Grunde nur, dass wir weniger
Schulden machen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nachhaltige Finanzpolitik bedeutet insofern, dass wir
uns an anderer Stelle um das notwendige Geld bemühen
müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist richtig, dass alle drei Ebenen – Kommunen,
Länder und der Bund – beteiligt werden müssen. Ob es
exakt eine Drittelbeteiligung sein muss, kann noch dis-
kutiert werden. Grundsätzlich sind aber alle drei Ebenen
in der Verantwortung. Ich nehme die Länder ausdrück-
lich nicht aus; denn über sie ärgere ich mich am meisten.
Ich habe im Zusammenhang mit der Föderalismus-
reform I die Länderchefs erlebt. Sie haben zum Aus-
druck gebracht, dass wir ihnen bloß mit irgendwelchen
Ideen wegbleiben sollten; sie bräuchten auch kein Geld
für Ganztagsschulen. Sie haben das Geld dann aber ge-
nommen und das Programm mit Mühe und Not – in eini-
gen Ländern auch sehr gemächlich – umgesetzt. Der thü-
ringische Ministerpräsident beispielsweise sagt nun: Wir
brauchen keinen Rechtsanspruch. – Man braucht in Thü-
ringen keinen Rechtsanspruch, weil es dort ein flächen-
deckendes Angebot gibt. Wenn wir überall flächen-
deckende Angebote hätten, bräuchten wir keinen
Rechtsanspruch. Wir brauchen einen Rechtsanspruch
aber, um denjenigen ein Druckmittel zu geben, bei denen
es eine Nachfrage nach Betreuungsangeboten gibt. Diese
können nur dann Druck ausüben, wenn sie sagen kön-
nen: Hier ist mein Rechtsanspruch. Wo ist mein Betreu-
ungsplatz? – Wir müssen aber den Rechtsanspruch so
definieren, dass man einen Anspruch auf eine zeitlich
und qualitativ ausreichende Betreuung hat. Ich hatte ein-
mal einen Betreuungsanspruch auf einen Kindergarten-
platz in Bayern. Das waren drei Stunden Nachmittagbe-
treuung. Das hat weder meinem Kind noch mir geholfen.
So etwas darf es nicht geben.

Berlin ist ein gutes Beispiel. Dort gibt es – genauso
wie in Hamburg – etwas Innovatives; darüber sollte man
einmal nachdenken. Ich meine die Betreuungsgut-
scheine. Ich bin mir nicht sicher, ob die von den Grünen
vorgeschlagene Kinderkarte etwas Ähnliches ist. Aber
Betreuungsgutscheine führten dazu, dass man den Men-
schen das Geld vom Bund geben könnte, ähnlich wie
eine BAföG-Leistung.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unsere Idee!)


– Das ist nicht Ihre Idee. Die Idee des Betreuungsgut-
scheins kommt aus dem wissenschaftlichen Bereich.
Solche Gutscheine gibt es in den USA schon seit
20 Jahren. Sie können die Idee gerne aufgreifen. Ich
halte sie jedenfalls für bedenkenswert.

Über einen finanziellen Ausgleich für Eltern, die ihre
Kinder zu Hause betreuen, müssen wir nicht ernsthaft
nachdenken; denn Sie unterstellen damit – das finde ich
ganz schrecklich –, dass Eltern, die ihre Kinder in die
Krippe oder zu einer Tagesmutter geben, gar keine Be-






(A) (C)



(B) (D)


Ingrid Arndt-Brauer
treuung mehr leisten. Sie tun so, als ob diese ihre Kinder
abholten und sie gleich ins Bett legten, um sie am nächs-
ten Morgen aus dem Bett zu nehmen und sie wieder
wegzubringen. Das ist doch völliger Blödsinn.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Die haben ein Einkommen weniger!)


– Das stimmt. Aber Sie haben hier mit aller Kraft das
Ehegattensplitting verteidigt. Solange Sie das tun, müs-
sen Sie sich um das Einkommen dieser Familien keine
Gedanken machen; denn diese profitieren vom Splitting-
vorteil. Sie sollten sich schon für eine Argumentationsli-
nie entscheiden.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie das geschafft haben, gibt es Finanzierungs-
möglichkeiten. Dann können wir mit Ihnen über andere
Sachen reden.

Ich habe schon vor ein paar Wochen gesagt, dass ich
die Vorschläge der SPD nicht unbedingt toll finde. Aber
das sind zumindest belastbare Vorschläge. Darüber soll-
ten wir noch einmal nachdenken. Ich habe ein paar
Bauchschmerzen, wenn ich an die Finanzierung über
Hartz IV denke; denn ich weiß nicht, ob sie gleich greift,
ob die Eltern gleich Arbeit bekommen. Die alleinerzie-
henden Mütter, von denen Sie gesprochen haben, waren
schließlich eine Zeit lang zu Hause. Ich weiß nicht, ob
das gleich funktioniert und 900 Millionen Euro bringt.
Deswegen bin ich ein bisschen skeptisch. Die demogra-
fische Reserve ist sicherlich ein Finanzierungsaspekt.

Wir dürfen aber nicht vergessen: Unsere guten Maß-
nahmen, die meine Vorrednerin teilweise angedeutet hat,
führen natürlich dazu, dass wir in Zukunft wesentlich
mehr Kinder haben. Dann brauchen wir erheblich mehr
Geld. Ich denke, dann sind alle dabei, das aufzutreiben.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609818100

Das Wort hat die Kollegin Dr. Eva Möllring für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Eva Möllring (CDU):
Rede ID: ID1609818200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist offenbar eine unerlässliche deutsche
Übung, dass alle, kaum dass eine gute Idee ausgespro-
chen wurde, nach Kräften darüber herfallen, sie zerrei-
ßen und zerreden, bis kaum noch jemand die gute Ab-
sicht und die Fortschritte, die man gemacht hat,
erkennen kann. Der Kollege Singhammer hat eben sehr
eindrucksvoll darauf hingewiesen, in welch kurzen Zeit-
abläufen hier eine Planung eingesetzt hat, die nicht ein-
fach gewesen ist. Niemand wird bestreiten, dass wir nun
gemeinsam mit allen Akteuren auf Landesebene und in
den Kommunen einen guten Schritt vorangekommen
sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


So viel Einigkeit und Erfolg ist mittelfristig nur
schwer zu ertragen. Die deutsche politische Seele wittert
die Chance, sich in einen zermürbenden Kleinkrieg zu
stürzen.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den machen Sie doch selber!)


Sehr verehrter Koalitionspartner, lassen Sie uns doch
einfach gemeinsam unseren Job machen! Fangen Sie
bitte die Mitglieder Ihrer Partei ein, die sagen, wir wür-
den Geld verplanen, das wir noch gar nicht hätten! Fan-
gen Sie auch die ein, die sagen, wir müssten noch viel
mehr Geld einsetzen, um einen Rechtsanspruch zu er-
möglichen!


(Miriam Gruß [FDP]: Fangen Sie doch mal an!)


Sie haben doch selber mit Ihrem Finanzminister den
Daumen drauf. Sie brauchen also solche Leuchtraketen
gar nicht abzuschießen.

Inzwischen ist die Dringlichkeit des Themas offen-
sichtlich bei allen, auch bei diesem Finanzpolitiker, an-
gekommen.


(Nicolette Kressl [SPD]: Sie schauen in die falsche Richtung! – Caren Marks [SPD]: Sie müssen zu Ihrer Fraktion gucken! Da hat es so lange gedauert!)


Wir wollen Familien helfen, ihren Alltag mit Kindern
und Beruf so zu organisieren, wie es für sie am besten
passt. Ich habe hier schon das letzte Mal in meiner Rede
deutlich ausgeführt, dass die Bedürfnisse hier so unter-
schiedlich sind, dass wir sie nicht mit einer holzschnitt-
artigen Antwort befriedigen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Nicolette Kressl [SPD])


Deswegen finde ich es nicht okay, wenn Sie hier – das
gilt auch für die Damen von den Grünen – gebetsmüh-
lenartig das Wort „Rechtsanspruch“ wiederholen; denn
mit der Einführung eines Rechtsanspruchs allein ist das
Problem noch nicht gelöst. Frau Arndt-Brauer hat dan-
kenswerterweise eben selber darauf hingewiesen.

Was soll denn die Mutter machen, die im Schicht-
dienst arbeitet, zum Beispiel als Krankenschwester, und
einen Betriebskindergarten braucht, der andere Öff-
nungszeiten hat? Was soll denn die Frau machen, die
eine flexible Kinderbetreuung braucht, zum Beispiel für
drei Stunden am Nachmittag? Was ist mit der Angestell-
ten am Flughafen, die wiederum völlig andere Dienstzei-
ten hat? Welchen Rechtsanspruch wollen Sie denn für
diese Familien statuieren?

Die Familien brauchen konkret einen Platz; sie brau-
chen ein vielschichtiges Angebot.


(Caren Marks [SPD]: Ohne Rechtsanspruch!)







(A) (C)



(B) (D)


Dr. Eva Möllring
Sie haben in der letzten Wahlperiode versucht, solch ein
Angebot durchzusetzen; das hat aber leider nicht ge-
klappt, weil Sie es mit ALG-II-Leistungen gekoppelt ha-
ben. Wir alle haben erlebt, welche Auswirkungen das für
die Kommunen hatte. Ich habe in einer Kommune Ver-
antwortung getragen und musste immer auf das Geld
warten, das Sie uns versprochen haben.


(Caren Marks [SPD]: Das Geld hängt bei Ihrem Mann, in Niedersachsen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


– Wenn Sie einen Termin mit meinem Mann haben wol-
len, werde ich ihn sofort ausmachen; dann können Sie
sich gern mit ihm über das Thema unterhalten. Das ma-
che ich am allerliebsten.


(Caren Marks [SPD]: Manchmal sollte man aufpassen, was man sagt!)


Liebe Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker,
wenn wir mit einem vernünftigen Kinderbetreuungssys-
tem, das auf die Bedürfnisse dieser Familien Rücksicht
nimmt, erreichen könnten, dass die Mütter und auch die
Väter nicht mehr auf ALG II angewiesen sind, dann wä-
ren wir doch mit dem Klammeraffen gepudert, wenn wir
dieses Geld im großen Topf ließen und nicht sagten, es
müsse für genau diesen Zweck eingesetzt werden. Das
Gleiche gilt für die Kindergeldzahlungen.

Herr Beck, ich kann nicht verstehen, dass Sie diese
Mittel einfach locker in den Raum werfen wollen. Nein,
diese Zahlungen müssen weiter den Familien zugute
kommen, und zwar in Form von konkreten Angeboten
vor Ort. Ich will Ihnen sagen: Die Bevölkerung hat die-
ses Gezerre und Gezeter um die einzelnen Vorschläge
längst satt.

Die Familien erwarten eine Lösung für ihren Alltag.
Ich bin froh über jeden vernünftigen Vorschlag, der hier
gemacht wird, damit wir ein abgestimmtes System aus
dem Boden stampfen können. Das wird sicherlich nicht
von heute auf morgen gehen; aber in den nächsten Jah-
ren können wir Schritt für Schritt vernünftige Angebote
einführen, die den Familien vor Ort helfen, ihre Pro-
bleme zu lösen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609818300

Das Wort hat der Kollege Clemens Bollen für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Clemens Bollen (SPD):
Rede ID: ID1609818400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich herrscht hier im
Hause große Einigkeit – das ist ein Riesenfortschritt –
über die Notwendigkeit des Ausbaus der Kinderbetreu-
ung; es geht hier eigentlich nicht um das Ob, sondern nur
um das Wie. Wir alle wissen, dass Deutschland im euro-
päischen Vergleich weit zurückliegt. Ich erinnere an die
Worte der früheren Familienministerin Renate Schmidt,
die einmal gesagt hat, Westdeutschland sei in Sachen
Kinderbetreuung ein Entwicklungsland.

Sie hat dabei eine Rechnung aufgemacht, die ich sehr
interessant fand. Von 1994 bis 2002, also in einem Zeit-
raum von acht Jahren, hat sich die Versorgung mit Krip-
penplätzen nur um 1,5 Prozent verbessert. Wenn es in
diesem Tempo weitergegangen wäre, hätte es 120 Jahre
gedauert, um die französische Betreuungsquote zu errei-
chen, 160 Jahre, um die Betreuungsquote Ostdeutsch-
lands zu erreichen, und über 200 Jahre, um Dänemark
einzuholen. Dass hier großer Reformbedarf bestand, ist
nun wirklich deutlich. Deshalb haben wir in der Großen
Koalition eine neue Dynamik angestoßen. Ich glaube,
500 000 zusätzliche Betreuungsplätze für ein- bis drei-
jährige Kinder sind eine völlig neue Qualität in der
Familienpolitik. Deshalb werden wir das Versprechen
einlösen, dass alle, die für ihre Kinder einen Betreuungs-
platz wünschen, diesen auch bekommen.

Derzeit ist jede zweite Mutter in Deutschland nicht er-
werbstätig, meist unfreiwillig. Nach Angaben der Bun-
desagentur für Arbeit – Frau Ministerin hat die Zahl eben
zitiert – könnten 50 000 Alleinerziehende sofort Arbeit
aufnehmen, wenn die Kinderbetreuung geklärt wäre. Das
zeigt die Notwendigkeit, schnellstens zu handeln. Mütter
und Väter wollen heute beides, Familie und Beruf. Auf
dieses veränderte Familienbild muss reagiert werden,
und es wird reagiert. Alle Versuche, Frauen an Heim und
Herd zu halten, was in der Diskussion ist, gehen eindeu-
tig an der Realität vorbei. Elternpaare und Alleinerzie-
hende brauchen verlässliche Rahmenbedingungen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dazu brauchen wir – das müssen wir mit aller Deut-
lichkeit sagen – den gesetzlich verankerten Rechts-
anspruch. Gerade in dem Rechtsanspruch auf eine ganz-
tägige Betreuung ab dem ersten Geburtstag liegt der
Schlüssel zu einem flächendeckenden und bedarfsge-
rechten Betreuungsangebot. Besonders wichtig erscheint
mir aber, dass wir bei der Debatte über die Krippenplätze
die Kinder selbst in den Mittelpunkt stellen. Eine Förde-
rung der frühkindlichen Entwicklung ist von zentraler
Bedeutung. Wichtige Stichworte sind hier die Unterstüt-
zung beim Spracherwerb, die Begleitung beim Entde-
cken der Umwelt, die Förderung der frühkindlichen Bil-
dung und die Entwicklung von sozialer Kompetenz.
Studien belegen die Vorteile der frühkindlichen Betreu-
ung. Dies gilt nicht nur für Kinder aus benachteiligten
Familien, sondern für alle Kinder.


(Beifall bei der SPD)


Ein- und Zweijährige brauchen eine spezielle Betreu-
ung und intensive Zuwendung. Dafür brauchen wir Er-
zieherinnen und Erzieher, die eine besondere Ausbil-
dung haben. Dies gilt natürlich entsprechend auch für
die Tagesmütter und -väter, die eine wichtige Rolle im
Konzept der Kinderbetreuung spielen; denn was in die-
sem frühen Alter der Kinder falsch gemacht wird, lässt
sich später schwer korrigieren.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig! Das stimmt!)







(A) (C)



(B) (D)


Clemens Bollen
Die lebhafte gesellschaftliche Debatte, die in den letz-
ten Monaten über die Krippenplätze geführt wurde,
zeigt, wie sich das Familienbild in unserem Land verän-
dert hat. Ein Zitat, Frau Ministerin, lautet: Kinder sind
nicht nur eine Privatangelegenheit. – Das ist ein Satz, der
so vor einigen Jahren noch nicht gefallen wäre. Der Aus-
bau der Kinderbetreuung ist eine gesamtgesellschaftli-
che Aufgabe. Deshalb war es ein wichtiger Schritt, dass
sich Bund, Länder und Kommunen verpflichtet haben,
bis 2013 750 000 Betreuungsplätze bereitzustellen. Jetzt
müssen wir zu einer gerechten Aufteilung der Kosten
zwischen Bund, Ländern und Kommunen kommen. Die
Kommunen brauchen Planungssicherheit. Der Bund
kann sich hierbei nicht auf eine Beteiligung allein an den
Investitionskosten zurückziehen.


(Beifall bei der SPD)


Wenn wir wirklich mehr und bessere Kinderbetreuung
wollen, dann müssen wir für eine dauerhafte und ausrei-
chend hohe Beteiligung des Bundes sorgen.

Für die SPD geht der Weg über die gesetzliche Veran-
kerung des Rechtsanspruchs auf eine ganztägige Betreu-
ung ab dem ersten Geburtstag. Deshalb sind Bund, Län-
der und Kommunen gleichermaßen in der Pflicht. Hier
darf es keine Blockaden der Länder geben. Die SPD hat
einen Finanzierungsvorschlag vorgelegt. Ich bin sicher,
dass in den nächsten Tagen konkrete, tragfähige Ergeb-
nisse für die Finanzierung der zusätzlichen Krippen-
plätze vorliegen werden. Kinder sind unsere Zukunft.
Deshalb muss jetzt gehandelt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609818500

Das Wort hat der Kollege Dr. Ole Schröder für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1609818600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich danke Ihnen, Frau Ministerin, dafür, dass Sie
es geschafft haben, das Thema Kinderbetreuung in das
Zentrum der Diskussion zu rücken. Sie haben es ge-
schafft, Bund, Länder und Kommunen an einen Tisch zu
bringen und ein gemeinsames Ziel festzulegen. Das war
noch nie da.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Mittelpunkt steht der Ausbau der Kinderbetreuung
auf 750 000 Plätze. Trotz der vielstimmigen Diskussion,
insbesondere um die Finanzierung dieses Ziels, sind wir
uns fraktionsübergreifend einig: Eltern, die dies wün-
schen, sollen eine Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind
ab dem ersten Lebensjahr erhalten. Wir sind uns auch ei-
nig darüber, dass die Qualität der Kinderbetreuung in
Deutschland verbessert werden kann und in vielen Be-
reichen verbessert werden muss.

Für die weitere Konzeption möchte ich als Haushalts-
politiker auf drei Dinge hinweisen:
Erstens. Neben der wichtigen Aufgabe, die Kinderbe-
treuung auszubauen, dürfen wir nicht das Ziel aus den
Augen verlieren, die über 50 unterschiedlichen familien-
politischen Leistungen zu bündeln. Hieran arbeiten zur-
zeit Kommissionen im Familienministerium und inner-
halb der CDU/CSU-Fraktion.

In diesem Zusammenhang ist an Folgendes zu erin-
nern: Für die Finanzierung der Kinderbetreuung ist der
Bund eigentlich nicht zuständig.


(Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr richtig!)


Die Föderalismusreform hat noch einmal deutlich ge-
macht, dass die Kinderbetreuung vor allen Dingen von
den Ländern und den Kommunen zu organisieren ist. Ich
meine, dass diese Aufgabe dort, insbesondere bei den
Kommunen, zu Recht angesiedelt ist. Kinderbetreuung
in ländlichen Räumen ist natürlich anders als in urban
geprägten Räumen zu organisieren. Kinderbetreuung
muss dort organisiert werden, wo die Eltern Mitsprache-
möglichkeiten haben, wo sie sich einbringen und beein-
flussen können, wie die Kinderbetreuung vor Ort organi-
siert wird. Entscheidend ist also, dass die Kommunen
ausreichende finanzielle Möglichkeiten hierzu erhalten.

Ebenso richtig ist, dass es ein nationales Ziel ist, die
Geburtenrate zu erhöhen. Der Ausbau der Kinderbetreu-
ung ist ein wesentliches Mittel, um dieses Ziel zu errei-
chen. Ich stimme der Familienministerin ausdrücklich
zu, dass der Bund sich hier engagieren muss. Frau von
der Leyen hat diese notwendige Impulsfunktion – so will
ich das nennen – erkannt und entsprechend ausgefüllt.

Ich möchte zweitens auf einen weiteren in der Dis-
kussion über Kinderbetreuung wichtigen Punkt hinwei-
sen. Wir sollten bei der Erfüllung der notwendigen Auf-
gabe, Kinderbetreuung zu organisieren, nicht den Fehler
machen, die Haushaltskonsolidierung aus den Augen zu
verlieren. Haushaltskonsolidierung ist genauso wie der
Ausbau der Kinderbetreuung im Interesse unserer Kin-
der. Der Bund ist von den Gebietskörperschaften am
höchsten verschuldet. Trotz der Mehreinnahmen, die
jetzt geschätzt werden, haben wir keine Überschüsse,
sondern weiterhin ein deutliches Haushaltsdefizit zu ver-
zeichnen.

Wir müssen begreifen, dass wir nicht dauerhaft mehr
Geld ausgeben dürfen, als wir einnehmen. Die gegen-
über den bisherigen Prognosen erfreulichen Steuerein-
nahmen dürfen nicht zu dauerhaften Ausgabensteigerun-
gen führen. Denn: Keiner weiß, wie lange die gute
konjunkturelle Lage anhält und wie lange wir mit den
Mehreinnahmen rechnen können. Eventuelle Mehraus-
gaben für Kinderbetreuung sollten daher woanders ein-
gespart werden. Ein konsequenter Sparkurs ist im Inte-
resse der nachfolgenden Generationen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Caren Marks [SPD]: Das gilt auch für die Abschmelzung des Ehegattensplittings!)


Ich möchte auf einen dritten Punkt hinweisen, der mir
in dieser Debatte wichtig ist: die Wahlfreiheit. Wir dür-
fen diejenigen Eltern nicht vergessen, die ihr Kind selbst






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Ole Schröder

betreuen und dafür vorübergehend auf eine Berufstätig-
keit verzichten wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Familienpolitik hat wie bisher die Aufgabe, diese
Eltern zu fördern. Zur Wahlfreiheit gehört auch, dass wir
den Eltern keine bestimmte Betreuungsform vorschrei-
ben dürfen.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)


Die Diskussion der letzten Wochen war aus meiner
Sicht zu sehr auf staatliche Angebote fixiert. Statt uns
nur auf eine Objektförderung zu konzentrieren, sollten
wir auch andere Förderungsarten – vielleicht eine stär-
kere Subjektförderung – ins Auge fassen. Ich denke an
eine bessere finanzielle Förderung der Familien. Ob die
Eltern eine Tagesmutter, eine private, eine staatliche Kita
oder eine private Elterninitiative in Anspruch nehmen,
sollte ihnen überlassen bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen die Familienpolitik effektiver und unbü-
rokratischer organisieren. Wichtig ist, dass das Geld am
Ende bei den Eltern und Kindern ankommt und nicht in
der Förderbürokratie versickert. Das gilt erst recht für
die Kinderbetreuung.

Im Rahmen der Aufstellung des nächsten Haushalts-
und Finanzplanes werden wir entscheiden, wie wir die

konkrete finanzielle Beteiligung des Bundes gestalten
werden. Ich bin mir sicher, dass wir zu einer überzeu-
genden Lösung kommen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1609818700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde

ist beendet. Wir hier im Präsidium haben neben dem leb-
haften Austausch der Argumente zur Kinderbetreuung
und zur Finanzierung der Kinderbetreuung mindestens
drei sprachliche Innovationen gezählt: Der Bettvorleger
hat eine Partnerin, die Bettvorlegerin, bekommen. Es
wird nicht mehr mit dem Klammerbeutel, sondern mit
dem Klammeraffen gepudert. Und es gibt die männliche
Erzieherin. Man muss am Ende eines solchen Tages ja
auch einmal seinen Erkenntnisfortschritt resümieren.


(Heiterkeit und Beifall im ganzen Haus)


Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destags auf Mittwoch, den 23. Mai 2007, 13 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alles
Gute!